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Meiner Nichte

'Tibia Wüiurescu.

D11 zauberft oft in Deiner Heimath wort


Die Feenwelt vor meineZ Weinen Iimy
Drum nimm zum Dank RumänienZ märchenhort
In deutfcbem Aleid *von feiner Mutter hin.

M. K.
Tiefe Sammlung enthält Ueberfeßungen von bereits
in rumänifcher Sprache niedergefchriebenen Märchen, die
jedoch nur einen kleinen Theil des. unerfchöpflichen SchaheZ *
bilden- der im Volke lebt. Die Originale derfelhen
find in dcr rumänifchen Literatur zerftreut. Die bedeutendfte
rumänifche Märchenfammlung ift die des Herrn V, Jfpirescu
welcher das 2.- 5.- 6.7 8.F 11.- 13.- 16.7 17. und 18. Mär
chen in vorliegendem Buehe entnommen find. Das 15. ift
au? der kleinen Sammlung des Herrn T, M. Arfenie; die
übrigen Märchen find aus verfchiedenen Jahrgängen der
Zeitfch'rift (l0n70kbjkj biterare überfeht. Unter diefen ent
ftammen der Feder deS Herrn J. Creanga 4- 9 und 19F
derjenigen des Herrn Miron Vompiliu das 10.; während 1,
3, 77 127 20 von Herrn SlaviciF der das 14, eigenZ für
diefe Sammlung rumänifch niedcrfchrieb- dem Volke nach
erzählt worden find. .
Inhalt.
Seite
wmqmQxp-wxcay Stan Bolovan . . . . . . ,
Jugend ohne Alter und .Leben ohne Tod . 16
. Die Zwillingsknaben mit dem goldenen Stern 3()
Das Beutelchen mit zwei Dreiern 42
. Das verwunfchene Schwein . 48
. Mogarzea und fein Sohn 67
. Die fchlaue Jleane . . . . . . '75
. Die Kaifertochter und der Fifcher . 89
. Iwan mit dem Ränzel 96
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QQUPWWBD . Waldröschen . . . , . . 118
Die Stimme des Todes . . . 133
Mutters Häuschen . . . 137
Tellerchen . .
. . . . . 153
Der arme Junge .- . . . . ,. . 167
Die Alte und der Alte , . 193
.
Der Erbfenkaifer . . . . . . . . 196
, .
Der Morgenftern und der Abendftern . 204
x18, Der Wundetvogel , . . . . . 213
19. Die zwei Stieffchweftern . . 228
20. Die Fee der Morgenröthe . 238
l,

Zinn ?holt-ran.

Es war einmal„ was einmal war- wäre es nicht ge


wefen- würde es nicht erzählt,
,Am Rande des Dorfesy wo die Ochfen der Bauern
da-Z Heckenthor einbrechen und die Schweine der Nachbarn
unter den Zäunen die Erde aufwiihlenh ftand einmal ein
Haus; in diefem Haufe wohnte ein Manni und der Mann
hatte eine Frau; die Frau aber war traurig den ganzen Tag.
„Liebe Frau, was quält Dichf daß Du immer wie die
bereifte KnoÖpe im Sonnenlicht dafiheftl“ fragte ihr Mann fie
eines Tages. „Du haftf was Du brauchftf fo fei doch froh
wie andere Leute!“
„Laß mich in Ruh und frag mich nicht weiter!“ ent
gegnete die Frauf und darauf wurde fie noch trübfinniger
als zuvor. .
Ihr Mann hat fie dann noch einmal- alfo zum zweiten
Male gefragt und hat ganz diefelbe Antwort von feiner Frau
1
.

bekommen. Als er aber die Frage zum dritten Male ftetlte,


hat fie ihm de?- Längeren und Breiteren geantwortet.
„Mein Gott*: fagte fieF „waS willft Du Dir den Kopf
auch noch damit anfiillen! Wenn Du es erfährfh wirft Du
auch fo traurig fein wie ich. Es ift beffer, wenn ich es Dir
nicht faget“
Aber das verträgt der Menfch nun mal nicht. Gerade
wenn Du ihm fagft„ er foll fihen bleiben„ übertommt ihn
die Luft zu gehen mehr als zuvor. Jetzt wollte Stan erft
recht wiffem wie und was feiner Frau im Sinne lag.
„Wenn Du es denn wiffen witlfh werd ich?, Dir fagen“,
fprach die Frau. „Es ift kein Glück im Haufe„ Manm ecZ
ift kein Glück!“
„Jft die Kuh nicht fchön? Sind die Obftbäume nicht
voll wie die Bienenkörbe„ find die Felder nicht ausgiebig?“
fragte Stan. „Du fprichft ein thöricht Wort, wenn Du Dich
über etwas beklagft!“
„Aber Manm Du haft keine Kinder!“
Das hat Stan verftanden, und wenn der Menfch folch
ein Wort verfteht, ift'Z nicht gut. Von jetzt ab war im
Haufe am Rand des DorfeS ein trauriger Mann und eine
traurige Frau. Und traurig waren fie„ weilder Herrgott
ihnen keine Kinder befcheert hatte. Und wenn fie ihn traurig
fah„ wurde fie noch trauriger; und je trauriger fie war„ je
mehr nahm feine Trauer zu.
So ging daS eine lange Zeit.
In alten Kirchen ließen fie Meffen halten und Gebete
lefem bei allen Hexen fragten fie anzaber die Gabe Gottes
kam nicht!
Eines Tages, als unfer Herr Jefus Chriftus fich auf

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_3_
feiner Erdenreife befand„ fpraeh er auch bei Stan ein. Er
reifte mit dem Apoftel VetruÖh und fie wurden mit großer
Freude wie werthe Gäfte in Stan's Haufe aufgenommen,
mit den beiten Speifen genährt und die guten Reden fehlten
weder von Seiten Stan?- noih von der feiner Frau. Chriftus
hatte gefehew daß fie gute Leute warem und als er die Hafer
fiicke wieder über die Schulter warß um weiterzugehem fragte
er Sram was er fich wünfche„ damit er ihm drei Wilnfche
erfüllen könne.
„Herß gieb mir Kinder!“ antwortete Stan.
„Was foll ich Dir weiter geben?“
„Kinder, Herr„ gieb mir Kinder!“
„Nimm Dich in Acht“, fagte ihm der Herm „fonft wer
den e-Z zu viel. Haft Du genug um fie zu erhalten?“
„Gieb mir nur, Hern und frage nach nichts weiter!“
Chriftus machte fich mit St. Peter auf,*Stan aber begleitete
fie bis zum Landweg damit fie nicht etwa den richtigen Weg
verlören und fich zwifchen den Feldern und Wäldern verirrten.
Als Stan wieder zu Haufe anlangte„ fand er das Hau-Z,
den Hof und den Garten voll von Kindern. Ein-Z» neben
dem andern„ und alle zufammen nicht weniger noch mehr
als hundert, Und keins war größer als das andere fondern
eines immer kleiner alcZ das andere, eins immer raufluftigen
immer kecker„ immer durchtriebener und immer fchreihalfiger
als das andere. Und der liebe Gottt ließ den Stan fühlen
und wiffen, daß fie alle ihm gehörten und fein wären.
„Herrgottl wie viele Du mein Gott!" rief er in ihrer
Mitte ftehend:
„Aber nicht zu viele Mann“„ fagte die Frau, auch ein
Häuflein mit dringend.
1 *
_4_

Nachher aber gab es Tagef wie fie nur bei einem


Mann mit hundert Kindern fein können, Das Haus und
das Dorf waren voll von „Vater“ und „Mutter“ und die
Welt voller Freuden.
Aber ganz fo einfach ift die Gefchichte mit Kindern
nicht. Bei vieler Noth viel Freude- und viel Noth bei vieler
Freude. Als nach einigen Tagen die Kinder zu fchreien an
fingen: „Vaterl ich habe Hunger!“ begann Stan fich den
Kopf zu frauen. Es fchienen ihm nicht zu viel Kinder,
denn eine Gabe Gottes ift gut, wenn fie auch noch fo groß
iftx aber feine Speicher waren zu klein. Die Kuh wurde
mager und die Feldfrüchte reichten nicht aus.
„Weißt Du was- Alte“, fagte Stan eines Tagesf „mir
fcheint, als ob in unferer Angelegenheit nicht viel Einklang
herrfcht. Da der liebe Herrgott uns fo viel Kinder gegeben
hatt hätte er die Güte voll machen follen und uns auch
Nahrung für fie fchicken.“
„Such nur- Mann*: entgegnete ihm die Frau, „wer
weiß, wo fie verfteckt liegt. Der Herrgott macht nie ein Ding
nur halb.“
Stan ging in die weite Welt7 um die Gabe Gottes zu
finden. Er nahm fich feft dorf mit nichts anderem als Nahrung
für fie beladen nach Haufe zurückzukehren.
Hehehl aber der Weg der Hungrigen ift der aller
längfte. So eins, zweif drei verdient man nicht die Nah
rung fiir hundert gierige Kinder. Stan wanderte, wanderte,
wanderte, bis er fich die Hacken abgelaufen hatte, ohne auf
irgend etwas Gedeihliches geftoßen zu fein. Als er jeßt fo
ungefähr am Ende der Welt war, wo das» was ift- fich mit
dem- was nicht ift- vermengt- erblickte er in der Ferne auf

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einem Feldef. das ausgerollt wie ein Kuchen da lagf eine
Hürde. An der Hürde ftanden fieben Schäfer, drinnen aber
lagerte im Schatten eine Schafheerde.
„Herr- fteh' mir beiC fagte Stan und ging auf die
Hürde zu7 um zu fehen. ob er mit Geduld und Ueberlegung
nicht hier ein Gefcha'ft machen könnte. Allmählich merkte
aber Stanj daß auch hier nicht viel mehr Hoffnung war
als er da gefunden, wo er bisher gewandert. Es war näm
lich fo: an jedem Tagef gerade um Mitternacht kam ein
wüthender Drache und nahm einen Widder. ein Schaf und
ein Lamm aus der Heerdef alfo je 3 Stück Vieh. Die
Milch aber von 77 Lämmlein brachte er der alten Drachin,
damit fie fich in ihr bade und fich verjiinge , . . Und die
Hirten waren darüber empört und beklagten fich in bitteren
Worten darüber. So daß Stan fah. daß er von hier nicht
gerade überreich beladen heimkehren würde zu den Kindern.
Ja, aber es giebt keinen mächtigere Sporn. als wenn
man feine Kinder daheim hungern ficht. Stan ging ein
Gedanke durch den Kopf. und er fagte in gewagter Rede:
„Und was würdet Ihr mir gebenx wenn ich Euch von dem
gierigen Drachen befreite?“
„Von drei Widdern fei einer der Deine, von den
Schafen immer das drittej von den Lümmern aber eins Dir
und zwei uns“. entgegneten die Hirten.
„Gutes Uebereinkommen'ß dachte Stan„ aber es beun
ruhigte ihn, daß es ihm allein zu fchwer werden möchte, die
Heerde nach Haus zu treiben!
f Damit hatte es aber noch keine Eile. Bis Mitternacht
blieb noch ein Stück Zeit. Und her-nach - aufrichtig ge
ftanden - wußte Stan auch noch nicht. wie er mit dem
_6_
Drachen fertig werden follte. „Der Herrgott wird mir fchon
einen guten Gedanken fchicken", fagte er, dann zählte er
wiederum die Heerde„ um zu fehen. wie viel Stück ihm
bleiben wiirden.
Gerade um Mitternachty als Tag und Nacht einen
Augenblick des Kampfes müde, ftill ftandem fühlte Stan„ daß
er einen Anblick von etwas nie dagewefenem hätte. Es war
etwas was fich gar nicht fagen läßt. Nämlich fo fchrecklich,
als wenn ein Drachen kommt. Es war, als ob er Fels
fteine in die Bäume fchleudere und fo fich den Weg durch
die alten Hochwälder bahnte, So etwas, daß fogar Stan
zu Sinne war„ als thäte er gut den kürzeften Weg zu nehmen
und nicht weiter mit Drachen anzubinden. Ia„ aber zu
Haufe hungerten die Kinder! - “
„Ich Dich. oder Du mich t“ fagte fich Stan und blieb
da„ wo er gewefen warf am Rand der Hürde.
„Haltl“ rief Stan. als er den Drachen dicht an der
Heerde fah, und er rief es„ als ob er wer weiß wer fei.
„Hm“„ fagte der Drache „woher tauchft Du denn auf,
daß Du mich fo anfchreift?"
„Ich bin Stan Bolovan, der Nachts die Felfen frißt
und Tags weide ich auf den Bäumen der Hochwäldem und
wenn Du die Heerde anriihrfß fchneide ich Dir ein Kreuz
auf den Rücken und bade Dich in heiligem Waffer.“
Als der Drache folche Worte hörte„ hielt er mitten im
Wege an„ denn er fah, daß er feinen Mann gefunden.
„Vorher aber mußt Du Dich mit mir meffen'ß entgegnete
er fo mit halbem Munde.
„Ich mit Dir?" fagte Stan. „Hüte Dich vor dem
Worte das Dir entfchltipft ift. Mein Athem ift ftärker als
_.7_
/

Dein ganzer Tritt." Darauf holte er aus feinem Reifefack


ein Stück weißen Küfe hervor und zeigte ihn dem Drachen:
„Siehft Du diefen Stein?" fprach er. „Nimm Du Dir auch
einen dort vom Flußrand. dann wollen wir unfere Kräfte
meffen."
Der Drache nahm einen Stein vom Rand des Buches.
„Kannft Du Buttermilch aus dem Stein drücken?"
fragte Stan.
Der Drache drückte den Stein in der Hand zufammenx
daß er ihn in Staub zermalmte. Aber Buttermilch drückte
er nicht aus ihm.
„Das geht überhaupt nichtC fagte er etwas ärgerlich,
„Ich werde Dir zeigen„ ob das geht". fprach Stan„
drückte dann den weißen Käfe in der Hand zufammen, daß
ihm die Buttermilch zwifchen die Finger hindurch lief.
Als der Drache das erblickte„ fing er anf um fich zu
fchauem um den kürzeften Weg zu finden. Stan aber ftellte
fich vor den Wald. „Laß uns mal ein wenig Abrechnung
halten“„ fagte ert „wegen deffem was Du Dir hier geholt
haft. Hier fchenkt man fich nichts."
Der arme Drache wiirde die Flucht ergriffen habem
wenn er nicht gefürchtet hatte. Stan könnte hinter ihm her
blafen' und ihn durch die Bäume des Hochwalds begraben,
So blieb er alfo ftehem wie einer dem nichts anderes übrig
bleibt,
„Hör' mal an“„ entgegnete er nach einer Weile. „Ich
fehe. daß Du ein brauchbarer Menfch bift. Meine Mutter
fucht fchon lange fo einen Knecht wie Du bift und kann ihn
nicht finden. Tritt Du in unfern Dienft, das Jahr hat drei.
Tage. Lohn für jeden Tag ift fieben Säcke Dukaten."
8
Dreimal fieben Säcke Dukaten! Eine fchöne Sache!
Die brauchte Stan gerade. „UndC dachte er bei fich, „wenn
ich den Teufel überliftet habe„ werde ich mit feiner Mutter
wohl auch fertig werden!" So machte er nicht viel Worte.
fondern ging mit dem Drachen davon.
Ein langer. ungeebneter Weg- doch immer noch zu kurz,
da er zum Teufel führte. Dem Stan fchien es„ als fei er
angelangt! noch ehe er aufgebrochen war.
Die alte Drachin, alt! gerade fo alt wie die Zeit, er
wartete fie; fie machte Feuer an unter dem großen Keffel. in
dem fie Milch zu kochen und fie mit Lammblut und Knochen
mark zu oermengen dachte. damit der Heilfaft Heilkraft habe.
Stan fah ihre Augen fchon auf drei Schuß weit durch die
Nacht dringen. Als fie aber an Ort und Stelle ankamen,
und die Drachin fahf daß ihr Junge ihr nichts brachtex
ärgerte fie fich fehr. Und diefe Drachin war nicht etwa
liebreizend. Mit gefurchtem Geficht und offenem Maulf mit
wirrem Haar und hohlen Augen. mit trocknen Lippen und
zwiebelriechendem Athem.
„Bleib hier“, fagte der Dracha „ich gehe! um mich mit
Mutter zu verftändigen."
Stan hätte jeht gern auch ein wenig ferner geftandem
aber er hatte keine Wahl, nun er feinen Kopf mal in die
böfe Sache gefteckt hatte. So ließ er den Drachen hin
eingehen. _
„Hör, Mutter". fagte der Drachef als er in den Haus
flur getreten. „Ich hab' Dir den Menfchen gebrachtf um
ihn los zu werden. Es ift ein fchrecklicher Kerl, der Fels
ftücke ißt und Buttermilch aus Steinen preßt.“ Dann erzählte
er„ was und wie es gefchehen fei.

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..Ueberlaß ihn mir nur“. fagte fie. nachdem fie alles
erfahren. „durch meine Finger ift noch kein Menfch geglitten!“
Und fo blieb's bei dem. was abgemacht worden war.
Stan Bolovan war Knecht beim Teufel und feiner Mutter.
Viel auf einmal. ich weiß wirklich nicht. was dabei heraus? '
kommen wird, y
Am nächften Tage theilte die Drachin ihm Arbeit zu.
Sie follten fich in der Drachenwelt ein Zeichen geben mit*
einer fiebenfach eifenbefchlagenen Keule. Der Drache hob die
Keule auf und warf fie drei Meilen weit. darauf machte er
fich mit Stan auf. damit der fie auch drei Meilen weit.
oder wo möglich noch weiter würfe. Als Stan an der
Keule anlangte. fing er an. fie etwas beforgt zu befchauen.
Er fah. daß er mit allen feinen Kindern zufammen fie nicht
einmal vom Erdboden würde heben können.
..Was fiehft Du da?“ fragte ihn der Drache.
..Ja. fiehft Du. es ift eine fchöne Keule. Schad' um
fie“. entgegnete Stan,
..Wie? fchad' um fie?" fragte der Drache.
„Nur“. erwiderte Stan. ..weil Du fie. fürchte ich. Dein
Lebtag nicht mehr wiederfehen wirft. wenn ich fie werfe.
denn ich kenne meine Kraft."
..Fürcht' Dich nicht. wirf nur.“ fagte ihm der Drache.
..Wenn Du doch meinft. dann wollen wir erft hingehen
und uns für drei Tage was zu effen holen. *- denn. wenn
nicht mehr. fo werden wir drei Tage hinter ihr herzugehen
haben.“
Nach diefen Worten bekam auch der Drache Angft. aber
er glaubte doch nicht. daß e?- fo fchlimm fein würde wie
Stan fagte. Sie gingen alfo nach Haufe wegen der Eßwaaren.
_10_
obgleich es ihm gar nicht paßte„ daß Stan fein Jahr aus
diente, indem er nur der Keule nachliefe. Als fie wieder bei
der Keule anlangtem feßte fich Stan auf den Sack Eßwaaren
und blieb fo im Anfchauen des Mondes verfunken.
„Was machft Du?“ fragte der Drache,
„Ich warte nur, daß der Mond vorbeizieht.“
„Wes-halb?“
„Siehft Du denn nicht„ daß mir der Mond im Wege
fteht"„ fagte Stan. „Oder willft Du„ daß ich die Keule in
den Mond werfe?“
Jeßt begann der Drache fich ordentlich zu beunruhigen.
Es war eine Keule. die ihm vom Großvater überkommen
* war„ und er hätte fie durchaus nicht an den Mond ver
lieren mögen.
„Weißt Du was?“ fprach er, „Laß es lieber, wirf die
Keule nicht ich werde fie fihon werfen."
„Gewiß nicht„ da fei Gott vor!" fagte Stan, „warte
nur, daß der Mond vorüberziehtt"
Und dariiber entfpann fich nun ein langes Gefpräch
denn nur um fieben Säcke Dukaten hat Stan fich dazu ver
ftehen wollen, daß der Drache noch einmal die Keule warf.
„O weh- Muttery das ift ein gewaltiger Mann“, fprach
der Drache zu feiner Alten. „Ich habe ihn kaum darin
verhindern könnem daß er die Keule in den Mond warf."
Da fing auch die Drachin an„ fich zu beunruhigen. Denk'
nur mal an! Ob das ein Scherz wäre, wenn Jemand bis
in den Mond werfen kann! Drachin aus Drachenbrut war
fie„ aber am nächften Tag hat fie fich noch eine fchwerere
Sache ausdenken miiffen.
„Tragt Waffer“„ fagte fie in der Früh, dann gab fie
_11
jedem zwölf Büffel-Schläuche mit dem Befehl fie bis zum
Abend anzufüllen, und fie alle zugleich in's Haus zu bringen.
So gingen fie zu dem Steinbrunnem der Drache hatte
ehe man nur mit den Augen blinkt, alle zwölf Büffelhäute
gefüllt und war im Begriff fie zurückzubringen. Stan war
müde, er hatte kaum die leeren Schläuche fchleppen können.
Und Schauer zogen ihm durch die Aderm wenn er an die
vollen dachte. Was that er aber? Er zog eine abgenußte
Mefferklinge aus dem Gurt und fing an mit ihr die Erde
rund um den Brunnen herum zu rißen. '
„Was machft Du da?" fragte der Drache.
„Ich habe doch nicht Tinte gefoffen, daß ich mir die
Arbeit machef die Büffelfchlc'iuche mit Waffer zu füllen!" ent
gegnete Stan.
„Wie willft Du denn aber das Waffer in's Haus
bringen?“
„Wie'? So wie Du es fiehft", fagte Stan. „Ich nehme
den Brunnem Du!"
Hier blieb der Drache mit offenem Munde ftehen. Das
hätte er um Alles in der Welt nicht gewollt, weil der Brunnen
noch aus der Zeit feines Großvaters ftammte.
„Weißt Du was?“ fagte er beforgh „laß mich lieber
auch Deine Haute tragen!"
„Gewiß nicht„ da fei Gott vor'ß entgegnete Stan um
den Brunnen herum weiter grabend.
Und icht entfpann fich darüber ein langes Gefprüch,
und auch diesmal konnte der Drache nur mit fiebeu Sticken
Dukaten Stan befchwichtigen.
Am dritten Tage alfo an dem letztem fandte die Drachin
ihn in den Wald nach Holz.
._12_
Ehe man eins„ zwei, drei gefagtx riß der Drache foviel
Bäume aus, wie Stan fein Leben lang nicht beifammen ge
fehenf und fchichtete fie auf einander. Stan begann aber fich
die Bäume zu befchauen und wählte die fchönften aus. Dar
auf kletterte er auf einen derfelben und band feinen Wipfel
mit einer wilden Weinrebe an den nächften Baum. Und
fo7 ohne etwas zu fprechen, band er immer einen fchönen
Baum an den anderen.
„Was machft Du da?“ fragte der Drache.
„Du fiehft ja. was ich macheC entgegnete Stan- ruhig
weiter arbeitend.
„Warum bindeft Du die Bäume aneinander.
„Siehf nur um mir keine unnöthige Arbeit zu machen.
indem ich einen nach dem anderen ausreiße“. fagte Stan.
„Aber wie willft Du fie nach Haufe bringen?“
„Ich bring den ganzen Wald. Duf kannft Du das nicht
verftehen?“ fagte Stan und knüpfte immer weiter.
Jept war den Drachen zu Muth als folle er Reißaus
nehmen und erft zu Haufe anhalten.
Er fürchtete fich aberf daß er plößlich merken würde.'
wie Stan ihm den ganzen Wald an den Kopf wiirfe.
Diesmal, weil es am Ende des Dienftjahres war, war
' des Hin- und Herredens kein Ende. Stan wollte fich weiter
gar nicht auf ein Gefpräch einlaffen. fondern hatte feinen
Kopf drauf verfeht, um jeden Preis den Wald auf den
Rücken zu nehmen.
„Weißt Du was f?“ fagte der Drache vor Furcht zitternd.
„Dein Lohn foll fiebenmal fieben Säcke Dukaten fein7 und
damit laß es gut fein.“
„Na„ fo fei's, weil ich fehe7 daß Du ein braver Kerl
_13_.

bift“. fagte Stan und traf mit dem Drachen das Ueberein
kommen. daß er auch für ihn das Holz trage.
Jeht *war das Jahr um, Stan beunruhigte fich nur
um Eins: wie er die vielen Dukaten nach Haufe fchleppen
follte.
Am Abend faß der Drache und feine Mutter im Ge
fpräch in der Stube. Stan horchte aber vom Flur aus auf
ihre Rede.
..Weh und Leid über uns“. fprach der Drache. ..diefer
Menfch bringt uns aus den Fugen. Gieb ihm Geld. gieb
ihm fogar noch mehr. nur damit wir ihn los werden.“
Ja. aber der Drachin kam es etwas auf's Geld an,
..Eins aber laß Dir gefagt fein.“ fprach fie. „Du mußt
diefen Menfchen heut Nacht umbringen.“
„Ich fürchte mich. Mutter“. entgegnete er erfchreckt.
..Darum forge Dich nicht“. fagte feine Mutter. ..Wenn
Du fiehft. daß er fchläft. nimm die Keule und fchlag ihn
gerade mitten auf die Stirn!“
So war es alfo abgemacht. Ja. aber Stan hatte
immer den guten Gedanken zur rechten Zeit. Als er fah.
daß der Drache und feine Mutter das Licht gelöfcht. nahm
er den Schweinetrog und legte ihn mit dem Boden nach
oben an feiner Statt. deckte ihn fchön mit dem zottigen
Bauernrock zu. er aber legte fich unter das Bett. dann be
gann er zu fchnarchen wie einer. der in tiefem Schlummer liegt.
Der Drache ging leife hinaus. näherte fich dem Bett.
hob die Keule und fchlag einmal dort hin. wo das Kopf
ende war, Der Trog fchallte hohl wieder. Stan ächzte
unter dem Bett. der Drache aber zog fich leife in die Stube
zurück.
_-14_

Darauf kroch Stan unter dem Bett hervorf fäuberte


dasfelbe und legte fich hinein. Er war aber weife genug
diefe Nacht kein Auge zuzuthun.
Am andern Morgen blieben der Drache und die Drachin
erftarrt ftehen„ als fie Stan heil wie ein Ei erblickten.
„Guten Morgen t“
„Guten Morgen, aber wie haft Du heute Nacht ge
fchlafen?"
„Gut“, antwortete Stan. „Jch habe bloß geträumt,
daß mich ein Floh gerade hier mitten auf der Stirn zwickte,
und mir ift's„ als fchmerze es mich noch.“
„Hör' nur, Mutter“, rief der Drache. „Haft Du ge
hört, er fpricht von einem Floh und ich hab' mit der Keule
gehauen!"
Jeht wurde es der Drachin auch zuviel. Mit folcher
Art Menfchen„ daß fah fie ein, könne man nicht gut viel
Redens machen! So eilten fie fich, ihm die Säcke zu
füllen, um ihn möglichft bald los zu werden. Der arme
Stan fing aber jetzt erft an zu fchwißen. Als er fich neben
den vollen Säcken fah. begann er wie Efpenlaub zu zitterm
weil er nicht im Stande war. auch nur einen Sack von der
Erde aufzuheben. So blieb er alfo ftehen und blickte fie an.
„Was ftehft Du fo da?" fragte ihn der Drache.
„Hml Jch ftehe fo"f entgegnete Stan. „weil ich mir
überlegt habe„ daß ich lieber noch ein Jahr bei Euch bleiben
will. Jch fchäme mich„ daß Jemand fehen foll„ wie ich nur
foviel auf einmal trage. Jch fürchte. daß fie werden fagen:
„Schau Stan Bolovan an. der in einem Jahre fo fchwach
geworden ift wie ein Drache!"
15 _

Ieht kam die Reihe des Erfchreckens an den Drachen


und die Drachin.
Vergebens fagten fie ihm aber. daß fie ihn noch 7. ja
dreimal fiebeu. fogar fiebenmal fieben Säcke geben würden.
wenn er nur fortginge,
..Wißt Ihr was“. fagte Stan. endlich. ..da ich fehe.
daß Ihr mich nicht behalten wollt. will ich Euch keinen
Zwang anthun. Sei's nach Eurem Sinn. ich gehe. Aber
damit ich mich vor den Leuten nicht zu fchämen brauche.
bring Du mir diefen Schah bis nach Haufe!“
Kaum hatte er ausgefpr'ochen. als der Drache fich auch
fchon die Säcke auflud und mit Stan davon ging.
Kurzer Weg und wohl geebnet. aber doch immer zu
lang. fiihrt er nach Haufe! Als Stan fich aber dicht an
feiner Heimat fah und die Rufe der Kinder hörte. begann
' er langfamer zu gehen. Es fchien ihm zu nah. denn er
fürchtete. daß der Drache. wenn er fein Haus wüßte. kommen
könnte. um ihm feinen Schuh zu nehmen. Ihn genirte nur.
daß er dann fein Geld allein nach Haufe tragen follte.
..Ich weiß wirklich nicht. was ich machen foll." fprach
er. fich zum Drachen wendend. ..Ich habe hundert Kinder
und fürchte. daß es Dir fchlecht bei ihnen ergehen wird.
weil fie recht kampfluftig find. Aber benimm Dich nur ver
ftändig. dann will ich Dich nach Kräften fchüßen.
Hundert Kinder. das ift auch kein Spaß. Der Drache
- Drachenkind aus Drachenbrut -- ließ die Säcke aus
Angft fallen. Aus Angft aber hob er fie auch wieder auf.
Aber darauf ging es erft eigentlich los. als fie in den Hof
traten. Die hungrigen Kinder. als fie ihren Vater mit dem
beladenen Drachen kommen fahen. ftürzten fich auf ihn hin.
_16
jedes mit einem Meffer in der rechten und einer Gabel in
der linken Hand. Dann begannen fie Alle das Meffer an
der Gabel zu wehen und fchrieen aus vollem Halfe: „Wir
wollen Drachenfleifch!"
Ueber fo etwas erfchrickt felbft der Teufel. Der_Drache
warf die Säcke niederf dann ergriff er die Flucht. fo er
fchreckt. daß er feitdem nicht mehr gewagt hat„ in die Welt
zurück zu kommen.

1c.
Innern! ohne ?chef uncl Yelien olinr Toll.

Es war einmal„ wie's keinmal war. wär's nicht ge-'


wefen- wiirde es nicht erzählt; feitdem der Floh an einem
Fuß mit 99 Pfund Eifen befchlagen wurde und in den
Himmelsraum fprang. um uns die Märchen zu holen.
Es war einmal ein großer Kaifer und eine Kaiferin.
beide jung und fchön. und da fie fich Kinderfegen wünfchten,
thaten fie Alles. was dazu nöthig ift. nämlich: fie gingen zu
den Hexen und Vhilofophen. damit diefe aus den Sternen
lefen möchten. ob fie Kinder haben würden oder nicht. Aber
es war Alles vergebens. Endlich hörte der Kaifer, daß in
einem nahen Dorfe ein weifer- alter Mann lebte! und fchickte
zu ihm, um ihn rufen zu laffen. Die Abgefandten aber
kamen mit der Antwort heim: wer ihn brauche, möge zu
ihm kommen. So brachen alfo Kaifer und Kaiferin auf und
nahmen einige Herrn ihres Hofftaatsf Gefolge und Soldaten

-1'
_17 M

mit fich und gingen in das Haus des weifen Mannes. Als
der Alte fie von fern kommen fah. ging er ihnen entgegen
und fagte alfogleich:
..Seid willkommen! Aber was willft Du wiffen.
Kaifer? Der Wunfch. den Du hegft. wird Dir Trauer
bringen.“
„Ich bin nicht hier. um Dich danach zu fragen“.
fagte der Kaifer. ..fondern um zu wiffen. ob Du irgend
welche Kräuter haft. die Du uns geben kannft. damit wir
Kinder bekommen.“
„Die habe ich“. entgegnete der Alte. „aber Jhr werdet
nur ein Kind haben: Es wird ein fchöner. liebreizender
Knabe fein. und er wird Euch nicht erhalten bleiben.“
Nachdem der Kaifer und die Kaiferin die Heilkräuter
genommen. kehrten fie froh zum Valaft zurück. und nach
einigen Tagen fühlte fich die Kaiferin Mutter, Das ganze
Reich. der ganze Hof und alle Dienerfchaft freuten *fich diefes
Ereigniffes. Ehe aber noch die Stunde feiner Geburt kam.
begann das Kind ein Gefchrei. das keine Zauberkunft zum
Schweigen bringen konnte. Da fing der Kaifer an. ihm
alle Güter der Welt zu oerfprechen. aber es war keine Mög
lichkeit. ihn zu beruhigen.
..Schweig. Vaters Herzenskind“. fagte der Kaifer. ..denn
ich werde Dir diefes und jenes Kaiferreich geben; fchweig.
mein Sohn. denn ich werde Dir zur Gemahlin diefe oder
jene Kaifertochter geben.“ Endlich. als er fah. daß er
immer noch nicht aufhörte. fagte er ihm noch: ..Schweig. mein
Knabe. ich werde Dir die Jugend ohne Alter und das Leben
ohne Tod geben.“
Darauf fchwieg das Kind und kam zur Welt; aber die
2
_18'_
Hofleute fchlugen die Pauken und bliefen die Trompeten.
und im ganzen Reiche herrfchte große Fröhlichkeit eine ganze
Woche lang.
Je mehr der Knabe wuchs. defto nachdenklicher und
finnender wurde er. Er ging in die Schulen und zu den
Vhilofophen. alle[ Gelehrfamkeit wurde ihm zueigen. fo
daß der Kaifer vor Freude ftarb und wieder auflebte.
Das ganze Reich war ftolz. daß es einen fo weifen
und wohlgebildeten Kaifer. gleichfam einen Kaifer Sa
lomon haben wiirde. Eines Tages aber. als das Kind ge
rade fein 15. Jahr vollendete. war der Kaifer mit allen
Herren und den Großen des Reiches bei Tifch und ver
gnügte fich. als der fchöne Prinz aufftand und fagte: .,Vater.
jeht ift die Zeit gekommen. jeht mußt Du mir das geben.
was Du mir *bei meiner Geburt verfprochen haft!“
Als der Kaifer folches hörte. betrübte er fich fehr
und fagte ihm: ..Aber mein Sohn. wie kann ich Dir
ein fo unerhörtes Ding geben? Und wenn ich es Dir da
mals verfprach. war es nur. um Dich zum Schweigen zu
bringen!“
..Wenn Du es mir nicht geben kannft. Vater. bin ich
gezwungen. die ganze Erde zu durchwandern. bis ich das
mir Verfprochene finde. deffentwegen ich zur Welt kam!“
Darauf fielen alle Herren und der Kaifer ihm zu Füßen
und baten ihn. das Reich nicht zu verlaffen. weil. wie die
Herren fagten. fein Vater jeht alt würde. und fie ihn auf
den Thron erheben und ihm die fchönfte Kaiferin unter der
Sonne zur Frau geben wollten.; aber es war unmöglich. fei
nen Entfchluß wankend zu machen. denn feft wie der Fels
beftand er auf feinen Worten. Als fein Vater aber alles
"19_

das gefehen und wohl erwogen. gab er ihm feine Erlaubniß


und machte fich daran. ihm die Zehrung auf den Weg und
was er fonft noch brauchte herzurichten.
Dann ging der junge Held in die kaiferlichen Stallungen.
wo die fchönften Roffe des Reiches ftanden. um fich eines
auszufuchen; aber wenn er die Hand an den Schwanz der
Roffe legte. warf er fie zu Boden. und fo fielen alle Pferde
nieder. Endlich. als er gerade hinausgehen wollte. ließ er
feine Augen noch einmal durch den Stall fchweifen und er
blickte in einer Ecke ein krankes. mit Gefchwüren bedecktes.
fchwaches Pferd. auf das er zuging. Als er es an den
Schwanz faßte. wandte es ihm den Kopf zu und fagte:
..Was befiehlft Du. mein Gebieter? Ich danke Gott.
daß er mir dazu verholfen hat. daß noch einmal eines Hel
den Hand mich berührt.“
Und fich feft auf die Füße ftellend. blieb es gerade
ftehen. Da fagte ihm der junge Held. was er im Sinne
habe zu unternehmen. und das Pferd entgegnete:
..Um Deinen Wunfch erfüllen zu können. mußt Du von
Deinem Vater das Schwert. die Lanze. den Bogen. den
Köcher mit den Pfeilen und die Kleider. die er als Jüngling
trug. verlangen; mich aber mußt Du mit eigener Hand fechs
Wochen lang pflegen und mir den Hafer mit Milch gekocht geben."
Als er vom Kaifer die Sachen erbat. die ihm das Pferd
angerathen hatte. rief diefer den Haushofmeifter des Palaftes
und befahl ihm. alle Kleider-Truhen aufzufchließen. damit
fein Sohn die. welche ihm gefielen. auswählen könne, Der
junge Held. nachdem er fie drei Tage lang durchwühlt. fand
endlich auf dem Boden in einer alten Truhe die Rüftung
und die Kleidung. welche fein Vater als junger Mann
2*
--20._
getragen. erftere aber ganz verrofiet. Er machte fich mit
eigener Hand daran. fie vom Roft zu reinigen. und innerhalb
fechs Wochen. während der Zeit. da er auch das Pferd
pflegte. gelang es ihm. die Riiftung glänzend und blank wie
einen Spiegel zu puhen. Als das Pferd von dem fchönen Prinzen
erfuhr. daß die Kleider und das Rüftzeug gereinigt und her
gerichtet feien. fchiittelte es fich einmal. und alle Gefchwiire
fielen bon ihm ab. und es ftand gerade fo da. wie feine
Mutter es geboren. als ein ftarkes. wohlgebautes Pferd mit
vier Flügeln, Als der Held es fo fah. fagte er ihm:
„In drei Tagen brechen wir auf!"
„Lange mögeft Du leben. Herr. ich ftehe heute fchon zu
.Deinen Dienften". antwortete das Pferd.
Am dritten Tage in der Frühe war am ganzen Hofe
und im ganzen Kaiferreiche große Trauer. Der fchöne Prinz.
wie ein Held gekleidet. mit dem Schwert in der Hand. auf
dem Pferde reitend. das er fich auserwählt. nahm Abfchied
vom Kaifer. von der Kaiferin. von allen großen und kleinen
Herren. von dem Heere und von der ganzen Dienerfchaft des
Hofes. welche mit Thränen in den Augen ihn anflehten. von
diefer Reife abzuftehen. damit er feinen Kopf nicht etwa dem
Berderben ausfeße; er aber. dem Pferde die Sporen gebend.
flog wie der Wind zum Thor hinaus; ihm nach die Wagen
mit der Zehrung. mit Geld und fo an die 200 Reiter. wel
chen der Kaifer den Befehl gegeben. ihn zu begleiten.
Nachdem er über die Grenze von feines Vaters Reich
gelangt und in der Wiifte angekommen. hat der fchöne
Prinz alle feine Habe unter die Reiter vertheilt. Abfchied von
ihnen genommen und fie zurückgefchickt; für fich behielt er
_21._
nur fo viel Nahrungsmittel zurück. als das Pferd tragen
konnte. Und dann fchlug er den Weg gen Often ein und
ritt drei Tage und drei Nächte. bis er an eine weite Ebene
kam. auf der viele Menfchengebeine lagen.
Als er hier anhielt um auszuruhen. fagte ihm das Pferd:
..Wiffe. Herr. daß wir hier auf dem Befihthume einer Specht
fee find. die fo böfe ift. daß Niemand ihr Reich betreten
kann. *ohne von ihr gemordet zu werden, Sie war eine Frau.
aber der Fluch der Eltern. denen fie nicht gehorihte. fondern
die fie immer erzürnte. hat fie zu einem Specht geftaltet;
jeßt ift fie bei ihren Kindern. aber morgen. in dem Walde.
den Du dort fiehft. wirft Du ihr begegnen. fie kommt. um
Dich zu verderben. Sie ift furchtbar groß. aber erfchrick
Dich nicht. fondern halte den Bogen bereit. um fie mit dem
Pfeil zu durchbohren. halte auch Schwert und Lanze bei der
Hand. damit Du Dich ihrer im Fall der Noth bedienen
kannft.“
Sie begaben fich nun zur Ruhe. aber fie wachten immer
abwechfelnd.
Am folgenden Tage. als fich die Morgenröthe verbreitete.
trafen fie ihre Vorbereitungen. um durch den Wald zu kommen;
der Prinz fattelte und zäumte das Pferd. zog den Gurtriemen
ftraffer an als bisher und machte fich auf. als er plößlich ein
fchreckliches Hacken hörte. Das Pferd fagte ihm jedoch: „Halt
Dich bereit. Herr. denn jeht nähert fich die Spechtfee.“ Als
fie nun näher kam. riß fie die Bäume nieder. fo eilig ging fie;
das Pferd aber fchnellte in die Höhe wie der Wind. fo daß
es faft über ihr ftand. und der Prinz fchoß ihr mit dem
Pfeil einen Fuß ab. Als er ihr aber den zweiten Pfeil
fenden wollte. rief fie:
-22_
..Halt ein. junger Held. ich thu' Dir nichts!“ Und als
fie fah. daß er es nicht glaubte. gab fie es ihm mit ihrem
Blute gefchrieben.
..Dein Pferd foll leben. junger Held“. fagte fie ihm
weiter. ..denn es ift verzaubert; wenn das nicht gewefen wäre.
hätte ich Dich gebraten verfpeift; wiffe. daß bis heute kein
Sterblicher gewagt hat. meine Grenzen bis hierher zu über
fchreiten; ein paar Verwegene. die fich deffen erdreifteten.
find bis zu der Ebene gelangt. wo Du die vielen Gebeine
gefehen haft.“
Nun gingen fie zu ihrem Haufe. wo fie ihn bewirthete
und wie einen Gaftfreund aufnahm. Als fie aber bei Tifch
faßen und fich vergnügten. wimmerte die Spechtfee vor
Schmerz; da zog er den Fuß. welchen er ihr abgefchoffen.
aus dem Reifefacke. in dem er ihn aufbewahrt hatte. feßte
ihn ihr an. und er heilte auch augenblicklich. Sie aber hielt
vor Freude drei Tage hintereinander offene Tafel und bat
ihn. fich zur Frau eine ihrer Töchter. die alle drei fchön wie
Feen waren. auszuwählen; er aber wollte nicht. fondern fagte
ihr. was er fuche; worauf fie entgegnete: ..Mit dem Pferde.
das Du haft. und mit Deinem Heldenmuth. glaube ich. daß
Du es erreichen wirft."
Nach drei Tagen machte er fich reifefertig und brach
auf. Er ritt und ritt und ritt weiter. lang und immer'_länger
ward der Weg; als er aber über die Grenzen des Spechtfee
Gebiets zog. ftieg er auf eine fchöne Wiefe. die auf der einen
Seite mit blühenden Gräfern bedeckt. auf der anderen aber
verfengt war, *
Da fragte der Heldenprinz. warum das Gras verfengt
fei. und das Pferd-antwortete:
..Hier find wir auf dem Gebiete der Skorpionhexe; fie
ift die Schwefter der Spechtfee. fie find aber beide fo böfe.
daß fie nicht zufammen leben können. Der Fluch der
Eltern hat fie getroffen. und darum find fie fo. wie Du
fie gefehen. zu Unthieren geworden; ihre Feindfchaft ift über
alle Begriffe. fie wollen fich gegenfeitig immer Land ent
reißen; wenn diefe fehr erzürnt ift. fpeit fie Feuer und Pech.
fie muß irgend einen Streit mit ihrer Schwefter gehabt
haben. und um fie von ihrem Gebiet zu verjagen. hat fie
das Gras. auf das fie getreten war. verfengt. Sie ift noch
fchlimmer als ihre Schwefter und hat drei Köpfe. Wir
wollen jeht etwas ruhen und morgen mit dem Früheften
bereit fein.“
Am nächften Tage bereiteten fie fich vor wie damals.
als fie zur Spechtfee gelangten und brachen auf. Bald hör
ten fie ein Geheul und ein Naufchen. wie fie es bis dahin
noch nie vernommen hatten.
„Sei bereit. Herr. denn nun nähert fich die Skor
pionhexe.“
Die Skorpionhexe. mit einem Kiefer im Himmel und
dem anderen auf der Erde. Feuer fpeiend. näherte fich fo
fchnell wie der Wind; das Pferd aber bäumte fich eiligft
wie ein Pfeil und ftürzte fich dann etwas von der einen
Seite über fie. Der Held fchoß einen Pfeil ab. und ein Kopf
fiel ihr herunter als er ihr noch einen Kopf abfchießen
wollte. bat die Skorpionhexe felbft. er möchte ihr verzeihen.
fie wiirde ihm nichts thun. und um ihn deffen zu verfichern.,
gab fie es ihm mit ihrem Blute gefchrieben.
Gerade wie bei der Spechtfee wurde er beherbergt. er.
_24_
gab ihr den Kopf zurück. der wieder angeklebt wurde. und
nach drei Tagen reiften fie weiter.
Als fie über die Grenzen des Reiches der Skorpionhexe
gelangt. eilten fie raftlos immer weiter. bis fie an ein
Feld kamen. das nur mit Blumen bedeckt war. wo ewiger
Frühling herrfchte. Jede Blume war befonders fchön und
mit füßem. beraufchendem Duft erfüllt. ein Luftzug. der fanft
wehte. umfächelte Alles. Hier blieben fie. um fich auszu
ruhen; das Pferd aber fagte:
..Bis hierher wären wir glücklich gelangt. Herr. aber
eine große Gefahr haben wir noch zu überftehen. und wenn
uns der Herrgott hilft. daß wir auch fie überwinden. dann
find wir tapfere Helden, Etwas weiter von hier liegt der
Palaft. in dem die Jugend ohne Alter nnd das Leben ohne
Tod wohnen. Er ift aber von einem dichten. hohen Wald
umgeben. in dem alle wilden Thiere der Welt find. Tag
und Nacht bewachen fie denfelben und fie find fehr zahlreich.
Mit ihnen zu kämpfen. liegt außerhalb der Möglichkeit. daß
wir durch den Wald dringen. erft recht; fo müffen wir ver
fuchen. wenn wir können. über ihn fortzufpringen.“
Nach einer Ruhe von etwa zwei Tagen machten fie fich
wieder reifefertig. darauf fagte das Pferd. den Athein
anhaltend:
..Schnall7 mir den Gurt fo feft um. wie Du kannft;
wenn Du mich dann beftiegen haft. halte Dich feft. auch an
meiner Mähne. die Füße drücke an meinen Hals. damit Du
mich nicht hinderft“
Er ftieg auf. machte einen Verfuch. und in einem Augen
blick waren fie dicht am Walde.
„Herr“. fagte das Pferd. ..jeht ift's an »der Zeit. nun
die wilden Thiere gefüttert werden; fie find dort verfammelt.
jeßt wollen wir hinüber.“
..Borwärts.“ entgegnete der fchöne Prinz. ..und der Herr
erbarme fich unfer!“
Sie flogen in die Höhe und fahen den Palaft. der fo
glänzte. daß man eher in die Sonne fchauen kann als
auf ihn. Sie fehten über den Wald. und gerade als fie
fich hinunter laffen wollten zur Treppe des Palaftes. berührte
das Pferd leife mit einem Fuß den Wipfel eines Baumes.
worauf der ganze Wald fich in Bewegung fehte. Die Thiere
begannen zu heulen. fo daß einem die Haare zu Berge
ftehen mußten, Sie ließen fich eilig hinab. und wäre nicht
die Herrin des Palaftes draußen gewefen. um ihre Küchel
chen (denn fo nannte fie die wilden Thiere des Waldes) zu
füttern. fie wären ficherlich umgekommen. Sie verfchonte
fie aus purer Freude. denn fie hatte bisher noch nie
eine Menfchenfeele bei fich gefehen. 'Sie hielt die Thiere
zurück. beruhigte fie und fandte fie auf ihren Plaß zurück.
Eine große. fchlanke und liebliche Fee war fie. und gar zu
fchön; als der junge Held fie fah. blieb er erftarrt ftehen.
Wie fie ihn aber fo anfah. fühlte fie Mitleid mit ihm und
fagte:
„Willkommen. fchöner Prinz. Was fnchft Du hier?“
..Wir fuchen die Jugend ohne. Alter und das Leben
ohne Tod!“
Dann ftieg er vom Pferde und trat in den Palaft ein.
Dort fand er noch zwei Frauen. beide gleich jung. es waren
die älteren Schweftern der erfteren. Er begann der Fee zu
danken. daß fie ihn aus der Gefahr befreit; fie aber mit den
Schweftern bereitete ihm vor Freude ein angenehmes Nacht
_26_

mahl. ganz und gar in goldenen Gefäßen. Dem Pferde


gaben fie die Freiheit. zu weiden. wo es wolle. fpäter
machten fie dasfelbe mit allen wilden Thieren bekannt. damit
es in Frieden durch den Wald gehen könnte. Die Frauen
baten ihn. von jeht ab bei ihnen zu bleiben. denn. es war
ihnen. wie fie fagten. langweilig fo allein; er aber ließ es
fich nicht zwei Mal fagen. fondern nahm das Anerbieten
mit der Zufriedenheit eines Menfchen an. der gerade das
gefucht. was er findet.
Allmählich. allmählich gewöhnten fie fich an einander. er
erzählte ihnen feine Gefchichte. und was er gelitten hatte. bis
er zu ihnen gelangt war. und nach einiger Zeit verheirathete
er fich mit der jüngften Schwefter. Bei ihrer Berheirathung
wurde ihm die Erlaubniß ertheilt. überall in der Umgegend
hingehen zu dürfen. wohin er wolle; nur ein Thal. das fie
ihm zeigten. baten fie ihn nicht zu betreten. denn fonft er
ginge es ihm fchlecht; jenes Thal. fagten fie ihm. hieße das
Thal der Klage.
Er brachte dort eine fehr lange Zeit zu. ohne es zu
verfpüren. denn er blieb immer fo jung wie er gewefen. als
er angekommen war. Er ging durch die Wälder. ohne daß
ihm auch nur der Kopf weh that. Er ergößte fich an den
goldenen Paläften. lebte in Ruhe und Frieden mit feiner
Frau und ihren* Schweftern. freute fich der Zartheit der
Blumen und der füßen. reinen Luft wie ein Glückfeliger.
Oft ging er auf die Jagd; eines Tages aber verfolgte er
einen Hafen. fandte ihm einen. zwei Pfeile nach. aber traf
ihn nicht. Aergerlich lief er hinter ihm her. fandte den
dritten Pfeil. mit welchem er ihn auch traf. aber der Un
glückliche hatte in feiner Eile nicht darauf geachtet. daß er
727-.
durch das Thal der Klage gekommen. indem er den Hafen
verfolgte!
Er nahm den Hafen und wandte fich nah Haufe. aber
plötzlich überfiel ihn die Sehnfuht nah Vater und Mutter.
Er wagte niht. feiner Frau davon zu fprehen. aber fie und
die Schweftern erkannten feinen Zuftand gleih an der Trauer
und der Unruhe. in der fie ihn fahen.
..Unglücklicher. Du bift in das Thal der Klage ge
gangen“. fagten fie ihm voll Schreck. z_
..Ich hab's gethan. meine Lieben. ohne diefe Unbefonnen
heit begehen zu wollen. jeht aber vergehe ih vor Sehn
fuht nach meinen Eltern! Aber auch Euch kann ih niht
verlaffen, Ih bin fchon mehrere Tage bei Euh und
habe mich über keine Kränkung zu beklagen. So werde ih
alfo hingehen. um meine Eltern noh einmal zu fehen. und
dann werde ih zu Euh zurückkehren. um nie mehr fortzu
ziehen.“ 1
..Berlaß' uns niht. Geliebter! Deine Eltern leben fchon
feit Hunderten von Iahren niht mehr. und felbft Du. wenn
Du einmal gehft. wirft. fo fürhten wir. nie mehr zurück
kehren; bleibe bei uns. denn eine böfe Ahnung fagt uns.
daß Du umkommft!“
Alle Bitten der drei Frauen. wie auh die des Pferdes
waren niht im Stande feine Sehnfuht nah den Eltern.
die ihn bei lebendigem Leibe verzehrte. zu ftillen.
Shließlich fagte ihm das Pferd: ..Wenn Du niht auf
mich hörft. Herr. wird das. was Dir zuftößt. nur Deine
eigene Shuld fein. Ich will Dir etwas fagen. und wenn
Du meine Bedingung annimmft. bringe ich Dih zurück!“
-28_
..Ich nehme fie an“. fagte er. ..mit allem Dank. laß fie
hören.“ *
..Sowie Du am Palafte Deines Vaters anlangft. fteigft
Du ab. ich aber werde allein umkehren. falls Du auch nur
eine Stunde dortbleibft.“
..So fei es“. fagte er.
Sie machten fich reifebereit. er umarmte die Frauen.
und nachdem er Abfchied genommen. ritt er ab; fie aber
blieben fchluchzend und mit Thränen in den Augen zurück.
Sie kamen an die Stelle. wo einft das Gebiet der
Skorpionhexe gewefen. dort fanden fie Städte; die Wälder
waren zu Feldern geworden. er fragte Diefen und Jenen
nach der Skorpionhexe und ihrer Behaufung. fie aber ant
worteten ihm. daß ihre Großväter von den Urgroßvätern
gehört hätten. daß man fich einft folche albernen Märchen
erzählt habe. ,
..Wie ift fo etwas möglich“. fagte ihnen der Prinz.
..neulich bin ich noch hier vorbeigekommen“. und er erzählte
ihnen Alles. was er wußte.
Die Leute lachten über ihn. wie über Einen. der irr
redet oder wachend träumt; er aber ritt erzürnt weiter. ohne
zu beachten. daß ihm Haar und Bart weiß wurden.
Als er in das Reich der Spechtfee kam. diefelben Fragen
und diefelben Antworten. Er konnte nicht begreifen. wie fich
die Ortfchaften in einigen Tagen derart verändert hatten. und
von Neuem erzürnt ritt er mit einem weißen Bart. der ihm
bis zum Gurt reichte. weiter und fühlte. wie ihm die Füße
zu zittern begannen.
Auch von dort aufbrechend. gelangte er in das Kaifer
reich feines Vaters. Hier neue Menfchen. neue Städte nnd
_29+

die alten fo verändert. daß er fie nicht wiedererkannte. End


lich gelangte 'er an den Palaft. in dem er zur Welt ge
kommen. Als er hier abftieg küßte ihm das Pferd die Hand
und fagte:
..Bleib7 gefund. Herr. ich ke'hre dorthin zurück. von wo
ich gekommen. Wenn Du auch dorthin zn gehen wünfcheft.
fteig7 fchnell auf. und wir reiten los.“
..Fahr' wohl. auch ich hoffe bald zurückzukehren.“
Das Pferd flog fchnell wie ein Pfeil davon.
Als-er die Paläfte zerfallen und das Unkraut. das um
fie herumwucherte.fah. feufzte er tief auf. und mit Thränen
in den Augen fuchte er fich zuriickzurufen. wie glänzend einft
diefe Stätten waren. Er ging zwei. drei Mal um fie herum.
fuchte in jedem Zimmer. jeder Ecke fich die Vergangenheit
zu vergegenwärtigen. fuchte den Stall. in dem er das Pferd
gefunden. dann ftieg er in den Keller hinab. deffen Ein
gang mit den herabgefallenen. Trümmern erfüllt war.
Hier und dort fuchte er herum mit einem weißen Barte.
der ihm bis zum Knie reichte. feine Augenlider hob er mit
den Händen hoch und konnte kaum noch gehen; er fand nur
ein altes Gerümpel von Truhe. die er öffnete. aber es war
nichts in ihr drin. Er hob den Deckel empor. da fprach
eine Stimme aus der Tiefe: „Sei willkommen. denn hätteft
Du noch länger auf Dich warten laffen. wäre auch ich zu
Grunde gegangen.“
Da legte fein Tod. der in der Truhe fchon ganz zu
fammengefchrumpft war. die Hand auf ihn; er aber fiel todt
hin und zerfiel augenblicklich zu Staub. -
Ich fchwang mich in den Sattel dann.
Damit ich's Euch erzählen kann.
[ll.

Yin. Zwillingelfnaben mit item golcleneq Stern.

Es war einmal. was einmal war; wäre es nicht ge


wefen. würde es nicht erzählt.
Es war einmal ein Kaifer. Diefer Kaifer herrfchte
über eine ganze Welt. und in diefer Welt lebte ein alter
Hirt mit feiner alten Hirtin. und die hatten drei Töchter:
Anna. Stana und Laptiha.*)
Anna. die ältefte der Schweftern. war fo fchön. daß die
Schafe zu weiden aufhörten. wenn fie in ihre Mitte trat;
Stana. die mittlere. war fo fchön. daß die Wölfe die Herde
bewachten. wenn fie Hüterin war; Laptißa aber. die jüngfte.
weiß wie der Schaum der Milch. und mit Haare weich wie
die Wolle der Lämmchen. war fo fchön wie ihre beiden
Schweftern zufammen. fo fchön wie nur fie fein konnte.
An einem Sommertage. als die Strahlen der Sonne
weniger fengend wurden. gingen die drei Schweftern an den
Saum des Gebirgswaldes. um Erdbeeren zu pflücken.
Während fie die Erdbeeren fuchten. hörten fie ein Pferde
getrappel. als ob ein ganzer Reitertrupp heranftürmte. Es
war aber auch der felbfteigene Sohn des Kaifers. der mit
feinen Freunden und Höflingen zur Jagd zog; lauter fchöne.

*) Milchweißchen. von ..Lapte“ - Milch.


..31_
ftolze Iünglinge. wie aufgewahfen auf dem Sattel der Roffe.
aber der fhönfte und ftolzefte unter ihnen war auf dem
feurigften Roß und war der Kaiferfohn felbft.
Als fie in die Nähe der drei Shweftern kamen und fie
erblickten. zügelten fie den Ungeftüm ihrer Pferde und ritten
langfam dahin.
..Hört Schweftern". fprach Anna. ..wenn Einer von
diefen mih zur Gemahlin nähme. wiirde ich ihm ein Brot
kneten. von dem er effen und fih ewig jung und muthig
fühlen follte.“
„Ich“. fagte Stana. ..wenn ich zur Frau erkoren würde.
würde meinem Gemahl ein Hemd weben. mit dem angethan
er gegen Drachen kämpfen könnte. durhs Waffer gehen.
ohne naß zu werden. und durchs Feuer. ohne fih zu ver
brennen.“
..Ich aber.“ fagte Laptiha. die jüngfte der Shweftern.
..wiirde meinem Gemahl zwei fhöne Knaben fchenken. Zwillinge
mit goldenem Haar und mit goldenem Stern auf der Stirn.
leuchtend wie der Morgenftern.“
Das hörten die ftolzen Iünglinge und. die Zügel der
Noffe wendend. eilten fie auf die Mädchen zu. ,
..Heilig fei Dein Wort. und mein follft Du werden. Du
fchönfte Kaiferin“. rief der l Sohn des Kaifers und hob
Laptiha hoh auf fein Pferd mit fammt ihren Erdbeeren.
..Und Du mein! Und Du mein!“ fagte der zweite
und der dritte Jüngling. und mit der holden Laft auf ihren
Roffen fprengten fie Alle zum Kaiferhof zurück.
Am andern Tage wurde die dreifahe Hochzeit gehalten.
und drei Tage und drei Nähte feierte das ganze Reich das
Freudenfeft mit großer Pracht und Herrlichkeit. Und nach
_32_

drei Tagen und drei Nächten ging die Kunde durch das
Land. daß Anna Korn gefammelt. gemahlen. gefiebt. ge
knetet und das Brad gebacken habe. fo wie fie es beim Erd
beerfuchen verfprochen hatte. Und nach wiederum drei Tagen
und drei Nächten ging die neue Kunde durch das Land. daß
Stana Leinfäden gefammelt. den Hanf gebrochen. gedörrt. .
gehechelt. zu Linnen gefponnen. das Linnen gewebt und
ihrem Gemahl das Hemd auf den Leib genäht habe. fo wie
fie es beim Erdbeerfuchen verfprochen hatte.
Nur Laptißa hatte noch nicht ihr Wort erfüllt. aber
nur mit der Zeit erfüllt fich Großes.
Als fich zum fiebenten Mal der fiebente Tag vollendete.
vom erften Tage der Hochzeit an gezählt. erfchien der
Kaiferfohn vor feinen Tapferen und dem anderen Hofftaat
mit freudigem Geficht und viel weicherer Stimme als bis
her und that kund und zu wiffen. daß er von jeht ab lange
Zeit nicht mehr feinen Hof verlaffen würde. weil das Herz
ihn zöge. Tag und Nacht bei feiner Gemahlin zu bleiben.
Und die Welt und das Land und das ganze Kaifer
reich freuten fich darauf. das zu fehen. was man noch nie
erblickt hatte.
Ja. aber Vieles gefchieht in der Welt. und unter dem
Vielen viel Gutes und viel Böfes!
Es hatte fich nämlich zugetragen. daß der Kaiferfohn
eine Stiefmutter hatte. und diefe eine fchb'nhaarige Tochter.
die fie mit in's Haus gebracht. da fie noch von ihrem erften
Gemahl war. Aber weh denen. die in folche Berwandtfchaft
gerathen! _
Die Stiefmütter hatte nun gedacht. daß ihre Tochter
Gemahlin des Kaifers und Kaiferin über das ganze Reich
werden foll. und nicht Milchweißchen. die Tochter des Hir
ten. Darum wollte fie es fo machen: wenn gefchah. was
Laptiha gefagt hatte. follte die Welt und der Kaiferfohn
glauben. daß es nicht fo wäre. wie es wirklich gefchehen und
wie es* vorher gefagt war.
Noch konnte fie aber ihren Plan nicht ausführen. weil
der Kaiferfohn Tag und Nacht bei feiner Gemahlin blieb.
Sie dachte aber. daß fo nach und nach. durch Rede und
Schlauheit. fie ihn davon abbringen könne. und dann blieb
Laptißa in ihrer Sorge. und dann wollte fie fchon dafür
forgen! 7
So mit ein paar Worten konnte fie den Kaiferfohn
aber nicht entfernen. Die Worte verwehten im Wind. und
alle Schlauheit blieb erfolglos. Die Zeit verging. der Tag
war nahe. fchon morgen. übermorgen konnte er dafein. und
der Kaiferfohn trennte fich nicht von feiner Gemahlin.
*Als die Stiefmütter fah. daß nichts anfäjlug. legte es
fich ihr wie ein Stein auf das Herz. und fie fchickte Nach
richt und Kunde ihrem Bruder. deffen Reich nahe lag. daß
er mit Soldaten und Helden kommen folle und den Kaifer
in den Krieg rufen. .
Dies war nun gut ausgedacht und. wie man fehen
wird. auch nicht vergeblich. Der Kaiferfohn fprang hoch
auf vor Zorn. als er die Kunde hörte. daß die Sol
daten des Feindes auf dem Wege feien um in fein Land
einzufallen. und daß werden folle. was lange nicht war
_nämlich eine Schlacht. eine furchtbare Schlacht. eine Schlacht
zwifchen zwei Kaifern. Da fah er. daß jeßt keine Hülfe mehr
fei. daß er t'hun müffe. was gethan werden mußte.
Denn fo find die Kaiferföhnel Wie gern fie auch die
3
_34_
Gemahlin behiiten. wie fehnfüchtig fie auch die Söhne erwar
ten: wenn fie von Krieg hören. dreht fich ihnen das Herz
ihm Leibe herum. fpringt ihnen das Gehirn im Kopf. trüben
fich ihnen die Augen. da laffen fie Frau und Kind in des
lieben Gottes Schuh und eilen wie der Wind in den Krieg,
Der Kaiferfohn brach auf wie die Gefahr. eilte wie
die Strafe Gottes. fchlug fich. wie er fich fchlug. wie nur
eben er fich fchlug. und war am dritten Tage bei Morgen
grauen wieder im kaiferlichen Hof. das Herz durch den
Kampf geftillt. aber voll ungeftillter Sehnfucht zu wiffen.
was gefchehen fei. feitdem er fortgezogen.
Und - fo war es gefchehen: Gerade am dritten Tage
im Morgengrauen. als die Sterne am Himmel verlöfchten.
als der Kaiferfohn nur drei Schritte von dem Thore feines
Palaftes entfernt war. ließ fich die Gabe des Herrn zur
Erde hinab. und es gefchah. wie Laptißa vorhergefagt: zwei
fchöne Knaben. Kaiferföhne. einer wie der andere. mit gol
denem Haar und dem goldenen Stern auf der Stirn.
Aber die Welt follte fie nicht fehen.
Die Stiefmutter. böfe wie ihre Gedanken waren. legte
fchnell zwei junge Hunde an Stelle der fchönen Knaben und
grub die Kinder mit dem goldenen Haar und dem Stern
auf der Stirn an der Ecke des Palaftes ein. gerade unter
den Fenftern des Kaifers.
Als der Kaiferfohn in den Palaft trat und hören und
fehen wollte. hörte er Nichts und fah nur die beiden Hünd
chen. welche von der Stiefmutter in Laptißas Bett gelegt
waren.
Viele Worte wurden nicht verloren. _Der Kaiferfohn
fah mit eigenen Augen. und das genügte. Laptißa hatte
_35 „
ihm niht Wort gehalten. und nun blieb nichts Anderes
übrig. als daß die Strafe fie träfe.
Der Kaiferfohn konnte niht anders. es zerriß fein Herz.
aber_er befahl. daß man die Kaiferin bis an die Bruft in
die Erde eingraben folle. damit fie fo in den Augen der
Welt bleibe zum Zeichen. was aus denen wird. die einen
Kaiferfohn betrügen wollen.
Am anderen Tage - da gefhah es nah dem Wunfhe
der Stiefmutterl Der Kaiferfohn vermählte fich zum zweiten
Mal. und wiederum dauerte die Freude der Hochzeit drei
Tage und drei Nähte.
Aber Gottes Segen ruht niht auf ungerehter That.
Die beiden Prinzen fanden keine Ruhe in der Erde,
Dort. wo fie begraben waren. wuhfen zwei fhöne Espen.
Als die Stiefmutter fie wuhfen fah. befahl fie. daß man fie
mit der Wurzel ausreiße, Der Kaifer aber fagte: „Laßt fie
wuhfen. fie gefallen mir vor dem Fenfter. Solhe Espen
habe ih noch nie gefehenl“
Und fo wuhfen die Espen. wuhfen fo. wie andere Espen
nicht wuhfen: an jedem Tage ein Iahr. in jeder Nacht ein
anderes Jahr. aber im Morgengrauen. wenn die Sterne am
Himmel verlöfhen. drei Jahre in einem Augenblick. Als drei
Tage und drei Nähte vollendet. waren die beiden Espen
fiolz und hoh und erhoben ihre Zweige bis an das Fenfter
des Kaifers. Und wenn der Wind ihre Zweige'bewegte.
laufhte der Kaifer und laufhte ganze Tage lang ihrem Gefliifter.
Die Stiefmütter ahnte. was es war. Hin und her
dahte fie. wie fie um jeden Preis die Espen vertilgen könnte.
Es war fhwer. aber der Frauen Wille preßt aus Stein Milh.
die Lift der Frauen befiegt die Helden; was Kraft niht
3*
vermag. vermögen füße Worte. und was diefe nicht können.
bewirken heuchlerifche Thränen.
Eines Morgens fcßte fich die Kaiferin auf den Rand
des Bettes zu ihrem Gemahl und fing an. ihn mit Zärtlichkeiten
und Liebesworten zu iiberfchütten. Es dauerte lange. ehe der
Faden riß. aber endlich - auch die Kaifer find ja Menfchen!
..Alfo gut“. fagte der Kaiferfohn fo mit halbem Munde.
..es fei nach Deinem Willen: laß die Espen abhauen; aber
aus einer foll ein Bett für mich. aus der anderen eines für
Dich gemacht werden.“
Die Kaiferin war damit zufrieden. Die Espen wurden
umgehauen. und es war noch nicht Nacht geworden. als die
Betten fertig in das Zimmer des Kaifers geftellt wurden,
Als der Kaiferfohn fich in das neue Bett legte. fchien
es ihm. als fei er hundertmal fchwerer geworden. und doch
fand er Ruhe. wie er fie noch nie gefunden; aber der Kaiferin
fchien es. als läge fie auf Neffeln und Dornen. fo daß fie
die ganze Nacht nicht fchlafen konnte.
Als der Kaifer eingefchlafen war. fingen die Betten an
zu krachen, Und aus diefem Krachen vernahm die Kaiferin
einen bekannten Sinn; es fchien ihr. als höre fie Worte. die
Niemand außer ihr verftand.
..Jft es Dir fchwer. Brüderlein?“ frug das eine der
Betten,
..Mini Nein. mir ift es nicht fchwer“. antwortete das
Bett. in dem der Kaifer fchlief. ..niir ift wohl. denn auf niir
ruht mein geliebter Vater!“ -
..Mir ift's fchwer“. fagte das andere Bett. ..denn auf
mir ruht eine böfe Seele!“
_.37_

Und fo fprachen die Betten weiter zu Ohren der Kaiferin


bis an das Morgengrauen.
Als der Tag kam. bedachte die Kaiferin. wie fie die
Betten wohl vernichten könne. Sie beftellte darum zwei
andere Betten gerade wie diefe. und als der Kaifer auf .die
Jagd gegangen war. fehte fie jene ohne fein Wiffen in das
Zimmer; die Betten aber aus den Espen warf fie bis auf
das kleinfte Brettchen ins Feuer,
Das Feuer brannte; aber im Praffeln des Feuers glaubte
die Kaiferin immer wieder diefelben Worte mit dem nur ihr
verftändlichen Sinn zu hören.
Als die Betten verbrannt waren und zwar fo. daß auch
nicht ein Stückchen Kohle übrig geblieben. fammelte die Kaiferin
die Afche und warf fie in die Winde. daß fie über neun
Länder und neun Meere zerftiebe. daß ein Theilchen das
andere in Ewigkeit nicht mehr fände.
Sie hatte aber nicht gefehen. daß. gerade als das Feuer
am fchönften brannte. zwei Funken fich erhoben und zum Licht
hinauf fchwebend in das tiefe Waffer fielen. welches mitten
durch das Kaiferreich floß. Hier wurden aus den beiden
Funken zwei Fifchlein mit Goldfchuppen. eines ganz fo wie
das andere. einander fo gleich. daß Jedermann wiffen mußte.
daß fie Zwillingsbrüder feien.
Eines Tages ftanden die kaiferlichen Fifcher früh Morgens
auf und warfen ihre Nehe in das Waffer. *Gerade in dem
Augenblick. als die lehten Sterne am Himmel verlöfchten. zog
einer der Fifcher fein Neß heraus und erblickte. was er noch
nie gefehen: zwei Fifchlein mit goldenen Schuppen.
Die Fifcher verfammelten fich. um das Wunder zu fehen;
aber als fie es gefehen und fich gewundert. befchloffen fie. die

z
_38_
Fifchlein lebend wie fie waren dem Kaifer als Gefchenk zu
überbringen.
..Bringt uns nicht dorthin. denn von daher kommen wir.
und dort ift unfer Berderben". fagte eines der Fifchchen,
..Aber was foll ich mit Euch machen?" fragte der Fifcher.
..Geh und fammele den Thau von den Blättern. laß
uns im Thau fchwimmen. leg uns an die Sonne und dann
komm nicht eher wieder. als bis die Sonnenftrahlen den
Thau von uns aufgefogen“. fagte das zweite Fifchchen.
Der Fifcher that. wie ihm geheißen. fammelte* den Thau
von den Blättern. ließ die Fifchlein im Thau fchwimnien.
legte fie in die Sonne und kam nicht eher wieder. als bis
die Sonne den Thau von ihnen aufgefogen hatte.
Aber was war gefchehen! Was erblickte er! Zwei
Knaben. fchöne Prinzen mit goldenem Haar und goldenem
Stern auf der Stirn. einer wie der andere. fo daß Jeder.
der fie fah. wiffen mußte. daß fie Zwillingsbrüder feien.
Die Kinder wuchfen fchnell. Jn jedem Tage ein Jahr
und in jeder Nacht ein anderes Jahr. aber im Morgengrauen.
wann die Sterne am Himmel verlöfchen. drei Jahre in einem
Augenblick. Und dann wuchfen fie. wie Andere nicht wachfen:
dreifach an Alter. dreifach an Kraft und dreifach, an Ber
ftand. Als drei Tage und drei Nächte vollendet waren.
waren fie zwölf Jahr an Alter. vier und zwanzig. an Kraft
und fechs und dreißig an Berftand.
..Jetzt laßt uns zu unferem Vater gehen". fagte einer
der Prinzen zu dem Fifcher.
Der Fifcher zog fie Beide fchön an. machte jedem eine
Lammfellmühe. welche die Knaben tief in das Geficht zogen.
damit Niemand das goldene Haar und den goldenen Stern
' auf der Stirn fehen folle. und führte dann die Prinzen zum
Kaiferhof.
Es war heller Tag. als fie bei Hofe anlangten. ..Wir
wollen den Kaifer iprechen“. fagte einer der Prinzen zu der
Wache. die bewaffnet an dem Thore des Palaftes ftand.
..Das geht niht. weil er gerade bei Tifh ift“. ant
wortete ihnen die Wahe,
..Gerade weil er bei Tifh fiht“. fagte der zweite Prinz.
durh das Thor eintretend.
Die Wahen liefen zufammen und wollten die Knaben
vom Hofe fortjagen. aber diefe gingen mitten durch fie hin
durh. wie Queckfilber durch die Finger. Mit drei Schritten
vorwärts und drei Schritten aufwärts ftanden fie vor dem
großen Saal. wo der Kaifer mit feinem Hofftaat fpeifte.
..Wir wollen eintreten“. fagte einer der Prinzen fcharf
zu den Dienern. die an der Thür ftanden.
„Das geht niht an“. erwiderte ein Diener.
..SW das wollen wir doch fehen. ob es angeht oder niht“.
rief der andere Prinz. die Diener rehts und links bei Seite
fchiebend,
Aber es waren der Diener viele und der Prinzen nur
zwei. Es wurde draußen ein Gedränge und ein Lärm. daß
es im Palaft wiederhallte.
..Was giebt es dort draußen?“ fragte der Kaifer erzürnt.
Die Prinzen hielten ein. als fie die Stimme ihres
Vaters hörten.
..Zwei Knaben wollen mit Gewalt eindringen“ fagte
ein Diener. zum Kaifer eintretend.
..Mit Gewalt? Wer will mit Gewalt in meinen
_40_
Palaft eindringen? Wer find diefe Knaben?“ rief der Kaifer
in einem Athem,
..Wir wiffen es nicht. hoher Kaifer“. antwortete der
Diener. ..aber es muß eine befondere Bewandtniß mit ihnen
haben. denn die Knaben find ftark wie junge Löwen. fo
daß fie die Wache am Thor bewältigt haben und uns Allen
jetzt zu fchaffen machen. Und dann find fie ftolz. fie nehmen
nicht mal die Mühe vom Kopf.“ -
Der Kaifer wurde roth vor Zorn.
..Werft fie hinaus!“ rief er. „Heßt die Hunde auf fie!“
..Laßt nur. wir gehen auch fchon fo“. fagten die Prinzen.
über die harten Worte weinend. und gingen die Treppe wie
der hinunter.
Als fie aus dem There traten. hielt fie ein Diener an.
der athemlos ihnen nachgeeilt war.
..Der Kaifer hat befohlen. daß Ihr kommen follt. die
Kaiferin will Euch fehen!“
Die Prinzen bedaihten fich etwas. dann wandten fie
fich um. ftiegen die Treppen hinan und traten zum Kaifer
ein. die Mühen auf dem Kopf.
Da ftand eine lange. breite. gedeckte Tafel. und an der
felben faßen alle kaiferlichen Gäftez obenan am Tifch der
Kaifer und neben ihm die Kaiferin. auf zwölf feidenen Kiffen
ruhend.
Als die Prinzen eintraten. fiel eines der Kiffen. auf
denen die Kaiferin faßt zur Erde. Sie blieb nur auf elf Kiffen.
..Nehmt die Mühen vom Kopf!“ rief ein Höfling den
Prinzen zu.
..Die Kopfbedeckung ift dem Menfchen ein Zeichen der
Würde. Wir wünfchen zu fein. was wir* find.“
__4j_
„Nun ja!“ rief der Kaifer. befänftigt durch die goldenen
Laute. die aus dem Munde des Knaben tönten. ..Bleibt. wie
Ihr feid. aber wer feid Ihr denn? Woher kommt Ihr. und
was wünfcht Ihr?“
..Wir find zwei Zwillingsknaben. zwei Sprößlinge eines
Stammes. der entzwei gebrochen. halb in der Erde. halb an
der Spitze der Tafel ift; wir kommen daher. von woher wir
ausgegangen. und find dort angelangt. woher wir kommen;
wir haben einen weiten Weg gehabt. wir haben im Säufeln des
Windes gefprochen. dem Holze Stimme gegeben. wir haben in
den Wellen des Waffers gefungen. aber jeßt wollen wir Dir mit
Menfchenfprache ein Lied fingen. was Du kennft. ohne es zu wiffen.“
Der Kaiferin entfiel ein zweites Kiffen.
..Laß fie' mit ihren Dummheiten heimgehenl“ fagte fie
zu ihrem Gemahl,
„O nein. laß fie fingen“. antwortete der Kaifer. „Du
haft fie nur fehen wollen. ich aber wünfche fie zu hören. '
Singt. Ihr Knaben!“
Die Kaiferin fchwieg. aber die Prinzen begannen die
Gefchichte ihres Lebens zu fingen.
..Es war einmal ein Kaifer“. begannen, die Prinzen: ein
drittes Kiffen entfiel der Kaiferin.
Als die Prinzen den Auszug des Kaiferfohns in den
Krieg erzählten. entfielen der Kaiferin drei Kiffen auf einmal.
Als die Prinzen ihr Lied beendet hatten. war kein einzig
Kiffen mehr unter der Kaiferin; als fie aber ihre Mühen
vom Kopf nahmen und ihr goldenes Haar und den goldenen
Stern auf der Stirn zeigten. hielten die Gäfte. die Hofleute
und der Kaifer fich die Augen zu. damit fie nicht geblendet
würden von fo viel Glanz. *
-42_

Und nachher gefchah. was von Anfang an hätte fein


follen: Laptißa faß oben an der Tafel neben ihrem Gemahl.
Die Tochter der Stiefmutter aber blieb die niedrigfte Magd
im Palafte Laptiha's. und die Stiefmütter mit den böfen
Gedanken wurde an den Schweif einer wilden Stute gebun
den und umkreifte fo die Erde fieben Mal. damit die Welt
wiffe und nicht wieder vergeffe. daß wer Böfes finnt. *böfe
endigt.

[7,

Yan Yenteltlfen mit zwei freiem.

Es war einmal ein alter Mann und eine alte Frau.


Die Alte hatte eine Henne und der Alte einen Hahn; die
Henne der Alten legte zweimal täglich. und fie aß eine
Menge Eier. dem Alten aber gab fie kein einziges. Eines
Tages verlor der Alte die Geduld und fagte: ..Hör'. Alte.
Du lebft wie im Schlaraffenland. gieb mir doch auch mal
ein paar Eier. daß ich wenigftens einen Gefchmack davon
bekomme!“
..Warum nicht gar!“ fagte die Alte. die fehr geizig war.
..Wenn Du Luft auf Eier haft. fchlag Du auch Deinen Hahn.
damit er Dir Eier lege. und dann iß fie; ich habe meine
Henne geprügelt. und fieh nur. wie fie jeht legt!“
Der Alte. gierig und happig wie er war. hörte auf der
Alten Rede. nahm ärgerlich feinen Hahn vor. gab ihm eine
gehörige Tracht Prügel und fagte:
_43_
..So. jeht leg' mir Eier. oder geh mir aus dem Haufe.
denn ih will Dih niht mehr umfonft füttern“.
Der Hahn. fowie er aus den Händen des Alten ent
kam. lief vom Haufe weg und fpazierte auf der Landftraße
einher. Als er fo feines Weges ging. fhau an! da fand
er ein Beutelhen mit zwei Dreiern. Und wie er es gefun
den hatte. nahm er es in den Shnabel. wandte um und
inahte fih nach dem Haufe des Alten auf. Unterwegs ftieß
er auf einen Wagen mit einem Herrn und einigen Damen.
Der Herr erblickte den Hahn. fah in feinem Shnabel ein
Beutelhen und fagte dem Kutfher:
..Du. hör'. fteig ab und fieh. was diefer Hahn da im
Shnabel hat.“
Der Kutfher ftieg fhnell vom Bock herunter. nahm
das Beutelhen aus dem Shnabel des Hahns und gab es
dem Herrn. Der Herr nahm es. fteckte es in die Tafhe
und fuhr weiter. Der Hahn hierüber erboft. ließ niht nah.
fondern lief hinter dem Wagen her und fagte unaufhörlih:
Kikerikieh. Herr. Kikerikück.
Gebt mir's Beutelhen zurück.

Der aufgebrahte Herr fagte dem Kutfher. als fie an


einen Brunnen gelangten:
..Du. nimm diefen unverfhämten Hahn und wirf ihn
in jenen Brunnen.“
Der Kutfher ftieg wieder vom Bock herab. ergriff den
Hahn und warf ihn in den Brunnen. Als der Hahn die
große Lebensgefahr fah. in der er fteckte. was follte er da
machen?
Er begann das Waffer einzufhlucken und fhlnckte und
_44:

fchluckte. bis er alles Waffer aus dem Brunnen eingefchluckt


hatte. Dann flog er aus ihm heraus und lief dem Wagen
wieder nach mit feinem Gefchrei:

Kikerikieh. Herr. Kikerikück.


Gebt mir's Beutelchen zurück.

Als der Herr dies fah. wußte er fich vor Verwunde


rung nicht zu laffen und fagte: ..Hohol diefer Hahn ift doch
rein des Teufels! Laß nur gut fein! Du Hahnenkamm.
Dir werd' ich an den Kragen kommen!“ Und fo wie er zu
Haufe angelangt. fagte er der Alten in der Küche. den Hahn
zu nehmen und ihn in den Heerd zu werfen. in die glühen
den Kohlen. und einen großen Stein vor die Heerdöffnung zu
fchieben. Die Alte that nach Befehl. wie ihr der Herr ge
fagt hatte. Als der Hahn diefe neue große Ungerechtigkeit
fah. begann er das Waffer auszufpeien und goß fo das
ganze Waffer aus dem Brunnen auf die glühenden Kohlen.
bis er das Feuer ausgelöfcht und den Heerd ausgekühlt hatte;
ja. noch mehr. eine ganze Waffersnoth hatte er auf dem Fuß
boden angerichtet. fo daß die Kiichenalte vor Aerger rein ver
ging. Dann gab er der Heerdthür einen Schups. kam heil
auch von dort heraus. eilte an das Fenfter des Herrn. be
gann mit dem Schnabel an die Scheibe zu hämmern und fagte:
Kikerikieh. Herr. Kikerikück.
Gebt wir's Beutelchen zurück.

..Weiß Gott. daß ich mir eine Plage mit diefem Un


thier von einem Hahn aufgehalft habe“. fagte der Herr.
..Kutfcher. befreie mich von ihm und wirf ihn mitten in die
Ochfen- und Kuhheerde: vielleicht kommt er einem Stier
_45__

gerade recht. der nähme ihn auf die Hörner. und wir
wären ihn los.“ Der Kutfcher ergriff wiederum den Hahn
und warf ihn in die Viehheerde, Da hätteft Du die Freude
unferes Hahns fehen follen! Wie der die Stiere. die Ochfen.
die Kühe und Kälber einfchluckte. bis er die ganze Heerde
verfchluckt hatte. und fein Bauch fo groß wie ein Berg ge
worden war. 'Dann ging er wieder ans Fenfter. breitete
feine Flügel vor die Sonne. fo daß er das Zimmer des
Herrn verdunkelte. und begann von Neuem:
Kikerikieh. Herr. Kikerikück.
Gebt mir's Beutelchen zurück.
Als der Herr auch dies noch fah. plahte er vor Aerger
und wußte nicht. was er anfangen follte. um den Hahn los
zu werden. So ftand er alfo da und dachte nach. bis ihm
etwas einfiel:
„Ich werde ihn in die Geldkannner fperren. Vielleicht
wird er nach den Dukaten fchlucken. ihm einer im Halfe
ftecken bleiben und er dran erfticken. fo wäre ich ihn los!“
Gefagt. gethan. er nimmt den Hahn und wirft ihn in
die Geldkammer! Der Hahn fchluckt darauf alles Geld ein
und läßt alle Kaften leer zurück. Dann geht er auch von
da heraus. begiebt fich ans Fenfter des Herrn und beginnt
wiederum:
Kikerikieh. Herr. Kikerikück.
Gebt mir's Beutelchen zurück.

Als der Herr fieht. daß ihm nichts anderes zu thun


übrig bleibt. wirft er ihm das Beutelihen hin. Der Hahn
lieft es auf. geht feinen Angelegenheiten nach und läßt den
Herrn in Ruhe. Da läuft alles Federvieh dem Hahn nach.
-46_

daß es ausfieht wie eine Hochzeit. wahrhaftig; der Herr


aber fieht grün vor Aerger dem Federvieh nach und fagt
feufzend:
..Mög' es Alles bis auf den leßten Pips davon rennen.
ich bin nur froh. daß ich die Plage los bin; denn das ging
nicht ganz mit rechten Dingen zu!“
Der Hahn aber fchritt aufgebläht und ftolz einher. er
voran. das Geflügel alles ihm nach. und er ging. immer
munter weiter. bis er am Haufe des Alten anlangte. und
vom Thorweg her fing er an zu krähen: Kikerikieh!
Wie der Alte die Stimme des Hahnes hört. läuft er
ihm mit Freuden entgegen; da er aber über das Thor fieht.
was erblickt er! Sein Hahn war etwas Erfchreckliches ge
worden! Ein Elephant neben diefem Hahne hätte wie ein
Floh ausgefehen; und dann kamen hinter ihm her ungezählte
Heerden von Vögeln. von denen einer immer fchöner und
fchillernder als der andere war, Als der Alte den Hahn fo
groß und dick fah. öffnete er ihm die Thore. Darauf fagte
der Hahn: „Herr. breite ein Leintuch hier mitten in den Hof.“
Der Alte. fchnell wie ein Kreifel. fpreizte das Tuch aus.
Der Hahn nahm auf ihm Plah. breitete die Flügel aus. und
fogleich füllte fich der Hof des Alten mit Vögeln und mit
Heerden von Vieh. auf das Tuch aber fchiittete er einen
Haufen von Dukaten. die fo in der Sonne glänzten. daß fie
Einen blendeten. Als der Alte diefe großen Schähe fah.
wußte er gar nicht. was er vor Freude machen follte und
küßte und herzte den Hahn,
Doch da. fieh mal an. tauchte auch die Alte von
irgendwo her auf. und als fie fo etwas Unerhörtes fah.

/.
-47_
funkelten ihr die Augen im Kopfe und fie plahte faft vor
Aerger.
..Alterhen“. fagte fie. ..gieb mir auh ein paar Dukaten.“
..Laß Dir die Luft danach vergehen. Alte; als ih Dih
um Eier bat. weißt Du noh. was Du mir da geantwortet
, haft? Ießt prügle Du auh Deine Henne durh. damit fie
Dir Dukaten bringt. denn ih hab' den Hahn geprügelt. und
fich. was er mir gebraht hat!“
Darauf ging die Alte in den Hühnerftall. fchüttelte die
Henne. nahm fie beim Schwanz und verfehte ihr eine Traht
Prügel. daß man vor Mitleid hätte weinen können. Als
die arme Henne aus den Händen der Alten entkommen war.
entflo'h fie auf die Landftraße. Und als fie fo des Weges
ging. fand fie auh ein Perlhen und fchluckte es ein. dann
kehrte fie fhleunigft nah Haufe. zur Alten zurück und fing fhon
vorm Thor ihr Gackgack an. Die Alte lief ihr freudig ent
gegen. Die Henne fprang übers Thor. lief fhnell an der Alten
vorbei und fehte fich ins Neft; nah fo einer Stunde fprang
fie gackernd vom Neft herunter. Drauf ging die Alte eilig
nahfehen. was ihr die Henne gelegt. Als fie aber in's Neft
fhaute. was fah fie? Ein Glasperlhen! Die Henne hatte
ein Glasperlhen gelegt! Als die Alte nun merkte. daß die
Henne fie zum Narren gehabt hatte. fing fie an fie zu prü
geln und prügelte fie. bis fie fie todtgeprügelt hatte. Und fo
blieb die dumme Alte arm wie eine Kirhenmaus. Von
jeßt an kann fie gebratene Nihtshen und goldene Wartein
weilchen ftatt der Eier effen. denn fie hat die Henne ver
höhnt und fie gemordet. ohne daß fie im Geringften
fhuldig war.
Der Alte aber war fehr reih; er hatte fih große Häufer
_48

gebaut und fchöne Gärten angelegt und lebte fehr behäbig.


Die Alte hat er zur Hühnermagd gemacht. den Hahn aber
nahm er überall mit fich. mit einem goldenen Halsband und
mit gelben Stiefeln und Sporen an den Hacken. daß man
hätte meinen können. er fei einer von den drei Königen aus
dem Weihnachtsfpiel und nicht ein Hahn. gut zur Borfch
iuppe

l7.

Yan verwunnchene Schwein.

Es war einmal. wie's keinmal war. wäre es nicht


gewefen. würde es nicht erzählt. Seitdem der Floh an einem
Fuß mit neun und neunzig Pfund Eifen befchlagen wurde
und in den Himmelsraum fprang. um uns die Märchen
zu holen »u feit auf die Wand die Fliege fchrieb. der. der's
nicht glaubte. ein Lügner blieb.
Es war einmal ein Kaifer. der hatte drei Töchter. Und
da er in die Schlacht gehen follte. rief er feine Töchter zu
fich und fagte ihnen:
..Seht. meine Lieben. ich bin genöthigt in den Krieg
zu ziehen. Der Feind hat fich mit einem großen Heere gegen
uns aufgemacht. Mit großem Schmerz trenne ich mich von
Euch. Während meiner Abwefenheit nehmt Euch zufammen
und feid vernünftig. benehmt Euch gut und forgt für die
Angelegenheiten des Haufes. Ihr dürft im Garten fpazieren
__ 49- _

gehen. in alle Zimmer des Haufes treten. nur in das Zimmer


hinten rechts in der Ecke dürft Ihr nicht hinein. denn fonft
würde es Euch fchlimm ergehen.“
..Sei ganz ruhig. Vater“. entgegneten fie. „Wir find
Dir noch nie ungehorfam gewefen. Zieh' ohne Sorge. und
der Herr gebe Dir einen glänzenden Sieg.“
Als Alles zum Aufbruch bereit war. gab der Kaifer
ihnen die Schlüffel zu allen Zimmern und erinnerte fie noch
einmal an die Weifungen. die er ihnen ertheilt hatte.
Die Kaifertöchter küßten ihm mit Thränen in den Augen
die Hand. wünfchten ihm Sieg. und die Aeltefte von ihnen
empfing die Schlüffel aus des Kaifers Hand,
Als die Mädchen fich allein fahen. wußten nicht.
K was fie vor Betrübniß und Langweile thun follten. Um
fich zu zerftreuen. befchloffen fie. einen Theil des Tages zu
arbeiten. einen Theil zu lefen und einen Theil im Garten
fich zu vergnügen. So thaten fie denn auch. und es erging
ihnen wohl dabei.
Der Böfe aber ftörte den Frieden der Mädchen und
ftiftete Unheil.
..Meine Schweftern“. fagte das ältefte Mädchen. ..fo lang
der Tag ift. fpinnen. nähen und lefen wir. Wir find fchon
feit einigen Tagen allein. es ift kein Eckchen des Gartens
e mehr. in dem wir nicht fchon gewefen wären. Wir find
durch alle Zimmer in unferes Vaters Palaft gegangen und
haben bewundert. wie fchön und reich fie ausgefchmückt find;
warum follten wir nicht auch in das Zimmer gehen. deffen
Eintritt uns der Vater verboten hat?“
..Um Gottes Willen. Schwefterlein“. fagte die Jüngfte.
..ich begreife nicht. wie Dir folch Gedanke in den Sinn
4
-50_
kommen kann. wie Du uns dazu verleiten willft. unferes Vaters
Gebot zu übertreten! Als der Vater fagte. wir follten nicht
hinein gehen. wird er wohl gewußt haben. was er fagte. und
warum er es that.“
..Wahrhaftig. der Himmel würde nicht gleich einfallen.
wenn wir hinein gingen“. fagte die Zweitältefte. ..Drachen oder
andere Unthiere. die uns auffräßen. werden ficher nicht drin
fein, Und woher foll der Vater erfahren. daß wir hinein
gegangen find?“
Jndem fie fo fprachen und fich ermuthigten. gelangten
fie bis vor das Zimmer. die Aeltefte fteckte den Schlüffel ins
Schloß und knirfch! öffnete fich die Thür.
Die Mädchen traten ein.
Und was fahen fie nun? Das Zimmer hatte keinen
Schmuck. in der Mitte desfelben aber ftand ein großer Tifch
mit einem koftbaren Teppich bedeckt und auf ihm lag ein
großes. aufgefchlagenes Buch.
Die neugierigen Mädchen wollten wiffen. was in dem
Buche ftände. Die Aeltefte vor Allem. und hier folgt. was
fie las:
..Die ältefte Tochter diefes Kaifers wird ein Kaiferfohn
des Oftens heirathen.“
Nun trat auch die Zweite heran und das Blatt um
wendend. las fie auch:
..Die zweite Tochter diefes Kaifers wird ein Kaiferfohn
des Weftens heirathen.“
Die Mädchen (achten und freuten fich und fchäkerten
und fcherzten unter einander. Die jüngfte Tochter aber
wollte nicht hingehen und lefen,
Die Aelteren aber ließen ihr keine Ruhe. fondern mit
oder gegen ihren Willen führten fie fie auh an den Tifch.
und zögernd fhlug fie das Blatt um und las:
..Die jüngfte Tohter diefes Kaifers wird ein Schwein
zur Frau nehmen.“
Wäre der Blih des Himmels auf fie niedergefahren.
hätte er fie niht fhlimmer treffen können. als es diefe Worte
thaten. Sie wäre vor Kummer faft geftorben. Und hätten
die Shweftern fie niht gehalten. würde fie fih beim Um
fallen den Kopf zerfhlagen haben,
Als fie aus der Ohnmacht. in die fie vor Shreck ge
fallen war. zu fih kam. fingen ihre Shweftern an. fie zu
tröften.
..Wie kannft Du denn an all7 das glauben! Wo
wäre das je vorgekommen. daß eine Kaiferfohter ein Schwein
geheirathet hätte!“
..Was bift Du für ein Kind“. fagte die Andere. ..hat
der Vater denn niht genug Soldaten. um Dih davor zu
bewahren. felbft wenn ein fo ekelhaftes Thier käme. um Dih
zu freien?“
Die jüngfte Kaiferfohter hätte fih gern überreden laffen
und das geglaubt. was ihr die Shweftern fagten. aber fie
hatte niht das Herz dazu. Ihre Gedanken hingen an dem
Buh. in dem ftand. welch fhönes ,Glück ihren Shweftern
zu Theil werden follte. und daß ihr allein etwas gefhehen
follte. was bisher noh niht in der Welt vorgekommen war,
Außerdem nagte es ihr am Herzen. daß fie fih die Ueber
tretung des väterlichen Gebotes hatte zu Shulden kommen
laffen.
Sie fing an zu kränkeln. Und in einigen Tagen hatte
fie fih fo verändert. daß fie niht wiederzuerkennen war; fie
4*
_52
war rothwangig und heiter gewefen. jeht war fie bleih und
nichts machte ihr mehr Freude. Sie vermied es. mit den
Shweftern im Garten zu fpielen. pflückte keine Blumen
mehr. um fie fih ins Haar zu ftecken. fang niht mehr
mit den Anderen beim Spinnen oder beim Nähen.
Währenddem erfocht der Bater der Mädchen. der
Kaifer. einen Sieg. wie er ihn niht erhofft hatte; er be
fiegte und verjagte den Feind. Und da fein Sinn immer
nach feinen Töhtern ftand. mahte er es möglih. fo fhnell
er irgend konnte nah Haufe zurückzukehren. Alle Welt ging
ihm entgegen mit Pauken. Trommeln und Pfeifen und freute
fih. daß der Kaifer fiegreih heimkehrte.
So wie er anlangte. ehe er noh ins Haus trat. dankte
der Kaifer dem Herrn. daß er ihm beigeftanden habe gegen
die Feinde. die fih gegen ihn erhoben hatten. um ihn zu
bekämpfen. Dann trat er ins Haus; feine Töchter gingen
ihm entgegen. Seine Freude vermehrte fih. als er fie ge
fund fah; die Jüngfte nahm fih fo viel wie möglich zu
fammen. um nicht traurig zu erfcheinen.
Trotz alledem bemerkte der Kaifer nah niht langer
Zeit. daß feine jüngfte Tohter immer magerer und betrübter
wurde. Allfogleih war ihm. als zöge man ein glühendes
Eifen durh feine Seele. denn ihm fiel ein. daß fie fein Ber
bot übertreten haben könnte. Und wie follte fie es niht
gethan haben!
Um fih davon zu überzeugen. rief er feine Töchter.
fragte fie aus und befahl ihnen. die Wahrheit zu fagen, Sie
geftanden ihm Alles ein. hüteten fih aber zu fagen. wer
von ihnen die Anderen verleitet hatte.
Als der Kaifer dies hörte. grämte er fich bitterlih. und
_53_
faft hätte ihn die Trauer überwältigt. Er faßte fich aber
ein Herz und verfuchte. feine Tochter. die ganz zu vergehen
fchien. zu tröften. Was gefche'hen war. war gefchehen. er
fah jetzt. daß taufend Worte die Sache auch nicht um einen
Heller verbefferten.
Diefe Vorfälle waren beinah vergeffen worden. als
eines Tages der Sohn eines Kaifers aus dem Often vor
dem Kaifer erfchien und die ältefte Tochter zur Frau be
gehrte. Der Kaifer gab fie ihm mit Freuden. Man richtete
eine riefige Hochzeit her. und nach drei Tagen begleitete
man fie mit allen Ehren bis an die Grenze. Nach einiger
Zeit gefchah dasfelbe mit der zweiten Tochter. um die ein»
Kaiferfohn aus dem Weften geworben hatte.
Je mehr die jüngfte Kaifertochter fah. daß fich Alles
erfüllte. wie es im Buche gefchrieben ftand. um fo mehr be
trübte fie fich. Sie wollte nicht mehr effen. zog ihre fchönen
Kleider nicht mehr an. ging nicht mehr fpazieren. fie wollte
lieber fterben. als fo zum Gefpött der Welt werden. Aber
der Kaifer gab nicht zu. daß fie fo eine gottlofe Handlung
ausführte. fondern tröftete fie mit allen möglichen Reden,
Es verging noch. was an Zeit vergehen follte. bis. fieh
an! es eines Tages dem Kaifer gefchah. daß ein großes
Schwein in den Palaft kam und ihm fagte:
..Heil Dir. Kaifer. mögeft Du rofig und guter Dinge
fein. wie der Sonnenaufgang an einem klaren Tage!“
..Es freut mich. Dich wohl zu fehen. Freund! Aber
welcher Wind bringt Dich her?“
..Ich gehe auf Freiersfüßen“. antwortete das Schwein,
Der Kaifer wunderte fich. wie er von einem Schwein eine
fo fchöne Rede hörte. und ihm kam gleich in den Sinn. daß
_54_
die Sache nicht mit rechten Dingen zugehen könnte. Der
Kaifer hätte das Schwein gern auf andere Gedanken gebracht.
um ihm feine Tochter nicht zur Frau zu geben; als er aber
hörte. daß Hof und Straße voll von Schweinen waren. konnte
er nicht ausweichen. und verfprach fie ihm. Das Schwein ließ
fich's aber nicht genug an dem Berfprechen fein. fondern nahm
die Sache ernft und verlangte. daß die Hochzeit binnen einer
Woche ftattfinden follte. Erft nachdem ihm der Kaifer fein
Kaiferwort darauf gegeben hatte. ging das Schwein davon.
Der Kaifer rieth nun feiner Tochter. fich einftweilen
dem Schickfal zu unterwerfen. wenn der Herrgott es fo be
ftimmt habe, Darauf fagte er ihr noch:
..Meine Tochter. die Reden und das verftändige Be
nehmen diefes Schweines find nicht die eines Thieres. ich
glaube nun einmal nicht. daß es als Schwein zur Welt ge
kommen ift. Hier muß irgend eine Zauberei oder eine
andere Teufelei im Spiele fei. Sei Du ihm aber gehorfam
und handle nicht gegen fein Gebot. denn der Herrgott wird
nicht zugeben. daß Du Dich lange Zeit fo quälen mußt.“
..Wenn Jhr. lieber Vater. es räthlich findet. daß ich fo
handle“. entgegnete das Mädchen. ..folge ich Euch und feße
meine Hoffnung auf Gott. Was er will. gefchehe mir!“
Mittlerweile nahte auch der Howzeitstag heran. Die
Trauung wurde fo zu fagen im Geheimen vollzogen; darauf
feßte fich das Schwein mit feiner Gattin in einen kaifer
lichen Wagen und fuhr nach feinem eigenen Haufe.
Unterwegs kamen fie an einem großen Moraft vorbei;
das Schwein befahl. daß der Wagen anhielte. flieg ab und
wälzte fich im Schlamm. bis es ihm ganz gleich fah; dann
ftieg es wieder ein und fagte feiner Braut. fie möge es
_55_
'küffen Das arme Mädchen. was follte es thun! Es zog
das Sacktiihlein heraus. wifhte ihm ein wenig die Schnauze
und küßte es. indem es'fih der Weifungen feines Vaters
erinnerte.
Als fie an der Wohnung des Shweines anlangten. die
in einem großen Walde war. wurde es fhon dunkel. Sie
faßen ein wenig ftill. um fich von der Fahrt zu erholen
aßen zufammen ein Nahtmahl und legten fih dann zur
Ruhe. In der Naht bemerkte die Kaiferfohter. daß ein Menfh
und niht ein Shwein neben ihr fhlief. Sie wunderte fih
nicht wenig. Dabei erinnerte fie fih an die Worte ihres
Vaters und begann wieder etwas Muth zu faffen und feft
auf Gottes Hülfe zu bauen.
Abends nämlich legte das Shwein. ohne daß das Mäd
chen es merkte. feine Shweinehaut ab. und am Morgen. ehe
fie aufwahte. zog es fie wieder an.
Eine Naht verging. eine zweite. mehrere vergingen.
und das Mädhen konnte niht begreifen. wie es möglih
fei. daß ihr Mann am Tage ein Shwein. Nahts aber
ein Menfh wurde, Wie's fhien. war es verwunfhen.
verhext,
Mit der Zeit gewann fie ihn lieb. befonders als fie fih
Mutter fühlte; es betrübte fie nur. daß fie niht wußte.
was in einigen Monaten zur Welt kommen würde. Eines
fhönen Tages fah fie eine alte Hexe vorbei kommen.
Sie. die fo lange Zeit keine Menfhen gefehen hatte.
war von dem Anblick gerührt und rief fie. um mit ihr
etwas zu fhwahen. Die Hexe fagte ihr. fie könne wahr
fagen. Heilkräuter geben und verftehe alle ähnlihen Künfte.
..So mög's Dir wohl gehen. Alte; nun. fo'deute mir
_56_

doh das Wunder: was hat es für eine Bewandtniß mit'


meinem Manne? Warum ift er Tags ein Schwein. Nachts
aber. wenn er neben mir fhläft. ein Menfch?“
..Was Du mir da fagft. Herzenskindhen. wollte ih
Dir vorher fagen. denn ich bin niht nmfonft Wahrfagerin.
Soll Dir das Mütterhen ein Kraut geben. das den Zauber
briht?“
„Gieb's mir. bitte. Mütterhen. ih werde Dir zahlen.
was Du nur verlangft. denn ih hab's überdrüffig. ihn fo
zu fehen“
..Hier. Herzhen. nimm diefen Faden, Er darf aber
nihts davon wiffen. fonft hat er keine Heilkraft. Steh Du
fachte auf. wenn er fhläft und binde ihm diefen Faden um
den linken Fuß. fo ftramm wie nur möglih. und Du. mein
Herzenskind. wirft fehen. daß er am nähften Tage Menfch
bleibt. Geld brauhe ih niht. Jh werde genügend bezahlt
fein. wenn ih erfahre. daß Du folh einer Schändlihkeit
entkommen bift. Mir reißen wirklih die Herzbänder vor
Mitleid mit Dir entzwei. mein Täubhen. und ich bedauere
nur immerzu. daß ih es niht eher erfahren habe. um Dir
zu Hülfe zu eilen!“
Nahdem das alte Hexenweib fortgegangen war. ver
fteckte die Kaifertochter forgfältigft den Faden; in der Naht
aber ftand fie fachte auf. fo daß niht einmal die Nachtgeifter
fie hörten. und mit gepreßtem Herzen band fie den Faden
um ihres Mannes Fuß. Als fie den Knoten anziehen wollte -
ritfch! riß der Faden entzwei. denn er war mürbe.
Als ihr Mann erfhreckt aufwahte. fagte er ihr: ..Was
haft Du gethan. Unglückfelige! Ih hatte noh drei Tage.
.dann wäre diefer unreine Zauber von mir genommen wor
._ 57 „„
den; jetzt muß ich noch Gott weiß wie lange diefe ekelhafte
Thiergeftalt tragen. Du aber wirft mich dann erft finden.
wenn Du drei Paar eiferne Sandalen zerriffen. wenn Du
einen ftählernen Stab abgeweßt haft auf der Suche nach
mir. denn ich gehe davon.“
So fagte er und verfchwand.
Als die arme Kaifertochier fich mutterfeelenallein fah.
fing fie zu weinen an und zu wehklagen. daß Einem
das Herz 'hätte brechen können. Sie wünfchte Feuer und
Flamme auf die verfluchte Wahrfagerin herab. Aber Alles
vergebens. Als fie fah. daß fie mit ihrem Kummer nichts
ausrichtete. ftand fie auf und ging. wohin fie Gottes Barm
herzigkeit führen würde.
Als fie in eine Stadt kam. beftellte fie fich drei Paar
eiferne Sandalen und einen Wanderftab aus Stahl. machte
fich reifefertig und ging auf die Wanderfchaft. um ihren Mann
zu findur
Sie ging und ging über neun Meere und durch neun
Länder. zog durch große Wälder mit Baumftämmen wie
.Fäffer. fie ftolperte und fchlag fich an den umgeftürzten
Bäumen. und fo oft fie fiel. fo oft ftand fie auch wieder
auf; die Zweige der Bäume fchlugen ihr ins Geficht. die
Gefträuche zerriffen ihr die Hände. fie aber ging immer vor
wärts und fchaute nie zurück. Endlich. müde vom Weg und
von ihrer eignen Laft. niedergedrückt von Trauer. aber mit
Hoffnung im Herzen. gelangte fie an ein Haus.
Denke Dir nur. in dem wohnte die heilige Mondgöttin!
Sie klopfte an die Thür. bat. daß man fie einlaffe. damit
fie fich ein wenig ausruhe. befonders da auch ihre Stunde
gekommen war. Die Mutter der heiligen Mondgöttin hatte
Mitleid mit ihr und ihrem Leiden. fo ließ fie fie ein und
verpflegte fie. Dann fragte fie:
..Wie ift es aber möglih. daß ein Menfch von den
jenfeitigen Geftaden bis hierher hat dringen können *9“
Die arme Kaifertohter erzählte ihr dann alle ihre Er
lebniffe und endete mit den Worten: ..Jch danke zuerft dem
Herrgott. daß er meine Schritte hierher gelenkt. und zweitens
Euh. daß Jhr mich in der Stunde der Geburt meines Kin
des niht habt umkommen laffen. Jeßt bitte ih Euch auch
noh. mir zu fagen. ob niht etwa die heilige Mondgöttin.
Eure Tohter. weiß. wo fih mein Mann befindet?“
..Sie kann es niht wiffen. mein Kind“. entgegnete ihr
die Mutter der heiligen Mondgöttin. ..aber geh dorthin. gen
Offen. bis Du zum heiligen Sonnengott gelangft. vielleiht
weiß er irgend etwas!“
Sie gab ihr ein gebratenes Huhn zum Effen mit und
fagte ihr. fie möge fih in Aht nehmen und keines von den
Knöchelhen verlieren. weil fie ihr von großem Nuhen fein
könnten,
Nahdem fie noh einmal für die Gaftfreundfhaft und
die nüßlihen Rathfhläge gedankt und ein Paar Sandalen
weggeworfen. weil fie verbrauht waren. zog fie andere an.
that die Hühnerknöhelhen in ein Bündel. nahm das Kind
hen in den Arm. den Stab in die Hand und wanderte
wiederum weiter.
Sie ging. ging und ging durh bloße Sandflähen; fo
fhwer war der Weg. daß fie immer nah zwei Shritten
vorwärts. einen rückwärts mahte; fie kämpfte und kämpfte
bis fie diefe Flähen überwunden. dann zog fie über hohe.
felfige und ausgehöhlte Berge. fprang von Felsblock zu Fels
_59
block und von Spihe zu Spihe, Als fie auf eine Gebirgs
ebene gelangte. »Ä fhien ihr. als könne fie Gott mit Händen
greifen. und nahdem fie fih etwas ausgeruht hatte. mahte
fie fih wiederum auf den Weg und ging immer weiter und
weiter. Ueber Sümpfe.Bergfpißen ging fie. die ganz aus Feuer
fteinen waren und die ihr fo die Füße. Kniee und Ellbogen
zerriffen. daß Alles blutete; denn die Berge. muß ih Euh
fagen. waren fo hoh. daß fie über die Wolken hinaus reih
ten! Und wo war ein Abhang. über den fie niht fpringen
mußte. oft konnte fie niht anders vorwärts kommen. als
auf allen Bieren und indem fie fih mit dem Stab nahhalf.
Shließlich gelangte fie. faft gebrohen vor Müdigkeit.
an einen Palaft, In dem wohnte der heilige Sonnengott.
Sie klopfte an die Thür und bat. daß man fie einließe.
Die Mutter des Sonnengottes öffnete und wunderte fich. als
fie'einen Menichen von den jenfeitigen Geftaden vor fih fah.
und weinte vor Mitleid. als fie ihr ihre Erlebniffe erzählte.
Dann. nachdem fie ihr verfprohen hatte. ihren Sohn wegen
ihres Gatten zu fragen. verfteckte fie die Kaifertohter im
Keller. damit der Sonnengott. wenn er nah Haufe käme. fie
niht bemerke; denn Abends kehrte er immer fehr zornig
zurück.
Am nähften Tage fürhtete die Kaifertohter. daß es
ihr fhleht ergehen würde. weil der Sonnengott geroch'en
habe. daß Jemand aus der andern Welt bei ihm gewefen
fei. Aber feine Mutter hatte ihn mit fanftem Wort beruhigt
und ihm gefagt. daß es ihm nur fo fheine.
_ Die Kaifertohter faßte Muth. als fie fah. mit wie viel
Güte fie aufgenommen wurde. und fragte:
..Aber-wie in aller Welt ift es möglich. daß der
_60_
Sonnengott zornig ift. er. der fo fhön ift und den Sterb
lihen fo viel Wohlthaten erweift?“
..Shan an. warum“. antwortete des Sonnengottes
Mutter: ..Morgens fteht er an des Paradiefes Thür. dann
ift er heiter und laht die ganze Welt an. Am Tage aber
wird ihm widerwärtig zu Muth. weil er all die Unfauber
keiten der Menfhen fieht. und darum gießt er feine Wärme
fo zum Berfengen aus; Abends aber ift er traurig und zornig.
weil er an der Thür der Hölle fteht. das ift fein gewöhn
liher Weg. von dort kommt er dann nah Haufe.“
Sie fagte ihr ferner. daß fie ihn nah ihrem Manne
gefragt. und daß ihr Sohn geantwortet. er wiffe nihts über
ihn; denn er wäre vielleiht in einem dihten. großen Walde.
und fein Blick könne niht in alle Ecken und Tiefen dringen.
ferner. daß keine andere Hoffnung für fie wäre. als zum Winde
zu gehen. Auh beim Sonnengott gab man ihr ein Huhn
zu effen und rieth ihr. die Knöhelhen behutfam aufzuheben.
Nahdem fie auh das zweite Paar Sandalen. das auf
gebrauht war. fortgeworfen hatte. nahm fie ihr Bündel
mit den Knohen. das Kind in den Arm. den Stab zur
Hand und mahte fih auf den Weg zum Winde.
Auf diefem Wege ftieß fie auf noh größere Shwierig
keiten. denn fie fand einen Berg aus Feuerftein nah dem
anderen. aus denen Feuerflammen züngelten. ftieß auf Wäl
der. durh die nie ein Fuß gegangen. und mußte über Eis
felder und Lawinen von Shnee fort. Faft wäre die arme
Frau hier umgekommen. doh mit Standhaftigkeit und mit
Gottes Hülfe überwand fie auh diefe großen Shwierigkeiten
und gelangte an eine Einhöhlung. die an einer Bergecke lag
_61.:
'und fo groß war. daß fieben Burgen in ihr Plaß gehabt
hätten. p
Dort wohnte der Wind.
Das Gitter. welches die Höhle umgab. hatte ein Thür
chen. Sie klopfte an und bat. daß man fie aufnähme. Die
Mutter des Windes hatte Mitleid mit ihr und nahm fie auf.
damit fie fich bei ihr ausruhe. Wie beim Sonnengott wurde
fie auch hier verfteckt. damit der Wind fie nicht bemerke.
Am nächften Morgen fagte die Mutter des Windes ihr.
daß ihr Mann in einem großen. dichten Walde wohne. wohin
noch kein Beil gelangt fei. daß er fich dort eine Art Haus
gebaut habe. indem er Baumftämme auf einander gerollt
und fie durch Weidengeflecht an einander befeftigt habe. und
daß er dort einfam und allein lebe. aus Furcht vor böfen
Menfchen.
Nachdem fie ihr auch ein Huhn zu effen gegeben und
ihr gefagt hatte. fie möge die Knöchelchen verwahren. rieth
ihr die Mutter des Windes. die Richtung der Milchftraße.
die man Nachts am Himmel fieht. einzufchlagen und zu
wandern und wandern. bis fie ans Ziel gelange.
So that fie auch. Nachdem fie mit Thränen in den
Augen für die Gaftfreundfchaft und für die gute Kunde ge
dankt. die ihr geworden. machte fie fich auf den Weg.
Die arme Frau machte die Nächte zum Tage. Sie gab
fich nicht die Zeit zum Effen oder' zum Ruhen. So viel
Sehnfucht empfand fie nach ihrem Gatten. den das Gefchick
ihr gegeben hatte.
Sie wanderte und wanderte. bis auch diefe Sandalen
entzwei brachen. Sie warf fie fort und fing an mit bloßen
Füßen weiter zu gehen. Sie achtete nicht auf die Sümpfe.
'_

_62
niht auf die Dornen. die fie fih in die Füße trat. niht
auf die Shmerzen. die fie erlitt. wenn fie an irgend
einen Stein ftieß.
Zuleht gelangte fie an eine grüne fhöne Wiefe. am
Rande eines Waldes. Jetzt erheiterte fih ihr Herz. als fie
die Blumen und das weihe Gras fah. Sie ftand ftill und
ruhte fih ein wenig aus. Als fie dann die Vögel zu Zwei
und Zwei auf den Zweigen der Bäume fah. gedahte fie
fehnfühtigft ihres Mannes und fing bitterlih zu weinen an.
nahm dann das Kind in den Arm. das Bündelhen mit den
Knohen auf die Schulter und machte fih wiederum auf.
Sie trat in den Wald, Sie fhaute weder auf das
fhöne. grüne Gras. das ihre Füße ftreihelte. weder hörte fie
die Vögel. die zwitfcherten. daß fie Einen betäuben konnten.
noh fuhte fie die Blumen. die fih zwifhen dem dihten Ge
fträuh verfteckten. fondern fie ging behutfam weiter durh
den Wald. Jhr fhien es. als müffe dies der Wald fein. '
in dem ihr Gatte wohne. nah den Merkmalen. die ihr die
Mutter des Windes über ihn mitgetheilt hatte.
Drei Tage und drei Nähte durhfuhte fie den Wald
und konnte nihts finden. So gebrohen vor Müdigkeit war
fie. daß fie umfiel und einen Tag und eine Nacht liegen blieb.
ohne fih zu rühren. ohne etwas zu trinken oder zu effen.
Zuletzt nahm fie alle ihr Kraft zufammen. ftand auf. und fo
herumfhwankend. verfuhte fie vorwärts zu kommen. indem
fie fih auf ihren Stab ftühte; aber es war ihr unmöglih.
denn auh der Stab hatte fih abgeweßt. fo daß er ihr von
keinem Ruhen mehr fein konnte. Aber aus Mitleid mit dem
Kinde. das keine Milh mehr in ihrer Bruft fand. aus
Sehnfuht nah dem Manne. den fie mit Gottvertrauen fuhte.
ging fie vorwärts. fo gut fie konnte. Sie hatte kaum zehn
Shritt gemaht. als fie in einem Dickiht eine Art Haus
erblickte. wie die Mutter des Windes es ihr befchrieben hatte.
Sie mahte fih dahin auf und konnte kaum bis dahin ge
langen. Dies Haus hatte weder Fenfter noh Thür. Denk
Dir an. die Thür war oben drauf! Sie ging rundherum.
keine Treppe war zu fehen!
Was follte fie mahen. Sie wollte hinein. Sie dachte
und bedahte. verfuhte hinaufzuklettern. vergebens. Sie ftand
und ftand. ganz niedergefchlagen darüber. daß fie jeht fo zu
fagen am Ufer noch ertrinken folle. Da erinnerte fie fih an
die Hühnerknöhelhen. die fie fo weiten Weg gefchleppt hatte.
und fagte fih: fo ganz ohne Grund werden fie mir niht
Alle gefagt haben. diefe Knöchelhen aufzuheben. fondern fie
werden mir jeßt von großem Ruhen in der Noth fein.
Dann holte fie die Knöhelhen aus dem Bündel heraus.
bedahte fih etwas. nahm zwei von ihnen. legte diefelben an
einander und fah. daß fie wie durch ein Wunder klebten.
Dann that fie noh einen Knohen und noch einen drauf
und fah. daß auh diefe feftklebten. So mahte fie aus
den Knöhelhen zwei Stangen. fo groß wie das Haus. ftühte
fie an das Haus. eine Spanne von einander entfernt. Dar
auf fehte fie wieder Stück an Stück die anderen Knöhelhen
zufammen und mahte kleine Stäbe. legte einen jeden quer
über die großen Stangen. wie die Stufen einer Leiter. und
diefe Stufen klebten auh an. Und fo fügte fie eine nah
der andern hinzu bis oben hinauf. So wie fie eine Stufe
angefügt. ftieg fie auh auf diefelbe. Dann die nähfte. bis
fie am Ziel war. Aber gerade oben am Ende der Leiter

».
_64

hatte fie keine Knöhelhen mehr. um noh die lehte Sproffe


zu mahen.
Was follte fie anfangen? Ohne diefe eine Stufe nuhte
ihr die ganze Leiter niht. Denk' Dir an. fie hatte alfo ein
Knöhelhen verloren! Dort ftehen zu bleiben war unmög
lih. Niht hinein gehen zu können. war verzweiflungsvoll.
So mahte fie fih dran nnd fhnitt fih den kleinen Finger
ab. und als fie ihn daran feßte. klebte er auch an. Sie
nahm das Kind in den Arm. ftieg von Neuem hinauf und
trat ins Haus.
Hier wunderte fie fich über die große Ordnung. die fie
vorfand. Sie mahte fih daran. auh noh ein bishen zu
räumen. Dann erholte fie fih ein wenig. legte das Kind
in eine Mulde. die dort ftand. und fehte fie ins Bett.
Als ihr Mann kam. erfhrak er vor dem. was er er
blickte. Er glaubte'. er könne feinen Augen niht trauen.
und er fchaute unverwandt auf die Leiter aus Knöhelhen
und auf den Finger oben an derfelben. *Ihm war bange.
daß er es wieder mit irgend welhen Zaubereien zu thun
habe. und er hätte faft das Haus verlaffen. der Herrgott
aber gab es ihm in den Sinn. doh lieber hineinzugehen.
So mahte er fih zu einem Täubhen. damit kein Zauber
Maht über ihn habe. flog übers Haus. ohne die Leiter zu
berühren. und in einem Flüge auh bis hinein. Dort erblickte
er eine Frau. die ein Kind wiegte. Da erinnerte er fih
daran. daß feine Frau ein Kind erwartet habe. als er von
ihr gegangen war. und es überkam ihn eine fo große Sehnfuht
nah ihr und ein fo tiefes Mitleid. wenn er an das dachte.
was fie erduldet haben müffe. um bis zu ihm zu gelangen.
- daß er allfogleih Menfh wurde. Faft hätte er fie niht
_65
erkannt. fo fehr war fie in Folge der Leiden und Befchwer
lichkeiten. die fie durchgemacht hatte. verändert.
Die Kaifertochter ftand auf. als fie ihn fah. und ihr
preßte fich das Herz zufammen vor Angft. weil fie ihn nicht
erkannte. Nachdem er fich ihr aber zu erkennen gegeben.
bereute fie nicht. nein. vergaß fie fogar Alles. was fie er
litten hatte. Er war ein fchöner Mann. fchön wie eine Tanne.
So feßten fie fich alfo hin und fprachen. Sie berichtete ihm
alle ihre Erlebniffe. er aber weinte aus Mitleid mit ihr.
Darauf fing auch er an zu erzählen:
„Ich“. fagte er. ..bin ein Kaiferfohn. Bei einem Kriege.
den mein Vater mit etlichen Drachen führte. die feine Nachbarn
waren und dazu von fehr böfer Art. fo daß fie immer in fein
Gebiet einfielen. habe ich den Iüngften ermordet. Denk Dir
an. das Gefchick hatte Dich ihm beftimmt! Seine Mutter. die
eine Hexe ift und felbft Waffer durch ihre Zauberei gerinnen
machen kann. verhexte mich. fo daß ich die Haut jenes ekel
haften Thieres tragen mußte; fie hoffte. daß es mir nun
nicht gelingen würde. Dich zu bekommen. Der Herrgott hat
fich ihr aber widerfeßt. und ich habe Dich bekommen. Das
Weib. das Dir den Faden gab. mit dem Du meinen Fuß
umwickeln follteft. war fie. Und anftatt der drei Tage. die
ich noch brauchte. um den Fluch zu erfüllen. war ich ge
zwungen. noch drei Jahre lang die Geftalt des Schweines
zu tragen. Ieht. wo Du für mich und ich für Dich gelitten.
laß uns Gott loben und zu unfern Eltern zurückkehren. Ohne
Dich war ich entfchloffen wie ein Einfiedler zu leben; 'darum
habe ich mir auch diefen öden Platz ausgefucht und mir dies
Haus fo gebaut. daß keine Menfchenfeele zu mir eindringen
könne.“ Darauf umarmten fie fich vor Freude und ver
0
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fprachen fih gegenfeitig. die vergangenen Schmerzen zu ver
geffen.
Am nähften Morgen in der Frühe ftanden fie auf und
mahten fih zufammen auf den Weg. zuerft zum Kaifer. feinem
Vater. Als man von feinem und feiner Gemahlin Kommen
hörte. weinte alle Welt vor Freude ihn zu fehen. Sein
Vater und feine Mutter aber umarmten fie innig und hielten
drei Tage und drei Nähte lang Freudenfefte.
Dann mahten fie fih zum Kaifer auf. dem Vater fei
ner Gattin. Diefer verlor faft den Verftand vor Freude. als
er fie fah. Er ließ fih ihre Erlebniffe erzählen. dann fagte
er feiner Tohter:
..Habe ih Dir's niht gefagt. daß ih niht glauben
konnte. daß jenes Thier. das Dih zur Frau verlangte. als
Shwein zur Welt gekommen fei? Und Du haft wohlgethan.
mein Kind. daß Du mir gefolgt bift.“
Und da er alt war und keine Erben hatte. ftieg er von
feinem Kaiferthron herab und fehte fie darauf. Sie aber
regierten. wie die Kaifer regieren. die alle Art Verfuhung.
Leiden und Sorgen felbft durhgemaht haben.
Und wenn fie niht geftorben find. fo leben und herrfhen
fie noh heute in Frieden.

Ich fhwang mih in den Sattel dann.


Damit ih's Euh erzählen kann.
71.

Magma-ea uncl rein Zoll*

Es war einmal ein junges Menfhenkind. das hatte


weder Vater noch Mutter. Alles. was ihm von den Eltern
geblieben war. ftand unter Vormundfchaft. Als der Junge die
ungerehten Vorwürfe der Vormünder niht mehr aushalten
. konnte. ging er in die weite Welt und fhlug einen Pfad
ein. der führte in eine weite Waldwiefe hinein. auf langem
Steg ging er weiten Weg. '
Als er dann Abends müde wurde und keinen Ruheplaß
fand. ftieg er auf einen Hügel und fah fih nah allen
Seiten um. ob er niht irgendwo ein Liht erblicke; nah
langem Suchen fah er ein Fünkhen Liht kaum noh auf
flackern und fhlug die Rihtung dahin ein. Er ging und
ging die halbe Naht. da kam er an ein großes Feuer. An
diefem Feuer fhlief ein Menfh. der fo groß war wie ein
Riefe. Was follte unfer Junge nun mahen. was follte er
anfangen? Nahdem er fih ein bischen befonnen hatte.
kroh er in das eine Hofenbein diefes Mannes und brachte
die Nacht dort zu.
Als diefer Mann am nähften Tage aufftand. fah er
0
_68
zu feiner großen Verwunderung unfern Jungen aus feinem
einen Hofenbein fallen.
..Duk Woher?“ fagte er.
„Du haft mih in diefer Naht geboren“. entgegnete der
Junge.
..Wenn das wahr ift“. fagte der große Mann weiter.
..dann hüte mir die Shafe. und ih werde Dir zu effen
geben. aber nimm Dih in Aht. daß Du niht über die
Grenze gehft. fonft wehe Dir!“
Er zeigte ihm mit der Hand. wie weit fein Gut reihte.
und fagte darauf:
..Geh' mit Gott!“ _
Der Junge hütete die Shafe den ganzen Tag. und
als er Abends heimkehrte. fand er das Feuer angezündet und
half dem Mann die Shafe melken.
Nahdem fie damit fertig waren. fehten fie fih zu Tifh.
und während fie aßen. fragte er den großen Mann:
..Wie heißt Du. Vater f?“
„Mogarzea“. antwortete der große Mann.
..Mih wundert. daß es Dir niht überdrüffig ift. hier
fo allein in der Wüftenei zu fißen.“
..Du wunderft Dih ohne jeden Grund. Weißt Du
denn niht. daß der Bär nie gutwillig tanzt '2“
„Ja. da haft Du Reht“. fagte wiederum der Knabe.
..Aber ih fehe Dih immer traurig und ohne. Frohfinn.
erzähl' mir Deine Gefhihte. Vater!“
..Was kann es nahen. wenn ih Dir Dinge erzähle.
die Dih auh traurig mahen würden!“
..Laß nur. ih möhte fie auh kennen. Bift Du niht
mein Vater? Glaubft Du. daß Du mich jeßt umfonft zum
Sohne haft?“
..Nun gut. wenn das wahr ift. und Du es willft. hör7
meine Gefchichte.
Ich heiße. wie ich Dir fchon gefagt habe. Mogarzea.
bin ein Kaiferfohn und hatte mich auf den Weg zum Süß
milchfee. der nicht fern von hier ift. aufgemacht. um dort
eine Fee zu heirathen. Ich hatte gehört. daß drei Feen da
wohnten. aber mir hat das Glück nicht gelächelt: denn die
böfen Elfen fielen über mich her und nahmen mir die
Seele; feitdem habe ich mich hier niedergelaffen. um mich
mit meinen Säjafen auf diefem Gütchen zu nähren. ohne daß
ich noch zu irgend Etwas Luft hätte. ohne daß ich auch nur
einen Augenblick mich freuen könnte. und ohne daß ich auch
mal lachen könnte.
Die fchändlichen Elfen find fo zänkifch. daß fie Nieman
den. der ihre Grenzen überfchreitet. ungeftraft laffen. Darum
rathe ich Dir. Dich vorzufehen. damit Dir nicht auch Etwas
widerfahre.“
..Schon gut..fchon gut. laß mich nur. Vater“. fagte der
Junge. und fie legten fich zur Ruhe.
Als der Tag anbrach. ftand der Junge auf und machte
fich mit der Heerde davon. Ich weiß nicht wie. ich weiß
nicht was. aber ihm wollte es gar nicht gefallen. die fchö
nen Wiefenfluren der Elfen anzufchauen und dabei die Schafe
auf dem trockenen Boden Mogarzea's zu weiden,
Am dritten Tage. als er im Schatten eines Baumes
ftand und die Flöte blies. denn er war. fo zu fagen. ein
Meifter der Flöte. verirrte fich ein Schaf von der Heerde
und lief auf die Blumenwiefen der Nachbarinnen. nach ihm
_70_
andere. denen folgten wieder andere. und als er aufmerkte.
hatten viele Shafe die Grenzen überfchritten.
Er. immer auf der Flöte blafend. ging hin. um die
Shafe. welhe die Heerde verlaffen hatten. zurückzutreiben
als er fih plößlih vor drei ausgelaffenen Mädhen ftehen
fah. die ihn anhielten und um ihn herum zu tanzen began
nen, Als der Junge fah. wie die Dinge lagen. nahm er
fih auh zufammen und blies mit ganzem Feuer; fie aber
tanzten bis zum Abend.
„JW“. fagte er ihnen. ..laßt mih fortgehen. der arme
Mogarzea wird Hunger haben; morgen. wenn Jhr wollt.
fpiele ih Euh 'noh fchöner auf.“
..Wir laffen Dih gehen“. fagten fie. ..aber Du weißt. daß.
wenn Du niht kommft. Du unferer Strafe niht entgehft.“
So kamen fie überein. daß er morgen gleih direkt mit
den Shafen und Allem zu ihnen kommen follte. um ihnen
aufzufpielen. und darauf ging Jeder nah Haus zurück,
Mogarzea wunderte fih. wie die Milh fih vermehrt habe.
und beruhigte fich erft. als der Junge ihm verfihert hatte.
daß er niht über die Grenze gegangen fei. Sie aßen und
legten fih dann zur Ruhe.
Der Knabe wartete niht. bis es ganz hell geworden. fondern
brah bei früheftem Morgen mit den Shafen ftracks zu der
Elfen Wiefen auf. Wie er auf der Flöte zu fpielen begann.
waren auh die Elfen da und tanzten und tanzten bis zum
Abend. Da that nämlih der Junge. als ob ihm die Flöte
aus der Hand glitt. und wie aus Verfehen trat er auf fie
und zerbrah fie.
Hätteft Du ihn gefehen. wie er fih darauf bejammerte.
wie er die Hände rang und weinte. daß er feinen Kameraden
_71....

verloren hab-e; Du hätteft wirklih Mitleid mit ihm gehabt.


Sogar die Elfen wurden erweiht und mahten den Verfuh.
ihn zu tröften.
..Mir käme es fonft_ niht darauf an“. fagte er. ..nur
finde ih keine andere Flöte mehr. die fo feurig tönt wie
diefe. denn fie war aus dem Herzen eines fiebenjährigen
Kirfhbaumftammes.“
..Wir haben einen Kirfhbaum im Hof. der ift gerade
7 Jahre alt. wenn Du willft. komm. damit wir ihn ab
hauen und Du Dir eine andere Flöte fhnißeft.“
So gingen fie Alle hin. hieben den Kirfhbaum um. und
aus Furht. daß man ihm das Mark berühre. beim Heraus
fhälen. bat der Knabe Alle. mit Hand anzulegen.
Darum fagte er ihnen. nahdem er einen Spalt mit dem
Beil gemaht. fo groß. daß man mit den Fingern hinein
konnte. fie möhten ihre Finger hineinftecken. um ihn nur mit der
Gewalt des Armes auseinander zu brehen. damit die Shneide
der Axt niht bis an das Mark des Holzes käme. Darauf
fteckten fie. dumm genug. wirklih die Finger hinein. rund
herum um den Stamm ftehend. und während er ihnen fagte:
zieht an. zog er das Beil heraus und klemmte ihnen die
Finger in den Holzfpalt.
Vergebens baten fie ihn. fie daraus zu befreien. ver
gebens fagten fie. daß fie vor Schmerz faft o'hnmähtig wür
den; auh von den fhönen und großen Verfprehungen. die
fie ihm mahten. wollte er nihts hören. fondern blieb kalt
wie Stein.
Darauf verlangte er von ihnen Mogarzea's Seele.
..Geh. fie ift in einer Flafhe auf dem Fenfterbretr'. fag
ten fie.
_72_

Nahdem er fie fih geholt. fragte er. wie 'er fie wieder
an Ort und Stelle bringen könnte. fie feßten es ihm aus
einander. in der Hoffnung. daß er fie dann aus ihrer Pein
erlöfen würde.
..Ihr werdet viele Menfhen fo gequält haben. daß fie
ihr Leben lang Todespein gelitten haben; geduldet Euh nun
auh einmal eine Naht. der Himmel wird wahrhaftig niht
gleih darum einftürzen.“
Darauf mahte er fih mit den Shafen und mit Mo
garzea's Seele auf den Weg; die Elfen aber jammerten fo.
daß es Einem das Herz vor Mitleid zerreißen konnte. Als er
zu Haufe ankam. fuhr Mogarzea ihn hart an. daß er fih
fo verfpätet habe. Als einzige Antwort fagte ihm der
Knabe. fih auf den Rücken zu legen; kletterte dann auf feine
Bruft und fprang ein paar Mal drauf hin und her. bis.
haft Du niht gefehen. die faule Seele. die die Elfen in ihn
gehext. herausfuhr und er ihm die feine zum Einfhlucken
gab; Mund und Nafe hielt er ihm mit den Händen zu. gab
ihm das Waffer. das in der Flafhe gewefen war. zu trin
ken und legte ihm ein Pflafter auf. das er von den Elfen
mitgenommen hatte. '
Kaum hatte er es ordentlih aufgelegt. als Mogarzea
plöhlih wie ein Reh in die Höhe fprang und fagte:
„Ob Du mein Sohn bift oder niht. was willft Du von
mir aus Dank für das. was Du mir angethan?“
„Sag' mir. wo der Milhfee ift. und wie ih es an
fangen foll. um eine der drei Feen. die dort find. zur Frau
zu nehmen. und laß mih für immer Dein Sohn fein.“
Er nahm die Wünfhe des Knaben an und fie fehten
fih zu Tifh. ohne daß er fih noh wunderte. woher die
Schafe fo viel Milch gaben; fie vergnügten fich mit Jodeln.
Gefängen und Tänzen die ganze Nacht.
*Als fie fahen. daß der Tag. ohne daß fie geruht
hatten. herannahte. befchloffen fie. fich zufammen aufzu
niachen und die angeführten Elfen aufzufuchen; was .fie auch
thaten, Als Mogarzea fie fah. nahm er den Baum mit
ihnen auf den Rücken und machte fich nach feines Vaters
Reich auf. wo Alles voller Freuden war. als er muthig und
guter Dinge. wie früher. heimkehrte. Er aber zeigte feinen
Retter. der mit den Schafen hinter ihm herkam.
Alle dankten dem Knaben für feine Schlauheit und da
für. daß er Mogarzea von dem Unglück befreit hatte. Drei
Tage lang währte die Fröhlichkeit im Palaft.
Nachdem diefe drei Tage vergangen. nahm der Knabe
Mogarzea bei Seite und fagte ihm: '
„Ich will jeht aufbrechen; bitte. fage mir. wo der Süß
milchfee ift. und fo Gott will. komme ich mit meiner Frau
zurück.“
Mogarzea verfuchte erft. ihn zurück zu halten. als er
aber fah. daß er fich vergebens den Mund müde redete.
theilte er ihm mit. was er gehört hatte. denn gefehen hatte
er nichts. wegen der Elfen.
Der Knabe nahm feine Flöte und einige Zehrung mit
auf den Weg. brach auf und ging und ging drei Sommer
tage bis zum Abend. da gelangte er an den Milchfee. der
in dem Reiche einer Fee lag. Am nächften Morgen in aller
Frühe begann er am Rande des Sees auf der Flöte zu
blafen als er was erblickte? eine fchöne Fee. deren Haar
ganz und gar aus Gold. und deren Kleider fo koftbar. wie
_74_

er fie noh nie gefehenz'in die Sonne konnte man eher


fhauen als auf fie. und fie begann zu tanzen. Der Knabe
blieb ftarr. mit den Augen auf fie geheftet; als die Fee aber
merkte. daß er niht mehr auf der Flöte blies. verfchwand
fie. Ani nähften Tage mahte fie es wieder fo. Als er
am dritten Tage. immer blafend. fih ihr etwas näherte. und
fie vor Freude des Tanzes niht darauf ahtete. ftürzte er
plößlih auf fie zu. nahm fie in den Arm. küßte fie und riß
ihr die Rofe vom Haupte.
Sie ftieß einen Shrei aus. dann begann fie. ihn zu
bitten. er möge ihr die Rofe zurückgeben. er aber wollte
niht. Das Holz und der Stein weinten über ihren Kum
mer. wie fie wehklagte und ihn bat. Als er aber die Rofe
an feinen Hut fteckte. ging fie ihm immer nah.
Wie fie nun einfah. daß er niht zu bewegen war. ihr
die Rofe zurück zu geben. kamen fie überein. fih zu heirathen.
Darauf gingen fie zu Mogarzea. .damit der Kaifer fie ver
heirathe. und blieben dort.- Jm Monat Mai aber in jedem
Jahre ging fie nah dem Milhfee. um die Kinder. die fie
bekam. dort zu baden.
Nach dem Tode des Kaifers theilte Mogarzea das
Reih mit feinem Erretter.
711.

Wir echlaur Werne.

Es war einmal. was einmal war. wäre es niht ge


wefen. wurde es niht erzählt.
Es war einmal ein Kaifer. der hatte drei Töhter. von
denen die ältefte fhön war. die mittlere fhöner. die
jüngfte. Ileane. aber fo fhön. daß fogar die heilige Sonne
ftehen blieb. um fie zu fehen und fih an ihrer Shönheit
zu erfreuen.
Eines Tages erhielt der Kaifer Nahricht und Kunde
von feinem Nahbar. einem großen und mähtigen Kaifer.
daß. - fhau an! daß es niht mehr gut fei. nämlih daß er
fih mit ihm fhlagen wollte wegen einer großen. kaiferlihen
Fehde. Der Kaifer hielt Rath mit den Alten des Landes.
und als er fah. daß er niht anders könne. befahl er den
Tapferen allen. das Streitroß zu befteigen. ihre Waffen zu
ergreifen und fih auf die furhtbare Shlaht vorzubereiten.
die gefhlagen werden follte. i
Ehe er felbft zu Pferd flieg. rief der Kaifer feine
Töhter zu fih. fagte ihnen eindringlihe und väterliche Worte
und gab dann einer jeden je eine fhöne Blume. ein munteres
Vögelein und einen rothbäckigen Apfel,
Wem die Blume welkt. wem das Vögelhen traurig
wird und wem der Apfel fault. von dem werde ih wiffen
_.76_
daß er die Treue niht bewahrt hat“. fprah der kluge Kaifer
beftieg dann wieder das Pferd. wünfhte ihnen ..Gutes Wohl
ergehen“ und mahte fih mit feinen Tapferen auf den
fhweren Weg.
Als die drei Söhne des Nachbar-Kaifers die Kunde
bekamen. daß der Kaifer fih auf den Weg gemaht und von
Haufe aufgebrohen fei. verftändigten fie fih unter einander
und beftiegen ihr Roß. um zu dem Shloß mit den drei
Kaifertöhtern zu eilen. die Töhter ihrer Treue abfpenftig zu
mahen und dem Kaifer Aergerniß zu bereiten. Der ältefte
der Kaiferföhne. muthig. heldenhaft und fhön wie er war.
ging voran. um zu fehen. wie es fei und ftehe. um nahher
Kunde zu bringen und Nahriht darüber zu geben.
Drei Tage und drei Nähte ftand der Held unter der
Mauer. ohne daß fih eines der Mädhen am Fenfter gezeigt
hätte. JmzMorgengrauen des vierten Tages verlor er die
Geduld. faßte fih ein Herz und klopfte an das Fenfter der
älteften Kaifertohter.
..Was ift. - was ift's? Und was will er?“ fragte
das Mädhen. aus dem fiißeften Shlafe geweckt.
..Jh bin's. Shwefterlein“. fprah der Kaiferfohn. ..ih.
der kaiferlihe Held. der feit drei Tagen in Liebe unter
Deinem Fenfter fteht.“
Die Kaifertohter näherte fih niht einmal dem Fenfter.
fondern fprah mit verftändiger Stimme:
..Kehre auf dem Wege heim. auf dem Du gekommen:
Blumen mögen vor Dir fprießen und Dornen hinter Dir
zurückbleiben.“
Nah drei Tagen und drei Nähten klopfte der Kaifer
fohn wieder an das Fenfter des Mädhens. Diesmal näherte
fich die Kaifertochter dem Fenfter und fprach mit fanfter
Stimme:
..Ich habe Dir gefagt. daß Du auf dem Wege heim
kehren mögeft. auf dem Du gekommen bift: Dornen mögen
vor Dir fprießen und Blumen hinter Dir zurückbleiben.“
Noch einmal wartete der Kaiferfohn drei Tage und drei
Nächte unter dem Fenfter des Mädchens. Im Morgengrauen
des zehnten Tages. alfo nachdem dreimal drei Tage und
dreimal drei Nächte vergangen waren. glättete er fich das
Haar und klopfte zum dritten Mal an's Fenfter.
..Was ift? wer ift's? Und was wünfcht er?“ fragte
die Kaifertochter. diesmal etwas härter als die anderen Male.
..Ich bin es. Schwefterlein“. fprach der Kaiferfohn.
..Seit dreimal drei Tagen ftehe ich fehnfüchtig unter Deinem
Fenfter: ich möchte Dein Geficht erblicken. Dir in die Augen
fchauen und fehen. wie die Worte von Deinen Lippen fließen!“
Die Kaifertochter öffnete das Fenfter. fah ärgerlich den
fchönen Jüngling an und fprach dann mit unhörbarer Stimme:
..Ich fähe Dir fchon in's Geficht. fpräche fchon ein
Wort mit Dir. aber gehe vorher zu meiner jüngeren Schwefter
- und darauf komme erft zu mir.“
..Jch werde meinen jüngeren Bruder fenden“. fprach der
Kaiferfohn. ..Gieb mir aber einen Kuß. damit mir der
Heimweg leichter werde.“
Und er hatte kaum ausgefprochen. als er fich auch
fchon einen Kuß von dem fchönen Mädchen ftahl.
..Möge Dir kein zweiter zu Theil werden“. fagte die
Kaifertochter. fich den Mund mit den fchön geftickten Hemd
ärmeln abwifchend. ..Kehre auf dem Wege heim. auf dem *
_78_
Du gekommen: Blumen mögen vor Dir fprießen und Blumen
hinter Dir zurückbleiben.“
Der Kaiferfohn ging zu feinen Brüdern. fagte ihnen
wie und was. und der zweite mahte fih auf den Weg.
Nahdem der jüngere Kaiferfohn neun Mal neun Tage
und neun Mal neun Nähte unter dem Fenfter des jüngeren
Mädhens geftanden und zum neunten Mal an ihr Fenfter
geklopft hatte. öffnete fie dasfelbe und fprah zu ihm mit
liebevoller Stimme:
..Jh fähe Dih fhon an und fprähe fhon ein Wort
mit Dir. gehe aber vorher zu meiner jüngften Shwefter und
komme dann erft zu mir.“
..Jh werde meinen jüngften Bruder fenden“. fprah der
Kaiferfohn. ..Gieb mir aber einen Kuß. damit ih fchneller
eilen kann.“
Und er hatte es kaum gefagt. als er fih auh fhon
einen Kuß ftahl.
..Möge Dir kein zweiter zu Theil werden“. fagte auh
diefe Maid. ..Kehre auf dem Wege heim. auf dem Du ge
kommen bift. Blumen mögen vor Dir fprießen und Blumen
hinter Dir zurückbleiben!“
Der Kaiferfohn ging zu feinen Brüdern. fagte ihnen
das wie und was - und jetzt. zum dritten Male. mahte
fih ein Kaiferfohn auf den Weg - der jüngfte Kaiferfohn.
Als er an das Shloß mit den drei Mädhen kam. ftand
Jleane am Fenfter. und wie fie da ftand. fah fie ihn und
fprah mit munterer Stimme:
..Du fhöner Held mit dem Kaifergeficht. wohin eilft
Du. daß Du fo feurig Dein Pferd führft?“
Als der Kaiferfohn Jleane's Gefiht erblickte und Jleane7s
_79_.

Worte hörte. blieb er ftill ftehen. fhaute fie an und fagte


dann mit muthiger Stimme:
..Jh eile zur Sonne. um ihr einen Strahl zu ftehlen.
ihn der Shwefter anzuvertrauen und fie nah Haufe zu
bringen. wo fie meine Braut werden foll. Ießt. Shwefter
lein. halte ih unterwegs an. um Dih anzufhauen. in die
Strahlen Deines Antlißes zu blicken. Dir ein Wort zu fagen
und Dir ein Wort zu ftehlen!“
Ileane antwortete ihm verftändig: ..Wenn Deine Art
ift wie Deine Rede. wenn Deine Seele wie Dein Geficht.
ftolz und fhön und mild und liht. riefe ich Dich wohl in's
Haus. feße Dih an den Tifh zum Shmaus. würde Dih
fpeifen und tränken und Dir Küffe fhenken!“
Der Kaiferfohn fprang vom Pferde. als er diefe Worte
hörte. dann fagte er mit muthiger Stimme:
..Meine Art wird fein wie die Rede mein. das Herz
fo liht wie's Angeficht; laß mih ein in's Haus. feh7 mih
hin zum Shmaus. von früh bis Sternenfhimmer foll es
Dih gereuen nimmer.“ '
Kaum hatte er das Wort ausgefprohen. da fprang er
fchon auf das Fenfterbrett. und durh das Fenfter in's
Zimmer und im Zimmer an den Tifh. und am Tifh gerade
obenan nahm er Plaß. wo der Kaifer gefeffen hatte. als
er Bräutigam gewefen war.
..Warte. warte!“ fprah Ileane, ..Laß mih erft fehen.
ob Du bift. was Du fein follteft. und danah wollen wir das
Wort reden und die Fruht brechen und die Liebe beginnen.
Kannft Du aus der KletteRofen wuhfen laffen?“
„Reini“ fagte der Kaiferfohn.
..Dann ift die Diftel Deine Blume“. fagte die kluge
_80_
Jleane. ..Kannft Du die Fledermaus mic füßer Stimme
- fingen laffen?“
„Neinl“ fagte der Kaiferfohn.
..Dann ift Dein Tag die Naht!“ fprah die kluge Jleane.
..Kannft Du Aepfel wahfen laffen auf Wolfskraut!“
..Das kann ih!“ fagte der Kaiferfohn.
..Dann foll das Dein Obft fein!“ fagte die fhöne und
fhlaue Jleane. ..Seh Dih an den Tifh.“
Der Kaiferfohn nahm am Tifhe Plah. Ja. aber
Jleane war die fhlaue Jleane. Er hatte fich noh niht
ordentlih gefeht. als. fieh an. er auh mit dem Stuhl und
Allem in den tiefen Keller fiel. in dem die Shähe des Kaifers
verfteckt waren.
7 Jeht fing Jleane zu fhreien an: ..Zur Hülfe!“ und als
alle Knehte angeftürzt kamen. um zu fehen. was und warum
es gefhehen war. fagte fie ihnen. daß fie ein Geräufh gehört
habe und fürhte. daß Jemand in den Keller eingedrungen
fei. um des Kaifers Shähe zu ftehlen. Die Knehte haben
niht viele Worte gemaht. fondern augenblicklih die Eifenthür
aufgebrohen und find in den Keller gedrungen; da fanden
fie dann den Kaiferfohn und brachten ihn in Shanden zum
Rihterfpruh.
Jleane fprah das Urtheil. _
..Zwölf beftrafte Mädhen follten ihn aus dem Lande
bringen. und wenn fie mit ihm bis an die Grenze gekommen.
follte ihm Jede einen Kuß geben.“
So war es befohlen. fo gefhah es auh, Als der
Kaiferfohn zu Haufe bei feinen Brüdern anlangte. erzählte
er ihnen den ganzen Vorfall. und nahdem er ihnen Alles
erzählt. zog ihnen ein großes Aergerniß in's Herz. Sie
_8f_
fchickten alfo den beiden älteren Kaifertöchtern Nachricht. daß
fie es fo einrichten follten. daß Jleane an den Hof der
drei Kaiferföhne gefchickt würde. damit fie fich an ihr rächen
könnten wegen des Schimpfs. den fie ihnen angethan hätte.
Als die ältefte Tochter diefe Nachricht von dem Kaiferfohn bekam.
ftellte fie fich krank. rief Jleane zu fich ans Bett und fagte
ihr. daß fie nur gefund werden könnte. wenn Jleane ihr
Effen von dem Heerd der Kaiferföhne hole.
Jleane hätte ihren Schweftern* Alles zu Liebe gethan.
fo nahm fie alfo das Krüglein und machte fich auf den Weg
,zu dem Hof der drei Kaiferföhne. um zu bitten oder zu
nehmen und zu bringen, Als fie an den Hof gelangte. ftürzte
Ileane athemlos in die kaiferliche Küche und fprach zum
Ober-Koch:
..Um Gottes willen. hörft Du nicht. wie Dich der Kaifer
ruft? Mach und fieh zu. was los ift. warum und aus welchem
Grunde!“
Der Koch nahm feine Beine in die Hand und machte
fich fo fchnell davon. wie auf kaiferlichen Befehl. Jleane
blieb allein in der Küche. füllte fich das Krüglein mit Speifen.
fchüttete dann alle die koftbaren Speifen. die am Feuer ftanden.
auf die Erde. und machte. daß fie davon kam.
Als die Kaiferföhne auch von diefem Schimpf erfuhren.
ärgerten fie fich noch mehr als bisher. fchickten den beiden
Schweftern von Neuem Kunde und bereiteten fich wiederum
auf ihre Rache vor. Kaum empfing die zweite Schwefter
die Nachricht der Helden. als fie fich krank ftellte. Jleane an
ihr Bett rief und ihr fagte. daß fie nur gefund werden
könne. wenn fie von dem Wein kofte. der fich in dem Keller
der Kaiferföhne befände. Jleane hätte für ihre Schwefter
6
-e

_82_

Alles gethan. fo nahm fie das Krüglein und mahte fih auf.
um bald wiederzukommen.
Als fie am Hofe anlangte. ftürzte fie athemlos in den
Keller und fprah zum Ober-Kellermeifter:
..Um Gottes willen! hörft Du niht. wie der Kaifer Dih
ruft? Mah und fieh zu. was los ift. wie und aus welchem
Grunde!“ Der Kellermeifter nahm feine Beine in die Hand
und entfernte fih fo fhnell. wie auf kaiferlihen Befehl.
Jleane füllte fih ihren Krug mit Wein. goß. was übrig blieb
in den Keller und eilte dann nah Haufe.
Die Kaiferföhne fandten zum dritten Male wiederum
Kunde den zwei Kaifertöhtern. daß fie Jleanefhicken möh
ten. wie fie fie noh nie gefhickt hätten. Die Kaifertöhter
ftellten fih diesmal alle Beide krank. riefen ihre Shwefter
zu fih und fagten ihr. daß fie nur gefund werden könnten.
wenn Jleane ihnen zwei Aepfel von denen der Kaiferföhne
brähte.
..Meine lieben Schweftern“. fprah Jleane zu ihnen. ..für
Euh gehe ih auh durh Waffer und durh Feuer. wie viel
lieber zu den kaiferlihen Helden“. Sie nahm darauf das
Krüglein und mahte fih auf. um zu finden. zu nehmen. zu
bringen und die lieben Shweftern vom Tode zu erretten.
Als der jüngfte Kaiferfohn erfahren hatte. daß Jleane
zu ihm in den Garten kommen würde. um die goldenen
Aepfel zu ftehlen. befahl er. daß falls Jemand im Garten
ein Wehklagen hören follte. er fih niht erdreiften dürfe hin
zugehen. fondern den. der da wehklagen würde. folle man
in Frieden wehklagen laffen. Darauf nahm er große Meffer
und Säbel und Speere und viele andere Dinge. verfteckte
fie in die Erde unter dem Apfelbaum mit den goldenen
Aepfeln; verfteckte fie fo. daß nur die fharfen Spihen aus
der Erde herausragten. Nahdem er damit fertig war. ver
barg er fih in einem Gebüfh und wartete auf Ileane.
Ileane kam an das Gartenthor. und als fie die großen
Löwen fah. die dort Wahe hielten. warf fie jedem von ihnen
ein Stück Fleifh vor: die Löwen fingen anfich darum zu
reißen. und Ileane ging zum Apfelbaum. trat vorfihtig zwifhen
den Meffern. Säbeln. Speeren und den anderen Dingen hin
durch und erklomm den Baum.
..Mög's Dir gut bekommen. Shwefterlein“. fagte jeht
der Kaiferfohn. ..Ih freue mih. Dih bei mir zu fehen.“
..Mein ift die Freude“. entgegnete Ileane. ..denn ih
habe einen fhönen und muthigen kaiferlihen Helden zum
Genoffen. Komm. fteig auf den Baum undhilf mir Aepfel
pflücken für meine lieben Shweftern. die todtkrank find und
fie verlangt haben.“
Mehr wollte der Kaiferfohn niht. er hatte die Abfiht.
Ileane vom Baum in die Meffer zu ziehen.
..Du bift gut. Ileane“. fprah er. ..fei noh beffer und
reih mir die Hand. um mir in den Baum zu helfen!“
..Bös ift Dein Gedanke“. dahte Ileane. ..aber Dir foll
er zum Unheil werden!“ fie gab ihm die Hand. zog ihn
am Stamm bis in die Zweige und ließ ihn dann zwi
fhen die Meffer. Säbel. Speere und andere folhe Dinge.
fallen. die zu ihrem Verderb bereitet waren.
..Da haft Du's“. fagte fie darauf. ..damit Du auh
wiffeft. was Du im Sinn hätteft l“
Der Held mit der fhwarzen Seele begann zu rufen
und zu wehklagen. - ja. aber Niemand kam. um ihm zu
helfen. fondern man ließ ihn. nah feinem eigenen Befehl.
6*
in Frieden wehklagen. und er mußte geduldig die fhrecklichen
Shmerzen ertragen.
Jleane nahm ihre Aepfel. brahte fie nah Haufe. gab
fie ihren Shweftern. kehrte dann zum kaiferlihen Hof zurück
und fagte den Knehten. fie follten hingehen und ihren Herrn
aus der großen Gefahr befreien.
Der Kaiferfohn. fo fhmählih verhöhnt. fhickte zu
der berühmteften Hexe im Lande. damit fie zu ihm käme und'
ihm ein Heilmittel für feine Wunden gäbe. Jleane war aber
vorher zu der Hexe gegangen. hatte ihr viel Geld gegeben.
damit fie. Jleane. an ihrer Statt als Hexe hingehen dürfe.
So kam alfo Jleane als Hexe an den Kaiferhof. Sie befahl
dann. daß man die Haut_ eines Büffels nehme. fie drei Tage
und drei Nähte in gefalzenes Effigfauer lege. fie dann heraus
ziehe und den verwundeten Jüngling in fie wickle. Die
Wunden brannten dem Kaiferfohne darauf aber noh
fhlimmer und feine Schmerzen wurden noh unerträgliher.
Als er nun fah. daß es gar fhleht um ihn ftand. fhickte
er zu einem Priefter. damit der ihm das Herz erleichtere.
ehe er ftürbe. und das Abendmahl gäbe. Aber Jleane
war auh niht faul! fie ging zum Priefter. gab ihm viel
Geld und bewog ihn dazu. fie an feiner Statt dorthin zu
fhicken. So gelangte Jleane als Priefter an den Kaiferhof.
Als Jleane an das Bett des Kaiferfohnes trat. ftand
er an der Schwelle des Todes. es waren nur noh drei
Athemzüge in ihm.
..Mein Sohn“.'fprah die verpriefterte Jleane. ..Du haft
mich zu Dir gerufen. um mir Deine Sünden zu beihten.
Denke alfo an die Stunde des Todes und fage mir Alles.
_85

was Du auf dem Herzen haft. Bift Du in Unfrieden mit


Jemandem? Ja oder Nein?
..Mit Niemandem“. fagte der Kaiferfohn. ..mit Nieman
dem außer Ileanen. der jüngften Tochter des Nachbarkaifers.
Und fie haffe ich. mit Sehnfucht und Liebe“. redete er
weiter. ..Wenn ich nicht fterben follte. fondern gefund werden.
werde ich um fie beim Kaifer werben. und wenn ich fie in
der erften Nacht nicht umbringe. foll fie meine treue Frau
nach dem Gefehe fein.“ Jleane hörte diefe Worte. fagte auch
noch einiges. dann ging fie nach Haufe. Hier verftand fie
bald. warum ihre Schweftern weinten und wehklagten. denn
fie hatten vernommen. daß der Kaifer von dem großen
Kampf heimkehren folle.
..Freude folltet Ihr haben“. fagte ihnen Jleane. ..wenn
Ihr hört. daß unfer guter Vater gefund und heil nach
Haufe kommt.“
..Wir würden uns fchon freuen.“ entgegneten die
Schweftern. ..wenn unfere Blume nicht verwelkt. unfer Apfel
nicht verfault und unfer Vögelchen nicht verftummt wäre;
icht aber geht's uns ach und weh!“
Als Jleane folche Worte hörte. ging fie in ihr Zimmer.
fah wie die Blume noch mit Than beneht. wie das Vögel
chen hungrig war und der Apfel nur zu fagen fchien: ..fo
iß mich doch. Schwefterlein!“
Um alfo ihren lieben Schweftern zu helfen. gab fie der
einen die Blume. der anderen das Vögelchen. für fich aber
behielt fie nur den fchönen Apfel. So erwarteten fie die
Ankunft des Kaifers. der fo fcharf im Befehlen war.
Der Kaifer. kaum zu Haufe angelangt. trat zu der
älteften Tochter und fragte fie nach der Blume. dem Vögelchen
_86,_

und dem Apfel. Sie zeigte ihm nur die Blume. und auch
die war halb verwelkt. Der Kaifer fagte nihts. fondern
ging zu feiner zweiten Tohter. Diefe zeigte ihm nur das
Vögelhen; und auh das war halb verkümmert. Der Kaifer
fagte wiederum nihts. fondern ging wortlos zu feiner jüngften
Tohter. der klugen Jleane.
Als der Kaifer den.Apfel auf Jleane's Shrank fah.
hätte er ihn faft mit den Augen verfpeift. fo fhön war er.
..Wo haft Du die Blume hingefteckt. und was haft Du mit
dem Vögelhen gemaht?“ fragt er Jleanen.
Jleane antwortete nihts. fondern eilte zu ihren Shweftern
und brachte eine frifhe Blume und ein munteres Vögelhen mit.
..Mögeft Du gedeihen. mein Töhterhen“. fagte der Kaifer.
..jeht fehe ih. daß Du mir die Treue bewahrt haft!“
Von Jleanen ging der Kaifer wieder zu feiner zweiten
Tohter und darauf zu der älteften.
Als er fie nah den drei Sahen. die er ihnen anver
traut hatte. fragte. holten fie fhnell Vogel. Blume und Apfel
von Jleanen. Ja. aber der liebe Herrgott läßt keine Lügen
durhgehen: bei ihnen verwelkte die Blume. war der Vogel
traurig. und nur der Apfel blieb frifh. rothbackig und zum
Einbeißen.
Als der Kaifer dies fah. verftand er Alles: er befahl
darum. daß man die beiden älteren Mädhen bis an die
Bruft in die Erde eingrübe und fie fo ließe. damit fie von
der Härte einer kaiferlihen Strafe Kunde gäben. Jleane
aber lobte er. küßte fie und führte mit ihr'gute. kaiferlihe
Rede und fagte ihr: ..Mögeft Du viel Glück haben. meine
Tohter.“denn Du haft Deine Pflihttreue erfüllt.“
Nahdem _der jüngfte Sohn des Nahbarkaifers genefen.
/

beftieg er fein Pferd und mahte fich auf. um Ileane zur Frau
zu begehren. Der alte Kaifer. Ileane's Vater. fagte ihm in
väterliher Rede. nahdem er ihm kund gethan. mit welher
Abficht er gekommen fei:
..Mein Sohn und Held. geh und frage Ileanen; was
fie will. foll mit Gottes Hülfe gefhehen.“
Ileane aber fagte kein Wort. fondern ließ es gefhehen.
daß der angeführte Held fie küßte, Da verftand der Kaifer
die ganze Sache und fprah: ..Meine lieben Kinder. ih merke.
daß es fo hat fein follen. daß Ihr Mann und Frau würdet;
möge es alfo zu Eurem Beften fein!“
Viel Zeit verging niht. bis Ileane fih mit dem
muthigen. fhönen. heldenhaften und kaiferlihen Jüngling
vermählte. und man rihtete ihnen eine Hohzeit her. von der
die Kunde durh fiebeu Länder ging. Ia wohl! Aber
Ileane hatte niht vergeffen. was der Kaiferfohn Böfes im
Sinne trug; fie wußte. daß er für die erfte Naht nah der
Bermählung etwas gegen fie im Shilde führte. Drum befahl
fie. daß man ihr eine Puppe aus Zucker anfertige. gerade
fo groß wie fie felbft war. mit Gefiht. Augen. Lippen und der
* ganzen Gefialt Ileane's. Als aber die Puppe fertig war.
verfteckte fie diefelbe in dem Bett. in dem fie in jener Naht
fhlafen follte.
Am Abend. als die Verwandten und Freunde fih zur
Ruhe gelegt und auh Ileane fhlafen gegangen war. fprah
der Kaiferfohn alfo zu feiner Braut:
..Liebe Ileane. warte noch ein Weilhen. ih komme
gleih.“ Darauf ging er aus dem Zimmer.
Ileane befann fih niht lange. fprang aus dem Bett.
-._ 88_

ließ die Zuckerpuppe an ihrer Statt und verfteckte fih hinter


einem Vorhang am Kopfende des Bettes.
Jleane hatte fih kaum ordentlih verfteckt. als der Kaifer
fohn wieder in's Zimmer kam mit einem fpihen Säbel in
der Hand.
..Sage mir jeht. Du meine liebe Jleane“. fprah er.
..haft Du mih in den Keller geworfen?“
„Ja“. fagte Jleane hinter dem Vorhang. Der Kaifer
fohn hieb einmal mit dem Säbel über die Bruft der Puppe,
..Du haft mih mit Spott und Hohn aus dem Lande
gejagt?“ fragte er zum zweiten Mal.
„Ja“. fagte Jleane.
Der Kaiferfohn hieb mit dem Säbel über ihr Gefiht.
..Du haft mir die Speifen verfhüttet?“ fragte der Kaifer
fohn zum dritten Male.
„Ja“. fagte Jleane.
Der Kaiferfohn hieb mit dem Säbel von oben bis unten.
..Du haft mir den Wein ausgegoffen?“ fragte der
Kaiferfohn zum vierten Male.
„Ja“. fagte Jleane.
Der Kaiferfohn hieb mit dem Säbel einmal kreuz und,
quer. Jleane aber begann wie im Todeskampf fhwer zn
athmen.
..Du haft mih in die Meffer geworfen?“ fragte der
Kaiferfohn zum fünften und lehten Male.
„Ja“. fagte Jleane.
Der Kaiferfohn ftah nun feinen Säbel in Jleane's Herz.
hieb nah allen Seiten kreuz und quer. aus allen Kräften.
die er hatte. fo daß ihm die Thränen wie Bähe herab
-rannen. Als die Morgenröte herannahte. begann er von
-89_
rganzem Herzen zu weinen. Auf einmal fprang ihm 'ein
Stück Zucker in den Mund.
..Ach. Jleane! füß warft Du im Leben. aber füß bift
*Du auch im Tode“. fagte er und weinte noch heftiger.
..Wahrhaftig füß“. fagte Jleane. hinter dem Vorhang
*hervortretend. ..aber hundert und taufend Mal füßer werde
:ich von jeßt ab fein.“
Der Kaiferfohn war wie erftarrt vor Freude. als er Jleane
.heil und gefund fah; er nahm fie in feine Arme. und von
,jeht ab lebten fie viele Jahre glücklich und beherrfchten das
:Land in Friede und Freude.

Llll.
hie. eIhrieertnrhtuf.uncl cler Lie-cher.

l Es war einmal. wie's keinmal war. wär's nicht ge


:w'ßfem würde es nicht erzählt.
Es war einmal ein Fifcher. nicht gar fo fehr und nicht all
:zu-:arm; er war aber jung. mit fo einem gedrehten Schnurrbart.
,weißt Du. und anfehnlich, So oft er mit Fifchen am kaifer
?lichen Hof vorbeiging. fchickte die Kaifertochter und ließ ihn
rufen. kaufte Fifche von ihm und gab ihm zehn Mal mehr
-Geld. als die Fifche ausmachten.
*Unfer Fifcher verwöhnte fich durch das Geld. und fo
*oft eryirgend gute. frifche Fifche hatte. brachte er fie an den
_.90

kaiferlihen Hof. und es verging kein Tag. den Gott werden


ließ. an dem die Kaifertohter niht Fifhe kaufte. wenn der
Fifher dort vorbei kam. "
Eines Tages drückte die Kaifertohter ihm. als fie ihm
die Fifche zahlte. ein wenig die Hand; der Fifher wurde
roth wie eine Runkelrübe. fhlug die Augen zu Boden.
nahdem er fie mit liebkofenden Augen angefhaut. denn er
hatte verftanden. daß fie ihm Anlaß dazu gegeben hatte.
Darauf ließ er fih 'in ein Gefpräh mit ihr ein und
nahm fih reht in Aht. keine Dummheiten zu fagen.
Ein ander Mal als die Kaifertohter Fifhe kaufte. fing
er fo mit großen Umfhweifen davon zu reden an und ließ
die Kaifertohter fühlen. daß er fie verftanden habe. und daß
das Feuer. welhes ihn verzehrte. niht weniger hell brenne
als das ihre.
Noh ein ander Mal. ließ er fih im Gefpräh weiter
aus. und die Kaifertohter erfuhr von ihm. daß er unverheirathet
fei. außerdem gefielen ihr feine fhlauen Antworten fehr. und
da er fehr anziehend war. verliebte fich die Kaifertohter
fhließlih in ihn. Sie gab ihm eine Börfe mit Geld. daß
er fih gute Kleider kaufen könne. und fagte ihm. hernah zu
ihr zu kommen und fih ihr zu zeigen.
Nahdem er fih Kleider. wie die Herren fie tragen.
gekauft hatte. zog er fie an und kam dann. um fih der
Kaifertohter vorzuftellen, Faft hätte fie ihn niht erkannt. denn
auh fein Gang und feine Haltung waren fo fteif geworden
wie die eines Herrn.
Als fie fhließlih das Feuer. das fie im Herzen trug.
niht mehr zurückhalten konnte. fagte fie ihm. daß fie ihn
zum Mann nehmen wolle. * * '
_gj_
Der Fifher wußte niht viel. foviel aber doh. daß folh
ein Kofthäphen niht für feinen Shnabel fei. und ihm war.
als könne er niht glauben. was er mit Ohren hörte und
mit Augen fah; als ihm die Kaifertohter aber verfiherte.
daß fie zu ihm niht im Sherz fo fprähe. nahm er es an.
aufrihtig geftanden aber immer noh mit Zweifeln und
Erröthen.
Dem Kaifer war diefe Heirath niht reht nah *dem
Sinn; da er feine Tohter aber liebte und fie das einzige
Kind ihrer Eltern war. gab er ihren Bitten nah. Das
Mädhen gab dem Fifher noch eine Börfe Geld und fagte
ihm. fih noh fhönere Kleider zu kaufen. Der Fifher kehrte
mit Kleidern. die von Gold ftroßten zurück. das Mädhen
aber zeigte ihn dem Kaifer. der fie denn auh mit einander
verlobte.
Viel Zeit verging niht. ehe niht eine ganz kaiferlihe
Hochzeit hergerihtet wurde. Als fie fih zu Tifh fehten.
brahte man auch den Brautleuten ein weichgekohtes Ei. nah
altem Brauh. von dem nur die Beiden effen durften. Als
er mit einem Brotfchnittchen in das Ei einftippen wollte.
verhinderte ihn die Kaifertohter daran und fagte: ..Jh muß
zuerft hineinftippen. weil ih eine Kaifertohter bin und Du'
ein Fifher!“ Der Fifher antwortete nichts.*er ftand aber
vom Tifch-auf und verfchwand. Die Tifchgenoffen. die niht
wußten. was vorgefallen war. fahen fih gegenfeitig an und
fragten fih verwundert. was das bedeute? denn davon hatten
fie nihts gehört. daß des Kaifers Shwiegerfohn früher Fifher
gewefen war.
Das Mädhen bereute ihre Unüberlegtheit. biß fih in
die Lippen. und rang die Hände. Sie aß. was fie effen
_92

mußte. aber es war. als ob fie es hinter fih würfe. denn


kein Biffen kam ihr zu Gute.
So ging fie alfo nach der Tafel in ihr Zimmer. Die ganze
Naht fhloß fie kein Auge. niht einmal der Shlaf wollte
kommen. fo traurig war fie; und weil fie immer an ihn
dahte. fürhtete fie fih fehr. daß fie vor Sehnfuht krank
würde. Jhr Hauptkummer war. warum er davon gegangen.
ohne auh nur ein Wort zu fagen.
Am nähften Tag begab fie fih zum Kaifer und fagteihm. daß
fie ihrem Manne nahginge. um ihn aufzufinden. fo fehr hätte
die Sehnfuht nah ihm fie erfaßt. Der Kaifer wollte fie zurück
halten. fie hörte aber niht auf ihn und mahte fih auf den Weg.
Sie ging durh die ganze Stadt. fuhte auf und nieder
und fand ihn nirgends. Dann wanderte fie von Stadt zu
Stadt. bis fie ihn als Kneht in einer Herberge traf.
Als fie ihn fah. ging fie gerade auf ihn zu und redete
ihn an. er aber that. als kenne er fie niht. wandte feinen
Kopf ab. antwortete ihr nihts und ging feinen Gefhäften nah.
Sie folgte ihm überall hin und bat ihn. nur ein Wört
hen mit ihr zu fprehen. aber vergebens. Als aber fein
Herr fah. wie fie dran Shuld war. daß feine Arbeit Störung
erlitt. fagte er ihr: ..Warum läßt Du meinen Kneht niht
in Frieden feine Arbeit vollenden? Siehft Du niht. daß er
ftumm ift? Sei fo gut. Dih von hier fortzufheren. wenn Du
eine ehrbare Frau bift.“
..Er ift niht ftumm“. rief fie. ..dies ift mein Mann. der
mih eines Verfehens wegen verlaffen hat und entflohen ift.“
Alle Leute in der Herberge blieben erftaunt ftehen. als
fie ihre Worte hörten. denn fie fherzte niht. der Wirth der
Herberge konnte fo etwas aber niht glauben. denn er meinte.
_93_
das wäre nicht möglich. daß ein Menfch fprechen könnte und
dann eine ganze Woche lang leben. ohne ein Wörtchen von
fich zu geben; und wirklich Alle kannten ihn als ftumm. fie
verftändigten fich mit ihm durch Zeichen und hatten ihn
wegen feiner Tüchtigkeit lieb. -
Darauf ging die Kaifertochter eine Wette mit Allen ein.
daß fie ihn innerhalb dreier Tage zum Sprechen bringen
wiirde. wenn man ihr nur geftatte. um ihn zu fein. gelänge
es ihr aber nicht. wolle fie fich hängen laffen. Dies wurde
fchriftlich aufgefeßt. der Ortsbehörde gezeigt und fie gebeten.
dies Uebereinkommen gut zu heißen. Da der Vertrag einge
gangen *war. nahm die Frift von drei Tagen am nächften
Morgen ihren Anfang.
Der Fifcher wußte anfangs nichts von diefem Ueberein
kommen. fpäter erfuhr er davon; die Tochter des Kaifers
aber ging ihm nicht von der Seite.
..Mein Geliebter“. fagte fie ihm. „Du weißt. daß ich die
Schuldige bin: ich habe Dich erwählt. weil ich Dich geliebt
habe; ich fchwöre Dir. daß ich nicht wieder folch ein Ver
fehen machen will; habe Mitleid mit mir und fage mir ein
Wort. errette mich aus der Schande. die mich tödtet. Ich
weiß. daß Du ein Recht haft. erzürnt zu fein. aber um mei
ner Liebe willen verzeihe mir!“
Der Fifcher wandte den Kopf nach ihr. zuckte mit den
Schultern und that. als kenne er fie nicht und wiffe nicht.
von was die Rede fei, Es verging ein Tag. zwei Tage.
und er fagte nicht einmal gigs. Als der dritte Tag kam.
erfchrak die Kaifertochter furchtbar. und wohin auch der
Siumme ging. überall kam fie ihm entgegen und bat ihn.
ihr ein Wort zu fagen.
_94_

Der Fifher aber. da er fühlte. daß fie ihn mit Bitten


bedrängte. entfloh wie ein Wilder vor ihr. damit fie ihn
niht mit Thränen beftürme. und ftellte fih. als ob fein
Herz eine Eisfcholle fei; fie hörte aber niht auf. ihn
taufendmal- zu bitten. fo innig. daß fie fogar das Herz wil
der Thiere erweiht haben wiirde.
, Endlich verging auh der dritte Tag. und der Fifher
hatte niht einmal mucks gefagt.
Alle Leute wunderten fih über diefe Vorfälle. Ju der
ganzen Stadt fprah man von nihts Anderem als von dem
ftummen Kneht in der Herberge und dem fhönen und lieb
lihen Mädhen. das. wie die Leute meinten. fih getäufht
hätte. indem fie den Stummen mit einem Anderen verwehfelt
habe. und fih nun felbft ins Unglück bringe.
Am nähften Tage war der Galgen bereit. Um ihn
herum verfammelten fih Alle. um das Ende der Gefhihte
mit anzufehen.
Die Ortsbehörde wurde an Ort und Stelle gerufen und
gegen ihren Willen gezwungen. das auszuführen. was in dem
gemahten Uebereinkommen ftand.
Der Henker kam und rief fie zur Aburtheilung. weil
es ihr niht gelungen war. die Verpflihtungen. an die fie
felbft fih gebunden. zu erfüllen; das Mädhen wandte fih
noh einmal um und fhluhzend fuhte fie das Herz des
Fifhers zu erweihen. aber vergebens. Als fie fah und verftand.
daß keine Rettung war. ließ fie ihr Haar lofe den Rücken
hinabhängen und begann fih fo zu bejammern. daß es zum
Erbarmen war. daß felbft das Holz und die Steine aus Mitleid
für fie weinten; fo ging fie auf den Rihtplaß. Die Leute
_.95_
aber. klein und groß weinten um fie. und konnten
niht helfen. _ iihr doh
Am Galgen angelangt. fhaute fie noh einmal
hoffnungsooll auf den Stummen. der mit der Menfhen
menge mitgekommen und wie ein Fühllofer daftand. und
fagte ihm:
..Mein lieber Gatte. errette mih vom Tode. Du kennft
meine Liebe zu Dir. laß mih niht fhmahvoll fterben. Sage
nur ein Wort. und ih bin errettet; er aber zuckte mit den
Shultern und fhaute nah rückwärts über's Feld.
Der Henker ftand mit der Shlinge in der Hand; zwei
Bedienftete führten fie die Leiter hinauf. und der Henker
legte ihr die Shlinge um den Hals. Ein Augenblick noh.
und das Mädhen wäre todt gewefen! Aber gerade in der
Sekunde. als er fie los .und in der Luft fhweben laffen
wollte. ftreckte der Fifher die Hand aus und rief: ..He. he.
haltet ein.“
Alle ftanden ftarr. und aus aller Anwefenden Augen
liefen Freudenthränen. der Henker aber löfte die Shlinge
von des Mädhen Hals. Darauf fagte der Fifher. indem
er das Mädhen anfhaute. dreimal:
..Wirft Du noh einmal Fifher zu mir fagen ?“
..Verzeih7 mir. mein theurer Gatte“. beeilte fih das
Mädchen ihm zu erwidern. ..einmal habe ih es nur gefagt
und auh damals nur aus Verfehen. ih verfprehe Dir. es
nie mehr zu fagen.“
..Laßt fie herunter. denn fie ift meine Frau.“
Und er nahm fie bei der Hand. und fie gingen zufammen
nah Haufe.
_96_
Darauf lebten fie in Friede und Freuden. und wenn fie
niht geftorben find. fo leben fie heute noh.
Jh fhwang mih in den Sattel dann.
Damit ih's Euh erzählen kann.

1x.

Prien mit (leaf *hfänret

Es war einmal ein Ruffe. der hieß Jwan. Und diefer


Ruffe war fhonSoldat. als er zu denken anfing. Und
da er ein Paar Dienftzeiten hinter einander abdiente. war
er fhließlih alt geworden. Seine Vorgefehten fahen ein.
daß 'er feiner Soldatenpfliht genügt hatte. und entließen ihn
darum mit Gewehr und Allem. damit er hinginge. wohin
er wollte. und gaben ihm noh zwei Bahen Zehrgeld mit auf
den Weg.
Jwan dankte feinen Vorgefehten und mahte fih
fingend auf den Weg. nahdem er von feinen Kameraden.
mit denen er noh ein. zwei Shluck Kümmel herunter ge
goffen hatte. Abfhied genommen.
Und als Jwan fo herumtorkelte. von der einen Seite
des Wegs zur anderen. ohne zu wiffen. wohin er wollte.
gingen zufällig ein wenig vor ihm auf einem daneben laufen
den Pfade der Herrgott mit dem heiligen Petrus. im Gefpräh
Q
über Gott weiß was. Als der-heilige Petrus Jemanden
hinter fich fingen hörte. fah er fich um. und was fah er
anders. als einen Soldaten. der von einer Seite des Wegs
zur anderen torkelte.
..Herrl“ fagte der heilige Petrus darauf erfchrocken.
..wir wollen uns entweder eilen oder ein bischen zur Seite
treten: der Soldat könnte womöglich Luft haben. mit uns
anzubinden. und wir würden dann unfere liebe Not'h mit ihm
haben. Du weißt. daß ich fchon einmal mit folch Einem
den Kürzeren gezogen habe.“
..Aengftige Dich nicht. Petrus“. fagte der Herrgott.
..Wo man fingt. da laß Dich ruhig nieder. Diefer Soldat
ift ein Mann mit weichem. mitleidigem Gemüth. Sieh ihn
Dir an. Er hat nur zwei Bahen auf dem Herzen. und des
Verfuchs halber geh Du und ftell Dich als Bettler an das
eine Ende der Brücke. ich ftelle mich an das andere. Und
Du follft fehen. daß er uns alle beide Baßen als Almofen
giebt. der arme Kerl! Denk7 daran. Petrus. wie oft ich Dir
gefagt habe. * daß Einer von diefen des Himmelreichs Erbe
werden wird.“
Darauf ließ fich der heilige Petrus an dem einen Ende
der Brücke nieder. der Herrgott an dem anderen. und fie be
gannen um Almofen zu bitten. '
Als Iwan vor der Brücke anlangte. holte er feine
Batxzen von da heraus. wo er fie hingefteckt hatte. und gab
einen dem heiligen Petrus und einen dem Herrgott. indem
er fagte:
..Gebeu. was Einem gegeben worden. bringt den Him
mel ein. Nehmt's hin. Der Herrgott hat es mir gegeben
7
*In-f
_98_

und wird mir wieder geben. denn er hat genug.“ Darauf


fing Jwan wieder zu fingen an und ging munter vorwärts.
Da fagte der heilige Petrus voller Verwunderung:
..Herr. der ift wahrhaftig ein gutes Gemüth. und der dürfte
niht unbelohnt von Dir gehen.“
..Gewiß. Petrus; laß mih nur für ihn Sorge tragen.
es foll ihm niht mangeln.“
Der Herrgott mahte fih mit Petrus auf. und bald
trafen fie auh auf Jwan. der in einem Singen immer
weiter ftrolhte. als fei die ganze Welt fein.
..Glück auf! Jwan“. fagte der Herrgott. ..Du fingft und
fingft und verhedderft Dih niht.“
„Ich danke Euch“. fagte Jwan zufammenfahrend. ..Wo
her wißt Jhr denn aber fo genau. daß ih Jwan heiße?“
..Na. wenn ich's niht wüßte. wer follte es denn wiffen!“
entgegnete der Herrgott.
..Wer bift *Du denn“. fagte Jwan etwas aufgebraht.
R..daß Du Dih rühmft. Alles zu wiffen?“
..Jh bin der Bettler. dem Du drüben auf der Brücke
ein Almofen gegeben haft. Jwan. Und wer den Armen
giebt. leiht dem Herrgott. fagt die heilige Shrift. Nimm
Dein Lehen zurück. denn wir brauhen kein Geld. Jh habe
Petrus nur beweifen wollen. wie mildthätig Du bift. Er
fahre. Jwan. daß ih der Herrgott bin und Dir Alles geben
kann. was Du von mir verlangft. weil Du ein gerehter und
wohlthätiger Menfh bift.“
Jwan wurde darauf vor Shreck augenblicklih nühtern.
fiel vor Gott auf die Kniee und fagte:
..Herr. wenn Du wahrhaftig Gott bift. wie Du fagft.

:W
_99
bitte ich Dih. befprih mir diefes Ränzel. damit ih Jeden.
den ih will. hinein ftecken kann. und daß _er ohne meine
Einwilligung niht mehr heraus kann!“
Der liebe Gott befprach darauf lähelnd das Ränzel
nach Iwan's Wunfh und fagte dann:
..Iwan. wenn es Dir einmal überdrüffig wird durh
die Welt zu wandern. dann komm und klopfe an meine
Thür. es foll Dir niht leid werden.“
..Mit Freuden. Herr. ih werde fogleih kommen“. fagte
Iwan. ..Für den Augenblick will ih aber erft gehen und
fehen. ob mir niht etwas in das Ränzel tröpfelt.“
Dies fagend. fhlug er fih rehts in's Feld. in der
Rihtung einiger großer Gebäude. die. noh kaum erkennbar.
vor ihm auf der Spihe einer Anhöhe lagen. Und Iwan
ging und ging. bis er gegen Abend bei diefem Gehöfte an
langte. Als er angekommen. trat er in den Hof. ließ fih
vor den Herrn fiihren und bat ihn um Aufnahme. Von
diefem Herrn hieß es. daß er etwas geizig fei; als er Iwan
aber in des Kaifers Rocke fah. konnte er niht gut anders
und befahl fo halb gegen feinen Willen einem Diener. daß er
Iwan etwas zu effen gebe und ihn dann in einem unbewohn
ten Zimmer einquartire. wo er alle Gäfte unterbrahte. die fo
ungeladen kamen. Der Diener befolgte feines Herrn Befehl.
nahm Iwan. gab ihm etwas zu effen und brahte ihn dann
an den beftimmten Ort zur Nahtru'he.
..Wenn dem niht die Ruhe in die Nafe fährt“. dahte
der Hofherr fo bei fih. nahdem er. foviel wie durchaus nöthig
war. geredet. ..Ih weiß. daß er die Naht was zu thun
bekommt. Wir wollen fehen. wer der ftärkere ift. Ent
weder er die Teufel oder die Teufel ihn!“
7 el'
'A'
_100

Jh muß Euh nämlih fagen. daß diefer Gutsherr ein


paar Zimmer hatte. fo abfeits. in denen. wie es hieß. der
Gottfeibeiuns wohnte. Und dorthin hatte er gerade Befehl
gegeben. Jwan zu beiten!
Jwan hatte aber hiervon keine Ahnung. Als er in
das Zimmer trat. in das der Diener ihn geführt hatte.
ftellte er feine Waffen ordentlih zureht. fprah fein Gebet
wie gewöhnlih. dann warf er fih. angezogen wie er
war. auf einen Divan. weih wie Watte. fteckte fein Ränzel
mit den beiden Bahen unter den Kopf und legte fih
zum Shlaf zurecht; denn ihn trugen kaum noh die Füße.
fo abgerannt war er. Aber konnte der arme Kerl zur Ruhe
kommen? Sowie er das Licht ausgelöfht. gefhieht ihm
was? Plöhlih zerrt ihm Jemand das Kiffen unterm Kopfe
fort und wirft es wer weiß wohin! Jwan. Hand an den
Säbel legend. fprang hurtig auf. zündete Liht an und be
gann durh's Zimmer in allen Ecken herumzufuhen; aber
er fand Niemanden.
„.Na. aber was foll das heißen? Entweder fpukt's
hier oder es war ein Erdbeben. durch das mir das Kiffen
unter dem Köpfe wegflog. und ih laufe ihm herumtappend
wie ein Narr nah. Was mag es aber auh mit diefem
Erdbeben auf fih haben!“ fagte Jwan. bekreuzigte fih noh
ein paar Mal von oben bis unten. dann legte er fih wie
der zur Ruhe. Als er aber einnickte. ertönte plöhlih durch
die Stube ein Gewirr von Stimmen. eine immer greuliher
als die andere. einige miauten wie Kahen. andere grunzten
wie Shweine. einige quakten wie Fröfhe. andere brummten
wie der Bär. glaub mir. alle möglihen abfonderlihen Stimmen
ließen fih hören. daß man wahrhaftig niht wußte. was in
-101

der Teufelsmutter Namen da los war! Iwan fing an


fo halbwege zu verftehen. was es für eine Bewandtniß damit
hatte.
..Na. dann laßt nur gut fein! Hier hat der Gottfei
beiuns fein Spiel. wie ich merke.“ Und mit einmal fing *er
. gewaltig an zu fchreien:
..Pafchol. hinein in das Ränzel. Bande.“ *
Da fingen die Teufelchen an fich eins über das andere
in das Ränzel hineinzupacken. als trüge fie der Wind. Und
nachdem fie Alle drin waren. fing Iwan an. fie auf gut
ruffifch zu puffen. Drauf band er das Ränzel feft zu. legte
es fich unter den Kopf. und verfehte ihnen durch das Ränzel
hindurch noch fo einige moskowitifche Stöße. wie er fie verftand.
daß den Teufeln das Herz zum Munde herausfuhr. Dann
legte er fich mit dem Kopf auf fie. und da ihn nun Nie
mand mehr ftörte. fehte er zu einem guten Schlaf an. fo
einem ordentlichen wie in der Kirche . . . Als aber der
Hahnenfihrei herannahte. fah Skaraoski. das Oberhaupt der
Teufel. daß einige feiner Diener fich verfpäteten. und machte
fich eiligft nach dem bewußten Orte auf. um fie zu fuchen.
Und in einem Augenblick war er da und fchob fich. er
wußte _wie und wo. in Iwan's Stube und verfeßte ihm im
Schlafe eine Ohrfeige. die fich gewafchen hatte. Iwan
fpringt wie verbrannt in die Höhe und ruft: ..Pafchol. rein
in das Ränzel.“ x
So fuhr auch Skaraoski ohne Gegenrede hinein und
zwängte fich noch zwifchen die anderen Teufel. denn er hatte
keine Wahl.
..He. jeßt werde ich Euch. Ihr Unholde. aburtheilen
und Euch den Teufel austreiben“. fagte Iwan aufgebracht.
_102

..Mit mir gerade wolltet Jhr Euer Spiel treiben? Jh


werd's Euh lehren. daß fogar die Hunde über Euh lachen
follen.“ Und allfogleih zog Jwan fih an. bewaffnete fih
mit feiner ganzen Ausrüftung. ging hinaus und fhlug einen
Lärm an. daß das ganze Hofgefinde durh fein Gefhrei
aufwahte. . *
..Was ift Dir denn zugeftoßen. Du Pahonßk). daß Du
bei nahtfhlafener Zeit aufftehft und folh einen Lärm fchlägft“.
fagten die Leute des Hausherrn. die gegen einander an
liefen. als ob fie hühnerblind wären.
..Was mir zugeftoßen“. fagte Jwan barfh. ..ih hab'
ein Paar Häshen eingefangen und denke fie hier abzu
fengen!“
Der Hausherr fteht bei diefem Lärm auh auf und
fragt: ..Was ift das für ein Gefhrei im Hofe!“
..Faft die ganze Naht haben wir wegen diefes Ruffen
nicht fhlafen können. Weiß der Teufel. was er hat. Sagt.
er hätte ein Paar Häshen gefangen und wolle fie mit Ver
laub abfengen.“
Bei diefen Worten trat auh fhon Jwan vor den Herrn
hin mit dem Ränzel voller Teufel. die wie die Fifhe in den
Reufen herumzappelten.
..Shau. Herr. mit wem ih mih die ganze Nacht her
umgebalgt habe . . . , aber zu guter Leßt habe ih Dir die
y Stube von den Teufeln gefäubert und bring Dir die ganze
Befheerung am frühen Morgen. Befiehl. daßman mir
Weidenruthen holt. denn ih werde fie Spießruthen laufen

*) Pahonß. ein Train-Kneht der ruffifhen Armee.


_103-

laffen. damit fie fih's für's Leben merken. daß fie auf


Iwan. den Diener Gottes. geftoßen find“.
Als der Herr dies fah.“überfiel ihn einerfeits Shrecken.
andererfeits jedoh wußte er niht. was er vor Freuden thun
follte; denn viel Meßgeld hatte er bisher den Pfaffen aller
orts gegeben. um die Teufel aus der Stube zu verjagen.
und es war ihm niht geglückt. Aber es fhien. daß ihre
Zeit jetzt gekommen war, An Iwan hatten fie ihren Mann
gefunden.
..Gut. Iwan“. fagte der Herr erfreut. ..Sie follen Dir
fo viel Ruthen bringen wie Du willft. thu Deine Pfliht.
wie Du's verftehft. hernah foll's niht Dein Shade fein!“
Viel Zeit vergeht nicht. als Iwan auh feinen Karren
voller Ruthen. wie er fie fih wünfht. gewahr wird. Er
nimmt fie und bindet immer fo zwei. drei zufammen. wie
ein Kenner. Unterdeffen hatte fih aber das ganze Dorf um
Iwan verfammelt. um die Beftrafung der Teufel mit anzu
fehen. Denn das war des Staunens werth. kein Sherz.
Iwan band vor“ Allen das Ränzel nur fo weit auf.
um mit der Hand hereinzufahren. und nahm ein Teufel
hen nah dem andern bei den Hörnern und gerbte fie
durh. daß ihnen das Fell plaßte. Und nahdem er
ordentlih mit ihnen Abrehnung gehalten hatte. ließ er fie
unter der Bedingung laufen. daß fie ein ander Mal niht
wieder dahin kommen wollten.
..Ih werd' niht wieder kommen. Iwan. fo lang ich
lebe“. fagte der Gottfeibeiuns. dem der Rücken-brannte und
der wie aus der Kanone gefhoffen davon eilte. Die Leute
aber. die zufahen. befonders die Jungen. hielten fih die
Seiten vor Lahen.
-l04

Zu allerleht aber zog er den Skaraoski am Bart heraus.


und hieb ihm ein paar über. eht moskowitifh. daß ihm der
Athem ausging. -
..Da haft Du's. Auf Streihe gingft Du aus. mit
Streihen komwft Du heim. Du. mein Herr Skaraoski. Das folk
Dih lehren ein ander Mal die Leute heimzufuhen. Du
unholder Satan. der Du bift.“ Und darauf läßt er ihn
laufen: ..fheer Dih“ und fo rennt auh Skaraoski hinter den
Anderen her. wie die Bremfe mit dem Strohhalm.
..Der Herrgott geb' Dir ein langes Leben“. fagte drauf
der Hausherr und nahm Jwan in feine Arme und küßte
ihn. ..Von jeht ab bleibe bei mir. Jwan. und weil Du
mir das Haus von den Teufeln gefäubert. follft Du bei mir
auf Händen getragen werden.“
..Laß gut fein. Herr“. fagte Jwan. ..Jh gehe hin. um
dem lieben Gott. dem Herrfher Aller. zu dienen.“ Und in
dem er dies fagte. band er fih den Säbel um. warf das
Ränzel über die Shulter. den Tornifter auf den Rücken.
Gewehr auf Shulter und marfhirte ab. um bis zum lieben
Gott zu gehen. Die Zufchauer aber. mit den Mützen in
der Hand. wünfhten ihm glückliche Reife. wohin er fih auch
wende. ..Mög's Dir wohl bekommen“. fagte der Herr.
...wärft Du geblieben. wärft Du mir wie ein Bruder geivefen.
nun Du gehft. bift Du mir doppelt werth.“
Mir fheint. als ob auh der Herr. fo herrlich es war.
Refpekt vor dem Ränzel bekommen hatte. daß es ihm niht
fo leid, um Jwan that. der ihm doh fo viel Gutes erwiefen.
Jwan dahte aber gar niht daran. er dahte nur an
feinen Weg uud fragte von Einem zum Andern. wo der liebe
Gott wohne. Aber Alle. fo viele er frug. zuckten mit den
_105

Schultern und wußten niht. was fie auf fo fonderbare Frage '
antworten follten.
..Das kann nur der heilige Nikolaus wiffen“. fagte Iwan
und holte fein Heiligenbildhen heraus und küßte es rechts
und links. Und darauf. o Wunder. fah Iwan fih plöhlih
am Thor des Paradiefes. Und ohne Weiteres fing er fo
gleih an. aus Leibeskräften an's Thor zu klopfen. Da
fragte der heilige Petrus von Innen:
..Wer ift da?“ ..Ih.“ „Wer ih?“ „Iwan“ „Und
was willft Du?“ „Giebt's Tabak?“ ..Giebt's niht!“ ..Giebt's
Schnaps?“ „Giebt's nicht!“ „Giebt's Mufikanten?“ ..Giebt's
niht. Iwan. was bohrft Du mih mit Fragen an!“
..Wo finde ich diefe Dinge?“
..In der Hölle. Iwan. niht hier!“
„Himmel. was für 7ne blanke Armuth hier im Paradies“.
fagte Iwan. Und er ließ fih in kein Gefpräh weiter ein.
fondern marfhirte direkt zur Hölle. Er wußte fhon. wie
fih die Wege fhlängeln. denn er ging niht lange. fon
dern ftand auh bald vor dem Thor der Hölle. Und
allfogleih klopfte er an das Thor und rief:
..Heh. *giebt's Tabak?“
..Giebt's“. entgegnete Jemand von Innen.
..Giebt's Shnaps!“
..Giebt's l“
„Giebt's Mufikanten!“
..Na. ich dähte doh. fo viel Du willft.“
..G*ut. gut! Das ift hier was für mih. maht fhnell
auf“. fagte Iwan trampelnd und fih die Hände reibend. Der
Teufel an der Pforte dahte. es wäre irgend ein alter Stamm
*ü*
_106

gaft und öffnete; und da. fhau an. fieht er unvermuthet


Jwan mit dem Ränzel vor fich.
..Weh uns. weh uns“. fagten da die Teufel. fih im
Kopf krauend. „Da find wir ordentlih hineingefallen.“
Jwan aber befahl. daß man ihm fhnell Shnaps.
Tabak und Mufikanten brähte. weil er Luft zu einem,
großen Gaudium hätte. Die Teufel fahen einer den andern
an. und als fie fahen. daß keine Möglihkeit war. Jwan zu
trohen. fingen fie an ihm Shnaps. Tabak. Mufikanten. Alles»
was Jwans Herz fih nur wünfhte. heranzufhleppen. Die
Teufel flogen nah allen Seiten. fhnell wie die Kreifel. und
thaten Jwan in Allem zu Willen. denn fie fürhteten fih
vor dem Ränzel. wie vor wer weiß was. vielleiht mehr
noh als vor dem heiligen Kreuz,
Nah kurzer Zeit war Jwan fo ausgelaffen. daß er
anfing durh die Hölle zu juhen und Horodinea und Eazacinca
zu tanzen mit den Teufeln und Teufelinnen. ohne viel Um
ftände mit ihnen zu mahen. und in diefem Wirbel warf er
die Ladentifhe und alles Uebrige um nah allen Seiten. daß
Du vor Lahen über Jwan's Faxen hätteft plahen können.
Was follten jeßt die Teufel mahen. um ihn hon da weg
zubringen? Sie bedahten fih. fie wanden fih. fie zerbrahen
fih den Kopf. aber Keinem fiel ein. was zu thun fei.
Des Teufels Großmutter aber. die abgefeimter war als alle
Teufel. fagte darauf zu Skaraoski: ..Shämen follt Jhr Euh;
wenn ich niht hier wäre. ginge es Euh noh fhlimmer als
jeht! Holt mir fhnell eine Tonne. eine Hundehaut und zwei
Stöcke. damit ih Euh ein Spielzeug mahe. wie ih's
verftehe. und dann will ih ihnf von hier fort kehren.“
Und allfogleih bringt man ihr das Gewünfhte; und des
_107

Teufels Großmutter maht fhnell eine Trommel. dann fhleiht


fie bon Iwan ungefe'hen mit ihr heraus und fängt wie zur
Shlaht drauf zu trommeln an. bumm. bumm. bumm!
Iwan kommt allfogleich zu fih. und mit einem Sah
fährt er heraus. Gewehrauf Shulter. um zu fehen. was
los fei. '
Des Teufels Großmutter fährt dann ritfh hinein. die
Teufel mahen bumbs das Thor zu. und als fie die Riegel
ordentlih vorgefchoben. hätteft Du ihre Freude fehen follen.
daß fie das Ränzel los geworden. Iwan klopft an die Thür.
was er kann. er fuhtelt mit dem Gewehr. aber jetzt hatten
die Teufel Verftand angenommen.
..Na. dann laßt's bleiben. Ihr Gehörnten. Wenn mir
noh einmal Einer unter die Finger läuft. wird Euh das
Ränzel Mores lehren!“ _
Als Iwan fah. daß die Thore der Hölle von allen
Seiten verrammelt waren. und daß die Teufel niht dran
dahten. fie zu öffnen. verzihtet er nun auh auf Mufikanten.
Tabak. Schnaps und Alles und 'wandert wieder zum _Paradiefe.
um dem lieben Gott zu dienen.
Und als er am Thor des Paradiefes anlangt. ftellt er
fih von-Außen als Wahe vor dasfelbe und fteht Tag und
Naht dort in einem Zug. ohne zu fhlafen und ohne fih
vom Fleck zu rühren.
Und niht lange danah. fhau! da kommt auh der Tod
an und will allfogleih zum lieben Gott hinein. um feine
Befehle in Empfang zu nehmen.
Iwan hält ihm fein Bajonnet vor die Bruft und fagt:
..Halt. Gebatter. wohin willft Du?“
*108

..Zum lieben Gott. Jwan. wir wollen fehen. was er


mir noh zu befehlen hat.“
..Jft niht erlaubt“. fagte Jwan. ..ih werde fhon gehen
und Dir Befheid bringen.“
„Bewahre. Jwan. ih muß felbft gehen!“
Wie Jwan fieht. daß der-Tod über ihn weg will. fährt
er ihn an und fagt: ..Pafholl. Gevatter Tod. rein in das
Ränzel.“
Der Tod hatte keine Wahl. fondern mußte fih in das
Ränzel ftecken. fing aber an zu fhluhzen und zu ftöhnen.
daß man vor Mitleid hätte weinen können. Jwan
aber band mit Gleihmuth das Ränzel oben zu und hing
es an einen Baum. Darauf begann er an das Thor zu
klopfen. Der heilige Petrus öffnete und fich da: Jwan
fteht vor ihm!
..Ei. ei. Jwan. alfo ift's Dir jeht überdrüffig geworden.
durh die Welt zu wandern nah Deinem Plaifir.“
..Jh hab's überdrüffig. gar überdrüffig. heiliger Petrus.“
..Und was willft Du jeht?“
..Jh will zum lieben Gott gehen und ihm was fagen.“
..Gut. Jwan. fo geh. Dir ift der Weg niht verboten.
Als ob das möglih wäre. jeht. wo Du zu unferm Haus
halt gehörft.“
-Jwan ging darauf ftracks vor den lieben Gott und fagte:
..Herr. ih weiß niht. ob es Dir bekannt ift oder niht.
daß ih feit langer Zeit am Thore des Paradiefes diene.
Und jeht kommt der Tod und fragt. was Du noh befiehlft.“
..Sag ihm. Jwan. in meinem Namen. daß ih Befehl
gebe. daß drei Jahre lang hinter einander nur alte Leute.
fo in Deinem Alter. fterben“. fagte der liebe Gott gütig lähelnd.
-* 109 -
„Gut. Herr“. antwortete Iwan und fchaute dem lieben
Gott lang in die Augen. ..Ih gehe. um ihm Deinen Befehl
zu bringen.“
Und dann ging er und erlöfte den Tod aus feinem
Gefängniß und fagte ihm:
..Der Herrgott hat befohlen. daß Du drei Jahre hinter
einander nur alten Wald verfpeifen follft. den jungen aber
niht anrühren. Haft Du verftanden! Vorwärts. marfhir
und thu Deine Pfliht.“ .
Darauf ging der Tod durhdie Wälder. über die Maßen
ärgerlih. und begann an den alten Bäumen zu nagen. daß
ihm die Kinnbacken krahten.
Und nahdem drei Jahre fih vollendet hatten. mahte
er fich wieder zum lieben Gott auf. um feine Befehle zu
empfangen. Wenn er aber dran dahte. daß er wieder auf
Iwan ftoßen würde. verfagten ihm die Füße und krümmte
er fih vor Angft. ..Des Ränzel! das verdammte Ränzel. das
bringt mih in alle Noth. Doh ich hab keinen Ausweg;
ich muß gehen“. fagte er feufzend. Endlich geht er und
geht niht und kommt nach einer Weile an das Thor des
Paradiefes. Aber fieh da: Er erblickt wieder Iwan!
..Du bift noh immer hier. Iwan. noh immer?“
..Das fehlte auh noch. daß ih niht hier wäre“. fagte
Iwan. machte links um und ftellte fih gerade in den Weg des
Todes, ..Wo dachteft Du denn. daß ih fein follte. wenn
ich hier Dienft habe?“
..Ih dahte. Du wäreft in die Welt und Deinen
Dummheiten nahgegangen.“
..Wenn ih doh gerade aus der Welt entflohen bin; ih
kenne fie. wie füß und wie bitter fie ift. das Wetter foll in
-110

fie fhlagen! Den Jwan hat fie bis über die Ohren
abgeknabbert. Woher bift aber Du fo mager geworden.
Gevatter?“
..Durh Deine Güte. Jwan! Jeht hoffe ih. daß Du mih
niht wieder der Verdammniß ausfeht. fondern mih zum lieben
Gott hineinläßt. denn ih habe fehr wihtige Gefhäfte bei ihm.“
..J. warum niht gar. Laß Dir die Luft danah noch
ein Weilhen vergehen; die Welt wird niht gleih umkommen,
Möhteft Du Dih niht etwa auf ein Plauderftündhen
einlaffen?“
..Weißt Du aber. Jwan. daß Du gar zu übermüthig
wirft?“
„So fteht Dir der Sinn? Du nimmft mih wieder fo
billig? Pafholl. hinein in das Ränzel. Gevatter!“
Der Tod zwängte fih wieder in das Ränzel. und Jwan
hing ihn wie zum Dörren auf und fagte:
..Halt zum Narren. wen Du willft. aber den Jwan nicht!“
Der liebe Gott aber wußte um all dies. er wollte jedoch
- den Jwan auh mal fih einen Spaß mahen laffen. niht
immer nur den Tod. denn der hatte in feinem Leben auh
fhon fo Manhes ausgefreffen!
..Oeffne mal. heiliger Petrus“. fagte Iwan und klopfte
dabei an die Thür.
Der heilige Petrus öffnete. und Jwan trat wieder vor
den lieben Gott hin und fagte:
..Herr. der Tod fragt. was Du weiter befiehlft. Und.
fei niht böfe. er ift gar zu ungeduldig und hart. wenn ih
fo fagen darf. Er fiht wie auf Kohlen und will augen
blicklih Befheid haben.“
..Bring ihm den Befheid. Jwan. daß von jeht ab drei
_111

.Jahre lang nur junge Leute fterben follen und die folgenden
drei Jahre nur ungezogene Kinder.“
..Gut. Herr“. fagte Iwan. fih bis zur Erde verneigend.
..Jh gehe. um ihm zu fagen. was Du befohlen“. und fowie
Iwan vor das Thor kommt. holt er den Tod aus dem
Ränzel und fagt: ..Der Herrgott hat befohlen. daß Du von
jeht ab drei Jahre lang nur jungen Wald verzehren follft.
und die drei folgenden Jahre nur junge Sprößlinge. Weiden.
Gerten. Ruthen und derlei Sahen; an den alten Wald rühr'
niht. fonft giebt's was. Haft Du verftanden. Gevatter?
Vorwärts. mah Dih dran. fo lange ih Dih feh. und thu
Deine Shuldigkeit gewiffenhaft.“
Der Tod verfhluckte feinen Aerger. fhritt durh die
Wiefen. Haine und das Dickiht. über die Maßen betrübt.
Und ob er's wollte oder niht. fing er an bald am jungen
Holz zu nagen. bald Gerten und Ruthen zu fheeren. daß
ihm die Zähne klapperten und die Hüften und der Nacken
weh thaten. wenn er fich oben zu den hohen Pappeln ftreckte
und dann fih zu den Wurzeln der Gebüfhe nah zarten
Zweigen bückte. 'Er quälte fih auch. was er mußte. der
Arme. Shließlih plagte fih der Tod drei Jahre hinter
einander fo und dann wieder drei Jahre. und nahdem fih
ihm die fehs Jahre Zwangsarbeit erfüllt hatten. mahte er
fih wiederum zum lieben Gott auf. um zu fehen. was er
ihm zu befehlen hätte. Kein Zweifel. Gevatter Tod wußte.
was ihn erwartete. aber was war dabei zu thun?
..Das Ränzel! Mög's Donnerwetter drein fahren“.
fagte der Tod und ging zum Paradies. als wär's zum Galgen.
..Jh weiß niht. was ih über den Herrgott fagen foll. daß
ih mih niht verfündige. Ih glaub7 beinah. daß auh er
_112

kindifh geworden ift. Gott verzeih' mir. daß er dem ver


rückten Jwan fo viel Maht über mih gegeben hat. Es
würde mih wirklih freuen. wenn ih mal den lieben Gott.
fo groß und gewaltig er ift. in Jwan's Ränzel fehen könnte.
oder. wenn niht ihn. wenigftens den heiligen Petrus. nur dann
würden fie mir glauben“.
Und wie er fo immer Alles durh einander hinmurrte.
kam er an das Thor des Paradiefes. und als er wieder
Iwan erblickte. verfinfterte fih ihm die Welt vor den Augen
und er fagte feufzend:
..Aber aufrichtig. Jwan. haft Du wieder die Abfiht.
mih mit Deinem Ränzel zu quälen?“
„Niht nur das: wenn ih die Maht hätte. offen ge
ftanden. würde ih Dir die Augen auskrahen. wie' dem
Teufel. und Dih am Spieß braten“. fagte Jwan voll Wuth.
..denn durh Deine Shuld haben fo bitter viel Menfhen.
von Adam bis auf den heutigen Tag. umkommen müffen. -
Pafholl. hinein in das Ränzel! Und diesmal melde ih Dih
auh gar niht dem lieben Gott. altes Sheufal. das Du bift.
Du mit des Teufels Großmutter. ihr feid ein paffendes Paar.
Jh möht' Euh mit den Zähnen zerreißen. fo lecker feid Jhr.
Jh werde Dih auf die Dörre hängen. ganz und gar. Jeht
follen Dir die Knochen im Ränzel faulen. Etfh. Etfh!“
Der Tod feufzt. aber vergebens. Jwan fheint weder
zu hören. noch zu fehen. Shließlih vergeht eine geraume
Zeit. ich weiß niht genau wieviel. bis eines Tages der liebe
Gott an's Thor kommt. um zu fehen. was Jwan wieder für
Unfug mit feinem Ränzel treibt.
..Ei. Jwan. was treibft Du? Hat der Tod niht mal
wieder vorgefprohen?“
-113

Iwan ließ darauf den Kopf hängen. fhwieg und be


gann die Farbe zu wehfeln. Der Tod aber aus dem.
Ränzel antwortete mit erftickter Stimme: ..Hier bin ih. Herr.
kalt geftellt. Du haft mih Armen zum Narren halten laffen
von einem Ouerkopf wie Iwan!“ Der Herr öffnet darauf
das Ränzel. läßt den Tod 'heraus und fagt zu Iwan: ..Hör.
Iwan. jeht ift's genug; Du haft Dein Leben gelebt und
Dein Theil gehabt. barmherzig bift Du gewefen. auh gut
müthig. kein Zweifel. Aber feit einiger Zeit. feitdem ich
Dir das Ränzel befprohen habe. bift Du gar zu fehr. ih
weiß niht wie geworden. Den Teufeln jenes Gutsherrn haft Du
den Garaus gemaht. In der Hölle haft Du Dir einen
Shmaus bereitet. daß man davon fpricht wie vom ge
fchornen Popen. Mit dem Tode habe ih Dich bisher Deine
Wipphen mahen laffen. ganz nah Deinem Willen. Du
kannft Dih niht beklagen. Aber Alles hat feine Zeit. mein
Sohn. Ieht ift die Zeit fzum Sterben auh für Dih ge
kommen. ih kann Dir niht helfen. Man muß Jedem das
Seinige geben. denn felbft der Tod hat feine Aufgabe. er ift
niht fo umfonft da. wie Du glaubft.“
Als Iwan fah. daß es Ernft war. kniete er vor dem
Herrgott nieder und bat ihn mit Thränen: ..Herr. gewähre
mir noch drei Tage. damit ich für meiner Seele Heil forge.
mir den Sarg mit meiner fhwachen Hand zimmere und mih
felbft in ihm zurechtlege; nahher fteht dem Tode frei. mit
mir zu mahen. was er will. denn ih fehe ein. daß mein
Lebensfaden fih abgefponnen hat; ich fange zufehends an.
fhwah zu werden.“
Der Herrgott erfüllte ihm diefe Bitte und dann. nach
dem er ihm das Ränzel entzogen hatte. übergab er ihn der
8
_114

Obhut des Todes. der ihm nah drei Tagen die Seele rauben
follte.
Als Jwan allein geblieben war. verfiel er auf trübe
Gedanken; er war über die Maßen traurig. daß ihm der
liebe Gott das Ränzel fortgenommen hatte. und daß er noh
dazu fterben follte.
..Nun werde ih mir mal überlegen. was ih davon ge
habt habe. daß ih auf diefer Welt gelebt“. fagte Jwan.
..Jm Heer war ih. aber mir nur zur Qual. wohin ih mih
auh wandte. fhleht ging's mir überall. Und bis heute
wanderte ih fo herum. ohne Zweck und Ziel. Jh ging in's
Paradies. von dort zur Hölle. und von der Hölle wiederum
zum Paradiefe. Und gerade jetzt. wo mir's darauf ankommt.
habe ih keinen Troft. Was in aller Welt dahte ih im
Paradies zu holen! So geht es dem. der es mit dem Teufel
verdirbt; hier im armfeligen Paradiefe ift das Wort am
rehten Plahe: ..Leeres Geprahle. leihte Waare!“ Man hat
den Beutel voll und vermißt Alles. Schlimmer geftraft
könnte man gar niht werden. Shnaps giebt's niht. Tabak
giebt's niht. Mufikanten find niht. Shmauferei ift niht.
nihts giebt's! Nur noh drei Tage habe ih zu leben. und
dann. Jwant - bift Du vom Erdboden verfhwunden!
Könnt' ih niht noh irgend einen Streih ausführen. fo
lange es noh Zeit ift?“
Shließlih fteht Jwan noh einen Augenblick fo da. den
Kopf in die Hand geftüht. als ihm plöhlih etwas einfällt:
..Still. jeßt habe ih's! Was draus wird. mag über mih
kommen. unifonft wird's niht fein. aber für mih kommt jeßt
Alles auf Eins hinaus!“ Und Jwan begiebt fih allfogleih
mit feinen beiden Bahen er weiß fhon wohin. und kauft
-115

Zimmermannshandwerkzeug. zwei dicke Seitenbretter. vier Kram


pen. mehrere Nägel. zwei Ringe und ein feftes Shloß und
maht fih daran. fih felbft einen reizenden Sarg zu zim
mern. in dem auh der Kaifer hätte liegen können.
..Shau. Iwan. Dein leßtes Häushen!“ fagte er. ..Drei
Ellen Erde ift Alles. was Dein bleibt. Siehft Du jetzt.
worin diefer Welt ganze Herrlihkeit endigt?“
Aber Iwan hatte kaum diefe Worte ausgefprohen. als
er auh fhon den Tod hinter feinem Rücken verfpürte.
.,Nun. Iwan. bift Du bereit?“
..Ganz bereit!“ entgegnete diefer lahend.
..Wenn Du bereit bift. vorwärts! Leg Dih fhnell
in den Sarg. denn ih habe keine Zeit zu verlieren. Viel
leiht warten noh Andere auf mih. daß ih ihnen den Geleit
brief mit auf den Weg gebe.“
Iwan legte fih darauf in den Sarg. mit dem Geficht
nah unten.
..Niht fo. Iwan“. fagte der Tod.
..Aber wie denn?“ *
..Lege Dih fo. wie ein Todter liegen muß!“
Iwan legte fih nun quer und ließ die Füße heraus-*'
baumeln.
..Aber um Alles in der Welt. Iwan! Eins fagft Du.
das Andere thuft Du! Willft Du mih noh lange aufhalten?
Leg' Dich ordentlih hin. hörft Du.“ Iwan legte fih darauf
wieder mit dem Gefiht nah unten. mit dem Kopf baumelnd.
auf die eine Seite und dann wieder mit den Füßen heraus.
„O Du mein lieber Herrgott! Auh das niht einmal
verftehft Du. Man merkt. daß Du nur zu Nihtsnutzigkeiten
Z*

i,
7,-

_1]6

gut warft in diefer Welt. Geh mal bei Seite. damit ih's
Dir. Narr der Du bift. einmal zeige!“
Jwan kletterte aus dem Sarge und ftand demüthig bei
Seite, Der Tod aber. der die Güte hatte. Jwan zu belehren.
legte fih in den Sarg. mit dem Gefiht nah oben. grad
geftreckten Beinen. die Hände auf der Bruft und die Augen
gefhloffen. dann fagte er:
„Sieh. Jwan. fo mußt Du Dih hinlegen.“
Jwan verlor keine Zeit. fondern klapp! warf er den
Deckel drüber. verfhloß ihn mit dem Shloß. und. troß aller
Bitten des Todes. lud er fih den Sarg auf den Rücken.
feßte ihn auf ein großes. fließendes Waffer und fagte:
..So. jeht hat die liebe Seele Ruh. Jeht ziehe heim.
Und mögeft Du aus dem Sarge auferftehen. wenn Dih die
Großmutter aus dem Grabe holt. Mir hat der liebe Gott
um Deinetwillen das Ränzel genommen. zu guter Leht hab'
ih's Dir aber heimgezahlt.“
..Shan nur. Herr“. fagte der Apoftel Petrus lahend.
„fhau. was Dein Jwan wieder angeftiftet hat! Das muß
doh wahr bleiben: wer Jwan den kleinen Finger giebt. dem
nimmt er die ganze Hand.“
Als der Herrgott nun fah. wie weit Jwan's Unver
fhämtheit ging. fing er auh an. fih ein wenig über feine
Streihe zu wundern. Und fo gab der liebe Gott Befehl.
den Sarg dort. wo er war. aufzumahen. damit der Tod
auf's Trockene käme und fih auh einmal an Jwan rähen
könne. Und allfogleih gefhah es fo. und als Jwan auh
niht im Traum daran *dahte. daß er den Tod nohmals mit
Augen fehen würde. da ftand er ihm plöhlih gegen
über und fagte ihm:
-117

..Na. höre. Iwan. fo war die Verabredung?“


Iwan blieb wie verfteinert und konnte niht ein einzig
Wort mehr fagen.
..Und Du thuft noch. als wüßteft Du von nihts! Iwan.
Iwan! Nur die Geduld und endlofe Güte des Herrgotts
können Deine Unthaten und Deine Verftocktheit noh über
treffen. Längft wärft Du aus diefer Welt fort und ein Spott
der Teufel geworden. wenn der Herrgott fih niht Deiner
angenommen hätte. mehr noh als feines eignen Sohnes.
Wiffe Eins. Iwan: von jeßt ab wirft Du zu fterben wünfhen.
Du wirft auf den Knieen mir nahrutfhen und mih bitten.
daß ih Deine Seele nehme; ih aber werde mih ftellen. als
hätte ich Dih vergeffen und werde Dih fo lange ftehen laffen
wie die alte Mauer von Golia und die Burg Neamß. damit
.Du fiehft. wie unerträglih das Leben in fo hohem Alter ift.“
Und fo ließ der Tod ihn zum Shabernack leben:
Denn fo lang die Erde fteht.
Kein Wind auf dem Ofen weht.

Und als Iwan fah. daß er wirklih niht ftarb. fagte


er bei fih:
„Ießt werde ih mir doh niht dem Tode zu lieb das
Leben nehmen! Das fällt mir niht ein. das kann er ja
felber beforgen.“
Und wo hätte er fih feitdem niht dem Tode zum Troh
einen Shluck Shnaps und ein Gläshen Branntwein und
Korn geholt. als ob ihn das Feuer verbrennte!
..Immer ein Shmaus über den andern. Iwan. fonft
wirft Du verrückt vor Langerweile“. fagte er.
_118

Wirklih. was follte er auh thun. der arme Mann.


wenn der Tod einäugig war und ihn nie fah? . . . .
Und fo hat Jwan. der Unfterblihe. ungezählte Jahr
hunderte gelebt. und vielleiht lebt er heute noh.' wenn er
niht geftorben ift.

L.

aWulüröerlxen.
W

Es war einmal. wie's kein Mal war. wäre es niht


gewefen. würde es niht erzählt. Als die Wölfe fih mit den'
Shafen im Stall zur Ruhe legten. die Shäfer mit den
Kaifern und den Königen auf grüner Flur tafelten. als eine
Sonne unter und die andere aufging.
Es war einmal ein Mann. meine lieben. guten Leute.
Diefer Mann wäre jeßt. - daß ih niht lüge - wahr
haftig. er wäre jetzt hundert Jahre alt. wenn niht noch fo
an zwanzig mehr; auh feine Frau war alt. wie ih
weiß niht wer; fie war wie die heilige Freitagsgöttin
(Venus); und von Jugend auf bis zum hohen Alter hatte
fie kein einzig Kind bekommen. Und nur wer da weiß.
was die Kinder im Haufe find. der kann die unbändige
Trauer im leeren Haus der alten Frau und des alten
Mannes verftehen. Was hatte der arme Alte niht Alles
gemaht. um zu verfuhen. ob ihm niht doh das Haus er
- *119 *
hellt und mit Freude angefüllt werden könnte durh das.
was er fih fo fehr wünfhte! An die Klöfter und Kirhen
hat er Almofen gegeben. Liturgien in fiebeu Kirhen hat er
lefen laffen. hat Priefter mit weißen Bärten kommen laffen.
denn die find heiliger und haben mehr Nahdruck beim Gebet.
hat die Meffen für alle Heiligen und die Gebete zur leßten
Oelung lefen laffen. Aber Alles war ohne jeden Nahen.
Die Alte hatte fih an die Hexen und Zauberer gehängt.
Welh Hexenmeifter wäre von der Alten niht zu Rath ge
zogen worden. wohnte er felbft eine Wohe Wegs ent
fernt? Und glaubt Ihr. daß auh nur ein Kraut von denen.
die man am heiligen Kreuztag pflückt und auf dem Boden des
Haufes trocknet. von ihr unbenußt geblieben wäre? nein.
alle wurden gekoht und befprohen. Wie ih fhon fagte.
was hätte fie niht get'han! Aber vergebens. all Dies
nußte nihts!
So fagte alfo der Alte an einem Tage. den der Herr
werden ließ. traurig und gedankenvoll zur Alten:
..Du. Alte!“ '
..Was willft Du?“
..Gieb mir Zehrung mit auf den Weg. denn ih will
in die weite Welt. ich will dahin gehen. wohin ih fhaue.
ob ih niht ein Kind finde. denn fieh mal an. mih brennt
und fhmerzt es in der Seele. wenn ih daran denke. daß mit
mir fih das Leben abfhließt. daß nah mir Niemand Haus
und Hof verwalten wird. daß Alles zum Hohn und Raub
in fremde Hände fällt. Auf alle Weife habe ih es verfuht.
fo will ih auh dies noh verfuhen. Und wiffe Eins:
wenn ih kein Kind finde. komme ih niht mehr nah Haufe.“
So fprah der Alte. nahm den Reifefack auf den Rücken.
-120

ging hinaus und mahte fih auf den Weg. Und er wan
derte. wanderte und wanderte weiter durh Reich und Welt.
wie's Gott gefällt. Hört. Jhr guten Leute. ih fag' lauter Wahr
heit heute. Und er wanderte. bis er in einen dihten Wald
kam. der wie vermauert fhien fo diht war er. Und
Baum war mit Baum verfhlungen. Geftränh mit Ge
ftränh. fo daß durh das dihte Laub das Sonnenliht
niht einmal fo viel wie durh ein Nadelöhr dringen konnte. Als
der Alte einen fo ungeheuerlihen Wald fah. fhlng er drei
Kreuze gen Often. dreimal fiel er nieder. auh gen Often. und
trat dann mit großem Weh hinein. Wie lange er durh den
Wald getappt ift und wie lange niht. kann ih niht wiffen.
eins weiß ich aber. daß er eines Tages an den Eingang
einer Höhle gelangte. Die Höhle war hundert und taufendmal
dunkler als der tiefe Wald; fo wie Nahts. wenn man die
Augen zudrückt. nämlih fo dunkel. wie es in endlofen Höhlen
zu fein pflegt. Der Alte bekreuzte fih noh drei Mal. fiel
einige Male auf die Kniee nieder und bog dann mit Gottes
Hülfe bei einem Felfenvorfprung ein. Er ging ungefähr
einen Shuß weit. als er auh ein Liht in einer Einhöhlung
fah. Er näherte fih und näherte fih. und glaubte feinen
Augen niht. als er das fah. was dort am Liht ftand.
Ein alter Einfiedler! Ganz alt war er. fo alt wie der liebe
Gott. Und hatte einen weißen Bart. der bis zu den Knieen
reihte. und feine Augenbrauen. wenn er fie zitternd gegen
das Liht hob und wieder herunterließ. befchatteten die
ganze Höhle.
So ftand der Einfiedler wie eine Steinfäule. die Augen
in ein Pfalmenbuh gebohrt. auf das er die Ellbogen ftühte.
und das mit großen. rothen Zeihen befprenkelt war. alt.
-121

alt war es. Gott der Herr allein weiß. aus welher Zeit es
ftammte; und auf einem breiten Stein leuhtete mit rother
"Flamme und blauem Rauh. dick wie ein Gewölk. eine gelbe
Wahskerze. Als er fih dem betenden Heiligen näherte.
immer wieder in die Kniee fallend. fprah der Greis:
„Guten Abend. heiliger Vater!“
Der Einfiedler war fo vertieft in feine Litanei. daß er
nihts hörte. Darauf rief unfer Alter noh lauter. Der
Einfiedler rührte fih niht. fondern mahte mit der Krücke
*nur ein Zeihen. daß er zur Seite treten follte. So blieb
der Alte abfeits ftehen. bis der Einfiedler fein Gebet vollendet.
Als er damit zu Ende war. hob er feine Augenbrauen in
'die Höhe und fprah:
..Mein Sohn. was fuhft Du hier bei mir in diefer
.öden und dunklen Behaufung? Seit fo vielen Jahrhunderten
von Zeiten fahen meine Augen kein menfhlihes Gefiht und
jeht befängt mih Verwunderung. was Deine Shritte hierher
hat lenken können.“
Der Greis erwiderte:
..Ih küffe Eure Rehte. Nun. mein Elend hat mih
hierher geführt. So viele Jahre lebe ih fhon mit meiner
Frau. und fie hat mir kein Kind gefhenkt. und ih möhte.
'daß nah mir ein Sproß zurückbliebe. fo wie ih das ver
klärte Antlih des Herrn zu fehen wünfche.“
Darauf nahm der Einfiedler einen Apfel. und nahdem
er ihn geheiligt und gefegnet. fhnitt er ihn in zwei Theile
und fagte:
..Nimm diefe beiden Hälften des Apfels; diefe gieb der
Alten. und diefe follft Du effen. und geh mit Gott und irre
niht mehr fo in der Welt umher.“
-- 122 -

Der Greis nahm das gefegnete Gefhenk. küßte die


Rehte und die Füße des Einfiedlers und ging aus der Höhle.
Und er fhlug die Rihtung durh den dihten Wald ein und
gelangte nah langem Wandern auf die Wiefenflur. Dort
übetfiel ihn auf der Ebene ein furhtbarer Durft und ein
Brennen in der Kehle, Was follte er mahen. da er kein
Waffer fand? Er that alfo. was ihm zu thun beftimmt
war. Er nahm den einen halben Apfel und aß ihn. Aber.
anftatt die Hälfte zu effen. die ihm beftimmt war. aß er
diejenige der Alten. Und er hatte fie noch niht ordentlih
verfhluckt. als er niht weiter gehen konnte. So ließ er fich
auf das Gras nieder. wo eine Menge gelbes Labkraut wuchse
und fhlief wie todt ein. Und der Engel des Herrn ftieg
aus dem Himmel herab und ftellte fich neben ihn als Wahe.
Als er zu fih kam und erwahte. was erblickte er mit offenen
Augen? Das Wunder der Wunder. Das Unerhörtefte des
Unerhörten. Neben ihm weinte in dem Labkraut ein kleines
Kindhen und bewegte feine kleinen Händhen! Der Engel
des Herrn holte Bafilikumkraut und feit neun Jahren ge
weihtes Waffer. benehte das Mädhen und taufte es. indem
er ihm den Namen ..Waldröshen“ gab. Der Alte. fo guter
Dinge wie noh nie. da er ein fo wunderniedlihes Mädhen
fah. nahm fie in den Arm. küßte ihr Gefiht und mahte fih
mit ihr auf den Weg zu feiner Alten. Als er an die Erd
hütte kam. nahm er eine Backmulde. legte das Mädhen in
diefelbe und ftellte fie oben auf die Erdhütte drauf. dann
kroh er in's Haus mit den Worten im Munde:
..Komm fhnell. Alte. fhnell. damit Du fhauft und doh
niht glaubft. was für einen Shah von Tohter mir der Herr
gegeben hat. mit Goldhaaren und Sternenaugen!“
_123

Als fie herauseilten. um den Shah von einem Mädhen


zu fehen und die Mulde von der Erdhütte nahmen. fahen
fie nihts. keine Spur von einem Mädhen nirgends. Der
Alte bekreuzigte fih und feufzte von Herzen. Er fuhte dort
und fuhte hier. links. rehts. das Mädhen war und war
niht zu finden. Er fuhte noh im Stroh der Hütte. auf
der Erde. hinter dem Haufe. ob fie niht vielleiht herunter
gefallen fei; wenn fie aber niht da ift. ift fie niht da und
ift die Sache zu Ende. denn aus der Erde ftampfen kann
man fie niht.
Du. mein Gott. was quälte fih der Alte. und rang die
Hände vor Verzweiflung. Aber wie follte er fih über fo
etwas auh niht entfeßen! Denn er hatte'fie doch in die
Mulde gethan und hatte fie gefehen. als er fie hineingelegt.
und wußte doh genau. wo er fie gelaffen hatte. und nah
einem Augenblick fie nun niht zu finden. das war doh
zu arg! *
..Was kann dem Kindhen gefhehen fein! Hat der Engel
des Herrn fie genommen? Haben die Elfen und die böfen
Gnomen fie fortgeftohlen? Was um Gott und aller Welt willen
könnte denn fein!“ fagte die Alte feufzend. Daß Jemand
fie genommen hatte. war klar! Aber weder Enge( noh Elfen.
noh böfe Geifter verkehrten in der Gegend. Sondern hört
nur. guten Leute. das Unglaubliche: Ein Geier oder ein
Riefengreif. was es nun gewefen fein mag. aber wir wollen
ein 'Riefengreif fagen. kam da vorbei und hörte das Weinen
des Kindes; da ließ er fich fhnell auf die Erdhütte nieder.
ergriff die Kleine. fteckte fie unter feinen rehten Flügel und
fhwang fih mit ihr in den Himmelsraum. Er brahte fie
in feinen Horft. um feine Kinder mit ihr zu füttern. Als
- 124

er fie in's Neft gefeht. flog der Greif wieder davon. Die
Jungen aber fhauten mitleidig und liebevoll auf die Kleine.
und anftatt fie zu effen. fingen fie an. ihr weihe Brotkrüm
hen aufzuheben. mahten ihr ein Lager und bedeckten fie mit
ihren Flügeln. damit die Morgenkühle fie niht erreihe.
Jeht muß ih Euh erzählen. daß in jenem fhrecklihen
Walde. in einem Brunnen mit lauter Giftwaffer. ein Lind
wurm mit zwölf Köpfen lebte. und diefer Brunnen *war niht
fern von dem Baum. auf deffen Wipfel das Neft der Greife
ruhte. Diefer fhrecklihe Lindwurm ließ die kleinen Greife
nie groß und kräftig auswahfen. fondern jedesmal wenn
der Greif Junge bekommen hatte. und diefe fo ungefähr flügge
werden follten. ftreckte er zwei Feuerköpfe aus und endete
ihre jungen Lebenstage. fodaß der arme. bedauerlihe Greif.
feitdem er fih am Leben kannte. noh niht dazu hatte ge
langen können. auh nur eins feiner Jungen ausfliegen zu
fehen. Da alfo jeht die Jungen groß geworden waren und
das Tagesliht erwarteten. um in den weiten Hohwald und
die Bergwelt zu fliegen. fiehe. da läßt fih um Mitternaht
fo ein Raufhen im Waffer des Brunnens hören. und was
läßt fih blicken beim Glanz des Mondes. der durh die
Zweige der Bäume fhimmert? Zwei rothe Feuerköpfe. die
fih dem Neft zuwenden und ein Heulen und Gebrüll an
ftimmen. daß die Berge in ihrem Grunde erzittern. und die
Thäler wie Mulden. die man wiegt. hin und her wanken.
Plöhlih. wie man mit den Augen blinkt. erfchüttern und er
zittern die Gefüge des Himmels und der Erde und in einer
Goldwolke erfheint der Erzengel mit dem Shwert in der Hand
und zuckt wie ein Blih hernieder; und gerade wie der Lindwurm
die jungen Greife packen will. zuckt der Engel das Shwert
_125

von Often nah Wefien und wiederum von Weften nah Often.
und mit göttlichen Streihen fheert er die zwei Köpfe
herunter. als ob man einen Löffel Waffer trinkt. Darauf
kamen zwei noh furhtbarere zum Vorfhein. auh; fie
wurden zu Stücken zerhauen. Wiederum kamen zwei hervor.
auh fie fahen ihr Ende. Und fo fort mit den zwölf Köpfen.
Und der Wald und das Thal wurden ein Moraft von ge
ronnenem' Blut und Gift; und die Köpfe ftießen fih an dem
Baum. der das Neft trug. fo daß die Blätter von den
Zweigen fielen. zehn Meilen im Umkreis. Darauf nahm der
Engel Bafilikumkraut. und mit Waffer. das im Paradiefe vor
neun Jahren geweiht worden war. befprengte er die vier
Gegenden der Welt. und die Blutlahen zogen fih alle auf
einen Fleck zufammen und die Köpfe verloren die Befinnung.
und die Erde öffnete fih und verfhluckte fie und alles Blut.
fo daß der Wald wieder fauber und hell wurde. wie der
liebe Gott ihn uns hat werden laffen.
Als der Greif mit dem Morgengrauen zugleih erfhien
und feine Jungen heil im Neft fhlafen. den verfluhten Brun
nen aber vom Erdboden verfhwunden fand. ftieß er einen
Shrei der Freude aus. fo daß die Erde auf neun Meilen
erzitterte und erbebte.
Darauf weckte er feine Jungen und fragte:
„Sagt mir fhnell. Ihr Herzhen. wer hat mir diefe
große Wohlthat erweifen können?“
Die Jungen fhüttelten den Kopf und fagten: ..Wir
wiffen nihts. denn wir haben die ganze Naht füß ge
fhlafen!“
Als der Greif fih darauf umfah. fiel fein Blick auf
das Mädhen. deren Goldhaar und Sternenaugen in der
-126

Morgendämmerung glänzten wie die Fackeln des Paradiefes


in der Sonne. und ihm fuhr durh den Sinn. daß nur die
fes fchöne Licht von einem Mädhen ihm die unfäglihe Wohl
that hätte erweifen können. “
„Kinder“. fprah der Greif mit ärgerliher Stimme.
..Jhr habt das Mädhen niht verfpeift. was foll das heißen?“
Die Jungen fhwiegen mäushenftill. der Greif aber ging
hin und verfhluckte das fhöne Waldröshen. als fie aber
wieder zum Vorfhein kam. war fie fiebenmal fhöner als
vorher.
Jeht ging der Greif an ein großes Werk: einen
ganzen Tag lang fhleppte er von den Waldwiefen Blumen
und weihes. grünes Moos herbei und machte dem Mädhen
ein Shlafkämmerlein zureht. wie ein Feenneft. und das
Kämmerlein fhwankte hin und her wie eine Wiege. wenn
der Wind wehte. Von jeht ab war Waldröshen ihm fo
lieb wie feine Kinder. nein. wie die Augen im Kopfe. und er
pflegte fie und fütterte fie mit dem Beften. was fo ein Greif
finden konnte.
Und das Waldröshen mit dem goldnen Haar begann
zu wahfen und zu erblühen wie eine ftolze Lilie, Morgens
küßte und erweckte fie das fröhlihe Morgenroth. um Mittag
fähelten fie die Shatten der bufhigen Zweige. und Abends
wi'egten fie die weihen Lüfte des leihten Windes und die
Lieder. die von weither aus den Hörnern der Hirten durh
den Wald drangen.
So wuhs fie fhön heran. bis fie aufreht ftehen konnte.
als eines Tages. wie der Abendftern fih in dem Rofenliht
der hinter den Bergen verfhwundenen Sonne badete. der
Herrgott gefhehen ließ. was vorher beftimmt war zu
-127- *

gefhehen. und was fih noh niht ereignet hatte. feitdem


diefe Welt gefhaffen und die Sonne ihren Lauf am Himmels
zelt begonnen. Es gefhah nämlih alfo. daß das Wald
röshen aufftand und aus dem Shlafkämmerlein trat und
zum erften Mal in die Welt fhaute. Als aber der Abend
himmel fie erblickte. erzitterten augenblicklih die Lüfte und
fhwankten die Sterne. die im Aufgehen waren. und wie aus
einem Feuermeer erftand mit Praht und ungefehener Herr
lihkeit eine andere Sonne an der Grenze des Oftens. fhöner
und hundert Mal goldiger als die hinter den Bergen ver
fhwundene Sonne. Und die Wälder. Tiefen und Thäler
fhauerten. und die Blumen flüfterten füß unter einander und
wandten die Köpfchen den neuen belebenden Lihtwellen zu.
Und nun fhau mal an und glaub' doh niht dran: die
Blumen des Waldes bemühten fih. des Mädhens Blicke auf
zufaugen. und die Bäume ringsumher fenkten die Wipfel.
um fih an Waldröshens Shönheit zu erfreuen. Kurzum.
die ganze Shöpfung Gottes. die Vögel unter dem Himmel
wie die Thiere im Hohwalde jubelten und fprangen vor
Freude über das göttlihe Wunder.
Nah diefem Abend hellen Freudenfeftes vergingen zwei
mal drei Tage. dann drei mal drei. fhließlih vergingen
noch einige. und Waldröshen war vierzehn Jahre alt,
Als fie vierzehn Jahre alt war. war Waldröshen fhön . ..
aber fo fhön. daß mir bange ift. fie zu preifen und zu
fagen. wie und warum fie fhön war; mir ift nämlih bange.
Ihr fagt nahher. daß Ihr etwas fo Shönes. wie ih
befhreibe. fhon gefehen habt. Aber fie war einzig. fo weit
das Reih der Sonne geht. Wie hätte fie auh niht fhön
fein follen. hatte doh kein menfhlihes Wefen fie noh er
-HW

_128

blickt und fie von Kaiferreihen und Städten noh keine


Ahnung; nur mit Blumen fhwefterlih lebte fie. tanzend
mit Shmetterlingen webte fie. eingelullt von Bahes Klang.
mit Vögeln um die Wette fang. Jeht verzeiht mir. meine
Lieben. daß ih zuerft fagte. ih würde nihts fagen und
nahher doh zwei Worte zu Waldröshens Lob und Preis
gefagt habe. Wer kann es aber laffen. vom Waldröshen
zu reden. wenn er fie gefehen hat?
So verging der Tag wie die Stunde. und die Stunde
wie die Minute. bis eines Tages. den der Herr gab. eine
große Jagd in diefen fhönen Wäldern ftattfand.
Auf die Jagd ging auh der Kaiferfohn.
Nun. augenfheinlih hatte es fo fein follen. Nämlich
daß der Kaiferfohn zu guter oder zu böfer Stunde - ih weiß
niht. welhes von Beiden ih fagen folk - ein Wild in das
Gebüfh fpringen fa'h. und fhnell. fhnell. fhnell _ihm nah
eilte. bis fih der junge Held da befand. wo er niht einmal
im Traum gewefen war: gerade in der Tiefe des dihten
Waldes. der noh nie von einem menfhlihen Fuß berührt
worden war.
Als der Kaiferfohn fih dort fah. ftand er ftill und
laufhte. um in der Einfamkeit etwas zu hören. ein
Anfhlagen der Hunde. irgend ein Jagdhorn. einen Ge
wehrknall oder fo etwas. was dem Jüngling hätte gefallen
können. Aber vergebens laufhte er. nur das verfhwiegene
Shweigen und die ftumme Einfamkeit umgaben ihn. Nach
einer Weile. als er mit den Augen rund um fih gefhaut.
fhimmerte ihm durh die Blätter der Bäume ein blendender
Strahlenglanz entgegen. Er warf den Blick noh einmal
dorthin und fühlte. daß wirklih war. was da war. Eins.
-129

zwei drei war er dort. um zu fehen. was es fei. Und er


fand . . . fand den Baum mit dem Kämmerlein und den
jungen Greifen. die ihn anfhauten. Was er auh dahte oder
niht dahte - kurz. er fpannte den Bogen an. und jetzt. gleih.
gleih hätte er den Pfeil und die Köpfe der Jungen abgefhoffen.
als plöhlich wie ein Bliß ein Lihtftrahl ihm das Gefiht
blendet. fo daß der Bogen ihm entfällt und er die' Augen
mit den Händen bedeckt. Als er noh einmal hinfhaute.
erblickte er für einen halben Augenblick das Gefiht und die
Geftalt des Waldröshens. und ihm war zu Sinn. als feier
im Ienfeits und müffe ohnmähtig werden und in's Gras
fallen. Als er zu fih kam. rief er dem Mädhen zu. es
möge herabfteigen. Aber wie würde Waldröshen fo etwas
thun! Sie ftieg wahrhaftig niht zu einem Jüngling hinab.
fondern faß fhön ruhig bei ihrer Mama zu Haufe!
Als der Kaiferfohn das fah. kehrte er heim. wie er
gekommen. Doh nein. niht wie er gekommen. kehrte er
heim. denn feufzend und mit dem Herzen voll Sehnfuht und
heißer Liebe war, er niht gekommen. Und durh das Geftrüpp.
ohne eine Spur von Pfad und Lihtung war er auh niht
gekommen. Aber jeht mahte er doch überall Purzelbäume.
wo er auh ging. als ob er keine Augen hätte. Wie er
aber auh zurückgekehrt war. zurückgekehrt war er doh und
gerade zur Zeit. als der Ohfenhirte feine Ohfen von der
Weide in's Dorf hinein trieb. und da begegnete er zum
Glück zwei Iagdgefährten.
Am nähften Tage in der Frühe zogen vom kaiferlichen
Hofe Herolde aus in's ganze Land. welhe verkündigten. wer
fih anheifhig mahe. ein Wunder von Mädhen aus dem
Walde des Brunnens mit den zwei Bäumen zu holen. den
9
NW'

_130

würde der Kaifer bis zum Tode als feinen Rath halten und
der ganze Hof würde ihn ehren. Sieh da: ein altes. lahmes
Weib. mit einem Buckel auf dem Rücken und fo viel Haaren auf
dem Kopf wie - auf der flahen Hand: ..Jh bin die.
welhe das Mädhen aus dem Walde des Brunnens mit den
zwei Bäumen bringen kann.“ Die Herolde fahen das alte
Weib an und brahen in ein Gelähter aus.
..Bift Du aus dem Höllenreih. Du Vogelfheuhe von
Weib?“ fagte ein Herold. ..Wer in der Waldhexe Namen hat
Dih uns in den Weg gebraht. denn jetzt muß es uns
fhleht gehen. Sher Dih aus unfern Augen fort.“
Die Alte aber blieb dabei. daß fie das Mädhen aus
dem Walde bringen könne. Und fie hielt fih an die Herolde.
wie die Klette an die Shafe.
Darauf fagte der Aeltefte unter den Herolden: ..Helden.
nehmt fie mit. denn der Kaifer hat klar genug gefagt. wer
fih rühmt. feinen Befehl ausführen zu können. den follen
wir an den Hof bringen. fei es. wer es auh fei; nehmt die
Alte und feht fie in den Wagen.“ *
Und fie nahmen die alte Frau und vorwärts mit ihr zu Hofe.
„Du haft Dih gerühmt. daß Du das Mädhen aus
dem Walde bringen könnteft?“ fprah der Kaifer vom Kaifer
thron herab.
..Du follft leben. Majeftät. Ja. ih mahe mih anheifhig.“
..So mach' Dich an's Werk!“
..Das laß der Alten ihre Sorge fein. aber gieb mir
einen Keffel und einen Dreifuß.“ Und man gab ihr fhnell
einen Keffel und einen Dreifuß. und fo machte fih die Alte
auf den Weg. hinter dem Jagdtroß des Kaifers immer mit
dem Munde plappernd und dem Keffel klappernd. wie es die

/:
_131

Zigeuner thun. wenn fie die Braut zur Hochzeit abholen,


Auh der Kaiferfohn war niht zu Haufe geblieben. Als
ob er hätte zurückbleiben können und das wie und warum
niht erfahren! Als der Troß im Walde anlangte. mahten
die Jäger und der Kaiferfohn Halt. und die Alte ging allein
wie die Waldhexe weiter.
Unter dem Baum. auf dem das Mädhen war. zündete
die gewiegte und gewißigte Alte Feuer an. ftellte den Drei
fuß hin und den Keffel drauf. Der Keffel ftand aber fhief
und fiel um. fo oft fie ihn hinftellte. Waldröshen aber. die
von der Oeffnung des Shlafzimmers aus herunterfhaute und
die Dummheit der Alten fah. verlor die Geduld und rief:
..Niht fo. Alte.*ftell' den Dreifuß anders.“
..Wenn ih mih aber niht drauf verftehe. mein Herzenskind !“
Und vergebens ftellte die 'Alte ihn auf. wandte ihn um
und rückte daran zureht. der Keffel wollte und wollte niht
ftehen. Waldröshen wurde immer mehr von feiner Ungeduld
und feinem Aerger beherrfht.
..Habe ih Dir niht fhon einmal gefagt. daß es fo niht
geht? Drehe den Keffel mit dem Henkel zum Baumftamm!“
Die Alte that es verkehrt. Drauf fagte fie: ..Komm
herunter. liebes Kind. und zeig wir's!“
Und Waldröshen. in den einen Gedanken verrannt.
klettert eins zwei drei vom? Baum. um die Alte zu be
lehren. Aber die Alte hat fie gelehrt. fo daß fie keine weiteren
Lehren bedurfte! Sie nahm fie beim Arm. hob fie auf ihre
Shulter und rannte mit ihr zu dem verliebten Kaiferfohn.
Als der Kaiferfohn fie fah. kam er ihr entgegen. bat fie um
ihr Leben und küßte fie mit Beben. Dann legte man ihr
9*
- 132' -
prähtige Kleider an. in Gold gewirkt und mit Perlen durh:
zogen. von neun jungfräulihen Königstöhtern gearbeitet.
Darauf fehte man fie in den kaiferlihen Wagen. und
bis nah Haufe holten die Pferde nur einmal Athem. denn
fie hatten ihres Gleihen höhftens unter den Sonnenpferden.
Und dort hob fie der Kaiferfohn heraus. trug fie in's Haus.
feht fie an den Tifh gefhwind. wie ein wahres Königkind.
Und die Eltern des Jünglings. die armen Alten fhauten
fie mit Freuden an und gedahten ihrer Jugend. Nah aht
Tagen aber wurde eine glänzende Hohzeit hergerihtet. die
drei Tage und drei Nähte gedauert hat. darauf war ein
Tag Ruhe und dann wiederum drei Tage und drei Nähte
in Herrlihkeit und Freude.
Auh ih war dabei. da ih aber auf einem Fuße lahm
bin. langte ih an. als die Hohzeit fhon vorüber. und fand
mit großer Mühe nur noh klare Brühe. fuhte vergebens
drin herum. fand von Fleifh niht eine Krum. fhlürfte dann
aus einem Sieb. ftell' Dir vor. wie viel mir blieb. und wie
ih die Zeit vertrieb!
*133

xi.

?hie Human. cler Teiler.

Es war einmal. wie's einmal war. wäre es niht ge


wefen. würde es niht erzählt.
Es war einmal ein Mann. der bat jeden Tag zum
Herrgott. daß er ihm Reihthümer geben folle. Seine vielen
und häufigen Gebete fanden den lieben Herrgott eines Tages
in guter Laune. und er erhörte fie. Nun er reih geworden
war. wünfhte er niht mehr zu fterben. und fo befhloß er.
von Land zu Land zu ziehen und fih da anzufiedeln. wo er
erführe. daß die Leute niht ftürben. Er mahte fih weg
bereit. theilte auh feiner Frau feine Abfiht mit und brah auf.
In jedem Lande. in das er kam. fragte er. ob die Leute
dort etwa ftürben. und ging fogleih weiter. wenn man ihm
fagte. daß dort welhe ftürben. Shließlih gelangte er in
ein Land. in dem man ihm fagte. daß man niht wiffe. was
fterben hieße. Der Reifende fragte voller Freude:
..Aber find bei Euh denn niht Unmengen von Menfhen.
wenn die Leute niht fterben?“
..Es find keine Unmengen. denn fieh mal an“. entgegnete
man ihm. ..hin und wieder kommt Jemand und ruft Einen
nah dem Anderen. und wer ihm folgt. kehrt niht mehr
zurück.“
_134

..Und fehen die Menfhen den. der fie ruft *9“. fragte er weiter.
..Wie follten fie ihn niht fehen?“ entgegnete man ihm.
Darauf konnte er fih niht genug über die Dummheit
der Leute wundern. die dem. der fie ruft. folgen. wenn fie
doh wüßten. daß fie dort blieben. wohin er fie brähte. Und
er kehrte nah Haufe zurück. nahm fein ganzes Vermögen.
Frau und Kinder und ging. um fih da niederzulaffen. wo
die Menfhen niht fterben. fondern wo ein gewiffer Jemand
fie ruft. und Jeder der diefem gewiffen Jemand folgt. niht zurück
kommt; dabei hatte er den feften Entfhluß. daß er und die
Seinen nie irgend Jemandem. wer es auh fei. der fie riefe.
folgen würden.
So alfo. nahdem er fih niedergelaffen und alle feine
Angelegenheiten in Ordnung gebracht hatte. rieth er feiner
Frau und den Seinen allen. auf keinen Fall irgend Jeman»
dem. der fie rufen möhte. zu folgen. wenn fie. wie er fagte.
niht fterben wollten, *
Sie gaben fih alfo dem Wohlleben hin und brahten
fo einige Jahre zu. Eines Tages. als fie Alle vergnüglich
in ihrem Haufe faßen. begann feine Frau plößlih zu rufen:
..Jh komme fhön. ih komme fhön!“ - '
Und fie fuhte nah ihrer Pelzjacke im Zimmer herum.
Unfer Mann fprang fogleih auf. nahm fie bei der Hand.
hielt fie feft und begann ihr Vorwürfe zu mahen:
..So hörft Du auf meine Rathfhläge? Bleib hier.
wenn Du niht fterben willft!“
.,Hörft Du denn niht. wie der mih ruft? Jh will
nur zufehen. was er will. und kehre gleih zurück.“
Und fie fhlug um fih. um fih aus ihres Mannes
Händen frei zu mahen und dorthin zu gehen.
--c
.

_135

Er hielt fie mit Gewalt feft. und es gelang ihm. alle


Thüren des Zimmers zu verriegeln. Als fie das fah. fagte fie:
..Laß nur. Mann. jetzt will ich gar niht mehr gehen.“
Der Mann glaubte. fie wäre zu fih gekommen und
hätte den Wahnfinn aufgegeben; aber es dauerte niht langey
da ftürzte die Frau auf die nähfte Thür zu. öffnete fie eilig.
lief fhnell hinaus. ihr Mann aber immer hinter ihr her.
hielt fie an der Jacke feft und rieth ihr unaufhörlih. niht
zu gehen. denn fonft würde fie niht zurückkehren. Sie ließ
die Hände herabfallen. nah rückwärts zu. beugte fih etwas
herüber. warf fih zurück. und die Pelzjacke glitt ihr
von den Shultern und blieb in den Händen des Mannes.
der rein erftarrte. als er ihr nahfah. wie fie davon eilte
und aus allen Kräften fhrie:
..Jh komme fhon. ih komme fhon.“
Als er fie niht mehr fah. kam unfer Mann zu fih.
trat in's Haus zurück und fagte: -
..Wenn Du unfinnig bift und Luft haft zu fterben. fo gehe
'in Gottes Namen. ih kann Dir niht mehr helfen; ih habe
Dir genug gefagt. daß Du Niemandem folgen follteft. wer
Dih auh immer riefe!“
Es vergingen die Tage. viele Tage. Wohen. Monate.
Jahre. und der Friede in feinem Haufe wurde nicht wieder
geftört. Einmal aber. als er fih feiner Gewohnheit gemäß
beim Barbier befand. deffen Laden voller Leute war.
und fih rafiren ließ. gerade als er mit dem Seifenfhaum
am Kinn war. begann er zu rufen:
..Jh komme niht. hörft Du. ih komme niht!“
Der Barbier und die anderen Leute waren ganz ftarr.
Er fagte wiederum. nah der Thür fhauend: ..Und merk
_136
Dir's ein für alle Mal. daß ih niht komme. und geh fort
von da!“
Später fagte er wieder:
..Geh fort. hörft Du. wenn Du mit heiler Haut davon
kommen willft. denn ih fage Dir taufendmal. daß ih niht
komme.“
Und als ob Jemand an der Thür ftünde und ihn immer
fort riefe. ärgerte er fih und bofte fih. daß der ihn niht
in Frieden ließe. Shließlih ftürzte er heraus und riß das
Rafirmeffer aus der Hand des Barbiers:
„Gieb's mir“. fagte er. ..damit ih ihm zeige. was das
heißt. die Leute immerfort zu ärgern!“
Und er rannte in großer Eile dem nah. der. wie er fagte.
ihn riefe. den aber Niemand außer ihm erblickte. Der arme
Barbier. um niht fein Raffirmeffer zu verlieren. lief ihm
nah. Der Mann lief. der Barbier ihm nah; diefer rannte.
jener ihm immer nah. bis fie aus der Stadt kamen und
dort. ein wenig weiter draußen. ftürzte der Mann in einen
Abgrund. aus dem er niht wieder zum Vorfhein kam. fo
daß auh er. gegen feinen Willen. wie Alle. dem folgte. der
ihn rief.
Der Barbier. der pfeifend wie ein zu kurz Gekommener
heimkehrte. erzählte Allen. was ihm begegnet fei. und fo
verbreitete fih die Anfiht im Lande. daß die Menfhen. die
fortgingen und nicht wiederkehrten. in jene Höhle gerathen
feien. denn bis dahin hatte Niemand gewußt. was aus den
Leuten wurde. die dem folgten. der fie rief.
Als eine Menfchenmenge fih nah der Unglücksftätte auf
wahte. um den unerfättlihen Abgrund zu fehen. der alle
Leute verfhlang und doh noch niht Genüge daran hatte.
_137

fanden fie nihts; es fhien. als fei dort. feitdem die Welt
ftand. nur eine weite Ebene gewefen. und von da an begannen
'die Menfhen in der Gegend auh zu fterben. wie in der
ganzen Welt.

xu,
:Muttern (Zilina-:hem

Es war einmal. was einmal war. wäre es niht ge


wefen. würde es auh niht erzählt.
Es war einmal ein Mann. der hatte ein Kind. Von
fieben. die ihm der liebe Gott gefhenkt hatte. war dies das
Siebente. alfo von Geburt an dazu beftimmt. ein Glückskind
zu fein. Man hatte ihn Johann getauft. weil alle Tölpel
und Glückspilze Johann heißen.
Unfer Mann liebte nun das Hänshen. wie man fein
Augenliht liebt. Es hätte auh gar niht anders fein können.
war er doh der Siebente von fieben und der kleinfte. der
pausbackigfte und kugeligfte von Allen. Aber der Vater
zählt niht voll. Er kommt und geht. er verweilt und ver
fhwindet wieder. für ihn ift das Haus nur die Schlafftätte.
Die Mutter ift der Geift des Haufes; fie badet Einen und
nährt Einen. fie fegt Einem das Haus. Mutters Kind war
Hänshen. Mutterföhnhen. Mutters Herzblatt. Mutters
Shönftes und Gefheiteftes!
“LA-k?

_138

Und dann fagt man. daß es niht gerade gut ift. wennx
Einer Alles ift. das Unterfte zu Oberft kommt und das
Kind das Haus regiert, Hänshen wuhs von einem Tag;
zum andern. je größer er wurde. defto raufluftiger. kroh
köpfiger. folglih um fo eigenwilliger.
So war wirklih manhmal. nein. um ganz wahr zu.
fein. es war fogar fe'hr oft Aerger im Haufe. des Kindes
wegen. Hänshen kriegte jeden Tag irgend ein hartes Wort:
zu hören; da es fih aber herausgeftellt. daß Worte keinen
Eindruck mahten. feßte es auh manhmal eine Strafe..
Ja. aber Hänshen war doh immer der Siebente. Wer
ftrafte. litt darunter. aber niht wer beftraft wurde. Wenn.
der Vater das Hänshen fhlug. trocknete die Mutter ihm
die Thränen ab; wenn die Mutter ihn aber fhlug. trug fie
Sorge. daß der Vater es niht erfuhr. Shlehtes Beifpiel.
für die Jugend. wenn das Kind den Topf zerfchlägt. die*
Mutter aber fih daran macht. die Sherben aufzufammeln..
dann fteht's fhlimm. dann thut man gut. kein Wort mehr
darüber zu verlieren,
Und fo kam es auh! Hänshen wurde das ungehor
*famfte Kind; Ungehorfam räht fih aber an dem Ungehor
famen. Wenn unfer Mann das Hänshen was lehren wollte
und ihm fagte: ..Liebes Hänshen. fhau. fo mah' es. fo ift es gut..
fo fpannt man die Ohfen vor den Karren. fo fhlägt man den
Nagel in's Rad. fo trägt man den Sack“ und Anderes. lauter*
nüßlihe Lehren. ftand Hänshen der Sinn nah was Ande
rem. und er fagte: ..Ah. laß mih.“ Und fo von ..Ah. laß.
mih“ zu ..Ah. laß mih“ wurde Hänshen ein großer Hans.,
ohne auh nur fo viel gelernt zu haben. daß der Pflug.
-139

Sterzen hat. die Mühle kein Mörfer ift und die Kuh kein
Ohs. Und damit wird er's niht weit bringen!
Eines Tages mahte fih unfer Mann bereit. um auf
den Jahrmarkt zu fahren. Alles war fertig. nur ein Stift
war noh niht durch's Joh gefteckt.
„Vater“. fagte Hänshen. ..ih komme mit Dir!“
..Du wirft fhön zu Haus bleiben. damit Du Dih niht
auf dem Markte verlierft“. antwortete ihm fein Vater.
..Jh will mitt'.- ..ih nehm7 Dih niht“. - ..ih will.
_ ..ih nehm7 Dih niht!“
Jeder weiß. wie die dreiften Kinder find. Gerade wenn
man ihnen fagt. daß es eine Hirfhkuh ift. wollen fie fie mit
Maht bei den Hörnern greifen.
Hänshen brauchte man nur zu fagen. er folle zu Haufe
bleiben. um in ihm die Sehnfuht zum Fortgehen zu wecken.
Unfer Mann konnte niht anders; er fehte alfo Häns
hen auf den Leiterwagen und fuhr mit ihm zu Markt.
..Hörft Du“. fagte er ihm. ..nun bleib' aber hübfh
diht bei mir!“
..Ia. Vater“. entgegnete Hänshen. zum erften Mal.
fo lange man denken konnte. folgfam.
Und bis zum Rande des Dorfes faß Hänshen wie
feftgenagelt hinten im Karren.
Am Ende des Dorfes ftreckte er einen Fuß aus . . .
fo zwei Shah weit weiter den anderen. Darauf hob er
den Kopf in die Höhe und begann um fih zu fhauen. Zu
guter Lehr ftand er auf. ftüßte fih auf das Seitenbrett des
Karrens und betrachtete die Räder, Er konnte gar niht
verftehen. wie fih fo ein Rad von felbft bewegte. wie
eine Speihe fo der andern naheilte. immer vorwärts lief.
_140

ohne fih vom Fleck zu bewegen. ja. ohne nur unter feiner
Nafe fort zu kommen.
Sie kamen in den Wald. Mutterföhnhen Hans ftreckte
die Nafe in die Höhe und blieb fo mit offenem Munde.
Die Bäume rehts und links mahten fih auf und davon
und liefen. aus aller Maht. immer einer nah dem andern.
Das konnte niht mit rehten Dingen zugehen. Mutters
Hänshen fprang eins. zwei. drei aus dem Wagen und fühlte
wieder den Boden unter feinen Füßen.
Doh wieder blieb er mit offenem Munde ftehen. Jeht
hielten die Bäume ftill. aber der Leiterwagen bewegte fich.
ging davon. immer weiter und weiter.
„Hör' Vater. halt an. damit ih fehen kann. wie fich
die Räder drehen“. rief er nah einer Weile.
Jeht ftanden ihm aber die Haare zu Berge. Aus zehn
Rihtungen hörte er fih felbft rufen. aber fein Vater fuhr
weiter. ohne auf fein Rufen zu ahten. „Vater“. rief er noh
einmal. und noh einmal hörte er es zehnmal wieder. Häns
hen erfhrak fehr und fah ein. daß es nirgends fo gut fei
wie zu Haufe. drum fing er an heim zu laufen.
Man fah nur eine Staubwolke hinter ihm. Er rannte
und rannte heimwärts. bis er einen falfhen Weg einfhlug.
Da fieh nun Einer an. wie fhlimm es ift. wenn die
Unerfahrenen niht auf den Rath der Gefheiteren hören!
Hänshen hatte fhleht gethan. nah Haufe laufen zu wollen.
wenn er doh den Weg durh den Wald niht wußte.
Er lief lange fo fort. dann allmälig langfamer. fhließ
lih ging er. aber immer durh Wald und Wald. über die
Wiefe und wieder durh den Wald. wieder über die Wiefe.
_141

bis er deffen überdrüffig war. ihm graulig wurde und ihm


das ganze Leben verbittert war.
..Herr. erbarme Dih meiner. denn von jeht ab werde
ih immer folgfam fein“. rief er endlih. und fehr fhwer
mußte es ihm um's Herz fein. daß er folhe Worte fprah.
Nahher ift er niht mehr viel gegangen. So einen
guten Dauerlauf weit von dort. gerade am Rande des Wal
des. ftand ein Dorf. Mutters Hänshen fprang vor Freude.
als er das Dorf fah. und hielt niht eher an. als bis er
mitten drin war. Dann ging er von Haus zu Haus. und
je weiter er ging. je mehr verwunderte er fih darüber. daß er
im Dorf alle Häufer fand. aber das ihrige niht. Ihm
ftand der Verftand ftill. und er begann zu weinen.
..Warum weinft Du. mein Sohn“. fragte ihn ein Mann.
der vom Acker kam und vor feinem mit vier Ohfen befpann
ten Karren einherging.
Mutters Hänshen fagte ihm wie und was. der Mann
aber hatte Mitleid mit ihm.
..Wie heißt Du?“ fragte ihn der gute Mann.
„Hänshen“. antwortete der Knabe.
..Aber Dein Vater. wie heißt der?“
„Vater heißt er“. entgegnete Hänshen.
..Aber das Dorf. aus dem Du bift. wie heißt das?“
„Dorf!“ fagte er ihm.
So wußte Hänshen alfo nihts zu antworten. und der
gute Mann konnte nihts für ihn thun. Drum nahm er
ihn als Ohfenjungen zu fih in Dienft. weil er gerade einen
branhte. um ihm die Ohfen anzutreiben. wenn er die Ster
zen des Pfluges führte.
So wurde Hänshen Kneht bei einem guten Mann
-142

im Dorf am Waldrande. Aber er war niht viel nüße.


weil er niht aufgepaßt. als man ihm gute Lehren gegeben
hatte. Und der muß viel Shelte hinnehmen. der nihts
ordentlih zu thun weiß.
Eines Tages mahte fih Hänshens Herr zur Markt
fahrt bereit,
..Hör'. Hans“. fagte er.. ..fhmier' den Karren. aber fhmiere
ihn ordentlih. denn wir fahren morgen zu Markte.“
Hänshen fagte „Ja“. nahm Theer und begann fih den
Kopf zu krauen. Er wußte niht. wie man einen Wagen
fhmiert. Er hatte nie hingehört. wenn man es ihm gefagt
hatte. und nie zugeguckt. wenn er es hätte fehen können.
Jeht wußte er niht. was er anfangen follte, Shließlih
foviel hatte er aus dem. was er bisher gelernt. ver
ftanden. daß der Anfang des Karrens am Joh ift. nämlih
an der Deihfel. Er glaubte alfo. er müffe da anfangen.
wenn er die Sahe gut und ordentlih mahen wolle,
Das war nun falfh. aber fhließlih handelt Jeder
nah feinen Jdeen. Er fhmierte die Gabel. die Deihfel.
auh die Leiter des Wagens. Hier hörte er auf. denn es
war kein Theer mehr übrig. So ging er. um welhen zu
fordern.
..Herr“._fagte er. nahdem er in die Stube getreten.
..gieb mir noh mehr Theer!“
..Wozu in aller Welt brauhft Du denn noh mehr Theer?“
fagte fein Herr ärgerlih. ..ih habe Dir genug gegeben. um
den Karren drei Mal zu fhmieren.“
Hänshen fagte. der hätte nur für das Joh. die Deihfel
und die Leiter ausgereiht,
Als der Herr folhe Worte hörte. nahm er
-143

-Hänshen bei den Ohren. trug ihn hinaus und klopfte ihn
ordentlih durh. damit er es. folange er lebe. niht wieder
vergeffe. daß man am Karren nur die Ahfe und das Wagen
geftell fhmiert.
Mutters Hänshen . . . . na. was follte er mahen.
*er mußte es aushalten und dann aufmerken. damit er einen
Wagen fhmieren lernte.
Nahdem der Karren gefhmiert war. wurden die Ohfen
eingefpannt. der Herr fehte fih vorn hin. Hänshen aber
wie ein Häufhen Unglück hinten in den Leiterwagen und
fhluchzte noh hin und wieder auf vom vielen Weinen; der
Arme! ..Ießt fhweig“. fprah fein Herr hart. ..daß ih keinen
Mucks mehr von Dir höre!“ Das war das lehte Wort.
darauf fuhren fie ab. Hänshen faß hinten im Wagen
mäuschenftill. er hatte fogar Angft. Athem zu holen, Shließ
lih wurde ihm das doh langweilig. So fing er wieder
an. auf das Rad zu fhauen. Jetzt war er aber gewißigter.
Er wunderte fih weder über das Rad noh über die Bäume,
Aber er fah wieder etwas. was er niht begreifen konnte.
So oft er auh ein Rad fih drehen gefehen hatte. war ihm
doh nie aufgefallen. daß der Nagel vom Rad herunter
fpränge. Jeßt ging der Leiterwagen einmal über einen großen
Stein und klirr! fprang der Nagel aus der Ahfe und fiel zu
Boden. Es war hübfh anzufehen. aber begreifen that er es
niht. Er hätte feinen Herrn fhon fragen mögen. aber der
hatte ihm ja Shweigen befohlen!
Nah einiger Zeit löfte fih auh die Leihfe los. Hänshen
glaubte jetzt zu verftehen. warum. Gleih. bumbs fiel auch
die Leihfe herunter und blieb hinter dem Karren zurück.
Hänshen fuhr zufammen und wollte etwas fagen. er fah
-144_
aber feinen Herrn an und erinnerte fih von Neuem. daß,
ihm Stillfhweigen befohlen war. Eins verftand er aber:
wenn die Leihfe dem Nagel zu Liebe gefallen war. würde
auh das Rad der Leihfe zu Liebe abgehen. Und das hatte
er kaum ganz verftanden. als auh knirfh! das Rad in
den Staub fiel und hinter dem Wagen zurückblieb.
Ein Weilhen ging der Karren noch auf drei Rädern
weiter. dann. pardauß. fhlug er um. fo daß die Deihfel
mitten entzwei brah. Jetzt ftand die Sahe fhleht!
..Da haben wir's“. rief Hänshen erfhreckt. ..habe ih's
niht gefagt. daß es uns fo ergehen würde?“
Wir wollen weiter keine Worte verlieren! Der Aerger!
Mitten im Wege mit zerbrohener Deihfel. niht da und niht
dort! Das ift kein Spaß. Unfer Mann nahm Hänshen vor
und klopfte ihn noh einmal ordentlih durh. dann ließ er
ihn in Gottes Namen laufen. damit er ihm niht noh mehr*
Aerger mache. Er hatte eigentlih niht Reht. denn er hatte*
ihm ja felbft den Mund verboten. Aber auh Mutters
Hänshen war niht ohne Shuld. hätte er fih immer den
Befehlen gefügt. würde er bislang fhon gelernt haben. auf
was fih fo ein Befehl erftreckte. Er war zu gehorfam.
eigenfinnig gehorfam. Und das ift auh niht gut.
Der Mann that. was er konnte. um fih fortzuhelfen.
Hänshen aber blieb wieder zu Fuß. fo auf dem Wege.
niht rehts noh links.
Ah und weh über ihn. ih weiß wirklih niht. was er
than foll! Er fhlug einen Weg ein. den er niht kannte. und
hoffte nah Haufe zu gelangen. Und wieder ging er über
Wiefen und durh Wälder. ging lange Zeit. bis ihn die Füße
kaum noh trugen. Diesmal fand er ein Dorf auf einer
- 145

fhönen Wiefe. vor dem Dorfe aber einen Mann. der eine
Heerde Shafe weidete. '
..Guten Tag. Gevatter!“
..Dank fhön. mögeft Du groß wahfen. mein Sohn.“
Ein Wort gab das andere und kurz und gut erzählte
Hänshen den Manne Alles. von Anfang bis zu Ende. wie
es gewefen. wie's ihm ergangen. der Mann aber freute fih
feiner. weil er gerade einen Shäferjungen branhte. der ihm
die kleine Shafheerde auf die Wiefe treiben. zum Waffer
führen und fie hüten follte. damit fie fih niht mit anderen
Heerden vermengte. Denn es war eine befondere Sorte von
Shafen. und er hätte um nihts in der Welt gewollt. daß
fih ihre Art verdürbe. Solhe Shafe. hieß es. gäbe es nur
bei einem berühmten Kaifer. von dem unfer Mann ein Zuht
lämmhen bekommen hatte. Es waren alfo Shafe. wie - wir
können uns vorftellen. wie fhön. da fie von kaiferliher
Herkunft waren!
Kurzum auh Hänshen freute fih. weil er fih wieder im
Glücke fah. Sie verftändigten fih alfo. und Mutters Hänshen
wurde Shäferjunge; ..Du hüteft alfo die Shafe den ganzen.
lieben. langen Tag. führft fie in's Thal zur Tränke. wenn
es aber dunkel wird. treibft Du fie in die Hürde, Wenn
es Dir kalt fheint. mahft Du Feuer am Eingang der Hürde
und wärmft Dih. und damit die Shafe niht frieren. treibft
Du fie dann auh in die Hürde.“
So fprah der Mann. und Hänshen fagte. daß er es
genau fo mahen würde. _
Solang es Tag war. ging Hänshen den Shafen
nah. wenn er Durft hatte. führte er fie zur Tränke. wie es
aber dunkel wurde. führte er fie in die Hürde.
10
- 146

Eine wunderbare Einrihtung war diefe Hürde. Hänshen


hatte noh nie eine gefehen. Rund herum mit Weidengefleht
eingezäunt. der Zaun überdacht mit Rohr. damit der Regen
ihn niht verdürbe. an einer Stelle war aber eine Oeffnung
geblieben. über der auf Pfählen ein Rohrdah lag. ..Das
wird der Eingang der Hürde fein“. fagte fih Hänshen.
erfreut über feine Einfiht.
Da er fror. mahte er alfo da in der Oeffnung. gerade
unter dem Rohrdah Feuer an. Feuer ift eine fhöne Sahe.
und Hänshen wärmte fih an ihm, Darauf fiel ihm ein.
daß fein Herr gefagt habe. er folle die Shafe. damit fie
auh niht frören. in die Hürde treiben. Er verftand zwar
niht. warum ihnen in der Hürde wärmer fein follte als
draußen. er that aber. wie ihm geheißen. So ergriff er
den fhönften Widder. der die große Glocke um den Hals
trug. und fhob ihn durch die Oeffnung in die Hürde. Aber
eigen! Jn der Oeffnung brannte das Feuer: der Widder fengte
fih ab. fo daß kein Faden Wolle auf ihm blieb.
..Ah. jeßt verftehe ih“. rief Hänshen noch vergnügter
als gewöhnlich. ..Die Shafe ziehen alfo durh's Feuer. damit
fie niht frieren.“
Und da er fühlte. daß er reht that. ftopfte er alle
Shafe eins nah dem andern in die Hürde.
Plößlih fah er. daß der Zaun. die Umdachung. das
Dah der Oeffnung fih entzündet hatten und brannten. daß
es eine wahre Freude war. Mutters Hänshen blieb ftarr
ftehen. So etwas hatte er noh nie gefehen. und er freute
fih fehr darüber. daß er feine Befehle fo gut ausgeführt
hatte. denn das fah er ein. daß den Shafen mitten im
Feuer niht kalt fein könnte. Drum fhaute er vergnügt auf
-

_147

die Sahe. die er ,angerihtet hatte. Eins hätte er noh ge


moht. daß fein Herr dazu gekommen wäre. damit er ihm
hätte fagen können: ..Shau. wie ih mih auf's Shafhüten
verftehe.“
Und fo kam es auh. Sein Herr faß gerade bei Tifh
und aß etwas Brod mit Zwiebeln. weil Fafttag war. Er
fhaute zum Fenfter hinaus. da fah er ein großes Feuer oben
auf dem Berge. Er fhaut aufmerkfamer hin und fieht. daß
es in der Rihtung feiner Hürde ift. Das fheint ihm an
rühig. Er geht heraus mit vollem Munde. geht weiter.
fhneller. fängt zu laufen an. die Anhöhe hinauf. immer höher.
fchließlih langt er athemlos an feiner Hürde an.
Heh. heh! fhau mal an! Die Hürde abgebrannnt.
die Shafe. aus kaiferliher Zuht. gebraten und gar. eins
wie das andere. daß man follte meinen. es wären lauter
iiberreife Melonen. Das ift viel. wirklih zu viel! Häns
hen hat etwas Böfes angerichtet und kann Gott danken. daß
er mit einer Traht Prügel davon kommt.
Und fo erging es ihm hier. Unfer Mann. ärgerlih.
aufgebraht. wüthend wie er war. nimmt den fhlauen Shäfer
vor und prügelt ihn. prügelt ihn. daß er ihn faft todt ge
prügelt hätte. wenn Hänshen niht glückliherweife aus feinen
Händen entkommen wäre.
Nahdem aber Hänshen ihm entkommen. nimmt er die
Beine in die Hand und läuft aus Leibeskräften. fo daß er
fih niht einmal umfieht. ehe er niht im Walde ift.
Ja. was ift dabei zu than! So geht's Dem. der keinen
Verftand hat! Hätte er fih gut aufgeführt. fäße er jetzt zn
Haufe und äße Striehel mit Milh.
Hänshen ging und ging durh den Wald. nah rehts und
. 10 .
_148

links. und vorwärts und rückwärts. verkreuz und verquer. , . er


ging und ging. der arme Junge. um auf irgend einen Pfad zu
kommen. der nach Haufe führte. Hungrig war er und Durft
hatte er. fo daß er den Than von den Blättern fog und Eih
äpfel und Eiheln aß. die er auf der Erde fand; dann war er
müde und verbittert und bange. und weh Dem. der feinen
Weg im Walde verloren hat! Es kommt Einem zu weinen.
wenn man an ihn denkt. aber darum hat er den Weg doh
nicht gefunden. -
So wurde es Naht. und die Naht überrafhte ihn im
fhaurigen Walde. Jhm ftanden die Haare zu Berge. und
er ängftigte fih. daß ihm ein Shauer durh alle Adern
ging. als er Wölfe und Bären und alle möglihen wilden
Thiere in feiner Nähe heulen und fhnüffeln hörte. Jeht
war kein Entkommen mehr.
Da fah er einen dicken Baum und in ihm ein Loh.
das groß genug war. um ihn zu beherbergen. Er ging
auf den Baum zu-und fah. daß er ausgehöhlt war. Jeht
war Alles gut. Hier hinein verfteckte er fih. damit die
wilden Thiere ihn niht auffräßen. Und fo fehr freute es
ihn. als er fih fo gut aufgehoben fah. daß er gar niht
mehr traurig war. nur noh hungrig. Wenn man aber
einer großen Gefahr entgangen ift. denkt man niht mehr
an die kleinen Nöthe.
Hänshen fhlief vor Müdigkeit ein und träumte. daß
er zu Haufe war und gerade Hirfe mit füßer Milh aß. als
er plöhlich. piff. paff. puff. einen Shuß hörte und erfhreckt
auffuhr.
Was war gefhehen? Einige Shritte von ihm entfernt
'hatten fih fo an zwölf große. fhrecklihe Räuber. nämlih
_149

Strauhräuber mit ihrem Hauptmann verfammelt. fih Feuer


gemaht. brieten einen Ohfen und ftaheu gerade ein Faß
guten Weines an; fie wollten alfo fhmaufen.
Als Mutters Hänshen den Ohfen am Spieß fah. fing
er an. Effensluft zu bekommen. Gott. er war fo hungrig.
daß er gern Holzwurm geworden wäre und an den Bäumen
genagt hätte. Der arme Bengel. unerfahren wie er war.
wußte niht. was Räuber für eine fhrecklihe Art Menfhen
find. fo kam er aus der Aushöhlung hervor und trat auf
fie zu.
Das war niht gut gethan! Mit Räubern ift niht zu
fherzen!
Hänshen fagte. daß er auh etwas effen möhte.
Die Räuber ftarrten ihn Alle an. dann holten fie ihre
Meffer und Säbel heraus und begannen. fie zu wehen. um
ihn. ehe man eins. zwei. drei gefagt. in Stücke zu fhneiden
und umzubringen. So find die Räuber. Die mahen niht >
viel Umftände. *
..Haltet ein“. fagte Einer von ihnen. ..Ob uns diefer
Junge niht zu was Nuhe fein könnte.“
..Wozu?“ fragte der Andere.
..Vielleiht ift er das fiebente Kind. und dann kann er
uns das Eifenkraut finden“. fagte wieder der Erfte.
..Das ift wahr!“ riefen Alle.
So fragten fie das Hänshen. und er fagte ihnen ja.
fie freuten fih aber über die Maßen. als fie hörten. daß
Hänshen wirklih das Siebente von fieben Kindern fei.
Es handelte fih nämlih um Folgendes: Die Räuber
hatten erfahren. daß der Kaifer eine Unmenge Geld. alles
in Gold. von einem Kaufmann. der fie ihm fhon lange
“150

fhuldig war. bekommen hatte; die böfen Menfhen hätten


diefen Shah nun gar zu gern geftohlen. Der Kaifer hatte
ihn aber in eine Shaßkammer mit fieben eifenbefhlagenen
Thüren gefhloffen. an jeder Thür waren fieben kaiferlihe
Shlöffer. die mit großer Kunft fo gearbeitet waren. daß
Niemand fie auffhließen konnte. Es war alfo eine eht kaifer
lihe Sahe. die mit vieler Ueberlegung und wohlbedaht her
gerihtet war. Die Räuber waren daher zu einer Hexe ge
gangen. damit fie ihnen Belehrung und irgend einen mäh
tigen Zauber gäbe. mit dem fie durh die kaiferlihen Shlöffer
und durch die eifenbefhlagenen Thüren dringen könnten.
Die Hexe hatte ihnen gefagt. daß man diefe Shlöffer
nur mit dem Eifenkraut öffnen könne. und daß diefes Kraut
nur der Siebente von fieben Kindern. folange er noh ein
unfchuldiges Kind fei. finden könnte. und zwar Morgens im
Frühgrauen. wenn es auf der Wiefe zwifhen den anderen
Kräutern leuhte. Wer dies Kraut hat. fhneidet fih in den
Finger. legt es in die Shnittwunde. läßt es da bis fie zu
geheilt. damit es im Finger bleibt. Darauf gehorht ihm
jedes Eifen. fei es Shloß. Riegel oder Kette von jeder
Stärke und öffnet fih,
Für die Räuber ift folh ein Kraut niht nur fo bloß
zum Vergnügen. Es ift eine wihtige Sahe und von großem
Werth. So bewirtheten fie Hänshen und mahten ihm ein
weihes Bett. damit er ordentlih fhlafen könne. Sie fagten
ihm aber. daß fie ihn umbringen würden. wenn er ihnen
niht das Eifenkraut fände, Das arme Hänshen träumte
die ganze Naht. wie er den Halm des Krautes fuhte.
Beim Morgengrauen weckten die Räuber Hänshen und
fhickten ihn aus. um das Kraut zu* fuhen.
4 '"'fi-'_* -

-151

Hänshen kroh auf allen Vieren. und wie er fo die


Wiefe entlang fhaute über die Halme hin. fah er augen-_
blicklih einen. der leuchtete. Der war's. auf den es ankam!
Das war gerade das Eifenkraut! '
Unter den Räubern gab es Einen. der auf einem Auge
blind war. Der war in den kaiferlihen Gefängniffen ein
gefperrt gewefen und war mit den Ketten und Allem ent
flohen. Die Ketten waren ihm nahher abgefeilt worden.
aber die Handeifen waren von einem ganz befondereu. einem
kaiferlihen Eifen. welhes das Feuer niht fhmilzt und dic
Feile niht fhrammt. Hänshen hielt das Kraut an das
Handeifen und klirr! fiel dasfelbe zu Boden.
..Ei. ei. mögft Du Glück haben. mein Sohn. denn Du
haft mih von einer Shwierigkeit befreit“. fprah der Räuber
hoherfreut.
Als der Hauptmann aber das Kraut aus Hänshens
Hand nahm. um das zweite Eifen zu löfen. mühte er fih
vergeblih. *es gehorhte ihm niht.
Die Hexe hatte ihnen niht gefagt. daß das Kraut nur
Dem gehorht. den das Shickfal beftimmt hatte. es zu finden.
So fahen die Räuber. daß ihnen das Eifenkraut nihts
nahe. und als fie das eingefehen. waren fie fehr erboft.
und da fie fih boften. haben -fie die Meffer und Säbel ge
fhliffen. um Hänshen zu morden. '
„Halt“. rief der Einäugige. ..Ihr habt gefagt. daß
wir ihn niht morden würden. wenn er uns das Kraut fände.
Er hat es gefunden. Als Männer von Wort dürfen wir
ihn niht umbringen!“
Und fie haben ihn auh niht umgebracht. denn Räuber
find Männer von Wort; fhleht oder gut. - was fie aber gefagt
... .152 ._

haben. thun fie. Da fie fih aber fürhteten. daß Hänshen


fie angeben könnte. haben fie einen andern Weg gefunden.
um ihn los zu werden. *
Was und wie haben fie es gemaht? Sie haben
Hänshen genommen und ihn in das offene Faß gefteckt. dann
haben fie das Faß zugemaht. Eifenringe um dasfelbe ge
fhlagen und find fortgegangen. Shleht. fehr fhleht war
das. was fie da gethan haben!
' So kam Hänshen vom Guten zum Shlimmen und vom
Shlimmen zu noh Shlimmerem. bis wir ihn in einem
Weinfaß ftecken fehen. Was folk aus ihm nun werden!
Shaut an. in einem Faß drin. . . da hört doh Alles auf!
Hänshen fing an zu weinen. zu wehklagen und zu fhreien.
bis ihn die hungrigen Wölfe hörten und angelaufen kamen.
weil fie glaubten. fie würden ihn effen können. Shan. aber
fie konnten fih den Mund wifhen. Hänshen war im Faß
verfteckt. Sowie er fühlte. daß die Wölfe in der Nähe feien.
fah er durch das Spundloh und blieb darauf ganz ftill.
Die Wölfe fielen dann über die Ueberbleibfel des Ohfen
her und riffen fich gierig um die Knohen. Einer von ihnen.
der größte und wüthendfte ergriff einen Knohen und fehte
fih mit ihm gerade neben das Faß. in dem Hänshen war . . . ,
Hänshen wagte niht einmal Athem zu holen.
Plöhlih fah er. daß der flockige Shwanz des Wolfes
durh das Spundloh in das Faß kam. Hänshen erfhrak
fehr. Der Shwanz hing immer mehr hinein. Hänshen erfhrak
furhtbar. Shließlih fhüttelte fih der Wolf einmal. lehnte
fih zurück. der Shwanz hing ganz hinein. fo daß er Hänshens
Nafe berührte. Jeht ftand es fhlimm!
Hänshen zitierte vor Angft. in feiner Angft ergreift er
_ 153_

mit beiden Händen den Schwanz des Wolfes und hält ihn
aus Leibeskräften feft. Der Wolf erfhrickt jeht auh. ergreift
die Fluht. und zieht das Faß nah fih. Und nun follteft
*Du folh ein Wunder fehen: immer holter die Polter. er fhlägt
an die Bäume. den Berg hinauf. das Thal hinunter. Der
Wolf läuft. das Faß ihm nah. Hänshen hält den Shwanz
feft und ihm nah. daß es eine Freude ift! Plöhlih. Holter
'die Polter. ftößt fih das Faß an eine Wand und platzt
auseinander. Der Wolf rennt weiter. Hänshen aber fieht
fih auf einmal zu Haufe. und hält mit beiden Händen den
*Shwanz des Wolfes feft. der an der Wurzel abgeriffen war.
So erging es Mutters Hänshen.
Wer es weiter weiß. der möge es weiter erzählen!

AUX.

Teller-pferd
>WW

Es war einmal. wie's keinmal war. wäre es niht


gewefen. würde es niht erzählt.
Es war einmal ein Mann und eine Frau. Der Mann
hatte einen Sohn von feiner erften Frau und die Frau eine
Tohter von ihrem erften Mann. Dies Teufelsgefhöpf von*
einem Weihe konnte den Sohn des Mannes niht mit Augen
fehen. Eines Tages fagte fie ihm:
„Manni wenn Du den Jungen niht von hier fort
_154

fhickft. kann ich Brod und Salz niht mehr von einem Teller*
mit Dir effen.“
..Wo foll ih ihn aber hinbringen. Frau? Laß ihn
doh noh etwas älter werden. fo gründet er fein eigenes
Haus.“
..Jh weiß nur das. was ih Dir gefagt. Wähle!“
Als der Mann fah. daß er mit der Frau niht fertig_
werden konnte. fagte er zu dem Jungen:
..Vaters lieber Junge. Du ftehft. daß ih alt bin. Jh
kann niht mehr fo viel arbeiten. daß ih keine Hülfe nöthig,
hätte. Deine Mutter will Dih niht mehr hier fehen. So
geh Du hin. wohin Dih der Herr führen wird. um Dir
Dein täglih Brod zu erarbeiten. und wenn der da droben
will. werde ih hin und wieder kommen. um Dih zu fehen.
wenn ih irgend kann.“
..Das fehe ih auh. Väterhen. daß diefe Stiefmutter
mih niht mit Augen fehen kann. und ih weiß niht war
um? Jh bin ihr nie ungehorfam gewefen. habe Alles ge
than. was fie mir gefagt hat. aber vergebens. fie kann mih
niht ausftehen. So geh ih. Vater. wohin mir Gott räth.
und werde arbeiten. Jh werde mir fhon das täglihe
Brod verdienen. denn wahrhaftig! niht umfonft bin ih ein
tühtiger Junge. Und wenn Jhr könnt. befuht mih mal.
Vater. denn feht. ih fühle. daß ih mih vor Sehnfuht nah
Euh verzehren werde.“
..Geh gefund. Vaters lieber Sohn. und der Herr
helfe Dir!“
..Auf gefundes Wiederfehen. Väterlein,“ Und der arme
Junge ging aus dem väterlihen Haufe mit Thränen auf
-155

den Backen. Er ging. was er ging. traf einen reihen Mann


und verdingte fih ihm als Kneht.
Sieben Jahre lang diente er. Der Herr war mit ihm
zufrieden. Plöhlih überfüllt ihn die Sehnfuht nah feinem
Vater fo. daß er fih niht aufreht halten konnte. Da
fagte er feinem Herrn. daß er fortginge. um feine Eltern zu
fehen. Sein Herr fagte ihm darauf:
..Junge. fieben Jahre haft Du auf meinem Hofe ge
dient. mir haft Du's reht gemaht. Gefällt Dir nun mein
Brod niht mehr. oder giebt man Dir anderswo mehr. daß
Du von mir fort willft?“
..Bewahre. Herr. Aber fiehft Du. ih 'habe Sehnfuht
nah Haufe bekommen und mir ift. als möht' ih meinen
Vater noch einmal fehen. Wenn Du glaubft. daß ih noh
etwas von Dir zu bekommen habe. bitte. mahe mir meine
Berehnung.“
..Gut. Junge. man kann einen Kneht niht mit Gewalt
halten. Du haft den Lohn niht abgemaht. als Du bei mir
eingetreten bift. Als Entgelt für die Dienfte. die Du mir
geleiftet. darfft Du Dir aus meinen Heerden zwei Stück
Hornvieh und 1() Stück kleines Vieh ausfuhen.“
Als der Junge das hörte. wußte er vor Freude niht
mehr. was er thun folle. befonders wenn er bedahte. daß
er durh feine Arbeit fo viel Vieh verdient hattet'
So ging er zwifhen die Heerden. fhaute herauf und
fhaute herunter und wunderte fih. was für Vieh er fih
auswählen folle.
Er wollte niht von den Beften nehmen. weil er meinte.
daß feine Dienftzeit niht fo viel Werth gehabt habe. Von
dem Shlehteften wollte er auh niht nehmen. weil das
-156

Herz das niht zuließ. So nahm er's von der Mittelforte.


Gerade fo mahte er es beim Hornvieh. Hier aber. ih
weiß niht wie und warum. fielen feine Augen auf einen
Ohfen. der auh etwas gierig auf den Jungen blickte. So
nahm er diefen Ohfen und eine Kuh.
Jeht hatte er nihts Anderes im Sinn. als zu den
Eltern zu gehen. in dem Glauben. daß feine Mutter ihn jetzt
niht mehr fhief anfehen würde.
So fagte er Lebewohl und mahte fih davon. Nun
denk mal an. der Ohfe war verhext. aber der Junge wußte
es niht! Er gab ihm den Namen: Tellerhen.
Er kam zu Haufe an.
Sein Vater ftarb vor Freude und wurde wieder leben
dig. als er feinen Jungen erblickte. der groß gewahfen und
hübfh anzufehen war. und außerdem noh fo vernünftig.
Aber die Alte. folh Teufelsgerümpel. bewährte fih wie
die ehte böfe Sieben. wie die alte Hexe. die fie war.
Der Junge ließ fih bei feinem Vater nieder. half ihm
bei allen Feldangelegenheiten und ging auh mit dem Vieh
auf die Weide. Er war dem Haufe von großen Nuhen.
Jedesmal wenn er mit dem Vieh zur Weide ging. gab
ihm die Mutter ein Gebäck mit; das war aber aus Afhe
vom Heerde gemaht. und er konnte es niht effen. Was
follte er nun anfangen? Zur Mittagszeit. anftatt daß er
wie alle Welt auh etwas effen konnte. fehte er fih in den
Shatten eines Baumes und weinte über fein Gefhick; er
brahte es aber niht über das Herz. es feinem Vater zu
fagen. um fie niht zu entzweien.
Zu Haufe hatte er keinen guten Tag. auf dem Felde
keinen Gefährten. und fo wurde er traurig und gedankenvoll.
-157

Eines Tages. als er vor Hunger weinte und als fogar


die Hirten aßen. die ihre Ohfen verloren hatten. fing
Tellerhen plößlih zu fprehen an und fagte:
..Herr. fei niht mehr traurig. wirf das Afchengebäck
weg. greif mir an's rehte Horn und iß .und trink. was Du
dort finden wirft.“
..Hör'. Tellerhen“. entgegnete ihm der Junge. „fei Du
nun niht auh noh irgend fo eine Teufelsausgeburt. Wo
hat man denn fhon fo was gehört. wie das. was Du
fagft. und feit wann giebt's fprehende Ohfen!“
..Paß auf. was ih Dir fage. Jh fehe. daß Du ein
ordentlicher Junge bift. und mir thut's leid. daß Du Deine
Jugend verweinen follft. Verfuh nur das. was ih Dir
anrathe. und Du follft fehen. daß es für Dih gut fein
wird!“
Und fo war es auh.
Der Junge faßte an Tellerhens rechtes Horn. Und
fiehe da. was gefhah! Er holte ein Brot fo weiß wie
Shnee daraus hervor und ein Glas Wein. nah dem man
fih die Lippen lecken mußte.
Er aß und trank.
Das alte Weib bemerkte. daß des Jungen Gefiht feit
einiger Zeit voller wurde. daß er guter Dinge war und
Alles freudig that. Anftatt ihn. wie fie geglaubt hatte. von
Tag zu Tag hinfälliger zu fehen. fah fie jetzt. wie er täg
lih zunahm. Sie verftand allfogleih. daß Tellerhen da
hinter ftecken müffe. denn fie merkte. daß der Junge ihn
fehr viel beffer als das andere Vieh beforgte.
Wie follte fie es aufteilen. um herauszubekommen. was
er da draußen im Walde aß und that? Sie fhickte ihre
_158

Tohter ihm heimlih nah und befahl ihr aufzupaffen. was


er thäte. wenn er das Vieh zur Weide führte.
Die Tohter ging alfo dem Jungen nah. ohne daß er
es wußte. belaufhte ihn. kehrte zur Mutter zurück und fagte:
..Mutter. was ih heut' gefehen habe. das ift gar niht zu
erzählen!“
..Du bift doh niht etwa auf die Waldhexe geftoßen?“
..Falfh gerathen“. entgegnete ihr die Tohter.
..Haft Du etwa irgend einen Bethörer. einen Drahen
oder einen Lindwurm gefehen ?“
..Warum niht gar! Behüte der Himmel!“
..Oder ift Dir etwa irgend ein fhöner. reiher und ver
nünftiger Junge nahgegangen?“
„Wo denkft Du hin! Aber es ift umfonft. wenn Du
Dih auh auf den Kopf ftellft. kannft Du es doh niht er
rathen.“
„So fage mir. was Du gefehen haft. und fhwaße niht
mehr länger.“
,.Mutter. meines Stiefbruders Ohfe ift verhext!“
..Habe ih's Dir niht immer gefagt. daß mit dem ver
fluhten Ohfen etwas los ift.“
..Und hätteft Du gefehen. Mutter. wie er ihn umhalfte
und ihn bald rechts. bald links küßte. mir war wahrhaftig.
als follte mir das Herz ftill ftehen. Und gleih darauf
faßte er ihn an's rehte Horn und holte einige. weiße aus
gebackeneBrödhen und Wein aus ihm hervor. dann aß er.
aber fo. als ob fih die Wölfe in feinem Munde zauften.
Jh fag7 Dir. mir lief das Waffer im Munde zufammen.
als ih ihn mit folher Luft effen fah. Was mih aber noh
-- 159

mehr verwundert hat. war. als ih den Ohfen fprehen hörte.


Ih blieb mit offenem Munde ftehen und ftarrte ihn an.“
..Laß nur. ih werde ihm fhon beikommen!“
Die Alte wollte dem Ohfen niht wohl und drang in
den Alten. daß er den Ohfen fhlahten follte. nihts mehr
und nihts weniger. Die ganze Naht feßte fie ihm zu.
Der arme Alte fagte ihr. daß der Ohfe niht ihnen. fondern
feinem Sohn gehöre. daß er ein'fhönes Thier wäre und
ihnen vielleiht noh einmal von Ruhen fein könnte.
Aber wer hörte denn auf ihn! Sie ließ niht nah.
als bis er ihr niht verfprohen. ihn zu fhlahten.
Der Junge war glückliherweife wah und hörte Alles.
Sowie es Morgen wurde. ging er zu Tellerhen. uni
ihn zu ftriegeln und zu fäubern. wie er immer that. fing zu
weinen an und fagte ihm. was ihm bevorftünde.
Der Ohfe fagte ihm. er folle draußen auf der Haus
bank ftehen. wenn man ihn jage. um ihn zu fangen und
zum Shlahten zu führen. und wenn er dort vorbeikäme.
fhnell auf ihn fpringen. So gefhah es auh. Nahdem
der Ohfe dem Tode entgangen. brahte er feinen Herrn in
einen Wald. der fo fhön war. wie ihn der Junge noh nie
gefehen. Dort bauten fie Hütten und lebten wie an der
Mutter Bruft; denn die Wiefen um fie herum waren fo
hoh. daß ein Menfh fih darin verlieren konnte. und gut zur
Weide. immer grün und blühend.
Eines Tages. als der Junge wohlgemuth vor feiner
Hütte faß und auf der Flöte blies. der Ohfe aber weidete.
kam ein Stier auf ihn zu. fo groß wie keiner und fo fett.
daß die Haut auf ihm plaßte.
..Warum bift Du hierher gekommen. Du. Junge Du.
-160

mit Deinem Tellerhen. um mir mein Waffer zu trinken und


von meinem Gras zu weiden!“ fragte er.
..Jh habe niht gewußt. daß dies hier Dein Befihthum
ift“. entgegnete der Junge. ..Tellerhen hat mih hierher
gebraht.“
..So fage ihm. daß er morgen zu der Goldbrücke komme
und mit mir kämpfe.“
Nahdem er das gefagt. ging er fort.
Als der Ohfe Abends nah Haufe kam. fand er den
Jungen traurig wie noh nie.
..Aber was haft Du. Herr. daß Du wie begoffen da
ftehft?“ fragte ihn der Ohfe.
..Was foll ih haben?“ entgegnete der Knabe. ..fhau.
ih bin in einer fhönen Klemme!“ Und er wiederholte ihm
Alles. was ihm der Stier gefagt,
..Laß nur. Herr. forg7 Dih darum niht. laß das meine
Sorge fein.“
Am nähften Tage in der Früh ließ der Ohfe den
Knaben in der Hütte zurück. er aber mahte fih zur Gold
brücke auf. um mit dem Stier zu kämpfen; er kämpfte. bis
er ihn unter die Brücke geftoßen hatte. und kehrte heil und
unverleht nah Haufe zurück.
Nah zwei Tagen kam ein anderer Stier. der war aber
niht fo groß wie der erfte. fagte dem Knaben dasfelbe.
was ihm der andere gefagt hatte. und rief Tellerhen zum
Kampf an die Silberbrücke.
Wie beim erften Mal fand der Ochfe auch diesmal den
Knaben traurig und in Thränen. als er nah Haufe kam.
beruhigte ihn wie damals und ging. um auh diefen Stier
zu bekämpfen und unter die Brücke zu ftoßen.
_161

Nah einigen Tagen kam ein anderer Stier. der war


aber fhwah. unanfehnlih. häßlih. von Raben befhmuht. und
der fagte dem Knaben:
7 ..Wer hat Dir. Knabe. erlaubt. mit Deinem Tellerhen
herzukommen. um mein Waffer zu trinken und mir das Gras
der Wiefe zu verderben?“ '
..Was geht Dih das an?“ entgegnete der Knabe. fo
oben hin.
..Wenn es mih niht angeht. wen foll es denn angehen?“
erwiderte der Stier. ..Wer von Euh Beiden es wagen will.
mit mir zu kämpfen. mag morgen zur Kupferbrücke kommen.“
..Sei nur ruhig“. entgegnete ihm der Junge gleihmüthig.
..wir werden fhon kommen.“
Als Tellerhen am Abend von der Weide heimkehrte.
erzählte er ihm Alles. was fih zugetragen hatte. mit un
fägliher Heiterkeit.
..Deine Heiterkeit ift niht angebraht. Herr“. entgegnete
der Ohfe. ..jeht ift auh meine Zeit gekommen. Der Stier.
krank und vermagert. wie er war. wird mih überwältigen.
Wohne Du morgen unferm Kämpfe bei. denn Dih laffe ih niht
mit ihm kämpfen; Dn bift jung und zart und wirft noch
viel auf diefer Welt fehen. Wenn Du fiehft. daß er mih
überwältigen und unter die Brücke ftoßen will. ftürze zu und
ergreife mein linkes Horn öffne es aber niht eher. als bis
Du nah Haufe gelangt bift.“
Als der Knabe das hörte. fing er ein Geweine an. das
niht zu ftillen war Und fo viel Kummer hatte er die
ganze Naht. daß er gar niht fhlafen konnte.
11
_ 162 -

Am nähften Tage ging er früh Morgens mit Tellerhen


zur Kupferbrücke. Dort erwartete fie der unanfehnlihe Stier.
Sie begannen den Kampf. Und fie kämpften und kämpften
bis gegen Nahmittag. Bald zerrte der Ohfe den Stier.
bald der Stier den Ohfen. dann kämpften fie mit den Hörnern.
und der Sieg konnte fih niht entfheiden. weder für den
Einen noh für den Andern. Als es aber faft Nahmittag war.
erlahmte des Ohfen Kraft. und als plößlih der Stier ihn
init davon trug und im Begriff war. ihn unter die Brücke
zu werfen. ftürzte der Knabe herzu und ergriff fein linkes Horn.
Er weinte. Gott. was weinte der Knabe dort an der
Brücke. Als er aber fah. daß fein Tellerhen nihtmehr unter
der Brücke hervorkam und es dunkel wurde. mahte er fih
auh davon mit feinem Horn und mit vor Trauer bluten
dem Herzen.
Er übernachtete auf einem Hügel. Am nähften Tage
reizte ihn der Hunger. Er dahte. in dem Horn. das Tellerhen
ihm hinterlaffen. etwas zu effen zu finden. und öffnete es.
Was. nun bitte ih Sie fhön. was gefhah da! Woher
kam die unzählbare Menge von Heerden aller Art Vieh? Wie
follte er fie nah Haufe treiben? Hierzu gehörte eine Unzahl
von Knehten. um fie zu hüten. Er fah über's Feld. und fo
weit fein Auge reihte. fah er nihts als Vieh vor fih. Was
follte er jeht thun? Nah Haufe konnte er fie niht treiben,
Sie wieder in's Horn herein zu bringen. daran war niht
zu denken. Das fagte er fih auh und fing heftig und bitterlih
zu weinen an.
Während er fih fo bejammerte. fhau an. da 'kam zu
ihm ein Drahe und fagte ihm:

x
L

“er
_163

..Was giebft Du mir. Junge. wenn ih Dir all dies


Vieh wieder zurück inis Horn ftecke?
..Die Hälfte fei Dein“. entgegnete der Knabe.
..Die Luft laß Dir vergehen“. fagte ihm der Drache.
...ich will etwas Anderes.“
„So fag's. dann werd ih fehen!“
..Wenn Dir das Leben am liebften ift. darf ih kommen
und Dir das Theuerfte nehmen. um es zu verfpeifen?“
Der Knabe. ohne reht zu wiffen. was er that.
willigte ein.
Der Drahe fhlug dreimal mit dem Shwanz
um fih und fteckte all die Heerden wieder in das Horn.
Dann nahm der Knabe das Horn und ging zu feinem Vater.
den er allein fand. denn was aus der Alten und ihrer Tohter
geworden war. wußte Keiner. fie waren aus dem Haufe
verfhwunden.
Als er feinen Sohn zum Jüngling herangewahfen fah.
war der Alte nahe daran. vor Freude feine Sinne zu ver
lieren. aber er hielt fih noh. Sein Sohn öffnete das
Horn. und mit einem Mal war das ganze Feld und die
umliegenden Gegenden mit Vieh angefüllt. fo daß Alle fih
verblüfften.
..Das Vieh gehört Alles Dir?“ fragte ihn der Alte.
..Alles. Vater. Was follen wir nun mit diefer Unmenge
Vieh anfangen?“.
..Den Kummer der Wittwen und Armen lindern!“ ent
gegnete der Alte.
*Der Knabe folgte feines Vaters 'Rat-h. Es gab keinen
11 »
_164

Tag. den der Herr werden ließ. an dem er niht denen. die
Hülfe nöthig hatten. irgend eine Wohlthat erwies.
Es kam dahin. daß in der Gegend auh niht ein einziger
Armer blieb.
Die Kunde von dem Reihthum und der Mildherzigkeit
des Sohnes jenes Alten drang bis zum Kaiferhof, Und da
der Kaifer eine fehr kluge und fhöne Tohter hatte. fhickte
er Bewerber zum Sohn des Alten.
Wie der Junge hörte. daß der Kaifer ihn zum Shwieger
fohn wünfhte. wunderte er fih. Als er dann an den kaiferlihen
Hof gerufen wurde. ging er hin und benahm fih mit viel
Anftand und Würde. fo daß es dem Kaifer durhaus niht
leid that. ein Auge auf ihn geworfen zu haben.
Die Kaifertohter gewann ihn lieb. weil er hübfh. ftolz
und ein aufgeweckter Rumänen-Junge war.
Dann. nahdem fie unter fih einig geworden waren.
hielten fie eine Hohzeit. von der die Kunde durh's ganze
Land ging.
Auh der Vater des Jungen war dort.
Nahdem die Tänze und Beluftigungen der Hohzeit be
endet waren und ein Jeder nah Haufe gegangen. fehte
der Alte nah der von den Vätern überkommenen Sitte in
das Zimmer. in dem der Shwiegerfohn und die Braut
fhlafen follten. ein Brot. fo weiß wie das Antlih Ehrifti.
Darauf ging auh er fort. um fih niederzulegen.
Jn der Naht gefhieht was? Der Shwiegerfohn des
Kaifers fieht plöhlih den Drahen vor fih. der einen Kiefer
am oberen Thürfims. den anderen an der Shwelle unten
hat und dem jungen Burfhen fagt. daß er wegen ihrer Ab
mahung gekommen fei. und daß er ihm jetzt Die zum Ver
_165
fpeifen geben möge. die fih neben ihm befände. und die er
wie fein Augenliht liebe.
Der Sohn des Alten. der längft die Abmahung ver
geffen hatte. wußte niht. was er thun follte. Er durfte fih
niht auf den Drahen ftürzen und ihn morden. weil er
wußte. daß ihre Abmahung fo lautete; fein Vater hatte ihm
oft gefagt. daß wenn man fein Wort gegeben. man auh
feine Seele verpfändet habe. Aber das Herz ließ ihn auh
wieder niht feine Geliebte hingeben. damit der Drahe fie
verfpeife!
Als er fih fo mit Gedanken quälte. was er wohl mahen
folle. um weder fein Wort zu brehen. noh feine Braut hin
zugeben. fing das Brot auf dem Tifhe an zu fpringen und
fagte:
..He. Drahe. ih bin gefäet worden. bin gewahfen. mit
der Sihel gemäht. in Bündel gebunden worden und hab's
ertragen. ertrag Du's jeht auh und geh in die Pfüßen der
Meere.“
Der Drahe ftand und wartete. Das Brot fprah
wiederum:
..Darauf hat man mich in die Sheuer gebraht. Pferde
haben mih getreten. man hat mih gefiebt und zur Mühle
gebraht. ertrag Du's auh. wie ih's ertragen. und geh. daß
wir Deinen Namen niht mehr hören.“
Der Drahe wartete noh immer und feine Zungen
fpielten in feinem Munde herum wie Blihe. Der Shwieger
fohn und die Braut fhwiegen ganz ftill. Das Brot fprah
wiederum:
..Dann hat man mih gemahlen. und nahdem hat man
- 166 -
mih nah Haufe gebraht. gefiebt. mit Waffer geknetet.
in den Backofen gefteckt und gebacken. daß mir die Augen
faft aus dem Kopf gefprungen wären. und ih hab's er
tragen! Ertrage Du's auh. Du verfluchter Drahe. der plaßen
mög'!“
Der Knall. der ertönte. als der Drahe plahte. war fo
groß. daß Alle im kaiferlihen Palaft davon erwahten. Als
fie hinkamen. was fahen fie? Ein Unthier von Drahen.
geplaht und aufgefhliht. Und fo groß war es. daß Alle
fih davor erfhraken.
Sie nahmen daher das Aas und trugen es aus der
Burg heraus und überlieferten es den Raben. Darauf er
zählte der Shwiegerfohn dem Kaifer die ganze Bewandtniß.
Als die Leute im Palafte das hörten. dankten fie Alle
Gott. daß er folh ein Wunder bewirkt und die Kaifer
kinder mit heiler Haut und Knohen hatte davon kommen
laffen.
Darauf lebten fie in Frieden und Freude und thaten
überall Gutes. und wenn fie niht geftorben find. fo mögen
fie am Ende heute noh leben.
Jh fhwang mih auf den Sattel dann.
Damit ih's Euh erzählen kann.
All(
hier i anne hung-j.

Es war. was gewefen ift. wäre es niht gewefen. würde


es auh niht erzählt.
Es war einmal eine Wittwe. die war fo arm. daß
niht einmal die Fliegen in ihrem Haufe blieben. und diefe
Wittwe hatte zwei Kinder. einen Knaben und ein Mädhen.
Der Knabe war folh tapferer Junge. daß er den Shlangen
die Zunge aus dem Munde herausgeriffen hätte. das Mädhen
aber war fo fhön. daß die Kaiferföhne und die fhönen
Prinzen aller Ort mit Ungeduld darauf warteten. bis fie heran
gewahfen. damit fie um fie werben könnten. Als das Mädhen
das fehszehnte Lebensjahr vollendete. gefhah ihr. was allen
fhönen Mädhen gefhieht: es kam ein Drahe. der raubte fie
und brahte fie weit fort. auf das jenfeitige Geftade.
Von jeht ab liebte die Wittwe ihren Sohn hundert und
laufend Mal mehr als bisher. weil er ihr einziges Kind und
die einzige Freude war. die ihr noh auf diefer Welt ge
blieben. fie hütete ihn. wie man fein Augenliht hütet. und»
hätte ihn niht einmal einen Shritt weit von fih gehen
laffen. So fehr fie fih aber an ihm freute. war fie doh
untröftlih und ftets traurig. weil. mein Gott! ein Knabe ift
zwar ein Knabe. aber ein Mädhen ift ein Mädhen. be
fonders wenn es fhön ift.
_168

Da der Knabe feine Mutter fo traurig fah. fammelte


er immer mehr Kraft und zählte die Tage. bis er groß
genug fein würde. um in die weite Welt zu gehen und das
Shwefterlein. Röthbäckhen fein. zu fahen auf ungebahnten
Pfaden. mit Dornen beladen. Als er 18 Jahre vollendet
hatte. mahte er fih Kalbsfandalen. an denen Stahlfohlen
waren. ging zu feiner Mutter und fprah alfo: ..Mutter. ih
habe keinen Ruheort und keine Ruheftunde hier am Ort.
fo lange ih Dih fo traurig und vergrämt fehe. immer
in Gedanken an meine Shwefter; ih habe befhloffen
in die weite Welt zu gehen. und niht eher zurückzukommen.
als bis ih Kunde von ihr bringen kann. Ob ih fie finde.
weiß ih niht. ih habe wenigftens die Hoffnung. die laffe
ih Dir auh. damit Du Dih mit ihr beruhigft.“
Als die Wittwe folhe Worte hörte. mußte fie fih über
winden und doh wieder niht zu fehr. um ihm zu antworten:
..Gut. mein Sohn. mein Kind! Thu. was Du niht
laffen kannft. und wenn Du zurückkehrft. werde ih Dih
wiederfehen. und wenn Du niht zurückkehrft. werde ih Dih
niht beweinen. weil der Weg weit ift. den Du vor Dir haft;
bleibft Du auh noh fo lange aus. ift doh immer noch
die Hoffnung. daß Du einmal zurückkehrft.“ Nahdem fie
dies gefprohen hatte. rührte fie ihm drei Brote mit ihrer
eigenen Muttermilh an. eins aus Mehl. das andere aus Kleie.
das dritte aber aus Afhe vom Heerde des Haufes.
Der Knabe fteckte die Brote in den Reifefack. nahm
Abfhied von feiner Mutter und ging in die Welt wie ein
armer Junge. dem alle Wege gleih weit. alle Stege gleih
breit find. und der niht weiß. welhe Rihtnng er ein
fhlagen foll.
-169

Am Thor ftand er ftill. fhaute einmal nah Sonnen


aufgang. dann nah Sonnenuntergang. nah Mitternaht und
nah Mittag. darauf nahm er eine Hand voll Staub unter der
Thürfhwelle hervor und warf fie in den Wind: wohin der Wind
den leihten Staub trieb. dahin wandte er feine Shritte,
Und der arme Junge ging und ging und ging. immer
weiter und weiter. durh viele und reihe Länder. bis er an
eine Haide kam. auf der kein Gras wuhs und kein Waffer
quoll. Hier hielt er an und holte feine drei Brote hervor.
Er fing mit dem aus Mehl an. weil es das fhönfte war.
Und wie er davon abbiß. wuhs feine Kraft und wurde fein
Durft gelöfht.
Und wiederum wanderte der arme Junge weiter und
wanderte über die lange Haide. Sommertag bis zur Naht.
den Weg fo bang. daß er hingelang. bis er an einen großen
Wald kam. fo groß wie die Haide. über die er gewandert.
der war diht und düfter und fogar von den Winden ver
laffen. Als er in diefen Wald trat. erblickte er am Stamm
eines Baumes eine alte Fran. die war gebückt und runzelig
im Gefiht. Der arme Junge. der feit fo langer Zeit kein
Menfhenantlih gefehen und keine Erdenfprahe gehört hatte.
freute fih jeht und fagte luftig.
„Glück auf. Mütterhen! aber wie kommft Du her. und
was mahft Du in diefer Einöde von einem Wald?“
..Gut fei Dein Wort!“ entgegnete ihm die Alte feufzend.
..Ah Gott. fo weit bin ih auh durh's Alter herunter ge
kommen; ih wollte ein bishen wohin gehen und kann niht
weiter. weil meine Füße mih niht mehr tragen.“
Als der arme Junge dies hörte. hatte er Mitleid mit
der Alten. näherte fih ihr nnd fragte fie. woher fie käme
_170
und wohin fie ginge und in welher Angelegenheit fie unter
wegs fei. Er wußte niht. der Arme. daß dies Niemand
anders als die Waldhexe war. die fih am Rande des'Waldes
aufhält und denen entgegen geht. die fih in diefen öden
Gegenden verirren. um fie mit Worten zu bethören und dann
in's Verderben zu ftürzen. Als er fie fo kraftlos fah. fielen
ihm feine drei Brote ein. wie wenn er fhon morgen heim
kehren follte. dahte er daran. feine Reifezehrung mit ihr zu
theilen. damit fie etwas Kraft bekäme.
..Jh danke Dir“. entgegnete *ihm die Waldhexe. die
Anderes mit ihm im Sinne hatte. ..aber fhau. ih habe keine
Zähne. um Dein trocknes Brot zu kauen. Wenn Du mir etwas
Liebes anthun willft. nimm mih auf den Rücken und trage
mih. denn ih wohne hier ganz in der Nähe.“
..So kofte doh nur“. fagte der Knabe. der ihr in feiner
großen Herzensgüte etwas Liebes erweifen wollte. ..Du bift
gewiß nur aus Hunger fo hinfällig geworden. und wenn
Dir dies niht hilft. trage ih Dih. wie Du es wünfhft.“
Als die Waldhexe das Brot aus weißem Mehl fah.
guckte fie es mit Luft an; es hatte fo etwas an fih. was.
weiß ih niht. aber fo etwas daß felbft die Waldhexe niht
umhin konnte. einen Biffen davon zu nehmen. Und wie fie
hineinbiß. wurde ihr Herz weiher. Nahdem fie drei Biffen
genommen hatte. fühlte fie fih Menfh wie wir Alle. mit
dem Herzen auf dem rehten Fleck und mit mildem Sinn.
..Erfahre. mein Sohn“. fagte fie ihm. ..daß ih die Waldhexe
bin. und daß ih fehr gut weiß. wer Du bift. woher Du konimft
und wohin Du Dih aufgemaht haft. Das ift eine große Sahe.
die Du vor Dir haft. denn Deine Shwefter befindet fih gerade auf
_171

dem jenfeitigen Geftade. wohin der Erdeumenfh nur auf eine


einzige Art gelangen kann.“
..Und auf welhe wäre das?“ fragte der arme Junge
ungeduldig.
Die Waldhexe fah ihn zweifelhaft an.
..Jh rathe Dir niht. Dih daran zu mahen“. fagte fie.
..denn es wäre fhade um Dein junges Leben. Aber wer weiß.
vielleiht wirft Du Glück haben; ih fehe. daß Du ein weihes
Herz haft. und wer ein weiches Herz hat. kann Vieles zu
Stande bringen; außerdem kenne ih Dih. Du wirft keine
Ruhe haben. bis Du fie niht gefunden haft. So wiffe
alfo. fern von hier. nahdem Du noh fehs Haiden und fehs
Wälder durhmeffen. wirft Du am Rande des fiebenten
Waldes. der fih an der Grenze des jenfeitigen Geftades
ausdehnt. eine alte Hexe treffen; diefe Alte hat eine Pferde
Heerde. in diefer Heerde befindet fih ein verzaubertes Pferd.
das Dih auf das jenfeitige Geftade bringen kann. Dies
Pferd aber kann nur der erringen. der es aus der ganzen
Heerde zu wählen weiß. nahdem er diefer Alten ein Jahr
lang gedient hat.“
Das hatte der arme Junge wiffen wollen. Er verlor
keine Zeit mehr. dankte der Waldhexe für die Aufklärungen
und mahte fih auf. immer geradeaus durh den dihten
Wald. weil fein Weg lang war. und er fih zu eilen hatte.
Und der arme Junge ging wie Einer. der in guter
Abfiht geht. und eilte. wie man eilt. wenn man noh Zeit
zum Heimweg behalten will. Wie viel er gegangen und
wie er geeilt ift. kann fih ein Jeder vorftellen. der behalten
hat. wie lange Zeit er brauhte. um durh eine einzige Haide
und einen einzigen Wald zu wandern.
_172

Wenn aber die Kräfte ihn verließen. biß er einmal


vom Brot ab. und allfogleih erftarkte er wieder.
Als er aus dem fehften Wald herausgehen wollte und
an einem Bähe mit klarem Waffer vorbeikam. fah er eine
Wespe. die mit den Wellen des Waffers kämpfte. und
hatte Mitleid mit dem Thier. So nahm er einen trockenen
Zweig und hielt ihn mit einem Ende der Wespe hin. damit
fie hinauf krabbeln und dann Gebrauh von ihren Flügeln
mahen könnte.
Diefe Wespe war aber die Königin felber über die
Wespen des Waldes. und als fie fih durh feine Güte
gerettet fah. flog fie ihm auf die Shulter und fprah:
..Wohin Du auh geheft. möge das Glück Dein Ge
fährte fein! Bitte. ziehe mir ein Haar unter dem rehten
Flügel heraus. und hebe es Dir gut auf. denn wer weiß.
ob es Dir niht einmal von Nuhen fein kann! Wenn Du
mih brauhft. dann bewege dies Haar. und ih werde
zu Dir kommen. wo Du auh immer feieft auf der Erd
oberflähe.“
Der arme Junge nahm das Haar. verwahrte es forg
fältig und ging weiter. Er ging. wer weiß wie weit. bis
er an einen großen See kam. am Rande desfelben aber fah
er einen Fifh. der auf dem Trocknen herumzappelte. Er
hatte Mitleid mit dem armen Thier. in dem kaum noh ein
Athemzug war. drum nahm er es und warf es in den See.
Diefer Fifh aber war der Kaifer der Fifhe felber. mit
Shuppen aus Edelfteinen und Flügeln aus Gold. Er
fhwamm einmal um den See herum. athmete ein Paar
Mal auf. um Kräfte zu fammeln. dann kehrte er zum Kna
ben zurück und fprah alfo:
- 173

...Wohin Du auh geheft. möge das Glück Dein Ge


fährte fein. Bitte. ziehe mir' eine Shuppe ab unter meinem
rehten Flügel und hebe fie Dir gut auf. denn' wer weiß.
ob fie Dir niht einmal von Nußen fein kann. Wenn Du
mih aber einmal brauhft. reibe diefe Shuppe. und ih werde
zu Dir kommen. wo Du auh feieft. foweit die Waffer auf
Erden reihen.“
Der arme Junge nahm die Shuppe. verwahrte fie forg
fältig und ging weiter. Er ging wer weiß wie weit und
gelangte an die fiebente Haide. wo kein Halm wähft und
kein Waffer quillt. da fand er einen Maulwurf auf feinem
Wege. welhen das Tagesliht oberhalb der Erde überrafht
hatte. und der nun erbärmlih im Finftern herumtappte und
feinen Maulwurfshügel. in dem die Jungen hungerten. niht
finden konnte. obgleih er nur einen Sprung weit entfernt
war. Er hatte auh mit ihm Mitleid. nahm ihn und trug
ihn an feinen Hügel heran.
..Wohin Du _auh geheft“. fprah der Maulwurf.
..möge das Glück Dein Gefährte fein. Bitte. nimm Dir
eine Kralle von meiner rehten Pfote und hebe fie Dir gut
auf. wer weiß. ob fie Dir niht einmal von Nahen fein
kann. Wenn Du mih aber brauhft. krahe auf der Erde
mit diefer Kralle. und ih werde zu Dir kommen. wo Du
auh immer feieft auf Erden.“
Der arme Junge nahm die Kralle. verwahrte auh fie
forgfältig. und wieder ging er weiter über die endlofe Haide.
dem unfihtbaren Walde zu. der an der Grenze des jenfei
tigen Geftades lag.
Wie viele Tage und wie viele Nähte er über diefe
Haide zog. das weiß nur der liebe Gott; eines _fhönen
-174

Morgens aber. als er aus dem Shlaf erwahte. fah er in


der Ferne. fo fern. als fei es in der andern Welt. einen Liht
ftreif. ungefähr wie ein Feuer. das fih die Hirten am
Eingang der Hürde anmahen. Dort war das Neft der
Zauberin mit der Heerde verhexter Pferde.
Der arme Junge freute fih fehr. als er fih dem
Ende der Welt fo nah fah. und feine Freude währte bis
zum Abend des dritten Tages. als er am Haufe der Zauberin
anlangte.
Da war er. du lieberGott! mitten in der Haide. ge
rade am Rande des Waldes. der fih in der Abenddämmerung
verlor. auf einem weiten Felde. das mit grünem Gras be
deckt und von Quellen mit klarem Waffer durhfloffen war.
mitten auf diefem Felde erhob fih aber eine Anzahl hoher
Stangen. und auf jeder derfelben fteckte ein Menfhenfhädel.
Die Hütte der Zauberin ftand mitten in diefen Stangen.
eine hohe Pappe( vor ihr und zwei Weidenbäume rechts
und links davon.
Das bewies alfo. daß die Waldhexe Reht hatte: hier
gingen die Dinge niht gerade fpaßhaft her.
Der arme Junge faßte fih ein Herz und näherte fih.
um in die Hütte einzutreten. die wie ausgeftorben mitten auf
der Haide ftand.
Die alte Hexe faß in der Hausflur auf einem hohen
Stuhl mit drei Beinen. vor ihr aber ftand ein großer Keffel
auf einem großen Dreifuß. über einem Feuer. das ohne
Rauh brannte. Jn der Hand hielt die Alte das Schien
bein eines Riefen. mit dem fie die Zauberkräuter im Keffel
umrührte.
- 175 -

Als der arme Junge ihr Guten Abend fagte. fah fie


ihn von oben bis unten an.
..Willkommen. Held! Ih erwarte Dih fhon lange.
denn lange fhon klirrt diefer Keffel und fagt mir unauf
hörlih. daß Du zu mir unterwegs bift.“
Der arme Junge freute fih fehr über den guten Empfang.
denn die Alte erfhien ihm durhaus niht widerwärtig. wie
fie ihn liebend anfhaute und mit weiher Stimme fprah.
Sie freute fih auh. daß fie noh Hand an einen Mann ge
legt hatte. weil die Stangen mit Menfhenfhädeln fie vor
den böfen Elfen bewährten. die niht durch fie hindurh drin
gen konnten; und da war ein Stück Landes. fo für drei
Köpfe. noch niht mit Stangen befeßt.
Nun mahten fie mit einander ab. der arme Junge
folle ein Jahr lang die Heerde behüten und als Lohn
das Pferd empfangen. das er fich felbft auswählen würde*7
falls er aber die Heerde verliere. müffe er feinen Kopf der
Zauberin überlaffen; alsdann fhlug die Alte noh eine
Stange in die Erde und feßte die Mühe des Helden dar
auf. Schließlih aß er etwas. um niht hungrig mit der
Heerde zur Weide zu gehen.
Während der Knabe aß. zog die Alte die Mutter-Stuten
hinter die Hütte und fing an. fie mit dem Shienbein des
Riefen zu hauen und befahl ihnen. niht etwa Nachts Waffer
zu trinken oder die Anderen trinken zu laffen. weil das
Waffer aus den Quellen der Flur einfhläfere; die Alte
wollte. daß die Heerde die Naht durh weide.
Der arme Junge wußte aber nihts davon.
Als er mit der Heerde auf die Weide kam. fühlte er
einen Durft. um den man* vom Morgen bis zum Abend
>176

geht. nur um ein Tröpfhen Waffer zu finden; er legte fih


daher an einen Quell und trank. um feinen Durft zu löfhen.
und fowie er trank. fhlief er auh gleih ein.
Als er am nähften Tage beim Morgengrauen vom
Shlaf erwahte. war die Heerde verfhwunden. nirgends eine
Spur! Man brauht fih nur klar zu mahen. daß feine
Mühe fhon auf der Stange faß. um zu verftehen. wie groß
feine Verzweiflung war. Aber er fah fih nah allen Seiten
um. ohne auh nur eine Pferdefpur zu entdecken; die Mor
gendämmerung aber brah immer mehr herein. und er ftand
ganz verloren da und wußte niht. wohin er fih wenden folle.
Da fiel ihm der Dienft ein. den ereinft der Wespe
erwiefen hatte. und er dahte daran. daß eine Wespe. die fo
fhnell fliegt. die Heerde entdecken und ihm Nahriht über fie
bringen könnte; fo nahm er das Haar. das unter dem
Flügel der Wespe herausgezogen war. und bewegte es. So
fhnell wie man denkt und niht denkt. hörte man von allen
Seiten ein Summen. welhes anfhwoll und immer ftärker
wurde. daß man hätte meinen können. die Welt folle zu
Grunde gehen. Herrgott! Da kam immer eine Wespe nah
der andern. ein Schwarm nah dem andern. große Reihen.
ganze Wolken von Wespen. größere und kleinere. alle be
reit. die* Erde zu uwkreifen und die Befehle des armen
Jungen zu erfüllen.
..Hab' keine Angf“. fagte die Wespenkönigin. ..denn
wenn die Heerde noh auf der Erde ift. bringen wir fie
Dir. ehe die Sonne fih am Himmel zeigt.“
Darauf wurde Alles ftill um den armen Jungen herum.
weil die Wespen nah allen Orten flogen und fih über die
Erde ausbreiteten. l .
_177

Viel Zeit verging niht. bis fih in der Ferne eine


Staubwolke zeigte. die in rafender Eile auf die weite Flur
mitten in der Haide zuflog. und die von ftehenden Wespen
gejagte Pferdeheerde eilte daher. daß die Erde unter ihren
Hufen erdröhnte. -
Der arme Junge dankte den Wespen für ihre Hülfe.
dann wandte er fih dem Haufe zu. als wäre gar nihts
vorgefallen.
Die Alte fah ihn etwas fhief an. fagte. es fei gut und
fing von Neuem an. die Mutter-Stuten zu fhlagen. und be
fahl ihnen. fih* Nahts gut zu verftecken.
Am Abend wollte der arme Junge niht effen. weil er
glaubte. daß er durh die Speifen der Zauberin in ver
gangener Naht einen fo nnlöfhbaren Durft bekommen habe;
als er aber mit der Heerde auf die Weide ging. befiel ihn.
fowie er das klare Waffer fah. ein brennender uud verzeh
render Durft. und wohin er auh ging. quoll Waffer unter
feinen Füßen hervor, Shließlih konnte er fih niht mehr
beherrfhen. und indem er fih auf den Beiftand der Wespen
verließ. legte er fih an eine Quelle. und kaum hatte er ge
trunken. fo fhlief er auh allfogleih ein.
Diesmal wahte er aber fpäter auf als in der ver
gangenen Naht. weil er fpäter eingefh'(afen war. fpäter be
wegte er das Haar. das er unter dem Flügel der Wespe
herausgezogen. und fpäter trafen die Wespenfhwärme ein.
um ihm die Heerde zu fuhen und heimzujagen.
Was mußte er aber fehen? Viel Zeit verging niht.
als. fhau an. ein Shwarm nah dem andern zurückkehrte
und ein jeder die Kunde brahte. daß die Heerde fih niht
12
M178

auf der Erdoberflähe befände. fondern fih irgend wie auf


dem Meeresgrund verloren haben müffe. *
Die Sonne aber follte gerade aufgehen. Der arme
Junge nahm alfo die Fifhfhuppe. rieb fie und plöhlih
erfhienen zu feineu Füßen in den Quellen eine Brut von
Fifhhen. die alle Rinnen anfüllten und ihn fragten. was
er wünfhe und befehle. Er theilte ihnen das was und wie
mit. und allfogleih begannen alle Waffer. Flüffe. Teihe und
Meere fih in Bewegung zu fehen. die Wespen aber'flogen
über alle Berge. damit fie. fowie die Heerde von den gräti
gen Fifhen aufgejagt fei. hinter derfelben hereilen und fie
weiter jagen könnten.
Der arme Junge hatte kaum noh Zeit. feine Heerde
zu fammeln und nah Haufe zu bringen. als die Sonne
auh fhon aufging.
Die Alte fah ihn ärgerlich an. fagtc auh diesmal. es
fei gut. und gab den Mutter-Stuten eine noh tühtigere
Traht Prügel; denn das Jahr hatte drei Tage. und wenn
fie fih auh diefe Naht niht ordentlih verfteckten. konnte
der Held feinen Lohn fordern.
Das wußte auh der arme Junge. Drum fing er von
feinem Brot zu effen an. als er mit der Heerde auf die
Weide ging; und fo oft er abbiß. wuchs feine Kraft und
löfhte fih fein Durft. Wenn er jedoh die Quelle fah. oder
das Waffer über die Steinchen plätfchern hörte. wurde er
wieder durftig. und fo aß er das ganze Brod aus Mehl.
Jetzt hätte er das Kleienbrot angreifen follen. er getraute
es fih aber niht. da fein Weg noh lang war. und er fih
fürhtete. ohne Zehrung zu bleiben. Er verließ fih alfo
M' '

_179

auh diesmal auf die Unterftüßung der Wespen und Fifhe. legte
fih an einen Quell. und fowie er getrunken. fhlief er auh gleih ein.
Als er aufwahte. war es heller Tag. nur war die Sonne
noh niht aufgegangen. Er bewegte das Haar. die Wespen
aber kamen mit der Nahriht. daß die Heerde niht auf der
Erdoberflähe fei. er rieb die Fifhfhuppe. aber die Fifhe
fagten. daß fie auh niht unter dem Waffer fei; da nahm
er in feiner Verzweiflung die Kralle des Maulwurfs und
krahte mit ihr auf dem Boden.
Ieht hätteft Du das Wunder fhauen follen! Die
Wespen fummten. die Fifhe wü'hlten'alles Waffer auf. die
Maulwürfe aber begannen die. Erde zu durhdringen. fie zu
durhfurhen. als ob fie fie ganz zu Muß mahen wollten.
Als die erften Sonnenftrahlen “die Wipfel der Pappelu vor
der Hütte berührten. zog die Heerde wie gejagte Shatten
auf den armen Jungen zu; wollte fie.-in's Waffer. fheuhten
fie die Fifhe. fuhten fie fich in der Erde zu verbergen. ver
trieben fie die kralligen Maulwürfe. und fo mußten fie dahin
gehen. wohin die Wespen fie führten.
Der arme Junge dankte für die Hülfe und kehrte heim.
gerade als die Sonne die Hütte befhien.
Die Alte fah ihn zornig an und fagte nihts mehr.
Aber jetzt kam es drauf an! Das Jahr war um.
und der arme Junge begann fih hinter den Ohren zu
krauen. wei( er niht wußte. welhes Pferd aus der Heerde
er *wählen folle.
So geht's dem Uebereilten! Die Waldhexe hätte ihm
dies wahrfheinlih auh noh fagen können. hätte er fie niht
fo fhnell verlaffen. Jetzt ging er auf's Gerathewohl los.
Und dann dachte er. was er auch träfe. fhleht käme er doh
12*
18()

niht weg. denn auf jeden Fall war's auf langem Wege immer
beffer zu Pferde als zu Fuß. Außerdem hatte er die Pferde
der Alten rennen gefehen und wußte. daß es lauter Pferde.
keine Shindmähren waren.
So ging er alfo durch die Heerde. und wie er ging.
ftieß er auf ein krankes Füllen. mit dem er Mitleid hatte.
weil er es fo nngepflegt ausfah; aber es fiel ihm niht ein.
gerade diefes zu wählen. Soviel er fich aber wandte und
drehte. immer blieb er bei diefem ftehen. denn er war gar
zu gutherzig feiner Art nah und fagte fih. wenn er auh
niht viel mit ihm anftellen könne. erweife er doh wenigftens
einem armen Thiere etwas Gutes.
..Wer weiß“. fagte er fih. ..wenn ih es kämme. bürfte
und ftriegle. wird i-omöglich noh ein gutes Pferd aus ihm.“
So wählte er d *s und entfhloß fih. als Zugabe noh
die'Tafhe zu ftehlen. in der fih Kamm. Bürfte und Striegel
befanden. damit er fein Pferd gut beforgen könne.
Die Alte wurde giftig-grün. als fie hörte. daß er fih
dies gewählt. weil dies das Bewußte war. Aber was konnte
fie ihm thun? Sie mußte Wort halten. Sie rieth ihm
nur. fih ein anderes. befferes anszufuhen. fagte ihm. er
wiirde bald ohne Pferd bleiben. und daß für guten Dienft
fich ein guter Lohn gebühre; ,fhließlih gab fie es ihm
jedoh.
Aber eine Hexe bleibt immer eine alte Hexe. und fo'wie
der arme Junge zu Pferde geftiegen. Abfhied genommen und
davon geritten. ging fie an den großen Keffel. ftellte ihn ab und
beftieg den Dreifuß. dann verwandelte fie fih in Gefiht und
Haltung und eilte mit der Shnelligkeit des Fluhes ihm
181

nah. um ihn zu erreihen. zu verderben und ihr Pferd zn


rückznnehmen. Der arme Junge fühlte. daß ihm etwas
Furhtbares folge und gab feinem Pferde die Sporen.
..Du fpornft mih umfonft an“. fprah das Pferd. ..wir
können ihr doh nicht enteilen. fo lange wir noch auf ihrem
Bereihe find. -Wirf aber den Kamm hinter Dih. um ihr
ein Hinderniß in den Weg zu legen.“
Jeßt wußte der arme Junge. daß er gut gewählt habe.
als er fih das kranke Füllen ausgefuht hatte. So holte
er den Kamm aus dem Sack heraus und warf ihn hinter
fih. aus dem Kamm aber wurde ein langer. hoher Zaun.
über den die Hexe niht fortkonnte. fondern deffentwegen
fie einen Umweg mahen mußte. fo daß er einen Vorfprnng
gewann.
..Wirf die Bürfte“. fagte das Pferd. als es von Neuem
das Getrappel des Dreifußes in feiner Nähe hörte.
Der arme Junge warf die Bürfte. und aus ihr wurde
ein dichtes. ausgedehntes Rohr. durh das die Alte nur
mühfam und mit Ah und Weh durhdringen konnte.
..Wirf den Striegel“. rief das Pferd zum dritten Mal.
Als er den Striegel fortgeworfen hatte. fhaute der
arme Junge nah rückwärts und fah einen Wald von
Meffern und Säbeln. die Alte aber zwifhen ihnen. wie fie
fich mühte. durh ihn hindurch zu kommen und fih in lauter
kleine Stücke zerfhnitt.
Als fie an den fiebenten Wald gelangten. wo das Reih
der Hexe aufhörte. fchüttelte fih das kranke Pferd ein
mal und wurde unvermerkt zn einem fhönen. geflügelten
Pferde. wie es weder vorher noh nahher eins gegeben hat.
..Jeht halt Dih gut!“ fagte ihm das Pferd. ..jeht
__ __
'

werde ih Dih fo fiihren. wie noh nie ein Held vom dies
feitigen Geftade zum jenfeitigen gelangt ift. denn ih habe
dort auh eine Shwefter. die ih zu fuhen ausgehe.“
Der arme Junge war betäubt von der Windeseile. mit
der das Pferd über den Wald hinflog und fih darauf auf das
jenfeitige Geftade herabließ durh eine große Oeffnung in dem
andern Theil des Waldes. Als er zu fih kam. befand er fih
auf dem jenfeitigen Geftade. feinem Pferde gegenüber. das
fih jeßt einmal fhüttelte. zum zweiten Male. fich in einen
fhönen Prinzen mit langen Locken verwandelte und fprah:
..Wohin Du auh geheft. möge das Glück Dein Gefährte
fein. denn Du haft mih aus dem Zauber befreit. in welhen
mich die Waldhexe gebannt hatte. Erfahre. daß ih der Sohn
'des rothen Kaifers bin und mih aufgemaht hatte. um meine
Shwefter zu fuhen; am Rande eines Waldes aber fand ih
die Waldhexe und die klagte mir. daß fie niht mehr gehen
könne und bat mih. fie auf dem Rücken zu tragen; als ih
fie aber aus Mitleid hatte auf mih fteigen laffen. verwandelte
fie mih in ein Pferd und verdammte mih dazu. Pferd zu
bleiben. bis ein Held fih meiner erbarme und mih beftiege.
damit ih ihn auf's jenfeitige Geftade trüge; dort follte ih
meine menfhliche Geftalt wiedergewinnen.“
Der arme Junge freute fih fhrecklih. daß er nun niht
mehr allein war. Er nahm das Kleiebrot. brah es entzwei
und gab die eine Hälfte dem Kaiferfohn. damit fie Brüder
auf Leben und Tod feien. und diefelbe Sehnfuht fie Beide trüge.
Der Kaiferfohn koftete vom Brote. und wie er davon
aß. wuhs feine Kraft und feine Liebe.
Sie erzählten fih ihre Erlebniffe und gingen dann
geradeaus vorwärts.
*183

Ferne. ferne. gerade am Ende des jenfeitigen Geftades.


fah man glänzende Gehöfte anfragen. das mußten die Paläfte
des Drahen fein.
Die Welt auf dem jenfeitigen Geftade war fo fhön.
daß man fie ewig hätte durhwandern mögen. lihtvoll. grün
und blumenreih. mit fhön gefiederten Vögeln. zahmen und
munteren Thieren. Und in diefer Welt alterte der Menfch
niht. fondern 'blieb immer fo. wie er gewefen. als er fie
betreten hatte. denn hier gab es keine Tage. die Sonne ging
niht auf noch unter. fondern es kam das Liht von felbft.
fo wie aus heiterem Himmel. Die Drachen aber waren nirgends
zu fehen. und die beiden Brüder anf Tod und Leben gingen
unbehindert ihres Weges. -
Nahdem fie fo weit gegangen. wie man in drei Tage
märfhen kommt. gelangten fie an die fhönen Paläfte und
hielten vor ihnen an. weil fie fhön. wunderfhön waren.
mit hohen Thürmen. mit Mauern aus fammetweihen Steinen.
mit Shneeplatteu gedeckt. die an der Sonne getrocknet waren.
Sie fhienen aber leer und verlaffen.
Der arme Junge und der Kaiferfohn traten ein. gingen
durh all die mit Koftbarfeiten angefiillten Räume. und
da fie Niemand fanden. dahten fie. daß der Drahe gewiß
auf die Jagd gegangen fei. und befhloffen. ihn zu er
warten, Sie wunderten fih aber. ihre Shweftern niht hier
zu finden.
Drauf ftreckten fie fih Jeder anf einem der fhönen Divane
aus und gaben fih der Ruhe hin. als fie plöhlih Beide
zufammen fuhren und erftarrt blieben vor dem. was fie hörten.
Herrgott! es war ein fo rührender Gefang. daß er auch
die Steine hätte erweihen miiffen. man fühlte fih wie in
»184

der andern Welt. wenn man ihn hörte. und er entquoll einer
Frauenftimme. Der arme Junge und der Kaiferfohn horhten
niht lange. fondern fprangen auf und eilten dahin. woher
ihnen der Gefang kam.
Und dies erblickten fie: an einem Theil des Shloffes
war ein Glasthurm. in diefem Glasthurm aber faß ein
Mädhen und fpann und fang und weinte. ihre Thränen aber
verwandelten fich beim Herabfallen allfogleih in Perlen.
Und dies Mädhen war fo fhön. daß zwei Männer. wären
fie in der Welt gewefen. fih ihretwegen umgebraht hätten.
Wie die beiden Helden fie erblickten. blieben fie regungslos
ftehen und fhauten fie fehnfühtig an. das Mädhen aber
hörte zu fpinnen auf. fang niht mehr und weinte niht.
fondern fah fie verwundert an.
Dies aber war von keinem der Beiden die Shwefter.
und wie es fo zu gefhehen pflegt. meinte der arme Junge.
fie fei die Shwefter des Kaiferfohnes. der Kaiferfohn aber.
fie fei die Shwefter des armen Jungen.
..Jh bleibe hier“. fagte der arme Junge. ..gehe Du aber
hin und befreie meine Shwefter. um fie zur Frau zu nehmen.“
..Nein. ih bleibe hier“. antwortete der Kaiferfohn. ..gehe
Du hin und befreie meine Shwefter. denn diefe hier nehme
ih zur Frau.“ .
Jeht kommt's drauf an! Als fie verftanden. daß diefes
fhöne Mädhen von keinem der Beiden die Shwefter war.
griffen die fhönen Helden an die Shwerter. im Begriff fih
mit ihnen zu bekämpfen. wie fih Männer zu bekämpfen
pflegen. wenn fie etwas unter fih theilen müffen.
..Haltet ein“. fprah das fhöne Mädchen. ..überftürzt
Euh niht. Sucht erft beffer nah. ob ih wirklih das bin.
- 185 -

was ich Euh erfheine. oder ob ich am Ende nur ein Schatten
bin? Jh bin das körperlofe Mädhen. das erft verkörpert
wird in diefer Welt. wenn der Drahe mih von dem andern
Geftade geraubt haben wird. So wie Ihr mih jeht feht.
werde ih dann auh fein. werde fpinnen. fingen und weinen.
denn ih werde an meine Mutter denken. die fpinnt. fingt
und weint; und fo fpinnen. fingen und weinen auch Eure
Shweftern. die von den beiden älteren Brüdern des Drahen.
der dies Shloß beherrfht. geraubt worden find.“
Als fie dies hörten. wollten die beiden Helden davon
gehen. um niht mehr Zeit unterwegs zu verlieren.
..Haltet ein und überftürzt Euh niht.“ fagte ihnen wieder
das körperlofe Mädhen. ..Ihr denkt wohl gar. daß Ihr den
Drahen fo durh den bloßen Willen befiegen werdet? Eurer
harren große Dinge. Mih hat die alte Drahin hierher ge
feht. damit ich ihren jüngften Sohn immer anfporne. weil es
gefhrieben fteht. daß alle drei Brüder zu gleiher Zeit Hohzeit
mahen follen. Die beiden älteften Brüder halten Eure
Shweftern gefangen. können mit ihnen aber erft Hohzeit
mahen. wenn der jüngfte Sohn mih geraubt haben wird.
So .oft er von der Jagd heimkehrt. hält er dort an. wo
Ihr jeht fteht. fieht mih mit Sehnfuht an. dann rihtet er
feine Waffen her. füttert fein Pferd mit glühenden Kohlen.
aber kann fih doh noh niht auf den Weg mahen. weil
meine Zeit noh niht gekommen ift. Drum bleibt und
befiegt ihn hier. damit er mih niht etwa raube. wäh
rend Jhr unterwegs feid und Ihr dann zu fpät zu Euren
Shweftern kommt. Aber ahtet auf Eins: Ihr könnt ihn
außerhalb feines Hofes niht befiegen. weil er unfihtbar ift.
Wenn er nah Haufe zurückkehrt. wirft er darum feinen
_186

Streitkolben mit fo viel Gewalt an das Thor. daß die E de


klebt. die Mauern einftürzen und alle Erdenmenfchen. die ich
in ilJnen befinden könnten. lebendig begraben werden. We in
Ihr all() genug Kraft in Euh fühlt. um die Thore in ihr en
Angeln zu halten. fo daß fie niht wanken. wenn er den Stre it
kolben dagegen wirft. fo bleibt. fonft geht in Gottes Namen.
denn es wäre fhade um Euer junges Leben.“
Der arme Junge und der Kaiferfohn fahen fih an. ver:
ftanden. daß es fo gefhehen müffe. und entfhloffen fich
zu bleiben.
Während alfo der arme Junge zur Pforte ging. um fie zu
halten. zog der Kaiferfohn fein Shwert heraus und erwarte-te
den Drahen mitten im Hof. Jhr merkt wohl. daß dies kein
Scherz war!
Viel Zeit verging niht. als plößlih krach! der Streit
kolben gegen die eifenbefhlagenen Thüre fhlug. daß man
hätte glauben können. die Welt ginge zu Grunde. Der arme
Junge meinte. ihm riffen die Sehnen des Herzens entzwei von
der großen Shwere. und die Mauern in ihren Grundgefügen
würden einftürzen. - aber er hielt die Angeln der Thore.
Als er fah. daß das Shloß niht zufammenftürzte. ftand
der Drahe etwas verwundert ftill.
..Was heißt das?“ fagte er. ..Jh muß feit geftern fehr
ichwach geworden fein.“ Er ahnte niht. was feiner wartete.
Als er dann mit Mühe das Thor öffnete. bemerkte er
nicht den armen Jungen. fondern ging direkt auf den Kaifer
fohn zu. der todesmuthig mitten auf dem Hofe ftand. denn
fhließlih. was wollt Jhr? Drahe ift Drahe und niht ein
Mädhen im Weiberrock.
Wir wollen uns niht länger dabei aufhalten. wir
_187

wiffen ja. was gefhieht. wenn Drachen und Kaiferföhne


an einander gerathen. Sie begannen den Kampf. Der Kaifer
fohn war ein Held. aber auh der Drahe war der Jüngfte
von drei Brüdern! Sie fhlugen fih mit den Shwertern
wer weiß wie lange; als fie dann fahen. daß Einer den
Andern niht fo befiegen konnte. wurden fie handgemein. während
der arme Junge fih mühte. das Shloß aufreht zu halten.
damit es niht über ihrem Kopf einftürzte.
Als der arme Junge fah. daß feine Kräfte nahließen.
und daß Keiner den Andern unterkriegte. rief er laut: ..Pack'
ihn und fhleudere ihn. denn ih kann niht mehr.“
Darauf erfaßte der Kaiferfohn den Drahen. wie man
fo Jemand anpackt. fammelte alle feine Kräfte und warf ihn
zu Boden. daß ihm die Knohen knackten. und er bewußtlos
liegen blieb; darauf ergriff er eiligft die Fluht. lief durh
das halbgeöffnete Thor und zog auh den armen Jungen
nah fih; die Mauern ftürzten ein und all die großen und
fhönen Paläfte und begruben den Drahen fo zu fagen lebendig.
Nur der Thurm aus Glas. jetzt leer und verlaffen. ftand
noh da. das körperlofe Mädhen aber war aus ihm ver
fhwunden in dem Augenblick. als Niemand mehr da war.
der fie von den jenfeitigen Geftaden hätte rauben können.
Der arme Junge und der Kaiferfohn dankten dem Herr
gott. daß fie dies foweit hatten gut ausführen können. und
wanderten weiter und gingen und gingen. bis fie vor dem
Shloß des zweiten Drahen anlangten.
Schon von ferne fahen fie den Glasthurm und hörten
den Klagegefang; des armen Jungen Herz aber klopfte höher
und immer höher. weil er. je mehr er herankam. immer
deutliher die Stimme feiner Shwefter wiedererkannte.
-188

Als fie in das große und fhöne Shloß gelangten und


das Mädhen in dem Glasthurm fahen. ftürzten fih Beide
auf fie zu. um den Thurm einzubrehen und fie in den Arm
zu nehmen.
Aber fo leicht gingen die Sahen niht. Das Mädhen
im Glasthurm. welhes wirklih des armen Jungen Shwefter
war. fhaute fie verwundert an; als aber der arme Junge
ihr fagte. daß er gekommen wäre. um fie aus den Klauen
des Drahen zn befreien. antwortete fie ihm. daß fie ihn
niht kenne. und daß ihr Bruder ihm weder in Gefiht noh
Geftalt glihe.
Groß war des armen Jungen Trauer. als er fah. daß
feine Shwefter nihts von ihm wiffen wollte. nnd er war doh
ihretwegen durh fo viele Haiden gewundert. durch foviel Ge
fahren gezogen; aber feine Trauer wurde noch größer. als fie
zu klagen begann. daß fie fih vor Sehnfuht nach dem Drahen
verzehre. Der Drahe käme an jedem Tage. fagte fie. und be
trahte fie auh mit ungeftillter Sehnfuht. Doh hielte er fie
von einem Tage zum andern hin und verheirathefih nicht mit ihr.
Aber für den armen Jungen war es noh. erträglih.
war fie doh nur feine Shwefter; als der Kaiferfohn aber das
Mädhen fah. ihre Stimme hörte und ihre Liebe zu dem
Drahen bemerkte. wurde er. ih weiß niht wie. aber ganz
anßerordentlih wüthend.
„So! wenn Du niht kommen willft. werden wir Dih
mit Gewalt nehmen!“ fagte er. bereit das ganze Shloß anf
den Rücken zu nehmen und mit ihm auf das andere Geftade
zu flühten.
..Sahte. fahte.“ fprah das Mädhen. ..wenn es fih
darum handelte. fo brauhte ih nur einen Nagel aus diefer
189

Glaswand zu ziehen. um das ganze Shloß über Eurem


Kopf einftürzen zu laffen. Ih habe aber Mitleid mit Eurer
Jugend und rathe Euh. niht zu lange hier zu bleiben. weil
mein Verlobter Euh fonft antreffen könnte. und Ihr habt
Niemand. der über Euh wehklagen würde.“
Der arme Junge holte jeht fein Afhenbrot aus der
Reifetafhe und fagte:
..Shwefter. kofte nur von diefem Brote. und dann fage
noh. daß ih niht Dein Bruder bin!“
Sie ftreckte die Hand aus. und die Glaswände öffneten
fih; nahdem fie aber das Brot genommen und von ihm ge
koftet hatte. fühlte fie. das es mit ihrer Mutter Milh an
gerührt fei. und es überfiel fie ein Heimweh. daß man vor
Mitleid hätte weinen können. „Vorwärts“. fagte fie eilig.
..laßt uns entfliehen. denn wenn er uns hier findet. ah und
weh über Euer Haupt!“
Der arme Junge nahm fie in den Arm und küßte fie.
weil fie feine Shwefter war. der Kaiferfohn aber umarmte
und küßte fie auh. weil er - weil er doh fo ein Bruder
auf Leben und Tod von dem armen Jungen war!
Darauf verftändigten fie fih. mit diefem Drahen zu
verfahren wie mit feinem Bruder. fie warteten noh eine
Weile. empfingen den Drahen wie fih's gebührt. befiegten
.ihn und nahdem fie wieder Gott gedankt. daß fie dies auh
überftanden. mahten fie fih weiter auf. um auh die Kaifer
tohter zu befreien.
Jetzt kam es aber darauf an. Die Kaifertohter wollte
durhaus niht von ihnen befreit fein und der Kaiferfohn hatte
nihts bei fih. kein Abzeihen. an dem fie ihn als Bruder
hätte erkennen können. Vergebens fagte ihr der arme Junge.
190

daß wenn fie niht gutwillig käme. er fie mit Gewalt nehmen
würde. denn fie hielt die Hand an dem gefährlihen Nagel.
und es war keine Möglihkeit fie zu befänftigen.
Das follte alfo heißen. daß es ihnen an den Kragen gehen
würde. wenn fie den Drahen abwarteten. denn fie waren zwei.
nur zwei Perfonen. und wenn der Eine das Shloß an den
Angeln des Thores hielt. der Andere den Drahen mitten
im Hof erwartete. war Keiner da. der fie vor dem bewußten
Nagel befchühen könne.
..Laß mih nur“. fagte der arme Junge. der feitdem
er die Kaifertohter gefehen ganz ih weiß niht wie geworden
war. außerordentlih wüthend. ..Entweder ih ihn. oder er mih!“
Wie man fie'ht. hatte er fih entfhloffen. den Drahen
fogar auf freiem Felde zu bekämpfen. wo er ihn niht fehen
konnte. eine unerhörte Sahe. feitdem die Märhenprinzen
mit Drahenkindern kämpfen; denn wenn es fhwer ift. einen
Drahen zu befiegen. fo ift es doppelt fhwer. ihn. wenn er
unfihtbar ift. zu befiegen. und daran hatte auh noh nie
.Jemand gedaht.
Der Kaiferfohn und des armen Jungen Shwefter ver
fteckten fih darum in einen Graben neben dem Shloß. damit
'der Drahen fie niht fähe; der arme Junge aber ftellte fih
ein bischen an's Thor und wartete. daß der Drahen feinen
Streitkolben würfe. damit er gezwungen wäre. fih-ihm zu
nähern. denn wenn er keinen Streitkolben mehr hätte. würde
»er gezwungen fein. entweder mit dem Shwerte oder mit der
,Fauft zu kämpfen.
Viel Zeit verging niht. bis krah! der Streitkolben
an das eifenbefhlagene Thor fhlug. aber auh der arme
Junge war nicht faul. er fhlug auf das andere Thor ein
-191

und rannte mit dem Thor und Allem heraus und ließ das
Shloß hinter fih zufammenftürzen.
..Komm'. wenn Du den Muth haft. jeht zum Borfhein“.
rief er darauf und glaubte. daß der Drahe etwas antworten
wiirde und fih dabei verrathen, .
Der Drahe aber fühlte. daß er feinen Mann gefunden
habe. und dahte garniht daran zu fprehen. fondern näherte
fih unfihtbar. zog das Shwert heraus und zückte es gerade
nah des armen Jungen Kopf. um ihn abzuhauen. aber der
Hieb theilte nur feinen Kinnbacken in zwei Theile.
Das fhmerzte den armen Jungen. aber es freute ihn
auh. weil er jetzt wußte. wo er feinen Feind zu fuhen
habe; fo ftürzte er fih auf die Gegend los. aus der ihm
der fhwere Shlag gekommen war. und fhlug zu und fühlte.
daß er in's Fleifh getroffen. und fhlug wieder und fühlte
wieder. daß er getroffen hatte. und fo fü'hrte er kleine. fhnelle
Stöße. mit denen er den Drahen vor feines Shwertes
Spiße hertrieb. Plößlih aber fühlte er. daß er niht mehr
traf. daß der Drahe feinem Säbel entronnen fei. und er
blieb zufammengekauert. wie der. der niht weiß. woher ihm
jeht der Shlag kommen wird. ftehen.
Der Drahe zielte noh einmal gerade auf den Kopf
des armen Jungen. und wie er zuhaute. fhlug er ihm das
rehte Ohr ab.
..Das werde ih Dir heimzahlen“. rief der arme Junge
und ftürzte fih von Neuem auf ihn. Jetzt waren aber feine
Kräfte fhon fehr gefhwäht. und er traf den Drahen nur
hin und wieder und verlor ihn nah kurzer Zeit aus Säbelweite.
Die Kaifertohter fah von oben ihrem Kampfe zu aus
dem heil gebliebenen Thurm. und wie fie fhaute. wunderte
-- 192 -

fie fih über des armen Jungen Heldenmnth; jeht aber. als
fie fah. daß der Drahe den dritten Schlag nah des armen
Jungen Kopf rihtete. rief fie: ..Lieber Held. wende Dih
nah rehts und fpeie dreimal aus. damit Du ihn mit Augen
fehen kannft.“
Als der arme Junge dies hörte. fühlte er fih hundert
und taufendmal ftärker. als er gewefen war. und wie er fih
nah rehts wandte und ansfpie und den Drahen erblickte.
ftürzte er fih auf ihn; nmfaßte ihn mit feinen Armen und
drückte ihn fo. daß er ihm die Knohen zerquetfhte und ihn
dann maufetodt wegfhleudcrte.
Darauf verloren der Kaiferfohn und der arme Junge
keine Zeit mehr. fondern mahten fih reifefertig. Die Kaifer
tohter küßte den armen Jungen und augenblicklih heilte das
Ohr an und das Kinn zu. fo daß er noch fhöner als zuvor
war. Darauf gingen der arme Junge und der Kaiferfohn
in die Ställe des Drahen. die fih verfteckt unter den Grund
veften des zufammengeftürzten Shloffes befanden. ein Jeder
nahm ein bezaubertes Pferd. beftieg es. hob feine Braut
darauf. und fo eilten fie nah Haufe.
Wäre der rothe K aifer nur ein gewöhnliher Menfh gewefen.
würde er fih fchon gefreut haben. er war aber außerdem ein
Kaifer! Er theilte fein Reih zwifhen feinen Sohn und feiner
Tohter Gemahl; darauf ging der armeJunge und 'holte fih feine
arme Mutter. und nahdem auh fie gekommen war. wurde
eine Hohzeit hergerihtet. Himmel! was für eine Hohzeit.
von der die Leute reden werden. fo lange die Welt fteht.
Jh fhwang mih in den Sattel dann.
Damit ih's Euh erzählen kann.
-' 193 _

xu,

hir Wir mul cluf Kür.

Es war einmal ein Alter und eine Alte. die hatten bis
in ihr Alter niht ein einziges Kind gehabt. und das
kam ihnen fhwer an. weil fie gar keine Hülfe hatten. niht
einmal um das Feuer anzumahen; denn wenn fie vom
Felde kamen. mußten fie zuerft damit beginnen. Feuer anzu
zünden. und dann das Effen herrihten.
Eines Tages. als fie fih fo mühten und mit einander
beriethen. befhloffen fie. fih nah Kindern umzufehen. was
dann auh gefhah.
Der Alte fhlug einen Weg ein. die Alte einen andern.
um irgendwo ein Kind zu finden.
Der Alte traf auf feinem Wege einen Hund. die Alte
eine Maus. Als fie einander begegneten. fragte die Alte:
..Alter. was haft Du gefunden?“
„Ein Hündhen! Und Du. Alte?“
..Ein Mäushen.“ -
Sie kamen jeßt überein. das Mäuschen als Kind an
zunehmen und das Hündhen fortzujagen. und fo kehrte der
Alte mit der Alten und dem Mäuschen vergnügt nah Haufe
zurück. weil fie nun gefunden. was fie gefuht. nämlih ein Kind.
Zu Haufe angelangt. begann die Alte Feuer anzumahen;
dann fehte fie den Topf mit faurer Buttermilh zum
13
- 194 *

Kohen auf und ließ das Mäushen zurück. Es follte auf


paffen. daß der Topf niht in's Feuer fiele; darauf ging fie
dem Alten nah zur Feldarbeit.
Nahdem fie fortgegangen war. kohte die Suppe und
fprißte aus dem Topfe heraus; da fing das Mäushen. welhe-s
auf dem Heerd faß. zu fprehen an:
..Süppchen. fpring' niht auf mih los. fonft fpring' ih
auf Dih.“ Die Buttermilch aber hörte niht darauf und
fprihte immerfort heraus. Als das Mäuschen das fah.
ärgerte es fih und fprang ftracks in den Topf.
Als die Alten vom Hacken kamen und in's Haus traten.
riefen fie ihr Kind. aber nirgends ein Kind! Nahdem fie
es längere Zeit gefuht hatten und es niht fanden. fehten
fie fih fehr traurig zu Tifh. um zu effen. Sie aßen jedoh -
mit großer Luft. bis die Alte. wie fie die Shjiffel leerte.
auf dem Boden was fand? Das Mäuschen. ihr Kind.
todt! Sie begann zu fagen:
..Alter. Alter. hier ift's. unfer .Kind hat fih in der Butter
milh ertränkt.“
..Aber wie ift das möglih. Alte!“ entgegnete der bär
tige Alte.
Als fie diefes fhrecklihe Ereigniß fahen. begannen fie
bitter weinend es zu beklagen. und der Alte fing an aus
Trauer fih den Bart zu zaufen. die Alte aber das Haupthaar.
Der Alte trat mit Thränen in den Augen und zerzauftem
Bart aus dem Haus; auf dem Baum aber vor dem Haufe.
auf einem Zweige faß eine Elfter. und die fragte ihn.
wie fie ihn erblickte:
..Warum haft Du Deinen Bart zerzauft. Alter!“
..Ah. mein Liebling. wie foll ih mir niht die Haare

7.»
WFK
/
_-195

aus dem Bart reißen. wenn mein Kindhen fih in dem


Topf mit Suppe ertränkt hat und todt ift?“ .
Als die Elfter dies hörte. riß fie fih auh alle Federn
aus und behielt nur den Shwanz.
Die Alte mahte fih mit kahlem Kopf zum Brunnen
auf. um einen Krug Waffer zu holen. in dem fie ihr ber
ftorbenes Kind baden wollte.
An diefem Brunnen ftand ein Mädhen mit Krügen.
um Waffer zu holen; als fie die Alte erblickte. fragte fie: ,
..Alterhen. warum haft Du Dir die Haare vom Kopf
geriffen und Dih ganz kahl gezauft?“
..Ah. mein Liebling. wie foll ih mir die Haare niht
zaufen und mih kahlköpfig raufen. wenn mir mein Mäus
hen geftorben ift?“
Das Mädhen brah vor Trauer feine Krüge entzwei.
dann eilte es zur Kaiferin. um es ihr zu fagen; diefe ftürzte.
fowie fie es hörte. vom Balkon herab. brah fih einen Fuß
und ftarb. der Kaifer aber. aus Liebe zur Kaiferin. ging
davon und wurde Mönh im Lügenklofter. jenfeits der Wahr
heiten; ih aber
Bekanntfhaft mit den Großeltern mahte.
Denen ih diefes Märheu brahte;
Doh ihnen fhien's gar klein. fie lahten
Wenn fie noch wieder daran dahten.

18*
_196

Lil),

her Wii-entfernen.

Es war einmal. wie's keinmal war. wäre es niht


gewefen. würde es niht erzählt.
Es war einmal ein Nihtsnuh. der war fo arm und
dürftig. daß er niht einmal fo viel zu effen hatte. um Waffer
darauf trinken zu können. Nahdem er dnrh alle Länder
gewandert war. kehrte er etwas vernünftiger heim. Er war
in der Fremde durch viele Nöthe durchgefhlüpft. hatte mit
dem Kopf an die obere Thürfhwelle geftoßen.- war durh
das grobe und das feine Sieb gefiebt worden. Er hätte
jetzt auch gern irgend ein Handwerk ergriffen. aber er hatte
kein Geld. Eines Tages fand er drei Erbfenkörner. Nah
dem er fie von der Erde aufgehoben hatte. nahm er fie in
die flache Hand. fhaute fie an. dahte lange nah. dann fagte
er lahend: ..Wenn ih diefe Körner in die Erde ftecke. habe
ih in einem Jahre hundert; wenn ih nahher die Hundert
einpflanze. werde ih taufend haben. ftecke ih auh diefe
Taufend in die Erde. gewinne ih wer weiß wie viele! Wenn
ih dann in der Weife fortfahre. werde ih fhließlih ein
reicher Mann. Damit ich dem Reihthum aber nahhelfe.
daß er fhneller kommt. - laß mih nur machen!“
Er ging darum zum Kaifer und bat ihn. im ganzen
_197

Reih für ihn Fäffer zu beftellen. in die er feine Erbfen thun


könnte.
Als der Kaifer hörte. daß er fo eine Unfumme von
Fäffern branhte. glaubte er. er fticke im Gelde. Der Kaifer
überzeugte fih immer mehr davon. daß er reih fein müffe.
als er fih mit ihm in ein Gefpräh einließ. Was wahr
ift. muß wahr bleiben. er war niht auf den Mund gefallen;
er fhnitt auf und prahlte. daß man glaubte. feinem Munde
entfielen eitel Perlen.
Er erzählte dem Kaifer. was er in fremden Ländern gefehen.
fagte. wie es da und dort fei. fprah von Allem und Jedem.
daß der Kaifer mit offenem Munde vor ihm ftehen blieb.
Als er aber fah. daß der Kaifer fih fo über feine Ausfagen
- wunderte. prahlte er immer mehr. fagte. daß er Paläfte habe
in anderen Ländern. Viehheerden und andere Reihthümer.
Der Kaifer glaubte den Erzählungen des Prahlhans;
dann fagte er ihm:
..Ih fehe. daß Du gereift bift. viel weißt. fhlau und
gerieben bift; wenn Du willft. gebe ih Dir gern meine
Tochter zur Frau!“
Der Prahlhans bereute jeht. dem Kaifer fo viel Ungeheuer
lihes gefagt'zu haben. denn nun wußte er niht. wie er dem
Vorfhlage des Kaifers entgehen follte. Nahdem er fih
aber etwas befonnen. faßte er fih ein Herz und fagte: ..Ih
nehme mit Freuden die Shwiegerfohnfhaft an. die Ihr mir
anbietet. erlauhter Kaifer. und ih werde mih bemühen.
Euh zn zeigen. daß ih ihrer würdig bin.“ _
Man traf die nöthigen Vorbereitungen. und nah
einiger Zeit wurde eine kaiferlihe Hohzeit im Hofe des
Palaftes gefeiert. Dann blieb unfer Mann dort.
-198

Eine Wohe verging. zwei. mehrere Wochen vergingen.


und keine Ahnung von Erbfen und Reihthum kam zum
Vorfhein. Shließlih fing der Kaifer an. zu bereuen. was
er angerihtet hatte. aber es war nihts daran zu ändern;
der Shwiegerfohn des Kaifers aber verftand aus dem Be
trägen. das die Herren und Diener des Hofes gegen ihn
annahmen. daß fie ihn gering fhäßten.
Jhm brannten die Wangen vor Sham. Troß alledem
machte er lauter Pläne. quälte fih herum. wie er aus der
Klemme kommen möhte. und konnte niht einmal Nahts
fhlafen. Eines Morgens brah er beim Frühgrauen aus
dem Palafte auf. ohne daß Jemand etwas davon wußte.
Er ging. bis er auf eine Wiefe gelangte. und wanderte fo in
Gedanken. ohne zu wiffen wohin. Plöhlih ftand ein roth
wangiger Mann vor ihm und fragte ihn: ..Wohin gehft Du
denn. Gevatter. fo in Gedanken und traurig. als ob Dir
alle Shiffe auf dem Meere untergegangen wären?“
Er geftand ihm die Bewandtniß. die es mit ihm habe.
und auh was er fuhe. Darauf erwiderte ihm der rothe
Mann:
..Wenn ih Dih aus der Klemme. in der Du fitzeft. be
freie. was giebft Du mir?“
..Was Du von mir verlangft“. entgegnete er.
..Wir find neun Brüder“. erwiderte der rothe Mann.
„und Jeder von uns weiß ein Räthfel. Wenn Du fie räthft.
foll unfer ganzes Vermögen Dein fein. wenn aber niht. folk
das erfte Kind. das Du bekommft. uns gehören.“
Der arme Shwiegerfohn des Kaifers. ganz zerknirfht
vor Sham. ging darauf ein. fo fhwer es ihm ankam. in
- 199

der Hoffnung. daß fih Jemand finden würde. ehe das Kind
zur Welt käme. der ihm fagen könnte. was er thun folle.
So mahten fie fih auf. damit der rothe Mann ihm
die Viehheerden zeige. die er befaß. und feine Paläfte. _die
niht fern davon lagen. Darauf brahten fie den Kuhhirten.
Shweinehirten. Shäfern und Knehten bei. was fie zu fagen
hätten. wenn Jemand fie frage. wem die Heerden gehörten.
Des Kaifers Shwiegerfohn kehrte darauf in den
Palaft zurück und fagte. daß er feine Frau am folgenden
Tage in fein Haus führen würde. Unterwegs aber auf dem
Felde begegnete er , einem alten Manne. "Als er fah.
wie alt und fhwah derfelbe war. hatte er Mitleid mit
ihm und wollte ihm ein_ Almofen geben. Der Alte nahm
nihts an. bat ihn aber. ihn in feinen Dieuft treten
zu laffen. es wiirde fein Shadeu niht fein. Er fagte
ja. Als der Kaifer hörte. daß fein Shwiegerfohn fih in
fein eigenes Shloß begeben wollte. gab er vor Freuden den
Befehl. Alles großartig herzurihten. um ihn mit kaiferlihen
Ehren zu begleiten.
Am folgenden Tage war daher der ganze Hof voll
Herren. Soldaten und allerhand Gefolge, Alle Reifevorbe
reitungen hatte der alte Mann getroffen. der in die Dienfte
des Kaiferfhwiegerfohnes getreten war; er fagte. er fei der
Haushofmeifter des Erbfenkaifers. und Alle lobten ihn wegen
feiner Mannhaftigkeit. Würde und feines Fleißes.
Der Kaifer war guter Dinge und mahte fih mit der
Kaiferin. dem Erbfenkaifer und deffen Frau nah den Be
fihungen feines Shwiegerfohnes auf. Der alte Kneht ging
voran und brahte Alles. was nöthig war. in gute Ordnung.
Nur der arme Erbfenkaifer war bleih und muthlos. als
_200_

hätte ihn Jemand mit kohendem Waffer begoffen, Er


dahte an die Rät'hfel und wie er fie entziffern könne.
Sie fuhren und fuhren. bis fie an die Ebene kamen,
.Hier war eine Wiefe gar fhön anzufehen. hinter ihr ein
Hain wie ein Paradies. Als der Feldwähter ihrer anfih
tig wurde. trat er an den Weg mit der Mühe in der Hand.
..Wem gehören diefe Ländereien. mein Freund?“ fragte
der Kaifer.
..Dem Erbfenkaifer“. antwortete der Wähter.
Der Kaifer wurde vor Freude fett. er glaubte nun wirk
lih. daß fein Shwiegerfohn kein Bettler fei. Sie fuhren
noch ein Stück. als fie auf eine Unmenge von Heerden mit
allerhand Vieh ftießen; alle Hüter nah einander fragte er.
wem fie gehörten. und Alle antworteten: dem Erbfenkaifer.
Als fie aber au die Paläfte der neun Drahen kamen.
erftaunte der Kaifer ob ihrer Großartigkeit. Alles war an
feinem Fleck. Am Thor wurden fie von einer Mufikbande
empfangen. die fo fhöne Lieder fpielte. wie er fie noh nie ge
hört. Jnwendig war der Palaft mit lauter koftbaren Edel
fteinen verziert. - Eine großartige Tafel wurde für fie in der
Eile hergerihtet. und fie tranken auh von dem unfterblihen
* Wein.
Nahdem der Kaifer feinem Söhne alles Glück gewünfcht
hatte. kehrte er in feine Burg zurück. ganz liiftern nah dem
Befiße und den Reihthümern feines Shwiegerfohnes. Der
Erbfenkaifer aber verging rein vor Angft.
Der Abend kam. Der alte Diener fagte feinem Herrn:
..Herr. was Du bis jetzt. feitdem ih Dir diene. von
mir haft fehen können. wird Dih von meiner Treue über

»W
- 201 m
zeugt haben. Ieht fage-ich Dir. daß ih Dir noch größere
Dienfte leiften kann.“
„Sprihft Du wahr. Alter?“ fragte der Erbfenkaifer.
.,Zweifle niht daran. keinen Augenblick. Herr! Um
eines bitte ih Dih noh: laß mih diefe Naht in irgend
einem Eckhen des Zimmers. in dem Du fhläfft. zubringen.
fei's auh hinter der Thür. Ferner rathe ih Dir. antworte
niht ein Wörtlein. wer Dih auh mit Namen ruft. oder
wie groß der Lärm auch fei. der gemaht wird.“
..So foll es fein!“ fagte der Erbfenkaifer. Und fo
gefchah es auh.
*Nahdem fie fih niedergelegt und das Liht gelöfht
hatten. hörten fie ein dumpfes Geräufh wie das eines fih
nähernden Unwetters. Dann fagte eine heifere. rauhe Stimme:
..Erbfenkaifer. Erbfenkaifer !“
..Was wünfchft Du?“ entgegnete der Alte.
..Dih rufe ih niht“. antwortete es. ..ih rufe den
Erbfenkaifer.“
..Das ift ganz dasfelbe“. erwiderte der Alte. ..mein
Herr fhläft. er ift müde“.
Darauf hörte man den Lärm vieler Stimmen. als ob
fih Jemand zankte! Dann vernahm man wiederum die erfte
Stimme: ..Erbfenkaifer. Erbfenkaifer!“
..Was giebt's ?“ erwiederte der Alte.
..Was ift Eins?“
..Der Mond ift Eins“.
..Du bift's. Herr?“
..Berfte. Teufel!“
Darauf hörte man ein Wehklagen. als ob die ganze
Hölle draußen wäre. und eine andere Stimme fagte:
-- 202 -

..Was ift zwei?“


„Zwei Augen im Köpfe fehen gut.“
..Du bift's. Herr?“
..Berfte. Teufel l“
..Was ift drei?“
..Wo drei erwahfene Töhter im Haufe find. fieh Dih
vor. den Kopf hinein zu ftecken!“
..Du bift's. Herr?“
..Berfte. Teufel.“
..Was ift vier?“
..Der Karren mit vier Rädern geht gut.“
..Du bift's. Herr?“
..Berfte. Teufel!“
..Was ift fünf?“
..Fünf Finger an der Hand treffen gut.“
..Du bift's. Herr?“
..Berfte. Teufel!“
. Darauf hörte man wieder ein Geräufh wie von Don
nern und Blihen. das Haus fhwankte. als ob die Erde
bebte. Und wiederum ein Gefhrei nah dem Erbfenkaifer,
Diefer aber wurde immer kleinlauter und holte niht einmal
mehr Athem. Er fchwieg rein ftill. Der Alte antwortete
auh diesmal. Darauf fragte eine andere Stimme:
..Was ift fehs ?“
..Die Flöte mit fehs Löchern bläft gut.“
..Du bift's. Herr?“
..Berfte. Teufel!“
..Was ift fieben?“
..Wo fieben Brüder find. mifh Dih niht in ihre An
gelegenheiten t“
_203

..Du bift's. Herr?“


..Berfte. Teufel!“
..Was ift aht?“
..Der Pflug mit aht Ohfen davor pflügt das Erdreih
gut um!“
..Du bift's. Herr?“
..Berfte. Teufel!“
..Was ift neun ?“
..Wo neun erwahfene Töhter im Haufe find. bleibt
das Haus ungefegt.“
..Du bift's. Herr?“
..Berfte. Teufel!“
Der Erbfenkaifer. der dies Alles hörte. konnte die
ganze Naht niht fhlafen. felbft als es fo ftill wurde. daß
man eine Fliege fummen hören konnte; er wartete auf den
Tag. wie der Todte auf die Todtenfpeife.
Am nähften Morgen. als er aufftand. war der Alte
verfhwunden. Er trat aus dem Haufe. was fah er? Neun
geborftene Leihen der rothen Männer. die er den Raben
zum Fraß gab. Wie er nun Gott dankte. daß er ihn er
löft und aus der Shande befreit habe. hörte er eine füße
Stimme fagen:
..Daserlöft.
hat Dih Mitleid.
Sei das Du barmherzig.“
immer mit den Armenj gehabt haft.
- 204

ALU.

'Yen :Morgen-nern uncl tler Yfbemlrtern.

Es war einmal. wie's keinmal war. wäre es niht


gewefen. würde es niht erzählt!
Es war einmal ein Kaifer und eine Kaiferin. die hatten
keine Kinder. Darum fuhten fie alle Zauberer und Hexen
auf. alle alten Weiber und Sterndenter. aber ihrer Aller Kunft
wurde zu Shanden. denn Keiner wußte ihnen zu helfen.
Shließlih legten fie fih auf's Faften. auf's Beten und
Almofengeben. bis eines Nahts der Herrgott. der fih ihres
Eifers erbarmte. der Kaiferin im Traume erfhien und ihr
fagte: ..Jh habe Euer Gebet erhört und will Euh ein Kind
fchenken. wie kein anderes auf der Erde ift. Morgen folk
der Kaifer. Dein Mann. mit der Angel an den Bah gehen.
und den Fifh. den er fängt. bereite Du mit eigener Hand
zu und dann eßt ihn.“
Es war noch niht ordentlih Tag geworden. als die
Kaiferin zum Kaifer ging und ihn aufweckte. indem fie fagte:
..Kaifer. fteh auf. es ift Tag geworden.“
..Aber Fran“. antwortete der Kaifer. ..was haft Du
heute. daß Du mih fo früh weckft? haben etwa die Feinde
die Grenzen meines Reihes überfhritten ?“
..Um Gottes Barmherzigkeit willen. von fo etwas habe
W7“ i

- 205

ich nihts gehört. aber horh7 auf. was ih geträumt habe.“


Und fie fagte ihm ihren Traum.
Als der Kaifer das hörte. fprang er aus den Betten.
zog fih an. nahm die Angel und ging keuhend zum Bah.
Er warf die Angel. und es verging nur kurze Zeit. bis er
fah. wie fih der Kork der Angelfhnur bewegte. Er zog die
Angel heraus. und was erblickte er? Einen großen Fifh.
der war ganz und gar aus Gold! Es war ein Wunder.
daß er vor Freude niht umfiel. Was fagte aber die Kaiferin.
als fie ihn fah? Sie war noh mehr außer fih!
Die Kaiferin bereitete den Fifh felbft. mit eigner Hand
zu. fie aßen ihn. und augenblicklih fühlte fie fih Mutter.
Die Dienerin. die den Tifh abdeckte. fah auf dem Teller
der Kaiferin eine Fifhgräte; da kam es ihr in den Sinn. daran
zu fangen. damit fie doh auh wiffe. wie Speifen fhmecken.
die eine Kaiferin bereitet hat.
Wie fie-an der Gräte faugte. fühlte auh fie fih all
fogleih Mutter.
Nah neun Monaten gebar die Kaiferin am Tage einen
fhönen Knaben. fhön wie ein Engelhen. In der Naht
gebar die Dienerin einen Knaben. der fah genau fo aus wie
der Kaiferin Sohn. fo daß fie niht von einander zu unter
fheiden waren. Das Kind der Magd glih ganz dem der
Kaiferin! Den Kaiferfohn nannte man Bufujokk). den Sohn
der Magd Simiiiok.*k)
Sie wuhfen zufammen auf und wurden groß. man gab
ihnen Unterriht. und fie lernten in einem Tage. was andere

*) Bufujok: Bafiliumkraut,
**) Siminok: Eeapbaliom, Kahenpföthen.
*206

Kinder in einem Jahre lernen. Wenn fie im Garten fpielteu.


fhaute ihnen die Kaiferin vom Fenfter aus mit Freuden zu.
Sie wurden groß und ähnelten fih fo. daß man nie
wußte. welher der Kaiferfohn und welher der Magd Sohn
war. Jhre Haltung war ftolz. Beide hatten Liebreiz. ihre Rede
war einfhmeihelnd. und Beide waren muthig. gar zu muthig!
Eines Tages befhloffen fie auf die Jagd zu gehen.
Die Kaiferin aber quälte fih immerfort. woran fie ihren
Sohn erkennen könne. denn da die Gefihter fih-glihen und
auh die Kleidung diefelbe war. konnte fie oft. den Einen nicht
vom Andern unterfheiden. Sie gedachte nun ihrem Sohn
irgend ein Abzeihen zu mahen. Darum rief fie ihn. und
indem fie fih ftellte. als fuhe fie was an feinem Köpfe.
knotete fie ihm zwei Haare zufammen. ohne daß er etwas
merkte. Darauf gingen fie auf die Jagd.
Sie eilten wohlgemuth durh die grünen Felder und
jagten fih wie die Lämmlein; pflückten Blümhen. beneßten
fih mit Thau. fahen die Shmetterlinge fliegen und von
Blume zu Blume fih wiegen. wie die Bienen Wahs fam
melten und Honig anhäuften. und ergöhten fih über die
Maaßen daran. Dann gingen fie an den Brunnen. tranken
Waffer. um fih zu erquicken. und fhauten unerfättlih auf
den Himmel. der fih in der Ferne zur Erde niederließ.
Sie hätten bis an's Ende der Welt gehen mögen. um den
Himmel in der Nähe zu betrahten. oder wenigftens fo weit.
bis fie an die Stelle kämen. wo die Erde ganz fhwammig
wird. ehe fie aufhört.
Dann gingen fie in den Wald. Als fie die Shönheiten
des Waldes fahen. blieben fie mit offenem Munde ftehen.
Bedenkt. daß fie von all dem nihts gefehen hatten feitdem
207

fie auf der Welt waren. Wenn der Wind wehte und die
Blätter bewegte. horchten fie auf ihr Gefäufel. und ihnen
fhien es. als ob die Kaiferin einherginge und ihr Seiden
kleid nach fih fhleppte. Dann fehten fie fih auf das weiche
Gras in den Shatten eines großen Baumes. Hier fingen
fie an zu überlegen und fih zu berathen. wie fie die Jagd
beginnen follten. Sie wollten nur wilde Beftien erlegen.
Die Vögel. die um fie herumhüpften und fih auf die Zweige
des Baumes fetzten. beachteten fie gar niht; ihnen that es
leid. fih mit ihnen abzugeben. aber ihrem Gezwitfher hörten
fie gern zu. Es war. als ob die Vögel etwas davon merkten.
denn fie hatten keine Shen. fondern fangen fogar. als follte
ihnen die Kehle zerfpringen; die Nahtigallen flöteten aber nur
aus dem Kropfe. damit ihr Gefang füßer fei. Und als fie
fo daftanden und fih berathfhlagten. überkam den Kaifer
fohn folh eine Mattigkeit. daß er niht aufreht ftehen konnte.
und er legte feinen Kopf in Siniinokis Shoß und bat ihn.
ihm ein wenig den Kopf zu krauen.
Nahdem er ihm gekraut. was zu trauen war. hielt
Siminok damit ein und fagte:
..Was ift das auf Deinem Kopf. Bruder Bufujok?“
..Was foll da fein? Weiß ih. wonah Du fragft. Bruder
Siminok?“ .
..Shau mal an“. entgegnete Siminok. ..zwei Haarfträhneu
auf Deinem Kopfe find zufammengeknotet.“
..Wie ift das möglih?“ fagte Bufujok. Dies ärgerte
Bufujok nun fo. daß er befhloß. in die weite Welt zu gehen.
..Bruder Siminok“. fagte er. ..ih gehe in die weite
Welt. weil ih niht begreifen kann. warum die Mutter mir
zwei Haare verknotet hat. als fie mir am Kopf herumfuhte!“
-- 208 »
..Hör'. Bruder Bufujok“. entgegnete ihm Siminok. ..nimm
Verftand an und thu fo etwas niht; denn wenn die Kai
ferin das Haar geknotet hat. glaub' doh niht. daß es in
böfer Abfiht gefhah!“
Bufujok aber blieb unwandelbar bei feinem Entfhluße.
und als er Abfhied von Siminok nahm. fagte er ihm;
..Nimm dies Tuh. Bruder Siminok. wenn Du drei
Blutstropfen auf ihm fiehft. dann wiffe. daß ih todt
bin.“ -
..Möge der Herr Dir beiftehen. Bruder Bufujok. daß es
Dir wohl ergehe; ih aber bitte Dih noh einmal. bei meiner
Liebe. bleib!“ *
..Unmöglih“. entgegnete Bufujok.
Dann umarmten fie fih und Bufujok mahte fih auf
den Weg; Siminok aber blieb und fhaute ihm begierig nah.
bis er ihn aus den Augen verlor.
Siminok kehrte nah Haufe zurück und erzählte Alles.
was fih zugetragen hatte.
Die Kaiferin war außer fih vor Herzeleid. Sie rang
die Hände und weinte. daß Gott fih erbarme! Aber fie wußte
nihts zu thun und tröftete fih etwas dnrh Siminok's An
blick. Nah einiger Zeit holte diefer das Tuh heraus.
fhaute es an und fah drei Tropfen Blut darauf. Da
fagte er:
..Ah. mein Bruder ift geftorben! Jh gehe hin. um
ihn zu fuhen.“ -
Und er nahm fih Reifezehrung mit und mahte fih
auf. um ihn zu fahen. Er kam durh Städte und Dörfer.
durhmaß Felder und Wälder. wanderte und wanderte. bis
er an ein kleines Hans kam. Dort begegnete er einer alten
-209

Frau. und die frug er nah feinem Bruder. “Die Alte fagte
ihm. daß derfelbe der Shwiegerfohn des Kaifers. der in'
jenen Gegenden 'herrfhe. geworden fei. - '
Als Siminok an den Palaft diefes Kaifers gelangte.
glaubte deffen Tohter. fowie fie ihn erblickte. daß er ihr
Gemahl fei. und lief ihm entgegen. Er fagte: ..Ih bin der
Bruder Deines Gemahls; ih habe gehört. daß er umge
kommen ift. und bin hier. um über feinen Aufenthalt etwas
zu erfahren.“
„Das kann ih niht glauben!“ fagte die Kaifertohter.
..Du bift mein Gemahl. und ih weiß niht. warum Du Dih
jeßt verftellft. Jft meine Treue etwa auf eine Probe ge
ftellt worden. und habe ih Dih hintergangen ?“
..Nihts von alledem. Sondern ih fage Dir mit reinem
Gewiffen. daß ih niht Dein Gemahl bin.“
Sie wollte das durhaus niht glauben. Da fagte er:
..Der Herrgott foll die Wahrheit beweifen. Wer von
uns beiden im Jrrthum ift. den foll das Shwert. das dort
am Nagel hängt. einkerbeu.“
Und augenblicklih fprang das Shwert herab und ver
lehte das Mädhen am Finger. Darauf glaubte fie ihm
denn und bewirthete Siminok. wie es ihm gebührte. _
Am nähften Tage erfuhr er. daß Bufujok auf die
Jagd gegangen und noh niht heimgekehrt fei, So beftieg
er auh ein Pferd. nahm Windhunde und ritt feinem Bruder
nah. in die Gegend. in die er gegangen war. Er ritt und
ritt und gelangte in einen Wald. wo er der Waldhexe be
gegnete. Sowie er fie erblickte. er ihr nah und verfolgte
fie! Sie entfloh. er ihr nah. bis die Waldhexe einfah. daß
14
..x-ar:- »

21()

fie keinen Ausweg hatte. fih auf einen hohen Baum fhwang
und fo entkam.
Siminok ftieg ab. band das Pferd an einen Baum.
mahte Feuer an. holte die Eßwaaren heraus und begann
am Feuer gelagert zu effen. wobei er den Windhunden auh
immer etwas zuwarf.
..O weh. o weh. mir ift fo kalt“. fagte die Waldhexe.
..mir klappern die Zähne.“
..Steig herab“. entgegnete ihr Siminok. ..wärme Dih
am Feuer.“
..Jh ängftige mih vor den Hunden“. fagte fie,
..Fürhte Dih niht. die thun Dir nihts.“
..Wenn Du mir einen Gefallen thun willf ““. fagte fie.
..nimm eine Strähne meines Haarzopfs und binde Deine
Hunde damit feft!"
Er fteckte die Haarfträhne in's Feuer.
..Pfui. wie fhleht rieht die Strähne. die ih Dir ge
geben und die Du in's Feuer gefteckt haft!“
..Mah'. daß D11 von hier fortkommft“. antwortete ihr
Siminok ..und fhwahe niht mehr Unfinn. Einer der Wind
hunde ift mit dem Shwanz ein] Bishen an's Feuer ge
kommen und hat fih angefengt. darum rieht es fo fhleht.
Wenn Du frierft. komm herab und wärme Dih. wenn nicht.
halt Deinen Shnabel und laß mih in Ruh.“
Da glaubte fie ihm. ftieg herab. näherte fih dem Feuer
und fagte:
..Jh habe Hunger!“
..Was foll ih Dir zu effen geben? Nimm. was Du
willft von dem. was ih habe.“
_211

..Jh möhte Dih verfpeifen“. fagte die Waldhexe. ..mach'


Dih bereit!“ f
..Und ih will Dih verzehren“. antwortete Siminok.
Und er hehte die Hunde auf fie. damit fie fie zerreißen
follten.
„Halt“. fagte die Waldhexe. ..halt die'Hunde zurück.
daß fie mih niht zerreißen. dann will ih Dir Deinen
Bruder. mit Pferd und Hunden und Allem wiedergeben.“
Siminok rief die Hunde zurück.
Darauf fhluckte die Waldhexe dreimal auf und gab
Bufujok. das Pferd und die Windhunde aus fih heraus.
Siminok aber ließ nun feine Hunde auf fie los. und die
zerriffeu fie in kleine Stückhen. Als Bufujok zu fih kam.
wunderte er fih. Siminok da zu fehen. und fagte ihm: *
..Sei willkommen. wohl und munter. Bruder Siminok.
aber ih habe fehr lange gefhlafen!“
„Du hätteft gut fo lange fhlafen können. wie die Welt
und die Erde. wenn ih nicht gekommen wäre!“ entgegnete
er ihm.
Dann erzählte Siminok ihm Alles. was fih zugetragen
hatte von ihrer Trennung bis zu dem Augenblicke.
Bufujok aber beargwöhnte ihn; er meinte. daß Siminok
feiner Fran .Liebe gewonnen habe. und wollte ihm niht
glauben. als er ihm die Wahrheit geftand. daß ihm folhe Ge
danken niht einmal durh den Sinn gezogen feien, Er wurde nun
wie toll. da er einmal begonnen hatte. auf feine Frau eiferfühtig
zu fein! Und weil er ihm böfe Gedanken unterlegte. kam er mit
Siminok überein. daß fie fih und ihren Pferden die Augen
zubinden wollten. dann diefelben befteigen. ihnen freien Lauf
laffen. und daß fie fie hinführen follten. wohin fie wollten.
14 *
_212

So gefhah es. Als Bufujok ein Wimmern hörte. hielt


er fein Pferd an. band fih das Tuh ab. fhaute um fih -
Siminok war nirgends! Denkt Euh! er war in einen Brunnen
gefallen. war ertrunken und kam nie mehr aus ihm heraus!
Bufujok kehrte nah Haufe zurück und 'horhte feine Frau
aus; fie fagte gerade dasfelbe wie Siminok. Darauf. um fih
noh mehr von der Wahrheit zn überzeugen. befahl auh er
dem Shwert vom Nagel herab zu fpringen und den Schuldigen
einzukerben. Das Shwert fprang herab und verlehte ihn
am Mittelfinger.
Er härmte fih ab. er klagte. er weinte bitterlih. daß
er Siminok verloren. er bereute. fih übereilt zn haben. aber
Alles war vergebens. es war Nihts mehr zu ändern. Darauf
wollte auh er voll Gram und Schmerz niht mehr ohne
feinen Bruder leben. ließ fih wieder die Augen verbinden.
auh feinem Pferde. beftieg dasfelbe und ließ es' dem Walde
zu eilen. in dem fein Bruder umgekommen war. Das Pferd
eilte. was es konnte. und plumps! fiel es in denfelben Brunnen.
in den Siminok geftürzt war. und dort endete auh Bufujok
fein Leben, Am Himmel aber ging damals auf der Morgen
ftern. der Sohn des Kaifers. Bufujok. und der Abendftc-rn.
der Sohn der Magd. Siminok.
Ich fhwang mih in den Sattel dann.
Damit ih's Euh erzählen kann.
xml).
Yu; Oilfiumlerrogel.

“Es war einmal. wie's keinmal war. wäre es niht


gewefen. würde es niht erzählt.
Es war einmal ein guter. frommer Kaifer. der hatte
drei Söhne. Außer vielen anderen Wohlthaten. die er den
Bewohnern feines Kaiferreihs erwies. erbaute er auh eine
Klofterkirhe. von der Wunder erzählt wurden. Er fhmückte fie
mit Gold und koftbaren Steinen und mit all dem. was die
Bauleute jenes Landes für werthvoll und fhön hielten. Eine
Menge von Marmorfäulen und Vergoldungen waren in der
Kirhe und vor ihr. Die koftbarften Malereien. Kronleuchter
aus Silber mit Vergoldung. Ampeln. groß wie Kannen. aus
dem allerfhönften Silber. die ausgewählteften Büher bilde
ten die Ansftattung diefer Klofterkirhe. Je mehr der Kaifer
fih über ihre Shönheit freute. je mehr betrübte er fih.
daß er fie niht ganz vollenden konnte. denn der Thurm
fiel immer ein!
..Wie ift es möglih“. fagte der Kaifer. „daß diefe
heilige Kirhe niht vollendet werden kann? Nun habe ih
mein ganzes Vermögen darauf ausgegeben. und fie ift doh .
niht fertig.“ Und er ließ im Lande verkünden. daß der
Meifter. der ihm den Thurm der Kirhe erbauen könnte. von
ihm große Gaben und Ehren empfangen würde. Außer
-21-1

diefem Befehl gab er noh einen zweiten. daß in allen Kirhen


Gebete gelefen und nähtlihe Gottesdienfte abge'halten würden.
damit der gnädige Gott fih feiner erbarmen und ihm einen
guten Meifter fende.
Jn der dritten Naht aber träumte der Kaifer. daß. wenn
Jemand den Wundervogel von den jenfeitigen Geftaden hole
und fein Neft in den Thurm feßte. das Klofter vollendet
werden könnte.
Er theilte feinen Söhnen diefen Traum mit; fie über
boten fih. wer von ihnen zuerft aufbrehen und fih dem
Dienfte feines kaiferlihen Vaters weihen follte. Darauf fprah
der Kaifer zu ihnen:
..Jh fehe. meine Söhne. daß Jhr Alle den Wunfch habt.
Eure Pfliht dem Herrgott gegenüber zu erfüllen! Jhr könnt
aber niht alle Drei auf einmal gehen. Zuerft foll mein
ältefter Sohn ausziehen. wenn es ihm aber niht gelingt. die
Aufgabe zu erfüllen. der Folgende. und fo fort. bis Gott uns
fein Erbarmen zeigt.“
Die Kinder fhwiegen und unterwarfen fih; der ältefte
Sohn des Kaifers aber traf feine Reifevorbereitungen. Er
ging. was er konnte. und als er die Grenzen feines Vaters
Reih überfhritten hatte. befand er fih in einem fhönen
Hain. Nahdem er Feuer angemaht. ftand er da und
wartete. bis fein Effen fertig fei. Plößlih fah er einen
Fuhs vor fih. der bat ihn. feinen Windhund feftzubinden.
ihm ein Krufthen Brot und ein Glas Wein zu geben und
zu geftatten. daß er fih auh am Feuer erwärme. Anftatt
feine Bitten zu erfüllen. ließ der Kaiferfohn den Windhund
los. der ihm auh gleih nahfeßte. Darauf verwandelte der
Fuhs ihn durh ein Zauberzeihen in einenSteinblock.
- 215 -

Als der Kaifer fah. daß fein großer Sohn niht


heimkehrte. erhörte er die Bitten feines zweiten Sohnes
und gab ihm die Erlaubniß. auh auszuziehen. um den
Wundervogel zu finden. Nahdem er feine Vorbereitungen
getroffen und Zehrung mit auf den Weg genommen. brah
auh diefer Prinz auf. An der Stelle. wo fein Bruder ver
fteinert worden war. gefhah ihm dasfelbe. weil er den
Bitten des Fuhfes niht Gehör gefhenkt hatte. fondern ihn
fangen wollte. um fein Fell abzuziehen. ,
Der Kaifer wurde gedankenfhwer. als er fah. daß nach
fo bitter langer Zeit feine Söhne weder mit dem Wunder
vogel noh ohne ihn zurückgekehrt waren. Da fprah fein.
jüngfter Sohn zu ihm:
..Vater. fieh. jeht ift genug bittere Zeit vergangen.
feit meine Brüder nah dem Wundervogel ausgegangen find.
und fie find noh niht heimgekehrt; gieb mir zu der Reife
Geld und Kleidung. die den Weg aushält. damit ih auh mein
Glück verfuhe. Und wenn es mir gelingt. wirft Du Deine
_Freude haben. Vater. weil Dein Traum fih erfüllt. wenn
aber niht. haft Du auh keine Demüthigung davon.“
..Deine großen Brüder“. fagte der Kaifer. ..haben. wie
es fheint. nihts thun können. um diefen Wundervogel her
zubringen. vielleiht haben fie fogar ihren Kopf eingebüßt.
da fie Beide fhon fo lange ausgeblieben find. Jh bin alt.
wenn Du auh fort gehft. wer foll mir bei den Mühen der
Regierung helfen; wenn ih aber fterbe. wer foll den Kaifer
thron befteigen außer Dir. mein Sohn! Bleib hier. Vaters
liebes Kind. geh' niht fort.“
..Deine Herrlihkeit. Vater. weiß fehr wohl. daß ih
nie. auh nur ein Haar breit Deine Befehle übertreten habe;
_216

und wenn ih jeht wage. auf meiner Bitte zu beftehen. ift


es nur. weil ih. wenn es möglih ift. einen Wunfh erfüllen
möhte. der Dir keine Ruhe läßt. den Du fhon feit fo vielen
Jahren haft und mit großen Koften Dir Mühe giebft zu
nerwirklihen.“
Nach vielen Bitten gab der Kaifer nah. Er fnhte fih
ein Pferd aus dem kaiferlihen Stall. das ihm gefiel. einen
Windhund. um einen Gefährten zu haben. nahm genügende
Zehrung mit und reifte ab.
Nahdem einige Zeit vergangen war. langten plöhlih
die beiden älteften Söhne des Kaifers mit dem Wunder
vogel und einer Magd. die. zur Hühnermagd gemaht wurde.
an. Alle wanderten fih über die Schönheit diefes Vogels.
deffen Gefieder in taufend Farben ftrahlte. deffen Federn
wie die Sonne glänzten; der Thurm der Kirhe aber fiel
niht mehr ein. feit der Vogel und fein Neft in ihn gefeht
worden waren. Einen Umftand bemerkte man aber: der
Vogel fhien ftumm zu fein. denn er gab keinen Ton von
fih. und Alle. die ihn fahen. bedauerten. daß ein fo fhöner.
ftolzer Vogel keinen Sang habe; felbft der Kaifer. froh aller
Freude. die er an der Kirhe und an ihrem Thurm hatte.
war betrübt. daß der Vogel niht fang.
Die Leute fingen an. den jüngften Kaiferfo'hn zu ver
geffen. fo groß war ihre Freude über den Vogel. der den
Thurm vor dem Einftürzen zu bewahren fhien. und fo konnte
die Kirhe ganz beendet werden; nur der Kaifer war traurig.
daß fein jüngfter Sohn niht da war. um die Freude feines
Volkes zu theilen. Eines Tages kam die Hühnermagd zu
ihm und fagte:
..Großer Kaifer. möge Dein Antliß leuhten. die ganze
_217_
Stadt wundert fih über den Gefang des Wundervogels: ein
Hirt ift heute früh in die Kirhe getreten. allfogleih hat der.
Vogel gefungen. als wollte feine Kehle zerfpringen. und ift fo
wohlgemut'h. daß ihn fein Neft kaum noh faßt. Das ge
fhieht heute zum zweiten Mal. fowie der Hirt in die Kirhe tritt.
hört der Vogel niht mehr zu fingen auf. geht er aber fort.
fhweigt er.“
„Man foll den Hirten vor mih führen und zwar
fogleih.“
._Hoheit. wie es fheint. ift der Hirt ein Fremdling. denn
Niemand hier kennt ihn. Die Söhne Deiner Hoheit haben.
fo hörte ih. Wähter aufgeftelltx* um ihn zu fangen.“
p ..Shweig“. fagte der Kaifer. ..fprih niht von meinen
Söhnen. denn es fhickt fih niht für Dih. daß Du gegen
fie redeft.“
Der Kaifer fhickte auh einige Bedienftete ab. die heim
lich aufpaffen follten und den Hirten. fowie er in die Kirhe
träte und der Vogel fänge. ergreifen und vor ihn bringen
follten. '
Damit gab er fih aber noh niht zufrieden. fondern
ging felbft am nähftfolgenden Feiertage in die Kirhe. um
mit eigenen Ohren den wunderbaren Gefang des Vogels zu
hören und mit eigenen Augen den jungen Hirten zu fehen,
Wenn er niht zugegen gewefen wäre. würde ein heftiger
Kampf entbrannt fein zwifhen feinen Leuten und den von
feinen Söhnen zum Aufpaffen hingefhickten. denn die wollten
abfihtlih Hand an den Hirten legen. Darauf gab der
Kaifer den Befehl. ihm diefen Shäfer gutwillig in feinen
Palaft zu bringen. denn er fühlte. ih weiß niht was. im
_218+

Herzen. als er den jungen. fchühternen Jüngling mit der


heldenhaften Geftalt fah.
Als er aus der Kirche trat. ging der Kaifer ftraks in
den Palaft. denn fein Herz fagte ihm. daß es mit dem Hirten
irgend eine befondere Bewandtniß haben müffe. Als der
Kaifer ihn erblickte. fagte er:
..So fag' mir doch. mein Sohn. aus welhem Theil des
Landes bift Du? Haft Du Eltern und wie bift Du hierher
gelangt?“
..Meine Gefhihte. erlauhter Kaifer. ift lang. Eltern
habe ih. auh Brüder. Um Dir zu berihten. wie ih hier
her gekommen bin. brauche ih mehr Zeit. Aber wenn Deine
Hoheit es wünfht. bin ih bereit. mih dem zu unterwerfen.
Morgen fchön in der Frühe werde ih darum zu Deiner
Hoheit kommen. heute ift es fpät!“
..Gut. mein Braver. morgen beim Tagesgrauen er
warte ih Dih!“
Am nähften Tage in der Früh kam der Hirt und er
wartete den Befehl des Kaifers; als der Kaifer aber erfuhr.
daß der betreffende Shäfer gekommen fei. rief er ihn zu fih.
..So fag mir doh. mein Sohn. was ift der Grund. daß
der Wundervogel fingt. fowie Du den Fuß in die Kirhe
feheft und fhweigt. fowie Du heraustrittft?“c
..Um das nnd anderes zu erfahren. erlauhter Kaifer.
(aß mih Dir meine ganze Gefhihte erzählen!“
...Jh höre Dir zu. erzähle mir Alles. was Du willft“
Darauf begann der Hirt:
..Jh habe einen Vater und Brüder. Jh bin aus dem
väterlihen Haufe aufgebrohen. um etwas zu vollbringen.
was den Vater erfreuen follte. denn er war traurig. weil fein
_-,2l9

Wunfh ihm nicht erfüllt werden konnte. Nah einer Reife


von einigen Tagen gelangte ih auf eine fhöne Flur. von
der aus fih mehrere Wege erfhloffen. Dort habe ih mir
eine Lagerftätte machen wollen. habe mir ein helles
Feuer angezündet. mir von der Reifezehrung etwas heraus
genommen. und wie ih mih nun zum Mahl niederlaffen
will. fehe ih plößlih einen Fuhs neben mir. Jh wußte
weder woher noh woraus er gekommen war. denn ih hatte
ihn niht gefehen. es war. als wäre er aus der Erde geftampft
worden.
..Sei fo gut. ich bitte Dih“. fagte er mir. ..geftatte
mir. mih an Deinem Feuer zu erwärmen. denn fhau. ih
friere. daß ich mit den Zähnen klappere. Gieb mir auch
ein Stück Brot und ein Glas Wein. daß ih mir den ärgften
Hunger und Durft vertreibe. Und damit ih in Ruhe effen und
mih ohne Bange wärmen kann. binde Deinen Windhund an.“
„Shon gut“. fagte ih ihm. ..bitte. erwärme Dih. hier
find meine Eßwaareu und meine Feldflafhe. iß und trink
foviel Dir fhmeckt.“
Darauf habe ih den Windhund angebunden. und wir
haben uns um das Feuer gefeht und uns etwas erzählt. So
unter Anderm erzählte ih ihm auh. wohin ih ginge. bat
ihn fogar. wenn er etwas davon verftünde. mir zu fagen.
wie ih es mahen und anftellen folle. um das zu verrihten.
was ih mih aus freien Stücken anheifhig gemaht hatte
auszuführen.
..Was das anbelangt“. fagte mir der Fuhs. ..fei ganz
beruhigt. Morgen früh brehen wir zufammen auf. und
wenn ih Dir niht zum Ziel verhelfe. nenne mih niht mehr
mit Namen.“
-220

Wir faßen am Feuer und fhmauften wie ein Paar


Freunde. dann wünfhte der Fuhs mir gute Naht und
verfhwand wie ein Shatten. Jh wunderte mih fo bei mir
felbft. wie es möglih gewefen war. daß ih niht gefehen hatte.
welhe Rihtung er eingefhlagen. und indem ih mir den
Kopf darüber zerbrach. wie er unbemerkt hatte kommen und
gehen können. fhlief ih ein.
Als er am nähften Morgen bei Tagesanbrnh kam.
fand er mih in der Verwunderung über mehrere Stein
blöcke. die zwei Menfhen. zwei Pferde und zwei Windhunde
darftellten. Sowie ih ihn erblickte. mahten wir uns reifefertig.
Der Fuhs überfhlug fih dreimal und wurde plöhlih
zu einem Helden. fo Einem von denen. die man gerne an
fhaut. Unterwegs fagte er mir. daß der Ort. auf dem
ih die Nacht zugebraht habe. zu feinem Befißthnm gehöre.
daß er verheirathet fei und Kinder habe. daß er ver
dammt gewefen fei. die Geftalt eines Fuchfes zu tragen.
bis ein Menfh fich feiner erbarmen und ihn aufnehmen
würde. damit er fih an demfelben Feuer mit ihm erwärme.
ihm ein Stück Brot und ein Glas Wein reihe; daß ih
diefer Menfh gewefen. er jeht von- dem Fluh erlöft fei und
darum mit mir gehen und mih niht allein laffen würde.
bis ih meinen Zweck erreiht hätte.
Jh freute mih diefes Vorfalls und wir gingen und
gingen. den lieben langen Sommertag bis zur fpäten Naht.
worauf wir an eine Gebirgswiefe kamen. wo wir übernahte
ten. Mein Reifegefährte fagte mir. daß wir am folgenden
Tage die Grenzen des Reichs mehrerer Drahen zu über
fhreiten hätten. und daß er glaube. dort würden wir das
finden. was wir fuhten.
_221

Am nähften Tage find wir in* das Befihthum der


Drahen eingedrungen. aber immer etwas bänglih. und fo
um Mittag gelangten wir an die Drahenpaläfte. Die Herr
lihkeiten. die wir dort gefehen haben. laffen fih niht be
fhreiben. Gärten mit allerlei Blumen und Frühten.
Zimmer. die wie in Silber eingehüllt waren. fo daß fie in
der Sonne wie Spiegel glänzten. die Wände mit Bildern
und gemeißelten Blumen gefhmückt. die Ecken aber alle
vergoldet. dazu Brunnen. die Waffer in die Höhe warfen.
Wir hatten das Glück. daß die Drahen niht zu Haufe waren.
als wir dorthin gelangten. Auf der Thürfhwelle trat uns
ein wunderfhönes Mädchen entgegen. die fah aus. als fei
fie aus Zucker gemaht. und fie gab uns den Rath. in Ab
wefenheit der Drahen niht in den Hof einzutreten. fonft
würde es uns fhleht ergehen. Dann weinte fie vor Freude.
noh einmal Menfhen zu erblicken aus dem Gebiet. aus dem
die Drahen fie geraubt hatten.
Als wir fie um das fragten. was wirfuhten. fagte
fie. daß es fih bei andern Drahen befände. Verwandten
derjenigen. auf deren Befihthum wir wären.
..Gehet hin“. fagte fie uns. ..denn mit Gottes Hülfe
hoffe ich. daß Ihr Erfolg haben werdet. und wenn Ihr zu
rückkehrt. nehmt mih auh mit.“
Nahdem fie uns mitgetheilt hatte. wie wir in den Hof
der Drahen gelangen könnten. und wie wir vorgehen follten.
fhwor ih bei dem. was ih Theuerftes auf der Welt habe.
bei meinem Vater. daß ih fie niht bei den Drahen laffen
wollte. fondern fie mitnehmen würde. Darauf find wir da
vdn gegangen. Um wahr zu fein. mir hatte fie gleih ge
fallen. fowie ih fie gefehen.
_222

Als wir an die Grenze des andern Drahenreihs ge


langten. hielten wir an. um uns auszuruhen. Bei Morgen
grauen aber haben wir das Gebiet derfelben überfhritten
und kamen fo gegen Mittag an ihre Paläfte. die noh fhöner
waren als die der erften Drahen. Sowie ih vom Pferde
geftiegen war. ging ih in den Stall. mein Genoffe aber
kehrte zurück. denn fo hatte das Mädhen es uns gerathen.
Die Pferde waren an der Krippe. Eins von ihnen
drehte den Kopf um und fhaute mih an. Jh ftreihelte
es um die Augen. zog es an den Ohren. fpornte es an und warf
ihm die Zügel über den Hals. Dann habe ih's beftiegen
und im Vorbeireiten den Käfig mit dem Wundervogel. der
im Hausflur hing. mitgenommen.
..Du haft den Wundervogel geholt?“ fagte der Kaifer.
..Du bift mein Sohn. den Alle für verfhollen halten!“
„So ift's. Vater.“ Und nahdem er die Hand des
Kaifers geküßt. bat er ihn. Befehl zu geben. daß die Hühner
magd vorgeführt würde. .
Nahdem fie gekommen war. fagte der Hirt: ..Dies ift
das Mädhen. von dem ih Dir gefprohen habe.“
..Wie ift das möglih“. entgegnete der Kaifer. ..Aber
wie ift fie Hühnermagd geworden?“
..Das wird fie Dir fagen. denn ih weiß es niht. Und
fo. wie ih fagte“. fing er wieder zu erzählen an. ..nahdem
ih den Käfig erhafht. nahm ih Reißaus mit meinem den
Drahen entführten Hengft. die andern Pferde begannen zu
wiehern und einen Lärm zu mahen. daß Einem das Haar
zu Berge ftand. ih aber hielt mih ftramm. Die Drahen
mir nah. und fie eilten und eilten. bis ih zu meinem
Kameraden gelangte. der an der Grenze auf mih wartete.
_223

und wäre er niht gewefen. hätten die Drahen Hand an


mih gelegt. und wer weiß. was dann aus meinem Kopfe
geworden wäre Mein Gefährte aber ftreckte die Hand aus
und brüllte: ..Haltet ein!“ Sie aber fhienen plötzlich ver
fteinert gewefen zu fein. feitdem die Welt ftand: keinen
Shritt thaten fie mehr vorwärts. Nahdem er mih um
armt und geküßt hatte. wunderte er fih auh über die
Shönheit des Vogels. Die Drahen aber fehten Stein und
Bein in Bewegung. um mir den Vogel zu entreißen. ver
fprahen mir Sonne und Mond; als fie aber fahen. daß fie
mih niht überreden konnten. baten fie mih. ihnen wenigftens
das Pferd zu geben. Jh fah ein. daß es niht reht wäre.
fie fo ganz betrübt zurück zu laffen. fo gab ih ihnen das
Pferd und ging mit meinem Kameraden und dem Vogel
weiter; den Drahen aber gingen die Augen über nah ihm.
Als wir an die Paläfte der andern Drahen gelangten.
erwartete uns das Mädhen am Thor; fie knallte dreimal
mit der Peitfhe. worauf der ganze Palaft fih in einen
Apfel verwandelte. den fie einfteckte; ih aber nahm fie in
den Arm und mahte mih auf mit ihr. Aber o weh!
als die Diahen es merkten! Wie kamen fie hinter uns
her! Mit einem Kiefer im Himmel und einem auf der Erde
und brüllen thaten fie. daß Einem das Blut in den Adern
gerann, Ih faßte mir Muth. gab meinem Pferde die
Sporen und floh wie der Wind. mit meinem Gefährten zu
fammen, Die Drahen aber kamen fhnell wie der Gedanke; als
mein Gefährte das merkte und auch einfah. daß keine Möglihkeit
fei. hei( davon zu kommen. blieb er ftehen. mahte ein Zauber
zeihen und fie wurden zu Steinblöcken. Wir aber fehten unfere
Reife fort. bis wir wieder an die Flur kamen. von der wir
_ 224S
ausgegangen. nämlih auf das Befihthum des Fuhfes. Nah
dem wir uns ausgeruht. und ih Gott gedankt. daß, wir
diefe Aufgabe gelöft. fragte ih meinen Gefährten. was diefe
Steinbildfäulen bedeuteten.
Darauf hat er mir gefagt:
..Wenn Du es weißt. Du es bereuft. wenn Du's niht
weißt. Du's auh bereuft!“
..Jh bitte Dich. fage es mir!“
..Das find Deine Brüder“. fagte er mir. ..Anftatt wie Du
freundlih meine Bitte zu erfüllen. haben fie die Windhunde
auf mih geheht. was mih verdammte. das ekelhafte Fell
des Fuhfes noch länger zu tragen. darum habe ih fie ver
fteinert.“
..Mir zu Liebe“. bat ih ihn. ..um der Freundfhaft
willen. die wir gefhloffen. mahe fie wieder zu Menfhen.
wie fie waren.“
..Mir liegt viel an Deiner Freundfhaft“. entgegnete er.
„darum fei's nah Deinem Willen; _- aber Du wirft es
bereuen!“
Und in einem Augenblick mahte er ein Zeihen mit der
Hand und plöhlih fhüttelten fih die Steine. und meine
Brüder blieben ftarr vor Verwunderung. als fie fih uns
gegenüber fahen.
Wir nahmen Abfhied von meinem Kameraden und
mahten uns auf den Heimweg. Aber nun merkt auf. meine
Brüder brockten mir eine fhöne Suppe ein!
„Bruder“. fagten fie mir. nahdem wir eine Meile fort
geritten. ..wir find von dem langen Weg ermüdet. die Hiße
ift groß. laß uns an einen Teih gehen. den wir hier kennen.
und laß uns ein Jeder ein wenig trinken. nm uns
_225
abzukühlen. Ih willigte ein. und wir gingen hin. Trank
der Aeltefte. trank der Zweite. als ih aber auch trinken
wollte und am Rande des Teihes auf dem Bauhe lag.
um mit dem Mund bis an's Waffer zu kommen. wie fie
gethan. fühle ih plöhlih ein furhtbares Brennen an beiden
Füßen. und wie ih mih umdrehe. um zu fehen. woher. konnte
ih niht auftreten. denn meine Brüder hatten mir beide
Füße abgefhnitten und fih eilig davon gemaht. ohne auf
meine Bitten nnd Klagen zu hören.
Drei Tage und drei Nähte habe ih dort am Teihe zu
gebraht. Wenn mein gutes Pferd irgend einen Lindwurm
auf fih zukommen fah. nahm es mich mit den Zähnen bei
den Kleidern auf feinen Rücken. eilte. foweit es mit den
Augen fehen konnte. und fhlug fo mit den Füßen um fih.
daß fih uns kein wildes Thier nähern konnte,
Endlih am vierten Tage traf ih auf einen Blinden.
der fih auh fo herumtaftete.
..Wer bift Du?“ fragte ih ihn.
„Ein armer Krüppel.“ entgegnete er. Und nahdem er
mir erzählt hatte. daß feine Brüder ihm aus Neid die Augen
ausgeftohen hätten. habe ih ihm erzählt. daß mir die
Brüder die Füße abgefhnitten hätten. Darauf fagte er mir:
..Weißt Du was? Wir wollen uns Brüderfhaft zu
fhwören. Jh habe Füße. Du haft Augen. ih trage Dih
auf dem Rücken, Jh gehe für Dih. und Du fiehft für mih.
Hier in der Nähe ein großer Skorpion hauft; mit feinem
Blute kann man alle Krankheiten heilen.“
Ih nahm fein Anerbieten an und wir gingen bis an
die Wohnung des Skorpions. Er war niht zu Haufe. Der
Blinde fehte mih 'hinter der Thür ab und fagte. daß ih
15
-226

ihn mit dem Säbel. fowie er einträte. todt hauen follte; er


aber verftecktefih hinter dem Ofen. Wir warteten niht lange.
bis der Skorpion zornig eintrat. denn er hatte gemerkt. daß
ihm Jemand in's Haus eingebrohen fei. Als ih ihn er
blickte. wurde mein Herz klein wie ein Floh. als er aber
eintrat. wartete ih. bis er mir reht kam. dann fhlug ih
einmal drauf zu. fo daß ih ihm mit dem einen Shlag alle
drei Köpfe abhieb.
Jch befhmierte mih augenblicklih mit feinem heißen
Blut. und als es die Füße berührte. klebten fie an. als wären
fie nie abgefhnitten gewefen. Auh dem Blinden beftrih ih.
die Augen. fo daß ihm das Augenliht zurückkehrte. Nahdem
wir Gott gedankt. mahten wir uns Jeder auf unfern Weg.
Jh wollte niht gleih nah Haufe kommen. fondern
hielt es für beffer. mih als Hirt zu verdingen und es Gott
zu überlaffen. die Dinge fo zu führen. daß die Shuldigen
fih als folhe erwiefen. Jh habe mih in meiner Zuver
fiht niht getäufht. denn fieh. feine Maht ift groß und fein
Urtheil gereht.“ -
..Nun fage auh Du“. fprah der Kaifer zur Hühner
magd. ..wie bift Du Hühnermagd nnd Dienerin geworden?“
..Nahdem die älteften Söhne Deiner Kaiferlihen Majeftät
ihrem jüngften Bruder die Füße abgefhnitten hatten. nahm
mih der Eine. der Andere nahm den Wundervogel. Jh meinte.
ih müßte vor Shmerz zerfließen. weil ih mih von dem jüngften
Sohn Deiner Hoheit. den ih gern angefhant hatte. weil er fo
ein ganzer Mann war. trennen follte. Sie fhlugen mir vor.
daß ih Einen von -ihnen lieben follte. und verfprahen mir.
daß der mih zur Frau nehmen follte. fowie wir am Kaifer
hof angelangt wären. Nahdem ih mih allem Zwang
,-227 -

widerfetzt. welhen die Brüder mir anthun wollten. zog


ih vor. den Dienft als Kühenmagd an Deinem kaifer
lihen Hof anzunehmen. als anderswo hinzugehen. Denn
ih wußte. daß Gott den niht umkommen laffen würde. der
reht und gut gehandelt. und jeht danke ih ihm. daß er
mir gezeigt hat. wie eine gute That nie verloren ift.“
„Kannft Du mir beweifen“. fragte der Kaifer. ..daß Du
und keine Andere jenes Mädhen bift?“
..Diefer Apfel“. fagte fie. indem fie ihn aus ihrem Bufen
hervorholte. ..kann Jedem den Beweis liefern. daß ih es
bin. Deine älteren Söhne haben nihts von ihm gewußt.
fonft hätten fie ihn mir fortgenommen.“
Darauf trat fie heraus. knallte dreimal mit einer kleinen
Peitfhe über dem Apfel. und was für Paläfte erftanden
plöhlih! So fhön. wie fie fih im ganzen Reih niht
wieder fanden.
Selbft der Kaifer erftaunte, Er wollte die Heimkehr
feines jüngften Sohnes feiern. Diefer aber fagte: ..Vater.
ehe wir Gott danken. daß ih gefund zuriickgekommen bin.
laß uns drei Brüder zum Gottesgeriht vor ihn hintreten.“
Der Kaifer konnte nihts dagegen fagen. Man führte die
Brüder vor den Kaifer. der fie niederknieen hieß; fie baten
ihren jüngften Bruder um Verzeihung. Er fagte ihnen:
..Wenn Gott Euh verzeiht. fo habt Ihr auch meine Ver
zeihung.“
Da fie niht anders konnten. gingen fie vor die Kirhe und .
fehten drei Bienenftöcke hin. jeden gleih weit von dem andern
entfernt, Jeder trat mit den Füßen in einen von ihnen und
warf mit der Shleuder einen Stein in die Höhe. Die
Steine der älteren Brüder kehrten zurück und trafen jeden
15 *
_228

von ihnen fo ftark auf den Kopf. daß fie Beide todt blieben.
Der Stein des jüngften Kaiferfohnes aber fiel vor ihm nieder.
Viele hatten fih angefammelt. um diefes Gottesurtheil
mit anzufehen. Nahdem die Hohzeit gefeiert war und
der Kaifer feinen Sohn mit der Hühnermagd verheirathet
hatte. ftieg er vom Throne herab und fehte feinen Sohn
darauf. der. wenn er noh lebt. noh heutigen Tags
regiert.
Auh ih war bei diefen Vorfällen zugegen und erzähle
fie jeht denen. die fein anfhorhen.

LTL.

?für heulen Ztiefrclfmertern.

Es war einmal ein alter Witwer. der 'hatte eine Toh


* ter; er heirat'hete zum zweiten Mal und nahm eine Witwe
zur Frau. die ebenfalls eine Tohter hatte. Die Tohter der
Witwe war häßlih. faul. eigenfinnig und böswillig; da fie
aber der Mutter Tohter war. gefiel fie fih darin wie die
Krähe in der Schlinge und fhob Alles auf die Tohter des
“ Alten, Die Tohter des Alten war aber fhön. fleißig. ge
horfam und gut. Gott hatte fie mit allen guten nnd fhönen
Eigenfhaften ausgeftattet. Aber diefe Tochter wurde von
der bösartigen Shwefter wie auh von der Stiefmütter
verfolgt; es war ein wahres Glück. daß fie Ausdauer hatte
_229

und fo geduldig war. denn fonft wäre es ihr gar übel


ergangen.
So oft etwas Shweres gethan werden follte. war
immer nur die Tohter des Alten da: fie mußte dürres Holz
aus dem Walde bringen. die vollen Säcke in die Mühle
fhleppen. kurzum. Alles fiel immer ihr zur Laft. Den ganzen
lieben langen Tag kam fie niht zur Ruh. das ging Trepp'
auf. Trepp' ab. Dennoh waren die Alte nnd ihr Shah
von Tohter ftets unzufrieden und hatten immer Etwas an
ihr auszufehen. Die Stieftohter war ein fhweres Kreuz
für die Alte. die eigene Tohter aber wie ehtes Bafilium
kraut. das man vor die Heiligenbilder zu ftecken pflegt.
Wenn die Stieffhweftern Abends in's Dorf zum Spinnen
gingen. ließ fih die Tohter des Alten niht bei der Arbeit
ftören und fpann ein ganzes Sieb vollSpulen ab; die
Tohter der Alten brachte mit großer Noth eine armfelige
Spule zu Ende; als fie dann fpät in der Naht heimkehrten.
fprang die Tohter der Alten flink über den Zaun und ver
langte das Sieb mit den Spulen. um es zu halten. bis auh
fie über den "Zaun gefprungen fei. Darauf nahm dann die
Tohter der Alten. bösartig wie fie war. das Sieb. eilte
in's Haus zu den Eltern und fagte. fie habe alle die Spulen
abgefponnen. Vergebens fagte dann die Stieffhwefter nah
her. es fei ihrer Hände Arbeit. Mutter und Tohter mahten
ihre Worte zu Shanden und behielten natürlih Reht,
Wenn Sonn- oder Feiertag war. wurde die Tohter der
Alten fo aufgedonnert und geftriegelt am Kopf. als hätten
die Kälber fie geleckt. Es war kein Tanz. kein Federzupfen
Abends im Dorfe. zu dem die Tohter der Alten niht ging.
der Stieffhwefter aber war all das ftreng unterfagt. Und
_ 230

wenn dann der Alte nah Haufe kam. ging der Mund der
Alten wie ein Mühlrad. die Stieftohter hätte ihr niht ge
horht. fie wäre dreift. faul. fhlehter Art. bald Diefes. bald
Jenes. er müffe fie aus dem Haufe entfernen. in den Dienft
fhicken. wohin er wolle. es wäre keine Möglihkeit. fie zu
behalten. weil-fie auh ihre Tohter verderben könnte.
Der Alte war ein Maulaffe oder. wie man zu fagen
pflegt. er ftand unter dem Pantoffel. Alles. was fie fagte. war
heilig. Seinem Herzen nah hätte der arme Alte vielleiht
noh etwas gefagt. aber jeht hatte die Henne im Haufe zu
krähen begonnen. und der Hahn galt gar nihts mehr; wäre
es ihm aber eingefallen. fie übertrumpfen zu wollen. hätten
die Alte und die Tochter ihn fhon zu Kreuz kriehen ge
maht. Eines Tages. als der Alte fehr erbittert war über
das. was ihm feine Frau gefagt hatte. rief er das Mädhen
zu fih und fagte:
..Liebes Kind. hör'. was mir Deine Mutter immer fagt.
daß Du ihr niht gehorhft. daß Du eine böfe Zunge haft.
fhleht bift. und daß es niht möglih ift. daß Du noh
länger in meinem Haufe bleibft; drum gehe Du dahin. wo
hin Dih der Herr führen wird. damit hier im Haufe niht
mehr foviel Gezänk Deinetwegen ift. Aber als Vater rathe
ih Dir. daß. wohin Du auh gehft. Du gehorfam. demüthig
und arbeitfam feieft. denn hier bei mir ift Dir noh Alles fo
hingegangen. die elterlihe Güte kam Dir zu Statten. aber
zwifhen Fremden kannft Du auf Gott weiß was für Arten
Menfhen ftoßen. die Dir niht foviel nahfehen werden. wie
wir Dir nahgefehen haben.“
Als das arme Mädhen alfo fah. daß die Stiefmutter
und ihre Tohter fie um jeden Preis aus dem Haufe ent
_231

fernen wollten. küßte fie die Hand ihres Vaters mit Thränen


in den Augen und ging in die weite Welt und aus dem
Vaterhaus. ohne irgend welhe Hoffnung in dasfelbe zurück
zukehren! Und fie ging. und ging einen Weg entlang. bis fie
zufällig einem fehr kranken Hündhen begegnete. das fo mager
war. daß man feine Rippen zählen konnte. und wie das
Hündhen fie erblickte. fagte es ihr:
..Du fhönes. fleißiges Mädhen. habe Mitleid mit mir
und nimm Dih meiner an. fo werde ih es Dir mal ver
.gelten.“ Das Mädhen erbarmte fih feiner. nahm das
Hündhen in den Arm. wufh und fäuberte es fhön. Dann
ließ fie es dort und ging weiter. zufrieden. daß fie eine
gute That hatte thnn können. Sie ging niht weit. als fie
auf einen fhönen. blühenden Birnbaum. der aber über und
über mit Raupen bedeckt war. ftieß. Als der Birnbaum
das Mädhen erblickte. fagte er: ..Du fhönes. fleißiges Mäd
hen. nimm Dih meiner' an und fäubere mich von den
Raupen. fo werde ih es Dir mal vergelten!“
Das Mädhen. arbeitfam wie fie war. fäuberte den
Birnbaum von den trockenen Zweigen und auh forgfältigft
von den Raupen; dann ging fie ruhig weiter. um fih einen
Dienft zu fuhen. Und als fie fo weiter ging. kam fie an
einen verfallenen und verlaffenen Brunnen. Der Brunnen
aber fagte zu ihr: ..Du fhönes. fleißiges Mädhen. nimm
Dih meiner an. fo werde ih es Dir mal vergelten!“
Das Mädhen reinigte den Brunnen und puhte ihn
fauber zureht. dann ging fie ihres Wegs weiter. Und als
fie fo weiter ging. fieh an. da kam fie an. einen verfallenen
Backofen. der faft ganz unbrauhbar geworden war. Sowie
der Backofen fie erblickte. fagte er ihr: ..Du fhönes. fleißiges
- 232

Mädhen. inaüre mih aus und fäubere mih. fo werde ih es


Dir mal vergelten!“ Das Mädhen wüßte. daß Arbeit
Niemand fhändet. ftreifte fih die Aermel auf. knetete Lehm
und verklebte den Backofen. fie verfhmierte ihn und fäuberte
ihn. daß es eine Freude war. ihn anzufehen. Dann wufh
fie ihre Hände fhön rein und mahte fih wieder auf den
Weg. Und wie fie fo Tag und Naht ging. gefhah's. ih
weiß nicht wie. daß fie fih verirrte; froh alledem verlor
fie niht ihr Vertrauen auf Gott. fondern ging immer weiter
und weiter. bis fie eines Tages in der Früh. nahdem fie
durch einen dunklen Wald gekommen. auf eine fehr fhöne_
Wiefe gelangte. Anf der Wiefe fah fie ein Hänshen. das
war ganz mit Weinreben ümrankt und befhattet. und als
fie fih diefem Häuschen näherte. erblickte fie auch ein altes
Mütterhen. das dem Mädhen freundlih entgegen kam und
fagte: ..Was fuhft Du denn hier herum. Kind. und wer
bift Du?“ *
..Wer foll ih fein. Mütterhen! Ein armes Mädhen.
ohne Mutter und auh ohne Vater. kann ich fagen. und nur
Der da oben weiß. was ih erduldet habe. feitdem man meiner
eigenen Mutter die Hände über der Bruft gekreuzt hat." Jch
fuheeinen Dienft. und da ih Niemand kenne und von Ort
zu Ort wandere. habe ih mih verirrt. Der Herr hat mich
aber geführt. fo daß ih zu Deinem Haufe gelangt bin. und
ih bitte Dih. gieb mir ein Obdach!“
..Armes Mädhen“. fagte die Alte. ..Wahrhaftig. der
Herr allein hat Dih zu mir geführt und aus der Gefahr
befreit. Jh bin die heilige Sonntagsgöttin. Diene heute bei
mir. und ih verfihere Dih. Du follft morgen niht mit leeren
Händen aus meinem Haufe gehen.“
e
"233

„Gut. Mütterhen. ih weiß aber niht. was ih zu


thun habe.“
..Du follft mir meine Kinderhen. die jeht fhlafen.
wafhen und füttern. dann follft Du mein Effen kohen. und
wenn ih aus der Kirhe komme. will ih es weder heiß noh
kalt. fondern gerade mnndgereht vorfinden.“ Und als fie
dies gefagt. mahte fih die Alte auf zur Kirhe. Das Mäd
hen aber ftreifte die Aermel in die Höhe und mahte fih
an die Arbeit. Zu allererft mahte fie Wafhwaffer zureht.
dann trat fie-in's Freie und begann zu rufen:
..Kinder. Kinder. Kinder. kommt zur Mutter. damit fie
Euh wäfht.“ Und als das Mädhen auffah. was erblickte
fie? Der Hof füllte fih. und der Wald wimmelte von einer
Unzahl von Lindwürmern und allerhand kleinen und großen
wilden Thieren! Aber feft im Glauben und im Vertrauen
auf Gott. erfhrickt das Mädhen niht. fondern nimmt ein
Thier nah dem andern. wäfht es und fäubert es. wie's gar
niht beffer fein könnte. Dann maht fie fih daran. das Effen
zu kohen. und als die heilige Sonntag aus der Kirhe kam.
die Kinder fhön gewafhen und Alles fhön herger'ihtet fah.
freute fie fih fehr. Nahdem fie fih zu Tifh gefeht hatte.
fagte fie dem Mädhen. es möge auf den Boden gehen und
fih von dort eine Truhe wählen. welhe fie wolle und fie
als Lohn mitnehmen; fie folle fie aber. ehe fie _nah Haufe
zu ihrem Vater käme. niht aufmahen. Das Mädhen ging
auf den Boden. wo es eine Menge von Truhen fand. einige
alt und häßlih. andere neu und fhön. Da fie aber gar niht
gierig war. wählte fie fih die ältefte und häßlihfte von
Allen. Als fie mit ihr herunter kam. zog die heilige Sonntags
göttin die Augenbrauen etwas zufammen. konnte aber nihts
_234

daran ändern. fondern fegnete das Mädhen. das feine Truhe


auf den Rücken nahm und freudig zum väterlihen Haufe zu
rückkehrte.
Auf dem Wege. fhau an. da war der Backofen voll von
aufgegangenen und gebräunten Kühen, Und das Mädhen
aß von ihnen und aß. foviel fie konnte. dann nahm fie fih
noh einige mit auf den Weg und wanderte weiter. Bald
kam fie auh an den Brunnen. den fie gereinigt hatte und
der bis oben herauf voll von klarem Waffer war. das war
klar wie die Thränen und füß und kalt wie Eis. Und auf
dem Rand des Brunnens ftanden zwei filberne Beher. aus
denen fie Waffer trank. bis fie fih erfrifht hatte. Dann
nahm fie einen Beher mit fih und ging weiter. Und wie
fie weiter ging. fhau an. da war der Birnbaum. den fie
gefäubert. voll von Birnen. gelb wie Wahs. und reif waren
fie und füß wie Honig. Als der Birnbaum das Mädhen
fah. hat er feine Zweige zu ihr hinab geneigt; und fie hat
Birnen gegeffen und davon mit auf den Weg genommen. foviel
fie wollte. Von dort ging fie weiter. und fhau an. da be
gegnete ihr auh das Hündhen. das jeht gefund und fhön
war; und am Halfe trug es ein Halsband von Dukaten.
das es dem Mädhen gab. als Dank dafür. daß fie es in
feiner Krankheit gepflegt hatte. Und fo gelangte das Mädhen
bis zu dem Haufe ihres Vaters. Als der Alte fie fah.
füllten fih ihm die Augen mit Thränen und das Herz fhlug
ihm vor Freude. Das Mädhen holte darauf das Halsband
und den Silberbeher heraus und gab fie ihrem Vater; als
fie dann gemeinfam die Truhe öffneten. kamen unzählige
Pferde. Hornvieh und Shafheerden aus ihr heraus. fo daß
fih der Alte augenblicklih verjüngte. wie er foviel Reih
_235

thümer fah. Die Alte aber ftand wie begoffen da und


wußte niht. was fie vor Aerger thun follte. Die Tohter
der Alten faßte fih darauf ein Herz und fagte:
..Laß nur. Mutter. die Welt ift ja noh niht ausgeleert.
ih ge'he. um Dir noh mehr Shäße zu holen.“ Und wie
fie das gefagt. ging fie ärgerlih Knall und Fall davon.
Sie ging und ging auf demfelben Pfade. auf dem ihre
Stieffhwefter gekommen. auh fie trifft auf den fhwahen.
kranken Hund. geht an dem mit Raupen befäeten Birnbaum.
dem ausgetrockneten. verlaffenen Brunnen und dem zerfallenen
Backofen. der faft ganz unbrauhbar geworden war. vorbei;
wie aber das Hündhen. der Birnbaum. der Brunnen und
der Backofen fie bitten. fih ihrer anzunehmen. antwortet fie
trohig und höhnifh:
„Das fehlte mir noh. daß ih mir die zarten Händchen
befhmuße! Seid Ihr oft von meines Gleihen bedient
worden?“
Da Alle wußten. daß man eher von einer trocknen
Kuh Milh bekommen kann. als fih ein verwöhntes und
faules Mädhen verbindlih mahen. haben fie fie in Frieden
ihres Weges ziehen laffen. und fie niht mehr um Hülfe ge
beten. Und wie fie immer weiter ging. gelangte auh fie
endlih zur heiligen Frau Sonntag. Aber auh hier benahm fie
fih immer mürrifh. unverfhämt und ungefhickt. Anftatt das
Effen gut und rihtig zu mahen und die Kinder der heiligen
Frau Sonntag zu wafhen. fo fhön wie die Stieffhwefter
fie gewafhen hatte. hat fie fie alle verbrannt. fo daß fie
fhrieen und wie verrückt vor Brennen und Shmerzen herum
liefen. Die Speifen hatte fie alle angebrannt. verkohlt und
gerinnen laffen. fo daß Niemand fie mehr an den Mund
*wc

_236

bringen konnte,... und als die heilige Sonntagsgöttin aus der


Kirhe kam. hielt fie fih Augen und ,Ohren zu vor Shreck
über Das. was fie im Haufe vorfand. Aber felbft die milde
und nahfihtige Göttin hat fih mit einem fo verftockten'
und faulen Mädhen. wie diefe war. niht mehr abgeben
wollen. fondern fagte ihr nur. fie möge auf den Boden
gehen und fih von dort irgend eine Truhe. welche ihr
immer gefiele. ausfuhen und dann in Gottes Namen weiter
ziehen. Das Mädhen ging hinauf. fuhte fih die neüefte
und fchönfte Truhe aus. denn fie nahm gern möglichft viel
und möglihft Gutes und Shönes. aber gute Dienfte leiften
that fie niht gern. Als fie dann mit der Truhe herab kam.
ging fie niht mehr zur heiligen Sonntagsgöttin. um Abfhied
zu nehmen und ihren Segen mit auf den Weg zu nehmen.
fondern eilte davon wie aus einem wüften Haufe und eilte
vorwärts; und fie lief fih die Hacken ab. aus Angft. daß
die heilige Frau fih eines Andern befänne und ihr nah
käme. um ihr die Truhe wieder fortznnehmen. Als fie an
den Backofen kam. waren fhöne Kühen in ihm drin. Als
fie fih ihnen aber näherte. um ihre Luft zn befriedigen. ver
brannte fie das Feuer und konnte fie nihts faffen. Am
Brunnen waren wiederum Silberbeherhen. gewiß fie
waren da. und der Brunnen bis oben heran voll Waffer.
als das Mädhen aber den Becher anfaffen und Waffer
trinken wollte. verfhwanden die Beher augenblicklih. trocknete
das Waffer im Brunnen ein. und das Mädhen kam vor
Durft um. Als fie an den Birnbaum kam. kein Zweifel
daß er dick voll von Birnen faß. glaubt Jhr aber. daß
das Mädhen auh nur Eine koften konnte? Nein! Der
Baum hatte fih taufendmal fo hoh gemaht. als er war. fo
_237
;daß die Zweige bis in die Wolken reihten! Und darum
konnte fih die Tohter der Alten in den Zähnen ftohern.
weiter kriegte fie nihts. Als fie weiter ging. traf fie auf
den Hund; er hatte auh jeht ein Halsband von Dukaten
um den Hals; als das Mädhen es ihm aber abnehmen
wollte. hat das Hündhen fie gebiffen. daß er ihr die Finger
abriß. und wollte fih niht von ihr berühren laffen, Ieht
faugte das Mädhen an den zarten Hündhen vor Aerger
und Shande. aber fie konnte nihts mehr ändern, Endlih.
nah großen Mühen gelangte fie nah Haufe zu ihrer Mutter;
aber hier find fie auh niht im Gelde erftickt. Denn als
die Alte die Truhe öffnete. kam eine Unzahl von Lind
würmern aus ihr hervor. die augenblicklih die Alte und ihre
Tohter verfhlangen. als wären fie nie auf diefer Welt
gewefen. Darauf wurden die Lindwürmer mit der Truhe
und Allem unfihtbar.
Der Alte konnte jetzt in Frieden leben und hatte
ungezählte Reihthümer; er verheirathete feine Tohter an
einen guten. tühtigen Mann. Die Hähne krähten jeßt
auf den Säulen des Thors. auf der Shwelle und über
all. die Hennen aber krähten niht mehr zu fhlehter Vor
bedeutnng im Haufe des Alten. der außerdem niht mehr
viel Lebenstage vor fih hatte. Er war kahl und gebeugt
geblieben. weil die Alte ihm gar zu oft den Kopf gewafhen
und nahgefehen hatte. ob ihm niht der Buckel jucke.
_238

XL(

hie Yeti cler Morgenrötlxe.

Es war einmal. was einmal war. wäre es niht ge


wefen. würde es niht erzählt. _
Es war einmal ein Kaifer. ein großer und mähtiger
Kaifer; fein Reih war fo groß. daß Keiner wußte. wo es
anfing und wo es aufhörte. Einige meinten. es fei ohne
Grenzen. Andere jedoh fagten. daß fie fih dunkel erinnerten.
von alten Leuten gehört zu haben. daß der Kaifer einftmals
mit feinen Nahbarn in Krieg gelegen hätte. und daß Einige
von diefen größer und mähtiger. Andere aber kleiner und
fhwäher als er gewefen feien.
Ueber diefen Kaifer ging durh die weite Welt die
Kunde. daß er mit dem rehten Auge immer lahe und mit
dem linken immer weine. Vergebens fragte das Land. welhe
Bewandtniß es damit habe. daß fih die beiden Augen des
Kaifers gar niht mit einander vertragen könnten und ein
ander fo gar niht verftünden.
Wenn die Helden zum Kaifer gingen. um ihn zu be
fragen. lähelte er abweifend und fagte nihts. So blieb
die Feindfhaft zwifhen des Kaifers beiden Augen ein großes
Geheimniß. von dem Niemand nihts wußte außer dem
Kaifer.
_239

Und die Söhne des Kaifers wuhfen heran. Was für


Kaiferföhne! Drei Kaiferföhne im Lande. wie drei Morgen
fterne am Himmel!
Florea. der ältefte. war eine Klafter groß. mit Shultern.
die man in der Ouere niht mit vier Spannen hätte meffen
können.
Ganz anders war Eoftan: klein von Wuhs. unterfeßt
gebaut. mit männlihem Arm und ftarker Fauft.
Der dritte und jüngfte Sohn des Kaifers war Petra. groß.
aber fhlank. mehr Mädhen als Knabe. Petru fpriht niht viel: er
laht und fingt und fingt und laht vom Morgen bis zum Abend.
Nur manhmal fieht man ihn ernfter: dann ftreiht er mit
der Hand die Locken rehts und links aus der Stirn. und.
dann fieht er Dir aus. wie ein Alter aus des Kaifers Rath.
..Du. Florea. Du biftjeht erwahfen. gehe hin und frage
den Vater. warum fein eines Auge immer weint und das
andere immer laht!“ fo fagte Petru eines fhönen Morgens
zu feinem Bruder Florea, Florea aber ging niht: er wußte
noh von früher her. daß der Kaifer fih erzürnte. wenn ihn
Jemand danah fragte.
Gerade fo erging es Petra auh mit feinem Bruder
Eoftan.
..Nun gut. wenn Keiner es wagt. werd' ih es wagen“.
fagt fhließlih Petru. Gefagt. gethan. Petra ging hin um
zu fragen.
..Mög' Dir die Mutter erblinden! Was geht Dih das
an!“ entgegnete ihm der Kaifer zornig und gab ihm eine
Ohrfeige rehts und eine andere links.
Petru ging betrübt davon und erzählte feinen Brüdern.
wie es ihm beim Vater ergangen fei.
- 24() -

Seitdem aber Petra nah der Bewandtniß. die' es mit


7 den Augen habe. gefragt hatte. fhien es. als ob das linke
Auge weniger weine. das rehte aber mehr lahe.
Petru faßte fih ein Herz und ging noh einmal zum
Kaifer. Eine Ohrfeige ift eine Ohrfeige. und zwei find zweil
Dahle es und that es.:
Es erging ihm wiederum. wie es ihm fhon einmal er
gangen war.
Das linke Auge aber weinte jeht nur hin und wieder.
das rechte aber fhien um zehn Jahre verjüngt.
..Wenn die Sahen fo ftehen“. dahte fih Petru. ..fo
weiß ih auh. was ih zu thün habe. So lange werde ih
gehen. fo lange fragen und fo lange Ohrfeigen hinnehmen.
bis alle beiden Augen lahen.“
Gefagt. gethan! Petru fagte nie etwas zweimal!
..Mein Sohn Petru!“ fprah der Kaifer. diesmal freund
lih und mit beiden Augen lahend: ..Jh fehe. daß Dir diefe
Sorge niht aus dem Kopf geht; fo werde ih Dir die Be:
wandtniß mittheilen. die es mit meinen Augen hat. Sieh.
dies Auge laht. wenn ih fehe. daß ih drei folhe Söhne habe.
wie ihr feid. das andere aber weint. weil ih mih fürhte.
daß Jhr niht im Stande fein werdet. in Frieden zu herr
fhen und das Land vor den böfen Nahbarn zu fhühen.
Wenn Jhr mir aber das Waffer aus dem Brunnen der Fee
der Morgenröthe bringt. damit ih mir die Augen darin wafhe.
werden mir beide Augen lahen. weil ih dann weiß. daß ih
tapfere Söhne habe. auf die ih mih verlaffen kann.“
So fagte der Kaifer. Petru nahm feinen Hut von derOfenbank.
und ging. um feinen Brüdern mitzutheilen. was er gehört habe.
Die Kaiferföhne hielten Rath unter fih und entfhieden
-241

die Sahe bald. wie es fih unter leiblihen Brüdern geziemt.


Florea. als der ältefte unter den dreien. ging in den Stall.
wählte das befte und fhönfte Pferd aus. fattelte es und
nahm dann Abfhied von Haus und Hof.
..Ih mahe mih auf“. fagte er zu feinen Brüdern. ..und
wenn ih nah einem Jahre. einem Monat. einer Wohe und
einem Tage niht mit dem Waffer vom Brunnen der Fee
der Morgenröthe heimgekehrt bin. dann komm Du. Eoftau
mir nah.“ Und damit zog er von dannen.
Drei Tage und drei Nähte hielt Florea gar niht an;
das Pferd flog wie ein Gefpenft über Berge und Thäler.
bis es an die Grenzen des Kaiferreihs kam. Rund herum
um das Kaiferreih aber war ein tiefer Abgrund. und über
diefen Abgrund nur eine einzige Brücke. An diefer Brücke
hielt Florea noch einmal an. um zurückzufhauen. und um Ab
fhied von dem Heimathland zu nehmen.
z Möge der Herrgott fogar eine Heidenfeele vor dem bewah
ren. was Florea jeht erblickte. als er weiter ziehen wollte: einen
Drahen! aber einen Drahen mit .drei Köpfen. mit furht
baren Gefihtern. mit einem Kiefer im Himmel und dem
anderen auf der Erde!
Florea wartete niht ab. daß der Drahe ihn in Flammen
bade. fondern gab feinem Pferde die Sporen und verfhtvand.
als ob er nie da gewefen fei.
Der Drahe feufzte einmal auf und verfhwand. ohne
eine Spur zu hinterlaffen.
Eine Wohe verging; Florea kehrte niht heim. zwei
vergingen. von Florea hörte man nihts mehr. Ein Monat
verging; Eoftan begann fih unter den Pferden nah einem
für fih umzufehen. Als die Morgenröthe nah einem Jahre.
16
_242

einem Monat. einer Wohe und einem Tage anbrah. beftieg


Eoftan fein Pferd. nahm Abfchied von feinem jüngeren
Bruder. ..komm Du. wenn auh ih zu Grunde gehe“. fagte
er. und zog davon. wie fein Bruder davon gezogen war.
Der Drahe an der Brücke war jeht noh fhreckliher.
feine Köpfe waren furhtbarer. - und der Held entfloh noh
fhneller.
Man hörte von den beiden Brüdern nihts mehr; Petru
blieb allein.
..Jh werde jeßt auh meinen Brüdern nahgehen“. fagte
Petru eines Tages zu feinem Vater.
..So geh' mitGott“. entgegnete ihm der Kaifer. ..der allein
weiß. ob Du mehr Glück haben wirft. als Deine Brüder!“
So nahm auh der jüngfte Sohn des Kaifers Abfchied
und mahte fih nah den Grenzen des Reihes auf.
Auf der Brücke ftand jeht ein noch größerer und fhreck
liherer Drahe. mit noh furhtbareren und noh weiter *ge
öffneten Kiefern. Der Drahe hatte jeßt nicht drei. fondern
fieben Köpfe.
Petra blieb ftehen. als er dies fhrecklihe Ungethier
erblickte. ..Geh aus dem Weg!“ rief er dann. Der Drahe
ging niht. Petru rief noh ein Mal und noh ein drittes
Mal; darauf warf er fih mit gezücktem Shwert auf ihn.
Augenblicklih verdunkelte fih ihm der Himmel. fo daß er
nichts als Feuer fah: Feuer rehts. Feuer links. Feuer vor
ihm. Feuer hinter ihm. Der Drahe fpie Feuer aus allen
fieben Köpfen.
Das Pferd begann zu wiehern und auf zwei Beinen
zu ftehen. fo daß der Held niht mit dem Shwerte zuhauen
konnte. .
*-243

..Haltl fo geht's niht!“ fagte Petra und ftieg vom


Pferde ab. Jn der linken Hand das Pferd am Zügel. in
der Rehten das Shwert.
Auh fo ging es niht, Der Held fah nihts als Feuer
und Rauh.
..Nach Haufe*- um ein befferes Pferd zu holen!“
Petra fagte es. beftieg fein Pferd und ging. am wieder zu
kommen.
Als er zu Haufe anlangte. erwartete ihn feine Amme.
die alte Birfha. am Hofthor.
„Sieh an. mein Sohn Petra! ih wußte. daß Da wie
der kommen mußteft. weil Da niht gut fortgezogen warft!“
..Wie hätte ih denn fortziehen follen?“. fragte Petra
halb ärgerlih. halb traurig.
* „Siehh mein lieber Petra“. begann die Alte ihn zu be
lehren: ..Du kannft niht zum Brunnen der Fee der Morgen
röthe gelangen. wenn Da niht auf dem Pferde reiteft. auf
dem Dein Vater. der Kaifer. in feiner Jugend ritt; geh.
frage wo und welhes jenes Pferd ift. dann befteige es und
mahe Dih auf.“
Petra dankte ihr für die Belehrung und ging dann.
um wegen des Pferdes zu fragen.
..Das Liht möge Dir fhwarz werden!“ fprah jeht der
Kaifer. ..Wer hat Dih gelehrt. daß Du mih fo fragft?
Gewiß jene Hexe von Birfha! Bift Du bei Sinnen? Fünf
zig Jahre find vergangen. feitdem ih jung war. wer weiß.
wo die Knohen meines Braunen von damals faulen. Mir
ift. als ob auf dem Boden des Stalles noh ein Riemen
vom Zügel liegt. Den habe ih noh und weiter nihts vom
Pferd.“
16*
_244_.
Petra ging ärgerlih davon nnd fagte der Alten das
Wie und Was.
..Warte nur“. rief die Alte lachend. ..Wenn die Sahen
fo liegen. ift's gut. Geh und. hole das Stück vom Zügel.
Jh werde fhon wiffen. wie ich daraus etwas zu Wege bringe.“
Der Boden war voll von Zügeln. Satteln und Riemen:
Petra wählte die zerfreffenften. geroftetften und fhwärzeften
» und brahte fie der Alten. damit fie daraus mahen follte.
wovon fie gefprohen.
Die Alte nahm die Zügel. räuherte fie mit Weihrauh.
murmelte über ihnen einen Spruh kurzer Formeln und fagte
darauf zu Petra: ..Nimm die Zügel und fhlage mit ihnen
an die Säulen*) des Haufes.“
Petra that. wie ihm geheißen.
Die Befprehüng der Alten war gut gewefen. Kaum
fhlug Petra mit den Zügeln an die Säulen. gefhah auh
. ih weiß nicht wie etwas. vor dem Petra erftarrt
ftehen blieb! Ein Pferd ftand vor ihm. ein Pferd. wie
die Welt kein fhöneres gefehen! Mit einem Sattel aus
Gold und Edelfteinen. mit Zügeln. die man niht anfhaüen
konnte. um niht das Augenliht zu verlieren. Shönes Pferd.
fhöner Sattel und fhöne Zügel für den fhönen Prinzen!
..Springe auf den Rücken des Brunnen. junger Held“. rief
die Alte. ein Kreuz über Pferd und Reiter fhlagend; dann
fprah fie noh einen kurzen Spruh und trat in's Haus.
Nahdem Petra auf's Pferd gefprungen. fühlte er feinen

*) Ramänifhe Vanernhäufer *haben meiftens einige Säulen


vor dem Haufe. welhe das überftehende Dah tragen.
-245

Arm dreimal fo kräftig und um ebenfo viel mal mehr Männ


lihkeit im Herzen.
..Halte Dih gut. Herr. denn wir haben einen langen
Weg und müffen fhnell reiten.“
So fagte derBraune; und der Held hat es bald ge
merkt. fie titten. fie ritten. fie ritten. wie nie vorher Pferde und
Helden geritten,
Auf der Brücke ftand jetzt ein Drahe. wie er
noh nie geftanden. ein Drahe mit zwölf Köpfen. von
denen der eine immer fhreckliher. immer voller von Feuer
als der andere. Ja. aber er fand auh feinen Gegner.
Petru erfhrak niht. fondern begann die Aermel hoh zu
ftreifen und in die Hände zu fpucken: ..Geh aus dem Weg!“
Der Drahe begann Feuer zu fpeien. Petra mahte darum
niht viel mehr Worte. fondern zog das Shwert und mahte
fih bereit. auf die Brücke los zu ftürzen. .
..Halt ein. mäßige Dih. Herr“. fprah jeht der Braune.
..thu wie ih Dir fage: drücke die Sporen feft an meinen
Leib. zieh das Shwert und halte Dih bereit. denn wir
müffen jeht über die Brücke und den Drahen fortfpringen.
Wenn Du dann fiehft. daß wir gerade oberhalb des Drahen
find. fhneide ihm den großen Kopf ab. wifhe das Shwert
an Deinem Aermel vom Blute rein und fteck's in die Sheide.
damit Du fertig feieft. wenn wir wieder auf dem Erdboden
anlangen.“
Petra drückte die Sporen an. zog das Shwert. hieb
den Kopf ab. wifhte das Blut ab. fteckte das Eifen in die
Sheide und war fertig. als er den Erdboden wieder unter
des Pferdes Hufen fühlte.
So gelangten fie über die Brücke.
_246

..Jeht müffen wir weiter“. begann Petru die Rede.


nahdem er noh einmal auf fein Heimathland zurückgeblickt
hatte.
„Vorwärts“. entgegnete der Braune. ..nur mußt Du
mir jeßt fagen. Herr. wie wir eilen wollen? Wie der Wind?
Wie der Gedanke? Wie die Sehnfuht? oder gar wie der
Fluh?“
Petru fhaute vor fih und fah nihts als Himmel und
Erde.... eine Wüfte. bei deren Anblick ihm das Haar
zu Berge ftand.
..Wir wollen abwehfelnd reiten. niht zu fhnell. um
niht zu ermüden. niht übermäßig. um uns niht zu ver
fpäten.“ -
Sagte es - dann ritten fie. ritten einen Tag wie der
Wind. einen wie der Gedanke. einen wie die Sehnfuht und
einen wie der Fluh. bis fie beim Morgengrauen des vier
ten Tages am Rande der Wüfte anlangten.
..Jetzt halt an und gehe im Shritt. damit ih an
fhaue. was ih noh niht gefehen habe“. rief Petru. fih die
Augen reibend. wie ein vom Shlaf Erwahender. oder wie
Einer. der etwas fieht. was ihm fo vorkommt. als fhiene
es ihm nur. . , . Vor Petru's Augen dehnte fih ein Wald
aus Kupfer aus. mit Bäumen. Bäumhen und Bäumlein
aus Kupfer. mit Blättern aus Kupfer. mit Gebüfhen. Kräu
tern und Blumen allerfhönfter Art. Alles aus Kupfer.
Petru ftand und fhaute. wie fo ein Menfh fhaut. der
fieht. was er noh nie gefehen und von dem er noh nie
gehört hat. 1
Er ritt in den Wald hinein. -
Die Blumen am Rande der Wege begannen fih anzu
.x 247 _
preifen und fuhten Petra zu verführen. daß er fie brehe
und fih einen Kranz aus ihnen winde.
..Nimm mih. denn ih bin fhön und gebe Kraft dem.
der mih briht“. fagte die Eine.
..Ah nein. nimm mih. denn wer mih am Hate trägt.
den liebt die fhönfte Frau der Welt“. fagte die Andere. . . .
Und wiederum eine andere und noh eine bewegten fih.
eine immer fhöner als die andere. und mit füßen Stimmen
wollten fie Petra verführen. fie zu brehen.
Der Braune fprang zur Seite. als er fah. daß fein
Herr fih nah den Blumen bückte. _
..Warum hältft Du Dih niht ruhig?“ fu'hr Petru ihn
etwas hart an.
..Brih keine Blumen. denn es geht Dir fhleht. wenn
Du fie pflückft“. rieth ihm der Braune.
..Warum würde es mir fhleht gehen?“
..Auf diefen Blumen ruht ein Fluh: wer fie pflückt. der
muß mit der Welwafi) des Waldes kämpfen!“
..Mit was für einer Welwa?“
„Jetzt laß mih in Frieden! Aber höre: fhau Dir
die Blumen an. aber pflücke keine von ihnen. fondern halte
Dih ruhig.“ So fagte das Pferd und ging im Shritt weiter.
Petra wußte durh Erfahrung. daß er gut that. auf
den Braunen zu hören; fo riß er feine Gedanken von den
Blumen los.
Aber vergebens! Wenn Jemand mal Unglück hat. wird
er es niht los. wenn er fih auh mit aller Maht darum

*) Welwa. ein undefinirbares Ungethüm. das in der Phantafie


des rumänifhen Bauern lebt. f
-- 248 »

bemüht. Die Blumen boten fih ihm immer noh an und


fein Herz wurde fhwah und fhwäher.“
..Mag kommen. was kommen foll“. fagte Petra nah
einer Weile. ..So werde ih doh wenigftens die Welwa
des Waldes fehen. damit ih weiß. wie fie ift und mit wem
ih zu than habe? Wenn es mir beftimmt ift. durh fie zu
fterben. würde ih es fo wie fo. wenn niht. werde ih durch
kommen- und wären ihrer hundert nnd tanfend!“ Dann
mahte er fih daran. die Blumen abzarupfen.
..Du haft niht reht daran gethan!“ fagte der Braune
forgenvoll. ..Da es nun aber mal gefhehen. ift's niht zu
ändern. fo gürte Dich und halte Dih kampfbereit. denn hier
ift die Welwa!“
Kaum hatte der Braune gefprohen. kaum hatte Petra
feinen Kranz gewunden. als fih auch ein leihter Wind
aus allen Rihtungen erhob. Aus dem Wind erwachs
ein Sturmwind. Der Sturmwind fhwoll an. fhwoll. bis
man nihts als Dunkelheit und Naht fah und wiederum
nur Naht und Dunkelheit. Petra war zu Mathe. als
habe Jemand die Welt auf den Rücken genommen und
fhleppte fie im Entfliehen mit fih. fo dröhnte und bebte
der Boden unter ihm.
..Fürhteft Du Dich?“ fragte der Braune. die Mähne
fhüttelnd.
..Niht doh!“ entgegnete Petra. fih Muth zuredend. ob
gleih ihm die Gänfehaut den Rücken entlang lief. ..Wenn
es einmal fein muß. gut. fo fei's. wie es ift.“
..Du braühft Dih auh niht zu fürhten“. fing der
Braune an. ihm zuzureden. ..Nimm mir den Zaum vom
Hals und fuhe die Welwa mit ihm einzafangen.“
»- 249

Das konnte er gerade noh fagen. und Petra hatte


niht einmal Zeit. den Zaum ordentlih loszubinden. ehe die
Welwa vor ihm ftand. Petra konnte fie niht anfhauen. fo
furhtbar und fhrecklih war fie.
Einen Kopf hat fie niht. aber ohne Kopf ift fie
auh niht. durh die Luft fliegt fie niht. aber auf der
Erde geht fie auh niht. Hat eine Mähne wie das Pferd.
Hörner wie der Hirfh. ein Gefiht wie der Bär. Augen wie
der Jltis. und der Körper hat von allen etwas. nur von
»einem lebenden Wefen nihts!. Das war die Welwa. die
fih auf Petra ftürzte.
Petra ftellte fih in feinen Steigbügeln auf. und begann
bald mit dem Shwerte. bald mit dem Arm zu hauen. der
Shweiß aber lief ihm wie ein Bah herunter.
f Ein Tag und eine Naht verging; der Kampf konnte
fich nicht entfheiden.
..Halt an. daß wir uns ein bishen erholen“. fagte die
Welwa. fhwer Athem holend.
Der Held ließ den Säbel fallen.
..Halt niht ein!“ rief der Braune fhnell. Petra begann
wieder aus ganzer Maht zu arbeiten.
Die Welwa wieherte jeht einmal wie ein Pferd. heulte
dann wie ein Wolf und ftürzte fih von Neuem auf Petra»
Der Kampf dauerte noh einen Tag und eine Naht und
fürhterliher als bisher. Petra konnte fih vor Müdigkeit
kaum noch bewegen.
„Halt jeht ein. denn ih fehe. daß ih es mit Einem.
der's verfteht. zn than habe. Halt ein“. fagte die Welwa zum
zweiten Male. ..halt ein. damit wir uns ausgleihen.“
..Halt niht ein“. rief der Braune.
M
_250-

Petru kämpfte weiter. obgleih er kaum noh athmen


konnte. Aber auh die Welwa ftürzte fih niht mehr wie
bisher auf ihn. fondern begann fih mit mehr Bedaht und
Umfiht zu benehmen. wie fih die zu benehmen pflegen. die
niht mehr viel Kraft in fih fühlen.
So dauerte der Kampf bis zum Morgengrauen des
dritten Tages. Als die Morgenröthe zu glimmen begann.
warf Petru. _- wie. weiß ih niht. genug aber. daß er
es that. er warf den Zügel über den Kopf der ermüdeten
Welwa. Augenblicklih wurde aus der Welwa ein Pferd. . . . .
das fhönfte Pferd der Welt.
..Süß fei Dir das Leben. denn Du haft mih aus der
Verzauberung erlöft“. fagte jeht die in ein Pferd verwandelte
Welwa und begann den Brunnen zu liebkofen.
Darauf verftand Petru aus Rede und Gegenrede. wie
die Welwa nihts anderes als ein Bruder des Braunen fei.
den die heilige Mittwohk) vor fo und fo viel Jahren ver
hext hatte. '
Petru band die Welwa an fein Pferd. fhwang fih auf
dasfelbe und begab fih von Neuem auf den Weg. . . Wie
ritt er? Das brauhe ih gar niht erft zu fagen. Shnell
ritt er. bis er aus dem Kupferwald herauskam.
..Steht ftill. laßt mir Zeit. daß ih mir anfhaue. was
ih noh nie gefehen“. fagte Petru noh einmal. als fie aus
dem Kupferwald hinausgel'angten. Vor ihm erftreckte fih
jeht ein noh wunderbarerer Wald als der von Kupfer.

*) Miereuri : Mittwoh. und Mereuria. d. h. weiblihe Form


des Mercur.
_251

mit glänzenden Gebüfhen. mit den fhönften und verführerifch


ften Blumen: er betrat den Silberwald!
Die Blumen begannen noh füßer und anlockender zu
reden. als die im Kapferwald gethan.
..Pflück' keine Blumen mehr“. fagte die an den Braunen
gebundene Welwa. ..denn mein Bruder ift fiebeu Mal ftärker
als ih.“
Mein furhtlofer Held aber. bezwang er fih? Kaum
ein. zwei Minuten vergingen. da fing Petra an Blumen zu
brehen und einen Kranz aus ihnen zu winden.
Der Starmwind healte ftärker. die Naht wurde fhwärzer
und die Erde erzitterte noh mehr. als im Kapferwalde; die
Welwa des Silberwaldes warf fih auf Petra mit fiebeu
Mal größerer Farhtbarkeit. als diejenige des Kupferwaldes
es gethan. Aber auh er war niht faul. Der Kampf
dauerte wieder drei Tage und drei Nähte. und beim Morgen
grauen des vierten Tages ziigelte Petra auh die zweite
Welwa.
..Süß fei Dir Dein Glück. denn Du haft mih aus der
Verzauberung erlöft!“ fagte auh diefe Welwa. dann mahten
fie fih wieder auf den Weg. wie fie bisher gekommen.
..Halt. fieht ftill. geht in Shritt. damit ih mir an
fhaue. was ih noh nie gefehen“. rief der Reiter jeßt zum
dritten Male. hielt dann aber die Hand vor die Augen. weil
er fürhtete. das Augenliht za verlieren von den Strahlen.
die vom Goldwalde ausgingen. Er hatte fhon wunderbare
Dinge gefehen. aber von fo etwas 'hatte er bisher niht ein
mal geträumt.
..Bleiben wir hier ftehen. denn fonft geht's uns fhleht!“
riefen die Pferde wie aus einem Munde.
*-252
..Warum follte es uns fhleht gehen?“ fragte Petra.
..Du wirft wiederum von den Blumen pflücken. Jh
weiß. daß Dein Herz Dir niht eher Ruhe läßt! Und unfer
jüngfter Bruder ift fieben mal fiebenmal ftärker und fhreck
liher. als wir drei zafammengenommen. Drum laß uns
den Wald umgehen!“ So fprah der Braune.
..Gewiß niht!“ entgegnete Petra. ..laß uns gehen! Nun
laß uns Alles fehen. da wir etwas gefehen; und Alles durh
mahen. nun wir etwas durhgemaht. Habt keine Angft.
ih habe auh keine!“
Jh braühe gar niht erft zu fagen. daß Petra wiederum
that. was er fchon zweimal gethan. Du lieber Gott! wie
follte er es auh niht thün?
Kaum war der Kranz gewunden. als etwas begann.
was noh nie gewefen. Jeht war es niht etwa ftärkerer
Sturmwind. niht mehr Naht. die Erde erbebte niht
ftärker. Nein! Es gefhah. ih weiß niht was und weiß
niht wie. genug. daß es Petra fhien. als fei Jemand in
die Mitte der Erde geftiegen. um fie umzukehren. Shrecklih
war was gefhah und fürhterlih und Gott behüte Einen
davor!
..Siehft Da!“ fagte der Braune ärgerlich. ..warum
konnteft Dü niht Frieden halten?“
Petra fah. daß er nihts mehr fah. begann zu fühlen.
daß er nihts mehr fühlte. und verftand. daß er nihts mehr
verftehen konnte: fo fhwieg er alfo und fagte nihts. fondern
ümgürtete fih mit dem Shwert und mahte fih kampfbereit*
..Jeht kann die Welwa kommen“. rief er darauf. „Entweder
fterbe ih. oder ih werfe ihr den Zügel über den Kopf!“
Kaum hatte er das Wort gefprohen. als er etwas noh
- -
nie Gefehenes erblickte. das fih ihm näherte. Ein dihter
Nebel kam auf Petra zu. So diht war diefer Nebel. daß
Petra fih felbft in ihm niht fehen konnte.
..Was ift das?“ rief Petra etwas erfhreckt. als er zu
fühlen begann. daß es ihm überall weh that. Er erfhrak
aber noh mehr. als er merkte. daß er fein eigen Wort in
diefem dihten Nebel niht hörte. So begann er nah rehts
und links mit dem Shwert um fih zu fhlagen. nah vorn
und nah hinten. nah allen Seiten und aus allen Kräften.
die er noh hatte. - fo nämlih wie es der Menfh that.
wenn er fieht. daß es ernft wird. So kämpfte er einen Tag
und eine Naht. ohne etwas anderes zu fehen. als daß es
ihm fhwarz vor den Augen war. ohne etwas anderes zu
hören. als das Riefeln feines Shweißes auf den Pferde
leibern. Seit einiger Zeit war ihm fogar zu Mathe. als
lebe er niht mehr. fondern fei längft geftorben. Plötz
lih begann der Nebel fih zu zertheilen. Beim Morgengrauen
des zweiten Tages entwih der Nebel ganz. und als die
Sonne fih am Himmel erhob. war das Liht vor den Augen
Petru's wiederum Liht. Ihm fhien es. als fei er von Neuem
geboren,
Die Welwa? Die war wie vom Erdboden verfhwunden!
..Athme jeht einmal auf. denn der Kampf wird gleih
von Neuem beginnen“. fagte der Braune.
..Was war das?“ fragte Petra.
..Die Welwa“. entgegnete der Braune. ..die Welwa war
es. in Nebel verwandelt! Hole nur At'hem. denn fie kommt
wiederum.“
Der Braune 'hatte kaum ausgefprohen. und Petra kaum
Zeit gehabt aufzuathmen. als er auh fhon fah. daß etwas
-254

von der Seite kam. etwas. von dem er niht wußte. was
es fei. Ein Waffer. aber es ift niht wie Waffer. denn
es fheint niht auf der Erde zu fließen. fondern auf irgend
eine Art zu fliegen. oder was es fonft thut! - Genug. daß
es keine Spur hinterläßt. und niht in die Höhe fliegt . . .
So etwas. was niht ift!
..Weh mir!“ rief Petru.
..Halte Dih und wehre Dih. fteh niht ftill“. fagte der
Braune. und weiter fagte er nihts mehr. denn das Waffer
füllte ihm den Mund an.
Der Kampf begann von Neuem. Petru fhlug um
fih einen Tag und eine Nacht. ohn' Unterlaß. ohne daß er
gewußt hätte auf was. und kämpfte ohne zu wiffen mit
wem. Als das Morgengrauen des nähften Tages anbrah.
fühlte er. wie feine Füße erlahmten.
„Jeßt geh' ih zu Grunde!“ rief er. etwas ärgerlih;
doh darum begann er fih doppelt zufammen zu nehmen
und fhlug noh kräftiger.. . . Die Sonne ging am Himmel
auf. das Waffer verfhwand. ohne daß man wußte wie und
wann.
..Hol' Athem!“ fprah der Braune. ..hol' Athem. denn
Du haft niht viel Zeit zu verlieren. Die Welwa kommt
gleih wieder.“
Petru fagte nihts mehr. denn der Arme wußte gar niht
mehr. was er vor Müdigkeit thun follte. Er fehte fih alfo
beffer in den Sattel. faßte das Shwert beffer und erwartete
fo vorbereitet. daß herankam. was er fih nähern fah.
So etwas. ih weiß niht wie? wie wenn der Menfh
träumt. daß er etwas fieht. das hat. was es niht hat. und
niht hat. was es hat . . . fo erfhien dem Petru jeht die
-255 -

Welwa. O Himmel. o Himmel. wie konnte die Welwa jetzt


ein Goldwald fein. nahdem fie zweimal mit Shanden davon
gegangen war? Sie flog mit den Füßen und ging mit
den Flügeln. fie war mit dem Kopf im Rücken und dem
-Shweif voran. mit den Augen auf der Braft und der
Braft auf der Stirn. - und wie fie fonft noh war. das
würde nur noh der liebe Gott zu fagen wiffen!
Den Petra iiberliefen Shauer za gleiher Zeit von oben
nah unten und von unten nah oben. einmal überkreuz und
einmal überquer. darauf faßte er fih ein Herz and begann
zu kämpfen. fo wie er fhon einmal gekämpft und. fo. wie
er noh niht gekämpft. .
Der Tag verging. die. Kräfte verließen Petra. Der
Abend brah herein. dem Petra fingen fich die Augen an zu
verfhleiern. Als die Mitternaht kam. fühlte Petra. daß er
niht mehr auf dem Pferde faß, Er felbft wußte niht. wie
und wann er zur Erde gelangt; genug. daß er niht mehr
zu Pferde war. Als der Tag fih der Naht zu entkleiden
begann. konnte Petra fih niht mehr auf den Füßen halten.
fondern ließ fih auf die Kniee nieder.
„Halte Dih aufreht. nimm Dih noh einmal zu
fammen!“ rief der Braune. als er fah. daß feinen Herrn die
Kräfte verließen.
Petra trocknete fih mit dem Hemdsärmel den Shweiß.
fpannte alle feine Kräfte an und ftand noh einmal aufreht.
„Schlag jeßt die Welwa mit dem Zügel über das
Maul!“ fagte der Braune.
Petra that. wie ihm geheißen.
Die Welwa wieherte einmal wie ein Hengft. fo daß
Petra glaubte taub zu werden. dann fprang fie auf Petra
*256

zu. obgleih auch fie fih vor Müdigkeit kaum rühren


konnte.
Der Kampf dauerte niht mehr lange. Petra brahte
es zu Stande. auh diefer Welwa den Zaum über den Kopf
zu werfen.
Als der Tag vollkommen hell wurde. ritt der Held auf
dem vierten Pferde.
..Shön möge Dein Weib fein. denn Du haft mih aus
der Verzauberung erlöft!“ fagte die Welwa.
Und fie mahten fih anf und ritten weiter. und als die-Naht
den Tag einhüllte. kamen fie an die Grenze des Goldwaldes.
-Wie fie fo den Weg dahin zogen. fing Petra an. fih
zu langweilen. und damit er doh etwas thäte. fing er an.
die fhönen Kränze zu befhaaen.
..Was foll ih mit den Kränzen anfangen?“ begann er
fo zu fih felbft zu reden. „Mir genügt einer. Jh behalte
den fhönften.“ So warf er den aus Kupfer fort. dann den
aus Silber. und behielt nur den aus Gold für fih.
„Halt“. fagte der Braune. ..Wirf die Kränze niht fort.
.Steig ab und hebe fie auf.» denn fie können Dir noh von
Nahen fein.“
Petra that. wie er ihm gefagt und ritt weiter.
Als die Sonne nur noh eine Hand hoh über der Erde
ftand. fo gegen Abend. wenn die kleinen Fliegen zu fhwärmen
beginnen. gelangte unfer Reiter an den Rand des Waldes.
Vor ihm erftreckte fih eine große Haide. So weit das
Auge reihte. fah man nihts auf ihr.
Die Pferde blieben ftehen.
..Was ift?“ fragte Petra.
..Jetzt kann's uns fhleht gehen“. entgegnete der Braune.
_257

..Waram follte es uns fhleht gehen?“


..Wir kommen jetzt in das Reih der heiligen Mittwoh.
So lange wir darh dasfelbe reiten. werden wir nur auf
Kälte und wiederum Kälte ftoßen. Am Rande des Weges
find lauter Feuer aus Feuer. und mir ift bange. daß Da
hingehft und Dih erwärmft.“
..Und warum foll ih mih niht erwärmen?“
..Es geht Dir fhleht. wenn Da Dih erwärmf “. fagte
der Braune forgenvoll.
..Nur vorwärts“. fagte Petra ohne Furht. ..wenn es
fein maß. werde ih auh Kälte ertragen.“ p '
Je tiefer Petra in das Reih der heiligen Mittwoh
eindrang. ie mehr fühlte er. daß es niht gut fo war. wie
es war. Mit jedem Shritt wurde es kälter. froftiger. aber
fo viel Kälte und Froft. daß auh das Mark in den Knohen
Einem einfror. Aber auh Petra war kein Hafenfaß.
tapfer war er im Kampf gewefen. tapfer blieb er auh im
Ertragen.
Am Rande des Weges war immer ein Feuer nah dem
andern und neben ihnen Menfhen. welhe Petra zu fih riefen
mit den fhönften und verführerifhften Worten. Der Athem
im Munde fror Petra ein. aber er gab niht nah. fondern
befahl dem Braunen Shritt zu gehen.
Wie lange unfer Held mit der Kälte und dem Froft
gekämpft. kann man niht einmal fagen. denn Jeder weiß.
daß das Reih der heiligen Mittwoh niht ein oder zwei
Steinwurf groß ift. Die Kälte ift da niht etwa nur
fo fo. fondern kalt. kalt. daß das Kalb in der Kuh erfriert.
daß auh die Felfen berften vor dem Froft. der da herrfht.
So ift es da. wahrhaftig! Aber Petra war auh niht
17
_258 -

ohne Ungemah groß geworden. er knirfhte mit den Zähnen.


weiter nichts. obgleih er fo erftarrt war. daß er niht einmal
mit den Augen blinken konnte,
So gelangten fie zur heiligen Mittwoh. Petru ftieg
vom Pferde. warf den Zügel über des Brunnen Kopf und
trat in die Hütte der heiligen Mittwoch ein.
..Guten Tag. Mütterhen!“
..Danke fhön. mein erfrorener Held!“
* Petra lahte auf. aber entgegnete nihts.
„Tapfer haft Du Dih gehalten“. fagte ihm jeßt die
heilige Mittwoh. indem fie ihn auf die Shulter klopfte.
„Jeßt werde ih Dir den Lohn geben.“ Darauf ging fie an
einen eifernen Shrein. öffnete ihn und nahm aus demfelben
eine kleine Shahtel. „Shan“. fagte fie weiter. ..diefe Shahtel
ift von Alters her dazu beftimmt. Dem zu gehören. der
durh das Reih der Kälte durhgedrungen ift. Da nimm
fie und behüte fie. denn fie kann Dir zu Vielem nußen.
Wenn Du fie öffneft. kommt Dir Kunde woher Du nur
willft und fichere Nahriht über Dein Heimathland.“
Petru dankte ihr für die Worte und das Gefhenk. be
ftieg fein Pferd und ritt weiter.
Nahdem er fih einen guten Steinwurf von ihr ent
fernt hatte. öffnete er die Zauberfhahtel.
..Was fteht 'zu Befehl?“ fragte irgend etwas aus der
Schachtel.
..Gieb mir Nahriht vom Vater“. befahl Petru etwas
furhtfam.
..Er fißt im Rath mit den Alten“. entgegnete die
Shahtel.
„Geht es ihm gut?“
_259

..Niht gerade befonders. er hat Aergerniß?“


..Wer ärgert ihn?“ fragte Petra jeht etwas fharf.
..Deine Brüder Eoftan und Florea“. antwortete es wieder
aus der Shahtel. ..Wie mir fheint. verlangen fie die Herr
fhaft von* ihm. und der Alte fagt. daß fie ihrer noh niht
würdig find.“
..Borwärts. Brauner. denn wir haben keine Zeit zu
verlieren“. rief jeht Petra. Darauf fchloß er die Shahtel
und fteckte fie in den Reifefack.
Sie eilten. wie die Gefpenfter ziehen. wenn die Wirbel
winde gehmi und um Mitternaht die Vamphre jagen.
Wie lange fie fo geritten find. läßt fih niht einmal
fagen. Lange find fie fo geritten. fehr lange.
..Halt! laß mih Dir noh einen Rath geben“. fagte der
Braune nah einer Weile.
..Laß hören!“ fprah Petra.
„Du haft Dih mit der Kälte geplagt. jetzt wirft Du mit
einer Hitze. wie fie noh nie dagewefen ift. zu than bekommen.
Bleib tapfer! Laß Dih niht zur Kühle hinziehen. fonft geht
es Dir fhleht.“
..Vorwärts!“ entgegnete Petra. ..Laß Dir .nicht bange
fein: wenn ih niht erfroren bin. werde ih auh niht
fhmelzen!“
..Wie niht! Hier ift eine Hihe. bei der Dir das Mark
aus den Knohen ausläuft. eine Hiße nämlich. wie fie nur
im Reih der heiligen Donnerstagh fein kann.“
Je weiter fie eindrangen. defto größer wurde die Hitze.
Sogar die Eifen von des Braunen Hufen begannen zu fhmel

*) Joi. Donnerstag und Jupiter.


17*
_260 -

zen. aber Petra gab niht nah. Der Schweiß raun ihm
herunter. er trocknete ihn mit dem Aermel und ritt eilig
weiter. Was die Hitze anlangt. heiß hätte es noch fein
können. es war aber ein anderer Umftand. _der Petra
mehr quälte. Am Wege. immer einen guten Steinwurf
von einander entfernt. lagen kühle Thäler. mit kalten
durftlöfhenden Quellen. Wenn Petra auf fie fhaute. fühlte
er. daß ihm das Herz verdorrte und die Zunge im Munde
vertrocknete vor Durft. An den Quellen ftanden Lilien.
Veilhen und Rofen in weihem Gras und auf ihnen rahten
fhöne Mädhen. fo fhön. Himmel. wie fie gar niht fhöner
fein können. Petra hätte am liebften die Augen gefhloffen.
um fo verführerifhe Dinge gar nicht mehr zu fehen.
..Komm. Held. komm zur Kühlung. komm. laß Dih von
uns zerftreaen!“ lockten ihn die Mädhen an.
Petra fhüttelte mit dem Kopfe und fagte nihts mehr.
denn ihm war auh die Sprahe abhanden gekommen.
Lange ritten fie fo. fehr lange, Plöhlih fühlten fie.
daß die Hiße etwas nahzalaffen begann. in der Ferne
auf einem .Hügel wurde eine Hütte fihtbar. Hier wohnte
die heilige Donnerstag. Petra nähert fih ihr. Als fie bei
nahe angelangt waren. kam ihnen die heilige Donnerstag ent
gegen and bewillkommnete Petra.
Petra dankte ihr. wie es Brauh ift unter ange
fehenen und gefitteten Leuten; darauf ließen fie fi in
ein Gefpräh ein. wie es Leute. die fih noh nie gefehen
haben. zu thün pflegen, Petra brahte Kunde von der
heiligen Mittwoh. fprah von feinen Erlebniffen und von
dem Ziel. zu dem er fih aufgemaht. und fagte ihr dann Lebe
wohl. denn er hatte wahrhaftig keine Zeit zu verlieren. Denn.
_261

wer weiß. wie weit er noh bis zur Fee der Morgenröthe
hatte!
..Bleib ein wenig. daß ih Dir noch ein Wort fage“.
fprah die heilige Donnerstag. ..Jeht kommft Du in das
Reih der heiligen Freitagk): gehe auh zu ihr heran und
fage ihr. daß ih ihr Gefundheit und Glück wünfhen laffe.
Wenn Du dann heimkehrft. komm wieder zu mir. dann will
ih .Dir etwas geben. was Dir von Nahen fein wird.“
Petra dankte für ihre Worte und für Alles und ritt
weiter.
Kaum ritt er fo lange. wie eine Pfeife Tabak brennt.
als er auh in ein neues Land kam, l
Hier war es niht heiß und auh niht kalt. fondern
fo zwifhen Beiden. wie's im Frühling ift. wenn die Lämmer
entwöhnt werden. Petra begann jeht behaglih aufzuathmen.
er war aber in einer Haide. nur Sand und Difteln,
..Was kann dies fein?“ fragte Petra. als er etwas einem
Haufe Aehnlihes. aber weit. fehr weit weg erblickte; da ge
rade. wo fein Auge das Ende der leeren Haide fah.
..Das ift das Haas der heiligen Freitag“. antwortete
der Braune. ..wenn wir zureiten. können wir es noh vor
völliger Dunkelheit erreihen.“
So gefhah es auh. Die Naht brah herein. und
unfer Held näherte'fih langfam dem entfernten Haufe.
Auf der Haide erblickte man eine große Anzahl Gefpenfter.
die fih rehts. links. vor und hinter Petra jagten.
..Aengftige Dich niht“. fagte der Braune, Es find die

*l Vineri ift fowohl Freitag wie Venus.


-262

Töhter der Wirbelwinde. fie tanzen durh die Luft und er


warten den Mondfreffer.“
So gelangten fie bis zum Haufe der heiligen Freitag.
..Steige jeßt ab und tritt in's Haus“. fagte der Braune.
Petru wollte thun. wie ihm gefagt war,
..Halt. fei niht fo 'haftig“. fprah der Braune weiter. ..Laß
mih Dir erft weiter Befheid fagen. wie und was Du mahen
follft. Bei der heiligen Freitag kannft Du niht fo ohne Weiteres
eintreten. fie ift ringsherum von den Wirbelwinden bewacht.“
..Was foll ih alfo mahen?“
..Nimm den Kupferkranz und gehe mit ihm dorthin.
ftehft Du. auf jenen Hügel. Wenn Du auf ihm fein wirft.
beginne zu rufen: Himmel. was für fhöne Mädhen. was
für Engel. was für Feenfeelen!“ Darauf hebe den Kranz
hoh und fage: .Wenn ih wüßte. ob Jemand diefen Kranz
von mir annimmt . . , wenn ih das wüßte! wenn ih das
wüßtet und wirf den Kranz von Dir.“
..Und warum foll ih das thun?“ fragte Petru. wie fo
ein Menfh zu fragen pflegt. der wiffen will. warum er das
thut. was er thut.
..Shweig! Geh und handle“. entgegnete ihm kurz der
Braune. und Petru that ohne weiter etwas zu fprehen.
wie ihm geheißen.
Kaum hatte Petru den Kranz von fih geworfen. als
fih auh fhon die Wirbelwinde auf denfelben ftürzten und
fih um ihn riffen,
Petru wandte fih jeßt zum Haufe.
„Halt“. rief der Braune noh einmal. ..Jh habe Dir
noh niht Alles gefagt. Nimm den Silberkranz und gehe
und klopfe an's Fenfter der heiligen Freitag. Wenn die
_263
Alte Dih frägt: Wer da? fage. daß Du zu Fuß kommft
und in der Haide heramgeirrt bift. Sie wird Dih zurück
weifen. Da mußt Dih aber nicht vom Fleck rühren. fondern
ihr fagen: Jh gehe gewiß niht fort. denn feitdem ih klein
war. habe ih immer von der Shönheit der heiligen Freitag
(Venus) reden hören. und ih habe mir niht Schuhe aus
Stahl mit Riemen aus Kalbsleder machen laffen. bin niht
neun Jahre und nean Monate weit gereift. habe niht um
diefen Silberkranz gekämpft. den ih ihr geben wollte. habe
niht alles das gethan und geduldet. um umzakehren. nun
ih bei ihr angelangt. So tha es und fo rede; was dann
folgt. laß Deine eigene Sorge fein.“
Petra fagte kein Wort weiter. fondern ging auf's Haus zu.
Da es finftere Naht war. fah Petra niht einmal das
Haas der heiligen Freitag. fondern ging nur nah den Liht
ftrahlen. die durhls Fenfter bis zu ihm drangen. Als er
an's Haas gelangte. fingen einige Hunde an zu hellen. weil
fie etwas Fremdes in der Nä'he fühlten.
..Wer balgt fih da mit den Handen? Möge ihm das
Leben bitter fein“. rief die heilige Freitag wirklich erzürnt.
..Ich bin es. heilige Freitag. ich!“ fagte Petra fhwer
Athem holend. wie ein Mann. der möhte. aber auh wieder
niht reht möhte. was er that. ..Jh bin auf der Haide
heramgeirrt. und weiß nicht. wo ih für die Naht anter
kommen kann.“ Hier fhwieg er. er wagte niht mehr zu
fagen.
..Wo haft Du Dein Pferd gelaffen?“ fragte die heilige
Freitag etwas fharf.
Petra blieb in Gedanken: er wußte niht. ob er lügen
follte. oder die Wahrheit reden. So antwortete er nihts.
- 264 -

..Geh mit Gott. mein Sohn. ih habe keinen Plah für


Dih“. fagte die heilige Freitag und zog fih vom Fenfter
zurück,
Petra fagte jetzt. was ihn der Braune zu fagen ge:
heißen hatte.
Kaum hatte er feine Sahe gefagt. als er auh fhon
fah. daß die heilige Freitag ihm das Fenfter öffnete und in
füßen Worten mild mit ihm fprah:
..Laß mih den Kranz fehen. mein Sohn!“
Petra reihte ihr den Kranz.
„Komm in's Haas“. fagte darauf die heilige Freitag.
..fürhte Dih niht vor den Hunden. denn fie kennen meinen
Willen.“
So war es auh. Die Hunde begannen mit den
Shwänzen zu wedeln und folgten dem Petra. wie fie einem
Menfhen nahgehen. der Abends vom Acker nah Haufe
kommt.
Petra fagte ..guten Abend“ als er in's Haas trat. legte ,
feinen Hut oben auf den Backofen und fehte fich auf die
Ofenbank. nahdem fie ihm gefagt. Plah zu nehmen.
Nun fprahen fie fo über alltäglihe Dinge. über
die Welt. über die Shlehtigkeit der Menfhen und über an:
dere ähnlihe Dinge. ohne befondere Bewandtniß und Be
deutung. Es erhellte daraus. daß die heilige Freitag fehr
aufgebraht über die Menfchen war; Petra aber gab ihr
in Allem Reht. -- nämlih fo geziemt es fih fiir Jemand.
der an eines Anderen Tifhe fiht.
Himmel. aber wie alt war diefe Alte!
Jh weiß niht. warum der junge Petra fie fo mit den
Augen verfhlang. daß er ihr den böfen Blick hätte geben
_265
können! Wollte er ihr etwa die Runzeln im Gefiht zählen?
Vielleiht! Er hätte aber fieben Mal hinter einander ge
boren werden müffen und jedes Mal fieben Mal fo lange
leben müffen. als ein Menfhenleben lang ift. am fie alle
zählen zu können.
Der heiligen Freitag aber lahte das Herz vor Freude.
als fie fah. daß Petra fih ganz in ihren Anblick verlor.
..Als noch nicht war. was ift“. begann die heilige Frei
tag zu reden. ..als die Welt noch niht Welt war. da bin
ih geboren. und ih war fo fhön als Kind. daß meine
Eltern die Welt werden ließen. damit Jemand fei. der meine
Shönheit anftaunen könne, Als dann die Welt gemaht
wurde. war ih erwahfen. and vor all dem Wundern
über meine Shönheit traf mih der böfe Blick. Seitdem bil
det fih alle hundert Jahre eine Runze( auf meinem Gefiht.
Und jeht bin ih alt!“
Die heilige Freitag konnte vor Aerger und Betrübniß
niht weiter reden.
Jm weiteren Gefpräh fagte die heilige Freitag dem
Petra. wie ihr Vater einmal ein großer und mähtiger
Kaifer war. und wie er. als einmal zwifhen ihm and der
Fee der Morgenröthe. welhe das Nahbarland beherrfchte.
Streit ausbrah. von der böfen Nachbarin ungebührlih ver
fpottet worden war. Dann begann fie. Shlehtigkeiten über
die Fee der Morgenröthe zu fprehen.
Was follte Petra dabei than? er hörte fhweigend zu.
Hin und wieder nur fagte auh er: ..Ia. ja. fo ift es
wahrhaftig hinieden.“ Was konnte er anderes than?
..Ih will Dir aber eine Aufgabe ftellen. wenn Du tapfer
bift und fie mir vollbringen willft“. redete die heilige Freitag.
_266

als fie beide fhläfrig zu werden begannen. ..Bei der Fee der
Morgenröthe ift ein Brunnen? wer aus dem Waffer diefes
Brunnens trinkt. der erblüht wie die Rofe und das Veilhen.
Bringe mir einen Krug davon. und ih werde mih Dir dank:
bar zu erweifen wiffen. Die Sache ift fhwer! das weiß
der Himmel! Das Reih der Fee der Morgenröthe ift von
allerhand wilden Thieren und fhrecklihen Drahen bewaht.
Jh will Dir aber noh etwas fagen und Dir auh etwas
geben.“
Nahdem die heilige Freitag fo gefprohen. ging fie an
einen von allen Seiten mit Eifen befhlagenen Shrank. und
zog aus ihm eine kleine. ganz kleine Flöte heraus.
..Siehft Du diefe Flöte“. fagte fie dem Petru. ..ein alter
Greis hat fie mir gegeben. als ih noh jung war. Wer
den Ton diefer ,Flöte hört. der fhläft ein und fhläft.
bis er ihn niht mehr hört. Nimm Du die Flöte und
blafe auf ihr. fo lange du im Reih der Fee der Morgen
röthe bift. Niemand wird Dir ein Leid anhaben. denn Alle
werden fhlafen.“
Petru fagte jeht. was er zu thun vorhabe. Die heilige
Freitag freute fih noh mehr. Weiter fprahen fie niht
mehr viel. Wie follten fie auh noh. war doh die Mitter
naht vorüber. fhon reihlih vorüber.
Petru fagte ..Gute Naht“. fteckte die Flöte in das
Futteral und ging auf den Boden des Haufes. um auh
endlih einmal zu fhlafen.
Als die Morgenröthe anbrah. war Petru fhon wah;
der Morgenftern war noh niht ordentlih am Himmel
heraufgekommen. als er fhon aufgeftanden war. Er
nahm eine große Krippe. füllte fie mit glühenden Kohlen.
_267 *

und ging um feine Pferde za füttern. Nahdem der Braune


drei mal drei und jedes der anderen Pferde drei volle
Krippen Gluth gefreffen. zog Petra fie an den Brunnen.
tränkte fie und mahte fih wegbereit.
_ „Halt“. rief ihm die heilige Freitag aus dem Fenfter
zu. ..Jh habe Dir noh ein Wort zu fagen! Jh will Dir
noh einen Rath geben.“
Petra näherte fih dem Fenfter.
..Laß ein Pferd hier und mah' Dih nur mit dreien
auf den Weg. Rette langfam. bis Du zu dem Reih der
Morgenröthe gelangft. Dort fteig ab und tritt zu Faß ein.
Wenn Da dann heimkehrft. komme fo. daß alle drei Pferde
Dir im Wege liegen bleiben und Du zu Fuß anlangft.“
..Jh werde jedes Wort genau befolgen“. fprah Petra
und wollte davon gehen.
..Eile Dih niht. ih bin noh niht zu Ende“. fprah
die heilige Freitag weiter. „Sieh die Fee der Morgenröthe
niht an. denn fie hat Augen. die verhexen. und Blicke. die
den Verftand rauben. Sie ift häßlih. fo häßlih. wie es
fih gar niht fagen läßt. Sie hatEulenaugen. ein Fuhs
gefiht und Kahenkrallen. Hörft Da? fhau fie niht an.
Und der Herrgott führe Dih heil und gefand zurück. mein
Sohn Petra.“
Petra dankte für die Worte und die Lehren und hielt
fih niht länger auf, Wo hatte er auh Zeit. mit alten
Weibern zu fhwahen! Er ließ den Braunen dort auf der
Weide und mahte fih auf den Weg.
In der Ferne. in der Ferne. wo der Himmel fih
zur Erde niederläßt. wo die Sterne mit den Blumen
kofen. dort fah man eine helle Röthe. beinahe fo. wie der
-268

Himmel beim Anbruh des Frühlings ift. nur fhöner. nur


wunderbarer.
Dort war das Schloß der Fee der Morgenröthc. Von
hier bis dorthin und von dort bis zurück war nihts als
Wiefe und Blumen. Und dann war es niht warm. niht
kalt. niht hell. niht dunkel. fondern etwas zwifchen Allem.
wie es fo am heiligen Petritag ift. wenn man früh aaffteht.
um das Vieh auf die Matten zu führen. Petra ritt mit
Herzensluft durh dies fhöne Land.
Wie lange nnfer Held fo geritten ift. das kann man in
menfhliher Sprahe niht ausdrücken. denn in jenem Lande
folgt die Nacht niht dem Tage und der Tag nicht der Nacht:
es war immer Morgendämmerung mit weihem. kühlem
Winde. mit unfihtbarer Sonne und 'halbem Liht; die Herr
fhaft von Tag und Nacht begann erft am Haufe der heiligen
Freitag.
Nah langer Wanderung und langer Reife fah Petra
etwas Weißes an der Röthe des Himmels auftauhen. Je
mehr er fih näherte. defto klarer entfaltete fih das. was
er vor feinen Augen fah. - Es war das Shloß. Petra
fhaute und fhaute. Er athmete dann einmal tief auf.
wie ein Mann. der betet: ..Herr. ih danke Dir“. Aber
wie fhön war dies Shloß! Hohe Thürme. die hoh über
das Reih der Wolken reihten. Wände. weiß wie Meer
mufheln und höher als die Sonne am Mittag fteht. ein
Dah aus Silber. aber wie aus Silber? fo daß es niht
mal in der Sonne glänzte. und Fenfter alle aus Luft
gefponnen und in Rahmen von dunklem Gold gewebt.
Ueber allem diefem fpielten nun noh die laftigen Sonnen
ftrahlen. wie der Wind mit dem Shatten der Zweige
-269

fpielt. zur Frühlingszeit. wenn er fih vor Trägheit kaum


bewegt.
Petra hielt erftaunt an. am fih über fo viel angehäufte
Shönheit zu wundern. , '
Lange konnte er niht ftehen bleiben. denn er war eilig.
fo ftieg er ab. ließ die Pferde auf dem thaugetränkten Gras*
weiden. nahm feine Flöte. wie ihn die heilige Freitag ge:
heißen. fagte einmal ..Mit Gott!“ und mahte fih an das
große Werk.
Kaum war er allein zu Fuß drei Steinwürfe weit
gegangen. als er auf einen Riefen ftieß. der lag da von den
füßen Tönen der Flöte eingefhläfert. Dies war einer von den
Wähtern des Shloffes der Fee der Morgenröthe. Wie in
aller Welt hatte er fo groß wahfen. wie hatte fih fo viel
Kraft verkörpern. und wie hatten feine Arme fo fehnig werden
können! Wie er fo auf dem Rücken dalag. fing Petra an.
ihn mit Shritten zu meffen.
Ich will niht übertreiben. aber er war furhtbar
groß; fo groß war er. daß Petra einmal aafathmete. als er
von den Füßen zum Kopf gelangte. er wußte jeßt
niht genau war es vor Müdigkeit. war es vor Staunen?
Es wäre auh kein Wander gewefen. wenn er fih erftauut
hätte. Der Mond beim Aufgang ift niht fo groß. wie das
Auge des Riefen war. Und wenn dies wenigftens fo ge
wefen wäre. wie bei aller Welt. aber nein. es faß mitten
auf der Stirn. So war das Auge! Wie konnte nun
das Uebrige fein! Petra war ein tapferer Held. aber
wahrhaftig. er dankte dem lieben Gott. der Flöte und der
heiligen Freitag. daß er mit diefem Unmenfhen von Menfhen
niht. aneinander gekommen. und ging leife weiter.
_270

So weit. wie ungefähr der Menfh geht. bis er Luft


bekommt. fih in's Kühle zu fehen. ging Petru. bis er auf
noh furhtbarere Dinge ftieß. Drahen. jeder mit fieben
Köpfen. waren in der Sonne ausgeftreckt und fhliefen dort
feft. bald rehts. bald links. Wie diefe Drahen. aus
fahen. fage ih gar niht mehr: das weiß heute die ganze
Welt. Drahen find keine Dinge. über die man fherzen
oder lahen kann. Dies war die zweite Wahe der Um:
gebung des Hofes. Petru eilte gefhwind an ihr vorbei
jeßt weiß ih wirklih niht. war es aus Eile oder
Grauen?
Und es wäre auh weiter kein Wunder gewefen. wenn
ihm gegraut hätte! Drahe ift Drahe!
Jeßt gelangte der Prinz zu einem Fluß. Aber denke
Niemand. daß dies ein Fluß wie andere Flüffe gewefen
wäre; kein Waffer. fondern Milch floß hier. niht über Sand
und Kiefel. fondern über Edelfteine und Perlen. und rann
niht langfam oder fhnell. fondern langfam und fhnell zu gleiher
Zeit. wie die Tage der Glücklihen verrinnen. Das war der
Fluß. der rundherum um das Shloß floß der fließt und
fließt ohne ftill zu ftehen und ohne je vom Fleck zu
kommen. Am Rande des Fluffes fhliefen. immer Einer
einen Sprung vom Andern entfernt. Löwen mit Klauen,
Aber was für Löwen! Mit Goldhaaren und an den Zähnen
und den Klauen mit Eifen befhlagen. Dies waren die
Wähter des Fluffes Jenfeits. auf der anderen Seite
des Fluffes. war ein fhöner Garten. fehr fhön. wie er
eben nur bei der Fee der Morgenröthe fein kann. Am Ufer
die fhönften Blumen; auf den Blumen fhlief füß und fanft
eine Fee neben der anderen. eine immer .fhöner als die
_271
andere. bezaubernder und füßer anzufhauen. Petra wagte gar
niht. dorthin zu blicken. " -
Der Prinz fragte fih jeßt. wie er über den Fluß kommen .
follte. Der Fluß war breit und tief und über ihn führte
nur eine Brücke; aber auh fie war fo. wie es in diefer
Welt keine giebt. Diesfeits und jenfeits. auf dem einen Ufer
und auf dem anderen. je ein Brückenkopf. jeder von 4
fhlafenden Löwen bewaht; die Brücke jedoh! über die
konnte keine Menfhenfeele gehen. Mit den Augen fah
man fie. aber man fühlte in die Leere. wenn man fie mit
dem Faß betreten wollte. Wer weiß. woraus die nun wieder
gefertigt war! Vielleiht aus einem Lämmerwölkhen.
Genug. Petra blieb am Ufer des Fluffes. Hinüber
gehen? das konnte er niht. Hinüberfhwimmen? daran
war niht zu denken. Was follte er alfo mahen! Na. um
Petra brauht uns niht bange zu fein. fo leiht läßt er
fih niht abfhrecken.
Er kehrte am und ging bis zu dem Riefen zurück.
..Wir wollen es darauf ankommen laffen!“ dahte er fo in
fih. ..nun wollen wir uns einmal unterhalten! Wah' auf.
mein Tapferer“. rief er darauf dem Riefen zu. ihm am
Aermel des Ueberrockes zupfend.
Als der Riefe vom Shlaf erwahte. ftreckte er die
Hand nah Petra aus . . . fo. als wenn wir eine Fliege
* fangen wollen.
Petra blies auf der Flöte_ der Riefe fiel wiederum *
zur Erde. '
So weckte Petra ihn dreimal und ließ ihn immer
wieder einfhläfen; dreimal nah einander. das heißt dreimal
hat er ihn geweckt und dreimal wieder eingefhläfert.
._ 272 -
Als es zum vierten Mal gefhehen follte. knüpfte Petra fein
Halstuh ab. band mit ihm die beiden kleinen Finger des
Riefen aneinander. zog das Shwert und rief. den Riefen
“ an der Bruft faffend. noh einmal: ..Wah' auf. mein
Tapferer!“
Als der Riefe fah. was für ein fhlehter Poffen ihm
gefpielt worden war. fagte er zu Petra: ..Hör'. Du kämpfft
keinen ehrlichen Kampf! Kämpfe ehrlih. wenn Du ein
Held bift!“
..Wart' ein Weilhen. erft hab' ih mit Dir zu reden“.
fprah Petra. ..Shwöre. daß Du mih über den Fluß
bringen willft. dann laß ih Dih los zu ehrlihem Kampf.“
Der Riefe that den Shwar. und Petra ließ ihn aufftehen.
Als der Riefe fih ganz wah fühlte. ftürzte er fih auf
Petra. am ihn mit einem Shlage zu zerquetfhen. Er hatte
aber feinen Mann gefunden! Petra war niht von geftern
oder ehegeftern; auh er ftürzte fih heldenhaft auf den
Gegner.
Drei Tage und drei Nähte lang kämpften fie. der
Riefe nahm Petra und fhlug mit ihm auf den Boden. daß
er bis an die Kniee in die Erde drang. der Petra aber den
Riefen. daß jener bis zum Gurt in der Erde fteckte; darauf
der Riefe ihn bis zur Bruft und fhließlih Petra jenen bis
zum Hals.
Als der Riefe fih fo in die Enge getrieben fah. rief
er erfhrocken: ..Laß mih. laß mih. ih ergebe mih als ge
fhlagen!“
..Bringft Du mih über den Fluß?“ fragte Petra.
..Jh bringe Dih!“ erwiderte jener aus dem Lohe
in der Erde heraus.
_273-

..Was foll ih Dir than. wenn Da Dein Wort brichft?“


„Tödte mih. mah' mit mir. was Du willft. nur laß
mih jeßt leben!“
- ..So foll es alfo fein!“ fagte Petra. nahm dann die
linke Hand des Riefen und band fie an den rehten Fuß.
ftopfte ihm das Tah in den Mund. damit er niht fhreie.
band ihm das Auge za. damit er niht fähe. und führte
ihn an der Hand bis zum Fluß.
Als fie am Fluß anlangten. fhritt der Riefe mit einem
Fuß auf das jenfeitige Ufer des Fluffes. mit dem anderen
blieb er auf dem diesfeitigen. nahm Petra in die Handflähe
und feßte ihn fhön nieder auf das jenfeitige Ufer,
..Ieht ift's gut!“ fagte Petra; blies darauf auf der
Flöte und der Riefe fiel der Länge nah auf das Ufer des
Fluffes.
So gelangte Petra über den Fluß,
Als die Feen. die fih in der Milh des Fluffes bade
ten. den Laut von Petru's Flöte hörten. wurden fie fhläfrig.
ftiegen aus der Milh und fhliefen auf*den Blumen des
Ufers ein. So fhlafend fand fie Petra. als er aus der
Handflähe des Riefen herunter ftieg Er wagte niht. fih
lange bei ihnen aufzuhalten. Shön waren fie. Himmel!
Wie konnte danah die Fee der Morgenröthe felbft erft fein?
Oder war fie etwa die Häßlihfte unter den Shönen? Der
Prinz fragte fih niht viel. fondern mahte fih auf. am zu
fehen.
Als er in den Garten trat. begann er fich von
Neuem zu verwundern. Wie viel er auh herumgekommen
und wie viel er auh erlebt. fo etwas Shönes hatte er
noh nie gefehen. Die Bäume waren alle mit Gold
18
-2747

zweigen bewahfen. die Quellen floffen klarer *als Thau.


die Winde wehten fingend und die Blumen murmelten
füße. liebe Worte! Petru wunderte fih noh mehr dar
über. daß in dem ganzen Garten keine entfaltete Blume
war. fondern nur Knospen. Es war. als hätte hier die
Welt ftill geftanden und follte es immer Frühling fein.
Wann aber follen hier die Blumen erblühen. wenn fie
bisher niht Zeit gehabt haben. aufzublühen? Und wenn
fie nicht erblüht find. warum niht? So fragte Petru. fo
und auh noh anderes. auf feinem Wege zum Shloß.
Niemand ftand ihm im Wege. Niemand hielt feine Gedanken
auf. die 'ganze Welt fhlief: die Nhmphen an den Quellen.
die Vögel auf den Zweigen. die Rehe in den Gebüfhen und
die Shmetterlinge auf den Blumen. Alle warentraumverloren
durh den Laut der Flöte. Ja. auh der Wind fpielte niht
mehr mit den Blättern. die Sonnenftrahlen faugten niht mehr
den Thau vom Grafe auf. und die Flüffe hörten auf zu
rinnen. Petru allein war wah. Petru mit feinen Gedan:
ken und mit der Verwunderung über feine Gedanken.
Er gelangte in den Hof. Rund herum um den Hof
dehnte fih ein dihter und fhöner Rafenplaß aus. ein Rufen.
der fih wie der Wind bewegte, Das Thor lag vor ihm.
ein Thor ganz aus Blumen und andren fhönen Dingen.
Unter dem Thor und neben ihm wieder Blumen. eine fhöner
als die andere. fo daß Petru auf Wolken zu treten glaubte
als er über fie hinging. Rehts und links fhliefen Feen.
welhe den Eingang des Hofes bewahen follten. Petru fah
fih nah allen Seiten um. fagte noch einmal: ..Mit Gott!“
und trat inis Shloß.
Was Petru in diefem gefehen. das fage ih gar niht
*275

mehr: das weiß ja die ganze Welt. daß der Hof der Fee
der Morgenröthe kein alltäglih Ding fein kann! Rund
herum verfteinerte Feen. Bäume mit Goldblättern und Blumen
aus Perlen und Edelfteinen. Säulen aus Sonnenftrahlen.
glatt wie Espen; Stufen. leuhtend und weih wie die Lager
ftätten von Kaifertöhtern. und eine füße. einfchläfernde Luft.
Jh will nicht einmal fagen. daß nur der Stall. -in dem
die Pferde der heiligen Sonne ftanden. fhöner war. als das
Shloß des größten Kaifers diefer Welt. So war es alfo
bei der Fee der Morgenröthe. and es hätte ja auh gar
niht anders fein können. Wie hätte es etwa fein follen?
Petra ftieg die Stufen hinauf und trat in's Shloß.
Die erften zwölf Zimmer waren mit Leinwand bekleidet. die
nähften mit Seide. ihnen folgten zwölf mit'Silber und zwölf mit
Gold. Petra ging fhnell durch alle ahtandvierzig: dann fand
er die Fee der Morgenröthe im neunundvierzigften Zimmer.
welhes das fhönfte von Allen war.
Es war groß. breit und hoh. wie eine der fhönften
Kirhen. Die Wände waren rund herum mit allen Ar
ten von Seiden und wunderbaren Dingen bedeckt. unten.
auf dem Boden. wo man mit den Füßen hintritt. war etwas.
ih weiß niht was. leuhtend wie ein Spiegel und weich
wie Kiffen und außerdem waren aoh viele. viele fhöne
Dinge _da. wie es fo bei einer Fee der Morgenröthe fein
muß. Wo follte es denn fhön fein. wenn niht bei ihr!
Wie gefagt. den( Petra ftand der Athem ftill. als er fah.
daß er fih in Mitten fo farhtbar fhöner Dinge befand.
Mitten in diefer Kirhe. oder was es fonft war. fah
Petra den berühmten Brunnen. am deffentwillen er fo viele
Welten weiten Weg zurückgelegt. ein Brunnen. wiealle Brunnen
18 *
_276

find. nihts befonderes! Man mußte fih wundern. daß die


Fee der Morgenröthe ihn in ihrem Zimmer duldete. . . .
Er hatte Dauben. die noh aus der Väter und Urgroßväter
Zeit waren. man fah. fie waren mit Abfiht daran gelaffen.
damit Alles fo bliebe.
Und jeht will ih ein großes Wort ausfprehen: am
Brunnen ruhte die Fee der Morgenröthe felbft . . die wirk
liche Fee der Morgenröthe. fo wie fie ift!
Da war. Himmel. was für _ein Rühebett aus Gold
und Gott allein weiß aus was noh. genug daß es fhön
war; hier in diefem Rühebett fhlief die Fee der Morgen
röthe auf Seidenkiffen. die mit Frühlingswindeswehen gefüllt
waren. Sie war gewiß niht fhön. Aber woher follte fie
es auh fein? Hatte die heilige Freitag etwa niht gefagt.
daß fie ein Ausbünd von Häßlihkeit und Shrecklihkeit
wäre?
Warum wollen wir uns lange mit Worten aufhalten?
Bielleiht hatte die heilige Freitag Recht! Es konnte fein.
Genug. als Petra fie anfhaate. fo. wie fie da im Rühebett
fhlief. blieb er mit angehaltenem Athem und blies niht
mehr anf der Zauberflöte. er war verfteinert vor Wun
der über all das Wundern. Nein. fhön war fie. fhön! viel
fhöner noch. als man glaubt. daß die Fee der Morgen
röthe fein müßte! mehr will ih niht fagen! 7
Rehts und links vom Rühebett fhliefen je zwölf der
auserwählteften Feen. Man merkte. daß fie eingefhlafen.
indem fie ihre Kaiferin wiegten. Petra fah fie niht vor all
dem Shauen. mit dem er auf die Fee der Morgenröthe
blickte. bis fie im Shlummer zitterten. als fie die Flöte
nicht mehr hörten. Auh Petra zitierte und begann von
-277

Neuem zu blafen. Wiederum verfank die Welt in Shlum


mer; der Prinz trat drei Shritte vorwärts.
Zwifhen dem Rahebett und dem Brunnen war ein
Tifh. auf dem Tifh ein weißes. weihes Brot. mit Rehmilh
geknetet. und ein Pokal rothen Weines. fiiß wie ein Traum
am Morgen. Das war das Brot der Kraft und der
Wein der Jugend. Petra fah einmal auf das Brot. einmal
auf den Wein und einmal auf die Fee der Morgenröthe.
dann näherte er fih dem Bett. dem Tifh und dem Brunnen
um drei Shritte. 1
Als Petra an das Rahebett trat. verlor er feine Sinne
- er konnte fih niht bezwingen. fondern mußte die Fee
der Morgenröthe beißen, Die Fee öffnete ihre Augen
und fhaute Petra an mit einem Blick. bei dem er feine
Sinne noh mehr verlor. Er blies darauf feine Flöte. da
mit die Fee der Morgenröthe einfhliefe; ergriff den Gold:
kranz und legte ihn um die Stirn der Fee. nahm ein Stück
Brot vom Tifh und trank einen Shluck vom Verjüngungs
wein. dann biß er fie wieder. nahm wieder ein Stück
und trank wieder einen Shluck. So dreimal hintereinan:
der. Drei Mal biß er die Fee der Morgenröthe. drei
mal aß er vom Brot und dreimal koftete er vom Wein.
Darauf füllte er den Krug mit Waffer aus dem Brunnen
und verfhwand. wie eine gute Kunde verfhwindet.
Als Petra in den Garten kam. ftieß er auf eine ganz
neue Welt. Die Blumen waren Blumen. die Knospen hatten
fih geöffnet. die Quellen rannen fhneller. die Sonnenftrahlen
fpielten luftiger auf den Wänden des Shloffes. und den
Feen ftand mehr Luft auf dem Antlih gefhrieben! Dies
Alles war von den drei Biffen!
*278-*

Wie 'Petru hineingelangt. fo kam er auh wieder


hinaus. zwifhen Feen und Blumen. auf dem Handteller
des Riefen. zwifhen Löwen. Drahen und Ungeheuern. Als
er dann im Sattel faß. fhaute er einmal zurück und fah. daß
fih die ganze Welt hinter ihm her aufgemaht hatte. Heh!
fie hatten aber auch Jemand vor fih. um den fih's lohnte,
Niht wie der Wind. nicht wie der Gedanke. niht wie die
Sehnfuht. nicht wie der Fluh. fondern noh fhneller als
*das Glück vergeht. eilte Petru feines Weges. Die Verfol
ger blieben zurück. und Petru kam zu Fuß bei der heili
gen Freitag an.
Die heilige Freitag wußte. daß Petru kommen würde.
aus des Braunen Wiehern. der drei Tagereifen weit das Heran
na'hen feines Herrn gefühlt hatte. darum kam fie ihm mit
weißem Brot und rothem Wein entgegen.
..Willkommen zurück. Prinz!“
..Guten Tag. dank fhön. heilige Mutter!“
Petru gab ihr den Krug mit Waffer aus dem Brunnen
der Fee der Morgenröthe. Die heilige Freitag dankte ihm
fhönftens. Sie fprahen noch einige Worte über Petru's
Weg. über den Hof der Fee der Morgenröthe. und über die
Shönheit der Sonnenfhwefter. -- und dann fattelte Petru den
Braunen. denn er hatte wahrhaftig niht viel Zeit zn ver
lieren. Die alte Freitag hörte bald mit Frohfinn. bald
mit Bitterkeit. bald freudig. bald ärgerlih zu; als fie dann
fah. daß Petru gehen wollte. wünfhte fie ihm Gefundheit
nnd Glück.
Petru hielt niht eher an. als bis er zur heiligen Don
nerstag gelangte, Hier ftieg er ab und trat ein. wie es
ansgemaht war. Auh bei der heiligen Donnerstag blieb
- *279 -
er niht lange. fagte guten Tag. redete noh ein wenig und
nahm dann Abfhied.
..Halt an. laß mih Dir noh etwas fagen. ehe Da Dich
auf den Weg mahft“. fagte die heilige Donnerstag beforgt_
..Nimm Dein Leben in Aht; knüpfe mit keinem Menfhen ein Ge:
fpräh an. reite niht fhnell. niht übereilt. gieb das Waffer
niht aus der Hand; glaub' niht dem Wort und fliehe füß
fprehenden Lippen! Geh. wie Du gekommen. der Weg ift
lang. die Welt ift fhleht und Da haft etwas Großes in
Deiner Hand. höre alfo auf mih! Hier gebe ih Dir ein Tuh.
es ift niht aus Gold. niht aus Silber. niht aus Seide.
niht aus Perlen. es ift aus geftreiften Linnen. trag's. es ift
verzaubert. Wer es trägt. den erreiht der Bliß niht.
den darhbohrt die Lanze niht. das Shwert erftiht ihn
nicht. und die Kugeln fpringen von feinem Körper ab.“
So fprah die heilige Donnerstag. Petra nahm das
Tuh und horhte auf; dann fhwang er fih mit dem Braunen
in den Wind und eilte vorwärts. eilte. wie fo die Märheu
prinzeu eilen. wenn fie das Heimweh packt.
Bei der heiligen Mittwoh ftieg Petra niht einmal a'b.
fondern fagte nur vom Pferde herab: ..Guten Tag“ und
ritt weiter. Zu guter Zeit fiel ihm feine verzauberte Shah
tel ein. und da er Kunde über die Welt haben wollte. zog
er fie aus dem Futteral. Er hatte fie noh niht ordentlih
herausgezogen und noh niht ganz geöffnet. als es fchon
aus ihr fprah.
..Die Fee der Morgenröthe zürnt. daß Da ihr das
Waffer entwendet. die heilige Freitag zürnt. weil fie ihren
Krug zerbrohen. Deine Brüder Florea und Eoftan zürnen.
weil Du ihnen das Reih genommen.“
_280

Petra fing zu lachen an. als er von fo viel Zorn


hörte. Er wußte niht einmal. was er noh weiter fragen
follte...Wie hat die heilige Freitag den Krug zerbrohen?“
..Vor Freude hat fie zu tanzen begonnen und ift mit
dem Krug hingefallen!“
..Wie habe ich meinen Brüdern die Herrfhaft fortge
nommen?“
Die Shahtel begann nun zu erzählen. daß Florea und
Eoftan. da der Kaifer jeht alt and auf beiden Augen blind
fei. zu ihm gegangen feien und ihn gebeten hätten. das
Reih unter fie zu theilen. Der Kaifer hatte ihnen entgeg
net. daß nur der das Land beherrfhen würde. der das
Waffer vom Brunnen der Fee der Morgenröthe geholt habe.
..Da die Brüder den Sinn verftanden. gingen fie zur alten
Birfha. und diefe fagte ihnen. daß Du dort gewefen.
es gethan und Dih auf den Heimweg gemaht hätteft.
Die Brüder haben fih berathen und find Dir nun entgegen
gegangen. um Dih umzabringen. das Waffer an fih zu
nehmen und über das Land zu herrfhen,“
..Du lügft. Da verhexte Shahtel“. rief Petra wüthend.
als er all das hörte und warf die Shahtel auf den Boden.
daß fie in fiebenundfiebzig Stücke zerbrah.
Lange ritt er niht mehr. bis er die Wolken feines
Landes erblickte. den Heimathwind wehen fühlte und in der
Ferne hie und da einen Berg von den Grenzen feines Laa
des fah. Petra hielt an. am beffer zu fehen. was ihm
fhien. als fheine es ihm nur. daß er es fähe.
Er wollte gerade über die Brücke fehen. die an der
Grenze des Kaiferreihs ift. als ihm war. als hörte er etwas
von ferne. als wenn ihn Jemand riefe. als riefe ihn Je
_281-

mand fogar bei feinem Namen: ..Du. Petra!“ Er wollte


anhalten.
..Vorwärts. vorwärts“. rief der Braune. ..Es geht
Dir fhleht. wenn Du ftill hältft.“
..Niht doch. halt! laß fehen. wer und was es ift und
wozu? Laß mih der Welt ins Angefiht blicken!“
Petra fagte es und wandte des Brunnen Zügel.
O Petra. Petra! Wer hat Dih anhalten heißen?
Wäre es niht beffer. Du dähteft an das. was die heilige
Donnerstag Dir gefagt hat? Wäre es niht beffer. Da hör
teft auf des Brunnen Rath? . . . So ift die Welt. Du
kannft nihts dazu than. fie zn ändern!
Als er fih umgedreht. fah er. Himmel. wen fah er?
feinen Bruder Florea und feinen Bruder Eoftan!
Beide waren es und zufammen näherten fie fih Petra.
Petra. vorwärts. eile weiter! Oder hat Dir die heilige
Donnerstag etwa niht gefagt. Du follteft mit Niemand ein
Gefpräh anknüpfen? Oder weißt Du etwa niht mehr.
was Dir die Shahtel der heiligen Mittwoh für Kunde
gebraht hat?
Die Brüder kamen mit fhönen Worten und mit Honig
auf den Lippen! Und was hat die heilige Donnerstag ge
fagt? Petra. Petra. haft Du vergeffen. was fie fagte?
Als Petra feine lieben Brüder fah. flog er herab von
des Braunen Rücken in ihre Arme. Himmel. wie follte er
niht fliegen? Seit wie lange hatte er kein menfhlihes
Gefiht gefehen und keine Erdenfprahe gehört!
Und die Rede floß. wie fie unter Brüdern fließt. Petra
war heiter und glücklih; Florea und Eoftan waren voll
- 282

guter Worte. mit Honig auf den Lippen. Der Braune nur
war traurig. er allein ließ den Kopf zur Erde hängen.
Nahdem die Brüder lange über den alten Kaifer. über
das Land und Petru's Weg gefprohen. begann Florea die
Stirn in Falten zu ziehen.
..Bruder Petru! Die Welt ift fhleht: wäre es niht
beffer. wenn Du uns das Waffer gäbeft. damit wir es
triigen ?“ fo fagte der böfe Bruder. ..Dir kommt man ent
gegen. über uns weiß aber Niemand etwas. woher wir
kommen. wohin wir gehen und was wir bringen.“
..Ja wohl“. fagte Eoftan. ..Florea fpriht vernünftig.“
Petru fhüttelte einmal. zweimal mit dem Kopfe. dann
fagte er feinen Brüdern von der Bewandtniß. die es mit
feinem Tuhe habe. Die beiden Brüder fahen jetzt. daß es
für Petru nur einen Tod gäbe; Florea begann darum auf
den Sattel zu fhlagen. und meinte die Stute.
So an drei Steinwürfe von da war ein Brunnen mit
kalten. klarem Waffer.
..Haft Du niht Durft. Eoftan?“ fragte Florea. Eoftan
mit dem Auge zuwinkend.
„Ja“. entgegnete Eoftan und verftand. was und wie es
fein follte. ..Komm. Petru. laß uns erft einmal unfern
Durft löfchen. und dann wollen wir uns mit Gott auf den
Weg mahen. Wir wollen hinter Dir hergehen. um Dih
vor Aergerniß und Gefahr zu befhirmen.“
Geh niht. Petru. geh' niht. fonft ergeht es Dir fhleht!
Der Braune wieherte einmal. Ja. aber Petru verftand
ihn niht.
Was gefhah darauf? Was follte gefhehen? Nihts
ift gefhehen! -
_283

Der Brunnen war breit und tief.


Die Brüder mahten fih mit dem Waffer auf nah
Haufe. als ob fie es von der Fee der Morgenröthe geholt
hätten. ,
Der Braune wieherte noh einmal. fo wild und fo
fhmerzlih. daß fich fogar die Wälder erfhraken. dann eilte er
bis zum Brunnen und blieb fhmerzerftarrt ftehen.
So war die Gefhihte von Petra dem Tapferen. dem
heldenhaften Prinzen, Es fieht aus. als wäre es ihm fo
beftimmt gewefen. daß es ihn zu böfer Stunde treffen follte!
Am Hof des Kaifers wurde ein Gaftmahl und große
Herrlihkeit hergerihtet. Die Kunde ging durh's ganze
Land. daß die Söhne des Kaifers. Florea und Eoftan. das
Waffer von der Fee der Morgenröthe geholt hätten.
Der Kaifer wufh fih die Augen mit dem Waffer. und
fah. wie noh nie ein Menfh gefehen hat. Es war da
im Zimmer des Kaifers hinter dem Heerd ein Faß mit
Kraut. in der Daube diefes Faffes fah er einen Wurm: der
Kaifer fah alfo dnrh das Holz hindurh. fo gut konnte er
fehen.
Nahdem der Kaifer das Land unter feine beiden tapfe
ren Söhne getheilt. zog er fih auf feinen großen Hof zu
rück. um feine alten Tage in Frieden zu verleben.
So endete die Gefhihte mit dem Waffer aus dem
Brunnen der Fee der Morgenröthe. Das Land feierte drei
Tage und drei Nähte. dann mahte es fih wieder an die
Arbeit. als ob nihts vorgefallen fei.

:e
*-284

Nahdem Petra fih vom Rühebett entfernt hatte und.


aus Haus und Hof gegangen war nahdem der Klang feiner
Flöte niht mehr zu hören. dämmerte die Fee der Morgen
röthe ins Bewußtfein zurück. öffnete die Augen. hob den
Kopf und blickte nah allen Seiten. um etwas. fie felbft
wußte niht reht was. zu fahen. ..Was war das?“ fragte
fie halb wah. halb noh im Traume. ..Wer?“ Jhr fhien.
als habe fie etwas im Traum. nein. in Wirklihkeit. ge
fehen. etwas füßes. angenehmes! ein Wefen. das wie menfh
lih gewefen. aber ftärker im Blick. etwas anderes als das.
was bis dahin von ihr gefehen worden war.
..Wißt Jhr niht. was* das war? Habt Jhr es auh
gefehen? Oder habt Jhr gefhlafen. habt Jhr geträumt?“
So fragte die Fee der Morgenröthe die Feen und fih felbft.
Jhr fhien. als ob fie. feitdem fie erblickt. was fie gefehen
hatte. niht einmal mehr diefelbe Seele hätte. Und Nie
mand antwortete ihr. die ganze Welt blieb erftarrt.
Sie erblickte den Kranz: ..Welh ein fhöner Kranz!
Wer hat die Blumen für ihn gepflückt. wer hat fie zum
Kranz gewunden? und wer hat den Kranz hierher gebraht
und ihn mir auf's Rühebett gelegt.“ Und die Fee der
Morgenröthe wurde traurig.
Sie fah das Brot auf dem Tifh. Es fehlten drei
Biffen davon. einer von rehts. einer von links und einer
aus der Mitte... Ebenfo vom Wein der Jugend. da fehl
ten drei Shlucke. einer von oben. einer von unten und einer
aus der Mitte.
Es mußte Jemand dagewefen fein. Die Fee der Mor
genröthe wurde immer trauriger. es fhien ihr. als fehle
ihr etwas. und fie wußte niht was nnd wo.
_285
Das Waffer im Brunnen war trübe. Waffer! Waffer
hat Jemand von hier geholt?! Und die Fee der Morgen
röthe erzürnte fih.
Wie hatte Jemand eintreten können. ohne daß man es
bemerkt? Wo waren alle die fharfen Wahen? die Riefen
die Drahen. was hatten die eifenbefhlagenen Löwen gethan.
und die Feen und die Blumen und die Sonne? Niemand
hatte aufgepaßt? Niemand war an feiner Stelle gewefen?
Die Fee der Morgenröthe gerieth nun ganz und gar in
Zorn: ..Löwen. Drahen. Riefen! maht Euh auf. verfolgt.
erreiht. erfaßt und bringt ihn zurück!“ fo befahl die Fee der
Morgenröthe in ihrem höhften Zorn.
Der Befehl erging. und die ganze Welt fehte fih in
Bewegung. - Petra war aber fo eilig entflohen. daß niht
einmal die Sonnenftrahlen ihn mehr einholen konnten.
Alle kehrten traurig heim; Alle brahten traurige Kunde.
Petra war über die Grenzen des Reihes der Morgenröthe
hinaus. war dort. wo die Wahen keine Maht mehr aus
übten.
Die Fee der Morgenröthe vergaß jeht ihren Zorn über
ihrer Traurigkeit und fandte die heilige Sonne aus. in die
Welt zu wandern..aus fieben Tagen einen zu mahen. zu
fahen. zu fehen und Kunde zu bringen. Einen folhen fieben
tägigen Tag lang hat die Fee derMorgenröthe nihts anderes
gethan. als auf den Weg der Sonne gefhaat: hat gefhaut
und gefhaut. bis ihr die Thränen aus beiden Aeugelein zu
rinnen begonnen. wir wiffen niht genau. ob von dem vielen
Ausfhaaen. oder von dem großen Shmerz und der großen
Sehnfuht.
Und fieh da. am fiebenten Tage kehrt die heilige Sonne
- 286 »
heim. roth. traurig und müde, Wieder fhlimme Kunde,
Ah! daß Petru da ift. wohin die Sonnenftrahlen niht drin
gen können.
Als die Fee der Morgenröthe fah. daß auh der leßte
Verfuh vergebens gewefen war. gab fie fharfen Befehl im
Lande aus. daß die Feen niht mehr lächeln. die Blumen
niht mehr dnften. die Winde fih niht mehr rühren. die
Quellen niht mehr klar fprudeln und die Sonnenftrahlen
niht mehr leuhten follten.
Dann befahl fie. daß zwifhen der Welt und dem Reih
der Morgenröthe der fhwarze Shleier der Finfterniß her
nntergelaffen werde. durh den nur ein einziger Sonnenftrahl
noh durhdringen folle. um der Welt die Kunde zu bringen.
daß die Sonne fih niht am Himmel bewegen würde. bis
der niht käme. der das Waffer aus dem Brunnen geholt.
Und diefe Kunde ging in die dunkle Welt.
Die Menfhen verftanden. daß das große Liht nur für
das Augenliht des Kaifers gewefen war. Niemand fah in
der Welt. außer dem Kaifer. Niemand fah die Aergerniffe
der Dunkelheit außer dem Kaifer. und Niemand war un
glückliher als der Kaifer. So gab er feinen Söhnen Florea
und Eoftan Rath und Befehl. fih aufzumahen und hinzu
gehen. um die Welt von der Dunkelheit zu befreien.
Wer einmal gelogen hat. lügt auh zum zweiten Mal:
Florea fehte fih zu Pferd und ritt jetzt zum Reih der
Morgenröthe. nun durh Petru der Weg geebnet war.
Als Florea faft am Hof der Fee angelangt war. fühlte
die Fee der Morgenröthe. das etwas Fremdes fih näherte.
..Khmmt Jemand?“ fragte fie etwas fharf.
_287 -

..Es kommt Jemand“. entgegneten die Drahen. die an


der Brücke Wahe ftanden.
..Wie kommt er? Ueber oder unter der Brücke?“
Die Brücke war fo. wie wir fhon wiffen. Florea zog
unter der Brücke durh.
..Der Held kommt unter der Brücke!“ entgegneten die
Drachen. etwas belaftigt.
..Sorgt für ihn. fonft werde Euh das Liht fhwarz“.
fagte jeßt die Fee und empfing Florea bei feinem Eintreten.
Florea überliefen Shaaer. als er foviel Shönheit fah,
..Willkommen. Held! Da haft das Waffer geftohlen?“
..Mög's Euh reht fein. fo ift es. ih hab's genommen.“
..Haft Du den Wein getrunken?“
Florea blieb ftumm.
..Haft Du das Brot gegeffen ?“
Florea fagte: ..Nein!“
„Haft Da mih gebiffen?“
Florea verlor die Sprahe.
..So möge Dein Augenliht erblinden! ih will Dih
lehren noch einmal lügen!“ fagte jetzt die Fee erzürnt. und
gab Florea zwei Ohrfeigen. eine rehts und die andere links.
daß diefem fhwarz wie die große Sünde vor Augen wurde.
Zwei Drahen führten dann den blinden Florea nah
-Haafe. und die Sahe war abgemaht.
Nun mahte fih Eoftan auf. um feines Bruders Bei
fpiel zu folgen.
Mahte fih auf und kam an; es erging ihm gerade fo.
auch er kehrte blind zurück.
In der Welt blieb jeßt kein Strahl Liht mehr. So
ward die ganze Welt blind wegen Eines Kaifers Augen.
_288
Nahdem die Fee der Morgenröthe gefehen. daß fie
Petra niht auffinden konnte. rief fie ihr ganzes Land zu
fih: die Feen. alle Blumen. alle ihre Untergebenen rief fie
zu fih. Sogar die heilige Sonne müßte vom Himmel herab
fteigen. die Pferde aus dem Wagen fpannen. fie in den Stall
ftellen und zur Fee der Morgenröthe eintreten. Als fo Alle
miteinander verfammelt waren. gab die Fee der Morgenröthe
ihnen keine Befehle weiter. fondern traurig und gequält wie
fie war. nahm fie Abfhied von allen ihren Untergebenen.
dankte *ihnen für ihre Liebe und ihr Vertrauen und fandte
fie in die Welt. auf daß ein Jeder nah feinem Kopf und
feinem Verftändniß handle; nur zwei Löwen. zwei kleine und
zwei große Drahen und ebenfoviel Riefen behielt fie bei fih.
damit fie Jemand habe. der ihr die Brücke bewahe. Alle
Feen fhickte fie in den Garten und fagte. daß fie niht eher
wieder in den Hof kommen follten. als bis fie wieder heiter
geworden wäre. dann gab fie den Befehl aus. daß die
Blumen von jeßt ab fo füß duften follten. daß jedes
menfhlihe Wefen davon benommen wiirde. die Winde fo
fhmerzlih fingen follten beim Wehen. daß jede Menfhen
feele bei ihrem Hören weinen müffe. die Quellen bitteres
Waffer fprudeln follen. - befahl. daß die: Sonne jeden Tag.
den der Herrgott werden ließe. fieben Mal fieben kalte Strah
len in die Welt fende. Nahdem fie Alles dies geregelt. ging
fie an das große Rad. auf das der Faden des menfhlihen
Lebens gewickelt war. hielt es an. daß es fih niht mehr
drehen und das menfhlihe Leben niht mehr werden folle,
Darauf verbarg fih die Fee der Morgenröthe vor der Welt
indie Tiefe des großen Hofes an der dunkelften und wüfte
ften Stelle. '

FB__. .-*_
*-289

Die großen und die kleinen Drahen und' die Riefen


gingen in die weite Welt und verbargen fih vor Sham in
die tiefften Wüften und Höhlen. damit kein menfhlihes Auge
fie mehr fähe; die Löwen fhüttelten ihre Goldmähnen ab.
den Eifenbefhlag von den Taßen und Zähnen und warden
wild vor Zorn; die Feen bargen fih in Gärten. die Blumen.
Quellen und Winde ergaben fih in den Willen der Fee der
Morgenröthe. und die kalten Strahlen der Sonne. ohne
Wärme. ohne Liht. kann man noh heute in Sommernähten
am Himmel erblicken. Das Menfhenleben blieb ftill ftehen.
und die Zeit hörte auf za verrinnen Zwei Löwen. zwei
große und zwei kleine Drahen und zwei Riefen ftellten fih
zur Wahe an der Brücke auf.
Wie lange das Reich der Morgenröthe in diefem Zu
ftand geblieben. das weiß man niht und kann man auh niht
fagen. Viel Zeit verging. ohne aber zu verrinnen.
Auh die heilige Freitag merkte endlih. daß die Fee der
Morgenröthe erzürnt war; der dürre Strahl und die Wirbel
winde. welhe die ganze Welt durhfhüttelten. hatten ihr längft
diefe Kunde gebraht. Halb ärgerte fie fich. halb aber
freute fie fih: fie ärgerte fih. weil fie nun niht mehr um
fih fehen konnte. und freute fih. weil ihr fchöner tapfrer
Prinz entkommen und ihre fhöne Nahbarin traurig war
Dann ärgerte fie fih auh. daß ihr der Krug mit dem
wunderbaren Waffer zerbrohen war.
Als die heilige Freitag jedoh fah. daß die Dunkelheit
niht mehr aufhörte. das Liht niht wiederkam. und auh
der lehte Strahl auf Erden erlofh. als die heilige Freitag
fah. daß es der Fee der Morgenröthe über den Spaß ge
' gangen war. befahl fie den Wirbelwinden. fih insgefammt
19
,car

- 290

aufzumahen. um den großen Shleier an den Grenzen des


Reihes vom Fleck zu bewegen. damit das Liht in die Welt
dringen könne.
Die Wirbelwinde mahten fih auf. Einer immer ftür
mifher als der Andere. immer fhreckliher. immer furhtbarer . ..
wie fo Wirbelwinde find! Es fheint_ Einem.. als nähmen
fie die Welt mit fih und hielten fih gar niht weiter mit
ihr auf.
Sie kamen am Shleier an. fie prallten gegen ihn an!
Und wie ftark! Aber der Shleier rührte fih niht. Die
Wirbelwinde bliefen noh einmal dagegen und noh einmal.
alfo dreimal hinter einander. dann gaben fie es auf. Sie
fahen. daß der Shleier fefter hing. als die Erde in ihren
Angeln. Einige Augenblicke hielten fie an. dann müde und
mit Shande bedeckt. kehrten fie zurück. umkreiften noh einmal
die Welt in ihrer tollen Wuth. Was ihnen in den Weg
kam. das kann fih jeßt Jeder vorftellen. wie es dem er
ging. Gut kann's jedenfalls niht gewefen fein. Weh und
Jammer!! -
Die Wirbelwinde kehrten zur heiligen Freitag heim und
fagten ihr. was es für eine Bewandtniß mit dem Shleier
habe
Die heilige Freitag ärgerte fih jeht niht nur halb. fon
dern ganz und gar; fo fandte fie die Wirbelwinde zum Hof
des Kaifers. um Petru Nahriht und Rath zu geben. er
möge doh bei der Fee der Morgenröthe vorfprehen und
thun was fie verlange. damit wieder Liht in die Welt käme.
Die Wirbelwinde mahten fih zum zweiten Mal auf.
- diesmal etwas langfamer. etwas weniger überftürzt.
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fo wie wenn man fih in guter Sahe za einem verträglihea


Menfhen aufmacht.
Sie kamen am Hofe an. Petra war niht da. Die
Wirbelwinde begannen fih etwas eigener zu benehmen. Petra
war unterwegs umgekommen! -
Die Wirbelwinde amkreiften den Hof von links. dann
von rehts. dann aus der Mitte. wandten ihn. drehten
ihn. hoben ihn und warfen ihn. bis nihts mehr von ihm
übrig blieb. Darauf kehrten fie mit der Nahriht von Petra's
Tode zur Hütte der heiligen Freitag zurück. ..Gehet Alle iu
die Welt. rührt Alles am. was zu rühren ift und findet
Petra. Todt oder lebend bringt ihn mir her!“ fo befahl die
heilige Freitag. nahdem fie die traurige Kunde vernommen.
Drei Tage und drei Nähte hielten die Wirbelwinde
niht an. Dreimal entwurzelten fie Bäume. dreimal trieben
fie die Flüffe aus ihrem Lauf; dreimal zerftreatea fie die
Wolken. indem fie diefelben an die Felfen anfhlugen. dreimal
fegten fie den Grund des, Meeres und dreimal vernihteten
fie die Oberfläche der Erde. Alles war vergebens. Sie
kamen nah Haufe zurück. Einer immer müder als der Andere.
immer wüthender. immer befhämter.
Nur ein Einziger war noh niht heimgekehrt: der Früh
lingswind. der träge. weihe. laae Frühlingswind. Was
war wo'hl aus ihm geworden? Alle wußten. daß er doh
niht viel hatte ausrihten können. Wer weiß? müde wie
er gewefen. hatte er fih gewiß irgend wo in's Kühle gelegt.
Niemand zerbrah fih weiter den Kopf um ihn.
Da. plößlih. nah einem Weilhen. nahdem fih alle in
. Gedanken ergangen. wie Petra zu finden fei. fingen fih die
Blätter leife zu bewegen an.
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Die heilige Freitag fühlte die Weihheit des Haühes und


ging hinaus: ..Was bringft Da für Kunde?“ fragte fie den
liebften der Wirbelwinde.
..Traurig ift fie. gar traurig. aber gut ift fie. gar gut“.
flüfterte der junge Wind. ..Nahdem ih von fo viel Sahen.
von fo viel Zerbrehen und Rauben müde geworden. ftieß ih
auf einen leeren Brunnen und dahte mih darin. von meinen
Brüdern befreit. ein wenig auszurahen. ehe ih mih nah
Haufe aufwahte.“
..Und am Grande des Brunnens fandeft Du Petra?“
rief die heilige Freitag voll Freude.
„Ja. und den Braunen an feiner Seite.“
..Süß möge Dir die Rede fein. lieb Dein Wehen. und
mögeft Du ftets gute Kunde bringen!“ fagte jeßt die heilige
Freitag zum Frühlingswinde; dann befahl fie ihm. zur hei
ligen Donnerstag zu eilen und ihr zu fagen. fie möge fih
mit dem Goldtiegel bereit halten. denn mit Petra ftünde es
fhleht; von dort folle er zur heiligen Mittwoh fpringen
und ihr fagen. fie möge mit dem Waffer des Lebens zum
Brunnen kommen.
„Haft Du verftanden?“ fagte ihm noh einmal die heilige
Freitag. - ..Und nimm die Beine in die Hand“. und fie
mahten fih Alle auf.
Sie kamen bei dem verlaffenen Brunnen an.
Von Petra war nur noh Knohen und Afhe.
Die heilige Mittwoh nahm die Knohen. paßte fie an»
einander. . . . es fehlte kein einziger.
Die 'heilige Freitag befahl den Wirbelwinden. den
Brunnengrund zu durhftöbern. den Staub aufzüwirbeln und
Petru's Afhe zu fammeln. Alles wurde fo ausgeführt.
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Die heilige Donnerstag mahte Feuer. fammelte den Than


von den Blättern im Goldtiegel und ftellte denTiegel auf's Feuer.
Als das Waffer zu kohen begann. fagte die heilige
Mittwoh drei Sprühe. fhaute einmal gegen Sonnenaufgang
einmal gegen Sonnenuntergang. einmal gegen Mittag und ein
mal gegen Mitternaht. und warf das Kraut des Lebens in das
kohende Waffer.
Ganz dasfelbe that die heilige Freitag mit Petru's Afhe.
Die heilige Donnerstag zählte darauf eins. zwei. drei
und nahm den Tiegel vom Feuer.
Aus Petru's Afhe und aus dem Kraut des Lebens
wurde fo eine wohlriehende Salbe gemaht. Der Frühlings
wind wehte einmal über fie und mahte fie erftarren. Dar
auf beftrihen fie die Knohen Petra's mit der Salbe fieben
mal von unten nah oben. fieben mal von oben nah unten.
fieben mal iiberkreuz und eben fo oft überquer. und als fie
damit fertig waren. fprang Petra auf. ein hundert und ein
taufend mal fhöner. als er gewefen. ein hundert und ein
taufend mal muthiger und ftolzer als zuvor.
..Spring auf's Pferd!“ fagte die heilige Freitag.
Sowie der Braune feinen Herrn auf fih fühlte. begann
er zu wiehern und mit den Füßen auszufhlagen. Er war
lebendiger als je zuvor!
„Wohin?“ fragte er luftig.
..Nach Haufe“. entgegnete Petra.
..Wie wollen wir reiten?“
' ..Wie der Fluh.“
Petra dankte für Wort und That und mahte fih dann
auf den Weg. er ritt und ritt. wie eben der Fluh reitet! bis
er zum Hof des Kaifers kam.
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Von der Hofburg war nur noh der Plaß. wo fie ge


ftanden. übrig. Keine Spur von einem Menfhen war
zu finden. der ein Wort fagen oder Kunde hätte geben
können. Da kam nah einer Weile die alte Birfha aus der
Tiefe eines verfallenen Kellers hervor.
Petru verftand. was war. wie und woher. wandte den
Zügel feines Braunen und ging fhneller davon. als er ge
kommen. Er holte niht einmal Athem. eheer niht in das
Reih der Morgenröthe gelangt war.
Wie viel Zeit vergangen war. feitdem Alles im Lande
der Morgenröthe ftehen geblieben. wie es befohlen worden
war. das kann man mit Wort und Rede niht fagen,
Lange Zeit hatte vergehen müffen!
Als Petru an der Brücke anlangte. waren in der Sonne
nur' noh drei helle. fieben warme und neun kalte Strahlen.
alle anderen hatte fie nah und nah verloren.
Als Petru mit dem Braunen anhielt. ftand die ganze
Welt mit ihm ftill. um zu fehen. was jetzt gefhehen follte.
Die Fee der Morgenröthe fühlte. daß fih etwas ganz
befonderes nähern müffe. denn ihr war gerade fo. als er
wahe fie jeht von dem Traume. der fie fo traurig gemaht.
Sie fehnte fih. fie wußte niht wonah. gerade fo wie
damals. -
„Wer kommt?“ fragte fie fo mit halber Stimme.
..Halt Dih gut. Herr“. fagte der Braune.
Petru drückte die Sporen an. zog am Zügel. und fühlte
nihts. bis er an der anderen Seite der Brücke war.
..Der Held kommt! Ueb er die Brücke!“ riefen die Wäh
ter und fhwenkten ihre Hüte in der Luft.
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Die Fee der Morgenröthe rührte fih niht vom Fleck


und fprah kein Wort mehr.
Ganz unerwartet fprang Petra auf fie zu. fhloß fie
in feine Arme und küßte fie - wie fo die Märhenprinzen
liebreizende Feen küffen!
Die Kaiferin der Morgenröthe fühlte. was fie noch
nie gefühlt. Sie fprah niht mehr. fie frragte niht mehry
fondern mahte ein Zeihen. daß man den Braunen in
den Stall der Sonne führe. dann trat fie mit Petra in's
Haus.
Die Feen begannen froh zu läheln. die Blumen füß
zu daften. die Quellen fprudelten klar. die Winde wurden
zu Freudengefängen; das Rad des Lebens drehte fih fhneller
als ein Kreifel. der fhwarze Shleier fenkte fih zur Erde
und die ftrahlende Sonne ftieg am Himmel empor. hoh. 'höher
als fie je gewefen. Und in der Welt war ein Liht gleih
dem der Sonne. fo daß die Menfhen nean Jahre. nean
Monate und nean Tage nihts fahen vor der erfhreck
lihen Helle.
Petra ritt nach Haufe. holte feinen alten Vater und
feine alte Mutter. mahte eine Hohzeit. vonxder die Kunde
darh ueunundnennzig Länder ging. und wurde Kaifer über
alle beiden Reihe.
Seinen Brüdern Florea und Eoftan wurde aber das
Augenliht wiedergegeben. damit fie auh Petru's Glück fhauen
konnten,
*296

..Das. meine lieben Guten. war das Märhen vom


fhönen Prinzen Petra und der Fee der Morgenröthe aus
dem Lande der Sonne. 1
Petra hat in Frieden und Gefandheit gelebt und ge
herrfht. - und wer weiß. ob er mit Gottes Hülfe niht
noh regiert!

Dra> von Emil Heckmann len.. Leipzig


, . icli! .21.. ..tritt . . lie... i,...
WANN. i,

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