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HEUTE compact
2017 HEFT 51 R 8,50 SFR 12,90 43254
Mut zur
Veränderung
Wie Sie eingefahrene Wege verlassen
und Ihrem Leben eine neue Richtung geben
BACHELOR ANGEWANDTE
PSYCHOLOGIE (B. Sc.)
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Psychologie, Gesundheit und Ökonomie. Je nachdem, für welche der von
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sern so Ihre beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten nachhaltig.
Bachelor Angewandte Psychologie (B. Sc.):
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Straße, Hausnummer Erziehungs- und Bildungseinrichtungen,
Akademien z. B. als Dozent/Lehrbeauftragter
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Faxantwort an: +49 (0) 421 378266-190 ZERTIFIKATSKURSE
U. a. Grundlagen Psychologie, Gesundheits-
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Inhalt HEFT 51
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Postfach 100154, 69441 Weinheim
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W W W.PSYCHOLOGIE-HEUTE.DE
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LAYOUT, HERSTELLUNG Gisela Jetter, Johannes Kranz
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84 „Gehen Sie eine Liebesbeziehung Titel: Getty S.3: Fotostudio Fischer. S. 4, 5, 12, 14, 16, 17, 20,
21, 36, 46, 48, 64, 90: Plainpicture. S. 6, 7, 8, 10, 11, 27, 30,
mit Ihrer Entscheidung ein!“ 61, 66, 76, 91 unten, 93: Getty Images. S. 9: Pia Bublies. S. 23:
Privat. S. 24: Sabine Kranz. S. 32, 35, 38, 39, 41, 52, 70, 72,
RUTH CHANG I M GES PRÄCH
92: Photocase. S. 49: Privat. S. 44, 54, 55, 57: Edith Images.
S. 57: Privat. S. 80, 83: Linda Wölfel. S. 85, 86: Elke Ehninger.
S. 91 rechts: Alamy stock photo. S. 94: Mindjazz. S. 95: Holga
Rosen
3 Editorial PSYCHOLOGIE
PSYCHOLOGIE HEUTE compact
HEUTE compact
5 Impressum
6 Magazin
90 Medien
2017 HEFT 51 R 8,50 SFR 12,90 43254
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MAGAZINR E D A K T I O N : E VA- M A R I A T R Ä G E R
Beweisaufnahme
Woran machen wir Veränderungen fest? Bei jedem Wan-
del gibt es einen Punkt, an dem wir die Wende spüren.
Wann das ist, hängt von der Menge an „Beweisen“ ab,
die wir wahrnehmen und als Zeichen für den neuen
Zustand interpretieren. Erst wenn sie groß genug ist,
glauben wir nicht mehr an Zufall oder übliche Schwan-
kungen. Forscher der Universität von Chicago haben
jetzt festgestellt: Für eine Veränderung zum Schlechten
verlassen wir uns auf weniger Belege, als es bei einer
Wende zum Guten der Fall ist. Das liegt vermutlich dar-
an, dass uns eine dauerhaft positive Phase weniger
wahrscheinlich erscheint als eine schlechte. Oder anders
gesagt: Glück ist zerbrechlich, Pech haftet an.
DOI: 10.1037/pspa0000070
DOI: 10.1037/pag0000133
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Wer über eine Trennung nach-
denkt, wägt ab: Was spricht für
die Beziehung, was dagegen?
Psychologen aus den USA und
Kanada haben jetzt Gründe ver-
sammelt, die Zweifler pro und
kontra anführen. Fürs Schlussma-
chen sprechen demnach am häu-
DOI: 10.1016/j.cognition.2016.10.007
VERLEUGNUNG
3. FURCHT Wir spüren Wir tun so, als wäre alles
erste Einflüsse der unverändert, zeigen alte
Veränderung – das Verhaltensweisen und folgen
„Schaffe ich das?“ macht uns Sorgen. überholten Prozessen
Trotzdem schätzen wir
die Auswirkungen (noch)
„Wenigstens als eher gering ein
ändert
sich was!“ „Nicht
mit mir!“
ERNÜCHTERUNG
Wir haben das Gefühl,
„Was bedeutet
dass unsere Über-
das für mich?“
zeugungen nicht mit
der Veränderung
Ärger vereinbar sind, und ent-
„Ich sehe mich SELBSTZU-
auf andere scheiden uns gegen sie
in der Zukunft“ FRIEDENHEIT
Zustand nach (und
vor) einer Verände-
rung: Wir haben uns
an die neue Realität
gewöhnt und blicken
zuversichtlich in die
SELBSTZU- Zukunft. Was um uns
FRIEDENHEIT herum passiert, inter-
„Schlimmer
essiert uns wenig
als gedacht“
4. BEDROHUNG Wir
merken: Die Veränderung 7. AKZEPTANZ Wir
hat doch stärkere Aus- „Was habe beginnen, die neue
process-of-transition. Illustration: Pia Bublies. Text/Übersetzung: Eva-Maria Träger
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LUST AUF
ETWAS NEUES?
Fünf Tipps für erfolgreiche Veränderungen
NICHT VERZICHTEN
Nehmen Sie sich eine neue Verhaltensweise vor,
zum Beispiel täglich einen Apfel zu essen. Das ist besser, als
ein bestehendes Verhalten zu unterlassen. Gewohnheiten
entstehen nur durch Handeln, nicht durch Verzicht. Etwas zu
ändern, das wir schon automatisch ausführen, ist zudem sehr
viel schwieriger, als eine neue Routine zu etablieren.
DOI: 10.1177/0956797615605818
DOI: 10.1037/pspa0000088
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12 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t
ES MUSS SICH
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ETWAS ÄNDERN!
Das Leben ist nur noch Routine, alles kommt einem fade vor.
Es gibt diese Punkte, an denen man das Gefühl hat: Es muss
sich etwas ändern, ein Neuanfang muss her! Doch gleichzeitig
regt sich Angst vor dem Unbekannten, dem Zurücklassen des
Vertrauten. Wer Neues wagt, sollte sich selbst befragen und ge-
danklich vorbereiten. Dann kann der Aufbruch Kräfte freisetzen
VON SELBST
PASSIERT NICHTS!
Wenn das Leben nur noch aus Routine besteht, wenn der Job öde
und die Beziehung in der Sackgasse gelandet ist – dann wird es Zeit,
etwas zu verändern. Warum nur fällt uns das so schwer?
VON AXEL WOLF
D
as Leben verläuft in einer Sackgasse gelandet zu sein: Der gement hat durchaus seine Vorteile. Alles
weitgehend geregel- Status quo lässt die eigene Persönlichkeit ist irgendwie geregelt, sicher und über-
ten Bahnen. Man hat stagnieren. Man ist festgefahren. schaubar. Es ist nicht gerade toll, aber
sich etabliert und in Dieses Gefühl kann den Lebensstil als auch nicht dramatisch schlecht. Immer-
stabilen Verhältnissen ganzen betreffen oder die Beziehungen hin werden bestimmte Bedürfnisse be-
eingerichtet. Eigentlich ein erstrebens- zu wichtigen anderen Menschen. Beson- friedigt – das nach Zugehörigkeit etwa
werter Zustand – nach unruhigen Lehr- ders oft taucht es in den beiden wesent- oder nach Sicherheit. Eine Zeitlang redet
und Wanderjahren, nach emotionalen lichen Bereichen des Lebens auf – Liebe man sich ein: So ist das Leben eben –
Tumulten in der Jugend und frühen Er- und Arbeit: Der Job, der nur eine Zwi- man kann nicht alles haben.
wachsenenzeit gilt ein gewisses Maß an schenstation sein sollte, ist zur Endstati- Bis zu einem gewissen Punkt. Bis das
Stabilität in allen Kulturen als Merkmal on geworden. Er ist nur noch langweili- Gefühl überhandnimmt, auf einem to-
psychischer Reife. ge Routine oder unterfordert Sie. Sie ten Gleis zu stehen. Was einmal an-
Und doch: Das Arrangement ist oft haben sich dem Partner entfremdet, je- nehmbar, manchmal sogar angenehm
mit einem leisen, aber nicht mehr zu der hat sich seine eigene Parallelwelt erschien, wird allmählich unerträglich:
ignorierenden seelischen Schmerz er- aufgebaut, „nichts geht mehr“. Trotzdem Es bedrückt immer mehr, wenn man
kauft, mit faulen Kompromissen, mit vermeiden Sie den endgültigen Bruch. sich frustriert, gelangweilt, ausgenutzt
einem Verzicht auf etwas Wesentliches, Wer sich in einer solchen oder ähnli- und hingehalten fühlt. Grund genug,
mit einem grundsätzlichen Unbehagen. chen Situation wiedererkennt, steckt in ins Grübeln und Zweifeln zu geraten.
Immer öfter regt sich der Verdacht, in einer Bequemlichkeitsfalle. Das Arran- Woran lässt sich die Stagnation erken-
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geführt hat? Gab es frühe Erfahrungen ra der Selbstermutigung, entfaltet seine Die Falle der Ambivalenz
wie schmerzhafte Trennungen oder Lie- eigene Dynamik und lässt uns nicht mehr Andere sind zwischen unvereinbaren
besentzug? Haben Versagensängste eine los. Es ist deshalb alles andere als ein wol- Wünschen hin- und hergerissen: Sie hät-
Rolle gespielt, oder galt (und gilt) es, el- kiger, tröstlicher Tagtraum. Die positive ten gerne beides, die Geborgenheit einer
terliche „Aufträge“ zu erfüllen? Warum Vision sollte uns wirklich dazu antreiben, vielleicht stagnierenden, aber doch funk-
ist die Sicherheit so wichtig? Genießt ein altes Szenario gegen ein neues, besse- tionierenden Ehe und den Thrill, den der
man es, gebraucht zu werden und sich res einzutauschen. neue Partner bietet; sie schätzen die Si-
für andere aufzuopfern? Warum kann Das neue Leben ist nur zu haben, cherheit des langweiligen oder schlecht
man es so schlecht ertragen, wenn einem wenn man das alte hinter sich lässt und bezahlten Arbeitsplatzes – immerhin
jemand böse ist? eine Entscheidung trifft: Wer nur von kann man die Miete und die Brötchen
Das Ziel der Selbstbefragung liegt einem interessanteren Job träumt, aber bezahlen – und sehnen sich doch nach
nicht darin, Schuldzuweisungen oder einer vielleicht riskanten, aber interes-
Pseudoerklärungen für die eigene Passi- santen und kreativen Aufgabe.
vität zu finden, sondern darin, eigene Man will Ambivalenzen erschweren häufig das
Anfälligkeiten und Schwächen zu erken- Entwerfen einer besseren Zukunft: Man
nen und im Lichte dieser Selbsterkennt- etwas – und will etwas – und doch auch wieder nicht.
nis eine Vorwärtsstrategie zu formulie- Soll man aus der teuren, lauten Stadt-
ren. Wer beispielsweise herausfindet, doch auch wohnung aufs Land ziehen? Natürlich,
dass ihn die eigene Konfliktscheu immer für die Kinder wäre es besser, auch für
wieder in Fallen manövriert hat, kann wieder nicht. die Gesundheit und die Seelenruhe. Und
sich auf diesen Punkt konzentrieren und billiger wäre es auch. Einerseits. Aber an-
seine Konfliktfähigkeit gezielt trainieren. Wie sieht das dererseits: Ist das Landleben wirklich so
schön? Wird man nicht vieles vermissen
Das Ziel weist den Weg positive Ziel – etwa die Unterhaltungs- und Einkaufs-
Um wirklich in Bewegung zu kommen, möglichkeiten der Stadt?
brauchen wir nicht nur Disziplin, son- wirklich aus? Das eigene Geschäft aufmachen, ein
dern vor allem ein positives Ziel. Wie Jahr Auszeit nehmen und den Roman
sieht „das bessere andere“ aus? Welche endlich schreiben, den Wunsch nach
Hoffnung kann uns auf dem Weg dorthin nicht bereit ist, wegzuziehen und viel- dem zweiten Kind nicht länger vertagen:
antreiben? Wir müssen eine Vision von leicht härter zu arbeiten, ist mit sich Unser Unbewusstes lässt immer wieder
unserem Leben nach der Veränderung längst noch nicht im Reinen. Wer endlich Bilder eines anderen Lebens aufsteigen,
entwerfen, die als Attraktor wirkt und mal auf den Tisch hauen will und trotz- und manchmal gibt es Augenblicke ab-
uns über die vermuteten und befürchte- dem jedermanns Liebling bleiben möch- soluter Klarheit und Sicherheit. Dann
ten Schwierigkeiten hinwegzieht. te, bleibt in der Falle. Und wer gerne wissen wir, was wir wollen, aber immer
Die Bequemlichkeitsfalle übt ihren schlank und gesund wäre, aber jeden noch zweifeln wir: Reicht das schon? Ma-
Sog nur so lange aus, bis das innere Bild Abend seine Fressattacken am Kühl- chen wir uns etwas vor? Haben wir uns
des Besseren uns magisch anzieht. Je schrank auslebt, hat noch keine motivie- beispielsweise wirklich genügend ange-
deutlicher und detaillierter man sich ein rende Vision vom fitteren Ich. strengt, um das alte Arrangement zu ver-
Ziel ausmalen kann, umso leichter fällt Mit der entscheidenden Frage, die je- bessern und zu retten?
es, sich in Bewegung zu setzen. Deshalb der positiven Vision zugrunde liegt, tun Es ist wichtig, sorgfältig abzuwägen,
muss das Ziel positiv formuliert sein – sich viele schwer: Was will ich wirklich? aber nicht endlos. Irgendwann wirken
also nicht: „Ich will diese ewige Gängelei Manchmal hat die Bequemlichkeitsfalle auch noch so detaillierte Pro-und-Kon-
nicht länger ertragen“, sondern: „Ich will alles Träumen und Begehren erstickt. Leo tra-Listen nur noch wie ein rührender
endlich wieder frei und kreativ arbeiten!“ Tolstoi schrieb: „Langeweile ist das Be- Versuch, „objektiv“ zu einem Urteil zu
Die positive Vision erhält allmählich auch gehren nach Begehren.“ Verschüttete kommen und die Entscheidung doch ir-
den Charakter einer Selbstverpflichtung: Lebensziele und verdrängte Wünsche gendwie zu delegieren. Worauf also
Ein Ziel, das in Worte und Sätze gefasst müssen erst wieder ins Bewusstsein ge- kommt es an?
ist, vielleicht sogar in ein griffiges Mant- hievt werden. • Bevor man eine Beziehung, einen Job,
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„Wozu will
ich mich
verändern?
Und wohin?“
Der Drang, sich und sein Dasein
verändern zu müssen, hat oft etwas
Verbissenes. So verkrampft wird das
nichts, meint der Psychotherapeut
Georg Eifert im Interview. Eine
zunächst makaber anmutende
Übung hilft, zu spüren, welches
Leben man wirklich führen möchte
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findungen und Gedanken kaum verändern, und wir verschlim- eigenen Grab und betrachten die Inschrift auf dem Grabstein.
mern nur unseren Zustand, wenn wir es verbissen versuchen. Nun stellen Sie sich vor, was dort nach einem langen Leben
Wir können sie doch einfach beobachten und dann weiterzie- über Sie geschrieben stehen soll: ein Motto, das kurz und prä-
hen lassen. gnant ausdrückt, wofür Ihr Leben gestanden haben soll.“
Wo soll ich aber denn nun ansetzen, wenn ich mich verän- Es würde mir schwerfallen, darauf eine Antwort zu finden.
dern will? Das fällt vielen Menschen im ersten Moment schwer. Dazu
Veränderung ist kein Kampf. Es kommt nicht darauf an, wie muss man sich hinsetzen, die Augen schließen – und dann in
beim Seilziehen immer mehr Kraft aufzuwenden, um irgend- der Tat vor allem aufs Herz hören. Soll auf dem Grabstein
einen inneren Gegner zu besiegen. Die Lösung besteht vielmehr stehen „Er hat anderen geholfen“, „Er war ein guter Vater“?
darin, das Seil fallenzulassen, loszulassen. Positive Veränderung Steht bei dem Lebensmotto die Familie im Vordergrund? Die
kommt von innen und bedeutet erstens: Partnerschaft? Oder hat es etwas mit Kre-
dass man immer größere Teile von sich ativität zu tun, etwa: „Er war ein begeis-
annimmt, ohne ständig dagegen zu kämp- terter Musiker.“ Was liegt mir im Leben
fen. Und sie bedeutet zweitens, dass man Veränderung am Herzen? – Ich habe diese Übung be-
Schritt für Schritt immer mehr so lebt, wie stimmt Hunderte von Malen zum Beispiel
es den eigenen inneren Werten entspricht. ist kein Kampf. mit Workshopteilnehmern gemacht. Es
Je mehr mir das gelingt, desto wohler wer- kommt fast immer eine Antwort. Niemals
de ich mich in meiner Haut fühlen. Die Es kommt nicht lautet jedoch das Motto, das da auf dem
allererste Frage, die ich mir also stellen Grabstein stehen soll, „Er war angstfrei“
muss, ist: Wozu will ich mich überhaupt darauf an, oder „Er hat sich immer gut gefühlt“ oder
verändern? Und wohin möchte ich mich „Er hat immer gut geschlafen“. Also all das
verändern? Dieser entscheidenden Frage viel Kraft auf- vermeintlich Drängende, weswegen Men-
gehen wir gleich zu Beginn der Therapie schen zum Psychologen gehen, schreibt
nach, in der ersten oder zweiten Sitzung: zuwenden. sich letztendlich niemand auf den Grab-
Wo sollen Ihre Füße Sie hintragen? Was stein. Selbst ein Mädchen mit Magersucht
wollen Sie wirklich aus Ihrem Leben ma- Die Lösung be- stellt ihr Leben nicht unter das Motto „Sie
chen? wog nur 30 Kilo“ – obwohl ihr doch im
Ich könnte Ihnen auf Anhieb nicht sa- steht vielmehr Augenblick die Gewichtskontrolle das
gen, was meine Werte, mein persönliches Wichtigste überhaupt zu sein scheint. Die
Lebensziel denn eigentlich sein könnte. im Loslassen Übung mit dem Grabstein bewirkt also,
Wie finde ich das heraus? Indem ich in dass man die gegenwärtigen Probleme
mich hineinlausche? transzendiert und mit ihnen den Sumpf,
Ja und nein. Die innere Beobachterpers- in dem man zu stecken glaubt. Angesichts
pektive, von der ich eben gesprochen habe – also der Ort, von des Todes, auch wenn man ihn sich bloß vorstellt, wird vieles
dem aus ich aus der sicheren Distanz den eigenen Gedanken klar: Was ist nur vermeintlich wichtig, und was ist mir wirklich
und Empfindungen beim Vorüberziehen zuschaue, ohne mich wichtig in meinem Leben? Das ist eine ganz zentrale und oft
von ihnen vereinnahmen zu lassen –, hat wenig mit dem klas- lebensverändernde Erfahrung.
sischen In-sich-Hineinhören zu tun. Wenn wir im Alltag in Und dann?
uns hineinlauschen, erfahren wir meist nur, was das Organ Wenn Ratsuchende Kontakt aufnehmen mit dem, wofür ihr
zwischen unsren Ohren uns so auftischt: „Du musst etwas aus Leben stehen soll, dann ist es Aufgabe des Psychologen, von
deinem Leben machen!“ „Du hast nichts erreicht!“ „Du kannst diesem Lebenswert ein konkretes Ziel abzuleiten und dann –
sowieso nichts!“ Dieser ganze Kram im Kopf ist natürlich we- ganz klassisch – in einem Verhaltensplan mit vielen Übungen
nig hilfreich. So abgegriffen sich das anhört: Wirkliches In- die Schritte dorthin zu skizzieren. Ein Beispiel: Eine Patientin,
sich-Hineinhören heißt, auf sein Herz zu hören. Und das Herz die schwere Panikanfälle bekam, sobald sie das Haus verließ,
spricht nicht in Worten. hatte in der Therapie als ihr Lebensmotiv entdeckt: „Ich möch-
Wie weiß ich dann, wo das Herz mich hinzieht? te eine gute Mutter sein!“ Daraus haben wir dann gemeinsam
Eine Übung, die wir sehr häufig in Therapiegruppen machen das konkrete Verhaltensziel extrahiert: „Ich möchte am Schul-
und die auch in meinem eigenen Leben noch immer einen konzert meiner Tochter teilnehmen.“ Das – und nicht etwa
hohen Stellenwert hat, ist die Grabsteinübung: „Versetzen Sie das Ziel, die Angst zu besiegen – war es, was die Frau auf dem
sich etliche Jahrzehnte in die Zukunft. Sie stehen vor Ihrem anstrengenden Weg dorthin motiviert hat.
n d er un ge
Verä
Um Himmels willen! Selbstveränderung ist ein viel zu großes
Wort. Das Selbst braucht auch überhaupt nicht verändert zu
werden. Das wirkliche Selbst, das tief in uns steckt, ist vollkom-
men okay. In der humanistischen Psychologie gibt es den schö-
nen alten Ausdruck „Selbstverwirklichung“, self-realization.
Mit diesem Selbst ist nicht das oberflächlich, eitle Ego gemeint,
sondern das Ich hinter alledem. An diesem Selbst brauche ich
nicht zu arbeiten, ich muss es spüren und leben. Wenn Men-
schen meinen, sie müssten mit Gewalt sich und ihr Leben ver-
ändern, dann ist das wie das erwähnte Zerren am Seil. Die
Antwort ist: loslassen. Wir können lernen, sanfter mit uns selbst
umzugehen. Diese Gelassenheit kann man üben. Die beste Me-
thode dazu ist Meditation. Neue
Welche Art von Meditation empfehlen Sie?
Auflage
Achtsamkeitsbasierte Meditation und Mantrameditation. Wir Arbeitsmaterial
verwenden eine Übung, die wir die „Ich bin“-Mantramedita- online
tion nennen. Wenn Sie sich fragen, „Wer bin ich?“, wird Ihr
Gedankenapparat zunächst prompt mit Selbstbeschreibungen
kommen wie „Ich bin eine ängstliche Frau“, „Ich bin ein freund-
licher Mensch“, „Ich bin nicht gut in Mathe“ und so weiter.
Manchmal sind die Antworten nicht bloß Einwortsätze, son-
dern lange Geschichten, die in die Vergangenheit und Zukunft Ärgert es Sie manchmal, dass Ihnen Ihre Gefühle und
ausholen und erzählen, wie Sie angeblich zu der Person wurden, eingefahrene Reaktionsmuster in die Quere kommen?
die Sie heute sind, und wer Sie einmal sein werden. Es ist nichts Reagieren Sie in bestimmten Situationen immer gleich
Schlimmes daran, sich solche Geschichten zu erzählen – solan- – obwohl Sie es »eigentlich« anders wollen? Möchten
ge Ihnen bewusst ist, dass es wirklich alles nur Geschichten sind. Sie diese hartnäckigen Muster endlich loszuwerden?
Bei unserer „Ich bin“-Mantrameditation geht es darum,
Hier kann die Schematherapie helfen. Ziel ist es, den
diese Geschichten einfach fallenzulassen. Setzen Sie sich be-
Ursprung solcher Verhaltensmuster zu verstehen,
quem hin, schließen Sie 15 bis 20 Minuten die Augen und sagen
ihre Wirkung im Alltag zu untersuchen – und sie so
Sie stumm: „Ich bin …“ Kommt dann eine Ergänzung wie „Ich
zu verändern, dass Sie sich besser fühlen und Ihr
bin zu ängstlich“, dann registrieren Sie diesen Gedanken als
Handeln bewusster gestalten können.
das, was er ist: nur ein Gedanke. Kehren Sie einfach zurück,
stumm „Ich bin“ zu sagen, betrachten Sie die Antworten und Mit vielen Fallbeispielen und Illustrationen
lassen Sie sie fallen. Nach kurzer Zeit werden Sie unter diese Für Selbsthilfe und Therapiebegleitung
blubbernde Oberfläche von Gedanken und Geschichten tau-
chen, und Sie gelangen an einen stillen Ort hinter diesem end-
Jacob/Genderen/Seebauer
losen Geplapper. Hier wartet Ihr Selbst, das schon immer dort Andere Wege gehen
war – lange bevor Sie überhaupt Worte hatten, um sich selbst Lebensmuster verstehen und verändern –
ein schematherapeutisches Selbsthilfebuch
zu beschreiben. Dies ist Ihre unerschütterliche Zuflucht. Dort 182 Seiten. € 24,95 D
können Sie inneren Frieden erfahren. PHc ISBN 978-3-621-28415-8
Auch als und
Interview: Thomas Saum-Aldehoff als Audio-CD erhältlich
Leseproben unter
www.beltz.de 23
ES STECKT I
st es an der Zeit, etwas zu ändern?
Oft gibt es körperliche oder seeli-
sche Symptome, die mir zeigen, dass
etwas in meinem Leben nicht mehr
IN MIR
Freunden auftauchen. Die Frage „Was
mache ich hier?“ oder das Gefühl „Das
Ganze gibt mir nichts mehr“ tauchen
dann auf. Man spürt, dass man da, wo
und wie man zurzeit lebt, nicht mehr
Wer nie etwas Neues in seinem Leben versucht, richtig ist und einem alles irgendwie
bereut es oft später. Veränderungen erlauben uns, falsch vorkommt.
Dann gibt es Befindlichkeitsstörun-
andere Facetten unserer Persönlichkeit zu gen: Am liebsten möchte man morgens
erkennen und auszuleben. Wir wachsen an ihnen gar nicht erst aufstehen und die Decke
über den Kopf ziehen. Oder ich habe
VON HORST CONEN Schlafstörungen, ein dünnes Nerven-
ben nun mal Weiterentwicklung bedeu- Wenn ich mich von Punkten wie der Hö- zum Thema „Veränderung und Neuanfang“. Er coacht
zudem seit vielen Jahren Führungskräfte.
tet, dann können wir auch angstfreier he des Gehalts, der Rente oder der Mei-
ZUM WEITERLESEN
damit umgehen. nung anderer abhängig mache, enge ich Horst Conen: Schenk dir selbst ein neues Leben.
Angst ist ja sowieso heute das Thema. mich selbst sehr ein. Irgendwann taucht Vom Mut, endlich Neues zu wagen. Bastei Lübbe,
Wer im Beruf steht, hat oft Angst, dem die Frage nach dem Sinn auf. Sinn emp- Köln 2016
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SOLL ICH
DEN JOB
WECHSELN?
Die Arbeit nervt, und man träumt von einer neuen Stelle.
Doch nicht immer ist ein Wechsel angeraten. Manchmal liegen
die Gründe für die Unzufriedenheit ganz woanders
VON ANNE OTTO
M
orgens um acht klingelt das Handy das Befragung von 1011 Mitarbeitern durchgeführt. 49 Prozent der
Soll ich
erste Mal. Dann schaltet Kirsten Franke Befragten fühlten sich in ihrem Job unzufrieden. 45 Prozent
(Name geändert) die Freisprechanlage erwogen, den Arbeitsplatz in den nächsten zwölf Monaten zu
im Dienstwagen ein, telefoniert mit Auf- wechseln. Zwar interessiert sich von diesen Wechselwilligen
traggebern oder den Chefs der Consul- natürlich nur ein Teil für einen Aufgaben-, Branchen- oder
den
tingfirma. Die Wirtschaftspsychologin berät große Kunden,
meistens geht es um Prozessoptimierung und darum, Mitar-
beiter zu entlassen. Die 34-Jährige macht ihre Arbeit gut, fühlt
Berufswechsel, dennoch scheint bei beruflichen Veränderun-
gen heute rasch die Option mitzuschwingen, noch mal etwas
ganz anderes ausprobieren zu wollen.
Job
sich aber irgendwann unwohl. „Ich litt darunter, immer nur „Ich finde es angemessen, dass man sich beruflich weiter-
profitorientiert zu denken. Der Wunsch, vertrauensvoll mit entwickeln will“, sagt die Hamburger Karriereberaterin Svenja
Klienten zu arbeiten, wurde stärker“, erzählt sie im Rückblick. Hofert. „Es ist jedoch oft ein Fehler, die Lösung in radikalen
Nach vier Jahren wechselt Franke in die Leitung einer Be- Veränderungen zu suchen.“ Viele von Hoferts Klienten klagen
rufsbildungs- und Beratungsstelle für Frauen, für sie ein darüber, so unzufrieden im Job zu sein, dass sie alles erneuern
Traumjob. Die ersten Monate laufen gut. Im Kontakt mit Kli- wollen. Anliegen wie „noch mal etwas tun, das Spaß macht“
entinnen hat Franke das Gefühl, helfen zu können. Auch die oder „endlich den Traumjob finden“ stehen oft am Anfang der
Organisation der Beratungsstelle fällt ihr leicht. Doch bald Beratung. Hofert lässt sich dann zunächst schildern, was am
kommt es zu Auseinandersetzungen mit den Kollegen. Die aktuellen Beruf als unpassend und unverträglich empfunden
neue Leiterin ist ihnen zu ehrgeizig. Franke wiederum findet wird. Schon im Erstgespräch wird häufig deutlich, dass das
die Mitarbeiter wenig belastbar, „fast unprofessionell“. Unbe- eigentliche Problem nicht die Tätigkeit an sich ist, sondern dass
wusst legt sie den Leistungsmaßstab aus der Beraterbranche es die Umstände sind, die den Zustand unzumutbar erscheinen
an. Die Konflikte eskalieren. Wieder fühlt Franke sich am fal- lassen.
schen Platz. Nach einem Jahr kündigt sie enttäuscht. Hofert erzählt von einer Personalreferentin, die mit dem
Mit dem Gefühl, bei der Arbeit „nicht richtig“ zu sein, ist Anliegen kam, ihren Traumjob „endlich in Angriff zu nehmen“
Kirsten Franke nicht allein. Die Unzufriedenheit mit der eige- und Pferdepflegerin zu werden. Schnell stellte sich heraus, dass
nen Position ist bei vielen groß: Die Personalvermittlung Man- diese Klientin sich quasi in einen Traumjob hineinfantasiert
power hat 2015 mit dem Marktforschungsinstitut Toluna eine hatte, weil sie keinen angemessenen Umgang mit ihrem cho-
29
MUT
ZUM
FEHLER
D
ie beiden Besitzer einer Imbiss- schriften, die die Welt nicht brauchte lervermeidung um jeden Preis. Doch
bude beschlossen, ihren (TransAtlantik, von Enzensberger mitbe- gerade der permanente Druck, immer
schlechtgehenden Laden abzu- gründet). mehr aus sich herausholen zu müssen,
fackeln und mit der Versicherungssum- Angesichts des Enzensbergerschen macht Fehler umso wahrscheinlicher.
me etwas Neues anzufangen. Weil sie Œuvres erscheint die Parade seiner ge- Im Gegenzug werden dafür besonde-
einen „Migrationshintergrund“ hatten, scheiterten Projekte kokett: Es lässt sich re Fertigkeiten entwickelt – im Abstrei-
würde der Verdacht sicher auf fremden- leicht über Flops lächeln, wenn man aufs ten, Rechtfertigen, Spurenverwischen,
feindliche Elemente fallen. Also verteil- Ganze gesehen doch ziemlich erfolgreich Leugnen, Beschönigen, Schuldzuweisen.
ten sie den Inhalt mehrerer Kanister war und zu den wichtigsten Autoren in „Es wurden möglicherweise Fehler ge-
Benzin in ihrem Laden, dann gönnten sie Deutschland zählt. Aber das Flop-Buch macht …“ Achten Sie einmal darauf, wie
sich erst mal eine Zigarettenpause … enthält eine Weisheit, die gar nicht oft häufig diese Passivkonstruktion verwen-
Manche Fehler macht man nur ein- genug wiederholt werden kann: „Jeder det wird, wenn Fehler nicht länger ver-
mal. Der makabre Juxpreis Darwin Peinlichkeit wohnt eine Erleuchtung in- tuscht oder abgestritten werden können.
Awards „ehrt“ posthum solche Men- ne. Triumphe halten keine Lehren bereit, Vielleicht müssen wir wirklich erst die
schen, die sich durch haarsträubende Misserfolge dagegen befördern die Er- seit Schulzeiten eingebimste Idee ab-
Dummheiten selbst aus dem Genpool kenntnis auf mannigfaltige Art.“ schütteln, dass Fehler an sich „schlimm“
eliminiert haben. sind. Geduldige Fehleranalyse erweist
Wenn es um gute und schlechte Ent- Vom Millionär zum sich im modernen Unterricht längst als
scheidungen geht, haben die meisten Tellerwäscher die beste Didaktik. Irren und Scheitern
Menschen eine gemischte Bilanz vorzu- Aus Fehlern lernt man. Klingt logisch ist der Fast-Normalfall, und nicht alles,
weisen. Neben Erfolgen gibt es fast im- und ist leicht gesagt. Worin aber diese was wir wollen oder tun, kann gelingen.
mer auch schmerzliche Fehlgriffe, wirk- Erkenntnis besteht und was Fehler für Es lohnt sich, Fehler sehr sorgfältig zu
lich fatale – siehe oben – sind zum Glück das eigene Leben bedeuten, hängt von studieren. Dann werden wir wirklich aus
selten darunter. Die Mischung entschei- der persönlichen „Fehlerfreundlichkeit“ Schaden klug. PHc
det darüber, ob wir uns selbst als leidlich ab: Für wie normal hält jemand das
erfolgreich oder als „gescheiterte Exis- Scheitern? Wie erklärt er es sich? Und
tenz“ betrachten. Manchmal wiegt eine wem gibt er die Schuld daran?
ZUM WEITERLESEN
gute Idee, eine richtige Entscheidung Der Soziologe Martin Doehlemann
Hans-Magnus Enzensberger: Meine Lieblings-Flops,
hundert Irrtümer auf. Oder viele Irrtü- hat in seiner Studie Absteiger. Die Kunst gefolgt von einem Ideen-Magazin. Suhrkamp, Berlin
mer waren notwendige Etappen auf dem des Verlierens Menschen beschrieben, die 2010
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„Trennung
bedeutet einen
Entwicklungs-
schritt“
Wenn wir uns von vertrauten Gegenständen,
einer Wohnung, erst recht einem
Menschen trennen, verbinden wir damit
Bedrückendes. Doch Trennungen sind
eine Voraussetzung für persönliche Entwick-
lung, sagt die Psychoanalytikerin Diana
Pflichthofer. Wir trauen uns oft zu wenig zu
und sind belastbarer, als wir denken
be eine bestimmte Strickjacke sehr gerne getragen und dass Eltern irgendwie „böse“ ist. Wichtig scheint mir, sich dem Ab-
jetzt sie diese tragen werde. Bei einer Strickjacke ist das beson- schiedsschmerz zu stellen und ihm nicht auszuweichen, aber
ders schön, weil sie uns ja umhüllt und wärmt und vielleicht auch die Sicherheit zu haben, dass wir uns im neuen Kontext
auch noch eine Zeitlang nach dem anderen Menschen riecht, zurechtfinden und uns schließlich darin wohlfühlen werden.
so dass das Tragen dieser Jacke einen Moment des Trostes bie- Wenn sich zwei Menschen voneinander trennen wollen, en-
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det das sehr oft in massiven Kämpfen und gegenseitigen der andere von ihnen, dann empfinden diese Menschen das
Kränkungen. Kann man auf gute Weise auseinandergehen? wirklich wie den Verlust eines Selbstanteils. Können sie die
Man trennt sich gut voneinander, wenn man das, was war, nicht Trennung nicht verhindern, stürzen sie in der Regel in tiefe
entwerten muss. Man sollte nicht in diese Vorstellung geraten: Depressionen. Deshalb ist eine Depression eben auch keine
„Jetzt trenne ich mich, weil alles schlecht war.“ Häufig fallen Trauer, denn Trauer bezieht sich auf das geliebte Objekt, den
dann Sätze wie „Der war ja schon immer so rücksichtslos“ oder anderen Menschen.
„Die hat mich eigentlich schon von Anfang an genervt“. Damit Worin aber liegt denn nun das Positive einer Trennung?
wird der andere Mensch immer als ein entwerteter Mensch Positiv gewendet bedeutet eine Trennung einen Entwicklungs-
zurückgelassen. Dagegen wiederum wird der sich wehren und schritt. Wer etwas Altes verlässt, kommt zwangsläufig hinein
nun seinerseits den anderen zu entwerten in etwas Neues. Wer aus einer Wohnung aus-
beginnen. „Ich hätte mich ja auch schon viel zieht, befindet sich nach dem Umzug an ei-
eher von dir trennen sollen. Wie habe ich es Wenn man nem neuen Platz, manchmal ja sogar an ei-
eigentlich so lange mit dir ausgehalten?“ nem neuen, fremden Ort. Wir müssen uns
Wenn man stattdessen konstatieren kann, sich auf dann mit Neuem auseinandersetzen, mit
dass man im Laufe der Jahre schlicht an völ- Herausforderungen und mit Anregungen.
lig verschiedenen Punkten angekommen ist Neues ein- Die Hirnforschung weiß schon lange, dass
und sich auseinanderentwickelt hat, sich also Neuronen absterben, wenn sie nicht genutzt
deshalb für die Zukunft anders orientieren lässt, erfährt werden. Wenn wir uns hingegen immer mal
möchte, dann kann man gleichzeitig auch das wieder mit Neuem konfrontieren lassen, ent-
Zurückliegende besser würdigen. Wer sich man oft auch wickeln sich auch Bereiche, die ansonsten
das Gute der zurückliegenden Jahre im Inne- eher brachliegen. Wir sollten nicht nur bei
ren erhalten kann, der kann sich auch „im ganz neue kleinen Kindern darauf achten, dass sie stetig
Guten“ trennen. mit Neuem Bekanntschaft machen, auch wir
Wie gelingt der Umgang mit dem Alleinsein Seiten an sich selbst als Erwachsene sollten nicht zu sehr in
nach einer Trennung? Routinen verfallen, sondern uns anregen las-
Alleinsein gelingt, wenn man diese schon an- sen von Neuem. Wenn man sich auf Neues
gesprochenen inneren Objekte zur Verfügung hat, also all die einlässt, erfährt man oft auch ganz neue Seiten an sich.
Erinnerungen an gute frühere Beziehungen. Wer solche Bezie- Für Entwicklungsschritte brauchen wir Mut und inneren
hungserinnerungen reaktivieren kann und mit seinen inneren Schwung. Woher nehmen wir den denn, wenn wir ihn nicht
Objekten in einem Dialog steht – selbst wenn manche der haben?
Personen gar nicht mehr leben sollten –, erfüllt eine Bedingung Mut vermitteln uns oft andere Menschen, mit denen wir gut
dafür, allein sein zu können. verbunden sind. Sie geben uns Sicherheit, so dass wir uns etwas
Um dem Alleinsein zu entgehen, flüchten nicht wenige Men- zutrauen können. Helfen kann natürlich auch eine Psychothe-
schen gleich in die nächste Partnerschaft – vermeidet man rapie, in der man dann erforschen kann, woher das eigentlich
damit nicht eine ganz wichtige Erfahrung? kommt, dass man diesen Mut und diesen Schwung nicht hat.
Ja und nein. Ja, denn einerseits vermeidet man damit die in Grundsätzlich nämlich kommt jeder Mensch mit einem sol-
der Tat wichtige Erfahrung von Trauer und von Trennungs- chen Schwung auf die Welt. Kinder sind explorativ, wollen
schmerz. Andererseits ist aber die Frage, welche Gefühle sich entdecken, erforschen, sind neugierig, jedenfalls wenn man sie
da einstellen und ob diese für den betreffenden Menschen lässt und sie es dürfen. Schon kleine Kinder wollen aufstehen
aushaltbar sind. Personen, die so gar nicht allein sein können, und weggehen können. Studien haben zum Beispiel gezeigt,
Foto: Katharina Fischer / photocase.de
fühlen sich in solchen Lebenssituationen geradezu amputiert. dass beim Laufenlernen die Richtung nicht die hin zu Mutter
Menschen, die dermaßen stark auf andere angewiesen sind, oder Vater ist, sondern von ihnen weg. Das verheimlichen El-
führen bereits eine abhängige Art von Beziehung. Der andere tern gerne, aber alle wissen, wie oft sie hinter dem Kind her-
ist von Beginn an kein getrennter anderer, sondern ein Teil des laufen müssen, etwa um Gefahren abzuwenden.
eigenen Selbst. Er dient klammheimlich der Erweiterung des Also wenn wir dürfen, dann haben wir diesen explorativen
eigenen Selbst, ohne dass beiden das je bewusst würde. Der Geist. Wenn einem dieser Schwung aber während der Soziali-
andere ist gar nicht Person, sondern Teil des eigenen Selbst. sation abhandengekommen ist, dann lohnt es sich, genauer
Und dieser Anteil vermittelt Stärke oder Mut. Trennt sich nun hinzusehen, an welchen Stellen das eigentlich geschehen ist.
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36 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t
WER WILL
2
ICH SEIN?
Etwas Altes geht zu Ende, und ein neuer Lebensabschnitt be-
ginnt. Doch wo genau zieht es mich hin? Welcher Mensch will
ich sein? Wie stelle ich mir mein Leben vor? Eine Zielvorstellung
von meinem zukünftigen Ich kann ein Wegweiser sein im unbe-
kannten Terrain zwischen Alt und Neu
IM
NIEMANDS-
LAND
„Was vorbei ist, ist vorbei!“ Möglichst schnell wenden sich viele
Menschen nach dem Ende einer Lebensphase dem Neuen zu –
damit der Abschied nicht so schmerzt. Doch diese Hoffnung geht
nicht auf. Nur wer der schwierigen Übergangszone zwischen Alt
und Neu nicht ausweicht, wird bereit für die Zukunft
VON URSULA NUBER
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Zum Beispiel solchen, die durch Prozesse in uns selbst lang- Da stürzt sich eine 55-Jährige in die Arbeit, nachdem ihr
sam eingeleitet werden: Wir denken immer häufiger über Al- Partner ihr mitgeteilt hat: „Ich liebe eine andere.“ Ablenkung
ternativen zum gegenwärtigen Leben nach; merken, dass wir hilft, so hofft sie.
uns verändern und uns im eigenen Leben nicht mehr recht zu In Wechselzeiten verhalten wir uns wie jemand, der flink
Hause fühlen. Oder wir stellen fest, dass Dinge, Tätigkeiten, eine vielbefahrene Straße überqueren will. Sobald er eine grö-
Menschen, die uns wichtig waren, es auf einmal nicht mehr ßere Lücke im Fahrzeugstrom erkennt, löst er sich vom Bord-
sind. So wie Harold Cleaver, die Hauptfigur in Tim Parks Ro- stein, passiert schnellen Schrittes die Fahrbahn, um erleichtert
man Stille, plötzlich erkennt, dass er kein erfolgreicher TV- auf der anderen Seite sicheren Boden zu betreten. Es wäre nicht
Journalist mehr sein will: „Nach all den Jahren als prominen- sinnvoll, wenn er die Straße langsam betreten und jeden Schritt
ter öffentlicher Redner würde er sich nun von dieser Rolle sorgsam abwägen würde. Und noch weniger ratsam wäre es,
verabschieden. Denn das ist der außergewöhnliche Gedanke, wenn er in der Mitte der Straße innehielte, um über seine Si-
der sich in den letzten … Tagen Harold Cleavers bemächtigt tuation nachzudenken.
hat: Ich muss endlich die Klappe halten.“ Was für eine Straßenüberquerung unter Umständen lebens-
Besonders schwierig sind Übergänge, die plötzlich passieren. gefährlich sein kann, ist für Veränderungsprozesse jedoch le-
Auf sie können wir uns nicht einstellen, sie verändern unser bensnotwendig. Übergänge im Leben können nicht gut gelin-
Leben manchmal sogar von einem Tag auf den anderen: Wir gen, wenn wir versuchen, so schnell wie möglich wieder zur
werden krank. Wir entdecken die Untreue des Partners. Wir Tagesordnung überzugehen. Wenn wir das tun, laufen wir
bekommen die Kündigung oder eine Beförderung. Wir müs- Gefahr, die sichere andere Seite nicht zu erreichen. Und doch
sen einen geliebten Menschen beerdigen. Die amerikanische scheuen wir davor zurück, uns bei der Reise von Alt zu Neu
Essayistin Joan Didion stellte nach dem plötzlichen Herztod die Zeit zu lassen, die wir dafür brauchen.
ihres Mannes fassungslos fest: „Das Leben ändert sich schnell, „Die meisten Menschen verweigern nicht die Veränderung.
das Leben ändert sich in einem Augenblick. Man setzt sich zum Was sie verweigern, ist der Übergang“, schrieb der 2013 ver-
Abendessen, und das Leben, das man kennt, hört auf.“ storbene Autor und Organisationsberater William Bridges. Sie
Und dann gibt es noch eine Gruppe von Ereignissen, die wollen möglichst schnell und „trockenen Fußes“ von A nach
das Leben verändern: Etwas Erwartetes passiert nicht. Solche B gelangen, sie wollen den Prozess verkürzen und den heftigen
Nichtereignisse zwingen uns dazu, Hoffnungen zu begraben: Gefühlen, die mit Veränderungen fast immer verbunden sind,
Es gibt keine Heirat, wir werden nicht Eltern oder Großeltern, ausweichen. Sie tun so, als ob Veränderungen nur aus einem
schreiben keine Doktorarbeit, bauen kein Haus, werden noch Ende und einem Neuanfang bestehen, und übersehen, dass es
immer kein schlanker Mensch, werden nie mehr völlig gesund. dazwischen noch eine dritte, äußerst wichtige Phase gibt –
Bridges nennt sie die neutrale Zone.
Keine Zeit für den Schmerz Von dieser Phase hängt es ab, ob wir Beendigungen und
Ob das, was uns passiert, erwartet oder unerwartet ist oder ob Neuanfänge in unserem Leben gut bewältigen. Doch wie es
es sich um ein Nichtereignis handelt – es verändert auf jeden scheint, fürchten die meisten Menschen sich vor diesem „Da-
Fall unser Leben. Wir müssen uns auf eine neue Situation ein- zwischen“.
stellen, uns von einem Zustand, der nicht mehr gilt, lösen. Wir Was genau macht uns so große Angst? Unbewusst und in-
müssen akzeptieren, dass etwas – und sei es „nur“ eine Hoff- stinktiv wissen wir: Wenn wir uns auf diese Phase einlassen,
nung – definitiv vorbei ist und nun eine neue Lebensphase verlieren wir den Boden unter den Füßen. Das Dazwischen
folgt. Das ist eine klar definierte Aufgabe, bei der die meisten bedeutet unter Umständen Chaos, quälendes Aushalten von
von uns jedoch einen gravierenden Fehler machen: Wir lassen Leid, Stillstand und auch Verzweiflung. Das Ende einer Ehe,
uns keine Zeit für den Abschiedsschmerz. einer vertrauten Situation, einer beruflichen Tätigkeit zwingt
Da wird eine junge Frau unerwartet befördert und darf die uns, über uns selbst nachzudenken, uns selbst infrage zu stel-
Filialleitung ihrer Firma in einer anderen Stadt übernehmen. len und für eine Zeitlang orientierungslos herumzuirren.
Zwischen dem Abschied von ihrer alten Tätigkeit samt ihrem Vielleicht erinnert uns die neue Situation aber auch an Ver-
Wohnort und dem Neustart liegt nur wenig Zeit. Sie geht mit änderungen in der Vergangenheit, an die wir lieber nicht den-
Foto: thomasufer / photocase.de
Freude und Tatkraft an die neue Aufgabe – doch am Telefon ken wollen, weil alte Wunden wieder aufbrechen könnten. Die
gesteht sie ihren Freunden, nicht wirklich glücklich zu sein: Furcht, erneut so verletzt zu werden oder immer noch so ver-
„Irgendwie bin ich noch nicht angekommen.“ letzlich zu sein wie früher, führt zu großer Abwehr von Verän-
Da bekommt ein Mann schon bald nach dem Tod seiner derungen. Wer beispielsweise als Kind die Mutter, den Vater
Lebenspartnerin von Freunden zu hören: „Das Leben geht durch Tod oder Scheidung verlor, der wird Trennungssituati-
weiter.“ Und: „Du musst nach vorne schauen.“ onen im Erwachsenenleben möglichst vermeiden oder sie,
Ablösung
Veränderungen lösen uns aus unserem gewohnten Kontext.
Scheidung, Jobverlust, Umzug, Krankheit, Tod, aber auch we-
niger schwerwiegende Ereignisse konfrontieren uns mit der
Tatsache, dass das, was wir bis zu diesem Zeitpunkt für unser
Leben gehalten hatten, nicht mehr vorhanden ist. Auch wenn
wir uns nicht in eine Hütte oder den Wald zurückziehen kön-
nen, ist es notwendig zu akzeptieren: Die alte Welt existiert
nicht mehr.
Auflösung
Die Ablösung kann plötzlich geschehen. Man verlässt einen
Menschen oder einen Ort, eine Situation ändert sich radikal.
Die Auflösung dagegen erfolgt Stück für Stück, in kleinen
Schritten. Die Verhaltensweisen, Gewohnheiten und Denk-
muster, die mit der alten Situation verbunden waren, müssen
langsam verändert werden. Das aber geschieht gegen großen
Widerstand. Obwohl man weiß, dass das Alte nicht mehr exis-
tiert, sträubt sich oft alles dagegen, es loszulassen und darum
zu trauern.
Trauer, so schrieb Sigmund Freud, bringt „schwere Abwei-
chungen vom normalen Lebensverhalten mit sich“, weil sich
in einem trauernden Menschen alles dagegen wehrt, „alle Li-
bido aus ihren Verknüpfungen mit diesem Objekt abzuziehen“.
Joan Didion hat diese Phase durchgemacht. Ein Jahr nach dem
Tod ihres Mannes stellte sie fest, „dass es im Winter und im
Frühling Momente gegeben hatte, in denen ich unfähig gewe-
sen war, rational zu denken. Ich dachte, wie kleine Kinder
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denken, so, als könnten meine Gedanken oder meine Wünsche 1. Akzeptieren, dass es eine neutrale Zeitzone in Übergangs-
die Macht haben, die Handlung zurückzuspulen, den Schluss phasen geben muss, und den beiden größten Gefahren des
zu verändern.“ So konnte sie beispielsweise die Schuhe ihres Übergangs widerstehen: dem Wunsch nach Beschleunigung
Mannes nicht weggeben. Sie war dazu nicht in der Lage, denn: des Prozesses und dem Wunsch nach Ungeschehenmachen.
„Er würde Schuhe brauchen, wenn er zurückkam.“ 2. Eine bestimmte Zeit und einen Platz finden, um allein zu
sein: Solange wir in die üblichen Aktivitäten und Beziehungen
Identitätsverlust eingebunden sind, können wir nicht zu uns kommen. Wir müs-
„Übergangsphasen sind Phasen der Labilität“, schreibt die Psy- sen der neutralen Zone eine Chance geben, indem wir für Zei-
choanalytikerin Verena Kast. „Sie sind mit Angst, Spannung ten des Alleinseins sorgen. So wie sich Stammesangehörige in
und Selbstzweifeln verbunden.“ Diese Selbstzweifel können eine Hütte oder in den Wald zurückziehen, so sollten wir uns
so stark sein, dass sie sogar die eigene Iden- unsere ganz eigene „Wildnis“ schaffen. Das
tität völlig infrage stellen. Indem man lang- kann bedeuten: morgens eine Stunde früher
sam realisiert, dass das Alte wirklich beendet Der Wahrheit aufstehen, um Zeit für sich zu haben; einsame
ist, verändert sich auch das Bild, das man Waldspaziergänge unternehmen; sich in eine
bislang von sich selbst hatte. Die alte Rolle als ins Auge leere Kirche zurückziehen. Noch besser: eine
Ehefrau, als Angestellter der Firma X, als Teil Reise ins Nichts antreten und der Welt für ei-
eines „Wir“ existiert nicht mehr, oder die er- schauen: ne etwas längere Zeit den Rücken kehren. Da-
wünschte Rolle als Mutter, als Großeltern, als zu sollte man an einen Ort fahren, den man
Geliebte lässt sich nicht realisieren. Wer bin Es wird nicht selbst nicht kennt, der frei ist von Erinnerun-
ich? Diese Frage kann nicht mehr und noch gen und Ablenkungen. Kein Fernseher, keine
nicht eindeutig beantwortet werden. mehr so, wie Lieblingskneipe, kein fesselndes Buch. Nur
In der neutralen Phase kommt es zu einer eine Tasse Tee, die Vögel und die Natur. Auch
Häutung. Wir streifen die alte Haut ab, für es mal war eine durchwachte Nacht, in der man nur sitzt
eine gewisse Zeit sind wir völlig ungeschützt. und denkt und hört und spürt, kann eine gu-
Nackt. Verletzlich. Ungeborgen. Der Identi- te Würdigung der neutralen Zone sein. Tim
tätsverlust ist eine äußerst beunruhigende Erfahrung. In dieser Parks lässt seinen Protagonisten Cleaver eine einsame Berghüt-
Situation ist es wichtig, daran zu glauben, dass diese Verwir- te mieten, „über der Lärmgrenze“, damit er, der als Fernsehjour-
rung einen Sinn hat – nämlich den, die Entwicklung zu einer nalist immer im Trubel stand, endlich in der Stille zu sich findet.
neuen Identität möglich zu machen. 3. Ein Tagebuch beginnen über die Erfahrungen in der neu-
tralen Zone: Dabei sind keine trivialen Eintragungen gefragt
Desillusionierung wie „Sonnenaufgang 5.40 Uhr“. Vielmehr sollte eine Ausein-
Nun wird es immer eindeutiger, dass die Welt sich verändert andersetzung mit Fragen stattfinden wie: Was geht mit mir
hat. So wie wir früher als Kind erkannten: „Es gibt gar kein vor? Worüber denke ich nach? Welche seltsamen Dinge gesche-
Christkind“, oder: „Auch Eltern sind schwache Menschen“, so hen? Welche Entscheidungen würde ich gerne treffen? Was
kann diese Erkenntnis zu einer Ernüchterung führen. „Der träume ich? Durch das Aufschreiben wird man sich Erfahrun-
Respekt vor der Realität“ (Sigmund Freud) hat gesiegt. Erst gen, Empfindungen bewusst, verlangsamt den Prozess und
wenn wir die Ernüchterung zulassen können, sind wir auch muss Dinge in Worte fassen, die man nur vage spürt.
bereit, der Wahrheit ins Auge zu schauen: „Es wird nicht mehr
so, wie es einmal war.“ Wir machen uns keine Illusionen mehr. Vielleicht erkennt man am Ende einer solchen Auszeit, dass sich
Findet keine Desillusionierung statt, besteht die Gefahr, dass etwas Neues regt. Es beginnt oft mit leisen Signalen: Eine Idee
alte Muster wiederholt werden und ein wirklicher Neuanfang taucht auf, ein Traum bringt uns zum Nachdenken, der Kom-
nicht stattfinden kann. Dann findet die verlassene Ehefrau mentar eines Freundes öffnet eine Tür, ein Satz, den man liest,
zwar wieder einen Partner, doch sie selbst hat sich nicht ver- erinnert an langgehegte Wünsche. Veränderung regt sich in uns.
ändert. Das alte Spiel geht weiter – nur mit anderen Personen. Aus der Formlosigkeit der neutralen Zone beginnt sich etwas
Neues zu formen. Erst jetzt können wir das Alte loslassen und
Die Herausforderungen, die Übergänge an uns stellen, sind mit Überzeugung sagen: „Was vorbei ist, ist vorbei!“ PHc
groß. Wir haben keine geeigneten Rituale dafür. Doch wir kön-
nen uns solche schaffen. William Bridges gibt praktische Hin- ZUM WEITERLESEN
weise, wie wir die wichtige neutrale Zone in schwierigen Zeiten William Bridges, Susan Bridges: Managing transitions. Making the most of change.
bewältigen können: Da Capo Lifelong Books, Boston 2017 (Anniversary Edition)
43
V
on vielen Seiten hört man, dass
WIE WIR man negatives Denken nicht
zulassen soll. Oft ist es ja auch
ERDEN
Zukunftsträume sind schön. Und sogar nützlich – doch
schung zeigen, dass positive Zukunftsträu-
me uns sogar im Weg stehen können,
gerade dann, wenn wir uns einen Wunsch
erfüllen wollen, der Anstrengung und
komplexen Denkens bedarf. Um uns sol-
damit sie nicht Luftschlösser bleiben, sollten wir sie in che Wünsche zu erfüllen, ist es wichtig,
unsere Zukunftsträume mit den Hinder-
Gedanken systematisch mit der Realität konfrontieren. nissen der Realität anzureichern. Das
Erst dann bringen sie uns in Bewegung nennen wir „mentales Kontrastieren“.
Beim mentalen Kontrastieren steht am
VON GABRIELE OETTINGEN Beginn das Träumen von einer positiven
ist das keineswegs entmutigend. Ganz im ihn auch aufgeben, weil mir beispielswei- Aufgezeichnet von Yvonne Vávra
Gegenteil, die Vorstellung des Hindernis- se klarwird, dass ich eigentlich nicht be-
ses energetisiert uns. Wenn wir uns nicht reit bin, für den so gerne herbeifantasier-
die Hürden auf dem Weg zur erwünsch- ten Traumjob meine Zeit mit der Familie
ten Zukunft vorstellen, werden wir nicht zu opfern.
loslaufen. Denn zum Loslaufen brauchen Beim „Woopen“ wird klar, was ich
wir nicht nur Richtung, sondern auch wirklich will, was sich realisieren lässt und
Gabriele Oettingen ist Professorin für Psychologie an
Energie. wofür es sich zu kämpfen lohnt. Alles an-
der Universität Hamburg und der New York University.
Mentale Kontrastierung hilft auch, dere kann dann in Ruhe abgelegt werden.
Gabriele Oettingen: Die Psychologie des Gelingens.
zwischen vielen Möglichkeiten zu ent- Ein Rucksack voll diffuser Wünsche be- Droemer, München 2017 (Taschenbuchausgabe).
scheiden. Ich nehme die Wunscherfül- schwert nur. Das mentale Kontrastieren Internet: www.woopmylife.org (siehe auch Seite 91)
45
„Wenn
ich sein
werde,
wer
ich sein
will“
Jede Veränderung hat einen
Preis. Das Neue verunsichert
und weckt vergrabene
Ängste. Der Aufbruch fällt
leichter, wenn ich eine
Vorstellung davon habe,
wer ich am Ende des Weges
sein werde. – Ein Gespräch
mit der Psychotherapeutin
Johanna Müller-Ebert
47
jeweilige Person traut sich entweder müsste ich erst eine andere werden, um
nicht, es auszusprechen, oder ist nicht etwas verändern zu können.
bereit, die Ambivalenzen auszuhalten, Ich muss ganz sicher kein neuer Mensch
die unweigerlich mit jeder Veränderung werden, aber ich brauche vielleicht einen
verbunden sind. anderen Ich-Anteil im Vordergrund, der
Welche Ambivalenzen meinen Sie? mir hilft, mutiger nach vorne zu gehen.
Wenn ich mir eine Veränderung wün- Da gibt es vielleicht eine, die ängstlich ist
sche, hätte ich am liebsten meist das gro- und sich am liebsten versteckt. Sie hat
ße Wunder. Aber in dem Moment, wo ich aber einen anderen Ich-Anteil an ihrer
konkrete Schritte plane – zum Beispiel Seite, der neugieriger ist und vorprescht.
am Arbeitsplatz: „Ich mache keine Über- Ich könnte also einen Anteil von mir stär-
stunden mehr und gehe pünktlich“, oder ken und aufbauen, der bislang ein Schat-
in meinen sozialen Beziehungen: „Ich tendasein fristet und nur selten zum Zug
höre auf, mich bei meinen Freundinnen kommt. Um mich zu bewerben, brauche
über mein Singledasein zu beklagen und ich in meinem inneren Team einen Risi-
gebe endlich eine Kontaktanzeige auf“ –, kofreudigen, der nach vorne geht und
kann das zur Folge haben, dass ich auch etwas wagt. Wenn sich jemand trotz
Schwierigkeiten gegenüberstehe, die ich großem Frust im alten Job gar nicht auf-
vorher nicht hatte. Mein Chef ist womög- raffen kann, eine Bewerbung zu schrei-
lich nicht mehr mit mir zufrieden, meine ben, und das vielleicht sogar als Zumu-
Singlefreundinnen fühlen sich verraten. tung empfindet, ist meist ein jüngerer
Bin ich bereit, Wir waren uns schließlich einig, dass Ich-Anteil aktiv.
Männer völlig überschätzt sind. An die- Das ist vermutlich der Ich-Anteil, der
den Preis zu sem Punkt muss ich mir die entscheiden- sich darauf verlässt, dass Mama oder
de Frage stellen: Bin ich bereit, mich mit Papa das schon regeln. Wie kommt man
zahlen, den dem Preis auseinanderzusetzen, den die aus dieser kindlichen Haltung heraus?
Veränderung mit sich bringt? Halte ich Auf keinen Fall mit dem erhobenen Zei-
die Verände- es aus, dass ich vielleicht nicht mehr ge- gefinger. Im beruflichen Coaching sehen
liebt werde? wir uns an, was dieses kleine Kind im
rung mit sich Bei beruflichen Veränderungswün- Klienten fürchtet, und laden es zu einer
schen spielen auch Ängste eine Rolle. Begegnung mit dem erwachsenen Ich-
bringt? Wer weiß, ob ich wirklich etwas Besse- Anteil ein. Der Hypnotherapeut Gunther
res finde, wenn ich den ungeliebten Job Schmidt, von dem ich sehr viel gelernt
kündige? An diesem Punkt bleiben vie- habe, nennt diese Intervention „Besuch
le stecken und trauen sich gar nicht erst, aus der Zukunft“. Viele Klienten entlastet
die Fühler auszustrecken oder sich zu es sehr, ihre inneren Ich-Anteile zu ent-
bewerben. Was hilft dann? decken und vielleicht in einen Dialog mit
Wenn ich mich bewerbe, muss ich mich ihnen zu gehen. Damit kann auch die
fragen: Wer bin ich jetzt? Und wer will Schwere einer Entscheidung verfliegen.
ich in Zukunft sein? Welche Ressourcen, Es ist entlastend, wenn ich mir vergegen-
Erfahrungen und Werte habe ich zur Ver- wärtige: Da ist ein kindlicher Ich-Anteil
fügung, die mich unterstützen könnten, von mir, der Angst hat, aber es gibt noch
das zu werden? Diese Fragen zu beant- andere Persönlichkeitsanteile, die mir zur
worten kostet Zeit und Mühe. Wenn ich Seite stehen können. Es geht aber nicht
mich vor dieser Arbeit drücke, bleibe ich nur darum, den mutigen Anteil zu stär-
weiter blockiert. ken, sondern auch den ängstlichen zu
Wie ist die Frage „Wer will ich sein?“ zu befrieden. Ich betrachte die ängstlichen
verstehen? Es klingt ein bisschen so, als Ich-Anteile als Wächter, die warnen: „Pass
Wie hängen Veränderungen mit Tren- wird, gilt es, sich als Erstes damit zu iden- Interview: Birgit Schönberger
nungen zusammen? tifizieren, dass es jetzt anders ist als vor-
Sie sind wie Schwestern. Zu jeder Verän- her, ich jemand anderes geworden bin. ZUM WEITERLESEN
derung gehören auch Trennungen und Es genügt nicht, die Situation anzuerken- Johanna Müller-Ebert: Wie Neues gelingt. Die vier
Abschiede. Vielleicht muss ich mich von nen, es geht noch einen Schritt weiter. Schritte zur Veränderungskompetenz. Kösel, München
2014
meinem ungünstigen Muster verabschie- Wenn mein Partner mich verlassen hat,
den, mir meine Wünsche so lange klein- bin ich jemand, der wieder allein ist. Es Johanna Müller-Ebert ist
Psychotherapeutin in Düsseldorf
zureden, bis nichts mehr davon übrig ist. ist völlig normal, Liebeskummer zu ha- sowie Coach und Dozentin
Oder von meiner Gewohnheit, so lange ben und ein halbes Jahr oder ein ganzes zu Themen der klinischen
die Vor- und Nachteile einer Sache abzu- Jahr zu trauern. Es ist jedoch ein großer Psychologie.
wägen, bis ich völlig erschöpft aufgebe Unterschied, ob ich mich als Verlassene
und gar nichts mehr tun kann. Oder von betrachte oder ob ich sage: „Ich bin wie-
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W
ir sind unseren eigenen Er- neue Vorhersagen über das, was gleich Erwartung
wartungen gegenüber eher passieren wird, und vergleicht das, was ist (manchmal) Medizin
skeptisch. „Ich will mir lie- tatsächlich eintritt, mit dem Erwarte- Das „Aqua Charge Energy Water“ schien
ber nicht zu viel versprechen“, hat wohl ten.“ Erwartungen sind eines unserer ein voller Erfolg. Testpersonen fühlten
jeder von uns schon einmal gedacht. wichtigsten Hilfsinstrumente für den sich nach dem Genuss des Energydrinks
Denn allzu rosige Erwartungen können Umgang mit dem großen Unbekann- voller Tatendrang. Sie waren belebt und
zu großen Enttäuschungen führen – so ten – nämlich der Zukunft. Frühzeitliche vital – was sich sogar körperlich in einem
wie in Charles Dickens’ Roman Great Menschen, die damit rechneten, dass be- erhöhten Blutdruck widerspiegelte. Aller-
Expectations. Dabei übersehen wir, wie stimmte Höhlen von Raubtieren be- dings hatten die Probanden gar kein auf-
segensreich Erwartungen oft sind. In un- wohnt waren, näherten sich den dunklen putschendes Getränk zu sich genommen.
serem Alltag erfüllen sie essenzielle Zwe- Grotten eher vorsichtig und bedacht. Die Die Forscher Alia Crum und Damon
cke. Erwartung lenkte ihre Aufmerksamkeit Phillips hatten ihre Probanden ange-
auf die potenzielle Gefahr und half, das schwindelt. Der Zaubertrank war nichts
Erwartungen
Überleben zu sichern. Die Schutzfunkti- anderes als Mineralwasser – ein Placebo!
warnen vor Gefahr
on ist, trotz raubtiersicherer Zeiten, bis Heiler und Mediziner machen sich
„Unser Gehirn ist darauf ausgerichtet, heute geblieben. In Erwartung eines positive Erwartungen seit langem zunut-
mit Erwartungen zu operieren“, sagt der schnellen Autos nähert sich der Fußgän- ze. Bereits vor 600 Jahren kannten Medi-
Psychologe Rainer Schwarting von der ger verdeckten Kurven eher langsam und ci die Placebowirkung. Erfolgreiche Be-
Universität Marburg. „Es macht ständig möglichst am Straßenrand. handlungen mit Placebos wurden unter
53
Wer bin ich?
Was will ich?
Was soll ich?
Wie Sie es schaffen, nach Ihren
Vorstellungen zu leben, indem
Sie das Skript Ihres Lebens
umschreiben. – Ein Gespräch
mit der Psychotherapeutin
Ang Lee Seifert
55
muss ich mir also erst über das Skript anders wollen. Doch jede Art von Skript che nicht verändern zu müssen. Verän-
bewusst werden, nach dem ich lebe. Wie bedeutet eine mehr oder weniger be- derung heißt: zurückkehren zum Ur-
kann ich das feststellen? wusste Festlegung auf einen bestimmten sprung, der Mensch werden, als der ich
Typische Skriptmuster findet man sowohl Lebenszuschnitt, während ein weitge- eigentlich gedacht bin. In einer chassidi-
in Dramen und Tragödien als auch in hend skriptfreies Leben immer wieder schen Erzählung erklärt Rabbi Sussja
Märchen und modernen Theaterstücken. neue Entscheidungen, das Leben so oder seinen Schülern: „Eines Tages wird Gott
Deshalb ist es sehr hilfreich, wenn man so zu gestalten, ermöglicht – es hat nichts mich nicht fragen: ‚Warum bist du nicht
sich fragt: „Was war mein Lieblingsmär- Zwingendes. Wenn wir zum Beispiel in Mose gewesen?‘ Er wird mich fragen:
chen? Welche Geschichte habe ich gerne Routine erstarrt sind, wenn jeder Tag ‚Warum bist du nicht Rabbi Sussja gewe-
gehört?“ Ich frage meine Klienten und gleich verläuft, verlieren wir unsere Le- sen?‘“ Das, wozu man geboren ist, wie-
Klientinnen immer nach einer Geschich- benslust und Freude. Gerade wenn man derzufinden, das ist die Veränderung.
te aus der frühen Kindheit, einer Ge- sich immer häufiger und schneller müde Dazu muss man nicht unbedingt im äu-
schichte aus der Pubertät und einer Ge- fühlt und sich jeden Abend fragt: „Was ßeren Leben viel verändern. Wenn aller-
schichte aus den vergangenen zwei Jahren war heute eigentlich?“, sollte man sein dings die Veränderungen, die in mir vor-
– das kann ein Roman sein, ein Film, ein Lebensskript infrage stellen. gehen, in der Umgebung auf Grenzen
Theaterstück. Wenn man sich diese Ge- Wie lässt sich die Macht der Lebensplä- stoßen, wenn die Mitmenschen den
schichten in einer kurzen Zusammenfas- ne brechen, um Veränderungen einzu- Wandel nicht ertragen können und ihn
sung aufschreibt, werden sie prägnanter. leiten? ständig negativ kommentieren, dann
Und wenn man sie noch mehr verdichtet, Man muss zuerst die alten Mechanismen bleibt einem oft nichts anderes übrig, als
ihre Botschaft in einem einzigen Satz zu- kennenlernen. Wie ist es in der Familie sich eine andere Umgebung zu schaffen.
sammenfasst, dann kommt man schon zugegangen? Welche Botschaften haben Wenn wir von Veränderung sprechen,
sehr nahe an sein Lebensmuster heran. die Eltern gegeben? Es ist wichtig, das dann geht es im Grunde um Selbstver-
Aus unseren Lieblingsgeschichten holen kleine Mädchen, den kleinen Jungen von wirklichung?
wir genau das heraus, was für unser Leben früher zu finden, denn die Frage „Was Ja. Und dieses Bedürfnis bricht oft erst in
Bedeutung hat. Ein kleines Mädchen zum will ich?“, das ist die Frage des freien Kin- der zweiten Lebenshälfte auf. Irgend-
Beispiel, das sich abgelehnt fühlt in seiner des, wie es in der Transaktionsanalyse wann, wenn man seinen Beitrag für die
Familie, hört das Märchen von Aschen- genannt wird. Dieses Kind ist das ur- Gesellschaft geleistet hat, vielleicht Kin-
puttel und identifiziert sich mit dieser sprüngliche Sein, es verkörpert Kreativi- der großgezogen hat, dann kommt die
Gestalt. Es ist froh, eine Leidensgenossin tät, Spontaneität, Intuition. An dieses Zeit für einen selbst, und man stellt Fra-
und mit ihr die Aussicht auf späteres freie Kind, den freien Teil in einem selbst gen: „Was ist mit mir? Was muss, will ich
Glück gefunden zu haben. Der Aspekt, heranzukommen, das ist das Wichtigste. noch verwirklichen, wenn ich die Person
dass Aschenputtel am Ende den Prinzen Denn dieses freie Kind hatte einst eine sein will, als die ich gedacht bin?“
bekommt, macht die Aschenputtelrolle Vision für das eigene Leben. Eine Vision, Die Umwelt legt dies dann gerne als
verlockend. Das Mädchen und später die oft früh verschüttet wurde, weil das Egoismus aus.
auch noch die erwachsene Frau ist ganz Kind sich an die Wünsche der Eltern an- Es gibt ein jahrtausendealtes, von der
zufrieden damit, weil sie im Hinterkopf passen musste. Kirche verhängtes Verbot, das Verbot der
hat: „Eines Tages kommt der Prinz.“ Das Bedeutet das: Ich muss nur das freie Selbstliebe. Zwar wird immer gerne zi-
kann natürlich sein – und das Skript stellt Kind in mir finden, und Veränderungen tiert, dass Jesus gesagt hat: „Liebe deinen
sich als gutes Skript heraus. Es kann aber fallen leicht? Nächsten wie dich selbst.“ Dennoch fällt
auch sein, dass nie ein Prinz auftaucht Es ist ein erster Schritt, eine Befreiung. es vielen Menschen schwer, zu akzeptie-
und sie eines Tages verbittert mit ihrem Und wenn man freier, spontaner sein ren: Ich darf mich lieben, oder gar: Ich
Aschenputtelskript lebt. kann, muss man nicht unbedingt den Job liebe mich zuerst selbst. Um ein Lebens-
Man kann also nicht von vornherein wechseln oder die Familie verlassen. skript wirklich verändern oder verlassen
sagen: Das ist ein gutes, das ist ein Wir müssen also nicht gleich an funda- zu können, brauchen wir unbedingt die
schlechtes Skript? mentale Veränderungen denken, wenn Liebe zu uns selbst, das Mitgefühl für das
Nein. Ein relativ festgelegtes Leben mit wir mit unserem Leben unzufrieden eigene Dasein. Ich meine damit nicht das
starren Regeln und wenig Spielraum für sind? Mitleid in Form von Wehleidigkeit, Wei-
Neues und Kreatives muss kein schlech- Wenn ein Mensch sehr viel in seinem nerlichkeit oder anklagendem Gejam-
tes Leben sein. Für viele ist es ein völlig äußeren Leben verändert, dann kann das mer. Ich meine das Fühlen des eigenen
normales Leben, sie würden es gar nicht auch eine Abwehr sein, um das Eigentli- Wertes, das Spüren, dass das Leben zu
kostbar ist, um es zu vergeuden, und dass nicht nur ihren Mann, sondern auch die sich diese Frage beantworten können.
ich für die Kostbarkeit allein die Verant- Kinder verlässt, um ihre Lebensvorstel- Zum Beispiel indem man sich die eigene
wortung trage. lungen zu verwirklichen. Sie tut das ganz Beerdigung vorstellt. Wer geht im Trau-
Und was ist mit der Verantwortung, die gewiss nicht leichtfertig. Doch wenn sie erzug mit, an welcher Stelle, also wer geht
man für andere Menschen hat? spürt, die Entscheidung steht an, dann direkt hinter dem Sarg, wer irgendwo in
Als Erwachsener bin ich nur für mich muss sie den Schmerz ertragen, den Kin- der Mitte, wer bildet den Schluss? Was
allein verantwortlich – außer für Kinder. dern nicht gerecht zu werden. Natürlich bewegt diese Menschen? Wer wird eine
Ansonsten bin ich für keinen anderen wird diese Frau tun, was sie tun kann, Rede halten, und was wird er oder sie
Menschen verantwortlich. Natürlich und auch als Alleinlebende für ihre Kin- über den Verstorbenen sagen?
kann ich „meine arme alte Mutter“ un- der sorgen. Trotzdem muss sie diese Was ist für Sie persönlich ein gelunge-
terstützen, aber ich bin nicht verantwort- Schuld tragen: „Ich habe den Kindern nes Leben? Was ist Ihre Vision? Ihre
lich dafür, ob sie jetzt glücklich ist oder etwas angetan.“ Das ist nicht einfach und Berufung?
nicht. Ich kann ihr das Bett machen und oft eine Gratwanderung. Die meisten Menschen haben einen
für sie einkaufen, aber ich kann sie nicht Was ist für Sie ein gelungenes Leben? Schleier vor Augen und sehen eigentlich
zufrieden machen. Dasselbe gilt für den Ein gelungenes Leben ist ein Leben, in nicht wirklich klar. Sie machen sich selbst
Partner. Natürlich kann ich sagen, ich dem ich mich wohlfühle, in dem ich in und anderen etwas vor, spielen Theater,
fühle eine ethische Verpflichtung und Frieden mit mir und der Welt bin und eine Rolle. Ich habe schon als Kind sehr
werde diesen Menschen nicht im Stich mir sagen kann: Ich habe mein Bestes genau beobachtet. Dieses Sehen nicht zu
lassen. Aber muss ich deshalb für immer gegeben, ich habe mich eingesetzt, ich verdrängen oder zu beschönigen, son-
mit ihm zusammenleben? habe mich eingelassen auf dieses Leben. dern es zu akzeptieren, das könnte mein
Sie sagen: Veränderungen sind oft ein Von einem gelungenen Leben kann man Auftrag in diesem Leben sein – und auch
hartes Stück Arbeit. Warum ist das so? auch sprechen, wenn ein Mensch am En- anderen beim Hinsehen zu helfen. PHc
Wenn wir etwas verändern wollen, dann de seines Lebens andere Menschen um Interview: Ursula Nuber
legt uns das Leben meist eine Rechnung sich hat. Das muss nicht unbedingt die
vor, die wir begleichen müssen. Mut Familie sein. Wichtig ist, dass er oder sie Ang Lee Seifert ist Psychothera-
heißt ja nicht, ohne Angst, sondern trotz eingebunden ist in einen Kreis von Men- peutin mit dem Schwerpunkt
Transaktionsanalyse
Angst etwas zu tun. Man muss Ängste schen. Genau genommen kann man erst
und ein schlechtes Gewissen in Kauf neh- gegen Ende des Lebens prüfen, ob es ein
men. Ohne das geht es meistens nicht. gelungenes Leben war. Aber es gibt gute
Nehmen Sie zum Beispiel eine Frau, die Übungen, wie auch jüngere Menschen
57
Der
80. Geburtstag
So will ich
gelebt haben!
W
enn man etwas verändern sives Familienleben. Um herauszufinden, dass Sie den Verlauf dieser Vorstellungen
will, ist es wichtig, zunächst was Ihnen besonders am Herzen liegt, selbst steuern und in der Regel entschei-
ein Ziel zu formulieren. was Sie von Ihrem Leben tatsächlich er- den können, wie weit Sie sich in eine
Das ist gar nicht so einfach. Jeder Mensch warten, gibt es eine Übung namens „Der Situation hineinversetzen.
ist anders und braucht etwas anderes. 80. Geburtstag“. Also: Ihr 80. Geburtstag! Runde Ge-
Was ist Ihnen besonders, was weniger Es ist eine Imaginationsübung, eine burtstage sind – wie auch der Jahres-
wichtig? Was möchten Sie in den nächs- Art Gedankenspiel, nur sehr viel intensi- wechsel – Anlässe, an denen wir Rück-
ten Jahren erreichen, worauf könnten Sie ver: Sie stellen sich Situationen bildlich schau halten, an denen wir stolz auf das
verzichten? Manche Menschen wün- vor und spüren vor allem Emotionen sind, was wir erreicht haben, und bedau-
schen sich vor allem beruflichen Erfolg, und Gedanken nach, die währenddessen ern, was wir verpasst haben. Das Problem
andere legen großen Wert auf ein inten- in Ihnen aufkommen. Das Besondere ist, solcher Bestandsaufnahmen ist, dass wir
campus.de
Wie soll man erklären,
dass der menschliche
Geist, der doch fähig
ist, Sinfonien zu
komponieren oder
Sonden auf den Mars
zu entsenden, bei der
Veränderung einiger
Verhaltensgewohn-
heiten versagt?
FRANÇOIS LELORD, CHRISTOPHE ANDRÉ
BESSEREN ICH
Wer gute Vorsätze verwirklichen und seinen Lebenswandel
umkrempeln will, braucht eine Wunschvorstellung
von sich selbst in der Zukunft: So gut werde ich mich fühlen
VON HEIKO ERNST
W
ir sind das, was wir immer tun, wir Doch Gewohnheiten sind enorm hartnäckig. Ihr engster
sind die Summe unserer Gewohnhei- Verbündeter ist das Gehirn. Es neigt dazu, einmal gelernte
ten. Sie strukturieren unser Leben, Dinge immer wieder zu tun. Denn die neuronalen Pfade, die
und sie bestimmen unser Selbstbild. jeder Gewohnheit zugrunde liegen, sind wie Trampelpfade –
Gewohnheiten sind in aller Regel bequem, ökonomisch, in der Regel auch nützlich. Wollen wir
nützliche Verhaltensweisen, sie machen uns das Leben leichter: sie verlassen, sollten wir neue Pfade anlegen. Es reicht beispiels-
Routine entlastet uns von perma- weise nicht, sich das Rauchen oder
nentem Entscheidungszwang, sie das allzu üppige Essen abzugewöh-
gibt uns Sicherheit und macht uns nen. An die Stelle der alten Gewohn-
für andere berechenbar. Bis zu 90 heit muss eine neue, bessere treten,
Prozent unseres Alltags laufen halb- sonst ist der Rückfall programmiert.
automatisch ab, eben „wie gewohnt“.
Gelegentlich machen wir Inven- Was sind meine tiefsten
tur. Der Jahreswechsel ist die klassi- Wünsche?
sche Zeit, innezuhalten und über Auch brauchen wir einen guten
einige Gewohnheiten nachzuden- Kompass, um uns nicht schon auf
ken. Manche erweisen sich zuneh- den ersten Teilstücken zu verirren
mend als lästig, als ungesund oder und frustriert aufzugeben. Wir soll-
sogar selbstzerstörerisch, oder sie ten uns zum Beispiel fragen: Wie ist
lassen uns in einer öden Routine er- der Vorsatz eigentlich entstanden? Ist
starren, oder sie bringen uns immer es ein ureigener Wunsch zur Verän-
wieder in Konflikte mit anderen. Manche Gewohnheiten gren- derung – oder gibt man dem Drängen anderer nach: Tu end-
zen uns ein und verhindern eine Weiterentwicklung unserer lich mal was! Es lohnt sich, die eigentliche Motivation abzu-
Person. Also fassen wir gute Vorsätze: Wir wollen eine oder klären: Was sind unsere tiefsten Wünsche, Ziele und Sehnsüch-
mehrere Gewohnheiten aus unserem Repertoire aussortieren, te? Geht es „nur“ um fünf oder zehn Kilo, die wir abnehmen
wir wollen uns verändern. wollen, oder um ein neues Körpergefühl? Was steckt hinter
61
dem Wunsch, Italienisch, Fechten oder Malen zu lernen? Was eingefahrenen neuronalen Pfade. Deshalb ist es wichtig, das
bedeutet das vage Ziel, „mehr Zeit für die Familie haben“? Je Programm der Selbstveränderung zunächst auf nur ein Ziel
besser sich ein guter Vorsatz mit einem eigenen, tiefer reichen- und auf überschaubare, einfache erste Schritte zu begrenzen
den Wunsch deckt, desto lohnender ist es, um seine Verwirk- – und diese ständig zu wiederholen, um möglichst schnell ei-
lichung zu kämpfen. nen neuen neuronalen Pfad anzulegen.
Deshalb müssen die guten Vorsätze mit positiven emotio- Wieder wird der Rahmen wichtig: Wenn man gute Vorsät-
nalen Zielen verknüpft werden: Wie gut fühlt sich der Körper ze als zeitlich begrenztes Projekt formuliert und ihnen quasi
an nach einem langen Lauf! Wie stolz werde ich sein, wenn ich eine Überschrift gibt, ihnen also einen inhaltlichen und einen
nächsten Sommer wieder einen Bikini anziehen kann! Wie viel zeitlichen Rahmen verpasst, gewinnen sie nachweislich an
Schönes kann ich mir leisten, wie sehr wird mein Ansehen Schwung: „2018 wird das Jahr des Abnehmens!“ oder „das Jahr,
steigen, wenn ich die Weiterbildung schaffe! in dem ich Italienisch lerne“. Auch kürzere Projekte lassen sich
Machen Sie sich also Ihren Vorsatz schmackhaft. Es nützt effektiv „einrahmen“: die Aufräumwoche, die drei Tage der
wenig, eine gewünschte bewusste Veränderung des eigenen Steuererklärung.
Verhaltens in Formeln des „Weg von XY“ (Shoppingexzessen, Hilfreich ist bei vielen Vorsätzen, neben der großen Vision
Süßigkeiten, Alkohol, Fernsehen) zu fassen. „Verbotene“ Ge- eines besseren Ich die Strategie der kleinen Schritte zu verfol-
danken sind nicht wirklich aus dem Kopf zu kriegen – sie wer- gen. Wer sich vorgenommen hat, ein Buch zu verfassen, fängt
den paradoxerweise sogar stärker und halten das verpönte Ziel am besten damit an, jeden Tag eine Seite zu schreiben, nur
im Bewusstsein präsent: Ich darf jetzt auf keinen Fall den Fern- eine, aber mindestens eine. Wer 20 Kilo abnehmen will, kon-
seher anschalten, schon wieder Schokolade essen, shoppen zentriert sich auf das erste Kilo. Wer sein Zimmer entrümpeln
gehen! Erfolgreicher sind „Hin zu“-Formeln, die ein erfreuli- will, entfernt jeden Tag einen überflüssigen Gegenstand – und
ches, lustbetontes Ziel möglichst konkret ausmalen: Wie er- wiederholt diesen Vorgang, bis das Ziel erreicht ist. Das ent-
leichtert werde ich sein, wenn ich heute endlich die Steuerer- spricht dem Kaizen, der japanischen Strategie der regelmäßi-
klärung mache! Wenn ich die nächsten drei Tage lerne, werde gen täglichen kleinen Verbesserungen.
ich nach bestandener Prüfung richtig feiern können! Das emotionale Gehirn ist so nicht ständig mit der furcht-
Der Kognitionsforscher George Lakoff von der Universität einflößenden Riesenaufgabe konfrontiert, sein Fluchtreflex
Berkeley sieht es so: Wir müssen die neuen Ideen und Infor- wird nicht ausgelöst. Und Kaizen verschafft sofort Erfolgser-
mationen, die unseren Vorsätzen zugrunde liegen, in die bereits lebnisse. Das Selbstvertrauen wächst und damit die Zuversicht,
vorhandenen neuronalen Verknüpfungen einpassen. Sonst den ganzen Weg gehen zu können. Wenn dieses Vorgehen all-
werden sie nicht akzeptiert und können nicht wirksam werden. mählich als Unterforderung empfunden wird, können die
Wir denken nämlich in „Rahmen“, also in erfahrungsgesättig- Schritte länger werden – statt jeden Tag zehn Minuten Bewe-
ten Bildern und Erzählungen, und keineswegs in Fakten. Oder gung erscheinen nun 30 Minuten jeden zweiten Tag machbar.
wie es der Hirnforscher Ernst Pöppel in seinem Buch Der Rah-
men formulierte: „Ein Rahmen gibt Ordnung, Quergedanken Öfter mal was Neues
schaffen Unordnung.“ Und diese vermeiden wir tunlichst. Die Teilnehmer an einem wissenschaftlichen Programm zur
Auch die Vorstellungen darüber, wer wir sind und wer wir Gewichtsreduzierung wurden in zwei Gruppen eingeteilt: Ne-
sein wollen, sind Rahmenerzählungen, sie strukturieren unser ben den Fitnessübungen und Ernährungsumstellungen, die
Denken und Handeln. Also brauchen wir eine „Geschichte“ für beide Gruppen verbindlich waren, erhielt eine Hälfte der
über uns, in die die guten Vorsätze samt ihren Gründen hin- Teilnehmer die zusätzliche Aufgabe, täglich etwas neu und
einpassen. Das heißt: Um gute Vorsätze in die Tat umzusetzen, anders zu machen als gewöhnlich: etwa auf einem anderen
müssen wir das Neue in eine zukunftsorientierte, emotional Weg zur Arbeit zu fahren, einen anderen Radiosender zu hören
positiv aufgeladene Geschichte fassen, die kompatibel ist mit als den gewohnten, in einem anderen Lebensmittelgeschäft
vorhandenen Selbstbildern und Erfahrungen. Mit einer mög- einzukaufen und so weiter. Diese Probanden waren deutlich
lichst bildhaften Vorstellung von uns selbst in einer besseren erfolgreicher im Pfundeschmeißen, und zudem behielten sie
Zukunft lässt sich die Aufschieberitis leichter überwinden. die neu gelernten Ess- und Bewegungsgewohnheiten bei.
Die Forscher vermuten, dass die tägliche „Innovationsauf-
Nicht zu viel auf einmal! gabe“ zu gesteigerter – und vor allem generalisierter – Wach-
Das „emotionale Gehirn“, das unsere Bedürfnisse und Ge- heit und Aufmerksamkeit führte: Wenn einem das Achtsam-
wohnheiten verwaltet, hat es gerne einfach. Wenn etwas zu sein zur Gewohnheit wird, fällt man nicht so leicht in alte
komplex erscheint, rekurriert es auf das „Bewährte“, auf die Gewohnheiten zurück. Für Veränderungswillige ist wichtig,
dass zwischen einem Impuls („Mir ist jetzt nach was Süßem!“) Auch Erfolge lassen sich schwarz auf weiß besser genießen.
und der Reaktion (Schokoriegel in den Mund schieben) immer Körpergewicht, nicht gerauchte Zigaretten oder gelaufene Ki-
wieder eine Pause, eine Zeitfuge entsteht, in der eine bewuss- lometer/Minuten kann man gut aufschreiben, bei weniger
te Entscheidung getroffen werden kann: Nein, ich trinke jetzt leicht messbaren Verhaltensweisen („Ich will nicht mehr so
lieber ein Glas Sprudel! Die Pause gibt den Denkprozessen ungeduldig/ärgerlich/aufbrausend reagieren“) sind Skalen-
höherer Ordnung, also unserem Neokortex und seinen ver- werte denkbar (sehr gut gelungen: 5 Punkte; überhaupt nicht
nünftigen Argumenten eine Chance, die Automatismen und gelungen: 0 Punkte). Wer ein solches Protokoll führt, ist nach-
Versuchungen des emotionalen Gehirns zu unterbrechen. weislich erfolgreicher bei der Verwirklichung seiner Vorsätze.
Achtsamkeit ist übrigens auch die beste Waffe gegen die Das Protokollieren liefert das Rohmaterial für eine regel-
Wellen der plötzlichen Gier auf eine Zigarette, auf ein Stück mäßige Selbstreflexion: Die wird besonders wichtig, wenn wir
Kuchen, auf ein Glas Wein. Auf solche heftigen Impulse, von „schwach werden“ oder „scheitern“. Anstatt den Vorsatz dann
Suchtforschern craving genannt, reagieren wir mit einer zu oft aufzugeben (wozu der größte Teil der Veränderungswilligen
vergeblichen Mobilisierung der Willenskräfte, wir kämpfen neigt), sollten die Gründe des Rückschlags untersucht werden.
gegen die Versuchung an, oder wir versuchen, vor ihr zu fliehen, Selbstbeobachtung in der Phase des Scheiterns kann uns bei-
oder aber wir geben uns ihr gleich hin. Erfolgreicher ist die spielsweise zeigen, warum wir es nicht geschafft haben: „Ich
Achtsamkeitstechnik, schreibt die Sozialpsychologin Susan habe schon beim Betreten der Boutique gewusst, dass ich das
Nolen-Hoeksema. Es kommt darauf an, „auf der Welle des eigentlich nicht mehr sollte, aber ich konnte halt nicht anders.“
Heißhungers oder der Gier zu surfen“, das heißt die Aufmerk- Der Lernfortschritt in diesem „Versagen“ liegt im Gewahr-
samkeit direkt auf den Reiz zu richten, nicht gegen ihn anzu- werden der eigenen Versuchung. Die Versuchung wurde „live“
kämpfen, sondern ihn sozusagen bewusst zu beobachten: Was erlebt und nicht erst hinterher bemerkt. Daran lässt sich an-
macht er mit mir? Was löst er im Körper aus? Welche Bilder setzen: Was ging der Situation voraus? Warum hat die Abwehr
steigen auf? Was denke und fühle ich gerade? nicht funktioniert? Wie ließe sie sich beim nächsten Mal stär-
Wenn wir diese Beobachterrolle einnehmen (witness-self ken? Und so weiter. Rückfälle beweisen nur eines: Die alten
nennt es der Meditationsexperte und buddhistische Mönch neuronalen Pfade sind noch da, die neuen sind noch nicht
Thich Nhat Hanh), erfahren wir vor allem eines: Die Welle stark genug. Rückfälle sollten deshalb kein Alibi für den To-
verebbt, die Gier geht vorbei! Sie lässt nach, noch während wir talabbruch eines guten Vorsatzes sein: Er kann trotzdem von
sie beobachten. Wir sind ihr nicht mehr ausgeliefert, und sie Tag zu Tag fortgesetzt werden.
verliert so ihre Macht über uns. Das Ziel aller menschlichen Verhaltensweisen ist letztlich,
dass wir uns gut fühlen. Selbst das absonderlichste und unge-
Aus Rückschlägen lernen sündeste Verhalten hat bei diesem Ziel irgendeinen verborge-
Wenn wir einen guten Vorsatz verwirklichen und eine alte Ge- nen Nutzen. Wenn wir gute Vorsätze fassen, möchten wir
wohnheit ablegen wollen, müssen wir mit Rückschlägen rech- kurzfristig befriedigende, bequeme Gewohnheiten durch „hö-
nen. Deshalb ist es hilfreich, ein Tagebuch oder ein Protokoll here“ Ziele ersetzen.
zu führen, in dem wir unsere Erfahrungen und Fortschritte, Der daraus geborene Wunsch zur Veränderung ist nicht nur
aber auch Rückschläge festhalten. Indem wir die Daten über vernünftig, er entspricht unserem Drang zur „Vertikalspan-
den eigenen Veränderungsprozess sammeln, systematisieren nung“, wie es der Philosoph Peter Sloterdijk nennt – wir wol-
wir ihn und gewinnen Erfahrungswerte, die uns auf dem wei- len lernende, sich selbst verbessernde Wesen sein. Vernunft
teren Weg nutzen, und wir erinnern uns täglich selbst daran, und Wollen allein genügen jedoch nicht, wir brauchen zudem
dass wir es ernst meinen. ein gutes Stück Selbsterkenntnis. PHc
63
64 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t
VOM WUNSCH
3
ZUR TAT
Das Rauchen aufgeben, abnehmen, Sport treiben: Warum ist es
so schwer, gute Vorsätze auf Dauer in die Tat umzusetzen? Der
Schlüssel zum nachhaltigen Erfolg liegt nicht in der Willenskraft.
Alte Gewohnheiten sind hartnäckig. Sie zu unterlassen kostet
Kraft. Erfolgversprechender ist, sie Schritt für Schritt zu ersetzen:
durch neue, bessere Gewohnheiten
Bahnen Sie
neue Pfade!
A
ls ein amerikanischer Lokalsender vor einigen hartnäckig. Gewohnheiten bilden sich mit der Zeit durch Wie-
Jahren seine Hörer und Hörerinnen an Sil- derholung heraus. Sie sind nicht plötzlich da. Deshalb kann
vester aufforderte, dem Moderator ihre guten man sie meist nicht von heute auf morgen wieder loswerden.
Vorsätze fürs neue Jahr mitzuteilen, meldeten „Gewohnheiten sorgen dafür, dass wir tun, was wir immer
sich 213 Menschen und erzählten bereitwillig schon getan haben, daran können auch die besten Absichten
von ihren Plänen. Manche wollten lernen, nein zu sagen, an- nichts ändern“, schreiben David Neal, Wendy Wood und Jeffrey
dere mehr Verantwortung für ihre Entscheidungen überneh- Quinn von der Duke University. „Denn äußere Signale wie Zeit
men, und wieder andere wünschten sich mehr Zeit für sich. oder Umgebung verleiten zu einer Wiederholung vertrauter
Natürlich waren auch die „Veränderungsschlager“ darunter: Verhaltensweisen.“
ein paar Pfunde abnehmen, mit dem Rauchen aufhören, ge-
duldiger werden, weniger trinken. So weit, so gut. Doch die
Radiomacher waren fies – sie fragten in regelmäßigen Abstän-
den bei den Veränderungswilligen nach dem Stand der Dinge:
Hatten sie ihre guten Vorsätze eingehalten?
Eine Woche nach dem Vorsatz waren noch 77 Prozent stand-
haft geblieben, nach zwei Wochen waren es 66 Prozent. Als ein
Monat vergangen war, hatte fast die Hälfte den Veränderungs-
wunsch aufgesteckt, nach sechs Monaten waren nur noch 40
Prozent ihren Vorsätzen treu geblieben (aber auch diese Zahl
könnte geschönt sein, da es sich um Selbstangaben handelte).
67
Jeden Tag
nur eine
Das Gehirn liebt diese Automatismen, es geht gerne ausge-
Liegestütze! tretene Pfade. Auf diese Weise spart es Energie und bewältigt
komplexe Abläufe – wie zum Beispiel beim Autofahren oder
Ständige Klavierspielen –, ohne jede einzelne Handlungssequenz be-
wusst planen zu müssen. Wenn man beschließt, einen oder
kleine Wieder- mehrere dieser bequemen Trampelpfade zu schließen, wird
sich das Gehirn zur Wehr setzen. Denn für die neue Verhal-
holungen tensweise, die man ihm anbietet (zum Beispiel ab sofort nur
noch Gemüse statt Fleisch zu essen), gibt es noch keine neu-
führen zum ronale Bahnung. Die muss erst angelegt werden. Und das ge-
lingt nur mit der richtigen Strategie.
Ziel Der Wunsch, etwas Neues zu wollen, reicht dabei nicht aus.
Denn auf die Motivation „kann man sich nicht verlassen“, sagt
Stephen Guise. „Sie hängt davon ab, wie wir uns fühlen.“ Und
Existiert ein Pfad, wird er erhalten Gefühle sind negativ beeinflussbar – vom Wetter, von Misser-
Der Gehirnforscher und Psychiater Manfred Spitzer erklärt an folgen, von Ärger – und können jede Motivation auf null he-
einem schönen Beispiel, wie unser Gehirn Gewohnheiten aus- runterfahren.
bildet: „Stellen Sie sich vor, Sie stünden auf einem Aussichts- Auch die Willenskraft erlahmt allmählich, wenn sie über-
turm in einem frisch verschneiten Park. Unter Ihnen liegen 20 ansprucht wird. Wenn der bewusste Teil im Gehirn, Stephen
Zentimeter unberührter Neuschnee. Jetzt kommen Menschen, Guise nennt ihn den „smarten Manager“, müde wird, tritt der
und Sie beobachten, wie diese scheinbar ziellos im Park um- „stupide Wiederholer“ auf den Plan: Die Basalganglien über-
herlaufen. Es geht ein leichter Wind, und die Fußstapfen der nehmen dann das Steuer. Und die interessieren sich nicht für
einzelnen Fußgänger werden rasch wieder verweht. Stellen Sie höhere und langfristigere Ziele. Sie denken nicht an Lungen-
sich nun weiter vor, dass sich an der einen Ecke des Parks eine krebs, wenn man sich eine Zigarette ansteckt. Sie vergessen die
Glühweinbude befindet und an der anderen eine Toilette. Das Waage im Bad, wenn sich Appetit auf Süßes meldet.
hat zur Folge, dass Sie nach ein paar Stunden aus Ihrer Vogel- Wie der Hirnforscher Gerhard Roth erklärt, sind Basalgan-
perspektive eine Spur von der Glühweinbude zur Toilette aus- glien „eine Art Handlungsgedächtnis“. Dort sind „alle Bewe-
machen können. Und ein einmal ausgebildeter Pfad wird sich gungsmuster niedergelegt, die sich irgendwann einmal als
selbst erhalten, weil die Leute lieber auf ihm laufen – ganz erfolgreich erwiesen haben“. Hier, so könnte man sagen, sind
einfach, weil das leichter geht. Eine Spur, die entstanden ist, die Gewohnheiten zu Hause. Und deshalb muss man diese
sorgt schon durch ihre Existenz für ihren Erhalt.“ Basalganglien erreichen, wenn man schlechte Gewohnheiten
Solche „Trampelpfade“ gibt es auch in unserem Gehirn. Sie ändern und neue installieren will.
entstehen im Prinzip genauso wie die Spuren im Park – durch Das ist nicht einfach: „Alles, was wir an Bewegungen aus-
ständige Benutzung. Bestimmte Verbindungen zwischen Ner- führen, insbesondere wenn es neu und ungewohnt ist, muss
venzellen werden durch wiederholte Erfahrungen gestärkt. mit diesem Handlungsgedächtnis abgeglichen werden“, erklärt
„Wenn Sie jeden Morgen nach dem Aufwachen duschen, exis- Roth. „Das ist am Anfang schwierig, und deshalb laufen viele
tiert eine neuronale Bahnung für diese Handlung“, erklärt neue Bewegungsweisen holprig ab. Je häufiger wir aber diese
Stephen Guise. „Sobald Sie aufwachen, feuern die zuständigen Bewegung ausführen oder intensiv üben, desto flüssiger geht
‚Duschneuronen‘, und Sie gehen ganz automatisch unter die es und – das ist ganz wichtig – desto weniger müssen wir da-
Dusche. Sie müssen nicht viel denken.“ Ähnliche neuronale rauf achten, und schließlich machen wir die Bewegung oder
Verbindungen gibt es für viele Handlungen im Alltag: Handlung wie im Schlaf.“
Autofahren, Zähneputzen, das Öffnen der Flasche Wein am
Abend, den Griff zur Chipstüte im Supermarkt. Mehr als 45 Auch Gewohnheiten fangen klein an
Prozent unserer täglichen Handlungen beruhen nicht auf be- Konkret bedeutet das: Wenn ein Verhalten zu einer guten Ge-
wusstem Nachdenken, sondern sind Gewohnheiten, wie die wohnheit werden soll, müssen wir im Gehirn einen „Trampel-
Forschergruppe um David Neal in Tagebuchstudien ermittelt pfad“ dafür anlegen. Und das gelingt am besten mit kleinen
hat. ständigen Wiederholungen.
ZUM WEITERLESEN
Stephen Guise: Viel besser als gute Vorsätze. Wie Sie mit Mini-Gewohnheiten
Maxi-Erfolge erleben. VAK, Kirchzarten 2015
69
„Wir können
Herr Schwabe, warum haben wir Ge-
wohnheiten?
Sie sollen das Leben erleichtern und er-
möglichen, dass wir uns, ohne groß
ausbrechen“
rechtes Bein, linkes Bein – das funktio-
niert von selbst, und ich kann mich des-
halb auf andere Sachen konzentrieren,
auf den Verkehr zum Beispiel. Je häufiger
etwas wiederholt wird, desto stärker
Wie können wir von schädlichen Automatismen wird es auch automatisiert: wie wir die
loskommen? Mit Geduld, sagt der Nahrung zu uns nehmen, was wir all-
abendlich unseren Kindern erzählen, ob
Kognitionspsychologe Lars Schwabe wir sparen oder Geld ausgeben oder wie
ein Vorhaben zu realisieren. Zudem sind en Belohnung zu experimentieren. Man Interview: Birgit Weidt
viele der Vorsätze und Ziele zu umfang- könnte, anstatt in die Cafeteria zu laufen,
reich, zu hoch gesteckt und nicht unmit- kurz nach draußen an die frische Luft Lars Schwabe ist Professor für Kognitionspsychologie
telbar erreichbar. Eines muss man sich gehen. Oder in der Cafeteria einen Müs- an der Universität Hamburg
Foto: kallejipp / photocase.de
vor Augen halten: Veränderungen stellen liriegel kaufen und ihn im Büro essen.
sich nur langsam ein. Doch mit Beharr- Oder mit einem Apfel zur Kollegin ge-
lichkeit und Geduld lassen sich die meis- hen, um zu plaudern. Indem man expe-
ten Muster durchbrechen und verän- rimentiert, kann man herausfinden, wo-
dern, wenn man folgende Schritte ein- nach es einen wirklich verlangt, und eine
hält: Zunächst ist es unerlässlich, die neue, gesündere Routine aufbauen.
71
DAS GEHEIMNIS DER
SELBST-
KONTROLLE
Wer gute Vorsätze umsetzen will, muss ständig Versuchungen widerstehen.
Manche beneidenswerten Menschen bringen von Kindheit an die
nötige Disziplin auf. Für die anderen gibt es erfolgversprechende Strategien
VON JOCHEN METZGER
neu. Bereits Walter Mischels berühmte Marshmallow-Studie, Wer mit dem Rauchen aufhören möchte, sollte keine Zigaret-
Ende der 1960er Jahre begonnen, wies in diese Richtung: Mi- ten im Haus haben. Wer abnehmen will, entfernt am besten
schel platzierte Kindergartenkinder vor eine Süßigkeit. Die die Schokolade aus dem Schrank. Das mögen Ratschläge aus
Kleinen konnten den Marshmallow sofort essen oder eine den Kalenderblättern unserer Großmütter sein – wirksam sind
Viertelstunde abwarten und dann die doppelte Menge kassie- sie dennoch. Die besonders kontrollierten Teilnehmer in Wil-
ren. Mischel fand heraus: Kinder, die genügend Selbstkontrol- helm Hofmanns Studie verfolgten intuitiv genau diese Strate-
73
gie: Sie setzten sich nur selten einer starken Versuchung aus
und konnten so relativ konfliktfrei durch ihren Alltag navigie-
Wir unterschätzen
ren. Auf der anderen Seite des Spektrums fand Hofmann jene
Teilnehmer, die ihre Standfestigkeit dramatisch überschätzten:
systematisch die Macht
Sie räumten die Nougatriegel trotz ihrer Diät nicht aus dem
Schrank – und gaben der naheliegenden Verlockung entspre-
der Versuchung –
chend häufig nach. Und in einer Feldstudie der Cornell Uni-
versity naschten Sekretärinnen im Büro mehr als doppelt so
und verraten deshalb
viele Süßigkeiten, wenn diese in durchsichtigen statt in blick-
dichten Behältern auf ihrem Schreibtisch standen.
immer wieder unsere
2. Sich ablenken, wenn die Versuchung lockt vernünftigen Ziele
Kein Mensch kann an hundert Dinge gleichzeitig denken – das
liegt an unserem Arbeitsgedächtnis, der engen Eingangspfor-
te unseres Bewusstseins. Muss die Versuchung womöglich
draußen bleiben, wenn wir diesen schmalen Flur mit anderen wie diese Umbewertungstechnik funktioniert. Sie unterbricht
Gedanken blockieren? Das wollte Lotte van Dillen von der unsere automatisch ablaufenden inneren Belohnungsprozesse,
Universität Leiden herausfinden. Tatsächlich ließen sich ihre nimmt der Schokolade, der Torte, dem Bier einen Teil ihres
Versuchspersonen weniger von dargebotenem Schokoladen- Glücksversprechens. Verstärkt wird die Wirkung durch eine
gebäck verführen, wenn man sie zuvor mit kniffligen Zahlen- Technik, die Psychologen als evaluative conditioning bezeich-
rätseln beschäftigt hatte. Allerdings scheint der Trick mit der nen: Man lernt, einen Konsumartikel im Geiste mit etwas Un-
Ablenkung nur zu funktionieren, wenn man die Rechenauf- angenehmem zu verbinden: die Whiskeyflasche mit Bildern
gaben zeitlich vor den Brownies präsentiert. Denn hat sich der eines Verkehrsunfalls, die Zigarette mit Bildern von Krebspa-
Wunsch nach Süßem bereits im Kopf festgesetzt, kehrt sich der tienten im Endstadium. Walter Mischel behauptet, sich mit-
Effekt um: Dann futtern die gedanklich stark Beschäftigten hilfe dieses Tricks das Rauchen abgewöhnt zu haben.
ihre Kekse nebenbei und essen sogar besonders viele davon,
ohne es recht zu bemerken. 5. Die Lust unterdrücken
Die Strategie scheint intuitiv einleuchtend: Wenn die Schwarz-
3. Sich seine eigene Versuchung erschaffen wälder Kirschtorte lockt, man im Geiste schon die Mischung
Begehren entsteht zu einem großen Teil durch unsere Vorstel- aus Sahne, Kirschwasser und dunklem Biskuit auf der Zunge
lungen. Könnte man sich dann nicht auch gesunde, „vernünf- spürt – dann sollte man diese Fantasien einfach unterdrücken
tige“ Versuchungen selbst erschaffen, nur durch die Kraft der und die inneren Bilder verjagen wie eine lästige Fliege. Doch
Fantasie? Lässt sich zum Beispiel unsere Lust auf Sport gedank- wie gut funktioniert das? In einer englischen Studie bat man
lich steigern, indem wir uns regelmäßig den wohligen Zustand Raucher, sieben Tage lang nicht an Zigaretten zu denken. Tat-
ins Gedächtnis rufen, nach einem Dauerlauf unter die Dusche sächlich konsumierten die Probanden zunächst weniger Tabak.
zu steigen? Diesen Ansatz verfolgt ein australisch-britisches Allerdings führte die Methode zu einem Bumerangeffekt: In
Forscherteam im sogenannten functional imagery training. der folgenden Woche erhöhten die Testpersonen ihren Kon-
Tatsächlich trieben Versuchspersonen mehr Sport, wenn sie sum und rauchten sogar mehr als vor dem Experiment. Dieser
sich derlei positive Bilder mehrmals täglich in Erinnerung rie- ironic rebound effect ist inzwischen durch mehrere Studien
fen. Ein zweites Experiment konnte den Alkoholkonsum star- belegt: Gedanken unterdrücken, wenn sie sich bereits verlo-
ker Trinker um mehr als die Hälfte reduzieren – und zwar über ckend in unsere Fantasie geschlichen haben, führt zu eben
einen Zeitraum von mehreren Monaten. jenem Jo-Jo-Effekt, den man so häufig bei Diäten erlebt.
ZUM WEITERLESEN
Wilhelm Hofmann, Loran F. Nordgren (Hg.): The psychology of desire. The Guilford
Press, New York 2015
nach der
chaska, John Norcross und Carlo DiCle-
mente haben in unzähligen Studien mit Tausenden von Teil-
nehmern gelungene Veränderungsprozesse untersucht. Ihre
Ergebnisse fassten sie im „transtheoretischen Modell“ zusam-
anderen
men, das auch in Deutschland Eingang in die psychologische
und medizinische Praxis gefunden hat.
Kern dieses Ansatzes ist die Erkenntnis, dass erfolgreiche
Selbstveränderung ein langfristiger Prozess ist, der in bestimm-
ten Stadien verläuft. Nicht über sieben Brücken, sondern über
Von einer Gewohnheit oder einer
sechs „Stufen der Veränderung“ muss gehen, wer etwas in sei-
Sucht loszukommen ist ein langer Weg. nem Leben verändern will. „Zu viele Menschen halten nach
einfachen Lösungen Ausschau. Aber es gibt keine Wunderpil-
Wer ihn bis zu Ende gehen will, muss
len oder Wunderpläne. Veränderungswillige müssen durch
sechs Stufen überwinden alle Stadien des Veränderungsprozesses gehen, gleichgültig ob
sie sich das Trinken abgewöhnen, ihre Ängste überwinden oder
VON URSULA NUBER Gewicht verlieren wollen“, schreibt das Expertenteam.
77
4. Stufe: Handeln • Stresssituationen. Monatelang hatte man keine Zigarette
Der Schritt raus aus der behaglichen Vorbereitungsphase gelingt mehr geraucht, dann kam dieses extrem anstrengende Projekt,
am besten, je konkreter der Plan ist, den man für seine Verän- man musste die Nächte durcharbeiten – und griff zum beru-
derung ausgearbeitet hat. Sebastian Bamberg von der Univer- higenden Glimmstängel. Auch Krankheit, Trennung, Arbeits-
sität Gießen konnte in seinen Studien belegen, dass die Erfolgs- platzverlust und ähnlich gravierende Ereignisse lassen einen
wahrscheinlichkeit steigt, wenn sogenannte „Implementations- schnell in altes Verhalten zurückfallen.
intentionen“ gebildet werden. Bamberg Rückschläge gehören zu fast jedem Ver-
testete in einer Studie die Bereitschaft von änderungsprozess dazu. Die meisten Men-
Studenten, eine neue Buslinie zu nutzen. Rückschläge schen kommen irgendwann ins Stolpern.
Einer Gruppe der Teilnehmer wurde nahe- Darauf sollte jeder vorbereitet sein und es
gelegt, ihre Fahrt so konkret wie möglich gehören dazu. nicht als persönliches Versagen interpre-
zu planen: Sie sollten sich auf eine spezifi- tieren, wenn er auf eine frühere Stufe zu-
sche Situation, einen bestimmten Tag, eine Viele Anläufe rückgeworfen wird – meist auf die Stufe
genaue Uhrzeit festlegen: Genau dann wer- der Bewusstwerdung oder die Stufe der
de ich die neue Linie testen! Die Studenten, sind notwendig, Vorbereitung. Fast alle, die letztlich Erfolg
die sich so gezielt vorbereitet hatten, nutz- hatten, durchliefen den Veränderungszy-
ten deutlich häufiger den Bus als Studenten, bis man sein klus mehrere Male, berichten die Väter des
die sich zwar bereiterklärt hatten, mit der „transtheoretischen Modells“. Im Durch-
neuen Linie zu fahren, sich aber nicht men- Ziel erreicht schnitt waren fünf Anläufe nötig, bis die
tal auf diese Umstellung eingestellt hatten. Betreffenden schließlich – bisweilen erst
Spielen sich die ersten Stufen des Ver- nach Jahren – ihr Ziel erreichten. Selbst-
änderungsprozesses nur im Kopf des Ver- vorwürfe sind also nicht angebracht, wenn
änderungswilligen ab, so können nun in der aktiven Phase die guten Silvestervorsätze mal wieder im Sande verlaufen sind.
auch Außenstehende erkennen, dass sich etwas tut. Der Rau- Einfach neu beginnen!
cher verschenkt seine Zigaretten, der Ernährungsumsteller
erklärt seine Wohnung zur süßigkeitenfreien Zone, der Bewe- 6. Stufe: Stabilisieren
gungsbereite hat sich in einem Fitnessstudio angemeldet. Diese Stufe streben alle Veränderungsbereiten an: Die alten
So entscheidend diese Phase ist, sie garantiert noch keinen Gewohnheiten sind endgültig überwunden, das neue Leben
Erfolg. „Menschen verwechseln zu häufig Handeln mit Verän- hat feste Konturen angenommen. Doch nicht jeder Verände-
dern“, stellen Prochaska und seine Kollegen fest. Vor allem rungsprozess endet mit dieser Stufe. Für die meisten wird
wenn Stufe drei, die Vorbereitung, vernachlässigt oder gar „Dranbleiben“ zum Dauerzustand. Selbstveränderung ist bis-
übersprungen wurde, ist das Neue oft nicht von Dauer. Ohne weilen ein nie ganz abgeschlossenes Abenteuer. Der Alkoholi-
eine grundlegende und möglichst konkrete Vorbereitung ker muss sein Leben lang den Alkohol meiden.
bleibt ein verändertes Verhalten instabil. Deshalb kommt es Ob der Veränderungsprozess seinen krönenden Abschluss
auf dieser vierten Stufe häufig zu Rückfällen. mit der Stufe der „Stabilisierung“ findet oder ob permanente
Achtsamkeit vonnöten ist – eines ist allen Menschen, die das
5. Stufe: Dranbleiben Stufenprogramm absolvieren, gemeinsam: Man muss Altver-
Vor Rückfällen ist niemand gefeit. Der wind of change ist ein trautes loslassen – und das ist oft schmerzlich. Schon der fran-
launisches Lüftchen, das bei der kleinsten Irritation die Rich- zösische Schriftsteller Anatole France wusste: „Allen Verände-
tung ändert oder sich völlig legt. Die größten Gefahren für das rungen, selbst jenen, die wir ersehnt haben, haftet etwas Me-
neue Leben sind: lancholisches an; denn wir lassen einen Teil von uns selbst
• Sozialer Druck. Bei Freunden löst der Satz „Danke, ich trin- zurück; wir müssen ein Leben sterben, ehe wir ein anderes
ke keinen Alkohol mehr“ oft Protest aus: „Sei kein Spielver- beginnen können.“
derber, ein Glas wirst du doch trinken dürfen!“
• Überschätzung der eigenen Willenskraft. Wer sich endlich ZUM WEITERLESEN
aus einer destruktiven Beziehung gelöst hat, sollte sich nicht James O. Prochaska, Janice M. Prochaska: Changing to thrive. Using the stages of
auf die Probe stellen, indem er den schwierigen Partner „nur change to overcome the top threats of your health and happiness. Hazelden, Cen-
ter City 2016
zum Kaffee“ wiedertrifft.
Erfolg
Zigaretten weg und verhänge ein striktes
2 Gefühle werden
zugelassen
Rauchverbot über meine Wohnung.“
79
ICH STEH
DAZU!
W
enn wir über unsere Lebenswege und auszuhalten, weil man das Wollen ernst gemeint hat und im-
Lebensziele nachdenken und darüber mer noch von der Entscheidung überzeugt ist.
räsonieren, was die richtige Entschei-
dung an einer wichtigen Weggabelung Die Commitment-Gleichung
ist, wird ein Faktor häufig unterschätzt: Aber die Sache wird noch komplexer. Die Wirtschaftspsycho-
das Durchhaltevermögen, das wir nach einer Entscheidung login Heidi Reeder hat vier entscheidende psychologische Va-
aufbringen können oder wollen. Wie engagiert bleiben wir nun riablen in einer Formel zusammengefasst. Die Stärke eines
an der Sache dran, für die wir uns entschieden haben? Wie Commitments und damit die Wahrscheinlichkeit, ein Ziel zu
ernst ist es uns, den einmal eingeschlagenen Weg bis zum Ziel erreichen oder eine Bindung, ein Engagement aufrechtzuer-
zu gehen? Für diese Entschlossenheit hat sich ein englischer halten, bemisst sich so:
Begriff auch in der deutschen Sprache – zumindest im Busi- C = Gewinn minus Kosten plus Investment minus Optionen
ness- und Therapeutendeutsch – eingebürgert: Commitment. Mit Gewinn bezeichnet Reeder all die positiven und lustbe-
Commitment scheint der Komplexität des Verhaltens nach tonten Aspekte eines Projektes oder einer Aktivität – all das,
einer Entscheidung besser gerecht zu werden als Begriffe wie was uns überhaupt zu einer bestimmten Entscheidung bewo-
Wille, Motivation, Engagement oder Ausdauer. Denn all diese gen hat und uns zufrieden macht oder die Erwartungen erfüllt.
Tugenden oder Eigenschaften fließen in ein Commitment ein: Kosten sind die weniger erfreulichen, die anstrengenden
Es erfasst sowohl den Entschluss, also die psychische Bindung oder riskanten Aspekte, die Mühen des Alltags: die Launen des
Illustrationen: Linda Wölfel
an eine Sache – einen Beruf, einen Lebenspartner, einen Partners, die Unsicherheit eines Finanzplans, die Überstunden
Freund, eine Aktivität, eine Mitgliedschaft, ein Ziel – als auch im Job oder die immer wieder nötige Überwindung der Träg-
die Bereitschaft, diese Bindung aufrechtzuerhalten und zu heit beim Fitnessprogramm.
pflegen. Und zwar vor allem auch dann, wenn Probleme oder Investments sind die materiellen, zeitlichen und psychischen
Widerstände auftreten. Einzahlungen in eine Sache: Geld, Kreativität, Zuwendung.
81
Dieser Einsatz geht ganz oder zumindest teilweise verloren, von Alternativen das Commitment genauso absenken können
wenn man diese Sache aufgibt. Je höher die Aufwendungen wie reale. Das ist vor allem der Fall, wenn sich unsere Verglei-
sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man bei che auf irreale Maßstäbe stützen.
einem Projekt bleibt, selbst wenn die Zufriedenheit vorüber- Eine Untersuchung mit 400 verheirateten Paaren brachte
gehend auf Tiefpunkte sinkt. ein verstörendes Ergebnis: Alle Teilnehmer konsumierten häu-
Optionen bezeichnet die Alternativen zum eingeschlagenen fig Seifenopern, romantische Serien oder scripted reality-For-
Weg, die man nach eigener Einschätzung zu haben glaubt – mate wie Bachelor/Bachelorette, in denen es um Liebe, Leiden-
und gedanklich immer wieder aufruft. Wer einen Job antritt, schaft und Herzschmerz geht. Die Teilnehmer unterschieden
aber immer noch regelmäßig die Jobbörsen checkt und ande- sich jedoch darin, ob sie diese fiktiven Darstellungen für mo-
re Möglichkeiten im Auge behält, dessen Commitment redu- dellhaft und halbwegs real hielten. Wer dies in hohem Maße
ziert sich entsprechend. Wichtig ist, dass man realistisch ein- tat, gab in vertraulichen Befragungen an, immer wieder einmal
schätzt, wie groß die Optionen wirklich sind – und wie wert- mit Alternativen zu liebäugeln. Das Commitment dieser Fern-
voll die gewählte Position. Denn sonst kann sich echtes Com- sehgucker war deutlich fragiler, weil sie häufig über potenziel-
mitment nicht entwickeln – also Engagement, Leistungsbe- le andere Partner fantasierten.
reitschaft, Widerstandskraft bei Problemen. Je enger wir eine Bindung entwickelt haben, je mehr wir in
Die Commitment-Stärke einer Aktivität ist am höchsten, sie investiert haben, desto resistenter sind wir gegen die Ver-
wenn die Gewinne deutlich größer sind als die Kosten, wenn suchung anderer Optionen. Wer sich von Anfang an Hinter-
die Investments hoch sind – und wenn die Optionen gering türchen aufhält und weiter sucht – etwa in Datingportalen
sind oder resolut ausgeblendet werden. oder Jobbörsen –, wird selten genügend in die getroffene Wahl
investieren. Auch wenn er sich vormacht, das „Sich-mal-Um-
Das war eine gute Wahl … sehen“ schade ja nicht und sei eher ein amüsanter Zeitvertreib
Damit Letzteres eintritt, damit wir nicht dauernd nach ande- – er bleibt mental „auf dem Sprung“. Commitment erfordert
ren Optionen schielen, selbst wenn der Weg mal steinig wird, die bewusste Konzentration auf den eingeschlagenen Weg.
arbeitet ein psychischer Mechanismus für uns: die Nach-Ent-
scheidungs-Dissonanzreduktion (post-decisional dissonance Verzicht auf Plan B
reduction). Damit bezeichnen Kognitionspsychologen die Ge- Der Psychologe Rowland Miller hat Versuchspersonen durch
wohnheit, die guten Seiten der getroffenen Wahl und die Nach- Zeitschriften blättern lassen, vorgeblich um die Wirkung von
teile anderer Optionen zu betonen: Wer einen VW Golf gekauft Printwerbung zu untersuchen. In Wirklichkeit hat er gemessen,
hat, hebt immer wieder die Verlässlichkeit, Robustheit und wie lange die Probanden an Fotos oder Anzeigen mit attraktiven
Geräumigkeit des Wagens hervor und sieht in der Sportlichkeit Vertretern des jeweils anderen Geschlechts hängenblieben. Re-
oder Eleganz anderer Marken nicht so wichtige Eigenschaften. sultat: Die Teilnehmer, die in einem anderen Test als hochen-
Die Dissonanzen, also die inneren Widersprüche, die vor einer gagiert in ihrer derzeitigen Partnerschaft eruiert worden waren,
Entscheidung im Kopf rumoren – „robust, aber nicht sport- blätterten signifikant schneller weiter, nachdem sie die Anzeige
lich“ oder umgekehrt: „sportlich, aber reparaturanfällig“ –, mit dem sexy Unterwäschemodell bewertet hatten, während
werden durch eine unbewusste oder bewusste Ausblendung sich die wenig Engagierten solche Fotos deutlich länger zu Ge-
der anderen Möglichkeit vermindert. müte führten. Fazit: Wer sich für ein Projekt, einen Plan, einen
So einfach, wie sich das anhört, funktioniert die Dissonanz- Partner entschieden hat, sollte sich darauf mit einer gewissen
reduktion aber nicht immer und nicht bei allen Entscheidun- Ausschließlichkeit konzentrieren – und keinen Plan B in der
gen. Heidi Reeder hat die psychisch-kognitive Dynamik von Tasche haben. Denn schon die Existenz eines Plans B bedeutet,
Optionen und deren Einfluss auf das Commitment intensiver so meint Heidi Reeder, dass er eines Tages auch realisiert wird.
untersucht und ist auf einige Zusammenhänge gestoßen Wenn aber andere Optionen nicht zu übersehen oder aus-
zublenden sind, wenn man also Jobangebote erhält oder heftig
… oder gibt es doch eine bessere? angeflirtet wird, dann hilft es, diese Optionen abzuwerten und
Häufig malen wir uns andere Optionen in den schönsten Far- das hohe Commitment zum gewählten Projekt aufrechtzuer-
ben aus, wenn wir in der gegenwärtigen Lage gerade gefrustet halten. In einer Serie von Experimenten an der University of
sind oder etwas Wichtiges fehlt – etwa Autonomie, Abwechs- North Carolina sollten Versuchspersonen ein vermeintliches
lung oder Anerkennung im Job oder Zärtlichkeit und Geduld Profil einer Onlinedatingbörse beurteilen, nämlich eine kör-
beim Partner. Die Forschung zeigt, dass imaginierte Vorteile perlich sehr attraktive Person des jeweils anderen Geschlechts.
ZUM WEITERLESEN
Heidi Reeder: Commit to win. How to harness the four elements of commitment
to reach your goals. Plume, New York 2015
83
„Gehen Sie eine
Liebesbeziehung
mit Ihrer
Entscheidung ein!“
Bleiben oder gehen? Zusagen oder absagen? Was soll ich nur tun?
Wir verzweifeln an Entscheidungen, wenn beide Alternativen
uns gleichwertig erscheinen. Die Philosophin Ruth Chang empfiehlt,
das Abwägen sein zu lassen – und den Knoten auf ganz andere
Weise aufzulösen
Frau Chang, jeder Mensch steht irgend- Was schwierige Entscheidungen schwie- Die meisten Menschen versuchen zu-
wann vor einer schwierigen Entschei- rig macht, ist die Art und Weise, wie die nächst herauszufinden, was ihnen wich-
dung. Viele empfinden solche Situatio- Alternativen miteinander in Beziehung tig ist, und sammeln dann Informatio-
nen als quälend und lähmend. Sie sagen stehen. Bei einer einfachen Entscheidung nen: Was spricht dafür? Was spricht da-
nun, dass wir es uns oft unnötig schwer- ist eine Alternative besser als eine andere. gegen? Viele glauben, dass dies die einzi-
machen. Bei einer schwierigen Wahl dagegen ha- gen notwendigen Schritte sind. Und so
Schwierige Entscheidungen verbindet ben beide Alternativen ihre Vorteile. Man sammeln sie immer mehr Informatio-
man in der Tat oft mit Quälerei, mit Hän- quält sich zum Beispiel damit, ob man in nen, in der Hoffnung, auf diese Weise die
deringen und Zähneknirschen. Dies ist seinem jetzigen Job in der Stadt bleiben beste Entscheidung zu finden. Aber das
jedoch eine falsche Vorstellung. Wenn oder mit der Familie aufs Land umsie- wird nicht funktionieren. Schwierige
man versteht, was schwierige Entschei- deln soll, wo es eine herausfordernde Entscheidungen sind schwierig, weil es
Illustrationen: Elke Ehninger
dungen wirklich ausmacht, legt man eine Stelle gibt. Es gibt gute Gründe fürs Blei- keine beste Option gibt.
geheime Macht frei, die jeder Mensch ben, es gibt gute Gründe fürs Umziehen. Warum nicht?
besitzt. Was tun Menschen normalerweise, Angenommen, man will zwischen zwei
Was ist denn das Merkmal schwieriger wenn sie eine schwierige Entscheidung Jobs wählen, zum Beispiel Investment-
Entscheidungen? treffen müssen? banker oder Grafiker. Es gibt eine Reihe
– das Chaos ist das Problem des anderen. sein Selbst zu formen und zu gestalten,
Wenn man sich aber auf den Menschen indem man fragt: „Wer kann ich sein?“
einlässt, passiert etwas im Inneren. Man Weiß man das denn immer so genau?
beschließt, „Er ist der Richtige“ oder „Sie Man kann leicht auf Irrwege geraten.
gehört nun zu meinem Leben“; man Wenn man die Frage stellt: „Wer kann ich
stellt sich hinter diesen Menschen. Wenn sein?“, sollte man sich nicht unbedingt
wir ein solches inneres Commitment auf sein Selbstbild verlassen. Man mag
eingehen, sagen wir: „Ich bin jetzt der sich beispielsweise sagen: „Ich bin je-
Mensch, dessen Bedürfnisse und Inter- mand, dem das Schicksal armer Men-
essen aufs Engste mit den Bedürfnissen schen am Herzen liegt. Also werde ich
und Interessen des anderen verbunden mein Leben dem Kampf für die Belange
sind.“ Die Belange des geliebten Men- von Armen widmen.“ Aber dies könnte
»Für alle, die sich in vielen Situationen
schen werden normativ für mich. Wenn nur eine Geschichte sein, die man sich unsicher fühlen und aus der engen Welt
jetzt schmutzige Teller in der Spüle ste- selbst erzählt. Wenn man dann einen an- ihrer ›Kafeetasse‹ ausbrechen möchten,
hen, sind es die gemeinsamen schmutzi- gesehenen, gutbezahlten Job aufgibt, um bietet der Ratgeber gute und vielseitige
gen Teller, es ist auch das eigene Problem. für einen Hungerlohn bei einer kleinen Hilfestellungen.« Psychologie Heute
Wenn man sich auf jemanden einlässt, wohltätigen Organisation zu arbeiten, Alle Übungen online zum Download
erschafft man für sich also neue Beweg- wird man die Entscheidung als Fehler
176 Seiten. € 29,95 D | ISBN 978-3-621-28265-9
gründe, die man vorher nicht hatte; man empfinden. Das liegt daran, dass das Auch als erhältlich
verändert sich. Und dies ist genau das, Commitment nicht authentisch war.
was wir tun müssen, wenn wir in unse- Man muss ehrlich mit sich sein, welche
rem Leben mit schwierigen Entschei- Art von Person man wirklich sein kann.
dungen konfrontiert werden: Wenn wir Wenn man eine bürgerliche Vorstadt-
uns hinter eine Option stellen, gehen wir pflanze ist, dann kann man sich vielleicht
eine Liebesbeziehung mit ihr ein. nur dazu verpflichten, jedes Jahr Geld an
Eine solche Art von Commitment, von eine Hilfsorganisation zu spenden.
Selbstverpflichtung, hat nichts mit Sie argumentieren, dass eine Alternati-
Willenskraft und Entschlossenheit zu ve wertvoller für einen wird, wenn man
tun? sich aus vollem Herzen für sie entschei-
Nein, gar nichts. Wenn man ein Com- det. Wie muss man sich das vorstellen? bildungshungrig?
mitment zu einem anderen Menschen Angenommen, man wählt den stressigen wissensdurstig?
eingeht, muss man nicht seinen Willen Powerjob in der Großstadt und nicht die
stählen und seine Zähne zusammenbei- ruhige Position in der Provinz. Indem
ßen, um den anderen zu lieben und sich man diese Entscheidung fällt, verändert
um ihn zu kümmern. Die Sorge um den man sich selbst ein wenig, denn man
anderen entspringt aus dem eigenen wird zu der Person, die sich auf den stres-
Selbst, das sich durch das Eingehen der sigen Powerjob einlässt. Es ist nicht so,
Beziehung verändert hat. Commitment dass die Welt einen verändert hat. Man
bedeutet auch nicht einfach, nach innen hat sich selbst verändert, indem man sich
zu schauen und sich zu fragen: „Was ist ganz in den Stadtjob wirft. Und während
mein größter Wunsch, mein wichtigstes die beiden Alternativen vorher gleich- Beratung | Soziale Arbeit | Therapie | Supervision
Bedürfnis?“ Etwas wollen ist eine Sache, wertig waren, stimmt das nun nicht Coaching | Mediation | MBSR- und Achtsamkeits-
zu etwas stehen eine andere. Ich kann das mehr. Der Stadtjob ist jetzt wertvoller als lehrerIn | Schematherapie | Systemisch-lösungs-
orientierte Therapie- und Beratungskonzepte
Bedürfnis haben, mein gesamtes Geld für der Landjob, und man hat in der Tat
Kunsttherapie | HeilpraktikerIn (Psychotherapie)
meine Familie zu sparen, und mich den- mehr Grund, ihn auszuüben. Oder den-
Seit über 40 Jahren berufsbegleitende Fort-
noch dazu verpflichten, ein Mensch zu ken Sie wieder an die Liebesbeziehung: bildungsveranstaltungen – viele durch Psycho-
sein, der für Bedürftige spendet. Das Indem man sich voll und ganz für einen therapeuten- und Landesärztekammer Baden-
Württemberg akkreditiert.
Commitment, das ich meine, bedeutet, Ehepartner entscheidet, erhöht man den
fortbildung1.de | Christian-Belser-Straße 79a
70597 Stuttgart | 0711/6781-421
87
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Wert, den dieser Mensch und die Bezie-
hung zu ihm für einen hat, und er wird
Indem man normative Macht nicht ausüben, sind
Drifter. Solche Treibenden erlauben der
tatsächlich zum Menschen, mit dem man
am besten sein Leben verbringt.
sich voll und Welt, die Geschichte ihres Lebens zu
schreiben. Sie lassen zu, dass Belohnungs-
Und dies führt dazu, dass man sich wei-
terentwickelt?
ganz für einen und Bestrafungsmechanismen – ein
freundliches Schulterklopfen, Angst, die
Ganz genau. Angenommen, man ist ein
narzisstischer Mensch. Dann bekommt
Partner Tatsache, dass eine Option leicht ist – be-
stimmen, was sie tun. Die Lektion, die
man ein Kind und verpflichtet sich, es
bestmöglich großzuziehen. Die eigenen
entscheidet, man aus schwierigen Entscheidungen
lernen kann, lautet also: Denken Sie dar-
Bedürfnisse und Interessen stehen nun
nicht mehr immer an erster Stelle, son-
erhöht man über nach, wofür Sie sich einsetzen kön-
nen, wofür Sie stehen können, und wer-
dern werden zum Teil von den Belangen
des Kindes zurückgedrängt. Durch das
den Wert, den Sie diese Person durch die schwieri-
gen Entscheidungen, die Sie treffen.
Commitment hat man sich verändert,
und dies erlaubt einem nun, sich auch
den er für Haben Sie selbst schon mal vor einer
schwierigen Entscheidung gestanden?
für andere Dinge einzusetzen, hinter die
man sich als Narzisst nicht stellen konn-
einen hat Als ich mit dem College fertig war, konn-
te ich mich nicht zwischen zwei Berufs-
te. Schwierige Entscheidungen bieten wegen entscheiden, Philosophie oder
uns wunderbare Gelegenheiten, uns als Recht. Ich liebte die Philosophie. Als
Individuen weiterzuentwickeln und voll Philosophin kann man faszinierende
und ganz die Geschichte unseres Lebens Dinge in Erfahrung bringen, und das,
zu schreiben. ohne seinen Sessel verlassen zu müssen.
Heißt das, wenn ich mich einmal für Aber ich stamme aus einer bescheidenen
einen Menschen, einen Beruf oder et- Immigrantenfamilie, und die Vorstel-
was anderes entschieden habe, dann lung, mein ganzes Leben damit zuzu-
werde ich auf ewig dabei bleiben? bringen, in einem Sessel zu sitzen und
Keineswegs. Man kann ein Commitment nachzudenken, erschien mir als der Gip-
wieder lösen. Vielleicht zeigt der Liebes- fel von Extravaganz und Frivolität. Weil
partner ein Verhalten, das einen zutiefst ich nicht herausfinden konnte, welche
abstößt. Man kann dann nicht mehr voll Option besser war, machte ich das, was
hinter ihm stehen. Ähnliches kann bei viele Menschen bei schwierigen Ent-
einem Job oder einem Wohnort passie- scheidungen tun: Ich entschied mich für
ren, für den man sich mal entschieden die sichere Option. Die Angst, als arbeits-
hat. Es gibt auch Menschen, die sich nur lose Philosophin zu enden, veranlasste
schwer auf Dauer an etwas binden kön- mich, Rechtsanwältin zu werden. Wie ich
nen. Sie können vielleicht immer nur dann feststellen musste, war der Anwalts-
kurzfristige Verpflichtungen eingehen. beruf nicht ganz das Richtige für mich.
Wirklich traurig finde ich Leute, die sich Ich war das einfach nicht. Heute bin ich
niemals voll für etwas einsetzen und sich Philosophin und untersuche schwierige
durch das Leben treiben lassen. Entscheidungen. PHc
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PIOF3BINFO&VSP PIOF3BINFO&VSP
NJU3BINFO&VSP NJU3BINFO&VSP
Bitte einsenden an: PSYCHOLOGIE HEUTE, Verlagsgruppe Beltz, Claudia Klinger, Werderstr. 10, 69469 Weinheim
PSYCHOLOGIE
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Telefon: 06201 / 6007-386 · Telefax: 06201 / 6007-9386 · Internet: www.beltz.de · Email: c.klinger@beltz.de
HEUTE
MEDIEN REDAKTION: ANKE BRUDER
Tony Crabbe provoziert gern: „Machen Sie sich zum Und so packt er auch seine Zuhörerinnen und Zu-
Außenseiter. Spielen Sie mit der Aussage, dass Sie hörer an ihrer eigenen Nase und gibt ihnen die gan-
niemals busy sind … und beobachten Sie die ze Verantwortung für ihre Betriebsamkeit. Laut
Schockreaktionen in den Gesichtern Ihrer Ge- Crabbe sind wir busy, weil alle anderen es auch sind,
sprächspartner“, schreibt er in seinem Buch #Busy- weil es wie eine Sucht wirkt, weil wir damit angeben
Busy. Wir hasten zur Arbeit und texten während- wollen. Und was hilft nun dagegen? Dagegen hilft,
dessen auf unserem Smartphone herum, abends wieder Souveränität über das eigene Leben zu er-
muss die Familie unsere Aufmerksamkeit mit un- langen – zum Beispiel indem wir Prioritäten setzen
serem E-Mail-Konto teilen: Der britische Arbeits- und uns klarmachen, was uns wirklich wichtig ist.
und Organisationspsychologe ist der Meinung, dass Tony Crabbe: Die schiere Menge an Informationen, Mitteilungen
#BusyBusy. Stresse dich
die allgegenwärtige übermäßige Geschäftigkeit eine und Anforderungen sei schlichtweg zu groß, um
nicht, lebe! Campus,
vollkommen freiwillige oder zumindest automati- Frankfurt am Main 2017,
mithalten zu können. „In einer Welt des Zuviel, in
sierte Verhaltensweise ist. Sein Buch schrieb er im 319 S., " 19,95 der wir unmöglich alles bewältigen können, kommt
wörtlichen Sinn als Selbsthilfebuch, weil er seinem es darauf an, eine gute Auswahl zu treffen.“
eigenen Busy-Sein etwas entgegensetzen wollte.
Nur Mut!
„In welchen Situationen wären Sie gerne mu-
tiger? Was würden Sie dann gewinnen?“ – Mit
Fragen wie diesen zielt Gracia Thum auf das,
was ihrer Meinung nach den Kern aller Verän-
derungsprozesse ausmacht: Mut. In ihrem
Buch Encourage. Mut zu Veränderung be-
schreibt sie, wie Mut und Handlungsfähigkeit zusammenhän-
gen und was wir tun können, um uns mehr zu trauen. Denn
ohne Mut geht es nicht: Wir brauchen ihn, um nein zu sagen,
um uns durchzusetzen oder neue Projekte zu starten. Thum,
die Betriebswirtschaft und Philosophie studiert hat und Coa-
chings zum Thema Mut anbietet, erklärt sehr genau die Grund-
muster der Vermeidung, die wir uns über Jahrzehnte ange-
wöhnt haben und die selbstbestimmtem Handeln im Wege Täglich grüßt
stehen. Und natürlich zeigt sie auch auf, wie wir diese ändern
können.
das Murmeltier?
Beate Handler hat der Routine den Kampf ange-
Gracia Thum: Encourage. Mut zu Veränderung. Klarheit, Entscheidungsstärke, Wirk-
sagt. Mit ihrem Buch Mach es anders! möchte sie
samkeit. BusinessVillage, Göttingen 2017, 208 S., " 24,95,–
allen helfen, die sich von lästigen Gewohnheiten
befreien und dem Alltagstrott etwas entgegen-
setzen wollen. Los geht es mit dem Kapitel „All-
tagsgewohnheiten“, in dem sie diverse Rituale
und Automatismen unter die Lupe nimmt – vom
morgendlichen Aufstehen bis zur abendlichen
Knabberei auf der Couch. In den weiteren Kapi-
teln schreibt die Psychologin und
Psychotherapeutin über die Ent-
91
Bewegung heißt
Entwicklung
Horst Lempart beschreibt in seinem jüngsten Buch,
wie wir die Ketten loswerden, die uns am Aufbruch
hindern
Ein Blick in die Vorsätze auch wirklich in die Tat umzusetzen. Die
Motivations-App Pacti vereint sämtliche genann-
pacti.de
Überlegen Sie: Habe ich die Fähigkeit, die ich
brauche, schon irgendwann einmal besessen und
genutzt? Gehen Sie in Ihrer Erinnerung so weit
zurück, bis Sie fündig werden, und sei es weit
zurück in Ihre Kindheit.
93
Achtsamkeit 3.0
Vom Geschäftsmann zum Achtsamkeitsfan: Der Film From Business to Being porträtiert
drei Menschen, die sich und ihr Arbeitsleben durch Meditation verändert haben
Das Scheitern führt den Menschen zur Selbstbesinnung. Zu- eine druckreife Botschaft nach der nächsten, „Ökonomische
mindest im Fall von Rudolf Wötzel, einem ehemaligen Invest- Transaktionen sollen von gegenseitiger Fürsorge geprägt sein“
mentbanker. Sein Tiefpunkt kam kurz nach der Jahrtausend- oder „Die aktuelle Finanzkrise ist eine Führungskrise“. Da-
wende, Wötzel handelte damals mit Milliarden bei der Deut- zwischen beschreibt Tania Singer vom Max-Planck-Institut für
schen Bank – doch sein Privatleben war eine Baugrube, sein Kognitions- und Neurowissenschaften, wie sie Meditations-
Körper ein Wrack. Heute ist er Betreiber einer Almhütte. Vor probanden durch den Kernspin schiebt, um zu sehen, ob das
schönstem Bergpanorama fängt die Kamera ihn ein, langge- Gehirn schon ein Plus an antrainiertem Mitgefühl zeigt.
streckt auf einem Felsen in der Dem Film hätte dabei ein We-
Sonne, die Wadeln in einer fe- niger an Material gutgetan:
schen Wanderhose, in sich ver- Durch die Fülle an Protagonis-
sunken, zufrieden lächelnd. Au- ten bleiben viele Statements der-
genblick, verweile doch – so sieht art verkürzt und an der Oberflä-
Achtsamkeit aus! che, dass sie an Feel-Good-Bot-
In der Dokumentation From schaften für das nächste Mana-
Business to Being begleiten Han- gerseminar erinnern. Einlullen
na Henigin und Julian Wildgru- lassen und abnicken. Nachhaltig
ber drei Führungskräfte, die alle ist das nicht.
eine Frage bewegt: Wie hält man Andere Töne schlägt die Do-
am besten das Hamsterrad der kumentation dann an, wenn sie
Arbeit an? Die Antwort: mit Me- statt Talking Heads privatere
ditation. Einblicke der Meditationsnovi-
Achtsamkeit ist spätestens seit zen zeigt. In einer Coachingsit-
Steve Jobs, der täglich meditier- zung bei Rudi Ballreich be-
te, in Wirtschaftskreisen ziem- schreibt ein sichtbar gebeutelter
lich schick. Unternehmen ser- Automanager, dass für vieles
vieren ihren Mitarbeitern in der keine Zeit bleibt, auch nicht da-
Mittagspause Yogakurse statt für, traurig zu sein. Es ist ein
Kantinenessen und schicken ihre schwieriger Drahtseilakt zwi-
Führungskräfte zu sogenannten schen dem bewussten Ideal und
Zen-Retreats in Klöster. Dort der gehetzten Realität eines
üben die Teilnehmenden be- 14-Stunden-Arbeitstages.
wusstes Atmen, lauschen den Weit weg von Trübsinn
Klängen des Gongs oder kommunizieren mit einem Busch. scheint Exbanker Wötzel in seinem neuen Job auf der Alm-
Weil das nicht jeder aus dem Stegreif hinbekommt, gibt es hütte. Hier bewirtet er Wanderer, die das idyllische Schweizer
Schützenhilfe durch Coach Rudi Ballreich, der Bedachtheit mit Alpenland durchqueren. Ein Buch hat er geschrieben über
jeder Körperpore verströmt. Torsten Müller, Gebietsleiter einer seinen ungewöhnlichen Ausstieg, in Seminaren gibt er das Ge-
Drogeriekette, ist beseelt durch die Selbsterfahrung. Sie helfe lernte weiter. Auf der Homepage der Hütte findet man neben
ihm, „tiefer hineinzugucken in die Welt“. Übernachtungspreisen im Bettenlager auch Angebote zur Un-
Caring economics nennen das Wissenschaftler. Dabei haben ternehmensberatung. Achtsamkeit 3.0 – so ganz kann der
die Filmemacher keine Mühe gescheut und viele Vertreter der Mensch wohl doch nicht aus seiner Haut. Julia Olbrich
besten Forschungsinstitute vor der Kamera versammelt, dar-
unter Quantenphysiker Arthur Zajonc, Meditationsguru Jon
Kabat-Zinn und den Dalai-Lama. Die klugen Köpfe liefern From Business to Being. DVD, Mindjazz, Deutschland 2016. 89 Minuten. "17,90
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