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PSYCHOLOGIE

PSYCHOLOGIE HEUTE compact

HEUTE compact
2017 HEFT 51 R 8,50 SFR 12,90 43254

Mut zur
Veränderung
Wie Sie eingefahrene Wege verlassen
und Ihrem Leben eine neue Richtung geben
BACHELOR ANGEWANDTE
PSYCHOLOGIE (B. Sc.)
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chologisches Fachwissen, ist gefragter denn je. Die immer dyna- Spezifische Motivationspsychologie,
mischer und komplexer werdenden Prozesse der Gesellschaft und Marketing und Werbepsychologie, Human Resources,
vor allem der Arbeitswelt führen zu einer spürbaren Zunahme von Arbeits- und Organisationspsychologie,
Angewandte Prävention und Gesundheitsförderung,
psychischen Belastungen und auch Erkrankungen. Zudem steigt
Betriebliches Gesundheitsmanagement,
das Bewusstsein für die Relevanz des Themas Gesundheit und so
Gesundheitsökonomie & Public Health,
gibt es beispielsweise immer mehr Gesundheitsprodukte und -dienstleistungen, die es zu Persönlichkeits- und Entwicklungspsychologie,
entwickeln und zu vermarkten gilt. Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Allgemeine und
klinische Psychologie, Soziologie und Sozialpsychologie
Damit steigt auch der Bedarf akademisch qualifizierter Experten mit psychologischem
+
Know-how. Damit Sie auf diese vielfältigen beruflichen Chancen vorbereitet sind, benö-
3 WAHLPFLICHTFÄCHER AUS DEN BEREICHEN
tigen Sie interdisziplinäres Wissen. Der Studiengang Bachelor Angewandte Psychologie
Betriebliches Gesundheitsmanagement, Marketing- und
(B. Sc.) deckt diesen zukunftsrelevanten Bedarf, da nicht nur psychologische, sondern auch Konsumentenpsychologie, Pädagogische Psychologie,
ökonomische und gesundheitswissenschaftliche Kompetenzen praxisnah vermittelt wer- Gerontopsychologie, Sportpsychologie
den. Nutzen Sie daher die Chance neben Ihre Berufsperspektive zu erweitern und freuen +
sich auf die vielfältigen Betätigungsfelder, die diese spannende Disziplin mit sich bringt. BETRIEBSPRAKTIKUM
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Prof. Dr. Viviane Scherenberg MPH, Dekanin Prävention und Gesundheitsförderung, APOLLON Hochschule =


Bachelor Angewandte Psychologie (B. Sc.):
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gesundheits- und betriebswirtschaftlichem Know-how
Bitte senden Sie mir kostenlose Infos zu: ktualisierungen und Änderungen der Studien- und Prüfungsordnung vorbehalten)

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Straße, Hausnummer Erziehungs- und Bildungseinrichtungen,
Akademien z. B. als Dozent/Lehrbeauftragter
Gemeinnützige Organisationen,
BN 2 8 0

PLZ, Ort
Wohlfahrtsverbände, Beratungsstellen
E-Mail z. B. als psychologischer Berater, Coach, Trainer
Faxantwort an: +49 (0) 421 378266-190 ZERTIFIKATSKURSE
U. a. Grundlagen Psychologie, Gesundheits-
Weitere Informationen unter: 0800 3427655 (gebührenfrei) psychologie, Psychologie für Führungskräfte

apollon-hochschule.de Ein Unternehmen der Klett Gruppe


Wo zieht es mich hin?
„Verlange nicht, dass alles so geschieht, wie du es wünschest, sondern sei zufrieden, dass
es so geschieht, wie es geschieht, und du wirst in Ruhe leben.“ So sprach Epiktet, ein
Philosoph der Antike aus der Schule der Stoiker. Das kann in der Tat ein weiser Rat sein.
Warum aufbegehren gegen Lebensumstände, die wir ohnehin nicht kontrollieren kön-
nen? Warum sich nicht einrichten in einem zwar nicht perfekten, doch unter dem Strich
zufriedenen Dasein?
Solche Schicksalsergebenheit kann aber auch eine bequeme, aus der Trägheit gebo- T HO M AS S AUM - AL D E H O F F
(t.saum-aldehoff@beltz.de)
rene Ausflucht sein, ein Vorwand, wider besseres Wissen und Gewissen alles beim Alten
zu belassen. Man verzichtet dann eben auf die reizvolle Stelle im Ausland, weil man
doch auch so sein sicheres Auskommen hat. Und man versucht erst gar nicht, sich das
Rauchen abzugewöhnen. Keiner kann uns verbieten, uns mit dem Status quo abzufin-
den. Aber ist es das Leben, das wir uns wünschen?
Wenn man sich nicht mehr wohlfühlt, wenn man spürt, wie man in Routine versinkt
und für nichts mehr Begeisterung zu empfinden vermag, wenn man festhängt in einem
unglücklichen Arbeitsverhältnis, einer zum Ritual erstarrten Ehe – dann hat das Auf-
begehren gegen den Stand der Dinge sehr wohl seinen Sinn.
Dann reift der Traum vom Ausbruch. Nur: Oft bleibt es beim
Traum oder beim halbherzigen Versuch. Die Natur hat uns
Wir brauchen Strategien,
darauf eingerichtet, sparsam mit unseren Energien umzugehen.
Das Gewohnte ist der Energiespargang des Lebens. Verände- um den inneren Schweine-
rungen hingegen sind ein Spritfresser. Sie kosten Kraft, und hund zu überwinden
deshalb scheuen wir sie oder fallen über kurz oder lang oft
wieder in den alten Trott zurück. Dagegen gibt es bewährte
Strategien, von denen Sie einige in diesem Heft finden werden. Sie laufen darauf hinaus,
dass man den inneren Schweinehund nicht mit eiserner Willenskraft am Halsband
hinter sich herzieht, sondern ihn überlistet, auf andere Fährten lockt: eine alte Gewohn-
heit durch eine neue ersetzt.
Eines aber brauchen wir alle, wenn wir zu Neuem aufbrechen: etwas, das uns anzieht.
Die Parole „Weg von …“ trägt nicht weit. Stattdessen sollten wir uns fragen: Wo zieht
es mich hin? Das herauszufinden ist Ziel eines Gedankenexperiments (siehe auch Seite
20 und 58): Versetzen Sie sich weit weg, in eine Idealvariante Ihrer fernen persönlichen
Zukunft: Sie sind alt, und voller Dankbarkeit schauen Sie zurück auf ein zufriedenes,
gelungenes Leben. Was war das für ein Leben? Was war sein Thema? Was an diesem
Leben hat Sie glücklich gemacht? Wer mit sich selbst in Tuchfühlung kommt, spürt,
wohin es ihn zieht. Dann ist ein Aufbruch nicht nur Abschied, sondern auch Vorfreude:
auf mein künftiges Leben, mein künftiges Ich.
In diesem Sinne könnte man dem Satz von Epiktet eine Wendung geben: „Verlange
nicht, dass alles so geschieht, wie du es wünschest …“ – aber gib deine Wünsche nicht
auf!

3
Inhalt HEFT 51

ES MUSS SICH WER WILL


ETWAS ÄNDERN! ICH SEIN?
14 Von selbst passiert nichts! 38 Im Niemandsland
AXEL WOLF URSULA NUBER

20 „Wozu will ich mich verändern? 44 Wie wir Träume erden


Und wohin?“ GABRIELE OETTINGEN
GEORG EIFERT I M GES PRÄCH
46 „Wenn ich sein werde, wer ich sein will“
24 Es steckt noch mehr in mir JO H A N N A MÜ L L E R - E B E RT I M G E S P R Ä C H
HORST CONEN
52 Warum Erwartungen hilfreich sind
26 Soll ich den Job wechseln? ANNA GIELAS
ANNE OT TO
54 Wer bin ich? Was will ich? Was soll ich?
30 Mut zum Fehler A N G L E E S E I F E RT I M G E S P R Ä C H
HEIKO E RNST
58 Der 80. Geburtstag:
32 „Trennung bedeutet einen So will ich gelebt haben!
Entwicklungsschritt“ G I T TA JA C O B
DIANA PFLICHTHO F ER I M GES PRÄCH
60 Die Vision eines besseren Ich
HEIKO ERNST

4 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


I M P R E S S U M

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Werderstraße 10, 69469 Weinheim
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Bei einigen Texten in diesem Heft handelt es sich um zum
80 Ich steh dazu! Teil überarbeitete Beiträge aus der monatlich erscheinenden
AXEL WOLF Psychologie Heute.
BILDQUELLEN

84 „Gehen Sie eine Liebesbeziehung Titel: Getty S.3: Fotostudio Fischer. S. 4, 5, 12, 14, 16, 17, 20,
21, 36, 46, 48, 64, 90: Plainpicture. S. 6, 7, 8, 10, 11, 27, 30,
mit Ihrer Entscheidung ein!“ 61, 66, 76, 91 unten, 93: Getty Images. S. 9: Pia Bublies. S. 23:
Privat. S. 24: Sabine Kranz. S. 32, 35, 38, 39, 41, 52, 70, 72,
RUTH CHANG I M GES PRÄCH
92: Photocase. S. 49: Privat. S. 44, 54, 55, 57: Edith Images.
S. 57: Privat. S. 80, 83: Linda Wölfel. S. 85, 86: Elke Ehninger.
S. 91 rechts: Alamy stock photo. S. 94: Mindjazz. S. 95: Holga
Rosen

3 Editorial PSYCHOLOGIE
PSYCHOLOGIE HEUTE compact

HEUTE compact

5 Impressum
6 Magazin
90 Medien
2017 HEFT 51 R 8,50 SFR 12,90 43254

95 Cartoon Mut zur


Veränderung Best.-Nr.: 47238
Wie Sie eingefahrene Wege verlassen

96 Markt ISBN 978-3-407-47238-0


und Ihrem Leben eine neue Richtung geben

5
MAGAZINR E D A K T I O N : E VA- M A R I A T R Ä G E R

Beweisaufnahme
Woran machen wir Veränderungen fest? Bei jedem Wan-
del gibt es einen Punkt, an dem wir die Wende spüren.
Wann das ist, hängt von der Menge an „Beweisen“ ab,
die wir wahrnehmen und als Zeichen für den neuen
Zustand interpretieren. Erst wenn sie groß genug ist,
glauben wir nicht mehr an Zufall oder übliche Schwan-
kungen. Forscher der Universität von Chicago haben
jetzt festgestellt: Für eine Veränderung zum Schlechten
verlassen wir uns auf weniger Belege, als es bei einer
Wende zum Guten der Fall ist. Das liegt vermutlich dar-
an, dass uns eine dauerhaft positive Phase weniger
wahrscheinlich erscheint als eine schlechte. Oder anders
gesagt: Glück ist zerbrechlich, Pech haftet an.

DOI: 10.1037/pspa0000070

6 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Veränderungen können auch
negativ sein. Doch wenn uns
jemand fragt, wie wir uns ver-
ändert haben, neigen wir zur
Beschönigung: Statt auch die
Ein frischer Blick
Rückschläge zu nennen, fokussieren wir uns auf
die Fortschritte. Sollen wir dagegen beurteilen, Umzüge markieren häufig wichtige Veränderungen in un-
wie andere sich gewandelt haben, fällt unser Ur- serem Leben: Wir kehren dem Elternhaus den Rücken, um
teil realistischer aus. Dass wir bei uns selbst so selbständig zu werden, lassen uns wegen eines Jobs in einer
großzügig sind, hat nachvollziehbare Gründe: Es anderen Stadt nieder, intensivieren die Bindung zum Part-
wirkt motivierend – und macht ein gutes Gefühl. ner durch eine gemeinsame Wohnung, vergrößern uns,
weil die Familie sich vergrößert hat, oder rücken nach
DOI: 10.1037/pspi0000073
einer Trennung oder einem Todesfall wieder enger zusam-
men. Jeder Umzug bringt zwangsläufig einen Ortswechsel
mit sich. Sich auf die neue Umgebung einzustellen fordert
unsere Offenheit und Konzentration – und das begünstigt
offenbar, dass wir Ereignisse, die in jener Zeit passieren,
später besser erinnern. Zu diesem Ergebnis kommt eine
Untersuchung von US-Forschern um Karalyn Enz.
Die Wissenschaftler hatten 229 Probanden im Alter von
65 bis 92 Jahren gebeten, sich an Ereignisse aus ihrem vier-
ten bis sechsten Lebensjahrzehnt zu erinnern, an Umzüge,
die in jener Zeit stattfanden sowie damit möglicherweise
zusammenhängende wichtige Geschehnisse. Das Ergeb-
nis: Je bedeutsamer ein Umzug ihnen im Nachhinein er-
schien, desto mehr Erinnerungen hatten die Teilnehmer
an jene Zeit, sogar wenn kein wichtiges Ereignis der Grund
für den Ortswechsel gewesen war und er sie rückblickend
weder materiell noch psychologisch besonders stark ge-
Wie sehr verändern wir uns im Laufe unseres Le- fordert hatte. Unbekanntes verlangt von uns mehr Auf-
bens? Eine Langzeitstudie von Forschern aus Edin- merksamkeit, erklären die Forscher; die Verarbeitung und
burgh hat Daten zur Persönlichkeit von 174 Pro- Speicherung von Ereignissen im Gedächtnis erfolgt dann
banden verglichen. Die Teilnehmer wurden erst- vertiefter. Zudem würden Ereignisse, die Umbrüche mar-
mals getestet, als sie um die 14 Jahre alt waren, kieren, häufiger abgerufen, weil sie Informationen zu un-
und dann nochmals 63 Jahre später. Besonders serer Anpassungsfähigkeit in fremden Situationen enthal-
stabil ist unsere Persönlichkeit auf diese lange Zeit ten. Dass viele Menschen sich besonders gut an Dinge aus
gesehen demnach nicht: Die Werte im Alter unter- ihrer Jugend erinnern können, liegt auch an den vielen
schieden sich deutlich von jenen, die in der Jugend „ersten Malen“, die sie in dieser Zeit erlebten. EMT
erhoben worden waren.
DOI: 10.1037/xge0000188

DOI: 10.1037/pag0000133

7
Wer über eine Trennung nach-
denkt, wägt ab: Was spricht für
die Beziehung, was dagegen?
Psychologen aus den USA und
Kanada haben jetzt Gründe ver-
sammelt, die Zweifler pro und
kontra anführen. Fürs Schlussma-
chen sprechen demnach am häu-

Morgens Weitblick, figsten emotionale Distanz, Un-


gerechtigkeit, nicht erfüllte Er-

abends Risiko wartungen und zu hohe Forde-


rungen. Für eine Fortsetzung
Je nach Tageszeit sind wir mal munter, mal müde, be- werden emotionale Intimität,
sonders konzentriert oder eher zerstreut. Das beein- Behaglichkeit, Kameradschaft
flusst indirekt auch unsere Entscheidungen. Gibt es und Freude angeführt. Die Per-
eine Tageszeit, die sich ungeachtet der individuellen sönlichkeit des Partners kann
Verfassung besser für eine Entscheidungsfindung eig- beides sein: Grund zu gehen –
net als andere? Ja, sagen Neurowissenschaftler der Uni- und zu bleiben.
versidad Torcuato Di Tella in Buenos Aires: „Am Morgen
DOI: 10.1177/1948550617722834
fällen wir Entscheidungen bedachter“, so das Fazit des
Teams um María Juliana Leone.
Die Studienleiterin, eine passionierte Schachspiele-
rin, nutzte für die Untersuchung Daten von Online-
schachspielen, die zu verschiedenen Tageszeiten statt- Sich zu ändern kostet Kraft. Dafür muss man sich
fanden. Die Wissenschaftler rekrutierten rund 100 stark fühlen. Hilfreich kann die richtige Musik sein:
Teilnehmer, die unter anderem Angaben zu ihrem Lieder mit einem hohen Basspegel vermitteln uns
Tagesrhythmus sowie ihren täglichen Routinen mach- unabhängig von ihrem Inhalt ein Gefühl der Macht.
ten, und untersuchten ihr Spielverhalten. Pro Partie Wohl deshalb werden solche Songs
muss ein Spieler demnach Entscheidungen für etwa 40 gerne bei sportlichen Wettkämpfen
Züge treffen. eingesetzt. Wissenschaftlich geprüft
„Ungeachtet dessen, ob die Freiwilligen Frühaufste- sind folgende Titel: We Will
her oder Langschläfer waren, entschieden sie sich im Rock You von Queen, Get
Laufe des Tages immer schneller und unkonzentrierter Ready for This von 2 Unlimi-
für ihre nächsten Züge“, berichtet Leone. Je später die ted und In da Club von 50 Cent.
Uhrzeit war, desto größere Risiken gingen die Spieler
DOI: 10.1177/1948550614542345
ein. Möglicherweise ist das ein Resultat des offenbar
bei allen Typen zunehmenden „Schlafdrucks“.
Anna Gielas

DOI: 10.1016/j.cognition.2016.10.007

8 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


IMMER MIT GEFÜHL
Veränderungen fallen uns oft schwer. Welche Emotionen wir während
eines Umbruchs durchleben, zeigt dieses Modell – Fluchtversuche inklusive

1. ANGST Eine Verände- 2. VORFREUDE Egal 8. FORTSCHRITT Wir finden uns


rung kündigt sich an. Wir wie wir den Status quo wieder zurecht und fühlen uns wohl.
setzen uns mit dem einschätzen: Es könnte Unser Weltbild hat sich geändert, wir
Unbekannten auseinander. besser werden. Wir haben ein neues Selbstkonzept und
„Veränderung?
Noch fehlt uns die erwarten die Verän- sind zufrieden damit
Welche
Vorstellung von einer derung mit freudiger Veränderung?“
Zukunft, in der wir anders Erregung „Das könnte
handeln als bisher funktionieren“

VERLEUGNUNG
3. FURCHT Wir spüren Wir tun so, als wäre alles
erste Einflüsse der unverändert, zeigen alte
Veränderung – das Verhaltensweisen und folgen
„Schaffe ich das?“ macht uns Sorgen. überholten Prozessen
Trotzdem schätzen wir
die Auswirkungen (noch)
„Wenigstens als eher gering ein
ändert
sich was!“ „Nicht
mit mir!“

ERNÜCHTERUNG
Wir haben das Gefühl,
„Was bedeutet
dass unsere Über-
das für mich?“
zeugungen nicht mit
der Veränderung
Ärger vereinbar sind, und ent-
„Ich sehe mich SELBSTZU-
auf andere scheiden uns gegen sie
in der Zukunft“ FRIEDENHEIT
Zustand nach (und
vor) einer Verände-
rung: Wir haben uns
an die neue Realität
gewöhnt und blicken
zuversichtlich in die
SELBSTZU- Zukunft. Was um uns
FRIEDENHEIT herum passiert, inter-
„Schlimmer
essiert uns wenig
als gedacht“

4. BEDROHUNG Wir
merken: Die Veränderung 7. AKZEPTANZ Wir
hat doch stärkere Aus- „Was habe beginnen, die neue
process-of-transition. Illustration: Pia Bublies. Text/Übersetzung: Eva-Maria Träger

wirkungen auf uns und ich getan?“ Situation in unsere Sicht


QUELLE: John M. Fisher: The process of transition, www.c2d.co.uk/techniques/

auf andere. Wir sind uns der Welt zu integrieren.


unsicher, ob wir damit Wir probieren uns darin
umgehen können aus und prüfen, wie wir
das Beste herausholen
„Wer bin ich?“

ÄRGER Bei erzwungenen


Veränderungen machen wir erst FEINDSELIGKEIT Wir folgen
andere verantwortlich. Später Strategien, die wiederholt
sind wir oft wütend auf uns erfolglos waren. Die durch
selbst, weil wir die Veränderung die Veränderung herbei-
zugelassen haben Ärger geführten Neuerungen
auf sich werden ignoriert oder
gar bekämpft

5. SCHULD Wir setzen uns „Ich bleibe


mit der Vergangenheit auseinan- trotzdem dabei“
der, unser Selbstverständnis
wandelt sich. Wir erkennen
unsere Grundüberzeugungen –
und dass wir früher dagegen
gehandelt haben 6. NIEDERGESCHLAGENHEIT Wir sind
unmotiviert und verwirrt. Wir wissen nicht mehr,
wer wir sind und wie wir uns verhalten sollen

9
LUST AUF
ETWAS NEUES?
Fünf Tipps für erfolgreiche Veränderungen

NICHT VERZICHTEN
Nehmen Sie sich eine neue Verhaltensweise vor,
zum Beispiel täglich einen Apfel zu essen. Das ist besser, als
ein bestehendes Verhalten zu unterlassen. Gewohnheiten
entstehen nur durch Handeln, nicht durch Verzicht. Etwas zu
ändern, das wir schon automatisch ausführen, ist zudem sehr
viel schwieriger, als eine neue Routine zu etablieren.

KLEINE SCHRITTE GEHEN


„Ich will mich gesund ernähren“ ist ein guter
Vorsatz. Besser ist, sich eine konkrete Maßnahme zu
überlegen. Zum Beispiel: Morgens esse ich eine
Banane. Sich zu viel vorzunehmen führt schnell zu Misserfolg, Stress!
das demotiviert. Statt den gesamten Arbeitsweg zu
Manche Menschen haben so große Versagensängste,
Fuß zu gehen, beginnen Sie also lieber mit ein, zwei
dass sie Misserfolgserlebnissen durch Selbstsabotage
Haltestellen und steigern sich später.
vorbeugen: Just vor der entscheidenden Prüfung ist so
DABEI BLEIBEN viel Dringendes zu erledigen, dass sie einfach nicht zum
Üben Sie die Aktivität, die Sie etablieren wollen, Lernen kommen. Wenn der Test dann schiefgeht, kön-
immer wieder aus, am besten in einem vorher definierten, nen sie sich sagen, dass es ja nicht an ihnen lag, sondern
immer gleichen Kontext, zur gleichen Zeit und am an den widrigen Umständen.
gleichen Ort. Essen Sie die Banane zum Beispiel immer Besonders hoch ist der Druck zur Selbstsabotage
morgens zum Frühstück zu Ihrem Müsli und bleiben
offenbar ausgerechnet zu jener Tageszeit, an der man
Sie dabei. Über die Zeit entsteht so früher oder später
eigentlich sein biologisches Leistungshoch hat, wie
eine Gewohnheit.
Psychologen der Indiana University nun in einem Ex-
GEDULDIG SEIN periment nachgewiesen haben. Teilnehmer der Unter-
Es dauert, bis neues Verhalten Routine wird. suchung waren 237 Studentinnen und Studenten, die
Bei täglichem Üben sollten Sie dafür zwei bis drei Monate entweder um acht Uhr morgens oder um acht Uhr
einkalkulieren. Ein Durchschnittswert liegt bei etwa abends einen Intelligenztest absolvieren sollten. Zuvor
zehn Wochen, je nach Aktivität kann es aber auch kürzer hatten die Forscher ermittelt, ob die Betreffenden eine
oder länger dauern. Irgendwann aber passiert das „Lerche“ oder eine „Eule“ waren, also ob sie schon am
Verhalten automatisch. Das merken Sie daran, dass frühen Morgen oder erst gegen Abend richtig auf Tou-
es Ihnen fehlt, wenn Sie mal aussetzen. ren kamen.
Das Ergebnis: War der Test für jene Tageszeit avi-
SICH SELBST BEOBACHTEN
siert, zu der die Probanden ohnehin nicht ihr Leis-
In der Lernphase kann es hilfreich sein, sich mittels
tungshoch hatten, spielte es keine Rolle, ob sie im
einer Checkliste zu kontrollieren. Tragen Sie dafür in
Alltag zur Selbstsabotage neigten oder nicht. Doch zu
einer Tabelle die Wochen 1 bis 10 als Spalten ein und
jener Tageszeit, in der sie biorhythmisch auf Höchst-
die Wochentage als Zeilen. Jeden Tag, an dem Sie geübt
leistung eingestellt waren, empfanden die Selbstsabo-
haben, haken Sie in dem entsprechenden Kästchen
tierer deutlich mehr Stress als die anderen. Offenbar
ab. In zwei weiteren Zeilen vermerken Sie erstens, ob
fühlten sie sich gerade dadurch, dass einer guten Leis-
Sie an mehr als fünf Tagen pro Woche fleißig
tung nun eigentlich nichts im Wege stehen müsste,
waren, und bewerten zweitens, wie automatisiert sich
heftig unter Druck gesetzt. TSA
das Verhalten auf einer Skala von 1 (= gar nicht)
bis 10 (= völlig) angefühlt hat. Sie werden sehen: Julie Eyink u.a.: Circadian variations in claimed self-handicapping: Exploring
Mit der Zeit wird es leichter! the strategic use of stress as an excuse.
Journal of Experimental Social Psychology, 69, 2017, 102–110.
DOI: 10.3399/bjgp12X659466 DOI: 10.1016/j.jesp.2016.07.010

10 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Terminsache
Sie möchten mehr Sport treiben, endlich regelmäßig
meditieren oder Ihre Italienischkenntnisse aufpolie- Wie gelingen Veränderungen in Unternehmen?
ren? Dann fangen Sie damit am besten nicht an ir- Ob Führungskräfte Ängste zumindest bei der
gendeinem Tag an. Suchen Sie sich ein Datum, das kritischen Menge ihres Teams ausräumen kön-
heraussticht. Wie wäre es mit dem 1. Januar? Der nen, die es für einen Wandel braucht, hängt vor
Jahresbeginn ist ein typisches Beispiel. Oder lieber der allem davon ab, wie intensiv sie mit ihren Mit-
20. März? Auf diesen Tag fällt 2018 der Frühlingsan- arbeitern kommunizieren und welcher Füh-
fang, er trennt somit die Jahreszeiten voneinander. rungstyp sie sind. Manager, die sich auf Ergeb-
Hengchen Dai, die an der Washington-Universität nisse wie Profit oder Kundenzufriedenheit fo-
in St. Louis das Verhalten von Menschen in Organi- kussieren, haben mit weniger Kommunikation
sationen erforscht, hat gezeigt: Solche Wendepunkte eher Erfolg als solche, die mehr Wert auf per-
sind ein guter Ausgangspunkt für Verhaltensänderun- sönliche Beziehungen legen. In größeren Unter-
gen. Die sogenannten temporal landmarks bieten ei- nehmen verringert zu viel Kommunikation die
nen sauberen Schnitt zwischen Vergangenheit und Zustimmung zudem eher.
Gegenwart. Wir können unsere früheren Verfehlun-
DOI: 10.1016/j.econmod.2017.09.001
gen und Unzulänglichkeiten abhaken und daran ar-
beiten, es besser zu machen. Hengchen Dai nennt das
den Neustarteffekt. In einem Experiment mit insge-
samt 165 Probanden zeigten Dai und ihre Mitautoren,
dass Teilnehmer den 20. März tatsächlich als beson-
ders bedeutungsvoll für einen Neustart ansahen, wenn
dieser Tag im Vergleich zur bloßen Kennzeichnung als
„dritter Donnerstag im Monat“ als „erster Tag des
Frühlings“ angekündigt wurde.
In einer weiteren Studie beobachteten die Wissen-
schaftler in einem Fitnessstudio, dass die Nutzungs-
zahlen dort um einprägsame Daten herum tatsächlich
zunahmen. Diese Informationen seien, so Dai, auch
für Betriebe relevant: Mitarbeitersport oder Weiter-
bildungsangebote sollten demnach gezielt an auffäl-
ligen Terminen beginnen. JK

DOI: 10.1177/0956797615605818

Veränderungen inspirieren: Wir bewundern Perso-


nen mehr, denen es gelungen ist, Drogen oder das
Glücksspiel aufzugeben, als solche, die dieses Ver-
halten niemals gezeigt haben. Offenbar unter-
schätzen wir, wie viel Energie es kosten kann, dau-
erhaft „gut“ zu sein, und sehen nur den Aufwand,
den eine Entwicklung aus dem „Schlechten“ erfor-
dert.

DOI: 10.1037/pspa0000088

11
12 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t
ES MUSS SICH
1
ETWAS ÄNDERN!
Das Leben ist nur noch Routine, alles kommt einem fade vor.
Es gibt diese Punkte, an denen man das Gefühl hat: Es muss
sich etwas ändern, ein Neuanfang muss her! Doch gleichzeitig
regt sich Angst vor dem Unbekannten, dem Zurücklassen des
Vertrauten. Wer Neues wagt, sollte sich selbst befragen und ge-
danklich vorbereiten. Dann kann der Aufbruch Kräfte freisetzen
VON SELBST
PASSIERT NICHTS!
Wenn das Leben nur noch aus Routine besteht, wenn der Job öde
und die Beziehung in der Sackgasse gelandet ist – dann wird es Zeit,
etwas zu verändern. Warum nur fällt uns das so schwer?
VON AXEL WOLF

D
as Leben verläuft in einer Sackgasse gelandet zu sein: Der gement hat durchaus seine Vorteile. Alles
weitgehend geregel- Status quo lässt die eigene Persönlichkeit ist irgendwie geregelt, sicher und über-
ten Bahnen. Man hat stagnieren. Man ist festgefahren. schaubar. Es ist nicht gerade toll, aber
sich etabliert und in Dieses Gefühl kann den Lebensstil als auch nicht dramatisch schlecht. Immer-
stabilen Verhältnissen ganzen betreffen oder die Beziehungen hin werden bestimmte Bedürfnisse be-
eingerichtet. Eigentlich ein erstrebens- zu wichtigen anderen Menschen. Beson- friedigt – das nach Zugehörigkeit etwa
werter Zustand – nach unruhigen Lehr- ders oft taucht es in den beiden wesent- oder nach Sicherheit. Eine Zeitlang redet
und Wanderjahren, nach emotionalen lichen Bereichen des Lebens auf – Liebe man sich ein: So ist das Leben eben –
Tumulten in der Jugend und frühen Er- und Arbeit: Der Job, der nur eine Zwi- man kann nicht alles haben.
wachsenenzeit gilt ein gewisses Maß an schenstation sein sollte, ist zur Endstati- Bis zu einem gewissen Punkt. Bis das
Stabilität in allen Kulturen als Merkmal on geworden. Er ist nur noch langweili- Gefühl überhandnimmt, auf einem to-
psychischer Reife. ge Routine oder unterfordert Sie. Sie ten Gleis zu stehen. Was einmal an-
Und doch: Das Arrangement ist oft haben sich dem Partner entfremdet, je- nehmbar, manchmal sogar angenehm
mit einem leisen, aber nicht mehr zu der hat sich seine eigene Parallelwelt erschien, wird allmählich unerträglich:
ignorierenden seelischen Schmerz er- aufgebaut, „nichts geht mehr“. Trotzdem Es bedrückt immer mehr, wenn man
kauft, mit faulen Kompromissen, mit vermeiden Sie den endgültigen Bruch. sich frustriert, gelangweilt, ausgenutzt
einem Verzicht auf etwas Wesentliches, Wer sich in einer solchen oder ähnli- und hingehalten fühlt. Grund genug,
mit einem grundsätzlichen Unbehagen. chen Situation wiedererkennt, steckt in ins Grübeln und Zweifeln zu geraten.
Immer öfter regt sich der Verdacht, in einer Bequemlichkeitsfalle. Das Arran- Woran lässt sich die Stagnation erken-

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nen? In einer Bequemlichkeitsfalle ge- schen wissen oder ahnen zumindest, dass
landet ist: sie vergeblich warten – und trotzdem Damit die
• wer regelmäßig und immer öfter über können sie sich nicht aufraffen.
Alternativen nachdenkt, andere um ihr Das physikalische Gesetz der Schwer- Bequemlich-
Glück beneidet oder von einem „ganz kraft scheint auch in der Psyche zu herr-
anderen Leben“ fantasiert schen: Menschen verhalten sich wie eine keit nicht
• wer häufig Gefühle von Wut, Ärger träge Masse, sie bleiben gerne, wo sie
oder Frustration „um des lieben Frie- sind. Sie schätzen stabile Lagen und siegt: mentale
dens willen“ unterdrückt scheuen Unsicherheit, denn jede Bewe-
• wer sich in einem wichtigen Bereich gung ist riskant und kostet zudem Ener- Disziplin
seines Lebens immer häufiger lang- gie und Arbeit. Das momentane Arran-
weilt und Unlust und innere Leere gement in der Bequemlichkeitsfalle ist
empfindet ein „Übel, das wir kennen“, wie Hamlet
• wer sich dabei ertappt, wie er sich sagte, und das wir deshalb trotz aller
selbst für seine Schwäche, Bequem- Schmerzen und Bedenken lieber ertra-
lichkeit oder Feigheit verachtet. gen, als den Sprung ins Ungewisse zu
riskieren.
Warum fällt es Menschen so schwer, ge-
gen den Stillstand aufzubegehren? Sie Wie wir selbst
fürchten, das sorgsam austarierte Gleich- Änderung blockieren
gewicht zu verlieren, das trotz allem Wi- Einer der meistbenutzten Tricks, die Sta-
derwillen erträglich scheint. Sie fürchten, gnation zu versüßen, besteht darin, sich
dass ihnen Enttäuschung und Unver- in Fantasien und Tagträume zu flüchten.
ständnis entgegenschlagen würden, Dort findet man Ersatzbefriedigung und
wenn sie das Arrangement aufkündigen. Trost. Und nicht selten wird die verfah-
Sie fürchten den Schmerz, den eine Tren- rene Lage schlicht geleugnet oder ratio-
nung von nahestehenden Menschen mit nalisiert. Auch durch Ablenkungen und
sich brächte. Zerstreuungen wie übermäßiges Fernse-
Um jede Bequemlichkeitszone ver- hen, Essen, Trinken, Flucht in Arbeit oder
läuft ein unsichtbarer Elektrozaun – er Sport betäuben oder überspielen wir die
teilt demjenigen heftige Schläge aus, der unangenehmen Gefühle, die in der Be-
die Grenzen überschreiten will. Dieser quemlichkeitsfalle auszuhalten sind.
Zaun ist aufgeladen mit negativen Ge- Ein beliebtes Ausweichmanöver be-
fühlen, vor allem mit Furcht – der Furcht steht darin, einen Schuldigen für die ei-
vor Unruhe, Veränderung, Streit, Tren- gene Situation zu finden. Chronisches
nung und den damit verbundenen Kon- Klagen und Jammern – über die Unein-
sequenzen und Schmerzen. sichtigkeit oder Unverschämtheit ande-
Die Bequemlichkeitszone gleicht rer, die uns das Leben schwermachen –
manchmal auch einem großen Warte- erfüllt momentane Bedürfnisse. Doch
saal: Man leidet still vor sich hin und auf Dauer ist es fatal, denn es zementiert
hofft darauf, dass der richtige Zug noch das Verharren in Unzufriedenheit: Man
kommt, dass etwas „von selbst“ passiert, jammert, aber greift nicht zum Telefon,
dass einem jemand die Entscheidung um dem ständig lärmenden Nachbarn
abnimmt, den Job oder den Partner zu endlich Bescheid zu stoßen, man schiebt
wechseln, dass der Vater sich endlich aus den Auszug aus der viel zu teuren Woh-
dem Geschäft zurückzieht, dass der nung immer wieder auf.
längst erwachsene Sohn dann doch ir- Gegen diese Vermeidungs- und Ver-
gendwann auszieht. Die meisten Men- leugnungsstrategien hilft mentale Diszi-

16 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


plin. Es geht darum, den gefühlsgesteu-
erten Verdrängungsmechanismen kog-
nitive Prozesse höherer Ordnung entge-
genzustellen: selbstkritisches Urteilen,
Planen, Entscheiden. Die negativen
Gefühle, die den Elektrozaun um die
Bequemlichkeitsfalle aufladen, bremsen
und lähmen uns. Mentale Disziplin re-
lativiert, konterkariert und entschärft
diese Gefühle.
Oft wissen wir sehr genau, was wir
tun müssten, um uns aus der Falle zu
befreien – aber erst mit mentaler Diszi-
plin können wir das Problem in hand-
habbare Teile zerlegen, können einen
konkreten Plan entwerfen und erste
Schritte tun, uns etwa einen Termin
beim Chef geben lassen. Noch ist die
Angst mächtig, aber wir können testen,
wie stark der Zaun wirklich geladen ist,
wir wagen es, Kritik zu formulieren –
und was einmal ausgesprochen ist, ist in
der Welt. Es kann hilfreich sein, die ei-
genen Ängste und Befürchtungen auf-
zuschreiben, aber auch, die zu kurz ge-
kommenen Ziele und Wünsche zu Pa-
pier zu bringen.
Mentale Disziplin hilft beim kriti-
schen Rückblick: Wie ist man überhaupt
in die Falle hineingeraten? Ist das ein
typisches Verhaltensmuster? Es geht da-
rum, seine möglicherweise nur halb be-
wussten Motive und Bedürfnisse und
deren Einfluss auf die gegenwärtige Le-
benssituation zu erkennen. Diese Selbst-
prüfung sollte jedoch nicht in eine Na-
belschau ausarten, denn die ausdauern-
de Beschäftigung mit sich selbst und mit
dem Gewordensein kann als Alibi fürs
Nichthandeln dienen. Dann wird sie ih-
rerseits zur Bequemlichkeitszone.
Mark Twain sagte: „Geschichte wie-
derholt sich nicht, aber sie reimt sich.“
Das heißt: Man kann sich einen Reim
auf die gegenwärtige Lage machen, wenn
man sich einigen autobiografischen Fra-
gen stellt: Gibt es ein Lebensthema oder
Leitmotiv, das zielsicher in diese Falle

17
geführt hat? Gab es frühe Erfahrungen ra der Selbstermutigung, entfaltet seine Die Falle der Ambivalenz
wie schmerzhafte Trennungen oder Lie- eigene Dynamik und lässt uns nicht mehr Andere sind zwischen unvereinbaren
besentzug? Haben Versagensängste eine los. Es ist deshalb alles andere als ein wol- Wünschen hin- und hergerissen: Sie hät-
Rolle gespielt, oder galt (und gilt) es, el- kiger, tröstlicher Tagtraum. Die positive ten gerne beides, die Geborgenheit einer
terliche „Aufträge“ zu erfüllen? Warum Vision sollte uns wirklich dazu antreiben, vielleicht stagnierenden, aber doch funk-
ist die Sicherheit so wichtig? Genießt ein altes Szenario gegen ein neues, besse- tionierenden Ehe und den Thrill, den der
man es, gebraucht zu werden und sich res einzutauschen. neue Partner bietet; sie schätzen die Si-
für andere aufzuopfern? Warum kann Das neue Leben ist nur zu haben, cherheit des langweiligen oder schlecht
man es so schlecht ertragen, wenn einem wenn man das alte hinter sich lässt und bezahlten Arbeitsplatzes – immerhin
jemand böse ist? eine Entscheidung trifft: Wer nur von kann man die Miete und die Brötchen
Das Ziel der Selbstbefragung liegt einem interessanteren Job träumt, aber bezahlen – und sehnen sich doch nach
nicht darin, Schuldzuweisungen oder einer vielleicht riskanten, aber interes-
Pseudoerklärungen für die eigene Passi- santen und kreativen Aufgabe.
vität zu finden, sondern darin, eigene Man will Ambivalenzen erschweren häufig das
Anfälligkeiten und Schwächen zu erken- Entwerfen einer besseren Zukunft: Man
nen und im Lichte dieser Selbsterkennt- etwas – und will etwas – und doch auch wieder nicht.
nis eine Vorwärtsstrategie zu formulie- Soll man aus der teuren, lauten Stadt-
ren. Wer beispielsweise herausfindet, doch auch wohnung aufs Land ziehen? Natürlich,
dass ihn die eigene Konfliktscheu immer für die Kinder wäre es besser, auch für
wieder in Fallen manövriert hat, kann wieder nicht. die Gesundheit und die Seelenruhe. Und
sich auf diesen Punkt konzentrieren und billiger wäre es auch. Einerseits. Aber an-
seine Konfliktfähigkeit gezielt trainieren. Wie sieht das dererseits: Ist das Landleben wirklich so
schön? Wird man nicht vieles vermissen
Das Ziel weist den Weg positive Ziel – etwa die Unterhaltungs- und Einkaufs-
Um wirklich in Bewegung zu kommen, möglichkeiten der Stadt?
brauchen wir nicht nur Disziplin, son- wirklich aus? Das eigene Geschäft aufmachen, ein
dern vor allem ein positives Ziel. Wie Jahr Auszeit nehmen und den Roman
sieht „das bessere andere“ aus? Welche endlich schreiben, den Wunsch nach
Hoffnung kann uns auf dem Weg dorthin nicht bereit ist, wegzuziehen und viel- dem zweiten Kind nicht länger vertagen:
antreiben? Wir müssen eine Vision von leicht härter zu arbeiten, ist mit sich Unser Unbewusstes lässt immer wieder
unserem Leben nach der Veränderung längst noch nicht im Reinen. Wer endlich Bilder eines anderen Lebens aufsteigen,
entwerfen, die als Attraktor wirkt und mal auf den Tisch hauen will und trotz- und manchmal gibt es Augenblicke ab-
uns über die vermuteten und befürchte- dem jedermanns Liebling bleiben möch- soluter Klarheit und Sicherheit. Dann
ten Schwierigkeiten hinwegzieht. te, bleibt in der Falle. Und wer gerne wissen wir, was wir wollen, aber immer
Die Bequemlichkeitsfalle übt ihren schlank und gesund wäre, aber jeden noch zweifeln wir: Reicht das schon? Ma-
Sog nur so lange aus, bis das innere Bild Abend seine Fressattacken am Kühl- chen wir uns etwas vor? Haben wir uns
des Besseren uns magisch anzieht. Je schrank auslebt, hat noch keine motivie- beispielsweise wirklich genügend ange-
deutlicher und detaillierter man sich ein rende Vision vom fitteren Ich. strengt, um das alte Arrangement zu ver-
Ziel ausmalen kann, umso leichter fällt Mit der entscheidenden Frage, die je- bessern und zu retten?
es, sich in Bewegung zu setzen. Deshalb der positiven Vision zugrunde liegt, tun Es ist wichtig, sorgfältig abzuwägen,
muss das Ziel positiv formuliert sein – sich viele schwer: Was will ich wirklich? aber nicht endlos. Irgendwann wirken
also nicht: „Ich will diese ewige Gängelei Manchmal hat die Bequemlichkeitsfalle auch noch so detaillierte Pro-und-Kon-
nicht länger ertragen“, sondern: „Ich will alles Träumen und Begehren erstickt. Leo tra-Listen nur noch wie ein rührender
endlich wieder frei und kreativ arbeiten!“ Tolstoi schrieb: „Langeweile ist das Be- Versuch, „objektiv“ zu einem Urteil zu
Die positive Vision erhält allmählich auch gehren nach Begehren.“ Verschüttete kommen und die Entscheidung doch ir-
den Charakter einer Selbstverpflichtung: Lebensziele und verdrängte Wünsche gendwie zu delegieren. Worauf also
Ein Ziel, das in Worte und Sätze gefasst müssen erst wieder ins Bewusstsein ge- kommt es an?
ist, vielleicht sogar in ein griffiges Mant- hievt werden. • Bevor man eine Beziehung, einen Job,

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eine Freundschaft, einen Lebensstil für heit, Loyalitäten, emotionale und geistige Enttäuschung kann der Betroffene sich
klinisch tot erklärt und sich endgültig Bindungen. Und doch gehört eine ganze damit auseinandersetzen. Zum anderen
abwendet, sollte man noch einmal prü- Serie von Trennungen und Abschieden können die Auswirkungen, die der eige-
fen: Gibt es Lebenszeichen, die man zum Prozess der Individuation: Wir kön- ne Schritt hat, viel realistischer gesehen
übersehen hat? Gibt es irgendetwas, nen nur zu selbständigen und autono- werden. Darüber sprechen heißt nicht:
was es wert ist, das Arrangement zu men Erwachsenen werden, wenn wir um Erlaubnis fragen. Es ist der Versuch,
erhalten? Fällt diese Prüfung jedoch bereit sind, immer wieder Abschied zu um Verständnis zu werben und dem Be-
negativ aus – keine Lust, keine Freude, nehmen. troffenen eine Chance zu geben, sich
keine Hilfe, kein Interesse mehr, nur Zu den Verlusten, die uns das Verlas- darauf einzustellen.
noch emotionale Leere und absolute sen der Bequemlichkeitsfalle erschweren, Loslassen kann auch bedeuten, einen
Lustlosigkeit –, dann gilt: time to say zählt das „alte Ich“: Das bisher gültige Kampf einzustellen, den man nicht mehr
goodbye! gewinnen kann – etwa um die Liebe eines
• Wie groß ist der emotionale Druck, wie Menschen oder um Anerkennung. Es
groß ist der Schmerz, den die Falle ver- Wir müssen kann bedeuten, sich von einer fixen Idee
ursacht? Chronischer Schmerz bedeu- zu verabschieden („Und ich werde doch
tet: Es ist höchste Zeit für die Verände- auf etwas Schauspielerin!“), um so die Freiheit für
rung. Neues zu gewinnen.
• Nur Taten zählen. Versprechungen verzichten und Aufbrechen aus der relativen Be-
sind nichts wert: Wenn die handelnden quemlichkeit einer Sackgasse, aus dem
Personen in unserer Bequemlichkeits- Ängste ertragen, Arrangement im toten Winkel, aus einer
falle nur in Worten, nie in Taten ihr existenziellen Flaute ist keine leichte Sa-
Interesse an uns zeigen, haben wir ein um neue che. Wir müssen auf etwas verzichten,
eindeutiges Indiz: Der Gatte, der nach um neue Chancen zu nutzen und uns
dem ersten, zweiten und auch nach Chancen weiterzuentwickeln. Wir müssen Ängste
dem dritten Seitensprung Besserung ertragen und mit dem Trennungs-
gelobt, der Chef, der uns vier Jahre lang zu nutzen schmerz leben, und wir müssen irgend-
auf die nächste Gehaltserhöhung ver- wann springen – ohne Garantie auf eine
tröstet – sie halten uns für schwach und gute Landung. Und doch ist diese Bereit-
ängstlich. Oder schlicht für dumm. Selbstbild muss revidiert werden, wir schaft das Merkmal eines gelingenden
sind nicht mehr die treusorgende Gattin, Lebens: Hermann Hesse formulierte es
Scheiden tut weh! der loyale Mitarbeiter, der gute Freund in seinem Gedicht Stufen so:
Die letzte Hürde vor dem großen Sprung oder die pflegeleichte Schwiegertochter.
ist – das Loslassen: Wir müssen unwei- Für manche Veränderungswillige ist die Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
gerlich etwas aufgeben, jemanden zu- Aufgabe des bis dato gepflegten Image oft Bereit zum Abschied sein und
rücklassen, eine Bindung kappen. Schon das Schwerste – Status, Prestige, Beliebt- Neubeginne,
kleinere, im Grunde unbedeutende Ver- heit sind ans Bleiben gekoppelt. Um sich in Tapferkeit und ohne
änderungen versetzen uns manchmal Andere werden eher umgetrieben von Trauern
erstaunliche emotionale Stiche: Wenn der Frage, wie sehr sie nahestehende In andre, neue Bindungen zu geben …
wir die Zahnärztin oder den Bäcker Menschen verletzen, kränken oder gar Kaum sind wir heimisch einem
wechseln, weil wir umziehen, wird uns ins Unglück stürzen, wenn sie gehen. Der Lebenskreise
plötzlich etwas wehmütig ums Herz, und antizipierte fremde Schmerz und die da- Und traulich eingewohnt, so droht
die Abschiedsparty im Büro lässt selbst mit verbundenen enormen Schuldge- Erschlaffen.
ungeliebte Kollegen als vertraute Wegge- fühle sind das Haupthindernis. Wichtig Nur wer bereit zu Aufbruch ist und
fährten erscheinen. Wir tun uns schwer ist in diesem Fall, die Veränderungsab- Reise,
mit Abschieden. sicht anzusprechen, sie mit den Betroffe- Mag lähmender Gewohnheit sich
Besonders dann, wenn wir etwas nen zu bereden. Zum einen liegt dann entraffen …
wirklich Wichtiges aufgeben müssen – das Thema offen auf dem Tisch – nach Wohlan denn, Herz, nimm Abschied
Geld, Sicherheit, Lebensstile, Vertraut- anfänglicher Verärgerung, Angst oder und gesunde! PHc

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„Wozu will
ich mich
verändern?
Und wohin?“
Der Drang, sich und sein Dasein
verändern zu müssen, hat oft etwas
Verbissenes. So verkrampft wird das
nichts, meint der Psychotherapeut
Georg Eifert im Interview. Eine
zunächst makaber anmutende
Übung hilft, zu spüren, welches
Leben man wirklich führen möchte

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Herr Eifert, haben Menschen, die eine Psychotherapie be-
ginnen, oft das Bedürfnis, ihr Leben radikal zu verändern,
etwa nach dem Motto „So kann es nicht mehr weitergehen“?
Nicht direkt. Meist beginnen Menschen eine Therapie, weil sie
ganz bestimmte belastende Gedanken und Gefühle wie Angst,
Unzufriedenheit, Niedergeschlagenheit loswerden wollen.
Aber natürlich stellt sich da die Frage, wo diese „schlechten
Gefühle“ eigentlich herkommen. Nach meiner Erfahrung sind
sie Ausdruck dessen, dass die Betreffenden nicht mehr so leben,
wie sie eigentlich leben wollen – oder noch nie in ihrem Leben
überhaupt damit angefangen haben, das zu tun, was wirklich
ihren Lebenswerten entspricht. Die Symptome sind also nur
die Oberfläche. Leider sind die Menschen jedoch oft total fi-
xiert auf diese Symptome, sie stellen sie in den Mittelpunkt
ihres Lebens. Sie meinen: „Ich muss diese Angst, diese Nieder-
geschlagenheit, diese Wut oder was auch immer in den Griff
kriegen, und erst wenn mir das gelungen ist, dann werde ich
endlich leben können, wie ich will!“
Da ist doch etwas Wahres dran, oder?
Nein, es ist genau andersherum. Es ist zwar verständlich, dass
Menschen quälende Symptome loswerden wollen, aber so
funktioniert das nicht. Wenn jemand unzufrieden ist und das
Gefühl hat, auf der Stelle zu treten, dann liegt das daran, dass
sie oder er nicht nach seinen Werten und Lebenszielen lebt.
Viele haben noch nie darüber nachgedacht, und es ist ihnen
nie ins Bewusstsein getreten: „Was will ich eigentlich mit mei-
nem Leben machen, wofür soll mein Leben stehen?“ Das ist
die erste Frage, der wir in ACT, also in einer Akzeptanz- und
Commitmenttherapie nachgehen: Was funktioniert in meinem
Leben nicht oder nicht mehr? Dieser ganze Kampf gegen die
Symptome, gegen das, was sich da im Kopf und im Körper
abspielt, ist ein großer Teil des Problems: Man geht beispiels-
weise gegen seine Angst an, als ob sie der Feind wäre. Man
meint, wenn man diesen Feind nicht besiegt, bricht alles zu-
sammen. Es ist aber sinnlos, gegen ein Gefühl, eine Eigenschaft,
eine Neigung, eine Angewohnheit anzukämpfen. All diese
Dinge können sich erst dann verändern, wenn man sie zuvor
akzeptiert hat, statt sie zu bekriegen.
Akzeptieren heißt: sich damit abfinden?
Überhaupt nicht. Umgangssprachlich hat das Wort „akzeptie-
ren“ gerade im Deutschen einen resignativen Beigeschmack,
so etwa nach dem Motto „Das musst du halt akzeptieren!“ im
Sinne von „Da kann man nichts machen!“. In diesem Sinne ist
„akzeptieren“ in unserer Therapie ganz und gar nicht gemeint.
Sondern wir meinen damit: annehmen. Das ist ein viel besse-
res Wort. Also: Gedanken, Empfindungen, Bewertungen, Ge-
fühle annehmen als das, was sie sind. Gedanken sind flüchtig,
sie kommen und gehen wie Züge am Bahnsteig oder Wolken
am Himmel. Und auch Gefühle verändern sich ständig, wenn
wir mal drauf achten. Wir können den Strom unserer Emp-

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findungen und Gedanken kaum verändern, und wir verschlim- eigenen Grab und betrachten die Inschrift auf dem Grabstein.
mern nur unseren Zustand, wenn wir es verbissen versuchen. Nun stellen Sie sich vor, was dort nach einem langen Leben
Wir können sie doch einfach beobachten und dann weiterzie- über Sie geschrieben stehen soll: ein Motto, das kurz und prä-
hen lassen. gnant ausdrückt, wofür Ihr Leben gestanden haben soll.“
Wo soll ich aber denn nun ansetzen, wenn ich mich verän- Es würde mir schwerfallen, darauf eine Antwort zu finden.
dern will? Das fällt vielen Menschen im ersten Moment schwer. Dazu
Veränderung ist kein Kampf. Es kommt nicht darauf an, wie muss man sich hinsetzen, die Augen schließen – und dann in
beim Seilziehen immer mehr Kraft aufzuwenden, um irgend- der Tat vor allem aufs Herz hören. Soll auf dem Grabstein
einen inneren Gegner zu besiegen. Die Lösung besteht vielmehr stehen „Er hat anderen geholfen“, „Er war ein guter Vater“?
darin, das Seil fallenzulassen, loszulassen. Positive Veränderung Steht bei dem Lebensmotto die Familie im Vordergrund? Die
kommt von innen und bedeutet erstens: Partnerschaft? Oder hat es etwas mit Kre-
dass man immer größere Teile von sich ativität zu tun, etwa: „Er war ein begeis-
annimmt, ohne ständig dagegen zu kämp- terter Musiker.“ Was liegt mir im Leben
fen. Und sie bedeutet zweitens, dass man Veränderung am Herzen? – Ich habe diese Übung be-
Schritt für Schritt immer mehr so lebt, wie stimmt Hunderte von Malen zum Beispiel
es den eigenen inneren Werten entspricht. ist kein Kampf. mit Workshopteilnehmern gemacht. Es
Je mehr mir das gelingt, desto wohler wer- kommt fast immer eine Antwort. Niemals
de ich mich in meiner Haut fühlen. Die Es kommt nicht lautet jedoch das Motto, das da auf dem
allererste Frage, die ich mir also stellen Grabstein stehen soll, „Er war angstfrei“
muss, ist: Wozu will ich mich überhaupt darauf an, oder „Er hat sich immer gut gefühlt“ oder
verändern? Und wohin möchte ich mich „Er hat immer gut geschlafen“. Also all das
verändern? Dieser entscheidenden Frage viel Kraft auf- vermeintlich Drängende, weswegen Men-
gehen wir gleich zu Beginn der Therapie schen zum Psychologen gehen, schreibt
nach, in der ersten oder zweiten Sitzung: zuwenden. sich letztendlich niemand auf den Grab-
Wo sollen Ihre Füße Sie hintragen? Was stein. Selbst ein Mädchen mit Magersucht
wollen Sie wirklich aus Ihrem Leben ma- Die Lösung be- stellt ihr Leben nicht unter das Motto „Sie
chen? wog nur 30 Kilo“ – obwohl ihr doch im
Ich könnte Ihnen auf Anhieb nicht sa- steht vielmehr Augenblick die Gewichtskontrolle das
gen, was meine Werte, mein persönliches Wichtigste überhaupt zu sein scheint. Die
Lebensziel denn eigentlich sein könnte. im Loslassen Übung mit dem Grabstein bewirkt also,
Wie finde ich das heraus? Indem ich in dass man die gegenwärtigen Probleme
mich hineinlausche? transzendiert und mit ihnen den Sumpf,
Ja und nein. Die innere Beobachterpers- in dem man zu stecken glaubt. Angesichts
pektive, von der ich eben gesprochen habe – also der Ort, von des Todes, auch wenn man ihn sich bloß vorstellt, wird vieles
dem aus ich aus der sicheren Distanz den eigenen Gedanken klar: Was ist nur vermeintlich wichtig, und was ist mir wirklich
und Empfindungen beim Vorüberziehen zuschaue, ohne mich wichtig in meinem Leben? Das ist eine ganz zentrale und oft
von ihnen vereinnahmen zu lassen –, hat wenig mit dem klas- lebensverändernde Erfahrung.
sischen In-sich-Hineinhören zu tun. Wenn wir im Alltag in Und dann?
uns hineinlauschen, erfahren wir meist nur, was das Organ Wenn Ratsuchende Kontakt aufnehmen mit dem, wofür ihr
zwischen unsren Ohren uns so auftischt: „Du musst etwas aus Leben stehen soll, dann ist es Aufgabe des Psychologen, von
deinem Leben machen!“ „Du hast nichts erreicht!“ „Du kannst diesem Lebenswert ein konkretes Ziel abzuleiten und dann –
sowieso nichts!“ Dieser ganze Kram im Kopf ist natürlich we- ganz klassisch – in einem Verhaltensplan mit vielen Übungen
nig hilfreich. So abgegriffen sich das anhört: Wirkliches In- die Schritte dorthin zu skizzieren. Ein Beispiel: Eine Patientin,
sich-Hineinhören heißt, auf sein Herz zu hören. Und das Herz die schwere Panikanfälle bekam, sobald sie das Haus verließ,
spricht nicht in Worten. hatte in der Therapie als ihr Lebensmotiv entdeckt: „Ich möch-
Wie weiß ich dann, wo das Herz mich hinzieht? te eine gute Mutter sein!“ Daraus haben wir dann gemeinsam
Eine Übung, die wir sehr häufig in Therapiegruppen machen das konkrete Verhaltensziel extrahiert: „Ich möchte am Schul-
und die auch in meinem eigenen Leben noch immer einen konzert meiner Tochter teilnehmen.“ Das – und nicht etwa
hohen Stellenwert hat, ist die Grabsteinübung: „Versetzen Sie das Ziel, die Angst zu besiegen – war es, was die Frau auf dem
sich etliche Jahrzehnte in die Zukunft. Sie stehen vor Ihrem anstrengenden Weg dorthin motiviert hat.

22 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


puls e fü r
Und am Ende eines solchen Prozesses hat man dann sich
Im n
selbst verändert und ist ein besserer Mensch geworden?

n d er un ge
Verä
Um Himmels willen! Selbstveränderung ist ein viel zu großes
Wort. Das Selbst braucht auch überhaupt nicht verändert zu
werden. Das wirkliche Selbst, das tief in uns steckt, ist vollkom-
men okay. In der humanistischen Psychologie gibt es den schö-
nen alten Ausdruck „Selbstverwirklichung“, self-realization.
Mit diesem Selbst ist nicht das oberflächlich, eitle Ego gemeint,
sondern das Ich hinter alledem. An diesem Selbst brauche ich
nicht zu arbeiten, ich muss es spüren und leben. Wenn Men-
schen meinen, sie müssten mit Gewalt sich und ihr Leben ver-
ändern, dann ist das wie das erwähnte Zerren am Seil. Die
Antwort ist: loslassen. Wir können lernen, sanfter mit uns selbst
umzugehen. Diese Gelassenheit kann man üben. Die beste Me-
thode dazu ist Meditation. Neue
Welche Art von Meditation empfehlen Sie?
Auflage
Achtsamkeitsbasierte Meditation und Mantrameditation. Wir Arbeitsmaterial
verwenden eine Übung, die wir die „Ich bin“-Mantramedita- online
tion nennen. Wenn Sie sich fragen, „Wer bin ich?“, wird Ihr
Gedankenapparat zunächst prompt mit Selbstbeschreibungen
kommen wie „Ich bin eine ängstliche Frau“, „Ich bin ein freund-
licher Mensch“, „Ich bin nicht gut in Mathe“ und so weiter.
Manchmal sind die Antworten nicht bloß Einwortsätze, son-
dern lange Geschichten, die in die Vergangenheit und Zukunft Ärgert es Sie manchmal, dass Ihnen Ihre Gefühle und
ausholen und erzählen, wie Sie angeblich zu der Person wurden, eingefahrene Reaktionsmuster in die Quere kommen?
die Sie heute sind, und wer Sie einmal sein werden. Es ist nichts Reagieren Sie in bestimmten Situationen immer gleich
Schlimmes daran, sich solche Geschichten zu erzählen – solan- – obwohl Sie es »eigentlich« anders wollen? Möchten
ge Ihnen bewusst ist, dass es wirklich alles nur Geschichten sind. Sie diese hartnäckigen Muster endlich loszuwerden?
Bei unserer „Ich bin“-Mantrameditation geht es darum,
Hier kann die Schematherapie helfen. Ziel ist es, den
diese Geschichten einfach fallenzulassen. Setzen Sie sich be-
Ursprung solcher Verhaltensmuster zu verstehen,
quem hin, schließen Sie 15 bis 20 Minuten die Augen und sagen
ihre Wirkung im Alltag zu untersuchen – und sie so
Sie stumm: „Ich bin …“ Kommt dann eine Ergänzung wie „Ich
zu verändern, dass Sie sich besser fühlen und Ihr
bin zu ängstlich“, dann registrieren Sie diesen Gedanken als
Handeln bewusster gestalten können.
das, was er ist: nur ein Gedanke. Kehren Sie einfach zurück,
stumm „Ich bin“ zu sagen, betrachten Sie die Antworten und  Mit vielen Fallbeispielen und Illustrationen
lassen Sie sie fallen. Nach kurzer Zeit werden Sie unter diese  Für Selbsthilfe und Therapiebegleitung
blubbernde Oberfläche von Gedanken und Geschichten tau-
chen, und Sie gelangen an einen stillen Ort hinter diesem end-
Jacob/Genderen/Seebauer
losen Geplapper. Hier wartet Ihr Selbst, das schon immer dort Andere Wege gehen
war – lange bevor Sie überhaupt Worte hatten, um sich selbst Lebensmuster verstehen und verändern –
ein schematherapeutisches Selbsthilfebuch
zu beschreiben. Dies ist Ihre unerschütterliche Zuflucht. Dort 182 Seiten. € 24,95 D
können Sie inneren Frieden erfahren. PHc ISBN 978-3-621-28415-8
Auch als und
Interview: Thomas Saum-Aldehoff als Audio-CD erhältlich

Georg Eifert, gebürtiger Deutscher, ist emeritierter Psycholo-


gieprofessor an der Chapman University in Orange, Kalifornien.
Er gilt als einer der führenden Vertreter der Akzeptanz- und
Commitmenttherapie (ACT)
y k
Styrs
udia
© Cla

Leseproben unter
www.beltz.de 23
ES STECKT I
st es an der Zeit, etwas zu ändern?
Oft gibt es körperliche oder seeli-
sche Symptome, die mir zeigen, dass
etwas in meinem Leben nicht mehr

NOCH MEHR stimmt. Zum Beispiel Fremdheitsgefüh-


le. Diese können in der Beziehung, im
Beruf oder im Kreise von Familie oder

IN MIR
Freunden auftauchen. Die Frage „Was
mache ich hier?“ oder das Gefühl „Das
Ganze gibt mir nichts mehr“ tauchen
dann auf. Man spürt, dass man da, wo
und wie man zurzeit lebt, nicht mehr
Wer nie etwas Neues in seinem Leben versucht, richtig ist und einem alles irgendwie
bereut es oft später. Veränderungen erlauben uns, falsch vorkommt.
Dann gibt es Befindlichkeitsstörun-
andere Facetten unserer Persönlichkeit zu gen: Am liebsten möchte man morgens
erkennen und auszuleben. Wir wachsen an ihnen gar nicht erst aufstehen und die Decke
über den Kopf ziehen. Oder ich habe
VON HORST CONEN Schlafstörungen, ein dünnes Nerven-

24 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


kostüm und depressive Gedanken. Oder Druck bald nicht mehr gewachsen zu findet man meist dann, wenn das, was
ich esse und trinke mehr, als mir guttut, sein, Angst, gekündigt zu werden, vor man täglich tut und wofür man stehen
kompensiere meinen Frust mit zu viel dem sozialen Abstieg, vor der Zukunft will, mit den eigenen Idealen und Poten-
Fernsehen oder Freizeitstress, um die überhaupt. Diese Ängste entstehen auch zialen zusammenpasst.
Unzufriedenheit wegzudrücken. Oder dann, wenn wir glauben, keine andere Wir müssen uns mit dem Weg, den
die eigene Rolle passt mir nicht mehr. Möglichkeit zu haben. Wer so denkt, hält wir einmal angetreten haben, nicht ab-
Bisher dachte ich vielleicht von mir, ich oft starr an allem fest, auch wenn es nicht finden. Ich kann ihn infrage stellen, einen
sei der karrierebewusste Typ, als Manager gut für ihn ist. Aber wenn ich in dem Be- anderen einschlagen und mich neu er-
oder erfolgreiche Anwältin. Oder ich sah wusstsein lebe, ich kann auch einen an- finden. Wenn ich Betriebswirtschaft stu-
meine Aufgabe gezielt darin, mich „nur“ deren Job machen, weil ich ja vielleicht diert habe und einen „Zahlenjob“ aus-
um die Kinder zu kümmern oder „nur“ übe, aber merke, dass ich auch kreativ bin
ums Geldverdienen. Auf einmal fühlt oder gut mit Menschen umgehen kann
sich das nur wie ein enges Korsett an. All Es ist wichtig, – muss ich mich nicht mit Zahlen begnü-
das sind Zeichen dafür, dass eine Verän- gen. Das heißt: Wenn ich sehe, dass ich
derung ansteht. einen Versuch nicht auf eine Sache reduziert bin, so
Das muss nicht gleich heißen, dass ich stecken darin Chancen, sich daraus ein
alles hinschmeißen soll. Es müssen nicht zu machen, neues Leben schaffen zu können.
immer krasse Einschnitte sein. Auch klei- Ob im Beruf oder Leben – wenn ich
ne Veränderungen können etwas bewir- selbst wenn trotz allem, was vernünftig scheint, spü-
ken. Und das Ergebnis davon ist, dann re, dass es das nicht mehr ist, was es für
vielleicht wieder etwas mehr Zeit für er scheitert mich vielleicht einmal war, und mich
mich selbst zu haben oder für Dinge, die diese Sehnsucht nach Veränderung nicht
mir wichtig sind oder Kraft geben, mir loslässt, dann wird es Zeit aufzubrechen.
aber irgendwie abhanden kamen. auch noch andere Stärken habe, dann Und ich kann erfahren, dass ich mich
Viele glauben, das kann ich dem Part- habe ich gleich weniger Angst. Dann lebe wieder so richtig lebendig fühle. Das ist
ner oder der Familie nicht antun, dass ich ich mehr nach dem Motto der Bremer ein tolles Gefühl.
etwas ändern will. Aber oft wartet der Stadtmusikanten: Etwas Besseres als den Das soll nicht zum Hedonismus auf-
andere schon darauf und sagt: „Wir kön- Tod finden wir überall. fordern nach dem Motto „Pick dir nur
nen auch mit weniger Einkommen leben, Wenn wir die Angst als Ratgeber zu- die Rosinen aus dem Kuchen“, das ist
Hauptsache dir geht es wieder besser.“ lassen, ist das Leben irgendwann vorbei, nicht gemeint. Ich denke, wir sollten ver-
Und tatsächlich tut es vielen Beziehun- und wir sehen die Chancen, die wir viel- suchen, das Beste aus unserer Lebenszeit
gen gut, wenn der, der es nötig braucht, leicht hatten, aber nicht ergriffen haben. zu machen. Warum sollten wir nicht der
sich den Schritt erlaubt. Ich habe das oft bei Klienten mitbekom- sein können, der wir sein wollen? Ich ver-
men: Sich eingestehen zu müssen, zu stehe die Persönlichkeit des Menschen als
Damit es mir wieder gutgeht ängstlich gewesen zu sein, obwohl der eine Schatzkiste, die reich gefüllt ist mit
Manchmal sind auch größere Änderun- Wunsch da war, ist niederschmetternd. Juwelen – unseren Potenzialen und Er-
gen nötig, damit es uns wieder gutgeht. Ich finde es daher so wichtig, den Versuch fahrungen. Wir wissen oft nichts von
Davor schrecken viele zurück. Im Grun- zu machen, selbst wenn er möglicherwei- diesem eigenen Reichtum. Manches mag
de aber sind auch große Schritte nichts se scheitert. Denn das ist mehr wert, als in den eigenen Augen wertlos erscheinen.
weiter als eine Möglichkeit, unser Leben es nie probiert zu haben. Wer versucht, Objektiv betrachtet, kann es aber genau
zu bereichern. Oft lässt nur die Macht der Chancen zu ergreifen trotz seiner Ängste, den Wert in sich tragen, um seinem Leben
Gewohnheit sie so schwer erscheinen. der spürt mehr Lebensmut und Vertrau- die ersehnte Wendung geben zu können.
Wir kennen uns so nicht, können es uns en in die eigenen Kräfte. Und dafür ist es nie zu spät. PHc

schlecht vorstellen. Wenn wir uns aber


mit dem Gedanken anfreunden, dass Le- Die innere Schatzkiste Horst Conen gilt als einer der profiliertesten Experten
Illustration: Sabine Kranz

ben nun mal Weiterentwicklung bedeu- Wenn ich mich von Punkten wie der Hö- zum Thema „Veränderung und Neuanfang“. Er coacht
zudem seit vielen Jahren Führungskräfte.
tet, dann können wir auch angstfreier he des Gehalts, der Rente oder der Mei-
ZUM WEITERLESEN
damit umgehen. nung anderer abhängig mache, enge ich Horst Conen: Schenk dir selbst ein neues Leben.
Angst ist ja sowieso heute das Thema. mich selbst sehr ein. Irgendwann taucht Vom Mut, endlich Neues zu wagen. Bastei Lübbe,
Wer im Beruf steht, hat oft Angst, dem die Frage nach dem Sinn auf. Sinn emp- Köln 2016

25
SOLL ICH

DEN JOB
WECHSELN?
Die Arbeit nervt, und man träumt von einer neuen Stelle.
Doch nicht immer ist ein Wechsel angeraten. Manchmal liegen
die Gründe für die Unzufriedenheit ganz woanders
VON ANNE OTTO

M
orgens um acht klingelt das Handy das Befragung von 1011 Mitarbeitern durchgeführt. 49 Prozent der

Soll ich
erste Mal. Dann schaltet Kirsten Franke Befragten fühlten sich in ihrem Job unzufrieden. 45 Prozent
(Name geändert) die Freisprechanlage erwogen, den Arbeitsplatz in den nächsten zwölf Monaten zu
im Dienstwagen ein, telefoniert mit Auf- wechseln. Zwar interessiert sich von diesen Wechselwilligen
traggebern oder den Chefs der Consul- natürlich nur ein Teil für einen Aufgaben-, Branchen- oder

den
tingfirma. Die Wirtschaftspsychologin berät große Kunden,
meistens geht es um Prozessoptimierung und darum, Mitar-
beiter zu entlassen. Die 34-Jährige macht ihre Arbeit gut, fühlt
Berufswechsel, dennoch scheint bei beruflichen Veränderun-
gen heute rasch die Option mitzuschwingen, noch mal etwas
ganz anderes ausprobieren zu wollen.

Job
sich aber irgendwann unwohl. „Ich litt darunter, immer nur „Ich finde es angemessen, dass man sich beruflich weiter-
profitorientiert zu denken. Der Wunsch, vertrauensvoll mit entwickeln will“, sagt die Hamburger Karriereberaterin Svenja
Klienten zu arbeiten, wurde stärker“, erzählt sie im Rückblick. Hofert. „Es ist jedoch oft ein Fehler, die Lösung in radikalen
Nach vier Jahren wechselt Franke in die Leitung einer Be- Veränderungen zu suchen.“ Viele von Hoferts Klienten klagen
rufsbildungs- und Beratungsstelle für Frauen, für sie ein darüber, so unzufrieden im Job zu sein, dass sie alles erneuern
Traumjob. Die ersten Monate laufen gut. Im Kontakt mit Kli- wollen. Anliegen wie „noch mal etwas tun, das Spaß macht“
entinnen hat Franke das Gefühl, helfen zu können. Auch die oder „endlich den Traumjob finden“ stehen oft am Anfang der
Organisation der Beratungsstelle fällt ihr leicht. Doch bald Beratung. Hofert lässt sich dann zunächst schildern, was am
kommt es zu Auseinandersetzungen mit den Kollegen. Die aktuellen Beruf als unpassend und unverträglich empfunden
neue Leiterin ist ihnen zu ehrgeizig. Franke wiederum findet wird. Schon im Erstgespräch wird häufig deutlich, dass das
die Mitarbeiter wenig belastbar, „fast unprofessionell“. Unbe- eigentliche Problem nicht die Tätigkeit an sich ist, sondern dass
wusst legt sie den Leistungsmaßstab aus der Beraterbranche es die Umstände sind, die den Zustand unzumutbar erscheinen
an. Die Konflikte eskalieren. Wieder fühlt Franke sich am fal- lassen.
schen Platz. Nach einem Jahr kündigt sie enttäuscht. Hofert erzählt von einer Personalreferentin, die mit dem
Mit dem Gefühl, bei der Arbeit „nicht richtig“ zu sein, ist Anliegen kam, ihren Traumjob „endlich in Angriff zu nehmen“
Kirsten Franke nicht allein. Die Unzufriedenheit mit der eige- und Pferdepflegerin zu werden. Schnell stellte sich heraus, dass
nen Position ist bei vielen groß: Die Personalvermittlung Man- diese Klientin sich quasi in einen Traumjob hineinfantasiert
power hat 2015 mit dem Marktforschungsinstitut Toluna eine hatte, weil sie keinen angemessenen Umgang mit ihrem cho-

26 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


27
lerischen Chef finden konnte. Dieser trug ihr fast täglich Bo- letztlich gut aufgehoben sind. „Natürlich sind wir manchmal
tengänge auf, ließ sie Mettbrötchen für die Besprechungen gelangweilt und unzufrieden und sehen dann gar nicht, wie
schmieren. „Hier lag einfach ein Abgrenzungskonflikt vor“, gut der eigene Arbeitsplatz zu uns passt“, sagt Svenja Hofert.
sagt Hofert. „Im falschen Job war die fachlich sehr kompeten- Wer sich nicht sicher ist, ob er einfach nur ein bisschen genervt
te Frau nicht.“ In wenigen Sitzungen übte die Klientin mit oder im falschen Job ist, dem rät sie, sich zu fragen, wie groß
Hoferts Hilfe Strategien, mit denen sie sich gegen die unange- die Arbeitszufriedenheit auf einer Skala von eins bis zehn ist:
messenen Aufträge des Chefs abzugrenzen lernte. Als das in „Wenn Menschen ‚sieben oder mehr‘ antworten, ist meine
Ansätzen gelang, entspannte sich die Situation – und das The- Erfahrung, dass sie nicht wirklich wechseln wollen und wohl
ma Traumjob war vom Tisch. auch nicht sollten.“
Von solchen Erkenntnissen sind Klienten oft zunächst ent-
Leistungsansprüche und Selbstwertprobleme täuscht, weil sie eigentlich aufregende neue Optionen gesucht
Neben den alltäglichen Arbeitsplatzproblemen seien oft auch haben. Doch ein paar Tage nach der Ernüchterung folgt meist
psychische Konflikte der Grund für den Wunsch nach einem Erleichterung. Viele ändern dann ihre Sichtweise auf ihren
ganz neuen Beruf, hat die Münchener Karriereberaterin und Beruf und ihre Firma – und freuen sich letztlich, dass sie unter
Psychologin Madeleine Leitner festgestellt. guten Bedingungen in einem passenden Beruf arbeiten.
In einem Artikel für die Zeitschrift Wirtschaftspsychologie
aktuell wagt sie folgende Einschätzung: „Von 100 Menschen, Der Traum vom eigenen Café
die in meine Praxis kommen, sind nur etwa drei bis fünf wirk- Doch es gibt auch Menschen, die einen festen Traumjob im
lich in einem falschen Beruf. Bei allen anderen liegen die Kopf haben, den sie anpacken wollen: ein Café oder einen La-
Schwierigkeiten woanders.“ Oft seien es massive Selbstwert- den eröffnen, Wedding- und Eventplanung sind beliebte Ideen.
probleme, ein zu hoher Leistungsanspruch oder Ängste, die Häufig genannt werden auch Coach, Heilpraktiker oder Trai-
Menschen beim Arbeiten ein so unangenehmes Gefühl geben, ner. Mit den Ich-AG-Geldern und anderen Fördermitteln tat
dass sie „nur noch raus wollen“. sich in den Nullerjahren plötzlich ein gangbarer Weg auf, sich
Manche tragen sich auch vor allem deshalb mit Wechsel- mit guten und verrückten Ideen selbständig zu machen.
wünschen, weil sie das Gefühl haben, den eigenen Job sattzu- „Es hat sich mittlerweile rumgesprochen, dass es so einfach
haben. Im Coaching zeigt eine berufliche Standortbestim- nicht ist“, sagt Hofert. „Viele der Unternehmen wurden wieder
mung aber häufig nur, dass Klienten an ihrem Arbeitsplatz aufgegeben.“ Das hat vor allem damit zu tun, dass die Erwar-

Sie wollen Ihre Stelle wechseln?


Gute Gründe: Schlechte Gründe:
• Die Firma hat finanzielle Schwierigkeiten, Gehälter • Das Gefühl, ein anderer Job würde mehr
werden nicht oder zu spät gezahlt „Spaß“ machen
• Das Zerwürfnis mit der direkten Führungskraft ist so • Torschlusspanik: die Angst, jetzt noch mal etwas reißen
eklatant, dass man auf keinen grünen Zweig mehr zu müssen, bevor man zu alt ist
kommt • Diffuse Veränderungswünsche, zum Beispiel:
• Die Ethik und Positionierung des Unternehmens passt in „Irgendetwas im Leben muss anders werden“
keiner Weise zu den eigenen Werten und Zielen • Verärgerung, Frust, Kränkung durch einen Chef oder
• Es fehlen Kernkompetenzen, die für diese Arbeit nötig „die Firma“ und das daraus resultierende Gefühl, sofort
sind – zum Beispiel wenn ein eher kreativ-chaotischer alles ändern zu müssen
Mensch in einem Controllerjob landet, eine Ärztin kein • Die Idee, dass es im neuen Job keinerlei Probleme mit
Blut sehen kann Kollegen, Chefs und engen Zeitplänen geben könnte
• Es herrscht so viel Routine – mehr als 70 Prozent – dass • Ein Traumjob aus Kindertagen, nach dem man große
man nur noch gelangweilt ist und das Gefühl hat, nichts Sehnsucht hat, ohne geprüft zu haben, ob er diesen
mehr dazuzulernen Erwartungen standhält
• Die Arbeit führt zum Burnout oder zu ernsthaften
körperlichen Krankheiten

28 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


tungen an das Traumjob-Arbeitsfeld so gut wie nie mit der nötig ist – also zum Beispiel vom Rechtsanwalt zum Grafiker
Realität übereinstimmen. Wer ein Café hat, verkauft nicht nur – oder ob ein Branchensprung oder eine kleinere Kurskorrek-
schöne Kuchen an nette Menschen, sondern muss auch abwa- tur ausreicht. Berufswechsel seien schließlich immer mit meh-
schen, früh aufstehen, einkaufen gehen – und verdient dabei reren Jahren Aus- und Weiterbildung und finanziellen Einbu-
oft nicht viel, sagt Hofert. Dazu kommt noch, dass eine erfolg- ßen verbunden. „Je älter Klienten sind, die mit Umbruchwün-
reiche Selbständigkeit bestimmte Persönlichkeitsmerkmale schen kommen, desto deutlicher frage ich ab, ob sie von dem
wie Durchhaltevermögen, Selbstvertrauen und Verkaufstalent neuen Beruf leben müssen oder ob aus einem ersten Beruf Geld
voraussetzt. Auch das wird von vielen Arbeitnehmern unter- vorhanden ist“, sagt Hartmann. Einige Klienten überdenken
schätzt, die sich versuchsweise auf diesen Weg begeben. ihre Wünsche dann noch einmal und finden Kompromisse.
Bei Karsten Wengen (Name geändert) aus Manche bestehen weiter darauf, sich in ei-
Stuttgart scheiterte die Selbständigkeit daran, nem Traumberuf zu verwirklichen.
dass er mitten im Gründungsprozess bemerk- Viele Menschen Ab vierzig kämen viele Menschen dann
te, dass er keine Unternehmerpersönlichkeit ist. eher mit Sinnkrisen. Auch diese rufen zu-
Der gelernte Kaufmann, der sein Leben lang wollen gar nächst häufig das Gefühl hervor, alles neu
für Modefirmen im Einkauf gearbeitet hatte, machen zu müssen. Doch das sei oft nicht
erfüllte sich den Traum von einem eigenen Mo- nicht wirklich nötig. „Es gibt viele Möglichkeiten für neue
delabel mit besonderen Baumwollstoffen – ei- Wege“, sagt Hartmann. „Ich arbeite mit Kli-
ne sportlich-elegante Kollektion, die er zusam- wechseln. enten oft zu der Frage, welcher rote Faden
men mit einer Designerin entwarf. Dank seiner sich durch ihr Berufsleben zieht. Wenn man
Branchenkenntnis und seines Verkaufstalents Und sollten weiß, welche Fähigkeiten und Erfahrungen
fanden die Produkte schnell Abnehmer. Doch man in die Waagschale werfen kann, wird
als es zwischendurch Lieferschwierigkeiten gab es auch nicht es leichter, sich mit diesen im Gepäck ein
und finanzielle Engpässe entstanden, bekam neues Feld zu erschließen.“
Wengen Angst. Als Beispiel nennt die Beraterin eine Kli-
„Ich bin ein Sicherheitstyp und freue mich eben doch, wenn entin, die jahrzehntelang als Sekretärin gearbeitet hatte, deren
ich das finanzielle Risiko nicht selbst tragen muss“, sagt er im eigentliche Leidenschaft aber das Fach Geschichte war. Mit über
Rückblick. Nach einigen Monaten voller schlafloser Nächte 50 wollte sich die Frau diesen Lebenstraum erfüllen. An ein
wickelte er sein kleines Unternehmen ohne Verluste ab und Studium war da nicht mehr zu denken, doch Hartmann erar-
bewarb sich wieder für eine Festanstellung. Für den 50-Jährigen beitete mit ihr eine andere Idee: sich als Sekretärin bei einem
war der Ausflug in die Selbständigkeit trotzdem ein Gewinn: Geschichtsprofessor zu bewerben. Mit ihrer Berufserfahrung
„Ich weiß jetzt noch besser, was ich kann und was nicht.“ und dem glaubhaften Interesse an historischen Themen bekam
die Klientin tatsächlich eine solche Stelle. Heute macht sie ne-
Wendepunkte im Arbeitsleben ben der Verwaltungsarbeit auch kleine Recherchen, liest Fach-
Dass wir heute im Laufe des Arbeitslebens immer wieder an aufsätze und arbeitet so wenigstens teilweise inhaltlich.
Wendepunkte kommen, an denen wir berufliche Visionen ab- Eine solche „Roter-Faden-Lösung“ gibt es laut Hartmann
klopfen und überdenken, davon ist die Hamburger Coachin für beinahe jeden beruflichen Traum. Wichtig sei, die eigenen
und Autorin Doris Hartmann überzeugt. In ihren Büchern Fähigkeiten zu kennen und auf diese zu setzen. Außerdem
beschäftigt sie sich mit beruflichen Entwicklungen über die sollte man seine Werte kennen – und ihnen treu bleiben.
Lebensspanne. „Oft sind es äußere Anlässe wie Jobverlust, Um- Auch Wirtschaftspsychologin Kirsten Franke hat sich nach
zug, eine Veränderung im Familienstatus wie eine Scheidung, dem gescheiterten Abstecher in die Beratungsstelle eine solche
die uns noch mal grundsätzlich über berufliche Fragen nach- Roter-Faden-Strategie zunutze gemacht. Sie verstand, dass sie
denken lassen“, sagt Hartmann. Ihrer Meinung nach ist das mit ihrer Auffassungsgabe, ihrem Ehrgeiz und Stil im Grunde
legitim und richtig. Dennoch ist sie davon überzeugt, dass in gut in eine Unternehmensberatung passt. Gleichzeitig sind für
verschiedenen Lebensaltern unterschiedlich große Verände- sie aber Werte wie „Menschen helfen“ und „Nachhaltigkeit“ sehr
rungen möglich beziehungsweise ratsam sind. wichtig. Als Franke begriffen hatte, dass sie einfach ein Tätig-
Wenn Klienten um die dreißig mit dem Wunsch kommen, keitsfeld braucht, in dem man diese Werte teilt, fand sie An-
noch einmal komplett umzusatteln, ergebe das oft Sinn. Viele schluss an einen Beraterpool, der systemische Organisations-
hätten nach dem Studium und ersten Berufserfahrungen Be- entwicklung und Gesundheitsprävention anbietet. Nach dieser
darf, die Richtung zu verändern und nachzubessern. Doch auch gar nicht so riesigen, aber sehr passgenauen Veränderung hat
hier achtet Hartmann darauf, ob ein kompletter Berufswechsel sie nun endlich das Gefühl, am richtigen Platz zu sein. PHc

29
MUT
ZUM
FEHLER

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Wer etwas Neues wagt, Weg zum Erfolg. Thomas Alva Edison er als „gewinnende Verlierer“ bezeichnet:
meinte, nachdem er endlich die Glühbir- Sie haben ihr Scheitern, verbunden mit
macht Fehler. Das ist ne erfunden hatte: „Ich bin nicht geschei- einem sozialen Abstieg („vom Millionär
ärgerlich – und eine tert, ich habe nur Tausende von Möglich- zum Tellerwäscher“), erstaunlich gut
keiten probiert, die nicht funktioniert verkraftet. Vor allem deshalb, weil sie die
Chance fürs Leben. haben.“ üblichen Insignien des Erfolges – Status,
Denn nur aus Fehlern Geld, Macht und so weiter – gegen „in-
Nie verfilmte Drehbücher nere Bereicherungen“ eingetauscht ha-
wird man klug und andere Flops ben. Und zwar erfolgreich. Für sie gab es
Für das Scheitern eines Projektes, für eben doch ein richtiges Leben im fal-
VON HEIKO ERNST gröbere Fehler gibt es ein neudeutsches schen.
Wort: Flop. Der Schriftsteller Hans Ma- Obwohl wir wissen, dass Irren
gnus Enzensberger hält es „schon wegen menschlich ist, werden Fehler immer
seiner lautmalerischen Qualität“ für ein noch mehr geächtet denn als Lernchance
erfreuliches Fremdwort. Im Duden wird genutzt. In der Arbeitswelt reden Mana-
das Verb floppen mit „hinplumpsen“ ger oder Berater gerne und viel von Feh-
übersetzt. Enzensberger breitet in seinem lerfreundlichkeit, aber in der Praxis wird
Buch Meine Lieblings-Flops eben diese das weltfremde Ideal der Fehlerfreiheit
aus: nie verfilmte Drehbücher, abgelehn- angestrebt: Best Practice, Top-Perfor-
te Theaterstücke aus seiner Feder, Zeit- mance, Benchmarking. Das Ziel ist Feh-

D
ie beiden Besitzer einer Imbiss- schriften, die die Welt nicht brauchte lervermeidung um jeden Preis. Doch
bude beschlossen, ihren (TransAtlantik, von Enzensberger mitbe- gerade der permanente Druck, immer
schlechtgehenden Laden abzu- gründet). mehr aus sich herausholen zu müssen,
fackeln und mit der Versicherungssum- Angesichts des Enzensbergerschen macht Fehler umso wahrscheinlicher.
me etwas Neues anzufangen. Weil sie Œuvres erscheint die Parade seiner ge- Im Gegenzug werden dafür besonde-
einen „Migrationshintergrund“ hatten, scheiterten Projekte kokett: Es lässt sich re Fertigkeiten entwickelt – im Abstrei-
würde der Verdacht sicher auf fremden- leicht über Flops lächeln, wenn man aufs ten, Rechtfertigen, Spurenverwischen,
feindliche Elemente fallen. Also verteil- Ganze gesehen doch ziemlich erfolgreich Leugnen, Beschönigen, Schuldzuweisen.
ten sie den Inhalt mehrerer Kanister war und zu den wichtigsten Autoren in „Es wurden möglicherweise Fehler ge-
Benzin in ihrem Laden, dann gönnten sie Deutschland zählt. Aber das Flop-Buch macht …“ Achten Sie einmal darauf, wie
sich erst mal eine Zigarettenpause … enthält eine Weisheit, die gar nicht oft häufig diese Passivkonstruktion verwen-
Manche Fehler macht man nur ein- genug wiederholt werden kann: „Jeder det wird, wenn Fehler nicht länger ver-
mal. Der makabre Juxpreis Darwin Peinlichkeit wohnt eine Erleuchtung in- tuscht oder abgestritten werden können.
Awards „ehrt“ posthum solche Men- ne. Triumphe halten keine Lehren bereit, Vielleicht müssen wir wirklich erst die
schen, die sich durch haarsträubende Misserfolge dagegen befördern die Er- seit Schulzeiten eingebimste Idee ab-
Dummheiten selbst aus dem Genpool kenntnis auf mannigfaltige Art.“ schütteln, dass Fehler an sich „schlimm“
eliminiert haben. sind. Geduldige Fehleranalyse erweist
Wenn es um gute und schlechte Ent- Vom Millionär zum sich im modernen Unterricht längst als
scheidungen geht, haben die meisten Tellerwäscher die beste Didaktik. Irren und Scheitern
Menschen eine gemischte Bilanz vorzu- Aus Fehlern lernt man. Klingt logisch ist der Fast-Normalfall, und nicht alles,
weisen. Neben Erfolgen gibt es fast im- und ist leicht gesagt. Worin aber diese was wir wollen oder tun, kann gelingen.
mer auch schmerzliche Fehlgriffe, wirk- Erkenntnis besteht und was Fehler für Es lohnt sich, Fehler sehr sorgfältig zu
lich fatale – siehe oben – sind zum Glück das eigene Leben bedeuten, hängt von studieren. Dann werden wir wirklich aus
selten darunter. Die Mischung entschei- der persönlichen „Fehlerfreundlichkeit“ Schaden klug. PHc

det darüber, ob wir uns selbst als leidlich ab: Für wie normal hält jemand das
erfolgreich oder als „gescheiterte Exis- Scheitern? Wie erklärt er es sich? Und
tenz“ betrachten. Manchmal wiegt eine wem gibt er die Schuld daran?
ZUM WEITERLESEN
gute Idee, eine richtige Entscheidung Der Soziologe Martin Doehlemann
Hans-Magnus Enzensberger: Meine Lieblings-Flops,
hundert Irrtümer auf. Oder viele Irrtü- hat in seiner Studie Absteiger. Die Kunst gefolgt von einem Ideen-Magazin. Suhrkamp, Berlin
mer waren notwendige Etappen auf dem des Verlierens Menschen beschrieben, die 2010

31
„Trennung
bedeutet einen
Entwicklungs-
schritt“
Wenn wir uns von vertrauten Gegenständen,
einer Wohnung, erst recht einem
Menschen trennen, verbinden wir damit
Bedrückendes. Doch Trennungen sind
eine Voraussetzung für persönliche Entwick-
lung, sagt die Psychoanalytikerin Diana
Pflichthofer. Wir trauen uns oft zu wenig zu
und sind belastbarer, als wir denken

32 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Frau Pflichthofer, besitzen auch Sie seit Jahrzehnten Kar- tet und eine Vergegenwärtigung des anderen, der nicht mehr
tons, mit denen Sie immer wieder umziehen, ohne je etwas da ist. Das sind aufgeladene, elementare „Objekte“, wie wir das
daraus zu brauchen? in der Psychoanalyse nennen, die ganz wichtig sind. Solche
Bis vor rund zehn Jahren hatte auch ich solche Kartons, inzwi- Objekte machen es uns leichter, uns vom anderen auch inner-
schen habe ich aber angefangen, diese Kartons systematisch lich trennen zu können, ihn aber symbolisch noch bei uns zu
abzubauen. Es fällt mir heutzutage leichter, das wegzuwerfen, haben. Übrigens fangen wir das Leben so ja auch an, denken
was ich nicht mehr brauche, oder ich frage andere Menschen, wir nur an kleine Kinder, die ohne ihr Tuch oder ihren Teddy
was sie vielleicht noch gebrauchen können. auf gar keinen Fall in den Urlaub aufbrechen können. Der
Wie kam es zu dieser Veränderung? englische Kinderarzt und Psychoanalytiker Donald W. Winni-
Das hat mit Menschen in meinem engeren Umfeld zu tun, die cott nannte dies „Übergangsobjekt“. Solche Gegenstände trös-
verstorben sind. Man sieht dann plötzlich, ten uns also, wenn ein geliebter Mensch
wie unwichtig oder bedeutungslos viele Ge- abwesend ist und wir uns vorübergehend
genstände am Ende des Lebens sind. Oder Wir trauen von ihm trennen müssen.
wie meine Freundin sagt: „Wir können Wie können wir uns denn gut trennen,
nichts mitnehmen!“ Ganz pragmatisch kam uns zu wenig sagen wir von einer Arbeitsstelle oder einer
aber hinzu, dass es mich manchmal nervt, Wohnung?
wie viel Kram ich rumliegen habe. Dann zu. Und Grundsätzlich brauchen wir dazu erst ein-
mache ich solche Wegwerfaktionen. Mich mal eine gewisse innere Autonomie und ein
befällt übrigens dasselbe bedrängende Ge- halten uns Selbstwirksamkeitsgefühl, also die Einsicht,
fühl, wenn ich in der Vorweihnachtszeit von der Arbeitsstelle oder der Wohnung
durch die Läden gehe und alles so voll- für instabiler, nicht abhängig zu sein, sondern auch in an-
gestopft ist mit diesem Zeug, das wir kaufen deren Kontexten gut leben zu können: „Ich
sollen. Bei mir führt das zu der Reaktion, gar als wir sind bin in der Lage, mich selbst zu orientieren.“
nichts mehr kaufen zu wollen. Problematisch wird es, wenn Menschen mei-
Auch in manchen Wohnungen hat man den nen, und zwar ohne das bewusst zu durch-
Eindruck, alles steht voll mit Kram, von schauen, ihnen stehe etwas Besseres – zum
dem jemand meint, ihn nicht wegwerfen zu können. Warum Beispiel eine bessere Wohnung – gar nicht zu. Das verhindert
tun wir uns selbst bei Nippes so schwer mit dem Loslassen? natürlich die Trennung und verhindert damit auch eine posi-
Ich hatte mal eine Klientin, die diese Dinge „Stehrumchens“ tive Lebensveränderung.
und „Staubbeinchens“ nannte. Manche davon haben natürlich Warum erwarten viele Menschen bei Trennungen erst ein-
deshalb eine gewisse Bedeutung, weil zum Beispiel Urlaubser- mal etwas Negatives?
innerungen oder Erinnerungen an andere Menschen dranhän- Wir trauen uns oft zu wenig zu und halten uns für psychisch
gen. Tatsächlich aber glaube ich, dass diese Menschen mit den instabiler, als wir wirklich sind. Da spielt unsere frühe Sozia-
vollgestopften Wohnungen ein Problem mit Trennung haben: lisation eine große Rolle und wie wir Trennungen erlebt haben:
„Wenn ich das jetzt wegnehme, dann ist es nicht mehr da.“ Wir Ist das immer eher etwas ganz Schreckliches? Oder ist es zwar
haben uns an den Gegenstand so gewöhnt, dass wir glauben, traurig, aber auch etwas Schönes und Aufregendes? Im besten
er gehöre zu uns als Person. Schon wird das Wegwerfen ein Fall haben uns unsere Eltern vermittelt: „Ich glaube, dass du
Verlust. Der Extrempunkt davon ist das Messiesyndrom. es schaffen wirst.“ Und ganz wichtig: „Ja, du darfst anderes als
Nun gibt es aber natürlich jene Dinge, mit denen wir gute wir! Du darfst eigene Wege gehen! Du darfst fortgehen! Wir
Erinnerungen verbinden. werden dich trotzdem lieben und mit dir verbunden sein.“
Ja, diese Dinge haben eine hohe Bedeutung für uns. Ich erin- Wer so sozialisiert ist, hat es auch später im Leben viel leichter,
nere mich an ein Interview mit der Frau des früh verstorbenen als wenn ihm nie etwas zugetraut wurde oder er die Botschaft
Künstlers Christoph Schlingensief, die erzählte, ihr Mann ha- erhalten hat, dass „anders“ zu sein oder das Zurücklassen der
Foto: time. / photocase.de

be eine bestimmte Strickjacke sehr gerne getragen und dass Eltern irgendwie „böse“ ist. Wichtig scheint mir, sich dem Ab-
jetzt sie diese tragen werde. Bei einer Strickjacke ist das beson- schiedsschmerz zu stellen und ihm nicht auszuweichen, aber
ders schön, weil sie uns ja umhüllt und wärmt und vielleicht auch die Sicherheit zu haben, dass wir uns im neuen Kontext
auch noch eine Zeitlang nach dem anderen Menschen riecht, zurechtfinden und uns schließlich darin wohlfühlen werden.
so dass das Tragen dieser Jacke einen Moment des Trostes bie- Wenn sich zwei Menschen voneinander trennen wollen, en-

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det das sehr oft in massiven Kämpfen und gegenseitigen der andere von ihnen, dann empfinden diese Menschen das
Kränkungen. Kann man auf gute Weise auseinandergehen? wirklich wie den Verlust eines Selbstanteils. Können sie die
Man trennt sich gut voneinander, wenn man das, was war, nicht Trennung nicht verhindern, stürzen sie in der Regel in tiefe
entwerten muss. Man sollte nicht in diese Vorstellung geraten: Depressionen. Deshalb ist eine Depression eben auch keine
„Jetzt trenne ich mich, weil alles schlecht war.“ Häufig fallen Trauer, denn Trauer bezieht sich auf das geliebte Objekt, den
dann Sätze wie „Der war ja schon immer so rücksichtslos“ oder anderen Menschen.
„Die hat mich eigentlich schon von Anfang an genervt“. Damit Worin aber liegt denn nun das Positive einer Trennung?
wird der andere Mensch immer als ein entwerteter Mensch Positiv gewendet bedeutet eine Trennung einen Entwicklungs-
zurückgelassen. Dagegen wiederum wird der sich wehren und schritt. Wer etwas Altes verlässt, kommt zwangsläufig hinein
nun seinerseits den anderen zu entwerten in etwas Neues. Wer aus einer Wohnung aus-
beginnen. „Ich hätte mich ja auch schon viel zieht, befindet sich nach dem Umzug an ei-
eher von dir trennen sollen. Wie habe ich es Wenn man nem neuen Platz, manchmal ja sogar an ei-
eigentlich so lange mit dir ausgehalten?“ nem neuen, fremden Ort. Wir müssen uns
Wenn man stattdessen konstatieren kann, sich auf dann mit Neuem auseinandersetzen, mit
dass man im Laufe der Jahre schlicht an völ- Herausforderungen und mit Anregungen.
lig verschiedenen Punkten angekommen ist Neues ein- Die Hirnforschung weiß schon lange, dass
und sich auseinanderentwickelt hat, sich also Neuronen absterben, wenn sie nicht genutzt
deshalb für die Zukunft anders orientieren lässt, erfährt werden. Wenn wir uns hingegen immer mal
möchte, dann kann man gleichzeitig auch das wieder mit Neuem konfrontieren lassen, ent-
Zurückliegende besser würdigen. Wer sich man oft auch wickeln sich auch Bereiche, die ansonsten
das Gute der zurückliegenden Jahre im Inne- eher brachliegen. Wir sollten nicht nur bei
ren erhalten kann, der kann sich auch „im ganz neue kleinen Kindern darauf achten, dass sie stetig
Guten“ trennen. mit Neuem Bekanntschaft machen, auch wir
Wie gelingt der Umgang mit dem Alleinsein Seiten an sich selbst als Erwachsene sollten nicht zu sehr in
nach einer Trennung? Routinen verfallen, sondern uns anregen las-
Alleinsein gelingt, wenn man diese schon an- sen von Neuem. Wenn man sich auf Neues
gesprochenen inneren Objekte zur Verfügung hat, also all die einlässt, erfährt man oft auch ganz neue Seiten an sich.
Erinnerungen an gute frühere Beziehungen. Wer solche Bezie- Für Entwicklungsschritte brauchen wir Mut und inneren
hungserinnerungen reaktivieren kann und mit seinen inneren Schwung. Woher nehmen wir den denn, wenn wir ihn nicht
Objekten in einem Dialog steht – selbst wenn manche der haben?
Personen gar nicht mehr leben sollten –, erfüllt eine Bedingung Mut vermitteln uns oft andere Menschen, mit denen wir gut
dafür, allein sein zu können. verbunden sind. Sie geben uns Sicherheit, so dass wir uns etwas
Um dem Alleinsein zu entgehen, flüchten nicht wenige Men- zutrauen können. Helfen kann natürlich auch eine Psychothe-
schen gleich in die nächste Partnerschaft – vermeidet man rapie, in der man dann erforschen kann, woher das eigentlich
damit nicht eine ganz wichtige Erfahrung? kommt, dass man diesen Mut und diesen Schwung nicht hat.
Ja und nein. Ja, denn einerseits vermeidet man damit die in Grundsätzlich nämlich kommt jeder Mensch mit einem sol-
der Tat wichtige Erfahrung von Trauer und von Trennungs- chen Schwung auf die Welt. Kinder sind explorativ, wollen
schmerz. Andererseits ist aber die Frage, welche Gefühle sich entdecken, erforschen, sind neugierig, jedenfalls wenn man sie
da einstellen und ob diese für den betreffenden Menschen lässt und sie es dürfen. Schon kleine Kinder wollen aufstehen
aushaltbar sind. Personen, die so gar nicht allein sein können, und weggehen können. Studien haben zum Beispiel gezeigt,
Foto: Katharina Fischer / photocase.de

fühlen sich in solchen Lebenssituationen geradezu amputiert. dass beim Laufenlernen die Richtung nicht die hin zu Mutter
Menschen, die dermaßen stark auf andere angewiesen sind, oder Vater ist, sondern von ihnen weg. Das verheimlichen El-
führen bereits eine abhängige Art von Beziehung. Der andere tern gerne, aber alle wissen, wie oft sie hinter dem Kind her-
ist von Beginn an kein getrennter anderer, sondern ein Teil des laufen müssen, etwa um Gefahren abzuwenden.
eigenen Selbst. Er dient klammheimlich der Erweiterung des Also wenn wir dürfen, dann haben wir diesen explorativen
eigenen Selbst, ohne dass beiden das je bewusst würde. Der Geist. Wenn einem dieser Schwung aber während der Soziali-
andere ist gar nicht Person, sondern Teil des eigenen Selbst. sation abhandengekommen ist, dann lohnt es sich, genauer
Und dieser Anteil vermittelt Stärke oder Mut. Trennt sich nun hinzusehen, an welchen Stellen das eigentlich geschehen ist.

34 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Wann und wodurch ist der Mut verlorengegangen? Wodurch
kam es, dass jemand von sich selbst glaubt, ganz vieles nicht
zu können oder bewirken zu können? Sind es vielleicht starke
Gefühle von Schuld, wenn man sich mit dem Gedanken trägt
wegzugehen? An diese Stellen kann man dann gemeinsam zu-
rückgehen und versuchen, den Schwung wieder in Gang zu
setzen. Manchmal geht es dabei lediglich um eine innere Er-
laubnis dafür, etwas tun zu dürfen. Die Therapie bewirkt dann
im günstigen Fall eine neue, bessere Bindungserfahrung, und
genau die führt in der Folge zu mehr explorativem Verhalten.
Wenn Sie selbst spüren, dass Sie bei etwas zaudern, etwas
noch nicht loslassen und das Neue noch nicht wagen können,
wie nähern Sie sich dem dann offenbar anstehenden Ent-
wicklungsschritt?
Ich habe gelernt, dass ich mir Zeit dafür nehmen muss. Ich
habe früher öfter geglaubt, ich müsse etwas unbedingt jetzt
und sofort machen, habe aber gespürt, dass es plötzlich im
Bauch zog, ich nicht gut schlafen konnte oder Ähnliches. Wenn
ich so etwas heute spüre, stelle ich die Entscheidung erst einmal
zurück und sage mir: „Ich muss das ja auch gar nicht.“ Erst
einmal sehe ich mir die alte Situation nochmals an und frage
mich, was es denn ist, was mich da stört, warum ich die Situ-
ation verändern will. Was genau will ich denn anders haben?
Was genau sind die Unterschiede zwischen Alt und Neu? Neh-
me ich mir Zeit und kann mit anderen darüber sprechen, dann
reise ich innerlich hin zu diesem Punkt, an dem ich sagen kann:
„Jetzt ist es so weit.“ Trotz der Zurückstellung arbeitet der gan-
ze Prozess ja in einem weiter.
Wenn mit einer Veränderung ein Raum- oder Ortswechsel
verbunden ist, kann man auch mal hinfahren an diesen Ort
und ganz sinnlich spüren, wie es einem dort ergeht, wie man
den Ort empfindet. Das betrifft ja auch den Fall, dass man
einen anderen Arbeitsplatz anstrebt und überlegt, sich irgend-
wo zu bewerben. Oder man fährt mal in den Stadtteil oder an
den Ort, von dem man glaubt, dass man da gerne wohnen
würde. Man sollte viel dafür tun, sich das Neue plastisch vor-
stellen zu können. Der Abschiedsschmerz tritt dann zwar nach
der Entscheidung dennoch ein, aber er ist verbunden mit Auf-
bruchsfreude. PHc

Interview: Uwe Britten

Dr. Diana Pflichthofer ist Fachärztin für psychosomatische Me-


dizin und Psychotherapie, Psychoanalytikerin und Gruppenana-
lytikerin in Soltau. Soeben erschien ihr Buch Trennungen im
Psychosozial-Verlag

35
36 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t
WER WILL
2
ICH SEIN?
Etwas Altes geht zu Ende, und ein neuer Lebensabschnitt be-
ginnt. Doch wo genau zieht es mich hin? Welcher Mensch will
ich sein? Wie stelle ich mir mein Leben vor? Eine Zielvorstellung
von meinem zukünftigen Ich kann ein Wegweiser sein im unbe-
kannten Terrain zwischen Alt und Neu
IM
NIEMANDS-
LAND
„Was vorbei ist, ist vorbei!“ Möglichst schnell wenden sich viele
Menschen nach dem Ende einer Lebensphase dem Neuen zu –
damit der Abschied nicht so schmerzt. Doch diese Hoffnung geht
nicht auf. Nur wer der schwierigen Übergangszone zwischen Alt
und Neu nicht ausweicht, wird bereit für die Zukunft
VON URSULA NUBER

38 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


E
s gibt im Leben Höhen und Tiefen. Ich will nur
die Höhen.“ Lucy von den Peanuts spricht in ih-
rer Unbefangenheit aus, was wir uns alle insge-
heim wünschen. Auf die schlechten Zeiten im
Leben, auf Traurigkeit, Angst, Schmerz, auf Ein-
samkeitsgefühle, Niederlagen und Selbstzweifel würden auch
wir gerne verzichten. Läge es in unserer Macht, dann wäre das
Leben ein anhaltender Höhenflug. Doch leider können wir die
Tiefen weder vermeiden noch ganz abschaffen. Deshalb ver-
suchen wir, sie möglichst schnell zu durchwandern.
Das ist zwar verständlich, doch auf lange Sicht verhindert
das Vermeiden oder allzu schnelle Abwickeln von schlechten
Tagen, niedergedrückten Stimmungen und schwierigen Le-
bensphasen unsere weitere Entwicklung und damit unsere
Lebenszufriedenheit. Dies gilt besonders dann, wenn sich in
unserem Leben gravierende Veränderungen ereignen, wenn
etwas, von dem wir glaubten, es sei „für immer und ewig“, zu
Ende geht. Gleichgültig ob es sich um positive Schlusspunkte
handelt (eine Beförderung erfordert einen Neuanfang in einer
anderen Stadt) oder um traurige (eine Beziehung endet durch
Trennung oder Tod) – der Abschiedsschmerz ist oft nur schwer
auszuhalten.
Die Bewältigung von Lebensübergängen ist keine einfache
Aufgabe. Dabei sind wir durchaus „übergangsgewohnt“, wie
die Psychoanalytikerin Verena Kast meint. Aber das gilt nur
für die erwarteten Veränderungen in unserem Leben, die uns
in der Regel nicht überraschen. „So werden wir Schulkinder,
werden berufstätig, werden erwachsen, älter, werden Eltern,
Großeltern, wir ziehen um, wechseln den Arbeitsplatz, die
Freunde, wir feiern aber auch den jeweiligen Jahreswechsel“,
beschreibt Kast als selbstverständlich geltende Übergänge.
Auch an diesen Abschieden haben wir manchmal zu knabbern.
Doch noch hilfloser fühlen wir uns angesichts von Verände-
rungen, mit denen wir unerwartet konfrontiert sind.
Foto: thomasufer / photocase.de

39
Zum Beispiel solchen, die durch Prozesse in uns selbst lang- Da stürzt sich eine 55-Jährige in die Arbeit, nachdem ihr
sam eingeleitet werden: Wir denken immer häufiger über Al- Partner ihr mitgeteilt hat: „Ich liebe eine andere.“ Ablenkung
ternativen zum gegenwärtigen Leben nach; merken, dass wir hilft, so hofft sie.
uns verändern und uns im eigenen Leben nicht mehr recht zu In Wechselzeiten verhalten wir uns wie jemand, der flink
Hause fühlen. Oder wir stellen fest, dass Dinge, Tätigkeiten, eine vielbefahrene Straße überqueren will. Sobald er eine grö-
Menschen, die uns wichtig waren, es auf einmal nicht mehr ßere Lücke im Fahrzeugstrom erkennt, löst er sich vom Bord-
sind. So wie Harold Cleaver, die Hauptfigur in Tim Parks Ro- stein, passiert schnellen Schrittes die Fahrbahn, um erleichtert
man Stille, plötzlich erkennt, dass er kein erfolgreicher TV- auf der anderen Seite sicheren Boden zu betreten. Es wäre nicht
Journalist mehr sein will: „Nach all den Jahren als prominen- sinnvoll, wenn er die Straße langsam betreten und jeden Schritt
ter öffentlicher Redner würde er sich nun von dieser Rolle sorgsam abwägen würde. Und noch weniger ratsam wäre es,
verabschieden. Denn das ist der außergewöhnliche Gedanke, wenn er in der Mitte der Straße innehielte, um über seine Si-
der sich in den letzten … Tagen Harold Cleavers bemächtigt tuation nachzudenken.
hat: Ich muss endlich die Klappe halten.“ Was für eine Straßenüberquerung unter Umständen lebens-
Besonders schwierig sind Übergänge, die plötzlich passieren. gefährlich sein kann, ist für Veränderungsprozesse jedoch le-
Auf sie können wir uns nicht einstellen, sie verändern unser bensnotwendig. Übergänge im Leben können nicht gut gelin-
Leben manchmal sogar von einem Tag auf den anderen: Wir gen, wenn wir versuchen, so schnell wie möglich wieder zur
werden krank. Wir entdecken die Untreue des Partners. Wir Tagesordnung überzugehen. Wenn wir das tun, laufen wir
bekommen die Kündigung oder eine Beförderung. Wir müs- Gefahr, die sichere andere Seite nicht zu erreichen. Und doch
sen einen geliebten Menschen beerdigen. Die amerikanische scheuen wir davor zurück, uns bei der Reise von Alt zu Neu
Essayistin Joan Didion stellte nach dem plötzlichen Herztod die Zeit zu lassen, die wir dafür brauchen.
ihres Mannes fassungslos fest: „Das Leben ändert sich schnell, „Die meisten Menschen verweigern nicht die Veränderung.
das Leben ändert sich in einem Augenblick. Man setzt sich zum Was sie verweigern, ist der Übergang“, schrieb der 2013 ver-
Abendessen, und das Leben, das man kennt, hört auf.“ storbene Autor und Organisationsberater William Bridges. Sie
Und dann gibt es noch eine Gruppe von Ereignissen, die wollen möglichst schnell und „trockenen Fußes“ von A nach
das Leben verändern: Etwas Erwartetes passiert nicht. Solche B gelangen, sie wollen den Prozess verkürzen und den heftigen
Nichtereignisse zwingen uns dazu, Hoffnungen zu begraben: Gefühlen, die mit Veränderungen fast immer verbunden sind,
Es gibt keine Heirat, wir werden nicht Eltern oder Großeltern, ausweichen. Sie tun so, als ob Veränderungen nur aus einem
schreiben keine Doktorarbeit, bauen kein Haus, werden noch Ende und einem Neuanfang bestehen, und übersehen, dass es
immer kein schlanker Mensch, werden nie mehr völlig gesund. dazwischen noch eine dritte, äußerst wichtige Phase gibt –
Bridges nennt sie die neutrale Zone.
Keine Zeit für den Schmerz Von dieser Phase hängt es ab, ob wir Beendigungen und
Ob das, was uns passiert, erwartet oder unerwartet ist oder ob Neuanfänge in unserem Leben gut bewältigen. Doch wie es
es sich um ein Nichtereignis handelt – es verändert auf jeden scheint, fürchten die meisten Menschen sich vor diesem „Da-
Fall unser Leben. Wir müssen uns auf eine neue Situation ein- zwischen“.
stellen, uns von einem Zustand, der nicht mehr gilt, lösen. Wir Was genau macht uns so große Angst? Unbewusst und in-
müssen akzeptieren, dass etwas – und sei es „nur“ eine Hoff- stinktiv wissen wir: Wenn wir uns auf diese Phase einlassen,
nung – definitiv vorbei ist und nun eine neue Lebensphase verlieren wir den Boden unter den Füßen. Das Dazwischen
folgt. Das ist eine klar definierte Aufgabe, bei der die meisten bedeutet unter Umständen Chaos, quälendes Aushalten von
von uns jedoch einen gravierenden Fehler machen: Wir lassen Leid, Stillstand und auch Verzweiflung. Das Ende einer Ehe,
uns keine Zeit für den Abschiedsschmerz. einer vertrauten Situation, einer beruflichen Tätigkeit zwingt
Da wird eine junge Frau unerwartet befördert und darf die uns, über uns selbst nachzudenken, uns selbst infrage zu stel-
Filialleitung ihrer Firma in einer anderen Stadt übernehmen. len und für eine Zeitlang orientierungslos herumzuirren.
Zwischen dem Abschied von ihrer alten Tätigkeit samt ihrem Vielleicht erinnert uns die neue Situation aber auch an Ver-
Wohnort und dem Neustart liegt nur wenig Zeit. Sie geht mit änderungen in der Vergangenheit, an die wir lieber nicht den-
Foto: thomasufer / photocase.de

Freude und Tatkraft an die neue Aufgabe – doch am Telefon ken wollen, weil alte Wunden wieder aufbrechen könnten. Die
gesteht sie ihren Freunden, nicht wirklich glücklich zu sein: Furcht, erneut so verletzt zu werden oder immer noch so ver-
„Irgendwie bin ich noch nicht angekommen.“ letzlich zu sein wie früher, führt zu großer Abwehr von Verän-
Da bekommt ein Mann schon bald nach dem Tod seiner derungen. Wer beispielsweise als Kind die Mutter, den Vater
Lebenspartnerin von Freunden zu hören: „Das Leben geht durch Tod oder Scheidung verlor, der wird Trennungssituati-
weiter.“ Und: „Du musst nach vorne schauen.“ onen im Erwachsenenleben möglichst vermeiden oder sie,

40 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


wenn sie auftreten, schnell verdrängen, um nicht wieder die
alte Hilflosigkeit spüren zu müssen.

Besonders schwierig sind Im Nichtmehr und Nochnicht


„Angesichts der Tatsache, dass wir unser Leben lang immer
Übergänge, auf die wir wieder mit Trennungen und Abschieden zu tun haben, gehen
die meisten von uns sehr schlecht damit um“, schrieb William
uns nicht einstellen Bridges. Wenn ein Kapitel in unserem Leben zu Ende geht,
denken wir „Was vorbei ist, ist vorbei“ und schlagen schnell
können. Sie verändern ein neues Kapitel auf. Doch so schnell ist nichts vorbei, und so
schnell beginnt auch nicht das Neue. Der Übergang braucht
unser Leben von einem Zeit. Diese Zeit stellt die neutrale Zone zur Verfügung.
Was die unter Umständen heftigen Gefühle angeht, ist die-
Tag auf den anderen se Phase des Dazwischen allerdings ganz und gar nicht neutral.
Neutral ist sie in anderer Hinsicht: In ihr gilt weder das Alte
noch das Neue. Sie ist eine Phase des Nichtmehr und des Noch-
nicht. Kein sehr angenehmer Zustand. Wer sich in der neutra-
len Zone befinde, fühle sich wie ein Mensch in einem ruder-
losen Boot, so Bridges. Doch wer gut im neuen Leben ankom-
men will, muss diese Phase der Orientierungslosigkeit in Kauf
nehmen, denn in dieser Zeit geschieht Wichtiges:

Ablösung
Veränderungen lösen uns aus unserem gewohnten Kontext.
Scheidung, Jobverlust, Umzug, Krankheit, Tod, aber auch we-
niger schwerwiegende Ereignisse konfrontieren uns mit der
Tatsache, dass das, was wir bis zu diesem Zeitpunkt für unser
Leben gehalten hatten, nicht mehr vorhanden ist. Auch wenn
wir uns nicht in eine Hütte oder den Wald zurückziehen kön-
nen, ist es notwendig zu akzeptieren: Die alte Welt existiert
nicht mehr.

Auflösung
Die Ablösung kann plötzlich geschehen. Man verlässt einen
Menschen oder einen Ort, eine Situation ändert sich radikal.
Die Auflösung dagegen erfolgt Stück für Stück, in kleinen
Schritten. Die Verhaltensweisen, Gewohnheiten und Denk-
muster, die mit der alten Situation verbunden waren, müssen
langsam verändert werden. Das aber geschieht gegen großen
Widerstand. Obwohl man weiß, dass das Alte nicht mehr exis-
tiert, sträubt sich oft alles dagegen, es loszulassen und darum
zu trauern.
Trauer, so schrieb Sigmund Freud, bringt „schwere Abwei-
chungen vom normalen Lebensverhalten mit sich“, weil sich
in einem trauernden Menschen alles dagegen wehrt, „alle Li-
bido aus ihren Verknüpfungen mit diesem Objekt abzuziehen“.
Joan Didion hat diese Phase durchgemacht. Ein Jahr nach dem
Tod ihres Mannes stellte sie fest, „dass es im Winter und im
Frühling Momente gegeben hatte, in denen ich unfähig gewe-
sen war, rational zu denken. Ich dachte, wie kleine Kinder

41
denken, so, als könnten meine Gedanken oder meine Wünsche 1. Akzeptieren, dass es eine neutrale Zeitzone in Übergangs-
die Macht haben, die Handlung zurückzuspulen, den Schluss phasen geben muss, und den beiden größten Gefahren des
zu verändern.“ So konnte sie beispielsweise die Schuhe ihres Übergangs widerstehen: dem Wunsch nach Beschleunigung
Mannes nicht weggeben. Sie war dazu nicht in der Lage, denn: des Prozesses und dem Wunsch nach Ungeschehenmachen.
„Er würde Schuhe brauchen, wenn er zurückkam.“ 2. Eine bestimmte Zeit und einen Platz finden, um allein zu
sein: Solange wir in die üblichen Aktivitäten und Beziehungen
Identitätsverlust eingebunden sind, können wir nicht zu uns kommen. Wir müs-
„Übergangsphasen sind Phasen der Labilität“, schreibt die Psy- sen der neutralen Zone eine Chance geben, indem wir für Zei-
choanalytikerin Verena Kast. „Sie sind mit Angst, Spannung ten des Alleinseins sorgen. So wie sich Stammesangehörige in
und Selbstzweifeln verbunden.“ Diese Selbstzweifel können eine Hütte oder in den Wald zurückziehen, so sollten wir uns
so stark sein, dass sie sogar die eigene Iden- unsere ganz eigene „Wildnis“ schaffen. Das
tität völlig infrage stellen. Indem man lang- kann bedeuten: morgens eine Stunde früher
sam realisiert, dass das Alte wirklich beendet Der Wahrheit aufstehen, um Zeit für sich zu haben; einsame
ist, verändert sich auch das Bild, das man Waldspaziergänge unternehmen; sich in eine
bislang von sich selbst hatte. Die alte Rolle als ins Auge leere Kirche zurückziehen. Noch besser: eine
Ehefrau, als Angestellter der Firma X, als Teil Reise ins Nichts antreten und der Welt für ei-
eines „Wir“ existiert nicht mehr, oder die er- schauen: ne etwas längere Zeit den Rücken kehren. Da-
wünschte Rolle als Mutter, als Großeltern, als zu sollte man an einen Ort fahren, den man
Geliebte lässt sich nicht realisieren. Wer bin Es wird nicht selbst nicht kennt, der frei ist von Erinnerun-
ich? Diese Frage kann nicht mehr und noch gen und Ablenkungen. Kein Fernseher, keine
nicht eindeutig beantwortet werden. mehr so, wie Lieblingskneipe, kein fesselndes Buch. Nur
In der neutralen Phase kommt es zu einer eine Tasse Tee, die Vögel und die Natur. Auch
Häutung. Wir streifen die alte Haut ab, für es mal war eine durchwachte Nacht, in der man nur sitzt
eine gewisse Zeit sind wir völlig ungeschützt. und denkt und hört und spürt, kann eine gu-
Nackt. Verletzlich. Ungeborgen. Der Identi- te Würdigung der neutralen Zone sein. Tim
tätsverlust ist eine äußerst beunruhigende Erfahrung. In dieser Parks lässt seinen Protagonisten Cleaver eine einsame Berghüt-
Situation ist es wichtig, daran zu glauben, dass diese Verwir- te mieten, „über der Lärmgrenze“, damit er, der als Fernsehjour-
rung einen Sinn hat – nämlich den, die Entwicklung zu einer nalist immer im Trubel stand, endlich in der Stille zu sich findet.
neuen Identität möglich zu machen. 3. Ein Tagebuch beginnen über die Erfahrungen in der neu-
tralen Zone: Dabei sind keine trivialen Eintragungen gefragt
Desillusionierung wie „Sonnenaufgang 5.40 Uhr“. Vielmehr sollte eine Ausein-
Nun wird es immer eindeutiger, dass die Welt sich verändert andersetzung mit Fragen stattfinden wie: Was geht mit mir
hat. So wie wir früher als Kind erkannten: „Es gibt gar kein vor? Worüber denke ich nach? Welche seltsamen Dinge gesche-
Christkind“, oder: „Auch Eltern sind schwache Menschen“, so hen? Welche Entscheidungen würde ich gerne treffen? Was
kann diese Erkenntnis zu einer Ernüchterung führen. „Der träume ich? Durch das Aufschreiben wird man sich Erfahrun-
Respekt vor der Realität“ (Sigmund Freud) hat gesiegt. Erst gen, Empfindungen bewusst, verlangsamt den Prozess und
wenn wir die Ernüchterung zulassen können, sind wir auch muss Dinge in Worte fassen, die man nur vage spürt.
bereit, der Wahrheit ins Auge zu schauen: „Es wird nicht mehr
so, wie es einmal war.“ Wir machen uns keine Illusionen mehr. Vielleicht erkennt man am Ende einer solchen Auszeit, dass sich
Findet keine Desillusionierung statt, besteht die Gefahr, dass etwas Neues regt. Es beginnt oft mit leisen Signalen: Eine Idee
alte Muster wiederholt werden und ein wirklicher Neuanfang taucht auf, ein Traum bringt uns zum Nachdenken, der Kom-
nicht stattfinden kann. Dann findet die verlassene Ehefrau mentar eines Freundes öffnet eine Tür, ein Satz, den man liest,
zwar wieder einen Partner, doch sie selbst hat sich nicht ver- erinnert an langgehegte Wünsche. Veränderung regt sich in uns.
ändert. Das alte Spiel geht weiter – nur mit anderen Personen. Aus der Formlosigkeit der neutralen Zone beginnt sich etwas
Neues zu formen. Erst jetzt können wir das Alte loslassen und
Die Herausforderungen, die Übergänge an uns stellen, sind mit Überzeugung sagen: „Was vorbei ist, ist vorbei!“ PHc

groß. Wir haben keine geeigneten Rituale dafür. Doch wir kön-
nen uns solche schaffen. William Bridges gibt praktische Hin- ZUM WEITERLESEN
weise, wie wir die wichtige neutrale Zone in schwierigen Zeiten William Bridges, Susan Bridges: Managing transitions. Making the most of change.
bewältigen können: Da Capo Lifelong Books, Boston 2017 (Anniversary Edition)

42 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


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43
V
on vielen Seiten hört man, dass
WIE WIR man negatives Denken nicht
zulassen soll. Oft ist es ja auch

TRÄUME sehr angenehm, von einer besseren Zu-


kunft zu träumen. Aber positives Denken
ist kein Allgemeinrezept für Glück und
Erfolg. Unsere Befunde aus 20 Jahren For-

ERDEN
Zukunftsträume sind schön. Und sogar nützlich – doch
schung zeigen, dass positive Zukunftsträu-
me uns sogar im Weg stehen können,
gerade dann, wenn wir uns einen Wunsch
erfüllen wollen, der Anstrengung und
komplexen Denkens bedarf. Um uns sol-
damit sie nicht Luftschlösser bleiben, sollten wir sie in che Wünsche zu erfüllen, ist es wichtig,
unsere Zukunftsträume mit den Hinder-
Gedanken systematisch mit der Realität konfrontieren. nissen der Realität anzureichern. Das
Erst dann bringen sie uns in Bewegung nennen wir „mentales Kontrastieren“.
Beim mentalen Kontrastieren steht am
VON GABRIELE OETTINGEN Beginn das Träumen von einer positiven

44 PS YCH OLO G IE H EUT E com p a c t


Zukunft. Sie beginnen, einen Wunsch zu
formulieren, der Ihnen sehr am Herzen
Was hält mich bringt Struktur ins Leben und hilft uns,
unsere Ziele auf kluge Weise zu verfolgen.
liegt. Dann stellen Sie sich das Schönste
vor, das Sie mit der Erfüllung des Wun-
zurück? Natürlich erfüllt sich nicht jeder noch
so gut gewoopte Traum. Auch das men-
sches verbinden. Es ist wichtig, das in
Gedanken richtig zu durchleben: Wie
Was ist das tale Kontrastieren ist keine Wunscherfül-
lungsgarantie, sondern eher ein guter
schön wäre es, den Konflikt mit meinem
Mitbewohner gelöst zu haben, die Prä-
Hindernis, das Freund im Alltag, der mir Klarheit ver-
schafft und den Weg zu konstruktivem
sentation nächste Woche richtig gut aus-
gearbeitet zu haben oder auch meinen
der Erfüllung Handeln erleichtert. Selbst wenn mein
gewoopter Wunsch einmal nicht in Er-
Job zu wechseln?
Das Erleben der Träume gibt die Rich-
meines füllung geht, entsteht aus dieser Situation
ja wieder ein neuer Wunsch, den ich dann
tung des Handelns vor. Aber danach soll-
ten Sie sich fragen: Was hält mich eigent-
Traumes im erneut woopen kann. Ich sehe zum Bei-
spiel am Abend, dass der Bericht nicht
lich zurück? Was ist das Hindernis in mir,
das der Erfüllung meines Wunsches im
Wege steht? fertig geworden ist, den ich abschließen
wollte. Aber ich habe angefangen und
Weg steht? Ist es vielleicht meine Trägheit vielleicht gemerkt, dass der Arbeitsauf-
oder gar meine Angst vor Unruhe oder wand größer ist als gedacht. Dann kann
vor Neuem? ich meinen Wunsch für den nächsten Tag
Für diese Technik des mentalen Kont- anpassen und planen, drei Seiten zu
rastierens haben wir das Akronym WOOP schreiben. So hilft uns fortlaufendes men-
erfunden. W steht für Wunsch, das erste tales Kontrastieren weiterzukommen.
O für Outcome, also die Erfüllung des lung, aber eben auch die Hindernisse in Während einer solchen Übung wird
Wunsches, das zweite O steht für Obsta- meinen Gedanken vorweg. Das erlaubt eine sehr enge Verbindung zwischen po-
cle, das Hindernis, und P steht für Plan. mir, an den Hindernissen zu arbeiten, sitiver Zukunft, Realität und möglichen
Der Plan spezifiziert, wie man re- bevor mich die Situation überfordert. Mitteln zur Überwindung der Schwierig-
agiert, wenn das besagte Hindernis auf- Manchmal ist es nicht ganz leicht, die keiten geknüpft. Diese Verbindungen, die
tritt. Das kann beispielsweise so ausse- Hürden zu sehen. Oft sind es Gefühle, uns gar nicht bewusst werden, sind für das
hen: Wenn ich Angst vor den Verände- irrationale Annahmen oder festgefahre- gewünschte Handeln verantwortlich.
rungen durch einen neuen Job spüre, ne Meinungen. Mein Hindernis mag Auch die Bedeutung der Realität wird ver-
werde ich mir vergegenwärtigen, dass ich sein, dass ich keine Zeit habe, eine Bewer- ändert. Die Feier am Samstagabend ist
Umstellungen in meinem Leben doch bung zu schreiben – aber warum habe dann zum Beispiel keine lustige Party
schon öfter gut gemeistert habe und ich eigentlich keine Zeit? Das liegt oft an mehr, sondern das Hindernis auf meinem
mich ganz gut auf mich verlassen kann. mir! Sobald sich die wahren Hürden of- Weg zu einem erfolgreichen Vorstellungs-
Wenn wir uns detailliert ausmalen, fenbaren, fällt mir meist auch ein Mittel gespräch am Montag. Auf diese Weise
welches innere Hindernis der Erfüllung ein, mit ihnen zurechtzukommen. Ich gehen wir mit ganz anderer Energie und
unseres Traums im Wege stehen könnte, kann den Wunsch dann adjustieren oder Direktheit auf Situationen zu. PHc

ist das keineswegs entmutigend. Ganz im ihn auch aufgeben, weil mir beispielswei- Aufgezeichnet von Yvonne Vávra
Gegenteil, die Vorstellung des Hindernis- se klarwird, dass ich eigentlich nicht be-
ses energetisiert uns. Wenn wir uns nicht reit bin, für den so gerne herbeifantasier-
die Hürden auf dem Weg zur erwünsch- ten Traumjob meine Zeit mit der Familie
ten Zukunft vorstellen, werden wir nicht zu opfern.
loslaufen. Denn zum Loslaufen brauchen Beim „Woopen“ wird klar, was ich
wir nicht nur Richtung, sondern auch wirklich will, was sich realisieren lässt und
Gabriele Oettingen ist Professorin für Psychologie an
Energie. wofür es sich zu kämpfen lohnt. Alles an-
der Universität Hamburg und der New York University.
Mentale Kontrastierung hilft auch, dere kann dann in Ruhe abgelegt werden.
Gabriele Oettingen: Die Psychologie des Gelingens.
zwischen vielen Möglichkeiten zu ent- Ein Rucksack voll diffuser Wünsche be- Droemer, München 2017 (Taschenbuchausgabe).
scheiden. Ich nehme die Wunscherfül- schwert nur. Das mentale Kontrastieren Internet: www.woopmylife.org (siehe auch Seite 91)

45
„Wenn
ich sein
werde,
wer
ich sein
will“
Jede Veränderung hat einen
Preis. Das Neue verunsichert
und weckt vergrabene
Ängste. Der Aufbruch fällt
leichter, wenn ich eine
Vorstellung davon habe,
wer ich am Ende des Weges
sein werde. – Ein Gespräch
mit der Psychotherapeutin
Johanna Müller-Ebert

46 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Der Satz „Wenn du etwas wirklich
willst, dann schaffst du es auch“ hält
Stellen Sie kation, der Ruhe nach dem Sturm, nun
verankere ich die Veränderung in mei-
sich hartnäckig. Aber er trifft selten zu.
Warum reicht bloße Willenskraft für
sich vor, eine nem Alltag. Ich freue mich über das, was
mir geglückt ist, betrauere vielleicht das,
eine Veränderung nicht aus?
Ohne Willenskraft kommen wir an ei-
Fee löst über was ich hinter mir gelassen habe, und
würdige meine Anstrengungen.
nem bestimmten Punkt im Verände-
rungsprozess nicht weiter, aber der Wil-
Nacht Ihr Warum ist eine Zukunftsvision auf die-
sem Weg so wichtig?
le ist eben nur ein Element von mehre-
ren. Oft erwarten wir insgeheim, dass
Problem. Damit kann man eine positive Grund-
stimmung und positive Gefühle wach-
eine einmal gefasste Absicht genügt und
sich das gewünschte Ergebnis auf magi-
Woran erken- rufen. Ich stelle mir vor, wie es sich an-
fühlen wird, wenn ich in der Zukunft
sche Weise einstellt, dass wir plötzlich fit
und schlank sind oder der neue, besser
nen Sie am derjenige sein werde, der ich sein will –
und belebe diese Vorstellung mit allen
bezahlte Job samt einer glücklichen Part-
nerschaft auf dem Silbertablett serviert
Morgen, dass Sinnen. Mein Körper schüttet dazu En-
dorphine aus. Diese wiederum befeuern
wird. So ist das aber leider nicht. Die
entscheidende Frage, die mich in Bewe-
die Fee da mein Vorhaben, aktivieren die entspre-
chenden Netzwerke im Gehirn und ge-
gung bringen kann, ist: Wer will ich sein?
Wer werde ich sein, wenn ich das, was
war? ben die nötige Antriebskraft, auch An-
strengungen ins Auge zu fassen. Wenn
mich jetzt so stört, überwunden habe? ich denke, ich müsste endlich mal mehr
Und nicht: Wie viel Willenskraft brauche Sport machen, aber kein positives Bild
ich, um etwas zu verändern? davon entwickele, wie vital und gut ich
Wie kann eine Veränderung gelingen? mich fühlen kann, wenn es mir gelungen
Eine Veränderung ist ein Prozess von ist, meine Trägheit zu überwinden, dann
jeweils vier aufeinanderfolgenden habe ich wenig Chancen, erfolgreich zu
Schritten, wovon jeder notwendig ist handeln.
und keiner übersprungen werden kann. Viele tun sich mit der Vorstellung eines
Das blenden wir gerne aus. Zu Beginn positiven Bildes schwer. Sie beschrei-
kündigt sich ein Veränderungswunsch ben detailliert und in leuchtenden Far-
zum Beispiel durch innere Unruhe an ben, was sie alles nicht wollen, haben
und beschäftigt mich auch emotional jedoch Schwierigkeiten zu sagen, was
immer stärker. Im zweiten Schritt wende sie stattdessen möchten.
ich mich vom Innen nach außen: Ich Tatsächlich erlebe ich das häufig im Coa-
prüfe meinen Wunsch an den Gegeben- ching oder in der Therapie. Hilfreich ist
heiten meiner Umwelt und meinen hier die Wunderfrage nach Steve de Sha-
Möglichkeiten und entwickele eine Zu- zer: „Stellen Sie sich vor, heute Nacht
kunftsvision davon, wer ich sein werde kommt eine Fee und löst Ihr Problem.
nach der gelungenen Veränderung, setze Woran würden Sie am Morgen erken-
mir möglichst einen inneren Termin nen, dass die Fee da war?“ Durch diese
und fange an, konkrete Veränderungs- Intervention kann ein konkretes Bild
schritte zu planen. Ich spreche mit an- einer möglichen Veränderung entstehen,
deren über mein Vorhaben, suche mir mit dem man gut weiterarbeiten kann.
Unterstützung und nutze immer wieder Ich bin überzeugt davon: Auch die, die
meine Zukunftsvision als Motor. In Pha- glauben, gar nicht zu wissen, was sie wol-
se drei werde ich aktiv, führe meine Vor- len, wissen es doch in ihrem Inneren
haben aus, jetzt bin ich am Zug. Der meist schon sehr genau. Das unwillkür-
vierte Schritt ist die Phase der Identifi- liche Wissen hat ein klares Bild. Aber die

47
jeweilige Person traut sich entweder müsste ich erst eine andere werden, um
nicht, es auszusprechen, oder ist nicht etwas verändern zu können.
bereit, die Ambivalenzen auszuhalten, Ich muss ganz sicher kein neuer Mensch
die unweigerlich mit jeder Veränderung werden, aber ich brauche vielleicht einen
verbunden sind. anderen Ich-Anteil im Vordergrund, der
Welche Ambivalenzen meinen Sie? mir hilft, mutiger nach vorne zu gehen.
Wenn ich mir eine Veränderung wün- Da gibt es vielleicht eine, die ängstlich ist
sche, hätte ich am liebsten meist das gro- und sich am liebsten versteckt. Sie hat
ße Wunder. Aber in dem Moment, wo ich aber einen anderen Ich-Anteil an ihrer
konkrete Schritte plane – zum Beispiel Seite, der neugieriger ist und vorprescht.
am Arbeitsplatz: „Ich mache keine Über- Ich könnte also einen Anteil von mir stär-
stunden mehr und gehe pünktlich“, oder ken und aufbauen, der bislang ein Schat-
in meinen sozialen Beziehungen: „Ich tendasein fristet und nur selten zum Zug
höre auf, mich bei meinen Freundinnen kommt. Um mich zu bewerben, brauche
über mein Singledasein zu beklagen und ich in meinem inneren Team einen Risi-
gebe endlich eine Kontaktanzeige auf“ –, kofreudigen, der nach vorne geht und
kann das zur Folge haben, dass ich auch etwas wagt. Wenn sich jemand trotz
Schwierigkeiten gegenüberstehe, die ich großem Frust im alten Job gar nicht auf-
vorher nicht hatte. Mein Chef ist womög- raffen kann, eine Bewerbung zu schrei-
lich nicht mehr mit mir zufrieden, meine ben, und das vielleicht sogar als Zumu-
Singlefreundinnen fühlen sich verraten. tung empfindet, ist meist ein jüngerer
Bin ich bereit, Wir waren uns schließlich einig, dass Ich-Anteil aktiv.
Männer völlig überschätzt sind. An die- Das ist vermutlich der Ich-Anteil, der
den Preis zu sem Punkt muss ich mir die entscheiden- sich darauf verlässt, dass Mama oder
de Frage stellen: Bin ich bereit, mich mit Papa das schon regeln. Wie kommt man
zahlen, den dem Preis auseinanderzusetzen, den die aus dieser kindlichen Haltung heraus?
Veränderung mit sich bringt? Halte ich Auf keinen Fall mit dem erhobenen Zei-
die Verände- es aus, dass ich vielleicht nicht mehr ge- gefinger. Im beruflichen Coaching sehen
liebt werde? wir uns an, was dieses kleine Kind im
rung mit sich Bei beruflichen Veränderungswün- Klienten fürchtet, und laden es zu einer
schen spielen auch Ängste eine Rolle. Begegnung mit dem erwachsenen Ich-
bringt? Wer weiß, ob ich wirklich etwas Besse- Anteil ein. Der Hypnotherapeut Gunther
res finde, wenn ich den ungeliebten Job Schmidt, von dem ich sehr viel gelernt
kündige? An diesem Punkt bleiben vie- habe, nennt diese Intervention „Besuch
le stecken und trauen sich gar nicht erst, aus der Zukunft“. Viele Klienten entlastet
die Fühler auszustrecken oder sich zu es sehr, ihre inneren Ich-Anteile zu ent-
bewerben. Was hilft dann? decken und vielleicht in einen Dialog mit
Wenn ich mich bewerbe, muss ich mich ihnen zu gehen. Damit kann auch die
fragen: Wer bin ich jetzt? Und wer will Schwere einer Entscheidung verfliegen.
ich in Zukunft sein? Welche Ressourcen, Es ist entlastend, wenn ich mir vergegen-
Erfahrungen und Werte habe ich zur Ver- wärtige: Da ist ein kindlicher Ich-Anteil
fügung, die mich unterstützen könnten, von mir, der Angst hat, aber es gibt noch
das zu werden? Diese Fragen zu beant- andere Persönlichkeitsanteile, die mir zur
worten kostet Zeit und Mühe. Wenn ich Seite stehen können. Es geht aber nicht
mich vor dieser Arbeit drücke, bleibe ich nur darum, den mutigen Anteil zu stär-
weiter blockiert. ken, sondern auch den ängstlichen zu
Wie ist die Frage „Wer will ich sein?“ zu befrieden. Ich betrachte die ängstlichen
verstehen? Es klingt ein bisschen so, als Ich-Anteile als Wächter, die warnen: „Pass

48 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


auf! Hier droht Gefahr.“ Ich kann die meiner Überzeugung, alles allein schaf- der Single.“ Wenn ich mich damit iden-
Warnung zur Kenntnis nehmen und sa- fen zu müssen. Unterstützend ist natür- tifizieren kann, dass ich wieder allein bin,
gen: „Danke für den Hinweis, ich habe die lich, wenn ich aus meinem Umfeld posi- heißt das, ich bin wieder auf dem Weg
Situation geprüft, es ist gerade nicht so tive Rückmeldungen für meine Anstren- und suche mir vielleicht einen neuen
gefährlich“, und mich ans Werk machen. gungen bekomme und nicht von Mies- Partner. Nur mit einer klaren Identifika-
Sie sagen, Veränderungskompetenz machern und Neidhammeln umgeben tion mit mir in meiner neuen Situation
kann man lernen. Aber spielt es nicht bin. Zur Veränderungskompetenz gehört und mit einer Zukunftsvision werde ich
auch eine große Rolle, welche Botschaf- auch, zu prüfen: Wer schadet mir bei die Kraft und Ausstrahlung für Neues
ten wir verinnerlicht haben? meinem Vorhaben? Und wer unterstützt finden.
Sicher. Wenn in der Herkunftsfamilie mich? Bei einem Miesmacher braucht Woran können Veränderungsprozesse
Neues erwünscht war und die Eltern da- man Trennungskompetenz, zumindest scheitern?
zu ermutigt haben, etwas zu wagen und vorübergehend. In allen Phasen des Veränderungsprozes-
auszuprobieren, tut man sich manchmal Könnte es sein, dass die Miesmacher die ses gibt es Hindernisse und Stolpersteine.
leichter mit Veränderungen. Wer in einer eigenen Zweifel spiegeln und deshalb Je nachdem, was ich für ein Mensch bin,
sicherheitsorientierten Familie aufge- auftauchen, wenn es ernst wird? prüfe und zögere ich vielleicht zu lange,
wachsen ist, in der man lieber beim Alten Ganz sicher werden sie durch Zweifel auf frage möglicherweise die falschen Ratge-
geblieben ist, kann sich nicht so leicht den Plan gerufen. Leider haben alte Mus- ber oder komme gar nicht erst in die
vorstellen, dass eine Veränderung etwas ter in Zeiten von Druck- oder Konflikt- Gänge. Oder ich halte die Ungewissheit
Gutes bringen kann. Aber diese Perspek- situationen einen Heimvorteil. Ihre nicht aus und überspringe die Phase zwei
tive einzunehmen ist erlernbar. Ich Netzwerke springen schnell an, wenn es des Prüfens und Planens und scheitere
schaue mit den Klienten immer nach den eng wird und es ums Überleben geht. an meiner Geschwindigkeit. Oder ich
Ressourcen, die Veränderungen ermög- Aber auch in alten, inzwischen ungünstig lasse mir nach erfolgreichem Planen und
lichen. Auch Menschen, die ängstliche gewordenen Mustern stecken Ressour- Handeln zu wenig Zeit, mich auf das
Eltern hatten, waren irgendwann einmal cen. Vielleicht war es lange eine Überle- Neue einzulassen, und kehre verschreckt
mutig und haben etwas Neues gelernt. bensstrategie, andere um Rat zu fragen. zum Altbewährten zurück. Manchmal
Fahrradfahren zum Beispiel. Wenn ich Man muss diese Strategie nicht komplett rede ich mir alles schlecht, weil ein win-
mich an das tolle Gefühl erinnere, wie über Bord werfen. Aber ich kann wählen, ziges Detail nicht ganz so geklappt hat,
das war, als plötzlich keiner mehr hinten wen ich zukünftig um Rat frage und wen wie ich mir das vorgestellt habe. Ich sage
festgehalten hat und ich allein losgefah- besser nicht. nicht, dass Verändern immer leicht ist,
ren bin, schüttet mein Körper sofort Wie ist es, wenn ich eine Veränderung aber es kann gelingen. Und wenn ich
Glückshormone aus. Diese Erfahrung ist nicht selbst gewählt habe, sondern sie mich entscheiden sollte, doch beim Alten
gespeichert. Und wenn es mir damals mir aufgezwungen wird: wenn die Ab- zu bleiben, ist auch das völlig in Ord-
gelungen ist, Fahrradfahren zu lernen, teilung geschlossen wird, die Firma nung. Niemand kann mir die wunderba-
was kein einfacher Lernprozess ist, war- umzieht oder der Partner sich trennt? re Zeit nehmen, die ich damit verbracht
um soll mir das Neue jetzt nicht auch Auch dann greift das Vierschrittemodell. habe, mir auszumalen, wie es anders sein
gelingen? Wenn mir eine Veränderung aufgedrängt könnte. PHc

Wie hängen Veränderungen mit Tren- wird, gilt es, sich als Erstes damit zu iden- Interview: Birgit Schönberger
nungen zusammen? tifizieren, dass es jetzt anders ist als vor-
Sie sind wie Schwestern. Zu jeder Verän- her, ich jemand anderes geworden bin. ZUM WEITERLESEN
derung gehören auch Trennungen und Es genügt nicht, die Situation anzuerken- Johanna Müller-Ebert: Wie Neues gelingt. Die vier
Abschiede. Vielleicht muss ich mich von nen, es geht noch einen Schritt weiter. Schritte zur Veränderungskompetenz. Kösel, München
2014
meinem ungünstigen Muster verabschie- Wenn mein Partner mich verlassen hat,
den, mir meine Wünsche so lange klein- bin ich jemand, der wieder allein ist. Es Johanna Müller-Ebert ist
Psychotherapeutin in Düsseldorf
zureden, bis nichts mehr davon übrig ist. ist völlig normal, Liebeskummer zu ha- sowie Coach und Dozentin
Oder von meiner Gewohnheit, so lange ben und ein halbes Jahr oder ein ganzes zu Themen der klinischen
die Vor- und Nachteile einer Sache abzu- Jahr zu trauern. Es ist jedoch ein großer Psychologie.

wägen, bis ich völlig erschöpft aufgebe Unterschied, ob ich mich als Verlassene
und gar nichts mehr tun kann. Oder von betrachte oder ob ich sage: „Ich bin wie-

49
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klimaneutral versendet:
Warum
Erwartungen
hilfreich
sind

Wir assoziieren Erwartungen mit „Luftschlössern“. Dabei sind sie der


Motor unseres Handelns: ohne Erwartung kein Aufbruch, keine Zukunft
VON ANNA GIELAS

W
ir sind unseren eigenen Er- neue Vorhersagen über das, was gleich Erwartung
wartungen gegenüber eher passieren wird, und vergleicht das, was ist (manchmal) Medizin
skeptisch. „Ich will mir lie- tatsächlich eintritt, mit dem Erwarte- Das „Aqua Charge Energy Water“ schien
ber nicht zu viel versprechen“, hat wohl ten.“ Erwartungen sind eines unserer ein voller Erfolg. Testpersonen fühlten
jeder von uns schon einmal gedacht. wichtigsten Hilfsinstrumente für den sich nach dem Genuss des Energydrinks
Denn allzu rosige Erwartungen können Umgang mit dem großen Unbekann- voller Tatendrang. Sie waren belebt und
zu großen Enttäuschungen führen – so ten – nämlich der Zukunft. Frühzeitliche vital – was sich sogar körperlich in einem
wie in Charles Dickens’ Roman Great Menschen, die damit rechneten, dass be- erhöhten Blutdruck widerspiegelte. Aller-
Expectations. Dabei übersehen wir, wie stimmte Höhlen von Raubtieren be- dings hatten die Probanden gar kein auf-
segensreich Erwartungen oft sind. In un- wohnt waren, näherten sich den dunklen putschendes Getränk zu sich genommen.
serem Alltag erfüllen sie essenzielle Zwe- Grotten eher vorsichtig und bedacht. Die Die Forscher Alia Crum und Damon
cke. Erwartung lenkte ihre Aufmerksamkeit Phillips hatten ihre Probanden ange-
auf die potenzielle Gefahr und half, das schwindelt. Der Zaubertrank war nichts
Erwartungen
Überleben zu sichern. Die Schutzfunkti- anderes als Mineralwasser – ein Placebo!
warnen vor Gefahr
on ist, trotz raubtiersicherer Zeiten, bis Heiler und Mediziner machen sich
„Unser Gehirn ist darauf ausgerichtet, heute geblieben. In Erwartung eines positive Erwartungen seit langem zunut-
mit Erwartungen zu operieren“, sagt der schnellen Autos nähert sich der Fußgän- ze. Bereits vor 600 Jahren kannten Medi-
Psychologe Rainer Schwarting von der ger verdeckten Kurven eher langsam und ci die Placebowirkung. Erfolgreiche Be-
Universität Marburg. „Es macht ständig möglichst am Straßenrand. handlungen mit Placebos wurden unter

52 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


anderem bei Depression, Parkinson, Erwartungen
Angststörungen, Herz-Kreislauf- und machen Stress nutzbar
Autoimmunkrankheiten beobachtet. Bei
Schmerzpatienten bewirkte der Glaube Selbst Stress kann uns potenziell weniger
an die Medizin die Produktion von En- anhaben, wenn wir von seinen positiven
dorphinen, körpereigenen Wohlfühl-
substanzen. Allerdings sind auch negati-
Seiten überzeugt sind. Das beobachteten
Alia Crum und Peter Salovey in ihren
macht Mut!
ve Erwartungen hochwirksam. Forscher Studien an der Yale University. Sie erklär-
haben mehrfach gezeigt, dass die bloße ten einem Teil ihrer Probanden, „dass
Erwartung von Schmerz das gleiche neu- Stress, vom evolutionären Standpunkt Themen-Magazine
ronale Erregungsmuster auslöst wie die betrachtet, unsere physiologischen und
mit Impulsen für ein
tatsächliche Schmerzreizung. mentalen Funktionsweisen fördert, um
den unmittelbaren Anforderungen un- erfülltes Leben
Erwartungen
serer Umwelt gerecht zu werden“, so die
steuern das Verhalten
Forscher. Dann ließen sie die Probanden
Je positiver unsere Erwartungen, desto eine Ansprache halten, anhand derer die
positiver auch unsere Erfahrungen. Das Zuhörer ihr Charisma einschätzen wür-
gilt nicht nur für Placebos, sondern gene- den. Diejenigen, die von den Vorzügen
rell für unseren Alltag. Becca Levy und solcherlei Stresses überzeugt worden wa-
Martin Slade von der Yale University haben ren, absolvierten die Übung gelassener
festgestellt: Wer negative Erwartungen als Vergleichspersonen. Sie hatten nied-
gegenüber dem hohen Alter hegt, erreicht rigere Werte des Stresshormons Kortisol
es seltener. Ihrer Langzeituntersuchung – und waren auch stärker an dem Feed-
zufolge lebten von rund 660 Teilnehmern back zu ihrer Ausstrahlung interessiert.
jene mit positiven Erwartungshaltungen Für sie war die Stresssituation eine Mög-
durchschnittlich 7,5 Jahre länger als die lichkeit, ihre Fähigkeiten zu schulen.
Fatalisten. Denn Letztere taten weniger
Erwartungen
für ihre Gesundheit, achteten seltener auf
schüren die Vorfreude
ihre Ernährung und Fitness. Zukunftshy-
pothesen bewahrheiten sich also oft, weil Gerade in der Partnerschaft können Er-
man bewusst oder unbewusst auf ihre wartungen etwas Schönes sein. Dominik
Verwirklichung hinarbeitet: eine „selbst- Schöbi und sein Team an der Universität
Abo:
erfüllende Prophezeiung“. Freiburg ließen 103 Paare zehn Tage lang
Probe-
Eine klassische Studie hierzu geht auf dreimal täglich unabhängig voneinander
aben
Robert Rosenthal und Leonore Jacobson Protokoll über ihre Erwartungen führen: 2 Ausg
!
zurück. Im Jahre 1965 machten sie Leh-
rern an einer kalifornischen Grundschu-
Wie würde das allabendliche Wiederse-
hen mit dem oder der Liebsten verlau-
f ür 1 5 €
le weis, sie hätten nach IQ-Tests bei man- fen? Würde es eine schöne Zeit werden?
chen ihrer Schüler ein besonderes Ent- Vor dem Zubettgehen protokollierten
wicklungspotenzial beobachtet. Die die Teilnehmer dann, was sich wirklich
Namen der angeblich begabten Kinder ereignet hatte. Tatsächlich erwies sich die
suchten Rosenthal und Jacobson jedoch positive Erwartungshaltung eines der
„Lass dich inspirieren!“
völlig willkürlich aus. Ein Jahr später ma- beiden Partner als entscheidend. Selbst
ßen die beiden erneut die Intelligenz. Das ursprünglich mies gelaunte Teilnehmer
Ergebnis: Fast die Hälfte der zufällig no- berichteten vor dem Einschlafen öfter, sie
minierten Kinder hatte ihren IQ deutlich hätten eine gute Zeit zu zweit genossen,
verbessert. Aufgrund ihrer Erwartung wenn ihr Partner dem gemeinsamen
hatten die Lehrer die angeblich begabten Abend mit schönen Erwartungen entge-
Schüler schlichtweg anders behandelt gengesehen hatte. PHc www.maas -mag.de
und stärker gefördert.

53
Wer bin ich?
Was will ich?
Was soll ich?
Wie Sie es schaffen, nach Ihren
Vorstellungen zu leben, indem
Sie das Skript Ihres Lebens
umschreiben. – Ein Gespräch
mit der Psychotherapeutin
Ang Lee Seifert

54 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Viele Menschen sind unzufrieden mit gar nicht so recht, warum man unzu-
ihrer Lebensweise. Am liebsten würden frieden ist, was man eigentlich will. Sie
sie sofort aus ihrem Alltagstrott ausbre- sagen, dass es drei wichtige Fragen gibt,
chen. die wir uns stellen sollten: Wer bin ich?
Dieser Wunsch ist verständlich, wird Was will ich? Was soll ich? Die Beant-
doch unser Leben immer unübersichtli- wortung der letzten Frage dürfte uns
cher und komplexer. Und es ist ein guter dabei am leichtesten fallen.
Wunsch, wenn er aus der Einsicht resul- Ja, die meisten Menschen können mit
tiert, dass man mehr aus seinem Leben „Was soll ich?“ am meisten anfangen, weil
machen könnte. Das Leben ist etwas so sie in ihrer Kindheit gelernt haben, dass
Wertvolles und Kostbares, dass es sich sie das tun sollen, was ihnen von den Er-
wirklich lohnt, eingefahrene Gleise zu wachsenen gesagt wird. Sie haben, wie die
verlassen. Leider machen viele Menschen Transaktionsanalyse es nennt, ein Lebens-
nicht das aus ihrem Leben, was eigentlich skript, das auf frühen elterlichen Bot-
möglich wäre, weil ihnen der Mut fehlt schaften basiert. Zum Beispiel „Sei so, wie
oder sie resigniert oder deprimiert sind. wir dich haben wollen“ oder „Werde nicht
Oder weil sie fürchten, anderen eine erwachsen, bleibe immer mein kleines
Veränderung nicht zumuten zu kön- Mädchen, mein kleiner Junge“ oder „Sei
nen. Sie sagen dann: „Ich würde ja ger- kein Kind, sorge für mich, nimm Rück-
ne etwas verändern, aber das kann ich sicht auf mich“. Oft ist es auch so, dass
meinem Partner, den Kindern, den Kinder stellvertretend für die Eltern etwas
Freunden nicht antun.“ Ist es nicht ein leben, das Vater oder Mutter nicht gewagt
guter Grund, aus Rücksicht auf andere haben. Der Sohn studiert wie gewünscht
das eigene Leben hintanzustellen? Medizin, die Tochter macht, was der Mut-
Wenn ein Mensch häufig in dieser Weise ter nicht möglich war. Die Eltern sind
argumentiert, dann liegt die Vermutung zufrieden. Doch für die Kinder kann das
nahe, dass er oder sie ein „Ja-aber-Spiel“ ein völlig falscher Lebensplan, ein falsches
spielt, wie es in der Transaktionsanalyse Skript sein, wenn sie den elterlichen Auf-
heißt. Der Mensch fühlt sich dann zu trag erfüllen.
schwach für Veränderungen und schiebt Woran erkenne ich, dass ich mein Le-
scheinbar objektive Gründe vor. Der ben nach einem mir von außen überge-
Wunsch ist da, aber er ist noch nicht stark stülpten Skript ausrichte?
genug. Zu Veränderungen gehört – leider Wenn ich nach einem Skript lebe, läuft
– ein gewisser Leidensdruck. Und es ge- mein Leben nach einem bestimmten,
hört auch die Erkenntnis dazu, dass ich stets gleich bleibenden Muster ab. Zum
es mir wert bin, das Beste aus meinem Beispiel erlebe ich immer wieder die glei-
Leben zu machen. Veränderungen sind chen „bittersüßen“ Gefühle und sage mir
nur möglich über die eigene Betroffen- „Da sieht man wieder: Undank ist der
heit, dass ich nicht gut mit mir umgehe, Welt Lohn“ oder „Ich hab es ja immer
und über die Einsicht, dass ich sehr wohl gewusst, dass mich niemand liebt“. Wenn
über Wahlmöglichkeiten verfüge, mein ich in einem Skript lebe, kann ich sozu-
Leben zu gestalten, es selbst in die Hand sagen schon im Voraus berechnen, wie
zu nehmen. Doch viele Menschen lieben die jeweiligen Lebenssituationen enden
sich selbst nicht genug, um den verän- werden: dass der Partner wegläuft, dass
dernden Schritt zu tun. ich wieder benachteiligt bin, dass ich nie
Oftmals verspürt man nur einen diffu- das bekomme, was ich eigentlich will …
sen Veränderungswunsch, weiß aber Wenn ich etwas verändern möchte,

55
muss ich mir also erst über das Skript anders wollen. Doch jede Art von Skript che nicht verändern zu müssen. Verän-
bewusst werden, nach dem ich lebe. Wie bedeutet eine mehr oder weniger be- derung heißt: zurückkehren zum Ur-
kann ich das feststellen? wusste Festlegung auf einen bestimmten sprung, der Mensch werden, als der ich
Typische Skriptmuster findet man sowohl Lebenszuschnitt, während ein weitge- eigentlich gedacht bin. In einer chassidi-
in Dramen und Tragödien als auch in hend skriptfreies Leben immer wieder schen Erzählung erklärt Rabbi Sussja
Märchen und modernen Theaterstücken. neue Entscheidungen, das Leben so oder seinen Schülern: „Eines Tages wird Gott
Deshalb ist es sehr hilfreich, wenn man so zu gestalten, ermöglicht – es hat nichts mich nicht fragen: ‚Warum bist du nicht
sich fragt: „Was war mein Lieblingsmär- Zwingendes. Wenn wir zum Beispiel in Mose gewesen?‘ Er wird mich fragen:
chen? Welche Geschichte habe ich gerne Routine erstarrt sind, wenn jeder Tag ‚Warum bist du nicht Rabbi Sussja gewe-
gehört?“ Ich frage meine Klienten und gleich verläuft, verlieren wir unsere Le- sen?‘“ Das, wozu man geboren ist, wie-
Klientinnen immer nach einer Geschich- benslust und Freude. Gerade wenn man derzufinden, das ist die Veränderung.
te aus der frühen Kindheit, einer Ge- sich immer häufiger und schneller müde Dazu muss man nicht unbedingt im äu-
schichte aus der Pubertät und einer Ge- fühlt und sich jeden Abend fragt: „Was ßeren Leben viel verändern. Wenn aller-
schichte aus den vergangenen zwei Jahren war heute eigentlich?“, sollte man sein dings die Veränderungen, die in mir vor-
– das kann ein Roman sein, ein Film, ein Lebensskript infrage stellen. gehen, in der Umgebung auf Grenzen
Theaterstück. Wenn man sich diese Ge- Wie lässt sich die Macht der Lebensplä- stoßen, wenn die Mitmenschen den
schichten in einer kurzen Zusammenfas- ne brechen, um Veränderungen einzu- Wandel nicht ertragen können und ihn
sung aufschreibt, werden sie prägnanter. leiten? ständig negativ kommentieren, dann
Und wenn man sie noch mehr verdichtet, Man muss zuerst die alten Mechanismen bleibt einem oft nichts anderes übrig, als
ihre Botschaft in einem einzigen Satz zu- kennenlernen. Wie ist es in der Familie sich eine andere Umgebung zu schaffen.
sammenfasst, dann kommt man schon zugegangen? Welche Botschaften haben Wenn wir von Veränderung sprechen,
sehr nahe an sein Lebensmuster heran. die Eltern gegeben? Es ist wichtig, das dann geht es im Grunde um Selbstver-
Aus unseren Lieblingsgeschichten holen kleine Mädchen, den kleinen Jungen von wirklichung?
wir genau das heraus, was für unser Leben früher zu finden, denn die Frage „Was Ja. Und dieses Bedürfnis bricht oft erst in
Bedeutung hat. Ein kleines Mädchen zum will ich?“, das ist die Frage des freien Kin- der zweiten Lebenshälfte auf. Irgend-
Beispiel, das sich abgelehnt fühlt in seiner des, wie es in der Transaktionsanalyse wann, wenn man seinen Beitrag für die
Familie, hört das Märchen von Aschen- genannt wird. Dieses Kind ist das ur- Gesellschaft geleistet hat, vielleicht Kin-
puttel und identifiziert sich mit dieser sprüngliche Sein, es verkörpert Kreativi- der großgezogen hat, dann kommt die
Gestalt. Es ist froh, eine Leidensgenossin tät, Spontaneität, Intuition. An dieses Zeit für einen selbst, und man stellt Fra-
und mit ihr die Aussicht auf späteres freie Kind, den freien Teil in einem selbst gen: „Was ist mit mir? Was muss, will ich
Glück gefunden zu haben. Der Aspekt, heranzukommen, das ist das Wichtigste. noch verwirklichen, wenn ich die Person
dass Aschenputtel am Ende den Prinzen Denn dieses freie Kind hatte einst eine sein will, als die ich gedacht bin?“
bekommt, macht die Aschenputtelrolle Vision für das eigene Leben. Eine Vision, Die Umwelt legt dies dann gerne als
verlockend. Das Mädchen und später die oft früh verschüttet wurde, weil das Egoismus aus.
auch noch die erwachsene Frau ist ganz Kind sich an die Wünsche der Eltern an- Es gibt ein jahrtausendealtes, von der
zufrieden damit, weil sie im Hinterkopf passen musste. Kirche verhängtes Verbot, das Verbot der
hat: „Eines Tages kommt der Prinz.“ Das Bedeutet das: Ich muss nur das freie Selbstliebe. Zwar wird immer gerne zi-
kann natürlich sein – und das Skript stellt Kind in mir finden, und Veränderungen tiert, dass Jesus gesagt hat: „Liebe deinen
sich als gutes Skript heraus. Es kann aber fallen leicht? Nächsten wie dich selbst.“ Dennoch fällt
auch sein, dass nie ein Prinz auftaucht Es ist ein erster Schritt, eine Befreiung. es vielen Menschen schwer, zu akzeptie-
und sie eines Tages verbittert mit ihrem Und wenn man freier, spontaner sein ren: Ich darf mich lieben, oder gar: Ich
Aschenputtelskript lebt. kann, muss man nicht unbedingt den Job liebe mich zuerst selbst. Um ein Lebens-
Man kann also nicht von vornherein wechseln oder die Familie verlassen. skript wirklich verändern oder verlassen
sagen: Das ist ein gutes, das ist ein Wir müssen also nicht gleich an funda- zu können, brauchen wir unbedingt die
schlechtes Skript? mentale Veränderungen denken, wenn Liebe zu uns selbst, das Mitgefühl für das
Nein. Ein relativ festgelegtes Leben mit wir mit unserem Leben unzufrieden eigene Dasein. Ich meine damit nicht das
starren Regeln und wenig Spielraum für sind? Mitleid in Form von Wehleidigkeit, Wei-
Neues und Kreatives muss kein schlech- Wenn ein Mensch sehr viel in seinem nerlichkeit oder anklagendem Gejam-
tes Leben sein. Für viele ist es ein völlig äußeren Leben verändert, dann kann das mer. Ich meine das Fühlen des eigenen
normales Leben, sie würden es gar nicht auch eine Abwehr sein, um das Eigentli- Wertes, das Spüren, dass das Leben zu

56 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Eines Tages
kommt der
Prinz!
Was ist,
wenn diese
Erwartung
enttäuscht
wird?

kostbar ist, um es zu vergeuden, und dass nicht nur ihren Mann, sondern auch die sich diese Frage beantworten können.
ich für die Kostbarkeit allein die Verant- Kinder verlässt, um ihre Lebensvorstel- Zum Beispiel indem man sich die eigene
wortung trage. lungen zu verwirklichen. Sie tut das ganz Beerdigung vorstellt. Wer geht im Trau-
Und was ist mit der Verantwortung, die gewiss nicht leichtfertig. Doch wenn sie erzug mit, an welcher Stelle, also wer geht
man für andere Menschen hat? spürt, die Entscheidung steht an, dann direkt hinter dem Sarg, wer irgendwo in
Als Erwachsener bin ich nur für mich muss sie den Schmerz ertragen, den Kin- der Mitte, wer bildet den Schluss? Was
allein verantwortlich – außer für Kinder. dern nicht gerecht zu werden. Natürlich bewegt diese Menschen? Wer wird eine
Ansonsten bin ich für keinen anderen wird diese Frau tun, was sie tun kann, Rede halten, und was wird er oder sie
Menschen verantwortlich. Natürlich und auch als Alleinlebende für ihre Kin- über den Verstorbenen sagen?
kann ich „meine arme alte Mutter“ un- der sorgen. Trotzdem muss sie diese Was ist für Sie persönlich ein gelunge-
terstützen, aber ich bin nicht verantwort- Schuld tragen: „Ich habe den Kindern nes Leben? Was ist Ihre Vision? Ihre
lich dafür, ob sie jetzt glücklich ist oder etwas angetan.“ Das ist nicht einfach und Berufung?
nicht. Ich kann ihr das Bett machen und oft eine Gratwanderung. Die meisten Menschen haben einen
für sie einkaufen, aber ich kann sie nicht Was ist für Sie ein gelungenes Leben? Schleier vor Augen und sehen eigentlich
zufrieden machen. Dasselbe gilt für den Ein gelungenes Leben ist ein Leben, in nicht wirklich klar. Sie machen sich selbst
Partner. Natürlich kann ich sagen, ich dem ich mich wohlfühle, in dem ich in und anderen etwas vor, spielen Theater,
fühle eine ethische Verpflichtung und Frieden mit mir und der Welt bin und eine Rolle. Ich habe schon als Kind sehr
werde diesen Menschen nicht im Stich mir sagen kann: Ich habe mein Bestes genau beobachtet. Dieses Sehen nicht zu
lassen. Aber muss ich deshalb für immer gegeben, ich habe mich eingesetzt, ich verdrängen oder zu beschönigen, son-
mit ihm zusammenleben? habe mich eingelassen auf dieses Leben. dern es zu akzeptieren, das könnte mein
Sie sagen: Veränderungen sind oft ein Von einem gelungenen Leben kann man Auftrag in diesem Leben sein – und auch
hartes Stück Arbeit. Warum ist das so? auch sprechen, wenn ein Mensch am En- anderen beim Hinsehen zu helfen. PHc
Wenn wir etwas verändern wollen, dann de seines Lebens andere Menschen um Interview: Ursula Nuber
legt uns das Leben meist eine Rechnung sich hat. Das muss nicht unbedingt die
vor, die wir begleichen müssen. Mut Familie sein. Wichtig ist, dass er oder sie Ang Lee Seifert ist Psychothera-
heißt ja nicht, ohne Angst, sondern trotz eingebunden ist in einen Kreis von Men- peutin mit dem Schwerpunkt
Transaktionsanalyse
Angst etwas zu tun. Man muss Ängste schen. Genau genommen kann man erst
und ein schlechtes Gewissen in Kauf neh- gegen Ende des Lebens prüfen, ob es ein
men. Ohne das geht es meistens nicht. gelungenes Leben war. Aber es gibt gute
Nehmen Sie zum Beispiel eine Frau, die Übungen, wie auch jüngere Menschen

57
Der
80. Geburtstag

So will ich
gelebt haben!

Ein Gedankenexperiment zum Mitmachen:


Worauf kommt es mir in meinem Leben an?
V O N G I T TA J A C O B

W
enn man etwas verändern sives Familienleben. Um herauszufinden, dass Sie den Verlauf dieser Vorstellungen
will, ist es wichtig, zunächst was Ihnen besonders am Herzen liegt, selbst steuern und in der Regel entschei-
ein Ziel zu formulieren. was Sie von Ihrem Leben tatsächlich er- den können, wie weit Sie sich in eine
Das ist gar nicht so einfach. Jeder Mensch warten, gibt es eine Übung namens „Der Situation hineinversetzen.
ist anders und braucht etwas anderes. 80. Geburtstag“. Also: Ihr 80. Geburtstag! Runde Ge-
Was ist Ihnen besonders, was weniger Es ist eine Imaginationsübung, eine burtstage sind – wie auch der Jahres-
wichtig? Was möchten Sie in den nächs- Art Gedankenspiel, nur sehr viel intensi- wechsel – Anlässe, an denen wir Rück-
ten Jahren erreichen, worauf könnten Sie ver: Sie stellen sich Situationen bildlich schau halten, an denen wir stolz auf das
verzichten? Manche Menschen wün- vor und spüren vor allem Emotionen sind, was wir erreicht haben, und bedau-
schen sich vor allem beruflichen Erfolg, und Gedanken nach, die währenddessen ern, was wir verpasst haben. Das Problem
andere legen großen Wert auf ein inten- in Ihnen aufkommen. Das Besondere ist, solcher Bestandsaufnahmen ist, dass wir

58 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Eine ehemalige
Chefsekretärin
nichts mehr ändern können: All das „hät- oder tanzen Sie mit Ihrem besten Freund,
te“ und „wäre“, die sie begleiten, ist mü- was auch immer Sie mögen. Konzentrie- schreibt Klartext
ßig, denn das Vergangene ist unumkehr- ren Sie sich noch einige Momente lang
bar. Das ist bei diesem 80. Geburtstag ganz auf Ihren Atem und kommen Sie
anders. Denn: Diesmal liegt die „Vergan- dann zurück ins Hier und Jetzt.
genheit“ noch vor Ihnen! Sie kann noch
gestaltet werden, und zwar am besten so, Was mich glücklich macht
dass Sie, wenn Sie tatsächlich achtzig Wie ist es Ihnen mit dieser Übung ergan-
werden, möglichst wenig bedauern. gen? Sind Sie ein wenig traurig geworden,
weil Ihnen bewusst wurde, dass unser
Die Zeitreise beginnt Leben endlich ist? Diese Traurigkeit soll-
Machen Sie es sich bequem. Schließen te ihren Platz bekommen. Es ist wichtig,
Sie die Augen und nehmen Sie einige um Verluste oder verpasste Chancen zu
tiefe Atemzüge. Achten Sie nur darauf, trauern, vor allem weil es Ihnen hilft, ein
wie Ihr Atem durch Ihre Nase ein- und positives Ziel zu entwickeln, herauszu-
ausströmt. Kommen Sie langsam zur finden, was Sie mit Ihrer verbleibenden
Ruhe. Lebenszeit anstellen wollen.
Wenn Sie ganz entspannt sind, bege- Ich hoffe, die Übung hat Ihnen dabei
ben Sie sich in Ihrer Vorstellung auf die geholfen, eine genauere Idee davon zu
Reise in die Zukunft bis zu Ihrem 80. entwickeln, was Sie wirklich wollen und
Geburtstag. Sie können diesen Tag so welche Werte Ihnen wichtig sind. Wir
gestalten, wie Sie wollen. Wo findet der haben heute das Gefühl, in sämtlichen
Geburtstag statt? In einem Haus? Im Lebensbereichen alles geben zu müssen. Sekretärinnen? Gibt's die überhaupt
Freien? In einem anderen Land? Gibt es Aber das ist unrealistisch. noch? Oh ja, und ohne sie läuft gar
nichts! Sie sind Chefnavi, lebende
ein Fest? Mit wem möchten Sie diesen Es ist entscheidend, dass wir wissen,
Database, Frühwarnsystem, Lebens-
Tag verbringen? Ist ein Partner, sind Kin- wo unsere Prioritäten liegen. Vielleicht
hilfecoach und Crashtest-Dummy in
der, Freunde, Kollegen oder andere Weg- ist es für Sie am wichtigsten, eine Familie
Sachen Kommunikation und Führung.
begleiter anwesend? Welche Menschen zu haben, vielleicht definieren Sie sich Doch wie funktioniert das Soziotop
sollen in Ihrem Leben bis dahin eine aber auch in erster Linie über beruflichen »Chef/-in und Assistenz« heute, wenn
wichtige Rolle gespielt haben? Erfolg, vielleicht suchen Sie Erfüllung in nur noch von irgendwo gemailt und
Schließlich steht einer der Anwesen- einem sinnvollen Job, oder Sie sind be- nicht mehr gesprochen wird? Ein poin-
den auf, ergreift das Wort und hält eine sonders glücklich, wenn Sie einen gro- tenreiches und lehrsames Buch über
kleine Rede. Was soll er an diesem Tag ßen, quasifamiliären Freundeskreis ha- den ganz normalen Arbeitswahnsinn
über Sie sagen? Welche Aspekte Ihres Le- ben. von Führungskräften und Geführten.
bens sollen besonders gewürdigt wer- Egal was es ist: Wenn Sie sich über
»Klug und kenntnisreich skizziert
den? Waren Sie besonders mutig, liebe- Ihre Prioritäten im Klaren sind, wird es
die Bestsellerautorin (mit 25 Jahren
voll, lustig, erfolgreich oder aufmerk- Ihnen leichterfallen, Ihre Energie und
Berufserfahrung als Sekretärin),
sam? Möchten Sie auch selbst etwas sa- Zeit für sich optimal einzuteilen und sich warum dieser Job zu Unrecht ganz
gen? Was war Ihnen wichtig in Ihrem Ziele zu setzen, deren Erreichen Sie tat- oben steht auf der Liste der von
Leben? Gibt es etwas, was Sie bereuen, sächlich glücklich macht und zufrieden- Automatisierung bedrohten Berufe.
oder Ziele, die Sie nicht erreicht haben? stellt. PHc Das Buch ist ein Ratgeber für Assis-
Wie möchten Sie Ihr Leben gelebt haben, tentinnen, aber auch lesenswert für
so dass Sie an Ihrem 80. Geburtstag zu- PD Dr. Gitta Jacob ist leitende Psychotherapeutin der deren Chefs.« Handelsblatt Online
frieden zurückblicken können? GAiA AG in Hamburg. Dieser Text ist ein Auszug aus
Ihrem neuen Buch Raus aus Schema 2017. 286 Seiten. 18,95 €
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sagt ist, beenden Sie die Übung mit ei- die eigene Persönlichkeit entfalten Auch als E-Book erhältlich
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16,95)
Menschen zusammen, die in Ihrem Le-
ben besonders wichtig waren und sind,

campus.de
Wie soll man erklären,
dass der menschliche
Geist, der doch fähig
ist, Sinfonien zu
komponieren oder
Sonden auf den Mars
zu entsenden, bei der
Veränderung einiger
Verhaltensgewohn-
heiten versagt?
FRANÇOIS LELORD, CHRISTOPHE ANDRÉ

60 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


DIE VISION EINES

BESSEREN ICH
Wer gute Vorsätze verwirklichen und seinen Lebenswandel
umkrempeln will, braucht eine Wunschvorstellung
von sich selbst in der Zukunft: So gut werde ich mich fühlen
VON HEIKO ERNST

W
ir sind das, was wir immer tun, wir Doch Gewohnheiten sind enorm hartnäckig. Ihr engster
sind die Summe unserer Gewohnhei- Verbündeter ist das Gehirn. Es neigt dazu, einmal gelernte
ten. Sie strukturieren unser Leben, Dinge immer wieder zu tun. Denn die neuronalen Pfade, die
und sie bestimmen unser Selbstbild. jeder Gewohnheit zugrunde liegen, sind wie Trampelpfade –
Gewohnheiten sind in aller Regel bequem, ökonomisch, in der Regel auch nützlich. Wollen wir
nützliche Verhaltensweisen, sie machen uns das Leben leichter: sie verlassen, sollten wir neue Pfade anlegen. Es reicht beispiels-
Routine entlastet uns von perma- weise nicht, sich das Rauchen oder
nentem Entscheidungszwang, sie das allzu üppige Essen abzugewöh-
gibt uns Sicherheit und macht uns nen. An die Stelle der alten Gewohn-
für andere berechenbar. Bis zu 90 heit muss eine neue, bessere treten,
Prozent unseres Alltags laufen halb- sonst ist der Rückfall programmiert.
automatisch ab, eben „wie gewohnt“.
Gelegentlich machen wir Inven- Was sind meine tiefsten
tur. Der Jahreswechsel ist die klassi- Wünsche?
sche Zeit, innezuhalten und über Auch brauchen wir einen guten
einige Gewohnheiten nachzuden- Kompass, um uns nicht schon auf
ken. Manche erweisen sich zuneh- den ersten Teilstücken zu verirren
mend als lästig, als ungesund oder und frustriert aufzugeben. Wir soll-
sogar selbstzerstörerisch, oder sie ten uns zum Beispiel fragen: Wie ist
lassen uns in einer öden Routine er- der Vorsatz eigentlich entstanden? Ist
starren, oder sie bringen uns immer es ein ureigener Wunsch zur Verän-
wieder in Konflikte mit anderen. Manche Gewohnheiten gren- derung – oder gibt man dem Drängen anderer nach: Tu end-
zen uns ein und verhindern eine Weiterentwicklung unserer lich mal was! Es lohnt sich, die eigentliche Motivation abzu-
Person. Also fassen wir gute Vorsätze: Wir wollen eine oder klären: Was sind unsere tiefsten Wünsche, Ziele und Sehnsüch-
mehrere Gewohnheiten aus unserem Repertoire aussortieren, te? Geht es „nur“ um fünf oder zehn Kilo, die wir abnehmen
wir wollen uns verändern. wollen, oder um ein neues Körpergefühl? Was steckt hinter

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dem Wunsch, Italienisch, Fechten oder Malen zu lernen? Was eingefahrenen neuronalen Pfade. Deshalb ist es wichtig, das
bedeutet das vage Ziel, „mehr Zeit für die Familie haben“? Je Programm der Selbstveränderung zunächst auf nur ein Ziel
besser sich ein guter Vorsatz mit einem eigenen, tiefer reichen- und auf überschaubare, einfache erste Schritte zu begrenzen
den Wunsch deckt, desto lohnender ist es, um seine Verwirk- – und diese ständig zu wiederholen, um möglichst schnell ei-
lichung zu kämpfen. nen neuen neuronalen Pfad anzulegen.
Deshalb müssen die guten Vorsätze mit positiven emotio- Wieder wird der Rahmen wichtig: Wenn man gute Vorsät-
nalen Zielen verknüpft werden: Wie gut fühlt sich der Körper ze als zeitlich begrenztes Projekt formuliert und ihnen quasi
an nach einem langen Lauf! Wie stolz werde ich sein, wenn ich eine Überschrift gibt, ihnen also einen inhaltlichen und einen
nächsten Sommer wieder einen Bikini anziehen kann! Wie viel zeitlichen Rahmen verpasst, gewinnen sie nachweislich an
Schönes kann ich mir leisten, wie sehr wird mein Ansehen Schwung: „2018 wird das Jahr des Abnehmens!“ oder „das Jahr,
steigen, wenn ich die Weiterbildung schaffe! in dem ich Italienisch lerne“. Auch kürzere Projekte lassen sich
Machen Sie sich also Ihren Vorsatz schmackhaft. Es nützt effektiv „einrahmen“: die Aufräumwoche, die drei Tage der
wenig, eine gewünschte bewusste Veränderung des eigenen Steuererklärung.
Verhaltens in Formeln des „Weg von XY“ (Shoppingexzessen, Hilfreich ist bei vielen Vorsätzen, neben der großen Vision
Süßigkeiten, Alkohol, Fernsehen) zu fassen. „Verbotene“ Ge- eines besseren Ich die Strategie der kleinen Schritte zu verfol-
danken sind nicht wirklich aus dem Kopf zu kriegen – sie wer- gen. Wer sich vorgenommen hat, ein Buch zu verfassen, fängt
den paradoxerweise sogar stärker und halten das verpönte Ziel am besten damit an, jeden Tag eine Seite zu schreiben, nur
im Bewusstsein präsent: Ich darf jetzt auf keinen Fall den Fern- eine, aber mindestens eine. Wer 20 Kilo abnehmen will, kon-
seher anschalten, schon wieder Schokolade essen, shoppen zentriert sich auf das erste Kilo. Wer sein Zimmer entrümpeln
gehen! Erfolgreicher sind „Hin zu“-Formeln, die ein erfreuli- will, entfernt jeden Tag einen überflüssigen Gegenstand – und
ches, lustbetontes Ziel möglichst konkret ausmalen: Wie er- wiederholt diesen Vorgang, bis das Ziel erreicht ist. Das ent-
leichtert werde ich sein, wenn ich heute endlich die Steuerer- spricht dem Kaizen, der japanischen Strategie der regelmäßi-
klärung mache! Wenn ich die nächsten drei Tage lerne, werde gen täglichen kleinen Verbesserungen.
ich nach bestandener Prüfung richtig feiern können! Das emotionale Gehirn ist so nicht ständig mit der furcht-
Der Kognitionsforscher George Lakoff von der Universität einflößenden Riesenaufgabe konfrontiert, sein Fluchtreflex
Berkeley sieht es so: Wir müssen die neuen Ideen und Infor- wird nicht ausgelöst. Und Kaizen verschafft sofort Erfolgser-
mationen, die unseren Vorsätzen zugrunde liegen, in die bereits lebnisse. Das Selbstvertrauen wächst und damit die Zuversicht,
vorhandenen neuronalen Verknüpfungen einpassen. Sonst den ganzen Weg gehen zu können. Wenn dieses Vorgehen all-
werden sie nicht akzeptiert und können nicht wirksam werden. mählich als Unterforderung empfunden wird, können die
Wir denken nämlich in „Rahmen“, also in erfahrungsgesättig- Schritte länger werden – statt jeden Tag zehn Minuten Bewe-
ten Bildern und Erzählungen, und keineswegs in Fakten. Oder gung erscheinen nun 30 Minuten jeden zweiten Tag machbar.
wie es der Hirnforscher Ernst Pöppel in seinem Buch Der Rah-
men formulierte: „Ein Rahmen gibt Ordnung, Quergedanken Öfter mal was Neues
schaffen Unordnung.“ Und diese vermeiden wir tunlichst. Die Teilnehmer an einem wissenschaftlichen Programm zur
Auch die Vorstellungen darüber, wer wir sind und wer wir Gewichtsreduzierung wurden in zwei Gruppen eingeteilt: Ne-
sein wollen, sind Rahmenerzählungen, sie strukturieren unser ben den Fitnessübungen und Ernährungsumstellungen, die
Denken und Handeln. Also brauchen wir eine „Geschichte“ für beide Gruppen verbindlich waren, erhielt eine Hälfte der
über uns, in die die guten Vorsätze samt ihren Gründen hin- Teilnehmer die zusätzliche Aufgabe, täglich etwas neu und
einpassen. Das heißt: Um gute Vorsätze in die Tat umzusetzen, anders zu machen als gewöhnlich: etwa auf einem anderen
müssen wir das Neue in eine zukunftsorientierte, emotional Weg zur Arbeit zu fahren, einen anderen Radiosender zu hören
positiv aufgeladene Geschichte fassen, die kompatibel ist mit als den gewohnten, in einem anderen Lebensmittelgeschäft
vorhandenen Selbstbildern und Erfahrungen. Mit einer mög- einzukaufen und so weiter. Diese Probanden waren deutlich
lichst bildhaften Vorstellung von uns selbst in einer besseren erfolgreicher im Pfundeschmeißen, und zudem behielten sie
Zukunft lässt sich die Aufschieberitis leichter überwinden. die neu gelernten Ess- und Bewegungsgewohnheiten bei.
Die Forscher vermuten, dass die tägliche „Innovationsauf-
Nicht zu viel auf einmal! gabe“ zu gesteigerter – und vor allem generalisierter – Wach-
Das „emotionale Gehirn“, das unsere Bedürfnisse und Ge- heit und Aufmerksamkeit führte: Wenn einem das Achtsam-
wohnheiten verwaltet, hat es gerne einfach. Wenn etwas zu sein zur Gewohnheit wird, fällt man nicht so leicht in alte
komplex erscheint, rekurriert es auf das „Bewährte“, auf die Gewohnheiten zurück. Für Veränderungswillige ist wichtig,

62 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Rückfälle sollten kein Alibi für den Abbruch sein:
Der gute Vorsatz kann dennoch weiterverfolgt werden

dass zwischen einem Impuls („Mir ist jetzt nach was Süßem!“) Auch Erfolge lassen sich schwarz auf weiß besser genießen.
und der Reaktion (Schokoriegel in den Mund schieben) immer Körpergewicht, nicht gerauchte Zigaretten oder gelaufene Ki-
wieder eine Pause, eine Zeitfuge entsteht, in der eine bewuss- lometer/Minuten kann man gut aufschreiben, bei weniger
te Entscheidung getroffen werden kann: Nein, ich trinke jetzt leicht messbaren Verhaltensweisen („Ich will nicht mehr so
lieber ein Glas Sprudel! Die Pause gibt den Denkprozessen ungeduldig/ärgerlich/aufbrausend reagieren“) sind Skalen-
höherer Ordnung, also unserem Neokortex und seinen ver- werte denkbar (sehr gut gelungen: 5 Punkte; überhaupt nicht
nünftigen Argumenten eine Chance, die Automatismen und gelungen: 0 Punkte). Wer ein solches Protokoll führt, ist nach-
Versuchungen des emotionalen Gehirns zu unterbrechen. weislich erfolgreicher bei der Verwirklichung seiner Vorsätze.
Achtsamkeit ist übrigens auch die beste Waffe gegen die Das Protokollieren liefert das Rohmaterial für eine regel-
Wellen der plötzlichen Gier auf eine Zigarette, auf ein Stück mäßige Selbstreflexion: Die wird besonders wichtig, wenn wir
Kuchen, auf ein Glas Wein. Auf solche heftigen Impulse, von „schwach werden“ oder „scheitern“. Anstatt den Vorsatz dann
Suchtforschern craving genannt, reagieren wir mit einer zu oft aufzugeben (wozu der größte Teil der Veränderungswilligen
vergeblichen Mobilisierung der Willenskräfte, wir kämpfen neigt), sollten die Gründe des Rückschlags untersucht werden.
gegen die Versuchung an, oder wir versuchen, vor ihr zu fliehen, Selbstbeobachtung in der Phase des Scheiterns kann uns bei-
oder aber wir geben uns ihr gleich hin. Erfolgreicher ist die spielsweise zeigen, warum wir es nicht geschafft haben: „Ich
Achtsamkeitstechnik, schreibt die Sozialpsychologin Susan habe schon beim Betreten der Boutique gewusst, dass ich das
Nolen-Hoeksema. Es kommt darauf an, „auf der Welle des eigentlich nicht mehr sollte, aber ich konnte halt nicht anders.“
Heißhungers oder der Gier zu surfen“, das heißt die Aufmerk- Der Lernfortschritt in diesem „Versagen“ liegt im Gewahr-
samkeit direkt auf den Reiz zu richten, nicht gegen ihn anzu- werden der eigenen Versuchung. Die Versuchung wurde „live“
kämpfen, sondern ihn sozusagen bewusst zu beobachten: Was erlebt und nicht erst hinterher bemerkt. Daran lässt sich an-
macht er mit mir? Was löst er im Körper aus? Welche Bilder setzen: Was ging der Situation voraus? Warum hat die Abwehr
steigen auf? Was denke und fühle ich gerade? nicht funktioniert? Wie ließe sie sich beim nächsten Mal stär-
Wenn wir diese Beobachterrolle einnehmen (witness-self ken? Und so weiter. Rückfälle beweisen nur eines: Die alten
nennt es der Meditationsexperte und buddhistische Mönch neuronalen Pfade sind noch da, die neuen sind noch nicht
Thich Nhat Hanh), erfahren wir vor allem eines: Die Welle stark genug. Rückfälle sollten deshalb kein Alibi für den To-
verebbt, die Gier geht vorbei! Sie lässt nach, noch während wir talabbruch eines guten Vorsatzes sein: Er kann trotzdem von
sie beobachten. Wir sind ihr nicht mehr ausgeliefert, und sie Tag zu Tag fortgesetzt werden.
verliert so ihre Macht über uns. Das Ziel aller menschlichen Verhaltensweisen ist letztlich,
dass wir uns gut fühlen. Selbst das absonderlichste und unge-
Aus Rückschlägen lernen sündeste Verhalten hat bei diesem Ziel irgendeinen verborge-
Wenn wir einen guten Vorsatz verwirklichen und eine alte Ge- nen Nutzen. Wenn wir gute Vorsätze fassen, möchten wir
wohnheit ablegen wollen, müssen wir mit Rückschlägen rech- kurzfristig befriedigende, bequeme Gewohnheiten durch „hö-
nen. Deshalb ist es hilfreich, ein Tagebuch oder ein Protokoll here“ Ziele ersetzen.
zu führen, in dem wir unsere Erfahrungen und Fortschritte, Der daraus geborene Wunsch zur Veränderung ist nicht nur
aber auch Rückschläge festhalten. Indem wir die Daten über vernünftig, er entspricht unserem Drang zur „Vertikalspan-
den eigenen Veränderungsprozess sammeln, systematisieren nung“, wie es der Philosoph Peter Sloterdijk nennt – wir wol-
wir ihn und gewinnen Erfahrungswerte, die uns auf dem wei- len lernende, sich selbst verbessernde Wesen sein. Vernunft
teren Weg nutzen, und wir erinnern uns täglich selbst daran, und Wollen allein genügen jedoch nicht, wir brauchen zudem
dass wir es ernst meinen. ein gutes Stück Selbsterkenntnis. PHc

63
64 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t
VOM WUNSCH
3
ZUR TAT
Das Rauchen aufgeben, abnehmen, Sport treiben: Warum ist es
so schwer, gute Vorsätze auf Dauer in die Tat umzusetzen? Der
Schlüssel zum nachhaltigen Erfolg liegt nicht in der Willenskraft.
Alte Gewohnheiten sind hartnäckig. Sie zu unterlassen kostet
Kraft. Erfolgversprechender ist, sie Schritt für Schritt zu ersetzen:
durch neue, bessere Gewohnheiten
Bahnen Sie

neue Pfade!

66 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Ab sofort gehe ich dreimal die Woche Das Phänomen ist wohl jedem vertraut: Man will ernsthaft
etwas an sich und seinem Leben verändern und nimmt oft
ins Fitnessstudio! Vorsätze fassen
guten Mutes das Ziel in Angriff – nur um über kurz oder lang
wir mit dem festen Willen, sie auch die Flinte ins Korn zu werfen. Veränderungswillige erleben
regelmäßig eine große Kluft zwischen guten Absichten und
umzusetzen. Nur selten gelingt das auf
deren Umsetzung, eine Kluft, die unüberwindbar scheint und
Dauer. Doch es gibt einen Trick, um demotivierend wirkt. Wenn man sich vornimmt: „Ich jogge ab
sofort jeden Morgen 30 Minuten“, und es dann nicht tut, hat
neue Verhaltensweisen zur Gewohnheit
das negative Folgen. Nicht nur verschwendet man jeden Mor-
werden zu lassen gen viel Energie, um mit dem inneren Schweinehund zu kämp-
fen („Nun steh schon auf, du hast es dir vorgenommen!“ –
VON URSUL A NUBER „Ooch, es ist doch noch dunkel draußen, und außerdem reg-
net es.“), man fühlt sich auch als Versager, wenn er siegt.
Warum scheitern so viele Veränderungspläne? Fehlt es an
Willenskraft? „Wir sollten nicht uns oder unserem Willen die
Schuld geben“, meint der Autor Stephen Guise, „sondern den
Strategien, die wir einsetzen.“ Wenn wir etwas verändern wol-
len, dann glauben und hoffen wir, dass diese Veränderung
allein durch den Entschluss zu bewerkstelligen ist. Manchmal
sind Hauruckverfahren wie „Ab morgen rauche ich nicht
mehr“ durchaus erfolgreich. Immer wieder erzählen Men-
schen, dass sie von einem Tag auf den anderen ein Verhalten
ändern oder die Weichen in ihrem Leben neu stellen konnten
– wundersame Geschichten, die den Glauben stärken, dass ein
fester Wille Berge versetzen kann.
Doch so einfach ist es nicht. Denn was wir verändern wol-
len, sind meist Gewohnheiten. Und die sind naturgemäß sehr

A
ls ein amerikanischer Lokalsender vor einigen hartnäckig. Gewohnheiten bilden sich mit der Zeit durch Wie-
Jahren seine Hörer und Hörerinnen an Sil- derholung heraus. Sie sind nicht plötzlich da. Deshalb kann
vester aufforderte, dem Moderator ihre guten man sie meist nicht von heute auf morgen wieder loswerden.
Vorsätze fürs neue Jahr mitzuteilen, meldeten „Gewohnheiten sorgen dafür, dass wir tun, was wir immer
sich 213 Menschen und erzählten bereitwillig schon getan haben, daran können auch die besten Absichten
von ihren Plänen. Manche wollten lernen, nein zu sagen, an- nichts ändern“, schreiben David Neal, Wendy Wood und Jeffrey
dere mehr Verantwortung für ihre Entscheidungen überneh- Quinn von der Duke University. „Denn äußere Signale wie Zeit
men, und wieder andere wünschten sich mehr Zeit für sich. oder Umgebung verleiten zu einer Wiederholung vertrauter
Natürlich waren auch die „Veränderungsschlager“ darunter: Verhaltensweisen.“
ein paar Pfunde abnehmen, mit dem Rauchen aufhören, ge-
duldiger werden, weniger trinken. So weit, so gut. Doch die
Radiomacher waren fies – sie fragten in regelmäßigen Abstän-
den bei den Veränderungswilligen nach dem Stand der Dinge:
Hatten sie ihre guten Vorsätze eingehalten?
Eine Woche nach dem Vorsatz waren noch 77 Prozent stand-
haft geblieben, nach zwei Wochen waren es 66 Prozent. Als ein
Monat vergangen war, hatte fast die Hälfte den Veränderungs-
wunsch aufgesteckt, nach sechs Monaten waren nur noch 40
Prozent ihren Vorsätzen treu geblieben (aber auch diese Zahl
könnte geschönt sein, da es sich um Selbstangaben handelte).

67
Jeden Tag
nur eine
Das Gehirn liebt diese Automatismen, es geht gerne ausge-
Liegestütze! tretene Pfade. Auf diese Weise spart es Energie und bewältigt
komplexe Abläufe – wie zum Beispiel beim Autofahren oder
Ständige Klavierspielen –, ohne jede einzelne Handlungssequenz be-
wusst planen zu müssen. Wenn man beschließt, einen oder
kleine Wieder- mehrere dieser bequemen Trampelpfade zu schließen, wird
sich das Gehirn zur Wehr setzen. Denn für die neue Verhal-
holungen tensweise, die man ihm anbietet (zum Beispiel ab sofort nur
noch Gemüse statt Fleisch zu essen), gibt es noch keine neu-
führen zum ronale Bahnung. Die muss erst angelegt werden. Und das ge-
lingt nur mit der richtigen Strategie.
Ziel Der Wunsch, etwas Neues zu wollen, reicht dabei nicht aus.
Denn auf die Motivation „kann man sich nicht verlassen“, sagt
Stephen Guise. „Sie hängt davon ab, wie wir uns fühlen.“ Und
Existiert ein Pfad, wird er erhalten Gefühle sind negativ beeinflussbar – vom Wetter, von Misser-
Der Gehirnforscher und Psychiater Manfred Spitzer erklärt an folgen, von Ärger – und können jede Motivation auf null he-
einem schönen Beispiel, wie unser Gehirn Gewohnheiten aus- runterfahren.
bildet: „Stellen Sie sich vor, Sie stünden auf einem Aussichts- Auch die Willenskraft erlahmt allmählich, wenn sie über-
turm in einem frisch verschneiten Park. Unter Ihnen liegen 20 ansprucht wird. Wenn der bewusste Teil im Gehirn, Stephen
Zentimeter unberührter Neuschnee. Jetzt kommen Menschen, Guise nennt ihn den „smarten Manager“, müde wird, tritt der
und Sie beobachten, wie diese scheinbar ziellos im Park um- „stupide Wiederholer“ auf den Plan: Die Basalganglien über-
herlaufen. Es geht ein leichter Wind, und die Fußstapfen der nehmen dann das Steuer. Und die interessieren sich nicht für
einzelnen Fußgänger werden rasch wieder verweht. Stellen Sie höhere und langfristigere Ziele. Sie denken nicht an Lungen-
sich nun weiter vor, dass sich an der einen Ecke des Parks eine krebs, wenn man sich eine Zigarette ansteckt. Sie vergessen die
Glühweinbude befindet und an der anderen eine Toilette. Das Waage im Bad, wenn sich Appetit auf Süßes meldet.
hat zur Folge, dass Sie nach ein paar Stunden aus Ihrer Vogel- Wie der Hirnforscher Gerhard Roth erklärt, sind Basalgan-
perspektive eine Spur von der Glühweinbude zur Toilette aus- glien „eine Art Handlungsgedächtnis“. Dort sind „alle Bewe-
machen können. Und ein einmal ausgebildeter Pfad wird sich gungsmuster niedergelegt, die sich irgendwann einmal als
selbst erhalten, weil die Leute lieber auf ihm laufen – ganz erfolgreich erwiesen haben“. Hier, so könnte man sagen, sind
einfach, weil das leichter geht. Eine Spur, die entstanden ist, die Gewohnheiten zu Hause. Und deshalb muss man diese
sorgt schon durch ihre Existenz für ihren Erhalt.“ Basalganglien erreichen, wenn man schlechte Gewohnheiten
Solche „Trampelpfade“ gibt es auch in unserem Gehirn. Sie ändern und neue installieren will.
entstehen im Prinzip genauso wie die Spuren im Park – durch Das ist nicht einfach: „Alles, was wir an Bewegungen aus-
ständige Benutzung. Bestimmte Verbindungen zwischen Ner- führen, insbesondere wenn es neu und ungewohnt ist, muss
venzellen werden durch wiederholte Erfahrungen gestärkt. mit diesem Handlungsgedächtnis abgeglichen werden“, erklärt
„Wenn Sie jeden Morgen nach dem Aufwachen duschen, exis- Roth. „Das ist am Anfang schwierig, und deshalb laufen viele
tiert eine neuronale Bahnung für diese Handlung“, erklärt neue Bewegungsweisen holprig ab. Je häufiger wir aber diese
Stephen Guise. „Sobald Sie aufwachen, feuern die zuständigen Bewegung ausführen oder intensiv üben, desto flüssiger geht
‚Duschneuronen‘, und Sie gehen ganz automatisch unter die es und – das ist ganz wichtig – desto weniger müssen wir da-
Dusche. Sie müssen nicht viel denken.“ Ähnliche neuronale rauf achten, und schließlich machen wir die Bewegung oder
Verbindungen gibt es für viele Handlungen im Alltag: Handlung wie im Schlaf.“
Autofahren, Zähneputzen, das Öffnen der Flasche Wein am
Abend, den Griff zur Chipstüte im Supermarkt. Mehr als 45 Auch Gewohnheiten fangen klein an
Prozent unserer täglichen Handlungen beruhen nicht auf be- Konkret bedeutet das: Wenn ein Verhalten zu einer guten Ge-
wusstem Nachdenken, sondern sind Gewohnheiten, wie die wohnheit werden soll, müssen wir im Gehirn einen „Trampel-
Forschergruppe um David Neal in Tagebuchstudien ermittelt pfad“ dafür anlegen. Und das gelingt am besten mit kleinen
hat. ständigen Wiederholungen.

68 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


„Eine Reise von tausend Meilen beginnt unter deinem Fuß“, Nichts davon trifft auf mini habits zu. Sie sind nicht anstren-
wusste schon der chinesische Philosoph Laotse. Ausgehend gend. Eine Liegestütze schafft jeder. Wenn man mehr leistet,
von dieser Erkenntnis, hat Stephen Guise ein Konzept der klei- ist das ein Bonus. Man fühlt sich dann nicht erschöpft, sondern
nen Schritte, sogenannter mini habits, entwickelt. Er ist über- ist stolz auf die eigene Leistung. Man kann frei entscheiden,
zeugt: „Ein wenig zu tun ist besser, als nichts zu tun.“ Und: ob man mehr tun will.
„Jeden Tag wenig zu tun hat größeren Einfluss, als wenn wir Kleine Schritte werden auch nicht als schwierig wahrge-
an einem einzelnen Tag ganz viel tun. Wenn wir jeden Tag nommen. Wenn zwei Stunden Workout im Sportstudio vor
wenig tun, ist die Chance groß, dass das, was wir tun, zu einer einem liegen oder vier Wochen strikte Diät, dann sind das
Gewohnheit wird.“ schwere „Brocken“. Aber die paar Minuten für eine Übung oder
Ein mini habit ist die kleinste Version einer Gewohnheit, die die Kraft, ein einziges Nahrungsmittel wegzulassen – das
man erwerben möchte. Zum Beispiel: schafft man.
• Sie wollen Ihren Körper durch regelmäßige Liegestützen in Negative Gefühle sind bei mini habits ebenfalls nicht zu
Form bringen? Statt gleich mit 50 oder gar 100 Übungen zu befürchten. Die winzigen Gewohnheitsänderungen sind zu
beginnen, nehmen Sie sich vor: „Ich mache jeden Tag nur unscheinbar, um uns zu frustrieren.
eine Liegestütze.“ Auch dass sie uns subjektiv ermüden, ist unwahrscheinlich.
• Sie wollen endlich mehr Zeit zum Lesen haben? Wenn Sie Unser Elan versiegt vor allem dann, wenn wir laufen und lau-
bei gleicher Schlafdauer jeden Tag eine halbe Stunde früher fen, aber das Ziel noch in weiter Ferne liegt. Bei mini habits
ins Bett gehen, ergibt das pro Jahr über 180 Stunden – wie hingegen ist die Belohnung in Reichweite.
viele Bücher können Sie in dieser Zeit lesen! Sie sind daher der perfekte Weg, um neue Gewohnheiten
• Wenn Sie mehr Gemüse essen wollen, stellen Sie nicht gleich zu entwickeln. Die Gewinne mögen am Anfang klein sein, aber,
die ganze Ernährung um. Ein fester Veggietag pro Woche wie Stephen Guise sagt: „Ein kleiner Sieg über unser Gehirn
reicht für den Anfang völlig aus. ist ein großer Sieg.“
• Wenn Sie abnehmen wollen, streichen Sie nicht sämtliche
geliebten Genüsse auf einmal aus dem Speiseplan. Fangen Nehmen Sie sich Zeit!
Sie klein an und verzichten Sie zum Beispiel nur auf die Mar- Bleibt noch die Frage: Wie lange dauert es, eine neue Gewohn-
melade beim Frühstück. heit zu etablieren? Wann wird aus den mini habits eine ausge-
wachsene stabile Gewohnheit? In einer Studie des University
Diese Tippelschritte lassen womöglich den Eindruck entste- College in London wurden 96 Teilnehmer gebeten, ein Verhal-
hen, dass man auf diese Weise niemals sein Ziel erreicht. Doch ten zu wählen, das zu einer Gewohnheit werden sollte. Manche
mini habits haben viele Vorteile. Erstens: Wenn man einmal in wollten „täglich Obst essen“, andere hofften auf „15 Minuten
Bewegung ist, macht man möglicherweise freiwillig mehr, als Bewegung täglich“. Über 84 Tage hinweg notierten die Teil-
man sich vorgenommen hat. Statt einer werden es dann viel- nehmer dann, ob sie das gewünschte Verhalten ausführten und
leicht zehn Liegestütze, denn wenn man mal begonnen hat, ist ob sie es mit der Zeit automatisch taten.
es gar nicht so schwer weiterzumachen. Zweitens: Solch kleine Je nach Vorhaben dauerte es unterschiedlich lang, bis ein
Vorhaben können gar nicht scheitern. Sie garantieren also Er- Verhalten zur Gewohnheit wurde. Der Vorsatz, ein Glas Wasser
folgserlebnisse. Und drittens: mini habits erschöpfen nicht die nach dem Essen zu trinken, war bereits nach 20 Tagen eine
Willenskraft. Denn diese, so haben Forscher in einer Metastu- Gewohnheit, das Ziel „15 Minuten Bewegung am Tag“ erreich-
die herausgefunden, schwächelt nur dann, wenn folgende vier ten die Versuchsteilnehmer erst nach 50 Tagen. Komplexere
Faktoren vorhanden sind: Anstrengung, wahrgenommene Vorhaben benötigten noch mehr Zeit. Im Durchschnitt, so
Schwierigkeit, negative Gefühle, subjektive Müdigkeit. registrierten die Londoner Forscher, dauert die Geburt einer
Gewohnheit 66 Tage – wobei es keinen Rückschlag bedeutet,
wenn man mal einen Tag aussetzt.
Doch eigentlich spielt es gar keine Rolle, wie lange es dauert,
bis eine gewünschte Veränderung zur Selbstverständlichkeit
geworden ist, meint Stephen Guise. „Denn Sie wollen doch die
neue Gewohnheit Ihr Leben lang beibehalten.“ PHc

ZUM WEITERLESEN

Stephen Guise: Viel besser als gute Vorsätze. Wie Sie mit Mini-Gewohnheiten
Maxi-Erfolge erleben. VAK, Kirchzarten 2015

69
„Wir können
Herr Schwabe, warum haben wir Ge-
wohnheiten?
Sie sollen das Leben erleichtern und er-
möglichen, dass wir uns, ohne groß

aus Routinen nachzudenken, auf unser Gefühl verlas-


sen können. So muss ich zum Beispiel
beim Radeln nicht ständig überlegen:

ausbrechen“
rechtes Bein, linkes Bein – das funktio-
niert von selbst, und ich kann mich des-
halb auf andere Sachen konzentrieren,
auf den Verkehr zum Beispiel. Je häufiger
etwas wiederholt wird, desto stärker
Wie können wir von schädlichen Automatismen wird es auch automatisiert: wie wir die
loskommen? Mit Geduld, sagt der Nahrung zu uns nehmen, was wir all-
abendlich unseren Kindern erzählen, ob
Kognitionspsychologe Lars Schwabe wir sparen oder Geld ausgeben oder wie

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wir unsere Arbeitsabläufe organisieren.
Gewohnheiten haben eine große Auswir-
Wer versteht, Welche Rolle spielt Stress als Gegen-
spieler zur Veränderung?
kung auf unser Wohlbefinden, unsere
Produktivität und unsere finanzielle Si-
wie Gewohn- Wer gestresst ist, dem fällt es schwerer,
sich anders als gewohnt zu verhalten.
tuation. Wenn sie mit unseren Zielen
übereinstimmen, sind sie nützlich, sogar
heiten funktio- Dazu haben wir eine Studie durchge-
führt: Die Teilnehmer sollten zu Beginn
überlebenswichtig. Tun sie das nicht,
rauben sie Zeit und Energie und schädi-
nieren, kann eines Experimentes zwischen zwei Ge-
tränken wählen, die sie gleichermaßen
gen sogar unsere Gesundheit. So ist die
gewohnte Hetzerei beim Frühstück, das
sie verändern mochten: Orangensaft und Schokola-
dentrunk. Dann durften sich alle an ih-
unkontrollierte Essen vor dem Fernseher rem Lieblingsgetränk satt trinken und
oder das ständige Unterbrechen der Ar- erneut wählen. Wie erwartet, entschie-
beit, um E-Mails zu lesen, gar nicht gut. den sich die Studienteilnehmer für den
Wann wird aus einer guten Gewohnheit jeweils anderen Geschmack. Nur eine
eine schlechte? Gruppe nicht. Diese wählte gewohn-
Wenn etwas automatisch abläuft, ent- Routine zu erkennen. Dann sollte man heitsmäßig Orange, auch wenn sie davon
zieht sich dieser Prozess der Kontrolle sich eine Belohnung für die entsprechen- schon genug hatten. Die Ursache für die-
und Prüfung. Nehmen wir den täglichen de Veränderung setzen. Daraufhin ist es ses Festhalten: Die Teilnehmer waren
Weg zur Arbeit. Wir gehen oder fahren wichtig, den Auslöser des Verhaltens auf- gestresst.
ihn jahrelang, ohne noch wahrzuneh- zuspüren und schließlich einen Plan da- Stress verstärkt Gewohnheiten?
men, was links und rechts von uns ge- für aufzustellen, wie die Veränderung Ja. In stressigen Situationen haben wir
schieht, ohne uns zu fragen, ob es inzwi- gelingen kann. Wer zum Beispiel jeden nicht die Energie zur Verfügung, um au-
schen vielleicht einen anderen, besseren Nachmittag einen Schokokuchen isst tomatisierte Abläufe zu unterbrechen, da
Weg gibt. Und wer kennt das nicht: Wir und diese Angewohnheit abstellen will, die Kraft für die stressige Situation selbst
wollten auf dem Weg von der Arbeit nach weil die Hose nicht mehr passt, muss zu- benötigt wird. Und so erhalten Gewohn-
Hause noch etwas einkaufen und stehen nächst die Gewohnheitsschleife ergrün- heiten dann die Vorfahrt.
plötzlich doch wieder vor der Haustür, den, die zur täglichen Wiederholung Gibt es so etwas wie einen guten Zeit-
ohne zum Supermarkt abgebogen zu führt. Sich fragen: Warum gehe ich jeden punkt für ein Umlernen?
sein, aus Gewohnheit eben. Wenn wir in Nachmittag in die Cafeteria, um die Ka- Krisen sind eine gute Chance, Gewohn-
einem Wagen sitzen, der statt einer Schal- lorienbombe zu kaufen? Bin ich unter- heiten zu verändern, denn sie machen
tung eine Automatik besitzt, treten wir zuckert? Ist es Langeweile? Ist es das Be- Menschen bereit, Neues zu akzeptieren.
beim Bremsen unwillkürlich mit dem dürfnis, Kollegen zu treffen? Oder brau- Sie fungieren gewissermaßen als Stopp-
linken Fuß auf eine nicht vorhandene che ich einfach eine Pause? Man sollte signal. Manchmal ist auch der Urlaub ein
Kupplung. Im Leben ist es eben immer eins bedenken: Belohnungen wie der guter Zeitpunkt, weil man, vom All-
wieder wichtig, sich verändernden Gege- Schokokuchen sind so mächtig, weil sie tagstrott befreit, in entspannter Atmo-
benheiten anzupassen. unsere Gelüste befriedigen. Und dagegen sphäre etwas anderes ausprobieren kann.
Warum scheitern wir oft mit unseren anzugehen ist nicht leicht. Grundsätzlich jedoch gilt: Wenn wir ver-
Vorsätzen, etwas zu verändern? Wie kann das gelingen? stehen, wie Gewohnheiten funktionie-
Manchmal überschätzen wir uns, ein an- Die Gelüste müssen umgelenkt werden. ren, haben wir auch eine Chance, sie zu
deres Mal haben wir nicht genug Zeit, um Deshalb wäre es hilfreich, mit einer neu- verändern. PHc

ein Vorhaben zu realisieren. Zudem sind en Belohnung zu experimentieren. Man Interview: Birgit Weidt
viele der Vorsätze und Ziele zu umfang- könnte, anstatt in die Cafeteria zu laufen,
reich, zu hoch gesteckt und nicht unmit- kurz nach draußen an die frische Luft Lars Schwabe ist Professor für Kognitionspsychologie
telbar erreichbar. Eines muss man sich gehen. Oder in der Cafeteria einen Müs- an der Universität Hamburg
Foto: kallejipp / photocase.de

vor Augen halten: Veränderungen stellen liriegel kaufen und ihn im Büro essen.
sich nur langsam ein. Doch mit Beharr- Oder mit einem Apfel zur Kollegin ge-
lichkeit und Geduld lassen sich die meis- hen, um zu plaudern. Indem man expe-
ten Muster durchbrechen und verän- rimentiert, kann man herausfinden, wo-
dern, wenn man folgende Schritte ein- nach es einen wirklich verlangt, und eine
hält: Zunächst ist es unerlässlich, die neue, gesündere Routine aufbauen.

71
DAS GEHEIMNIS DER

SELBST-
KONTROLLE
Wer gute Vorsätze umsetzen will, muss ständig Versuchungen widerstehen.
Manche beneidenswerten Menschen bringen von Kindheit an die
nötige Disziplin auf. Für die anderen gibt es erfolgversprechende Strategien
VON JOCHEN METZGER

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W
er in der Lebensmitte einem Klassen- le für diese Belohnungsverzögerung aufbringen konnten, be-
treffen beiwohnt, erlebt dort ein seltsa- kamen später in der Schule bessere Noten und erreichten im
mes Phänomen: Kein unbekannter Durchschnitt einen höheren Bildungsabschluss. Im Jahr 2005
Zeuge würde glauben, dass die anwe- entdeckte die Psychologin Angela Duckworth von der Univer-
senden Gäste demselben Jahrgang ent- sity of Pennsylvania, dass Schulerfolge sogar stärker von der
stammen. Manche wirken frisch, wohlhabend und vital, an- Selbstdisziplin der Schüler abhängen als von ihrer Intelligenz.
dere hingegen sind zeitig gealtert und leiden unter teils erheb- Im Leben des Einzelnen kommt Selbstkontrolle dort ins
lichen sozialen und gesundheitlichen Problemen. Zwischen Spiel, wo wir in Versuchung geraten: beim Essen, Trinken, un-
einigen der Teilnehmer scheinen zehn Lebens- serem Bedürfnis nach Entspannung, bei Sex,
jahre zu liegen. Drogen und Ablenkungen durch elektroni-
Warum ist das so? Weshalb werden die ei- Immer sche Medien. Der Psychologe Wilhelm Hof-
nen gesund, glücklich und reich, die anderen mann bezeichnet solche Begierden als den
hingegen kränklich, verzagt und verschuldet? wieder lockt new hot spot in der Erforschung der Selbst-
Liegt es an den Genen? Am sozioökonomi- kontrolle. Wie häufig, so fragte sich Hofmann,
schen Status der Eltern? Oder haben manche uns etwas, sind wir im Alltag solchen Verlockungen aus-
einfach Glück und andere Pech? „Ich habe mit gesetzt? Per Smartphone ließ er seine Proban-
meinen Kollegen um 100 Dollar gewettet, dass das sofor- den mehrmals täglich einen Fragebogen aus-
vor allem der IQ für die Unterschiede verant- füllen. Das wichtigste Ergebnis seiner Studie:
wortlich ist“, sagt Terrie Moffitt von der Duke tiges Ver- Etwa die Hälfte der Zeit, die wir im Wachzu-
University in North Carolina. Ihre Daten zog stand verbringen, lockt uns irgendetwas, das
die Psychologin aus der Dunedin Study, einem gnügen sofortiges Vergnügen verspricht. Man sitzt im
statistischen Nibelungenhort für Sozialwis- Büro und denkt, wie toll es wäre, stattdessen
senschaftler. In Dunedin, der zweitgrößten verspricht ein Nickerchen zu machen, ein Stück Torte zu
Stadt auf der Südinsel Neuseelands, begann essen, einen Cappuccino zu trinken, durchs
man in den frühen 1970er Jahren, mehr als Internet zu surfen.
1000 Kinder eines Jahrgangs regelmäßig auf ihre körperliche, Wie können wir es schaffen, solchen Versuchungen zu wi-
seelische und soziale Entwicklung hin zu vermessen. Diese derstehen? Wilhelm Hofmann zeigt, dass Begierden – wie
Datensammlung dauert noch immer an. Die Probanden haben schon Evas teuflische Lust auf den Apfel im Garten Eden –
inzwischen das mittlere Erwachsenenalter erreicht. einen dreistufigen Prozess durchlaufen, bis es zum Sündenfall
Terrie Moffitt jedenfalls hat ihre 100 Dollar verloren. Denn kommt: Wir müssen zunächst an den verlockenden Apfel den-
die Zahlen offenbarten einen mächtigeren Einflussfaktor als ken. Eine Vorstellung von ihm muss in unseren Kopf gelangen,
die Intelligenz, nämlich das Maß an Selbstkontrolle während sein rotwangiges Bild, sein süßer Geschmack, seine Saftigkeit,
des Kindesalters. Wer seine Impulse mit drei, fünf, sieben und sein fruchtiger Duft, das knackige Geräusch beim Reinbeißen.
neun Jahren kontrollieren konnte, hatte als Erwachsener mit Danach fangen wir an, uns in immer neuen Gedankenschleifen
hoher Wahrscheinlichkeit gute Gesundheitswerte und kaum in den unbändigen Wunsch des Habenwollens hineinzustei-
Probleme mit Alkohol, Zigaretten oder Drogen. Er verdiente gern. Im letzten Schritt folgt schließlich das Ausagieren der
mehr Geld als seine einst ungeduldigen, reizbaren und fahrigen Begierde, das Pflücken und Genießen der verbotenen Frucht.
Klassenkameraden. Diese wiederum wurden mit höherer Umgekehrt bedeutet das: Selbstkontrolle kann an jeder dieser
Wahrscheinlichkeit straffällig und zu alleinerziehenden Eltern. Phasen ansetzen. Daraus ergibt sich eine Reihe von Strategien,
Früh erworbene Selbstkontrolle scheint demnach ein Schlüs- die meisten von ihnen erfolgversprechend:
sel zu einem ziemlich glücklichen Leben zu sein.
Selbstkontrolle bringt uns weiter. Diese Erkenntnis ist nicht 1. Das Objekt der Begierde meiden
Fotos: as_seen / photocase.de

neu. Bereits Walter Mischels berühmte Marshmallow-Studie, Wer mit dem Rauchen aufhören möchte, sollte keine Zigaret-
Ende der 1960er Jahre begonnen, wies in diese Richtung: Mi- ten im Haus haben. Wer abnehmen will, entfernt am besten
schel platzierte Kindergartenkinder vor eine Süßigkeit. Die die Schokolade aus dem Schrank. Das mögen Ratschläge aus
Kleinen konnten den Marshmallow sofort essen oder eine den Kalenderblättern unserer Großmütter sein – wirksam sind
Viertelstunde abwarten und dann die doppelte Menge kassie- sie dennoch. Die besonders kontrollierten Teilnehmer in Wil-
ren. Mischel fand heraus: Kinder, die genügend Selbstkontrol- helm Hofmanns Studie verfolgten intuitiv genau diese Strate-

73
gie: Sie setzten sich nur selten einer starken Versuchung aus
und konnten so relativ konfliktfrei durch ihren Alltag navigie-
Wir unterschätzen
ren. Auf der anderen Seite des Spektrums fand Hofmann jene
Teilnehmer, die ihre Standfestigkeit dramatisch überschätzten:
systematisch die Macht
Sie räumten die Nougatriegel trotz ihrer Diät nicht aus dem
Schrank – und gaben der naheliegenden Verlockung entspre-
der Versuchung –
chend häufig nach. Und in einer Feldstudie der Cornell Uni-
versity naschten Sekretärinnen im Büro mehr als doppelt so
und verraten deshalb
viele Süßigkeiten, wenn diese in durchsichtigen statt in blick-
dichten Behältern auf ihrem Schreibtisch standen.
immer wieder unsere
2. Sich ablenken, wenn die Versuchung lockt vernünftigen Ziele
Kein Mensch kann an hundert Dinge gleichzeitig denken – das
liegt an unserem Arbeitsgedächtnis, der engen Eingangspfor-
te unseres Bewusstseins. Muss die Versuchung womöglich
draußen bleiben, wenn wir diesen schmalen Flur mit anderen wie diese Umbewertungstechnik funktioniert. Sie unterbricht
Gedanken blockieren? Das wollte Lotte van Dillen von der unsere automatisch ablaufenden inneren Belohnungsprozesse,
Universität Leiden herausfinden. Tatsächlich ließen sich ihre nimmt der Schokolade, der Torte, dem Bier einen Teil ihres
Versuchspersonen weniger von dargebotenem Schokoladen- Glücksversprechens. Verstärkt wird die Wirkung durch eine
gebäck verführen, wenn man sie zuvor mit kniffligen Zahlen- Technik, die Psychologen als evaluative conditioning bezeich-
rätseln beschäftigt hatte. Allerdings scheint der Trick mit der nen: Man lernt, einen Konsumartikel im Geiste mit etwas Un-
Ablenkung nur zu funktionieren, wenn man die Rechenauf- angenehmem zu verbinden: die Whiskeyflasche mit Bildern
gaben zeitlich vor den Brownies präsentiert. Denn hat sich der eines Verkehrsunfalls, die Zigarette mit Bildern von Krebspa-
Wunsch nach Süßem bereits im Kopf festgesetzt, kehrt sich der tienten im Endstadium. Walter Mischel behauptet, sich mit-
Effekt um: Dann futtern die gedanklich stark Beschäftigten hilfe dieses Tricks das Rauchen abgewöhnt zu haben.
ihre Kekse nebenbei und essen sogar besonders viele davon,
ohne es recht zu bemerken. 5. Die Lust unterdrücken
Die Strategie scheint intuitiv einleuchtend: Wenn die Schwarz-
3. Sich seine eigene Versuchung erschaffen wälder Kirschtorte lockt, man im Geiste schon die Mischung
Begehren entsteht zu einem großen Teil durch unsere Vorstel- aus Sahne, Kirschwasser und dunklem Biskuit auf der Zunge
lungen. Könnte man sich dann nicht auch gesunde, „vernünf- spürt – dann sollte man diese Fantasien einfach unterdrücken
tige“ Versuchungen selbst erschaffen, nur durch die Kraft der und die inneren Bilder verjagen wie eine lästige Fliege. Doch
Fantasie? Lässt sich zum Beispiel unsere Lust auf Sport gedank- wie gut funktioniert das? In einer englischen Studie bat man
lich steigern, indem wir uns regelmäßig den wohligen Zustand Raucher, sieben Tage lang nicht an Zigaretten zu denken. Tat-
ins Gedächtnis rufen, nach einem Dauerlauf unter die Dusche sächlich konsumierten die Probanden zunächst weniger Tabak.
zu steigen? Diesen Ansatz verfolgt ein australisch-britisches Allerdings führte die Methode zu einem Bumerangeffekt: In
Forscherteam im sogenannten functional imagery training. der folgenden Woche erhöhten die Testpersonen ihren Kon-
Tatsächlich trieben Versuchspersonen mehr Sport, wenn sie sum und rauchten sogar mehr als vor dem Experiment. Dieser
sich derlei positive Bilder mehrmals täglich in Erinnerung rie- ironic rebound effect ist inzwischen durch mehrere Studien
fen. Ein zweites Experiment konnte den Alkoholkonsum star- belegt: Gedanken unterdrücken, wenn sie sich bereits verlo-
ker Trinker um mehr als die Hälfte reduzieren – und zwar über ckend in unsere Fantasie geschlichen haben, führt zu eben
einen Zeitraum von mehreren Monaten. jenem Jo-Jo-Effekt, den man so häufig bei Diäten erlebt.

4. Die Dinge mit anderen Augen sehen 6. Die Versuchung akzeptieren


Diese Methode setzt an der zweiten Phase des Verlangens an: Gedankenunterdrückung scheint also keine sinnvolle Strategie
Die Süßigkeit liegt direkt vor uns auf dem Teller, unser Appe- zu sein. Eine wachsende Zahl an Studien beschäftigt sich neu-
tit ist bereits erwacht – wie in der Marshmallow-Studie von erdings mit Achtsamkeitstechniken, die so ziemlich das Ge-
Walter Mischel. Dort widerstanden einige Kinder der Versu- genteil empfehlen: Man übt sich darin, seinen Appetit zu
chung, indem sie sich die weißen Stücke nicht als Naschzeug, akzeptieren, allerdings ohne sich mit ihm zu identifizieren.
sondern als kleine Wolken vorstellten. Neuere Studien zeigen, Man sagt nicht mehr: „Ich brauche jetzt unbedingt Schokola-

74 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


de“, sondern: „Ich spüre, wie in mir die Lust auf Schokolade
wächst.“ Durch diese subtile Unterscheidung wird man, so die
SO GELINGT IHRE
Hoffnung, nicht mehr zum Opfer, sondern eher zum Beobach-
ter des eigenen Verlangens und kann deshalb leichter wider-
PSYCHOTHERAPIE
stehen. In dieser Strategie trainierten australische Forscher
einen Teil ihrer Probanden, die ausschließlich aus Schokoholics
GARANTIERT!
bestanden. Anschließend schenkte man jeder Versuchsperson Zu Beginn einer Therapie müssen viele
einen Beutel voller Schokolade – mit der Bitte, diesen eine Wo-
Fragen geklärt werden: Wer ist für was
che lang bei sich zu tragen, ohne davon zu naschen. Den Teil-
nehmern aus der Achtsamkeitsgruppe gelang dieses Kunststück
verantwortlich? Wie findet man den für
mehr als dreimal so häufig wie den Vergleichsprobanden. sich richtigen Therapeuten? Welche Rolle
spielt die persönliche Einstellung des
7. „Ich tu’s trotzdem nicht!“ Patienten? Gitta Jacob, erfahrene Psycho-
Wenn wir im Alltag von „Selbstkontrolle“ sprechen, denken therapeutin, beschreibt in ihrem Buch,
wir in der Regel an dieses Szenario. Wir möchten Diät halten,
wie der Einstieg in eine Therapie gelingt,
aber am Nebentisch verzehrt jemand ein Stück Sachertorte.
wie man Missverständnisse vermeidet
Wir spüren, wie der Appetit auf Süßes in uns wächst, reißen
uns aber zusammen und bestellen nur ein stilles Mineralwasser. und die therapeutischen Sitzungen
Man hemmt also ein bestimmtes Verhalten. Ein Fallstrick die-
ser Strategie liegt in einem Phänomen, das der Verhaltensöko-
nom George Loewenstein als hot-cold empathy gap bezeichnet:
Wir Menschen sind ausgesprochen schlecht darin, unser Ver-
halten im Zustand des Begehrens vorherzusagen. Wir unter-
schätzen systematisch die Macht der Versuchung – und han-
deln, wenn’s drauf ankommt, immer wieder gegen unsere
vernünftigen, langfristigen Ziele.
Kann man Verhaltenshemmung lernen? Im Prinzip ja: Man-
che Übungsprogramme setzen dabei auf Konditionierungsler-
nen – wie bei Pawlows Hunden. Forscher der Universität Maas-
tricht arbeiten mit einer sogenannten „Go/No-go-Aufgabe“.
Die Probanden sitzen vor einem Rechner und sollen möglichst
schnell die Leertaste des Computers drücken, wenn auf dem
Bildschirm der Buchstabe „f“ erscheint (go), sie sollen gar
nichts tun, wenn der Buchstabe „p“ erscheint (no-go). Im Mo-
nitorhintergrund stehen Bilder von vollen und leeren Bierglä-
sern. Bei manchen der Probanden erscheint das „p“ wie durch
Zufall immer dort, wo ein volles Bierglas zu sehen ist. Sie wer-
den also heimlich darauf konditioniert, auf ein volles Bierglas
mit „Ich tue gar nichts“ zu reagieren.
Erste Versuche zeigen, dass man den Konsum von Bier bei
starken Trinkern mit dieser Methode tatsächlich verringern
kann. Ein ähnliches Experiment in England reduzierte den
Bierkonsum der Probanden ebenfalls. Allerdings hielt der Ef-
fekt nicht lange vor: Bereits eine Woche nach dem Training
tranken die Teilnehmer wieder genauso viel wie zuvor. PHc

ZUM WEITERLESEN

Wilhelm Hofmann, Loran F. Nordgren (Hg.): The psychology of desire. The Guilford
Press, New York 2015

Leseprobe auf www.beltz.de


Le
Eine Stufe M
anchen Menschen gelingt es auf beein-
druckende Weise, sich und ihr Leben zu
verändern. Was ist ihr Geheimnis? Die
Psychologieprofessoren James O. Pro-

nach der
chaska, John Norcross und Carlo DiCle-
mente haben in unzähligen Studien mit Tausenden von Teil-
nehmern gelungene Veränderungsprozesse untersucht. Ihre
Ergebnisse fassten sie im „transtheoretischen Modell“ zusam-

anderen
men, das auch in Deutschland Eingang in die psychologische
und medizinische Praxis gefunden hat.
Kern dieses Ansatzes ist die Erkenntnis, dass erfolgreiche
Selbstveränderung ein langfristiger Prozess ist, der in bestimm-
ten Stadien verläuft. Nicht über sieben Brücken, sondern über
Von einer Gewohnheit oder einer
sechs „Stufen der Veränderung“ muss gehen, wer etwas in sei-
Sucht loszukommen ist ein langer Weg. nem Leben verändern will. „Zu viele Menschen halten nach
einfachen Lösungen Ausschau. Aber es gibt keine Wunderpil-
Wer ihn bis zu Ende gehen will, muss
len oder Wunderpläne. Veränderungswillige müssen durch
sechs Stufen überwinden alle Stadien des Veränderungsprozesses gehen, gleichgültig ob
sie sich das Trinken abgewöhnen, ihre Ängste überwinden oder
VON URSULA NUBER Gewicht verlieren wollen“, schreibt das Expertenteam.

76 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


1. Stufe: Abwehren richtet: Benjamin war auf dem Heimweg, als ihn der fremde
„Ich bin okay, so wie ich bin“ sagen Menschen, die sich in Mann nach einer bestimmten Straße fragte. Der Therapeut
dieser Phase befinden. Sie verspüren keine Notwendigkeit, sich erklärte ihm den Weg, der Mann dankte ihm – und ging in die
zu verändern. Was nach gesundem Selbstbewusstsein aussieht, entgegengesetzte Richtung. Benjamin rief ihm hinterher und
ist jedoch in Wirklichkeit meist Verleugnung. Freunde und machte ihn auf seinen Irrtum aufmerksam. „Ich weiß, dass das
Familienmitglieder haben längst keine Zweifel mehr, dass der die falsche Richtung ist“, antwortete dieser. „Ich bin für die
Betreffende ein Problem hat. Sie wissen, dass er heimlich zur richtige noch nicht bereit.“
Pulle greift, sie kennen seine Schwierigkeiten am Arbeitsplatz
oder sehen, dass seine Ehe auf dünnem Eis steht. Doch er strei- 3. Stufe: Vorbereiten
tet das hartnäckig ab. Er will nichts lesen, nichts hören, nichts Irgendwann aber ist man bereit für Stufe drei, die sich in zwei
sehen, was ihn zum Nachdenken bringen könnte. Einschlägi- wichtigen Merkmalen von Stufe zwei unterscheidet: Man kon-
ge Bücher oder Zeitungsartikel, die ihm Wohlmeinende geben, zentriert sich jetzt mehr auf die Lösung als auf das Problem.
wandern ungelesen in den Papierkorb. Und man denkt mehr an die Zukunft als an die Vergangenheit.
Die Gründe für diese Abwehr sind vielfältig: Möglicherwei- Der Veränderungsbereite weiß jetzt, welche konkreten Schrit-
se weiß der Abwehrende einfach zu wenig über sein Problem te er unternehmen will. Der Bewegungsmuffel hat sich für
– und kennt die Folgen seines Verhaltens nicht („Mein Groß- einen Fitnessklub in seiner Nähe entschieden, der Raucher hat
vater hat viel geraucht und ist 90 geworden!“). Mitunter führt sich aus den vielen Ratschlägen jene ausgesucht, die ihm am
auch zu starker sozialer Druck von Freunden oder Angehöri- meisten Erfolg versprechen.
gen zu einer Trotzreaktion („Jetzt erst recht nicht!“). Auch In der Vorbereitungsphase ist es wichtig, dass sich Verän-
fehlgeschlagene frühere Veränderungsversuche können die derungswillige mit ihrem neuen Selbst vertraut machen. Eine
Abwehr noch vergrößern. positive Vision von dem neuen Leben ohne Zigaretten, ohne
Besonders Männer verhalten sich häufig abwehrend, sobald Übergewicht, ohne Ängste hilft, einen endgültigen Entschluss
eine Selbstveränderung zur Debatte steht. Frauen sind offener zu fassen. Motivierende Fragen können sein: „Worin liegen die
für Informationen und besorgter, vor allem wenn es um ihre Vorteile, wenn ich mich verändere? In welcher Weise wird mein
Gesundheit, ihr Gewicht und ihr Ernährungsverhalten geht, Leben bereichert sein? Wie werde ich aussehen? Was werde ich
wie Studien aus dem Prochaska-Team zeigen. tun? Welche Wünsche werde ich mir erfüllen, wenn ich mein
Ziel erreicht habe?“
2. Stufe: Bewusstwerden Wer die Vorbereitungsphase erfolgreich durchlaufen will,
Menschen in dieser Phase wissen, dass sie ein Problem haben muss dem angestrebten Ziel oberste Priorität einräumen. „Ver-
und dass etwas geschehen muss. Vom aktiven Handeln sind änderung erfordert Energie, Anstrengung und Aufmerksam-
sie dennoch weit entfernt. Zu sehr sind sie damit beschäftigt, keit. Sie sind so lange nicht bereit für die nächste, aktive Pha-
die Vor- und Nachteile einer Veränderung abzuwägen. Häufig se, solange nicht der Veränderungswunsch an oberster Stelle
fallen ihnen zu diesem Zeitpunkt mehr Nachteile als Vorteile Ihrer Prioritätenliste steht“, warnen die Experten Prochaska,
ein: „Wenn ich Diät halte, kann ich nicht mehr mit meinen Norcross und DiClemente.
Freunden essen gehen; … muss ich für die Familie extra ko- Zur Vorbereitung gehört auch, andere Menschen in seine
chen.“ Oder die Pro-und-Kontra-Überlegungen enden in ei- Pläne einzuweihen. Sobald Freunde oder Verwandte davon
ner Pattsituation, Vor- und Nachteile halten sich die Waage: wissen, bekommt der Entschluss mehr Verbindlichkeit.
„Wenn ich meinen Partner verlasse, kann ich endlich tun, was Die Gefahr auf dieser Stufe ist, dass man von seiner eigenen
ich will. Aber finanziell wird es eng.“ Veränderungsbereitschaft zu begeistert ist und in der Eupho-
Die Phase der Bewusstwerdung führt daher häufig zu einer rie das Handeln „vergisst“. „Allein der Entschluss, eine Ände-
Lähmung. Obwohl veränderungswillig, fühlen sich die Men- rung einzuleiten, verursacht positive Gefühle“, schreiben Janet
schen außerstande, aktiv zu werden. Sie lesen Bücher über Polivy und C. Peter Herman. „Wer sich zu einer Änderung
Bücher, die sich mit ihrem Problem beschäftigen; sie besuchen entschließt, ist erleichtert und hat das Gefühl, sein Leben wie-
Seminare und Vorträge und strapazieren die Geduld ihrer der unter Kontrolle bringen zu können. Der Entschluss, etwas
Freunde, indem sie ihnen immer wieder ihr Leid klagen. verändern zu wollen, wird schon als belohnend empfunden,
Der Wunsch nach Veränderung ist groß, doch die Zeit dafür auch wenn noch gar nichts unternommen worden ist. So ist
erscheint ihnen noch nicht reif. Ihnen ergeht es wie jenem es kein Wunder, dass sich Menschen oft in der Phase zwischen
Fremden, von dem der Psychotherapeut Alfred Benjamin be- Entschluss und Tat am wohlsten fühlen.“

77
4. Stufe: Handeln • Stresssituationen. Monatelang hatte man keine Zigarette
Der Schritt raus aus der behaglichen Vorbereitungsphase gelingt mehr geraucht, dann kam dieses extrem anstrengende Projekt,
am besten, je konkreter der Plan ist, den man für seine Verän- man musste die Nächte durcharbeiten – und griff zum beru-
derung ausgearbeitet hat. Sebastian Bamberg von der Univer- higenden Glimmstängel. Auch Krankheit, Trennung, Arbeits-
sität Gießen konnte in seinen Studien belegen, dass die Erfolgs- platzverlust und ähnlich gravierende Ereignisse lassen einen
wahrscheinlichkeit steigt, wenn sogenannte „Implementations- schnell in altes Verhalten zurückfallen.
intentionen“ gebildet werden. Bamberg Rückschläge gehören zu fast jedem Ver-
testete in einer Studie die Bereitschaft von änderungsprozess dazu. Die meisten Men-
Studenten, eine neue Buslinie zu nutzen. Rückschläge schen kommen irgendwann ins Stolpern.
Einer Gruppe der Teilnehmer wurde nahe- Darauf sollte jeder vorbereitet sein und es
gelegt, ihre Fahrt so konkret wie möglich gehören dazu. nicht als persönliches Versagen interpre-
zu planen: Sie sollten sich auf eine spezifi- tieren, wenn er auf eine frühere Stufe zu-
sche Situation, einen bestimmten Tag, eine Viele Anläufe rückgeworfen wird – meist auf die Stufe
genaue Uhrzeit festlegen: Genau dann wer- der Bewusstwerdung oder die Stufe der
de ich die neue Linie testen! Die Studenten, sind notwendig, Vorbereitung. Fast alle, die letztlich Erfolg
die sich so gezielt vorbereitet hatten, nutz- hatten, durchliefen den Veränderungszy-
ten deutlich häufiger den Bus als Studenten, bis man sein klus mehrere Male, berichten die Väter des
die sich zwar bereiterklärt hatten, mit der „transtheoretischen Modells“. Im Durch-
neuen Linie zu fahren, sich aber nicht men- Ziel erreicht schnitt waren fünf Anläufe nötig, bis die
tal auf diese Umstellung eingestellt hatten. Betreffenden schließlich – bisweilen erst
Spielen sich die ersten Stufen des Ver- nach Jahren – ihr Ziel erreichten. Selbst-
änderungsprozesses nur im Kopf des Ver- vorwürfe sind also nicht angebracht, wenn
änderungswilligen ab, so können nun in der aktiven Phase die guten Silvestervorsätze mal wieder im Sande verlaufen sind.
auch Außenstehende erkennen, dass sich etwas tut. Der Rau- Einfach neu beginnen!
cher verschenkt seine Zigaretten, der Ernährungsumsteller
erklärt seine Wohnung zur süßigkeitenfreien Zone, der Bewe- 6. Stufe: Stabilisieren
gungsbereite hat sich in einem Fitnessstudio angemeldet. Diese Stufe streben alle Veränderungsbereiten an: Die alten
So entscheidend diese Phase ist, sie garantiert noch keinen Gewohnheiten sind endgültig überwunden, das neue Leben
Erfolg. „Menschen verwechseln zu häufig Handeln mit Verän- hat feste Konturen angenommen. Doch nicht jeder Verände-
dern“, stellen Prochaska und seine Kollegen fest. Vor allem rungsprozess endet mit dieser Stufe. Für die meisten wird
wenn Stufe drei, die Vorbereitung, vernachlässigt oder gar „Dranbleiben“ zum Dauerzustand. Selbstveränderung ist bis-
übersprungen wurde, ist das Neue oft nicht von Dauer. Ohne weilen ein nie ganz abgeschlossenes Abenteuer. Der Alkoholi-
eine grundlegende und möglichst konkrete Vorbereitung ker muss sein Leben lang den Alkohol meiden.
bleibt ein verändertes Verhalten instabil. Deshalb kommt es Ob der Veränderungsprozess seinen krönenden Abschluss
auf dieser vierten Stufe häufig zu Rückfällen. mit der Stufe der „Stabilisierung“ findet oder ob permanente
Achtsamkeit vonnöten ist – eines ist allen Menschen, die das
5. Stufe: Dranbleiben Stufenprogramm absolvieren, gemeinsam: Man muss Altver-
Vor Rückfällen ist niemand gefeit. Der wind of change ist ein trautes loslassen – und das ist oft schmerzlich. Schon der fran-
launisches Lüftchen, das bei der kleinsten Irritation die Rich- zösische Schriftsteller Anatole France wusste: „Allen Verände-
tung ändert oder sich völlig legt. Die größten Gefahren für das rungen, selbst jenen, die wir ersehnt haben, haftet etwas Me-
neue Leben sind: lancholisches an; denn wir lassen einen Teil von uns selbst
• Sozialer Druck. Bei Freunden löst der Satz „Danke, ich trin- zurück; wir müssen ein Leben sterben, ehe wir ein anderes
ke keinen Alkohol mehr“ oft Protest aus: „Sei kein Spielver- beginnen können.“
derber, ein Glas wirst du doch trinken dürfen!“
• Überschätzung der eigenen Willenskraft. Wer sich endlich ZUM WEITERLESEN
aus einer destruktiven Beziehung gelöst hat, sollte sich nicht James O. Prochaska, Janice M. Prochaska: Changing to thrive. Using the stages of
auf die Probe stellen, indem er den schwierigen Partner „nur change to overcome the top threats of your health and happiness. Hazelden, Cen-
ter City 2016
zum Kaffee“ wiedertrifft.

78 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Zehn 1 Die Aufmerksamkeit
erhöht sich
Der Raucher liest immer häufiger Artikel
6 Die Umwelt
wird kontrolliert
Der Raucher entschließt sich zu handeln

Schritte über die gesundheitlichen Folgen des


Rauchens. Er redet mit anderen über
und versucht, Situationen und Personen,
die eine Veränderung erschweren könn-

zum seinen Zigarettenkonsum und steigt


vielleicht sogar auf Lightzigaretten um.
ten, unter seine Kontrolle zu bringen.
„Ich werfe alle noch vorhandenen

Erfolg
Zigaretten weg und verhänge ein striktes

2 Gefühle werden
zugelassen
Rauchverbot über meine Wohnung.“

Sie wollen sich verändern und möchten


wissen, auf welcher der sechs Stufen des
Der Raucher hat einen Film gesehen, in
dem einem Patienten ein Lungenflügel
entfernt wurde. Die Bilder von der
7 Hilfreiche Beziehungen
werden genutzt
„Immer wenn ich in Versuchung gerate,
Veränderungsprozesses Sie sich schwarzen Raucherlunge gehen ihm rufe ich eine Freundin an.“ Sobald der
befinden? James O. Prochaska und sein nicht mehr aus dem Kopf. Aufgeregt Raucher in „gefährliche” Situationen
Team haben herausgefunden, dass es berichtet er anderen davon. Die Gefühle, gerät, lenkt er sich ab, indem er die Hilfe
typische Denkprozesse und die beim Gedanken an die möglichen von Freunden in Anspruch nimmt.
Verhaltensweisen gibt, die sich den negativen Folgen des Problemverhaltens
verschiedenen Stufen zuordnen lassen.
An ihnen kann man erkennen, an
welcher Stelle des Prozesses man steht.
aufkommen, werden zugelassen und
auch ausgedrückt. 8 Gewohnheiten werden
abtrainiert
Der Raucher ist daran gewöhnt, dass
Die Entwicklungsschritte eins bis fünf
sind kognitiver Art und typisch für die
Stufen Bewusstwerden und Vorbereiten.
3 Der Standpunkt anderer
wird wahrgenommen
„Du machst uns zu Passivrauchern, und
seine Hände eine Zigarette halten. Nun
empfindet er eine Leere, die Hände
suchen nervös nach Beschäftigung. Er
Wenn Sie sich in diesen beschriebenen das ist gefährlich“, klagen die Kollegen. gibt ihnen einen „Handschmeichler“,
Denkmustern wiederfinden, dann sind Und der veränderungswillige Raucher einen glatten Stein, und versucht sich
Sie offen für Informationen, die Ihr widerspricht ihnen nicht. Er weiß, dass daran zu gewöhnen.
Problemverhalten betreffen. Die Punkte Passivrauchen schädlich ist und dass
sechs bis zehn beschreiben konkrete
Verhaltensweisen, die typischerweise in
den höheren Stufen Handeln und
andere von seiner Nikotinsucht betroffen
sind. 9 Selbstlob
muss sein
Der Raucher belohnt sich selbst, wenn er
Dranbleiben des Veränderungsprozesses
auftreten. Befinden Sie sich in diesen
Phasen, dann sind andere Menschen und
4 Die Einstellung der
Umwelt wird registriert
Es gibt immer mehr rauchfreie Zonen. Die
(wieder) eine Woche ohne Zigarette
durchgehalten hat – zum Beispiel mit
einem Kinobesuch oder mit einem guten
konkrete Strategien eine große Gesellschaft ächtet das Rauchen mehr als Essen. Selbstbelohnung wird gezielt
Unterstützung. früher, und das findet der veränderungs- eingesetzt, um das neue Verhalten zu
willige Raucher auch in Ordnung. Er stabilisieren.
Am Beispiel eines Rauchers, der von den wehrt sich nicht dagegen, sondern hofft,
Zigaretten loskommen will, lassen sich
die zehn Entwicklungsschritte
verdeutlichen:
dass diese Maßnahmen ihm helfen, von
der Sucht loszukommen. 10 Ein Vertrag mit sich selbst
wird geschlossen
Der Raucher verspricht sich selbst, nie

5 Das eigene Verhalten


wird neu bewertet
Plötzlich stören den Raucher Dinge, die
wieder eine Zigarette anzurühren.
Sein Entschluss steht fest. Um ihn zu
bekräftigen, informiert er auch andere
ihm bislang nicht aufgefallen sind: die Menschen darüber. PHc

verrauchten Kleider, der unangenehme


kalte Rauch am Morgen in der Wohnung,
die vollen Aschenbecher.

79
ICH STEH
DAZU!

80 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


„Hätte ich nicht lieber doch …?“ Commitment ist dabei weit mehr als eine Absichtserklä-
rung, mehr als ein Versprechen, mehr als die Unterschrift un-
Oft ergreifen uns Unsicherheit ter einen Vertrag oder das „Ja!“ auf dem Standesamt. Der Be-
und Zweifel, sobald wir eine griff meint eher eine Selbstverpflichtung auf lange Sicht – und
den andauernden Prozess, in dem wir dieser Verpflichtung
Entscheidung getroffen haben. nachkommen. Commitment muss entwickelt und gepflegt
Wir eiern herum. Wirklich bereit werden – ohne regelmäßiges nachhaltiges Training verküm-
mert seine Kraft.
fürs Neue sind wir erst, wenn wir ein Wenn wir einen Entschluss gefasst und uns für eine Sache
Commitment, eine Art Pakt mit entschieden haben, empfinden wir bald zwiespältige Gefühle.
Zum einen das der Hingabe an ein Projekt oder eine Person
dem eigenen Entschluss eingehen – wir wollen! Aber wir spüren auch, dass wir nun festgelegt
sind, dass andere Optionen entfallen – wir müssen! Die Dia-
VON AXEL WOLF
lektik dieser beiden Kräfte zeigt, wie Commitment wirkt: Wenn
der Pflichtanteil, das Müssen überhandnimmt, wächst auch
die Versuchung, nach anderen Optionen zu suchen und „aus-
zusteigen“. Das gilt besonders, wenn irgendwann nur noch das
Müssen gesehen wird.
Umgekehrt ist eine Bindung, die nur auf Hingabe gegrün-
det ist, ebenso fragil. Die anfänglich positiven Gefühle wech-
seln sich auch in der größten Liebesbeziehung mit weniger
schönen ab. Und der mit Enthusiasmus entworfene Start-up-
Businessplan fällt wie ein Kartenhaus zusammen, wenn der
Bankkredit nicht bewilligt wird oder ein wichtiger Partner
abspringt. Commitment ist ein Prozess, in dem man bereit ist,
ein gerüttelt Maß an Müssen, an Frustration und Enttäuschung

W
enn wir über unsere Lebenswege und auszuhalten, weil man das Wollen ernst gemeint hat und im-
Lebensziele nachdenken und darüber mer noch von der Entscheidung überzeugt ist.
räsonieren, was die richtige Entschei-
dung an einer wichtigen Weggabelung Die Commitment-Gleichung
ist, wird ein Faktor häufig unterschätzt: Aber die Sache wird noch komplexer. Die Wirtschaftspsycho-
das Durchhaltevermögen, das wir nach einer Entscheidung login Heidi Reeder hat vier entscheidende psychologische Va-
aufbringen können oder wollen. Wie engagiert bleiben wir nun riablen in einer Formel zusammengefasst. Die Stärke eines
an der Sache dran, für die wir uns entschieden haben? Wie Commitments und damit die Wahrscheinlichkeit, ein Ziel zu
ernst ist es uns, den einmal eingeschlagenen Weg bis zum Ziel erreichen oder eine Bindung, ein Engagement aufrechtzuer-
zu gehen? Für diese Entschlossenheit hat sich ein englischer halten, bemisst sich so:
Begriff auch in der deutschen Sprache – zumindest im Busi- C = Gewinn minus Kosten plus Investment minus Optionen
ness- und Therapeutendeutsch – eingebürgert: Commitment. Mit Gewinn bezeichnet Reeder all die positiven und lustbe-
Commitment scheint der Komplexität des Verhaltens nach tonten Aspekte eines Projektes oder einer Aktivität – all das,
einer Entscheidung besser gerecht zu werden als Begriffe wie was uns überhaupt zu einer bestimmten Entscheidung bewo-
Wille, Motivation, Engagement oder Ausdauer. Denn all diese gen hat und uns zufrieden macht oder die Erwartungen erfüllt.
Tugenden oder Eigenschaften fließen in ein Commitment ein: Kosten sind die weniger erfreulichen, die anstrengenden
Es erfasst sowohl den Entschluss, also die psychische Bindung oder riskanten Aspekte, die Mühen des Alltags: die Launen des
Illustrationen: Linda Wölfel

an eine Sache – einen Beruf, einen Lebenspartner, einen Partners, die Unsicherheit eines Finanzplans, die Überstunden
Freund, eine Aktivität, eine Mitgliedschaft, ein Ziel – als auch im Job oder die immer wieder nötige Überwindung der Träg-
die Bereitschaft, diese Bindung aufrechtzuerhalten und zu heit beim Fitnessprogramm.
pflegen. Und zwar vor allem auch dann, wenn Probleme oder Investments sind die materiellen, zeitlichen und psychischen
Widerstände auftreten. Einzahlungen in eine Sache: Geld, Kreativität, Zuwendung.

81
Dieser Einsatz geht ganz oder zumindest teilweise verloren, von Alternativen das Commitment genauso absenken können
wenn man diese Sache aufgibt. Je höher die Aufwendungen wie reale. Das ist vor allem der Fall, wenn sich unsere Verglei-
sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man bei che auf irreale Maßstäbe stützen.
einem Projekt bleibt, selbst wenn die Zufriedenheit vorüber- Eine Untersuchung mit 400 verheirateten Paaren brachte
gehend auf Tiefpunkte sinkt. ein verstörendes Ergebnis: Alle Teilnehmer konsumierten häu-
Optionen bezeichnet die Alternativen zum eingeschlagenen fig Seifenopern, romantische Serien oder scripted reality-For-
Weg, die man nach eigener Einschätzung zu haben glaubt – mate wie Bachelor/Bachelorette, in denen es um Liebe, Leiden-
und gedanklich immer wieder aufruft. Wer einen Job antritt, schaft und Herzschmerz geht. Die Teilnehmer unterschieden
aber immer noch regelmäßig die Jobbörsen checkt und ande- sich jedoch darin, ob sie diese fiktiven Darstellungen für mo-
re Möglichkeiten im Auge behält, dessen Commitment redu- dellhaft und halbwegs real hielten. Wer dies in hohem Maße
ziert sich entsprechend. Wichtig ist, dass man realistisch ein- tat, gab in vertraulichen Befragungen an, immer wieder einmal
schätzt, wie groß die Optionen wirklich sind – und wie wert- mit Alternativen zu liebäugeln. Das Commitment dieser Fern-
voll die gewählte Position. Denn sonst kann sich echtes Com- sehgucker war deutlich fragiler, weil sie häufig über potenziel-
mitment nicht entwickeln – also Engagement, Leistungsbe- le andere Partner fantasierten.
reitschaft, Widerstandskraft bei Problemen. Je enger wir eine Bindung entwickelt haben, je mehr wir in
Die Commitment-Stärke einer Aktivität ist am höchsten, sie investiert haben, desto resistenter sind wir gegen die Ver-
wenn die Gewinne deutlich größer sind als die Kosten, wenn suchung anderer Optionen. Wer sich von Anfang an Hinter-
die Investments hoch sind – und wenn die Optionen gering türchen aufhält und weiter sucht – etwa in Datingportalen
sind oder resolut ausgeblendet werden. oder Jobbörsen –, wird selten genügend in die getroffene Wahl
investieren. Auch wenn er sich vormacht, das „Sich-mal-Um-
Das war eine gute Wahl … sehen“ schade ja nicht und sei eher ein amüsanter Zeitvertreib
Damit Letzteres eintritt, damit wir nicht dauernd nach ande- – er bleibt mental „auf dem Sprung“. Commitment erfordert
ren Optionen schielen, selbst wenn der Weg mal steinig wird, die bewusste Konzentration auf den eingeschlagenen Weg.
arbeitet ein psychischer Mechanismus für uns: die Nach-Ent-
scheidungs-Dissonanzreduktion (post-decisional dissonance Verzicht auf Plan B
reduction). Damit bezeichnen Kognitionspsychologen die Ge- Der Psychologe Rowland Miller hat Versuchspersonen durch
wohnheit, die guten Seiten der getroffenen Wahl und die Nach- Zeitschriften blättern lassen, vorgeblich um die Wirkung von
teile anderer Optionen zu betonen: Wer einen VW Golf gekauft Printwerbung zu untersuchen. In Wirklichkeit hat er gemessen,
hat, hebt immer wieder die Verlässlichkeit, Robustheit und wie lange die Probanden an Fotos oder Anzeigen mit attraktiven
Geräumigkeit des Wagens hervor und sieht in der Sportlichkeit Vertretern des jeweils anderen Geschlechts hängenblieben. Re-
oder Eleganz anderer Marken nicht so wichtige Eigenschaften. sultat: Die Teilnehmer, die in einem anderen Test als hochen-
Die Dissonanzen, also die inneren Widersprüche, die vor einer gagiert in ihrer derzeitigen Partnerschaft eruiert worden waren,
Entscheidung im Kopf rumoren – „robust, aber nicht sport- blätterten signifikant schneller weiter, nachdem sie die Anzeige
lich“ oder umgekehrt: „sportlich, aber reparaturanfällig“ –, mit dem sexy Unterwäschemodell bewertet hatten, während
werden durch eine unbewusste oder bewusste Ausblendung sich die wenig Engagierten solche Fotos deutlich länger zu Ge-
der anderen Möglichkeit vermindert. müte führten. Fazit: Wer sich für ein Projekt, einen Plan, einen
So einfach, wie sich das anhört, funktioniert die Dissonanz- Partner entschieden hat, sollte sich darauf mit einer gewissen
reduktion aber nicht immer und nicht bei allen Entscheidun- Ausschließlichkeit konzentrieren – und keinen Plan B in der
gen. Heidi Reeder hat die psychisch-kognitive Dynamik von Tasche haben. Denn schon die Existenz eines Plans B bedeutet,
Optionen und deren Einfluss auf das Commitment intensiver so meint Heidi Reeder, dass er eines Tages auch realisiert wird.
untersucht und ist auf einige Zusammenhänge gestoßen Wenn aber andere Optionen nicht zu übersehen oder aus-
zublenden sind, wenn man also Jobangebote erhält oder heftig
… oder gibt es doch eine bessere? angeflirtet wird, dann hilft es, diese Optionen abzuwerten und
Häufig malen wir uns andere Optionen in den schönsten Far- das hohe Commitment zum gewählten Projekt aufrechtzuer-
ben aus, wenn wir in der gegenwärtigen Lage gerade gefrustet halten. In einer Serie von Experimenten an der University of
sind oder etwas Wichtiges fehlt – etwa Autonomie, Abwechs- North Carolina sollten Versuchspersonen ein vermeintliches
lung oder Anerkennung im Job oder Zärtlichkeit und Geduld Profil einer Onlinedatingbörse beurteilen, nämlich eine kör-
beim Partner. Die Forschung zeigt, dass imaginierte Vorteile perlich sehr attraktive Person des jeweils anderen Geschlechts.

82 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Verzicht auf Plan B:
Wer sich für ein Alle Versuchsteilnehmer waren in einer festen Beziehung, und
es wurde ihnen gesagt: „Wir wissen, dass Sie selbst keinen Part-
Projekt oder einen ner suchen, es geht uns nur um Ihr Urteil über dieses Profil.“
Auch in diesem Experiment wurde vorher die Stärke der part-
Partner entschieden nerschaftlichen Bindung erfasst. Resultat: Wer sich in hohem
Maße an seine derzeitige Beziehung committed fühlte, neigte
hat, sollte sich aus- dazu, die Fragen nach der Attraktivität, der (vermuteten)
Intelligenz und dem Humor der zu beurteilenden Person
schließlich darauf erheblich negativer zu beantworten. Diejenigen, die in ihre
Partnerschaft viel investierten, schätzten dieses „Angebot“ also
konzentrieren deutlich geringer als die weniger Gebundenen.
Das systematische Abwerten von Alternativen ist für Hoch-
engagierte eine Wahrnehmungsgewohnheit, ein verinnerlich-
ter Mechanismus: Kommt für mich nicht infrage! Allerdings
muss diese Haltung tatsächlich fest in einer inneren Motivati-
on verankert sein – denn sonst tritt der „Verbotene-Früchte-
Effekt“ ein: Was man sich versagt und eher zwanghaft ausblen-
det, weil man Konventionen einhalten will oder negative Kon-
sequenzen für ein „Abschweifen“ fürchtet, wird umso attrak-
tiver. (Erwähnt sei, dass in dieser Studie jene Teilnehmer, die
wenig Commitment für ihre Partnerschaft zeigten, sehr häufig
von dem Angebot Gebrauch machten, gebührenfrei in die
Partnerkartei der Onlinebörse aufgenommen zu werden.)

Muss es das tollste Sofa sein?


Menschen unterscheiden sich in dem Perfektionismus, den sie
bei ihren Entscheidungen an den Tag legen. Die einen streben
nach einer optimalen Wahl. Das sind die Leute, die endlos nach
dem allerbesten, tollsten Sofa suchen – der Sozialpsychologe
Barry Schwartz nennt sie maximizer. Sie wollen partout das
Maximum herausholen. Andere hingegen können auch mit
dem zweit- oder drittbesten Sofa der Welt glücklich werden –
Schwartz nennt sie satisficer. „Gut genug“ reicht ihnen.
Maximierer tendieren stark dazu, auch nach getroffenen
Entscheidungen über die Möglichkeit nachzudenken, dass es
da noch andere Optionen gibt und sie vielleicht doch nicht die
optimale Wahl getroffen haben. Sie „binden“ sich nicht an das
gekaufte Sofa, bleiben innerlich auf Distanz zum neuen Job,
lesen in der neuen Wohnung weiterhin die Immobilienanzei-
gen. Maximierer rechnen immer damit, dass noch etwas Bes-
seres möglich ist. Diese bindungsscheue Haltung nennt Heidi
Reeder future surfing – man investiert viel mehr Energie und
Zeit in fiktive zukünftige, noch bessere Optionen als in beste-
hende Projekte und Beziehungen. PHc

ZUM WEITERLESEN

Heidi Reeder: Commit to win. How to harness the four elements of commitment
to reach your goals. Plume, New York 2015

83
„Gehen Sie eine
Liebesbeziehung
mit Ihrer
Entscheidung ein!“
Bleiben oder gehen? Zusagen oder absagen? Was soll ich nur tun?
Wir verzweifeln an Entscheidungen, wenn beide Alternativen
uns gleichwertig erscheinen. Die Philosophin Ruth Chang empfiehlt,
das Abwägen sein zu lassen – und den Knoten auf ganz andere
Weise aufzulösen

Frau Chang, jeder Mensch steht irgend- Was schwierige Entscheidungen schwie- Die meisten Menschen versuchen zu-
wann vor einer schwierigen Entschei- rig macht, ist die Art und Weise, wie die nächst herauszufinden, was ihnen wich-
dung. Viele empfinden solche Situatio- Alternativen miteinander in Beziehung tig ist, und sammeln dann Informatio-
nen als quälend und lähmend. Sie sagen stehen. Bei einer einfachen Entscheidung nen: Was spricht dafür? Was spricht da-
nun, dass wir es uns oft unnötig schwer- ist eine Alternative besser als eine andere. gegen? Viele glauben, dass dies die einzi-
machen. Bei einer schwierigen Wahl dagegen ha- gen notwendigen Schritte sind. Und so
Schwierige Entscheidungen verbindet ben beide Alternativen ihre Vorteile. Man sammeln sie immer mehr Informatio-
man in der Tat oft mit Quälerei, mit Hän- quält sich zum Beispiel damit, ob man in nen, in der Hoffnung, auf diese Weise die
deringen und Zähneknirschen. Dies ist seinem jetzigen Job in der Stadt bleiben beste Entscheidung zu finden. Aber das
jedoch eine falsche Vorstellung. Wenn oder mit der Familie aufs Land umsie- wird nicht funktionieren. Schwierige
man versteht, was schwierige Entschei- deln soll, wo es eine herausfordernde Entscheidungen sind schwierig, weil es
Illustrationen: Elke Ehninger

dungen wirklich ausmacht, legt man eine Stelle gibt. Es gibt gute Gründe fürs Blei- keine beste Option gibt.
geheime Macht frei, die jeder Mensch ben, es gibt gute Gründe fürs Umziehen. Warum nicht?
besitzt. Was tun Menschen normalerweise, Angenommen, man will zwischen zwei
Was ist denn das Merkmal schwieriger wenn sie eine schwierige Entscheidung Jobs wählen, zum Beispiel Investment-
Entscheidungen? treffen müssen? banker oder Grafiker. Es gibt eine Reihe

84 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


85
von Kriterien, die bei einer solchen Ent-
scheidung wichtig sein können: wie auf-
Schwierige bei Wertvorstellungen. Als Menschen,
die von der Aufklärung geprägt sind, nei-
regend die Arbeit ist, ob sie finanzielle
Sicherheit bietet, wie viel Zeit für die
Entscheidungen gen wir zum Glauben, dass wissenschaft-
liches Denken den Schlüssel zu allem
Familie bleibt. Vielleicht würde einen die
Karriere als Künstler an die Spitze neuer
bieten eine Wichtigen in der Welt darstellt. Aber die
Welt der Wertvorstellungen funktioniert
bildlicher Ausdrucksformen führen; da-
für gehörte man als Investmentbanker
wunderbare anders als die Welt der Wissenschaft. Die
Dinge in der einen Welt kann man mit-
womöglich zur Avantgarde, was ausge-
fuchste Finanzinstrumente angeht. Man
Gelegenheit hilfe von reellen Zahlen quantifizieren.
Bei den Dingen in der anderen Welt ist
stellt fest, dass keine der beiden Optionen
der anderen überlegen ist.
zur Weiterent- das nicht möglich.
Wie sollten wir dann unsere Wahl tref-
Nun weiter angenommen, man ver-
bessert einen der beiden Jobs ein biss-
wicklung. So fen?
Wenn wir uns zwischen Optionen ent-
chen. Vielleicht erhöht die Bank, die ei-
nen umwirbt, das Gehalt um 500 Dollar.
können wir scheiden, die auf einer Stufe stehen, kön-
nen wir etwas wirklich Bemerkenswertes
Macht das zusätzliche Geld den Bankjob
besser als die Arbeit als Künstler? Nicht
die Person tun. Wir können uns mit unserem gan-
zen Selbst hinter eine Alternative stellen.
unbedingt. Aber wenn die Verbesserung
eines Jobs nicht zu einem Vorsprung im
werden, die Hier stehe ich, das bin ich. Die Entschei-
dung wird dann von Beweggründen ge-
Vergleich zum anderen Job führt, dann
können die beiden von Anfang an nicht
wir sein wollen tragen, die wir selbst erschaffen haben.
Wenn wir von innen heraus Gründe
gleich gewesen sein. Denn wenn man mit finden, uns eher für diese als für jene
zwei gleichen Dingen startet und man Option zu entscheiden, dann werden wir
verbessert eine, dann muss diese Sache voll und ganz wir selbst. Wir werden die
nun besser sein als die andere. Das trifft Autoren unseres eigenen Lebens. Wenn
bei schwierigen Entscheidungen aber wir also mit schwierigen Entscheidungen
nicht zu. konfrontiert werden, dann sollten wir
Das ist etwas rätselhaft … nicht herauszufinden versuchen, welche
Ich denke, das Rätsel entsteht, weil wir Alternative besser ist. Es gibt keine beste
eine unreflektierte Annahme über Wert- Alternative. Anstatt nach externen Grün-
vorstellungen treffen. Ohne uns dessen den zu suchen, sollten wir nach inneren
bewusst zu sein, nehmen wir an, dass Gründen Ausschau halten: Welche Art
Werte wie Gerechtigkeit, von Mensch kann ich sein oder werden?
Schönheit und Liebenswür- Lässt sich das noch etwas genauer
digkeit wissenschaftlichen beschreiben?
Größen wie Länge, Masse Vielleicht hilft die Analogie zu ei-
und Gewicht gleichen. Neh- ner Liebesbeziehung. Wenn man
men Sie irgendeine verglei- einen anderen Menschen kennen-
chende Frage, die keine lernt, hat man noch kein Com-
Wertvorstellung beinhaltet, mitment zu ihm – seine Be-
zum Beispiel: Welcher Kof- dürfnisse und Interessen
fer ist schwerer? Es gibt nur veranlassen einen nicht
drei Möglichkeiten: Das unbedingt zu handeln.
Gewicht des einen Koffers Wenn er einen zu sich nach
ist größer, kleiner oder Hause einlädt, hat man kei-
gleich im Vergleich zum Ge- nen Grund, die schmutzigen
wicht des anderen. Nicht so Teller in der Küche zu spülen

86 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Zeigen Sie,
was in Ihnen steckt

– das Chaos ist das Problem des anderen. sein Selbst zu formen und zu gestalten,
Wenn man sich aber auf den Menschen indem man fragt: „Wer kann ich sein?“
einlässt, passiert etwas im Inneren. Man Weiß man das denn immer so genau?
beschließt, „Er ist der Richtige“ oder „Sie Man kann leicht auf Irrwege geraten.
gehört nun zu meinem Leben“; man Wenn man die Frage stellt: „Wer kann ich
stellt sich hinter diesen Menschen. Wenn sein?“, sollte man sich nicht unbedingt
wir ein solches inneres Commitment auf sein Selbstbild verlassen. Man mag
eingehen, sagen wir: „Ich bin jetzt der sich beispielsweise sagen: „Ich bin je-
Mensch, dessen Bedürfnisse und Inter- mand, dem das Schicksal armer Men-
essen aufs Engste mit den Bedürfnissen schen am Herzen liegt. Also werde ich
und Interessen des anderen verbunden mein Leben dem Kampf für die Belange
sind.“ Die Belange des geliebten Men- von Armen widmen.“ Aber dies könnte
»Für alle, die sich in vielen Situationen
schen werden normativ für mich. Wenn nur eine Geschichte sein, die man sich unsicher fühlen und aus der engen Welt
jetzt schmutzige Teller in der Spüle ste- selbst erzählt. Wenn man dann einen an- ihrer ›Kafeetasse‹ ausbrechen möchten,
hen, sind es die gemeinsamen schmutzi- gesehenen, gutbezahlten Job aufgibt, um bietet der Ratgeber gute und vielseitige
gen Teller, es ist auch das eigene Problem. für einen Hungerlohn bei einer kleinen Hilfestellungen.« Psychologie Heute
Wenn man sich auf jemanden einlässt, wohltätigen Organisation zu arbeiten,  Alle Übungen online zum Download
erschafft man für sich also neue Beweg- wird man die Entscheidung als Fehler
176 Seiten. € 29,95 D | ISBN 978-3-621-28265-9
gründe, die man vorher nicht hatte; man empfinden. Das liegt daran, dass das Auch als erhältlich
verändert sich. Und dies ist genau das, Commitment nicht authentisch war.
was wir tun müssen, wenn wir in unse- Man muss ehrlich mit sich sein, welche
rem Leben mit schwierigen Entschei- Art von Person man wirklich sein kann.
dungen konfrontiert werden: Wenn wir Wenn man eine bürgerliche Vorstadt-
uns hinter eine Option stellen, gehen wir pflanze ist, dann kann man sich vielleicht
eine Liebesbeziehung mit ihr ein. nur dazu verpflichten, jedes Jahr Geld an
Eine solche Art von Commitment, von eine Hilfsorganisation zu spenden.
Selbstverpflichtung, hat nichts mit Sie argumentieren, dass eine Alternati-
Willenskraft und Entschlossenheit zu ve wertvoller für einen wird, wenn man
tun? sich aus vollem Herzen für sie entschei-
Nein, gar nichts. Wenn man ein Com- det. Wie muss man sich das vorstellen? bildungshungrig?
mitment zu einem anderen Menschen Angenommen, man wählt den stressigen wissensdurstig?
eingeht, muss man nicht seinen Willen Powerjob in der Großstadt und nicht die
stählen und seine Zähne zusammenbei- ruhige Position in der Provinz. Indem
ßen, um den anderen zu lieben und sich man diese Entscheidung fällt, verändert
um ihn zu kümmern. Die Sorge um den man sich selbst ein wenig, denn man
anderen entspringt aus dem eigenen wird zu der Person, die sich auf den stres-
Selbst, das sich durch das Eingehen der sigen Powerjob einlässt. Es ist nicht so,
Beziehung verändert hat. Commitment dass die Welt einen verändert hat. Man
bedeutet auch nicht einfach, nach innen hat sich selbst verändert, indem man sich
zu schauen und sich zu fragen: „Was ist ganz in den Stadtjob wirft. Und während
mein größter Wunsch, mein wichtigstes die beiden Alternativen vorher gleich- Beratung | Soziale Arbeit | Therapie | Supervision
Bedürfnis?“ Etwas wollen ist eine Sache, wertig waren, stimmt das nun nicht Coaching | Mediation | MBSR- und Achtsamkeits-
zu etwas stehen eine andere. Ich kann das mehr. Der Stadtjob ist jetzt wertvoller als lehrerIn | Schematherapie | Systemisch-lösungs-
orientierte Therapie- und Beratungskonzepte
Bedürfnis haben, mein gesamtes Geld für der Landjob, und man hat in der Tat
Kunsttherapie | HeilpraktikerIn (Psychotherapie)
meine Familie zu sparen, und mich den- mehr Grund, ihn auszuüben. Oder den-
Seit über 40 Jahren berufsbegleitende Fort-
noch dazu verpflichten, ein Mensch zu ken Sie wieder an die Liebesbeziehung: bildungsveranstaltungen – viele durch Psycho-
sein, der für Bedürftige spendet. Das Indem man sich voll und ganz für einen therapeuten- und Landesärztekammer Baden-
Württemberg akkreditiert.
Commitment, das ich meine, bedeutet, Ehepartner entscheidet, erhöht man den
fortbildung1.de | Christian-Belser-Straße 79a
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87
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Wert, den dieser Mensch und die Bezie-
hung zu ihm für einen hat, und er wird
Indem man normative Macht nicht ausüben, sind
Drifter. Solche Treibenden erlauben der
tatsächlich zum Menschen, mit dem man
am besten sein Leben verbringt.
sich voll und Welt, die Geschichte ihres Lebens zu
schreiben. Sie lassen zu, dass Belohnungs-
Und dies führt dazu, dass man sich wei-
terentwickelt?
ganz für einen und Bestrafungsmechanismen – ein
freundliches Schulterklopfen, Angst, die
Ganz genau. Angenommen, man ist ein
narzisstischer Mensch. Dann bekommt
Partner Tatsache, dass eine Option leicht ist – be-
stimmen, was sie tun. Die Lektion, die
man ein Kind und verpflichtet sich, es
bestmöglich großzuziehen. Die eigenen
entscheidet, man aus schwierigen Entscheidungen
lernen kann, lautet also: Denken Sie dar-
Bedürfnisse und Interessen stehen nun
nicht mehr immer an erster Stelle, son-
erhöht man über nach, wofür Sie sich einsetzen kön-
nen, wofür Sie stehen können, und wer-
dern werden zum Teil von den Belangen
des Kindes zurückgedrängt. Durch das
den Wert, den Sie diese Person durch die schwieri-
gen Entscheidungen, die Sie treffen.
Commitment hat man sich verändert,
und dies erlaubt einem nun, sich auch
den er für Haben Sie selbst schon mal vor einer
schwierigen Entscheidung gestanden?
für andere Dinge einzusetzen, hinter die
man sich als Narzisst nicht stellen konn-
einen hat Als ich mit dem College fertig war, konn-
te ich mich nicht zwischen zwei Berufs-
te. Schwierige Entscheidungen bieten wegen entscheiden, Philosophie oder
uns wunderbare Gelegenheiten, uns als Recht. Ich liebte die Philosophie. Als
Individuen weiterzuentwickeln und voll Philosophin kann man faszinierende
und ganz die Geschichte unseres Lebens Dinge in Erfahrung bringen, und das,
zu schreiben. ohne seinen Sessel verlassen zu müssen.
Heißt das, wenn ich mich einmal für Aber ich stamme aus einer bescheidenen
einen Menschen, einen Beruf oder et- Immigrantenfamilie, und die Vorstel-
was anderes entschieden habe, dann lung, mein ganzes Leben damit zuzu-
werde ich auf ewig dabei bleiben? bringen, in einem Sessel zu sitzen und
Keineswegs. Man kann ein Commitment nachzudenken, erschien mir als der Gip-
wieder lösen. Vielleicht zeigt der Liebes- fel von Extravaganz und Frivolität. Weil
partner ein Verhalten, das einen zutiefst ich nicht herausfinden konnte, welche
abstößt. Man kann dann nicht mehr voll Option besser war, machte ich das, was
hinter ihm stehen. Ähnliches kann bei viele Menschen bei schwierigen Ent-
einem Job oder einem Wohnort passie- scheidungen tun: Ich entschied mich für
ren, für den man sich mal entschieden die sichere Option. Die Angst, als arbeits-
hat. Es gibt auch Menschen, die sich nur lose Philosophin zu enden, veranlasste
schwer auf Dauer an etwas binden kön- mich, Rechtsanwältin zu werden. Wie ich
nen. Sie können vielleicht immer nur dann feststellen musste, war der Anwalts-
kurzfristige Verpflichtungen eingehen. beruf nicht ganz das Richtige für mich.
Wirklich traurig finde ich Leute, die sich Ich war das einfach nicht. Heute bin ich
niemals voll für etwas einsetzen und sich Philosophin und untersuche schwierige
durch das Leben treiben lassen. Entscheidungen. PHc

Und sich treiben zu lassen ist heutzuta- Interview: Annette Schäfer


ge verbreitet?
Ich denke, einer der schädlichsten Effek- Ruth Chang ist Professorin für
Philosophie an der Rutgers-Uni-
te des modernen Lebens ist das immer
versität in New Brunswick
weiter um sich greifende Gefühl, es sei ein
Fehler, ein Commitment einzugehen,
weil es hinter der nächsten Ecke immer
noch etwas Besseres gibt. Leute, die ihre

88 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


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PSYCHOLOGIE

Telefon: 06201 / 6007-386 · Telefax: 06201 / 6007-9386 · Internet: www.beltz.de · Email: c.klinger@beltz.de
HEUTE
MEDIEN REDAKTION: ANKE BRUDER

Ich will nicht mehr busy sein


Wer heutzutage nicht busy ist, macht sich verdächtig. Der britische Arbeits- und Organisationspsychologe
Tony Crabbe setzt dem Geschäftigkeitswahn kluge Gedanken entgegen

Tony Crabbe provoziert gern: „Machen Sie sich zum Und so packt er auch seine Zuhörerinnen und Zu-
Außenseiter. Spielen Sie mit der Aussage, dass Sie hörer an ihrer eigenen Nase und gibt ihnen die gan-
niemals busy sind … und beobachten Sie die ze Verantwortung für ihre Betriebsamkeit. Laut
Schockreaktionen in den Gesichtern Ihrer Ge- Crabbe sind wir busy, weil alle anderen es auch sind,
sprächspartner“, schreibt er in seinem Buch #Busy- weil es wie eine Sucht wirkt, weil wir damit angeben
Busy. Wir hasten zur Arbeit und texten während- wollen. Und was hilft nun dagegen? Dagegen hilft,
dessen auf unserem Smartphone herum, abends wieder Souveränität über das eigene Leben zu er-
muss die Familie unsere Aufmerksamkeit mit un- langen – zum Beispiel indem wir Prioritäten setzen
serem E-Mail-Konto teilen: Der britische Arbeits- und uns klarmachen, was uns wirklich wichtig ist.
und Organisationspsychologe ist der Meinung, dass Tony Crabbe: Die schiere Menge an Informationen, Mitteilungen
#BusyBusy. Stresse dich
die allgegenwärtige übermäßige Geschäftigkeit eine und Anforderungen sei schlichtweg zu groß, um
nicht, lebe! Campus,
vollkommen freiwillige oder zumindest automati- Frankfurt am Main 2017,
mithalten zu können. „In einer Welt des Zuviel, in
sierte Verhaltensweise ist. Sein Buch schrieb er im 319 S., " 19,95 der wir unmöglich alles bewältigen können, kommt
wörtlichen Sinn als Selbsthilfebuch, weil er seinem es darauf an, eine gute Auswahl zu treffen.“
eigenen Busy-Sein etwas entgegensetzen wollte.

90 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Jeden Tag passiert
das Gleiche: Bill
Murray im Film Und
täglich grüßt das
Murmeltier

Nur Mut!
„In welchen Situationen wären Sie gerne mu-
tiger? Was würden Sie dann gewinnen?“ – Mit
Fragen wie diesen zielt Gracia Thum auf das,
was ihrer Meinung nach den Kern aller Verän-
derungsprozesse ausmacht: Mut. In ihrem
Buch Encourage. Mut zu Veränderung be-
schreibt sie, wie Mut und Handlungsfähigkeit zusammenhän-
gen und was wir tun können, um uns mehr zu trauen. Denn
ohne Mut geht es nicht: Wir brauchen ihn, um nein zu sagen,
um uns durchzusetzen oder neue Projekte zu starten. Thum,
die Betriebswirtschaft und Philosophie studiert hat und Coa-
chings zum Thema Mut anbietet, erklärt sehr genau die Grund-
muster der Vermeidung, die wir uns über Jahrzehnte ange-
wöhnt haben und die selbstbestimmtem Handeln im Wege Täglich grüßt
stehen. Und natürlich zeigt sie auch auf, wie wir diese ändern
können.
das Murmeltier?
Beate Handler hat der Routine den Kampf ange-
Gracia Thum: Encourage. Mut zu Veränderung. Klarheit, Entscheidungsstärke, Wirk-
sagt. Mit ihrem Buch Mach es anders! möchte sie
samkeit. BusinessVillage, Göttingen 2017, 208 S., " 24,95,–
allen helfen, die sich von lästigen Gewohnheiten
befreien und dem Alltagstrott etwas entgegen-
setzen wollen. Los geht es mit dem Kapitel „All-
tagsgewohnheiten“, in dem sie diverse Rituale
und Automatismen unter die Lupe nimmt – vom
morgendlichen Aufstehen bis zur abendlichen
Knabberei auf der Couch. In den weiteren Kapi-
teln schreibt die Psychologin und
Psychotherapeutin über die Ent-

Veränderungen wuppen stehung von Gewohnheiten, ihre


Vor- und Nachteile und die Mög-
Sie haben einen Wunsch, den Sie gerne umsetzen wollen? Sie lichkeiten und Herausforderun-
möchten unbedingt eine ungeliebte Gewohnheit loswerden? gen von Veränderung. Auch hier
Zum Beispiel sich beim Lernen weniger ablenken lassen oder geht es wieder sehr praktisch zu, mit vielen
endlich mehr Sport treiben? Hilfe bekommen Sie auf der Web- „Mach-es-anders-Experimenten“. Dies sind klei-
site woopmylife.org oder durch die WOOP-App. Das Pro- ne Übungen, die zum Hinterfragen anregen und
gramm WOOP ist eine Strategie zur Verhaltensänderung, die Veränderungen im Alltag anstoßen sollen, zum
auf über 20 Jahren wissenschaftlicher Forschung beruht. Ent- Beispiel: „Lasse ich mich von den Erwartungen
wickelt wurde sie von Gabriele Oettingen, Professorin für Psy- anderer in meiner Lebensführung zu stark be-
chologie an der New York University und der einflussen?“ Das Fazit der Autorin: „Wenn du
Universität Hamburg (siehe auch Seite 44). Das etwas haben möchtest, das du noch nie gehabt
Angebot ist komplett kostenlos und laut Oet- hast, dann musst du etwas tun, das du noch nie
tingen von jedermann leicht zu erlernen und getan hast.“
umzusetzen.
Beate Handler: Mach es anders! Von der Gewohnheitsfalle zu neu-
em Wohlfühlglück. Goldegg, Wien 2016, 252 S., " 19,95
woopmylife.org

91
Bewegung heißt
Entwicklung
Horst Lempart beschreibt in seinem jüngsten Buch,
wie wir die Ketten loswerden, die uns am Aufbruch
hindern

Ärger über uns selbst, der Ärger über andere, unausgespro-


chene Erwartungen, der Rücksprung in kindliches Verhalten,
ausbremsendes Loyalitätsgefühl, die Arbeit an Zielen statt an
Werten und der Versuch, andere Menschen zu ändern. All
diese Ketten verbrauchen Unmengen an Energie, die für den
eigentlichen Veränderungsprozess nicht zur Verfügung stehen.
Oft sind die einzelnen „Chains“ sogar noch miteinander ver-
knüpft. Da erscheinen mir Chainees wie zusammengeschnür-
te Päckchen.
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit eine
Veränderung aussichtsreich ist?
Viele Veränderungen sind leichter, als wir denken. Was Ver-
änderung jedoch braucht, ist Energie, um durchzuhalten. Bei-
spiel: Abnehmen ist an sich nicht schwer, das reduzierte Ge-
wicht zu halten erfordert jedoch Energie, die viele Menschen
nicht bereit sind aufzubringen. Eine hilfreiche Voraussetzung
ist, für sich zu klären, was das Gute am Schlechten ist: Auf
welchen anderen Wegen kann ich die Vorteile bewahren, oh-
Herr Lempart, wozu ist Veränderung gut? Kontinuität hat ne am Alten zu haften? Es ist eine Art Gewinn-und-Verlust-
doch viele Vorteile, oder? Rechnung.
Genau das ist der springende Punkt. Kontinuität hat in der Sprache scheint im Rahmen von Veränderungsprozessen
Tat viele Vorteile. Vor allem was das Aufbringen von Energie eine große Rolle zu spielen. Warum haben die Wörtchen „ja,
angeht. Kontinuität lebt zum großen Teil aus Gewohnheiten, aber“ und „eigentlich“ so große Macht?
und diese funktionieren auf Sparflamme. Unter ökonomi- Sprache hat grundsätzlich eine große Macht, nicht nur in Ver-
schen Aspekten ist Veränderung ein reiner Energiefresser. Und änderungsprozessen. Sprache schafft Welten. Wir schaffen
trotzdem: Körper und Geist sind zum Bewegen gemacht. Und uns durch sie nicht nur ein Bild von der Welt, sondern sie lässt
Bewegung heißt hier Entwicklung. Persönliche Reife ist ein ganze Weltbilder entstehen. In Veränderungsprozessen sind
Ergebnis von Veränderung. Wir entfalten unsere Anlagen. Ausdrücke wie „ja, aber“ und „eigentlich“ deshalb so oft an-
Warum bezeichnen Sie Ihre Klienten als „Chainees“? zutreffen, weil sie Verantwortung delegieren und „entmach-
Ich beobachte bei ihnen immer wieder eine Art Selbstboykott, ten“. Chainees fühlen sich als Opfer und Abhängige. Außerdem
innere Blockaden, mit denen sie sich selbst an den Status quo stellen diese Begriffe Zusammenhänge her, die auf den zwei-
fesseln. Der Begriff „Chainee“ drückt für mich die Aktivität ten Blick oft völlig idiotisch sind: „Eigentlich könnte ich ein
des Klienten aus, sein Dazutun. Er ist kein Opfer der Umstän- glückliches Leben führen, wenn du nur anders wärst.“ Paul
de, sondern Konstrukteur seiner eigenen Problemwelt. Er legt Watzlawick hat das in einem Buch auf den Punkt gebracht:
sich durch seine Problemkonstruktionen selbst in Ketten – „Wenn du mich wirklich liebtest, würdest du gern Knoblauch
daher der Begriff. Außerdem gefiel mir die Nähe zum „Coa- essen.“ Interview: Katrin Brenner-Becker
chee“ sehr gut, wie Klienten im Coaching auch genannt wer-
den.
Welches sind die häufigsten kognitiven Selbstblockaden, mit
Horst Lemparts aktuelles Buch Das hab’ ich alles schon probiert. Warum wir uns mit
denen wir uns selbst an die Kette legen? Veränderung so schwer tun. 7 Chains to Change ist im Junfermann-Verlag (" 22,–)
Sieben habe ich in meinem Buch ausführlich erläutert: der erschienen

92 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


ÜBUNG Gute Vorsätze reloaded
Einen Vertrag mit sich selbst schließen, einen
Schiedsrichter mit ins Boot holen, finanziellen
Einsatz leisten: All dies hilft Studien zufolge, gute

Ein Blick in die Vorsätze auch wirklich in die Tat umzusetzen. Die
Motivations-App Pacti vereint sämtliche genann-

Vergangenheit ten Elemente, zusätzlich kann man noch Zwischen-


ziele mit konkreten Etappen- und Zeitangaben de-
Welche Fähigkeiten und Eigenschaften finieren. Besonderes Schmankerl: Erreicht man sein
brauchen wir, um uns zu verändern? Ziel nicht, wird der eingesetzte Betrag an eine
Die Psychotherapeutin Eva Senges schlägt wohltätige Organisation gespendet,
in ihrem Buch Ich will mich ändern, die man vorher ausgewählt hat. Pacti
aber wie? folgende Übung vor, um kann mittels Website oder App ge-
das herauszufinden: nutzt werden.

pacti.de
Überlegen Sie: Habe ich die Fähigkeit, die ich
brauche, schon irgendwann einmal besessen und
genutzt? Gehen Sie in Ihrer Erinnerung so weit
zurück, bis Sie fündig werden, und sei es weit
zurück in Ihre Kindheit.

Wenn Sie diese Frage mit Ja beantworten


können – und das ist meistens der Fall, wenn Sie
sehr gründlich nachdenken –, dann schlummert Zwischen Wunsch
diese Fähigkeit tief in Ihnen.
und Wirklichkeit
Begeben Sie sich im Geiste in eine solche Gewohnheiten kommen
Situation, auch wenn sie noch so lange her sein sollte besonders zum Jahres-
oder in einem völlig anderen Zusammenhang wechsel unter Beschuss.
stand. Versuchen Sie, sich an diese Zeit zu erinnern, in Allerdings „schafft es nicht
allen Details. Wie sahen Sie damals aus? Was einmal ein Viertel, seine
trugen Sie für Kleidung? Womit beschäftigten Sie guten Vorsätze in die Tat
sich? Welche Menschen waren in Ihrem Umfeld? umzusetzen“, heißt es im
Wie genau machten Sie das, was Sie heute nicht mehr Hörbuch Gewohnheiten ändern. Wie wir unliebsa-
zu können glauben? Wie fühlte sich das an? me Eigenarten ablegen oder durch neue ersetzen
können, erklärt Autor Markus Hornig, der sich als
Stellen Sie sich die Szenen wie einen Film vor Mentaltrainer und Coach im Spitzensport einen
und zoomen Sie mit der Kamera nah heran, um Namen gemacht hat. Besonders schwierig ist es laut
genau sehen zu können, wie das damals ging. So Hornig, sich von Gewohnheiten zu trennen. Der
holen Sie dieses Verhalten, das ja in Ihnen Knackpunkt dabei sei der Belohnungseffekt, den die
angelegt ist, wieder aus der Versenkung und eingeschliffenen Verhaltensweisen nach sich ziehen.
bringen es ganz nach vorne. Habe man diesen identifiziert, klappe es auch mit
der Veränderung. Und dann kann aus Wunsch auch
Wirklichkeit werden.
Eva Senges: Ich will mich ändern, aber wie?
Mit der inneren Landkarte Schritt für Schritt in ein neues Leben.
Kösel, München 2016, 256 S., " 17,99 Markus Hornig: 30 Minuten – Gewohnheiten ändern. Audio-CD. Gabal
2017. Laufzeit: 63 Minuten. " 16,90

93
Achtsamkeit 3.0
Vom Geschäftsmann zum Achtsamkeitsfan: Der Film From Business to Being porträtiert
drei Menschen, die sich und ihr Arbeitsleben durch Meditation verändert haben

Das Scheitern führt den Menschen zur Selbstbesinnung. Zu- eine druckreife Botschaft nach der nächsten, „Ökonomische
mindest im Fall von Rudolf Wötzel, einem ehemaligen Invest- Transaktionen sollen von gegenseitiger Fürsorge geprägt sein“
mentbanker. Sein Tiefpunkt kam kurz nach der Jahrtausend- oder „Die aktuelle Finanzkrise ist eine Führungskrise“. Da-
wende, Wötzel handelte damals mit Milliarden bei der Deut- zwischen beschreibt Tania Singer vom Max-Planck-Institut für
schen Bank – doch sein Privatleben war eine Baugrube, sein Kognitions- und Neurowissenschaften, wie sie Meditations-
Körper ein Wrack. Heute ist er Betreiber einer Almhütte. Vor probanden durch den Kernspin schiebt, um zu sehen, ob das
schönstem Bergpanorama fängt die Kamera ihn ein, langge- Gehirn schon ein Plus an antrainiertem Mitgefühl zeigt.
streckt auf einem Felsen in der Dem Film hätte dabei ein We-
Sonne, die Wadeln in einer fe- niger an Material gutgetan:
schen Wanderhose, in sich ver- Durch die Fülle an Protagonis-
sunken, zufrieden lächelnd. Au- ten bleiben viele Statements der-
genblick, verweile doch – so sieht art verkürzt und an der Oberflä-
Achtsamkeit aus! che, dass sie an Feel-Good-Bot-
In der Dokumentation From schaften für das nächste Mana-
Business to Being begleiten Han- gerseminar erinnern. Einlullen
na Henigin und Julian Wildgru- lassen und abnicken. Nachhaltig
ber drei Führungskräfte, die alle ist das nicht.
eine Frage bewegt: Wie hält man Andere Töne schlägt die Do-
am besten das Hamsterrad der kumentation dann an, wenn sie
Arbeit an? Die Antwort: mit Me- statt Talking Heads privatere
ditation. Einblicke der Meditationsnovi-
Achtsamkeit ist spätestens seit zen zeigt. In einer Coachingsit-
Steve Jobs, der täglich meditier- zung bei Rudi Ballreich be-
te, in Wirtschaftskreisen ziem- schreibt ein sichtbar gebeutelter
lich schick. Unternehmen ser- Automanager, dass für vieles
vieren ihren Mitarbeitern in der keine Zeit bleibt, auch nicht da-
Mittagspause Yogakurse statt für, traurig zu sein. Es ist ein
Kantinenessen und schicken ihre schwieriger Drahtseilakt zwi-
Führungskräfte zu sogenannten schen dem bewussten Ideal und
Zen-Retreats in Klöster. Dort der gehetzten Realität eines
üben die Teilnehmenden be- 14-Stunden-Arbeitstages.
wusstes Atmen, lauschen den Weit weg von Trübsinn
Klängen des Gongs oder kommunizieren mit einem Busch. scheint Exbanker Wötzel in seinem neuen Job auf der Alm-
Weil das nicht jeder aus dem Stegreif hinbekommt, gibt es hütte. Hier bewirtet er Wanderer, die das idyllische Schweizer
Schützenhilfe durch Coach Rudi Ballreich, der Bedachtheit mit Alpenland durchqueren. Ein Buch hat er geschrieben über
jeder Körperpore verströmt. Torsten Müller, Gebietsleiter einer seinen ungewöhnlichen Ausstieg, in Seminaren gibt er das Ge-
Drogeriekette, ist beseelt durch die Selbsterfahrung. Sie helfe lernte weiter. Auf der Homepage der Hütte findet man neben
ihm, „tiefer hineinzugucken in die Welt“. Übernachtungspreisen im Bettenlager auch Angebote zur Un-
Caring economics nennen das Wissenschaftler. Dabei haben ternehmensberatung. Achtsamkeit 3.0 – so ganz kann der
die Filmemacher keine Mühe gescheut und viele Vertreter der Mensch wohl doch nicht aus seiner Haut. Julia Olbrich
besten Forschungsinstitute vor der Kamera versammelt, dar-
unter Quantenphysiker Arthur Zajonc, Meditationsguru Jon
Kabat-Zinn und den Dalai-Lama. Die klugen Köpfe liefern From Business to Being. DVD, Mindjazz, Deutschland 2016. 89 Minuten. "17,90

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