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PSYCHOLOGIE

43254

HEUTE compact
S FR 12 ,9 0

Futter für
R 7,9 0

die Seele
H E F T 44

Wie Gefühle uns beim Essen


2016

steuern – und warum Genuss


ohne Reue möglich ist
Sind Sie in
Hungerstimmung?
Was essen die Leute eigentlich? Diese Frage stellte sich vor einigen Jahren der amerika-
nische Wissenschaftler William Rathje – und begab sich auf die Mülldeponien seiner
Umgebung. Dort stieß er auf jede Menge Bierdosen, Fast-Food-Verpackungen und Piz-
zareste. Als er seine Müllstatistik mit Umfragen zum Ernährungsverhalten verglich, merk-
te er: Hier wurde kräftig gelogen! Allein aus der Menge an Bierdosen, die Rathje auf den
Müllhalden entdeckte, errechnete er, dass die Amerikaner 60 Prozent mehr Bier trinken, URS UL A NUBE R (u.nuber@beltz.de)
als sie in Umfragen angeben. Und auch ihre bekundete Vorliebe für gesunde Ernährung
fand in den Feldstudien des Wissenschaftlers keine Entsprechung.
Verwunderlich ist diese Diskrepanz nicht. Was das Essen angeht, sind wir heute um-
zingelt von Erziehungsmaßnahmen: Reduzieren Sie die Kohlenhydrate! Lassen Sie Fettes
weg! Essen Sie wenig Fleisch oder am besten gleich nur vegan! Werden wir diesen Rat-
schlägen nicht gerecht – was die Regel sein dürfte –, dann rechtfertigen
wir unser ungesundes Verhalten, machen uns Vorwürfe und tun gleich am
nächsten Tag Buße. Die Nahrungsaufnahme ist längst zu einem Bereich Versuchen wir mit
des Alltags geworden, in dem calvinistische Werte wie Selbstdisziplin und Essen unsere Stim-
Selbstkasteiung ein Comeback feiern.
mung zu verbessern,
In der Diskussion über „richtige“ Ernährung wird häufig vernachlässigt,
dass unser Wohlbefinden keine Frage von Kalorien, Fetten, Fleisch oder vergrößern wir den
Gemüse ist, sondern von unserer „Hungerstimmung“ gesteuert wird. Die- Hunger der Seele
se wirkt wie die Musikberieselung im Kaufhaus unbewusst auf uns ein,
erklärt Michael Graziano, Professor für Neurowissenschaften an der Prince-
ton University in New Jersey (https://aeon.co/users/michael-graziano). Sind wir in Hun-
gerstimmung, brauchen wir „unbedingt“ etwas Süßes oder eine große Pizza – doch das
Essen macht uns weder satt noch zufrieden. Das ist kein Wunder, denn die Hungerstim-
mung kann nicht oder nur kurzzeitig durch Essen beeinflusst werden. Und auch mit
Selbstdisziplin und guten Vorsätzen bekommen wir unsere Seele nicht satt. Sie braucht
etwas ganz anderes.
Michael Graziano fiel irgendwann auf, dass seine Hungerstimmung immer dann an
Macht verlor, wenn er in seiner Arbeit aufging und aufhörte, „ständig irgendwelche Ent-
scheidungen zu treffen“. Dann ließ er sogar ganze Mahlzeiten ausfallen. Wohl jeder hat
das schon mal erlebt: Wenn man im Flow ist, völlig absorbiert von seinem Tun, vergisst
man alles um sich herum. Dann ist kein Platz für negative Gedanken und unangenehme
Gefühle, dann empfindet man nur positiven Stress und hat kein Bedürfnis nach Frustessen.
Der Hungerstimmung geht es also immer dann schlecht, wenn es uns gutgeht. Versu-
chen wir über „emotionales Essen“ unsere Stimmung zu verbessern, vergrößern wir in
Wahrheit nur den Hunger der Seele (Seite 14). Sorgen wir aber dafür, dass unsere Seele
Nahrung bekommt, hungern wir die Hungerstimmung aus. Das heißt nicht, dass ein
Stück Torte unserer Seele nicht guttun kann. Vorausgesetzt, wir genießen es und machen
diesen Genuss nicht durch ein schlechtes Gewissen zunichte.

3
Inhalt HEFT 44

DIE PSYCHE MAL FREUND


ISST MIT MAL FEIND

14 Ich hab Stress: Ich muss was essen! 40 Nur das Essen ist immer für mich da
EVA TE NZE R R E N AT E G Ö C K E L

20 Machen Kohlenhydrate froh? 46 „Die meisten Frauen finden sich zu dick“


EVA TE NZE R E I N G E S P R Ä C H MI T S I L JA V O C K S

22 Warum uns schmeckt, was uns schmeckt 48 Magersucht – noch immer eine
ANNA ROMING rätselhafte Krankheit
BIRGIT SCHREIBER
26 Appetit auf Abwechslung
J OCHE N PAUL US 54 Mangel fürs Leben
KLAUS WILHELM
28 Essen nach Regeln
KAT HRIN BURGER 56 Der Dicke in meinem Kopf
B E RT R A M E I S E N H A U E R
34 Größe verleiht Prestige
INGRID GLOM P

36 Müdigkeit macht hungrig


DAGMAR KNO PF

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I M P R E S S U M

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64 Das Essen und die Moral www.shop-psychologie-heute.de

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EIN GE SP RÄ CH M I T HARAL D L EM KE Bei einigen Texten in diesem Heft handelt es sich um zum
Teil überarbeitete Beiträge aus der monatlich erscheinenden
84 Mahlzeit! Psychologie Heute.

ANNA ROM I NG BILDQUELLEN


Titel, S. 3: Gaby Gerster Photography/Feinkorn. S. 6, 7, 8,
10, 11: Pascal Cloëtta. S. 9: Caepsele, S. 14, 15, 17, 26, 27,
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3 Editorial
5 Impressum
6 Magazin
88 Medien
96 Markt
98 Cartoon

Best.-Nr.: 47231
ISBN 978-3-407-47231-1
5
MAGAZIN R E D A K T I O N : E VA - M A R I A T R Ä G E R

ILLUSTR ATIONEN : PASC AL CLOËT TA


Her damit!

H
ungrige gelüstet es nicht nur nach Nahrung: Das Hunger abschwatzten, zeigte sich Ähnliches: Die hungrigen
dringende Bedürfnis, etwas zu essen, geht auch mit Einkäufer hatten mehr Produkte erworben und auch mehr
einem gesteigerten Wunsch nach anderen Dingen Geld ausgegeben als jene, die sich satt ins Getümmel begeben
einher. Laut einer Studie von Wissenschaftlern aus China und hatten. Einfluss auf die wahrgenommene Attraktivität der
den USA tendieren wir bei starkem Hunger dazu, selbst Waren hatte der größere Appetit aber nicht. Hunger mindert
solche Objekte sammeln zu wollen, die alles andere als essbar also offenbar unsere Fähigkeiten zur Selbstkontrolle. In ande-
sind – und die uns nicht mal besonders gefallen müssen. ren Studien zeigte sich, dass wir mit leerem Magen beispiels-
In einem der Experimente der Autoren um Alison Jing Xu weise auch eher ärgerlich werden. Wer einen für sich und
sollten die Teilnehmer beispielsweise angeben, wie viele Pa- seine Begleitung angenehmen und nicht allzu kostspieligen
pierklammern eines Büroartikelmarktes sie sich zum Auspro- Einkaufsbummel unternehmen möchte, sollte sich also vorher
bieren bestellen wollten. Jene, die hungrig waren, orderten besser gut stärken, um Appetit, Gier und Ärger zu zügeln.
besonders viele. Ihre Wertschätzung der Klammern änderte EMT
sich aber nicht. Bei 81 Kunden eines Kaufhauses, denen die
Alison Jing Xu u. a.: Hunger promotes acquisition of nonfood objects. Proceedings of
Forscher direkt nach ihrem Streifzug durch die Abteilungen the National Academy of Sciences of the United States of America, 112/9, 2015,
auflauerten und Quittungen sowie Angaben zu Stimmung und 2688–2692. DOI: 10.1073/pnas.1417712112

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Sie versuchen abzunehmen, indem Sie Kalorien zählen? Achten
Sie lieber auf die Anzahl der Bissen, die Sie zu sich nehmen – das ist
weniger kompliziert und führt dennoch zum Erfolg. Die Teilnehmer
einer entsprechenden US-Studie reduzierten die durchschnittliche
Anzahl der von ihnen in einer Woche konsumierten Bissen in der
nachfolgenden vierwöchigen Testphase um 20 bis 30 Prozent –
und nahmen ohne eine weitere Umstellung ihrer Ernährung durch-
schnittlich etwa 1,6 Kilogramm ab.
DOI: 10.15406/aowmc.2015.02.00040

Sauer macht lustig – und bitter bissig: Wer eine


bittere Substanz getrunken hat, ist angriffslustiger.
In einem Experiment reagierten Teilnehmer, die zu-
vor Grapefruitsaft oder Tee mit Amarogentin, der
Fette Zeiten bittersten natürlichen Substanz der Welt, zu sich

J
e später der Tag, desto größer der Kalorienberg, den wir fut- genommen hatten, bei Unhöflichkeiten und Provo-
tern: Vor zwölf Uhr mittags wird nur ein Viertel der täglichen kationen feindseliger als jene, denen man stattdes-
Kalorienmenge verzehrt, in den wenigen wachen Stunden sen Wasser oder Zuckerwasser offeriert hatte.
nach sechs Uhr abends hingegen ein sattes Drittel. Das stellten
Forscher des kalifornischen Salk Institute in einer Studie fest, in DOI: 10.1177/0146167214552792

der die 150 Teilnehmer schlicht die Aufgabe hatten, drei Wochen
lang von ausnahmslos allem, was sie aßen und tranken, ein Han-
dyfoto zu machen. Wie zu erwarten, waren manche Nahrungsmit-
tel mit bestimmten Tageszeiten assoziiert: Kaffee, Milch und Jo-
ghurt gab es bevorzugt am Morgen, Sandwiches und Burger am
Mittag, Gemüse, Eis und Alkohol am Abend. Tee ging zu jeder
Uhrzeit, Schokolade und Süßigkeiten ab zehn Uhr morgens durch-
gängig. Die Tagesspanne, in der sie Nahrung zu sich nahmen, be-
trug bei der Mehrheit der Teilnehmer 15 Stunden und länger. In
einem Zusatzexperiment baten die Forscher acht übergewichtige
Probanden ohne weitere Ernährungsempfehlungen, diese Zeit auf
zehn bis elf Stunden zu begrenzen. Nach 16 Wochen hatten diese
3,5 Prozent ihres überschüssigen Gewichts verloren. Zudem fühl-
ten sie sich vitaler und schliefen besser. TSA

DOI: 10.1016/j.cmet.2015.09.005

7
Wer’s isst, wird selig Wer Gewichtsprobleme hat, sollte seine Mahl-
zeiten nicht zwischendurch im Gehen zu sich

B
ratwurst mit Kartoffelbrei? Arme
Ritter? Nach welcher Kost ist Ihnen
zumute, wenn Sie sich von aller Welt
nehmen. Forscher der University of Surrey beob-
verlassen wähnen? Wenn Sie eine gute Kind- achteten, dass diäthaltende Frauen, die ihren
heit hatten und sich daheim geborgen fühl-
ten, dann wird das mit großer Wahrschein- Müsliriegel beim Durchschreiten eines Korridors
lichkeit ein Gericht sein, das Ihnen seinerzeit statt im Sitzen vertilgt hatten, bei einem anschlie-
Ihre Mutter oder eine andere wichtige Be-
zugsperson gekocht hat. Die Psychologin ßenden „Geschmackstest“ beherzter zugriffen –
Shira Gabriel und ihr Team an der Univer-
vor allem bei der Schokolade.
sity at Buffalo haben in einer Studie bestätigt,
dass es Menschen in Situationen, in denen DOI: 10.1177/1359105315595119
sie sich zurückgewiesen oder einsam fühlen,
nach ganz bestimmten Gerichten gelüstet.
Dies sind meist Speisen, die sie mit der Zu-
neigung verbinden, die sie in ihrer Kindheit
erfahren haben. Gabriel geht davon aus, dass
dieser Schmaus in der Psyche mit einer Um-
gebung von Geborgenheit assoziiert ist –
wohl nach dem Prinzip der klassischen Kon-
ditionierung, wie bei Pawlows Hunden.
Vorbehaltlos und auf Dauer möchte sie die-
sen Trostspender allerdings nicht empfeh-
len: Er sei zwar Futter für die Seele, aber
mitunter Gift für die Figur. TSA

Jordan D. Troisi, Shira Gabriel u. a.: Threatened belonging and


preference for comfort food among the securely attached.
Appetite, 90, 2015, 58–64. DOI: 10.1016/j.appet.2015.02.029

Das mag ich nicht!

N
icht alle Suppenkasper sind gleich. Forscherinnen nicht kannten oder was zu ambitioniert zubereitet war. Und
der University of Illinois ließen 170 Zwei- bis Vier- dann waren da die Perfektionisten mit „speziellen Bedürfnis-
jährige, von denen 83 als „wählerische Esser“ ge- sen“: Zum Beispiel durften sich die Beilagen auf dem Teller
fürchtet waren, zwei Wochen lang von deren Eltern beim auf keinen Fall berühren! Untersucherin Sharon Donovan
Mittagsmahl beobachten. Dazu wurden im Wechsel fünf empfiehlt betroffenen Eltern, keine Tischkämpfe auszutragen.
Standardgerichte frei Haus geliefert. Die Forscherinnen Besser dem Kind auch die unerbetenen Zutaten ohne Zwang
identifizierten vier Typen kindlicher Kostverächter: Die immer wieder auftischen und wortlos demonstrieren, dass das
einen hatten eine sensorische Abneigung etwa gegen wabbelig vermeintlich Ungenießbare den Eltern und Geschwistern
oder klumpig aussehende Speisen. Andere waren einfach sichtlich schmeckt. TSA
dickköpfig, kamen nicht zu Tisch oder protestierten aus
Prinzip. Wieder andere aßen grundsätzlich nichts, was sie DOI: 10.1111/1750-3841.12698

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GUTEN APPETIT ?!
Warum wir manchmal so große Lust aufs Essen haben —
und was unser Verlangen zügelt

STEIGENDER ABNEHMENDER
APPETIT APPETIT

A HYPOTHALAMUS
STRIATUM Der ventromediale Kern des Hypothala-
Das Zentrum unseres psychologischen mus ist das Sattheitszentrum des
Verlangens nach Essen beherbergt Gehirns. Er hemmt Essgelüste und
Dopaminrezeptoren und ist entscheidend Hunger. Hier wird das appetithemmende
für unser Empfinden von Motivation und Proopiomelanocortin (POMC) ausge-
Belohnung. Der Neutransmitter Dopamin schüttet.
stimuliert das Verlangen nach Essen. Seine
Ausschüttung kann aktiviert werden, wenn
wir Nahrung sehen oder riechen.

BLUT
Der Blutzuckerspiegel (Glukose) steigt
mit der Nahrungsaufnahme an — ein
Sättigungssignal für den Hypothalamus.
Quelle: Die Texte sind erstmals in englischer Sprache in der amerikanischen Psychology Today erschienen.

BAUCHSPEICHELDRÜSE
HYPOTHALAMUS Das in der Bauchspeicheldrüse gebildete
Das Zentrum des körperlichen Hormon Insulin führt zum Gefühl von
Bedürfnisses nach Nahrung Sattheit. Der Insulinspiegel im Blut sinkt
reguliert auch viele andere zwischen den Mahlzeiten mit dem
physiologische Funktionen und Glukosespiegel ab.
beeinflusst unter anderem unser
Sexualverhalten. Der laterale Kern
des Hypothalamus steuert unsere
Lust auf Essen.
Neuropeptid Y (NPY) ist ein
mächtiger Appetitanreger.
AgRP (Agouti-related Protein)
stimuliert das Essverlangen und
verlangsamt den Stoffwechsel.
Orexin wird bei einem geringen
Blutzuckerspiegel ausgeschüttet
und steigert den Appetit auf
fetthaltiges Essen sowie den DARM
Energieverbrauch.
Das Hormon Cholecystokinin (CCK)
befördert die Verdauung von Fett und
Proteinen im Magen-Darm-Trakt und wirkt
direkt auf den Vagusnerv, der ein
Sättigungssignal ans Gehirn sendet.

FETTZELLEN
Das Fettgewebe dient nicht nur als
Energiespeicher. Die Fettzellen produzie-
ren auch die Hormone Leptin und
Adiponektin.
Leptin verrät dem Gehirn, wie groß der
Fettanteil im Körper ist. Eine hohe
MAGEN Konzentration im Blut verstärkt das
Das Hormon Ghrelin wird in der Magen- Sättigungsgefühl, blockiert die Produkti-
schleimhaut produziert und bei leerem on von NPY sowie AgRP und regt die
Magen ausgeschüttet. Es stimuliert Bildung von POMC an.
Hunger- und Appetitgefühle, indem es Adiponektin hilft die Glukoseproduktion
den Hypothalamus zur NPY-Produktion zu mindern und reguliert den Lipidstoff-
anregt. Zudem hemmt es das appetitzü- wechsel.
gelnde Proopiomelanocortin (POMC) und
führt zu erhöhter Wachsamkeit.

9
Männer essen in Begleitung von Frauen mehr,
als wenn sie unter sich bleiben. In einer ameri-
kanischen Untersuchung verputzten die
männlichenTeilnehmer 93 Prozent mehr
Pizza und 86 Prozent mehr Salat, wenn
eine Dame anwesend war. Das Essver-
halten der Frauen indes blieb unverän-
dert. Sie hatten bei Männern als
Gegenüber aber das Gefühl, mehr
und gehetzter gegessen zu haben.
DOI: 10.1007/s40806-015-0035-3

Bauchgefühle

L
iebe geht durch den Magen, sagt man. Offenbar trifft Schon Abraham Maslow hatte mit seiner „Bedürfnispyra-
der Satz – zumindest bei Frauen – in so elementarem mide“ postuliert: Erst wenn Basisbegehren wie Essen und
Sinn zu, dass der interessierte Mann auf das Gourmet- Trinken gestillt sind, melden sich andere Gelüste zu Wort.
menü verzichten kann: Hauptsache, sie ist satt! „Sobald wir satt sind, können wir uns besseren Dingen zu-
Dass selbst ein lieblos gefüllter Bauch die Liebe begünstigt, wenden“, sagt auch Untersucherin Alice Ely. Ist ein voller Ma-
zeigt ein Experiment an der Drexel University in Philadelphia(1). gen folglich gut für die Beziehungsharmonie, so weckt Dis-
Alice Ely und ihre Mitforscher zeigten 20 jungen Frauen, die harmonie den Appetit, wie eine andere Studie zeigt.(2)
ganz unromantisch in der Röhre eines Magnetresonanztomo- Lisa Jaremka von der University of Delaware schickte mit
grafen lagen, romantische Bilder von händchenhaltenden, in Kollegen 43 verheiratete Paare für neuneinhalb Stunden in
Liebe entflammten Paaren. Die Teilnehmerinnen verfolgten eine fiese Zweierklausur. Nachdem beide – zwecks einheitli-
die Diashow entweder mit knurrendem Magen, weil sie in den cher Sättigung – ein Standardmenü verkostet hatten, mussten
vorangegangenen acht Stunden nichts zu essen bekommen sie während der restlichen Zeit wunde Punkte ihrer Partner-
hatten. Oder aber sie hatten unmittelbar zuvor einen 500-Ki- schaft miteinander diskutieren. Das Resultat: Frauen und
lokalorien-Nährdrink zu sich genommen, was sie zwar nicht Männer, bei denen es dabei disharmonisch zuging, hatten –
kulinarisch befriedigt, aber doch gesättigt haben dürfte. Die obwohl sie ja satt waren – vergleichsweise hohe Mengen des
zwangsfastenden Frauen, so stellte sich heraus, waren zwar Hungerhormons Ghrelin im Blut; der Streit weckte ihren Ap-
hungrig, aber nicht sonderlich hungrig nach Liebe. Die petit. Schlimmer noch: Die feindselig streitenden Paare hatten
Schmachtbilder ließen sie jedenfalls kalt. Anders die satten hernach ein besonderes Verlangen nach fetten, süßen, salzigen,
Teilnehmerinnen: Bei ihnen wurden Belohnungsschaltkreise sprich: ungesunden und dickmachenden „Trostspeisen“. TSA
im Gehirn aktiv, sobald sie die Paarfotos sahen. Sie waren also
empfänglicher für diese Art von Reizen. (1) DOI:10.1016/j.appet.2015.06.022, (2) DOI: 10.1177/2167702615593714

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Popcorn statt Tränen 5 NÜTZLICHE TIPPS

W
enn Sie sich im Kino oder daheim am
Fernseher einen Schmachtfetzen anschau- RUND UMS ESSEN
en, sollten Sie Süßigkeiten und Chips besser
außer Reichweite halten. Ernährungsforscher der Cor-

1
nell University haben festgestellt, dass traurige Filme
den Snackverzehr merklich steigern. Im Labor vertilg- Folgen Sie Routinen
ten die Probanden 28 Prozent mehr Popcorn, wenn sie Menschen, die gesund essen, halten häufiger
vor dem Film Love Story, der Mutter aller Liebestragö- regelmäßige Mahlzeiten ein und kochen zu Hause,
dien, dahinschmolzen, als wenn sie sich bei der Komö- kurzum: Sie ernähren sich bewusster.
die Sweet Home Alabama amüsierten. Noch eindeutiger

2
fiel ein anschließender Feldversuch in ausgewählten
Kinos aus. Diesmal wurde die appetitanregende Wir- Konzentration!
kung von Solaris – einer traurigen Science-Fiction- Wer isst, während er fernsieht, etwas spielt
Erzählung, die von unverarbeitetem Verlust handelt – oder liest, nimmt mehr Nahrung zu sich als
mit jener der heiteren Romanze My Big Fat Greek Wed- bei ungestörten Mahlzeiten.
ding verglichen: Die Forscher zählten die verkauften

3
Popcornboxen und wogen die nicht verzehrten Reste,
die nach der Vorführung im Abfall landeten. Ergebnis: Planen Sie Diäten mit Pause
Während des traurigen Filmes wanderten 55 Prozent Fasten fühlt sich besser an, wenn man an
mehr Puffmais in den Magen (127 gegenüber 82 einem Tag pro Woche über die Stränge
Gramm). Studienleiter Brian Wansik erklärt das mit schlagen darf – und weniger Gewicht verliert
unserer Neigung, eine traurige Stimmung mit „emoti- man auch nicht.
onalem Essen“ zu kompensieren. Er schlägt aber vor,

4
uns diesen Mechanismus im Sinne einer kleinen Selbst-
überlistung zunutze zu machen: Stellen Sie sich beim Steigern Sie sich.
Kinoabend einfach etwas Obst vor die Nase, denn „trau- Wenn Sie Gästen mehrgängige Menüs
rige Filme verleiten die Leute zu essen, was vor ihnen servieren, achten Sie darauf, dass der Appetizer
steht, auch wenn es gesund ist“. TSA wirklich nur ein solcher ist. Schmeckt schon das
Entree besonders köstlich, beurteilen Speisende
DOI: 10.1001/jamainternmed.2014.7880
den Hauptgang weniger großzügig.

5
Riskieren Sie was
Frauen, die angeben, viele ungewöhnliche
Nahrungsmittel schon probiert zu haben,
beschreiben sich als gesundheitsbewusster,
aktiver und wiegen weniger.

(1) DOI: 10.1017/S1368980014002717


(2) DOI: 10.3945/ajcn.112.045245
(3) DOI: 10.1016/j.jcps.2015.05.001
(4) DOI: 10.1016/j.foodqual.2015.05.009
(5) DOI: 10.1002/oby.21154

11
Zu viel, zu wenig, zu fett, zu süß:
Warum wählen wir manchmal Speisen
wider unsere Vernunft?
Und ist das wirklich schlimm?

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DIE PSYCHE
ISST MIT

13
ICH HAB STRESS:

ICH MUSS
WAS
ESSEN!
Wenn die Stimmung im Keller ist,
beruhigen sich viele Menschen mit kalorien-
reichen Nahrungsmitteln. Kurzzeitig
trösten Schokolade & Co tatsächlich.
Auf Dauer aber schafft „emotionales Essen“
neue Probleme

V O N E VA T E N Z E R

V
ielleicht haben Sie diese Erfahrung auch
schon gemacht: Man hat sich über etwas ge-
ärgert, fühlt sich frustriert oder überfordert
und greift automatisch zu Schokoriegel oder
Kartoffelchips – je süßer, fett- und kalorien-
reicher, umso besser. Wird man von heftigen Gefühlen gebeu-
telt, schlägt der Appetit bisweilen seltsame Kapriolen, vor allem
negative Emotionen wie Stress, Einsamkeit, Trauer oder Lan-
geweile scheinen den Weg Richtung Kühlschrank zu bahnen.
Im Englischen bezeichnet man dieses Essverhalten als comfort
eating, hierzulande sprechen Fachleute vom emotionalen Essen.

14 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


15
Auf den ersten Blick ist das kein großes Problem, denn man oder ICD-10 verzeichnet sind: „Es gibt bislang keine allgemein-
hilft sich mit einer im Grunde harmlosen Strategie über die gültige Definition des emotionalen Essens als einer eigenstän-
vielen kleinen Krisen und Unannehmlichkeiten des Alltags digen psychischen Störung“, erklärt Herber, die über mehrere
hinweg. Ein im Affekt verdrücktes Tortenstück ist harmloser Jahre hinweg Gruppentrainings an der Universität Würzburg
als viele andere Frustreaktionen wie Aggressionen oder sozia- und im Rehazentrum Bad Kissingen mit über 70 meist über-
ler Rückzug. Und auch der Volksmund betont ja, dass Essen gewichtigen Personen leitete. Bei allen Gruppenmitgliedern
und Trinken Leib und Seele zusammenhielten. So sind üppige war das emotionale Essverhalten stark ausgeprägt. „Es trifft
Mahlzeiten quer durch alle Kulturen mit Emotionen ver- nach unseren Erfahrungen vor allem Menschen, die einen ho-
knüpft: beim Feiern, als Beloh- hen Leidensdruck beim Thema
nung, zur Entspannung, Versöh- Essen haben. Sie unterscheiden
nung oder als seelisches Trost- nicht zwischen echtem und emo-
pflaster.
Aber: Die Dosis macht auch
ENTTÄUSCHUNG, tionalem Hunger und essen nicht
nur, wenn sie hungrig sind, son-
hier das Gift, denn viele Menschen
benutzen Nahrungsmittel, um
EINSAMKEIT dern oft als Reaktion auf emotio-
nale Belastungen.“
dauerhaft unangenehme Gefühle
zu regulieren. Ernährungspsycho-
UND ÄRGER Gemeinsam mit Michael Macht
von der Universität Würzburg
logen sehen Probleme vor allem
dann entstehen, wenn Betroffene
LÖSEN EINEN fand Herber heraus, dass dieses
Verhalten in der Allgemeinbevöl-
keine Alternativen mehr haben,
um mit negativen Emotionen um-
BESONDERS kerung erstaunlich weit verbreitet
ist: „Vermutlich zeigt etwa jeder
zugehen. Denn dann kann dieses
Essverhalten – über Jahre hinweg
STARKEN Dritte ein gesteigertes Essverhal-
ten, um negative Emotionen zu
praktiziert – zu Übergewicht und
Fehlernährung führen; die Folgen
WUNSCH NACH bewältigen“, berichten die For-
scher. Auch eine Untersuchung in
gehen dann weit über ein bisschen
„Kummerspeck“ hinaus. Das
ESSEN AUS Finnland ergab, dass rund 30 Pro-
zent der Frauen und 25 Prozent
schafft auf Dauer mehr Schwierig- der Männer regelmäßig essen, um
keiten, als es – ohnehin nur vor- Stress zu reduzieren. Macht er-
dergründig – löst. Zum schlechten Gewissen kommt die Ge- forscht seit Jahren, wie Stress auf das Essverhalten wirkt, und
wichtszunahme, die wiederum negative Gefühle auslöst und fand heraus, dass bei Umfragen etwa die Hälfte der Befragten
so in eine psychische Abwärtsspirale führen kann. angibt, bei Stress den Appetit zu verlieren. Starker Stress näm-
Hinzu kommt: Die miese Laune wird durch Naschattacken lich erfordert evolutionsgeschichtlich gesehen Flucht oder
zwar etwas aufgehellt, doch ihre Ursachen werden natürlich Kampf, also körperliche Reaktionen, die mit einer Nahrungs-
nicht beseitigt. Wer auf Ärger mit dem Chef, dem Ehepartner aufnahme nicht vereinbar sind. Zusammen mit der Verdauung
oder den Kindern immer wieder mit dem Griff zur Chipstüte wird deshalb auch der Appetit gedrosselt – der Stress schlägt
reagiert, anstatt die Schwierigkeiten anzusprechen oder die auf den Magen. Rund ein Drittel der Befragten dagegen ver-
Situation aktiv zu verändern, verharrt in seiner Lage: Der spürt in dieser Situation einen deutlich gesteigerten Appetit
nächste Konflikt und die nächste Essattacke sind program- und bekämpft den Stress mit Essen.
miert. „Diese Emotionsregulierungsstrategie kann zu ernäh- Dass das durchaus wirkt, zeigen verschiedene Experimente.
rungsbedingten Erkrankungen oder Essstörungen führen, 1977 ließen Forscher Studenten in einer Prüfungssituation ein
insbesondere zu Binge-Eating, also zu Essanfällen, bei denen Sandwich essen und beobachteten, dass ihr Angstlevel deutlich
Betroffene das Gefühl haben, die Kontrolle zu verlieren“, be- niedriger war als das einer Kontrollgruppe, die nichts zu essen
richtet die Psychologin Kristina Herber. bekam. Diese Beobachtung wurde in den folgenden Jahren
Emotionales Essen deckt eine große Bandbreite ab, die von mehrfach bestätigt: Essen beruhigt tatsächlich. Ein Experiment
harmlos und unbedenklich bis zum Beginn einer Essstörung zeigte bei Studenten vor einer Prüfung eine deutlich höhere
reichen kann. Allerdings zählt es selbst nicht zu den Essstö- Neigung zu essen, um so den Stress zu bewältigen. Doch zwi-
rungen, die in den offiziellen Klassifikationssystemen DSM-5 schen Stressessern und emotionalen Essern gibt es einen wich-

16 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


tigen Unterschied: Während Erstere als Reaktion auf negativen vermuten, dieses Verhalten könnte einem bereits in der Kind-
Stress essen, benutzen Letztere das Essen, um mit emotionalen heit erlernten Muster folgen, also Personen betreffen, die als
Belastungen aller Art besser umgehen zu können. Babys häufig gefüttert wurden, um sie zu beruhigen. Doch
Emotionale Esser machen praktisch keinen Unterschied, auf dafür gebe es keine empirischen Belege, wendet Macht ein. Es
welche Art von negativen Emotionen sie auf diese Weise re- könne ebenso gut eine erst im Erwachsenenalter erworbene
agieren: Ob Enttäuschung, Einsamkeit, Ärger, Anspannung, Neigung sein, gespeist aus der Erfahrung, dass Stress eben
Irritation, Langeweile oder Deprimiertheit – sie alle lösen na- durch Essen reduziert wird. Und auch das Lernen am Modell
hezu undifferenziert den Wunsch nach Essen aus und gelten könnte eine Rolle spielen, denn eine Studie zeigte, dass drei- bis
daher als „Risikoemotionen“. Nur in der Intensität dieses Wun- fünfjährige Kinder, deren Mütter emotionale Esserinnen sind,
sches lassen sich Unterschiede feststellen, vor allem Anspan- in Frustsituationen mehr Schokolade essen als andere. „Wir
nung und Deprimiertheit lösen einen besonders starken wissen schon seit längerem, dass die Empfindung von Hunger
Wunsch nach Essen aus, während er bei Einsamkeit und Lan- zu einem wesentlichen Anteil erlernt ist. Ist dieser Lernprozess
geweile schwächer ausfällt. „Das bedeutet, dass man bei der gestört, unterscheiden die Betroffenen emotionale Erregung
Therapie auch Merkmale der äußeren Situation beleuchten und Hunger nicht mehr so gut“, erklärt Macht. Und er hält
muss, die jeweils Auslöser für den Wunsch nach Essen sind“, eine weitere Hypothese für hochinteressant: Auch Menschen,
schließt Macht aus den Daten. die überdurchschnittlich geschmackssensibel sind, könnten für
Warum aber reagieren manche Personen auf diese Weise das emotionale Essen besonders prädisponiert sein.
und andere nicht? Ist es angeboren, wie sich unser Appetit bei Nicht zuletzt beeinflussen Nahrungsmittel – über ihre phy-
psychischen Belastungen entwickelt, folgt dieses Verhalten er- siologischen Wirkungen wie Sättigung und Lieferung von
lernten Mustern, oder ist es tiefer in der Persönlichkeit veran- Energie hinaus – auch neurochemische und endokrinologische
kert? Systeme, die mit Stress und Stimmung zu tun haben. Verschie-
„Bei der Frage nach den Ursachen steht die Forschung noch dene Inhaltsstoffe stoßen Stoffwechselprozesse im Körper an,
am Anfang. Es gibt nur sehr wenige empirische Studien zu den die über die Hirnchemie auch die Seelenlage verändern. Koh-
Ursachen des emotionalen Essens“, betont Michael Macht. So lenhydrat- und fettreiche Nahrungsmittel etwa (perfekt vereint
ist man bislang auf Hypothesen angewiesen. Manche Experten in Süßigkeiten aller Art), aber auch eiweißreiche Kost erhöhen

17
die Spiegel bestimmter Neurotransmitter (siehe Seite 20). Koh- zukommen und so auf das kompensatorische Essen zu ver-
lenhydratreiche Nahrung beispielsweise lässt den Tryptophan- zichten. Dabei müssen sich die Betroffenen klarmachen, wie
spiegel ansteigen, was wiederum das Serotoninsystem des und wann sie Essen für andere Zwecke als zur Sättigung funk-
Gehirns aktiviert und so die Stimmung verbessert. Fett und tionalisieren; so werden unbewusste Verhaltensmuster Schritt
Zucker setzen Endorphine frei. In Experimenten zeigten Pro- für Schritt aufgedeckt. Wer etwa nach jeder Auseinanderset-
banden nach einem zucker- und fettreichen Snack niedrigere zung mit Kollegen unbewusst zur Schokolade greift, um sich
Kortisolwerte und geringere Stressreaktionen. zu beruhigen, muss sich diesen Automatismus oft überhaupt
Allerdings sollten diese biologischen Effekte nicht über- erst bewusstmachen.
schätzt werden, wie das Beispiel Schokolade zeigt: Aufgrund Darauf aufbauend, können die Betroffenen neue Lösungs-
einiger Bestandteile der Kakao- strategien entwickeln, um auf die
bohne (etwa Anandamid oder identifizierten Stressoren anders
Phenylethylamin) wird sie oft als zu reagieren. Dazu gehört auch die
„Glücklichmacher“ angepriesen.
Fachleute weisen jedoch darauf
DIE MACHT Erkenntnis, dass das Verlangen
nach Frustessen wieder vergeht,
hin, dass die Dosis euphorisieren-
der Stoffe bei normalen Portionen
DER GEFÜHLE wenn man ihm nicht sofort nach-
gibt. Mit Achtsamkeitsübungen,
so gering ist, dass eine dadurch
verursachte Stimmungsaufhellung
ERKENNEN deren Wirksamkeit bei Essstörun-
gen mittlerweile gut erprobt ist,
praktisch ausgeschlossen werden
kann. Demnach scheinen die ge-
UND NACH wird trainiert, Nahrung bewusst
wahrzunehmen und zu genießen.
schmacklichen Wirkungen den
gewünschten Effekt beim emotio-
DEM ESSEN Im Anschluss an das Trainingspro-
gramm zeigte sich, dass die emo-
nalen Essen auszulösen, nicht aber
die Inhaltsstoffe. Über die sensori-
AUFSCHREIBEN tionalen Esser nunmehr seltener
aus Frust und schlechter Stim-
schen Empfindungen steigert
wohlschmeckendes Essen das
WIE ES EINEM mung aßen. Durch achtsame
Selbstbeobachtung hatten sie ge-
Wohlbefinden – wir genießen den
Geschmack und fühlen uns besser.
GEHT lernt, Essauslöser besser zu erken-
nen und sie von den körperlichen
Am wirksamsten für emotiona- Hungerempfindungen zu unter-
le Esser sind Nahrungsmittel mit scheiden.
einer hohen Energiedichte, die über ihren guten Geschmack Auch Jennifer Taitz, Klinische Psychologin am Amerikani-
Wohlgefühle auslösen – eben Süßigkeiten, Snacks, Knabber- schen Institut für kognitive Therapie in New York, hilft emo-
zeug, Fast Food. tionalen Essern in Einzel- und Gruppentherapien. Wie in den
Emotionales Essen gilt als „Essmuster“, nicht als pathologi- Würzburger Therapiegruppen bildet auch hier die dialektisch-
sche Essstörung. Diese Grenze wird allerdings überschritten, behaviorale Therapie (DBT) nach Marsha Linehan die Basis.
wenn Betroffene so exzessiv essen, dass ihre Lebensqualität ein- Stressmanagement, Akzeptanz und Achtsamkeit sind zentrale
geschränkt ist. Spätestens wenn emotionale Esser in regelmä- Punkte. Auf der Grundlage der kognitiven Verhaltenstherapie
ßigen Essanfällen sehr große Mengen verzehren, ist eine The- sollen die Betroffenen über den konstruktiven Umgang mit
rapie nötig. Experten nennen zwei Bedingungen hierfür: Kon- Stress und Ärger wieder zu einem gesunden Essverhalten zu-
trollverlust beim Essen und die Tatsache, dass das Essverhalten rückfinden. Taitz schafft mit speziellen Übungen ein Bewusst-
selbst zu Belastungen führt. Was aber hilft, wenn es so weit ist? sein dafür, wann man sich von Emotionen zu unkontrolliertem
Diät allein führt nicht weiter, sie kann die Symptome sogar Essen hinreißen lässt. Dafür schreiben Patienten zum Beispiel
verschlimmern, da sich durch den erzwungenen Verzicht auf ihre Gefühle vor und nach dem Essen auf, um sich über die
Nahrungsmittel die Stimmung der Betroffenen oft weiter ver- unterschiedlichen Motivationen zu essen klarzuwerden. Sie
schlechtert, was wiederum den Appetit auf die geliebten Snacks lernen, ihren Gefühlen auf den Grund zu gehen und die Ver-
steigert. Es kommt vielmehr darauf an, dass die Betroffenen bindung zum Essen zu verstehen. „Übungen in Achtsamkeit
Alternativen an die Hand bekommen, um ihre Emotionen zu und Akzeptanz zeigen einen Weg, der zu Lebensfreude und
regulieren. In den Würzburger Trainingsgruppen lernten sie, Ausgeglichenheit führt. Und der es erlaubt, in aller Ruhe einen
Probleme aktiv zu lösen, mit ihren Gefühlen besser zurecht- Marshmallow zu genießen.“

18 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


STRESS SABOTIERT DIE SELBSTKONTROLLE
Entscheiden wir uns für das Obst oder für das Stück Ku- Teilnehmern veränderte neuronale Verbindungsmuster.
chen zur Nachspeise? Eine anstrengende Sitzung am Das üblicherweise mit Stress in Verbindung gebrachte
Morgen oder ein schwieriges Gespräch mit einem Kun- Hormon Kortisol spielte jedoch nur für einige dieser neu-
den kann hier den Ausschlag geben. Neuroökonomen der ronalen Veränderungen eine Rolle.
Universität Zürich haben in einer aktuellen Untersu- Die Erkenntnisse geben wichtige Hinweise zum
chung gezeigt, wie Stress das Gehirn dazu bringen kann, Verständnis der Interaktionen zwischen Stress und
die Selbstkontrolle herabzusetzen – zum Beispiel bei der Selbstkontrolle im menschlichen Gehirn. „Klar ist, dass
Wahl zwischen einem gesunden und einem ungesunden sich Stress über mehrere Wege im Gehirn auswirkt“, sagt
Dessert. Hauptautorin Silvia Maier vom Labor zur Erforschung
In der Studie wurden 29 Teilnehmerinnen und Teil- Sozialer und Neuronaler Systeme der Universität Zürich.
nehmer im Labor einer Behandlung unterzogen, die mo- Ebenso sei die Fähigkeit zur Selbstkontrolle an mehreren
deraten Stress erzeugt: Sie sollten eine Hand drei Minuten Punkten des neuronalen Netzes für Störungen empfäng-
lang in Eiswasser tauchen und wurden dabei von der lich.
Versuchsleiterin beobachtet und bewertet. Nach dieser
KÖNNEN SPORT UND FREUNDE SCHÜTZEN?
„Abkühlung“ wählten die Probanden im Magnetreso-
nanztomografen in einer Reihe von Entscheidungen zwi- „Die optimale Selbstkontrolle erfordert ein präzises
schen jeweils zwei Speisen diejenige aus, die sie jetzt lieber Gleichgewicht zwischen den Interaktionen der beteilig-
genießen würden. Weitere 22 Kontrollteilnehmerinnen ten Gehirnregionen. Selbstkontrolle lässt sich nicht mit
und -teilnehmer durften zwischen denselben Gerichten einem Schalter vergleichen, der entweder ein- oder aus-
wählen, jedoch ohne zuvor gestresst worden zu sein. geschaltet ist“, so Maier. „Stattdessen könnte man eher an
einen Regler denken, mit dem die Stärke der Selbstkon-
UNTER EMOTIONALEM DRUCK trolle flexibel angepasst werden kann.“
SCHMECKT UNGESUNDES Die Studie weist darauf hin, dass sogar moderater
Bei der Auswahl der Speisen standen alle vor der Wahl, Stress die Selbstkontrolle beeinträchtigen kann. „Dies ist
etwas Schmackhaftes, aber Ungesundes zu essen oder eine wertvolle Erkenntnis, da moderate Stressfaktoren
etwas, das zwar gesund, aber weniger schmackhaft war. häufiger sind als extreme Ereignisse“, bilanziert Todd
Sämtliche Probanden hatten vorher angegeben, dass sie Hare, Professor für Neuroökonomie am Institut für
einen gesunden Lebensstil führten – etwa indem sie sich Volkswirtschaftslehre der Universität Zürich. „Es könnte
ausgewogen ernährten und Sport trieben. interessant sein zu prüfen, ob Faktoren wie Sport und
Ergebnis der Untersuchung: Jene Personen, die das soziale Unterstützung, die erwiesenermaßen vor struk-
stressreiche Eisbad über sich ergehen hatten lassen, ge- turellen Gehirnveränderungen nach schwerem Stress
wichteten die geschmacklichen Attribute höher als die schützen, auch die Auswirkungen von moderatem Stress
Kontrollgruppe. Sie wählten mit größerer Wahrschein- bei der Entscheidungsfindung dämpfen können.“ PHc
lichkeit eine ungesunde Speise aus als die Probanden
ohne Eisbaderfahrung.
Die Auswirkungen des Stresses waren auch im Gehirn
sichtbar. Zwischen den Hirnregionen, die für die Aus-
übung von Selbstkontrolle wichtig sind – wie dem Man-
Quelle: Silvia U. Maier, Aidan B. Makwana, Todd A. Hare: Acute stress impairs
delkern, dem Striatum und dem für die Entscheidungs-
self-control in goal-directed choice by altering multiple functional connec-
findung wichtigen dorsolateralen und ventromedialen tions within the brain’s decision circuits. Neuron, 87/3, 2015, 621–631. DOI:
präfrontalen Kortex –, zeigten sich bei den gestressten 10.1016/j.neuron.2015.07.005

19
Ü
bergewichtige Men-
schen, vor allem US-
Amerikaner, folgen
der Devise Low carb
or no carb. Sie mei-
den kohlenhydratreiche Lebensmittel
wie Nudeln, Reis, Kartoffeln oder Brot,
stattdessen essen sie massenweise Fisch,
Fleisch, Käse und Eier – in der Hoffnung,
dadurch schlank und gesund zu werden.
Eine aktive Antikohlenhydratlobby ver-
sucht durch Kampagnen und Veranstal-
tungen Konsumenten, die Industrie und
die Politik für die Idee zu gewinnen. Es
gibt bereits spezielle Lebensmittelketten
für kohlenhydratarme Produkte, und
einige Fast-Food-Ketten sollen ihre
Hamburger schon ohne Brötchen anbie-
ten. Ein Vorreiter dieser Welle war der
amerikanische Arzt und Diätguru Ro-
bert Atkins. Der war überzeugt, dass
eiweißreiche Lebensmittel Übergewicht
abbauen und die Gesundheit fördern.
Ziel seiner „Diätrevolution“ ist deshalb
ein Kohlenhydratmangel im Körper.
MACHEN
Dass ernährungswissenschaftliche
Studien die Kohlenhydrathysterie kaum
KOHLENHYDRATE
FROH?
stützen, scheint seine Anhänger nicht zu
stören.
Doch es gibt noch ein anderes ge-
wichtiges Gegenargument: die Psyche.
Denn Ernährungswissenschaftler und
Psychologen haben Hinweise gefunden, Wer seiner Figur zuliebe weitgehend auf
dass kohlenhydratreiche Nahrungsmit- Kohlenhydrate verzichtet, geht möglicherweise
tel bei depressiven und stressanfälligen
Menschen die Stimmung stabilisieren
ein Risiko ein. Denn Nudeln, Reis und
und sie stressresistenter machen. Für sie Brot können Depressionen mindern
könnte eine kohlenhydratarme Ernäh-
rung deshalb fatal sein. V O N E VA T E N Z E R

20 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Alexandra Schek ist Ernährungswis-
senschaftlerin und hat die wissenschaft- BANANEN, eine kohlenhydratreiche und eiweißar-
me Kost sowohl den Stressindikator
liche Literatur zu dem Thema gesichtet.
Sie kommt zu dem Schluss, dass eine DATTELN Kortisol als auch depressive Gefühle ver-
minderte. Im umgekehrten Fall – viel
kohlenhydratreiche und proteinarme
Kost positive Wirkungen auf die Stim- ODER Eiweiß, wenig Kohlenhydrate – wirkte
sich diese Ernährung gegenteilig aus.
mung hat: „Bei depressiven Menschen
sind in der Regel die Neurotransmitter FEIGEN: Eine spezielle Diät, die auf diesen Er-
kenntnissen basiert, könnte also über die
Serotonin und/oder Noradrenalin ver-
mindert. Diese Dysbalance kann durch DIE IDEALE neurobiochemischen Prozesse psychi-
sche Schieflagen ausgleichen. Am ehes-
eine entsprechende Ernährung ausgegli-
chen werden.“ Neurotransmitter sind KOST FÜR ten erfüllt nach Meinung von Ernäh-
rungswissenschaftlern die sogenannte
chemische Botenstoffe, die an den En-
den der Nervenzellen freigesetzt werden, GESTRESSTE Kretadiät diese Aufgabe, da sie viele
Kohlenhydrate in Form von Reis, Brot,
um elektrische Impulse weiterzuleiten.
Sie beeinflussen unter anderem die ODER Nudeln, Polenta, Bulgur und Couscous
enthält, aber auch Lebensmittel mit ei-
Stimmungslage. Vor allem unkontrol-
lierbarer Stress, aber auch hormonelle LEICHT nem hohen Gehalt an Omega-3-Fettsäu-
ren (Fisch, Olivenöl), die ihrerseits anti-
Veränderungen beschleunigen ihren Ab-
bau. Ein Mangel an Serotonin etwa äu- DEPRESSIVE depressiv wirken, wie Therapiestudien
aus Israel gezeigt haben. Alexandra Schek
ßert sich in Stimmungsschwankungen plädiert deshalb für eine Kost nach den
und depressiven Symptomen. Richtlinien der Deutschen Gesellschaft
Die fehlenden Hirnbotenstoffe kön- für Ernährung mit Betonung der ballast-
nen aber nicht einfach über die Nahrung stoffreichen Kohlenhydrate, fünf Porti-
zugeführt werden, da sie an der Blut- Depressive Personen sollten deshalb den onen Obst und Gemüse am Tag sowie
Hirn-Schranke hängenbleiben würden. Eiweißanteil in der Kost zugunsten des Speiseölen, die reich an Omega-3-Fett-
Allerdings lässt sich die Konzentration Kohlenhydratanteils reduzieren“, rät säuren sind. Diese Kost könnte vor allem
von Vorstufen dieser Transmitter durch Schek. Sie hält die chemischen Mecha- für Patienten interessant sein, die auf
die Ernährung beeinflussen. Denn in nismen für überzeugend genug, um de- pflanzliche Antidepressiva nicht anspre-
kohlenhydratreichen Nahrungsmitteln pressiven Menschen zu einer kohlenhy- chen oder sie nicht vertragen. Auch für
sind die Aminosäuren Tryptophan und dratreichen Kost zu raten, auch wenn es Menschen mit nur leichten Depressio-
Tyrosin enthalten. Sie bilden die Vorstu- bislang noch keine kontrollierten Studi- nen stellt sie eine gute flankierende Maß-
fen der Neurotransmitter und kurbeln en mit psychisch Kranken gibt. nahme dar.
deren Produktion an. Tryptophan ist die Die liegen allerdings für das Thema Für psychisch Gesunde indes sind
Ausgangssubstanz von Serotonin. Er- Stressanfälligkeit vor. Rob Markus, Psy- Nudeln und Kartoffeln keine billigen
höht man seine Zufuhr, steigt auch die chologe an der Universität von Maast- „Glückspillen“. Leider. Sie helfen nur,
Produktion von Serotonin. richt, fand in einem Laborexperiment einen Mangel bei den Hirnbotenstoffen
Auch Tyrosin spielt eine wichtige Rol- heraus, dass kohlenhydratreiche Lebens- auszugleichen. Psychisch Stabile werden
le im Stoffwechsel. Bei Depressionen mittel besonders bei belastungsanfälli- dadurch nicht noch glücklicher. Ge-
und posttraumatischem Stress fehlt es gen Menschen die Stresstoleranz erhö- stressten und depressiven Menschen rät
am Neurotransmitter Noradrenalin, hen. Er hatte zunächst aus einer Gruppe Alexandra Schek aber durchaus zu
dessen Vorstufe Tyrosin ist. Es bewirkt, von 334 Probanden die stressanfälligsten Snacks wie Bananen, Datteln oder Fei-
dass Noradrenalin und Dopamin ver- ermittelt. Diese wurden sodann mit Ma- gen, denn die enthalten viele der wich-
stärkt gebildet werden. thematikaufgaben psychisch unter tigen Aminosäuren. Von kohlenhydrat-
„Die Zufuhr von Tryptophan und Druck gesetzt. Vor den Tests waren ihnen armen Diäten wie der Atkins-, der Hol-
Tyrosin über die Nahrung hat vor allem unterschiedliche Mahlzeiten aufgetischt lywood-, der Leben-ohne-Brot- oder der
bei leichten und mittelgradigen Depres- worden, deren Eiweiß- und Kohlenhyd- Steinzeitdiät sowie der „Fleischkur“ rät
sionen einen therapeutischen Effekt. ratgehalt variierte. Es zeigte sich, dass sie dagegen ab. PHc

21
WARUM UNS SCHMECKT,
WAS UNS
SCHMECKT

22 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Wenn es um die konkrete Zusammen- die angeborene Vorliebe für Süßes. Jeder Mensch besitzt Re-
zeptoren für vier Basisgeschmacksrichtungen – süß, salzig,
stellung unserer Speisen geht, siegt häufig sauer und bitter –, doch von Geburt an mögen die meisten
der Appetit über den Verstand. Woher besonders gern süße Nahrungsmittel. Wie Studien mit Neu-
geborenen zeigen, denen vor dem ersten Stillen eine süße und
kommt diese Unvernunft? Und müssen
eine saure Trinklösung gegeben wurde, schmeckt den Babys
wir ihr wirklich gegensteuern? das Zuckerwasser deutlich besser als das saure Getränk. Da sie
vorher noch nichts anderes gekostet hatten, muss also die Vor-
VON ANNA ROMING liebe für Süßes angeboren sein. Wird diese Süßpräferenz dann
weiter verstärkt, stabilisiert sie sich, wie in einer Untersuchung
gezeigt werden konnte: Neugeborene bekamen sechs Monate

E
rnährungswissenschaftler geben sich große Mü- lang von ihren Müttern Zuckerwasser zu trinken, eine andere
he, die Verbraucher über ihre neuesten Erkennt- Gruppe von Babys erhielt keine süße Zusatzration. Nach sechs
nisse auf dem Laufenden zu halten. Was darf Monaten war die Süßpräferenz bei den „Zuckerwasserbabys“
man, was soll man essen? Welche Nahrungsmit- sehr viel ausgeprägter als bei den anderen Kleinkindern. Und:
tel enthalten welche wichtigen Nährstoffe? Wie Selbst Jahre danach unterschieden sich die beiden Gruppen in
groß ist der Fettanteil in Lebensmitteln? Das verbreitete Wissen ihrer Vorliebe für Süßes.
über die richtige Ernährung ist groß. Dennoch essen viele Zucker kann sogar Schmerzen blockieren: Wenn Neugebo-
Menschen „unvernünftig“. Woher rührt diese Unvernunft? rene Injektionen bekamen oder ihnen Blut abgenommen wer-
Warum bevorzugen viele immer noch Schweinebraten mit den musste, reagierten sie auf die Nadel weniger, wenn sie
Knödel, warum meiden sie nicht verächtlich die ungemütli- gleichzeitig an einem zuckergetränkten Schnuller saugen durf-
chen Fast-Food-Restaurants, warum schmeckt die Schwarz- ten. Saure und bittere Geschmacksrichtungen aber mögen
wälder Kirschtorte, obwohl das Wissen um den hohen Fett- Neugeborene nicht – eine Abneigung, die meist bis ins späte
und Zuckergehalt eigentlich den Appetit verderben müsste? Erwachsenenleben bestehen bleibt. Möglicher Grund: Bitter-
Und warum denkt man, wenn man sich mit Essen belohnen keit kann ein Zeichen für „giftig“ sein. Und Vergiftungen müs-
will, an Schokoriegel, Gummibärchen oder Bratwurst und sen natürlich vermieden werden. Erst wenn wir älter werden,
nicht an herzhaftes Vollkornbrot, saftige Äpfel oder ein bal- entwickeln wir einen Geschmackssinn für leicht bitter schme-
laststoffreiches Müsli? ckende Nahrungsmittel, besonders wenn sie süß und fett
Möglicherweise hilft dieses Umfrageergebnis weiter: Gefragt gleichzeitig sind – wie beispielsweise bittere Schokolade.
nach ihren Assoziationen zu den Wörtern „Ernährung“ und Abgesehen von den grundlegenden Geschmacksvorlieben
„Essen“, fielen 44,5 Prozent der Befragten beim „Essen“ die für Süßes, Fettes und später auch leicht Bitteres, gibt es deut-
Begriffe „Lust und Genuss“ ein, aber nur 25,9 Prozent hatten liche individuelle Unterschiede in der Zusammenstellung der
beim Stichwort „Ernährung“ diese Assoziation. Dagegen ver- Speisepläne. Wahrscheinlich erfolgt die Weichenstellung schon
banden 24,1 Prozent „Gesundheit“ mit „Ernährung“, während sehr früh. Ernährungswissenschaftler haben interessante Zu-
nur 6,9 Prozent „Essen“ für zwangsläufig gesund hielten. Das sammenhänge zwischen frühen Geschmackserfahrungen und
heißt also: Essen bringt Lust und Genuss, Ernährung dagegen späterem Essverhalten herausgefunden:
ist gesund – aber langweilig. So kommt es wohl, dass vielen Babys saugen länger an der Brust, wenn die Mutter kräftig
Menschen bei den „erlaubten“ Nahrungsmitteln (als da sind: gewürzte Nahrung (zum Beispiel Knoblauch) gegessen hat.
Hülsenfrüchte, Gemüse, Obst, Körner, fettarme Milchproduk- Der Säugling nimmt dabei allerdings nicht mehr Milch zu sich,
te) nur selten das Wasser im Munde zusammenläuft und sie sondern nutzt die verlängerte Saugzeit zur Analyse: Der kleine
trotz mannigfacher Information den Appetit auf Schokolade, Genießer behält die Milch länger im Mund, offensichtlich um
auf ein dick mit Leberwurst belegtes Brötchen oder 75-prozen- dem fremden Geschmack auf die Spur zu kommen.
tigen Käse nicht loswerden. Wir essen nicht, weil es gesund ist, Die Geschmacksschulung beginnt jedoch nicht erst nach
sondern weil es schmeckt. Das haben inzwischen auch die Ex- der Geburt, sondern bereits im Mutterleib. Wenn eine Schwan-
perten erkannt und fragen nicht mehr nur danach, was wir gere Knoblauch isst, verändert das den Geschmack des Frucht-
essen dürfen, sondern auch, warum wir essen, was wir essen. wassers. Möglicherweise nimmt der Fötus diese Veränderung
Psychologen und Ernährungswissenschaftler haben in den wahr und lernt so schon vor der Geburt unterschiedliche Ge-
letzten Jahren diese Frage ausgiebig erforscht. Da ist zum einen schmacksrichtungen unterscheiden. Ein weiterer Beleg für

23
diese Annahme: Die Bereitschaft des Kindes, verschiedene
Nahrungsmittel zu sich zu nehmen, ist umso größer, je vari- UNSERE UMWELT
antenreicher sich die Mutter ernährt. Wenn schwangere Frau-
en beispielsweise täglich Karottensaft trinken, dann mögen BIETET UNS
ihre Babys sechs Monate nach der Geburt Brei mit Karotten-
geschmack lieber als gleichaltrige Kinder, die keine entspre- ÜBERALL NAHRUNG
chenden Geschmacksvorerfahrungen hatten. Wenn wir be-
stimmte Speisen bevorzugen, dann assoziieren wir damit AN. DOCH GESUND
Dinge, die sich möglicherweise früh in unserem Leben, oftmals
schon vor der Geburt abgespielt haben. IST DAS MEISTE
Das ist möglicherweise auch die Erklärung dafür, dass die
Vorlieben für bestimmte Speisen von Kultur zu Kultur unter- DAVON NICHT
schiedlich sind. In verschiedenen Studien hat der Psychologe
Scott Parker von der American University in Washington die
Annahme widerlegt, Frauen seien überall auf der Welt wild Fleisch gefüllte Auberginen oder Molokhia, eine typische ägyp-
auf Schokolade. Zwar bevorzugt das weibliche Geschlecht in tische Suppe mit Spinat und Lamm- oder Hühnerfleisch. Auch
Ägypten, Spanien und den USA grundsätzlich süßere Speisen bei den Männern fanden die Forscher klare kulturelle Unter-
als das männliche, doch gab es deutliche Unterschiede bei der schiede: Amerikaner bekannten sich zu Pizzen, Bier, Burgern
Schokolade: In Spanien waren Männer und Frauen gleicher- und Steaks. Die spanischen Männer dagegen bevorzugten
maßen süchtig nach dem süßen Schmelz. Ägypterinnen dage- Serranoschinken, Pommes frites und Spaghetti. In Ägypten
gen konnten wenig mit Kakao anfangen – nur sechs Prozent freuen sich die Männer (wie die Frauen), wenn Molokhia auf
nannten Schokolade, wenn sie nach ihrer Lieblingsspeise ge- den Tisch kommt oder gegrillter Fisch.
fragt wurden. Sie mochten lieber gefüllte Weinblätter, mit Allerdings scheinen diese kulturellen Unterschiede nach
und nach nivelliert zu werden, wie das Beispiel Frankreich
zeigt. Lange Zeit wurde das Essverhalten der Franzosen als
vorbildlich dargestellt. Trotz Weißbrot, fetter Gänseleber und
Rotwein waren Übergewicht und Herzerkrankungen in Frank-
reich kein Thema. Vor allem die Tatsache, dass sich Franzosen
Zeit nehmen für ihre Mahlzeiten und diese meist in Gesell-
schaft verbringen, wurde als gesundheitsfördernd angesehen.
Inzwischen hat sich die Situation verschlechtert. Immer mehr
Franzosen gehen mittags nicht mehr ins Bistro, sondern tauen
Tiefkühlpizzen auf oder essen Hamburger. Immer weniger Zeit
wird für Kochen und Essen aufgewendet. Unterstützt werden
diese Veränderungen noch durch „ein Missverhältnis zwischen
unserer Physiologie und unserer Umwelt“, sagt der Psycholo-
ge James O. Hill vom University of Colorado Health Sciences
Center. „Unsere Umwelt bietet uns überall Nahrung an – die-
se ist meist billig, schmeckt und wird in großen Portionen
gereicht –, und unsere Physiologie sagt: ‚Iss, wann immer du
die Gelegenheit dazu hast.‘“ Gesunde Ernährung sei sehr viel
schwieriger zu erreichen, sei mühsamer zuzubereiten und zu-
dem teurer. So verwundert das Ergebnis einer Befragung unter
fast 500 Erwachsenen nicht. Die Anthropologin Jane Kauner
identifizierte eine Liste von Nahrungsmitteln, die von fast allen
Menschen gerne gegessen werden: Brathähnchen, Pommes
frites, Schokoladenkekse oder Fertigprodukte wie Macchero-
ni mit Käse. PHc

24 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


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APPETIT AUF
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Warum wir nach einem ausgiebigen
Mehrgängemenü immer noch Lust
auf ein Dessert haben

V O N J O C H E N PA U L U S

E
ndlich haben die Gäste al- Zuckerwasser ins Mäulchen geträufelt, Letzteren predigen Ernährungswis-
le Vorspeisen und Haupt- schluckt sie erst einmal begeistert. Doch senschaftler sogar, auf möglichst vielfäl-
gänge bewältigt und stre- nach einer Weile hat sie genug und lässt tige Kost zu achten. Im Lehrbuch der
cken die Esswerkzeuge, da die Leckerei herauslaufen oder spuckt Ökotrophologie liest sich das logisch.
wird der Nachtisch ge- sie sogar aus. Eine Minute später hat sie Doch im verfressenen Alltag des überge-
reicht. Schon schlägt alles wieder zu und immer noch keine rechte Lust auf Zu- wichtigen Normalverbrauchers hat der
verputzt auch noch die Süßigkeiten. ckerwasser. Doch wenn nun stattdessen Rat seine Tücken. Denn je mehr unter-
Zwingen sich die Geladenen bloß, um Milch aus dem Schlauch fließt, trinkt schiedlich schmeckende Speisen in
die Gastgeber nicht zu beleidigen? sie ganz so, als wäre sie nicht gerade Reichweite sind, desto mehr verschlingt
Keineswegs, glauben Forscher: Die erst mit süßer Flüssigkeit abgefüllt wor- der Mensch. Das belegen 58 Studien,
wiedererwachte Gefräßigkeit liegt in un- den. Es muss nur eine neue Geschmacks- die Hollie Raynor und Leonard Epstein
serer Natur – und nicht nur in unserer. richtung her. Das gilt für Nager wie für von der Universität Buffalo zusammen-
Bekommt eine Ratte mit einem Schlauch Menschen. getragen haben.

26 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


LUST AUF EINEN ANDEREN
GESCHMACK: SCHON ZWEI
MINUTEN NACH EINER
MAHLZEIT VERSPÜREN WIR
LUST AUF EINE NEUE SPEISE

spielsweise mehr Sandwichs, wenn statt Das lässt sich sogar physiologisch er-
einer Sorte solche mit Thunfisch, Roast- fassen. Gibt es bei einer Testmahlzeit
beef, Käse oder Ei im Angebot waren. immer die gleichen Cheeseburger zu
Die Auswahl, so zeigte sich, muss nicht essen, lässt der Speichelfluss nach. Kaum
einmal besonders schmecken. Die beste aber kommt etwas Neues auf den Tisch,
Eissorte allein hatte beim großen Fressen verfliegt der Gewöhnungseffekt. Im Ge-
keine Chance gegen das Gesamtsorti- hirn schalten bestimmte Zellen des Hy-
ment mehr oder weniger gelungener pothalamus und des Großhirns auf
Kreationen. Allerdings sollten die Unter- Sparflamme, und der Appetit auf eine
schiede zwischen den einzelnen Bestand- Speise lässt nach. Sowie es etwas Neues
teilen des Menüs schon deutlich sein. gibt, feuern sie wieder eifrig.
Zum Joghurt mit Kirschgeschmack noch Wahrscheinlich hat die Evolution un-
Sorten mit Himbeer- oder Erdbeer- sere Vorliebe für Abwechslung auf der
aroma anzubieten fördert den Konsum Speisekarte hervorgebracht, damit wir
nicht. Gut kommt es dagegen an, wenn viele verschiedene Nahrungsmittel zu
sich das Essen im Mund verschieden an- uns nehmen, um so einem Mangel an
fühlt. Nach einem vergleichsweise har- einzelnen Nährstoffen oder Vitaminen
ten Baguette mögen wir lieber etwas vorzubeugen. Dabei musste sie lediglich
Weiches wie Apfelmus oder Pudding. aufpassen, dass Neugeborene nicht der
Zur Not steigern aber auch nahezu iden- Muttermilch überdrüssig werden, des
tische Frischkäsesandwichs den Ver- einzigen Nahrungsmittels, das sie in den
brauch um ein Siebtel, sofern sie mit ersten Monaten bekommen. Tatsächlich
In einem der Experimente wurden Salz, Zitrone, Zucker und Curry nur setzt die rasche Gewöhnung an einen
nacheinander Würste, Brot und Butter, unterschiedlich genug aromatisiert sind. Geschmack erst nach dem Stillalter ein.
Schokodessert und Bananen aufgefah- Es stellte sich heraus, dass der Appetit Heute in unserer Überflussgesell-
ren. Die Teilnehmer futterten 44 Prozent auf Abwechslung sehr schnell kommt: schaft wird uns das genetische Erbe zum
mehr als die Kontrollgruppe, die zwar Schon zwei Minuten nachdem wir etwas Verhängnis. Die Nahrungsmittelindust-
auch vier Gänge serviert bekam, aber gegessen haben, finden wir die vertilgten rie ist ständig auf der Suche nach neuen
jedes Mal dasselbe. An Kalorien hatte die Speisen nicht mehr so attraktiv – so Aromen, damit wir mehr essen, als uns
vielfältig versorgte Tafelrunde am Ende rasch kann der Körper gar nicht heraus- guttut. Interessanterweise folgte die Zu-
sogar 60 Prozent mehr intus als die Kol- finden, wie viele Kalorien das Gegessene nahme der Fettleibigkeit exakt der zu-
legen nebenan. enthielt. Wir sind also oft nicht einfach nehmenden geschmacklichen Vielfalt
Andere Gelage im Dienst der Wissen- rundum satt, sondern jeweils nur für bei Süßigkeiten und Snacks, stellen die
schaft brachten ähnliche Resultate. Die Nahrungsmittel einer oder mehrerer Forscher mit Blick auf die letzten Jahr-
Versuchspersonen verschlangen bei- Geschmacksrichtungen unempfänglich. zehnte fest. PHc

27
28 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t
ESSEN NACH
REGELN
Immer mehr Menschen verzichten auf Getreide, Milch, Eier oder Fleisch.
Andere treibt die ständige Angst vor Zusatzstoffen oder Rückständen
in den Lebensmitteln um, Fertigprodukte halten sie für Gift. Gesund zu essen
liegt imTrend – das nimmt teilweise schon pathologische Züge an

V O N K AT H R I N B U R G E R

D
er 28-jährige Mann, nennen wir ihn George, (bitte kein Plastik!) entspricht oft einem ausgeklügelten Sys-
war blass und ausgemergelt, als er sich in der tem. Kulinarische Fehltritte werden von heftigen Schuldgefüh-
Ambulanz des Rocky Mountains West Medical len begleitet. Die Folgen der Extremdiäten: Mangelernährung
Center vorstellte. Er wog nur 44 Kilogramm und verminderte Lebensqualität. Teilweise wird diese Störung
bei einer Größe von 1,88 Meter, und sein von echten psychiatrischen Leiden wie Ess- oder auch Zwangs-
Gesundheitszustand war entsprechend desolat: Osteoporose, störungen überlagert. George nahm etwa seine Vitaminpillen
Verstopfung, Übersäuerung, Zahnprobleme, das Herz schlug immer über den Tag verteilt ein, da er glaubte, dass sie ihm
zu langsam, an weißen Blutkörperchen mangelte es ihm. Der nur auf diese Weise Energie geben würden. Laut Erhebungen
Mann litt aber offenbar nicht an einer psychiatrischen Krank- der Universität Düsseldorf zählen rund ein bis drei Prozent
heit wie Magersucht – sein Untergewicht erkannte er als solches der deutschen Bevölkerung zu den Orthorektikern, vor allem
und gab auch an, dass es ihn störe. Im Patientengespräch kam Frauen – schließlich achten sie generell mehr auf ihre Gesund-
er jedoch immer wieder auf seine Ernährung zu sprechen. Er heit und ihr Aussehen.
beschrieb diese als „pur“ und „rein“, bestehend vor allem aus Der Graubereich dürfte jedoch viel größer sein. Untersu-
Sojashakes, angereichert mit Eisen sowie Brokkoli, dem er ma- chungen, etwa an der Universität Wien, haben gezeigt, dass
gische Kräfte zuschrieb. Dazu schluckte er Multivitamintablet- spezielle Ernährungsformen wie Veganismus oder Steinzeit-
ten. Schließlich sei sein Körper ein „Tempel“, dem man exakt diät oft mit orthorektischem Verhalten verbunden sind.
die richtigen Bausteine zur Verfügung stellen müsse. Christoph Klotter, Ernährungspsychologe an der Universität
Die Ärzte bescheinigten dem jungen Ingenieur „Orthorexia Fulda, spricht gar von einer „essgestörten“ Gesellschaft, bei der
nervosa“. Eine Störung, für die es bislang keine klaren Diag- Orthorexie, Magersucht und Bulimie nur die Spitze des
nosekriterien gibt und die daher auch nicht in den Handbü- Eisberges seien.
chern der Psychologen auftaucht. Der Mediziner Steven Brat- Tatsächlich hegen immer mehr Menschen ein Unwohlsein
man, einst selbst an Orthorexie erkrankt, war der Erste, der gegenüber bestimmten Inhaltstoffen im Essen, während sie
das Störungsbild im Jahr 1997 beschrieb. Orthorektiker sind „Superfoods“ wie Chiasamen oder Grünkohl verehren. Sie
Menschen, die sich komplett auf die Heilwirkung von Nahrung meiden nicht mehr nur künstliche Zusatzstoffe, sondern seit
fokussieren. Sie wählen Lebensmittel penibel aus, auch die neuestem auch wegen Unverträglichkeit Laktose (in Milch)
Zubereitung und die Verwendung bestimmter Kochutensilien und Gluten (in Weizen), eigentlich vollkommen normale und

29
EINE VEGANE LEBENSWEISE
WÄHLEN MENSCHEN HÄUFIG NACH
KRISEN WIE JOBVERLUST,
SCHEIDUNG ODER BURNOUT

keineswegs schädliche Substanzen, wenn man gesund ist. Menschheitsgeschichte besehen – auch eher ab. Derzeit sind
Neben Veganismus und Paleodiät sind auch Rohkost, in Deutschland rund 10 Prozent betroffen. Die Existenz der
Clean-Eating, Makrobiotik oder Säure-Basen-Ernährung sogenannten „Glutensensitivität“ ist umstritten. In Deutsch-
im Trend. „Ernährung wird immer mehr ein gesundheitsför- land liegen die Schätzungen zwischen 0,5 und 6 Prozent. Noch
dernder Einfluss zugeschrieben, die Nähe zur Medizin wird weniger handfeste medizinische Gewissheiten gibt es in Sachen
größer“, bestätigt Daniel Kofahl vom Büro für Agrarpolitik und Histamin- oder Sorbitolintoleranz.
Ernährungskultur. So setzen sich offenbar viele Menschen ohne ärztliche Di-
Rund 20 Prozent der Deutschen geben an, sich gesund zu agnose selbst auf Diät. Das ist riskant. Und zwar dann, wenn
ernähren. Derzeit essen beispielsweise sieben bis acht Prozent ein Grundnahrungsmittel wie Milch oder Brot auf den Index
der Deutschen vegetarisch, ein Prozent vegan. Der deutsche kommt. Das gilt vor allem für den Nachwuchs. Pädiater be-
Markt an „Frei von“-Produkten wächst – so belief sich der richten bereits zunehmend von Kindern, die mangelernährt
Umsatz für glutenfreie Lebensmittel im Jahr 2013 auf 72 Mil- in ihrer Praxis auftauchen, zu langsam wachsen. Gesund wird
lionen Euro, im Jahr 2014 waren es 89 Millionen. dann auf einmal ungesund.
Zahlreiche Ratgeber, Kochbücher, Blogs, soziale Netzwerke Trotzdem schwärmen viele Trendköstler nach der Ernäh-
und angesagte Speiselokale befeuern diesen „Foodamentalis- rungsumstellung von gesteigerter Fitness, Reinigung oder gar
mus“. Auch dubiose Allergietests wie IgG-Tests oder Kinesio- Heilung schwerster Krankheiten. Die 38-jährige Sam Ebel,
logie tragen ihr Scherflein zur Hysterie gegenüber dem täglich ehemaliger Motorradprofi, macht etwa ihre vegane und koh-
Brot bei. Doch bei vielen Lebensmitteln ist das Meiden gera- lenhydratfreie Ernährung dafür verantwortlich, dass sie heute
dezu abstrus. So verzichten immer mehr Menschen auf Ge- nach 14 Jahren Krebserkrankung noch am Leben ist. Nach
treide, Milch, Eier oder Fleisch. Andere treibt die ständige Chemotherapie, Bestrahlung und langanhaltender Lungen-
Angst vor Zusatzstoffen oder Rückständen in den Lebensmit- entzündung sei ihr Immunsystem extrem geschwächt gewesen.
teln um, Fertigprodukte halten sie für Gift. Seitdem sie sich vorrangig von Gemüse und der Hülsenfrucht
Klar ist bei alldem: Es gibt viele Menschen mit Allergien Lupine ernährt, dafür Tierisches links liegen lässt, hatte sie
und Unverträglichkeiten, die erheblich leiden und sich unge- keinen Rückfall mehr.
rechtfertigt als „Hysteriker“ bezeichnet sehen. Oft haben sie Die Wirksamkeit sogenannter Krebsdiäten ist nicht
eine lange Odyssee durch zahlreiche Arztpraxen hinter sich, bewiesen. Kann sein, dass Sam tatsächlich mit der eiweiß-
bis die Ursache für Symptome wie Durchfall, starke Kopf- reichen Nahrung den Tumor in ihrem Dickdarm ausgehungert
schmerzen, bleierne Müdigkeit oder Hautausschläge erkannt hat, kann sein, dass es der Placeboeffekt war, den Mediziner
wurde. Für sie sind „Frei von“-Produkte ein Segen. dafür verantwortlich machen, wenn sich Symptome nach
Gemäß einer Berliner Studie aus dem Jahr 2012 glauben radikaler Diät bessern. Tatsächlich berichten in einer Studie
rund 60 Prozent der Bevölkerung, dass sie an einer Nahrungs- des Marktforschungsinstituts concept m Veganer von einem
mittelallergie leiden. Doch die Gesundheitsstatistiken spre- befreienden Gefühl, von dem Gefühl, endlich das Leben
chen eine andere Sprache: So belegen Zahlen des Robert-Koch- wieder selbst im Griff zu haben. „Eine vegane Lebensweise
Instituts einen Rückgang der Nahrungsmittelallergien von 5,4 befolgen demnach Menschen vor allem nach einer Krise,
auf 4,7 Prozent in den Jahren 2003 bis 2013. Die Anzahl der nach Jobverlust, Scheidung oder Burnout“, sagt Studienleiter
Menschen, die Milchzucker nicht vertragen, nimmt – über die Rochus Winkler.

30 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Doch die Gruppe der Gesundesser ist extrem inhomogen. exemplarisch zu sehen im Roman Zauberberg, gehegt und ge-
Sie reicht vom Selbstoptimierer zum Hippie-Foodie, vom Tra- pflegt, sondern er gilt als selbst schuld, er hat sich eben nicht
ditionsöko zum Biohedonisten. So werden die Traditionsökos genug gekümmert.“ So üben Krankenkassen und Versicherun-
vor allem von Vergiftungsfantasien durch die Agrarkonzerne gen Druck aus, gesund zu leben, sonst drohen Extrazahlungen.
geplagt, für sie sind Fertigprodukte mit ihren vielen Zutaten Auch prominente Vorbilder wie Angelina Jolie, die sich vor-
und Zusatzstoffen Teufelszeug. Vergessen darf man nicht, dass sorglich aus Angst vor Krebs ihre Brust amputieren ließ, ver-
Gifte im Essen, etwa Mutterkornalkaloide im Brot, den Men- stärken den Wunsch nach Gesundsein um jeden Preis. „Nur
schen seither begleitet haben, eine bestimmte Grundangst hier wer sich seiner sozialen Verantwortung gemäß gesund ernährt
also verständlich ist. Allerdings werden die Risiken völlig falsch und viel bewegt, gilt als ‚guter Mensch‘“, sagt Klotter.
bewertet. Schließlich sind Lebensmittel heute so sicher wie Über das Essen wird heute auch die soziale und kulturelle
noch nie in der Menschheitsgeschichte. Identität abgeleitet. „Also: Weil ich anders esse, zum Beispiel
Die Selbstoptimierer haben dagegen das Mantra „Gesund- vegan, bin ich Fleischessern und sogar Vegetariern moralisch
heit“ verinnerlicht, das sie mit Fitness-Apps und eiserner Dis- überlegen“, erklärt der Fuldaer Psychologe. Schließlich
ziplin erreichen wollen. „Healthismus“ heißt diese extreme sehen sich viele Veganer als Beschützer der drangsalierten und
Form der Gesundheitsorientierung im Fachjargon. Dieser getöteten Tiere, während sich Fleischesser mit ihrem Essver-
Trend begann laut Ernährungssoziologe Kofahl schon im 19. halten Schuld auflüden. Vegetarier erheben sich über die Mas-
Jahrhundert, als es Überlegungen gab, wie man Soldaten oder se, indem sie etwa Fleischesser mit Konsumenten von Kin-
Arbeiter am besten ernährt, um sie leistungsfähiger zu machen. derpornografie auf eine Stufe stellen. Laut Bratman sehen
„Heute hat sich die Gesundheitspolitik auf jeden Einzelnen Orthorektiker ihre normal essenden Mitmenschen nicht mehr
verlagert“, so Kofahl. „Wer krank ist, wird nicht wie früher, als ebenbürtig an. »

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31
ESSEN IST EINE Ludwig Feuerbach: „Du bist, was du isst.“ Andere Ernährungs-
konzepte werden dabei gerne als falsch abgetan. Vielen Vega-

SOZIALE nern wird etwa von anderen Gesundessern vorgeworfen, To-


fuschnitzel und vegane Currywurst seien weit weg von einer

INTERAKTION. „natürlichen“ Ernährung. Diäten geraten also oft zur Ideologie.


Die Foodamentalisten erheben darum einen Anspruch auf

WER STÄNDIG Wahrheit und sind für rationale Argumente nicht mehr zu-
gänglich.

SEIN EIGENES Ein weiterer Grund, warum diverse Diätkonzepte boomen,


ist die enorme Wahlfreiheit, die westliche Gesellschaften ge-

SÜPPCHEN KOCHT, nießen. Heute sind das Angebot an Nahrungsmitteln und die
Ratschläge für eine gesunde Ernährung schier unübersichtlich

ISOLIERT SICH geworden. So ändern sich die offiziellen Ernährungsempfeh-


lungen permanent, gerade erst wurde der Ratschlag, des Her-
zens wegen fettarm zu essen, revidiert. „Viele Veganer entflie-
hen der Multi-Optionalität“, berichtet Rochus Winkler von
concept m. „Mit der Einschränkung der Lebensmittelauswahl
grenzen sie sich gegen die Bubble-Welt ab, die von Überfluss
und Unentschiedenheit geprägt ist.“
Zudem ist der schlanke Körper ein Mittel, die soziale Iden- ie Patientin Felicitas Grupp kann das bestätigen. Sie traf die
tität zu präsentieren. Die Folge: Übergewicht gilt als Stigma, Allergie direkt nach dem Auszug aus dem Elternhaus, als ihr
Betroffene werden abgewertet und diskriminiert. Hanni Rütz- plötzlich alle Türen offenstanden. „Vielleicht war die Allergie
ler, Ernährungswissenschaftlerin am Wiener Zukunftsinstitut, eine Reaktion auf die Wahlfreiheit“, sagt sie. Zumindest beim
schreibt in ihrem Buch Muss denn Essen Sünde sein?: „Dieje- Essen herrschte ja dann Klarheit. Denn: „Das Essen nach Re-
nigen, die sich dieser Disziplin nicht völlig unterwerfen, stehen geln, die Einteilung in gute und böse Lebensmittel bringt Ord-
als verantwortungslose Hedonisten da.“ Denn die Maßlosen nung ins Leben“, erklärt Klotter.
sind ja die, die später krank sind und die Sozialkassen belasten, Doch Essen ist viel mehr als die Summe der Inhaltsstoffe.
so wird gerne auch von Medizinern argumentiert. Darum sehen Psychologen, Soziologen und Philosophen die-
Und noch mehr: Vom eigenen Körper wird Erlösung erwar- se Erbsenzählerei, das akribische Etikettenlesen, den ständigen
tet – was früher die Religion leistete, die jedoch an Einfluss Verzicht auf dies und das mit Argusaugen. Essen ist soziale
verloren hat. Nicht umsonst spricht George von seinem Körper Interaktion, und wer ständig sein eigenes Süppchen kocht,
als „Tempel“, dem mit heiligen Handlungen zu huldigen sei. isoliert sich. Kein Wunder, dass man kaum mehr Freunde zum
Lebensmittelhersteller haben dieses Bedürfnis erkannt und Mehrgängemenü einladen mag, da jener kein rotes Fleisch, die
nutzen Esoterik und Spiritualität, wie etwa bei den „Veganen Zweite kein schnödes Weißbrot und der Dritte keinen Zucker
Buddha-Bärchen", als Storytelling, um ihre Produkte zu ver- in den Speisen duldet.
kaufen. Auch Hanni Rützler macht das spirituelle Vakuum Kritisch wird gesund essen auch, wenn der Genuss verloren-
unserer modernen Gesellschaft für die Fixierung auf das Essen geht. Wenn die Verzichtkultur zum Lebensziel wird, bleibt
verantwortlich. „Es gibt heutzutage kaum mehr Diskussionen nichts weniger als die alte Idee des „guten Lebens“ auf der
über Ethik und Moral“, sagt sie, „daher werden diese für den Strecke. Dabei ist Genuss weitaus weniger gefährlich, als die
Menschen so wichtigen Aspekte anhand der Ernährung in einer Gesundheitsbewussten glauben. „Genießer sind sogar gesün-
Stellvertreterdiskussion ausgetragen.“ Dies ist auch keineswegs der“, schreibt Rützler.
verwunderlich, wenn man bedenkt, dass im Abendland bis ins George wurde schließlich erfolgreich mit einem Psychose-
19. Jahrhundert hinein religiöser Eifer in asketischer Enthalt- mittel behandelt. Er wog nach sieben Wochen Klinikaufenthalt
samkeit, im Fasten seinen Ausdruck fand. Essen galt als nied- 52 Kilogramm, und seine Fixierung auf die magischen Quali-
rige Handlung, die den Menschen dem Tier annähere. täten von Lebensmitteln wurde sukzessive weniger. Zu
Zudem werden Werte wie Ehrlichkeit, Bescheidenheit, Na- einem Nachsorgetermin ist er nicht erschienen. Ob er also zu
turverbundenheit oder Disziplin über besondere Ernährungs- einem ungezwungenen Essverhalten zurückgefunden hat,
weisen übermittelt. Gemäß der Erkenntnis des Philosophen ist ungewiss. PHc

32 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


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33

© Silke Weinhsheimer
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sprechen für sich: Tall
(gut 350 Milliliter),
Grande (ein knapper
halber Liter), Venti
(Italienisch für zwanzig, wie 20 Unzen, VERLEIHT
also etwa 600 Milliliter), so heißen die
Portionsgrößen im Coffeeshop. Auch
Kaffee, gezuckert und mit Sahne oder
Crema, kann dick machen. Ganz zu
schweigen von Schnitzel, Burger oder
PRESTIGE
Currywurst im XXL-Format. Restau- Wer sich machtlos fühlt, isst mehr. Große Portionen
rants, die dergleichen anbieten, erfreuen
sollen das Gefühl der Ohnmacht vertreiben
sich wachsender Beliebtheit. „Ein anhal-
tender Trend beim Lebensmittelkonsum VON INGRID GLOMP
ist, dass die Verbraucher tendenziell im-
mer mehr essen“, erklärt David Dubois
von der HEC (École des hautes études
commerciales) in Paris. „Was noch be-
denklicher ist: Die Zunahme dieses Kon-
sums ist besonders ausgeprägt in gefähr-
deten Bevölkerungsschichten, etwa bei
Käufern mit einem niedrigen sozioöko-
nomischen Status.“ Was verleitet Men-
schen dazu, Megabecher mit Kaffee oder
XXL-Burger zu kaufen?
Als Dubois an der Kellogg School of
Management studierte, fiel ihm etwas
auf: Die aus Früchten zubereiteten Ge-
tränke, sogenannte Smoothies, die das
Studentenwerk anbot, trugen die Grö-
ßenbezeichnungen „klein“, „mittel“ und
„power“ – also Macht. Konnte es sein,
dass große Portionen dem Käufer zu
mehr Ansehen verhelfen sollten? Das
war kein so abwegiger Gedanke, denn für
Statussymbole wie Autos und Flachbild-
fernseher gilt bekanntlich: Je größer,
desto prestigeträchtiger. Gemeinsam mit
seinen Kollegen Derek Ruckner und
Adam Galinsky machte Dubois sich da-
ran, der Sache mit sechs einfallsreichen
Experimenten auf den Grund zu gehen.
Beim ersten Test schilderten sie Studen-
ten Szenarien von Menschen, die Pizza,
Smoothies oder Kaffee auswählten. In
allen Fällen verliehen die größten Porti-
onen nach Aussagen der Befragten tat-

34 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


sächlich das höchste Ansehen. Und das zialen Szenarien. Teilnehmer, die sich Was kurzfristig für Anerkennung sor-
lag nicht am Geld, das jemand zahlen stark fühlten, ließen sich dagegen nicht gen mag, macht auf Dauer leider dick.
konnte. Denn der Preis wurde entweder davon beeinflussen, ob Fremde oder Und weil Übergewicht wiederum dem
nicht erwähnt, oder er war, da der Kaffee Freunde sehen konnten, was sie aus- Ansehen schadet, können die Betroffe-
kostenlos sein sollte, konstant. wählten. nen in einen regelrechten Teufelskreis
In allen folgenden Versuchen wurden Es ist also offenbar nicht das Verlan- geraten. Ein möglicher Ausweg: Man
die Teilnehmer jeweils in zwei Gruppen gen nach Stärkung, sondern nach Status- sorgt dafür, dass „klein“ als prestige-
unterteilt: eine, deren Mitglieder sich aufbesserung, das manche Menschen in trächtiger gilt. Dann nämlich lässt sich
mächtig, und eine, in der die Betreffen- Fast-Food-Läden zu XXL-Angeboten der Effekt umkehren, wie Dubois und
den sich machtlos fühlten. Das erreich- greifen lässt. Das Fatale ist nur: Im wirk- seine Kollegen in einem weiteren Expe-
ten die Forscher zum Beispiel, indem die lichen Leben enthalten größere Behält- riment demonstrierten. Die Probanden
Probanden sich an eine Situation erin- nisse auch mehr Inhalt – und damit mehr bekamen Zeitungsartikel zu lesen, die
nern sollten, in der sie Kontrolle über Kalorien. Und wenn man uns viel vor- suggerierten, dass entweder Überge-
andere hatten, beziehungsweise an eine, wicht oder eine schlanke Figur ein Zei-
in der jemand anderes über sie bestimm- chen von hohem Status sei. Wer sich
te. Bei der anschließenden Frage, für machtlos fühlte und Dicksein für erstre-
welche Art von Smoothie sie sich ent- benswert hielt, nahm 42 Kilokalorien
scheiden würden, wählten „machtlose“ IST DAS mehr an Schokolade zu sich als „mäch-
Personen signifikant häufiger größere tige“ Vergleichspersonen. Dieselbe Per-
Portionen. Beim nächsten Experiment VORSTELL- son konsumierte jedoch 37 Kilokalorien
nahmen Menschen, denen Schwäche weniger als ihr mächtiger Mitesser, wenn
suggeriert wurde, etwa 100 Kilokalorien BAR: EIN sie glaubte, dass fitte Menschen mehr
in Form von Bagel-Probierstücken zu Respekt genießen.
sich. Solche, die sich stark fühlten, gaben HAMBURGER Diese Tendenz bestätigte sich in ei-
sich dagegen mit ungefähr 70 Kilokalo- nem abschließenden Versuch. Diesmal
rien zufrieden. IM SUSHI- redete man den Studenten ein, dass bei
Diese Tests, so die Forscher, „bestäti- „wichtigen Empfängen“ gemeinhin be-
gen, dass diejenigen, die nach Anerken- FORMAT? sonders große beziehungsweise absicht-
nung streben – die Machtlosen –, aus lich bescheidene kleine Hors d’œvres
einem Angebot die größeren Optionen gereicht würden. Als sie selbst die Wahl
wählen“. Doch wollen sie so tatsächlich hatten, konsumierten diejenigen aus der
einen höheren Status signalisieren, oder benachteiligten Gruppe 32 Kilokalorien
möchten sie sich vielmehr mittels Nah- an Vorspeisen mehr als ihre Kollegen,
rung „stärken“? Um diese Frage zu be- wenn man ihnen zuvor eingeimpft hatte:
antworten, sollten Probanden sich im setzt, essen wir mehr, egal ob wir Hunger „Größer ist besser.“ Hingegen verdrück-
vierten Experiment vorstellen, wie sie haben oder nicht. Das hat der Marke- ten sie 25 Kilokalorien weniger, sobald
allein zu Hause essen (privat) oder allein tingexperte Brian Wansink von der Cor- galt: small is beautiful. Wenn kleinere
in einem Restaurant (öffentlich) oder zu nell-Universität in Ithaca, New York Portionen mehr Prestige verleihen, be-
Hause mit Freunden (sozial), und sich schon vor Jahren mit einer Reihe von einflusst dies das Essverhalten offenbar
ein Smoothie oder eine Pizza bestellen. Studien gezeigt. Ein Beispiel: Bei einer positiv. Die Umsetzung könnte in der
Zur Wahl standen unterschiedlich große Filmvorführung erhielten Menschen Realität jedoch auf Widerstand stoßen.
Becher beziehungsweise Teller, wobei die mittlere und große Eimer mit Popcorn. Hamburger im Sushi- statt im XXL-
Essens- oder Getränkemenge immer Die Leute hatten gerade zu Mittag geges- Format – denkbar oder Utopie? PHc

gleich blieb. Die Gruppe der Benachtei- sen, waren also nicht hungrig. Zudem
ligten entschied sich nicht nur insgesamt war das Popcorn fünf Tage alt, schmeck-
für größere Teller und Becher, sondern te also nicht einmal gut. Trotzdem aßen
deren Ausmaß wuchs von den privaten die Versuchspersonen aus den größeren
über die öffentlichen bis hin zu den so- Behältern 53 Prozent mehr.

35
MÜDIGKEIT
MACHT HUNGRIG
Ist man übernächtigt, fällt es schwer, die Figur zu halten.
Denn Schlafmangel steigert den Appetit und mindert zudem die Selbstkontrolle
VON DAGMAR KNOPF

36 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


E SCHLECHTE
ine schlechte Nacht ge- Anblick von fetten oder süßen Speisen
habt? Dann ist die Gefahr eine hohe Begehrlichkeit aus. Andererseits
groß, im Laufe des Tages
nicht nur zu viel, sondern
STIMMUNG? ist die Fähigkeit, dem inneren Schweine-
hund dank eiserner Selbstkontrolle ein
auch zu fett und süß, also
ungesund und gewichtsfördernd zu es-
HER MIT Schnippchen zu schlagen, gemindert.
Der Griff zur ungesunden Kalorienbom-
sen. Denn wie sich herausgestellt hat,
verdirbt Schlafmangel nicht nur die Lau-
DEM SÜSSEN be ist somit kaum noch zu unterdrücken.
Zu allem Unglück drückt eine ver-
ne, verstärkt die Augenringe und min-
dert die Konzentrationsfähigkeit, son-
ZEUG UND kürzte Nachtruhe auch noch die Stim-
mung. Und eine relativ sichere Möglich-
dern er verändert außerdem die neuro-
nale Kon-trolle der Nahrungsaufnahme.
DEN FETTEN keit, die Laune zu verbessern, ist nun mal
die Zufuhr von süßen und fetten Kalori-
Das Ungleichgewicht im Schlafhaushalt
stört also ein im Idealfall ausgefeiltes
KALORIEN! enbomben, die im Gehirn ein wahres
Feuerwerk von Glückshormonen aus-
Regelsystem. schütten und die Stimmung, zumindest
Übergewicht kann die Folge sein. Das kurzfristig, aufhellen. Mit Sport ließe sich
ergab die Auswertung von rund vier zwar derselbe Effekt erzielen, aber müde
Dutzend Studien mit rund 630 000 Teil- ben würden müde Menschen somit wohl zum Sport zu gehen zeugt wahrlich von
nehmern im Alter zwischen 15 und 102 eher dem Essen erliegen als wache, weil einem eisernen Willen, und der ist erwie-
Jahren sowie 30 000 Kindern, die For- ihr Belohnungssystem beim verlocken- senermaßen eher selten. Als ob das alles
scher um Francesco Cappuccio von der den Anblick und dem anschließenden nicht genug wäre, begünstigt wenig
University of Warwick Medical School in Genuss mehr Glückshormone ausschüt- Schlaf die Ausschüttung des Darmhor-
Coventry systematisch verglichen haben. ten würde. mons Ghrelin, das den Appetit steigert.
Schlafmangel greift in das neuronale In einer weiteren Studie mit gezieltem Die stetige Gewichtszunahme durch
Kontrollsystem ein, indem er zum einen Schlafentzug durften die Teilnehmer eine Schlafmangel zeigt sich schon früh im
die Selbstkontrolle senkt und anderer- Nacht durchschlafen, gefolgt von einer Leben, wie ein Forschungsteam um John
seits die attraktive Schokoladentorte für schlaflosen Nacht mit einer anschließen- Reilly von der University of Glasgow zei-
das müde Gehirn noch attraktiver er- den Untersuchung im Tomografen. Nach gen konnte. Dreijährige, die zu wenig
scheinen lässt, als sie sowieso schon ist. dem Schlafentzug zeigte sich, sobald die Nachtruhe bekommen, sind demnach
Diese beiden Mechanismen beschreibt Probanden die Fotos von Lebensmitteln im Alter von sieben Jahren häufiger
Marie-Pierre St-Onge vom New York betrachteten, eine größere Aktivität der übergewichtig als Kinder mit ausrei-
Obesity Nutrition Research Center. Was Amygdala, eines für Emotionen und Ge- chend Schlaf. Permanent zu wenig Schlaf
dabei im Gehirn vorgeht, beobachteten lüste entscheidenden Hirnkerns. Außer- ist bei Kindern allerdings nicht der ein-
Forscher, als sie ausgeschlafene und un- dem berichteten die müden Teilnehmer zige Grund für eine deutliche Gewichts-
ausgeschlafene Probanden in einen von einem verstärkten Verlangen nach zunahme. Zu viel Fernsehkonsum und
Computertomografen schoben. In der hochkalorischem Essen. Gesunde und somit wenig Zeit für kalorienverbrau-
engen Röhre liegend, leuchteten vor den wenig kalorienreiche Lebensmittel wie chende Bewegung ist ebenso ein Risiko-
Teilnehmern Bilder von Lebensmitteln Obst und Gemüse fanden übermüdete faktor für die Entwicklung einer Adipo-
auf. Wer über die Dauer von sechs Tagen Teilnehmer viel weniger attraktiv als sitas wie eine während der Schwanger-
mit nur vier Stunden Schlaf eine perma- Puddingteilchen und Schweinehaxe. schaft rauchende Mutter.
nent verkürzte Nachtruhe hatte, dessen Doch damit nicht genug. Gleichzeitig Und die Moral von der Geschicht?
Belohnungssystem reagierte verstärkt war bei den müden Probanden die Selbst- Wer auf sein Gewicht achten möchte
auf den Anblick der Nahrungsmittel. kontrolle verringert, wie sich im Scanner oder muss, sollte abends, wenn die
Diejenigen, die nach neun Stunden ebenfalls zeigte: Die Versorgung der da- Selbstkontrolle am Boden liegt, besser
Nachtruhe rundum ausgeschlafen an für zuständigen Hirnregionen mit Sau- eine Obstschale in Sichtweite platzieren
dem Versuch teilnahmen, fanden die erstoff ließ zu wünschen übrig. Zu wenig und kalorienreiche Kekse und Chipstü-
dargestellten Köstlichkeiten hingegen Schlaf beeinträchtigt und verwirrt uns ten in die hintersten Ecken der Vorräte-
viel weniger stimulierend. Im realen Le- somit auf zwei Wegen: Einerseits löst der schränke verbannen. PHc

37
Wir nutzen es als Trostspender,
wir kämpfen mit ihm,
und manche macht es sogar krank:
Unser Verhältnis
zum Essen ist selten ungestört

14 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


MAL FREUND
MAL FEIND

15
NUR DAS
ESSEN IST
IMMER
FÜR
MICH
DA

40 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Wie sich frühe Bindungsmuster auf Mit diesen starken unangenehmen Gefühlen kann ein Säug-
ling nicht umgehen. Er fühlt sich im Stich gelassen und verra-
das Essverhalten auswirken können ten. Und er möchte, dass dieser Zustand aufhört und ihm dies
nie wieder passiert.
V O N R E N AT E G Ö C K E L Kommt die Mutter nun rasch wieder und füttert und trös-
tet das Baby, verbindet es mit dem Füttern und dem Körper-
kontakt das wohlige Gefühl, aufgehoben und in Sicherheit zu

J
eder kennt das: Man kommt aus der Kälte nach drin- sein. Gleichzeitig sind alle unangenehmen Zustände vorüber:
nen, ist durchgefroren und ausgehungert, und dann die Existenzangst, die Verzweiflung, das Alleinsein. Kommt
steht eine warme, lecker duftende Suppe auf dem Tisch. aber die Mutter oft und in unberechenbarer Weise viel zu spät,
Die Suppe wärmt einen von innen, nährt, befriedigt dann geschieht im Babygehirn etwas anderes. Das Baby kann
und weckt neue Lebensgeister. Und plötzlich sind Sor- die Situation nicht verändern, weil es noch nicht in der Lage
gen und Probleme ein bisschen weiter weg. „Essen und Trinken ist, aus seinem Bettchen herauszukrabbeln und sich aktiv Hil-
hält Leib und Seele zusammen“, heißt ein alter Spruch. Und fe zu holen. Wenn es schon die Situation nicht verändern kann,
die Volksweisheit hat recht. Essen ist lebenswichtig und stabi- dann verändert es eben seine Gefühle: Säuglinge lernen bereits
lisiert uns nicht nur körperlich, sondern auch psychisch. Das sehr früh, ihre Bedürfnisse zu dissoziieren, erklärt Karl Heinz
tut gut und ist ganz normal. Zu einem Problem wird es nur, Brisch. Dies bedeutet, so der Münchner Bindungsforscher,
wenn uns außer dem Essen wenig anderes stabilisiert. So war „dass das Gehirn in Situationen von extrem großem Stress,
es bei meiner Patientin Cora S. wenn das Baby Hilflosigkeit und Todesangst empfindet, alle
Immer wenn Cora S. abends nach einem anstrengenden Gefühle, Ängste, Schmerz abschaltet und nicht mehr wahr-
Arbeitstag nach Hause kommt, muss sie schnell etwas essen. nimmt“.
Nachdem der erste Hunger durch ein normales Abendessen
SATT SEIN BEDEUTET WOHLIGE TRÄGHEIT.
gestillt ist, isst sie noch weiter. Dazu muss der Fernseher laufen,
ALLES IST GUT
und Cora S. fläzt sich auf ihr Sofa und isst hemmunglos, mit
schlechtem Gewissen Süßigkeiten in sich hinein. Sie kann nicht Cora S. explorierte die „wohlige Trägheit“ weiter. Sie versuch-
aufhören. Zu diesem Zustand fällt Cora der Begriff „wohlige te diese Trägheit durch Essen über den Hunger hinaus zu ver-
Trägheit“ ein. Als wir Babyfotos von ihr anschauen, fällt uns längern. Es zeigte sich, dass Cora auch dann weiteraß, wenn
auf, dass Cora ihr Fläschchen in eben dieser Position getrunken ihr Magen bereits schmerzte. Und wir fanden heraus, dass sie
hat. Auf Nachfrage bei Coras Mutter stellt sich dann heraus, irgendwann nicht mehr weiteraß, um die wohlige Trägheit
dass diese – wie es früher oft üblich war – das Loch im Sauger auszukosten, sondern weil sie ganz einfach Angst hatte aufzu-
mit einer Nadel vergrößert hatte, sodass die Tochter schneller hören. Die kleine Cora von damals wurde nach dem Füttern
trinken musste und die ganze Fütterungsaktion früher beendet ins Bett gesteckt, das heißt im dunklen Zimmer abgelegt. So-
war. Und wir erfahren, dass Coras Mutter im Vierstunden- lange sie aber am Trinken war, durfte sie noch bei der Mutter
rhythmus gefüttert hat. bleiben. Und sie hatte gelernt, was es heißt, „satt“ zu sein. „Satt-
Wer schon mal ein Kind gestillt hat, weiß, dass der Vier- heit“ war jenes Gefühl, das Cora S. nach dem raschen Einflößen
stundenrhythmus für ein Baby, das durch seine Wachstums- der Milch aus der Flasche empfand: das Gefühl eines übervol-
phasen einen sehr unterschiedlichen Nahrungsbedarf hat, len Magens, was sie als „wohlige Trägheit“ gespeichert hat.
oftmals zu lang ist und für das Baby eine Qual bedeutet. Das Im Säuglingsalter treffen Erfahrungs- und Lernprozesse auf
Baby hat noch keinen Zeitbegriff und keinen Objektkonstanz- eine sehr hohe Plastizität des Gehirns. Sie haben damit einen
begriff, das heißt, es kann nicht ermessen, wie lange die Zeit viel stärkeren Einfluss auf das Wachstum von Nervenzellen
sein wird, bis die Mutter mit der Nahrungsquelle wiederkom- und synaptischen Verbindungen als Lernprozesse im erwach-
men wird. Und es weiß nicht, dass die Mutter überhaupt noch senen Gehirn. Grundlegende Strukturen des menschlichen
existiert, wenn es sie nicht körperlich spürt. Also liegt es in Gehirns bilden sich in den ersten Lebensjahren heraus, es wer-
seinem Bett und hat Hunger. Sein biologisches Programm sagt den in dieser ersten Zeit sozusagen die Weichen gestellt für
ihm, dass es laut schreien muss, damit die Mutter es hört und darauf folgende spätere Erfahrungen. Die frühen Erfahrungen
ihr die Milch einschießt. Kommt die Mutter nicht, so wird es hinterlassen im Gehirn einen Abdruck. Dieser Abdruck be-
schreien und schreien. Es spürt Hunger, Existenzangst, An- kommt eine emotionale Färbung, weil das Lernen bei kleinen
spannung, Verzweiflung, Wut und Ohnmacht. Kindern immer in einer Beziehung stattfindet.

41
„Wohlige Trägheit“ heißt also für das Baby: Die Mutter ist licher Liebe werde ich mir nicht auch noch wegnehmen. Denn
ganz nahe bei mir, ich habe es warm und bin geborgen, und das Essen ist das Einzige, was immer für mich da ist, wenn ich
ich habe gut gegessen. Alles ist gut. Diesen Zustand möchte es es brauche.“
festhalten. Im dunklen Zimmer allein abgelegt zu werden aber Essstörungen haben viel mit den frühen Bindungsmustern
heißt, von der Mutter getrennt zu sein, Einsamkeit, Kälte, Iso- zu tun, die John Bowlby und Mary Ainsworth in ihrer Bin-
lation, Ohnmacht. Dieser Zustand soll vermieden werden. dungstheorie beschreiben. Sie unterscheiden zwischen vier
Die Psychoanalytikerin Eva Rass bringt es auf den Punkt: Eine Hauptbindungsstilen – sicher, unsicher-vermeidend, unsi-
Gefühlsüberflutung, die keine Regulierung erfährt, bildet den cher-ambivalent, desorganisiert (siehe Kasten Seite 43). „Alle
Kern primärer Ängste, die in das implizite Gedächtnis einge- organisierten Bindungsmuster kann man als realistische
hen. Aber nicht nur Angsterfahrungen graben sich ein, sondern Adaptationen an die Umgebung und an die versorgenden Per-
auch der psychobiologische Prozess, mit dem damals dieser sonen betrachten“, sagt der Jenaer Bindungs- und Psychothe-
sehr belastende Zustand bewältigt wurde. Diese Strategien rapieforscher Bernhard Strauß. Der Bindungsstil beeinflusst
sind jedoch im späteren Leben keine flexiblen und vitalen das Selbstbild, das Weltbild und das Neugierverhalten. Erst
strukturellen Errungenschaften mehr, sondern vielmehr star- wenn die Bindung gesichert ist, will das ganz kleine Kind Neu-
re Bewältigungsstrategien bei auftauchenden primären qual- es entdecken.
vollen Ängsten. Viele Menschen mit Essstörungen sind in der einen oder
andern Art unsicher gebunden, weil sie frühe Enttäuschungen,
ESSSTÖRUNGEN WÜRDIGEN Verrat, Zurückweisungen und Ungerechtigkeiten vonseiten
UND IHREN SINN ERKENNEN der Bezugspersonen erlebt haben. Unsicher gebundene Er-
Auch wenn die konkrete ursprüngliche Situation vergessen wachsene sind vulnerabler, neigen häufiger zu Depressionen
wurde, so sind die Gefühle von damals (zunächst Geborgen- und Ängsten, und ihr Selbstwertgefühl ist niedriger. Interes-
heit, Sicherheit, Entspannung und dann abrupt Panik, Ein- sant ist auch, dass unsicher Gebundene ihre Angelegenheiten
samkeit, Dunkelheit, Anspannung, Angst) gespeichert. Und eher mit sich selbst ausmachen und ihren Kummer nach außen
die starre Bewältigungsstrategie zeigt sich als Fehlverhalten, weniger zeigen, weil sie sich vor weiteren Zurückweisungen
hier als Heißhungeranfall. Dieses Fehlverhalten aber ist auch schützen wollen.
der gespeicherte Lösungsversuch, nämlich das Weiteressen. Wenn Betroffene keine korrigierenden Erfahrungen in
Was hätte Cora S. geholfen, diesen Heißhungeranfall nicht Form von liebevollen, unterstützenden sozialen Beziehungen
zu brauchen? „Ich glaube, wenn mein Freund da gewesen wä- machen konnten, die die alten schmerzlichen Erfahrungen
re, wir zusammen zu Abend gegessen und hinterher gekuschelt überformten, dann schlussfolgern sie daraus: „Ich bin eine
hätten, dann hätte ich keinen Essanfall gehabt. Aber ich kann Zumutung“, „Keiner liebt mich“, „Ich bin es nicht wert“ und
den Freund nicht herzaubern. Menschen sind nicht immer so, „Ich habe es nicht verdient, dass ich wahrgenommen und an-
wie wir sie gerade bräuchten. Aber das Essen, das ist immer erkannt werde“. Daraus schließen sie: „Ich muss mich verän-
für mich da. Ich kann mir holen, was ich mag, ich weiß, was dern, um es wert zu werden.“ Zwei tiefe Ängste werden zu
mich erwartet, und es enttäuscht mich nicht.“ Antreibern: die Angst, verlassen zu werden, und die Angst,
Cora S. kann den Essanfall würdigen, denn er verschafft ihr nicht gut genug zu sein. Diese Ängste ballen sich dann zusam-
die wohlige Trägheit und signalisiert ihr Zuverlässigkeit, Ver- men zu der Megaangst: Wenn ich nicht gut genug bin, dann
fügbarkeit und Kontinuität – alles, was sie sich als Baby von werde ich verlassen.
ihrer Mutter gewünscht hätte. Diese Würdigung des Essanfal-
DIE BULIMIE ERSCHEINT ALS GENIALE LÖSUNG
les schaffen Essstörungspatienten erst nach vielen Therapie-
stunden, in denen sie die Auslöser der Heißhungeranfälle zu Frauen mit dieser „Grundausstattung“ versuchen häufig, ihre
identifizieren und erspüren gelernt haben. Und wenn Selbst- Gefühle über das Essen zu regulieren, und halten Diät. Weil
exploration an die Stelle der Selbstabwertung, der Scham, der aber das Essen bei Reizüberflutung, bei ohnmächtiger Wut, bei
Schuld und der Ohnmacht getreten ist. Eine Patientin hat mir Ängsten und Langeweile als Stabilisator gebraucht wird, wird
einmal anonym auf einen Fragebogen geschrieben: „Wenn mir die Diät bald gebrochen. Dieser Kontrollverlust führt rasch zur
meine Eltern ihre Liebe entzogen haben und ich nur noch Selbstzerfleischung („Du hast versagt“, „Du wirst es nie schaf-
durch Essen das Gefühl der Geborgenheit und Trost bekom- fen“) und zum Vorsatz, „ab morgen“ wirklich ernst zu machen
men habe, dann war die Einschränkung des Essens für mich mit der Diät. Wenn es aber wieder und wieder schiefgeht, dann
wie ein Liebesentzug. Das Einzige, was mich erfüllt mit elter- sammeln die Betroffenen bei diesen Diätaktionen viele »

42 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


BINDUNGSSTILE UND
DER WEG IN DIE ESSSTÖRUNG
Frühe Bindungsforscher schufen eine standardi- Kinder mit unsicher-ambivalentem Bindungsstil
sierte Situation, um zu prüfen, wie Kinder an ihre (etwa 15 Prozent) weinten bei der Trennung von
Mutter gebunden sind: Mutter und Kind spielten der Mutter und ließen sich schlecht beruhigen.
in einem dem Kind unbekannten Raum mit einer Der Kortisolspiegel stieg bereits an, bevor die Mut-
Versuchsleiterin und diversem Spielzeug. Unter- ter den Raum verließ. Einerseits zeigten die Kinder
sucht wurde, wie die Kinder auf eine kurze Abwe- einen Wunsch nach Nähe, andererseits verweiger-
senheit der Mutter und auf die Rückkehr der Mut- ten sie Nähe und zeigte Wut und weinerliche Ab-
ter reagierten (Verhaltensbeobachtung und Kor- lehnung gegenüber der Versuchsleiterin. Die Auf-
tisoltest). Es wurden vier Reaktionstypen von merksamkeit dieser Kinder war auf das Bindungs-
Mutter und Kind gefunden: verhalten gerichtet (die Mutter suchen, hinkrab-
beln, anklammern, schreien, weinen) und nicht
Sicher gebundene Kinder (etwa 50 Prozent der auf das Spielen (Explorationsverhalten.)
Kinder) sprachen in der kurzen Trennungsphase
mit der Versuchsleiterin und zeigten ihren Kum- Als desorganisierte Variante der Bindung wurde
mer. Sie ließen sich trösten und spielten dann ein Verhalten der Kinder bezeichnet, wenn sie in
weiter. Sie vertrauten darauf, dass die Mutter wie- der Trennungszeit keine Bewältigungsstrategie
der zurückkommen werde. Sie zeigten sowohl hatten und bei der Wiedervereinigung stereotype
Bindungsverhalten (Kontaktaufnahme) als auch Handlungen zeigten (Herumlaufen, Drehen im
Neugierverhalten (Spielen). Bei der Rückkehr der Kreis), gleichzeitig Nähe einforderten und sie doch
Mutter freuten sie sich, gingen auf die Mutter zu vehement ablehnten, ja erstarrten (freezing). Be-
und beruhigten sich schnell. sonderheit: Die Bindungsperson ist gleichzeitig
Mütter zeigten sich bei einem sicheren Bin- der Stressor.
dungsstil vorwiegend freundlich, berechenbar
und feinfühlig. Am wichtigsten war, dass sie sich Bei unsicheren Bindungsstilen zeigten die Mütter
an ihrem Kind erfreuten. in Notsituationen des Kindes ein eher wechselhaf-
tes und inkonsistentes Verhalten, also mal tröstend
Kinder mit unsicher-vermeidendem Bindungsstil und mal abweisend („stell dich nicht so an“). So
(20 bis 30 Prozent) zeigten bei der Trennung ihren kommt ein kleines Kind in die Zwickmühle zwi-
Kummer nicht, sondern konzentrierten sich be- schen seinem Bedürfnis nach Bindung und dro-
sonders aufs Spiel. Kam die Mutter zurück, mie- hender Zurückweisung durch die Mutter.
den die Kinder sie aktiv. Ein Speichelkortisoltest Später kann hier das Essen Geborgenheit
zeigte einen höheren Spiegel und damit einen geben, ohne das Risiko einer Verletzung oder Zu-
höheren Stresslevel an als bei sicher Gebundenen. rückweisung einzugehen. – Der Weg in die Ess-
Diese Kinder wirkten sehr selbständig und nah- störung ist gebahnt. Renate Göckel
men ihre Umwelt nicht stark in Anspruch. Die
Mütter zeigten, dass sie eine frühe „Pseudoselb-
ständigkeit“ billigten.

43
Pfunde an. Das Selbstwertgefühl Maja G. ist mit ihrem Mann und
wird noch brüchiger, und die ihrer vierjährigen Tochter in Ur-
Verzweiflung wird immer größer. laub an die See gefahren. Sie hat
Die Bulimie erscheint in dieser alles, was sie braucht, Sonne, Meer,
Situation als „geniale Lösung“: Freizeit, und keiner stellt große An-
Essen, um sich emotional zu regu- forderungen an sie. Dennoch
lieren. Erbrechen, um schlank zu macht sich ein ständiger Essdrang
bleiben. Die langfristigen Kosten bemerkbar, den Maja zunächst
einer solchen „Lösung“ werden nicht versteht. Sie forscht nach, so
von den Betroffenen erst viel später wie sie es in der Therapie gelernt
erkannt. hat: „Was würde mir jetzt so gut-
Eine andere „Lösung“ ist die tun, dass ich das Essen nicht
Aufspaltung des Selbstbildes in ein bräuchte?“ Es tauchen Bilder auf,
bedrückendes dickes Selbst und ein in denen sie allein in der nahe ge-
hoffnungsfrohes dünnes Selbst. legenen Stadt spazieren geht, bum-
Wenn ich meine Traumfigur hätte, melt, sich alles anschaut, in den
so Aussagen von Betroffenen, dann Läden Souvenirs und Klamotten
wäre ich unbeschwert, glücklich,
würden mich die Leute ernster neh-
VIELE inspiziert. Maja wird klar: Sie
möchte etwas allein, ohne Mann
men, könnte ich mich besser
durchsetzen, und alles ginge mir
ESSGESTÖRTE und Kind unternehmen. Schuldge-
fühle melden sich: Das kannst du
leichter von der Hand.
Das dicke Selbstbild umfasst
HABEN FRÜH doch nicht machen, jetzt seid ihr
doch in Urlaub, damit ihr gemein-
Verletzbarkeit, soziale Isolation,
Faulheit, Trägheit, Ausgeschlossen-
ENTTÄUSCHUNG sam Zeit miteinander verbringt.
Und gleichzeitig spürt sie unbändi-
sein. Wenn ich dick bin, sagen Be-
troffene, ziehe ich mich resigniert
UND VERRAT gen Groll: Immer steht jemand an-
ders im Vordergrund, und sie soll
zurück, habe ich versagt, möchte
ich mich verstecken, fühle ich mich
ERLEBT zurückstecken. Als Maja dieser Zu-
sammenhang klargeworden ist,
ausgeliefert und ohne Kontur. spricht sie mit ihrem Mann und
Unsicher Gebundene und Frauen, die sich zu dick fühlen vereinbart mit ihm, dass sie ein paar Stunden frei bekommt
oder zu dick sind, haben das Gefühl, ihr Leben nicht kontrol- und mit dem Bus in die Stadt fährt. Im Gegenzug darf der
lieren zu können. Im dicken Selbstbild nehmen sich die Be- Mann einen Tauchkurs besuchen, und Maja beschäftigt sich
troffenen unrealistisch als wenig selbstwirksam („Solange ich mit dem Kind. Dieser Ausgleich ist wichtig, denn ohne ihn
dick bin, kann ich nicht glücklich sein“), im dünnen Selbstbild hätte Maja noch zu starke Schuldgefühle wegen ihres „Egois-
aber übersteigert als selbstwirksam wahr („Alles fliegt mir zu, mus“. Dann wäre ein Essanfall wieder vorprogrammiert.
und alles gelingt mir“). Neben der Arbeit am Symptom „Essstörung“ ist es wichtig
Es besteht ein Dilemma zwischen der Suche nach Bindung dass Betroffene auf lange Sicht für sich selbst zur liebevollen
und der Angst, zurückgewiesen zu werden. Essgestörte versu- und feinfühligen Mutter werden. Und da darf auch mal das
chen dabei, durch „Zugaben“ zu entkommen: sich nützlich Essen herhalten, wenn sie sich wieder „mutterseelenallein“
machen, zu viel Verantwortung übernehmen, nachgeben, et- fühlen. So viel wie nötig und so wenig wie möglich. PHc

was über sich ergehen lassen, hilfsbereit, demütig und dankbar


sein. Auf diese Weise versuchen sie, Bindung aufzubauen und
gleichzeitig durch die Nützlichkeit die Gefahr der Zurückwei-
sung zu minimieren. Diese „Zugaben“ haben den Preis der Renate Göckel ist Diplompsychologin, Psychologische Psychotherapeutin und
arbeitet seit 1990 in eigener Fachpraxis für Essstörungen in Karlsruhe. Sie ist
Selbstverleugnung bis hin zur Selbstausbeutung. Der Drang
Autorin von sechs Sachbüchern zum Thema Essstörungen, darunter Esssucht oder
zu essen kann als ein guter Indikator für verleugnete Bedürf- die Scheu vor dem Leben (Rowohlt 1998) und Warte nicht auf schlanke Zeiten
nisse gewertet werden: (Kreuz 2013).

44 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


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DIE MEISTEN
FRAUEN FINDEN SICH
ZU DICK
Frau Vocks, Sie erforschen neben dem
Körperbild auch die Wahrnehmung

der eigenen Bewegungsmuster von Pa-
tientinnen mit Essstörungen. Was ist
denn daran so besonders?
Ausgangspunkt waren Studien, die einen
Zusammenhang zwischen Bewegungs-
mustern und dem Body-Mass-Index
zeigten. Ein Körperbild ist eben nicht nur
statisch wie auf einem Foto, sondern be-
steht auch aus den mentalen Repräsen-
tationen von Bewegungen. Wir wollten
näher herausfinden, welche Rolle ver-
schiedene Wahrnehmungsmuster bei
Frauen mit Essstörungen spielen.
Wie haben Sie das umgesetzt?
Die statischen Aspekte haben wir über
eine Fotoverzerrtechnik untersucht. Da-
für machten wir Aufnahmen von Pati-
entinnen und von gesunden Frauen.
Danach ließen wir sie diese Bilder so
lange am Computer verändern, bis sie
ihren tatsächlichen, gefühlten oder ge-
wünschten Körpermaßen entsprachen.
Zwar wollten die Frauen in beiden Grup-
pen um bis zu 20 Prozent schlanker sein.
Doch bei den Patientinnen mit Bulimie
kam noch etwas hinzu: Sie überschätz-
ten ihr Körpergewicht stark. Im Gegen-
satz zu den gesunden Frauen hielten sie
sich für wesentlich dicker, als sie tatsäch-
lich waren.
Zusätzlich wollten wir nun aber auch
das dynamische Körperbild untersu-
chen, also wie die Patientinnen ihren
Körper in Bewegung wahrnehmen.
Dazu wurde im BioMotionLab, das

46 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Bei Essstörungen wie Anorexie und Bulimie
ist weit mehr als nur das Essverhalten nicht im Lot.
Ein Gespräch mit der Psychologin Silja Vocks

Nikolaus Troje (heute an der Queen’s Reicht es denn, sich im Spiegel oder im gefühl, Übergewicht oder Hänseleien in
University im kanadischen Ontario) Video anzusehen, um festzustellen, der Kindheit ein negatives Körperbild
damals an der Ruhr-Universität Bochum dass man nicht so schwerfällig ist, wie begründen können – was wiederum ein
betrieb, ein animiertes Gangmuster man gedacht hat? Risikofaktor für die Entwicklung von
eines Menschen am Computer erstellt. Das allein reicht natürlich nicht, aber Essstörungen ist. Aktuell untersuchen
Auch dieses konnte dann am Bild- dass sich durch eine solche Körperbild- wir, inwiefern Mütter und Töchter ähn-
schirm verändert werden. Wieder über- therapie tatsächlich auch im Gehirn et- liche Informationsverarbeitungsprozes-
schätzten Patientinnen mit Bulimie was verändert, hat unsere Studie in Ko- se in Bezug auf ihren Körper zeigen, also
ihr tatsächliches Gewicht. Sie verzerrten operation mit dem Bochumer Neuro- ob negative Körperbilder von der Mutter
das Läufermodell so, dass es den psychologen Boris Suchan belegt. Um zu zur Tochter weitergegeben werden.
schwerfälligen Gang einer fast adi- sehen, ob sich die neuronale Verarbei- Hinzu kommt eine in westlichen Kul-
pösen Person annahm. Die Gesunden tung des eigenen Körpers vor und nach turen geradezu kollektive Unzufrieden-
sahen sich dagegen realistisch. Als der Therapie unterscheidet, ließen wir heit. Die meisten Frauen finden sich zu
Ideal wählten jedoch alle ein Bewe- Frauen mit Essstörungen Fotos von ih- dick, doch für Frauen mit Bulimie wer-
gungsmuster an der Grenze zum Unter- rem Körper anschauen und zeichneten den Figur und Gewicht so zentral für ihr
gewicht, etwa wie bei einem Model die Hirnaktivität auf. Nach der Therapie Selbstwertgefühl, dass sie es als bedroh-
auf dem Laufsteg. gab es eine stärkere Aktivierung der ex- lich empfinden, nicht das Ideal zu errei-
Also zwei Studien, ein Befund? trastriate body area, einer Gehirnregion, chen. Das ist bei gesunden Frauen nicht
Das könnte man denken. Tatsächlich die speziell für die Verarbeitung von in dem Maße der Fall. Bei Männern üb-
verweisen sie auf zwei verschiedene Bildern eines menschlichen Körpers rigens ist diese Dick-dünn-Dimension
Konstrukte: zuständig ist. Es kristallisiert sich in der nicht so relevant, ihnen ist eher wichtig,
Die Verzerrung der Körperdimension neusten Forschung immer mehr heraus, muskulös zu sein. Es ist wie ein Puzzle,
in den Fotos hängt mit dem Schlank- dass dieses Areal bei Essstörungen eine man hat immer nur einen kleinen Be-
heitsstreben zusammen. Die verzerrte besondere Rolle spielen könnte. reich vor Augen, und es wird noch viel
Wahrnehmung der eigenen Bewegungs- Nach einer Chemnitzer Studie haben Grundlagenforschung nötig sein, bis wir
muster dagegen ist mit einem Ver- Bulimikerinnen Schwierigkeiten, ne- die Entstehung der Essstörungen wirk-
meidungsverhalten in sozialen Situatio- gative Emotionen zu erkennen und lich verstehen.
nen verbunden. Die Betroffenen gehen adäquat zu beantworten. Die Krank- Interview: Sylvia Meise
nicht ins Schwimmbad, verstecken oder heit betrifft offenbar nicht nur das Ess-
verhüllen ihren Körper mit weiter verhalten – was läuft da schief? Silja Vocks studierte Psychologie an der Universität
Trier und habilitierte an der Ruhr-Universität Bochum
Kleidung. Die Schlussfolgerung aus Essstörungen sind mit sehr unterschied-
mit dem Thema Störungen des Körperbilds bei Ano-
unseren Studien war deshalb, dass es lichen psychischen Merkmalen verbun- rexia und Bulimia nervosa und deren Therapie. An der
bei Körperkonfrontationsübungen den. Da aber die meisten Studien mit Uni Bochum entwickelte sie auch die
möglicherweise sinnvoll sein kann, akut Erkrankten durchgeführt werden, „Körperbildtherapie“und das On-
lineprogramm „ESS-KIMO“. Seit
die Patienten auch mit Filmaufnahmen wissen wir nicht genau, was hier Ursache
Herbst 2011 lehrt sie an der Univer-
ihrer eigenen Bewegungsmuster zu oder was Folge der Störung ist. Wir wis- sität Osnabrück Klinische Psychologie
konfrontieren. sen jedoch, dass ein niedriges Selbstwert- und Psychotherapie.

47
MAGERSUCHT
– NOCH IMMER EINE
RÄTSELHAFTE KRANKHEIT
Können essgestörte Menschen vollständig geheilt werden?
Sind sie in Sicherheit, wenn sie ein akzeptables Gewicht erreicht haben?
Neue Studien zeigen: Auch wenn die Behandlung von Magersucht
oder Bulimie schwierig ist, geben neue Therapien Hoffnung

VON BIRGIT SCHREIBER

E
s ist fünf Uhr früh, und es sind zehn Grad minus, sind Magersüchtige hochaktiv, und ihre Körper verteidigen das
als Lena B. die Balkontür öffnet und sich in ihren gefährliche Untergewicht – manchmal bis zum Tode.
Laufschuhen über die Brüstung gleiten lässt. Diese Kriterien könnten auf eine Essstörung wie Anorexie
Leise, damit die Eltern sie nicht hören. Sie joggt und Bulimie hinweisen: niedriges Körpergewicht, Unfrucht-
los, in den dunklen Park. Sie läuft und läuft, eine barkeit oder Ausbleiben der Menstruation, Zahnschäden,
halbe Stunde, immer weiter. Etwas in ihr verlangt diese Leis- besonders bei jungen Patienten, Sorgen über das Körperge-
tung, sonst kommt die Angst. Die Angst vor dem Essen, vor wicht trotz Normalgewichts, unspezifische Magen-Darm-
dem Leben und vor allem vor dem Zunehmen. Lange kann sie Störungen, Wachstumsverzögerungen. Anorexia nervosa, zu
dieser Angst nie davonlaufen. Lena ist magersüchtig, seit sie Deutsch „nervenbedingte Appetitlosigkeit“, kann Wachstum
13 Jahre alt ist. Sie behauptet, sie habe mit einer Diät begonnen, und Fruchtbarkeit stoppen, die Gehirnentwicklung behindern
weil die Religionslehrerin vom Heilfasten schwärmte. In we- – mit lebenslangen kognitiven und emotionalen Folgen –, sie
nigen Monaten hungerte sie sich 13 Kilo vom Leib. Dann konn- kann zu Osteoporose und in schweren Fällen zu Organversagen
te sie mit dem Abnehmen nicht mehr aufhören. führen. 40 Prozent der Patientinnen haben einen guten
„Magersucht ist noch immer eine rätselhafte Krankheit“, Heilungserfolg, 25 bis 30 Prozent dagegen einen mittel-
schreiben Stephan Zipfel, Leiter der Abteilung für Psychoso- mäßigen oder schlechten. Die Todesrate bei jungen Mager-
matische Medizin und Psychotherapie in Tübingen, und seine süchtigen ist zehnmal höher als bei allen anderen psychischen
Kollegen in The Lancet, einer renommierten medizinischen Störungen: Innerhalb von zehn Jahren sterben fünf Prozent
Fachzeitschrift. Die ersten Fälle wurden schon im 17. Jahrhun- der Patientinnen.
dert beobachtet, doch – um nur eine offene Frage zu nennen Immer noch haben Behandlungen nur begrenzten Erfolg.
– Ärzte wissen immer noch nicht, wieso die Körper von Ma- Die Nachsorge, der Übergang in den Alltag ist zum Beispiel ein
gersüchtigen selbst evolutionäre Mechanismen außer Kraft Problem. Zwischen ambulanter und stationärer Behandlung
setzen. Während andere vergeblich gegen Pfunde ankämpfen, gibt es in Deutschland kaum Schnittstellen. Fachleute sehen

48 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


49
deshalb einen großen Bedarf für nachhaltige ambulante Lena B. hatte sich schon im Kindergarten als Außenseiterin
Therapien und tagesklinische Verfahren, wie sie jetzt im gefühlt, in der Schule fand sie alle anderen Mädchen hübscher,
Rahmen des Forschungsverbundes EDNET (Eating Disorders schlanker. Nur in der magischen Welt der Romanheldin Mag-
Diagnostic and Treatment Network) erforscht wurden (siehe gie aus Tintenherz von Cornelia Funke fühlte sie sich zu Hau-
Kasten Seite 52). se. Aus dieser kindlichen Fantasie wechselte sie in die Welt der
Was macht diese Krankheit so schwer heilbar? Eine Antwort Magersucht, in der sich alles ums Abnehmen und um exzessi-
auf diese Frage suchen mittlerweile auch Genetiker und Hirn- ven Sport drehte. Einen Ausweg sollte der Aufenthalt in einer
forscher, die traditionelle – darunter psychoanalytische – Er- jugendpsychiatrischen Klinik liefern. Die ersten drei Wochen
klärungen in einem neuen Licht erscheinen lassen. Zwillings- durfte B. das Haus nicht verlassen, nicht einmal allein auf die
und Familienstudien haben gezeigt, dass die Erbanlagen mit- Toilette gehen, sie musste im Zimmer essen, danach eine hal-
bestimmen, ob jemand magersüchtig wird oder nicht. Sie be Stunde ruhen. B. hasste die Klinik. Als sie entlassen wurde,
haben auch gezeigt, dass Depressionen, Zwangs- und Angst- hatte sie ein paar Kilo zugenommen. Nach wenigen Monaten
störungen häufig in Familien auftreten, in denen ein Kind wurde sie rückfällig und hungerte weiter. Damals war sie mit-
magersüchtig wird. Bestimmte Persönlichkeitsmerkmale kom- ten in der Pubertät.
men bei Magersüchtigen besonders häufig vor: Viele haben Zu den biologischen Faktoren, die Magersucht fördern kön-
ängstliche, perfektionistische und zwanghafte Züge. Viele ha- nen, gehören die Umbauprozesse des Gehirns, die es in der
ben Schwierigkeiten, eine autonome Persönlichkeit zu entwi- Jugendzeit anfällig für Störungen machen. Wenn dann noch
ckeln, sich als Jugendliche von den Eltern, vom Kindsein zu ein Auslöser dazukommt – meist ist das eine Diät –, kann der
lösen. Und häufig leiden Patienten unter Selbstwertproblemen. Teufelskreis der Magersucht beginnen.

MAGERSÜCHTIGE
SUCHEN NACH
MENSCHEN, DIE SIE
VERSTEHEN UND
VOR DENEN SIE SICH
NICHT SCHÄMEN
MÜSSEN

50 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Beate Herpertz-Dahlmann, Professorin für Kinder- und für Betroffene daher eine gute Option sein: Von 8 bis 16.30
Jugendpsychiatrie in Aachen, glaubt, es sei kein Ausdruck des Uhr erleben die Patientinnen einen strukturierten Tag, sie ha-
Willens, kein Machtkampf, wenn Mädchen trotz aller Bemü- ben Einzel- und Gruppentherapie, sie essen gemeinsam, lernen
hungen von Behandlern und Eltern immer weiter abnehmen. Prinzipien gesunder Ernährung und können das Gelernte
Zum unerklärlichen Hungern können dagegen Körpersche- gleich am selben Tag zu Hause ausprobieren. Die Eltern und
mastörungen führen. Sie haben zur Folge, dass manche Ma- nahen Angehörigen kommen zu Gesprächen und lernen, die
gersüchtige sich noch mit einem lebensgefährlichen BMI Kinder zu unterstützen.
(Body-Mass-Index) von zwölf zu dick fühlen; Erwachsene
DIE ZEITEN SIND VORBEI, IN DENEN MÜTTERN ODER
gelten als untergewichtig, wenn sie einen BMI von 18,5 haben,
VÄTERN DIE HAUPTSCHULD GEGEBEN WURDE
mit 17,5 beginnt die Magersucht. Am Max-Planck-Institut
wird heute mit vierdimensionalen Körperscans gearbeitet, die Seit längerem ist bekannt, dass einerseits ein spezialisierter
den Patienten erlauben, ihren Körper virtuell Tango tanzen zu Therapeut und andererseits ein familienorientierter Ansatz die
lassen. Die Externalisierung helfe, eine neue Haltung zum ei- Wirksamkeit der Therapie für Magersüchtige erhöhen kön-
genen Körper zu entwickeln, sagt Stephan Zipfel. nen. Lange vorbei sind die Zeiten, in denen „grenzüberschrei-
Die Psychoanalytikerin Susi Orbach, die unter anderem tenden Müttern“, später auch „abwesenden Vätern“, die
Prinzessin Diana wegen Magersucht behandelt hat, schrieb in Hauptschuld an der Magersucht ihrer Töchter gegeben wurde.
den 1970er Jahren in ihrem Anti-Diätbuch ein feministisches Diese Thesen habe die Amerikanische Gesellschaft für Essstö-
Plädoyer gegen das Körperdiktat für Frauen. Zusammen mit rungen offiziell für überholt erklärt, sagt Herpertz-Dahlmann.
gesellschaftlicher Benachteiligung könnte es Frauen in die Ess- Sie behandelt Eltern als Kotherapeuten, die ihren Patienten bei
störung treiben. Heute glauben viele Psychologen und Psych- der Genesung helfen.
iater, dass gesellschaftliche Faktoren nur einen Aspekt im kom- Fragt man Magersüchtige selbst, was sie fürs Gesundwerden
plexen Entstehen von Anorexie, Bulimie und der Binge-Eating- brauchen, so zeigt sich: Sie suchen nach Menschen, die sie
Störung bilden. Sie sehen aber im gängigen Schönheitsideal, verstehen und vor denen sie sich nicht schämen wegen ihres
wie es etwa in Heidi Klums Castingshow Germany’s Next Gewichts oder Aussehens. Hilfreich kann daher eine Selbsthil-
Topmodel propagiert wird, einen möglichen Auslöser für die- fegruppe sein. Eine davon ist OA (Overeaters Anonymous),
se Krankheiten. In einer aktuellen Studie des Internationalen eine internationale Organisation für Menschen mit Essanfällen
Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) (Binge-Eater), für Bulimiker und Anorektiker. Sie arbeiten mit
und des Bundesfachverbands Essstörungen sagte ein Drittel dem Zwölfschritteprogramm der Anonymen Alkoholiker; in
der Befragten, dass solche Sendungen zu ihrer eigenen Krank- Deutschland treffen sich zur Zeit etwa 100 Gruppen.
heit maßgeblich beigetragen hätten. Laut Studienleiterin Ma- Für Lena B. ist das Konzept der OA-Gruppen aufgegangen.
ya Götz kann es für das Selbstbild von Mädchen fatale Folgen In der Selbsthilfegruppe fand sie Menschen, von denen sie sich
haben, wenn sie auf ihren Körper reduziert und in diesem verstanden fühlte. Trotzdem waren die ersten Monate, in denen
hochsensiblen Bereich kritisiert werden. Erwachsene Zuschau- sie den Kampf gegen ihre Magersucht bewusst aufnahm,
er könnten sich von den Botschaften distanzieren, jungen furchtbar: Sie weinte, füllte Tagebücher mit Sätzen wie diesem:
Mädchen fehle oft die ironische Distanz. „Ich hasse mich, ich hasse mich, ich werde fett.“
Auch Beate Herpertz-Dahlmann rät ihren Patientinnen des- Mittlerweile studiert Lena Journalistik und sagt, sie sei
halb, sich von Gruppen zu verabschieden, in denen ein strenges selbstbewusst unterwegs in ein gesundes Leben. Seit ihrem 13.
Körperdiktat herrscht, wie etwa beim Ballett und beim Hoch- Geburtstag ist sie nicht mehr gewachsen – vielleicht eine Fol-
leistungssport. Die Aachener Professorin widmet sich beson- ge der Krankheit –, aber sie ist gesund, hat einen Freund und
ders den jugendlichen Magersüchtigen und hat im Rahmen findet sich mit ihren 52 Kilo okay: „Ich bin wie alle anderen,
von EDNET ein tagesklinisches Verfahren erprobt, das ebenso habe Pickel, Spliss in den Haaren und manchmal einen aufge-
gut abschneidet wie langwierige Klinikaufenthalte. Dabei ist es blähten Bauch, aber ich bin keine Außenseiterin mehr.“ Lena
für die jungen Patienten weniger belastend und kostet weniger. B. läuft vor dem Leben nicht mehr davon.
Gerade Kinder – ihre jüngste Patientin ist elf Jahre alt – kann Sie geht jetzt einen Weg, den Beate Herpertz-Dahlmann
eine stationäre Therapie wegen der Trennung von der Familie allen ihren magersüchtigen Patientinnen wünscht: „Wenn sie
sehr belasten. Viele Jugendliche zögern deshalb, in eine Klinik in die Therapie kommen, spielen sie auf der Klaviatur des Le-
zu gehen, andere brechen die Behandlung ab. Die Tagesklinik bens vielleicht eine halbe Oktave. Ich arbeite mit ihnen daran,
– nach kurzer stationärer Aufnahme zur Stabilisierung – kann dass sie lernen, auf allen Oktaven des Lebens zu spielen.“ »

51
MAGERSUCHT ENDET
NICHT BEI EINEM VORLÄUFIGEN
GEWICHTSGEWINN
Wie muss eine Therapie aussehen, die Magersüchtigen nicht nur kurzfristig zu
einem höheren Gewicht, sondern langfristig zu einem gesunden Leben verhilft?

Deutsche Forscher haben im Rahmen Hausärzte im Hinblick auf Essstörun- Zwei Gesprächstherapien, darunter eine
des Forschungsverbundes EDNET gen geschult; sie überwiesen die Patien- familientherapeutische, hatte sie aus in-
(Eating Disorders Diagnostic and Treat- tinnen bei gefährlichem Gewichtsverlust nerer Not abgebrochen. „Ich begann
ment Network) zwei neue ambulante in die Klinik. Diese herkömmliche Be- dort zu lügen“, sagt sie. „Ich habe The-
Verfahren und ein tagesklinisches Pro- handlungsweise bei Magersucht schnitt rapeuten und Eltern nach dem Mund
jekt untersucht, und die Ergebnisse ma- nur wenig schlechter ab als die neuen geredet und dann weiter gehungert.“
chen Hoffnung: Weniger Abbrüche als Verfahren: Die Heilungsrate war etwas Weil auch die Zeit nach Therapien
in anderen Studien und ein zufrieden- geringer als in den anderen Gruppen, kritisch ist, gingen die Behandler in ei-
stellender Gewichtsgewinn. und die Patienten mussten häufiger und nem der verhaltenstherapeutischen Mo-
In der ANTOP-Studie (Anorexia länger stationär aufgenommen werden. dule der ANTOP-Studie auch auf dieses
Nervosa Treatment of OutPatients) be- Das zweite Verfahren, eine neue Form Problem ein: Sie entwickelten mit den
gleiteten Forscher der Universitäten Tü- der kognitiven Verhaltenstherapie, Patientinnen Strategien, um Rückfällen
bingen und Heidelberg 242 erwachsene schnitt in der Studie etwas besser ab. vorzubeugen, wenn im Alltag alte Ver-
Magersüchtige über zwei Jahre. Getestet Es war von Chris Fairburn, Leiter des haltens- und Ernährungsmuster durch-
wurden zwei neue ambulante Verfahren: Zentrums für Essstörungen in Oxford, zubrechen drohen.
ein verhaltenstherapeutisches, das am England, entwickelt worden. Bei diesem Signifikant besser als die Standardbe-
Symptom ansetzt, und ein psychodyna- Ansatz stehen die Symptome der Mager- handlung und auch besser als der ver-
misches, das Beziehungsmuster und Ge- sucht im Mittelpunkt. Die Patientinnen haltenstherapeutische Ansatz wirkte das
fühle in den Mittelpunkt stellt. Zum führen Essprotokolle und entwickeln dritte Verfahren, die fokale psychodyna-
Vergleich ließ man eine Gruppe von ihr persönliches Störungsmodell der mische Therapie. Der Ansatz hat seine
Frauen auf herkömmliche Weise von frei Krankheit. Dazu beantworten sie Fragen Wurzeln in der Psychoanalyse und war
gewählten Therapeuten und Medizinern wie diese: Was hält meine Magersucht von Wolfgang Herzog für Patienten mit
betreuen Gewichtszunahme und eine aufrecht, warum hungere ich weiter? Essstörungen weiterentwickelt worden.
Normalisierung des Essverhaltens waren Die Behandler und ihre Patienten gehen Der Gewichtsgewinn lässt beim fokalen
Kriterien, nach denen die Forscher den sehr strukturiert vor, erstellen etwa psychodynamischen Vorgehen zwar et-
Erfolg beurteilten. Pro-und-kontra-Listen und fragen: was länger auf sich warten, ist dann aber
Die Leiter dieser weltweit größten Was spricht für die Magersucht, was offensichtlich nachhaltiger. Nach Ab-
ambulanten randomisiert-kontrollier- spricht dagegen? schluss der Studien lag der durchschnitt-
ten Studie bei Anorexia nervosa, Die Antworten entscheiden oft über liche BMI der Patientinnen allerdings
Wolfgang Herzog Heidelberg und Ste- den Erfolg der Therapie, sagt Stephan noch immer im Bereich Untergewicht.
phan Zipfel, Tübingen, waren bereits Zipfel, denn viele Patienten stehen einer Das zeigt: Magersucht endet nicht mit
von den Ergebnissen der ersten Gruppe Gewichtszunahme ambivalent gegen- einem vorläufigen Gewichtsgewinn. Sie
überrascht, in der Patientinnen eine op- über: Auch Lena B. brauchte das Gefühl kann viele Jahre und sogar Jahrzehnte
timierte Standardbehandlung bei selbst von Kontrolle, das ihr die Magersucht dauern. Birgit Schreiber
gewählten Therapeuten bekamen. gab. Damit ließ sich ihre Lebensangst auf PHc

Die Forscher hatten die beteiligten ein erträgliches Maß herunterregeln.

52 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Eine Familie im Bann
der Magersucht
Dies ist die Geschichte eines ganz normalen
Mädchens, das in die Klauen der Magersucht gerät,
und seines langsamen, schmerzhaften, aber erfolg-
reichen Weges zurück zu Hoffnung und Gesundheit.
Entgegen der medizinischen Lehrmeinung ent-
scheidet sich die Autorin, ihre Tochter mit Hilfe
zweier Ärztinnen zu Hause zu behandeln.
Die Nähe der Familie hilft dem Mädchen.
Dem Leser ermöglicht sie tiefe Einblicke in das
Denken und Fühlen der jungen Magersüchtigen,
so wohnt er dem Kampf um ihr Leben hautnah bei.
Ein bewegendes Buch, das wichtige Informationen
über Therapiemöglichkeiten gibt und das Familien,
die ihre Kinder im Kampf gegen Essstörungen
unterstützen, Mut macht.

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53
MANGEL
FÜRS
LEBEN
Wer als Baby nicht ausreichend ernährt
wurde, ist als Erwachsener ängstlicher,
depressiver und aggressiver

D
er Effekt ist erstaun- Im ersten Lebensjahr litten die betrof- hatte, nahmen sie und ihre Familien bis
lich: Menschen, die fenen Mädchen und Jungen – alle aus zum zwölften Lebensjahr an einem
im ersten Lebensjahr dem Karibikstaat Barbados – an zwei staatlichen Programm teil, bei dem Ex-
nicht ausreichend er- Proteinmangelerscheinungen, die im perten ihre Ernährung und Gesundheit
nährt wurden, leiden Organismus zu erheblichen Energiepro- regelmäßig kontrollierten. Die in etwa
40 Jahre später häufig unter einer blemen führen. Ihrem Alter entspre- gleichaltrigen 57 Erwachsenen der Kon-
„gestörten“ Persönlichkeit. Diese Spät- chend wiegen die Kinder deutlich weni- trollgruppe hatten zeit ihres Lebens
folge ist selbst dann nicht zu verhindern, ger als ihre ausreichend ernährten ausreichend zu essen bekommen. Alle
wenn die Kinder nach den entbehrungs- Altersgenossen. Studienteilnehmer waren bei Geburt
reichen ersten Monaten gut und genü- Die Forscher akquirierten für ihre nachweislich normalgewichtig – was
gend zu essen bekamen und ihre körper- Studie 134 Frauen und Männer. 77 von auf eine unauffällige Embryonalent-
liche Gesundheit sich komplett wieder- ihnen waren im Alter von sieben Mona- wicklung deutet.
herstellte, berichten Janina Galler von ten wegen Unterernährungssymptomen Die Wissenschaftler erkundeten mit
der Harvard Medical School in Boston ins Krankenhaus eingeliefert worden. einem Fragebogen bestimmte Persön-
und ihre Kollegen. Nachdem man sie dort aufgepäppelt lichkeitsmerkmale und psychische Pro-

54 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


bleme. Rund ein Drittel der 77 Man- University of Pennsylvania auf der Insel chende Nährstoffzufuhr Wachstum und
gelernährten zeigte demnach Merkmale Mauritius ermittelt, dass Mangelernäh- Entwicklung des Gehirns erheblich –
von erhöhter Ängstlichkeit und Stress- rung im dritten Lebensjahr oft mit und langfristig. Möglicherweise werden
anfälligkeit, dagegen waren es nicht mal gewalttätigem Verhalten im Alter von die Kinder auch deshalb stressanfällig,
sieben Prozent in der Kontrollgruppe. 8, 11 und 17 Jahren verbunden ist. „Er- weil die Eltern sich generell nicht aus-
Deutlich mehr Mangelernährte waren nährungsdefizite früh im Leben fördern reichend um sie kümmern. Dafür
außerdem depressiv, feindselig, miss- eine Art misstrauische Persönlichkeit, spricht, dass viele Mütter der betroffe-
trauischer und aggressiver. Und sie ent- die Feindseligkeit gegenüber anderen nen Kinder depressiv waren, wodurch sie
wickelten kaum Neugier auf die Welt, zu schüren scheint“, resümiert der Psy- vielleicht nicht die Kraft aufbrachten,
kooperierten widerwilliger und handel- chologe. ihrem Sprössling genügend Zuwendung
ten weniger gewissenhaft. Die Forscher Die Forscher um Galler betonen, dass zu schenken. Klaus Wilhelm
attestierten ihnen zudem eine gewisse die negativen Persönlichkeitsmerkmale
soziale Kälte. nichts mit den intellektuellen Fähigkei-
In einer ähnlichen Studie hatten Wis- ten der Betroffenen zu tun haben.
senschaftler um Adrian Raine von der Offenbar verändert aber eine unzurei-

55
DER
DICKE
IN MEINEM
KOPF

56 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Dicksein wird man nicht los.
Gleichgültig wie viel man auch abnehmen
mag, man bleibt „der Dicke“.
Sagt der Journalist Bertram Eisenhauer, der
sich mit seiner Geschichte als Überge-
wichtiger in seinem Buch Weil ich ein Dicker bin
schonungslos auseinandersetzt

VON BERTRAM EISENHAUER

D
icksein ist nicht allein ein Körperzustand. Natürlich integrieren wir den Blick, den andere auf uns
Einer aus meiner Abnehmgruppe hat mich haben, in unser Selbstbild; das ist Teil unserer Persönlichkeits-
daran auf einigermaßen drastische Weise entwicklung, unserer Menschwerdung. Oft sind wir dabei auf
erinnert. Er hat bestimmt dreißig Kilo abge- Vermutungen angewiesen. Wer kann schon genau sagen, was
nommen und sieht mittlerweile aus wie ein andere von ihm halten? Schwer zu ertragen wird das, wenn die
Normalgewichtiger; allenfalls der lockere Sitz von Jeans und Wahrnehmung durch andere, selbst wenn sie eingebildet oder
Hemd erinnert noch daran, dass er mal deutlich schwerer war. übertrieben ist, die eigene okkupiert.
Und doch: Er erzählte, er plane eine Flugreise und habe große Nicht nur im Fall des Dicken ist diese Selbstwahrnehmung
Angst davor, im Flieger nicht in den Sitz zu passen. Ständig eine Reaktion auf die Etikettierung durch die Gesellschaft, die
wiederholte er es: „Ich habe solche Angst, dass ich nicht in den einen „dick“ nennt und damit als Abweichler von der kultu-
Sitz passe. Ich passe bestimmt nicht in den Sitz!“ rellen Norm und als Außenseiter identifiziert. Der Soziologe
Ja, so ist das. Das Dicksein wirst du nicht los, wenn du Ge- Howard Becker, der sich viele Gedanken über das „abweichen-
wicht verlierst. Denn das Dicksein, so jedenfalls erfahre ich de Verhalten“ und seine soziale Konstruktion machte, behaup-
das, nistet sich in dir ein: Du bist überzeugt, dass andere dich tete, eben dieses Etikett „deviant“ sei eines, das für gewöhnlich
vor allem als Dicken wahrnehmen. Denn als Dicker ist dein alle anderen überstrahle; einen master status nannte er das,
Defekt, wenn man ihn so bezeichnen will, offensichtlich. Du und das klingt, als ob es was Cooles sei. Ist es aber nicht. In
kannst gar nicht anders, als ihn anderen mitzuteilen, und das meinem Beispiel: Statt als jemand gesehen zu werden, der vie-
gleich als Erstes. lerlei Statusmarken aufweist – Mann, Journalist, Exläufer, Fan
Das beginnt mit Harmlosigkeiten. Vor zwei Wochen war bestimmter Werke von Billy Joel und Barbra Streisand, Dicker
ich auf einer Film- und Fernsehmesse. Eine der betreuenden –, wird der junge Herr Eisenhauer zuvörderst mit dem sozial
PR-Damen sagte, eine Kollegin, die ich nur vom Telefon kann- höchst unerwünschten Dicksein identifiziert.
te, sei ebenfalls da. Später kam eine Frau auf mich zu und „Adipöse Menschen sind zunächst einmal ‚fett‘, und erst in
stellte sich vor: „Hallo, wir haben ja schon telefoniert.“ Und zweiter Linie wird wahrgenommen, dass sie weitere, unterge-
ich fragte mich: Wie hat die PR-Frau mich wohl beschrieben, ordnete Eigenschaften aufweisen“, schreiben zwei von Beckers
damit ihre Kollegin mich im Getümmel findet? „Der Dicke Kollegen, Douglas Degher und Gerald Hughes, in einem Auf-
mit der gestreiften Krawatte“? satz darüber, wie Menschen regelrecht „eine ‚dicke‘ Identität“
Vorsicht, bevor Sie das jetzt für Paranoia halten. Wie heißt entwickeln und aufrechterhalten.
es so schön: Dass du paranoid bist, heißt nicht, dass sie nicht Diese Identität ist mächtig, zumindest bei mir. Andere in
hinter dir her sind. meiner Lage mögen das ganz anders erleben. Die Kraft zu sa-

57
gen: Ich bin dick, na und, das betrifft nur mein Äußeres und macht, wenn man dicker ist und sich nichts traut.“ Ein Mäd-
berührt nicht mein Inneres – die habe ich nie aufgebracht. Im chen aus der Gruppe der 14- bis 16-Jährigen meinte: „Vielleicht
Gegenteil, ich merke, wie ich immer unter der Prämisse arbei- ist es so, wenn man dick ist, dass man von vielen ausgegrenzt
te, dass die anderen mich vornehmlich als fett wahrnehmen. wird, die gleich (vorneweg) so eine Einstellung haben: Dicke
Das empfanden die sechzig übergewichtigen Kinder und sind nicht cool, und also die wollen lieber unter sich bleiben.“
Jugendlichen aus prekären Verhältnissen, welche die Soziolo- Ein Junge aus der jüngeren Gruppe resümierte: „Der Dicke ist
gin Eva Barlösius 2009 befragte, ähnlich. Sie beschrieben der ein Außenseiter.“
Wissenschaftlerin, wie allgegenwärtig und bestimmend die Dass Dicke und sehr Dicke wegen ihres Körpergewichts
Erfahrung, „zu dick“ zu sein, für die meisten von ihnen ist. oftmals eine soziale Isolation erleben, diesen Zusammenhang
Das, so Barlösius, „prägt ihr gesell- haben Sozialwissenschaftler auch
schaftliches Verhältnis und ihre in einer Reihe anderer Untersu-
Sichtweise der sozialen Welt“, sie chungen aufgespürt, selbst wenn
sähen sich geradezu als die„Klasse diese in ihrer Gesamtheit bisher
der Dicken“. ein gemischtes Bild zeigen. Am
Die Form des eigenen Körpers
ist in so einem Leben die zentrale
DU FÜHLST klarsten ist dieses bei Kindern, wo
vieles darauf hindeutet, dass die
Kategorie: „Nahezu alles, was ihnen
widerfährt oder ihnen misslingt,
DICH IN DER sehr Dicken unter ihnen weniger
beliebt und einsamer sind, dass sie
(erklärt sich) aus ihrer Sicht zual-
lererst daraus, dass sie zu dick sind“,
DEFENSIVE, seltener für den Status des „besten
Freundes“ nominiert, häufiger
erläutert Barlösius. Immer, so mei-
nen die Jugendlichen, behindere
BLOSS WEIL von Aktivitäten ausgeschlossen
und Ziel von Spott und Mobbing
ihr Körper sie dabei, ihre Wünsche
zu verwirklichen, ob es darum geht,
DU DICK BIST werden.
Ein besonders anschauliches
was sie in der Freizeit mit Freunden Beispiel: Für eine Studie im Jahr
unternehmen, oder darum, ob sich 1984 wurden dünne Kinder, die
wohl jemand in sie verlieben könn- an Diabetes litten, gefragt, ob sie
te – was zu glauben ihnen schwer- stattdessen lieber dick und an-
fällt. „Dieser Allgegenwärtigkeit können sie – außer sie ziehen sonsten gesund wären; die meisten entschieden sich für ein
sich zurück – nicht entgehen. Und selbst dieser Rückzug wird dünnes Ich mit Diabetes. Petra Warschburger, Psychologiepro-
als Folge wie als Ursache ihres Dickseins interpretiert“, hält die fessorin an der Universität Potsdam, fasste 2005 zusammen:
Soziologin fest. „Die Adipositas zieht das Risiko einer stärkeren psychosozialen
Sie beschreibt damit eine Innenwelt, die mir sehr bekannt Belastung nach sich. Das bedeutet aber nicht, dass jedes adi-
vorkommt: „In jeder Vis-à-vis-Situation – sprich bei jeder Be- pöse Kind oder jeder adipöse Heranwachsende automatisch
gegnung, jedem Kontakt, während jeglicher Anwesenheit – ist ‚unglücklich‘ oder stärker belastet ist.“
der Körper präsent.“ Und weiter: „Die Jugendlichen sind gewiss, Eine häufig zitierte Studie, die über das Psychosoziale hin-
zuallererst als dick behandelt zu werden, und davon leiten sie ausreichte und die Befindlichkeit und Funktionsfähigkeit von
die Verhaltensweisen ihnen gegenüber ab. Mehr noch, selbst Fettleibigen ins Visier nahm, untersuchte im Jahr 2002 über
wenn sie sich in Interaktionen befinden, in denen nicht auf ih- 100 Kinder und Jugendliche zwischen fünf und achtzehn Jah-
ren Körper reagiert oder dieser überhaupt nicht angesprochen ren, die in einer Adipositasklinik in San Diego in Behandlung
wird, agieren sie im Allgemeinen trotzdem so, wie es von ihnen waren und einen durchschnittlichen BMI von 34,7 aufwiesen.
– wie sie meinen – als Dicke gesellschaftlich erwartet wird.“ Drei Mediziner interviewten die Kinder sowie ihre Eltern mit-
Das Körpergewicht ist in dieser Sicht bedeutender als das, hilfe eines standardisierten pädiatrischen Fragebogens, wie es
was eine Badezimmerwaage anzeigt. Dicksein bedeutet, „nicht um insgesamt dreiundzwanzig körperliche, emotionale, psy-
‚normal‘ leben zu können“, so zusammenfassend Barlösius. chosoziale und schulische Aspekte ihrer Lebensqualität bestellt
Wie sagte ein Mädchen aus der Gruppe der 11- bis 13-Jährigen sei. Die Kinder gaben an, wie oft bestimmte Statements auf sie
während der Diskussion mit der Wissenschaftlerin? „Ja, so zutrafen, so etwa: „Es fällt mir schwer, mehr als einen Häuser-
kann man sich das ganze Leben verhauen, wenn man nichts block weit zu gehen“; „Ich fühle mich traurig“; „Andere Kinder

58 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


wollen nicht mit mir befreundet sein“; „Es fällt mir schwer, im Mit Power durch den Tag
Unterricht aufzupassen“. Ergebnis: Im Vergleich zu nichtüber-
gewichtigen Gleichaltrigen ging es den Dicken bedeutend
schlechter – übrigens ähnlich schlecht wie sonst Kindern und
Jugendlichen, bei denen Krebs diagnostiziert worden war.
Was Adipöse jenseits des Kindesalters betrifft, so deutet die
Mehrzahl der Erhebungen darauf hin, dass sie weniger Freun-
de und weniger enge Freunde haben, dass sie öfter allein woh-
nen, weniger Kontakte mit Bekannten, Kollegen oder Nach-
barn pflegen und häufiger angeben, sie seien einsam. Andere
Untersuchungen sehen weniger deutlich, dass sich Überge-
wicht in eine soziale Verlorenheit übersetzt.
Meine eigene Erfahrung ist da eindeutiger, aber eben auch
subjektiv, notgedrungen. Vor einer Weile war ich an einer Schu-
le eingeladen, wo ich bei einer Podiumsdiskussion vor rund
zweihundert Schülern etwas zur politischen Kultur der Verei-
nigten Staaten erzählen sollte. Ich war sicher, die Schüler wür-
den da jetzt einen Fettklops sehen, und auch wenn er intelli-
gente Dinge sagte, er blieb ein Fettklops, den man im Grunde
bemitleidete, nicht für voll nahm. Selbst wenn NIEMAND das
täte – meine Annahme macht es wahr, ganz egal, was wirklich
Sache ist.
Das hat erhebliche Auswirkungen. Du wirst ein Sklave dei-
nes Körpers. Dein eigener ewiger Zweifel an dir selbst macht
Ulrike Pilz-Kusch zeigt, wie die Hörer/innen klug und
es schwer, deine Wirkung auf deine Umgebung einzuschätzen effektiv auch im übervollen Alltag mit den vier Lade-
und zu kalibrieren. Möglicherweise kommst du anderen forsch stationen für volle Batterien sorgen können – mit
und aggressiv vor – obwohl das nur die Unwucht deiner äu- wenig Aufwand und Zeit.
ßeren Erscheinung ist. Oder du nimmst dich zurück, und die
Die Übungen und Erkundungsexperimente lassen sich
Böswilligen machen mit dir, was sie wollen. einfach in den Alltag einbinden.
DU WIRST EIN SKLAVE DEINES KÖRPERS Aus dem Inhalt:
 Kraftvoll mit einem gut gefüllten Akku
Du bist schüchtern und scheu gegenüber Leuten, die dir viel-
 Blitzschnell auftanken am Arbeitsplatz
leicht Freunde sein könnten, oder aber du verschreckst sie. Und
 Pausen bewusst erholsam gestalten
ehrlich gesagt, ja, es gibt Leute, die dir eigentlich nicht das Was-
 Abschalten nach der Arbeit und vor dem Schlafen
ser reichen können, und denen gegenüber fühlst du dich in der
 Kraftspendenden Ausgleich zur Arbeit schaffen
Defensive, bloß weil du dick bist. So bist du jenseits von jedem,
aber nicht als entspannter Beobachter, sondern außen vor.
Wechseln wir für einen Moment die Blickrichtung. Freun-
de, Bekannte, Verwandte und Partner können sich ebenfalls
damit schwertun, von ihrem Bild des Dicken als Nur-Dicker
abzulassen – sobald dieser zum Beispiel an Gewicht verliert.
Die Therapeutin meiner Abnehmgruppe würde vermutlich
Ulrike Pilz-Kusch
sagen, für die soziale Umgebung könne diese gedankliche Kon- Abschalten, entspannen und auftanken
struktion des Übergewichtigen auch eine psychologische Achtsam und stark durch den Tag mit einfachen
Focusing-Übungen. Gelesen von Ulrike Pilz-Kusch.
Funktion haben – und sei es die, ihn in einer Rolle festzusetzen, 1 CD mit 12-seitigem Booklet. Laufzeit 80 Minuten.
die für die anderen bequem und nützlich ist. € 24,95 D (unverbindl. Preisempfehlung)
Du bleibst eben lange ein Dicker, ob in den Augen anderer ISBN 978-3-407-36594-1

oder in deinen eigenen. Warum ich mit Mitte zwanzig den

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Gewichtsverlust von vierunddreißig Kilo, der mich in die Nä- zwei- oder dreimal angerufen. Jetzt erwarte ich, dass ein ein-
he dessen brachte, was man damals „Idealgewicht“ nannte, ziges Mal genügt.“ Meine persönliche Theorie dazu lautet: Als
wieder verspielte, indem ich zu viel aß und mich zu wenig Dicker tendiert man dazu, unanstößig zu bleiben. „Ja, wenn
bewegte, dazu muss ich wie ein Archäologe in meine Vergan- Sie meinen“ – das ist die Haltung gegenüber Leuten, die einen
genheit hinabsteigen, und die Suche endet oft mit Spekulati- herausfordern. Konflikte vermeidet man lieber. Im Gegenteil,
onen. Generell ist meine Vermutung: Ich bin in meinem man versucht, sich unentbehrlich und beliebt zu machen, in-
schmaleren Körper damals nicht heimisch geworden; die Ge- dem man für Ausgleich und allgemein gute Laune sorgt.
wissheit, dass ich „ein Dicker“ sei, blieb. Und irgendwann Während der Diskussion in der Gruppe sagte ich dann etwas,
stimmte das dann ja auch wieder. Mein Körper brachte mit- das mich selbst erschreckte. Ich erklärte, ich vermute, als Dicker
hilfe meines Hungers seine äußere Form nur wieder in Über- vermeide man, unangenehm aufzufallen, und arbeite mit eini-
einstimmung mit meinem inneren Empfinden. ger Macht an der gesellschaftlichen Harmonie, weil man sich
Das zeigt natürlich schlagend, dass ich das Denksystem des im tiefsten Innern als allenfalls in dieser Gesellschaft geduldet
„Schlank ist schöner und besser“ weitgehend internalisiert empfinde. Ein Gemeinwesen, in dem gute Laune herrscht, neigt
habe. Auch meine Bemühungen, ein Schlankerer zu werden, weniger dazu, seine dicken Mitglieder herunterzumachen, so
dokumentieren das ja. Andere Dicke und sehr Dicke reagieren spekuliert man. Denn man fürchtet, dass womöglich eines Ta-
da ganz anders und verweigern sich: jene, die man die Zornigen ges der Umsturz kommt, da den Normalgewichtigen, den
nennen könnte, weil sie mit Verve darauf bestehen, sich durch Normmenschen auffällt: Was machen eigentlich diese Dicken?
die Gesellschaft und deren Normierungsmechanismen nicht Stören die uns in Wahrheit nicht schon lange?
einengen zu lassen; und die Positiven, welche die Prämisse, Sicher, es gibt auch noch die Vorwärtsverteidigung: Der
Dicke könnten nichts anderes als hässlich und unattraktiv sein, Jetzt-erst-recht-Dicke tritt auf, als gehöre ihm die Welt. Diese
für sich umdrehen: „Ich bin gerne eine kräftige Frau.“ Da sind Überkompensation meine ich unter anderem bei übergewich-
außerdem die Auffälligen, die ihr Anderssein noch stolz zur tigen Politikern zu erahnen, die gerade die Akklamation durch
Schau stellen; und die Mit-sich-im-Reinen, die ihren Körper die Masse suchen, da sie normalerweise die Erfahrung machen,
als eine simple Variation der menschlichen Form betrachten dass die Gesellschaft Menschen ihres körperlichen Zuschnitts
und vollumfänglich akzeptieren: „Das ist ein Teil von mir.“ den Respekt vorenthält.
Schließlich gibt es noch die Aktivisten, die sich organisieren Apropos Politik und Masse: Was passiert eigentlich, wenn
und die Akzeptanz des Dickseins fördern wollen, indem sie es mit den Dicken geht wie mit den Rentnern – dass sie immer
(einander) versichern, es gäbe keine medizinischen Beweise mehr werden und eines Tages keiner mehr gegen sie Politik
für die Gefährlichkeit von Körperfett, und man könne zugleich machen kann? Die bisherigen Erfahrungen mit dem Body-
dick und fit sein. Mass-Index der Deutschen lassen erwarten, dass sich die Mehr-
heitsverhältnisse tatsächlich so entwickeln werden. Nur wird,
ALS DICKER WILL MAN KONFLIKTE VERMEIDEN
so nehme ich an, parallel das genaue Gegenteil passieren: Die
Ich gestehe aber, gerade der Widerstand war nie mein Ding. Zahl der Dicken und Superdicken wird weiter steigen, aber der
Denke ich zu konventionell? Ist da zu wenig von einem Revo- gesellschaftliche Druck zum Dünnsein wird sich immer weiter
luzzer in mir? Ich jedenfalls merke, dass ich mein Heil oft in verschärfen.
der Rolle des Entertainers und des sozialen Gleitmittels suche. Übrigens: Ein Flugzeug bestieg ich kürzlich ebenfalls. Als
Denn Dicke sind schon echt lustige Menschen, oder? Immer ich die Gangway hinunterging, fiel mir ein: Hoffentlich brau-
gut gelaunt, immer zu einem Scherz aufgelegt. Sorgen für Stim- che ich nicht wieder eine Verlängerung für den Sitzgurt. Es war
mung in der Gruppe. Was haben wir gelacht! dieses Mal nicht nötig, zum Glück. PHc

Und doch gibt es einen Untergrund dieser Witzigkeit, der


ist weniger witzig. In der Abnehmgruppe stellten wir an uns Bertram Eisenhauer, geboren 1964, wuchs in Baden auf, studierte in Heidelberg,
vor einiger Zeit etwas fest, das wir als gesteigerte Aggressivität Connecticut und New York. Er arbeitete im Feuilleton und war
empfanden. Die hatte nicht nur damit zu tun, dass wir uns Redakteur im politischen Ressort der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung. Heute leitet er das Ressort „Leben“ bei der Frankfur-
damals von einem Pulver ernährten, das Geschmack mehr
ter Allgemeinen Sonntagszeitung.
schlecht als recht simulierte. Nein, dass wir anderen gegenüber
Sein aktuelles Buch Weil ich ein Dicker bin. Szenen eines
robuster auftraten, war ebenso eine Folge des Gewichtsverlusts.
Lebensgefühls ist Anfang des Jahres im C. Bertelsmann Verlag
„Wenn ich früher im Büro von meinen Mitarbeitern etwas erschienen. Dieser Text ist ein Auszug daraus. Wir danken
haben wollte“, berichtete eine Frau aus der Gruppe, „habe ich Autor und Verlag für die Abdruckgenehmigung.

60 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


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61
Wie Sie Schuldgefühle
aus der Küche vertreiben und wieder
sorgloser genießen können

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EINFACH
ESSEN!

17
DAS ESSEN UND
DIE MORAL
Sind Vegetarier Moralapostel und
Fleischesser skrupellos? So einfach ist
es nicht, wie Studien zeigen
V O N PAT R I C I A T H I V I S S E N

64 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


F
rüher galten sie als freudlose und ein bisschen einfach nicht. Typische physiologische Ekelsymptome wie
lebensfremde Ökos, heute sind sie moderne und Übelkeit werden von moralischen Vegetariern nicht angege-
bewusst lebende Trendsetter. Das Image von Ve- ben, wenn sie mit Bildern von Fleischprodukten konfrontiert
getariern hat sich in den vergangenen Jahren werden. Stattdessen spielt bei ihnen der Ärger eine Rolle –
stark gewandelt. Zwar gilt nur eine Minderheit übrigens auch gegenüber Fleischessern. Sie versuchen deshalb
in Deutschland als Vegetarier, dennoch scheint die fleischlose häufiger als andere Vegetarier, ihre Mitmenschen vom Fleisch-
Ernährung mehr und mehr salonfähig zu werden. Als der ame- essen abzuhalten.
rikanische Romanautor Jonathan Safran Foer im Sommer An eine spezielle Vegetarierpersönlichkeit glaubt Kristin
2010 sein Buch Tiere essen veröffentlichte, griffen viele Medi- Mitte jedoch nicht, wenn sie auch einige Unterschiede zu
en das Thema auf. Die Diskussion rund um Tierleid und -rech- Fleischessern gefunden hat: „Für eine Vielzahl an Persönlich-
te, gesundheitliche und ökologische Vorteile der vegetarischen keitseigenschaften lagen keine bedeutsamen Unterschiede
Ernährung erweckte mitunter sogar den Eindruck, dass es in zwischen den Gruppen vor.“ Allerdings ist die Persönlichkeits-
Zukunft eher die Fleischesser sein könnten, die sich für ihre eigenschaft „Offenheit für Erfahrungen“ bei Vegetariern stär-
Lebensweise rechtfertigen müssen, als dass Vegetarier als Mo- ker ausgeprägt, und sie beschreiben sich als weniger konser-
ralapostel belächelt werden, für die es im sprichwörtlichen vativ. Zudem sind für sie Verständnis, Toleranz und das Wohl-
Sinne immer eine Extrawurst geben muss. ergehen von Mensch und Natur wichtiger als für Fleischesser.
Letztere Sichtweise auf Vegetarier ist allerdings gar nicht so Frühere Befunde, dass Vegetarier zu Essstörungen neigen,
falsch: Für den Entschluss, auf Fleisch zu verzichten, spielt die konnten die Jenaer Forscherinnen nicht bestätigen: „Der typi-
Moral eine wichtige Rolle. Dies ist das Ergebnis eines For- sche Vegetarier missbraucht die vegetarische Lebensweise
schungsprojekts, das die Psychologinnen Kristin Mitte und nicht, um eine Essstörung auszuleben“, betont Mitte.
Nicole Kämpfe-Hargrave von der Universität Jena durchge- Die Jenaer Studie zeigt jedoch: Der typische Vegetarier ist
führt haben. Rund 4000 Vegetarier nahmen dabei an einer
Onlinestudie teil, bei der sie Fragebögen zu ihren Essgewohn-
heiten ausfüllten und Bilder von Fleischprodukten, Tierhal-
tung und Schlachtung in verschiedenen Dimensionen wie Ekel
oder Moral einschätzen sollten. VEGETARIER SIND
Die beiden Wissenschaftlerinnen konnten dabei drei Mo-
tivationstypen unter den Vegetariern klassifizieren: Für rund INTELLIGENTE
63 Prozent sind moralische Gründe für den Fleischverzicht
ausschlaggebend („moralische Vegetarier“). Etwa 20 Prozent MENSCHEN
zählen zu den Gesundheitsvegetariern, die kein Fleisch essen,
weil sie gesünder leben wollen. Weitere elf Prozent gehören zu UND LEHNEN
den emotionalen Vegetariern – sie mögen Fleisch einfach vom
Geschmack her nicht. Moralische Aspekte werden am häufigs- AUTORITÄT ÜBER
ten als Auslöser für den Vegetarismus genannt: Dazu gehören
die Zustände bei der Massentierhaltung, den Tiertransporten ANDERE AB
und der Schlachtung; aber auch das Töten an sich und die
Tatsache, dass den Tieren Schmerz zugefügt wird, sind wich-
tige Gründe für eine fleischlose Ernährung.
Obwohl so mancher Steakliebhaber eine vegetarische Er- weiblich, lebt in einer Großstadt und hat einen hohen Bil-
nährung als pure Askese empfindet, ist die Impulskontrolle bei dungsstand. Eine britische Untersuchung der Universitäten
Vegetariern nicht stärker ausgeprägt als bei anderen Menschen. Southampton, Edinburgh, Glasgow und London, die im British
Eine wichtigere Rolle, um der duftenden Bratwurst auf dem Medical Journal veröffentlicht wurde, stellt zudem einen Zu-
Grill widerstehen zu können, spielt der Ekel, den jedoch emo- sammenhang zwischen Vegetarismus und Intelligenz fest. Die
tionale und moralische Vegetarier unterschiedlich empfinden. Forscher griffen auf Daten einer Studie zurück, die mehr als
Beide Gruppen stimmen zwar der Aussage zu: „Ich finde 17 000 Teilnehmer erfasst hat, die im April 1970 in Großbri-
Fleisch eklig“, aber bei den emotionalen Vegetariern dominiert tannien geboren wurden. Im Alter von zehn Jahren machten
die sensorische Komponente: Dieser Gruppe schmeckt Fleisch die Teilnehmer einen Intelligenztest, im Alter von 30 Jahren

65
wurden sie zu ihrer Ernährungsweise befragt. Bei rund 8000
konnten die Angaben zum 20 Jahre zuvor festgestellten Intel-
ligenzquotienten herangezogen werden. Zu beiden Untersu-
chungszeitpunkten wurde zudem der sozioökonomische Sta-
tus erhoben – die soziale Schicht aufgrund ihres Berufs bezie-
hungsweise der Beschäftigung der Eltern, schulische und
akademische Bildung sowie das Einkommen.
Dabei erhielten die Wissenschaftler ähnliche Ergebnisse
wie die Kollegen aus Jena: Unter den 4,5 Prozent Vegetariern
und Veganern waren mehr Frauen, sie hatten bessere berufli-
che Qualifikationen, und unter ihnen waren eher Angestellte
als Arbeiter zu finden – diese Punkte spiegelten sich übrigens
auch schon bei den Eltern wider. Darüber hinaus stellten die
Wissenschaftler fest, dass die Vegetarier im Alter von zehn
Jahren besser bei den Intelligenztests abgeschnitten hatten.
Man könnte auch sagen: Eine höhere Intelligenz im Kindes-
alter erhöhte die Wahrscheinlichkeit, im Alter von 30 Jahren
Vegetarier zu sein. Die vegetarischen Männern hatten im Alter
von zehn Jahren einen IQ von 106, im Vergleich zu 100
bei Fleischessern. Bei den Vegetarierinnen waren es 104, im
Vergleich zu 99.
Dieses Ergebnis lässt sich zwar zum einen auf den höheren
sozioökonomischen Status der Teilnehmer sowie ihrer Eltern
zurückführen. Doch der Zusammenhang zwischen Intelligenz
in der Kindheit und vegetarischer Ernährung als Erwachsener
blieb auch dann statistisch signifikant, als diese Faktoren
ausgeglichen wurden. Die Autoren vermuten daher, dass der
Vegetarismus Teil eines besonderen Lebensstils intelligenter
Menschen sein könne, wie die Wahl der Zeitung, der gelesenen
Bücher oder der bevorzugten Unterhaltungsmedien. Interes-
santerweise machte sich die höhere Bildung nicht im Einkom-
men bemerkbar: Vegetarier verdienten im Schnitt ähnlich wie
Fleischesser. Dies könne, so die Autoren, daran liegen, dass
Vegetarier eher bei gemeinnützigen Organisationen, in
der Verwaltung oder im Bildungswesen arbeiten als in der
Wirtschaft.
LIEBER GEMÜSE!
Das klingt ganz so, als gehörten Vegetarier vor allem einem
sozial eingestellten, intellektuellen und idealistischen Milieu
VEGETARIER
an. Dafür sprechen auch ihre niedrigeren Werte in der sozialen
Dominanzorientierung, das heißt, sie lehnen Hierarchien in-
SCHREIBEN TIEREN
nerhalb einer Gesellschaft eher ab. Die Jenaer Wissenschaftle-
rinnen Kristin Mitte und Nicole Kämpfe-Hargrave stellten in
MENSCHEN-
ihrer Untersuchung fest, dass Vegetarier Macht, sozialen Status
und Autorität über andere Menschen als weniger wichtig emp-
ÄHNLICHE
finden. Dies bestätigen auch die Ergebnisse einer australisch-
neuseeländischen Studie der Universitäten Newcastle und
EMOTIONEN ZU
Wellington: Dort hatten Wissenschaftler in zwei Untersuchun-
gen die Werte und Einstellungen von Fleischessern und Vege-

66 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


tariern verglichen und herausgefunden, dass diese sich in schreiben. Zudem maßen die Forscher die soziale Dominanz-
zweierlei Hinsicht unterscheiden. Zum einen befürworten orientierung bei den Teilnehmern, um herauszufinden, ob
Fleischesser eher soziale Hierarchien, zum anderen messen sie diese eine alternative Erklärung sein könnte – also Vegetarier
Gefühlszuständen weniger Bedeutung bei. Tiere aufgrund ihrer Ablehnung von Hierarchien besonders
Der Sozialpsychologe Roland Imhoff geht in einer Unter- vermenschlichen.
suchung aber noch darüber hinaus. „Wir haben festgestellt, Wiederum sprachen die fleischessenden Probanden Tieren
dass Fleischesser bei Tieren Strategien der Entmenschlichung insgesamt weniger sekundäre Emotionen zu als die Vegetarier,
anwenden.“ Ausgangspunkt der zusammen mit polnischen besonders aber den Schweinen – also der bevorzugten Mahl-
Forschern veröffentlichten Studie war die Frage, inwieweit zeit. Vegetarier unterschieden in dieser Hinsicht hingegen
Fleischesser und Vegetarier Tieren primäre und sekundäre nicht zwischen Schweinen und Hunden. Zugleich ergab die
Emotionen zusprechen. Zu den primären Emotionen zählen Messung der sozialen Dominanzorientierung zwar den zu er-
beispielsweise Angst, Wut oder Freude, während sekundäre wartenden Unterschied zwischen Vegetariern und Fleisches-
Emotionen wie Liebe, Hoffnung und Melancholie komplexer sern, „unsere statistischen Berechnungen haben jedoch erge-
sind. „Die Unterscheidung zwischen primären und sekundär- ben, dass sich der Unterschied zwischen Fleischessern und
en Emotionen ist bekannt aus der Vorurteilsforschung. Das ist Vegetariern bei der Zuschreibung von Emotionen dadurch
eine subtile Form von Vorurteilen gegenüber der Außengrup- nicht erklären lässt“, stellt Imhoff fest.
pe, der sekundäre Emotionen abgesprochen werden. Das dient
WAS, WENN DAS GULASCH NICHT VOM RIND,
dazu, die Mitglieder der anderen Gruppe als weniger mensch-
SONDERN VOM GOLDEN RETRIEVER WÄRE?
lich und zivilisiert zu klassifizieren“, erläutert Imhoff. Darüber
hinaus haben die meisten Menschen ein Konzept davon, was Er und seine Kollegen schließen vielmehr aus den Ergebnissen,
menschliche Einzigartigkeit ausmacht – und den Menschen dass Fleischesser sich von „essbaren“ Tieren moralisch distan-
grundlegend von Tieren abgrenzt. Die Wissenschaftler stellten zieren. Sie könnten sich so eine Rechtfertigung für das Töten
daher die Hypothese auf, dass Vegetarier und Fleischesser sich von bestimmten Tieren schaffen und dadurch die psychologi-
darin unterscheiden und Tiere in Bezug auf komplexe psychi- schen Kosten ihrer Taten – nämlich das Verspeisen von Schwein,
sche Eigenschaften anders wahrnehmen. Dieser Vermutung Huhn oder Rind – minimieren. Dies funktioniert besser, wenn
gingen sie in verschiedenen Studien nach. sie die Tiere als möglichst primitiv wahrnehmen – denn dies
Bei der ersten Untersuchung ging es darum, inwieweit Ve- erhöht umso mehr die Gleichgültigkeit ihnen gegenüber. Bri-
getarier und Fleischesser Tieren und Menschen primäre und sant daran ist: Diese Strategie folgt dem gleichen Muster wie
sekundäre Emotionen zuschreiben. Die 123 Probanden sollten die Entmenschlichung, die zwischen Gruppen, beispielsweise
30 Emotionen auf einer Skala einordnen, der höchste Wert im Krieg auftritt.
stand für „nur Menschen haben diese Emotion“, der niedrigs- Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die amerikanische Sozial-
te für „Tiere und Menschen haben diese Emotion gleicherma- psychologin Melanie Joy von der Universität von Massachu-
ßen“. Eine Vorabstudie hatte ergeben, dass von diesen Emoti- setts. In ihrem Buch Warum wir Hunde lieben, Schweine essen
onen acht als klar primär (Angst, Panik, Glück, Aufregung) und Kühe anziehen (compassion media 2013) versucht sie, die
beziehungsweise sekundär (Schuld, Reue, Nostalgie, Melan- Mythen des Fleischessens zu entschlüsseln – das sie als carnism
cholie) eingeordnet wurden. „Die Vegetarier zogen dabei die bezeichnet. Der Begriff steht für ein unbewusstes Wertesystem,
Grenze zwischen primären und sekundären Emotionen bei das die Menschen davon abhält, Ekel zu empfinden, wenn sie
Tieren tatsächlich weniger scharf als Fleischesser“, betont Im- Fleisch essen, das als essbar klassifiziert ist. „Stellen Sie sich vor,
hoff. Anders gesagt: Vegetarier schrieben Tieren stärker Emo- Sie sind auf einer Dinnerparty und essen ein äußerst delikates
tionen zu, die eigentlich als einzigartig menschlich angesehen Gulasch, das so gut ist, dass Sie die Gastgeberin nach dem
werden. Fleischesser unterschieden im Vergleich dazu wesent- Rezept fragen. Und diese antwortet: Nun, das Geheimnis liegt
lich deutlicher zwischen Tier und Mensch. im Fleisch. Ich verwende dafür fünf Pfund gut mariniertes
In einer weiteren Studie sollte geklärt werden, ob Fleisch- Fleisch vom Golden Retriever … Und nun malen Sie sich mal
esser sich tatsächlich der Strategie der Entmenschlichung be- Ihre Reaktion darauf aus“, verdeutlicht sie ihre Idee. Der Ap-
dienen – und diese Strategie vor allem bei den Tieren anwen- petit verginge dann wohl den meisten Menschen – zumindest
den, die auf ihrem Teller landen. Dieses Mal sollten 325 Pro- der westlichen Gesellschaften –, dabei sei das Fleisch auf dem
banden, unter ihnen 177 Vegetarier, zwölf Emotionen – sechs Teller genauso gut zubereitet, ebenso zart und schmackhaft
primäre und sechs sekundäre – Schweinen und Hunden zu- wie das Fleisch eines Schweines oder Rindes. Hund isst man

67
IST BEI onen bei Vegetariern und Veganern stärker bei den negativen
Tierszenen als bei den Menschenszenen, verbunden mit Me-

FLEISCHESSERN chanismen der Emotionsregulierung, die sich vor allem in


einer verringerten Aktivierung der Amygdala (einem Gehirn-

DAS EIN- bereich, der eine entscheidende Rolle bei der Produktion und
Steuerung von Emotionen spielt) bemerkbar macht. Fleisch-

FÜHLUNGS- esser zeigten dieses Muster auch – aber wesentlich ausgepräg-


ter bei negativen Menschenszenen als bei Tierszenen. Die For-

VERMÖGEN scher sehen diese Unterschiede als Hinweis darauf, dass Em-
pathie von sozialen Normen abhängig ist und ein von Indivi-

IN TIERE duen geteiltes Muster von bestimmten Empfindungen ist, das


es uns erlaubt, andere zu verstehen. In diesem Fall werden die

BLOCKIERT? sozialen Normen der Teilnehmer durch ihre Essgewohnheiten


repräsentiert – und die Befunde zeugen von einem grundle-
genden Unterschied zwischen Fleischessern und Vegetariern
in diesem Punkt.
Warum jedoch manche Menschen zu Vegetariern werden
und andere nach langjähriger Fleischabstinenz wieder herzhaft
eben bei uns einfach nicht – aber warum dann zum Beispiel in einen Döner beißen, ist noch nicht geklärt. „Langzeit-stu-
Schweine? Hier setzt Joys Konzept des carnism an: Bei essbaren dien müssten die Stabilität dieses Merkmals weiter untersu-
Tieren blockiere der unbewusste carnism das Bewusstsein und chen“, räumt Imhoff ein. Auch Kristin Mitte glaubt, dass die
die Empathie für das Steak auf dem Teller – die meisten Men- spezifischen Mechanismen, die zu dem Entschluss führen,
schen denken bei diesem Anblick eben nicht an eine Kuh, bei vegetarisch zu leben, noch genauer erforscht werden müssen:
einem Golden-Retriever-Gulasch aber unwillkürlich an einen „Viele moralische Vegetarier berichten, dass ein Schlüsseler-
Hund. Joy sieht carnism als das konkrete Gegenteil zum Vege- lebnis die Konfrontation mit emotional belastenden Stimuli
tarismus, da beide Ernährungsweisen auf einem Wertesystem war, zum Beispiel Berichten im Fernsehen über Tierhaltung
beruhen. Anders als der Vegetarier sei sich der Fleischesser und Tierschlachtung. Welche Variablen können vorhersagen,
jedoch dieses Systems nicht bewusst, betont Joy. Dieser benut- dass man diese Stimuli überhaupt verarbeitet und nicht
ze vielmehr das sogenannte numbing – eine Art mentales vermeidet und dies tatsächlich zu einer längerfristigen Verhal-
Selbstverteidigungssystem, dass uns in Extremsituationen vor tensänderung führt?“
zu starken Emotionen bewahrt und beispielsweise bei post- Manchmal geht es aber tatsächlich mehr darum, was wir zu
traumatischen Belastungsstörungen auftritt. essen glauben, als um die Wahrheit – dies zeigt eine Studie von
Vegetarier können und wollen sich derartiger Strategien Michael W. Allen. Denn so gut Fleisch auch schmeckt – die
nicht bedienen. Doch warum ist das so? Sind sie etwa Probanden fanden einen vegetarischen Hotdog genauso
empathischer als Fleischesser, was Tiere angeht? Dieser Frage schmackhaft wie einen „echten“ Hotdog mit Wurst, darunter
ist ein Team aus Neurologen aus Mailand, Genf und Maastricht auch regelrechte Fleischfans. Sie schrieben dem pflanzlichen
nachgegangen. Die Forscher zeigten 20 Fleischessern, 19 Hotdog sogar die für rotes Fleisch symbolischen Werte
Vegetariern und 21 Veganern negative Emotionen weckende wie Kraft und Stärke zu. Wichtig war dabei nur eines: Sie
Bilder von Tieren und Menschen (zum Beispiel von Verstüm- mussten glauben, dass sie Fleisch aßen. Dann schmeckte auch
melungen, Mordopfern, Folter, Bedrohung oder Wunden) die Tofuwurst. PHc

und analysierten, wie sich diese fotografischen Eindrücke auf


die Gehirnaktivität der Probanden auswirkten.
Die Wissenschaftler machten dabei mehrere interessante
Entdeckungen: Zum einen zeigten sowohl Vegetarier als auch
Veganer insgesamt eine stärkere Aktivierung von Hirnregio-
nen, die mit Empathie assoziiert werden, als Fleischesser, und
das unabhängig davon, ob sie negative Bilder von Tieren oder
Menschen betrachteten. Zum anderen reagierten diese Regi-

68 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


SELBSTHILFE BEI ESS-STÖRUNGEN

Der Ratgeber enthält Tipps »Mit Hilfe von Arbeitsblättern Wege für den Ausstieg aus
und Hinweise, wie Eltern bei und bewährten verhaltensthe- dem Teufelskreis der Mager-
ihren Kindern Essprobleme rapeutischen Methoden lehrt sucht: Das ACT-Patientenbuch
erkennen können. Zusammen die Autorin, Essanfälle unter zeigt Betroffenen, wie sie
mit betroffenen Jugendlichen Kontrolle zu bringen. Tipps zur vertraute Verhaltensmuster
zeigen erfahrene Therapeuten Ernährung und Gewichtsreduk- aufgeben und mit inneren
Wege auf, der Gefahr einer tion, ein Glossar und nützliche Blockaden und Widerständen
Ess-Störung vorzubeugen bzw. Adressen ergänzen diesen an- besser umgehen können.
wie Familien am besten mit schaulichen und leserfreund-
vorhandenen Ess-Störungen lichen Ratgeber.« Gehirn & Geist Mit Übungen und Selbsttests.
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69

ES GIBT KEINE
GUTEN ODER SCHLECHTEN
NAHRUNGS-
MITTEL

Beim Essen sind Verbote fehl am Platz, meint der Ernährungs-
wissenschaftler Thomas Ellrott. Im Gegenteil: Nur wer sich
alles erlaubt, versorgt den Körper mit den nötigen Nährstoffen

70 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Herr Ellrott, warum essen wir wider besseres Wissen zu süß, Darum schmecken uns süße und fettige Speisen besonders
zu fett, anders, als wir uns ernähren sollten? gut?
Unser Essverhalten wird nicht primär durch Wissen gesteuert. Genau, wir mögen primär Lebensmittel mit einer hohen Ka-
Wir denken immer, Essentscheidungen für bestimmte Nah- loriendichte und nicht die „leichten“, die viel Wasser enthalten,
rungsmittel würden allein aufgrund von Informationen gefällt wie zum Beispiel Salat und Gemüse. Viele Kalorien geben evo-
und von rationalen Einsichten beeinflusst. Im Einzelfall mag lutionsbiologisch betrachtet eine bessere Überlebensgarantie
das zwar stimmen, aber das Gros dieser Entscheidungen erfolgt als wenige. Das erklärt, warum wir gerade bei süßen und fett-
gewohnheitsmäßig, intuitiv und emotional. Der Nobelpreis- haltigen Nahrungsangeboten schwach werden: Wir sind bio-
träger Daniel Kahneman erklärt diese Diskrepanz mit zwei logisch auf möglichst viele Kalorien konditioniert. Und genau
konkurrierenden Entscheidungssystemen im Gehirn, die je das wird überall angeboten, weil es sich besser verkauft.
nach Situation benutzt werden. Das erste System, das intuitive, Oft versuchen wir vergeblich, Essgewohnheiten strikt um-
funktioniert aus dem Bauch heraus und hat zwei wichtige Vor- zustellen: Ab morgen nichts Süßes mehr! Warum klappt das
teile: Es braucht kaum Hirnleistung beziehungsweise Rechen- nicht?
kapazität und arbeitet daher auch parallel zur Bewältigung In vielen Lebensbereichen hat sich Rigidität, haben sich klare
anderer Lebensaufgaben. Außerdem ist es superschnell. Regeln bewährt: Ampel rot – anhalten; Ampel grün – fahren.
Und was hat es mit dem zweiten System auf sich? Was im Straßenverkehr gut klappt, versagt hingegen beim Es-
Dessen Stärke ist ein sachlich-neutrales Abwägen der Vor- und sen. Zwar gelingt es, harte Grenzen wie ein kategorisches Sü-
Nachteile einzelner Entscheidungen. Dieses System benötigt ßigkeitenverbot mit eiserner Kontrolle für eine gewisse Zeit
sehr viel Rechenkapazität und kann daher nicht parallel zu einzuhalten. Dann allerdings führen Störungen wie Stress oder
anderen Alltagsanforderungen laufen. Zudem ist es durch das ungeplantes Essen doch wieder zu minimalen Überschreitun-
aufwendige Abwägen von Sachargumenten im Entscheidungs- gen der hart gesetzten Grenze. Physiologisch sind solche Situ-
prozess sehr langsam. Mit anderen Worten: Das zweite System ationen – wie ein eigentlich ungeplantes Stück Schokolade –
ist zwar prima, kann aber nur dann in Alltagssituationen zum unproblematisch. Psychologisch stellen sie jedoch einen Aus-
Einsatz kommen, wenn keine anderen Aufgaben gelöst werden löser für regelrechte Deichbrüche dar, weil es dadurch zur
müssen. Und genau das ist die Crux. Unser Alltag ist durch Grenzüberschreitung kommt. Unter dem Motto: „Ich habe es
immer mehr gleichzeitige Anforderungen beziehungsweise schon wieder nicht geschafft, jetzt ist es auch egal!“ Durch solch
Stressoren geprägt: Beruf, Partnerschaft, Familie, Kinder, typische Denkschablonen fallen bereits nach einer minimalen
Haushalt, Bürokratie, Telefonieren, Facebook, WhatsApp, Überschreitung alle selbstgesteckten Grenzen, und dem folgt
E-Mails, Instagram, Fernsehen. Diese Stressoren absorbieren ein mehr oder minder großer zügelloser Essanfall. Psychologen
fast die gesamte Rechenkapazität des Gehirns. So bleibt für das sprechen auch von einer Gegenregulation.
parallele Management der Nahrungsaufnahme in den meisten Sind Verbote deshalb so kontraproduktiv?
Situationen nur das erste Entscheidungssystem. Und dafür Durch die ständigen Deichbrüche kommen unter dem Strich
spielt Wissen keine Rolle! sogar mehr Kalorien zusammen als bei denjenigen, die sich
Backshops auf dem Weg zur Arbeit, üppige Buffets im von vornherein einen gewissen Spielraum für Überschreitun-
Hotel – warum können wir nicht widerstehen? Wir essen, gen zugestehen. Was für die Ampelregelung gilt, gilt beim
obwohl wir keinen Hunger haben, langen noch zu, obwohl Essen gerade nicht! Hier sind starre Grenzen ohne Spielräume
wir satt sind. in einem durch ständige Störungen gekennzeichneten Lebens-
Unser Leben ist tatsächlich voll von Stimuli, die uns zum Kon- alltag untauglich. Weit besser fahren diejenigen, die ihr Ess-
sum von Speisen und Getränken anregen. Einmal führt unser verhalten flexibel mit Spielräumen kontrollieren. Wer zum
Alltagsstress wie beschrieben dazu, dass wir solche Auslöser Beispiel für eine Woche ein gewisses Quantum an Süßigkeiten
nicht rational betrachten. Zum anderen spielt uns hier die einkalkuliert, kann ungeplante Situationen viel besser abfe-
Biologie einen Streich. Unser zentrales Belohnungssystem soll dern, die dann auch nicht zu Deichbrüchen führen. Diese
das Überleben sichern und verstärkt daher all die Verhaltens- sogenannte flexible Verhaltenskontrolle ist der Königsweg, das
weisen, die dazu beitragen – dabei geht es um Zuneigung und Essverhalten im heutigen Überfluss zu managen. Die Auswer-
Fortpflanzung, vor allem aber auch um ausreichende Kalori- tung eines Ernährungsberatungsprogramms der AOK hat
enaufnahme. Und da Kalorien evolutionsbiologisch gesehen übrigens gezeigt, dass Programmteilnehmer mit starren
immer sehr knapp waren, haben wir eine extreme Vorliebe für Vorgaben im Durchschnitt einiges mehr an Gewicht auf die
alles, was besonders gehaltvoll ist. Waage bringen als diejenigen, die sich von vornherein ab und

71
zu Kalorienhaltiges gestatten und gelegentliche Naschereien
einplanen. EIN PAAR PFUND ZU
Sie als Experte unterscheiden nicht zwischen gesunden und
ungesunden Lebensmitteln. Doch ein knackiger Apfel ist für VIEL? REGELMÄSSIG
den Körper wertvoller als eine fette Wurst. Oder etwa nicht?
Es ist ein weitverbreiteter Irrglaube, ein einzelnes Lebensmit- WIEGEN, TAGEBUCH
tel als gesund oder ungesund beziehungsweise als gut oder
schlecht zu bewerten. Es gibt nämlich kein einziges Lebens- FÜHREN, VOR JEDER
mittel, das alle lebensnotwendigen Nährstoffe in einer opti-
malen Kombination enthält! Im Gegenteil, wir müssen eine MAHLZEIT EIN GLAS
recht große Bandbreite verschiedener Speisen zu uns nehmen,
um mit allen essenziellen Nährstoffen versorgt zu sein. Wis- WASSER TRINKEN
senschaftlich gesehen kann man nur die Lebensmittelauswahl
über einen längeren Zeitraum bewerten und sich folglich fra-
gen: Stimmt die mittlere Kalorienaufnahme? Sind genügend
lebensnotwendige Nährstoffe enthalten? Ist die Zusammen- Gewichtsabnahme von 20 und 30 Kilogramm. In dieser Zeit
setzung von Fetten, Kohlenhydraten und Eiweiß optimal? Ein- gibt es keine normalen Lebensmittel, nur fünf Portionen For-
zelne Lebensmittel stellen von alldem nur eine winzige Teil- muladiät am Tag. Nach dieser Phase wird die Diät schrittwei-
qualität dar, die man nicht entsprechend und umfassend be- se wieder durch normale Lebensmittel ersetzt. Viele Teilneh-
werten kann. Ernährungsfachgesellschaften wie die Deutsche mer berichten in dieser Umstellungsphase, dass sie plötzlich
Gesellschaft für Ernährung sprechen von einem sogenannten wieder ein Sättigungsgefühl spüren. Ich kenne auch Patienten,
total diet approach. Das bedeutet, die Gesamtzusammenset- die nach Aufnahme eines Sportprogramms eine Rückkehr des
zung der Nahrungszufuhr ist für Gesundheit und Gewicht die Hunger- und Sättigungsgefühls wahrnehmen. Sowohl eine
entscheidende Größe, nicht das einzelne Lebensmittel. Um das Karenz normaler Lebensmittel während der Formuladiät als
Apfelbeispiel aufzugreifen: Wenn mir Vitamin B12 fehlt, ist der auch ein durch Sport erreichtes biologisches Leerfahren der
Apfel nutzlos, die Wurst aber nicht! Energiespeicher kann hilfreich sein, das natürliche Sättigungs-
Spielt unsere Erziehung eine große Rolle, wie viel und was gefühl zu reaktiveren.
wir essen? Gibt es ein Rezept gegen die Schuldgefühle, wenn es wieder
Natürlich, denn das, was wir im Elternhaus gelernt haben, ist nicht geklappt hat, schlechte Gewohnheiten abzulegen und
die Grundlage für Essentscheidungen im Erwachsenenalter. sich bewusster zu ernähren?
Auch hier gilt: Nicht die Informationen, die Eltern ihren Kin- Zunächst ist es hilfreich, sich zu verinnerlichen, dass der Wert
dern über das Essen vermitteln, sind entscheidend, sondern eines Menschen nicht am Body-Mass-Index hängt. Wir sind
das praktische Verhalten der Eltern selbst. Kinder lernen vom biologisch verschieden: groß, klein, schlank, kräftig und so
Vorbild. Dabei zählt das, was die Eltern tun, weit mehr als das, weiter. Natürlich dürfen wir von dem abweichen, was Wissen-
was sie sagen. Im besten Fall sind Informationen und Verhal- schaftler aus einem einzelnen Blickwinkel heraus als optimal
ten kongruent. Das ist aber oft nicht der Fall, weil sich die herausgefunden haben. So wissen wir heute auch, dass es ei-
Eltern selbst nicht an das halten, was sie von ihren Kindern nige Menschen mit Übergewicht gibt, die gar kein erhöhtes
einfordern. Kinder durchschauen das und orientieren sich Risiko für Folgeerkrankungen haben. Umgekehrt gibt es auch
dann am praktischen Verhalten von Mutter und Vater. Normalgewichtige, die zum Beispiel unter Diabetes, Bluthoch-
Sie behandeln in der Adipositasambulanz der Göttinger Uni- druck oder Atembeschwerden leiden. Also, gerade beim Essen
versitätsmedizin stark übergewichtige Patienten mit der sind Schuldgefühle fehl am Platz, da die Konstitution des Ein-
sogenannten Formuladiät. Was ist das Besondere an dieser zelnen mit seinem Essverhalten erheblich von den Normen
Diät? abweichen kann. Allerdings wird man das Ziel einer bewuss-
Das ist eine Art eiweiß-, vitamin- und mineralstoffreiche As- teren, gesünderen Ernährung oder einer Gewichtsabnahme
tronautenkost, die das normale Essen komplett ersetzt und nicht erreichen, wenn man ständig in die eine oder andere
dennoch alle wichtigen Nährstoffe enthält, dabei aber weit Richtung überzieht. Auch eine flexible Kontrolle ist eine Kon-
weniger Kalorien liefert. Sie kommt im Programm über zwölf trolle. Zu guter Letzt hat Essen einen Wert jenseits von Kalo-
Wochen ausschließlich zum Einsatz und ermöglicht eine hohe rien, Ballaststoffen und gesättigten Fettsäuren: Essen ist sozi-

72 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


aler Kitt, wenn es gemeinsam mit anderen Menschen erfolgt.
Gemeinsames Essen knüpft und stabilisiert soziale Bindungen,
die auch für die eigene Gesundheit von herausragender Be-
deutung sind.
Wenn ich ein paar Pfund zu viel auf die Waage bringe, was
soll ich tun?
Wenn es wirklich nur um ein paar Pfund geht, dann empfeh-
le ich drei einfache Dinge, die sehr wahrscheinlich hilfreich
sind und – das ist noch wichtiger – garantiert nicht schaden!
Erstens: Sich einmal pro Woche auf die Waage stellen oder den
Bauchumfang in Höhe des Bauchnabels mit einem Maßband
messen. Zweitens: Tagebuch führen über alles, was man isst
und trinkt. Entsprechende Apps auf dem Smartphone können
diese Aufgaben auch übernehmen. Drittens: Ein größeres Glas
Wasser routinemäßig vor jeder Mahlzeit trinken. Wer kann,
versucht noch mehr Bewegung in den Alltag einzubauen. Ganz
wichtig: Sie müssen diese Maßnahmen über Jahre fortführen,
wenn sie den dadurch erreichten Erfolg über lange Zeit erhal-
ten möchten.
Gibt es einen empfehlenswerten Zeitpunkt, um sich neue
Gewohnheiten anzutrainieren?
Zunächst einmal gilt: Es ist nie zu spät, etwas zu ändern. Und:
Die Übernahme neuer Gewohnheiten erfordert die Einschal-
tung des sachlich abwägenden Entscheidungssystems. Ein
Umlernen und Ändern von Gewohnheiten wird nur gelingen,
wenn wir nicht gleichzeitig zu viele andere Aufgaben bewälti-
gen müssen. Mit anderen Worten: Es ist klug, einen Zeitraum
zu wählen, in dem ich genügend Ressourcen für mich selbst
habe. Sehr hilfreich sind auch Verbündete, die mich aufmun-
tern, anspornen und mitziehen. In der Verhaltenstherapie bildungshungrig?
spricht man von sozialer Unterstützung, einem wichtigen Er- wissensdurstig?
folgsfaktor für Verhaltensänderungen. Vor allem: Der Rahmen
mit den zu erwartenden Auslösesituationen muss stimmen.
Ein Urlaub, der ganz ohne Essen gebucht wurde, eignet sich
viel besser als einer, der Essen und Getränke all-inclusive hat.
Ein Essen, das gefühlt nichts kostet, ist ein sehr starker Stimu-
lus, der alle guten Vorsätze platzen lässt. PHc

Interview: Birgit Weidt

Beratung | Soziale Arbeit | Therapie | Super-


vision | Coaching | Mediation | MBSR-
Der Arzt, Ernährungsmediziner und Privatdozent Dr. med. Thomas und AchtsamkeitslehrerIn | Systemisch
Ellrott leitet seit 2007 das Institut für Ernährungspsychologie an lösungsorientierte Therapie- und Beratungs-
der Universitätsmedizin Göttingen. Ein zentrales Arbeitsgebiet ist konzepte | HeilpraktikerIn (Psychotherapie)
die Prävention und Therapie von Übergewicht mit den vielfältigen
Seit über 40 Jahren berufsbegleitende, durch
Begleitkrankheiten. Auch die interdisziplinäre Erforschung des
Psychotherapeuten- und Landesärztekammer
menschlichen Essverhaltens zählt zu den Schwerpunkten seiner
Baden-Württemberg akkreditierte Fortbildungs-
Arbeit. 2010 erhielt Thomas Ellrott für seine Verdienste den Wissenschaftspreis des
veranstaltungen.
Verbandes für Ernährung und Diätetik.
fortbildung1.de
Christian-Belser-Straße 79a | 7059773
Stuttgart

Kostenloses Programmheft anfordern


ILLUSTR ATIONEN : SABINE KR ANZ

74 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


SELBST
KOCHEN?
MUSS NICHT SEIN
Gesund kochen ist ein Ideal, dem viele Menschen im Alltag nicht mehr
gerecht werden können. Vor allem bei berufstätigen
Frauen mit Kindern meldet sich da schnell das schlechte Gewissen.
Völlig grundlos, wie Forscher meinen

V O N E VA T E N Z E R

G
esund kochen ist Liebe“, „Homemade“, „Na- yourself-Kultur trifft auf die wachsenden Anforderungen von
türlich selbst gemacht“, „Gesund kochen und Job, Haushalt und Kindererziehung. Aufwendig zubereitete
genießen für die ganze Familie“ – Bücher und Speisen lassen sich im hektischen Alltag voller Zeitnot oft nur
Zeitschriften vermitteln eine klare Botschaft: schwer realisieren. So klaffen Anspruch und Wirklichkeit im-
Gesund sollen wir uns ernähren, am besten mer stärker auseinander. Dass das als belastend empfunden
vegan, ökologisch und nachhaltig. Und selbst gemacht soll es wird, zeigen Diskussionsforen im Internet, wo vor allem junge
im Idealfall sein. Das jedenfalls legen uns Fitness- und Gesund- Mütter offen über solche Probleme berichten – und über das
heitsratgeber sowie Magazine über das idyllische Landleben daraus resultierende schlechte Gewissen.
nahe. Dort ist von der Tischdekoration über den Braten bis Dieser Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit
zum Chutney alles perfekt und selbst hergestellt: Obst und spiegelt sich auch in den Statistiken wider. Zu Hause wird
Gemüse kommen aus dem eigenen Garten, in der Freizeit wer- immer seltener gekocht. Zwar geben die Menschen für neue
den Dinge in Handarbeit selbst produziert. Do-it-yourself- Küchen im Durchschnitt immer mehr Geld aus, zur Zeit rund
Magazine und Blogs zeigen, wie es geht. Interesse und Wille 8000 Euro. Eine tolle Küche zu haben hat den Wunsch nach
dazu scheinen durchaus da zu sein: Koch- und Gesundheits- einem tollen Auto als Statussymbol längst überholt. Gleich-
bücher sind hierzulande die meistverkauften Sachbücher; zeitig nutzen 70 Prozent der Deutschen zwischen 18 und 65
mehr als 100 Millionen Euro geben die Deutschen jährlich Jahren die Küche täglich nur bis zu 30 Minuten, etwa zehn
dafür aus. Allein Starkoch Jamie Oliver hat über zwei Millionen Prozent verbringen dort noch bis zu anderthalb Stunden. Bei
Exemplare in Deutschland verkauft. Sein veganer Kollege At- den unter 30-Jährigen finden sich durchschnittlich nur noch
tila Hildmann knackte bereits die magische Millionenmarke. sieben Produkte im Kühlschrank. Eine aktuelle Umfrage des
Entsprechend boomen TV-Kochsendungen. GfK-Instituts in Nürnberg ergab, dass die Deutschen weltweit
Während jedoch im Wohnzimmer der Fernseher heißläuft betrachtet als Kochmuffel zu bezeichnen sind. Bei der Um-
und eifrig in Kochbüchern geblättert wird, bleibt die Küche frage unter mehr als 27 000 Menschen in 22 Ländern landen
immer öfter kalt. Denn im Alltag stehen viele Berufstätige, vor wir mit einer wöchentlichen Kochzeit von nur noch fünfein-
allem wenn sie mehrere Kinder haben, vor der heiklen Frage, halb Stunden auf dem viertletzten Platz. Vor allem die Älteren
wie man all das eigentlich realisieren soll. Der Druck zur nach- über 50 tun es noch, die jüngeren Jahrgänge und Männer al-
haltigen Ernährung und zum Selbermachen in der Do-it- ler Altersgruppen deutlich seltener. Beim Wissen über Lebens-

75
KOCHEN MACHT DEN
MEISTEN MENSCHEN SPASS.
DOCH ZEITMANGEL UND
ÜBERFORDERUNG HALTEN SIE
AUS IHREN KÜCHEN FERN
mittel und der Leidenschaft fürs Kochen landen die Deutschen mit den Kollegen in der Kantine, und auch am Wochenende
im Mittelfeld. Deutlich vorne in allen Kategorien liegen üb- geht man oft lieber irgendwo essen, als selbst zu kochen. Die
rigens die Italiener. Umsätze in der Außerhausverpflegung steigen kontinuierlich.
Ähnlich aufschlussreich sind die Ergebnisse der Studie „So Daran wird sich künftig kaum etwas ändern, so das Ergebnis
is(s)t Deutschland“ eines großen Lebensmittelkonzerns von der aktuellen Zukunftsstudie „Wie is(s)t Deutschland 2030?“:
2011: Von mehr als 10 000 Befragten schaffen es 28 Prozent „Viele werden 2030 zu Hause gut schmeckende und gesunde
der Berufstätigen nur noch am Wochenende, sich so zu er- Fertiggerichte und unterwegs hochwertige Snacks zu sich neh-
nähren, wie sie es für vernünftig halten. Bereits 80 Prozent men. Essen wird in der Regel eher geliefert als selbst gekocht,
der Vollzeitbeschäftigten essen mittags außer Haus, jeder drit- zumal Wohnraum in den Städten teurer und damit die Küchen
te Berufstätige kennt keine regelmäßigen Essenszeiten mehr. kleiner werden. Sie dienen meist nur zur schnellen Nahrungs-
Gegessen wird, wenn gerade Zeit ist oder der Hunger kommt, aufbereitung.“ Die Befragung legt nahe, dass die Menschen
im Büro oder unterwegs. Und vor allem Jüngere ersetzen die künftig noch seltener zu Hause kochen werden. Zwar stehe für
traditionellen Hauptmahlzeiten immer häufiger durch Snacks. die meisten das Gemeinschaftserlebnis beim Essen noch im
Dass die Entwicklung wohl kaum gestoppt werden kann, Vordergrund, doch gehe der Trend vor allem in den Metropo-
zeigt eine Umfrage eines Küchengeräteherstellers. Der ließ für len in Richtung einer „reduzierten Versorgungsküche“.
eine Zukunftsstudie über 1000 Personen befragen und zu- Diese Veränderungen betreffen Frauen stärker als Männer.
sätzlich Medienberichte auswerten: „Megatrends wie Indivi- Zum einen sind Frauen beim Thema Ernährung sensibler als
dualisierung, demografische Veränderungen und neue Ge- Männer: 56 Prozent machen sich „sehr viele“ oder „viele“ Ge-
schlechterrollen prägen zunehmend das Zusammenleben“, danken über ihre Ernährung, bei den Männern sind das ge-
stellt die Untersuchung fest. Schon über 40 Prozent der Bürger, rade einmal 32 Prozent. Und Frauen fühlen sich trotz aller
darunter auch viele junge Paare, leben in Einpersonenhaus- Gleichstellung nach wie vor zuständig für die Essenszuberei-
halten. Eine Folge der Individualisierung sei die „asynchrone tung. Ernährungspraktiken und -verantwortlichkeiten prägen
Lebensführung“, die gemeinsame Mahlzeiten immer schwie- seit Jahrtausenden die weibliche Identität, auch wenn Restau-
riger mache. Zudem stehe der „Sisyphuscharakter von Haus- rantköche meist männlich sind und obwohl Männer zuneh-
arbeit der subjektiven Erfüllung im Weg“. Zwar beteuerten mend gerne am Wochenende für Gäste kochen – das private,
über 60 Prozent der Befragten, Kochen mache ihnen Spaß, alltägliche Kochen ohne Statusfunktion ist nach wie vor Frau-
doch der Unwille zur Organisation und die zunehmend in- ensache. Hier trifft also das traditionelle Rollenverständnis
dividuelle Lebensführung erschweren die Umsetzung im All- auf die Anforderungen des modernen, zunehmend fragmen-
tag. Fazit: Eine umtriebige berufstätige und beschäftigte Ge- tierten und individualisierten Arbeitslebens. Eigentlich wür-
neration von unregelmäßigen Essern verbringt immer weni- de man dem Ideal gern entsprechen, schafft es aber zunehmend
ger Zeit mit der Zubereitung von Mahlzeiten. nicht mehr. Kochen soll im Alltag mit einem möglichst ge-
Der Mensch muss aber essen. So nimmt im Gegenzug die ringen Arbeits- und Zeitaufwand passieren. Auf der anderen
Außerhausernährung stetig zu. Nach dem gemeinsamen Früh- Seite ist Ernährung immer auch eine Projektionsfläche von
stück gehen viele Familien getrennte Wege: Die Kinder essen Wünschen und Emotionen. Auf kaum etwas soll sie nicht po-
in der Schulmensa, Kita oder Uni oder kaufen sich in der Mit- sitiv wirken: Gesundheit, Fitness, Genuss, Status. Gemeinsam
tagspause beim Bäcker etwas auf die Hand. Die Eltern essen zelebrierte Mahlzeiten sollen soziale Beziehungen stärken, das

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33 Familien-
geschichten, die
Gefühl von Zusammengehörigkeit vermitteln und über Ritu- passieren, wenn
ale familiäre Gemeinschaft herstellen. Doch die Anforderun-
gen der Arbeitswelt werden unsere Tagesabläufe eher weiter
man sie lässt …
individualisieren, sind Experten überzeugt.
Selbst und gesund kochen ist also ein Ideal, dem viele Men-
schen im Alltag nicht mehr gerecht werden können. Vor allem
bei in Vollzeit berufstätigen Frauen mit Kindern meldet sich
da schnell das schlechte Gewissen, wie auch Forscher beob-
achten: „Gerade hochqualifizierte Akademikerinnen in an-
spruchsvollen Berufen erleben es als Stressprogramm, wenn
die Ernährungsangebote in Kitas oder Schulen unzureichend
sind“, berichtet Uta Meier-Gräwe, Professorin für Wirtschafts-
lehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft an der
Universität Gießen. Sie befragte in Tiefeninterviews rund
50 Haushalte. Besonders die jungen berufsorientierten Frauen
legen häufig einen besonderen Perfektionismus beim Kochen,
gemeinsamen Essen und Zelebrieren von Mahlzeiten an den
Tag, sind dann aber unter der Woche meist auf das Angebot
von Kantinen und Mensen angewiesen. Liefern die nun
auch noch eine unzureichende Qualität, steigt die subjektive
Belastung. Wenn das Arrivederci beim Italiener
Man könne dem allerdings durchaus positive Seiten abge- in den Ohren der Tochter zum »Ab in
winnen und Bewältigungsstrategien entwickeln, meint die For- die Dertschi!« wird, sind wir schon
scherin und rät den betroffenen Frauen (und Männern) zu mittendrin im fabelhaften Familien-
leben. Ralph Caspers und Ulrich Hoff-
mehr Gelassenheit. Es müsse nicht immer alles perfekt sein,
mann erzählen, wie der ganz normale
diese Vorstellung halte Eltern unter Druck und erschöpfe Alltag mit ihren Kindern zum Abenteuer
die Familien auf Dauer. Zudem helfe die Erkenntnis, dass wird. Sie erfinden Schlemmertage mit
Außerhausverpflegung eine stresslose Alternative für gesunde Chips satt, machen eine Flachwitz-
Ernährung sein kann (siehe Interview S. 78). Anstatt sich also Challenge, fahren mit dem Bus einfach
mal zur Endhaltestelle. Und wenn er
vom schlechten Gewissen martern zu lassen, sollten Frauen
ausfällt, erkunden sie die Straßen, statt
sich von dem verbreiteten „Gut ist nur, was selbst gemacht ist“- sich zu ärgern. 33 Geschichten über
Druck befreien. Hin zu: Gut ist, was mich zeitlich entlastet. besondere Momente, die Sie mit Ihren
Diese veränderte Haltung schützt vor Überforderung und ist Kindern erleben können, solange die
noch was mit Ihnen erleben wollen!
am Ende vielleicht sogar eine Form der Burnoutprophylaxe.
» 2016. 230 S. Illustrationen von Zwen Keller
ISBN 978-3-593-50508-0
Auch als E-Book erhältlich

77
„FERTIGNAHRUNG HAT VORTEILE“
Die Nachhaltigkeitsforscherin Christa Liedtke plädiert dafür, die akuellen
Entwicklungen zwischen heimischer Küche und Essen unterwegs positiv zu sehen

Frau Liedtke, die Hoheit über das häusliche Essen liegt seit auch Ressourcen wie Wasser und Energie verschwendet. Das
jeher in den Händen der Frauen. Wie sehr prägt diese Tradi- können größere, auf Effizienz und Geschmack ausgerichtete
tion die weibliche Identität bis heute? Küchen in der Masse tatsächlich besser, zumal die Zahl der
Immer noch sehr stark. Laut unseren Untersuchungen zur besonders ineffizienten Einpersonenhaushalte stetig steigt.
Zeitverwendung sind Frauen nach wie vor zuständig für die Sich die Vorteile der Fertignahrung und der Außerhausver-
klassischen Tätigkeiten im Haushalt wie eben die Essenszu- pf legung bewusstzumachen könnte dazu beitragen, das
bereitung. Männer eher für Reparaturarbeiten, die freilich schlechte Gewissen vieler Menschen zu reduzieren: Man muss
nicht täglich anfallen. Obwohl die für Hausarbeit verwende- nicht selbst kochen.
te Zeit insgesamt zurückgeht, nämlich in den vergangenen 15 Stirbt die Kulturtechnik des Kochens aus, wenn diese Ange-
Jahren um fast 30 Prozent, bleibt die alte Rollenverteilung im bote immer stärker nachgefragt werden?
Kern bestehen. Nun drängen Frauen aber zunehmend in die Wenn das tägliche Kochen nicht mehr als Pflichtübung oder
Arbeitswelt und auch in Vollerwerbstätigkeiten. Das schafft gar Last empfunden wird, man es stattdessen selbstbestimmt
natürlich Konflikte, weil sie immer noch zuständig sind für und bewusst tun kann, wenn einem wirklich danach ist, wird
die klassischen Tätigkeiten. es auch in Zukunft erhalten bleiben. Man wird vielleicht sel-
Viele berufstätige Frauen können nicht mehr täglich selbst tener kochen. Wir vermuten, dass es eine größere Vielfalt an
für die Familie kochen und haben deshalb ein schlechtes Lebensentwürfen geben wird: Viele Menschen werden sich so
Gewissen. Zu Recht? gut wie gar nicht mehr zu Hause ernähren, weil sie Zeit in den
Für viele Frauen ist das tatsächlich ein Riesenproblem. Sie Beruf oder andere Dinge investieren oder weil sie es einfach
kochen ja vielleicht sogar gern und zelebrieren auch gutes Es- nicht wollen. Andere wiederum werden sich aus ihrem Garten
sen in netter Gesellschaft. Aber immer weniger berufstätige mit viel Arbeit und Zeit ernähren und beteiligt sein an regio-
Frauen stehen noch jeden Tag gern in der Küche und schälen naler oder urbaner landwirtschaftlicher Produktion. Viele wer-
in ihrer knappen Freizeit Kartoffeln. Dieser Trend wird weiter den kein Problem mit technisch optimierter Nahrungsproduk-
zunehmen, das wird eher zur Normalität werden. tion oder Laborerzeugnissen haben und diese mixen mit teu-
Kann man sich vollwertig und nachhaltig ernähren, wenn rem nachhaltig produziertem Fleisch oder exotischen Lebens-
man permanent außer Haus isst? mitteln. Diese Vielfalt wird durch ein deutlich verbessertes
Leichte und gesunde Küche in öffentlichen Angeboten ist ab- Angebot bei der Ernährung außer Haus unterstützt werden.
solut möglich und auch schon vorhanden. Wir haben in Die tägliche Grundversorgung mit Lebensmitteln wird zudem
Deutschland eine gute, hochwertige Versorgungsstruktur in wahrscheinlich online möglich sein, während das Genussessen
der Verpflegung außer Haus. Das können gerade Familien, in in möglichst großer Eigenproduktion entsteht. Solange dies
denen beide Eltern voll erwerbstätig sind, zu Hause in der nachhaltig und ressourcensparend erfolgt, können wir diese
knappen Zeit oft gar nicht leisten. Vielfalt ausleben. Und das schlechte Gewissen vieler Frauen
Ihren Forschungen zufolge kann Außerhausernährung so- wird dann hoffentlich der Vergangenheit angehören. PHc

gar ökologischer, nachhaltiger und gesünder sein, als zu


Hause zu kochen oder ständig Tiefkühlkost warmzumachen.
Christa Liedtke ist Gastprofessorin an der Folkwang-Universität der Künste in Essen
Vieles im privaten Haushalt – Einkäufe, Lagerung, Kochpro-
für den Bereich Nachhaltigkeitsforschung im Design. Zudem lehrt sie Industriedesign
zess – ist ineffizient, enorm viele Lebensmittel werden weg- an der Bergischen Universität Wuppertal und leitet am Wuppertal-Institut für Klima,
geworfen, und bei vielen Tätigkeiten in der Küche werden Umwelt-Energie die Forschungsgruppe „Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren“.

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Original-Farbradierung auf Bütten. Auf- Original-Farbradierung auf Bütten. Auf- 17 x 12,2 cm, Papierformat
lage 200 Exemplare, nummeriert und lage 200 Exemplare, nummeriert und 29,5 x 22,5 cm. Säurefreies
von Armin Mueller-Stahl handsigniert. von Armin Mueller-Stahl handsigniert. Passepartout, gerahmt in
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KOCHEN IST
LEBENSKUNST

Wer überwiegend Fast Food isst, hält es nicht für wichtig,
sich mit den Konsequenzen seiner Ernährung auseinanderzusetzen. Sagt der Philosoph
Harald Lemke. Und plädiert für eine Ethik des Essens

Herr Lemke, Sie beschäftigen sich als Philosoph mit der te viele aus der Opferposition „Ich habe nicht die Zeit und das
Weisheit des Essens und fordern eine „gastrosophische Geld, bewusst einzukaufen“ heraustreten und sich für die Qua-
Revolution“. Was an unserer modernen Esskultur bereitet lität der Lebensmittel interessieren und wissen wollen, woher
Ihnen am meisten Bauchschmerzen? sie herkommen. Sie sind bereit, ihre Ernährungs- und Ein-
Essen ist keine reine Privatangelegenheit, sondern ein hoch- kaufsgewohnheiten zu überdenken, und fragen sich beispiels-
politischer Akt. Ob wir Gemüse aus dem eigenen Garten essen, weise, ob sie im Winter Himbeeren kaufen und weiter so viel
saisonales Obst aus der Region im Bioladen oder exotische Fleisch essen wollen. Sie nehmen sich die Zeit, darüber nach-
Früchte aus Übersee im Supermarkt kaufen, ob wir regelmäßig zudenken, welche Folgen mit der billigen Tiefkühlkost verbun-
selbst kochen, uns Zeit fürs Genießen nehmen oder schnell an den sind und was Fertigprodukte zu Dumpingpreisen anrich-
der Imbissbude ein Würstchen reinziehen, ob wir täglich ten. Und sie fragen sich: „Was hat es zu bedeuten, dass ich
Fleisch essen oder nur ganz selten, immer hat unser Verhalten bestimmte Lebensmittel nicht mehr vertrage? Was spielt sich
Auswirkungen. Am Essen hängen viele wichtige Fragen: Kli- in meinem Körper ab?“ Ich möchte Menschen ermutigen, sich
mawandel, Landeigentum, Gentechnik, Tierethik, Alltagskul- für das Thema Essen zu interessieren, sich dem Diktat des
tur und Gesundheit. Im Essen spiegelt sich unser Verhältnis Mainstream zu widersetzen und eine eigene Haltung zu finden.
zu unserer inneren und äußeren Natur wider, unser Verhältnis Das Zeitargument lasse ich nicht gelten. Wir hatten noch nie
zu Zeit, Geld und Werten. Fast Food ist ein klarer Ausdruck so viel Freizeit wie heute. Es geht um Prioritäten. Vielen ist es
von Desinteresse. Es bedeutet, ich halte es nicht für wichtig, offensichtlich wichtiger, in ihrer Freizeit etwas anderes zu tun.
mich mit dem Thema Essen zu beschäftigen, es ist mir egal. Für mich ist Kochen und alles, was damit verbunden ist, eine
Hauptsache, es geht schnell und kostet nicht viel. Das Bewusst- Form der Lebenskunst und eine Frage der politischen Ethik.
sein, dass wir mit dem, was wir essen, immer Stellung beziehen Da sind wir bei der Philosophie.
zu zentralen ökologischen, politischen und ökonomischen Gerade die Philosophen haben aber vor allem den Kopf be-
Fragen, ist, fürchte ich, bei vielen noch nicht entwickelt. tont und den Bauch weitgehend vernachlässigt. Nun treten
Theoretisch ist mir klar, dass es besser wäre, konsequent Sie als Philosoph an, die Esskultur zu verändern. Wie sieht
im Bioladen einzukaufen, samstags auf den Markt zu gehen eine Philosophie aus, die durch den Magen geht?
und fair gehandelten Produkten den Vorzug zu geben. Prak- Tatsächlich hat das Essen – abgesehen von Ludwig Feuerbachs
tisch finde ich mich oft abgehetzt zwischen Arbeit und revolutionärer Erkenntnis „Der Mensch ist, was er isst“ – in
abendlichem Kochen im Supermarkt und werfe schnell et- der Philosophie nur am Rande eine Rolle gespielt. Feuerbachs
was in den Einkaufswagen. Ist das nicht die Lebenssituation mutiger Auftakt zu einer Weisheitslehre des Essens blieb in der
der meisten? Philosophiegeschichte leider wirkungslos. Wenn wir jedoch
Man sollte vorsichtig sein mit Formulierungen wie: „Wir haben die Erkenntnis von der enormen Wichtigkeit des Essens ernst
wenig Zeit zum Einkaufen.“ Es ist doch interessant, dass heu- nehmen und nicht belächeln, ergeben sich daraus weltbewe-

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gende Einsichten. Ich bin der Auffassung, dass die Philosophie Das muss man absolut ernst nehmen. Essen ist eine wichtige
die gesellschaftliche Verantwortung hat, die gigantischen Pro- Lustquelle. Sobald man anfängt, über die Konsequenzen des
bleme, die unsere Ernährungskultur mit sich bringt, ernst zu eigenen Einkaufsverhaltens nachzudenken, ruft das Abwehr
nehmen. Die Ernährungswende ist genauso wichtig wie die hervor, weil eine täglich verfügbare Lustquelle plötzlich infra-
Energiewende. Wir brauchen eine neue kulinarische Intelli- ge steht. Über Jahrtausende hat es Menschen an der Üppigkeit,
genz, eine geistreiche Esskultur, die die Lebensbedingungen die uns heute jeder x-beliebige Supermarkt bietet, gefehlt. Sie
auf unserem Planeten verbessern, anstatt sie zu zerstören. Phi- konnten nur von schlaraffenlandähnlichen Zuständen träu-
losophie betont ja auch die Fähigkeit, aus alten Denkmustern men. Heute haben wir eine Schlaraffenlandkulisse, zumindest
auszusteigen, Dinge neu zu denken und so die Welt zu verän- gilt das für die kaufkräftige Mittelschicht. Jeder Kunde taucht
dern – zum Beispiel indem wir eine neue Ethik des Essens beim Eintritt in einen durchschnittlich bestückten Supermarkt
entwickeln. Und umgekehrt eignet sich Essen hervorragend, in eine traumartige Scheinwelt der einzigartigen Überfülle und
philosophisch aktiv zu werden, weil Essen viele zentrale phi- Schlemmerei ein. Aber es ist ein künstliches Paradies mit struk-
losophische Kategorien berührt, etwa Willensfreiheit, Gerech- turell subventionierten Preisen. Das muss man sich klarma-
tigkeit, Glück und Fragen des guten Geschmacks. chen. Die Preise im Supermarkt spiegeln nicht die realen Kos-
Apropos Freiheit. Sie fordern, möglichst auf Fleisch zu ver- ten der Lebensmittel wider. In einer Welt der begrenzten Res-
zichten. Für viele klingt das vermutlich sehr radikal und sourcen hat sich unser tägliches Essen zu einer Katastrophe
nach Einschränkungen ihrer persönlichen Freiheit. größeren Ausmaßes entwickelt, weil jeder viel mehr konsu-
Es lässt sich nun mal nicht leugnen, dass unsere fantasiearme miert und wegwirft, als Menschen es jemals zuvor getan haben,
Fleischküche die Ursache für zahlreiche Probleme ist. Das Leid und viele Lebensmittel aus weit entfernt liegenden Teilen der
der Tiere in den Fleischfabriken, die Zerstörung der Regenwäl- Welt herbeigeschafft werden. Mir geht es jedoch nicht um mo-
der für den Anbau von Futterpflanzen, die Klimaerwärmung ralinsauren Verzicht, sondern um eine andere Lust am Essen.
durch Massentierhaltung, die Gesundheitsschäden durch zu Gerade beim Essen kann man ethische Einsichten und Ver-
viel Wurst- und Fleischkonsum. Hinzu kommt die alarmie- pflichtungen mit Genuss und Kreativität verbinden. Anders
rende Zahl von Adipositaserkrankungen. Wir wissen längst zu kochen und zu essen bringt neue Erfahrungen mit sich, die
mehr, als uns lieb ist, wie viel unappetitliche Wahrheit in einer lustvoll und bereichernd sein können. Was müssen wir mit
handelsüblichen Wurst steckt. Dennoch lassen sich die Deut- Tomaten anstellen, um die Welt zu verbessern? Wie zaubert
schen im Durchschnitt 170 Gramm Wurst und Fleischwaren man aus Artischocken einen guten Fond, der keinen Kalbs-
pro Tag schmecken. Das sind 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr. knochen braucht? Das sind gastrosophische Zukunftsfragen,
Wenn wir nicht auf den Genuss von Fleisch verzichten wollen, die uns weiterbringen.
sollten wir zumindest weniger davon essen. Eine zentrale Auf- Ist die gastrosophische Revolution nicht schon in vollem
gabe der gastrosophischen Selbstbesinnung besteht darin, ein Gange? Zumindest in den Großstädten eröffnet ein Biosu-
vernünftiges Maß zu bestimmen. Ein vernünftiges Maß liegt permarkt nach dem anderen, und vegan ist der neue Trend.
wahrscheinlich bei weniger als einer Fleischration pro Woche. Tatsächlich hat sich in den letzten 20 Jahren eine lebhafte Al-
Und jetzt zur sogenannten Freiheit: Wenn jemand fünfmal ternativkultur entwickelt. Die gesellschaftlichen Kräfte, denen
die Woche Fleisch isst, hat das mit Freiheit wenig zu tun. ethisches Essen ein Anliegen ist, sind gewachsen. Mir ist eine
Was als Freiheit des Privatvergnügens beim Essen postuliert vegane Ernährungsweise etwas zu dogmatisch und zu mora-
wird, ist ein gesellschaftliches Konstrukt. Je dicker das Steak, lisch. Die Gastrosophie verbindet politische Moral mit Genuss
desto wichtiger der Esser. Das ist die Tradition, in der wir und ein gutes Gewissen mit gutem Geschmack. Dazu gehört,
stehen. Wenn ich unbedingt Fleisch essen muss, ist das vor auch mal ein Stück Fleisch zu essen oder sich etwas Ungesun-
allem eine bloße Gewohnheit, mit der ich aufgewachsen bin. des zu erlauben. In der Sache aber haben die Veganer recht.
Es sind buchstäblich eingefleischte Werte, die ich dann Würden wir uns tendenziell vegan ernähren, hätten wir viele
verteidige und die gleichwohl nichts weiter sind als gesell- Probleme gelöst, und die Menschheit hätte eine Zukunft.
schaftliche Konventionen. Vegan wird aber auch als Lifestyle verkauft. Man geht zum
Ich kenne viele, die mittlerweile bereit sind, ihre Ernäh- Yoga, trägt Biobaumwolle und trinkt Sojamilch im fair ge-
rungsgewohnheiten kritisch zu prüfen, aber fast alle reagie- handelten Kaffee. Wie viel Ethik steckt da noch drin?
ren mit Abwehr, wenn jemand ihnen vorschreiben will, was Es ist interessant, dass dieser Trend, der eigentlich positiv ist,
sie essen dürfen und was nicht. Ist diese Abwehr nicht auch eine Menge Abwehr erzeugt, auch bei Menschen, die offen sind
verständlich? für eine andere Esskultur und eine andere Lebensweise. Ein

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sozialpsychologischer Aspekt ist, dass der vegane Trend jeden mittel- und Agrarkonzerne so weitermachen wie bisher. Aber
mit sich selbst und dem eigenen Verhalten konfrontiert. Viel- das darf keine Ausrede sein, sich selbst zurückzulehnen, mit
leicht spürt man, dass die anderen offenbar schneller umden- den Schultern zu zucken und zu sagen, ich kann ja sowieso
ken und ihr Verhalten ändern können als man selbst. Die so- nichts machen. Natürlich kann ein Einzelner allein nichts aus-
ziale Wahrnehmung wäre dann: Aha, du gehörst also auch richten. Nur wenn viele ihre Ess- und Einkaufsgewohnheiten
noch zu diesen verantwortungslosen Wurstessern und Welt- ändern, entsteht daraus auch eine die Gesellschaft verändern-
vernichtern … So etwas setzt einen unter Zugzwang. Denn de Kraft. Beim Einkauf entscheiden wir, welche Wirtschaft wir
viele wissen, dass sich unser aller Ernährungsweise in diese wollen.
Richtung entwickeln sollte. Und tatsächlich entwickelt sich aus Sie lehren in Hamburg und Salzburg und sind für Gastpro-
dem veganen Trend auch ein neuer Statusbegriff. In Zahlen fessuren in Kyoto oder Shanghai viel unterwegs. Wie leben
gesprochen, reden wir jedoch über einen verschwindend klei- Sie das, was Sie als Gastrosoph propagieren?
nen Bevölkerungsanteil, der sich so ernährt. In der öffentlichen Ich bin für eine 80:20-Ethik. Zu 80 Prozent sollte man versuchen,
Wahrnehmung ist der Trend viel ethisch korrekt einzukaufen und
größer und präsenter. selbst zu kochen und gleichzeitig
Glauben Sie, dass sich dieser undogmatisch zu bleiben. Wenn
Trend durchsetzen wird? MAN BRAUCHT es schnell gehen muss, kann man
Wünschenswert wäre es, aber ich durchaus mal auf Fast Food zu-
bin da vorsichtig. So zu leben, FÜR EINE GUTE rückgreifen. Das tue ich regelmä-
kann man sich nicht einfach kau- ßig, wenn ich auf Reisen bin. So-
fen wie ein Öko-Auto oder ein ESSKULTUR NICHT bald ich nicht in meinem strate-
Fairtrade-Kleidungsstück, man gisch durchdachten Hamburger
muss dafür schon etwas mehr SEIN GANZES Alltag bin, wo ich in der Nähe
tun. Nämlich sich Tag für Tag ei- alle erwünschten Lebensmittel
ne neue Esskultur angewöhnen. LEBEN IM GARTEN bekomme, stoße ich an Grenzen.
Die Philosophie hat oft den Feh- Dann gehe ich essen, und natür-
ler gemacht, einem ethischen ZU VERBRINGEN lich finde ich nicht immer ein
Idealismus aufzusitzen. Die blo- vegetarisches Biorestaurant. Das
ße Erkenntnis, dass uns bisher ist nicht weiter schlimm. Die Aus-
eine Ethik des Essens gefehlt hat, bedeutet noch lange nicht, nahme bestätigt die Regel. Die große Linie muss stimmen. An-
dass diese Ethik, wenn sie formuliert ist, auch umgesetzt wird. sonsten habe ich mir mein Leben so einrichten können, dass
Die gesellschaftliche Realität ist viel komplizierter, weil Ver- ich mir für die Hauptmahlzeit des Tages gute zwei Stunden
antwortungsgefühle und moralische Überzeugungen nur eine reserviere fürs Vorbereiten, Kochen und Genießen. Außerdem
Option in unserem Leben sind neben vielen anderen Optio- baue ich, zusammen mit anderen, einige Grundnahrungsmittel
nen. Auch wenn wir klare Maßstäbe entwickeln für gutes Essen, selbst an. Das urbane Gärtnern ist natürlich nicht jedem gege-
kümmern sich die Menschen nicht zwangsläufig darum. Wir ben. Wie auch immer: Was ich als gastrosophisches Alltagsleben
sind komplexe Wesen. Ethik ist eine Sache, aber Egoismus, einübe, ist wahrlich nichts Abgehobenes. Dieser „Lifestyle“ hat
Gleichgültigkeit, Konkurrenzdenken und Bequemlichkeit sind nichts mit teurer und zeitaufwendiger Gourmetküche zu tun.
auch da und konkurrieren mit ethischen Ansprüchen. Man braucht für eine gute Esskultur nicht sein ganzes Leben im
Offensichtlich brauchen wir auch die Fähigkeit, zu verdrän- Garten und am Herd zu verbringen. Die gastrosophische Er-
gen. Wenn ich mir immer klarmache, dass ich mit dem Kauf nährungswende, von der ich träume, ist absolut alltagstauglich.
einer konventionellen Milchtüte oder einer Mango das Kli- PHc

ma ruiniere, die Bauern schröpfe und den Hunger in der Welt Interview: Birgit Schönberger
verstärke, bin ich nicht mehr alltagstauglich.
Wir wissen, dass unser Wohlstand nur auf Kosten des Elends Harald Lemke ist habilitierter Philosoph und leitet als Direktor das
anderer möglich ist. Mit diesem Sachverhalt leben wir. Würden Internationale Forum Gastrosophie. Er lehrt Philosophie unter
anderem an den Universitäten Hamburg und Salzburg, mit Gast-
wir uns die Zusammenhänge immer mal wieder bewusstma-
professuren in Kyoto und Shanghai. Sein aktuelles Buch Über
chen und auch tatsächlich darüber sprechen, würde sich viel- das Essen. Philosophische Erkundungen ist im Wilhelm-Fink-
leicht doch etwas ändern. Natürlich wollen die großen Lebens- Verlag erschienen.

83
MAHLZEIT!
Sie wollen sich keine Gedanken mehr darüber machen, ob das,
was Sie essen, auch vernünftig und gesund ist? Sie wollen die ständige Sorge
um Ihr Gewicht loswerden? Das ist machbar

VON ANNA ROMING

84 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


A
ngeborene und erworbene Geschmacksprä- Wem es schwerfällt, so lange auf seine Leibspeisen zu ver-
ferenzen, die im Laufe des Lebens konstante zichten, bis sich der Geschmack verändert hat, kann zu einem
Verstärkung erfahren, nehmen entscheidend Trick greifen. Ernährungswissenschaftler sprechen vom flavor-
Einfluss auf die Zusammenstellung unseres flavor learning, wenn zwei Geschmacksrichtungen – die zu
Speiseplans. Wenn wir einmal ein bestimm- verlernende und die zu erlernende – miteinander kombiniert
tes Repertoire an Nahrungsmitteln kennengelernt haben, sinkt werden. Ein Beispiel: Angenommen, Ihr Kind mag Kartoffel-
unsere Bereitschaft und unser Verlangen, Neues zu probieren brei, aber es hasst Brokkoli. Mixen Sie den Brokkoli unter den
und in unseren Speiseplan aufzunehmen. Das ist jedoch noch Kartoffelbrei – und lassen Sie nach und nach den Brei weg. Sie
lange kein Grund, sich mit seinem Essverhalten abzufinden werden sehen: Ihr Kind isst den Brokkoli auch ohne den ge-
und eine Ernährungsumstellung gar nicht erst zu versuchen. liebten Kartoffelbrei!
Geschmackspräferenzen können verändert werden – voraus- Aber nicht nur der Geschmack einer Speise ist ausschlag-
gesetzt natürlich, man will es. So wie man gelernt hat, bestimm- gebend dafür, ob und wie viel man davon isst: Auch äußere
te Speisen zu mögen, so ist es möglich, diese Vorlieben wieder Faktoren haben Einfluss auf den Appetit.
zu verlernen. Wie dieses Umlernen funktioniert, haben Ernäh-
ES GIBT KEINE GUTE ODER
rungswissenschaftler erforscht:
SCHLECHTE ERNÄHRUNG
MIT GEWOHNHEITEN BRECHEN Menschen ohne Gewichtsprobleme glauben nicht, dass es eine
Man kann sich an „vernünftigere“ Speisen gewöhnen. Das ha- Sünde ist, ein Stück sahnigen Käsekuchen zu essen, wenn es
ben amerikanische Wissenschaftler in einer Reihe von Expe- sie danach gelüstet. Für sie gibt es keine gute und keine schlech-
rimenten belegt: Kindern, die normalerweise keinen Käse te Nahrung. Dementsprechend fühlen sie sich auch nicht „gut“,
mochten, wurden verschiedene Käsesorten vorgesetzt. Jede wenn sie Gemüse und Obst gegessen haben, oder „schlecht“,
Käsesorte bekamen sie unterschiedlich oft zu kosten: eine Sor- wenn ihnen eine Tafel Schokolade geschmeckt hat. Schlanke
te 5-mal, eine weitere 10-, eine dritte 20-mal. Bereits nach 10 wissen: Nahrung ist Nahrung. Sicher, manche Lebensmittel
Versuchen begannen die Kinder den Käse zu mögen. sind nahrhafter als andere, manche liefern mehr Energie, man-
In einem ähnlichen Experiment wurden junge Erwachsene che sind für den Körper ziemlich wertlos, schmecken aber wie
gebeten, verschiedene Fruchtsäfte zu probieren, wobei auch „bei Muttern“ und nähren daher die Seele. Schlanke Menschen
ihnen die einzelnen Geschmacksrichtungen unterschiedlich essen, wonach ihnen ist. Sie vertrauen darauf, dass Körper und
oft angeboten wurden. Am Ende schmeckte den Versuchsper- Seele genau wissen, was sie brauchen.
sonen jener Saft am besten, den sie am häufigsten kosten muss-
NUR HUNGRIG ESSEN
ten. Wer seine Essvorlieben ändern will, sollte also die jeweili-
ge Speise möglichst häufig essen. Besonders gut schmeckt das Essen auch, wenn man großen
Bestätigen können diesen Effekt wohl all jene, die auf ärzt- Hunger hat. Die Speisen, die man mit wahrem Heißhunger
lichen Rat eine salz- oder fettarme Diät halten. Am Anfang isst, sind einem meist die liebsten. Das Problem hierbei ist:
schmeckt das Essen fade, doch bereits nach wenigen Wochen Viele Menschen sind nicht mehr in der Lage, zwischen Hunger
hat man sich daran gewöhnt. Ja, normal gesalzene oder fette und Appetit zu unterscheiden. Eine Minute, bevor man ein
Speisen schmecken jetzt sogar abscheulich, und man kann Hungergefühl spürt, sinkt der Blutzuckerspiegel leicht ab. Das
nicht verstehen, wie man jemals so etwas hat essen können. Tief dauert etwa 12 Minuten, dann steigt der Blutzucker im
Auch umgekehrt funktioniert dieser Effekt: In einem Versuch Spiegel wieder an. Dieser Prozess geschieht mehrmals über den
gab man Freiwilligen jeweils eine Extraprise Salz (10 Gramm) Tag verteilt, und zwar unabhängig davon, ob man etwas isst
ans Essen. Nach einer Weile stieg ihre Vorliebe für Salziges an. oder nicht. Man muss also nicht unbedingt etwas gegen den
Andere Teilnehmer bekamen dagegen nur Salztabletten ver- „kleinen Hunger“ tun, um das Tief zu überwinden, man kann
abreicht, sie konnten das Salz also nicht schmecken. Bei dieser ihn auch „aussitzen“.
Gruppe war kein Effekt zu beobachten. In Experimenten mit Ratten, die ein Blutzuckertief ohne
Will man also bestimmte Nahrungsmittel oder Gewürze Futter überstehen mussten, zeigte sich, dass sie danach nicht
auf Dauer in seinen Ernährungsplan aufnehmen, braucht man hungrig waren und erst beim nächsten Absinken des Blutzu-
etwas Geduld. Erst wenn man über einen gewissen Zeitraum ckerspiegels, zwei oder drei Stunden später, etwas fressen woll-
hinweg einen Geschmack erlebt, kann man sich so daran ge- ten. Dies erklärt, warum man, wenn man mal eine Mahlzeit
wöhnen, dass man ihn immer wieder schmecken will. vor lauter Arbeit oder Stress vergessen hat, trotzdem kein quä-

85
lendes Hungergefühl verspürt. Bis zu dreimal hintereinander men. Wenn man es versäumt, dem Körper eine Brandbreite
kann man die Blutzuckertiefs abwarten, erst dann wird an Geschmacksrichtungen anzubieten, wird er irgendwann
der Hunger unerträglich. Wer Schwierigkeiten hat, zwischen mit „Heißhunger“ auf eine bestimmte Speise reagieren.
Hunger und Appetit zu unterscheiden, kann den Test mit
DEN PSYCHOLOGISCHEN HUNGER AUSTRICKSEN
seinen „Tiefs“ machen: Nicht gleich beim ersten Hunger-
gefühl für Nachschub sorgen, denn vielleicht will nur der Der psychologische Hunger ist die große Falle für alle, die
Appetit verführen. mit ihrem Gewicht nicht zufrieden sind. Sie essen nicht,
Und es gibt noch ein zweites Unterscheidungsmerkmal: weil sie hungrig sind, sondern um ihren Frust loszuwerden, aus
Wenn es Hunger ist und nicht Appetit, dann hat man in der Langeweile oder um Stress zu reduzieren. Normalgewichtige
Regel kein Verlangen nach Süßem, sondern nach einer „hand- kennen diesen Hunger auch. Doch nur in Ausnahmefällen
festen“ Mahlzeit. In Tierversuchen konnten amerikanische
Wissenschaftler beobachten, dass Laborratten bei großem
Hunger niemals das angebotene süße Futter fraßen, sondern
sich ihrem normalen Laborfutter zuwandten. Dagegen wurde
das süße Futter bevorzugt, wenn die Ratten kaum hungrig
waren. Möglicherweise, so spekulieren die Forscher, gibt es
eine Abneigung gegenüber Süßem, wenn man richtig hungrig GENIESSER MÖGEN
ist. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass man das Des-
sert am Ende einer Mahlzeit isst? Möglich. Amerikanische KEINE NAHRUNG,
Ernährungswissenschaftler haben jedoch in ihren Studien ei-
nen anderen Grund dafür gefunden: DIE AUS DER
FÜR ABWECHSLUNG SORGEN HAND, IM STEHEN
„Jetzt noch etwas Süßes“ oder „Etwas Salziges wäre nicht
schlecht“. Obwohl man längst satt ist, hat man noch Gelüste. ODER WÄHREND
Der Grund für diese Unersättlichkeit ist das Bedürfnis nach
sinnlicher Geschmacksvielfalt. Jeder Mensch isst „über den EINER AUTOFAHRT
Hunger“, wenn er die Auswahl unter verschiedenen Ge-
schmacksrichtungen hat. So verspeisten Menschen in einem VERSPEIST
Experiment um etwa 60 Prozent mehr, wenn sie ein Viergang-
menü bekamen, als wenn sie sich mit nur einer Mahlzeit be- WERDEN KANN
gnügen mussten.
Abwechslung regt den Appetit sogar dann an, wenn sie nur
scheinbar ist, wie eine weitere Untersuchung zeigte: Versuchs-
personen aßen auch dann etwa 15 Prozent mehr, wenn ihnen
ein und dasselbe Nudelgericht in drei verschiedenen Varianten
angeboten wurde. versuchen sie ihn mit Nahrung zu besänftigen. US-amerikani-
Dass man am Ende einer Mahlzeit immer noch Platz für sche Forscher haben schlanke Menschen gefragt, wie sie diese
ein Dessert hat und viele nur unter großer Willenskraft darauf Situationen managen. Sie erhielten unter anderem folgende
verzichten können, verdanken wir dem Bedürfnis nach Ge- Antworten:
schmacksvielfalt. Wir sind zwar satt – satt von würzigen und „Wenn ich mir selbst Gutes tun will, dann lese oder schrei-
salzigen Speisen –, aber wir sind immer noch „hungrig“ nach be ich.“
Süßem (siehe auch Seite 26). „Manchmal mache ich mir eine heiße Tasse Tee oder
Als Konsequenz aus dieser Erkenntnis raten Ernährungs- eine heiße Milch und esse Kekse dazu. Oder ich nehme ein
wissenschaftler zu einer bewussten Speisenkombination. Bad, gehe zur Kosmetikerin oder kuschle mich ins Bett und
Man sollte Rücksicht nehmen auf das Bedürfnis nach sinnli- sehe fern.“
cher Abwechslung und die Speisen so zusammenstellen, „Wenn es mir nicht gutgeht, genehmige ich mir ein
dass möglichst viele Geschmacksrichtungen darin vorkom- Glas Wein.“

86 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


„Selten esse ich Schokolade. Lieber höre ich Musik oder
meditiere.“
„Nahrung ist für mich kein Trostmittel. Ich treibe
lieber Sport.“
ANDERS
EIN HEIKLER ESSER WERDEN ESSEN
Lassen Sie Essen stehen, weil es Ihren Erwartungen nicht ent- Ein 10-Punkte-Programm
spricht? Finden Sie es in Ordnung, ein Stück Kuchen zu be-
stellen, aber nur die Hälfte davon zu essen? Wenn Sie Fragen „Erfahrungsgemäß sind die Betroffenen selbst Ex-
wie diese mit „Ja“ beantworten, haben Sie wahrscheinlich kein perten, was Diäten und Ernährung betrifft.“ Dieser
Gewichtsproblem. Schlanke Menschen sind heikle, wähleri- Ansicht ist die Bundeszentrale für gesundheitliche
sche Esser. Ist das Essen nur lauwarm, lassen sie es stehen, ist Aufklärung (BzgA). Zwar sei bei vielen Menschen
kaltes Essen nicht wirklich kalt, verzichten sie darauf. Obst dieses Wissen durch jahrelanges falsches Ernäh-
und Gemüse müssen frisch, Knuspriges knusprig sein, ansons- rungsverhalten verschüttet, doch es könne wieder
ten sagen sie lieber „nein danke“. Wenn sie sich im Lokal eine aktiviert werden. Wie? Am besten, so die BzgA, in-
Nachspeise bestellen, die sich dann als enttäuschend heraus- dem man sich eine Antidiäthaltung zulegt und ver-
stellt, essen sie diese nicht auf. Normalgewichtige machen beim nünftige Vorsätze fasst, wie beispielsweise folgende:
Essen keine Kompromisse. Erziehungsregeln aus ihrer Kind-
heit wie „Iss den Teller leer“, „Nahrungsmittel schmeißt man
1 Ich mache keine Diät mehr
nicht weg“ oder „Sei nicht so heikel“ haben keine Macht mehr
über sie. 2 Ich identifiziere meinen Hunger: Wann
Auch Kinder sind häufig heikle Esser, und das aus gutem habe ich Hunger? Worauf richtet er sich?

Grund. Eltern stöhnen oft, dass ihre Drei- oder Fünfjährigen 3


3 Es gibt keine verbotenen
immer nur dasselbe essen wollen und für neue Speisen nicht Lebensmittel mehr
zu begeistern sind. Dabei ist dieses Verhalten völlig normal:
4 Ich esse alles langsam, ich schmecke alles
Im Alter von drei bis fünf Jahren können sich Kinder ihre
und genieße es
Nahrung selbst aussuchen, aber sie sind noch nicht alt genug,
um entscheiden zu können, was „sichere“ Ernährung ist und 5 Ich habe ein Recht auf Essen
was nicht. So greifen sie aus Vorsicht zu Vertrautem. Pingeliges 6 Ich achte darauf, dass die Nahrungsmittel,
Essverhalten von Kindern ist in den meisten Fällen eine vor- die ich will, immer ausreichend vorhanden
übergehende Erscheinung und kein ernsthaftes Problem. Psy- sind, dann kann ich auch aufhören, wenn
chologen warnen Eltern, ihre Kinder zu bestimmten Nah- ich satt bin
rungsmitteln zu zwingen oder sie zu verbieten. Auf diese Wei-
7 Ich bin zufrieden mit kleinen Schritten,
se könnten sie Essstörungen Vorschub leisten. In Studien Rückfälle analysiere ich und lerne daraus
wurde nachgewiesen, dass Kinder, die zuerst ihren Spinat
aufessen mussten, ehe sie den Nachtisch bekamen, eine Ab- 8 Ich beobachte meine Essensmuster, die
Umstände und Gefühle, die ich beim Essen
scheu gegenüber Gemüse entwickelten und eine besondere
habe, in allen Einzelheiten
Vorliebe für Süßes.
9 Ich esse nicht alles auf und prüfe:
SICH ZEIT NEHMEN Was passiert, wenn ich Essen übrig lasse,
Menschen ohne Essprobleme mögen kein Fast Food oder Nah- wer ist oder war gekränkt?
rung, die aus der Hand, im Stehen, während einer Autofahrt 10 Ich esse nicht, wenn ich keinen
10
verspeist werden kann. Sie essen möglichst nur am gedeckten Hunger habe
Tisch und wenn sie wirklich Zeit für die Nahrungsaufnahme
haben. Mindestens 20 Minuten sollten für eine Mahlzeit schon
zur Verfügung stehen. Das langsame Essen ist nicht nur für
den Genuss wichtig, es ist auch Voraussetzung für die Wahr-
nehmung des Sättigungssignals. PHc

87
MEDIEN REDAKTION: ANKE BRUDER

Ernährungstrends ade ILLUSTR ATIONEN : JONI MA JER

Sollen wir weniger Zucker essen, weniger Buch Schluss mit Ernährungstrends: Sie dürfen mehr, als Sie
Salz, weniger tierische Lebensmittel, mehr denken. Außer Fertiggerichte skizziert er die Grundlagen einer
Gemüse und Obst oder am besten gleich gesunden Ernährung und erklärt, wie man es schaffen kann,
vegan – oder doch lieber viel, viel Fleisch sich Tag für Tag daran zu halten. Aber nicht nur das: Katz
wie bei der Paleodiät? Was ist denn nun ge- widmet auch der körperlichen Fitness zwei Kapitel seines Bu-
sund? Eigentlich, so schreibt David L. Katz, ches. Denn er ist überzeugt davon, dass unser Lebensstil we-
Experte für Präventivmedizin und Ernäh- sentlich unser Risiko für chronische Erkrankungen wie Dia-
rungswissenschaftler an der Yale-Universität, ist es doch ganz betes oder Herz-Kreislauf-Leiden beeinflusst. Und über unse-
einfach: „In den meisten dieser Theorien, wenn nicht sogar in ren Lebensstil entscheiden wir jeden Tag aufs Neue.
allen, steckt ein Körnchen Wahrheit.“ Und weiter: „Die Basis
einer gesunden Ernährung ist weitreichend bekannt.“ Er ist
sich sicher, dass vor allem ein Zuviel schlecht ist: zu viel Zucker, David L. Katz: Schluss mit Ernährungstrends. Sie dürfen mehr, als Sie denken. Außer
zu viel Fett – und vor allem zu viele Fertigprodukte. In seinem Fertiggerichte. Mosaik, 400 S., C 14,99. Das Buch erscheint am 14. März 2016.

88 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Warum essen wir,
obwohl wir satt sind
Wir kompensieren unsere Sehnsüchte,
etwa nach mehr Schlaf, Sex, Erfolg
oder Zuwendung, mit falschen Ess-
und Verhaltensmustern, meint Alex-
andra Jamieson. In ihrem Buch Frau-
en, Essen, Sehnsüchte ermutigt sie, sich
der Frage „Was willst du?“ zu stellen.
Jamieson weiß, wovon sie schreibt. Sie berichtet aus der
Sicht einer erfahrenen Gesundheitsberaterin, allzu viel
psychologischen Tiefgang sollte man nicht erwarten.
Ihre eigene Geschichte mag an einigen Stellen hilfreich
sein, insgesamt hätten dem Buch jedoch weniger auto-
biografische Exkurse gutgetan. Nicht jede Leserin inte-
ressiert sich für Jamiesons Ausflüge in die Sadomaso-
welt, und das Pathos, mit dem sie ihre Ratschläge an die
Digitale Esshilfe
Frau bringt, dürfte sich an der Schmerzgrenze vieler Wer weniger oder gesünder essen möchte, findet im Er-
Leser bewegen („Atemberaubend heißen Sex zu haben nährungstagebuch MyMiracle einen digitalen Helfer. Eine
bringt unserer Gesundheit viele Vorteile“). Lebensmitteldatenbank, eine Rezeptsammlung und ein
Sportrechner helfen beim Kalorienzählen. Das Programm
Alexandra Jamieson: Frauen, Essen, Sehnsüchte. So bringen Sie Ihre Gefühle
errechnet die „Punkte“, die man täglich zu sich nehmen
und Gelüste in Einklang. Knaur 2015, 320 S., C 19,99
darf, und bezieht auch sportliche Aktivitäten mit ein. Ein
Forum, eigene Blogbeiträge von Mitgliedern und ein Diät-
lexikon runden das Angebot ab. Die Seite funktioniert auf
dem Computer, dem Tablet und dem Smartphone. Die Ba-
sisversion ist kostenlos.

https://www.my-miracle.de/

Dick von einem Apfel am Tag?


Nadja Hermann, Doktorin der Psychologie und Verhaltenstherapeutin, hat Abitur auf
einem ernährungswissenschaftlichen Gymnasium gemacht und ihre Diplomarbeit zum
Thema Diäten verfasst. Trotzdem wog sie mit 30 Jahren um die 150 Kilo. Bis ihre Unzu-
friedenheit mit dem eigenen Körper übergroß wurde und sie begann, tiefer zu recher-
chieren. Sie befasste sich mit Genen, Stoffwechsel, Diäten, Ernährung und Abnehmen
und las Studie um Studie. Stück für Stück bröckelte ihre „Fettlogik“, an die sie bisher
geglaubt hatte – Mythen und Halbwahrheiten rund ums Thema Übergewicht. Zum Bei-
spiel: „Darmbakterien machen dick!“ „Ich habe an einem Tag nur einen Apfel gegessen und davon zuge-
nommen!“ „Übergewicht ist zu einem hohen Anteil genetisch bedingt!“ Ihr Wissen hat sie jetzt in dem
Buch Fettlogik überwinden zusammengefasst. Die Auseinandersetzung mit dem Thema hat ihr geholfen
– mittlerweile liegt ihr Gewicht im Normalbereich.

Nadja Hermann: Fettlogik überwinden. Ullstein 2016, 400 S., C 9,99. https://fettlogik.wordpress.com

89
Dünne Dicke
„Natürlich schlanke Menschen reg-
lementieren sich nicht. Sie essen,
wenn sie hungrig sind – ganz gleich
zu welcher Uhrzeit –, achten nicht
auf Kalorien, Punkte oder Fettgehalt
und hören auf zu essen, wenn sie satt
sind. Sie haben ihr natürliches Ge-
wicht, ohne sich an einen Plan halten zu müssen. Genau
das fällt emotional essenden Menschen schwer“,
schreibt Maria Sanchez in ihrem Buch Der innere Weg.
Vom Essen und Leben. Sie können höchstens „dünne
Dicke“ werden, wie die Autorin sie nennt. Damit meint
sie, Menschen, die durch Reglementierung, Diäten und
Ernährungspläne ihr Gewicht im Griff haben, aber so-
fort wieder zunehmen, sobald sie diese Einschränkun-
Warum sind wir dick? gen aufgeben. Um endlich befreit von inneren und
äußeren Zwängen essen zu können, müssten die Be-
Trotz Light-Produkten und Fit-
troffenen sich intensiv mit ihrem Essverhalten ausein-
nesswelle sind immer mehr
andersetzen und die Zusammenhänge zwischen Nah-
Menschen zu dick. Warum ist
rungsaufnahme und Emotionen verstehen. Dabei will
das so? Liegt es wirklich nur an
Sanchez, die früher selbst übergewichtig war, mit ihrem
mangelnder Disziplin eines je-
Buch helfen. Denn: Schokolade hat keine Arme, um
den Einzelnen? Nein, daran liegt
uns zu halten, wenn wir einsam sind.
es ganz und gar nicht, sagt die
Filmemacherin Stephanie Soechtig in ihrer Doku- Maria Sanchez: Der innere Weg. Vom Essen und Leben. Envela 2015,

mentation Fed up – Du bist, was du isst. Schuld ist 293 S., C 24,90

ihrer Meinung nach die Nahrungsmittelindustrie,


die uns Essen verkauft, das Unmengen an Zucker
enthält. So beinhalten 80 Prozent der 600 000 Pro-
dukte, die es in amerikanischen Supermärkten zu
kaufen gibt, beigesetzten Zucker. Mit massiver Lob-
byarbeit und Einflussnahme auf Politik und Wis-
Essen für die Seele
senschaft gelingt es der Industrie, ihre Produkte „Durch richtige Ernährung zum seelischen Gleichgewicht“: Das ist
weiter ohne große Hürden in den Markt zu drücken. die Mission von Julia Ross und ihrer Website mood-cure.de. Ross,
Zwar ist der Film hauptsächlich in den USA gedreht, Psychotherapeutin und Leiterin der Nutritional Therapy Institute
vieles ist aber auf hiesige Verhältnisse übertragbar. Clinic in Mill Valley, Kalifornien, ist Spezialistin in der Behandlung
Sehr berührend zeigt Soechtig, wie übergewichtige von Essstörungen. Ihren Erkenntnissen zufolge können wir mit
Kinder und ihre Familien sich mit Diäten herum- einer individuell abgestimmten Ernährung „unsere seelische Ge-
quälen – und doch nur gegen Windmühlen kämp- sundheit zurückgewinnen“. Wer mag, lässt auf der Website sein
fen. Schockierendes Fazit von Regisseurin Soechtig: emotionales Profil mit einem Selbsttest bestimmen. Im dazugehö-
„Generationen von Kindern haben heute eine kür- rigen Buch Was die Seele essen will (Klett-Cotta) kann man dann
zere Lebenserwartung als ihre Eltern.“ nachlesen, wie sich Körper und Seele wieder ins Gleichgewicht
bringen lassen.

Fed up – Du bist, was du isst. DVD. Universum-Film 2015. Spielzeit:


96 Minuten. Ab C 12,99 http://mood-cure.de

90 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Wehret den Anfängen
Immer mehr Kinder und Jugend-
liche finden sich zu dick, obwohl
sie normalgewichtig sind. Er-
schreckend: Mindestens 20 Pro-
zent der jungen Leute in Deutsch-
land zeigen Symptome einer Ess-
störung, wobei Mädchen stärker
betroffen sind als Jungen. Dorothe Verbeek und
Franz Petermann möchten mit ihrem Buch Essstö-
rungen bei Jugendlichen vorbeugen Eltern, Lehrern
und Lehrerinnen sowie anderen Bezugspersonen
Tipps geben, woran man auffälliges Essverhalten
erkennen und wie man frühzeitig gegensteuern
kann. Viele Kinder und Jugendliche legen nämlich
Verhaltensweisen an den Tag, aus denen sich auf
Dauer eine Essstörung entwickeln kann, etwa an-
haltende Gewichtssorgen, übertriebenes Fitness-
training oder Essanfälle. Verbeek, Psychologische
Psychotherapeutin, und Petermann, Professor für
klinische Psychologie in Bremen, erklären zunächst,
was Anorexie, Bulimie und Binge-Eating-Störung
überhaupt sind, und gehen auf mögliche Ursachen
ein. Anschließend beschreiben sie verschiedene Mehr Zeit für die Liebe
Handlungsmöglichkeiten bei ersten Anzeichen; sie
Mit einem schnellen Abendessen haben
zeigen etwa auf, wie Eltern das Gespräch mit dem
Sie mehr Zeit für die Liebe und für Ihre
Nachwuchs suchen und ein normales Essverhalten
Liebsten. Wie wäre es zum Beispiel mit
unterstützen können. Die beiden Autoren betonen
Sellerie-Reis-Puffern und Avocado-
jedoch, dass bei einem Verdacht auf eine Essstörung
creme? Das Rezept dafür und weitere
unbedingt ein Arzt, Psychotherapeut oder eine Be-
finden Sie in dem Buch Feel good food von
ratungsstelle aufgesucht werden sollte.
Dörte und Jesko Wille. Ihr Credo: „Iss,
Dorothe Verbeek, Franz Petermann: Essstörungen bei Jugendlichen vor- wie es dir gefällt!“ Das Autorenduo möchte seine Leser und
beugen. Auffälliges Essverhalten erkennen und handeln. Hogrefe 2015, Leserinnen in fünf Schritten zur Wohlfühlernährung führen
132 S., C 16,95
– aber ohne erhobenen Zeigefinger, denn jeder weiß ihrer Mei-
nung nach am besten, was ihm schmeckt und guttut.

Dörte und Jesko Wilke: Feel good food. 5 einfache Schritte für eine gesunde Ernäh-
rung. Mit 80 Rezepten. Christian 2015, 192 S., C 24,99

91
Für Leckermäuler: Auf www.germanfoodblogs.de finden
Sie eine Sammlung deutscher Foodblogs mit jeder Menge
Inspiration und Rezepten zum Nachkochen
www.germanfoodblogs.de

Ernährung: Was
Nie wieder
weiß die Psychologie?
Fressattacken Auf der Website des Instituts für Ernährungspsy-
Essanfälle verursachen chologie der Universität Göttingen gibt es Informa-
großes Leid. Die Betrof- tionen rund um Essen, Ernährung und Psyche. Neue
fenen versuchen ständig Forschungsergebnisse werden vorgestellt sowie
aufs Neue, sich zu kont- Erkenntnisse über Trends im Essverhalten, die Be-
rollieren, und scheitern handlung von Adipositas und Functional Food.
immer und immer wie- Außerdem gibt es Links zu Schulprojekten und ver-
der. Weil sie sich so schä- schiedenen Fragebögen und Selbsttests.
men, essen sie meist allein und vertilgen dabei gro-
www.ernaehrungspsychologie.org
ße Mengen in kurzer Zeit. Frust, Enttäuschung und
Wut auf sich selbst sind die Folge – bis zum nächs-
ten Essanfall. Simone Munsch, Lehrstuhlinhaberin
für klinische Psychologie und Psychotherapie an
Ihr Essen ist zu süß, zu fettig, zu salzig und
der Universität Fribourg, und ihre Doktorandin
Andrea Wyssen wollen mit ihrem Hörbuch Das überhaupt zu ungesund? Macht nichts. Andere
Leben verschlingen? Strategien gegen Essanfälle einen
Ausweg aus diesem Teufelskreis zeigen. Ihr Audio-
haben gar nichts zu essen. Mit der App Share
ratgeber enthält konkrete Übungen und einen de- The Meal können Sie diesen Menschen jetzt
taillierten Zeitplan: Hält man sich genau an die
Vorgabe, ist man acht Wochen lang jeden Tag eine helfen, schnell und unkompliziert. Es braucht
Stunde mit Üben beschäftigt. Ganz schön viel, ge- nur zwei Klicks, um 40 Cent zu spenden – die
ben auch die Autorinnen zu – aber natürlich sind
sie überzeugt, dass es sich lohnt. Alle Übungen ba- ausreichen, um ein hungerndes Kind einen Tag
sieren auf der Verhaltenstherapie und haben sich in
lang zu ernähren. Share The Meal ist eine Initia-
jahrelanger Arbeit mit Betroffenen bewährt. Unter-
stützt werden die Zuhörerinnen und Zuhörer von tive des World Food Programme (WFP) der
der Sprecherin Ulrike Hübschmann, die mit ein-
fühlsamer und sehr klarer Stimme durch das Pro-
Vereinten Nationen.
gramm führt. Im beiliegenden Booklet gibt es noch https://sharethemeal.org/de
einmal eine Übersicht über die Übungen und
Tracks, außerdem Hintergründe und den Zeitplan
zum Nachschlagen sowie Kontaktadressen.

Simone Munsch, Andrea Wyssen: Das Leben verschlingen? Strategien


gegen Essanfälle. Hörbuch, 1 Audio-CD. Laufzeit: 77 Minuten.
Beltz 2014, C 19,95

92 PS YCH OLO G IE H EUTE com p a c t


Die Wiederkehr des erotisch Verdrängten
In den Filmklassikern Babettes Fest und Bella Martha öffnen Gaumenfreuden ein verborgenes
Fenster zur Seele

A
petitlich zubereitete Speisen und Getränke Nein, denn zum Glück gibt es noch den einsam ge-
sind seit jeher filmische Metaphern, um alterten Opernsänger, der sich während eines lan-
psychologische Entwicklungen auf ge zurückliegenden Besuchs in Jütland un-
der Zunge zergehen zu lassen. Zu den Klas- sterblich in Philippas schöne Stimme ver-
sikern dieses Subgenres zählen Babettes Fest liebt hat. Nach dem Scheitern der Pariser
mit Stéphane Audran als Gourmet-Artistin im Kommune schickt er nun eine politisch
Exil und die romantische Komödie Bella Martha verfolgte Köchin ins dänische Exil. Die
mit Martina Gedeck als widerspenstige Küchen- beiden Schwestern nehmen Babette bei
künstlerin. In beiden Filmen spielt das Essen die Schlüs- sich auf, ahnen aber nicht, dass diese prag-
selrolle bei einer psychologisch hinter-gründig aufgefä- matische Frau, die ihnen 14 Jahre lang
cherten Vaterproblematik. selbstlos den Haushalt führt, ein trojani-
Mit diesem Komplex scheint Martha, allein lebende sches Pferd verkörpert: die Wiederkehr
Küchenchefin eines Hamburger Edelrestaurants, so des erotisch Verdrängten.
gar keine Schwierigkeiten zu haben. Sie ist die beste Als Babette nämlich einen Lottoge-
Köchin weit und breit und eine Autoritätsperson. Als winn erzielt, bedankt sie sich bei den from-
sie aber ihre achtjährige Nichte Lina bei sich auf- men Schwestern: Mit einem Mahl, wie es in der
nimmt, die nach dem tragischen Unfalltod ihrer Mut- Kinogeschichte kein zweites Mal aufgetischt
ter keinen Bissen mehr herunterbekommt, versagen wurde. Dieses filmische Festessen transportiert
ihre Künste. Egal was Martha ihr auftischt: Mit spitzen eine subtile amouröse Botschaft: Mit am Tisch
Fingern schiebt die Kleine alles von sich. sitzt nämlich jener General, den Martine einst
Man spürt es: Diese Anorexie ist eigentlich kein Prob- zurückwies. Der gestrenge Vater hätte diese zarte
lem des aufgeweckten Kindes. Mit ihrer Essverweigerung Liebe nie geduldet. Mit dem gemeinsam zelebrier-
verweist Lina auf ein libidinöses Defizit ihrer Ersatz- ten Genuss von Babettes Haute Cuisine setzen die
mutter. Als Martha nämlich der italienische Koch platonisch Liebenden sich nun über das Gebot des
Mario zur Seite gestellt wird, macht sie dem liebens- toten Vaters hinweg, für den Religion nur ein Vorwand
würdigen Südländer, in den sie eigentlich verliebt ist, war, um seine Töchter keinem anderen Mann geben
das Leben schwer. Ein Mann in ihrem Leben? Kommt zu müssen. Der Zuschauer fühlt und schmeckt es: Mit
gar nicht in die Tüte. Doch dann reicht Mario der inzwischen dem Genuss von Champagner und Schildkrötensuppe holen
ausgehungerten Lina einen Teller Spaghetti. Prompt mampft Martine und der General symbolisch nach, was ihnen ein
das Mädchen mit großem Genuss. Ist seine Appetitlosigkeit Leben lang verweigert wurde. Liebe geht durch den Magen. In
nicht ein kulinarisches Symbol für die Sehnsucht nach einem Babettes Fest gilt das buchstäblich. Manfred Riepe
Vater, dessen Position in dem ödipalen Dreieck vakant ist?
Von einer Vaterproblematik erzählt auch die Tania-Blixen-
Verfilmung Babettes Fest, in der das Essen ebenso einen deli-
katen Subtext birgt. Das im Filmtitel genannte Fest ist nämlich Bella Martha. DVD. Pandora-Film
die Geburtstagsfeier zu Ehren des verstorbenen Gründers einer 2011. Laufzeit: 108 Minuten.
C 5,99
pietistischen Sekte. Dieser hat seinen beiden Töchtern Martine
und Philippa allerstrengste Enthaltsamkeit auferlegt – vor al-
Babettes Fest. DVD. Concorde-
lem in Liebesdingen. Jahrzehnte ziehen ins Land, und aus den Video 2005. Laufzeit: 99 Minuten.
einst schönsten Mädchen im Dorf sind alte Jungfern geworden. C 4,97

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