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1.

Einleitung
In der Sprachwissenschaft, besonders in den generativen Ansätzen, war es lange gang und
gäbe, das Sprachsystem als Kompetenz und den Sprachgebrauch als Performanz
voneinander zu trennen. Der Gebrauch der Sprache spielte bei der Untersuchung des
Sprachsystems und der Betrachtung von Grammatik keine Rolle. Gegen diese Trennung
argumentieren gebrauchsbasierte Ansätze, die davon ausgehen, dass ein grammatisches
System erst dadurch entsteht, dass es sich aus dem Sprachgebrauch abstrahiert und daher
die Untersuchung beider Bereiche nicht voneinander zu trennen ist (Diessel 2014: 1f.).
Dass sprachliche Gebrauchsereignisse aber nicht rein verbal stattfinden, sondern im
Normalfall von Gestik, Mimik und anderen körperlich-visuellen Elementen begleitet
werden, ist in den letzten Jahren immer stärker in den Fokus gebrauchsbasierter Ansätze,
wie zum Beispiel der Konstruktionsgrammatik gerückt. Dabei ist eine wichtige Frage,
inwieweit solche visuellen Praktiken im Zusammenspiel mit verbalen Konstruktionen als
sprachliche Zeichen und damit als Teil der Grammatik angesehen werden können (vgl.
Schoonjans/Brône/Feyaerts 2015: 292- 294). Obwohl es zum Thema multimodale
Konstruktionsgrammatik schon einige theoretische Darlegungen und empirische Studien
gibt, ist diese Frage noch nicht geklärt, was aber auch daran liegt, dass die
Konstruktionsgrammatik als übergeordnetes Paradigma eine Reihe von Ansätzen unter sich
vereint, die in ihren Annahmen zum Teil recht heterogen sind (vgl. Fischer/Stefanowitsch
2006: 3).
Die vorliegende Arbeit hat das Ziel, den Stand bisheriger Forschung auf dem Feld der
multimodalen Konstruktionsgrammatik in Hinblick darauf zusammenzufassen, inwieweit
Grammatik multimodal sein kann oder muss. Auf diese Weise soll in das Thema eingeführt
und ein erster Überblick gewährleistet werden. Dazu werden zunächst die zentralen
Begriffe der Multimodalität und der Konstruktionsgrammatik näher erläutert. Im zweiten
Kapitel folgt die Erläuterung des Begriffs multimodaler Konstruktionen und der
Herausforderungen, die dieser Begriff mit ich bringt. Zudem werden einige Fallstudien
zusammengefasst, um das Forschungsfeld der multimodalen Konstruktionsgrammatik
etwas anschaulicher zu machen. Abschließend erfolgt die Zusammenfassung der Arbeit.

2. Multimodalität
Bevor die multimodale Konstruktionsgrammatik unter die Lupe genommen wird, muss
zunächst der Begriff der Multimodalität geklärt werden. Einerseits versteht man unter

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Multimodalität das gemeinsame Auftreten verschiedener Modalitäten in der menschlichen
Interaktion und deren Untersuchung. Das heißt, es wird nicht nur die verbale Sprache
untersucht, sondern auch Gestik, Mimik, Körperpositionierung und Blickverhalten und
deren Beitrag zur intersubjektiven Konzeptualisierung (vgl. Deppermann 2018: 58). Es gibt
eine Unterteilung in Multimodalität im engeren und im weiteren Sinne nach Siever (2015:
263): Multimodalität im weiteren Sinne liegt vor wenn entweder nur eine Zeichenmodalität,
dafür aber mehrere Sinnesmodalitäten vorliegen oder umgekehrt. Von Multimodalität im
engeren Sinne ist dagegen die Rede, wenn sowohl mehrere Sinneskanäle und mehrere
Zeichenarten beteiligt sind. An dieser Stelle ist es wichtig, dass deutlich wird, dass mit
verschiedenen Zeichenmodalitäten nicht die Unterscheidung zwischen lautlicher Sprache
und körperlich-visuellen Ausdrucksmitteln gemeint ist. Diese werden unter einem Kode,
nämlich dem sprachlichen zusammengefasst und unterscheiden sich nur in Hinblick auf die
beteiligten Sinnesmodalitäten. Da es im Folgenden um die Verbindung von Lautsprache
und körperlich-visuellen Ausdrucksmitteln gehen soll, steht der Begriff der Multimodalität
stellvertretend für den der Multimodalität im weiteren Sinne, da keine unterschiedlichen
Kodes beteiligt sind.
Die Beschreibung multimodaler Interaktion unterscheidet sich in ihren Anforderungen
deutlich von der rein verbaler Gesprächsdaten, da verbaler und körperlicher Ausdruck –
anders als es für den verbalen Ausdruck allein möglich ist – auch simultan Bedeutung
vermitteln (vgl. Deppermann, 2018). Dabei sind beide Modalitäten s aufeinander
abgestimmt, sodass beispielsweise der stroke oft synchron mit dem verbalen Element
stattfindet, zu dem eine Bedeutungsbeziehung besteht, oder synchron mit der
Hauptbetonung der Äußerung (Kendon 2004: 124f.). Auch interpersonell ist das
gleichzeitige Stattfinden von Ausdrucksformen verschiedener Zeichenmodalität der
Regelfall. Weil auf verbaler Ebene gilt, das die Gesprächsteilnehmerinnen sich mit ihren
Äußerungen abwechseln und möglichst nicht gleichzeitig sprechen
(Sacks/Schegloff/Jefferson 1974: 700) ist es auf nonverbaler Ebene möglich und teilweise
notwendig für den Gesprächsverlauf, dass auch nichtsprechende Gesprächsteilnehmer
simultan zum Turn des Sprechenden gestikulieren und sich dadurch gesprächserhaltend
verhalten (vgl. Deppermann 2018: 63).

Auch räumlich müssen sich die Gesprächspartner_innen abstimmen, indem sie laufend
einen gemeinsamen Wahrnehmungsraum etablieren, wo visuelle Ausdrucksmittel
stattfinden und von allen Beteiligten wahrgenommen werden können (Hausendorf &
Schmitt 2018: 88). Man braucht auch geteilte Aufmerksamkeit, damit sie ihr Handeln
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koordinieren können (Deppermann 2018: 64)
Offensichtlich spielt bei multimodaler Interaktion die Körperlichkeit eine große Rolle (vgl.
ebd.: 52). Dass Potenzial verschiedener Körperteile, als Kommunikationsmittel zu agieren,
hängt direkt von ihrer jeweiligen Bewegungsfähigkeit ab. Um die entsprechenden
Bewegungen beschreiben zu können, muss klar sein, welche Bewegungen auf welchen
räumlichen Achsen sie jeweils im Normalfall ausführen können (Lanwer 2018: 8). Da
Sprechen natürlich auch ein körperlicher Vorgang ist (von Atmung über Stimmgebung bis
zur Artikulation) und durch die Artikulationsbewegungen auch eine visuell wahrnehmbare
Komponente hat (vgl. ebd.: 10), soll an dieser Stelle deutlich gemacht werden, dass im
Folgenden mit multimodalen Äußerungen solche gemeint sind, die außer die der
Artikulation lautsprachlicher Elemente, noch weitere begleitende Bewegungen wie
Handgesten, Kopfbewegungen, Veränderungen der Körperposition und auffäliges
Blickverhalten aufweisen. Zudem wird das Wort Geste als zusammenfassender Begriff für
all diese Bewegungen benutzt. Ist speziell eine Bewegung der Hände gemeint, so wird auf
diese mit dem Wort Handgeste referiert.

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