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Medizinische Mikrobiologie: Infektiologie


Cedric Mims BSc MD FRCPath
Emeritus Professor, Department of Microbiology Guy’s Hospital Medical School,
London, UK
Hazel M. Dockrell BA PhD
Professor of Immunology, Department of Infectious and Tropical Diseases London
School of Hygiene & Tropical Medicine, London, UK
Richard V. Goering BA MS PhD
Professor and Associate Chair, Department of Medical Microbiology and
Immunology Creighton University, School of Medicine, Omaha, Nebraska, USA
Ivan Roitt DSc HonFRCP FRCPath FRS
Emeritus Professor of Immunology, Windeyer Institute of Medical Sciences
University College London, London, UK
Derek Wakelin BSc PhD DSc FRCPath
Emeritus Professor, School of Life and Environmental Sciences University of
Nottingham, Nottingham, UK
Mark Zuckerman BSc (Hons) MB BS MRCP MSc FRCPath
Consultant Virologist and Honorary Senior Lecturer; Health Protection Agency,
London; Department of Infectious Diseases London South Specialist Virology
Centre Guy’s King’s and St Thomas' School of Medicine King’s College Hospital
NHS Trust, London, UK
Deutsche Bearbeitung von PD Dr. med. Grit Ackermann, Universitätsklinikum
Leipzig Übersetzt von Walburga Rempe-Baldin, München, und Ulrike Trostmann,
Hemsbach
1. deutsche Auflage (entspricht der 3. englischen Auflage)

978-3-437-41272-1
Zuschriften und Kritik an:
Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag, Lektorat Medizinstudium, Karlstraße 45, 80333
München medizinstudium@elsevier.de
Titel der Originalausgabe:
Medical Microbiology. Third Edition by
Mims/Dockrell/Goering/Roitt/Wakelin/Zuckerman. ISBN 0-7234-3259-7 MOSBY
An imprint of Elsevier Limited.
© 2004, Elsevier Science Limited. All rights reserved.
The right of C. Mims, H. Dockrell, R. Goering, I. Roitt, D. Wakelin and M. Zuckerman to
be identified as authors of this work has been asserted by them in accordance with the
Copyright, Designs and Patents Act 1988.
Diese Ausgabe wird mit Lizenz von Elsevier Science Limited herausgegeben und wurde
im Auftrag der Elsevier GmbH, München, übersetzt. Für die korrekte Übersetzung ist
allein die Elsevier GmbH, München, verantwortlich und nicht Elsevier Science Limited.
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Die Erkenntnisse in der Medizin unterliegen laufendem Wandel durch Forschung und
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Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter
http://dnb.ddb.deabrufbar.
Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2006
© Elsevier GmbH, München
Der Urban & Fischer Verlag ist ein Imprint der Elsevier GmbH.
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Frauen und Männer gemeint.
Planung und Lektorat: Dipl.-Biol. Susanne Szczepanek, Inga Dopatka
Redaktion: Dr. Eva-Maria Jacob, Silke Chavez
Herstellung: Peter Sutterlitte
Satz: Kösel, Krugzell
Druck und Bindung: Neografia a.s., Bratislava, Slovakia
Umschlaggestaltung: SpieszDesign, Neu-Ulm
Titelfotografie: © picture-alliance/dpa/Hans-Ulrich Osterwalder
Gedruckt auf Nopacoat Edition 90 g, 1,1faches Volumen
ISBN 3-437-41272-8
ISBN 978-3-437-41272-1
Aktuelle Informationen finden Sie im Internet unter www.elsevier.de und
www.elsevier.com

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Vorspann
Eine zeitgemäße Einführung in die Mikrobiologie
Teil 1 Mikroorganismen – die Vielfalt
1 Mikroorganismen als Parasiten
2 Bakterien
3 Viren
4 Pilze
5 Protozoen
6 Helminthen und Arthropoden
7 Prionen
8 Parasiten-Wirt-Beziehung
Teil 2 Das Immunsystem
9 Das angeborene Immunsystem
10 Erworbene Immunreaktionen
11 Zelluläre Grundlagen erworbener
Immunreaktionen
Teil 3 Infektionen und Infektionsabwehr
12 Wechselwirkungen zwischen Erreger und Wirt
13 Ein- und Austrittspforten, Übertragungswege
14 Aktivierung der Immunabwehr
15 Ausbreitung und Replikation
16 Überlebensstrategien von Parasiten und
persistierende Infektionen
17 Pathologische Folgen von Infektionen
Teil 4 Infektionen der einzelnen Organsysteme
Klinik (Krankheitsbilder)
Da mindestens 150 verschiedene infektiöse Erkrankungen zu beschreiben sind, ist eine
systematische Einteilung unverzichtbar. In Kapitel 18–26 werden Infektionen nach den
Körper-/Organsystemen klassifiziert, die klinisch als Erste betroffen sind. So lösen
Rhinoviren z.B. vor allem Infektionen der oberen Atemwege (Schnupfen) aus. Bei einer
bakteriellen Dysenterie oder Amöbenruhr handelt sich um eine gastrointestinale Infektion.
Für andere Infektionen ist typisch, dass sie bevorzugt bestimmte Körperbereiche
schädigen, obwohl sie sich auch auf andere ausweiten können. Entsprechend dem
primären Ort der Infektion wird daher die Tuberkulose in Kap. 19 (Infektionen der
unteren Atemwege) und Typhus in Kap. 22 (gastrointestinale Infektionen) berücksichtigt.
Wenn Erreger in derselben Weise (d.h. unter bestimmten Umständen oder bei besonderen
Aktivitäten) übertragen werden, können sie auch unter dem Aspekt zusammengefasst
werden, selbst wenn mehrere Organsysteme betroffen sein sollten. Syphilis und AIDS
werden daher in Kap. 21 (sexuell übertragbare Krankheiten) und Röteln in Kap. 23 (prä-
und perinatale Infektionen) behandelt.

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Der Organsystem-bezogene Ansatz ist insofern sinnvoll, als er Infektionen durch
unterschiedliche Erreger aufgrund der klinischen Syndrome, die sie hervorrufen, mit
einschließt. Doch wie bei jedem Klassifikationssystem gibt es auch hier Grauzonen und
Überschneidungen. Zur Klärung von mehrdeutigen Fällen dürfte die Übersicht über die
wichtigsten Infektionserreger im Anhang beitragen.
In Kapitel 27 und 28 geht es um Infektionen, die sich nicht ohne weiteres zuordnen
lassen. Dazu gehören Multisysteminfektionen (die ganz offensichtlich nicht in einzelne
Bereiche einzuordnen sind); sie können oft auch auf mehr als einen Wirt übertragen
werden, z.B.:
■ durch Vektoren (meist Arthropoden) von Mensch zu Mensch; ihre Verbreitung hängt
von günstigen klimatischen und ökologischen Bedingungen und ausreichend
vorhandenen Vektoren ab (s. Kap. 27);
■ direkt von Wirbeltieren auf Menschen; in dem Fall spricht man von Zoonosen (s. Kap.
28). Ihr Vorkommen kann stark beschränkt (Rocky Mountain Spotted Fever) oder weit
verbreitet sein (Q-Fieber, Leptospirose).
Schließlich ergeben sich aufgrund der Klinik noch zwei weitere Eingruppierungen:
Infektionen, die
■ mit Fieber unbekannter Ursache (s. Kap. 29) und
■ Immunschwäche (s. Kap. 30) einhergehen.
Letztere Kategorie wird zunehmend wichtiger, weil bei zahlreichen Patienten die
Abwehrkräfte durch Krankheit (zystische Fibrose, Diabetes mellitus), Infektion (AIDS),
immunsuppressive Therapie (nach Transplantationen) oder wegen anderer Ursachen (z.B.
Verbrennung, Katheterisierung) geschwächt sind.

18 Infektionen der oberen Atemwege


19 Untere Atemwegsinfektionen
20 Harnwegsinfektionen
21 Sexuell übertragbare Krankheiten
22 Gastrointestinale Infektionen
23 Intrauterine und perinatale Infektionen
24 ZNS-Infektionen

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25 Augeninfektionen
26 Infektionen von Weichteilen und Knochen
27 Von Vektoren übertragene Infektionen
28 Multisystemische Zoonosen
29 Fieber unbekannter Ursache (FUO)
30 Infektionen bei Immunschwäche
Teil 5 Diagnostik, Prävention, Hygiene
31 Strategien zur Infektionskontrolle – eine
Einführung
32 Diagnose von Infektionen und Beurteilungder
Abwehrlage
33 Antimikrobielle Wirkstoffe und Chemotherapie
34 Impfungen
35 Passive und unspezifische Immuntherapie
36 Nosokomiale Infektionen, Sterilisation und
Desinfektion
Anhang
Pathogene im Überblick
Antworten
Register

6
Vorspann
Mit Beiträgen von
Roy M. Anderson FRS, Linacre Professor and Head of Department
Director of Wellcome Trust Centre for Epidemiology of Infectious Disease
Department of Zoology ,University of Oxford
Oxford, UK
Gillian Urwin MSc MB BS MRCPath
Consultant Microbiologist, Department of Microbiology
Essex Rivers Healthcare NHS Trust
Colchester, UK
John Playfair MB BChir PhD DSc
Emeritus Professor
Department of Immunology
University College and Middlesex School of Medicine
London, UK, Rosamund Williams PhD FRCPath
Division of Emerging and other Communicable Diseases, Surveillance and Control
World Health Organization
Geneva, Switzerland
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Das Lehrbuch Medizinische Mikrobiologie • Infektiologie von Cedric Mims et al.
erarbeitet die komplexen Inhalte des Fachgebietes mit einer vollkommen anderen
Herangehensweise als die klassischen Lehrbücher der medizinischen Mikrobiologie: Im
Vordergrund dieses Buches steht der Konflikt zwischen Wirt und Parasit. Die
verschiedenartigen Prozesse im Verlauf einer Infektion werden auf immunologischer und
mikrobiologischer Ebene anschaulich dargestellt und diskutiert. Das Verständnis von
Pathogenese und Ätiologie von Infektionskrankheiten ist den Autoren hierbei besonders
wichtig. Die einzelnen Kapitel sind deshalb nicht – wie in den meisten deutschen
Lehrbüchern – erregerbezogen aufgebaut, sondern nach Organsystemen und spezifischen
Krankheitssymptomen gruppiert.
Am Ende jedes Kapitels finden sich fallbezogene Fragen zum Kapitel, und der Kasten
„Zusammenfassung“ bietet eine Zusammenfassung der wichtigsten Informationen.
Eingestreut in die Kapitel sind die Kästen „Geschichte der Mikrobiologie“. Diese
betrachten zum Beispiel historische oder epidemiologische Aspekte des behandelten
Themas. In Anhang des Buches sind die Antworten auf die Fragen zu finden sowie ein
Übersicht über alle Pathogene.
Die deutsche Ausgabe wurde durch einige länderspezifische Angaben modifiziert,
beispielsweise wurden die Impfempfehlungen der STIKO am RKI aufgenommen. Ebenso
finden die derzeit in Deutschland gültigen Empfehlungen zur antimikrobiellen Therapie
Berücksichtigung.
Allein mithilfe antimikrobieller Chemotherapeutika können Infektionskrankheiten
weltweit nicht eradiziert werden. Gründe dafür sind unter anderem zunehmende
Resistenzentwicklung und auch ressourcenbedingter Mangel an Medikamenten, zum
Beispiel in den Entwicklungsländern. Das Wissen um klinisch-infektiologische
Zusammenhänge ist ein wichtiger Pfeiler in jeder medizinischen Disziplin und
gewährleistet sinnvolle diagnostische und therapeutische Maßnahmen. Das vorliegende
Buch soll sowohl für Studenten der klinischen Semester als auch für infektiologisch
interessierte Ärzte Unterstützung im Verständnis infektiologischer Krankheitsbilder
bieten.
Leipzig 2006
Grit Ackermann

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Vorwort der englischen Ausgabe
The third edition of Medical Microbiology keeps to the pattern of earlier editions,
focusing on the conflict between host and parasite. It has been extensively updated, with
improved layout and illustrations, but the basic principles and the central role of
immunology have not changed. It continues to be clinically oriented.
This time we are privileged to have Richard Goering as a major author, and as a result the
book is now more closely adapted to the curriculum and needs of American students. We
also welcome Hazel Dockrell (immunology) and Mark Zuckerman (virology) as principal
authors. Rosamund Williams and John Playfair, who played such a major part in earlier
editions, have relinquished their roles as main authors, and we gratefully acknowledge
their contributions.
Medical school curricula are changing, and often microbiology is no longer taught as a
separate discipline but is integrated with pathology, immunology and clinical studies.
Organ-based infectious disease themes are becoming popular. There is nevertheless a need
for a foundation text such as this one. The system-based treatment is retained and for
ready reference details about each microbe are included in a ‘Pathogen Parade’ at the end
of the book.
The number of fully sequenced microbes increases inexorably, and we are beginning to
understand how a given gene product contributes to disease and pathogenicity. Wherever
possible we have referred to the molecular basis for microbial pathogenicity and disease.
Each chapter ends with Key Facts and Questions (mostly case-based, in USMLE format),
and chapters now have a ‘Lessons in Microbiology’ drawer to flesh out the subject with
historical, epidemiological, or other aspects of the subject.
We believe Medical Microbiology continues to give students a readable, exciting and
informative insight into the causation, diagnosis, prevention and treatment of infectious
diseases.
Cedric Mims, Hazel M. Dockrell, Richard V. Goering, Ivan Roitt, Derek Wakelin, Mark
Zuckerman 2004
Danksagungen
We wish to express our appreciation of the generosity of many colleagues throughout the
world who supplied illustrative material, particularly W. Edmund Farrar, Martin J. Wood,
John A. Innes, Hugh Tubbs, James S. Bingham, Ralph Muller, John R. Baker, John
Oxford and Dilip K. Banerjee. We would also like to thank the library of The Wellcome
Institute for the History of Medicine for providing portrait photographs for the historical
profiles.

8
Eine zeitgemäße Einführung in die Mikrobiologie
0.1 Mikroorganismen und Parasiten 1

0.2 Kontext der medizinischen Mikrobiologie 1

0.3 Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Mikrobiologie 2

0.4 Herangehensweise des Buches 4

0.1 Mikroorganismen und Parasiten

Die Unterscheidung zwischen Mikroorganismen und


Parasiten ist üblich, aber im Grunde willkürlich
Mikrobiologie wird auch als Biologie mikroskopisch kleiner Organismen
(„Mikroorganismen“) definiert. Die klinische Mikrobiologie befasst sich traditionell
mit den wichtigsten Infektionerregern des Menschen, die wegen ihrer geringen Größe
für das bloße Auge nicht sichtbar sind. Das untersuchte Erregerspektrum spiegelt wider,
welche Erkrankungen in den USA und Europa (also Ländern, in denen sich die
Mikrobiologie als wissenschaftliches und klinisches Fach entwickelte) eine wichtige
Rolle gespielt haben bzw. weiterhin spielen.

Der Begriff „Mikroorganismen“ bleibt meist Viren und Bakterien vorbehalten, wird also
restriktiv verwendet. Auch wenn gelegentlich Pilze und Protozoen („Parasiten“)
eingeschlossen werden, sind sie im Allgemeinen Gegenstand anderer Disziplinen
(Mykologie und Parasitologie).

Unbestritten gehören Viren und Bakterien zu der zahlenmäßig größten und wichtigsten
Gruppe von Pathogenen. Dass man sie als „Mikroorganismen“ von anderen Erregern
(Pilzen, Protozoen, Helminthen und Arthropoden als „Parasiten“) abgrenzt, ist im
Grunde eine willkürliche Festlegung, nicht zuletzt, weil sich das Kriterium der
mikroskopischen Sichtbarkeit nicht streng anwenden lässt (Abb. 0.1).

Immerhin war Trichinella spiralis, die erste „Mikrobe“, die mit einem spezifischen
Krankheitsbild in Verbindung gebracht wurde, ein Parasit. Die Larvenstadien dieses
Nematoden sind mit bloßem Auge gerade noch erkennbar (zur sicheren Identifizierung
ist ein Mikroskop erforderlich). T. spiralis wurde 1835 entdeckt und um 1860 erstmals
als Ursache der Trichinose (Trichinellosis) benannt.

0.2 Kontext der medizinischen Mikrobiologie


Die mikrobiologische Literatur behandelt Infektionserreger oft isoliert – isoliert sowohl
von anderen Krankheitserregern als auch vom biologischen Umfeld, in dem
Mikroorganismen leben und Krankheiten verursachen. Sicher hat es Vorteile, einzelne
Erreger gruppenweise aufzulisten, eine Zusammenfassung von Krankheiten, die sie
hervorrufen können, zu geben und die vorhandenen Methoden der Infektionskontrolle
darzustellen. Doch dieser Ansatz vermittelt ein eher statisches Bild der dynamischen
Beziehung zwischen dem Mikroorganismus und seinem Wirt.

9
Abb. 0.1 Relative Größe von Erregern, die in diesem
Buch besprochen werden.

10
Reaktionen des Wirts kommen durch ein komplexes
Zusammenspiel von Wirt und Parasit zustande
Wirtsreaktionen lassen sich als Krankheitszeichen, Symptome oder Mechanismen der
Immunabwehr begreifen, sind aber besser als Folge eines komplexen Zusammenspiels
zweier Organismen – Wirt und Parasit – zu behandeln. Diese Sichtweise ist notwendig
für das Verständnis der Pathogenese von Infektionen.

Die Gleichung „Mikrobe + Wirt = Krankheit“ beschreibt die Ätiologie von


Infektionskrankheiten nicht korrekt: Die meisten Kontakte von Mikroorganismen mit
Wirtsorganismen resultieren nicht in Krankheiten. Was Voraussetzung für die
Entstehung einer Erkrankung ist, ist genauso wichtig für das Verständnis von
Infektionen wie die Identifizierung von Erregern oder die Kenntnis wirksamer
Kontrollmöglichkeiten.

Unser Ansatz (Auswahl und Darstellung der Erreger im Kontext von Erkrankungen, die
sie verursachen) liefert ein aufschlussreiches und interessantes Bild von den
dynamischen Beziehungen in der Mikrobiologie. Für dieses Vorgehen gibt es mehrere
Gründe:

■ Es existiert ein umfassendes molekularbiologisches Grundlagenwissen über


Infektionen, Krankheiten und Wirt-Pathogen-Interaktionen. Dieses hilft Studenten, die
Verbindung zwischen Infektion und Krankheit auf individueller und sozialer Ebene
besser zu begreifen und neue oder sich verändernde klinische Situationen besser zu
verstehen.

■ Die Reaktion des Wirtsorganismus auf eine Infektion wird jetzt stärker als
koordiniertes, fein abgestimmtes Zusammenspiel unter Mitwirkung angeborener
und erworbener Abwehrmechanismen gesehen. Diese Abwehr erfolgt unabhängig von
der Art und den spezifischen Eigenschaften des beteiligten Pathogens.

Die aktuellen Vorstellungen zu den Mechanismen und Abläufen der Stimulation


solcher Prozesse sind weit entwickelt. Eine Infektion ist ein Konflikt zweier
Organismen, dessen Ausgang (Resistenz oder Ausbruch der Krankheit) von der
Interaktion auf molekularer Ebene abhängt. Das Zusammenspiel zwischen Wirt und
Pathogen auch auf dieser Grundlage zu verstehen ist wiederum wichtig, um Prozesse
wie Krankheit bzw. Kontrolle (Infektionsbekämpfung) richtig zu interpretieren.

Neue oder erneut auftretende Erkrankungen bereiten


der Mikrobiologie noch immer Probleme
Eine umfassendere Betrachtung der Mikrobiologie ist nötig für eine fundierte klinische
und wissenschaftliche Anwendung:

■ Steigende Prävalenz opportunistischer Infektionen bei hospitalisierten oder


immunsupprimierten Patienten. Viel häufiger als früher wird mit Immunsuppressiva
behandelt, und genauso haben Krankheiten, die das Immunsystem schwächen,
zugenommen (z.B. AIDS).

■ Entdeckung neuer Krankheitserreger und das besorgniserregende erneute


Auftreten von Krankheiten, die man längst unter Kontrolle glaubte.

11
■ Zunehmende Bedeutung tropischer Infektionen in der Klinik. Viele Touristen
kommen in tropischen Ländern mit einem ganz anderen Erregerspektrum in Kontakt
(pro Woche reisen über eine Million Menschen zwischen den Industrie- und
Entwicklungsländern). Um Erreger zu identifizieren bzw. Kliniker zu beraten, sind
Mikrobiologen gefragt. Gesundheitliche Probleme in den unterentwickelten Ländern
rücken allmählich stärker ins Bewusstsein.

Daher erscheint uns eine Ausweitung der Mikrobiologie notwendig; aufbauend auf ihren
früheren Konzepten sollte sie sich jetzt den Problemen der Gegenwart und Zukunft
stellen.

0.3 Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der


Mikrobiologie
Mit dem Nachweis infektiöser Keime als Krankheitsursache entstand im 19. Jahrhundert
das Fach Mikrobiologie. Frühe Entdeckungen schlossen Infektionen durch tropische
Parasiten ebenso ein wie in Europa und den USA häufigere Infektionen durch Bakterien.
Das Interesse von Mikrobiologen konzentrierte sich vor allem auf letztere, bevor es sich
später auf die neu entdeckten Virusinfektionen ausweitete.

Die Entwicklung antimikrobieller Wirk- und Impfstoffe bedeutete eine Revolution für
die Behandlung dieser Krankheiten. Daraus erwuchs auch die Hoffnung, dass viele
Erkrankungen, mit denen sich die Menschheit über Jahrhunderte geplagt hatte, ausgerottet
werden könnten. In den hochentwickelten Ländern verlernten die Menschen, sich vor
Infektionen zu fürchten, und glaubten, sie würden noch zu ihren Lebzeiten völlig
verschwinden.

Bis zu einem gewissen Ausmaß ließ sich diese Erwartung umsetzen; die meisten
Kinderkrankheiten wurden durch Impfungen seltener und bakterielle Infektionen waren
durch Antibiotika einfach in den Griff zu bekommen. Ermutigt durch die Ausrottung der
Pocken in den 70er Jahren und den Erfolg der Polioschluckimpfung, kündigten die
Vereinten Nationen 1978 an, bis zum Jahr 2000 „Gesundheit für alle“ mit ihren
Programmen erreichen zu wollen. Diese optimistische Sicht muss jedoch revidiert werden.

Infektionskrankheiten verlaufen auch in den


Industrieländern noch immer tödlich
Weltweit verursachen Infektionskrankheiten mehr als 25% der Todesfälle, und
sowohl in den Industrie- als auch in den Entwicklungsländern sterben zunehmend mehr
Menschen daran. In den USA (das Bild in Europa dürfte ähnlich aussehen):

■ erhöhte sich die Zahl der Todesfälle durch Infektionen von 36/100000 im Jahre
1980 auf 59/100000 im Jahre 1996;

■ erreichte die Zahl der AIDS-Toten 1995 ihren Gipfel mit 50000;

■ sterben jährlich 30000 Menschen an Grippe und infizieren sich mehrere


Millionen mit Influenzaviren;

12
■ tragen 4 Millionen Menschen das Hepatitis-C-Virus (HCV) in sich; 15%
erkranken an einer lebensbedrohlichen Leberzirrhose;

■ ist die Arzneimittelresistenz bei Tuberkulose (Tbc) ebenso besorgniserregend


wie Lebensmittel- oder nosokomiale Infektionen.

In Deutschland veröffentlichte das Robert-Koch-Institut im


Infektionsepidemiologischen Jahrbuch 2003 folgende Zahlen:

■ 1808 neu diagnostizierte HIV-Erstinfektionen

■ 7236 gemeldete Tuberkuloseerkrankungen

■ 8472 Influenzaerkrankungen (zum Vergleich: 2574 in 2002)

■ 6961 an Hepatitis C erkrankte Personen

Infektionskrankheiten gehören zu den


Hauptproblemen in Entwicklungsländern
In den Entwicklungsländern, besonders in Afrika (südlich der Sahara) und Asien,
nehmen Infektionskrankheiten in alarmierendem Maße zu. Obwohl südlich der Sahara
nur 10% der Weltbevölkerung leben, entfallen auf diese afrikanischen Staaten 80% der
AIDS-Todesfälle, 70% der HIV-Neuerkrankungen, die höchsten Raten gleichzeitiger
HIV- und Tbc-Infektion sowie 90% aller Malariafälle weltweit.

1998 starben in Asien und im pazifischen Raum eine Million Menschen an Tbc, und die
Zahl der Neuerkrankungen entspricht einem Anteil von 40% im Weltmaßstab. HIV-
Infektion bzw. AIDS nehmen rapide zu. Für eine verbreitete Arzneimittelresistenz bei
Malaria sprechen die 19,5 Millionen Infizierten im Jahre 1998. Am stärksten gefährdet
sind Kinder unter fünf Jahren. Während es 1999 in den Industrieländern 475000
Todesfälle in dieser Altersgruppe gab, starben in den Entwicklungsländern zwölf
Millionen Kinder, 60% an einer Infektion. Die weltweit wichtigsten
Infektionskrankheiten zeigt Abb. 0.2.
Abb. 0.2 Tödliche Infektionen – die weltweit
führenden Todesursachen (Angaben von 1997).

13
Neu auftretende oder wiederkehrende Infektionen
In den vergangenen 30 Jahren traten einige bekannte Erkrankungen wie Tbc, Malaria,
Hepatitis, Cholera oder Dengue-Fieber als bedeutende Infektionen wieder auf. Im
gleichen Zeitraum wurden auch mehr als dreißig neue Infektionserreger identifiziert
(Tab. 0.1), von denen das HI-Virus der wichtigste ist. Für viele neue Erkrankungen gibt
es noch keine wirksame Therapie.

Tab. 0.1 Seit 1970 neu aufgetretene Infektionen bzw. neu


identifizierte Erreger

14
(Mims et al.. Medizinische Mikrobiologie – Infektiologie, 2.A.. Elsevier GmbH, Urban &
Fischer Verlag).

<vbk:978-3-437-41272-1#t000001>HIV = human immunodeficiency virus, nvCJD =


neue Variante der Creutzfeldt- Jakob-Krankheit

Die wirtschaftlichen Folgen sind enorm. So beliefen sich die kumulativen Kosten für
die AIDS-Epidemie bis zum Jahr 2000 auf schätzungsweise 550 Milliarden Dollar. Zur
Eindämmung der Cholera in Lateinamerika wurden bis 1994 ca. 200 Milliarden Dollar
aufgewendet, für die Bekämpfung der Malaria in Afrika bis 1997 ca. 2,2 Milliarden
Dollar. Durch eine erfolgreiche Ausrottung (Eradikation) von Infektionskrankheiten
lassen sich hohe Kosten einsparen (bei Pocken auf 20 Milliarden Dollar geschätzt).

Moderne Lebensweise und technischer Fortschritt


begünstigen Übertragung
Für das erneute Auftauchen von Infektionen gibt es vielfältige Gründe. Dazu zählen
neue Reisemuster und Handelsbeziehungen (besonders das erweiterte
Nahrungsangebot), neue Agrartechniken, verändertes Sexualverhalten, medizinische
Eingriffe und übermäßiger Gebrauch von Antibiotika. Durch ökonomische, soziale und
politische Umwälzungen in den Entwicklungsländern und den früheren Staaten der
Sowjetunion hat sich die medizinische Versorgung verschlechtert mit der Folge, dass
Armut und Unterernährung zugenommen haben.

Was bringt die Zukunft?


Ausgehend von Daten der Vereinten Nationen (UN) und der
Weltgesundheitsorganisation (WHO), lassen sich optimistische, stabile oder
pessimistische Szenarios für die Zukunft entwerfen. Im günstigsten Fall sollten sich
infolge sozioökonomischer und medizinischer Fortschritte in der insgesamt älter
werdenden Bevölkerung zunehmend weniger Probleme durch Infektionskrankheiten
ergeben. Bei den Todesursachen könnte sich ihr Anteil bis 2020 weltweit von 34% (im
Jahre 1999) auf 15% verringern; auch wenn HIV und Tbc weiterhin führende
Todesursachen sein werden.

Pessimistischer betrachtet wird sich durch das Bevölkerungswachstum in den


Entwicklungsländern, vor allem in urbanen Ballungsräumen, die Kluft zwischen armen
und reichen Ländern vergrößern. Aufgrund sich fortlaufend wandelnder Lebensweisen
wird es zu neuen Infektionswellen kommen. Selbst in den Industrieländern lassen sich
Infektionen zunehmend schwieriger kontrollieren, weil die Erreger resistent werden und
die Entwicklung neuer Medikamente und Impfstoffe langsamer vorangeht.

Hinzu kommen zwei weitere Risikofaktoren: (1) Drohender Bioterrorismus und die
mögliche Ausbreitung seltener Infektionen (z.B. Anthrax) oder das Wiederauftreten
bereits eradizierter Krankheiten (z.B. Pocken). (2) Klimaveränderungen (höhere
Temperaturen, veränderte Niederschläge) tragen dazu bei, dass durch die Vermehrung
der Überträger (Vektoren) von Infektionserregern die Inzidenz von Infektionen
zunimmt.

Für beide Szenarios gilt: Auch in absehbarer Zukunft bleibt die Mikrobiologie ein
außerordentlich wichtiges medizinisches Fach.

15
0.4 Herangehensweise des Buches
Aus den oben genannten Gründen soll dieses Buch zwei Funktionen erfüllen:

■ Die für Infektionen verantwortlichen Keime sind umfassend in die Besprechung der
Infektionskrankheiten eingeschlossen.

■ Ein rein klinisch-labordiagnostischer Ansatz der Mikrobiologie wird durch eine andere
Herangehensweise ersetzt, bei der stärker der biologische Kontext für klinische bzw.
Laboruntersuchungen berücksichtigt wird.

Die Mikrobiologie soll aus dem Blickwinkel der inneren Auseinandersetzung, wie sie in
allen Beziehungen zwischen Wirtsorganismen und Pathogenen stattfindet, betrachtet
werden. Zunächst werden die Infektionserreger und die angeborenen bzw. erworbenen
Abwehrmechanismen des Wirtsorganismus beschrieben. Die Folgen des Konflikts werden
dann im Einzelnen für jedes Körpersystem genauer dargestellt.

Keime oder Symptome werden nicht in einer starren Reihenfolge beschrieben, sondern in
der Umgebung, wo Infektionserreger im menschlichen Körper Krankheiten verursachen,
z.B. Atem-, Darm- und Urogenitaltrakt, Blut- und Nervensystem. Die Mikroorganismen,
die in diese Organsysteme gelangen und Infektionen etablieren, werden hinsichtlich der
jeweiligen Wirtsantwort untersucht. Schließlich wird sowohl auf Ebene der einzelnen
Patienten als auch bezogen auf Gruppen betrachtet, wie sich solche Prozesse begrenzen
(kontrollieren) oder verhindern lassen.

Auf diese Weise wird dem Leser eine dynamische Sicht der Wirtsorganismus-Pathogen-
Interaktionen vermittelt, aus der sich ein kreativeres Verständnis von Infektion und
Krankheit entwickeln kann.

16
Zusammenfassung
■ Eine umfassende Darstellung der Infektionserreger des Menschen (Viren bis
Helminthen) sollte auch die biologischen Grundlagen von Infektion, Krankheit, Wirt-
Pathogen-Interaktionen, Krankheitsbekämpfung und Epidemiologie beinhalten.

■ Im Hintergrund der von Mikroorganismen hervorgerufenen Erkrankungen steht


ein Konflikt zwischen Erregern und angeborener bzw. erworbener Abwehr des
Wirtsorganismus.

■ Das Umgebungsmilieu kann das Eindringen und Wachstum von


Mikroorganismen sowie pathologische Veränderungen in unterschiedlichen
Körpersystemen begünstigen; daher werden Infektionen auch unter diesem Aspekt
beschrieben und näher erläutert.

FRAGEN
1 Welche Pathogen-Gruppen sind die Hauptursachen für Infektionen des
Menschen?

2 Welche Infektionen fordern jährlich mehr als eine Million Tote?

3 Nennen Sie vier in den 90er Jahren identifizierte Erreger von


Infektionskrankheiten.

4 Wodurch wird die Prävalenz von Infektionen im 21. Jahrhundert vermutlich


beeinflusst?
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

Mims, C.A., Nash, A., Stephen, J.: Pathogenesis of Infectious Disease. 5th ed. Academic
Press, London 2001.

17
1 Mikroorganismen als Parasiten
1.1 Vielfalt der Ereger 9

1.1.1 Prokaryonten und Eukaryonten 9

1.1.2 Mikro- und Makroparasiten 10

1.2 Intra- und extrazelluläre Lebensform 10

1.3 Klassifikationssysteme (Systematik) 11

1.1 Vielfalt der Erreger

1.1.1 Prokaryonten und Eukaryonten


Um die Beziehung zwischen Erregern und Infektionskrankheiten zu untersuchen, gilt es
einige wichtige biologische Merkmale zu berücksichtigen, durch die sich die einzelnen
Erreger unterscheiden. Eines davon ist ihr Aufbau, besonders die Anordnung des
genetischen Materials und der Zellbestandteile.

Alle Mikroorganismen (außer Viren und Prionen) sind


aus Zellen aufgebaut
Viren sind keine Zellen, sie besitzen weder eine Zellmembran noch Zytoplasma und
sind für die Synthese von Makromolekülen auf Wirtszellen angewiesen. Ihr
genetisches Material (DNA oder RNA) ist üblicherweise in Kapseln verpackt.

Prionen – den Auslösern der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit sowie von Kuru, Scrapie


und BSE (bovine spongiforme Enzephalopathie) – fehlen Nukleinsäuren; offenbar
bestehen sie nur aus proteinartigen infektiösen Partikeln.

Alle anderen Mikroorganismen verfügen über einen zellulären Aufbau. Sie sind
einzellig (die Mehrheit der Mikroorganismen) oder mehrzellig aufgebaut, und jede
Zelle wird außen von einer Zellmembran begrenzt. Im Zellinnern befindet sich das
genetische Material (DNA), im Zytoplasma ein Syntheseapparat.

18
Bakterien sind Prokaryonten, die anderen
Organismen Eukaryonten
Zwischen Prokaryonten und Eukaryonten – den beiden Hauptgruppen zellulärer
Organismen – bestehen beträchtliche Unterschiede (Abb. 1.1).

Bei Prokaryonten

■ fehlt ein ausgeprägter Zellkern (Nukleus);

■ ist die DNA auf einem einzelnen Ringchromosom angeordnet, zusätzlich


befindet sich evtl. extrachromosomale DNA auf Plasmiden;

■ können Transkription und Translation zeitgleich stattfinden.

Bei Eukaryonten

■ ist die DNA auf mehrere Chromosomen in einem Zellkern verteilt;

■ umgibt eine Kernmembran den Zellkern (Nukleus);

■ muss für die Transkription zuerst Messenger-RNA (mRNA) gebildet und diese
anschließend aus dem Kern ins Zytoplasma transportiert werden;

■ findet die Translation an Ribosomen statt;

■ enthält das Zytoplasma zahlreiche membrangebundene Zellorganellen


(Mitochondrien, endoplasmatisches Retikulum, Golgi-Apparat, Lysosomen) –
welche bei Prokaryonten nicht vorhanden sind.

19
Abb. 1.1 Prokaryonten und Eukaryonten:
schematische Darstellung der wichtigsten
Zellstrukturen.

Die Außenschicht Gram-negativer Bakterien ist reich


an Lipopolysacchariden
Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen Prokaryonten und den meisten
Eukaryonten stellt die dicke schützende Zellwand der Prokaryonten dar, die sich
außen an die Zell- bzw. Plasmamembran anlagert. Bei Gram-positiven Bakterien
besteht diese aus Peptidoglykanen und bildet die Außenwand der Zelle, während bei
Gram-negativen Bakterien eine Lipopolysaccharid-reiche Schicht hinzukommt.

20
Diese Zellschichten spielen eine wichtige Rolle, denn zum einen schützen sie
Bakterien vor Immunabwehrmechanismen und vor Chemotherapeutika, zum anderen
können durch sie bestimmte pathologische Reaktionen stimuliert werden. Ihnen
verdanken Bakterien auch immunogene Eigenschaften (Antigenität).

1.1.2 Mikro- und Makroparasiten

Die Vermehrung von Mikroparasiten erfolgt in


Wirtszellen
Wichtiger als ihr Größenunterschied ist noch eine weitergehende Unterscheidung
zwischen Mikro- und Makroparasiten. Da sich Mikroparasiten (Viren, Bakterien,
Protozoen und Pilze) in Wirtszellen replizieren, sind sie theoretisch imstande, sich
unbegrenzt zu vermehren, so dass der Wirtsorganismus von Unmengen neu
erzeugter Erreger regelrecht überschwemmt wird.

Das können Makroparasiten (Würmer, Arthropoden), selbst wenn sie nur


mikroskopisch klein sind, nicht. Sie reifen vom Ansteckungs- zum reproduktiven
Stadium heran und ihre Larven (Tochtergenerationen) verlassen dann den Wirt, um
den Zyklus weiter fortzusetzen. Daher bestimmt die Zahl der eingedrungenen
Organismen das Ausmaß der Infektion. Dieser Unterschied zwischen mikro- und
makroparasitären Infektionen wirkt sich auch klinisch und epidemiologisch aus.

Mikro- und Makroparasiten lassen sich nicht immer klar abgrenzen. Manchmal bleibt
auch die Tochtergeneration von Makroparasiten im Wirtsorganismus zurück, und
gerade bei immunsupprimierten Patienten kann die Infektion zahlenmäßig überhand
nehmen. Beispiele sind die Rundwürmer (Trichinella), einige Fadenwürmer
(Strongyloides stercoralis) und Krätzemilben (Sarcoptes scabiei).

Wenn Organismen klein genug sind, können sie


intrazellulär leben
Die Einteilung in Mikro- und Makroparasiten deckt sich nicht völlig mit den
biologischen Auswirkungen, die sie aufgrund ihrer absoluten Größe auf die Wirt-
Pathogen-Beziehung haben können. Das Größenverhältnis zwischen Erreger und
Wirtszelle ist von besonderer Wichtigkeit. Wenn Organismen klein genug sind, um
intrazellulär zu leben, unterhalten sie eine ganz andere biologische Beziehung zu
ihrem Wirt als extrazelluläre Organismen. Das wirkt sich sowohl auf die Infektion als
auch auf ihre Eindämmung aus.

21
1.2 Intra- und extrazelluläre Lebensform
Zugrunde liegt allen Wirt-Pathogen-Beziehungen, dass der eine Organismus (das
Pathogen) von den günstigen Umgebungsbedingungen profitiert, die der andere (der Wirt)
ihm bietet. Auch wenn Art und Grad dieser „Ausbeutung“ variieren können, bleibt das
Pathogen primär auf die Versorgung durch seinen Wirt angewiesen. Dabei kann es sich
um die Bereitstellung von Stoffwechselprodukten (Nährstoffe) oder – wie im Fall der
Viren – des Syntheseapparats der Wirtszellen handeln.

Viren müssen zwangsläufig in Wirtszellen leben (intrazelluläre Lebensform), da sie auf


deren Syntheseapparat angewiesen sind. Auch einige andere Erregergruppen
(Chlamydien, Rickettsien) halten sich ausschließlich intrazellulär auf. Bei den übrigen
Pathogenen haben sich einzelne Spezies an eine intra- oder extrazelluläre Lebensform, in
sehr seltenen Fällen auch an beides angepasst.

Intrazelluläre Mikroparasiten (keine Viren) decken ihren metabolischen Bedarf direkt


aus dem Nährstoffangebot der Wirtszellen, extrazelluläre Organismen beziehen ihre
Nährstoffe aus der Gewebeflüssigkeit oder gelegentlich auch direkt von Wirtszellen (z.B.
Entamoeba histolytica, der Erreger der Amöbenruhr). Makroparasiten halten sich fast
ausnahmslos extrazellulär auf (Trichinella spiralis lebt intrazellulär). Viele ernähren sich
von Wirtszellen, nehmen diese auf und verdauen sie; andere nehmen Nährstoffe aus der
Gewebeflüssigkeit oder dem Darminhalt auf.

Intrazellulär sind Pathogene vor vielen


Abwehrmechanismen des Wirts geschützt
Intrazelluläre Pathogene bereiten dem Wirt ganz andere Schwierigkeiten als
extrazelluläre Organismen (s. Kap. 13). Solange sie in den Zellen bleiben, sind sie
weitgehend vor Abwehrmechanismen, besonders vor spezifischen Antikörpern des
Wirts, geschützt. Bei solchen Erregern hängt die erfolgreiche Bekämpfung davon ab, ob
sie intrazellulär durch (Immun-)Mediatoren der näheren Umgebung oder durch
zytotoxische Wirkstoffe abgetötet werden können. Da letztere oft nicht nur Erreger,
sondern auch die Wirtszellen zerstören, droht durch sie eine Gewebeschädigung.

Das Problem, gezielt auf intrazelluläre Erreger einzuwirken und nicht die empfindlichen
Zellen zu treffen, stellt sich auch beim Einsatz von Medikamenten. Eine selektive
Wirkung mit Antibiotika zu erreichen und die Wirtszelle intakt zu lassen hat sich als
schwieriges Unterfangen herausgestellt.

Noch problematischer ist, dass gerade die für Immun- und Entzündungsreaktionen
zuständigen Zellen oft durch intrazelluläre Erreger befallen sind, so dass die
Wirtsabwehr empfindlich geschwächt wird. Eine Vielzahl von Viren, Bakterien oder
Protozoen siedelt sich z.B. in Makrophagen an, während sich andere Viren
(einschließlich HIV) eher auf Lymphozyten spezialisiert haben.

Die intrazelluläre Lebensform bietet Pathogenen viele Vorteile: Sie gewährt ihnen
Zugang zur Nährstoffversorgung und der genetischen Ausstattung ihres Wirts und
ermöglicht ihnen andererseits, sich der Immunüberwachung (Surveillance) und
antimikrobiellen Abwehrmechanismen zu entziehen. Allerdings kann sich kein einziger
Organismus immer nur intrazellulär aufhalten. Um sich erfolgreich vermehren zu
können, muss eine Übertragung (Transmission) der Erreger zwischen den Wirtszellen

22
stattfinden – und das bedeutet unvermeidlich, dass sie für gewisse Zeit einer
extrazellulären Umgebung ausgesetzt sind.

Was den Wirt betrifft, so bietet sich ihm die Möglichkeit, in der extrazellulären Phase
in die Entwicklung einzugreifen und die Infektion durch Abwehrmechanismen wie
Phagozytose, Antikörper und Komplementfaktoren unter Kontrolle zu bringen.
Transmission kann aber auch den Untergang der ursprünglich infizierten Zelle bedeuten
und so zur Gewebeschädigung oder generalisierten Erkrankung des Wirts beitragen.

Die extrazelluläre Lebensform bietet günstige


Bedingungen für Wachstum, Reproduktion und
Streuung
Extrazelluläre Erreger können ungehindert wachsen und sich vermehren und sich
weiträumig in den Geweben des Körpers bewegen. Doch auch ihr Überleben und ihre
Entwicklung sind gewissen Einschränkungen unterworfen. Am wichtigsten ist wohl ihr
ständiges Ausgesetztsein gegenüber Abwehrmechanismen des Wirts (Antikörper,
Komplement- und phagozytäres System).

Aufgrund ihrer unterschiedlichen Merkmale wirken sich extrazelluläre Erreger


pathologisch ganz anders aus als intrazelluläre Erreger. Besonders eindrucksvoll zeigt
sich das an ausgedehnten Zerstörungen im Wirtsgewebe, die Makroparasiten allein
schon durch ihre Größe, Reproduktion und Beweglichkeit hervorrufen können. Viele
extrazelluläre Pathogene können sich so rasch in der Extrazellularflüssigkeit oder auf
Oberflächen ausbreiten, dass es innerhalb kürzester Zeit zu ausgedehnten Infektionen
kommt. Ein gutes Beispiel ist die Schnelligkeit, mit der Vibrio cholerae die gesamte
Dünndarmschleimhaut besiedelt.

Zur erfolgreichen Bekämpfung extrazellulärer Parasiten sind andere


Abwehrmechanismen des Wirts als gegen intrazelluläre Erreger nötig. Die möglichen
unterschiedlichen Lokalisationen des Befalls mit extrazellulären Mikroorganismen
macht eine wirkungsvolle Abwehr zusätzlich schwieriger. So müssen z.B.
Darmparasiten durch andere Komponenten des angeborenen und erworbenen
Immunsystems abgewehrt werden als Parasiten an anderen Stellen. Parasiten, die im
Darmlumen vegetieren, können Immunreaktionen, ausgehend von der Darmmukosa,
völlig unbeschadet überstehen.

Zu akuten Problemen mit einer effektiven Abwehr kann es besonders bei


Makroparasiten kommen, die sich wegen ihrer Größe oft als unempfänglich für die bei
kleineren Parasiten wirksamen Abwehrmechanismen erweisen. So können z.B. Würmer
nicht phagozytiert werden, denn oft haben sie äußere Schutzschichten oder bewegen
sich aktiv fort aus Bereichen, in denen die Wirtsabwehr aktiv ist.
1.3 Klassifikationssysteme (Systematik)
Die Erreger von Infektionskrankheiten gehören einem breiten Spektrum unterschiedlicher
Gruppen – Prionen, Viren, Bakterien, Pilze, Protozoen, Helminthen und Arthropoden –
an. Für jede Gruppe gibt es ein eigenes Klassifikationssystem, um Erreger richtig
identifizieren und einer Kategorie zuordnen zu können. Die korrekte Identifizierung stellt
eine wesentliche Voraussetzung für eine akkurate Diagnose und die wirksame
Behandlung von Infektionen dar.

23
Protozoen, Pilzen, Helminthen und Arthropoden werden
nach dem binomischen System eingeteilt
Erreger lassen sich mit verschiedenen Methoden identifizieren, durch einfache
Betrachtung bis hin zur molekularen Untersuchung. Bei der Unterteilung der
Hauptgruppen wurde unterschiedlich vorgegangen: In der Klassifikation von Protozoen,
Pilzen, Helminthen und Arthropoden bildet „Spezies“ die taxonomische Grundeinheit –
definitionsgemäß als Gruppe von Organismen zu verstehen, die einander in ihren
morphologischen, physiologischen, biochemischen, serologischen und anderen
Eigenschaften in hohem Maße ähnlich sind.

Auf „Spezies“ bezieht sich auch die binomische Klassifikation (Systematik), die für
Eukaryonten und bestimmte Prokaryonten herangezogen wird. Spezies gruppieren sich
zu Gattungen (Genus), wenn sie in wesentlichen Merkmalen übereinstimmen. Zur
genauen Identifikation wird daher jeder Organismus mit „Gattung“ und „Spezies“
bezeichnet (z.B. Homo sapiens oder Escherichia coli). Verwandte Gattungen werden
wiederum zu größeren Kategorien zusammengefasst.

24
Abb. 1.2 Strukturelle und biologische Eigenschaften,
die zur Klassifikation von Bakterien herangezogen
werden; hier am Beispiel der Gram-positiven
Bakterien.

Die Klassifikation von Bakterien und Viren erfolgt über


strukturelle und biologische Eigenschaften
Bei der Klassifikation von Prokaryonten und Viren ergeben sich ein paar grundsätzliche
Schwierigkeiten für das „Spezies“-Konzept. Die Einteilung von Bakterien stützt sich
auf leicht bestimmbare, praktisch erprobte Merkmale wie Größe, Form, Farbe,
Anfärbbarkeit, Atmung (aerob, anaerob) und Reproduktion. Hinzu kommen
immunologische, biochemische und molekulare Kriterien, die sich nur durch verfeinerte
Untersuchungsmethoden feststellen lassen. Anhand der zuerst genannten Eigenschaften
können Bakterien taxonomischen Gruppen zugeordnet werden, wie es Abb. 1.2
exemplarisch für Gram-positive Bakterien zeigt (s. auch Kap. 2).

Entscheidend für die Differenzierung pathogener und


nicht pathogener Formen ist oft die richtige
Subspezies-Zuordnung bei Bakterien
Eine erfolgreiche Behandlung setzt die richtige Erregeridentifizierung voraus. Einige
wichtige Bakterien-Subspezies sind an immunologischen Eigenschaften erkennbar. In
spezifischen Tests mit Antiseren können Zellwand-, Geißel- und Kapselantigene dazu
benutzt werden, Serogruppen und Serotypen von Bakterien zu definieren (z.B. bei
Salmonellen, Streptokokken, Shigellen, E.coli).

Andere Subspezies (Biotyp, Stämme, Gruppen) lassen sich anhand biochemischer


Merkmale definieren. So setzen z.B. einige Staphylococcus aureus-Stämme β-
Hämolysin frei (bewirkt die Lyse roter Blutkörperchen). Die Produktion anderer Toxine
ist für die Unterscheidung einzelner Gruppen wichtig (z.B. bei E.coli).

Bakterien können auch durch ihre Empfänglichkeit für bestimmte Bakteriophagen in


Subspezies eingeordnet werden. Diese Phagentypisierung kann z.B. herangezogen
werden, um zwischen Isolaten von Staphylococcus aureus, Vibrio cholerae und
Salmonella typhi zu unterscheiden.

25
Identifizierung und Klassifizierung können auch durch genetische Untersuchungen
erfolgen. Angewandt werden z.B.:

■ Größenbestimmung des Genoms (Molekulargewicht der vorhandenen DNA);

■ Berechnung des Basenanteils von Guanin und Cytosin an der DNA;

■ Gensonden, um bestimmte DNA-Sequenzen im Genom zu identifizieren.

Die Virusklassifikation entfernt sich noch weiter vom


binomischen System
Auf Viren werden zwar Begriffe wie „Familie“ oder manchmal auch „Gattung“ (Genus)
angewandt, aber nicht „Spezies“. Ihre Unterteilung richtet sich nach Merkmalen wie
ihrer Nukleinsäure (DNA oder RNA), ihrer Replikationsart, der Symmetrie des
Viruspartikels (kubisch, helikal oder komplex) sowie dem Vorhandensein oder Fehlen
einer Virushülle (Envelope). Abb. 1.3 zeigt dies am Beispiel der DNA-Viren (s. auch
Kap. 3). Es werden auch Kategorien verwendet, die in etwa denen der Subspezies
entsprechen und Serotypen, Stämme, Varianten und Isolate umfassen. Tatsächlich
lassen diese sich wegen der besonderen biologischen Merkmale von Viren leichter
bestimmen als etwaige Spezies.

Für die Einteilung wird primär die serologische Reaktivität des Virusmaterials
berücksichtigt. Das Influenzavirus mit seinen drei Typen (A, B, C) könnte man z.B.
einer Gattung gleichsetzen. Bei der Identifizierung hilft ein stabiles, bei allen drei Typen
jeweils unterschiedliches Nukleoprotein-Antigen. Neuraminidase- und Hämagglutinin-
Antigene sind instabil und bei allen drei Typen verschieden. Durch Charakterisierung
dieser Antigene gelingt es in Isolaten, eine bestimmte Variante zu identifizieren (s. Kap.
19). Ein weiteres Beispiel findet sich bei Adenoviren, deren Antigene mit einem
Kapsidbestandteil assoziiert sind und eine Zuordnung zu Gruppen, Typen und noch
feinere Unterteilungen ermöglichen.

Die Klassifikation hilft bei der Diagnose und fördert das


Verständnis der Pathogenese
Erreger umgehend zu identifizieren ist klinisch unbedingt notwendig, um die Diagnose
zu stellen und eine angemessene Behandlung empfehlen bzw. einleiten zu können. Doch
für ein besseres Verständnis der Interaktionen, die zwischen Wirt und Parasit ablaufen,
reicht die Erregeridentifizierung allein nicht aus.
Abb. 1.3 Zur Virusklassifikation herangezogene
Merkmale am Beispiel der DNA-Viren.

26
Man sollte möglichst viel über das (allgemein) biologische Verhalten von Erregern
wissen, um sinnvolle/nützliche Aussagen zu den Auswirkungen von Infektionen machen
zu können. Aus dem Grund finden sich in den nachfolgenden Kapiteln neben einer
Übersicht über die Klassifikation der wichtigsten Erreger auch kurze Angaben zu ihrer
Struktur (makro- und mikroskopisch), Lebensform, Molekularbiologie, Biochemie,
Replikation und Reproduktion.

27
Zusammenfassung
■ Infektionserreger lassen sich sieben Kategorien zuordnen: Prionen, Viren,
Bakterien, Pilzen, Protozoen, Helminthen und Arthropoden.

■ Die Identifikation und Klassifikation dieser Organismen sind wichtiger


Bestandteil der Mikrobiologie und wesentliche Voraussetzung für die Diagnose,
Therapie und Bekämpfung von Infektionen.

■ Jede Gruppe hat typische Merkmale (Struktur und molekularer Aufbau,


Biochemie und Metabolismus, Reproduktion), durch die das Zusammenspiel
zwischen Erregern und Wirtsorganismen bestimmt wird und die darüber
entscheiden, ob/wie sie Krankheiten verursachen.

■ Zahlreiche Erreger sind durch ihre intrazelluläre Lebensform vor vielen


Abwehrmechanismen des Wirts geschützt.

FRAGEN
1 Nennen Sie die Hauptunterschiede zwischen Prokaryonten und Eukaryonten.

2 Welche wichtigen Unterschiede bestehen zwischen Mikro- und


Makroparasiten?

3 Zählen Sie drei Vorteile auf, die eine intrazelluläre Lebensform Erregern bietet.

4 Mit welchen Methoden lassen sich Bakterien identifizieren und klassifizieren?


Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

Collier, L.H. (ed.): Topley and Wilson’s Microbiology and Microbial Infections. 9th
ed. Edward Arnold, London 1998.

28
2 Bakterien
2.1 Struktur 15

2.2 Ernährung 17

2.3 Wachstum und Teilung 18

2.4 Genexpression 19

2.4.1 Transkription 19

2.4.2 Translation 20

2.4.3 Regulation der Genexpression 20

2.5 Extrachromosomale Elemente 23

2.6 Mutation und Gentransfer 25

2.6.1 Mutation 25

2.6.2 Gentransfer und Rekombination 26

2.7 Überleben unter widrigen Umständen 30

2.8 Das Genom medizinisch wichtiger Bakterien 30

2.9 Hauptgruppen 33
Zur Orientierung
Obwohl es eine riesige Anzahl frei lebender Bakterien gibt, verursachen vergleichsweise
wenige Spezies Infektionen. Die meisten dieser Mikroorganismen sind mittlerweile gut
bekannt und erforscht. Trotzdem werden fortlaufend neue Erreger entdeckt, oder es stellt
sich heraus, dass bisher für unbedeutend gehaltene Infektionen doch bedeutsamer sind, als
man annahm. Ein gutes Beispiel sind Infektionen durch Legionellen, den Erregern der
Legionärskrankheit.

Bakterien sind einzellige Prokaryonten, deren DNA sich auf einem langen ringförmigen
Molekül in einem nicht abgegrenzten Kernäquivalent befindet. Viele Bakterien haben
Geißeln und zeigen dadurch ein typisches Bewegungsmuster. Bakterien sind von einer
komplex gebauten Zellwand (Hülle) und oft auch von einer dicken Kapsel umgeben. Sie
vermehren sich meist in recht hohen Teilungsraten und verfügen über ein breites
metabolisches Spektrum (sowohl aerober als auch anaerober Stoffwechsel).

Zur Klassifikation (Systematik) von Bakterien werden phäno- und genotypische


Merkmale herangezogen, wobei den Angaben zum Phänotyp aus klinischer Sicht meist
ein größerer praktischer Wert zukommt. Die Phänotypisierung von Bakterien beruht auf
der Kenntnis ihrer Struktur und Biologie (Abb. 32.17). Einen detailliertes Verzeichnis der
wichtigsten Bakteriengruppen gibt „Pathogene im Überblick“ im Anhang.

2.1 Struktur

29
Bakterien sind Prokaryonten mit typischer Zellstruktur
Bei Bakterien trägt ein längliches, zweisträngiges (ds, double-stranded), ringförmiges
DNA-Molekül die genetische Information (Abb. 2.1). Wie bei Eukaryonten (s. Kap. 1)
könnte es als „Chromosom“ bezeichnet werden, doch es fehlen Introns. Stattdessen
besteht die DNA aus einer kontinuierlichen Kodierungsgensequenz. Da sich das
Chromosom weder in einem erkennbaren Kern befindet noch eine Kernmembran
vorhanden ist, wird die Region mit stärkerer DNA-Wicklung (coiling) als Nukleoid
bezeichnet. Genetische Information (DNA) kann in Bakterienzellen auch auf sog.
Plasmiden vorkommen, kleinen ringförmigen extrachromosomalen Molekülen.

Außer Ribosomen (erforderlich zur Proteinsynthese) sind im Zytoplasma keine


weiteren Organellen enthalten. Obwohl sie dieselbe Funktion ausüben, unterscheiden
sich die Ribosomen eu- und prokaryonter Zellen durch ihre Struktur. In Prokaryonten
werden sie als 70S-, in Eukaryonten als 80S-Ribosomen bezeichnet (die Einheit S
bezieht sich auf das Teilchen-/Partikelverhalten in einer Ultrazentrifuge, d.h. unter
starker Fliehkrafteinwirkung beim Schleudern). Spezifisch auf diese 70S-Ribosomen
von Bakterien zielt der Angriff antimikrobieller Mittel wie der Aminoglykosid-
Antibiotika (s. Kap. 33).

Viele der metabolischen Funktionen, die in eukaryonten Zellen von membranständigen


Organellen wie den Mitochondrien ausgeübt werden, übernimmt in Prokaryonten die
Zellmembran. Bis auf Mykoplasmen sind alle Bakterien von einer komplex
aufgebauten Zellwand (Hülle) umgeben; außerhalb dieser Zellwand können noch
Kapsel, Geißeln oder Pili (Fimbrien) vorhanden sein. Ausschlaggebend für die richtige
Diagnose sowie das Verständnis der Pathogenität und Biologie von Bakterien sind gute
Kenntnisse ihrer Zellwand und möglicher Außenstrukturen.

30
Abb. 2.1 Schematische Darstellung eines Bakteriums.

Anhand ihrer Zellwand werden Bakterien als Gram-


positiv oder Gram-negativ eingestuft
Eine wichtige Grundlage für den mikrobiologischen Nachweis und die Identifizierung
von Bakterien ist die Gram-Färbung (s. Kap. 32). Hauptbestandteil der
Bakterienzellwand ist Peptidoglykan (oder Murein), ein Polymer aus Hexosezuckern
(N-Acetyl-Glucosamin und N-Acetyl-Muraminsäure) und Aminosäuren.

■ Bei Gram-positiven Bakterien liegt der Zellmembran außen eine 20–80 nm


dicke Schicht aus Peptidoglykan an, die noch andere Makromoleküle enthalten kann.

■ Bei Gram-negativen Bakterien ist die Peptidoglykanschicht 5–10 nm dünn.


Fest in ihren Lipoproteinmolekülen ist eine darüber befindliche äußere Hüllmembran
verankert, die hauptsächlich aus Lipopolysacchariden und Lipoproteinen besteht (Abb.
2.2).

Die durch Polysaccharide und (elektrisch) geladene Aminosäuren hoch polare


Peptidoglykanschicht bildet einen dicken, hydrophilen Überzug. Dieser Eigenschaft
verdanken z.B. Gram-positive Bakterien ihre Resistenz gegen die im Darm auf sie
einwirkende Galle. Andererseits kommt aber in allen Körperflüssigkeiten das Enzym
Lysozym vor, welches die Peptidoglykanschicht „verdauen“ und somit bakterizid
wirken kann. Antibiotika wie Penicilline und Cephalosporine hemmen die Synthese von
Peptidoglykan (s. Kap. 33).

Auch Gram-negative Bakterien haben eine hydrophile Außenschicht, die aber wegen
des Lipidanteils zugleich hydrophobe Eigenschaften besitzt. Damit trotzdem für die
Ernährung wichtige hydrophile Zucker- und Aminosäuremoleküle ins Zellinnere
gelangen, bilden bestimmte Proteine (sog. Porine) Kanäle bzw. Poren.
Lipopolysaccharide (LPS) verleihen der Bakterienmembran sowohl antigene („O-
Antigene“ durch Kohlenstoffketten) als auch toxische Wirkeigenschaften („Endotoxin“
durch den Anteil an Lipid A; s. Kap. 17).

31
Bei Mykobakterien sind Peptidoglykan- und Lipoproteinschicht chemisch anders
miteinander verbunden. Ihre Außenhülle wirkt durch eine Vielzahl komplexer Lipide
(Mycolsäure) wachsartig. Das verändert zum einen ihre Anfärbbarkeit (sog. säurefeste
Bakterien) und macht sie zum anderen resistent gegen Austrocknung und andere
Umgebungseinflüsse. Darüber hinaus entfalten Bestandteile der Mykobakterien-
Zellwand eine ausgeprägte Adjuvanswirkung (d.h., sie steigern die Immunogenität bzw.
Reaktivität).
Abb. 2.2 Wandaufbau bzw. Hüllstrukturen Gram-
positiver und Gram-negativer Bakterien

Zusätzlich zur Zellwand kann eine Kapsel aus hochmolekularen Polysacchariden (bzw.
Aminosäuren beim Gasbranderreger Bacillus anthracis) vorhanden sein. Ihre durch die
Kapsel schleimige Oberfläche schützt Bakterien vor der Phagozytose durch Wirtszellen
und ist ein entscheidender Virulenzfaktor. So können nur wenige bekapselte
Streptococcus pneumoniae-Bakterien eine tödlich verlaufende Infektion verursachen,
während kapsellose Mutanten dieser Spezies nicht pathogen wirken.

Zur definitiven Bakterienform, einem entscheidenden Kriterium bei der


Identifizierung, trägt die Zellwand in erheblichem Maße bei. Im Allgemeinen werden
Kugel- (Kokken), Stäbchen- (Bazillen) oder schraubenförmige Bakterien (Spirillen)
unterschieden, auch wenn diese Grundformen variieren können.

Viele Bakterien haben Geißeln


Geißeln bzw. Flagellen sind lange, fadenförmige, gewundene Zellfortsätze, mit denen
sich Bakterien in ihrer Umgebung fortbewegen können. Sie beschränken sich entweder

32
auf einen Pol der Zelle (polar), stehen in Büscheln (lophotrich) oder sind über die
gesamte Oberfläche verteilt (peritrich).

Bakterien haben nicht nur andere Geißeln als Eukaryonten, sondern beziehen ihre
Bewegungsenergie auch aus anderen Quellen (ATP[Adenosintriphosphat]-unabhängig).
Diese Beweglichkeit befähigt sie zur Chemotaxis (positive und negative Reaktionen auf
chemische Reize). Bestimmte Proteinbausteine (Flagelline), die als Geißelantigen (sog.
H-Antigen) wirken, sind für Schutzmaßnahmen des Wirtes wie Antikörperreaktionen
ein wichtiges Angriffsziel.

Andere Zellfortsätze von Bakterien sind Pili


Die haarartigen Pili bzw. Fimbrien sind unbeweglicher als Geißeln; sie dienen zur
Anheftung an andere Bakterien („Sexpili“) oder an Wirtszellen. Die Adhärenz an
Wirtszellen kommt über spezifische Interaktionen zwischen Molekülen (Adhäsine) der
Pili und der Wirtszellmembran zustande. Escherichia coli-Adhäsine gehen z.B. an der
Oberfläche des Darmepithels eine Interaktion mit Fukose-/Mannose-Molekülen ein (s.
Kap. 22).

Eine möglichst große Anzahl von Pili kann dazu beitragen, dass Bakterien leichter der
Phagozytose entgehen, schwächen also die Widerstandskraft des Wirts gegen bakterielle
Infektionen. Trotz ihrer Immunogenität können sich Pili-Antigene so verändern, dass
das Immunsystem sie nicht erkennt. Wie man bei Gonokokken herausfand, vollzieht
sich die „Antigenvariation“ offenbar durch eine Rekombination von Genen, die für
konstante und variable Regionen der Pili-Moleküle kodieren.

2.2 Ernährung

Pathogene Bakterien sind heterotroph


Alle Bakterien beziehen ihre Energie aus der Oxidation vorgefertigter organischer
Moleküle (Kohlenhydrate, Lipide und Proteine), die sie in ihrer Umgebung vorfinden.
Bei der Metabolisierung dieser Moleküle entsteht ATP als Energiequelle. Wenn der
endgültige Elektronenakzeptor Sauerstoff ist, spricht man von einem aeroben
Stoffwechsel, wenn es ein anderes organisches oder anorganisches Molekül ist, vom
anaeroben Stoffwechsel.

■ Im aeroben Stoffwechsel (d.h. bei Sauerstoffatmung) werden unter


vollständigem Energieverbrauch aus einer Quelle wie z.B. Glukose 38 Moleküle ATP
erzeugt.

■ Ein anaerober Stoffwechsel (bzw. anaerobe Atmung) mit einem


anorganischen Molekül als endgültigem Akzeptor der H+-Ionen (statt Sauerstoff) ist
unvollständig; daher werden weniger ATP-Moleküle als im aeroben Stoffwechsel
erzeugt.

■ Ein anaerober Stoffwechsel mit einem organischen Molekül als endgültigem


Akzeptor der H+-Ionen (Gärung bzw. Fermentierung) ist kaum noch effizient;
produziert werden gerade einmal 2 ATP-Moleküle.

33
Obwohl er weniger effizient ist, kann ein anaerober Stoffwechsel nützlich sein, wenn
Sauerstoff fehlt und geeignete Substrate zur Verfügung stehen – wie meistens im
Wirtsorganismus. Für die Zellatmung kann ein obligater oder fakultativer
Sauerstoffbedarf bestehen. Manche Organismen können ihren Stoffwechsel sogar bei
Bedarf von aerob auf anaerob umstellen. Bakterien, die auf Gärungsprozesse
angewiesen sind, dient oft Pyruvat als wichtiges Zwischenprodukt, aus dem sie durch
nachfolgende Fermentierung zusätzliche Energie gewinnen.

Bakterien nehmen Nährstoffe hauptsächlich als kleine


Moleküle durch die Zellwand auf
Kleinere Moleküle wie Aminosäuren, Oligosaccharide und Peptide werden von
Bakterien durch die Zellwand hindurch aufgenommen. Gram-negative Bakterien können
auch größere Moleküle, die in der Nähe der Plasmamembran „vorverdaut“ werden,
aufnehmen und verwerten.

Nährstoffe gelangen über unterschiedliche Transportmechanismen ins Zytoplasma.


Dazu gehört neben der durch Carrier erleichterten Diffusion (Ausgleich zwischen intra-
und extrazellulärem Konzentrationsgefälle) auch der aktive Transport durch die
Zellmembran, bei dem unter Energieverbrauch die intrazelluläre Konzentration eines
Substrats erhöht wird. Ein oxidativer Stoffwechsel kann auch entlang der Grenze
zwischen Zellmembran und Zytoplasma stattfinden.

Während manche Spezies durch ihre enorme Synthesekapazität nur einen minimalen
Bedarf an Nährstoffen aus der Umgebung haben, sind andere auf ein größeres
Nährstoffangebot angewiesen. E.coli wächst z.B. selbst in Medien, die nicht viel mehr
als Glukose und anorganische Salze enthalten. Streptokokken dagegen benötigen sehr
reichhaltige Nährlösungen mit vielfältigen organischen Bestandteilen.

34
2.3 Wachstum und Teilung
Wachstums- und Teilungsrate hängen bei Bakterien weitgehend vom Nährstoffangebot
der Umgebung ab. In nährstoffreichen Kulturmedien im Labor teilt sich eine einzelne,
ausgewachsene E.-coli-Zelle schon nach 20–30 Minuten in identische „Tochterzellen“,
während es in nährstoffarmen Milieus sehr viel langsamer vor sich geht (1–2 Stunden).
Manche Bakterien (z.B. Mycobacterium tuberculosis) wachsen dagegen selbst unter
besten Bedingungen viel langsamer heran und teilen sich erst nach 24 Stunden.

In einer neuen Umgebung vermehren sich Bakterien nach einem bestimmten Muster
(Abb. 2.3). Nach der anfänglichen Anpassungs- (Latenz- oder lag-) Phase verdoppelt
sich die Population rasch durch Zellteilung in konstanten Raten (Generationszeit). Diese
Phase wird als logarithmische (log-) oder Exponentialphase bezeichnet. Sobald das
Nährstoffangebot knapper wird und sich toxische Produkte anhäufen, verlangsamt sich
das Zellwachstum (stationäre Phase) und kommt zum Stillstand, möglicherweise gefolgt
von einer Phase des Zelluntergangs bzw. Absterbens.

Bakterien müssen ihre genomische DNA vor der


Teilung verdoppeln
Das ringförmige Genom von Bakterien fängt an einer bestimmten, als OriC (Ursprung
der Replikation) bezeichneten Stelle an sich zu verdoppeln. Sobald sich ein
Multienzymkomplex an OriC bindet, bewirken Helikasen und Topoisomerasen (DNA-
Gyrase) eine Glättung (Unwinding) und Aufteilung (Separation) der beiden DNA-
Stränge. Das setzt die Replikation in Gang. Dabei dienen die aufgeteilten DNA-Stränge
als Matrize für DNA-Polymerasen.

Bei der Polymerisation kommt es zur Inkorporation von Desoxyribonukleotiden, die


genau zu Basen der Matrizen-DNA passen und sich mit ihnen zu Basenpaaren ergänzen.
Im weiteren Verlauf bilden sich zwei typische „Replikationsgabeln“, die sich in
gegenläufiger Richtung um das Chromosom herum fortsetzen. So entstehen zwei
Kopien der gesamten genetischen Information (des Genoms), die je einen „Eltern“- und
einen neu synthetisierten DNA-Strang enthalten.

35
Abb. 2.3 Wachstumskurve von Bakterien (KbE,
Kolonie-bildende Einheiten).

Bei E. coli dauert die Replikation des Genoms etwa 40 Minuten. Das heißt, dass diese
Bakterien, wenn sie sich innerhalb von 20–30 Minuten vermehren und teilen, bereits
eine neue „Replikationsrunde“ starten müssen, ehe die vorhergehende abgeschlossen ist.
Unter diesen Umständen hat die auf die Tochterzellen vererbte DNA schon mit ihrer
eigenen Replikation begonnen.

Eine genaue Replikation ist nötig


Als Träger wichtiger Informationen über die Eigenschaften und Abläufe in einer Zelle
muss die DNA unbedingt genau repliziert werden. Das gelingt mithilfe der DNA-
Polymerase; sie kann die neuen Desoxyribonukleotide auf Fehler überprüfen
(„Korrektur lesen“) und falsch eingefügte herausschneiden. Dadurch verringert sich die
Fehlerhäufigkeit auf ca. ein falsches Basenpaar pro 1010 kopierten Nukleotiden.

36
Auftrennung des Genoms (Segregation) und
Septumbildung vor der Zellteilung
Die Teilung (oder Septierung) einer Zelle vollzieht sich in folgenden Schritten:

■ Segregation: Auftrennung des replizierten Genoms

■ Septierung: Bildung einer Scheidewand in der Zellmitte

■ Separation: aus der Mutterzelle gehen eigenständige Tochterzellen hervor.

Das Zellseptum entsteht dadurch, dass die Peptidoglykanschicht (sowie die Außenhülle
bei Gram-negativen Bakterien) in eine Einstülpung der Zytoplasmamembran
hineinwächst. Zwischen Septierung, DNA-Replikation und (Genom-)Segregation
besteht zwar keine feste Verbindung, aber sie sind doch so gut aufeinander abgestimmt,
dass nur verschwindend wenige Tochterzellen keine richtige Entsprechung der
genomischen DNA haben.

Unter dem Mikroskop betrachtet führt die Zellteilung zu einer reproduzierbaren


Anordnung der Zellen (Arrangement). Wenn sich kugelförmige Bakterien (Kokken)
nur in einer Ebene teilen, können sie wie Ketten (Streptokokken) oder Paare
(Diplokokken) aussehen, während sich durch eine mehrdimensionale Teilung
Zellhaufen (Cluster, z.B. bei Staphylokokken) ergeben. Wie die Form dient also auch
die Zellanordnung als wichtiges Merkmal bei der Erregeridentifizierung.

Wachstums- und Teilungsphase der Bakterien sind


wichtige Angriffsziele antimikrobieller Mittel
In die Abläufe bei der Vermehrung und Teilung von Bakterien greifen folgende Mittel
(nähere Einzelheiten zu den Wirkstoffen s. Kap. 33) ein:

■ Chinolone (Nalidixinsäure und Norfloxacin) verhindern das „Unwinding“ der


DNA durch die DNA-Gyrase während der DNA-Replikation.

■ Die Peptidoglykansynthese wird gehemmt z.B. durch Betalaktam-Antibiotika


(wie Penicilline, Cephalosporine und Carbapeneme) sowie durch Glykopeptide (wie
Vancomycin).

37
2.4 Genexpression
Genexpression beschreibt die Prozesse, die zur Bildung funktionsfähiger Protein- oder
RNA-Moleküle notwendig sind und somit die in Genen enthaltenen Informationen
entschlüsseln (dekodieren).

Die meisten Gene werden in mRNA umgeschrieben


(Transkription)
Die überwiegende Mehrheit der Gene (bei E. coli z.B. bis zu 98%) wird erst in mRNA
(Messenger-/Boten-RNA) umgeschrieben und dann in Proteine „übersetzt“
(Translation). Bei bestimmten Genen erfolgt eine Transkription in rRNA (ribosomale
RNA: 5S, 16S, 23S), die dann als Gerüst für die Anlagerung ribosomaler Untereinheiten
dient. Wieder andere Gene werden in tRNA (Transfer-RNA) transkribiert, deren
Moleküle zusammen mit Ribosomen an der Umsetzung von mRNA zu funktionellen
Proteinen beteiligt sind.

2.4.1 Transkription
Für ein RNA-Transkript wird die DNA durch eine DNA-abhängige Polymerase kopiert.
Bei dieser Polymerisierungsreaktion kommt es zur Inkorporation von Ribonukleotiden,
die sich dann mit passenden Basen der DNA-Matrize zu Paaren ergänzen.

Initiierung der Transkription durch Promotoren


Als Promotoren wirken Nukleotidsequenzen der DNA, die RNA-Polymerase binden
können. Wie häufig eine Transkription initiiert wird, hängt von unterschiedlichen
Faktoren ab, wie z.B.

■ der genauen Sequenz der Promotorregion der DNA,

■ der Gesamtanordnung der DNA (Spiralisierungsgrad),

■ dem Umstand, ob Regulatorproteine in der Nähe oder in Überlappung mit der


Promotorregion binden.

Folglich initiieren verschiedene Promotoren mit ganz unterschiedlicher Frequenz eine


Transkription (bis zu 3000fach). Ihre Aktivität unterliegt außerdem dem Einfluss von
Regulatorproteinen. Bei der Erkennung von Promotoren spielt der Sigmafaktor (ein
Bestandteil der RNA-Polymerase) eine wichtige Rolle.

In Bakterien können ganze Sets von Genen einfach dadurch an- oder abgeschaltet
werden, indem sich die Expression eines bestimmten Sigmafaktors (von mehreren
unterschiedlichen vorhandenen) ändert. Das ist ein besonders wichtiger
Kontrollmechanismus für die Expression von Genen, die an der Sporenbildung Gram-
positiver Bakterien beteiligt sind.

Die Transktiption endet normalerweise an bestimmten


End-(Terminations-)Abschnitten

38
Solche Terminationsabschnitte sind dadurch gekennzeichnet, dass sich an eine
spiegelbildliche mRNA-Sequenz eine Abfolge von Uracil-Resten anschließt. Diese
können infolge der Ribonukleotid-Basenpaarung eine Haarnadelstruktur ausbilden und
die RNA-Polymerase-Aktivität beeinträchtigen. Außerdem wird die Transkription in
bestimmten Fällen auch durch eine Wechselwirkung zwischen RNA-Polymerase und
dem Transkriptions-Terminations-Protein (Rho-Protein) beendet.

mRNA-Transkripte verschlüsseln oft mehr als ein


Protein in Bakterien
Das Arrangement einzelner Gene in Bakterien (Promotor-/Strukturgen-
/Terminatorregion) wird als monocistronisch bezeichnet. Wenn aber mehrere
Strukturgene von einer einzelnen Promotor- und Terminatorregion flankiert werden,
handelt es sich um eine polycistronische Anordnung, ein Operon. Die Transkription
von Operonen führt also zu einer polycistronischen mRNA, die mehr als ein Protein
kodiert (Abb. 2.4).

Operone stellen sicher, dass alle Proteine (Untereinheiten eines bestimmten


Enzymkomplexes oder für bestimmte biologische Abläufe erforderlich) gleichzeitig
und im richtigen Mengenverhältnis synthetisiert werden. So werden z.B. die für die
Aufnahme und Verstoffwechslung von Laktose nötigen Proteine vom lac-Operon
enkodiert. Operone verschlüsseln in ähnlicher Weise auch viele der Proteine, die für
die Pathogenität medizinisch wichtiger Keime verantwortlich sind, z.B.:

39
Abb. 2.4 Einzelgene und Operone.

In der DNA von Bakterien sind Gene als getrennte Einheiten (Einzelgene) oder als
Operone (Multigene) vorhanden. Von Promotoren aus in mono- bzw.
polycistronische mRNA-Moleküle umgeschrieben (Transkription), wird die
mRNA schließlich in Protein übersetzt (Translation).

■ das Choleratoxin von Vibrio cholerae

■ die Fimbrien-Proteine uropathogener E. coli, die die Besiedlung des Harntrakts


vermitteln.

2.4.2 Translation
Durch die Nukleotidsequenz auf den mRNA-Transkripten wird genau festgelegt, welche
Aminosäurensequenz ein bestimmtes Protein (Polypeptid) hat. Um ein Protein
produzieren zu können, müssen Ribosomen und tRNA-Moleküle diese Information
entschlüsseln; dieser Prozess wird als Translation („Übersetzung“) bezeichnet. Jedes
Basentriplett (Satz von drei Basen) einer mRNA-Sequenz entspricht dem Codon einer
spezifischen Aminosäure.

Die Translation beginnt mit einem Startkomplex und


endet an einem Stopcodon

40
Den Startkomplex bilden mRNA, Ribosomen und ein tRNA-Start-Molekül, welches
die Aminosäure Methionin enthält. Ribosomen binden an spezifische mRNA-
Sequenzen (Shine-Dalgarmo-Sequenzen) und beginnen am Startercodon (AUG) mit
der Translation. Am Startcodon findet eine Hybridisierung mit einer spezifischen
komplementären Sequenz (dem Anticodon) des tRNA-Start-Moleküls statt.

Die Polypeptidkette verlängert sich durch die Bewegung des Ribosoms entlang dem
mRNA-Molekül und die Rekrutierierung immer neuer tRNA-Moleküle (beladen mit
unterschiedlichen Aminosäuren), die nachfolgende Tripletts erkennen können. Durch
eine Kondensierungsreaktion der Ribosomen werden neu hinzukommende
Aminosäuren (auf der tRNA) der wachsenden Polypetidkette angefügt. Erst wenn das
Ribosom auf eines von drei möglichen Stoppcodons (UGA, UAA oder UAG) trifft,
endet die Translation.

Transkription und Translation sind wichtige


Angriffsziele für antimikrobielle Substanzen
Zu den antimikrobiellen Mitteln, die hier angreifen, gehören:

■ Inhibitoren der RNA-Polymerase wie Rifampicin

■ mehrere Inhibitoren der bakteriellen Proteinsynthese wie Makrolide (z.B.


Erythromycin), Aminoglykoside, Tetrazykline, Streptomycin und Chloramphenicol
(s. Kap. 33).

2.4.3 Regulation der Genexpression

Bakterien passen sich durch kontrollierte


Genexpression an die Umgebung an
Mit bemerkenswerter Adaptationsfähigkeit können sich Bakterien an Veränderungen
ihrer Umgebung anpassen. In erster Linie stellen sie durch kontrollierte Genexpression
sicher, dass bestimmte Proteine nur bei Bedarf gebildet werden. Beispiele sind:

■ Bakterien müssen ihren Stoffwechsel umstellen, um sich eine neue


Kohlenstoff- oder Stickstoff-Quelle zu erschließen, und schalten dafür neue
Mechanismen an, die ihnen ermöglichen, diese Komponenten zu transportieren und
zu nutzen,

■ Falls bestimmte Substanzen wie Aminosäuren in der Bakterienumgebung


fehlen, sind Bakterien in der Lage, ihre Enzymproduktion umzustellen und die
erforderlichen Moleküle de novo zu synthetisieren.

Bei pathogenen Bakterien ist die Expression vieler


Virulenzfaktoren streng geregelt
Das erscheint sinnvoll, weil es (Stoffwechsel-)Energie spart und gewährleistet, dass
bestimmte Virulenzfaktoren nur bei Bedarf produziert werden. Enterobakterien
werden z.B. oft durch Wasserleitungen übertragen. Das kontaminierte Wasser ist

41
vermutlich kälter als 25°C und arm an Nährstoffen. Doch die Umgebungsbedingungen
verändern sich schlagartig, sobald die Enterobakterien in den menschlichen Darm
gelangen: Bei einer Temperatur um 37°C und reichlicher Versorgung mit Kohlenstoff
und Stickstoff stehen ihnen dort nur wenig Sauerstoff und freies Eisen (essentieller
Nährstoff) zur Verfügung. An solche Veränderungen können sich Bakterien jedoch
ohne weiteres anpassen, indem sie einige der für Stoffwechsel oder Virulenz
zuständigen Gene einfach an- bzw. abschalten.

Studien zur Pathogenese von Mikroorganismen verzeichnen derzeit auf dem Gebiet
der Virulenzgenexpression die raschesten Fortschritte. Diese Analysen bieten wichtige
Einblicke in die Vorgänge, wie sich Bakterien an wechselnde Bedingungen anpassen,
wenn sie eine Infektion initiiert haben, und sich in unterschiedlichen Geweben des
Wirts ausbreiten.

Eine Modifikation der Genexpression resultiert meist


aus einer quantitativen Änderung der mRNA-
Transkription
In welchem Umfang eine Transkription zu mRNA erfolgt, wird von der Effizienz der
Bindung der RNA-Polymerase an Promotorregionen beeinflusst. Da sich veränderte
Umgebungsbedingungen wie ein Temperaturanstieg (von 25 auf 37°C) oder
Sauerstoff-Verfügbarkeit auf die Spiralwindungen der DNA auswirken, können sie
indirekt auch die Anordnung der Promotorregion verändern und den Beginn der
Transkription erschweren.

Den größten Einfluss auf die Bindung der RNA-Polymerase und die Transkription
haben Regulatorproteine. Diese beeinflussen die Transkription, indem sie sich
spezifisch an die DNA binden, die an die Promotorregion angrenzt, oder sich mit der
Promotorregion überlappen. Dadurch werden die Bindung der RNA-Polymerase sowie
die Transkription beeinflusst. Diese DNA-Bindungsstellen der Regulatorproteine
werden als Operator bzw. Operatorregionen bezeichnet. Unterschieden werden zwei
Klassen von Regulatorproteinen (Abb. 2.5):

■ Aktivatoren – erhöhen die Rate des Transkriptionsbeginns

■ Repressoren – hemmen die Transkription.

Einer negativen Regulation unterliegende Gene binden Repressorproteine. Wenn sie


einer positiven Regulation unterliegen, müssen Gene aktivierte Regulatorproteine
binden, um den Transkriptionsbeginn voranzutreiben.

Prinzip der Genregulation in Bakterien – am Beispiel


der am Zuckerstoffwechsel beteiligten Gene
Für ihr Wachstum gewinnen Bakterien Kohlenstoff aus Zucker. Dabei bevorzugen sie
Glukose statt weniger gut verwertbaren Zuckers. In einer Umgebung, die sowohl
Glukose als auch Laktose bereithält, verwenden Bakterien wie E. coli vorzugsweise
Glukose. Gleichzeitig wird die Expression des lac- Operons, dessen Produkte den
Transport und die Metabolisierung von Laktose ermöglichen, verhindert (Abb. 2.6).

42
Dies bezeichnet man als katabole Repression, denn die Transkription des lac-
Operons ist abhängig von einer positiven Regulation (Steuerung) durch das cAMP-
abhängige katabole Aktivatorprotein (CAP). CAP wird erst durch gebundenes cAMP
aktiviert.

Wenn Bakterien mit Glukose wachsen, ist der cAMP-Spiegel im Zytoplasma sehr
niedrig. Daher wird CAP auch nicht aktiviert, kann folglich weder an seine DNA-
Bindungsstelle nahe der lac- Promotorregion binden noch den Beginn der
Transkription durch RNA-Polymerase unterstützen. Bei Glukosemangel erhöht sich
dagegen die cAMP-Konzentration, so dass aktivierte cAMP-CAP-Komplexe gebildet
werden. Durch ihre Bindung an entsprechende DNA-Stellen verstärken sie die
Bindung der RNA-Polymerase und fördern die Transkription.

CAP ist ein Beispiel für ein allgemeines Regulatorprotein, das bei vielen Genen (bei
über 100 bei E. coli) die Expression kontrollieren kann. Mehrere Gene, die von
demselben Regulator kontrolliert werden, stellen zusammen ein Regulon dar (Abb.
2.5).

Neben dem Einfluss von CAP unterliegt das lac- Operon auch einer negativen
Regulation durch das Laktose-Repressorprotein Lac I (Abb. 2.6). Das Lac-I-Gen,
welches Lac I verschlüsselt, befindet sich unmittelbar strangaufwärts des Laktose-
Operons und wird von einem anderen Promotor transkribiert. Beim Fehlen von
Laktose bindet sich Lac I spezifisch an die Operatorregion des lac-Promotors und
blockiert so die Transkription.

Allolaktose (bzw. ihr nicht metabolisierbares Homolog Isopropylthiogalaktosid,


IPTG) ist als Induktionsmolekül imstande, sich an Lac I zu binden und eine
allosterische Strukturveränderung herbeizuführen. Dadurch wird es aus der DNA
herausgelöst, die Repression also aufgehoben.

Das lac- Operon verdeutlicht, wie fein die Genregulation in Bakterien eingestellt ist –
angeschaltet wird das Operon nur, wenn Laktose als Kohlenstoffquelle für das
Bakterienwachstum verfügbar ist. Solange Glukose, das bevorzugte Nährsubstrat der
Bakterien, verfügbar ist, bleibt es dagegen ausgeschaltet.
Abb. 2.5 Aktivierung, Repression, Regulone.

43
Ihre strikt geregelte Genexpression
ermöglicht Bakterien, sich durch das An-
und Abschalten von Genen besser an ein
verändertes Nahrungsangebot oder
wechselnde Umgebungsbedingungen
anzupassen. Die von ein und demselben
Regulatorprotein kontrollierten Gene
und Operone bilden zusammen ein
Regulon.

44
Abb. 2.6 Kontrolle des lac-Operons.

Das Laktose-Repressorprotein (Lac


I, negative Regulation) und das
katabole Aktivatorprotein (CAP,
positive Regulation) kontrollieren
die Transkription. Wenn nur Laktose
als Kohlenstoffquelle für das
Bakterienwachstum bereit steht, wird
das lac- Operon angeschaltet. Da
Bakterien aber vorzugsweise
Glukose verwenden, wird bei
vorhandener Glukose das lac-
Operon so lange ausgeschaltet, bis
die Glukose verbraucht ist.

Die Expression von


Virulenzgenen wird oft
von
Regulatorproteinen
kontrolliert
Ein Beispiel ist das von
Corynebacterium diphtheriae
produzierte Diphtherietoxin (s.
Kap. 18). Sobald in der Umgebung
der Bakterien freies Eisen vorhanden
ist, findet eine negative Regulation
statt. Wenn das Repressorprotein
DtxR Eisen bindet, ändert sich seine
Struktur (Konformation). Diese
Strukturänderung ermöglicht ihm,
mit hoher Affinität an die
Operatorregion des Toxingens zu
binden und seine Transkription zu
hemmen.

Wächst C. diphtheriae dagegen in einem Milieu mit sehr niedriger Konzentration von
freiem Eisen (wie z.B. in menschlichen Sekreten), ist DtxR nicht imstande, Eisen zu
binden, was letztendlich zur Toxinbildung führt.

45
Viele Virulenzgene unterliegen einer positiven
Regulation durch Zwei-Komponenten-Regulatoren
Zwei-Komponenten-Regulatoren setzen sich meist aus zwei Proteinen zusammen:

■ eines fungiert als Sensor für veränderte Umgebungsbedingungen (z.B.


Temperatur)

■ das andere kann als DNA-bindendes Protein die Transkription aktivieren (in
manchen Fällen auch unterdrücken).

Bei Bordetella pertussis (Keuchhustenerreger; s. Kap. 19) kontrolliert ein (vom bvg-
Lokus enkodierter) Zwei-Komponenten-Regulator die Expression einer Vielzahl von
Virulenzgenen. BvgS, eine Histidinkinase in der Zytoplasmamembran, spürt als
„Sensor-Protein“ Reize aus der Umgebung auf (Temperatur, Mg-Ionen, Nikotinsäure)
und passt die Autophosphorylase-Aktivität daran an. Auf positiv regulierende Signale,
wie einen Temperaturanstieg, reagiert BvgS mit Autophosphorylation und
phosphoryliert (d.h. aktiviert) dann das DNA-bindende Protein BvgA. Dieses Protein
(BvgA) bindet an die Operatorregionen des Pertussistoxin-Operons und anderer
Virulenz-assoziierter Gene und veranlasst deren Transkription.

Von dem umfassenden Regulationssystem, das eine Vielzahl der Virulenzgene von
Staphylococcus aureus beeinflusst, ist der Zwei-Komponenten-Regulator agr
(accessory gene regulator) am besten untersucht. Agr übt insofern eine komplexe
Kontrolle aus, als die erst später im bakteriellen Lebenszyklus (postexponentielle
Phase) sezernierten Exotoxine positiv, Virulenzfaktoren an der Zelloberfläche aber
negativ von ihm reguliert werden.

Die Regulation von Virulenzgenen geschieht durch


eine Kaskade von Aktivatoren
Zum Beispiel:

■ Bei B. pertussis aktiviert BvgA anscheinend die Expression eines anderen


Regulatorproteins, das seinerseits die Expression von F-Hämagglutinin, dem
wichtigsten Adhärenzfaktor von B. pertussis, aktiviert.

■ Die Expression von Virulenzgenen unterliegt bei V. cholerae der Kontrolle


durch ToxR, ein Sensor-Protein der Zytoplasmamembran, das veränderte
Umgebungsbedingungen registriert. ToxR aktiviert sowohl die Transkription des
Choleratoxin-Operons als auch die eines anderen Regulatorproteins (ToxT). ToxT
wiederum aktiviert die Transkription weiterer Virulenzgene, wie die von
Toxin(mit)gesteuerten Pili, die einen wesentlichen Virulenzfaktor für die Besiedlung
des menschlichen Dünndarms darstellen.

2.5 Extrachromosomale Elemente

Außer ihrem Chromosom besitzen viele Bakterien sog.


Plasmide und Bakteriophagen, kleinere, sich

46
(extrachromosomal) unabhängig replizierende
Nukleinsäuremoleküle
Plasmide sind ringförmige dsDNA-Einheiten, die sich unabhängig selbst replizieren. Sie
können ziemlich groß (60–120 kb) bis winzig klein sein (1,5–15 kb). Plasmide
replizieren sich ähnlich wie genomische DNA, mit einigen Unterschieden: Nicht alle
Plasmide replizieren sich in beiden Richtungen – einige gabeln sich nur einmal auf,
andere replizieren sich als sog. „rolling circle“.

Je nach Bakterienzelle schwankt die Anzahl der Plasmide (Kopienzahl) zwischen 1 und
1000 pro Zelle. Die Anzahl der Kopien hängt von der Replikationsrate der Plasmide ab.
Im Allgemeinen scheint es von größeren Plasmiden eher weniger Kopien als von
kleineren zu geben. Manche Plasmide haben ein breites Wirtsspektrum und können
sich in mehreren Bakterienspezies replizieren, während für andere das Wirtsspektrum
sehr beschränkt sein kann.

Plasmide enthalten neben Replikationsgenen in einigen Fällen auch Gene, die ihren
eigenen Transfer zwischen Bakterien vermitteln (tra-Gene). Zusätzlich tragen Plasmide
oft eine Reihe von Genen (bis zu 100 bei großen Plasmiden), die ihre bakterielle
Wirtszelle mit phänotypischen Vorteilen ausstatten.

Der verbreitete Einsatz antimikrobieller Mittel hat einen


starken Selektionsdruck zugunsten resistenter Bakterien
erzeugt
In der Mehrzahl der Fälle lässt sich die Resistenz gegenüber antimikrobiellen Mitteln
auf Resistenzgene auf konjugativen Plasmiden zurückführen (R-Plasmide; s. Kap. 33).
Obwohl es Resistenzplasmide bekanntermaßen schon vor der Ära massiver
Antibiotikabehandlungen gab, ist die starke Verbreitung bei vielen Spezies Ergebnis
einer Auslese.

R-Plasmide können Resistenzgene gegen unterschiedliche antimikrobielle Mittel tragen.


Das gewöhnliche R-Plasmid R1 vermittelt Resistenz gegen Ampicillin,
Chloramphenicol, Fusidinsäure, Kanamycin, Streptomycin und Sulfonamide. Es gibt
noch viele weitere; entsprechend breit ist das Resistenzspektrum. Zwischen R-
Plasmiden finden Rekombinationen statt, so dass einzelne Plasmide oft auch für neue
Mehrfachresistenzen (multi-drug resistance) verantwortlich sein können.
Abb. 2.7 Plasmide als Vektoren – ein Grundschritt der
Genklonierung, um z.B. Fremd-DNA in Escherichia coli
einzubringen.

47
48
Plasmide können Virulenzgene tragen
Auf Plasmiden können Toxine und andere die Virulenz steigernde Proteine enkodiert
sein:

■ Virulente enterotoxinogene Stämme von E.coli rufen Diarrhöen hervor. Durch


das von diesen Stämmen gebildete Enterotoxin (eines von zwei auf Plasmiden
enkodierten Enterotoxinen) verändert sich die Wasser- und Elektrolytsekretion des
Darmepithels (s. Kap. 22).

■ Bei S. aureus sind in Plasmidgenen sowohl ein Enterotoxin als auch mehrere
andere für die Virulenz des Erregers verantwortliche Enzyme (Hämolysin,
Fibrinolysin) enkodiert.

(Näheres zur Produktion und Pathologie von Bakterientoxinen s. Kap. 17).

Plasmide sind wertvolle Hilfsmittel zur Klonierung und


Manipulation von Genen
Molekularbiologen haben sich mittlerweile einen reichen Bestand rekombinanter
Plasmide angelegt, die sich als gentechnische Vektoren eignen (Abb. 2.7). Mit Hilfe
von Plasmiden lassen sich Gene über Speziesgrenzen hinweg übertragen, so dass
bestimmte Genprodukte in ganz unterschiedlichen Empfängern untersucht und in großen
Mengen synthetisiert werden können.

Bakteriophagen sind Viren, die Bakterien als Wirtszellen


verwenden; sie sind in und außerhalb von
Bakterienzellen lebensfähig
Bakteriophagen unterscheiden sich von Plasmiden insofern, als sie Bakterienzellen
durch ihre Reproduktion gewöhnlich zerstören. Bakteriophagen bestehen aus einer
Nukleinsäure (DNA oder RNA, nicht beide!) in einer Proteinhülle (Kapsid). Manche
Bakteriophagen besitzen eine schwanzartige Struktur, mit der sie sich besser an ihre
Wirtszellen anheften und sie infizieren können.

Wie in Abb. 2.8 für DNA-Phagen gezeigt, injiziert das Virus, nachdem es sich an ein
Bakterium geheftet und sich seiner schützenden Proteinhülle entledigt hat, seine DNA in
die Bakterienzelle. Virulente Bakteriophagen stacheln sozusagen eine molekulare
„Meuterei“ an, um das „Kommando“ über die Nukleinsäure und Proteine der
Bakterienzelle zu übernehmen und neue Virus-DNA und -Proteine produzieren zu
können. Wenn die Bakterienzelle schließlich wegen der vielen neu angesammelten
Viruspartikel platzt (Bakteriolyse), werden diese Virionen in die Umgebung freigesetzt
– und der Zyklus beginnt wieder von vorn.

Während eine Infektion durch virulente Bakterienphagen immer unmittelbar zur


Destruktion der Wirtszelle führt, integrieren temperente Bakteriophagen oder
Prophagen ihre DNA in das Bakterienchromosom. Bei diesem als Lysogenie
bezeichneten Prozess wird die Bakterienzelle nicht abgetötet, sondern behält die virale

49
DNA (nun als Prophage bezeichnet) ruhend in ihr Chromosom integriert, wo sie sich
repliziert.
Abb. 2.8 Lebenszyklus von Bakteriophagen.

Infolge der Etablierung der Prophagen können sich jedoch neue Zellmerkmale
ausprägen (sog. Phagokonversion), so dass unter bestimmten Umständen die
bakterielle Virulenz zunimmt (das Diphtherietoxin-Gen befindet sich z.B. auf einem
Prophagen). Die Latenzphase endet, sobald z.B. durch einen Umgebungsreiz der
Bakteriophagen-Repressor inaktiviert wird, der normalerweise den lysogenen Zustand
aufrechterhält. Während dieses Induktionsprozesses wird die virale DNA aus dem
Chromosom herausgelöst und beginnt aktiv zu replizieren. Durch die entstehenden
Virionen kommt es zur Zelllyse und Freisetzung von Viruspartikeln.

Somit führt jede Infektion mit Bakteriophagen – egal, ob mit virulenten oder
temperenten Phagen – letztlich doch zum Tod der Wirtszelle. Angesichts der
zunehmenden Mehrfachresistenz von Mikroorganismen ist erneut das Interesse am
Einsatz von Bakteriophagen als „natürlichen“ antimikrobiellen Mitteln entfacht worden.
Dass sich die „Bakteriophagen-Therapie“ trotzdem bisher nicht in der klinischen Praxis

50
als Routinemaßnahme durchgesetzt hat, hängt mit diversen Schwierigkeiten zusammen
wie unklarer Dosierung, Form der Applikation, Qualitätskontrolle etc.

2.6 Mutation und Gentransfer


Als Organismen mit haploidem Chromosom besitzen Bakterien von jedem Gen jeweils
nur eine Kopie. Im Verlauf der DNA-Replikation erhält jede Tochterzelle eine exakte
Kopie des parentalen Genoms. Dieser Vorgang verläuft sehr akkurat; genomische
Änderungen ergeben sich nur aufgrund einer

■ Mutation oder

■ Rekombination.

In diesen Fällen Fall können bei Tochterzellen phänotypische Abweichungen von den
Elternzellen auftreten. Das ist für die Virulenz und Arzneimittelresistenz von erheblicher
Bedeutung.

2.6.1 Mutation

Änderungen der DNA-Nukleotidsequenz können sich


spontan oder durch Einwirkung von außen ergeben
Während Spontanmutationen meist auf einer fehlerhaften DNA-Replikation beruhen,
können chemische Stoffe (Mutagene) die DNA-Moleküle direkt verändern. Ein
klassisches Beispiel sind sog. Nukleotid-Basenanaloga. Sie imitieren bei der DNA-
Synthese normale Nukleotide und können sich mehrfach mit entsprechenden Basen
des Gegenstrangs paaren. So kann sich z.B. 5-Bromouracil, das eigentlich als
Thyminanalogon gilt, auch wie ein Cytosinanalogon verhalten; daher könnte es bei der
DNA-Replikation zu einem Austausch von T-A gegen G-C kommen. Andere Mittel
bewirken Veränderungen, indem sie ihre Moleküle in die DNA-Helix einlagern
(Interkalation) und eine Verdrehung (Distorsion) herbeiführen oder die
Nukleotidbasen direkt auf chemischem Wege beeinflussen.

Unabhängig von der Ursache lassen sich DNA-Veränderungen im Allgemeinen wie


folgt charakterisieren:

■ Punktmutationen – Änderungen einzelner Nukleotide, durch die sich der


Triplett-Code verändert – was verschiedene Folgen haben kann:

– stumme Mutation, bei der sich die Aminosäuresequenz eines Proteins nicht
ändert, weil verschiedene Codons dieselbe Aminosäure spezifizieren.

– Missense-Mutation, mit Substitution einer Aminosäure im translatierten


Protein, die Stabilität oder funktionelle Eigenschaften des Proteins verändern kann.

– Nonsense-Mutation, wenn die Translation durch Bildung eines Stopcodons


vorzeitig beendet wird bzw. zum Abbruch der Proteinbiosynthese führt.

■ Umfassende DNA-Veränderungen können in einer Deletion, Substitution,


Insertion oder Inversion mehrerer (oder sogar vieler) Basen bestehen. Obwohl das

51
meistens schädlich für den Organismus ist, können einige Mutationen durch die
Produktion unterschiedlicher Proteine einen selektiven Vorteil verschaffen.

Bakterienzellen sind Schäden am Genom nicht


schutzlos ausgeliefert
Für die Identität ist das Bakteriengenom ein elementares intrazelluläres Molekül. Als
solchem steht ihm ein Enzymapparat zur Verfügung, um sich vor spontanen und
induzierten Mutationen zu schützen. Abb. 2.9 zeigt, wie die DNA-Reparatur vor sich
geht.

■ Bei direkter Reparatur wird eine Schädigung rückgängig gemacht oder


einfach beseitigt. Sie bildet quasi die „erste Abwehrlinie“. So können z.B. durch
ultraviolette (UV-)Strahlung entstandene abnorme Pyrimidinbasen-Verbindungen
(Pyrimidindimere) in der DNA gleich von einem lichtabhängigen Enzym wieder
aufgehoben werden (Photoreaktivierung).

■ Bei der Exzisionsreparatur wird enzymatisch „aufgeräumt“: Sobald auf


einem DNA-Strang eine beschädigte Stelle entdeckt wird, wird sie
herausgeschnitten. Um die Lücke wieder aufzufüllen, erfolgt anschließend eine
Polymerisierung. Als Matrize dient der intakte zweite DNA-Strang. Auch bei dieser
Art Reparatur handelt es sich um eine „erste Abwehrlinie“; sie hilft Schäden
auszumerzen, bevor sie sich auf die Replikation (fortschreitende Aufgabelung der
DNA) auswirken – und sie evtl. behindern. Einige dieser „Aufräum-Gene“ gehören
zu einem induzierbaren „SOS-System“, das aktiviert wird, wenn rasch auf DNA-
Schäden reagiert und eine Reparatur veranlasst werden muss.

■ Reparatur in „zweiter Linie“ kommt zum Tragen, wenn eine DNA-


Schädigung bereits einen Punkt erreicht hat, an dem sie sich nicht mehr so einfach
korrigieren lässt. Sind die normalen DNA-Replikationsprozesse blockiert, kann es
sein, dass permissive Systeme eine unvollständige Behebung des Schadens zulassen,
um der Zelle unter Inkaufnahme von Fehlern größere Überlebenschancen zu sichern.

Falls eine Schädigung schon über die Aufgabelung der DNA hinausgegangen ist,
kommen Postreplikations- oder rekombinante Reparaturprozesse zum Zuge; dabei
wird aus mehreren Kopien der parentalen und Tochterstrang-Sequenz durch
„Ausschneiden und Einfügen“ eine fehlerfreie DNA konstruiert.
Abb. 2.9 DNA-Reparaturmechanismen.

52
Am Modell der bakteriellen DNA-Reparatur werden
ähnliche, komplexere Vorgänge im Menschen besser
verständlich
DNA-Reparaturmechanismen scheinen als Schutz vor Umweltschäden zu dienen und
allen lebenden Organismen eigen zu sein. Ihre Untersuchung in bakteriologischen
Studien hat zu einem besseren Verständnis der auch für höhere Lebewesen
zutreffenden allgemeinen Grundlagen geführt, die sich auch auf Fragen der
Krebsentwicklung und Altersprozesse anwenden lassen. Inzwischen kann als gesichert
gelten, dass mehrere Erkrankungen des Menschen mit DNA-Reparaturvorgängen in
Verbindung stehen, darunter z.B.:

53
■ Xeroderma pigmentosum (extreme Überempfindlichkeit gegen Sonnenlicht)
mit erhöhtem Risiko für Hauttumoren wie Basalzellkarzinom,
Plattenepithelkarzinom oder Melanom;

■ Cockayne-Syndrom (progressive neurologische Degeneration,


Wachstumsretardierung und nicht-tumorassoziierte Überempfindlichkeit gegen
Sonnenlicht);

■ Trichothiodystrophie (geistige und Wachstumsretardierung, brüchige Haare


aufgrund von Schwefelmangel, nicht-tumorassoziierte Überempfindlichkeit gegen
Sonnenlicht).

2.6.2 Gentransfer und Rekombination


Neue Genotypen entstehen bei der Übertragung von genetischem Material auf ein
anderes Bakterium. Unter diesen Umständen wird sich die DNA des „Spender-
Bakteriums“

■ in das Genom des Empfängers einfügen (rekombinieren)

■ oder, sofern auf einem Plasmid befindlich, sich ohne Rekombination im


Empfänger replizieren.

Rekombinationen können größere Veränderungen im Genmaterial mit sich bringen, und


da meist Funktionsgene betroffen sind, macht sich das phänotypisch bemerkbar. Die
Übertragung zwischen „Spender“ und „Empfänger“ erfolgt als:

■ Transformation

■ Transduktion

■ Konjugation

■ Transposition (Abb. 2.10)

Transformation

Einige Bakterien können durch DNA aus ihrer


Umgebung transformiert werden
Bakterien wie S. pneumoniae, Bacillus subtilis, Haemophilus influenzae und
Neisseria gonorrhoeae verfügen über eine natürliche Fähigkeit oder Kompetenz,
DNA-Fragmente verwandter Spezies durch ihre Zellwand hindurch aufnehmen zu
können. Solche DNA-Bruchstücke befinden sich z.B. in ihrer Umgebung, weil bei
der Lyse anderer Organismen deren DNA freigesetzt oder kleinere Fragmente
abgespalten wurden.

In der kompetenten Zelle angelangt, muss diese chromosomale DNA erst mit einem
homologen Segment des Empfänger-Chromosoms rekombiniert werden, um
erhalten zu bleiben und vererbt werden zu können. Bei einer völlig fremden DNA
würde die Rekombination wegen fehlender Homologie verhindert und die DNA

54
abgebaut werden. Plasmid-DNA kann allerdings nach der Transformation auch ohne
vorherige Rekombination exprimiert werden. In molekulargenetischen Analysen von
Bakterien erwies sich Transformation als sehr nützliches Werkzeug (Abb. 2.7).

Den meisten Bakterien fehlt die natürliche Kompetenz, durch DNA transformiert zu
werden. Diese Kompetenz kann künstlich induziert werden, indem Bakterienzellen
z.B. mit zweiwertigen Kationen vorbehandelt und dann einem Hitze- (42 °C) oder
Elektroschock (sog. Elektroporation) ausgesetzt werden.

55
Abb. 2.10 Verschiedene Möglichkeiten von
Genübertragung zwischen Bakterien.

Außer beim Plasmid-Transfer wird die


Spender-DNA in einem homologen (an Orten
gleicher oder ähnlicher DNA-Sequenzen)
oder Ziel-definierten (wie im Fall von
Transposons) Rekombinationsvorgang in das
Empfänger-Genom integriert.

Vor ihrer Aufnahme in kompetente Zellen ist


die extrazelluläre DNA ungeschützt und sehr
empfänglich für zerstörerische
Umgebungsfaktoren (z.B. DNasen, DNA-
abbauende Enzyme). Hinsichtlich der
klinischen Relevanz (Übertragung auf
Patienten) ist diese Art des Gentransfers
daher von untergeordneter Bedeutung.

56
Transduktion

Bei der Transduktion wird genetisches Material durch


Bakteriophagen-Infektion übertragen
Im Verlauf der Replikation virulenter Bakteriophagen (oder temperenter Phagen,
falls sie eine Lyse induzieren) passiert es manchmal, dass genomische bzw. Plasmid-
DNA der Bakterienzelle irrtümlich in den Viruskopf gepackt wird. So entsteht ein
„Transducer-Partikel“, das sich an eine Empfängerzelle heften und dieser die DNA
übertragen kann.

Chromosomale DNA muss dem Empfängergenom über eine homologe


Rekombination eingefügt werden, um stabil vererbt zur Expression zu kommen.
Plasmid-DNA kann, wie bei der Transformation, auch bei der Transduktion ohne
vorherige Rekombination in der Empfängerzelle exprimiert werden. In beiden Fällen
gilt der Gentransfer als generalisierte Transduktion (Abb. 2.10).

Die Transduktion durch temperente Bakteriophagen findet in anderer Form statt.


Das hängt damit zusammen, dass sie sich an besonderen Adhäsionsstellen in das
Bakteriengenom integrieren. Vor ihrem Eintritt in den lytischen Zyklus schneiden
sich diese Prophagen gelegentlich falsch von der Adhäsionsstelle aus. Dabei
entstehen Phagen, die ein DNA-Stück des Bakteriumgenoms aus der Nähe der
Adhäsionsstelle enthalten.

Infizieren sie Empfängerzellen, werden mit hoher Frequenz Rekombinanten


gebildet, bei denen sich die Spender-DNA in Nähe der Adhäsionsstelle mit dem
Empfänger-Genom verbindet. Da diese „spezialisierte Transduktion“ auf einer
spezifischen Chromosom-Prophagen-Interaktion beruht, kann nur genomische, aber
keine Plasmid-DNA dabei übertragen werden.

Im Unterschied zur Transformation verläuft die Transduktion von DNA stets


geschützt. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Transfers, der
klinisch relevant werden könnte. Allerdings sind Bakteriophagen ausgesprochen
wirtsbezogene „Parasiten“ und daher nicht imstande, DNA zwischen verschiedenen
Bakterienspezies zu übertragen.

Konjugation

Konjugation ist eine Art bakterielle „Paarung“, um


DNA zu übertragen
Die Konjugation hängt von tra-Genen in paarungsbereiten (konjugativen) Plasmiden
ab. Sie enthalten unter anderem die Informationen für Bakterienzellen, Sexpili zu
bilden. Ein Sexpilus ist ein fadenförmiges Proteinröhrchen, das Zell-Zell-Kontakte
ermöglicht und eine geschützte Übertragung der Plasmid-DNA-Kopie von der
Spender- zur Empfängerzelle sicherstellt (Abb. 2.10). Da tra-Gene einigen Platz
beanspruchen, sind konjugative Plasmide im Allgemeinen größer als andere.

57
Gelegentlich werden konjugative Plasmide wie das Fertilitätsplasmid (F-Plasmid
oder F-Faktor) von E. coli in das Bakteriengenom integriert und werden dann als
Episomen bezeichnet. Beim konjugativen Transfer eines integrierten F-Episom
können manchmal Abschnitte der angrenzenden genomischen DNA mit in den
Duplikations-Transfer-Prozess einbezogen sein und ebenfalls vom Spender zum
Empfänger übertragen werden.

Solche Bakterienstämme vermitteln – im Unterschied zu denen mit nicht


integriertem F-Plasmid – eine hochfrequente Übertragung und Rekombination
genomischer DNA (daher als Hfr-Stämme bezeichnet). Allerdings wird das
integrierte Plasmid von Spendern bei der Hfr-Konjugation nicht vollständig
übertragen. Deshalb können die Empfänger nicht hochfrequent werden und auch
nicht als Spender bei weiteren Konjugationen dienen. Durch gezielte Unterbrechung
der Paarung von Hfr-Bakterienstämmen fand man heraus, dass das bakterielle
Genom ringförmig ist, und konnte unterschiedliche Genpositionen/-loci kartieren.

Wenn in Bakterien neben einem konjugativen auch ein nicht-konjugatives Plasmid


vorhanden ist, werden manchmal beide zusammen auf Empfängerzellen übertragen
(sog. Mobilisierung). Der konjugative Transfer von Resistenzgenen auf
Plasmiden ist einer der Hauptgründe für die Ausbreitung der Antibiotikaresistenz
innerhalb einer bzw. bei verschiedenen Bakterienspezies, weil für die Expression im
Empfänger keine Rekombination erforderlich ist. Klinisch dürfte diese Art der
raschen und sehr effizienten Weitergabe genetischer Informationen in
Bakterienpopulationen die größte Relevanz von allen Übertragungsmechanismen
haben.

Transposition

Transponierbare Elemente (Transposons) sind DNA-


Sequenzen, die von ihrem Platz in einem DNA-
Molekül zu einem anderen in einer Bakterienzelle
„hinüberspringen“ können
Während genetische Information beim Plasmid-Transfer zwischen Bakterien
weitergegeben wird, geschieht dies bei einer Transposition zwischen DNA-
Molekülen. Am besten untersucht sind Transposons von E.coli und anderen Gram-
negativen Bakterien, doch auch bei Gram-positiven Bakterien, Hefen, Pflanzen und
anderen Organismen finden sich Beispiele.

Insertionssequenzen sind die kleinsten und


einfachsten „springenden“ Gene
Insertionssequenzen (IS) sind weniger als 2 kb lang und enkodieren lediglich
Enzymfunktionen, z.B. von Transposase (für die Transposition von einer DNA-
Stelle zur anderen erforderlich). Wichtig für die Lokalisation bzw. Insertion in die
Ziel-DNA sind kurze Wiederholungen (Repeats) der Sequenz in umgekehrter
Reihenfolge (bei IS1 z.B. 23 Nukleotide lang), die sich oft an den Enden der IS
befinden (Abb. 2.10). Daran schließt sich zu beiden Seiten der neu eingefügten IS

58
noch eine kurze, direkte Sequenzwiederholung (d.h. in derselben Reihenfolge und
Richtung) an, da während der Transposition auch ein Teilabschnitt der Zielsequenz
dupliziert wird.

Noch weitgehend ungeklärt ist die Auswahl des Ziels. Anscheinend werden
bevorzugt A-T-reiche DNA-Regionen angesteuert. Manche IS sind hochselektiv,
andere erscheinen eher wahllos. Da Transpositionen nicht auf den für eine homologe
Rekombination (zwischen eng verwandten DNA-Molekülen) typischen
enzymatischen Prozessen beruhen, spricht man von Ziel-gerichteter Rekombination.

Typischerweise führt das nur zu einer kleinen Anzahl von IS in Bakteriengenomen


(bei E. coli z.B. 6–10 Kopien von IS1 sowie je 5 Kopien von IS2 und IS3). Viele IS-
Kopien üben eine wichtige Funktion aus, indem sie sich als „mobile Homologie-
Regionen“ überall dort im Genom anbieten, wo es zur homologen Rekombination
zwischen DNA-Regionen oder -Molekülen (d.h. Chromosom und Plasmid) mit
derselben IS kommen kann. Deshalb können nach Integration des F-Plasmids in das
Chromosom z.B. Hfr-Bakterienstämme entstehen. Wenn sich zwei IS dicht
nebeneinander eingefügt haben, kann die ganze Region transponierbar werden.
Damit verbessern sich die Aussichten für einen Austausch von Genmaterial in
Bakterienpopulationen.

Transposons sind größere und komplexere


Elemente, die verschiedene Gene enkodieren
Transposons sind größer als 2 kb und enthalten neben den Genen, die zur
Transposition benötigt werden, oft noch andere, wie z.B. Antibiotikaresistenzgene
(Abb. 2.10). Aber auch Virulenzgene (in denen z.B. das hitzestabile Enterotoxin
von E. coli verschlüsselt ist) wurden auf Transposons gefunden. Transposons lassen
sich in zwei Klassen unterteilen:

■ zusammengesetzte Transposons mit zwei Kopien derselben Insertionssequenz,


die ein Resistenzgen flankieren (z.B. Kanamycin-Resistenz in Tn5)

■ einfache Transposons wie Tn3 (kodiert Betalaktam-Resistenz).

Insertionssequenzen an den Enden zusammengesetzter Transposons können die


gleiche oder gegenläufige Orientierung (sog. direkte oder indirekte Repeats) haben.
Obwohl sie struktureller Bestandteil zusammengesetzter Transposons sind, bleiben
die terminalen IS bei der Übertragung völlig intakt und eigenständig übertragbar.

Einfache Transposons enthalten nur Gene, die für die Transposition und andere
Funktionen (z.B. Antibiotikaresistenz) wichtig sind. Mit kurzen, gegenläufigen
Sequenzwiederholungen (indirekte Repeats) an beiden Enden sind sie nur als Einheit
beweglich bzw. übertragbar.

Mobile genetische Elemente begünstigen eine Reihe


von DNA-Rearrangements mit klinisch wichtigen
Auswirkungen

59
Die Leichtigkeit, mit der sich Transposons in DNA-Sequenzen hinein- oder
herausbewegen, lässt folgende Übertragungsmöglichkeiten zu:

■ aus der genomischen DNA des Wirts auf ein Plasmid

■ von Plasmid zu Plasmid

■ von einem Plasmid zur genomischen DNA

Nach der Transposition auf ein konjugatives Plasmid mit breitem Wirtsspektrum
kann sich sehr rasch Resistenz unter Bakterien ausbreiten. Jede Transposition wirkt
sich schädlich aus, wenn sie dazu führt, dass sich IS oder Transposons in ein
Funktionsgen inserieren und es dadurch ausschalten. Mit dieser „transpositionellen
Mutagenese“ ließen sich – ohne die schädlichen Nebenwirkungen der allgemeiner
angreifenden chemischen Mutagene – in molekularbiologischen Laborversuchen
gezielt bestimmte Mutationen erzeugen.

Eine besondere Gruppe der mobilen genetischen Elemente bilden sog.


Pathogenitätsinseln mit koordiniert kontrollierten Virulenzgenen. Sie enthalten
oft auch IS mit direkter Sequenzwiederholung an beiden Enden. Erstmals bei
uropathogenen E. coli entdeckt (wo sie Hämolysine und Pili kodieren), hat sich
herausgestellt, dass Pathogenitätsinseln auch bei anderen (allerdings nicht bei
apathogenen) Bakterienspezies vorkommen, z.B. bei Helicobacter pylori, Vibrio
cholerae, Salmonellen, S. aureus und Yersinien.

Diese Regionen können ziemlich groß sein (bis zu 100 Kilobasen, kb), neigen aber
zu Instabilität (spontaner Verlust möglich). Aus den DNA-Sequenz-Unterschieden
(G- und C-Anteil) zwischen solchen mobilen Elementen und ihren Wirtsgenomen
werden Schlüsse gezogen bezüglich Herkunft und Transfer von nichtverwandten
Bakterienspezies.

2.7 Überleben unter widrigen Umständen

Einige Bakterien bilden Endosporen aus


Bei bestimmten Bakterien können sich im Zellinneren hoch resistente Sporen
(Endosporen) bilden, dank deren sie auch unter ungünstigen Verhältnissen überleben.
Endosporen entwickeln sich ausschließlich in Phasen, in denen sich die Bakterien nicht
vermehren (z.B. unter veränderten Umgebungsbedingungen oder erschöpftem
Nährstoffangebot), aber nie bei aktivem Wachstum.

In der Spore befindet sich eine neue Bakterienzelle, umgeben von einer komplexen
Hülle mit mehreren Schichten. Endosporen und normale Bakterienzellen unterscheiden
sich in der Zusammensetzung, und man nimmt an, dass Endosporen vor allem aufgrund
ihrer Dipicolinsäure und ihres hohen Kalziumgehalts äußerst resistent gegen Hitze
und Chemikalien sind.

Ihre Widerstandsfähigkeit lässt Sporen Jahre überleben und sie können sich rasch
erholen, sobald sich die Lebensbedingungen verbessert haben. Wenn das passiert,
entwickelt sich aus der Spore eine neue Bakterie mit vegetativer Lebensform. Besonders
in Böden gibt es reichlich Endosporen; und Gefahr geht dort vor allem von Clostridium-

60
und Bacillus-Sporen aus (Abb. 2.11). Werden Wunden infiziert, entstehen aus den
Sporen wegen der günstigen Bedingungen Bakterien, durch die es zu Tetanus und
Gasbrand kommen kann.
Abb. 2.11 Clostridium tetani mit endständigen
(terminalen) Sporen.

61
2.8 Das Genom medizinisch wichtiger Bakterien
Mit den Fortschritten der Gentechnologie (DNA-Sequenzierung) lässt sich bei immer
mehr pathogenen Bakterien das Genom vollständig entschlüsseln (s. Kasten). Die ständig
wachsende Datenbank stellt eine wertvolle Ressource und ein enormes Potenzial für das
Verständnis und die Behandlung von Infektionskrankheiten dar. Obwohl die praktische
Nutzung genomischer Informationen noch in den Kinderschuhen steckt, hat sich schon
mehrfach gezeigt, wie hilfreich es ist, die DNA-Sequenz klinisch wichtiger
Mikroorganismen zu kennen.
Zur weiteren Information
Repräsentative Auswahl pathogener Bakterien, deren Genom vollständig oder
weitgehend entschlüsselt ist

Acinetobacter baumannii, Bacillus anthracis, Bacteroides fragilis, Bordetella


bronchiseptica, B. parapertussis, B. pertussis, Borrelia burgdorferi, Brucella abortus,
Burkholderia cepacia, B. mallei, B. pseudomallei, Campylobacter jejuni,
Chlamydophila pneumoniae, C. psittaci, Chlamydia trachomatis, Clostridium
botulinum, C. difficile, Corynebacterium diphtheriae, Coxiella burnetii, Enterobacter
cloacae, Enterococcus faecalis, E. faecium, Escherichia coli, Francisella tularensis,
Haemophilus influenzae, Helicobacter pylori, Klebsiella pneumoniae, Legionella
pneumophila, Listeria monocytogenes, Moraxella catarrhalis, Mycobacterium avium,
M. bovis, M. leprae, M. tuberculosis, M. genitalium, M. pneumoniae, Neisseria
gonorrhoeae, N. meningitidis, Pasteurella multocida, Proteus mirabilis, Pseudomonas
aeruginosa, Rickettsia prowazekii, Salmonella dublin, S. enteritidis, S. paratyphi, S.
typhi, S. typhimurium, Staphylococcus aureus, S. epidermidis, Streptococcus agalactiae,
S. pneumoniae, S. pyogenes, Treponema pallidum, Ureaplasma urealyticum, Vibrio
cholerae, Yersinia enterocolitica, Y. pestis

Die Anwendung von Kenntnissen zum Genom


erleichtert die Identifizierung
■ Identifizierung und Klassifizierung. Typisch für die ribosomale RNA
(rRNA) ist ihre Verschlüsselung in Genen (16S, 23S und 5S) auf einem gemeinsamen
Operon, so dass ihre Transkription koordiniert abläuft (Abb. 2.12). Dieses rDNA-
Operon ist mindestens einmal vorhanden, oft aber – speziesabhängig – auch in
mehreren Kopien rund um das Chromosom verteilt (Borrelia burgdorferi z.B. 1
Kopie, Staphylococcus aureus 5–6 Kopien).

Während sich auf dem rDNA-Operon viele konservierte (bei unterschiedlichen


Bakterienspezies identische) Sequenzen befinden, hat sich herausgestellt, dass die
16S- und 23S-enkodierenden Regionen zum Teil speziesspezifisch ist. Dass die
dazwischenliegende ITS- („internally transcribed spacer“)-Region eine gewisse
Variabilität aufweist, könnte für die Differenzierung eng verwandter Bakterienisolate
nützlich sein. Hierin steckt eindeutig Potenzial für zukünftige Anwendungen zur
rascheren Identifizierung, Klassifizierung und Epidemiologie klinisch wichtiger
Mikroorganismen (s. Kap. 31 und 36).

■ Resistenz gegen antimikrobielle Mittel. Verschiedene Gene, die Resistenz


gegen antimikrobielle Mittel vermitteln, sind bekannt (s. Kap. 33). Durch

62
Sequenzierung des gesamten Genoms ergeben sich genauere Informationen; man
könnte diese Gene gezielt identifizieren und sich einen Überblick verschaffen, ob die
Resistenz durch die Interaktion mehrerer beteiligter Genloci zustande kommt. Die
Methicillin-Resistenz von S. aureus wird z.B. durch eine ganze Reihe von Genen
(mecA, femA, femB, murE usw.) an unterschiedlichen Stellen des Chromosoms
beeinflusst.

■ Molekulare Epidemiologie. Während ein breites Spektrum unterschiedlicher


Phäno- und Genotypisierungsmethoden angewandt wurde, um klinische Isolate
zueinander in Beziehung zu setzen (s. Kap. 36), bewegt sich die epidemiologische
Analyse gegenwärtig eher in Richtung eines Sequenzvergleichs (sequenzbasierter
Ansatz). Anders als frühere Untersuchungsergebnisse sind die Ergebnisse der
Sequenzanalyse in hohem Maße übertrag- und damit vergleichbar (z.B. per Internet),
eindeutig mit nur 4 Buchstaben komplett zu beschreiben (A für Adenin, T für Thymin,
G für Guanin und C für Cytosin) und einfach in Datenbanken zu speichern.

In einem bestimmten Verfahren, dem multi-locus sequence typing, MLST, werden


Sequenzen der internen Regionen von sechs oder sieben essenziellen (housekeeping)
Genen verglichen, um zu klären, ob die Isolate epidemiologisch verwandt sind. Die
Frage, welche chromosomale Region letztlich die epidemiologisch wichtigste
Information über pathogene Bakterien liefert, dürfte sich eindeutiger beantworten
lassen, wenn weitere Genome entschlüsselt wurden.
Abb. 2.12 Ribosomale RNA (rRNA) enkodierendes
Operon – für Bakterien typische Anordnung.

Größe der 16S-, 23S- und 5S-rRNA-Gene sowie der ITS-Region (internally
transcribed spacer) in Nukleotid-Basenpaaren (bp) angegeben. Gezeigt werden die
Regionen (Sequenzabschnitte), die für die Identifizierung oder Epidemiologie einer
Bakterienspezies von Nutzen sein könnten.

Methoden zur Entdeckung bzw. Nutzung genomischer


Informationen
Die Polymerase-Kettenreaktion (PCR, polymerase chain reaction) und Nukleinsäure-
(DNA-)Sonden haben sicher eine Tür zur Beantwortung von Fragen der klinischen
Mikrobiologie mithilfe von Sequenzanalysen geöffnet (s. Kap. 36). Mit der riesigen
Anzahl neu entschlüsselter Genomsequenzen ist aber auch das Interesse an innovativen
Techniken gestiegen, um die größtmögliche Menge an Informationen aus den größer
werdenden Datenbanken zu ziehen.

63
DNA-Mikroarrays ermöglichen eine
„Parallelverarbeitung“ von Genominformationen
Traditionell erforschten Molekularbiologen jeweils nur ein Gen pro Versuch. Obwohl
dies wertvolle Informationen erbringt, ist es eine sehr zeitaufwändige Form der
Untersuchung. Sie lässt auch keinen schnellen Zugriff auf Ergebnisse der (Genom-
)Sequenzanalysen und darin enthaltene Informationen (zu Chromosomenstruktur oder
Zusammenspiel mehrerer Gene) zu.

Mikroarrays stellen einen neuen Lösungsansatz dar, um gleichzeitig mehrere


Informationen aus einem sequenzbasierten Genom-Datenbestand abzufragen
(Parallelverarbeitung). DNA-Mikroarrays beruhen auf dem Prinzip der Hybridisierung
von Nukleinsäurebasen (A paart sich mit T, G mit C). Auch wenn es verschiedene
Ausführungen gibt, ist die Grundform bei allen Verfahren das Muster, in dem
Stichproben (z.B. Gensequenzen) einer bekannten Substanz (Matrix) auf einem festen
Untergrund (Nylon, Glas o.Ä.) angeordnet werden.

Automatisierte Spezialgeräte erzeugen kleinste DNA-Markierungen (Spots) von


weniger als 200 μm im Durchmesser, so dass auf einem Array (oder DNA-Chip, wie
man ihn auch bezeichnet) über tausend Spots Platz haben. Hybridisiert man simultan
verschiedene fluoreszenzmarkierte Sonden mit bekannter Sequenz damit, lässt sich in
einer anschließenden Messung feststellen, ob sich komplementäre Bindungen ergeben
haben.

DNA-Mikroarrays finden derzeit auf zwei Gebieten


Anwendung: zur Erkennung von Mutationen und zur
Untersuchung der Genexpression
In mehrfacher Hinsicht sind bestimmte Punktmutationen pathogener Bakterien
klinisch von Bedeutung. Da meist nur eine Nukleotidbase betroffen ist, spricht man bei
derartigen Veränderungen von Single-Nukleotid-Polymorphismen (SNP). Die
Resistenz gegen Chinolon-Antibiotika beruht z.B. auf dem Austausch einer einzelnen
Base im bakteriellen gyrA-Gen (s. Kap. 33). In der Vergangenheit konnten solche
Mutationen durch PCR-Amplifikation der gewünschten gyrA-Region mit anschließender
DNA-Sequenzierung und -Analyse entdeckt werden.

Wie Abb. 2.13a verdeutlicht, lassen sich bei der DNA-Mikroarray-Methode gyrA-
Amplicons verschiedener Bakterienisolate auf ein und demselben Chip unterbringen.
Dann werden zwei fluoreszenzmarkierte gyrA-Sonden (rot für den Wildtyp, grün für die
Mutante) unter so stringenten Bedingungen auf den DNA-Chip angewandt, dass es nur
bei 100%iger Homologie zur Hybridisierung kommt. So lässt sich schnell und
zuverlässig an einer größeren Anzahl von Isolaten gleichzeitig herausfinden, ob eine
Mutation vorliegt.
Abb. 2.13 DNA-Mikroarrays.

64
(a) Entdeckung von Mutationen und (b) Analyse der Genexpression.

Für das Verständnis


zahlreicher bakterieller
Eigenschaften und Prozesse
und v.a. der Virulenz sind
Studien zur Genexpression
extrem wichtig. Dazu wird
z.B. die Genexpression
(Transkription) unter
verschiedenen
Umgebungsbedingungen
verglichen (Abb. 2.13b). Für
solche Experimente können
aufgrund von Ergebnissen der
Genomforschung die
Sequenzen aller bereits
bekannten chromosomalen
Gene des betreffenden
Mikroorganismus auf einer
bestimmten Stelle des Chips
untergebracht werden.

Resultat der Genexpression ist


die Messenger-RNA (mRNA),
die von einem Bakterium
isoliert wird, das unter
verschiedenen Bedingungen
(in Umgebung A oder B) gewachsen ist. Unter Benutzung von reverser Transkriptase
wird die mRNA dann in einem enzymatischen Prozess ähnlich dem, wie ihn Retroviren
natürlicherweise ausführen (s. Kap. 3), in eine komplementäre DNA (cDNA) kopiert.

Nach der Markierung mit fluoreszierenden Farbstoffen (Rot oder Grün) lässt man die
cDNA von Typ A und B mit komplementären Sequenzen auf dem Chip hybridisieren.
Rot fluoreszierende Flecken weisen auf Gene mit Expression in Umgebung A hin, grün
fluoreszierende entsprechen in Umgebung B aktiven Genen, und gelbe (Mischung aus
Rot und Grün) Flecken bedeuten, dass die Genexpression unter beiden
Umgebungsbedingungen stattfindet.

Durch innovative Technologien wie DNA-Mikroarrays und zukünftig entwickelte


Verfahren wird die Genomforschung in den kommenden Jahren zweifellos eine wichtige
Rolle für unser Verständnis der Infektiologie und die Behandlung von
Infektionskrankheiten spielen.

2.9 Hauptgruppen
Eine ausführliche Darstellung der wichtigsten Bakteriengruppen findet sich im Anhang
(Pathogene im Überblick).
Zusammenfassung

65
■ Bakterien sind Prokaryonten. Ihre DNA befindet sich nicht in einem Kern und
ihr Zytoplasma ist relativ arm an Organellen.

■ Die Zellwand spielt eine Schlüsselrolle für den Stoffwechsel, die Virulenz und
Immunogenität von Bakterien. Anhand ihrer unterschiedlichen Anfärbbarkeit werden
Bakterien in eine Gram-positive und Gram-negative Hauptgruppe unterteilt. Mit
Geißeln ausgestattete Bakterien sind beweglich.

■ Bakterien sind Aerobier oder Anaerobier und nutzen eine Vielzahl von
Substraten für ihren Stoffwechsel.

■ Die Bakterien-Zellwand und die Reproduktion der Bakterien sind Angriffsziele


antimikrobieller Mittel.

■ An der Transkription der Bakterien-DNA können einzelne oder mehrere Gene


beteiligt sein. Die Gene zusammen mit denen sie flankierenden Promotor- und
Terminalsequenzen bilden ein Operon.

■ Durch regulierte Genexpression können Bakterien ihre Umgebung besser


ausnutzen.

■ Plasmide und Bakteriophagen sind als extrachromosomale Strukturen


imstande, sich unabhängig zu replizieren. Plasmid-Gene können die Resistenz (gegen
antimikrobielle Mittel bzw. Antibiotika) oder die Virulenz von Bakterien beeinflussen.

■ Zwischen Bakterien kann auf unterschiedlichen Wegen Genmaterial übertragen


werden; das kann zur raschen Ausbreitung einer Resistenz gegen antimikrobielle
Substanzen führen.

■ Erforschung und Behandlung/Prävention bakterieller Infektionen haben sich


mit den Fortschritten der Entschlüsselung bakterieller Genome von Grund auf
verändert.

FRAGEN
1 Typisch für die Zellwand Gram-negativer Bakterien ist
a) Kapsel
b) Lipopolysaccharid
c) Peptidoglykan
d) Plasmamembran
e) Murein?
2 Zu den Gram-positiven Bakterien zählen
a) Salmonellen
b) Campylobacter
c) Staphylokokken
d) Neisseria
e) Shigellen?
3 Wie schnell kann sich Escherichia coli teilen?
a) 24-stündlich
b) 12-stündlich
c) 6-stündlich

66
d) stündlich
e) halbstündlich
4 Antimikrobielle Mittel töten Bakterien ab, indem sie
a) die DNA-Glättung (Unwinding) vor der Teilung hemmen
b) die RNA-Polymerase hemmen
c) die Zellwandsynthese hemmen
d) die Proteinsynthese hemmen
e) alle vier?
5 Am Transfer genetischer Informationen zwischen Bakterien nicht beteiligt ist
a) Transduktion
b) Transformation
c) Konjugation
d) Mutation
e) Transposition?
6 Gelegentlich auch als „springende Gene“ bezeichnet werden
a) Plasmide
b) Transposons
c) Bakteriophagen
d) Operons
e) Zweikomponenten-Regulatoren?

67
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

Collier, L., Balows, A., Sussman, M. (eds.): Topley and Wilson’s Microbiology and
Microbial Infections. 9th ed. Edward Arnold, London 1998.

Lewin, B.: Genes, VII. Oxford University Press, Oxford 2000.

68
3 Viren
3.1 Struktur 35

3.2 Infektion der Wirtszellen 36

3.3 Virusreplikation 37

3.4 Auswirkungen einer Virusinfektion 40

3.5 Hauptgruppen der Viren 42


Zur Orientierung
Strukturell und biologisch, aber insbesondere durch ihre Reproduktion unterscheiden
sich Viren von allen anderen Infektionserregern. Trotz der üblichen genetischen
Information in Form von DNA oder RNA fehlt Viren der notwendige Syntheseapparat,
um diese Information zu neuem Virusmaterial verarbeiten zu können. Ein Virus allein ist
metabolisch inaktiv – und kann sich nur replizieren, wenn es eine Wirtszelle infiziert und
deren Fähigkeit zur Transkription und/oder Translation von genetischem Material in
parasitärer Weise für sich nutzt. Viren können jede lebende Zelle (Lebensform) infizieren.

Bei Menschen verursachen sie einige der häufigsten und schwersten Erkrankungen.
Manche Viren können Krebs auslösen, indem sie ihr genetisches Material in das
menschliche Genom einfügen. Als generell schwierige Angriffsziele für
Chemotherapeutika lassen sich viele Viren jedoch durch Impfungen wirksam
kontrollieren.

69
3.1 Struktur

Viren besitzen einige gemeinsame Strukturmerkmale


Viren können winzig klein (30 nm wie das Poliovirus) oder ziemlich groß sein (mit 400
nm ist das Vacciniavirus etwa so groß wie ein kleines Bakterium). Doch bei allen
strukturellen Unterschieden der Virusgruppen gibt es auch einige Gemeinsamkeiten.
Abb. 3.1 Virales Nukleokapsid: Symmetrie und
Aufbau.

Abb. 3.2 Struktur eines Virus mit Hülle (Envelope).

■ Ihr genetisches Material in Form einer einzel- (ss) oder doppelsträngigen (ds),
linearen oder ringförmigen RNA oder DNA befindet sich in einer Kapsel

70
(Viruskapsid), die sich aus unterschiedlich vielen Proteinmolekülen (Kapsomere)
zusammensetzt.

■ Nukleinsäure und Kapsid bilden zusammen das Nukleokapsid, dessen


Form/Symmetrie auf der Anordnung der Kapsomere beruht und sehr unterschiedlich
sein kann (Abb. 3.1). Nukleokapsid-Grundformen sind kubisch (Ikosaeder), helikal
oder komplex.

■ In vielen Fällen besteht ein Viruspartikel oder Virion lediglich aus einem
Nukleokapsid. In anderen Fällen ist es noch von einer Außenhülle („Envelope“)
umgeben (Abb. 3.2). Dabei handelt es sich im Allgemeinen um eine von der
Wirtszelle stammende Doppelschicht aus Lipiden, in die Virusproteine und
Glykoproteine eingelagert sind.

Erste Kontaktfläche zwischen Viruspartikel und


Wirtszelle ist die äußere Oberfläche
Struktur und Eigenschaften der äußeren Virusschicht sind entscheidend für das
Verständnis, was bei Infektionen geschieht. „Nackte“ (hüllenlose) Viren sind im
Allgemeinen resistent und können recht gut in der Außenwelt überleben. Da Viren auch
resistent gegen Galle sein können, etablieren sich manche Infektionen ausgehend vom
Verdauungstrakt. Behüllte Viren sind empfindlicher gegenüber Einwirkungen von
außen (z.B. Trockenheit, Magensäure, Galle). Diese unterschiedliche Anfälligkeit
beeinflusst auch die verschiedenen Übertragungswege von Viren.

3.2 Infektion der Wirtszellen


Die einzelnen Stadien im Verlauf der Infektion von Wirtszellen sind in Abb. 3.3
dargestellt (s. auch Abb. 2.3).

Viruspartikel gelangen auf unterschiedlichen Wegen in


den Körper ihres Wirts
Übliche Formen der Virusübertragung (Abb. 3.4; s. Kap. 13):

■ „Tröpfcheninfektion“ (über eingeatmetete Tröpfchen; z.B. Rhinoviren)

■ über Nahrung oder Wasser (z.B. Hepatitis A-Virus)

■ Kontakt mit infizierten serösen Flüssigkeiten (z.B. HIV)

■ über Vektoren (Bisse von Überträgern wie Arthropoden; z.B. Gelbfieber)

Viren sind wirtsspezifisch, die initiale Anheftung an die


Wirtszelle stellt die Grundlage dafür dar
Wie alle Erreger infizieren Viren meist nur einen Wirt oder ein kleines Spektrum von
Spezies. Ausgangspunkt dieser Spezifität ist die Fähigkeit von Viruspartikeln, sich an
Wirtszellen anzuheften.

71
Für die Adhärenz bzw. Adsorption an eine Wirtszelle sorgen zunächst einmal
allgemeine intermolekulare Kräfte. Hinzu kommen wechselseitige Beziehungen
zwischen Nukleokapsid (bei hüllenlosen Viren) oder Virushülle (bei Viren mit
Envelope) und Membranmolekülen der Wirtszelle. In vielen Fällen wirkt ein bestimmtes
Molekül der Wirtszelle als Rezeptor, mit dem eine spezifische Interaktion stattfindet. So
verbindet sich z.B. das Hämagglutinin des Influenzavirus mit einem Glykoprotein
(Sialinsäure) auf Schleimhautzellen und roten Blutkörperchen (weitere Beispiele Tab.
3.1). Nachdem es den Rezeptor besetzt hat, dringt das Virus in die Wirtszelle ein.
Abb. 3.3 Infektion der Wirtszelle und Virusreplikation,
Verlaufsstadien.

Aus jeder Zelle können mehrere tausend Viruspartikel hervorgehen.

72
Abb. 3.4 Eintrittspforten für Viren in den Körper.

Im Zytoplasma des Wirts sind Viren nicht länger


infektiös
Nach dem Verschmelzen (Fusion) von Virus- und Wirtszellmembran bzw. nach
Aufnahme in ein Phagosom gelangt das Viruspartikel über die Plasmamembran ins
Zytoplasma. In diesem Stadium werden Hülle (Envelope) und/oder Kapsid abgestoßen
und die viralen Nukleinsäuren freigesetzt – damit ist das Virus nicht länger infektiös.
Diese sog. ekliptische Phase hält an, bis sich nach der Replikation komplett neue
Viruspartikel gebildet haben. In welcher Weise die Replikation erfolgt, hängt von der
jeweiligen Nukleinsäure ab.

Tab. 3.1 Anheftung von Viren an Wirtszellen über


Membranrezeptormoleküle

73
3.3 Virusreplikation

Viren müssen zunächst Messenger-RNA (mRNA)


synthetisieren
Viren enthalten entweder DNA oder RNA, nie beide. Ihre Nukleinsäuren können als
Einzel- oder Doppelstrang in linearer (DNA oder RNA) oder Ringform (nur DNA)
vorliegen. Das Genom von Viren kann sich auf einem einzigen Nukleinsäuremolekül
befinden oder auf mehrere verteilt sein.

Bei so vielen Unterschieden ist nicht weiter verwunderlich, dass auch die Replikation
innerhalb der Wirtszellen ganz unterschiedlich abläuft. DNA-Viren können ihre DNA
direkt mithilfe der RNA-Polymerase des Wirts in mRNA umschreiben. Bei RNA-Viren
funktioniert diese Art der Transkription nicht, weil die Wirtspolymerasen nicht mit RNA
arbeiten. RNA-Viren müssen daher selbst Polymerasen bilden, wenn sie eine
Transkription benötigen. Ihre Polymerase kann im Nukleokapsid enthalten sein oder
nach der Infektion synthetisiert werden.

RNA-Viren produzieren ihre mRNA auf unterschiedliche


Weise
Bei doppelsträngigen (ds) RNA-Viren wird als Erstes mit der viralen Polymerase ein
Strang in mRNA umgeschrieben (Abb. 3.5). Einzelsträngige (ss) RNA-Viren haben drei
Möglichkeiten, mRNA zu bilden:

■ Ein Einzelstrang mit derselben Basensequenz wie für die Translation


erforderlich („Plusstrang“) lässt sich direkt als mRNA verwenden.

■ Ein „Minusstrang“ muss mit der viralen Polymerase erst zum Plusstrang
umgeschrieben werden, damit er dann als mRNA fungieren kann.

■ Ganz anders sieht der Weg aus, den Retroviren einschlagen: Ihr ssRNA-
Plusstrang wird mit einem Nukleokapsid-Enzym (reverse Transkriptase) in einen
ssDNA-Minusstrang umgewandelt, um dsDNA zu bilden; nachdem sie in den Zellkern
eingedrungen ist, fügt sie sich in das Genom des Wirts ein. Diese integrierte virale
DNA wird dann von einer Wirtspolymerase in mRNA umgeschrieben.

Translation der Virus-mRNA im Zytoplasma der


Wirtszelle zur Produktion von Virusproteinen
Die neu gebildete virale mRNA wird danach unter Verwendung von Ribosomen der
Wirtszelle translatiert und es werden Virusproteine synthetisiert (Abb. 3.6). Die – meist
monocistronische (d.h. nur eine Kodierungsregion besitzende) – virale mRNA kann die
Wirts-mRNA aus Ribosomen verdrängen, damit bevorzugt virale Produkte synthetisiert
werden. In der Frühphase werden zur Replikation der viralen Nukleinsäuren benötigte
Proteine (Enzyme, Regulatormoleküle) gebildet, später vor allem für das Kapsid
erforderliche Proteine.

75
Wenn das Virusgenom aus einem einzigen Nukleinsäuremolekül besteht, entsteht bei
der Translation ein großes, multifunktionales Protein (Polyprotein), das enzymatisch
weiter in eine Reihe unterschiedlicher Proteine aufgespalten wird. Verteilt sich das
Virusgenom auf eine größere Zahl von Molekülen, werden mehrere mRNAs produziert
und jede in ein eigenständiges Protein übertragen. Anschließend können diese Proteine –
ebenfalls mit Wirtsenzymen – noch glykosyliert werden.
Abb. 3.5 Transkription genomischer Virus-RNA in
mRNA vor ihrer Translation in Proteine.

ds = doppelsträngig (double stranded), ss = einzelsträngig (single stranded)


Abb. 3.6 Translation und Abspaltung der Virusproteine
von der mRNA.

76
Viren müssen auch ihre Nukleinsäure replizieren
Außer den Molekülen für neu gebildete Kapside müssen Viren ihr genetisches Material
(Nukleinsäure) replizieren, das in den Kapsiden verpackt wird. In RNA-Viren mit
einzelnem Plusstrang, z.B. Polioviren, wird aus der viralen mRNA eine Polymerase
translatiert, die Minusstrang-RNA erzeugt. Dieser Minusstrang wird wiederholt in
Plusstränge „umgeschrieben“. Mit jedem weiteren Transkriptionszyklus entstehen große
Mengen weiterer Plusstränge, die unter Verwendung von (früher von der mRNA
translatierten) Strukturproteinen in die neuen Viruspartikel verpackt werden (Abb. 3.7).

In RNA-Viren mit einzelnem Minusstrang (z.B. Rabies-/Tollwutvirus) erfolgt durch


virale Polymerase eine Transkription zu Plussträngen, die neue Minusstrang-RNA
produzieren (Abb. 3.7). Beim Rabiesvirus findet diese Replikation z.B. im Zytoplasma,
beim Masern- und Influenzavirus dagegen im Kern der Wirtszelle statt. Für neue
Viruspartikel werden dort in großen Mengen Minusstrang-RNA-Moleküle transkribiert.

77
Nach einem ähnlichen Muster erfolgt die Nukleinsäurereplikation doppelsträngiger
RNA-Viren (z.B. Rotaviren). Sie bilden ebenfalls RNA-Plusstränge, die in
Untereinheiten der Viruspartikel als Matrize dienen, um durch Synthese neuer
Minusstränge wieder die Doppelsträngigkeit herzustellen.
Abb. 3.7 Replikation der genomischen RNA von RNA-
Viren auf verschiedenen Wegen.

mRNA = Messenger-RNA

Virale DNA wird im Kern, nur bei Pockenviren


(Poxviridae) im Zytoplasma der Wirtszelle repliziert
Virale DNA kann mit Histonen der Wirtszelle stabile Komplexe bilden. Bei Herpesviren
wird die zur Synthese neuer Virus-DNA benötigte DNA-Polymerase nach Translation
der mRNA im Zytoplasma gebildet. Adenoviren benutzen zum selben Zweck sowohl
Wirts- als auch virale Enzyme. Nachdem die DNA von Retroviren durch eine (Wirts-
)RNA-Polymerase transkribiert und in sein Genom eingefügt wurde, wird im Kern der
Wirtszelle virale RNA neu synthetisiert (Abb. 3.5). Als einziges DNA-Virus benutzt das
teilweise doppelsträngige Hepatitis-B-Virus (HBV) ein einzelsträngiges RNA-
Zwischenprodukt (aus DNA transkribiert), um neue DNA zu produzieren. Retroviren
und HBV sind die einzigen humanpathogenen Viren mit Reverse-Transkriptase-
Aktivität.

In der Schlussphase der Replikation setzen sich neue


Viruspartikel zusammen und werden freigesetzt
Zusammensetzen der Viruspartikel bedeutet, dass sich replizierte Nukleinsäure und neu
synthetisierte Kapsomere zusammentun, um ein neues Nukleokapsid zu bilden. Das

78
kann im Zytoplasma oder im Nukleus der Wirtszelle stattfinden. Viren mit Hülle
durchlaufen noch ein weiteres Stadium, bevor sie freigesetzt werden. An bestimmten
Stellen der Wirtszelle werden Hüll- und Glykoproteine (entstanden nach Translation aus
viraler mRNA) eingelagert, meist in die Plasmamembran der Wirtszelle. Dort gehen die
neuen Nukleokapside eine besondere Bindung mit der Membran ein (via Glykoproteine)
und stoßen durch die Membran hindurch („Budding“; Abb. 3.8).

Das neue Virus bekommt so eine äußere Hülle aus der Wirtszellmembran mit allen
viralen Molekülen. Dabei können auch noch Enzyme wie die Neuraminidase des
Influenzavirus mithelfen (Einzelheiten zum Influenzavirus s. Kap. 19). Damit das neue
Virus voll infektiös werden kann, müssen Enzyme (z.B. Zellproteasen) des Wirts die
anfangs sehr großen Hüllproteine aufspalten. Bei Herpesviren gelingt die Akquisition
der Membran durch die Entstehung der Nukleokapside von der inneren Kernmembran
aus und damit den Erwerb einer Hülle. Da umhüllte Viren auch freigesetzt werden, ohne
zum Zelltod zu führen, können infizierte Zellen lange Zeit Viruspartikel streuen.

Durch die Insertion von Virusmolekülen in die Zellmembran verändert sich die
Antigenität der Wirtszelle. Insofern ist die Expression von Virusantigenen ein
Hauptfaktor für die Entwicklung einer Immunreaktion.

79
Abb. 3.8 Freisetzung des Influenzavirus durch die
Wirtszellmembran als Beispiel für das Ausknospen
(Budding) eines RNA-Virus mit Hülle (Envelope).

80
3.4 Auswirkungen einer Virusinfektion

Virusinfektionen können Zelllyse verursachen,


persistierend oder latent verlaufen
Bei einer lytischen Infektion durchläuft das Virus einen Replikationszyklus, in dem
viele neue Viruspartikel entstehen und durch Lyse (Auflösung) der Zelle freigesetzt
werden. Die Zerstörung von Zellen ist z.B. typische Folge einer Polio- oder
Influenzavirusinfektion. Eine Infektion mit anderen Viren, z.B. Hepatitis-B-Viren,
können Zellen jedoch überleben; dann werden in niedriger Frequenz kontinuierlich
Viruspartikel freigesetzt. Diese persistierenden Infektionen sind epidemiologisch von
Bedeutung, weil die Infizierten bzw. symptomlosen Träger eine ständige
Infektionsquelle darstellen (s. Kap. 16). Sowohl bei lytischen wie persistierenden
Infektionen findet eine Virusreplikation statt.

Bei latenten Infektionen jedoch verharrt das Virus in einer Ruhephase. Sein genetisches
Material bleibt währenddessen

■ im Zytoplasma der Wirtszelle (z.B. Herpesviren) oder

■ im Genom der Wirtszelle (z.B. Retroviren).

Die Replikation erfolgt erst, wenn die Latenz durch einen Triggerreiz beendet wird.
Welche Reize das im Einzelnen sind, ist noch nicht völlig geklärt. Bei Herpes-simplex-
Viren kann Stress zur Aktivierung der Infektion führen (erkennbar an den typischen
Bläschen). Bei HIV-Infektion könnte eine antigene Stimulation infizierter Zellen der
Auslöser für eine Aktivierung sein.

Manche Viren transformieren ihre Wirtszellen in Tumor-


/Krebszellen
Lytische, persistierende oder latente Infektionen betreffen im Wesentlichen normale
Zellen, auch wenn sie Stoffwechsel- und Steuerungsprozesse des Wirts erheblich stören
können. Manche Viren transformieren jedoch ihre Wirtszellen. Unter maligner
Transformation versteht man die Umwandlung einer differenzierten Zelle in eine
Tumor- bzw. Krebszelle (s. Kap. 17).

Transformierte Zellen sind morphologisch, funktionell und biochemisch verändert. Sie


wachsen unkontrolliert und ungehindert, es kommt ununterbrochen zur Zellteilung und
wahllosen Anhäufung. Schließlich werden sie invasiv, und wenn man sie Tieren
injiziert, bilden sich Tumoren. In vivo führen nicht alle transformierten Zellen zu
schädlichen Tumoren. Von Papovaviren werden z.B. Warzen (gutartige Wucherungen)
verursacht.

Maligne Tumoren können durch DNA- und RNA-Viren induziert werden. Zu dieser
Gruppe gehören z.B. humanes T-Zell-Leukämievirus Typ 1 und 2 (HTLV-1 und -2; s.
unten), Epstein-Barr-Virus (EBV), verschiedene Papillomaviren (z.B. HPV 16 und 18)
sowie das Hepatitis-B-Virus (HBV; s. Kap. 17). Obwohl sie am Ende dasselbe bewirken,
variieren die transformierenden Mechanismen der beteiligten Viren. In jedem Fall ist die
normale Zellteilung außer Kontrolle geraten und die Reaktion auf äußere

81
(fördernde/hemmende) Einflüsse auf das Wachstum gestört. Diese Veränderungen
bringt die Inkorporation der viralen Nukleinsäure ins Genom der Wirtszelle mit sich.

Bei Hühnern verursacht z.B. das Rous-Sarcoma-Virus maligne Tumoren. Zustande


kommt die Transformation durch die Inkorporation eines viralen „Onkogens“ (src-Gen)
ins Wirtsgenom. Es kodiert tyrosinspezifische Proteinkinase-Enzyme, die an der
Phosphorylierung von Tyrosinresten in den Zielproteinen beteiligt sind. Über bestimmte
Membranrezeptoren mit tyrosinspezifischer Proteinkinase-Aktivität entfalten mehrere
wachstumsregulierende Faktoren ihre Wirkung. Ein Ergebnis dieser Aktivitätssteigerung
(up-regulation) ist unter anderem, dass die Steuerung des normalen Zellwachstums
verloren geht.

Mehr als 20 retrovirale Onkogene sind inzwischen bekannt (Tab. 3.2). Als
krebserzeugende humanpathogene Viren haben aus der Gruppe der Retroviren nur
HTLV-1 und -2 größere Bedeutung. Paradoxerweise besitzen sie weder ein virales
Onkogen noch aktivieren sie unmittelbar ein zelluläres Onkogen (s. unten). Allerdings
sind mehrere Retroviren bekannt dafür, dass sie Tumoren bei Tieren verursachen.

Virale Onkogene könnten während der


Virusreplikation durch Inkorporation von
Wirtsonkogenen in das Virusgenom entstehen
Onkogene werden mit kurzen Akronymen und dem Präfix v (für viral, z.B. v-myc) oder
c (für zelluläre, d.h. Wirtsonkogene, z.B. c-myc) bezeichnet. Mit DNA-Sonden aus
Kopien des Rous-Sarcoma-Virus-Onkogens src fand man sowohl in infizierten wie in
normalen Hühnerzellen komplementäre DNA, aber auch in kanzerösen (entarteten) und
normalen menschlichen Zellen. Dieser auffällige Befund ließ sich wiederholt auch mit
anderen Sequenzen retroviraler Onkogene erheben.

82
Tab. 3.2 Beispiele für retrovirale Onkogene: Genprodukte, als
Träger der Onkogene bekannte Viren und assoziierte
Tierkrankheiten.
Myeloblastenleukämie Karzinom Osteosarkom
ALV/FeLV/MuLV = Geflügel- (avian), Katzen- (feline) und Mäuse- (murine)
Leukämievirus; GTP = Guanosintriphosphat

Inzwischen ist bekannt, dass Onkogensequenzen im Genom von Säugetieren 0,03–0,3%


ausmachen können. Dass sie bei vielen Spezies, vom Menschen bis zur Fruchtfliege,
entdeckt wurden, könnte bedeuten, dass sie erhalten blieben, weil sie eine nützliche
Funktion erfüllen. Doch waren zelluläre oder virale Onkogene zuerst da? Da zelluläre
Onkogene Introns haben, virale Onkogene dagegen nicht und ihre chromosomale
Position festgelegt ist, sind sie wahrscheinlich das ursprüngliche Gen – und nicht die
viralen Onkogene.

Aus dem, was wir bisher über die Genprodukte viraler Onkogene wissen, lässt sich
ableiten, dass zelluläre Onkogene (Protoonkogene) vermutlich eine wichtige Rolle für
die Steuerung des Wachstums der Wirtszellen spielen. Vielleicht kodieren sie für
Wachstumsfaktoren, Rezeptormoleküle an der Zelloberfläche, an die sich spezifische
Wachstumsfaktoren binden, für Komponenten des intrazellulären Signalsystems oder
für DNA-bindende Proteine, die als Transkriptionsfaktoren dienen.

Das Rous-Sarcoma-Virus-Onkogen src fügt sich direkt neben dem Gen, das die viralen
Hüllproteine kodiert, in das Virusgenom ein (Abb. 3.9). Im Unterschied zu anderen stark
transformierenden Viren besitzt das Rous-Sarcoma-Virus alle drei für die Replikation

83
erforderlichen Gene (gag, pol und env). Bei den anderen als „defekt“ transformierend
bezeichneten Viren führt die Inkorporation eines Onkogens zur Deletion von
genetischem Material in Regionen, die für die Gene pol und/oder env kodieren. Das
verhindert die Replikation und gelingt nur mithilfe genetisch kompletter Helferviren.

Onkogene können von Zelle zu Zelle in einem Wirt oder auch auf einen anderen
Organismus übertragen werden. Das geschieht bei der vertikalen Transmission (z.B.
Mutter zu Kind) in Form einer Viruspassage durch Gameten, über die Plazenta oder
über die Muttermilch. Die Übertragung kann aber auch als horizontale Transmission
ablaufen, z.B. durch Speichel oder Urin (s. Kap. 13).

Eine Zelle wird transformiert, wenn


Abb. 3.9 Das Rous-Sarcoma-Virus kann die Wirtszelle
transformieren und sich replizieren, weil es zu dem
Onkogen src auch ein komplettes Genom besitzt.

Andere transformierende Viren sind defekt – sie haben zwar das Onkogen, aber
nicht alle Gene zur vollständigen Replikation. Die fehlenden Gene können ihnen
Helferviren bereitstellen.

■ sich virale Onkogene in das Wirtsgenom einfügen (Rous-Sarcoma-Virus) oder

84
■ virale DNA in der Nähe eines zellulären Onkogens inseriert wird.

Ersteres kann auf einer Mutation der Onkogensequenz innerhalb des viralen Genoms
beruhen. Bekanntlich sind zelluläre Onkogene nach einem einzelnen Basenaustausch
imstande, normale Zellen zu transformieren. Letzteres könnte eine veränderte
Expression des zellulären Onkogens infolge einer Störung der normalen
Steuerungseinflüsse widerspiegeln.

Die Expression kann sich unabhängig davon, ob ein virales Onkogen oder
nichtonkogene virale DNA eingefügt wurde, verändern. Sie kann sich auch nach
Kontakt mit unterschiedlichen Kanzerogenen einstellen. Produkte (Proteine) zellulärer
Onkogene werden normalerweise in Versuchsreihen dazu verwendet, die
Zellproliferation detailliert zu kontrollieren. Virale Onkogenprodukte oder eine
Überexpression zellulärer Onkogenprodukte führen dagegen zu Kurzschlüssen und
überlasten das komplexe Kontrollsystem. Die Folge ist eine unkontrollierte/nicht
steuerbare Zellteilung.

3.5 Hauptgruppen der Viren


Die Klassifikation von Viren in Hauptgruppen (Familien) beruht auf ein paar einfachen
Kriterien (Tab. 3.3, s. auch Pathogene im Überblick im Anhang). Dazu zählen:

■ die Art der Nukleinsäure (RNA oder DNA) im Genom

■ Anzahl (ss, ds) der Stränge und Polarität (Plus- oder Minusstrang) der Nukleinsäure

■ Replikationsart

■ Größe, Struktur und Symmetrie der Viruspartikel.

85
Tab. 3.3 Übersicht über die Hauptgruppen der Viren
(Mims et al.. Medizinische Mikrobiologie – Infektiologie, 2.A.. Elsevier GmbH, Urban &
Fischer Verlag).
<vbk:978-3-437-41272-1#t003003> MW = Molekulargewicht, HSV = Herpes-
simplex-Virus, VZV = Varicella-Zoster-Virus, CMV = Zytomegalievirus, EBV =
Epstein-Barr-Virus, HHV = humane Herpesviren (Typ 6, 7 bzw. 8), SARS = schweres
akutes respiratorisches Syndrom, SRSV = schmale, runde, strukturierte Viren
* ss = einzelsträngig, ds = doppelsträngig
** Das Nukleokapsid von Herpesviren ist 100 nm groß, doch die Größe der Hülle
(Envelope) schwankt, daher kann das gesamte Virus einen Durchmesser bis zu 200 nm
haben
*** Die RNA von Retroviren enthält 2 identische Moleküle mit einem
Molekulargewicht von 3,5 × 10−6.

86
Zusammenfassung
■ Viren besitzen zwar RNA oder DNA, sind aber absolut auf Wirtszellen
angewiesen, um ihre genetische Information zu neuen Viruspartikel zu verarbeiten.

■ Entscheidend für den Kontakt und das Eindringen in die Wirtszelle ist die
Außenfläche des Virus (Kapsid oder Hülle/Envelope); sie bestimmt auch die
Überlebensfähigkeit von Viren unter Außenbedingungen.

■ Am häufigsten werden Viren durch Tröpfcheninfektion und durch Nahrung


oder Wasser übertragen.

■ An der komplizierten Replikation viraler RNA oder DNA sind Wirts- und/oder
virale Enzyme beteiligt.

■ Bei Retroviren wird die RNA in das Wirtsgenom eingefügt (integriert).

■ Durch Zelllyse oder Knospung (Budding) aus der Zellmembran des Wirts
werden neue Viruspartikel freigesetzt.

■ Manche Viren (z.B. Retroviren, Herpesviren) haben Latenzphasen und


benötigen Trigger zur Replikation. Andere vermehren sich langsam und persistieren
als Infektionsquelle in symptomlosen Trägern (Carrier).

■ Einige Viren führen zur Transformation (Entartung) der Wirtszelle, indem sie
in die normale Zellsteuerung eingreifen. So entstehen Krebszellen. Auslöser kann die
Aktivität viraler oder zellulärer Onkogene sein.

FRAGEN
1 Welches der genannten Viren ist ein RNA-Virus:
a) Papillomavirus,
b) Influenzavirus,
c) Hepatitis-B-Virus,
d) Epstein-Barr-Virus,
e) Herpes-simplex-Virus?
2 Welches der genannten Viren ist ein DNA-Virus:
a) Poliovirus,
b) Rötelnvirus,
c) Vacciniavirus,
d) Masernvirus,
e) HIV Typ 1?
3 Welchen Zellrezeptor benutzt das Influenzavirus:
a) Sialinsäure,
b) Acetylcholin,
c) CD4,
d) Glykophorin A,
e) C3d-Rezeptor?
4 Welche der genannten Viren können maligne Tumoren verursachen:
a) HIV,
b) Herpes-simplex-Virus,

87
c) Hepatitis-A-Virus,
d) HTLV (human T cell lymphotropic virus),
e) Rotaviren?

88
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

Cann, A.J.: Principles of Molecular Virology. 2nd ed. Academic Press, London 1997.

Collier, L.H. (ed.): Topley and Wilson’s Microbiology and Microbial Infections. 9th ed.
Edward Arnold, London 1998.

Doerr, H.W., Gerlich, W.H (Hrsg.). Medizinische Virologie: Grundlagen, Diagnostik


und Therapie virologischer Krankheitsbilder. Georg Thieme Verlag, Stuttgart New
York, 2002

89
4 Pilze
Zur Orientierung
Pilze sind Eukaryonten, unterscheiden sich aber deutlich von Pflanzen und Tieren.
Typisches Merkmal dieser multinukleären Organismen oder Mehrzeller ist ihre dicke,
chitinhaltige Zellwand. Pilze können filamentäre (Hyphen), aber auch viele andere
Wachstumsformen aufweisen. Bekannteste Exemplare sind die einzelligen Hefepilze und
Speisepilze. Als frei lebende Organismen kommen Pilze ubiquitär vor. Kommerziell
haben sie für die Erzeugung von Backwaren, Bier oder Pharmazeutika enorme Bedeutung.

Obwohl Pilze zur Normalflora des Körpers gehören, sind manche auch Auslöser häufiger
Lokalinfektionen der Haut und Haare. Einige Pilze können schwere Erkrankungen
verursachen und werden meist aus der äußeren Umgebung aufgenommen. Dringen
pathogene Pilze in den Körper ein, können sie Enzyme freisetzen, um das Gewebe von
außen zu „verdauen“ oder ihm direkt Nährstoffe zu entziehen. Die Wissenschaft des
Studiums der Pilze ist die Mykologie.

4.1 Hauptgruppen pathogener Pilze

Pathogene Pilze lassen sich anhand ihrer


Wachstumsform oder der Infektionen, die sie
verursachen, klassifizieren
Pathogene Pilze können in verzweigter Fadenform oder als Hefen (Sprosspilze)
vorkommen (Abb. 4.1). Manche zeigen beide Wachstumsformen in ihrem Lebenszyklus
– sie nennt man „dimorphe“ Pilze. Mit der Masse ihrer Hyphen bilden Fadenpilze (z.B.
Trichophyton) ein Geflecht, das Myzel. Bei der asexuellen Fortpflanzung entwickeln
sich Sporangien und über daraus freigesetzte Pilzsporen findet die Weiterverbreitung
statt. Inhalierte Pilzsporen sind ein häufiger Auslöser von Infektionen.

Typisch für die einzelligen hefeartigen Sprosspilze (z.B. Cryptococcus) ist ihre
Vermehrung durch Zellteilung. Es können sich auch „Knospen“ bilden, die mit der
„Mutterzelle“ verbunden bleiben und sich nicht ablösen (Pseudohyphen). Dimorphe
Pilze (z.B. Histoplasma) verändern bei einem Temperaturwechsel ihre Form: aus den
Hyphen bei Außen-/Umgebungstemperatur werden im Körper Hefezellen. Mit einer
wichtigen Ausnahme: bei Candida verhält es sich umgekehrt, denn hier bilden sich
Pilzfäden erst im Körper.

90
Man unterscheidet drei Arten von Pilzinfektionen (Mykosen):

■ oberflächliche Mykosen (Pilzwachstum auf Haut oder Haaren)

■ kutane oder subkutane Mykosen (Nägel und tiefere Hautschichten mit


einbezogen)

■ systemische oder tiefe Mykosen (Befall innerer Organe); dazu zählen auch die
opportunistischen Pilzinfektionen immungeschwächter Patienten.

Anders als bei den gewöhnlich mild verlaufenden ersten beiden Formen kann bei einer
systemischen Mykose Lebensgefahr bestehen. Während sich oberflächliche Mykosen
durch direkten Hautkontakt verbreiten, entwickeln sich systemische Mykosen oft infolge
einer opportunistischen Pilzinfektion bei Patienten mit Immunschwäche (s. Kap. 30).

Durch Pilzgifte in Nahrungsmitteln (z.B. Aflatoxine von Aspergillus flavus) oder


Immunreaktionen auf inhalierte Sporen (Hypersensitivitätspneumonie) können aber
auch frei lebende Pilze indirekt Krankheiten auslösen.

Viele Pilze aus der Umgebung werden pathogen, weil sie (z.B. nach Inhalation der
Sporen oder über offene Wunden als Eintrittspforte) auch im Körpermilieu überleben
können. Andere (z.B. Candida) bleiben als Bestandteil der Normalflora so lange
unschädlich, wie die Abwehrkräfte nicht geschwächt sind.

Fadenpilze wachsen extrazellulär. Hefe-/Sprosspilze können jedoch in Makrophagen


oder Neutrophilen überleben und sich vermehren. Neutrophile üben eine wichtige
Kontrollfunktion gegenüber eingedrungenen Pilzen aus, indem sie deren Etablierung
verhindern. Pilze, die für eine Elimination durch Phagozytose zu groß sind, können
durch extrazelluläre Faktoren, die Phagozyten und andere Komponenten des
Immunsystems freisetzen, vernichtet werden. Manche Spezies (namentlich
Cryptococcus neoformans) schützen sich mit einer Polysaccharidkapsel vor der
Phagozytose (s. Kap. 24).

Noch bis vor kurzem wurde Pneumocystis jiroveci (früher P. carinii), ein Haupterreger
opportunistischer Infektionen bei AIDS-Patienten, als Protozoon eingestuft. Mittlerweile
gilt er als atypischer Pilz, der sich an Lungenzellen (Pneumozyten) heftet und eine
tödliche, pneumonieartige Krankheit verursachen kann.

Die wichtigsten Gruppen humanpathogener Pilze sind in Tab. 4.1 aufgelistet.

91
Abb. 4.1 Einteilung pathogener Pilze anhand ihres
Wachstums und der Infektionen, die sie hervorrufen

a) Pilzfäden (Hyphen) im Dermabrasionsmaterial bei Tinea [mit freundlicher


Genehmigung von D.K. Banerjee]

b) kugelige Hefe-/Sprosspilzzellen (Histoplasmen) [mit freundlicher


Genehmigung von Y. Clayton und G. Midgley]

92
Tab. 4.1 Übersicht über humanpathogene Pilze und wichtige
Mykosen
(Mims et al.. Medizinische Mikrobiologie – Infektiologie, 2.A.. Elsevier GmbH, Urban &
Fischer Verlag).
<vbk:978-3-437-41272-1#t004001> H = Hefe-/Sprosspilz, F = Fadenpilz, N/A
= Unterteilung in Hefe-/Spross- und Fadenpilze nicht anwendbar
* Wachstum im Körper
** Coccidioides haben eine ungewöhnliche Wachstumsform mit sprosspilzartigen
Endosporen in einer Sphärula (Kugel),
*** bildet auch Pseudohyphen aus

93
Zusammenfassung
■ Pilze unterscheiden sich von Pflanzen und Tieren, haben eine dicke Zellwand
aus Chitin und wachsen als Faden- (Hyphen) oder einzellige Hefe-/Sprosspilze.

■ Pilze, die Krankheiten auslösen, können aus der Umgebung stammen oder zur
Normalflora gehören.

■ Mykosen können oberflächlich (kutan und subkutan) oder systemisch (tief im


Gewebe) lokalisiert sein.

■ Bei immungeschwächten Patienten verlaufen Pilzinfektionen besonders


schwer.

FRAGEN
1 Welcher Pilz ist Bestandteil der Normalflora, kann aber auch zum
Krankheitserreger werden
a) Histoplasma
b) Blastomyces
c) Candida
d) Aspergillus
e) Cryptococcus?
2 Oberflächliche Mykosen betreffen
a) Epidermis
b) Nägel
c) Vagina
d) abgestorbene Haut
e) Dermis?

94
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

Hay, R.J.: Medical Mycology. In: Collier, L.H. et al. (eds.): Topley and Wilson’s
Microbiology and Microbial Infections. 9th ed. Edward Arnold, London 1998.

Hof, H.: Mykologie für Mediziner: Grundlagen – Pathogenese – Diagnostik –


Manifestation – Therapie. Georg Thieme Verlag, Stuttgart New York 2003.

Kwon-Chung, K.J., Bennett, J.E.: Medical Mycology. Lea & Febiger, Philadelphia
1992.

Sternberg, S.: The emerging fungal threat. Science 266 (1995) 1632.

95
5 Protozoen
Zur Orientierung
Protozoen sind Einzeller mit einer Größe von 2–100 μm. Viele kommen frei lebend vor,
und einige Vertreter sind wichtige Parasiten des Menschen. Verschiedene frei lebende
Spezies verursachen opportunistische Infektionen, andere führen nur bei Patienten mit
Immunschwäche zu schweren Erkrankungen. Obwohl Protozoen besonders in den Tropen
und Subtropen verbreitet sind, können Infektionen auch in gemäßigten Breiten auftreten.
Wie bei Malaria können Protozoen zwar selbst die Krankheitsursache (Zerstörung der
roten Blutkörperchen) sein, doch häufiger sind Immunreaktionen des Wirts der eigentliche
Pathomechanismus. In den meisten Fällen besteht keine unmittelbare Lebensgefahr (außer
für immungeschwächte Patienten). An Malaria versterben jedoch jährlich 1,5 Millionen
Menschen, vor allem kleine Kinder.

5.1 Protozoeninfektionen (Protozoonosen)

Protozoen können alle wichtigen Körpergewebe und


Organe befallen
Protozoen infizieren:

■ als intrazelluläre Parasiten ein breites Spektrum von Zellen (rote


Blutkörperchen, Makrophagen, Epithelzellen, Hirn- und Muskelzellen)

■ als extrazelluläre Parasiten das Blutsystem, den Darmoder Urogenitaltrakt

Bevorzugte Lokalisationen der wichtigsten humanpathogenen Spezies zeigt Abb. 5.1.

Intrazelluläre Parasiten nehmen Nährstoffe direkt von ihren Wirtszellen oder aus dem
Zytoplasma auf. Extrazelluläre Parasiten ernähren sich entweder direkt oder fressen
Wirtszellen, um sich so Nährstoffe einzuverleiben. Im menschlichen Körper
reproduzieren sich Protozoen gewöhnlich asexuell, durch einfache Zellteilung oder
wiederholte Teilungen in Wachstumsstadien (Trophozoiten). Eine sexuelle
Reproduktion erfolgt nicht – bzw. nur im Stadium der Insekten- oder Vektorphase.
Kryptosporidien bilden insofern eine Ausnahme, als sie sich im Menschen sowohl
sexuell als auch asexuell vermehren. Durch asexuelle Reproduktion kann sich die
Anzahl der Erreger rasch vermehren, erst recht bei geschwächter Abwehr des Wirts. Aus
dem Grund ist ein Protozoenbefall besonders für Kleinkinder in hohem Maße pathogen
(z.B. Toxoplasmen bei Neugeborenen).

Seit dem epidemischen Auftreten von AIDS sind verstärkt Protozoen in den Mittelpunkt
des Interesses gerückt, die früher nicht als humanpathogen bekannt waren, aber bei
Immunschwäche opportunistische Infektionen auslösen. Dazu zählen
Cryptosporidium, Isospora, Blastocystis und einige Mikrosporidien. Auch neue
Parasiten werden immer wieder entdeckt, so z.B. 1994 Cyclospora cayetanensis (wird
durch Nahrungsmittel übertragen und verursacht Diarrhöen).

Mit ausgeklügelten Strategien unterlaufen Protozoen


die Abwehr des Wirts

96
Extrazelluläre Spezies verhindern die immunologische Erkennung ihrer
Plasmamembran. Für extrazelluläre Protozoen bildet die Plasmamembran die Kontakt-
/Grenzfläche zum Wirt. Deshalb haben sie verschiedene Strategien entwickelt, um sich
der Immunüberwachung zu entziehen:
Abb. 5.1 Auftreten von Protozoen im Körper.

*Befall auch an anderen Stellen möglich, ZNS = zentrales Nervensystem

■ Bei Trypanosomen findet z.B. wiederholt eine Veränderung der


Oberflächenantigene statt.

■ Dominante Oberflächenantigene von Malariaerregern weisen Polymorphismen


auf.

■ Amöben können an der Zelloberfläche Komplement verbrauchen.

Intrazelluläre Spezies entziehen sich der Wirtsabwehr. Obwohl sie in intrazellulären


Stadien nicht direkt Antikörpern, Komplementsystem und Phagozyten ausgesetzt sind,
könnten sie durch Antigenexpression an der Oberfläche der Wirtszelle zum Angriffsziel
zytotoxischer Effektorzellen werden. Parasiten (Leishmanien, Toxoplasmen), die sich in
Zellen, besonders Makrophagen, einnisten, verfügen daher über Mittel, die schädigende
Wirkung intrazellulärer Enzyme oder von Sauerstoff- und Stickstoff-Metaboliten
auszuschalten.

Menschen werden über unterschiedliche


Eintrittspforten mit Protozoen infiziert
Extrazelluläre Protozoen werden vor allem durch Nahrungsmittel und Wasser
übertragen, das mit Zystenformen kontaminiert ist. Trichomonas vaginalis allerdings

97
wird auf sexuellem Wege übertragen und Trypanosomen durch Insekten (Vektoren). Bei
den intrazellulären Spezies sind die von Insekten übertragenen Plasmodien und
Leishmanien am wichtigsten. Andere (Toxoplasmen) können verschluckt oder
intrauterin von der Mutter auf das Kind übertragen werden (Tab. 5.1)

Tab. 5.1 Parasitäre Protozoen Übersicht über bevorzugte


Lokalisation, Übertragungsweg und Erkrankungen

98
Zusammenfassung
■ Protozoen sind einzellige Organismen, die frei lebend und als Parasiten
vorkommen. Beide Formen können für Menschen pathogen sein.

■ An Malaria, der wichtigsten Infektion durch Protozoen, sterben jährlich 1,5


Millionen Menschen.

■ Inner- und außerhalb von Zellen können sich Protozoen in vielfältiger Weise
der Wirtsabwehr entziehen.

■ Die meisten Infektionen werden durch die Aufnahme von kontaminiertem


Wasser oder Nahrung bzw. über Insekten als Vektoren erworben. Möglich ist auch
eine Übertragung von der Mutter auf den Fetus.

99
FRAGEN
1 Die wichtigste parasitäre Infektion ist
a) Leishmaniasis
b) Malaria
c) Kryptosporidiose
d) Amöbiasis
e) Trypanosomiasis?
2 Welche Parasiten befallen nicht den Darmtrakt des Menschen?
a) Giardia
b) Entamoeba
c) Cyclospora
d) Toxoplasma
e) Cryptosporidium
3 Ein extrazellulärer Parasit ist
a) Cryptosporidium
b) Leishmania
c) Toxoplasma
d) Giardia
e) Plasmodium?
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

Cox, F.E.G., Wakelin, D.: Parasitology. In: Collier, L.H. et al. (eds.): Topley and
Wilson’s Microbiology and Microbial Infections. 9th ed. Edward Arnold, London
1998.

Despommier, D.D. et al.: Parasitic Diseases. 4th ed. Apple Trees Production, New
York 2000.

Mehlhorn, H., Eichenlaub, D., Löscher, T., Peters, W.: Diagnostik und Therapie der
Parasitosen des Menschen. 2. Auflage, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart Jena New
York 1995.

100
6 Helminthen und Arthropoden
6.1 Helminthen 53

6.1.1 Lebenszyklen 54

6.1.2 Würmer und Krankheiten (Helminthosen) 54

6.2 Gliederfüßer (Arthropoden) 56


Zur Orientierung
Als Helminthen werden alle parasitierenden Würmer bezeichnet. Sie gehören zwei
großen Tierstämmen (Phyla) an, dem der Faden- oder Rundwürmer (Phylum Nematoda)
und dem der Plattwürmer (Phylum Plathelminthes). Zu den Plathelminthen zählen die
Saugwürmer (Trematoda) und die Bandwürmer (Cestoda).

Bei Plattwürmern ist der abgeflachte Körper mit muskulären Saugnäpfen und/oder
Haken ausgestattet, mit denen sie sich am Wirt festhalten können. Nematoden mit ihrem
langen zylindrischen Körper besitzen meist kein spezielles Anheftungsorgan.

Helminthen sind im Allgemeinen große Organismen mit komplexer Struktur. Obwohl


Larven manchmal nur 100–200 μm messen, wenn sie in den Körper eindringen, können
ausgewachsene (adulte) Würmer mehrere Zentimeter oder sogar Meter lang werden.
Infektionen kommen verbreitet in wärmeren Ländern vor, aber Eingeweidewürmer gibt es
auch in gemäßigten Breiten.

Arthropoden (Gliederfüßer) sind nicht nur die zahlenmäßig größte, sondern vermutlich
auch erfolgreichste Einzelgruppe von Tieren. Bei Menschen spielen Insekten, Zecken und
Milben die größte Rolle als Krankheitserreger. Sie sind gut an das Leben mit Menschen
angepasst und ernähren sich von Blut oder Gewebeflüssigkeit.

Mit den Ernährungsgewohnheiten hängt auch zusammen, dass Arthropoden ein breites
Spektrum mikrobieller Infektionserreger übertragen können. Andere dienen als
Zwischenwirt und – sobald sie verzehrt werden – als Überträger von Helminthen. Wieder
andere stellen durch ihre gefährlichen Bisse oder Stiche selbst eine Bedrohung dar.

6.1 Helminthen

Es gibt vier Übertragungswege


Eine Übertragung der Infektion ist auf folgenden Wegen möglich (Abb. 6.1):

■ fäkal-oral: durch Verschlucken von Wurmeiern oder Larven

■ oral: durch Aufnahme von Larven im Gewebe eines Zwischenwirts

■ Hautpenetration: sich aktiv durch die Haut bohrende Larven

■ Injektion: durch den Biss/Stich blutsaugender Insekten (Vektoren)

101
Dass Infestationen mit Helminthen in tropischen und subtropischen Regionen häufiger
vorkommen, unterstreicht den Einfluss der klimatischen Bedingungen auf das
Überleben infektiöser Entwicklungsstadien; es zeigt aber auch, dass bestimmte
sozioökonomische Verhältnisse fäkal-orale Kontakte begünstigen, wie sich Zubereitung
der Nahrung und Essgewohnheiten auswirken und dass geeignete Vektoren verfügbar
sein müssen. Überall sind am häufigsten Kinder betroffen sowie Menschen, die eng mit
Haustieren zusammenleben oder besondere Vorlieben beim Essen haben.
Abb. 6.1 Wie Helminthen in den Körper gelangen.

Viele Helminthen leben im Darmtrakt, andere in tieferen Gewebeschichten. In (fast)


sämtlichen Körperorganen können Würmer parasitieren. Während sich Trematoden und
Nematoden aktiv vom Gewebe oder Darminhalt ihres Wirts ernähren, saugen
Bandwürmer (vor)verdaute Nährstoffe auf, weil sie keinen eigenen Verdauungsapparat
besitzen.

Die meisten Helminthen vermehren sich nicht im Wirt. In einfachster Form (wie bei
vielen Darmwürmern) führt ihre sexuelle Fortpflanzung zur Produktion von Wurmeiern,
die im Kot des Wirts ausgeschieden werden. Andere reifen trotz einer Anhäufung
reproduktiver Stadien nicht voll in einem Wirt heran. Manche Bandwurmlarven können
sich asexuell in Menschen vermehren. Bei den Nematoden bildet Strongyloides insofern
eine Ausnahme, als im Darm nicht nur die Eier abgelegt werden, sondern auch
infektiöse Larven schlüpfen und erneut in den Körper eindringen – man spricht in dem

102
Fall von einer „Autoinfektion“. Ein ähnliches Phänomen zeigt sich beim
Schweinebandwurm (Taenia solium).

Primär findet der Austausch zwischen Wirt und Parasit


an der Außenfläche des Wurms statt
Bandwürmer und Saugwürmer sind außen von einer komplex aufgebauten
Plasmamembran umgeben, deren Schutzmechanismen verhindern, dass sie durch den
Wirt geschädigt wird. Bei Nematoden besteht die Außenhaut aus festem Kollagen; das
verleiht ihnen eine antigene Wirkung, macht sie aber auch weitgehend resistent gegen
Immunangriffe. Kleinere Larvenstadien können jedoch von Granulozyten und
Makrophagen des Wirts geschädigt werden. Mit ihren Ausscheidungen (Exkreten und
Sekreten) setzen Würmer in relativ großen Mengen lösliche antigene Substanzen frei,
die für ihre Immunogenität und Pathogenität eine wichtige Rolle spielen.

6.1.1 Lebenszyklen

Viele Helminthen haben komplexe Lebenszyklen


Im direkten Lebenszyklus erzeugen sexuell reife adulte Würmer reproduktionsfähige
Stadien in einem Wirt. Diese werden aus dem Körper freigesetzt, damit sie sich in
einem anderen Wirt zu adulten Würmern weiterentwickeln können (z.B. durch fäkal-
orale Übertragung oder Penetration). Im indirekten Lebenszyklus müssen die
reproduktionsfähigen Stadien erst noch eine Entwicklungsstufe in einem Zwischenwirt
oder Vektor durchlaufen, bevor sie sexuell reif sind.

Larven der Saug- und Bandwürmer brauchen


mindestens einen Zwischenwirt, Larven der
Rundwürmer (Nematoden) können in einem Wirt
heranreifen
Bis auf die Schistosomen mit ihren getrennten Geschlechtern sind die meisten
Saugwürmer Zwitter (Hermaphroditen). Die Fortpflanzungsorgane der Bandwürmer
wiederholen sich in einer Reihe identischer Segmente (Proglottiden) am ganzen
Körper (Strobila) entlang. Wenn das „schwangere“ Endsegment mit reifen Eiern
gefüllt ist, löst es sich ab und wird mit dem Stuhl ausgeschieden. Bevor Parasiten wie
die Saug- und Bandwürmer erneut Menschen infizieren können, müssen ihre aus den
Eiern geschlüpften Larven erst einen oder mehrere Zwischenwirte durchlaufen und
sich zu anderen Larvenstadien weiterentwickeln. Einzige Ausnahme ist der
Zwergbandwurm Hymenolepis nana, der seine komplette Entwicklung (vom Ei bis
zum adulten Wurm) in einem Wirt vollenden kann.

Bei den Nematoden sind beide Geschlechter getrennt. Die meisten Spezies setzen nur
befruchtete Eier frei, einige geben jedoch frühe Larvenstadien im Körper des Wirtes
ab. Ei bzw. Larve können sich entweder direkt (in einem Wirt) oder indirekt (mit
Stadien in einem Zwischenwirt) zum adulten Wurm entwickeln. Aus praktischen
Erwägungen beschränken wir uns angesichts der weit verzweigten Klassifikation der

103
Nematoden hier auf zwei Gruppen, die spezifisch den Menschen als Wirt benötigen.
Sie reifen entweder

■ im Gastrointestinaltrakt, wobei einige während der Entwicklung durch den


Körper wandern können (z.B. Ascaris, Hakenwürmer, Trichinella, Strongyloides,
Trichuris), oder

■ in tieferen Gewebeschichten (z.B. Filarien) heran.

Menschen können sich auch mit Larven infizieren, die in anderen Wirten herangereift
sind (z.B. der Hundebandwurm Toxocara canis und Ancylostoma spp.).

6.1.2 Würmer und Krankheiten (Helminthosen)

Bandwürmer werden durch Larven in rohem oder


nicht richtig garem Fleisch akquiriert
Obwohl Bandwürmer eine beachtliche Größe erreichen können und relativ häufig
Menschen befallen, sind die meisten eher harmlos. Manchmal dienen Menschen auch
nur als Zwischenwirte. Bei diesen Spezies können jedoch Larven, die sich im Körper
entwickeln, zu schweren Krankheitsbildern führen (Tab. 6.1).

Von den Saugwürmern sind die Erreger der


Schistosomiasis am wichtigsten
Verschiedene Arten von Saugwürmern können in Darm, Lunge, Leber und
Blutgefäßen des Menschen heranreifen. Unter pathologischen Gesichtspunkten und
hinsichtlich ihrer Prävalenz sind die Schistosomen als Auslöser der Schistosomiasis
bzw. Bilharziose besonders wichtig. Von Millionen Menschen, die mit Schistosoma
haematobium, Schistosoma japonicum und Schistosoma mansoni – den drei
Hauptgruppen – infiziert sind, erkranken viele zum Teil sehr schwer (Tab. 6.2).
Schistosomen haben wie alle Saugwürmer einen indirekten Lebenszyklus. Ihre
Larven entwickeln sich in Wasserschnecken und werden ins Wasser ausgeschieden.
Kommen Menschen mit dem kontaminierten Wasser in Berührung, können sie sich
mit Larven, die durch die Haut in den Körper eindringen, infizieren. Wichtige Spezies
sind außerdem Clonorchis sinensis (Leberegel) und Paragonimus westermanni
(Lungenegel), die beim Verzehr von Fisch bzw. Krabben übertragen werden können.

Bestimmte Nematoden, die Menschen infizieren, sind


sehr wirtsspezifisch, andere verursachen Zoonosen
Von den zahlreichen humanpathogenen Nematodenspezies verhalten sich einige sehr
spezifisch, können also in einem anderen Wirt heranreifen. Bei anderen ist die
Wirtsspezifität viel schwächer ausgeprägt, so dass sie eher zufällig als Zoonosen
erworben werden. Hier fungiert der Mensch als Zwischen- oder Endwirt, der sich die
Infektion bei Haustieren oder über Nahrungsmittel akquiriert (Tab. 6.3).

104
Tab. 6.1 Übersicht über die wichtigsten Cestoden
* seltene Infektionen

Tab. 6.2 Trematoden des Menschen

105
6.2 Gliederfüßer (Arthropoden)
Arthropoden können entweder direkt (durch ihr Ernährungsmuster) oder indirekt (als
Überträger von Infektionen) Krankheiten hervorrufen.

Tab. 6.3 Nematoden des Menschen


* in dieser Gruppe die häufigste Spezies

106
Arthropoden ernähren sich von Blut und
Gewebeflüssigkeit des Menschen
Moskitos, Mücken, Bremsen, Wanzen, Flöhe und Zecken sind blutsaugende Insekten.
Auch Milben ernähren sich so – bekanntestes Beispiel sind vermutlich die Erreger der
Erntekrätze (Larven der Erntemilbe, Trombicula autumnalis). Der Kontakt zwischen
Menschen und Arthropoden kann vorübergehend oder aber dauerhaft bestehen.

Temporäre Ektoparasiten wie die Moskitos saugen nur minutenlang Blut, Zecken
dagegen viel länger. Mit Kopf und Körper versehene Läuse wie Pediculus humanus
(Kleiderlaus) und Phthirus pubis (Filzlaus) halten sich fast ihr ganzes Leben auf
Menschen auf (stationäre Ektoparasiten), saugen Blut und vermehren sich auf der
Haut oder in der Kleidung. Auch Sarcoptes scabiei (Krätzemilbe) lebt ständig auf
Menschen, frisst sich durch die oberen Hautschichten und legt in den Gängen, die sie
dabei gräbt, ihre Eier ab. Das kann es zu einer schweren Infektion führen, die besonders
bei Menschen mit eingeschränkter Immunlage starke Entzündungsreaktionen hervorruft
(s. Kap. 26).

Bei Infestation droht zusätzlich die Gefahr einer


Krankheitsübertragung
Arthropoden können Krankheitserreger aller wichtigen Gruppen, von Viren bis zu
Würmern, übertragen, manche (z.B. Moskitos und Zecken) sogar ein ganzes Spektrum
von Keimen (Tab. 6.4). Durch die Übertragung von Infektionen erkrankter Tiere auf
Menschen besteht zudem ständig die Gefahr, an einer Zoonose zu erkranken. Einige der
von Vektoren übertragenen Erkrankungen (wie das Gelbfieber) sind bereits seit hundert
Jahren bekannt, andere (Virusenzephalitiden und Lyme-Krankheit) wurden erst in
jüngerer Zeit entdeckt (1920 bzw. 1975).

107
Tab. 6.4 Übersicht über von Arthropoden übertragene Infektionen
des Menschen

108
Zusammenfassung
■ Helminthen sind mehrzellige Würmer, die in vielen Körperorganen
vorkommen können, aber am häufigsten den Gastrointestinaltrakt befallen.

■ Sie werden entweder auf direktem Weg (durch Verschlucken infektiöser


Stadien oder in die Haut eindringende Larven) oder indirekt (über Zwischenwirte
oder Insekten als Vektoren) übertragen.

■ Schwerste Form einer Wurmerkrankung (Helminthose) ist die Schistosomiasis.


Ausschlaggebend für das Krankheitsbild sind Überempfindlichkeitsreaktionen gegen
Wurmeier, die verschiedene Organe und Gewebe des Körpers passieren.

■ Für Menschen sind Arthropoden insofern von Bedeutung, als sie Blut saugen
oder sich von Körpergeweben ernähren (Insekten, Zecken, Milben). Dabei können
sie andere Infektionserreger (vor allem Bakterien und Protozoen) übertragen.

FRAGEN
1 Welcher Bandwurm wird beim Verzehr von infiziertem Schweinefleisch
erworben?
a) Taenia saginata
b) Hymenolepis nana
c) Echinococcus granulosus
d) Taenia solium
e) Diphyllobothrium latum
2 Welcher Rundwurm kommt nicht im Darmtrakt vor?
a) Enterobius vermicularis
b) Ascaris lumbricoides
c) Wuchereria bancrofti
d) Trichuris trichiura
e) Strongyloides stercoralis
3 Im Lebenszyklus von Schistosomen
a) findet eine direkte Übertragung statt
b) sind Wasserschnecken an der Übertragung beteiligt
c) dienen Insekten als Vektoren
d) leben adulte Würmer im Darm
e) infizieren sich Menschen durch Verschlucken der Eier?
4 Von Arthropoden auf Menschen übertragen werden
a) Bakterien
b) Viren
c) Helminthen
d) Protozoen
e) alle?
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

109
Cox, F.E.G., Wakelin, D.: Parasitology. In: Collier, L.H. et al. (eds.): Topley and
Wilson’s Microbiology and Microbial Infections. 9th ed. Edward Arnold, London
1998.

Despommier, D.D. et al.: Parasitic Diseases. 4th ed. Apple Trees Productions, New
York 2000.

Eldridge, B.F., Edman, J.D.: Medical Entomology. Kluwer Academic Publishers,


Berlin 2000.

Mehlhorn, H., Eichenlaub, D., Löscher, T., Peters, W.: Diagnostik und Therapie der
Parasitosen des Menschen. 2. Auflage, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart Jena New
York 1995.

110
7 Prionen
7.1 „Prion-Protein“ – Pathogenese 59

7.2 Übertragung von Prionen und Krankheitsentwicklung 60

7.3 Medizinische Schwierigkeiten bei Prionen-Erkrankungen 61


Zur Orientierung
Prionen sind infektiöse Partikel, die mit degenerativen Hirnveränderungen verbunden
sind – den spongiformen Enzephalopathien. Ein Genom (Nukleinsäure) fehlt ihnen und
gegenüber allen herkömmlichen Desinfektionsarten erweisen sich Prionen als höchst
resistent. Man nimmt an, dass es sich um Modifikationen eines normalen Zellproteins
handelt und dass diese kleinen Proteinpartikel zu Erkrankungen führen, indem sie ständig
weiter normales in abnormes Protein umwandeln. Menschen nehmen Prionen meist beim
Verzehr kontaminierten Materials auf, können sich aber auch bei medizinischen
Maßnahmen anstecken. Prionen entstehen möglicherweise auch durch Mutation.

Als erste Prionen-Erkrankung des Menschen wurde Kuru bei einigen Stämmen in
Neuguinea identifiziert, die aus rituellen Gründen menschliches Gewebe verzehrten.
Neueren Datums ist die Entdeckung, dass die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-
Krankheit (nvCJD) offenbar mit dem Konsum von BSE(bovine spongioforme
Enzepaholpathie)-infiziertem Rindfleisch zusammenhängt.

7.1 „Prion-Protein“ – Pathogenese

Prionen sind ganz besondere Infektionserreger


Kennzeichnend für eine Reihe menschlicher und tierischer ZNS-Erkrankungen
(spongiforme Enzephalopathien) sind die großen Vakuolen, die sich im Hirngewebe
entwickeln. Bei Menschen gehören Kuru und Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, bei Kühen
BSE und bei Schafen Scrapie dazu. Lange Zeit hielt man sog. unkonventionelle Slow-
Viren für die Ursache, doch inzwischen weiß man, dass Prionen (proteinaceous
infectious particles) der Auslöser sind. Die kleinen infektiösen Partikel weisen folgende
Merkmale auf:
■ Größe ≤ 100 nm (damit filtrierbar)
■ besitzen kein Nukleinsäure-Genom
■ äußerst resistent gegen Hitze, Desinfektionsmittel und Bestrahlung (aber
anfällig für hoch konzentriertes Phenol, Perjodat, Natriumhydroxid und
Natriumhypochlorit)
■ langsame Replikation; Ausbruch der Krankheit meist erst im höheren
Lebensalter; lange Inkubationszeit (bis zu 35 Jahre bei Menschen)
■ im Labor nicht anzüchtbar
■ rufen keine Immun- oder Entzündungsreaktion hervor.
Prionen leiten sich von Wirtsmolekülen her
Untersuchungen zu Scrapie vermittelten Einblicke in das Wesen von Prionen und ihre
Rolle bei Erkrankungen. Obwohl die Diskussion noch nicht abgeschlossen ist, hält man
ein 30- bis 35-kD-Glykoprotein, das sich vom Wirt herleitet, für das infektiöse Agens.
Es wird als PrPSc (Prion-Protein Scrapie) bezeichnet und ist assoziiert mit den

111
typischen intrazellulären Fibrillen des erkrankten Gewebes. PrPSc stammt von einem
zellulären Prion-Protein (PrPc) ab, das natürlich vorkommt und vor allem auf
Nervenzellen exprimiert wird; kodiert wird es von einer einzelnen Genkopie mit
unbekannter Funktion. Mäuse, deren PrPc-Gen gespalten wurde, erkrankten nicht an
Scrapie, zeigten aber keine groben Auffälligkeiten.

Trotz ähnlicher Sequenz unterscheiden sich Struktur und Protease-Resistenz der beiden
Proteine: PrPSc ist kugelförmig (globulär) und resistent gegenüber Proteasen, PrPc linear
und empfänglich für Enzyme. Auch wenn noch nicht alle Einzelheiten bekannt sind,
scheint die Verbindung zwischen PrPSc und PrPc darin zu bestehen, dass letzteres –
hauptsächlich über eine Konformationsänderung der α-Helices zu β-Faltblättern – in
die abnormale Form überführt wird. Befallene Zellen beginnen daraufhin, mehr PrPc zu
bilden und wiederholt umzuwandeln, bis sich das angehäufte PrPSc zu Amyloidfibrillen
und Plaques zusammenlagert (Abb. 7.1). Durch Replikation kann es zu einem starken
Titeranstieg kommen – pro Gramm Hirngewebe wurden bis zu 108–109 infektiöse
Partikel gefunden.

Dass das Zusammenwirken von PrPSc mit PrPc entscheidend für den Ablauf ist, ließ sich
mit ausgedehnten Experimenten an Schafen und Mäusen belegen. Aus diesen Versuchen
ergaben sich wichtige Schlussfolgerungen:

■ Mit dem PrPSc-Gehalt steigert sich die Infektiosität von Scrapie-Material.

■ Gereinigtes PrPSc sorgt für eine verstärkte Scrapie-Aktivität.

■ Mäuse ohne das PrPc-Gen erkranken bei Injektion von Prionen nicht.

■ Ein PrP-Transgen, das von einem Prion-Spender (z.B. Hamster) in einen


Empfänger (z.B. Maus) eingebracht wurde, erleichterte die Übertragung zwischen den
Spezies (cross-species transmission). Somit steht zu vermuten, dass Homologie der
PrP-Gene von Spender und Empfänger die wichtigste molekulare Determinante bei
der Übertragung ist.

■ PrPSc kann in vitro PrPc in PrPSc umwandeln, dabei werden biochemische


Eigenschaften transferiert.
Abb. 7.1 Zellschädigung durch Prionen.

112
(1) Von normalen Zellen wird PrPc als lineares Zellmembranprotein exprimiert.
(2) Ist globuläres PrPSc als freies Glykoprotein vorhanden, kann es mit PrPc
interagieren.
(3) PrPc löst sich von der Zellmembran und wird in PrPSc umgewandelt.
(4) Weil die Zellen vermehrt PrPc produzieren, beginnt der Zyklus ständig von
neuem.
(5) In Plaques angehäuftes PrPSc wird in die Zellen aufgenommen.
In der Entwicklung von Scrapie bei Schafen zeigen sich starke genetische Einflüsse;
manche Zuchtrassen erweisen sich als erheblich widerstandsfähiger als andere.
Ähnliches ließ sich auch bei Mäusen beobachten. Bei Menschen ist Homozygotie (Valin
oder Methionin) am Codon 129 des Prion-Protein-Gens ausschlaggebend für ihre
Anfälligkeit gegenüber der sporadischen, iatrogenen oder neuen Variante der CJD. Dass
auch Prionen Veränderungen unterliegen, zeigt die Beschreibung unterschiedlicher
„Stämme“. Durch die Kombination – Variationen bei Wirt und Prionen – sind Auftreten
und Schwere der Erkrankung breit gefächert.

7.2 Übertragung von Prionen und


Krankheitsentwicklung

113
Da PrPSc von Molekülen abstammt, die von normalen Zellen exprimiert werden, erhöht
sich die Wahrscheinlichkeit, dass Prionen auch infolge von PrPc-Spontanmutationen im
Körper auftauchen. Tatsächlich könnten die sporadische Form der CJD und zwei weitere
Prionen-Erkrankungen des Menschen (Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom und die
letale familiäre Insomnie) auf diese Weise entstanden sein.

Außer Fällen, in denen sich Prionen durch Mutation entwickelt haben, setzen
Übertragung und Ausbreitung der Erkrankung aber einen Kontakt mit infektiösem
Material voraus. Dabei kann es sich sowohl um kontaminierte Nahrung, Medizinprodukte
(Blut, Hormonextrakte, Transplantate) und Instrumente (Ansteckung bei chirurgischen
Eingriffen) als auch um eine Mutter-Kind-Übertragung in der Schwangerschaft handeln
(obwohl die Krankheit bei keinem von hunderten Neugeborenen Kuru-kranker Mütter
ausbrach). An Kuru (s. Kap. 24) erkrankten Menschen, die im Rahmen von
Begräbnisritualen das Hirngewebe Verstorbener aßen.

Die neue Variante der CJD wird vermutlich durch kontaminiertes Rindfleisch übertragen.
In beiden Fällen überstehen die Prionen unbeschadet die Verdauung und gelangen dann
über die Darmschleimhaut in Zellen des Lymphsystems. Von dort können sie in
Nervengewebe gelangen und ins ZNS eindringen.

Prionen können sich über Spezies-Schranken


hinwegsetzen
Obwohl sich Prionen-Erkrankungen vor allem innerhalb einer Spezies verbreiten,
können sie auch Spezies-übergreifend wirken (Abb. 7.2). Welche gravierenden Folgen
das hat, zeigt die Übertragung von Prionen BSE-kranker Rinder auf Menschen, die mit
der neuen Variante der CJD in Verbindung gebracht wird. BSE selbst war auf eine
Prion-Übertragung von Schafen (mit Scrapie) auf Rinder zurückzuführen. Anders als die
eigentliche Creutzfeldt-Jakob-Krankheit betrifft die neue Variante der CJD erheblich
jüngere Menschen (ab 14 Jahren), hat also eine viel kürzere Inkubationszeit.

114
Abb. 7.2 Ausbreitung des Scrapie-Erregers zwischen
verschiedenen Spezies.

Fast alle waren auf Labortiere (Nagetiere und Primaten) übertragbar. (* Hier wurde
die Infektion auf Scrapie-verseuchtes Material von Schafen im Futtermittel
zurückgeführt. Die meisten Erreger wiesen Mutationen am Codon 129
(Aminosäurerest) des Prion-Proteins auf; darin sieht man die Ursache für die
Überführung des normalen Proteins in die pathogene Form.)

7.3 Medizinische Schwierigkeiten bei Prionen-


Erkrankungen

Prionen-Erkrankungen sind schwer zu diagnostizieren


Da sich Prionen weder anzüchten lassen noch Immunreaktionen auslösen, gelingt es mit
herkömmlichen Mitteln nicht, die Erkrankung in frühen Stadien zu diagnostizieren.
Meist liefert nur das klinische Erscheinungsbild Hinweise auf die Erkrankung, und
histologisch kann die Diagnose erst post mortem bestätigt werden. Derzeit werden
Labortests zum Nachweis von Prionen in erkranktem Gewebe entwickelt.

Prionen-Erkrankungen sind unheilbar


Bislang gibt es weder eine Behandlung noch Impfstoffe. Es bleibt zu hoffen, dass sich
aus dem derzeitigen Wissen um das Zusammenspiel zwischen PrPSc und PrPc
Möglichkeiten ergeben, in den Krankheitsverlauf einzugreifen (z.B. die PrPSc-Bildung
einzuschränken oder zu destabilisieren).
Zusammenfassung
■ Als ungewöhnliche Infektionserreger verursachen Prionen Erkrankungen, die
durch Hirnveränderungen (spongiforme Enzephalopathie) und motorische Störungen
gekennzeichnet sind.

■ Prionen stammen von Wirts-Glykoproteinen ab und haben kein Genom aus


Nukleinsäure. Gegenüber Desinfektionsverfahren erweisen sie sich als äußerst
resistent.

■ Prionen werden üblicherweise mit infiziertem Gewebe (Aufnahme mit der


Nahrung) übertragen, gelegentlich aber auch durch medizinische Maßnahmen.

115
■ Von Prionen verursacht werden Erkrankungen wie Kuru, Creutzfeldt-Jakob-
Krankheit (CJD), die neue Variante der CJD und BSE (bovine spongiforme
Enzephalitis).

FRAGEN
1 Die Übertragung von Prionen erfolgt nicht durch
a) kontaminierte chirurgische Instrumente
b) kontaminierte Blutprodukte
c) infizierte Nahrung
d) Insektenstich/-biss (Vektor)
e) vertikale Transmission (Mutter-Fetus)?
2 Bei einer Infektion mit Prionen kommt es zu
a) IgM-Antikörper-Reaktionen
b) IgG-Antikörper-Reaktionen
c) Hypersensitivitätsreaktion vom verzögerten Typ
d) fokaler (herdförmiger) Entzündung
e) keiner der genannten Reaktionen?
3 Prionen lassen sich zerstören durch
a) Bedampfen mit Formaldehyd
b) Natriumhydroxid und Natriumhypochlorit
c) Detergenzien
d) Bestrahlung
e) Erhitzen (Kochen)?
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

Collinge, J., Palmer, M.S. et al.: Prion Diseases. Oxford University Press, Oxford
1997.

Hörnlimann, B., Riesner, D., Kretzschmar, H. (ed.). Prionen und Prionkrankheiten. de


Gryuter 2001.

Prusiner, S. (ed.): Prion Biology and Diseases. Cold Spring Harbor Laboratory Press
1999.

116
8 Parasiten-Wirt-Beziehung
8.1 Normalflora 63

8.1.1 Vor- und Nachteile der Normalflora 65

8.2 Symbiotische Verbindungen 66

8.2.1 Kommensalismus 67

8.2.2 Mutualismus (wechselseitige Abhängigkeit) 67

8.2.3 Parasitismus 67

8.3 Merkmale des Parasitismus 68

8.3.1 Vorteile 68

8.3.2 Nachteile 69

8.4 Evolution des Parasitismus 69

8.4.1 Anpassung an Entzündungs- und Immunreaktionen des Wirtes 71

8.4.2 Anpassung des Wirts an Veränderungen der Parasiten 72


Zur Orientierung
In den vorhergehenden Kapiteln lag der Schwerpunkt auf eindeutig als Krankheitserreger
identifizierten Mikroorganismen. Vereinzelt finden sich solche Organismen auch bei
Gesunden, doch wenn sich ihre Zahl vermehrt, kommt es in der Regel zu pathologischen
Veränderungen. Im ersten Teil dieses Kapitels werden Keime behandelt, die nur unter
bestimmten Umständen (z.B. bei Neugeborenen oder bei starker Belastung,
Traumatisierung bzw. geschwächter Immunlage) zu Erkrankungen führen, gewöhnlich
aber friedlich mit ihrem Wirt zusammenleben. Viele von ihnen bilden das, was als
körpereigene Standort- oder Normalflora bezeichnet wird, kommen also regelmäßig bei
Gesunden vor. Diese Beziehung zum Wirt steht im Gegensatz zu der von Organismen, die
als echte Parasiten oder Pathogene anzusehen sind und im zweiten Teil des Kapitels (im
größeren Kontext symbiotischer Beziehungen und der Entwicklung von Wirt-Parasiten-
Beziehungen) erörtert werden.

8.1 Normalflora

Was versteht man unter Normalflora?


Weil überwiegend Bakterien vertreten sind, wird der Begriff „Flora“ verwendet. Der
menschliche Körper verfügt schätzungsweise über 1013 Zellen, und ca. 1014 Bakterien
sind mit diesen assoziiert; der Großteil davon besiedelt den Dickdarm. Auch wenn sich
bei Gesunden außerdem regelmäßig einzelne Viren, Pilze und Protozoen finden, ist
deren Anteil an der Gesamtpopulation der residenten Organismen (Standortflora) nur
verschwindend klein.

117
Keime kommen überall dort vor, wo Körperteile nach außen exponiert sind oder mit der
Umgebung kommunizieren, d.h. auf der Haut, in Mund und Nase, Darm- und
Urogenitaltrakt. Innere Organe und Gewebe im Körperinneren sind normalerweise
keimfrei (steril). Wie sich die wichtigsten Keime auf einzelne Körperbereiche verteilen,
zeigt Abb. 8.1.

Die während und nach der Geburt rasch erworbene


Normalflora verändert sich ständig im Laufe des
Lebens
In den Keimen, die zu einem gegebenen Zeitpunkt im Körper vorhanden sind, spiegeln
sich Alter, Ernährung und Umwelt des Einzelnen wider. Da sie zum großen Teil von
äußeren Umgebungsfaktoren bestimmt wird, lässt sich kaum näher definieren, was
genau unter Normalflora zu verstehen ist. Das veranschaulichen Befunde bei NASA-
Astronauten recht gut: Nach einer Antibiotikatherapie waren sie relativ keimarm zu
ihrem Raumflug gestartet. Doch ihre Flora brauchte nach der Landung nur sechs
Wochen, um sich wieder zu erholen, und die beteiligten Spezies waren genau dieselben
wie die in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft.

Kinder in Entwicklungsländern haben eine völlig andere Darmflora als Kinder in


industrialisierten Ländern. Auch weisen Kinder, die gestillt werden, Milchsäure-
produzierende Streptokokken und Laktobakterien im Darmtrakt auf, Flaschenkinder
dagegen besitzen ein viel größeres Keimspektrum.

Unterschiedliche Flora an unterschiedlichen


Hautbereichen
An exponierten trockenen Hautstellen finden sich nur wenige ortsständige (residente)
Keime. Dichter besiedelt sind dagegen feuchte Bereiche (z.B. Achseln, Perineum,
Zwischenräume der Zehen, behaarte Kopfhaut). Zu den häufigsten Spezies (bis zu 90%
der Aerobier) gehört Staphylococcus epidermidis mit einer Dichte von 103–104/cm2; an
feuchteren Stellen kann auch Staphylococcus aureus vorkommen.

In Haarfollikeln, Schweiß- und Talgdrüsen unter der Hautoberfläche treten anaerobe


Gram-positive Stäbchen auf; bekannt ist z.B. Propionibacterium acnes. Der mit Akne
assoziierte Keim kommt bei Hautveränderungen in der Pubertät oft in erhöhter Zahl vor.

118
Abb. 8.1 Keime der Normalflora und ihre Verteilung
auf einzelne Körperbereiche.

(*Darmkeime: Abb. 8.2)

Behaarte Kopfhaut und Nagelränder können von einer Reihe Pilzen, darunter z.B.
Candida, befallen sein. Pilzinfektionen betreffen viel seltener trockene Hautstellen als
feuchte Falten (Intertrigo).

119
Nase und Mund können dicht mit Bakterien besiedelt
sein
Bakterien auf der Schleimhaut von Mund und Nase sind meist Anaerobier. Hier haben
sich am häufigsten Streptokokken, Staphylokokken, coryneforme Bakterien und Gram-
negative Kokken angesiedelt. Einige der bei Gesunden vertretenen Aerobier sind
potentiell pathogen (z.B. S. aureus, Streptococcus pneumoniae, Streptococcus pyogenes,
Neisseria meningitidis), genauso wie Candida spp.

Die Mundschleimhaut kann eine ähnlich hohe Keimdichte wie der Dickdarm aufweisen
(bis zu 1011 pro Gramm Feuchtgewicht).

In den Industrieländern ist Zahnkaries eine der


häufigsten Infektionen
Die in großer Zahl auf Zahnoberflächen und in Zahnfleischtaschen versammelten
anaeroben Bakterien scheiden eine Polysaccharid-Grundsubstanz aus. Sie überzieht die
Zähne als Plaquefilm, in dem sich die Bakterien verankern. Werden die Zähne nicht
regelmäßig geputzt, häuft sich sehr schnell mehr Plaque an. Unter der Einwirkung
bestimmter fermentierender Bakterien (vor allem Streptococcus mutans) entsteht aus
den Kohlenhydraten eine Säure, die den Zahnschmelz angreifen und damit Karies
auslösen kann. Die Prävalenz der Karies steht mit der Ernährung in Verbindung.

Normalflora des Pharynx und der Trachea


In Pharynx und Trachea umfasst die Flora neben α- und β-hämolysierenden
Streptokokken eine Anzahl von Anaerobiern, Staphylokokken (inkl. S. aureus),
Neisserien und coryneformen Bakterien. Obwohl regelmäßig Keime mit der Atemluft
aufgenommen werden, sind die tieferen Atemwege normalerweise steril. Allerdings
kann ein nicht unbedeutender Teil der Bevölkerung asymptomatischer Träger von
Pneumocystis jiroveci (früher Pneumocystis carinii) in der Lunge sein.

Im Verdauungstrakt erhöht sich die Keimdichte von


oben nach unten
Da der saure pH-Wert im Magen einen wirksamen Schutz vor der Besiedlung mit
Bakterien (Barrierefunktion) gewährt, finden sich im Mageninhalt nur zeitweilig Keime.
Die Magenschleimhaut kann jedoch mit säuretoleranten Laktobakterien und
Streptokokken besiedelt sein. Auch der Dünndarm ist im oberen Abschnitt mit 104
Keimen/g Gewebe recht dünn besiedelt. Im Ileum steigt die Bakterienpopulation
deutlich an, und neben Streptokokken und Laktobakterien können auch
Enterobacteriaceae und Bacteroides-Spezies vorhanden sein. Mit schätzungsweise
1011/g ist die Bakteriendichte im Dickdarm sehr hoch, die Flora ist außerdem sehr
vielfältig (Abb. 8.2). Zu 95–99% handelt es sich um Anaerobier, im Stuhl vor allem um
Bacteroides-Spezies. Einige harmlose Protozoen (z.B. Entamoeba coli), die es im Darm
gibt, rechnet man ebenfalls zur normalen Darmflora.

120
Abb. 8.2 Die Normalflora im Verdauungstrakt des
Menschen.

Verteilung (von oben nach unten), Häufigkeit und Bakteriendichte

121
Im Vergleich zur schwach besiedelten Urethra (bei
Männern und Frauen) bieten sich in der Vagina gute
Wachstumsbedingungen für Bakterien und Pilze
Die Urethra ist eher dünn besiedelt, auch wenn bei beiden Geschlechtern S. epidermidis,
Enterococcus faecalis und coryneforme Bakterien vorkommen können. In der vaginalen
Flora treten altersabhängige Veränderungen der Zusammensetzung auf:

■ Vor der Pubertät überwiegen Streptokokken, coryneforme Bakterien und


Escherichia coli.

■ Nach der Pubertät steht Lactobacillus acidophilus im Vordergrund, der durch


Glykogen-Fermentierung den pH-Wert im sauren Bereich hält und so ein
Überwuchern anderer Keime verhindert.

Bei einem Anstieg des vaginalen pH-Werts kann es zu einer Überwucherung mit
verschiedenen Pilzarten (darunter auch Candida) kommen, die nicht mehr richtig von
Bakterien in Schach gehalten werden können. Das Protozoon Trichomonas vaginalis
kann auch bei gesunden Frauen vereinzelt vorhanden sein.

8.1.1 Vor- und Nachteile der Normalflora

Manche Spezies der Normalflora sind ausgesprochen


nützlich
Ihr hoher Stellenwert für die Gesundheit des Wirts zeigt sich oft sehr eindrucksvoll,
wenn ihre Zahl unter einer strengen Antibiotikatherapie dramatisch abgenommen hat.
In dem Fall kann die Wirtsabwehr leicht von eindringenden Krankheitserregern
überrannt werden oder Keime, die sonst nur in geringer Zahl vorkommen, nehmen
überhand. Nach einer Behandlung mit Clindamycin kann es z.B. zur Überwucherung
mit Clostridium difficile kommen, da der Erreger die Antibiotikatherapie überleben
kann. Folge können eine Antibiotika-assoziierte Diarrhoe oder in schweren Fällen eine
pseudomembranöse Kolitis sein.

Die Normalflora verhindert auf unterschiedliche Weise eine Besiedlung des Körpers
mit potenziellen Krankheitserregern:

■ Von Hautbakterien produzierte Fettsäuren verhindern das Eindringen anderer


Keime.

■ Darmbakterien halten durch die Produktion antibakterieller Wirkstoffe


(Bakteriocin, Colicin) oder Stoffwechsel(end)produkte andere Spezies davon ab,
sich zu etablieren.

■ In der Vagina unterdrücken Laktobazillen das Wachstum anderer


Mikroorganismen, indem sie ein saures Milieu aufrechterhalten.

■ Allein schon wegen ihrer zahlenmäßigen Übermacht können Bakterien der


Normalflora alle verfügbaren ökologischen Nischen im menschlichen Darmtrakt
besetzen und andere Spezies verdrängen.

122
Mit organischen Säuren, die sie freisetzen, unterstützen Darmbakterien den
Stoffwechsel ihres Wirts. Darüber hinaus produzieren sie in so ausreichender Menge
Vitamin B und K, so dass eventuelle Ernährungsmängel ausgeglichen werden können.
Zudem trägt die antigene Stimulation durch die Darmflora mit dazu bei, dass sich das
Immunsystem normal entwickelt.

Wenn die Normalflora fehlt


Keimfrei gezüchtete Tiere leben tendenziell länger und ohne Karies, weil
entsprechende Krankheitserreger ganz fehlen (s. Kap. 18). Dass aber ihr Immunsystem
weniger gut entwickelt ist, erhöht ihre Anfälligkeit für Pathogene, die von außen
eindringen. Menschen werden keimfrei geboren, erwerben jedoch während und gleich
nach der Geburt eine Normalflora, gleichzeitig setzt eine intensive immunologische
Aktivität ein.

Von Nachteil ist, dass Keime der Normalflora in


normalerweise sterile Körperbereiche gelangen
können
Das geschieht z.B. bei:

■ Darmperforation oder Haut(ein)rissen

■ Zahnextraktion (wenn vergrünende Streptokokken ins Blut gelangen)

■ aszendierender Harnwegsinfektion (wenn Hautkeime aus dem Perianalbereich


in der Urethra aufsteigen).

Keime der Normalflora gehören zu den wichtigsten Auslösern einer nosokomialen


(im Krankenhaus erworbenen) Infektion bei Patienten, die sich einem invasiven
Eingriff unterziehen müssen. Gefährdet sind auch Brandverletzte.

Zu einer Überwucherung potenzieller Krankheitskeime kann es nicht nur kommen,


wenn sich (z. B. aufgrund einer Antibiotikatherapie) die Zusammensetzung der
Normalflora verändert, sondern auch bei

■ lokalen Milieuveränderungen (z.B. pH-Wert-Erhöhung in Magen oder Vagina)

■ Immunschwäche (z.B. AIDS, klinisch induzierte Immunsuppression).

Das bietet potenziell pathogenen Keimen eine günstige Gelegenheit, sich zu


vermehren oder ins Gewebe einzudringen und sich damit schädlich für den Wirt
auszuwirken. Eine Zusammenstellung von Krankheiten, die mit solchen
opportunistischen Infektionen einhergehen, findet sich in Kap. 30.

8.2 Symbiotische Verbindungen


Alle tierischen Lebewesen dienen anderen Eindringlingen als Lebensraum – und zwar
ausnahmslos. Selbst Protozoen besitzen noch eine eigene Fauna und Flora. Zahl und
Vielfalt der besiedelbaren Lebensräume verbesserten sich, als die Körper im Zuge der

123
Evolution immer größer, komplexer und besser gesteuert wurden. Mit ihrer komplexen
Bauweise bieten Vögel und Säugetiere (einschließlich des Menschen) eine so
abwechslungsreiche Umgebung, dass sie am stärksten besiedelt sind.

Wie das Beispiel der Normalflora zeigt, müssen Beziehungen zwischen Wirt und
Mikroorganismus nicht zwangsläufig zur Erkrankung führen. Vielmehr hängt es von
mehreren Einflussfaktoren ab, ob sich Keime in einer solchen Verbindung und der
gegebenen Situation als harmlos oder pathogen erweisen. Um die mikrobiologischen
Grundlagen von Infektionskrankheiten besser zu verstehen, sollten potenziell pathogene
Keime auch im Zusammenhang mit symbiotischen Verbindungen (wie Kommensalismus
oder Mutualismus) zwischen Spezies gesehen werden, die sich normalerweise weder
schädlich noch nachteilig auswirken.

Kommensalismus, Mutualismus und Parasitismus als


verschiedene Kategorien von Symbiose
„Symbiose“ (wörtlich: zusammenleben) ist der Oberbegriff für sämtliche Verbindungen,
bei denen eine Spezies in oder auf dem Körper einer anderen lebt. Symbiose bezieht
sich auf ganz verschiedenartige Verbindungen, ohne sie als schädlich oder nützlich zu
bewerten. Jeder Versuch, solche Verbindungen genauer zu kategorisieren, scheitert
daran, dass alle wiederum Teile anderer Assoziationen darstellen (Abb. 8.3).

124
Abb. 8.3 Formen symbiotischer Verbindungen.

Die meisten Spezies sind eigenständig oder nur vorübergehend auf andere
angewiesen, um ihren Nahrungsbedarf zu decken (z.B. Raubtiere und Beutetiere).
Bei engeren Verbindungen, sog. Symbiosen, lassen sich drei Hauptkategorien
(Kommensalismus, Parasitismus und Mutualismus) unterscheiden, die sich teilweise
überschneiden und nicht strikt voneinander abzugrenzen sind.

Aufgrund des jeweiligen Vorteils, den einer oder beide Partner aus ihrer Symbiose
ziehen, lassen sich grob drei Hauptkategorien definieren – Kommensalismus,
Mutualismus und Parasitismus. Keine beschränkt sich auf eine einzelne taxonomische
Gruppe. Je nach ihren Lebensbedingungen könnten manche Organismen sogar allen drei
Kategorien zugeordnet werden (Abb. 8.4).

8.2.1 Kommensalismus

Definition: eine Spezies nutzt den Körper einer


größeren Spezies
Im einfachsten Fall besteht eine kommensalen Verbindung darin, dass eine Spezies im
Körper einer größeren Spezies ihre physikalische Umgebung und Nährstoffe findet.

125
Wie bei allen Tieren sind Haut, Mundbereich und Verdauungstrakt des Menschen

reichlich mit einer kommensalen Flora besiedelt. In der Mehrzahl sind es Bakterien
mit einer zum Teil sehr spezifischen Wirtsbeziehung (durch besondere
Adhärenzfaktoren und Milieuanforderungen). Wenn sich die Umgebungsbedingungen
ändern, können auch solche normalerweise harmlosen Mikroorganismen schädlich für
den Wirt werden (z.B. Bacteroides spp., E. coli, S. aureus). Umgekehrt helfen
Kommensalen ihrem Wirt, weil sie:
Abb. 8.4 Beispiele für Kommensalismus,
Parasitismus und Mutualismus.

Die ersten beiden Beispiele zeigen, wie schwer sich Organismen als absolut
harmlos, schädlich oder nützlich einstufen lassen.

126
■ eine Besiedlung mit pathogenen Bakterienspezies verhindern –
Kolonisationsresistenz (z.B. die Darmflora) bzw.

■ nützliche Metaboliten produzieren (z.B. Bakterien und Protozoen im


Wiederkäuermagen).

Vereinbarungsgemäß wird eine „normale“ symbiotische Beziehung als


Kommensalismus definiert, kann aber in Mutualismus oder Parasitismus abgleiten.

8.2.2 Mutualismus (wechselseitige Abhängigkeit)

Definition: für beide beteiligten Organismen nützliche


Verbindung
Häufig ist die Beziehung wenigstens für einen, wenn nicht für beide Beteiligte eine
obligate symbiotische Verbindung. Ein gutes Beispiel sind Bakterien und Protozoen
im Magen von Wiederkäuern. Im Gegenzug für die wichtige Rolle, die sie bei der
Zelluloseverdauung/-verwertung spielen, erhalten sie von den Haustieren die für ihr
Überleben notwendige Umgebung und Nährstoffe. Eine klare Grenzlinie zwischen
Kommensalismus und Mutualismus lässt sich schwer ziehen. Auch bei Menschen
können Gesundheit und Widerstandsfähigkeit gegen Krankheitskeime von einer
intakten Darmflora abhängen. Viele dieser kommensalen Darmbakterien können sich
spezifisch auf ein Leben im menschlichen Darm eingestellt haben, doch streng
genommen besteht hier keine unbedingte wechselseitige Abhängigkeit.

8.2.3 Parasitismus

Definition: von dieser einseitigen Symbiose profitiert


nur der Parasit
Obwohl man meinen könnte, als Parasiten würden nur Protozoen und Würmer
bezeichnet, verhalten sich alle pathogenen Keime wie Parasiten. Parasitismus steht für
eine einseitige Beziehung, aus der nur Parasiten ihren Vorteil ziehen. Der Wirt bietet
ihnen eine chemisch-physikalisch geeignete Umgebung, deckt ihren Bedarf an
Ernährung, Atmung und Stoffwechsel und liefert sogar noch die Steuersignale für ihre
weitere Entwicklung.

Parasiten zwangsläufig für schädlich zu halten ist eine Sichtweise, die stark von der
Klinik in der Human- bzw. Veterinärmedizin und den Ergebnissen von
Laborversuchen gefärbt ist. In Wirklichkeit unterhalten Parasiten oft völlig
unschädliche Beziehungen zu ihren natürlichen Wirten und entwickeln sich unter
normalen Umständen (d.h. bei guter Gesundheit des Wirts) nicht zu Pathogenen. Zum
Beispiel koexistiert das Tollwutvirus friedlich mit wilden Säugetieren und wird erst in
Menschen zum tödlichen Krankheitserreger. Diesen Zustand einer ausbalancierten
Pathogenität erklärt man sich als Folge eines länger einwirkenden Selektionsdrucks.
Darin könnte sich z.B. widerspiegeln, dass in der Wirtspopulation eine Selektion
hinsichtlich einer genetisch determinierten erhöhten Resistenz und bei den Parasiten
hinsichtlich einer verringerten Pathogenität stattgefunden hat (wie es z.B. bei der
Kaninchen-Myxomatose der Fall war). Alternativ könnte es sich um eine evolutionäre

127
Regel handeln, nach der eine unausgeglichene (unbalancierte) Pathogenität lediglich
bei Etablierung eines Mikroorganismus in einem unnatürlichen (bzw. fremden)
Wirtsorganismus auftritt.

Parasitismus lässt sich also auch nicht klarer als die beiden anderen Symbiose-
Kategorien definieren, es sei denn in Verbindung mit eindeutigen oder
hochpathogenen Erregern. Unter einem breiteren Blickwinkel ist die Auffassung,
Parasiten seien notwendigerweise schädlich, nicht beizubehalten. Die Gründe werden
unten genauer erläutert.

8.3 Merkmale des Parasitismus

Viele verschiedenen Gruppen von Organismen


können Parasiten sein und alle Tiere sind von Parasiten
besiedelt
Eine parasitäre Lebensform haben sich verschiedene Gruppen von Organismen
angeeignet. Manche Gruppen, wie die Viren, leben ausschließlich als Parasiten (s.
unten), doch bei den meisten Gruppen gibt es neben parasitären auch frei lebende
Vertreter. Parasiten kommen bei allen Tieren, den einfachsten wie den höher
entwickelten, vor. Bei organisierten Tierverbänden sind sie sogar unvermeidliche
Begleiterscheinung. Parasiten waren offensichtlich eine evolutionärer Erfolg; demnach
muss diese Lebensform beachtliche Vorteile mit sich bringen.

8.3.1 Vorteile

Für Stoffwechsel, Ernährung und Reproduktion der


Parasiten erweist sich die Beziehung als Vorteil
Der offensichtlichste Vorzug des Parasitismus ist metabolischer Art. Da Parasiten ihre
unterschiedlichen Stoffwechselanforderungen vom Wirt erfüllt bekommen, ohne
eigene Energie aufzuwenden, können sie den größten Teil ihrer eigenen Ressourcen
der Vermehrung (Replikation oder Reproduktion) widmen. Trotz aller Einseitigkeit ist
die Abhängigkeit in und zwischen einzelnen Gruppen jedoch verschieden stark
ausgeprägt: Während manche Parasiten metabolisch völlig auf ihren Wirt angewiesen
sind, sind es andere nur teilweise.

Viren sind für all ihre metabolischen Bedürfnisse


vollkommen abhängig vom Wirt
Viren stellen als obligate Parasiten ein Extrem der Parasitenabhängigkeit dar. Denn
sie besitzen zwar die genetische Information zur Produktion neuer Viren, nicht aber
den Zellapparat, der zur Transkription bzw. Translation dieser Information, für das
Zusammensetzen neuer Viruspartikel oder zur Erzeugung von Energie für diese
Prozesse nötig wäre. Vom Wirt bekommen Viren nicht nur die Grundbausteine für
neue Viren, sondern auch dessen Syntheseapparat und die erforderliche Energie zur
Verfügung gestellt (Abb. 8.5).

128
Bei Retroviren geht die Abhängigkeit noch einen Schritt weiter, indem sie ihre eigene
genetische Information in die Wirts-DNA einfügen, um selbst noch den
Transkriptionsprozess vom Wirt zu nutzen. Viren verkörpern somit die ultimative
parasitäre Form, und das unterscheidet ihre Wirtsbeziehung qualitativ von der aller
anderen Parasiten.

Den fundamentalen Unterschied zwischen Viren und anderen Parasiten erklärt ihre
vom zellulären Aufbau der Pro- und Eukaryonten abweichende Struktur. Nicht-virale
Parasiten haben neben einem eigenen Gen- und Zellapparat noch Multienzymsysteme,
die ihren Stoffwechsel unabhängig machen und sie zur Synthese von
Makromolekülen befähigen. Inwieweit sie zur Deckung ihres Nährstoffbedarfs auf den
Wirt angewiesen sind, schwankt für einzelne Gruppen beträchtlich, ohne ein
erkennbares festes Muster. Es lässt sich auch nicht folgern, dass kleinere Parasiten
stärker abhängig wären als größere; immerhin müssen Bandwürmer, die zu den
größten Parasiten zählen, ihren Nahrungsbedarf komplett über Verdauungsvorgänge
ihres Wirts decken.

Natürlich zehren alle Parasiten von ihrem Wirt, doch während sich einige nur
Makromoleküle vom Wirt (Proteine, Polysaccharide) holen, die sie mit eigenen
Enzymsystemen verdauen, sind andere Parasiten auch auf die Verdauung ihres Wirts
angewiesen, weil sie nur niedermolekulare Stoffe (Aminosäuren, Monosaccharide)
aufnehmen können. Die Abhängigkeit vom Wirt kann so weit gehen, dass manchen
Parasiten Wachstumsfaktoren bereitgestellt werden, die sie nicht selbst synthetisieren
können. Um sich mit Sauerstoff zu versorgen, verlassen sich Endoparasiten auf das
Atmungs- und Transportsystem des Wirts, obwohl sie zum Teil fakultativ oder obligat
anaerob sind.

129
Die Parasitenentwicklung kann vom Wirt kontrolliert
werden
Um den Vorzug der parasitären Lebensform auch reproduktiv auszunutzen, ist es
wichtig für Parasiten, ihre Entwicklung auf die Verfügbarkeit eines geeigneten Wirts
abzustimmen. Tatsächlich haben sie typischerweise die Fähigkeit verloren, ihre eigene
Entwicklung in Gang zu bringen oder zu steuern, und müssen sich deshalb teilweise
oder ganz vom Wirt kontrolliert entwickeln. In einfachster Form beschränkt sich die
Kontrolle des Wirts darauf, die zur Bindung bzw. Aufnahme von Parasiten in Zellen
erforderlichen Oberflächenmoleküle bereitzustellen. Viele Parasiten (Viren bis
Protozoen) dringen erst, nachdem sie die Moleküle erkannt haben, in Wirtszellen ein
und nehmen diese Signale als Trigger auf, um mit ihrem Replikations- oder
Reproduktionszyklus zu beginnen.

Andere Parasiten, in erster Linie Eukaryonten, brauchen noch stärkere und verfeinerte
Signale, oft auch Signalkomplexe, zur Initiierung und Steuerung ihres
Entwicklungszyklus. Ein determinierender Faktor für spezifische Wirt-Parasit-
Beziehungen ist die Komplexität der Signale. Kann ein bestimmtes Signal für die
Parasitenentwicklung nur von einer Wirtsspezies gegeben werden, ist die
Wirtsspezifität besonders hoch. Wenn das erforderliche Signal von mehreren Spezies
ausgehen kann, ist die Wirtsspezifität dagegen niedriger.
Abb. 8.5 Wie DNA- und RNA-Viren in Zellen
eindringen und diese infizieren.

a) DNA-Viren (z.B. Herpesviren) besitzen ihre eigene DNA, benutzen den


Zellapparat des Wirts nur, um noch mehr DNA, Virus- und Glykoproteine zu
bilden, die dann – zu neuen Viruspartikeln zusammengefügt – aus der Zelle
freigesetzt werden.

b) RNA-Retroviren (z.B. HIV) müssen zunächst mit reverser Transkriptase Virus-


DNA herstellen und ins genetische Material des Wirts inserieren, damit virale
RNA transkribiert werden kann. Ein Teil der RNA wird in Virusprotein übersetzt.

130
Virusprotein und Virus-RNA werden dann zu neuen Partikeln zusammengefügt
und freigesetzt.

8.3.2 Nachteile
Der offensichtlichste Nachteil für Parasiten ergibt sich aus der Tatsache, dass der Wirt
ihre Entwicklung kontrolliert. Keine Entwicklung ohne geeigneten Wirt heißt auch,
dass viele Parasiten absterben, wenn sie den passenden Wirt nicht finden. Damit sie
draußen länger überleben können und die Chancen für erfolgreiche Wirtskontakte
steigen, haben Parasiten ein paar Anpassungen vorgenommen: Formen wie
Viruspartikel, Endosporen (Bakterien), Zysten (Protozoen) und Wurmeier. Demselben
Zweck dient die Produktion zahlreicher Nachkommen. Letztlich erschöpfen sich die
Überlebenskräfte der Parasiten aber doch, falls ihre Suche nach einem Wirt fortwährend
scheitert. Die Anpassung an Wirtssignale erfolgt daher zu Lasten der Reproduktion (d.h.
Verlust vieler potenzieller Parasiten).

8.4 Evolution des Parasitismus


Da so viele Organismen parasitär leben und jede Tiergruppe befallen sein kann, müssen
sich Parasiten schon in einer sehr frühen Phase der Evolution und in relativ kurzen
Abständen als Lebensform herausgebildet haben. Wie es dazu kam, ist noch nicht ganz
geklärt, und die Entwicklung könnte auch in den einzelnen Gruppen ganz unterschiedlich
verlaufen sein. In den meisten Fällen dürfte der Parasitismus aus zufälligen Kontakten
zwischen Organismen und Wirten entstanden sein. Vielleicht haben einige durch solche
Kontakte länger überlebt und sich aufgrund der günstigen Nahrungsbedingungen stärker
vermehrt (repliziert), was für den betreffenden Organismus einen selektiven
Umgebungsvorteil mit sich brachte.

Bakterien entwickelten sich durch zufällige


Wirtskontakte zu Parasiten
Im Fall parasitärer Bakterien lässt sich leicht nachvollziehen, wie es in einer
bakterienreichen Umgebung durch zufällige Kontakte mit frei lebenden Exemplaren
(Wildtypen) zur erfolgreichen Besiedlung des Gastrointestinaltrakts und der äußeren
Körperöffnungen gekommen sein könnte. Zunächst konnten Parasiten fakultativ inner-
wie außerhalb des Wirtsorganismus überleben (eine Fähigkeit, die vielen pathogenen
Bakterien, z.B. Legionellen oder Vibrio, erhalten blieb), während ein stärkerer
Selektionsdruck andere Keime gleich gezwungen haben könnte, obligate Parasiten zu
werden. Solche Vorgänge sind natürlich rein spekulativ, doch gestützt wird die These
durch die enge Beziehung, die Darmbakterien wie E. coli zu frei lebenden, zur
Photosynthese befähigten Purpurbakterien unterhalten.

Viele Bakterien und ähnliche Parasiten von Menschen und Säugetieren sind
ursprünglich durch zufällige Kontakte entstanden. Andere, die zuvor andere Spezies
besiedelten, mussten sich umstellen und sich an andere Wirte anpassen. Ein gutes
Beispiel ist die Übertragung von Parasiten durch blutsaugende Arthropoden, deren
Parasiten auf diese Weise leicht Zugang zum Gewebe anderer Tiere bekommen.

131
Viele Bakterien entwickelten sich zu Parasiten, die in
Wirtszellen leben
Bevor sie durch zufällige Kontakte zu Parasiten wurden, mussten Bakterien außerhalb
der Wirtszellen auf die Vorzüge verzichten, die sich im Zellinneren boten. Die
Entwicklung zur intrazellulären Form könnte einfach mit der passiven Aufnahme
durch Phagozyten begonnen haben. Das setzte zwar weitere Modifikationen voraus,
doch ihr Überleben in Wirtszellen hing davon ab, dass die Bakterien mithilfe bestimmter
Oberflächenmerkmale oder Stoffwechseleigenschaften eine Verdauung bzw. Zerstörung
durch die Wirtszellen verhindern konnten. Wie erfolgreich die intrazelluläre Lebensform
gewesen sein muss, lässt sich nicht nur an der großen Zahl der Bakterien, die sie
übernahmen, sondern auch an der weit reichenden biologischen Anpassung mancher
Bakterien an ihre Wirtszellen bemessen. Am Ende entstanden vielleicht auch die
Mitochondrien der Eukaryonten durch eine derartige Integration; viele sehen darin ein
Produkt heterotropher, symbiotischer Purpurbakterien (Abb. 8.6).
Abb. 8.6 Entwicklung von Mitochondrien.

Es spricht einiges dafür, dass die Mitochondrien entwicklungsgeschichtlich junger


eukaryonter Zellen von Bakterien abstammen, die symbiotische Beziehungen
(Mutualismus) zu älteren Vorläuferzellen unterhielten.

Die Evolution der Viren ist unklar


Bei evolutionsgeschichtlich zweifellos sehr alten Organismen wie den Bakterien, deren
Spuren sich anhand von Fossilien drei bis fünf Milliarden Jahre zurückverfolgen lassen,

132
besteht eindeutig eine Verbindung zwischen parasitären Formen und der Entwicklung
höherer Lebewesen (als potenziellen Wirten). Ob das auch für die Viren zutrifft, ist
fraglich; es kommt darauf ab, ob man Viren als primär oder sekundär einfache
Strukturen ansieht.

Haben sich Viren aus zellulären Vorstufen entwickelt (also erst nachträglich/sekundär
vereinfacht), sind sie erst lange nach den Pro- und Eukaryonten zu Parasiten geworden.
Möglicherweise sind Viren als primitive, nichtzelluläre Strukturen aber bereits sehr früh
mit der Entwicklung zellulären Lebens parasitär geworden – etwa weil veränderte
Umweltbedingungen ab einem bestimmten Zeitpunkt keine unabhängige Existenz mehr
zuließen. Als Drittes könnten Viren nie etwas anderes als nukleäre Fragmente
(Bruchstücke vom Zellkern anderer Organismen) – und demnach immer rein parasitär –
gewesen sein. Für neuere Viren scheinen in der Tat alle drei Entstehungswege in
Betracht zu kommen.

Eukaryonte Parasiten entwickelten sich über zufällige


Kontakte
Bei eukaryonten Parasiten verlief die Entwicklung wahrscheinlich sehr ähnlich wie bei
Prokaryonten (d.h. über zufällige Kontakte und blutsaugende Arthropoden als
Vektoren). Sowohl bei Protozoen- wie bei Wurmparasiten finden sich Beispiele, die
diese Annahme stützen:

■ Protozoen wie die frei lebenden Amöben Naegleria sp. können eine schwere,
manchmal tödliche verlaufende opportunistische Infektion auslösen, wenn sie in den
Körper eines Menschen eindringen.

■ Nematoden (Rundwürmer) können parasitierend, aber auch frei lebend


vorkommen. Bei Menschen ist Strongyloides stercoralis der wichtigste Vertreter.

■ Trypanosomen (Protozoen, die die Schlafkrankheit verursachen) passten sich


wahrscheinlich erst an blutsaugende Insekten (Fliegen) an, bevor sie Parasiten von
Säugetieren wurden.

133
8.4.1 Anpassung an Entzündungs- und
Immunreaktionen des Wirtes
Parasiten müssen sich an das Leben in anderen Tieren anpassen; es sind ähnliche
Mechanismen wie für die Anpassung an bestimmte Umgebungsbedingungen
erforderlich. Die Umgebung von Parasiten ist nur eine von vielen, an die sich
Organismen im Laufe der Evolution anpassen mussten (vergleichbar dem Leben im
Erdreich, in Süß-oder Salzwasser, in verrottendem Material usw.). Man sollte sich
allerdings immer den Hauptunterschied zwischen parasitären und anderen
Lebensformen klar machen. Die Umgebung, in der Parasiten leben, wie der Körper des
Wirts, verhält sich nicht passiv, sondern kann im Gegenteil sogar sehr aktiv auf
vorhandene Parasiten reagieren.

Dass ihr Körper eine hohe Anziehungskraft als Umgebung für Parasiten ausübt, setzt
Wirtstiere ständig unter Druck (Infektionsgefahr). Dieser Druck verstärkt sich noch,

■ wenn sie eng zusammenleben,

■ in schlechten hygienischen (ungesunden) Verhältnissen,

■ wenn Parasiten unter klimatisch günstigen Bedingungen auch außerhalb


überleben.

Die Infektionsgefahr hatte einen starken


evolutionären Einfluss
Von der Infektionsgefahr ging in der Evolution ein starker Selektionsdruck aus.
Zweifellos war diese Einwirkung zum großen Teil mitverantwortlich für die
ausgeklügelten Entzündungs- und Immunreaktionen, die sich bei Mensch und
Säugetieren entwickelten. Jede Infektion kommt den Wirt teuer zu stehen, denn aus
evolutionärer Sicht zieht sie wertvolle Energiereserven ab, die er zum Überleben und
zu seiner Reproduktion bräuchte. Das erzeugt den Druck, Infektionen mit allen Mitteln
zu überstehen, ob sie Erkrankungen hervorrufen oder nicht.

Diese Vorgänge stellen jedoch nicht die Schwerpunkte der klinischen Mikrobiologie
dar, die sich mit den Auswirkungen von Infektionen im Sinne der Erkrankung
beschäftigt. Diese Erkenntnisse sind jedoch wichtig für das Verständis
mikrobiologisch-infektiologischer Zusammenhänge, weil sie Erklärungen für die
Auseinandersetzung liefern, die sich ständig zwischen Wirt und Parasit abspielt – der
eine möchte die Infektion eindämmen oder Keime zerstören, der andere sich dem
entziehen oder die Wirtsabwehr unterdrücken. Verständlich wird so auch, weshalb
ständig neue Infektionskrankheiten auftauchen oder alte zurückkehren können.

Parasiten sehen sich nicht nur damit konfrontiert, in einer anfänglich neuen Umgebung
zu überleben, sondern auch dann zu überleben, wenn sich die bekannte Umgebung in
einer Weise verändert, die schädlich für sie werden könnte. Entzündungs- und
Immunreaktionen sind für den Wirt die wichtigsten Mittel, um Infektionen bzw.
Erreger in Schach zu halten, die seine natürlichen Schranken überwunden haben und
im Körper überleben können. Diese hervorragenden Abwehrmechanismen hindern
Parasiten, ungestört zu überleben und zwingen sie, eigene Strategien zu entwickeln,

134
um schädliche Umgebungseinflüsse zu parieren. Erfolgreiche Parasiten schaffen es, in
der einen oder anderen Weise mit Wirtsreaktionen fertig zu werden oder ihnen zu
entgehen (Tab. 8.1).

Tab. 8.1 Strategien der Parasiten gegen die Wirtsabwehr


>Anpassungsmechanismen sind in allen Parasitengruppen bekannt und für einige
wichtige humanpathogene Keime auch gut dokumentiert. Tatsächlich sind sie der
eigentliche Grund, weshalb sie so pathogen sind. Trotzdem hängen Übertragung und
Überleben vieler Parasiten davon ab, dass es unter ihren Wirten besonders
infektionsanfällige Individuen (z.B. Kinder) gibt, so dass ständig ein Reservoir
infektiöser Stadien bereitsteht.

135
Veränderungen der Parasiten stellen ihre Wirte vor
neue Probleme
Aus dem oben Gesagten geht hervor, dass es keine statische Beziehung zwischen Wirt
und Parasit geben kann und es daher nicht gerechtfertigt ist, von unveränderlich
pathogenen oder harmlosen Parasiten auszugehen. Eher findet ein Wettbewerb
zwischen den Beteiligten statt, jeder versucht, bei Veränderungen des Kontrahenten
mit eigenen Modifikationen gleichzuziehen. Schon die kleinste Veränderung kann das
Gleichgewicht in der Beziehung komplett verschieben (z.B. in Richtung einer
stärkeren oder schwächeren Pathogenität).

Am besten lässt sich die Situation anhand der dramatischen, explosionsartigen


Zunahme von HIV-Infektionen veranschaulichen. Ursprünglich beschränkte sich die
Virusgruppe auf Primaten, doch nach viralen Veränderungen konnte die HIV-
Infektion auch auf Menschen übergreifen. Bei der Arzneimittelresistenz von
Bakterien und Protozoen (Abb. 8.7) beeinflussen die zugrunde liegenden genetischen
und metabolischen Veränderungen zwar nicht die Pathogenität an sich, fallen jedoch
z.B. bei einer intensiven, hochselektiven Chemotherapie ins Gewicht.
Abb. 8.7 Antibiotikaresistenz von Bakterien.

Einige bakterielle Enzyme, die von Genen auf Plasmiden (zytoplasmatische DNA)
kodiert werden, können die Antibiotikawirkung hemmen oder abschwächen. Da
Plasmide zwischen Bakterienspezies übertragen werden können, erwerben auch
Spezies oder Stämme, die zuvor noch auf ein bestimmtes Antibiotikum
ansprachen, die Fähigkeit, diese Enzyme zu produzieren. Somit geht ihre Resistenz
direkt von resistenten Bakterien auf sie über. Unter einer Antibiotikatherapie findet
eine gezielte Auslese neu resistenter Formen statt, da ausschließlich empfindliche
Keime abgetötet werden.

8.4.2 Anpassung des Wirts an Veränderungen der


Parasiten
Auch durch Veränderungen beim Wirt kann sich das Gleichgewicht in einer Wirt-
Parasit-Beziehung verschieben. Eindrucksvoll ist die starke Auslese resistenter
Genotypen in Kaninchenpopulationen, die dem Myxomatose-Virus ausgesetzt waren;

136
gleichzeitig fand beim Virus selbst eine Selektion nach abnehmender Pathogenität statt
(s. Kap. 12).

Bei Menschen gibt es keine Beispiele, die dem genau entsprechen. Doch im Laufe der
Evolution müssen sich Populationen angesichts lebensbedrohlicher Infektionen
unverzüglich verändert haben, um überleben zu können. Ein gutes Beispiel ist der
Selektionsdruck durch den Erreger der Malaria tropica (Plasmodium falciparum),
welcher für die Persistenz zahlreicher Hämoglobinopathie-Allele (z.B.
Sichelzellhämoglobin, HbSC) verantwortlich ist. Obwohl solche Anomalien in
gewissem Maße schädlich sind, überdaueren sie, weil sie mit einer Resistenz gegen
Malaria verbunden sind. In Gebieten mit besonders schweren Malaria-Infektionen hat
sich die Häufigkeit in Richtung bestimmter HLA-Antigene verschoben.

Soziale und Verhaltensänderungen sowie genetische


Veränderungen sind wichtig für die Beeinflussung von
Wirt-Parasiten-Beziehungen
Durch soziale und Verhaltensänderungen kann sich eine Wirt-Parasit-Beziehung im
positiven wie im negativen Sinne verändern (Tab. 8.2). Nachdem viele bakterielle
Darminfektionen mit der veränderten Lebensweise an Bedeutung verloren, gibt es in
den entwickelten Ländern aktuell andere mikrobiologische Probleme, deren Auftreten
direkt auf soziologische, Umwelt- (ökologische) oder auch medizinische
Veränderungen zurückzuführen ist. Ein besonders gutes Beispiel sind durch Haustiere
ausgelöste Erkrankungen (wie Toxoplasmose), weil sie zeigen, dass manche
Infektionen bei Menschen nur deshalb seltener geworden sind, weil sie keinen
Erregerkontakt mehr hatten, und nicht etwa, weil angeborene Resistenz eine
Infektion verhindert hätte. Kontakte zu infizierten Tieren oder tierischen Produkten
(Zoonosen) stellen eine ständige Bedrohung dar, und manche Infektionen können sich
zu einer echten Gefahr ausweiten, wenn sich das bisherige Muster des Mensch-Tier-
Kontakts verhaltens- oder umweltbedingt verändert.

137
Tab. 8.2 Infektionskrankheiten im sich wandelnden menschlichen
Umfeld

138
Zusammenfassung
■ Außen (Haut) und innen ist der menschliche Körper von zahlreichen nützlichen
Keimen besiedelt (sog. Normalflora). Sie verursachen keine Krankheit und
schützen ihn vor pathogenen Keimen.

■ Die vorwiegend aus Bakterien bestehende Normalflora umfasst auch einzelne


Pilze und Protozoen.

■ In zuvor sterilen (keimfreien) Körperbereichen können auch Keime der


Normalflora Schaden anrichten. Sie können Hauptursache nosokomialer (im
Krankenhaus erworbener) Infektionen sein.

■ Zur Normalflora unterhält der Körper in der Regel eine nützliche symbiotische
Beziehung, während parasitäre Symbiosen schädlich für ihn sind. Im weitesten
Sinne sind alle pathogenen (Mikro-)Organismen parasitär.

■ Grundlegend für das Verständnis und die Bekämpfung von


Infektionskrankheiten sind der biologische Kontext und die Dynamik des
Konflikts zwischen den beteiligten Spezies in Wirt-Parasiten-Beziehungen.

■ Veränderungen in der medizinischen Praxis, im menschlichen Verhalten und


nicht zuletzt bei den Erregern haben zu einem breiteren Keim-
/Krankheitsspektrum geführt.

139
FRAGEN
1 In der Normalflora vertreten sind
a) Candida
b) Streptokokken
c) Staphylokokken
d) Bacteroides
e) alle diese Keime?
2 Bakterien der Normalflora finden sich in besonders großer Zahl
a) im Mund
b) auf der Haut
c) im Dickdarm
d) in der Vagina
e) in der Nase?
3 Auf Parasiten trifft nicht zu, dass
a) der Wirt ihnen ihre Umgebung bietet
b) der Wirt ihren metabolischen Bedarf deckt
c) der Wirt ihre Entwicklung kontrolliert
d) sie immer Krankheiten auslösen
e) sie sich durch Anpassung der Immunabwehr des Wirts entziehen
können?
4 Für das veränderte Infektionsmuster in der modernen Gesellschaft
relevant sind
a) häufiges Reisen
b) vermehrte Haustierhaltung
c) Einsatz von Antibiotika
d) Klimaanlagen
e) alle genannten Gründe?
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

Köhler, W., Eggers, H.J., Fleischer, B., Marre, R., Pfister, H., Pulverer, G. (Hrsg.)
Medizinische Mikrobiologie, 8. Auflage. Urban & Fischer Verlag, München Jena
2001.

Mims, C.A., Nash, A., Stephen, J.: Pathogenesis of Infectious Disease. 5th ed.
Academic Press, New York 2001

140
9 Das angeborene Immunsystem
9.1 Angeborene und erworbene Immunität 77

9.2 Abwehr gegen eindringende Erreger 78

9.3 Abwehr gegen eingedrungene Erreger 78

9.3.1 Phagozyten 78

9.3.2 Phagozytose und Keimabtötung 81

9.3.3 Komplementaktivierung 84

9.3.4 Akute-Phase-Proteine 89

9.3.5 Andere extrazelluläre Faktoren gegen Mikroorganismen 89

9.3.6 Extrazelluläre Abtötung 90


Zur Orientierung
In den vorhergehenden Kapiteln haben wir in Grundzügen einige Eigenschaften der
zahllosen Mikro- und Makroparasiten, die den Körper infizieren können, geschildert. Hier
wechseln wir die Perspektive, um zu sehen, mit welchen Mitteln sich der Körper gegen
Infektionserreger zu wehren versucht.

9.1 Angeborene und erworbene Immunität


Unter Umständen genügt die vorhandene Abwehr, um nach einer Infektion die
Vermehrung und Ausbreitung der Erreger – d.h. eine Erkrankung – zu verhindern. Auf
diese etablierten Abwehrmechanismen bezieht sich der Begriff „angeborenes“
Immunsystem. Falls es nicht gelingt, eingedrungene Keime mit den angeborenen
unspezifischen Immunmechanismen zu parieren, tritt das sog. erworbene Immunsystem
auf den Plan, nur braucht es etwas Zeit, seine volle Wirkung zu entfalten (Abb. 9.1).
Wenn es Wirkung zeigt, kann im Allgemeinen nach Beseitigung des Erregers die
Regeneration einsetzen.

Der Hauptunterschied zum angeborenen Immunsystem ergibt sich durch ein spezifisches
Gedächtnis; d.h., die Erinnerung an eine Infektion prägt sich dem erworbenen
Immunsystem ein, so dass es bei einer erneuten Infektion mit demselben Erreger sehr viel
schneller und effizienter agieren kann. Allerdings bleibt anzumerken, dass beide
Immunsysteme eng (synergistisch) zusammenarbeiten und dass sich durch ständige
Anpassung der erworbenen auch die Wirksamkeit der angeborenen Immunreaktionen
verbessert.

Unterschiede zwischen beiden Immunsystemen zeigt Tab. 9.1. Zum angeborenen


Immunsystem gehören neben löslichen Faktoren wie Lysozym und Komplement auch
„Fresszellen“, während die Antikörperproduktion (von Lymphozyten) und T-Zellen
die wichtigsten Elemente des erworbenen Immunsystems darstellen. Diese
Lymphozyten bewirken nicht nur eine verbesserte Resistenz bei wiederholtem
Erregerkontakt, sondern werden auch mit einem genau für diese Infektion spezifischen

141
Gedächtnis ausgestattet. Nach durchgemachter Maserninfektion bezieht sich also das
Gedächtnis ausschließlich auf das Masernvirus, nicht aber z.B. auf das Rötelnvirus.
Abb. 9.1 Angeborene und erworbene Immunität.

Zunächst treffen Keime auf Elemente des angeborenen Immunsystems. Reicht deren
Abwehr aus, wird eine Erkrankung verhindert (1), falls nicht, kann die Krankheit
ausbrechen (2). Dann wird das erworbene Immunsystem aktiv (3), leitet die Genesung
(4) ein und baut ein spezifisches immunologisches Gedächtnis (5) auf. Weil der
Betreffende immun geworden ist, führt eine Reinfektion mit demselben Erreger
danach in der Regel nicht mehr zur Erkrankung (6).

142
Tab. 9.1 Angeborenes (unspezifisches) und erworbenes
(spezifisches) Immunsystem im Vergleich.

9.2 Abwehr gegen eindringende Erreger

Biochemische und physikalische Barrieren an der


Körperoberfläche
Um in den Körper einzudringen, müssen Erreger erst die biochemischen und
physikalischen Barrieren an der Körperoberfläche überwinden. Eine der wichtigsten
Schutzvorrichtungen ist die Haut, die infektiöse Keime normalerweise nicht durchlässt.
Bei vielen Bakterien wirkt sich der niedrige pH-Wert der Haut (Milch- und Fettsäuren
im Schweiß und Talgdrüsensekret) direkt hemmend aus, so dass sie nicht lange
überleben (Abb. 9.2). An offenen Stellen der Haut, z.B. nach Verbrennung, können
Hautinfektionen jedoch zum Problem werden.

Auch der von inneren Schleimhautflächen abgesonderte Mukus (Schleim) bildet eine
schützende Barriere, weil er die Adhärenz von Bakterien an Epithelzellen und damit ihr
Eindringen in den Körper verhindert. Bakterien und andere Partikel, die sich in dem
klebrigen Schleim fangen, können dann auf mechanischem Wege (Zilienbewegung,
Husten, Niesen) entfernt werden. Einen mechanischen Schutz für oberflächliche
Epithelschichten bieten auch Tränen, Speichel und Urin mit ihrer Spülwirkung. Zudem
enthalten viele Körperflüssigkeiten keimtötende (mikrobizide) Wirkstoffe, z.B. der

143
Magensaft Salzsäure, die Samenflüssigkeit Spermin und Zink, die Brustmilch
Laktoperoxidase und Tränen, Nasensekret oder Speichel Lysozym.
Abb. 9.2 Äußere Abwehr.

Die meisten infektiösen Erreger werden durch biochemische und physikalische


Barrieren daran gehindert, in den Körper einzudringen. Hinzu kommt, dass vom
Körper tolerierte Kommensalen pathogene Keime verdrängen können.

Das Phänomen des mikrobiellen Antagonismus hängt mit der Normalflora des Körpers
zusammen. Das Wachstum pathogener Bakterien und Pilze wird an vielen Stellen der
Körperoberfläche durch kommensale Keime unterdrückt. Dafür gibt es mehrere
Gründe: Da kommensale Keime zuerst da waren und bevorzugt Epithelschichten besetzt
haben, sind sie 1) physisch im Vorteil; 2) konkurrieren sie um essenzielle Nährstoffe
und 3) produzieren sie Hemmstoffe wie Säuren oder Colicine. Letztere sind eine Klasse
von Bakteriocinen, die Bakterien abtöten, indem sie an deren negativ geladene
Oberflächenrezeptoren binden und spannungsabhängige Membrankanäle bilden, die das
Spannungspotenzial der Zellen zerstören.

144
9.3 Abwehr gegen eingedrungene Erreger
Trotz dieser wirksamen Barrieren gelingt es Mikroorganismen, in den Körper
einzudringen. In diesem Fall kommen zwei wichtige Abwehrstrategien ins Spiel:

■ Phagozytose, d.h., spezialisierte Fresszellen („professionelle Phagozyten“) nehmen


eingedrungene Keime auf und töten sie ab.

■ Auflösung/Zerstörung durch chemische Faktoren wie z.B. bakterizide Enzyme.

9.3.1 Phagozyten
Phagozyten bestehen hauptsächlich aus zwei Zellfamilien, die ursprünglich von dem
russischen Zoologen Elie Metchnikoff (s. Kasten) beschrieben wurden, nämlich

■ größere Makrophagen und

■ kleinere polymorphkernige Granulozyten (sie werden auch als Neutrophile


bezeichnet, da sich ihre Granula im Zytoplasma nicht mit Hämatoxylin-Eosin anfärben
lassen)

Vereinfacht lässt sich sagen, dass Polymorphkernige vor allem pyogene (Eiter bildende)
Bakterien abwehren, die Stärke der Makrophagen dagegen in der Bekämpfung von
Erregern innerhalb der Wirtszellen liegt.

Makrophagen sind in allen Geweben verbreitet


Makrophagen stammen von Promonozyten im Knochenmark ab, die sich zu frei im
Blut zirkulierenden Monozyten weiterentwickeln (Abb. 9.3). Zu Makrophagen
herangereift, kommen sie in allen Geweben vor und werden zum mononukleären
Phagozytensystem zusammengefasst (Abb. 9.4). Makrophagen sind besonders im
Bindegewebe und an der Basalmembran kleiner Blutgefäße verbreitet. Höhere
Konzentrationen weisen Lunge (Alveolarmakrophagen), Leber (Kupffer-Zellen) sowie
die Auskleidung der Marksinus von Lymphknoten und Milz auf (Abb. 9.5). An diesen
Stellen sind sie gut platziert, um Fremdstoffe herauszufiltern (Abb. 9.6). Weitere
Beispiele sind Makrophagen in der Mikroglia des ZNS, in Mesangiumzellen der
Nieren, A-Zellen der Synovia und Osteoklasten in Knochen.

145
Abb. 9.3 Phagozyten.

a) Blutmonozyt, b) polymorphkerniger Neutrophiler, die beide von


Vorläuferzellen im Knochenmark abstammen (mit freundlicher Genehmigung von
P.M. Lydyard)
Geschichte der Mikrobiologie
Elie Metchnikoff (1845–1916)

Der scharfsichtige russische Zoologe gilt zu Recht als geistiger Vater des Konzepts
der zellvermittelten Immunität (Abwehr mikrobieller Infektionen durch
spezialisierte Zellen). Fasziniert von beweglichen Zellen in den durchsichtigen
Seestern-Larven, machte Metchnikoff eine entscheidende Beobachtung: Ein
Rosendorn, der in die Larven gestochen wurde, war wenige Stunden später von
diesen beweglichen Zellen umringt. Auf Säugetiere ausdehnt ergaben seine
Untersuchungen, dass Leukozyten Mikroorganismen aufnehmen können. Diesen
Vorgang bezeichnete er als Phagozytose (wörtlich: von Zellen gefressen).

Als sich herausstellte, dass der Vorgang noch effektiver war, wenn sich Tiere gerade
von einer Infektion erholten, folgerte er, Phagozytose sei bei Infektionen das
wichtigste Prinzip der Abwehr. Für Metchnikoff gab es zwei Arten zirkulierender
Phagozyten: Mikrophagen, wie er die polymorphkernigen Leukozyten nannte, und
die größeren Makrophagen.

Die von Metchnikoff vertretene Ansicht, zelluläre Immunität beruhe auf


Phagozytose als der wichtigsten, wenn nicht sogar einzigen Form der
Erregerabwehr, war sicher zu einseitig. Heute wissen wir, dass das phagozytäre
System in seiner Wirkung durch humorale Faktoren (vor allem Antikörper und
Komplement) enorm verstärkt wird.

146
Elie Metchnikoff (1845–1916), Abdruck mit Genehmigung der Wellcome
Institute Library, London
Abb. 9.4 Mononukleäres Phagozytensystem.

Gewebsmakrophagen entwickeln sich aus Blutmonozyten, die im Knochenmark


gebildet werden (gleiche Nummerierung wie in Abb. 9.5)

147
Abb. 9.5 Zelluläre Verteilung mononukleärer
Phagozyten.

Abb. 9.6 Ablagerung intravenös injizierter Partikel


im mononukleären Phagozytensystem.

Rechts eine Maus, die fünf Minuten nach der Injektion feiner Kohlenstaubpartikel
getötet wurde. Der Kohlenstaub hat sich in Organen angereichert, die besonders
viele mononukleäre Phagozyten aufweisen: Lunge (L), Leber (V), Milz (S) und
Bezirke der Darmwand (G). Links eine Maus mit normalen Organfarben (mit
freundlicher Genehmigung von P.M. Lydyard).

148
Im Allgemeinen handelt es sich um langlebige Zellen, die ihre (Stoffwechsel-)Energie
aus Mitochondrien beziehen. Neben Bestandteilen des rauen endoplasmatischen
Retikulums (Abb. 9.7) weisen sie ein ganzes Arsenal sekretorischer Proteine auf, die
von den jeweiligen Zellen gebildet werden.

Polymorphkernige weisen unterschiedliche


enzymhaltige Granula auf
Auch die Polymorphkernigen teilen sich – als dominierende weiße Blutzellen – wie
die Makrophagen eine gemeinsame hämatopoetische Vorläuferzelle mit anderen
festen Blutbestandteilen. Da sie keine Mitochondrien besitzen, decken sie ihren
Energiebedarf aus den reichhaltigen Glykogenspeichern im Zytoplasma. Dank
Glykolyse können sie ihre Funktion auch unter anaeroben Bedingungen (wie sie in
Entzündungsherden vorherrschen) aufrechterhalten. Polymorphkernige sind
kurzlebige Zellen mit segmentiertem Kern, die sich nicht teilen (Abb. 9.8); typisch für
sie ist die üppige Granulaausstattung des Zytoplasmas, z.B. (in absteigender
Reihenfolge) mit:

■ azurophilen Granula (enthalten Myeloperoxidase, bestimmte Lysozyme und


kationische Proteine),

■ spezifischen Granula (mit Laktoferrin und Lysozym),

■ konventionellen Granula (mit sauren Hydrolasen wie für Lysosomen typisch).

9.3.2 Phagozytose und Keimabtötung

Phagozyten erkennen pathogen-assoziierte


molekulare Muster
Um Mikroorganismen aufnehmen und verdauen zu können, müssen sie zunächst an
Oberflächenrezeptoren der professionellen Phagozyten andocken. Das setzt voraus,
dass ein bestimmtes, sich wiederholendes molekulares Muster der Keime (pathogen-
associated molecular pattern, PAMP) von den Rezeptoren erkannt wird (Abb. 9.9).
Mit anderen Worten: Phagozyten-Rezeptoren binden sich an wiederkehrende
Kohlenhydratmotive in PAMP, z.B. an die Lipopolysaccharide Gram-negativer
Bakterien, Mannane in der Zellwand von Hefepilzen oder an Glykolipide der
Mykobakterien. Beispiele intrazellulärer PAMPs sind die nichtmethylierten Guanosin-
Cytosin(CpG)-Sequenzen in der Bakterien-DNA und die doppelsträngige RNA von
RNA-Viren.

149
Abb. 9.7 Monozyt mit „Hufeisenkern“ (N), 8000 x
vergr.

Erkennbar sind Phagozytose- bzw. Pinozytose-Vesikel (P), lysosomale Granula


(L), Mitochondrien (M) und vereinzelt Spuren von rauem endoplasmatischem
Retikulum (E). (Abdruck mit Genehmigung von B. Nichols, Copyright
Rockefeller University Press)
Abb. 9.8 Neutrophiler Granulozyt.

Gut erkennbar sind Segmentierung (Lappen) des Kerns und Granula im


Zytoplasma (mit freundlicher Genehmigung von D. McLaren).
Abb. 9.9 Phagozytose.

150
a) Wenn sie pathogenassoziierte molekulare Muster (PAMP) wie z.B.
Lipopolysaccharide erkannt haben, docken Phagozyten mit ihren
Oberflächenrezeptoren an Mikroorganismen an (blau im Bild).

b) Mit Aktivierung der Zellmembran bilden sich Pseudopodien, die sich


um den Keim legen und ihn in ein Phagosom einschließen.

c) Im Innern dieser Vakuole verschmelzen die diversen Granula mit dem


Phagosom zum Phagolysosom.

d) Durch eine ganze Batterie mikrobizider Abbaumechanismen wird der


Keim schließlich abgetötet und werden seine Produkte ausgeschieden.

151
PAMP-Erkennung bewirkt die Aktivierung von
Phagozyten
Sobald sie über ihre Rezeptoren das Signal erhalten, dass sich Mikroorganismen
angeheftet haben, können Phagozyten mit der Aufnahme beginnen. In dieser
(Ingestions-) Phase wird ein kontraktiles Aktin-Myosin-System aktiv; es streckt
Zytoplasma-„Arme“ um das Partikel herum aus, bis es komplett in einer Vakuole
(Phagosom) eingeschlossen ist (Abb. 9.9 und 9.10). Kurz danach entleeren die
zytoplasmatischen Granula – nach Verschmelzung mit dem Phagosom – ihren Inhalt
rund um den eingeschlossenen Keim.

Nach der Einverleibung werden Mikroorganismen


zum Ziel tödlicher Abwehrmechanismen
Mit beginnender Phagozytose senden Mikroorganismen auch über eine Familie von
Toll-like-Rezeptoren Signale aus. Diese Rezeptoren – deren Gene als äquivalent zu
Toll- Genen bei der Fruchtfliege Drosophila entdeckt wurden und bei dieser eine
entscheidende Rolle sowohl in der Entwicklung als auch in der Abwehr von
Pilzinfektionen spielen – organisieren jeweils die Abwehr gegen verschiedene Arten
von Infektionen.
Abb. 9.10 Elektronenmikroskopische
Untersuchung der Phagozytose.

Beide Aufnahmen zeigen humane Phagozyten, die Latexpartikel (Lt) aufnehmen.


a) 3000 ×, b) 4500 × vergr. (mit freundlicher Genehmigung von C.H.W. Horne)

Mittels NFκB wird eine NADPH(reduziertes Nikotinamid-Adenin-Dinukleotid-


Phosphat)-Oxidase, die nur in der Plasmamembran vorkommt, aktiviert. Sie kann
Sauerstoff zu einer Reihe gut wirksamer mikrobizider Substanzen
(Superoxidanionen, Wasserstoffperoxid, Sauerstoffradikale und Hydroxylradikale)
reduzieren (Abb. 9.11, s. Kap. 14). Das im Anschluss durch Peroxid mit

152
Myeloperoxidase aus Halogenid-Ionen erzeugte Halogenierungssystem kann
Bakterien und Viren äußerst wirksam abtöten.

Das Enzym Superoxiddismutase setzt am Superoxidanion an, um es in molekularen


Sauerstoff und Wasserstoffperoxid zu überführen. Dabei werden Wasserstoffionen
verbraucht. Das erklärt den anfänglichen leichten pH-Anstieg, durch den die
antibakterielle Wirkung einer Familie kationischer Proteine aus den
Phagozytengranula gesteigert wird. Diese Proteine verursachen durch die
proteolytische Wirkung von Kathepsin G und direkte Adhärenz an der Oberfläche eine
Membranschädigung der Mikroorganismen.

Defensine verdanken es ihrer amphipathischen Struktur, dass sie sich in die


Zellmembran von Mikroorganismen einfügen können, um sie durch
spannungsabhängige Ionenkanäle zu destabilisieren. Diese antibiotisch wirksamen
Peptide erreichen ungewöhnlich hohe Konzentrationen in Phagosomen und eignen
sich für ein breites Keimspektrum (Bakterien, Pilze und Hüllviren). Wichtige
Substanzen sind außerdem:

■ Laktoferrin – bindet Eisen und entzieht Bakterien damit den wesentlichen


Wachstumsfaktor

■ Lysozym – spaltet die Proteoglykanschicht der Bakterienwand

■ Stickoxid – verdrängt nicht nur Eisen, sondern wirkt zusammen mit seinem
Derivat Peroxynitrit-Radikal auch direkt mikrobizid.

153
Abb. 9.11 Antimikrobielle Mechanismen in
phagozytären Vakuolen (Phagolysosomen).

Mikrobizide Stoffe halbfett gedruckt. Fe/RSH = Eisenkomplex mit


Sulfhydrylmolekül, Fe(RS)2 = oxidiertes Fe/RSH, O2− = Superoxidanion, 1O2 =
aktivierter Sauerstoff, ·OH = freies Hydroxylradikal, NADPH = reduzierte Form
von Nikotinamid-Adenin-Dinukleotid-Phosphat, NADP+ = oxidiertes NADPH,
H2O2 = Wasserstoffperoxid, OCl− = Hypochloritanion, NO· = Stickoxid, ·ONOO−
= Peroxynitrit-Radikal.

154
Ein weiterer Abfall des pH-Werts sorgt dafür, dass abgetötete oder absterbende
Mikroorganismen von sauren hydrolytischen Enzymen weitgehend zersetzt und die
Abbauprodukte nach außen freigesetzt werden.

Phagozyten werden durch Chemotaxis mobilisiert


und zu Mikroorganismen gelockt
Erst wenn sich Bakterien an die Oberflächenrezeptoren von Phagozyten angedockt
haben, kann die Phagozytose einsetzen. Das setzt natürlich voraus, dass sich beide
nahe genug gekommen sind. Daher müssen Phagozyten von weither auf irgendeine
Weise zu den Bakterien hingelenkt werden. Viele Bakterien produzieren chemische
Substanzen wie Formylmethionin-Peptide, mit denen sie Leukozyten anlocken; das
bezeichnet man als Chemotaxis. Allerdings ist dieses Signal relativ schwach. Doch
der Körper wurde im Laufe der Evolution mit einem viel stärkeren „Magneten“
ausgestattet, einer komplexen Reihe von Proteinen, die als Komplementsystem‚
zusammengefasst werden.

9.3.3 Komplementaktivierung
Wie Blutgerinnung, Fibrinolyse und Kininbildung stellt auch das Komplementsystem
ein wichtiges kaskadenartiges Enzymsystem dar. Kennzeichnend für solche Systeme
ist ihre schnelle und sich rasch ausbreitende Antwort auf einen Triggerreiz. Bei dieser
Kaskade katalysiert jedes Reaktionsprodukt schon das nächste Enzym. Besonders
reichlich ist C3 vertreten (alle Komplementfaktoren werden mit C bezeichnet und
fortlaufend nummeriert); es steht im Mittelpunkt des Komplementsystems und seine
Aufspaltung bildet das „Herzstück“ aller komplementvermittelten Phänomene.

Im normalen Plasma kommt es hin und wieder zu einer spontanen C3-Aktivierung.


Dabei entsteht als Spaltprodukt C3b, das mit dem löslichen Komplementprotein Faktor
B einen Komplex bilden kann. Unter Einwirkung eines normalen Plasmaenzyms (Faktor
D) wird daraus das C3-spaltende Enzym . Diese C3-Konvertase kann weitere
C3-Moleküle jeweils in ein kleines C3a-Fragment und C3b aufspalten. Es handelt sich
um einen positiven (Feedback-)Regelkreis, der sich ständig erweitern könnte, würde
nicht der gesamte Prozess durch stark steuernde Mechanismen in den „Leerlauf“
geschaltet, indem die instabile Flüssigphase-C3-Konvertase in inaktive Spaltprodukte
zerfällt (Abb. 9.12).

Kann sich die C3-Konvertase an bestimmte Oberflächenmoleküle (wie die


Kohlenhydrate bei vielen Bakterien) heften und stabilisieren, ist sie vor dem Zerfall
geschützt. Unter diesen Umständen bilden sich aktiv neue C3-Konvertase-Moleküle –
und das, was als „alternativer Weg“ der Komplementaktivierung bezeichnet wird,
kann sich in voller Geschwindigkeit entwickeln (s. Kap. 10).

Zusammen mit Phagozyten bewirkt Komplement eine


akute Entzündungsreaktion
Dass bei der alternativen Komplementaktivierung viele C3-Moleküle gespalten
werden, hat weit reichende Auswirkungen für die konzertierte Aktion antimikrobieller
Abwehrstrategien (Abb. 9.13). Die in großer Zahl in unmittelbarer Nähe der

155
Mikroorganismen gebildeten C3b-Moleküle binden sich kovalent an deren Oberfläche
und wirken dort als Opsonine (machen entsprechend überzogene Partikel anfälliger
für die Aufnahme durch Phagozyten; s. unten).
Abb. 9.12 Komplementaktivierung durch
Mikroorganismen.

Das beim spontanen Zerfall von C3 entstehende C3b bildet mit Faktor B einen
Komplex (C3bB), der durch Faktor D gespalten die C3-Konvertase
ergibt. Sie kann C3 weiter aufspalten. Die stark von Faktor H und I beeinflusste
C3-Konvertase kann sich an der Oberfläche von Mikroorganismen in Anwesenheit
von Properdin stabilisieren. Auf einen enzymatisch aktiven Komplex weist der
Querstrich hin; iC3b = inaktives C3b.

156
Als nächster Komplementfaktor wird C5 von C3b – und C3-Konvertase – beeinflusst,
mit der Folge, dass sich ein kleines C5a-Fragment abspaltet, das zusammen mit C3a
eine Degranulation der Mastzellen bewirkt. Dabei werden Mediatoren, die die
Gefäßpermeabilität steigern, und chemotaktische Faktoren für Polymorphkernige
freigesetzt. Wie dieser Degranulationsprozess abläuft und welche Produkte dabei
entstehen, ist in Abb. 9.14 und Tab. 9.2 dargestellt. Basophile sind im Blut
zirkulierende Äquivalente zu Gewebemastzellen (Abb. 9.15 bis 9.17).

Indem sie interzelluläre Kräfte zwischen den Gefäßendothelzellen beeinflussen und


die Kapillarwände durchlässiger machen, steigern Mediatoren die
Gefäßpermeabilität. So können Flüssigkeit und Plasmabestandteile (einschließlich
Komplementfaktoren) zu einer infizierten Stelle gelangen. Mediatoren der
Gefäßpermeabilität (Tab. 9.2) bewirken auch eine erhöhte Aktivität von
Adhäsionsmolekülen wie ICAM-1 (intercellular adhesion molecule) und ELAM-1
(endothelial cell leukocyte adhesion molecule). An komplementäre Moleküle auf
Polymorphkernigen gebunden, begünstigen sie deren Festhaften an Kapillarwänden,
ein Vorgang, den man Margination nennt.

157
Abb. 9.13 Die akute Entzündungsreaktion ist eine
defensive Abwehrstrategie, ausgelöst duch
bakterielle Aktivierung der alternativen
Komplementkaskade.

Wird durch ein Bakterium (1) die C3-Konvertase ( ) aktiviert, entstehen


C3b (2), das sich an das Bakterium bindet (3), sowie C3a und C5a (4), die
Mastzell(MC)-Mediatoren rekrutieren. Durch sie weiten sich die Kapillargefäße
(5), so dass Plasmaproteine austreten können (6), und es kommt chemotaktisch zur
Anlockung (7) von Polymorphkernigen, die sich an das mit C3b überzogene
Bakterium heften (8) und es dann schließlich abtöten.

158
Abb. 9.14 Nach der Stimulierung (Triggerung) von
Mastzellen kommt es auf zwei Wegen zur
Mediatorfreisetzung.

1) durch Degranulation (Freisetzung vorgeformter Mediatoren aus den Granula)


oder 2) durch Aktivierung von Phospholipase A2 (mit Bildung von
Arachidonsäure, die den Lipoxygenase- und Cyclooxygenaseweg in Gang setzt).
Bei diesen Vorgängen scheinen intrazelluläres Kalzium (Ca2+) und zyklisches
Adenosinmonophosphat (cAMP) eine zentrale Rolle zu spielen, obwohl noch nicht
alle Einzelheiten bekannt sind.

159
Tab. 9.2 Mediatorsubstanzen, die nach der Triggerung von
Mastzellen freigesetzt werden (Mastzellmediatoren).
Chemotaxis bezieht sich auf die gezielte Wanderung der Granulozyten gegen
einen (Mediator-)Konzentrationsgradienten, Chemokinesis bezeichnet dagegen
eine ungerichtete Motilitätssteigerung dieser Zellen.
ECF/NCF = Eosinophilen- bzw. Neutrophilen-chemotaktischer Faktor

160
Abb. 9.15 Histologisches Bild einer Mastzelle aus
menschlichem (Darm-)Bindegewebe.

Im dunkelblauen Zytoplasma sind bräunliche Granula erkennbar. Alzianblau-


Safranin-Färbung, 600 × vergr. (mit freundlicher Genehmigung von T.S.C. Orr)

Durch chemotaktische Faktoren wird andererseits ein chemischer Gradient erzeugt,


der marginierte Polymorphkernige durch die Gefäßwand hindurch zu der Stelle
lockt, an der sich als Auslöser des ganzen Prozesses vermutlich ein C3b-überzogenes
Bakterium befindet. Wegen des definierten C3b-Oberflächenrezeptors bleiben
opsonisierte Bakterien ziemlich fest an diesen neu ankommenden Polymorphkernigen
haften.

Die Anhäufung von Neutrophilen wird zusammen mit der durch hydrostatische und
osmotische Druckveränderungen bedingten Erythem- (Dilatation der Kapillargefäße)
und Ödembildung (Exsudation von Plasmaproteinen und Flüssigkeit) unter dem
Begriff akute Entzündungsreaktion zusammengefasst. Auf diese Weise werden
Phagozyten höchst effizient zu ihren (komplementüberzogenen) Zielen gelenkt.

Dass auch Makrophagen, wenn sie durch Bakterientoxine wie Lipopolysaccharide


(LPS), durch die Wirkung von C5a oder die Phagozytose C3b-überzogener Bakterien
stimuliert werden, akute Entzündungsmediatoren sezernieren können, die den Weg zu
den Mastzellen verstärken, dürfte einleuchtend sein (Abb. 9.18).

161
Abb. 9.16 Elektronenmikroskopische Aufnahmen
peritonealer Mastzellen (Ratte).

a) nicht degranulierte Zelle mit elektronendichten Granula (6000 × vergr.)

b) Granula im Moment der Exozytose (30000 × vergr.) (mit freundlicher


Genehmigung von T.S.C. Orr)

Der von C9-Molekülen gebildete


„Membranangriffskomplex“ ist an der Lyse beteiligt

162
Es wurde bereits erwähnt, dass als nächster Komplementfaktor nach der C3-
Aktivierung C5 gespalten wird. Das größere C5b-Fragment bleibt mit der Membran
verbunden und danach lagern sich C6, C7 und C8 daran an. An diesem Komplex kann
C9 als terminaler Komplementfaktor eine entscheidende Konformationsänderung
herbeiführen. Hat sich das C9-Molekül entfaltet, wird es in die Lipiddoppelschicht
eingefügt und polymerisiert, so dass ein ringförmiger Membranangriffskomplex
(MAC) entsteht (Abb. 9.19 und 9.20).
Abb. 9.17 Basophilen-Morphologie.

a) Im Blutausstrich typischer
Basophiler mit tiefblau-violetten Granula
(Wright-Färbung, 1500 × vergr.)

b) Ultrastruktur eines Basophilen (aus


der Haut eines Meerschweinchens) in einer
elektronenmikroskopischen Aufnahme. N
= Zellkern, G = typisch ungeordnete
Granulaverteilung). 6000 × vergr. (mit
freundlicher Genehmigung von D.
McLaren)

Wie ein Kanal durchquert er die Membran


und ist für Wasser und Elektrolyte voll
durchlässig. Bedingt durch den hohen
kolloidosmotischen Druck im Zellinnern
strömt mehr Natrium (Na+) ein, was häufig
zur Lyse führt.

163
Abb. 9.18 Rolle der Makrophagen (Mp) bei einer
akuten Entzündung.

Auf entsprechende Reize beginnen Makrophagen, Mediatoren zu sezernieren.


Blut-Neutrophile heften sich an Adhäsionsmoleküle von Endothelzellen, um sich
mit deren Zugkraft einen Weg zwischen Zellen der Basalmembran (mithilfe der
sezernierten Elastase) hindurch und gegen den chemotaktischen Gradienten zu
bahnen. Während dieses Vorgangs werden sie immer stärker durch NAP-2
(neutrophil activating peptide 2) aktiviert.

PGE2 = Prostaglandin E2, LTB4 = Leukotrien B4, IL-1 = Interleukin 1, PMN =


polymorphkernige Neutrophile, TNFα = Tumornekrosefaktor α, ELAM-1 =
endothelial cell leukocyte adhesion molecule 1, ICAM-1 = intercellular adhesion
molecule 1)
Abb. 9.19 Der Membranangriffskomplex (MAC)
C5b–9.

164
(1) Durch Rekrutierung eines weiteren C3b-Moleküls entsteht aus dem
aktiven Enzymkomplex eine C5-Konvertase, die C5a von C5 abspaltet;
der C5b-Rest bleibt an der Membran.

(2) Sobald sich C5b fest an die Membran gebunden hat, bildet sich durch
Anlagerung von C6 und C7 ein stabiler Komplex (C5b67), aus dem nach
Interaktion mit C8 schließlich C5b678 entsteht.

(3) Diese Einheit ist zwar in gewisser Weise membranschädigend, bewirkt


aber in erster Linie, dass C9 röhrenförmig quer durch die Membran
polymerisiert. Die Gesamtstruktur dieser Röhren (Membrankanal) wird als MAC
bezeichnet.

(4) Da das Gebilde die Membran durchbricht, kann ein freier Austausch
gelöster Stoffe stattfinden, was zur Zelllyse führt.

165
Abb. 9.20 Elektronenmikroskopische Aufnahme
eines Membranangriffskomplexes (MAC).

Die trichterartige Läsion (Pfeil) beruht auf einem humanen C5b–9-Komplex,


welcher eine Pore bildet, die die Doppelmembran durchspannt. 234000 × vergr.
(mit freundlicher Genehmigung von J. Tranum-Jensen und S. Bhakdi)

9.3.4 Akute-Phase-Proteine
Unter dem Begriff Akute-Phase-Proteine werden bestimmte Proteine zusammengefasst,
deren Plasmakonzentration sich erhöht, sobald bei einer Infektion oder
Gewebeschädigung frühe „Alarmstoffe“ freigesetzt werden, z.B. Zytokine wie
Interleukin 1 und 6 (IL-1, IL-6) oder Tumornekrosefaktor (TNF). Bei vielen Akute-
Phase-Proteinen wie dem Mannose-bindenden und dem C-reaktiven Protein (CRP)
kommt es entzündlich bedingt zu einem deutlichen Anstieg (Abb. 9.21). Wie die
professionellen Phagozyten benutzen auch diese beiden Proteine molekulare Muster
erkennende (PAMP-)Rezeptoren, um sich an entsprechende Pathogene zu binden und
eine effektive Abwehr sicherzustellen (Abb. 9.22).

Bei anderen Akute-Phase-Proteinen zeigt sich hingegen nur ein mäßiger, in der Regel
nicht mehr als fünffacher Konzentrationsanstieg (Tab. 9.3). Vermutlich üben sie eine
Abwehrfunktion aus.

166
9.3.5 Andere extrazelluläre Faktoren gegen
Mikroorganismen
Viele der mikrobiziden Stoffe, die innerhalb von Phagolysosomen wirksam werden,
kommen auch in anderen Körperflüssigkeiten in Konzentrationen vor, durch die
Infektionskeime direkt gehemmt werden können. So kann z.B. in Tränen oder im
Speichel genügend Lysozym vorhanden sein, um die Proteoglykanschicht empfindlicher
Bakterien zu schädigen. In ähnlicher Weise kann Bakterien durch Eisenkomplexbildung,
wenn die Laktoferrin-Konzentration im Blut ausreicht, ein wichtiger Wachstumsfaktor
entzogen werden.
Abb. 9.21 Akute-Phase-Proteine

sind Serumproteine, deren Konzentration bei einer Infektion schlagartig (siehe


Kurve) – manchmal bis zum 100fachen – ansteigen kann, wie hier exemplarisch für
das C-reaktive Protein (CRP) dargestellt. Sie erfüllen eine wichtige Funktion bei der
angeborenen Immunität.

CRP bindet kalziumabhängig (Ca2+) an verschiedene Molekülgruppen auf Bakterien


und Pilzen. Seine Mustererkennung dient aber besonders dazu, sich an den
Phosphocholinanteil von Pneumokokken zu binden. Somit wirkt CRP als Opsonin,
das Komplement aktiviert – mit allen Folgen.

Das Mannose-bindende Protein reagiert nicht nur mit Mannose, sondern auch mit
anderen Zuckern; daher kann es sich an eine Vielzahl Gram-negativer und Gram-
positiver Bakterien, Hefepilze, Viren und Parasiten binden, um das
Komplementsystem und Phagozyten zu aktivieren.

167
Abb. 9.22 PRRs und PAMPs.

Eine Hauptabwehrstrategie gegen Pathogene besteht darin, dass humorale Faktoren


(CRP oder Mannose-bindendes Protein) ebenso wie professionelle Phagozyten,
wenn sie PAMPs (pathogen-associated molecular patterns) erkennen, sich mit ihren
Muster erkennenden Rezeptoren (pattern recognition receptors, PRRs) an die
Oberfläche dieser Mikroorganismen heften und über Transducer-(Wandler-
)Strukturen das Signal für den Einsatz geeigneter Effektorfunktionen geben.

Ob auch Substanzen wie reaktive Sauerstoffmetaboliten oder TNF (ein zytotoxisches


Produkt von Makrophagen und anderen Zellen), die normalerweise nur auf kurze
Distanz wirken, eine ausreichend hohe Konzentration in Körperflüssigkeiten haben
können, um selbst in einiger Entfernung zur produzierenden Zelle noch wirksam zu sein,
wird in Kap. 14 besprochen; dort werden besonders die Mechanismen berücksichtigt,
mit denen Blutparasiten (Malaria) attackiert werden.

168
Tab. 9.3 Produktion von Akute-Phase-Proteinen als Reaktion auf
eine Infektion
modif. nach Stadnyk, A.W. & Gauldie, J.: The acute phase protein response
during parasitic infection. Immunology Today, 1991, 7: A7–A12

Interferone – ein breites Spektrum antiviraler Moleküle


Interferone (IFN) sind im Tierreich weit verbreitet (s. Kap. 14). Bekannt wurden sie
durch das Phänomen der Virusinterferenz, d.h., dass sich eine Zelle, die mit einem
Virus infiziert ist, gegenüber einem zweiten, nicht verwandten Virus (Superinfektion)
als resistent erweist. Während viele verschiedene α-Interferone (IFNα) von
Leukozyten produziert werden, wird IFNβ von Fibroblasten und möglicherweise von
anderen Zelltypen synthetisiert. Da IFNγ nicht zu den Komponenten des angeborenen
Immunsystems gehört, wird es später als wichtiges Mitglied der Zytokinfamilie
besprochen (s. Kap. 10).Virusinfizierte Zellen synthetisieren und sezernieren
Interferone, die sich über spezifische Rezeptoren an benachbarte, nicht infizierte
Zellen binden. Das gebundene Interferon bewirkt, dass zwei neue Enzyme
synthetisiert werden, die den Apparat stören, den das Virus zu seiner Replikation
benutzt (Näheres zum Wirkmechanismus von IFN s. Kap. 14). Das Endergebnis sind
erregerresistente Zellen, die sich strangförmig um den Infektionsherd herumlegen
und seine Ausbreitung verhindern (Abb. 9.23).
Abb. 9.23 Wirkung von Interferon (IFN).

169
Virusinfizierte Zellen induzieren die Produktion von IFN, das freigesetzt und an
IFN-Rezeptoren anderer Zellen gebunden wird. Dort bewirkt es die Produktion
antiviraler Proteine, die aktiv eine Virusinfektion anderer Zellen verhindern.

NK = natürliche Killerzellen, MHC = major histocompatibility complex,


Haupthistokompatibilitätskomplex

In Experimenten zeigte sich, dass IFN in vivo hoch wirksam ist. Wurde Mäusen ein
Antiserum gegen murines IFN injiziert, starben sie schon durch eine 100fach
geringere Viruslast als Mäuse der Kontrollgruppe. Anzumerken bleibt, dass IFN aber
ganz offensichtlich wichtiger für die Erholung als für die Prävention von Infektionen
ist.

170
9.3.6 Extrazelluläre Abtötung

Natürliche Killerzellen lagern sich an virusinfizierte


Zellen an, was diese von normalen Zellen abgrenzt
Viren könnten nach einer weit verbreiteten Ansicht Fragmente aus dem Genom
vielzelliger Organismen sein, die extrazellulär überlebt haben. Das Virusgenom
enthält jedoch nur eine kleine Zahl von Genen, zu denen keine für die Replikation
erforderlichen Gene zählen. Dementsprechend müssen Viren, um sich nach der
Infektion zu replizieren, in Wirtszellen eindringen und auf deren Zellapparat
zurückgreifen. Natürlich liegt es im Interesse des Wirts, infizierte Zellen möglichst
rasch abzutöten, bevor das Virus die Chance erhält, sich zu vermehren. Genau diese
Aufgabe übernehmen die natürlichen Killerzellen (NK-Zellen).

Bei diesen zytotoxischen Zellen handelt es sich um große granuläre Lymphozyten


(LGL, large granular lymphocytes), die sich mit ihren lektinartigen Rezeptoren an
bestimmte Oberflächenstrukturen (wahrscheinlich Glykoproteine) virusinfizierter
Zellen binden und sie markieren, damit sie sich von normalen Zellen abgrenzen (Abb.
9.24).

Die Aktivierung der NK-Zellen führt zur Entleerung des Granulainhalts in den
extrazellulären Raum zwischen Ziel- und Effektorzelle.

In den Granula sind unter anderem Perforinmoleküle enthalten, die in vielerlei


Hinsicht C9 ähneln. Das gilt besonders hinsichtlich ihrer Fähigkeit, sich in
Zellmembranen zu inserieren und durch Polymerisierung ringförmige
transmembranäre Poren (vergleichbar dem Membranangriffskomplex) zu bilden. Das
erlaubt den Zustrom von Granzym B, einem Granularprotein, das zum
programmierten Tod (Apoptosis) der Zielzelle führt. Vermittelt wird der Prozess durch
eine Kaskade proteolytischer Enzyme (sog. Caspasen), an deren Ende die endgültige
Zerstörung der DNA durch eine kalziumabhängige Endonuklease steht (Abb. 9.25).

Ersatzweise können auch andere Mechanismen den Caspaseweg starten: z.B. indem
sich der Fas-Ligand der NK an Fas der Zielzelle bindet oder der Tumornekrosefaktor
(TNF) aus den Granula der NK Oberflächenrezeptoren der Zielzelle besetzt. TNF sah
man zunächst als Produkt aktivierter Makrophagen an, von denen bekannt war, dass
sie andere Zellen, besonders Tumorzellen, abtöten können.

Aktivierte Makrophagen können sich aber noch auf andere Art zytotoxisch auswirken,
nämlich die Zelloberfläche direkt schädigen, und zwar durch einen Strom reaktiver
Sauerstoff-Zwischenprodukte, die durch den oben beschriebenen Sauerstoffüberschuss
(oxygen burst) an der Zellmembran von Makrophagen entstehen (Abb. 9.11).

Gegen größere Parasiten kommen Eosinophile zum


Einsatz
Man kann sich leicht vorstellen, dass professionelle Phagozyten viel zu klein sind, um
z.B. große Wurmparasiten aufzunehmen. Besser ist eine alternative Strategie nach Art
der extrazellulären Abwehr, wie sie oben beschrieben wird. Eosinophile haben sich
offensichtlich dahingehend entwickelt, diese Funktion zu übernehmen.

171
Abb. 9.24 Elektronenmikroskopische Aufnahme
einer NK-Zelle, die gerade eine Tumorzelle (TC)
abtötet.

NK binden und zerstören IgG-markierte und auch nicht-markierte Tumorzellen


(Abb. 10.13). Um ihre Wirkung vermitteln zu können, müssen NK- und
Tumorzelle dicht beieinander liegen. 4500 × vergr. (mit freundlicher
Genehmigung von P. Lydyard).

Dabei handelt es sich um polymorphkernige Verwandte der Neutrophilen, deren


Zytoplasma-Granula sich mit sauren Farbstoffen kräftig anfärben (Abb. 9.26) und
ultrastrukturell ein typisches Bild ergeben. Diese Granula weisen im Kern ein
basisches Protein (major basic protein, MBP) auf, während die Grundsubstanz ein
kationisches Protein (eosinophil cationic protein, ECP), Peroxidase und
perforinähnliche Moleküle enthält. Eosinophile haben Oberflächenrezeptoren für C3b
und bilden, wenn sie aktiviert werden, Massen aktiver Sauerstoffmetaboliten.

Viele Helminthen können das Komplementsystem auf dem alternativen Weg


aktivieren. Auch wenn sie gegen einen C9-Angriff resistent sind, enthält ihre
Außenhülle doch C3b-Moleküle. An sie können sich Eosinophile über C3b-
Rezeptoren binden. Sind Eosinophile erst einmal aktiviert, bringen sie ihre ganzen
extrazellulären Wirkstoffe in Aktion (Freisetzung von MBP und ECP), um die
Parasitenhülle zu beschädigen. Zusätzlich können sie auf chemische Schädigung
(durch Sauerstoffmetaboliten) und Durchlöcherung der Zellmembran („leckende“
Poren durch Perforin) zurückgreifen.
Abb. 9.25 Lyse einer virusinfizierten Zielzelle durch
eine NK-Zelle (schematisch).

172
Nach Rezeptorbindung der NK an die infizierte Zelle kommt es zur Exozytose
ihrer Granula. Dabei werden zytolytische Mediatorsubstanzen in den
interzellulären Spalt freigesetzt. Nach einer kalziumabhängigen
Konformationsänderung können sich Perforine in die Zellmembran inserieren und
durch Polymerisation transmembranäre Poren bilden. Durch sie hindurch kann
Granzym B in die Zielzelle gelangen und ihren programmierten Zelltod
(Apoptose) induzieren. Zur Unterstützung steht ein zytolytisches System bereit,
das über die Bindung des Fas-Rezeptors an seinen Liganden (FasL) ebenfalls die
Apoptose bewirken kann. Auch der Tumornekrosefaktor TNFα kann zum Zelltod
führen.
Abb. 9.26 Extrazelluläre Abtötung von (Wurm-
)Parasiten durch eosinophile Granulozyten, die dazu
den Inhalt ihrer Granula freisetzen.

173
a) Morphologisches Bild: Im angereicherten Blutausstrich sind der
segmentierte (gelappte) Kern und die kräftig gefärbten Zytoplasma-Granula
eines Eosinophilen erkennbar. Leishman-Färbung, 1800 × vergr. (mit
freundlicher Genehmigung von P. Lydyard).

b) Elektronenmikropische Aufnahme: Ultrastruktur eines


Meerschweinchen-Eosinophilen. Dass es sich um einen reifen Eosinophilen
handelt, zeigen die zentralen Kristalloide in den Granula (G). 8000 × vergr. (mit
freundlicher Genehmigung von D. McLaren).
Abb. 9.27 Mobilisierung der angeborenen
Immunabwehr.

Mikroorganismen bewirken – über Komplementaktivierung oder durch direkten


Einfluss auf Makrophagen – eine Freisetzung von Mediatorsubstanzen. Dadurch
erhöht sich die Kapillarpermeabilität, so dass bakterizide Plasmamoleküle
austreten können (Transsudation). Polymorphkernige Neutrophile (PMN) werden
chemotaktisch aus dem Blutstrom zur Infektionsstelle gelockt (Mp =
Makrophage).
Zusammenfassung
■ Das angeborene Immunsystem verhindert durch starke Barrieren das
Eindringen von Erregern. Hinzu kommt eine zweite Abwehrlinie durch

174
Phagozyten und zirkulierende lösliche Faktoren. Falls eine dieser Funktionen
geschwächt ist (erblich oder erworben), kann der Körper von normalerweise nicht
pathogenen Erregern besiedelt werden („opportunistische Infektion“).

■ Die wichtigsten Fresszellen (Phagozyten) sind polymorphkernige Neutrophile


und Makrophagen. Mit Rezeptoren, die pathogen-assoziierte molekulare Muster
(PAMP) erkennen, heften sie sich an die Oberfläche von
Bakterien/Mikroorganismen und beginnen sie aufzunehmen. Das heißt, der Keim
wird in eine Vakuole der Phagozyten aufgenommen, die mit Granula aus dem
Zytoplasma verschmilzt. Das bringt mehrere sauerstoffabhängige bzw. -
unabhängige mikrobizide Mechanismen ins Spiel.

■ Das Komplementsystem, eine getriggerte Enzymkaskade aus mehreren


Faktoren, dient zum Anlocken von Phagozyten, damit sie die Mikroorganismen
aufnehmen.

■ Besonders reichlich ist Komplementfaktor C3 vertreten. Er wird durch das


Enzym C3-Konvertase (aus seinem Spaltprodukt C3b und Faktor B) gespalten und
kann sich an der Bakterienoberfläche gegen einen Abbau durch Faktor H und I
stabilisieren. C3b bindet sich sofort, nachdem es gebildet wurde, kovalent an
Mikroorganismen.

■ Bei Aktivierung von C5 (zweithäufigster Komplementfaktor) wird ein kleines


Peptid (C5a) abgespalten. Der Rest (C5b) bindet sich an die Oberfläche von
Mikroorganismen und bildet zusammen mit den Faktoren C6–C9, die sich an ihn
anlagern, einen sog. Membranangriffskomplex (MAC). Frei durchlässig für
gelöste Stoffe, kann er zu einer osmotischen Lyse führen. Darüber hinaus kann
C5a chemotaktisch auf Polymorphkernige einwirken und die Permeabilität der
Kapillargefäße deutlich steigern.

■ Durch ihre Wirkung auf Mastzellen veranlassen C3a und C5a eine Freisetzung
weiterer Mediatorsubstanzen wie Histamin, LTB4 und TNFα (mit Einfluss auf
Kapillarpermeabilität, Adhäsion und Chemotaxis). Die von ihnen aktivierten
Neutrophilen können sich mit ihren C3b-Rezeptoren an C3b auf der Oberfläche
von Mikroorganismen binden und sie dann aufnehmen.

■ Die stark antimikrobiell wirksame akute Entzündungsreaktion besteht im


Zustrom von Neutrophilen und der gesteigerten Gefäßdurchlässigkeit.

■ Auch Gewebsmakrophagen können eine Entzündung auslösen. Sie erfüllen


eine ähnliche Funktion wie Mastzellen, da sie eine Freisetzung von TNFα, LTB4,
PGE2, NCF und eines Neutrophilen-aktivierenden Peptids bewirken, sobald sie
durch Bakterientoxine, C5a oder C3b-überzogene Bakterien, an die sich
Komplementrezeptoren geheftet haben, das Signal dazu erhalten.

■ Zu den humoralen Abwehrmechanismen gehören auch Akute-Phase-Proteine


wie CRP und Interferone (IFN), die die Virusreplikation unterdrücken können.

■ Virusinfizierte Zellen können von natürlichen Killerzellen vernichtet werden.

■ Dass vor allem große Parasiten vielfach scheitern, in potenziellen Wirten Fuß
zu fassen, könnte auch an der extrazellulären „Killerfunktion“ C3b-gebundener
Eosinophiler liegen.

175
■ Vermutlich trifft die Aussage zu, dass die meisten Mikroorganismen durch
Phagozytose beseitigt werden und dass die „Fresszellen“, die sie aufnehmen und
abtöten, durch aufeinander abgestimmte Reaktionen des angeborenen
Immunsystems mobilisiert und aktiviert werden. Ein Schlüsselelement ist die
akute Entzündungsreaktion (Abb. 9.27). Doch nicht alle Erreger sind anfällig
für eine Phagozytose oder ihre Zerstörung durch Komplement oder Lysozym. Das
leitet uns zur erworbenen Immunität über, die im nächsten Kapitel (s. Kap. 10)
genauer untersucht wird.

FRAGEN
1 Nicht nach außen geschützt werden Körperoberflächen durch
a) Haut
b) Schleim
c) Magensäure
d) Speichelamylase
e) Darmflora?
2* Das mononukleäre Phagozytensystem umfasst
a) Monozyten
b) Kupffer-Zellen
c) Hautkeratinozyten
d) Makrophagen im Mark von Lymphknoten
e) Endothelzellen?

176
3* Polymorphkernige Neutrophile (PMN)
a) erzeugen reaktive Sauerstoffzwischenprodukte
b) ähneln sehr stark Mastzellen
c) enthalten im Zytoplasma mikrobizide Granula
d) sind professionelle Phagozyten
e) haben Granula, die sich mit Eosin anfärben?
4 C3b
a) ist ein chemotaktischer Faktor
b) ist ein Anaphylatoxin
c) opsonisiert Bakterien
d) kann Bakterien unmittelbar schädigen
e) ist Vorläufer von C3?
5* Natürliche Killerzellen (NK-Zellen)
a) sprechen auf Interferon an
b) enthalten Perforine
c) enthalten Granzyme
d) töten Zielzellen nur durch Beschädigung der äußeren Zellmembran ab
e) sind vergleichbar mit kleinen Lymphozyten?
6* Antibakterielle Wirkung entfalten
a) C-reaktives Protein
b) Mannose-bindendes Protein
c) Lysozym
d) Interferone
e) Komplementfaktoren?
Bei den mit * gekennzeichneten Fragen ist mehr als eine Antwort richtig.
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Aderem, A., Underhill, D.M.: Mechanisms of phagocytosis in macrophages. Ann
Rev Immunol 17 (1999) 593–623.
Alt, F., Marrack, P. et al. (eds.): Curr Opin Immunol (zweimonatlich erscheinende
Zeitschrift; befasst sich in Ausgabe 1 jedes Bandes mit dem Thema „Angeborene
Immunität“).
Neth, O., Jack, D.I., Dodds, A.W. et al.: Mannose-binding lectin binds to a range of
clinically relevant microorganisms and promotes complement deposition. Infect
Immun 68 (2000) 688–693.
Roitt, I.M., Brostoff, J., Male, D.: Immunology. 6th ed. Elsevier Science, London
2002.
Ryan, J.C., Naper, C., Hayashi, S., Daws, M.R.: Physiologic functions of activating
natural killer (NK) complex-encoded receptors on NK cells. Immunol Rev 181
(2001) 126–137.

177
10 Erworbene Immunreaktionen
10.1 Rolle der Antikörper 95

10.1.1 Akute Entzündungsreaktion 95

10.1.2 Phagozytenaktivierung 97

10.1.3 Hemmung mikrobieller Reaktionen 99

10.2 Rolle der T-Lymphozyten – Abwehr intrazellulärer Erreger 99

10.3 Extrazellulärer Angriff auf größere Erreger 102

10.4 Lokale Abwehr an Schleimhäuten 103


Zur Orientierung
Infektionserreger schaffen es häufig, sich der angeborenen Abwehr zu entziehen

Das vorangehende Kapitel behandelte die vielfältigen Möglichkeiten des angeborenen


Immunsystems (bzw. der primären Immunabwehr), auf mikrobielle Infektionen zu
reagieren. Doch Infektionserreger finden häufig Mittel und Wege, sich dieser Abwehr zu
entziehen. Das liegt unter anderem an der Vielzahl von verschiedenen Keimen in der
natürlichen Umgebung und ihrer Mutationsfähigkeit. Ein paar Beispiele:

■ Die Oberflächenbeschaffenheit einiger Mikroorganismen führt nicht zur Aktivierung


des alternativen Weges des Komplementsystems.

■ Andere Bakterien aktivieren zwar Komplement auf dem alternativen Weg, aber das
geschieht im Bereich ihrer Geißel(n), so dass der Membranangriffskomplex weit
entfernt vom Körper des Bakteriums entsteht und ihnen somit keinen Schaden zufügt.

■ Mikroorganismen in Makrophagen sorgen mit allen Tricks dafür, dass sich deren
normalerweise vorhandenen mikrobiziden Mechanismen nicht entfalten (s. Kap. 16).

■ Manche virusinfizierte Zellen erweisen sich als resistent gegen die zytotoxischen
natürlichen Killerzellen; andere Viren können sich ungestört von Zelle zu Zelle
verbreiten, weil sie die Interferonproduktion nur schwach stimulieren.

■ Von Bakterien produzierte Toxine können für Phagozyten tödlich sein, falls es nicht
gelingt, sie zu neutralisieren.

178
Erworbene Immunreaktionen bekämpfen Erreger, die das angeborene
Immunsystem überwunden haben

Um auf sämtliche Erreger individuell reagieren zu können, bräuchte der Körper eine Art
maßgeschneiderte Immunabwehr. Im Idealfall sollten sich diese spezifische Abwehr und
die keimabtötenden Mechanismen des angeborenen Immunsystems unmittelbar ergänzen.
Wir werden in diesem Kapitel sehen, wie dieses Ziel im Laufe der Evolution durch
Einfügen spezifischer (Antigen-) Erkennungs- bzw. Bindungsstellen auf
Antikörpermolekülen und bestimmten Lymphozyten erreicht wurde. In den Körper
eingedrungene Keime bewirken eine erregerspezifische Immunreaktion der
Lymphozyten. Hinzu kommt, dass diese Reaktion mit der Zeit – oft in erheblichem
Umfang – stärker wird. Daher spricht man von einer „erworbenen“ oder „adaptiven“
Immunantwort. Wie wir wissen, produziert der Körper Millionen unterschiedlicher
Antikörper; ihre Vielfalt müsste theoretisch ausreichen, jedes bereits vorhandene oder
neu auftauchende Pathogen zu erkennen.

10.1 Rolle der Antikörper

10.1.1 Akute Entzündungsreaktion

Antikörper wirken als Adaptoren, um akute


Entzündungsreaktionen zu fokussieren
Antikörper sind Immunglobulinmoleküle (Abb. 10.1 und Tab. 10.1), die von B-
Lymphozyten des Wirts (B steht für „Bursa“, einem speziellen Organ bei Vögeln, wo
B-Lymphozyten entstehen) gebildet werden. Voraus geht der Kontakt mit einem
Infektionserreger, der als Fremdantigen wirkt (Abb. 11.2). Jeder Antikörper hat zwei
identische Erkennungs-/Bindungsstellen, die sich mit ihrem Gegenstück auf dem
Fremdantigen perfekt ergänzen. Das ermöglicht eine Antigenbindung variabler Stärke
(Affinität). Bindungsstellen sind insofern hypervariabel, als Antikörper mit
unterschiedlicher Antigenspezifität hier alle dieselbe Aminosäuresequenz aufweisen.
Die hypervariablen Regionen beschränken sich auf drei Schleifen der schweren (H-)
und drei Schleifen der leichten (L-)Peptidketten, aus denen ein Antikörpermolekül
besteht (Abb. 10.1). Sie nehmen mit dem Antigen in der Bindungstasche Kontakt auf
und man nennt sie auch „complementarity determining regions“ (CDR). Welches
Antigen ein gegebener Antikörper erkennt, hängt also von der Aminosäuresequenz der
CDR ab.

An anderen Stellen des Antikörpermoleküls werden bestimmte Funktionen festgelegt,


z.B. Aktivierung des Komplementsystems oder Einleitung der Phagozytose durch
Makrophagen und Polymorphkernige (Abb. 10.2). Ist ein Antigen mit mehreren dieser
Adapter-Antikörpermoleküle beschichtet, werden Komplementfixierung und
Phagozytose des Erregers induziert, auch wenn er möglicherweise versucht hat, sich
diesen Prozessen zu entziehen. Auf diese Weise werden Mikroorganismen doch noch
in die akute Entzündungsreaktion (einen Abwehrmechanismus des angeborenen
Immunsystems) einbezogen. Wir wollen nun untersuchen, wie Antikörper solche
Phänomene vermitteln.
Abb. 10.1 Immunglobuline.

179
Ihre einheitliche Grundstruktur bilden je zwei identische leichte (L-) und schwere
(H-) Polypeptidketten, die über Disulfidbrücken verbunden sind (schwarze
Balken). Jede Kette setzt sich aus einzelnen ringförmigen Domänen zusammen.
Antikörper haben unterschiedliche VL- und VH-Domänen (d.h. hypervariable
Regionen der L- und H-Ketten). Die Hypervariabilität beschränkt sich auf jeweils
drei Schlingen der VL- und VH-Domänen und zeichnet die Antigenbindungsstellen
(rot markiert) aus. Die übrigen Domänen (CL, CH1 usw.) sind relativ konstant in
der Aminosäurenstruktur. Bei Pepsinspaltung des humanen IgG entstehen F(ab’)2,
ein zweiwertiges (divalentes) antigenbindendes Fragment, und pFc’, ein Fragment
aus zwei terminalen CH3-Domänen. Papainspaltung führt zu zwei einwertigen
(univalenten) antigenbindenden Fragmenten: Fab und ein Fc-Anteil mit den
Schwerkettendomänen CH2 und CH3. Die J-Kette (von joining = verbindend)
katalysiert die Polymerisation der Immunglobulin-Grundeinheit zu IgM und IgA.
Als sekretorische Komponente (secretory piece) wird der Abschnitt des
Transportmoleküls (das IgA aus Mukosazellen ins Lumen verfrachtet) bezeichnet,
der mit dem IgA verbunden bleibt.

180
Abb. 10.2 Antikörper-Adaptermolekül.

Antikörper (sinngemäß: gegen Fremdkörper gerichtet) werden beim Kontakt mit


eingedrungenen Erregern, die als Antigene wirken (d.h. zur Antikörperproduktion
führen), von Lymphozyten des Wirts gebildet. Jeder Antikörper (Abb. 10.1)
verfügt über eine Antigenbindungsstelle (Fab) und eine konstante „Rückgrat“-
Struktur (Fc), von der biologische Wirkungen wie Komplementaktivierung und
Phagozytose ausgehen können.

Im vorliegenden Fall ist dargestellt, wie durch Antikörperbindung eines


mikrobiellen Antigens Komplement aktiviert und eine akute Entzündungsreaktion
ausgelöst wird (vgl. Abb. 9.13). Dabei entsteht C3b. Mit den Antikörpermolekülen
zusammen fördert die C3b-Fixierung die Adhärenz von Bakterien an Fc- und C3b-
Rezeptoren der Phagozyten, bevor sie dann aufgenommen werden.

181
Tab. 10.1 Biologische Eigenschaften der wichtigsten
Immunglobuline (Ig-Klassen) des Menschen
* Dimer, trägt bei Sekretion nach außen die sekretorische Komponente; IgA-
Dimer und IgM haben J-Ketten

Antigen-Antikörper-Komplexe aktvieren Komplement


auf dem „klassischen“ Weg
Nach Bindung von Antikörpermolekülen an ein Antigen aktiviert der entstandene
Antigen-Antikörper-Komplex den ersten Komplementfaktor C1 und überführt ihn in
eine Esterase . Damit beginnt ein zweiter Weg der Komplementaktivierung
(Abb. 10.3), der vor allem deshalb als „klassischer“ Weg bezeichnet wird, weil
Wissenschaftler ihn vor dem alternativen Weg (s. Kap. 9) entdeckten, obwohl einiges
dafür spricht, dass der alternative Weg entwicklungsgeschichtlich viel älter sein
dürfte.

Nachdem der aktivierte erste Komplementfaktor jeweils ein kleines Peptid von den
nächsten Faktoren (C4 und C2) abgespalten hat, bilden die restlichen Fragmente den
Komplex . Er verhält sich enzymatisch wie eine C3-Konvertase und übt eine
ähnliche Funktion wie (die C3-Konvertase bei alternativer
Komplementaktivierung) aus. Auch die Abfolge der Reaktionsschritte im Anschluss
an die C3-Spaltung lässt sich nicht von der des alternativen Wegs unterscheiden.
Anaphylatoxine wie C3a und C5a entstehen, und C3b bindet sich an die Oberfläche
des Antigen-Antikörper-Komplexes (Abb. 10.4, Abb. 9.13). Nacheinander arrangieren
sich die später gebildeten Komplementfaktoren zu einem Membranangriffskomplex
(MAC, Abb. 9.19), der, wenn er gezielt auf ihre verletzliche Stelle trifft, mithelfen
kann, Mikroorganismen abzutöten.

Der klassische Weg kann auch aktiviert werden, wenn sich Akute-Phase-Proteine
(wie C-reaktives Protein und Mannose-bindendes Protein, s. unten) an Kohlenhydrate
der Bakterienoberfläche binden.

182
Akute Entzündungsreaktion durch Antikörperbindung
an Mastzellen
Immunglobulin E (IgE) ist ein spezialisierter Antikörper mit hoher Affinität seiner
konstanten Region für Oberflächenrezeptoren auf Mastzellen. Sobald sich ein
(mikrobielles) Antigen an diese zellgebundenen Antikörper heftet, wird eine
Querverbindung zwischen den Oberflächenrezeptoren hergestellt und das Signal ins
Zellinnere weitergeleitet. Auf das Signal hin setzen die Mastzellen dann
Mediatorsubstanzen frei, mit denen die Gefäßpermeabilität gesteigert und
chemotaktisch Polymorphkernige angelockt werden können (Abb. 10.5).

10.1.2 Phagozytenaktivierung

Antigen-Antikörper-Komplexe aktivieren Phagozyten


Bestimmte Antikörpermoleküle binden sich über ihre konstante Fc-Region an
spezialisierte Fc-Rezeptoren auf der Oberfläche von Phagozyten. Wenn mehr als ein
Antikörper an einem Antigen-Antikörper-Komplex beteiligt ist, kommt es zu einer
Querverbindung (Cross-linking) zwischen den Rezeptoren, die dazu führt, dass der
Phagozyt den Antigen-Antikörper-Komplex mit ausgestreckten Zytoplasma-Armen in
eine Vakuole einschließt (Abb. 10.6). Anzumerken ist der „Bonuseffekt“ einer
multivalenten Bindung in reversiblen Rezeptor-Liganden-Verbindungen; so entspricht
z.B. die Assoziationskonstante bei komplexer Bindung (über zwei
Antikörpermoleküle) an Phagozyten eher dem Produkt als der Summe der
Einzelkonstanten.

183
Abb. 10.3 Klassischer Weg der
Komplementaktivierung

Antigen-Antikörper-Komplexe aktivieren den ersten Komplementfaktor (C1) auf


klassischem Weg (1). Das führt zur Spaltung von C3 durch die C3-Konvertase
(5). Dagegen hängt die Komplementaktivierung auf alternativem Weg
davon ab, dass sich die C3-Konvertase ( ) in einem Feedback-
/Rückkopplungskreis auf der Oberfläche von Mikroorganismen/Bakterien
stabilisiert (Abb. 9.12). Im Unterschied dazu ist die Komplementaktivierung auf
klassischem Weg im Allgemeinen von Antikörpern abhängig. Ein Querstrich ––––
markiert aktivierte Komplexe.
Abb. 10.4 Antigen-Antikörper-Komplex

184
Elektronenmikroskopische Aufnahme C3-beschichteter Salmonellengeißeln nach
Inkubation mit Antiflagellen-Antikörper und Komplement. Das elektronendichte
Material an den Seiten der Geißeln (etwa 30 nm dick) dürfte C3b sein. Interpretiert
wird es als Komplementbindung/-fixierung durch Antikörper: Biologische
Membranen, an denen sich Komplement „fixiert“ hat, sind mit einer dicken
Schicht von C3b-Makromolekülen überzogen. 700000 × vergr. (mit freundlicher
Genehmigung von A. Feinstein und E. Munn)
Abb. 10.5 Mastzelldegranulation.

Durch die Interaktion zwischen mikrobiellem Antigen und IgE-Antikörpern, die


spezifisch an Oberflächenrezeptoren der Mastzellen binden, kommt eine
Querverbindung zwischen diesen Rezeptoren zustande. Das führt zur Freisetzung
von Mediatoren, die eine Zunahme der Gefäßpermeabilität bewirken und
Polymorphkernige anlocken – d.h. eine lokale akute Entzündungsreaktion (genau
an der Stelle, wo sich das mikrobielle Antigen befindet).

185
Abb. 10.6 Binden sich Antigene über mehr als
einen Antikörper an Phagozyten, entstehen
Querverbindungen zwischen den
Oberflächenrezeptoren.

Durch sie wird die Phagozytose von Mikroorganismen (Umschlingen mit


Zytoplasmaausläufer) getriggert.

10.1.3 Hemmung mikrobieller Reaktionen

Antikörper gegen bestimmte Moleküle blockieren die


Wirkung von Mikroorganismen
Drei Beispiele: 1) Antikörper gegen das Hämagglutinin von Influenzaviren verhindern
die Bindung der Viren an spezifische Zellrezeptoren; die Zellen können daher nicht
infiziert werden (Abb. 10.7). 2) Ebenso können Antikörper, die gegen ein
Transportmolekül auf der Bakterienoberfläche gerichtet sind, die Aufnahme eines
wichtigen Nährstoffes verhindern, d.h. eine metabolische Blockade verursachen. 3)
Schließlich können Antikörper gegen Bakterientoxin verhindern, dass es auf die
Zellen einwirkt bzw. sie schädigen kann.

186
Abb. 10.7 Aufgrund ihrer Größe können Antikörper
Interaktionen zwischen (a) Virus und Zelle, (b)
Nährstoff und Bakterium oder (c) Toxin und
Zellrezeptor unterbinden.

10.2 Rolle der T-Lymphozyten – Abwehr intrazellulärer


Erreger
Viren und viele andere Mikroorganismen leben, geschützt vor Antikörperangriffen,
innerhalb von Zellen. Das Abwehrsystem, das der Körper gegen sie entwickelt hat, beruht
im Wesentlichen auf T-Lymphozyten (mit T bezeichnet, weil sie im Thymus heranreifen).

T-Lymphozyten binden sich an Komplexe aus einem


MHC-Molekül und einem Peptid intrazellulärer Erreger
Mikroorganismen durchlaufen verschiedene Lebenszyklen; manchmal sterben sie auch
in Zellen, die sie infiziert haben. Proteine, die von toten Organismen stammen, werden
durch intrazelluläre Enzyme zertrümmert (verarbeitet bzw. „prozessiert“) und als
Peptide in phagozytäre Vakuolen einverleibt. Dort verbinden sie sich mit
Haupthistokompatibilitätskomplex (major histocompatibility complex, MHC)-
Molekülen (Abb. 10.8).

MHC-Moleküle wurden ursprünglich entdeckt, weil sie heftige Abstoßungsreaktionen


gegen Transplantate derselben Spezies hervorriefen. Wir wissen jetzt, dass sie vorrangig
als Oberflächenmarker dienen. Da MHC-Klasse-I-Moleküle praktisch auf jeder
Körperzelle vorhanden sind, können sie als Marker der Kategorie „Zelle“ verstanden
werden. MHC-Klasse-II-Moleküle erscheinen hauptsächlich auf Makrophagen und B-
Zellen.

Wie Antikörpermoleküle kann auch ein spezialisierter Rezeptor auf T-Lymphozyten


(TCR) Fremdantigen binden (Abb. 10.9). Strukturell ähnelt er dem Fab-Fragment der
Immunglobuline, besitzt aber anstelle der Schwer- und Leichtketten α- und β-Ketten mit
ebenso hypervariablen Schleifen für den Antigenkontakt. Doch im Unterschied zur
direkten Interaktion mit Fremdantigen, wie sie an der Bindungsstelle auf Antikörpern

187
abläuft, ist der Oberflächenrezeptor von T-Zellen darauf spezialisiert, einen MHC-
Peptid-Komplex zu binden. Dieses Peptid stammt von einem intrazellulären Erreger
und signalisiert somit über das „Zelle“-Signal des MHC-Moleküls hinaus, dass die Zelle
einen Erreger in sich trägt. Wenn er über seinen TCR beide Hälften eines MHC-Peptid-
Komplexes erkennt, muss sich ein T-Lymphozyt an eine infizierte Zelle des Typs
binden, den die MHC-Klasse vorschreibt (Tab. 10.2). Die Aktivierung von T-
Lymphozyten entsprechend ihren jeweiligen Besonderheiten löst dann bestimmte
Effektormechanismen aus, um mit intrazellulären Mikroorganismen umzugehen (s.
unten).
Abb. 10.8 MHC-Klasse-I- und MHC-Klasse-II-
Moleküle.

(a) Schema der Domänen und transmembranären Segmente; α-Helices und β-


Faltblattstrukturen in der Ansicht von hinten.

(b) humanes MHC-Klasse-I-Molekül (HLA-A2); in der Seitenansicht (abgeleitet


aus der röntgenkristallographischen Struktur) sind der Spalt und die für
Immunglobuline typische Faltung der α3- und β2-Mikroglobulin(β2m)-Domänen
erkennbar (vier gegenläufig parallele β-Stränge auf der einen und drei auf der
anderen Seite). Die Stränge des β-Faltblatts sind als dicke graue Pfeile (vom

188
Amino- zum Carboxyl-Ende
gerichtet) dargestellt, die α-
Helices als spiralförmige
Bänder. Zwischen den nach
innen gewandten Flächen der
beiden α-Helices und der
Oberseite des β-Faltblatts
öffnet sich ein Spalt, in den
das Peptid eingebunden
werden kann (aus: Bjorkman
et al., Nature 1987; 329:512).

(c) Aufsicht auf ein fest


in den Spalt eines MHC-
Klasse-I-Moleküls
eingebundenes Peptid; hier
das von HIV-1-reverser
Transkriptase an HLA-A2
gebundene Peptid 309-317.
Blick von der Bindungsstelle
des unten beschriebenen T-
Zell-Rezeptors aus (nach:
Vignali/Strominger,
Immunologist 1994; 2:112).
Abb. 10.9 Der
T-Zell-Rezeptor ähnelt strukturell dem
(antigenbindenden) Fab-Fragment von
Immunglobulinen.
Kommen die hochvariablen (complementarity determining regions, CDR) Regionen
mit dem MHC-Peptid-Komplex eines Fremdantigens in Kontakt, löst das ein Signal
aus, das vom unveränderlichen CD3-Komplex (besteht aus γ-, δ-,ε-, ζ-, η-Ketten)
weitergeleitet wird, und zwar über zytoplasmatische ITAM (immune receptor
tyrosine-based activation motifs), die mit Protein-Tyrosinkinasen in Berührung
kommen.

T-Lymphozyten helfen Makrophagen, intrazelluläre


Parasiten abzutöten
Makrophagen, die zum Beispiel von Listerien oder Tuberkelbakterien befallen sind,
werden von TH1-Helferzellen, einer Untergruppe der T-Lymphozyten, erkannt (Tab.
10.2). Wenn sich eine TH1-Zelle an den MHC-Klasse-II-Peptid-Komplex auf einem
infizierten Makrophagen bindet, wird darüber die Freisetzung Makrophagen-
aktivierender Faktoren, vor allem von Gamma-Interferon (IFNγ, s. Kap. 9),
veranlasst. Dadurch werden zuvor noch unterdrückte mikrobizide Mechanismen in
Makrophagen initiiert, die den Tod intrazellulärer Parasiten herbeiführen (Abb. 10.10).
Im Allgemeinen rufen TH1-Zellen eine chronische Entzündungsreaktion hervor, die
von Makrophagen dominiert wird.

189
T-Lymphozyten hemmen die intrazelluläre Replikation
von Viren
Virusinfizierte Zellen exprimieren auf ihrer Oberfläche Komplexe, die aus einem
MHC-Klasse-I-Molekül und einem Viruspeptid bestehen. Über spezifische
Rezeptoren auf zytotoxischen T-Zellen (Tc) werden solche Komplexe erkannt und
möglichst nahe an virusinfizierte Ziele herangeführt (Abb. 10.11). Die Abtötung der
Zielzellen erfolgt dann über ähnliche extrazelluläre Mechanismen, wie in Kapitel 9
beschrieben. Da Viruspeptide bereits in einem sehr frühen Infektionsstadium auf der
Zelloberfläche auftauchen, können infizierte Zellen durch Tc-Zellen bereits abgetötet
werden, bevor sich die Gelegenheit zu einer stärkeren Virusreplikation ergibt: So
können die Wirtszellen eine wichtige Schlacht gewinnen.

Tab. 10.2 Spezialisierte Untereinheiten (Subpopulationen) der T-


Zellen
* s. Tab. 11.1

Eine ähnliche Funktion wie die zytotoxischen T-Zellen üben auch natürliche
Killerzellen (NK-Zellen) aus. Doch ihre Chancen, sich fest an infizierte Zellen zu
heften, stehen sehr viel schlechter als bei den Tc-Zellen, weil ihnen spezifische
Rezeptoren fehlen, mit denen sie sich an bestimmte Viruspeptid-MHC-Klasse-I-
Komplexe binden könnten. Interessant ist jedoch, dass sowohl Tc- als auch NK-Zellen
Interferone (vor allem IFNγ) freisetzen und sich NK-Zellen dadurch deutlich besser
behaupten können. Somit stellen Interferone ein nützliches integratives System dar.
Hinzu kommt, dass sie auch Nachbarzellen resistent gegen die Replikation von
Viruspartikeln machen für den Fall, dass über interzelluläre Transportmechanismen
Viren hineingelangen würden (Abb. 10.12).
Abb. 10.10 T-Helferzellen (TH1) triggern die
Zerstörung (Abtötung) intrazellulärer Parasiten.

190
Sobald sich TH1-Zellen über den TCR an infizierte Makrophagen (Mp) binden,
werden T-Lymphozyten zur Freisetzung von IFNγ aktiviert. Das bringt wiederum
Makrophagen dazu, ihre mikrobiziden Mechanismen einzuschalten, um
intrazelluläre Parasiten abzutöten.

10.3 Extrazellulärer Angriff auf größere Erreger

191
Mit Antikörpern beschichtete Parasiten werden von
Abwehrzellen attackiert
Bei Parasiten, die deutlich größer als Phagozyten sind, ist eine Phagozytose schon rein
physikalisch ausgeschlossen. Dennoch können Abwehrzellen solche Parasiten von
extrazellulär angreifen, z.B. mithilfe der Antikörper-abhängigen zellulären
Zytotoxizität (antibody-dependent cellular cytotoxicity, ADCC). Dabei binden sich
Effektorzellen über Oberflächenrezeptoren an Zielzellen, die mit Antikörpermolekülen
beschichtet sind (Abb. 10.13). Durch Aktivierung der Effektorzellen werden für
Parasiten schädliche Substanzen freigesetzt. Beteiligt sind daran hauptsächlich folgende
Zellen:

■ Makrophagen

■ Eosinophile

■ NK-Zellen
Abb. 10.11 Zytotoxische T-Lymphozyten werden
aktiviert, sobald spezifische Rezeptoren auf ihrer
Oberfläche infizierte Zellen erkennen und sich an
MHC-Klasse-I-Moleküle, welche assoziiert zu
Peptidfragmenten aus dem Abbau eines
intrazellulären Virusproteins sind, binden.

192
Abb. 10.12 Zytotoxische T-Zellen (Tc) erkennen
infizierte Zellen an spezifischen MHC-Klasse-I-Peptid-
Komplexen (aus abgebautem Virusprotein) auf der
Oberfläche und töten sie ab, bevor sich das Virus
vermehrt.

Dasselbe können – wenn auch mit weit geringerer Effizienz – NK-Zellen bewirken.
Unter dem Einfluss von Interferonen (die Tc- und TH1-Zellen produzieren) kann
sich die NK-Aktivität jedoch verstärken. Die lokale Interferonproduktion verhindert
auch, dass sich benachbarte Zellen (über interzelluläre Transportmechanismen) mit
Viren infizieren.

193
Abb. 10.13 Antikörper-abhängige zelluläre
Zytotoxizität (ADCC).

Um Parasiten zu schädigen, binden sich verschiedene Arten von Effektorzellen mit


Oberflächenrezeptoren (für Antikörper) an entsprechende Ziele: Makrophagen
bewirken über reaktive Zwischenprodukte (aus der O2-Atmung) eine chemische
Schädigung der Parasitenoberfläche, NK-Zellen induzieren über Perforin/Granzym,
TNF und Fas/FasL (zu den Mechanismen s. Kap. 9.3.6) den programmierten Zelltod
(Apoptose) von Parasiten, Eosinophile setzen ein basisches Protein (MBP), ein
perforinartiges Molekül und eine Menge reaktiver Sauerstoffmetaboliten frei und
schädigen so die Zellmembranen von Parasiten. Die Antikörper gehören
überwiegend der Klasse IgG an (Abb. 10.1 und Tab. 10.1).

10.4 Lokale Abwehr an Schleimhäuten


Die Immunmechanismen im Körperinnern (unter Beteiligung akuter Entzündungs- und T-
Zell-vermittelter Reaktionen) funktionieren recht gut. Es lohnt sich aber auch zu
untersuchen, wie sich der Körper speziell an Flächen schützt, die wie Lunge oder
Gastrointestinaltrakt mit Schleimhaut bedeckt sind und über die er sich mit der Außenwelt
austauscht (Abb. 10.14).

Die erste Linie der Abwehr soll verhindern, dass sich Mikroorganismen an die
Schleimhaut heften; denn Adhärenz ist eine Grundvoraussetzung für das Eindringen in
den Körper. Das wird zum einen durch die Schleimbildung, eine angeborene Funktion,
verhindert. Zusätzlich wird in Lymphfollikeln, die mehr (wie in Adenoiden, Tonsillen und
Peyer-Plaques) oder weniger stark (wie in Lamina propria, Lunge, Urogenitaltrakt)
organisiert sein können, ein spezielles Immunglobulin, IgA, synthetisiert. Diese
Zellansammlungen bilden zusammen das mukosaassoziierte Lymphgewebe (MALT).
IgA wird von einem Carrier-Molekül aktiv ins Lumen transportiert. Auf
Schleimhautoberflächen findet es sich in hoher Konzentration, wo es einen Carrier-
Abschnitt, die sog. sekretorische Komponente, trägt (Abb. 10.1). Mit solchen IgA-
Molekülen beschichtet, können sich Erreger nur schlecht auf Schleimhäuten halten, aber
noch immer von ortsständigen Makrophagen eingefangen werden, die
Oberflächenrezeptoren für IgA haben.

194
Abb. 10.14 Körpereigene Abwehr an
Schleimhäuten.

Sekretorisches Immunglobulin A (IgA) ist ein spezialisierter, mukosaassoziierter


Antikörper, der die Adhärenz von Erregern auf Schleimhäuten (und damit ihr
Eindringen in den Körper) verhindert. Wenn Erreger trotzdem in den Körper gelangen,
werden IgE-empfindliche Mastzellen aktiv, die in Haufen dicht unter der Oberfläche
liegen. Als Schutzreaktion lösen sie eine akute lokale Entzündung aus, indem sie
komplementbindende Antikörper, Komplement und Polymorphkernige aus dem Blut
anlocken.

Da sich in der Submukosa bevorzugt Mastzellen anhäufen, treffen Mikroorganismen,


nachdem sie die Schleimhautschranke durchbrochen haben, möglicherweise auf
Mastzellen mit spezialisierten IgE-Antikörpern an der Oberfläche. Als Reaktion auf den
Kontakt mit diesem Antikörper werden Mastzellen dazu getriggert, akute
Entzündungsmediatoren freizusetzen. Diese Mediatoren steigern die Gefäßpermeabilität,
so dass die Stelle von Plasmaproteinen (darunter auch andere Klassen von Antikörpern
und Komplementfaktoren) überflutet wird, während chemotaktische Stoffe
polymorphkernige Leukozyten anlocken.

Größere Parasiten (z.B. Nematoden) bereiten im


Darmlumen besondere Probleme

195
Man vermutet, dass Wurmantigene, die in submukosale Schichten eindringen, T- und B-
Zellen aktivieren und eine Degranulation sensibilisierter Mastzellen bewirken. Letzteres
führt zu einer akuten Schleimhautentzündung, durch die es mit ziemlicher Sicherheit
zum Übertritt von Antikörpern, Komplement und vielleicht auch von Effektoren der
ADCC ins Darmlumen kommt. Im Darmlumen könnten Antikörper, Komplement und
ADCC-Effektoren dann eine metabolische Schädigung der Parasiten verursachen. In der
Zwischenzeit bewirken entsprechend sensibilisierte T-Helferzellen eine Freisetzung
löslicher Faktoren (Zytokine), zu denen auch ein Mediator gehört, der Zellen im
Bürstensaum der Darmzotten (Mikrovilli) stimulieren kann. Muzine aus diesen
Schleimzellen legen sich um bereits vorgeschädigte Parasiten im Lumen, damit sie
leichter aus dem Körper ausgestoßen werden (Abb. 10.15).

Im Schleimhautepithel dominieren T-Zellenmit γδ-


Rezeptoren
Bei Menschen überwiegen zwar im Blut T-Lymphozyten mit αβ-Rezeptoren, aber im
Darmepithel und in der Haut dominieren T-Zellen mit γδ-Ketten. Anders als αβ-T-
Zellen kann die γδ-Untereinheit Antigen gleich erkennen, ohne dass es vorher
verarbeitet (prozessiert) sein muss. Die von überlasteten oder geschädigten Zellen
freigesetzten Hitzeschockproteine stimulieren γδ-T-Zellen genauso wirksam wie
niedermolekulare Antigene, die statt Proteinen Phosphate (z.B.
Isopentenylpyrophosphat, Alkylamine) enthalten und bei einem breiten Pathogen-
Spektrum vorkommen. γδ-T-Zellen könnten auch mit Schleimhautepithelzellen
zusammenarbeiten, die auf ihrer Oberfläche CD1-Moleküle exprimieren (enthalten β2-
Mikroglobulin, aber nicht die klassischen MHC-artigen Ketten). In ihrem hydrophoben
Spalt können sie bakterielle Lipid- und Glykolipidantigene (wie Lipoarabinomannan als
Bestandteil der Zellwand von Mykobakterien) binden.

196
Abb. 10.15 Austreibung von Rundwürmern
(Nematoden) aus dem Darm.

Vermutlich wird durch Wurmantigen (1) eine akute Entzündungsreaktion in der


Submukosa ausgelöst (2). Dadurch werden Komplementfaktoren und
möglicherweise auch Effektoren der antikörper-abhängigen zellulären Zytotoxizität
mobilisiert (ADCC) (3), die Parasiten schädigen (4). Durch die antigenspezifische
Triggerung von T-Helferzellen (5) freigesetzte lösliche Faktoren (Zytokine)
stimulieren Schleimzellen der Darmzotten (6) zur Sekretion von Muzinen, die den
Wurm umhüllen (7) und mithelfen, ihn aus dem Körper auszustoßen (8).

197
Zusammenfassung
■ Mit den erworbenen Immunreaktionen verfügt der Körper über eine Reihe
wirksamer Abwehrmechanismen, die weit über die angeborene Immunabwehr
hinausreichen. Die durch Lymphozyten vermittelte erworbene Immunität macht
auch die unspezifische Abwehr gegen einzelne Erreger viel effizienter.

■ In den meisten Fällen sind Phagozytose, Komplementaktivierung und


Makrophagen (d.h. angeborene Abwehrmechanismen) in die Abtötung
intrazellulärer Erreger einbezogen.

■ Eine Übersicht über die erworbene Immunabwehr zeigt, dass die humorale
Immunreaktion durch Antikörper der B-Zellen vermittelt wird; sie neutralisieren
Bakterientoxine und lösen zusammen mit Komplement, Mastzellen und
polymorphkernigen Leukozyten eine akute Entzündung aus (Abb. 10.16). Dieser
Typ von Immunreaktion ist besonders wirksam gegen extrazelluläre Erreger, und
welchen „Quantensprung“ die Antikörperproduktion bedeutet, verdeutlicht Abb.
10.17 anhand der Entfernung von Bakterien aus dem Blut. Schleimhäute werden
durch IgE-vermittelte akute Entzündungsreaktion und sekretorisches IgA vor einer
Infektion mit extrazellulären Erregern geschützt.

■ Die T-Zell-vermittelte Immunantwort ist im Gegensatz dazu gegen


intrazelluläre Erreger gerichtet. T-Zellen erkennen mit ihrem Rezeptor (TCR)
infizierte Zellen an einem Oberflächenmarker; es ist ein Komplex aus einem MHC-
Molekül – einem Zellmarker und einem Peptid (Abbauprodukt eines Proteins
intrazellulärer Mikroorganismen).

■ T-Zellen werden in T-Helfer- (TH1, TH2) und zytotoxische (Tc-)Zellen


unterteilt. CD4-positive TH1-Helferzellen erkennen MHC-Klasse-II-Moleküle auf
Makrophagen. Die von ihnen produzierten Zytokine, in erster Linie chemotaktisch
wirkende Faktoren, in zweiter Linie IFNγ, aktivieren Phagozyten dazu, ihre
antimikrobiellen Mechanismen einzuschalten. CD4-positive TH2-Zellen erkennen
MHC-Klasse-II-Moleküle auf B-Zellen und unterstützen die Antikörperproduktion.
CD8-positive Tc-Zellen erkennen auf den meisten Zellen MHC-Klasse-I-Moleküle
und sind gegen Viren wirksam; sie töten virusinfizierte Zellen ab und verhindern
durch lokale Interferonproduktion die Verbreitung der Viren. Tc-Zellen lassen sich
außerdem anhand ihres TH1- bzw. TH2-Zytokinmusters unterteilen.

■ Durch enge Wechselwirkungen zwischen angeborenem und erworbenem


Immunsystem können nicht nur extrazelluläre, sondern auch intrazelluläre
Infektionen bzw. Erreger abgewehrt werden (Abb. 10.18). Damit ist auch vereinbar,
dass Menschen eher für eine Infektion mit extrazellulären Erregern prädisponiert
sind, wenn ihre humorale Immunität (egal, wodurch) geschwächt ist, während eine
defiziente T-Zell-vermittelte Immunität in erster Linie mit intrazellulären
Infektionen einhergeht.

■ Die Immunreaktion, die der Erstkontakt mit einem Antigen auslöst, hinterlässt
Spuren im immunologischen Gedächtnis. Bei erneutem Kontakt mit demselben
Antigen fällt die Immunantwort daher viel stärker aus und entwickelt sich auch viel
schneller als beim ersten Mal (zelluläre Grundlagen s. Kap. 11). Das Gedächtnis
bzw. die Erinnerung nach Erstkontakt mit einem Antigen bildet auch die Grundlage

198
von Impfungen, bei denen der Erstkontakt mit einer nicht-virulenten Form des
Erregers oder mit antigenen Komponenten stattfindet.

■ Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Spezifität des Gedächtnisses.


Eine überstandene Maserninfektion macht z.B. nur gegen das Masernvirus immun,
verleiht aber keinen Schutz vor anderen Viren (etwa dem Mumpsvirus).
Abb. 10.16 Ergänzend zu angeborenen
Immunmechanismen schützen Antikörper, indem sie
zu einer akuten Entzündung führen.

Aktivierte Endothelzellen lassen eine Exsudation löslicher Proteine aus dem Blut zu.
Zusätzlich helfen von ihnen exprimierte Moleküle, polymorphkernige Leukozyten
stärker an die Wand der Kapillargefäße zu binden und anschließend zur infizierten
Stelle hindurchzutreten. Mp = Makrophage.

199
Abb. 10.17 Die Phagozytose von unmarkierten
Bakterien (angeborene Immunität) verläuft ziemlich
langsam, wird aber um ein Vielfaches beschleunigt,
sobald sie (aufgrund der erworbenen Immunität)
opsonisiert, d.h. mit Antikörpern und C3b beschichtet
werden.

Es kann auch zur Abtötung durch die C5–9-terminalen Komplementfaktoren


kommen. Dargestellt ist eine rein hypothetische, aber realistische Situation; dabei
wurde die natürliche Proliferation von Bakterien außer Acht gelassen.

200
Abb. 10.18 Angeborene und erworbene
Immunmechanismen stellen die gemeinsame
Grundlage der humoralen und zellvermittelten
Immunität dar.

Während eine geschwächte humorale Immunität zu Infektionen mit extrazellulären


Erregern prädisponiert, sind unzureichende T-Zell-vermittelte Immunantworten in
erster Linie mit intrazellulären Infektionen assoziiert.

201
FRAGEN
1* Komplementfaktor C3 wird gespalten durch
a) C3b
b) C3bBb
c) Faktor B
d) C1
e) C42?
2 Bei welchem Komplementfaktor treffen sich der klassische und alternative
Weg der Komplementaktivierung?
a) C4
b) C4b
c) Faktor D
d) C5
e) C3
3* Plasmazellen
a) synthetisieren und sezernieren Antikörper
b) stammen von T-Zellen ab
c) stammen von B-Zellen ab
d) sezernieren große Mengen γ-Interferon
e) haben einen hohen RNA-Gehalt?
4 Sezerniert eine Plasmazelle
a) Antikörper mit ähnlicher Spezifität wie die auf der Oberfläche
parentaler B-Zellen
b) Antikörper mit zwei Antigenspezifitäten
c) das Antigen, das sie bindet
d) viele verschiedene Antikörper
e) Lysozym?
5* Oberflächenrezeptoren der T-Zellen binden Antigene und teilweise
auch
a) Zytokine
b) MHC
c) ADCC
d) Antikörper
e) Peptide (von intrazellulär verarbeiteten Proteinen)?
6 Zellen mit einem MHC-Klasse-I-Peptid-Komplex werden zum Ziel von
a) B-Zellen
b) zytotoxischen T-Zellen (Tc)
c) TH1-Zellen
d) TH2-Zellen
e) interdigitierenden dendritischen Zellen?
* Bei diesen Fragen ist mehr als eine Antwort richtig.
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Alt, F., Marrack, P. (eds.): Curr Opin Immunol [erscheint 2-monatlich, jede 4. Auflage
eines Bandes befasst sich mit „Immunität gegen Infektionen“].
Delves, P.J., Roitt, I.M. (eds.): Encyclopedia of Immunology. 2th ed. Academic Press,
London 1998 [mit Beiträgen zu IgG, IgA, IgM, IgD, IgE; Ig-Funktion und Domänen].

202
Griffiths, G.M.: The cell biology of CTL killing. Curr Opin Immunol 7 (1995) 343–
348.
Roitt, I.M., Delves, P.J.: Roitt’s Essential Immunology. 10th ed. Blackwell Science,
Oxford 2001.

203
11 Zelluläre Grundlagen erworbener Immunreaktionen
11.1 B- und T-Zell-Rezeptoren 111

11.2 Klonale Ausbreitung von Lymphozyten 111

11.3 Rolle der Gedächtniszellen 113

11.4 Stimulation von Lymphozyten 114

11.5 Zytokine 116

11.6 Steuerung/Regulationsmechanismen 118

11.7 Toleranzmechanismen 119


Zur Orientierung
Wie wir im vorhergehenden Kapitel gesehen haben, beruht die erworbene Immunität auf
Lymphozyten (Abb. 11.1), die sich in primären lymphatischen Organen (Knochenmark
und Thymus) aus Stammzellen differenzieren. Von dort aus siedeln sie sich in sekundären
lymphatischen Geweben an, wo sie Immunreaktionen auf Antigene vermitteln (Abb.
11.2). Während Gewebsantigene zu den Lymphknoten transportiert werden, hat die Milz
es hauptsächlich mit Antigenen, die sie auf dem Blutweg erreichen, zu tun (Abb. 11.3).

Für den Austausch zwischen Lymph- und restlichem Körpergewebe sorgt ein Pool
zirkulierender Lymphozyten im Blut; sie wandern über die Lymphknoten zur Milz und
zu anderen Geweben, bevor sie über große Lymphbahnen wie den Ductus thoracicus ins
Blut zurückkehren (Abb. 11.4). Durch den regen Lymphozyten-Verkehr zwischen
Gewebe, Blut und Lymphknoten können entsprechend sensibilisierte Zellen Antigene
aufsuchen bzw. sich zu Stellen hinbewegen, an denen Immunreaktionen ablaufen.

Zudem finden sich in Schleimhäuten nicht abgekapselte Ansammlungen von


lymphatischem Gewebe (MALT, mucosa-associated lymphoid tissue), in denen IgA-
Antikörper für die Schleimsekrete gebildet werden. IgA-Antikörper sind gegen Antigene
in der Umgebung (besonders im stark mit Bakterien belasteten Darm) gerichtet. Dank
spezialisierter „Homing“-Rezeptoren können Lymphozyten des MALT-Systems
zwischen diesen lymphatischen Geweben hin und her zirkulieren (Abb. 11.5).

204
Abb. 11.1 Lymphozyten und Plasmazellen.

(1) Kleine B- und T-Lymphozyten haben einen runden Zellkern, der im Verhältnis zum
Zytoplasma sehr groß ist. (2) Bei den großen granulären Lymphozyten ist der
eingebuchtete Zellkern in Relation zum Zytoplasma (mit azurophilen Granula) kleiner.
Morphologisch sehen weniger als 5% der T-Helfer- und 30–50% der zytotoxischen T-
Zellen (Tc), γδ-T-Zellen und NK-Zellen so aus. (3) Antikörper von B-Zellen – nach
ihrer Differenzierung zu Plasmazellen – zeigen eine kräftige intrazytoplasmatische
Färbung (hier grün-fluoreszierend ein Antikörper gegen humanes IgM und rhodamin-rot
ein Antikörper gegen humanes IgG). Bemerkenswert ist, dass Plasmazellen jeweils nur
eine Klasse von
Antikörpern bilden,
wie der
Farbunterschied
zeigt. (1) und (2)
Giemsa-Färbung
(mit Genehmigung
von A. Stevens und
J. Lowe); (3) aus A.
Zucker-Franklin et
al., Atlas of Blood
Cells: Function and
Pathology, 2nd ed.
Lea & Febinger,
Philadelphia 1988.
Abb. 11.2
Lymphat
isches
Gewebe.

Stammzellen (S) aus


dem Knochenmark differenzieren sich in primären lymphatischen Organen zu
immunkompetenten B- und T-Zellen aus. Diese Zellen siedeln sich danach in
sekundären lymphatischen Geweben an, wo sich auch die Immunreaktionen abspielen.
MALT = mucosa-associated lymphoid tissue

205
Abb. 11.3 Anatomie von Lymphknoten und Milz.

(a) Schnitt durch ganzen Lymphknoten (schematisch). Die Rinde ist im Wesentlichen
eine Region der B-Zellen; in den Keimzentren von Sekundärfollikeln findet die weitere
Differenzierung zu Plasmazellen (bilden Antikörper) und Gedächtniszellen statt. (b)
Milzschema mit B- und T-Zell-Bereichen [Roitt/Delves 2001].
Abb. 11.4 Mit dem Blutkreislauf bewegen sich
Lymphozyten zu den Lymphknoten hin.

206
Sie gelangen über spezialisierte Endothelzellen postkapillärer Venolen (HEV) in und
über efferente Lymphgefäße aus dem Lymphknoten hinaus. Nach der Passage weiterer
Lymphknoten gelangen sie schließlich zum Ductus thoracicus, der beim Menschen in
die linke Vena subclavia mündet. Lymphozyten durchqueren die Milz von den
Randzonen (weiße Milzpulpa) aus; über die Sinusoide (rote Milzpulpa) wandern sie
weiter und verlassen die Milz dann wieder über die Milzvene [Roitt/Brostoff/Male
2002].

207
Abb. 11.5 Zirkulation von Lymphozyten zwischen
lymphatischen Geweben.

Nach Antigenstimulation („Priming“) wandern Zellen aus dem lymphatischen Gewebe


(z.B. Peyer-Plaques, Bronchial-oder sonstige Schleimhaut) über regionale Lymphknoten
und den Ductus thoracicus auf dem Blutweg zur Lamina propria (LP) des Darms oder zu
einer anderen Schleimhaut, die sich in unmittelbarer Nähe oder auch entfernt von der
„Priming“-Stelle befinden kann. So breiten sich Lymphozyten von der Schleimhaut, in
der sie ursprünglich stimuliert wurden, selektiv über das MALT-System aus. Ermöglicht
wird das über spezifische Adhäsionsmoleküle auf Lymphozyten und das dicke
Mukosaendothel postkapillärer Venolen [Roitt/Brostoff/Male 2002].

208
11.1 B- und T-Zell-Rezeptoren

B- und T-Zellen lassen sich anhand ihrer


Oberflächenmarker unterscheiden
Nach ihrer Differenzierung tragen B- und T-Zellen als Zellpopulationen mit
unterschiedlichen Funktionen Oberflächenmoleküle, in denen ihre Spezialisierung zum
Ausdruck kommt. Solche Oberflächenmarker lassen sich mithilfe homogener
Antikörper einer einzigen Antigenspezifität (sog. monoklonale Antikörper) erkennen. In
einem Vergleich solcher Antikörper aus Laboratorien der ganzen Welt fand man heraus,
dass bestimmte Gruppen oder Cluster monoklonaler Antikörper jeweils ein
gemeinsames Oberflächenmolekül von Lymphozyten erkennen. Diese
Oberflächenbestandteile wurden als „CD“-Molekül definiert; CD steht für „cluster
determinant“ bzw. „cluster of differentiation“ (Tab. 11.1).

Lymphozyten tragen nur Rezeptoren mit einer einzigen


Antigenspezifität
Unter den oben genannten Oberflächenmarkern der B- und T-Zellen befinden sich auch
Plasmamembranrezeptoren, mit deren Hilfe sie Fremdantigene identifizieren. Während
bei T-Zellen der T-Zell-Rezeptor (TCR) als Antigenerkennungseinheit dient, ist es bei
B-Zellen ein Immunglobulin auf der Oberfläche (Abb. 10.9). Es ist bekannt, dass es
trotz zahlreicher Oberflächenbestandteile und der mannigfaltigen
Kombinationsmöglichkeiten, die sich daraus ergeben könnten, keine Verschiedenheit
der Oberflächenrezeptoren gibt. B-Lymphozyten können ihre rezeptorkodierenden
Keimbahngene so umordnen (Rearrangement), dass von den Spezifitäten für jede
Rezeptor-Polypeptidkette nur eine einzige ausgewählt wird. Sobald dieses
Rezeptormolekül an der Oberfläche exprimiert wird (Abb. 11.6), werden die anderen
(Antigenrezeptor-) kodierenden Gene nicht länger gebraucht.

Mit anderen Worten: nach einem genetischen Rearrangement widmen sich B-


Lymphozyten ausschließlich der Synthese und Expression eines einzigen
Rezeptortyps. Einen analogen Vorgang stellt das Rearrangement der αβ- und γδ-Gene,
die für den TCR kodieren, dar. Genauso wie B-Zellen spezialisieren sich auch T-Zellen,
indem sie nur eine einzige spezifische Kombination von Rezeptorpeptiden exprimieren.
Diese Antigenspezifität behalten sie für ihre ganze Lebensdauer.

11.2 Klonale Ausbreitung von Lymphozyten


Durch Antigene kommt es zur Selektion und klonalen Verbreitung von Lymphozyten,
die komplementäre Rezeptoren tragen. Da Lymphozyten theoretisch enorm viele
(vermutlich in einer Größenordnung von mehreren Millionen) Antigenspezifitäten auf
ihrer Oberfläche exprimieren können, müssen sich ihre Antigenspezifitäten
gezwungenermaßen auf eine kleine Auswahl beschränken. Wenn Mikroorganismen in den
Körper eindringen, widmen sich zunächst nur wenige Lymphozyten der
Antigenerkennung; um einen ausreichenden Schutz des Wirts zu gewährleisten, muss ihre
Zahl jedoch größer werden.

209
Tab. 11.1 Oberflächenmarker auf B- und T-Zellen.
IL = Interleukin, MHC = major histocompatibility complex, TCR = T-Zell-
Rezeptor, Fc = Dimer der Immunglobulin-Schwerketten, außer VH- und CH1-
Domänen des Fab-Fragments; Abb. 10.1)

Dieses Problem wurde durch die Evolution vorbildlich gelöst. Auf Eindringlinge reagieren
nämlich nur B-Lymphozyten, deren Oberflächenrezeptoren eine perfekte Ergänzung
(Komplementarität) zur Form der Antigene bilden. Sobald B-Zellen durch die
Antigenbindung aktiviert werden, beginnen sie unter dem Einfluss löslicher
Wachstumsfaktoren (Zytokine, s. unten) zu proliferieren. So entsteht aus einer Zelle durch
Klonierung eine große Zellpopulation (Abb. 11.7). Dieser Vorgang spielt sich
überwiegend in einer Struktur lymphatischer Gewebe ab, die als Keimzentrum bekannt ist
(Abb. 11.3).

Im Fall der B-Zellen entwickeln sich klonale Lymphozyten zum großen Teil zu
Plasmazellen weiter, die Antikörper synthetisieren und sezernieren (Abb. 11.1). Da sie
von einer parentalen Zelle abstammen, die sich bereits auf die Produktion eines einzigen

210
spezifischen Antikörpers konzentriert hatte, ist ihr Endprodukt identisch mit dem
Molekül auf der Oberfläche der ursprünglichen Antigen-erkennenden Zelle. Oder
zumindest annähernd identisch, denn nach einer somatischen Mutation in den
Keimzentren (wo die Antikörper synthetisiert werden) könnten sich feine Abstufungen der
Bindungsfähigkeit ergeben.

Im Endergebnis führt die Lymphozyten-Klonierung zu großen Mengen von


Antikörpern, die genauso wie das Oberflächenmolekül der parentalen Zelle mit dem
eingedrungenen Antigen Komplexe bilden (Abb. 11.7).

Ein ähnlicher Selektions- und Klonierungsprozess läuft auch bei den T-Zellen ab. Hierbei
werden in großer Zahl Effektorzellen mit derselben Antigenspezifität wie bei der
parentalen Zelle produziert. Manche Effektorzellen setzen Zytokine frei, andere wirken
zytotoxisch und stehen daher im Dienste der zellvermittelten Immunität. Ein Unterschied
zwischen T- und B-Zellen besteht darin, dass Rezeptoren der T-Zellen keiner weiteren
Selektion (infolge einer somatischen Mutation) unterliegen.

Von entscheidender Bedeutung ist, dass sich sowohl bei B- wie bei T-Zellen eine Fraktion
der klonal verbreiteten Zellpopulation zu ruhenden Gedächtniszellen weiterentwickelt
(Abb. 11.7). Dadurch können mikrobielle Antigene bei Zweitinfektionen von mehr Zellen
erkannt werden als in der „jungfräulichen“ Population vor der Erstinfektion.

211
Abb. 11.6 Im Laufe der Differenzierung
immunkompetenter B-Lymphozyten kommt es zur
Expression eines einzigen IgM-Monomers auf der
Oberfläche (sIgMm).

Die variable Region wird zum größten Teil von etwa 50 VH-Keimbahngenen kodiert,
mit ca. 25 Minigenen für das D-Segment und 6 für die J-Region. Während der
Zelldifferenzierung können die VH-, D- und J-Segmente auf einem Chromosom
zufällig fusionieren; dabei entstehen Lymphozyten mit einem breiten Spektrum
individuell variabler Schwerketten-Domänen. Variable Leichtketten-Domänen
entstehen über eine zufällige Rekombination von VL und J. Schließlich kodieren die
Gene der variablen und konstanten Region nach ihrer Rekombination ein einziges
(Antikörper-)Molekül, das auf reifen B-Zellen als sIgM-Antigen-Rezeptor (s =

212
surface) exprimiert wird. Bei seiner Aktivierung beginnt die Antikörperproduktion:
Wenn sich das transmembranäre Segment, von dem das IgM-Molekül normalerweise
an der Oberfläche gehalten wird, in der RNA-Phase aufspleißt, wird IgM in löslicher
Form sezerniert. Durch eine Genumschaltung in der konstanten Schwerketten-Region
können anschließend noch andere Immunglobulinklassen (IgG, IgA usw.) gebildet
werden. Vereinfachte Darstellung.
Abb. 11.7 Nach Erstkontakt mit einem Antigen bilden
sich bei B- und T-Zellen große Populationen von
Effektor- und Gedächtniszellen.

Aus der Nachfolgegeneration der ursprünglich auf das Antigen ansprechenden


Lymphozyten geht eine Fraktion nicht teilungsfähiger Gedächtniszellen hervor,
während andere als Effektorzellen der humoralen oder zellvermittelten Immunität
fungieren. Da Gedächtniszellen nur wenige Zyklen benötigen, um ihre Wirkung zu
entfalten, verkürzt sich die Reaktionszeit beim Zweitkontakt mit einem Antigen.

213
11.3 Rolle der Gedächtniszellen

Sekundäre Immunantworten sind stärker und treten


rascher ein als primäre Reaktionen
Verglichen mit naiven Zellen, lassen sich Gedächtniszellen ab einer bestimmten
Antigendosis im Allgemeinen leichter stimulieren. Das hängt mit ihrer größeren
Antigenbindungsfähigkeit zusammen. Bei Memory-B-Zellen beruht dies auf der
Mutation und Selektion während der Primärreaktion. Bei Memory-T-Zellen muss die
Affinität nicht erst reifen, sondern sie können sich wegen der vermehrten Expression
zusätzlicher Adhäsionsmoleküle wie CD2, LFA-1, LFA-3 oder ICAM-1 (intercellular
adhesion molecule 1) stärker an antigenpräsentierende Zellen binden. In Verbindung mit
der größeren Anzahl antigenspezifischer Gedächtniszellen, die beim Erstkontakt
produziert wurden, führt dies zu einer sehr viel stärkeren Antikörper- oder T-Zell-
Reaktion beim Zweitkontakt mit dem betreffenden Antigen.

Auf diesem Prinzip beruht auch der Erfolg von Impfungen (Abb. 11.8). Für Impfstoffe
werden Erreger bzw. Antigene modifiziert, bis sie nicht länger krank machen oder
schädlich sind, aber trotzdem weitgehend ihre antigenen Eigenschaften beibehalten. Als
Primärreaktion auf die Impfung entsteht ein Pool von Gedächtniszellen, die dazu
beitragen, dass der Zweitkontakt mit dem Antigen (z.B. bei einer natürlichen bzw.
spontanen Infektion) eine völlig ausreichende Sekundärreaktion auslöst.

Das Immungedächtnis der Zellen ist meist langlebig und erstreckt sich über viele
Jahre. Dafür kann es verschiedene Gründe geben. Das langlebige Gedächtnis von Zellen
könnte angeboren sein oder infolge einer milden Proliferation (bei späteren Kontakten
mit einem Antigenreservoir im Körper oder subklinischer Infektion) aufrechterhalten
werden. Daneben besteht auch die Möglichkeit, dass T-Zellen durch das Zytokin IL-15
oder B-Zellen durch antiidiotypische Antikörper (Anti-Antikörper, die als Reaktion auf
die Bindung eines ersten Antikörpers gebildet werden und Memory-B-Zellen
stimulieren könnten, indem sie ihre Oberflächenrezeptoren „reizen“) stimuliert werden.

11.4 Stimulation von Lymphozyten

T-Lymphozyten werden durch spezialisierte


antigenpräsentierende Zellen stimuliert
Naive T-Zellen lassen sich stark von interdigitierenden dendritischen Zellen (IDC)
stimulieren, bei denen es sich um spezialisierte antigenpräsentierende Zellen (APC)
handelt. Von unreifen IDC werden Antigene im Gewebe aufgenommen, prozessiert
(verarbeitet) und in Form eines Peptid-MHC-Klasse-II-Komplexes auf der
Zelloberfläche präsentiert. Wandert die IDC zur T-Zell-Region eines ableitenden
Lymphknotens, kann sie dort mehrere T-Lymphozyten stimulieren. Der Kontakt
zwischen ihnen wird über den spezifischen T-Zell-Rezeptor, der den MHC-Peptid-
Komplex erkennt, und zusätzlich zwischen dem B7-Costimulator und dem CD28-
Molekül auf der Oberfläche hergestellt (Abb. 11.9).

214
Abb. 11.8 Primäre und sekundäre Immunantwort.

Nach Zweitkontakt mit einem Antigen erfolgt die Antikörperreaktion schneller und
intensiver. Deshalb bewirkt eine Impfung – als Erstkontakt mit einem Antigen in
abgeschwächter Form (hier am Beispiel des chemisch modifizierten Tetanustoxins
dargestellt) – eine sehr viel effizientere Sekundärreaktion bei erneutem
Antigenkontakt, etwa im Rahmen einer natürlichen (spontanen) Infektion.

Wie bereits erwähnt, sprechen T-Zellen nach dem Priming viel rascher auf Antigene an
als naive Zellen, wobei Makrophagen als antigenpräsentierende Zellen dienen können.

Manche Antigene stimulieren B-Zellen auch ohne


Zwischenschaltung von T-Zellen
Bei diesen sog. T-unabhängigen Antigenen lassen sich zwei Arten unterscheiden:

■ Typ-1-Antigene sind aufgrund ihrer molekularen Merkmale imstande,


verschiedene B-Zellen unabhängig von deren spezifischem Antigenrezeptor zu
stimulieren; man bezeichnet sie deshalb als polyklonale Aktivatoren. Im Vergleich
zur übrigen B-Zell-Population werden bevorzugt B-Zellen stimuliert, die mit ihren
Oberflächenrezeptoren Epitope eines polyklonalen Aktivators erkennen und das
Antigenmolekül anlocken (Abb. 11.10).

■ Beim zweiten Typ der T-unabhängigen Antigene handelt es sich um


Determinanten, die sich auf der Oberfläche spezialisierter Makrophagen wiederholen.
Sie befinden sich in der Randzone sekundärer Milzfollikel mit Keimzentren oder in
subkapsulären Sinus von Lymphknoten (Abb. 11.3). B-Zellen können sie offenbar
direkt stimulieren, weil sie Querverbindungen zwischen den Immunglobulinrezeptoren
herstellen (Abb. 11.10).

T-unabhängige Antigene (beide Typen) teilen ein gemeinsames Merkmal: Sie rufen eher
eine Reaktion mit IgM-Antikörpern niedriger Affinität als mit IgG-Antikörpern hervor
und induzieren nur selten die Bildung von Gedächtniszellen.

215
Für die Antikörperproduktion wird häufig die Hilfe von
T-Zellen benötigt
Die meisten Antigene können B-Zellen nur stimulieren, wenn sie dabei Unterstützung
von T-Helferzellen (TH-Zellen) bekommen. Das läuft dann folgendermaßen ab:

■ In Phase 1 wird das ursprüngliche Antigen von einer antigenpräsentierenden


Zelle verarbeitet und kann dann eine TH-Zelle mit komplementärem
Oberflächenrezeptor primen.

■ In Phase 2 wird das Antigen von einer B-Zelle (mit komplementärem


Oberflächenrezeptor zu einem Epitop des ursprünglichen Antigens) eingefangen und
über den Rezeptor aufgenommen. Auch die B-Zelle präsentiert nach der Prozessierung
des Antigens ein Peptid auf ihrer Oberfläche – zusammen mit endogenen MHC-
Klasse-II-Molekülen. Gegen diesen Komplex richtete sich ursprünglich das Priming
der TH-Zelle, und ihr Wiedererkennen des prozessierten Antigens führt zur
Stimulierung der B-Zelle mit anschließender Aktivierung, Proliferation und Reifung
(Abb. 11.11).

Anmerkung: Obwohl T-Helferzellen prozessierte Antigendeterminanten erkennen, sind


B-Zellen so programmiert, dass sie nur Antikörper derselben Spezifität wie die ihres
Oberflächenrezeptors bilden. Letztlich kommen dabei also Antikörper heraus, die gegen
das von Oberflächenrezeptoren der B-Zellen erkannte Epitop von Antigenen gerichtet
sind.

216
Abb. 11.9 Migration und Reifung interdigitierender
dendritischer Zellen (IDC).

Ihre Vorläufer aus Knochenmarkstammzellen gelangen auf dem Blutweg in nicht-


lymphatisches Gewebe. Unreife IDC (z.B. Langerhans-Zellen in der Haut) haben
sich auf die Aufnahme von Antigen spezialisiert. Anschließend wandern sie über
afferente Lymphgefäße weiter zu sekundären lymphatischen Geweben, wo sie sich
niederlassen und große Mengen von MHC-Klasse-II- und Costimulator-Molekülen
(wie B7) exprimieren. Von den hoch spezialisierten reifen IDC werden naive T-
Zellen aktiviert [Roitt/Delves 2001].

217
Abb. 11.10 Aktivierung von B-Zellen durch T-
unabhängige Antigene.

Unklar ist noch immer, welche Voraussetzungen antigenpräsentierende Zellen


(APC) für Typ-2-Antigene erfüllen müssen. Ig = Immunglobulin
Abb. 11.11 T-Helferzellen (TH) stimulieren B-Zellen
zur Synthese von Antikörpern gegen T-abhängige
Antigene.

Abfolge der Schritte im Text näher beschrieben. Ag = Antigen, APC =


antigenpräsentierende Zelle, MHC = major histocompatibility complex

218
11.5 Zytokine

Bei der
Immunantwort
fördern Zytokine
als lösliche
Faktoren die
Kommunikation
zwischen den
Zellen
Sobald der TCR
prozessiertes Antigen in
Verbindung mit MHC-
Klasse-II-Molekülen erkannt
hat, arbeiten APC, T-Helfer-
und B-Zellen eng zusammen
(Abb. 11.11). Um sich
gegenseitig beeinflussen zu
können, setzen sie lösliche
Faktoren, sog. Zytokine, frei
(Tab. 11.2). Zytokine
reagieren auf
komplementäre
Oberflächenrezeptoren der
Zielzellen. Bei aktivierten T-
Zellen führt z.B. die
Derepression (Aufhebung
der Hemmung) des Gens,
das den IL-2-Rezeptor (IL-
2R) kodiert, dazu, dass auf
der Lymphozytenoberfläche
das IL-2R-Molekül
exprimiert wird. Zudem
beginnt eine Subpopulation
der Th-Zellen, IL-2 zu
synthetisieren. Auf T-Zellen
wirkt IL-2 wie ein
Wachstumsfaktor, denn es
verbindet sich mit IL-2R und
fördert so ihre Proliferation
(Abb. 11.7).

Tab. 11.2 Zytokine –


die Hormone des
Immunsystems.

219
Bekannte Zytokine und ihre Wirkungen.
KM = Knochenmark; G-CSF = Granulozyten-Kolonie-stimulierender Faktor;
GM-CSF = Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierender Faktor; M-CSF =
Makrophagen- Kolonie-stimulierender Faktor; IFN = Interferon, IL = Interleukin,
NK = natürliche Killerzellen, PMN = polymorphkernige Lymphozyten, TGF =
transforming growth factor, TNFα= Tumornekrosefaktor α

220
Anhand der Zytokinproduktion lassen sich T-
Helferzellen in Gruppen einteilen
T-Helferzell-Klone lassen sich phänotypisch nach ihrem Zytokinsekretionsmuster zwei
verschiedenen Gruppen zuordnen (Tab. 11.3). Das ist biologisch insofern sinnvoll, als
von Th1-Zellen produzierte Zytokine wie IFNγ vermutlich speziell gegen
intrazelluläre Infektionen (mit Viren oder Mikroorganismen, die in Makrophagen
wachsen) wirksam sind, während sich Zytokine der Th2-Zellen – als gute Hilfe für B-
Zellen – offenbar besonders zur Abwehr von Parasiten eignen, die anfällig für IL-4
(Ausschaltung von IgE), IL-5 (Eosinophilie) und eine IL-3/4-stimulierte Proliferation
von Mastzellen sind.

Erst bei der Immunreaktion und zum Teil geprägt von der Art des Antigens/Stimulus
entscheidet sich, zu welchem Pol des Th1-/Th2-Zytokinmusters sich ein Phänotyp hin
entwickelt. Beide Untergruppen können sich wechselseitig antagonistisch
beeinflussen, da IL-4 die Aktivität der Th1-Zellen herunterreguliert und IFNγ die
Aktivität der Th2-Zellen unterdrückt.

Aufmerksamkeit wurde auch einer dritten Untergruppe (Th3) gewidmet. Denn diese
auch als Tr1 (T-regulatory-1) bezeichneten Zellen produzieren einen Wachstumsfaktor
(TGFβ) und IL-10, die immunsuppressiv wirken und für den Erhalt der Selbsttoleranz
eine Rolle spielen könnten (Abb. 11.14, weiter unten).

Tab. 11.3 Zytokinmuster der T-Zellen (Klone).

221
Abb. 11.12 zeigt, wie weit das Zytokin-Netz reicht und wie viele unterschiedliche
Zellen es mit einbezieht. Dass an einer Immunreaktion beteiligte Zellen an der
anatomisch günstigsten Stelle zusammengezogen werden, liegt an der großen Zahl von
Zytokinen mit relativ niedrigem Molekulargewicht, die wegen ihrer chemischen
Anziehungskraft auch als Chemokine bezeichnet werden. Ihre Wirkung entfaltet sich
über Oberflächenrezeptoren der Zielzellen. Dazu gehören z.B. IL-8 (wirkt besonders
anziehend auf Neutrophile), MCF-1 (Makrophagen-chemotaktischer Faktor) und
RANTES (lockt T-, NK- und dendritische Zellen, Monozyten, Eosinophile und
Basophile zum Ort der Entzündung hin).
Abb. 11.12 Zytokinvermittelte zelluläre
Interaktionen.

T-Helfer(TH)-Zellen lassen sich zwei Gruppen zuordnen: Th1-Zellen produzieren


Interleukin 2 (IL-2) und γ-Interferon (IFNγ), die über Makrophagen eine chronische
Entzündungsreaktion aktivieren. Th2-Zellen produzieren IL-4, IL-5 und IL-6, die B-
Zellen bei der Antikörperproduktion unterstützen (aus Playfair 2001).

G-CSF/GM-CSF/M-CSF = Granulozyten-/Granulozyten-Makrophagen-
/Makrophagen-Kolonie-stimulierender Faktor, H2O2 = Wasserstoffperoxid, LS =
lymphoide Stammzelle, MS = myeloide Stammzelle, NK = natürliche Killerzellen,
NO = Stickoxid, PC = Plasmazelle, PMN = polymorphkerniger Lymphozyt, SC =
Stammzelle, Tc = zytotoxische T-Zelle, TGFβ = transforming growth factor beta,
TNF = Tumornekrosefaktor

222
11.6 Steuerung/Regulationsmechanismen

Kontrolle der unbegrenzten klonalen Vermehrung


Auch wenn Lymphozyten durch ein Antigen zur Klonierung aktiviert werden, dürfen sie
sich nicht endlos weiter teilen, weil sie sonst den ganzen Wirtsorganismus ausfüllen
würden. Deshalb gibt es verschiedene Kontrollmechanismen für die Vermehrung dieser
Lymphozyten.

Eine sehr wichtige Rolle spielt bei Immunreaktionen die Antigenkonzentration (Titer).
Natürlich bedeutet es einen entscheidenden evolutionären Vorteil, wenn in einem
(Körper-)System die Immunabwehr ein- und ausgeschaltet werden kann, sobald ein
Antigen auftaucht bzw. wieder verschwindet. Insofern dürfte es nicht weiter
überraschen, dass sich über Selektionsprozesse ein antigengesteuertes Abwehrsystem
entwickelt hat, bei dem Immunantworten direkt von der Antigenwirkung auf
Lymphozytenrezeptoren beeinflusst werden. Nach Katabolisierung (Abbau durch
Stoffwechsel) und Beseitigung des Antigens (Klärung durch Immunreaktion)
verschwindet auch die Stimulation des Immunsystems.

Antikörper haben einen Rückkopplungseffekt


Als frühe Immunreaktion wird IgM produziert. Es sorgt für eine positive
Rückkopplung (Feedback) und unterstützt die Immunabwehr beim Reifeprozess.
Dagegen kann IgG in ausreichender Konzentration ein negatives Feedback bewirken
und die Immunreaktion herunterfahren (Downregulation). Die Th3- bzw. Tr1-Zellen
wurden bereits erwähnt, die die Aktivität sowohl der T-Helfer- als auch der B-Zellen
bremsen, und zwar durch antigen- oder idiotypspezifische Mechanismen. Im letzteren
Fall könnte es sein, dass Epitope auf einem Lymphozytenrezeptor (Idiotyp), die von
einem anderen Lymphozytenrezeptor (Antiidiotyp) erkannt werden, über ein dichtes
Netz gegenseitiger Beeinflussung die Immunantwort unterdrücken (Abb. 11.13).

223
Abb. 11.13 Steuerung der Immunantwort.

Auf ähnliche Weise wird auch die Hilfe der T-Zellen bei zellvermittelten
Immunreaktionen reguliert. Zur besseren Verständlichkeit wurde hier weggelassen,
dass antiidiotypische T-Helferzellen (Th) auch B-Zellen rekrutieren und idiotypische
T-Helferzellen antiidiotypische T-Suppressorzellen (Ts) direkt aktivieren können.
APC = antigenpräsentierende Zelle

11.7 Toleranzmechanismen

Mechanismen der Selbst-Toleranz verhindern


Autoreaktivität
Um Reaktionen gegen körpereigene Bestandteile zu vermeiden, muss das Immunsystem
unbedingt lernen, nicht gegen körpereigene Moleküle anzukämpfen bzw. muss Selbst-
Toleranz entwickeln. Im Wesentlichen werden autoreaktive Zellen vermutlich

■ durch eine Art klonaler Deletion beseitigt

■ schon in einem frühen Stadium ihres Zelllebens anerg

■ manchmal (später im Leben) durch regulatorische T-Zellen ruhig gestellt (Abb.


11.14).

Ab einer bestimmten Antigenkonzentration werden T-


Zellen leichter toleriert als B-Zellen
Es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass Autoantigene im Thymus zur Deletion oder
Anergie spezifischer T-Zell-Klone führen; dennoch überleben autoreaktive T-Zellen,
wenn die MHC-/Eigen-Peptid-Konzentration einer entsprechenden
antigenpräsentierenden Zelle zu niedrig ist. Bei einer relativ hohen Konzentration an
Selbstproteinen wird es auch zur klonalen Deletion oder Anergie von B-Zellen kommen.
Allerdings besteht weniger die Notwendigkeit, andere B-Zellen zu tolerieren, weil

224
autoreaktive B-Zellen unfähig (hilflos) wären, auf Thymus-abhängige Antigene zu
reagieren, wenn die entsprechenden T-Helferzellen die Moleküle tolerieren würden, sei
es aufgrund klonaler Deletion oder Suppression durch Tr1-Zellen (Abb. 11.14).

Das Immunsystem spricht auch nicht auf körpereigene Anteile an, wenn es sie nicht
bemerkt oder erkennen kann. Das geschieht z.B., wenn sich die Genausstattung über
einen langen Zeitraum verändert hat und die Gene für autoreaktive Rezeptoren verloren
gegangen sind. Doch selbst wenn autoreaktive T-Zellen vorhanden sein sollten, werden
sie nicht aktiviert, solange Autoantigene (sAg) anatomisch isoliert oder nicht in
ausreichender Konzentration (prozessiert und als Komplex mit MHC-Klasse-II-
Molekülen) vorliegen bzw. keine MHC-Klasse-II-Moleküle auf der Zelloberfläche
exprimiert werden. Da die meisten Zellen MHC-Klasse-I-Moleküle exprimieren,
erscheint es logisch, dass zytotoxische T-Zellen (Tc), die auf Zellen mit prozessierten
intrazellulären Komponenten reagieren könnten, entweder beseitigt, hilflos oder
unterdrückt wurden.
Abb. 11.14 Mechanismen der Selbst-Toleranz.

Autoreaktive T-Helferzellen (Th) werden nicht durch Autoantigene (Selbst-


Antigene, sAg) stimuliert, wenn sie anatomisch isoliert liegen bzw. wenn die sAg-
Konzentration der Peptid-MHC-Klasse-II-Moleküle zu niedrig ist oder keine MHC-
Klasse-II-Moleküle vorhanden sind. Sowohl B- als auch T-Zellen können durch
klonale Deletion ausgeschaltet oder durch Kontakt mit einem Autoantigen ruhig
gestellt (anerg, d.h. lebend, aber nicht mehr reagierend) werden. Ist die sAg-
Konzentration zu niedrig, wird die Differenzierung unreifer Lymphozyten, die den
entsprechenden Rezeptor tragen, jedoch nicht stillgelegt, so dass eine Gruppe
autoreaktiver T- und B-Zellen überlebt. Am leichtesten werden T-Helferzellen
toleriert, und ohne ihre Hilfe können die überlebenden autoreaktiven B- und
zytotoxischen T-Zellen (Tc) nicht funktionieren. Hinzu kommt, dass T-
Suppressorzellen (Ts) eine versehentliche Stimulation überlebender autoreaktiver
Zellen verhindern; bei dieser Untereinheit handelt es sich wahrscheinlich um

225
Th3/Tr1-Zellen. Tote, nicht mehr reagierende oder unterdrückte Zellen sind hier
grau dargestellt [modif. nach Roitt/Delves 2001]. APC = antigenpräsentierende
Zellen
Zusammenfassung
■ Lymphozyten exprimieren entweder Antikörper oder einen T-Zell-Rezeptor
(TCR) mit einer einzigen Antigenspezifität.
■ Durch Antigenbindung an den komplementären Antikörper oder TCR werden
Lymphozyten dazu aktiviert, sich mittels Zellklonierung zu vermehren
(proliferieren). Sie differenzieren sich dann zu Zellen, die Antikörper bilden, oder zu
Effektorzellen der zellvermittelten Immunität; daneben entsteht ein großer Pool von
Gedächtniszellen.
■ Werden aus diesem Pool beim Zweitkontakt mit einem Antigen
Gedächtniszellen stimuliert, kann das Immunsystem umfassender und schneller als
beim Erstkontakt reagieren. Deshalb dienen Impfungen mit Antigen in
abgeschwächter Form als Vorbereitung auf erneuten Antigenkontakt (z.B. bei einer
natürlichen/spontanen Infektion), damit die Immunreaktion der Geimpften sofort
effektiv ausfällt.
■ Viele Antigene benötigen Hilfe von T-Zellen, um B-Zellen aktivieren zu
können. Die Interaktionen zwischen den Zellen vermittelt eine Vielzahl löslicher
Faktoren (Zytokine).
■ Antigenkonzentration, Antikörper-Feedback, T-Zell-Suppression und Apoptose
schränken eine ungebremste klonale Vermehrung der Lymphozyten ein.
■ Verschiedene Toleranzmechanismen verhindern eine Autoreaktivität
(Immunabwehr gegen körpereigene Bestandteile).

FRAGEN
1 Heiβt das immunologische Nichtansprechen auf Autoantigene:
a) Toleranz
b) Tolerogen
c) Gedächtnis
d) erworbene Immunität
e) ADCC?

226
2 Zytokine wirken immer:
a) durch spezifische Rezeptorbindung
b) über weite Strecken
c) antagonistisch mit anderen Zytokinen
d) synergistisch mit anderen Zytokinen?
3 Mit welchem typischen Produkt unterstutzen CD4-positive Th2-Zellen, nicht
aber Th1-Zellen die Antikorperproduktion:
a) IFNγ
b) Lymphotoxin (TNFβ)
c) GM-CSF
d) IL-4
e) IL-1?
4 *Negatives Feedback auf adaptive Immunreaktionen der B-Zellen wird
vermittelt durch:
a) antigenspezifisches IgM
b) antigenspezifisches IgG
c) Antigenneutralisation
d) Fcγ-Rezeptoren der Makrophagen
e) F(ab‘)2 anti-μ?
5 Vor intrazellulären Erregern schützen
a) T-Zellen
b) Antikörper
c) C3B
d) C1
e) der Membranangriffskomplex?
* mehr als eine richtige Antwort
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Alt, F., Marrack, P. (eds.): Curr Opin Immunol [erscheint 2-monatlich, jede 1., 2. und
3. Auflage eines Bandes mit kritischem Review].
Janeway, Travers, Walport, Shlomchik. Immunologie. 5. Aufl. Spektrum
Akademischer Verlag GmbH 2002.
Playfair, J.H.L.: Immunology at a Glance. 7th ed. Blackwell Science, Oxford 2001.
Roitt, I.M., Delves, P.J.: Roitt’s Essential Immunology. 10th ed. Blackwell Science,
Oxford 2001.
Roitt, I.M., Brostzoff, J., Male, D.K. (eds.): Immunology. 6th ed. Elsevier Science,
London 2002.

227
12 Wechselwirkungen zwischen Erreger und Wirt
12.1 Wirt-Parasit-Beziehungen 125

12.2 Ursachen infektiöser Erkrankungen 129

12.3 Unterschiedliches biologisches Ansprechen131


Zur Orientierung
Wirbeltiere waren in den Hunderten Millionen Jahren ihrer Evolution einer ständigen
Infektionsgefahr ausgesetzt; unzureichende Abwehrmechanismen gegen
Mikroorganismen führten zu Krankheit oder Tod. Daher entwickelten sie

■ hoch effiziente Erkennungsmethoden für fremde Eindringlinge,

■ Entzündungs- und Immunreaktionen, um Wachstum und Ausbreitung der Invasoren


im Körper wirksam einzuschränken und sie zu vernichten.

Wesentliche Grundlagen der körpereigenen Abwehr sind in Kapitel 9 und 10 beschrieben.


Wären diese Abwehrmechanismen vollkommen wirksam, könnten Erreger nicht lange im
Körper persistieren; sporadische mikrobielle Infektionen würden somit rasch beendet sein.

Mikroorganismen entwickelten rasch die Fähigkeit, die


Wirtsabwehr zu überwinden
Auf Abwehrmechanismen ihrer Wirtsspezies reagierten Mikroorganismen sehr schnell:
Sie entfalteten unterschiedliche Eigenschaften, um die Abwehr zu umgehen oder zu
überwinden und obligatorische Entwicklungsschritte zu vollziehen (Tab. 12.1).
Mikroorganismen entwickeln sich im Vergleich zu ihrem Wirt mit rasanter
Geschwindigkeit. Das liegt zum Teil an der schnelleren Vermehrung. Die
durchschnittliche Generationszeit von Bakterien beträgt eine Stunde oder weniger, beim
Menschen etwa 20 Jahre. Schnelle evolutionäre Veränderungen werden auch durch
direkte Weitergabe der Gene (auf Plasmiden) von Bakterien auf andere, auch auf
nichtverwandte, Bakterien begünstigt. So können z.B. Antibiotikaresistenzgene schnell
zwischen Bakterienspezies übertragen werden. Diese raschen evolutionären
Veränderungen stellen sicher, dass Mikroorganismen den Abwehrmechanismen ihres
Wirts immer mehrere Schritte voraus sind.

Wenn es die Möglichkeit gibt, die Abwehr zu umgehen, haben Mikroorganismen sie
höchstwahrscheinlich bereits herausgefunden und daraus ihren Vorteil gezogen. Ihrer
Fähigkeit zur Anpassung und Weiterentwicklung, indem sie jede Schwachstelle der
Wirtsabwehr für sich nutzen, verdanken Infektionserreger zum großen Teil ihr
erfolgreiches Durchsetzungsvermögen (Tab. 12.2, Abb. 12.1 und 12.2). Umgekehrt
musste der Wirt als Reaktion darauf seine Abwehr langsam verbessern und weiter
ausbauen. Daher sind seine Abwehrmechanismen so breit gefächert angelegt, dass sie sich
zum Teil überlappen und in der Wirkung verdoppeln.

12.1 Wirt-Parasit-Beziehungen

228
Entscheidend ist, wie schnell die (spezifischen)
Abwehrkräfte mobilisiert werden
Jede Infektion ist ein Wettlauf (Abb. 12.1) zwischen Erreger (d.h. der Fähigkeit, sich zu
vermehren, zu verbreiten und krank zu machen) und Wirt (der Fähigkeit, die Infektion
zu bekämpfen und zu beenden). Für schnell wachsende Mikroorganismen kann es einen
entscheidenden Vorteil bedeuten, wenn die Wirtsantwort erst mit 24-stündiger
Verzögerung in Gang kommt. Vom Wirt aus betrachtet kann der Schaden dann bereits
so groß sein, dass er krank wird. Vom Standpunkt des Erregers aus ist der Zeitgewinn
wertvoll, weil er sich so in größerer Menge weiterverbreiten kann oder ein bis zwei
Tage mehr Zeit im Körper des Wirts hat. Solche Mikroorganismen setzen sich durch
und werden im Laufe der Evolution schnell selektiert.

Durch Anpassung von Wirt und Parasit wird die


Beziehung stabiler und ausgeglichener
Während der Auseinandersetzung versuchen beide Seiten, sich aufeinander einzustellen
(s. Kasten Myxomatose), um den Schaden und die Todesfälle (Letalität in der
Wirtspopulation) möglichst gering zu halten. Diese Anpassung führt zu einer stabileren,
ausgeglicheneren Beziehung. Ein erfolgreicher Parasit holt sich ohne größere
Schädigung alles von seinem Wirt, was er benötigt, und je länger die Beziehung hält,
desto unschädlicher ist sie im Allgemeinen. Viele parasitäre Mikroorganismen, nicht nur
der Normalflora (s. Kap. 8), sondern auch Polioviren, Meningokokken und
Pneumokokken, leben zum größten Teil friedlich mit ihrem (Menschen-)Wirt
zusammen.

Manche Mikroorganismen beschränken sich auf die Körperoberfläche und breiten sich
höchstens lokal aus, ohne in tiefere Schichten einzudringen. Dazu gehören z.B. Grippe-
und Warzenviren, Mykoplasmen und Hautpilze. Oft verlaufen solche Infektionen in
milder Form. Wenn jedoch starke Toxine gebildet werden, die ihre Wirkung lokal
(Cholera) oder an entfernteren Stellen (Diphtherie) entfalten, kann es zu einer schweren
Erkrankung kommen.

229
Tab. 12.1 Infektionserreger müssen bestimmte obligatorische
Schritte vollziehen, um sich erfolgreich durchzusetzen.
*
Der letzte Schritt, Schädigung des Wirts, ist nicht unbedingt nötig; doch ein
gewisser Schädigungsgrad kann für die Weiterverbreitung förderlich sein.
Voraussetzung für die Übertragung auf neue Wirte ist z. B. die Absonderung
infektiöser Sekrete bei Erkältung oder Durchfall bzw. ein juckender Bläschen- oder
Pustelausschlag.

230
Tab.
12.2

231
Wirtsabwehr und Ausweichstrategien der Erreger: mechanische
und andere Schutzbarrieren.
Abb. 12.1 Jede Infektion ist ein Wettlauf. Wird die
spezifische (erworbene) Immunabwehr zu spät
mobilisiert, drohen Erkrankung oder Tod des Wirts.

232
Vier Infektionsarten lassen sich unterscheiden
Es gibt vier Arten von Infektionen durch Mikroorganismen (Abb. 12.3). Die Erreger
können

■ sich dank spezifischer Mechanismen an die Oberfläche normalerweise


gesunder Wirte heften oder in den Körper eindringen (z.B. die meisten Viren,
bestimmte Bakterien);

■ durch Insektenbisse/-stiche in normalerweise gesunde Wirte eingebracht


werden (z.B. Malaria, Pest, Typhus, Gelbfieber);

■ über Hautwunden oder Tierbisse in den Körper ansonsten gesunder Wirte


gelangen (Clostridien, Tollwutvirus, Pasteurella multocida);

■ normalerweise gesunde Wirte nur infizieren, wenn deren oberflächliche oder


systemische Abwehr geschwächt ist (s. Kap. 30), z.B. bei Verbrennungen,
bakterieller Pneumonie nach viraler Vorerkrankung (postgrippal) oder bei
Immunschwäche (Immunsuppression durch Medikamente oder Krankheiten wie
AIDS), beim Einführen von Fremdkörpern bzw. Instrumenten (Kanülen, Katheter)
oder wenn sich die anatomischen Gegebenheiten geändert haben (z.B.
Harnwegsinfektion des Mannes (Harnsteine, Prostatahyperplasie, s. Kap. 20).
Geschichte der Mikrobiologie
Myxomatose

Ein gut untersuchtes, klassisches Beispiel für die Entwicklung einer Erkrankung in
einer sehr infektionsanfälligen Population ist die Myxomatose. Das Myxomvirus wird
mechanisch über Moskitostiche verbreitet. Normalerweise infizieren sich
südamerikanische Kaninchen (Sylvilagus brasiliensis) in der Form, dass sich zwar an
der Einstichstelle eine virushaltige Hautbeule entwickelt, die Tiere aber ansonsten
asymptomatisch bleiben. Bei europäischen Kaninchen (Oryctolagus cuniculus)
verursacht dasselbe Virus jedoch eine Erkrankung, die rasch tödlich ausgeht.

Um die schnell anwachsende Kaninchenpopulation in Australien zu dezimieren,


wurde das Myxomvirus 1950 – mit Erfolg – dort eingeführt. Anfangs starben mehr als
99% der infizierten Tiere (Abb. 12.2), doch dann traten zwei grundlegende
Veränderungen ein:

■ Neue, weniger tödliche Stämme ersetzten das ursprüngliche Virus: Weil diese
Kaninchen länger lebten, konnte ihr Virus mit größerer Wahrscheinlichkeit
übertragen werden.

■ Durch Ausrottung der genetisch (infektions)anfälligeren Tiere veränderte sich


die Kaninchenpopulation. Mit anderen Worten: Virusbedingt kam es zur Selektion
resistenter Wirte, und dabei erwiesen sich die weniger tödlichen Stämme als
erfolgreichere Parasiten. Mit Auslöschung der Kaninchenpopulation wäre auch das
Virus ausgestorben. Doch in dem Fall wurde die Wirt-Parasit-Beziehung ziemlich
schnell beständiger, bis ein Zustand ausbalancierter Pathogenität erreicht war.

233
Australischen Kaninchen droht nun neue Gefahr durch ein Calicivirus aus Europa,
dass sich durch Kontaktinfektion ausbreitet und eine tödliche hämorrhagische
Krankheit hervorruft.
Abb. 12.2 Myxomatose.

Sie ist das bestuntersuchte Beispiel für die Infektion mit einem Erreger, dessen
anfangs hohe Letalität in der Wirtspopulation sich allmählich abschwächt, bis sich
der Zustand einer ausbalancierten Pathogenität einstellt. Nachdem sich Vibrio
cholerae in dieser Richtung entwickelt, wird vielleicht auch HIV den Weg
einschlagen.

234
Abb. 12.3 Vier Arten einer Infektion durch
Mikroorganismen

(Körperflächen des Wirts nach demselben Schema wie in Abb. 13.1


wiedergegeben). Äußere (oberflächliche) und innere (systemische) Abwehr des
Wirts können aus verschiedenen Gründen geschwächt sein.

12.2 Ursachen infektiöser Erkrankungen

Über hundert Mikroorganismen verursachen die


häufigsten Infektionen
Menschen dienen vielen Mikroorganismen als Wirt. Neben Vertretern der Normalflora
kommen über hundert Mikroorganismen als Auslöser gängiger Infektionen in Frage
(einige halten sich noch Jahre danach im Körper), und mehrere hundert andere sind für
seltenere Infektionen verantwortlich. Wie lässt sich vor dem Hintergrund so vielfältiger
parasitärer Einwirkungen ein bestimmter Erreger als Krankheitsursache nachweisen? In
einigen Fällen (Anthrax, Cholera, Tetanus) kennt man den Auslöser und kann ihn schon
in einem frühen Stadium diagnostizieren, doch bei Drüsenfieber und Virushepatitis ist
dies schwierig.

235
Kochs Postulate zur Identifizierung von
Mikroorganismen als Verursacher spezifischer
Erkrankungen
1890 postulierte Robert Koch (s. Kasten) Kriterien, in denen er notwendige
Voraussetzungen für den Nachweis der eindeutigen Krankheitsursache sah. Der
betreffende Erreger muss

■ in jedem Erkrankungsfall vorhanden sein,

■ bei Erkrankten isoliert und in Reinkultur gezüchtet werden können,

■ die Erkrankung wiederholt (reproduzierbar) hervorrufen (wenn Kultur in


anfällige, zuvor nicht erkrankte Wirte eingebracht wurde),

■ auch von experimentell infizierten Wirten gewonnen werden können.

Um weitere bakterielle und auch virale Infektionskrankheiten einzuschließen, waren


jedoch Modifikationen von Kochs Kriterien nötig. Mikroorganismen (wie Treponema
pallidum und das Warzenvirus) ließen sich nicht im Labor züchten, und für bestimmte
Erreger – Hepatitis-B-Virus (HBV) und Epstein-Barr-Virus (EBV) – fand sich zumindest
anfangs noch keine empfängliche Tierspezies. Zur Lösung dieser Probleme wurden die
Regeln mehrmals angepasst und schließlich 1976 von A.S. Evans neu formuliert und
aktualisiert.

In den frühen Tagen der Mikrobiologie sorgten Kochs Postulate für willkommene
Klarheit. Erst kurz nach Kochs klassischen Studien zu Anthrax (1876) und Tuberkulose
(1882) ging man daran, Krankheitsursachen im Sinne der Keimtheorie zu erforschen,
und Methoden zur Isolierung, Kultivierung und Identifizierung von Mikroorganismen
wurden gerade erst entwickelt.

Heutzutage werden Rückschlüsse auf die


Erkrankungsursache mit aufgeklärtem Sachverstand
gezogen
Geschichte der Mikrobiologie
Robert Koch (1843–1910)

Als es Robert Koch 1876 in Berlin gelang, den Milzbranderreger (Bacillus anthracis)
zu isolieren, war er der Erste, der eine spezifische Krankheitsursache aufzeigen
konnte. 1882 entdeckte er den Tuberkulose-Erreger (Mycobacterium tuberculosis).
Auf einer Expedition nach Ägypten und Indien unter seiner Leitung erforschte er 1883
auch den Erreger der Cholera (Vibrio cholerae).

Koch gilt als Begründer der Keimtheorie, der zufolge einzelne Mikroorganismen-
Spezies bestimmte Krankheiten hervorrufen. Als Grundregeln formulierte er 1890
seine Postulate (s. Text). Um den strengen Anforderungen dieser Postulate zu
genügen, waren neue Kulturtechniken erforderlich. Daher war Koch der Erste, der

236
Bakterien-Kolonien – auf Kartoffelscheiben und später, mit seinem Schüler Petri
zusammen, auf festen Gelatine-Nährböden – züchtete.

Koch selbst konnte Cholera bei Tieren jedoch nicht reproduzieren. Außerdem ließen
sich nicht alle Mikroorganismen kultivieren, so dass seine Grundregeln entsprechend
modifiziert werden mussten. Trotzdem brachte Kochs Theorie Ordnung und Klarheit
in die Medizin, denn zu seiner Zeit galten Krankheiten noch als Strafe Gottes oder des
Teufels und wurden auf Miasmen, Nebel oder ungünstige Konstellationen der Sterne
und Planeten zurückgeführt.

Es regte sich jedoch auch Widerstand gegen Kochs Ideen. Der bekannte Münchner
Arzt Max von Pettenkofer hielt die neue Theorie für widerlegt, als er eine
Kulturlösung mit V. cholerae trank und nur eine leichte Diarrhoe bekam.

Robert Koch (1843–1910)

Der enorme technologische Fortschritt und unser besseres Verständnis von Infektionen
mögen den Versuch, lange Listen mit strengen Kriterien aufzustellen, überholt
erscheinen lassen. Heute können wir aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse nutzen, um
die Ursachen von Krankheiten zu erkennen. Wir wissen, dass manche Krankheiten erst
Jahre nach der Infektion ausbrechen (subakut-sklerosierende Panenzephalitis,
Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung; s. Kap. 24). Dank molekulargenetischer Technik können
zuvor nicht kultivierbare Erreger identifiziert werden. Die Polymerasekettenreaktion

237
half bei Patienten mit Whipple-Krankheit (einer seltenen, multisystemischen
Erkrankung), kleine mRNA-Mengen aus dem Darm zu amplifizieren und zu
sequenzieren. Entdeckt wurde dabeidie 16S-mRNA eines vorher unbekannten und nicht
anzüchtbaren Bakteriums (Tropheryma whippelii). Trotzdem bleiben im Hinblick auf
Krankheiten mit möglicher oder wahrscheinlicher mikrobieller Ätiologie Grauzonen,
besonders wenn mehr als ein Mikroorganismus beteiligt ist. Kofaktoren oder
genetische und immunologische Eigenheiten des Wirts könnten eine wichtige Rolle
spielen. Beispiele sind:

■ durch Viren (HBV, EBV, HPV) bedingte Tumorerkrankungen;

■ mikrobielle Erkrankungen, an denen möglicherweise mehrere


Mikroorganismen beteiligt sind, können das postvirale Fatigue-Syndrom oder einen
Multiple-Sklerose-Schub auslösen;

■ infektiöse Erkrankungen, die nur bei einer kleinen Gruppe genetisch


vorbelasteter Patienten auftreten (rheumatoide Arthritis, juveniler Diabetes mellitus).

Mögliche Schwierigkeiten der ätiologischen


Zuordnung von Krankheiten
Theoretisch von Interesse sind Fälle, in denen die ätiologische Zuordnung einer
Krankheit Schwierigkeiten bereiten könnte, obwohl bisher keine dieser Möglichkeiten
auf menschliche Erkrankungen zutraf:

■ Bei manchen Infektionen verhält sich die ins Wirtsgenom integrierte Virus-
DNA wie genetisches Merkmal und wird vertikal übertragen (z.B. Mammatumorviren
bei Mäusen).

■ Wenn ein Mikroorganismus nur den Krankheitsprozess anstößt und danach


komplett aus dem Körper verschwindet, lässt er sich nicht länger nachweisen. Dies ist
bei zerebellarer Hypoplasie von Hamstern und Katzen nach intrauteriner
Parvovirusinfektion der Fall. Bei Menschen gibt es keine entsprechenden Beispiele.

238
12.3 Unterschiedliches biologisches Ansprechen

Üblicherweise rufen Erreger nicht bei allen Infizierten


dasselbe Krankheitsbild hervor
Selbst wenn nur einige der krankheitsdefinierenden Symptome vorliegen, muss der Arzt
die Diagnose stellen können. Wie das klinische Bild einer Krankheit genau aussieht,
hängt von mehreren Variablen ab, z.B. Infektionsdosis und -weg, Alter, Geschlecht,
Beteiligung weiterer Erreger, Ernährungszustand und genetische Veranlagung. Während
Infektionen wie Masern oder Cholera ein ziemlich einheitliches Krankheitsbild bieten,
haben andere (wie Syphilis) vielgestaltige pathologische Auswirkungen. Sir William
Osler (1849–1919) bemerkte treffend: „Syphilis kennen heißt sich mit Medizin
auszukennen.“.Nicht nur im Wesen, sondern auch in der Schwere einer klinisch
manifesten Erkrankung zeigt sich eine große Variationsbreite. Manche Infektionen
verlaufen in über 90% asymptomatisch, erst in einer bestimmten Konstellation kommt
es zur klinisch manifesten Erkrankung (Tab. 12.3). Der Verlauf kann mild oder schwer
sein. Asymptomatische Träger sind insofern wichtig, als sie selbst immun und resistent
gegen eine Reinfektion geworden sind, aber andere infizieren können (da sie unentdeckt
bleiben und sich normal in ihrem sozialen Umfeld bewegen). Daher bringt es wenig,
klinisch infizierte Patienten zu isolieren, solange es in einer Gruppe viele
asymptomatisch Infizierte gibt. Dieses Phänomen lässt sich als Eisberg darstellen (Abb.
12.4).

Tab. 12.3 Ob sich eine klinisch manifeste Krankheit entwickelt,


hängt oft von Alter und Geschlecht ab.
Abb. 12.4 Das „Eisberg-Konzept“ infektiöser
Erkrankungen

239
Zusammenfassung
■ Mit der Abwehr des Wirts (s. Kap. 9 und 10) konfrontiert, haben Erreger (s.
Kap. 1–7) Mechanismen entwickelt, um sie zu umgehen. Umgekehrt haben Wirte
daraufhin, wenn auch langsam, ihre Abwehr ebenfalls angepasst.

■ Zwischen Mikroorganismen und Wirten besteht ein uralter Konflikt, und jede
Infektion ist Folge dieses Konflikts (nähere Einzelheiten s. Kap. 9–17,
Diagnosemethoden s. Kap. 32, Infektionskrankheiten geordnet nach Organsystemen
s. Kap. 18–30).

■ Schnelligkeit zahlt sich aus. Jede Infektion ist ein Wettlauf zwischen
Vermehrung und Ausbreitung der Erreger und Mobilisierung der Wirtsabwehr.

■ Es gibt vier Arten von Infektionen, je nachdem, ob die Wirtsabwehr intakt oder
geschwächt ist.

■ Manchmal bereitet es Schwierigkeiten, einen spezifischen Erreger als


Infektionsursache auszumachen.

■ Erreger müssen nicht notwendigerweise bei jedem Infizierten dasselbe


Krankheitsbild hervorrufen. Durch abgestuftes biologisches Ansprechen kommt es
zu einem breiten Spektrum asymptomatischer bis tödlicher Infektionen.

FRAGEN
1 Wie lieβe sich nachweisen, dass Diabetes mellitus durch ein Virus verursacht
wird?

240
2 Fast jeder Infizierte stirbt an Rabies/Tollwut, wie überdauert diese Infektion
dann in freier Natur?

3 Nennen Sie die Entwicklungsschritte, die ein erfolgreicher Erreger in einem


Wirt durchläuft. Welche sind am wichtigsten?

4 Wie könnte man zeigen, dass für die Infektion eines Wirts die Hemmung seiner
Immunreaktionen oder der Zytokinwirkung durch Genprodukte eines Virus (z.B.
des Myxomatosevirus) entscheidend war?

5 Wenn jede Infektion ein Wettrennen ist, was verhindert dann bei allen
Mikroorganismen eine vollständige Infektion innerhalb weniger Tage?

6 Trotz der beeindruckenden antimikrobiellen Wirkung von Phagozyten scheinen


sich viele Erreger in ihnen zu vermehren. Warum?
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

Burnet, F.M., White, D.O.: The Natural History of Infectious Disease, 4th ed.
Cambridge University Press, Cambridge 1972.

Falkow, W.: Koch’s postulates applied to microbial pathogenicity. Rev Infect Dis 10
(1988) S274.

Köhler et al.,: Medizinische Mikrobiologie – Kap. 1 Allgemeine Infektionslehre.

Mims, C.A., Nash, A. Stephen, J.: Mims’ Pathogenesis of Infectious Disease, 5th ed.
Academic Press, London 2001.

Smith, G.A.: Virus strategies for evasion of the host response to infection. Trends
Microbiol 2 (1994) 81–88.

241
13 Ein- und Austrittspforten, Übertragungswege
13.1 Eintrittspforten 134

13.1.1 Haut 134

13.1.2 Respirationstrakt 135

13.1.3 Gastrointestinaltrakt 136

13.1.4 Urogenitaltrakt 139

13.1.5 Mund-Rachen-Raum (Oropharynx) 140

13.2 Austrittspforten und Übertragung 141

13.2.1 Übertragung 141

13.3 Übertragung von Mensch zu Mensch 142

13.3.1 Aerogene Übertragung 143

13.3.2 Gastrointestinale Übertragung 143

13.3.3 Urogenitale Übertragung 145

13.3.4 Oropharyngeale Übertragung 146

13.3.5 Übertragung über die Haut 146

13.3.6 Übertragung durch Milch 147

13.3.7 Übertragung durch Blut 147

13.3.8 Vertikale und horizontale Übertragung 148

13.4 Übertragung von Tieren auf Menschen 149

13.4.1 Vektoren 149

13.4.2 Übertragung durch Wirbeltiere 150

242
Zur Orientierung
Mikroorganismen müssen sich auf der Oberfläche des Wirtes anheften oder in ihn
eindringen können

Säugetiere haben als Wirte ihre Körperfläche anzubieten (Abb. 13.1). An diesen Flächen
müssen Mikroorganismen Halt finden bzw. eindringen können, um sich auf oder in ihrem
Wirt festzusetzen. Die mit Haut oder Fell bedeckte Außenfläche des Körpers dient zum
Schutz und zur (Wärme-)Isolation; es ist eine trockene, nahezu undurchlässige
Hornschicht. An anderen Stellen findet jedoch ein engerer Austausch mit der Umwelt
statt: bei der Nahrungsaufnahme, dem Gasaustausch oder der Ausscheidung von Urin und
Sexualprodukten.

Deshalb sind Verdauungs-, Respirations- und Urogenitaltrakt innen mit ein- oder
mehrschichtigen Lagen lebender Zellen ausgekleidet. Im Auge ersetzt eine durchsichtige
Schicht (Augenbindehaut, Konjunktiva) aus lebenden Zellen die Haut. Überall sorgen gut
entwickelte natürliche Reinigungs- und Spülmechanismen dafür, dass Mikroorganismen
das Eindringen in den Körper erschwert wird. Erfolgreich behaupten können sich daher
nur Mikroorganismen, die über wirksame Mittel zur Adhäsion oder zum Durchdringung
dieser Flächen verfügen.

Rezeptormoleküle
Mikroorganismen können sich oft mit spezifischen Molekülen an Rezeptoren in Haut-
(Viren, Bakterien) oder Gewebezellen (Viren) ihres Wirts binden. Diese (manchmal auch
unterschiedlichen) Rezeptormoleküle sind natürlich nicht zum Nutzen eines Virus oder
sonstigen Erregers gedacht, sondern erfüllen spezifische Funktionen im Leben der Zellen.
Ist das Rezeptormolekül nur auf bestimmten Zellen vorhanden (was ganz selten
vorkommt), sind allein sie anfällig für Infektionen – z.B. das CD4-Molekül für HIV oder
der C3d-Rezeptor (CR2) für das Epstein-Barr-Virus. In dem Fall werden Tropismus des
Virus und das charakteristische Infektionsmuster vom Rezeptormolekül vorgegeben.

Rezeptoren sind daher entscheidend für die Infektionsanfälligkeit von Zellen, an der
Oberfläche wie auch im Körperinneren. Nach der Rezeptorbindung an empfindliche
Zellen beginnen Mikroorganismen, sich oberflächlich zu vermehren (Mykoplasmen,
Bordetella pertussis) oder in die Zellen einzudringen und sie zu infizieren (Viren,
Chlamydien; s. Kap. 15).

Austritt aus dem Körper


Um sich auf weiteren Wirten auszubreiten zu können, müssen Mikroorganismen den
Wirtskörper wieder verlassen können. Dies kann durch das Ausscheiden von
Körpersekreten geschehen bzw. über kontaminiertes Blut, das blutsaugende Arthropoden
aufnehmen oder mit dem z.B. Injektionskanülen kontaminiert sind.

13.1 Eintrittspforten

13.1.1 Haut

243
Über die Haut eindringende Erreger können sowohl
Haut- als auch andere Infektionen hervorrufen
Welche Mikroorganismen über die Haut in den Körper gelangen oder Infektionen
auslösen, zeigt Tab. 13.1 Keime, die nicht zur normalen Hautflora (s. Kap. 8) gehören,
werden von Fettsäuren (Haut-pH um 5,5) und vermutlich auch von Talg- und
sonstigen Drüsensekreten schnell unschädlich gemacht. Von Keratinozyten gebildete
Peptide z.B. hindern A-Streptokokken am Eindringen. Auch Substanzen, die von der
normalen Hautflora produziert werden, schützen vor Infektionen. Gelangen
Hautbakterien in Haarfollikel oder Talgdrüsen, können sie Gerstenkörner und
Furunkel verursachen. Staphylokokken in den Milchgängen sind mögliche Ursache
einer Mastitis.
Abb. 13.1 Für Infektion und Verbreitung der
Erreger wichtige Körperflächen.

244
Tab. 13.1 Infektionen, die von der Haut ausgehen.
Die abgestorbenen Keratinstrukturen der Haut (Hornhaut bzw. Stratum corneum,
Haare, Nägel) werden von Pilzen (Dermatophyten) infiziert. Solange die Parasiten
schneller in die Tiefe wachsen, als sich die Keratinschicht abstößt (schuppt), bleibt die
Infektion bestehen. Besonders bei den langsam nachwachsenden Nägeln verläuft eine
Mykose oft chronisch.

Übliche Eintrittspforten für Erreger sind Hautwunden, Abschürfungen oder


Verbrennungen. Virulenten Streptokokken, Leptospiren oder dem Hepatitis-B-Virus
(HBV) genügt schon ein winziger Hautriss zum Eintritt. Leptospiren oder die Larven
von Ancylostoma und Schistosomen zählen zu den wenigen Mikroorganismen, die
sich aus eigener Kraft auch durch unverletzte Haut bohren.

245
Stiche oder Bisse von Arthropoden
Beißende oder stechende Arthropoden wie Moskitos, Zecken, Flöhe und Sandfliegen
(s. Kap. 27) penetrieren die Haut bei einer Blutmahlzeit, hierbei bringen sie den
Erreger oder Parasiten in den Körper. Als Überträger spielen Arthropoden eine
wichtige Rolle im Lebenszyklus vieler Mikroorganismen. Rein mechanisch werden
Erreger aus dem Mundbereich der Arthropoden übertragen. In den meisten Fällen
vermehren sich die Erreger jedoch in ihren Zwischenwirten, ohne ihnen größeren
Schaden zuzufügen; dieses friedliche Zusammenleben von Arthropoden und
Mikroorganismen ist das Ergebnis einer seit Millionen Jahren stattfindenden
Anpassung. Nach einer gewissen Inkubationszeit erscheinen die Erreger im Speichel
oder Kot der Arthropoden und werden beim Blutsaugen übertragen. Stechmücken z.B.
injizieren ihren Speichel (wirkt als Antikoagulans) ins Wirtsgewebe, während
Kleiderläuse Kot mit Rickettsia rickettsii ausscheiden, der durch Kratzen an der
befallenen Stelle in die Bisswunde gelangt.

Augenbindehaut
Als spezialisierten Hautbereich könnte man die Augenbindehaut (Konjunktiva)
ansehen. Sie wird durch ständiges Spülen mit Tränenflüssigkeit und den
Scheibenwischer-Effekt des alle paar Sekunden erfolgenden Lidschlusses rein
gehalten. Daher müssen Mikroorganismen wie Chlamydien oder Gonokokken schon
über besonders gute Haftmechanismen verfügen, um normale Konjunktiven
infizieren zu können (s. Kap. 25). Bei Störungen der lokalen Abwehr (verringerte
Tränenproduktion, Bindehaut- oder Lidschädigung) können sich aber auch weniger
spezialisierte Mikroorganismen etablieren. Infektiöses Material wird oft mit
verunreinigten Fingern in die Augen gerieben (z.B. Trachom).

13.1.2 Respirationstrakt

Manche Mikroorganismen schaffen es, die


Reinigungsmechanismen der Atemwege zu
überwinden
Mit den Schwebeteilchen – Rauchpartikel, Staub und Keime – in der normalen
Atemluft, die ständig inhaliert werden, können die Reinigungsmechanismen (s. Kap.
18 und 19) sehr gut klarkommen. Bei einer Keimdichte von rund 500–1000/m3 in
geschlossenen Räumen und einer Lungenventilation von 6 l/min in Ruhe gelangen
täglich etwa 10000 Mikroorganismen in die Atemwege. Genauso wie die anderen
Partikel werden sie im oberen oder unteren Respirationstrakt von Schleim umhüllt,
durch die Flimmerbewegung der Kinozilien zum hinteren Rachen befördert und
verschluckt. Um diesem Schicksal zu entgehen, haben Mikroorganismen besondere
Eigenschaften entwickelt.

Reinigungsmechanismen
Die ideale Strategie besteht darin, sich fest an die (Zell-) Oberfläche der mukoziliaren
Schutzschicht zu heften. Mit spezifischen Molekülen (oft als Adhäsine bezeichnet)

246
können sich Mikroorganismen an Rezeptoren empfindlicher Zellen binden (Abb.
13.2). Beispiele für solche Infektionen sind in Tab. 13.2 angeführt.

Die Zilien-/Flimmerbewegung zu hemmen ist eine andere Möglichkeit für


Mikroorganismen, um die Reinigungsmechanismen zu behindern und sich im
Respirationstrakt festzusetzen. Bordetella pertussis z.B. heftet sich nicht nur an
Epithelzellen der Atemwege, sondern stört auch die Zilienbewegung. Andere
Bakterien (Tab. 13.3) produzieren ziliostatische Stoffe, meist unbekannter chemischer
Zusammensetzung.

Zerstörung durch Alveolarmakrophagen


In den Alveolen treffen inhalierte Mikroorganismen auf Makrophagen, deren Funktion
es ist, Fremdpartikel zu entfernen und die Luftwege rein zu halten. Die meisten
Erreger werden von ihnen zerstört, doch ein paar haben inzwischen gelernt, der
Phagozytose zu entgehen oder sie unbeschadet zu überstehen. Da Tuberkelbakterien
in Makrophagen überleben, kann auf diese Weise Tuberkulose entstehen. Dazu
reichen schon 5–10 eingeatmete Bakterien aus (Näheres zur wichtigen Rolle der
Makrophagen im körpereigenen Abwehrsystem s. Kap. 14). Eine erhöhte
Tuberkulose-Anfälligkeit kann sich auch durch das Einatmen giftiger Asbest- oder
Staubpartikel ergeben (bewirkt Zerstörung der Alveolarmakrophagen).

247
Abb. 13.2 Flimmerepithel mit Influenzaviren.

An Härchen (Kinozilien, C) und Mikrovilli (M) kleben Viruspartikel (V).


Elektronenmikroskopische Aufnahme, Dünnschnitt; Organpräparat
(Meerschweinchen-Trachea) 1 Stunde nach Einbringen des Virus (mit freundlicher
Genehmigung von R.E. Dourmashkin).

Tab. 13.2 Mikroorganismen im Respirationstrakt.


ICAM-1 = interzelluläres Adhäsionsmolekül, CD46 = Membranprotein (Kofaktor
der Komplementaktivierung), Integrine = auf vielen Zelltypen vorhandene Familie
von Adhäsionsrezeptoren (z. B. Lamininrezeptor)

248
Tab. 13.3 Atemwegsinfektionen mit gestörter Zilienfunktion.

13.1.3 Gastrointestinaltrakt

Manche Mikroorganismen widerstehen der Abwehr


des Verdauungstraktes (Säuren, Schleim und Enzyme)
Im Darm gibt es – außer der fließenden, gerichteten Bewegung (Peristaltik) des
Darminhalts – keine speziellen Reinigungsmechanismen, wenn man nicht Durchfall
und Erbrechen als solche auffassen möchte. Unter normalen Umständen gleicht die
kontinuierliche Ausscheidung von Bakterien bei der Darmentleerung die Vermehrung
residenter Keime in der Darmflora wieder aus. Auch wenn sich einige verschluckte,
apathogene Keime im Darmlumen vermehren, kommt es während der 12- bis 18-
stündigen Darmpassage nur zu einer geringfügigen Erhöhung ihrer Zahl.

Um sich im Verdauungstrakt durchzusetzen und stärker vermehren zu können, müssen


sich pathogene Bakterien fest ans Epithel heften (Tab. 13.4) bzw. verhindern, dass sie
auf direktem Weg nach unten befördert und mit dem Stuhl ausgeschieden werden. Wie
hoch die Konzentration im Stuhl ist, bestimmt das Verhältnis zwischen Neubildung
und Ausscheidung der Bakterien. Vibrio cholerae (Abb. 13.3 und 13.4) und Rotaviren
binden sich spezifisch an Oberflächenrezeptoren des Dünndarmepithels. V. cholerae
wirkt schon bei Verankerung in der oberflächlichen Schleimschicht infektiös bzw.
pathogen. Dass bestimmte Erreger bevorzugt den Dickdarm (Shigellen) oder den
Dünndarm (die meisten Salmonellen, Rotaviren) befallen, könnte ein Hinweis auf
spezifische Rezeptormoleküle der Mukosazellen in diesen Darmabschnitten sein.
Abb. 13.3 Vibrio choleraeheftet sich an Mikrovilli
des Bürstensaums (Kaninchen);

249
elektronenmikroskopische Aufnahme, Dünnschnitt, 10000 × vergr. (mit
freundlicher Genehmigung von E.T. Nelson).

Manchmal geht es bei Infektionen aber nicht nur um die lumenseitige Adhäsion an
Zellen des Darmepithels. Shigella flexneri kann z.B. nur über die Basalmembran in
Zellen gelangen. Am Anfang steht ihre Aufnahme durch M-Zellen, danach dringen die
Bakterien in örtliche Makrophagen ein und rufen eine lokale Entzündungsreaktion
hervor. Durch herbeiströmende Polymorphkernige wird die Epithelschranke
stellenweise durchbrochen. Jetzt können auch Bakterien aus dem Darmlumen in
großem Maßstab von basal in die Darmepithelzellen eindringen. Diese Bakterien
nutzen also die Entzündungsreaktion ihres Wirts dazu aus, sich Zugang zu den Zellen
zu verschaffen.

250
Tab. 13.4 Mikrobielle Adhäsionsmechanismen im Darmtrakt
*
ICAM = interzelluläres Adhäsionsmolekül; wichtig für Entzündung und
„soziales“ Leben der Zellen; wirkt auf Zellen in vitro als Rezeptormolekül für das
Poliovirus
**
oft an Pili oder Fimbrien (E. coli besitzt z. B. bis zu 200 Pili mit Adhäsinen)
***
Shigellen und andere pathogene Bakterien heften sich an Epithelzellen und
lassen sich von ihnen aufnehmen
Abb. 13.4 Vibrio choleraean M-Zellen der
Ileumschleimhaut (Mensch)

251
Haftwerkzeuge
Manchmal benutzen parasitäre Protozoen und Würmer auch grobmechanische
Mittel, um sich festzuhalten oder einzudringen. Giardia lamblia kann sich z.B. nicht
nur mit spezifischen Adhäsionsmolekülen an die Mikrovilli von Epithelzellen heften,
dies funktioniert auch über eine Saugscheibe. Hakenwürmer haben eine große
Mundkapsel mit hakenförmigen Zähnen oder Schneideplatten, um sich an der
Dünndarmmukosa festzuhalten. Andere Würmer (z.B. Ascaris) versteifen sich gegen
die Peristaltik, während Bandwürmer fest am Schleimbelag der Darmwand haften.
Vordere Haken und Saugorgane spielen dagegen bei diesem größten Wurm nur eine
untergeordnete Rolle. Einige Würmer bohren sich im adulten Stadium (Trichinella,
Trichuris) aktiv in die Schleimhaut oder durch die Darmwand, um in tiefere Gewebe
einzudringen (z.B. Trichinella-Embryos (setzen weibliche Würmer frei), oder aus
verschluckten Wurmeiern geschlüpfte Echinococcus-Larven).

Gegenmaßnahmen gegen Schleim, Säuren, Enzyme


und Galle

Mikroorganismen im Darm müssen Schleim, Säuren,


Enzyme und Galle abwehren oder resistent sein
Darmepithelzellen sind von Schleim überzogen, der sie durch seine mechanische
Schrankenfunktion vor Infektionen schützt. Bestimmte Moleküle im Schleim
können, indem sie Adhäsine binden, verhindern, dass sich Erreger an die Wirtszellen
heften. Vor Infektionen schützen den immunen Menschen auch die im Schleim
enthaltenen sekretorischen IgA-Moleküle. V. cholerae, Salmonellen und bestimmte
Stämme von E. coli sind beweglich und können sich aus eigenem Antrieb durch die
Schleimschicht bewegen. Damit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie
Epithelzellen erreichen und sich spezifisch anheften können. Nützlich für das
Durchqueren des Schleims kann auch eine von V. cholerae produzierte Muzinase
sein. Unbewegliche Mikroorganismen sind dagegen darauf angewiesen, dass sie
passiv durch die Schleimschicht transportiert werden.

Wie nicht anders zu erwarten, überstehen Mikroorganismen, deren Infektionsweg


über den Gastrointestinaltrakt verläuft, oft unbeschadet einwirkende Säuren,
proteolytische Enzyme und Galle. Das trifft ebenso für Erreger zu, die den Körper
auf diesem Weg wieder verlassen (Tab. 13.5).

Alle Mikroorganismen mit enteralem Infektionsweg müssen sich zunächst gegen die
Magensäure behaupten. Eine Sonderform der Abwehr hat Helicobacter pylori
entwickelt (s. Kasten). Dass sich Tuberkelbakterien gegen Säure resistent erweisen,
begünstigt die Entstehung einer Darmtuberkulose. Doch die meisten Bakterien
reagieren empfindlich auf Säure und ziehen ein leicht alkalisches Milieu vor.

So zeigte sich z.B. in einem Versuch mit freiwilligen Probanden (die Probanden
tranken unterschiedliche Konzentrationen von V. cholerae in 60 ml
Kochsalzlösung), dass die Cholera-Anfälligkeit um das 10000fache anstieg, wenn
ihnen zusätzlich 2 g Natriumbikarbonat verabreicht wurden. Die Probanden
erkrankten, sobald sie eine Mindestdosis von 108 Bakterien ohne bzw. 104 Bakterien

252
mit Natriumbikarbonat einnahmen. Ähnliche Versuche wurden mit Salmonella typhi
durchgeführt; auch hier verringerte sich die minimale infektiöse Dosis von 1000–
10000 Bakterien wieder signifikant bei Zugabe von Natriumbikarbonat.

Wenn Erreger wie Shigellen, S. typhi, Hepatitis-A- (HAV) und andere Enteroviren in
das (Dünn-)Darmepithel eingedrungen sind, hängt ihre Pathogenität letztlich davon
ab, ob sie

Tab. 13.5 Eigenschaften von Mikroorganismen, die sich erfolgreich


im (Magen-)Darm-Trakt behaupten
HAV = Hepatitis-A-Virus

253
Geschichte der Mikrobiologie
Magensäure neutralisieren – die Überlebensstrategie vonHelicobacter pylori

Helicobacter pylori wurde vor ca. 20 Jahren entdeckt. Den Nachweis, dass es sich
um einen humanpathogenen Keim handelt, erbrachten zwei mutige australische
Ärzte aus Perth in einem Selbstversuch: durch einen bakterienhaltigen Trunk
bekamen sie eine Gastritis.

Die Infektion breitet sich oral oder fäkal-oral aus. Noch vor 150 Jahren war fast
jedes Kind infiziert. Als sich die hygienischen Verhältnisse besserten, verschob
sich in vielen Ländern der Krankheitsbeginn nach hinten, so dass heute mehr als
die Hälfte der über 50-Jährigen infiziert sind.

H. pylori heftet sich nach oraler Aufnahme über spezielle Adhäsine an die
Magenwand an. Für die meisten Mikroorganismen (z.B. Vibrio cholerae) ist der
niedrige pH-Wert im Magen rasch tödlich – nicht so für H. pylori. Um sich zu
schützen, setzt er große Mengen Urease frei; sie bewirkt, dass sich winzige
Ammoniakwölkchen aus Harnstoff bilden, die sich in der unmittelbaren
Umgebung von H. pylori befinden. Sobald sie sich festgesetzt haben, rufen die
Bakterien eine Entzündung mit Dyspepsie hervor, gelegentlich auch ein Duodenal-
oder Magenulkus. Solche Geschwüre sollten antibiotisch und nicht nur mit
Antazida behandelt werden. 90% der Duodenalulzera sind durch H. pylori, der
Rest durch NSAID oder Acetylsalicylsäure bedingt. Ohne tiefer ins Gewebe
einzudringen, halten sich die Bakterien jahrelang im Magen auf und verursachen
eine asymptomatische chronische Gastritis. Aus noch unbekannten Gründen
entwickelt sich bei einigen Patienten ein Magenkarzinom. H. pylori war das dritte
Bakterium, dessen Genom komplett entschlüsselt werden konnte. Noch nicht
geklärt ist die Rolle der Helicobacter-Toxine, von denen mehrere beschrieben sind.

■ sich vermehren und ausbreiten,

■ Toxin produzieren,

■ Zellen schädigen,

■ Entzündungs- und Immunreaktionen hervorrufen.

254
Resorption mikrobieller Exotoxine, Endotoxine und
Proteine
Mikrobielle Exo- und Endotoxine sowie Proteine können in geringerem Umfang vom
Darm resorbiert werden. Beschleunigt erfolgt die Proteinaufnahme im Allgemeinen
bei Durchfall, aber auch bei Säuglingen, die Antikörper aus der Milch beziehen
müssen. Neben Makromolekülen können auch kleinere Partikel (von der Größe eines
Virus) aus dem Darmlumen aufgenommen werden. Das geschieht bevorzugt an
Stellen, wo sich Peyer-Plaques, isolierte Ansammlungen von Lymphgewebe,
befinden. Sie liegen direkt unter dem Darmepithel, das in diesem Bereich hoch
spezialisiert ist und aus sog. M-Zellen besteht (Abb. 13.4). M-Zellen sind über
zytoplasmatische Ausläufer eng mit Immunzellen verbunden, denen sie
aufgenommene Partikel und Fremdproteine zuführen.

13.1.4 Urogenitaltrakt

Im Urogenitaltrakt breiten sich Erreger schnell im


gesamten Organsystem aus
Da der Urogenitaltrakt ein Kontinuum darstellt, können sich Erreger schnell von
einem Teil zum nächsten ausbreiten. Aus diesem Grund fällt es nicht immer leicht,
Vaginitis und Urethritis oder Urethritis und Zystitis voneinander abzugrenzen, sofern
das überhaupt nötig ist (s. Kap. 20 und 21).

Vagina
Das Fehlen spezieller Reinigungsmechanismen macht die Vagina besonders anfällig
für Infektionen, wenn wiederholt ein (manchmal pathogen) kontaminierter
Fremdkörper wie der Penis in sie eingeführt wird. Auf dieser Grundlage entstehen z.B.
sexuell übertragene Krankheiten (s. Kap. 21). Deshalb ist sie von Natur aus mit
zusätzlichen Abwehrmechanismen ausgestattet. Während der reproduktiven
Lebensphase wird Glykogen unter dem Einfluss zirkulierender Östrogene in das
Vaginalepithel eingelagert und von Laktobacillen in der Vaginalflora zu Milchsäure
abgebaut. Aufgrund dessen liegt der pH-Wert in der Scheide bei 5,0. Normalerweise
verhindert dies eine Besiedlung mit anderen Keimen als Laktobacillen, bestimmten
Stäbchen und Corynebakterien. Im Vaginalsekret können pro ml bis zu 108 dieser
kommensalen Bakterien enthalten sein.

Andere Mikroorganismen können die Vagina nur besiedeln oder tiefer ins Gewebe
eindringen, wenn sie über besondere Mittel verfügen, um sich an der Vaginal- oder
Zervixschleimhaut halten bzw. beim Koitus aus winzigen Läsionen (Genitalwarzen,
Syphilis) oder einer Abwehrschwäche (Tampon, Östrogenungleichgewicht) ihren
Vorteil ziehen zu können.

Urethra und Harnblase


Infektionen der Harnröhre werden hauptsächlich durch regelmäßige Spülung bei der
Harnentleerung abgewehrt; Blasenurin ist normalerweise steril.

255
Die Harnblase ist mehr als ein passiver Auffangbehälter und verfügt in ihrer Wand
über Abwehrmechanismen, die bisher noch kaum verstanden sind. Neben der
Schutzschicht aus Schleimhaut kann sie Entzündungsreaktionen sowie sekretorische
Antikörper und Immunzellen produzieren.

Invasionsmechanismen
Der Harntrakt wird fast immer von außen, über die Harnröhre aufsteigend, infiziert.
Deshalb lautet das erste und oberste Gebot für eindringende Keime, sich nicht mit dem
Urin wieder ausschwemmen zu lassen. Daher entwickelten Bakterien wie z.B.
Gonokokken (Abb. 13.5) besondere Haftmechanismen. Über ein bestimmtes
bakterielles (Pilus-)Peptid – das an ein Kohlenhydratpolymer bindet – werden
Urethralzellen dazu gebracht, das Bakterium aufzunehmen (Phagozytose bzw. auf
Parasiten gerichtete Endozytose). Dasselbe geschieht auch mit Chlamydien.

Hinsichtlich urogenitaler Infektionen erweist sich die Vorhaut als Handicap. Nach
Abschwellen des Penis bleiben oft im feuchten Bereich unter der Vorhaut sexuell
übertragbare Pathogene zurück. Bei unbeschnittenen Männern kommen sexuell
übertragene Erkrankungen häufiger vor als nach Zirkumzision.

Schwierigkeiten bereitet die Vorhaut auch, weil sie Harnwegsinfektionen durch


Fäkalkeime begünstigt. Wenn Neugeborene nicht beschnitten werden, erkranken sie
häufiger, da sich Fäkalkeime auf der Innenseite des Präputiums ansammeln können.

Darmbakterien, vor allem E. coli, gelangen häufiger in den Harntrakt und verursachen
eine Zystitis. Eine wichtige Rolle spielt dabei die geschlechtsspezifische Anatomie
(Abb. 13.6). Mit einer Urethralänge von 20 cm (bei erschlafftem Penis) steigen
Infektionen beim Mann nicht so leicht zur Harnblase auf. Harnwegsinfektionen des
Mannes kommen entsprechend nur selten vor, z.B. aufgrund einer Katheterisierung
oder eingeschränkter Spülwirkung des Urins (s. Kap. 20). Anders bei Frauen: ihre
Urethra ist nicht nur kürzer (5 cm), sondern auch viel näher am After (Abb. 13.6),
einem ständigen Bakterienreservoir, lokalisiert.

Von einer Harnwegsinfektion sind Frauen 14-mal häufiger betroffen als Männer, und
mindestens 20% der Frauen leiden zu irgendeinem Zeitpunkt im Leben an Symptomen
einer Harnwegsinfektion. Oft besiedeln die Bakterien zunächst den
Schleimhautbereich rund um die Harnröhre, vielleicht weil sie sich speziell an diese
Zellen heften können. Begünstigt wird die Invasion durch die mechanische
Verformung, der die Urethra und ihre Umgebung beim Koitus unterliegen; dadurch
kann es zur Urethritis und Zystitis kommen. Eine Bakteriurie ist bei sexuell aktiven
Frauen 10-mal häufiger als bei Nonnen.

13.1.5 Mund-Rachen-Raum (Oropharynx)

Bei herabgesetzter Abwehrkraft können Erreger ins


Gewebe des Oropharynx eindringen
Kommensale Mikroorganismen des Mund-Rachen-Raums sind in Kapitel 18
beschrieben.

256
Abwehrmechanismen
Für eine natürliche Reinigung sorgt die spülende Wirkung des Speichels (von dem
etwa 1 l/Tag produziert wird, das entspricht 400-mal schlucken), unterstützt von Kau-
und anderen Bewegungen der Zunge, Wangen und Lippen. Andererseits wird
Sekret/Material aus dem Nasen-Rachen-Raum (Nasopharynx) beim Schlucken mit
dem Zungenrücken fest gegen die Pharynxwand gedrückt, so dass Mikroorganismen
an dieser Stelle möglicherweise eine Eintrittspforte finden. Zusätzliche
Abwehrmechanismen sind sekretorische IgA-Antikörper, antimikrobielle Stoffe wie
Lysozym, die normale Mund-/Rachenflora und die Aktivität der Leukozyten in
Schleimhaut und Speichel.
Abb. 13.5 Gonokokken-Adhärenz an humanem
Harnröhrenepithel

(mit freundlicher Genehmigung von P.J. Watts).


Abb. 13.6 Frauen sind anfälliger für eine
urogenitale Infektion mit Fäkalkeimen, weil ihre
Harnröhre kürzer ist und sich näher am After
befindet.

257
Invasionsmechanismen
Sich an Schleimhäuten oder Zahnflächen halten zu können ist sowohl für eindringende
wie für residente Keime (der Normalflora) obligatorisch. Verschiedene
Streptokokkenarten in der Mundhöhle heften sich z.B. über Lipoteichonsäuremoleküle
ihrer Pili an das Wangen- und Zungenepithel (resident: Streptococcus salivarius),
Zähne (resident: Streptococcus mutans) oder Pharynxepithel (nicht resident:
Streptococcus pyogenes).

Wenn die Widerstandskraft der Schleimhaut herabgesetzt ist, können kommensale und
andere Bakterien leichter eindringen. Das ist z.B. bei Zahnfleischentzündung
(begünstigt durch Vitamin-C-Mangel) oder Candida-Infektion bzw. Mundsoor
(begünstigt durch Breitspektrum-Antibiotikatherapie, weil sie das Gleichgewicht in
der Normalflora verändert) der Fall. Sobald 3–4 Stunden lang weniger Speichel fließt
(z.B. zwischen den Mahlzeiten), vervierfacht sich die Zahl der Bakterien im Speichel
(s. Kap. 18). Bei dehydrierten Patienten ist der Speichelfluss stark vermindert, so dass
ihr Mund schnell von Bakterien überwuchert wird. Wie an allen anderen
Körperflächen führen Veränderungen in der Wirtsabwehr schnell dazu, dass sich die
Grenze zwischen harmloser Normalflora und beginnender Gewebeinvasion verschiebt.

258
13.2 Austrittspforten und Übertragung

Mikroorganismen verlassen den Wirt auf


unterschiedliche Weise und stellen ihre Übertragung
sicher
Um sich erfolgreich durchzusetzen, müssen Mikroorganismen den Körper ihres Wirts
wieder verlassen und sich weiterverbreiten. Hochpathogene Erreger (wie das Ebolavirus
oder Legionella pneumophila) wären kein größeres Problem für Wirtspopulationen,
würden sie nur selten oder nur begrenzt auf andere Menschen übertragen werden. Zum
Austritt aus dem Körper nutzen fast alle Mikroorganismen Körperoberflächen. Einige
Ausnahmen werden aus dem Wirt, z.B. von blutsaugenden Arthropoden (Vektoren, die
Gelbfieber, Malaria und Filarien übertragen), aktiv gewonnen. Tab. 13.6 zeigt
unterschiedliche Infektionsarten und ihre Rolle bei der Übertragung in einer Übersicht
und stellt Abwehrmechanismen des Wirts sowie Gegenstrategien der Erreger einander
gegenüber. Auf der Übertragung von einem Wirt zum anderen beruht die Epidemiologie
infektiöser Erkrankungen (s. Kap. 31).

Die Übertragung hängt von folgenden drei Faktoren ab:

■ der ausgeschiedenen Erregerzahl (Menge)

■ der Stabilität der Erreger in der Umwelt

■ der notwendigen Infektionsdosis (zur Infektion eines neuen Wirts


erforderliche Keimzahl)

259
13.2.1 Übertragung

Ausgeschiedene Erregerzahl (Menge)


Es liegt auf der Hand, dass Viruspartikel, Bakterien, Protozoen oder Wurmeier umso
eher auf neue Wirte treffen, je mehr von ihnen verbreitet werden. Allerdings besteht
auch das Risiko, dass viele der ausgeschiedenen Mikroorganismen absterben und nur
wenige den Fortbestand der Spezies sichern.

Umgebungsstabilität
Mikroorganismen verbreiten sich schneller in der Umgebung, wenn sie unempfindlich
auf Trockenheit reagieren (Tab. 13.7). Sind sie gegen thermische Inaktivierung
resistent, bleiben sie in der Außenumgebung auch längere Zeit infektiös. Dank
spezieller Entwicklungsformen (Clostridien-Sporen, Amöben-Zysten) können sich
manche Mikroorganismen Hitze, Trockenheit und chemischer Schädigung besser
widersetzen. Das zeigt, wie wichtig Umweltresistenz für sie ist. Lebende
Mikroorganismen sind thermostabiler, wenn sie getrocknet sind. Gefriertrocknen
macht sie sehr unempfindlich für Umgebungstemperaturen. Dass Sporen und Zysten
dehydriert sind, trägt viel zu ihrer Umweltresistenz bei. Empfindliche
Mikroorganismen sind dagegen zur Verbreitung auf engen Kontakt, Vektoren oder
kontaminierte Nahrung und Wasser angewiesen.

Für eine Neuinfektion erforderliche Erregerzahl


(Infektiosität)
Dass Mikroorganismen mit unterschiedlicher Effizienz Infektionen hervorrufen,
erklärt auch viele Aspekte der Übertragung. Während freiwillige Probanden z.B.
bereits nach Aufnahme von 10 Shigella dysenteriae-Bakterien (von anderen
Menschen) erkrankten, können für eine Lebensmittelvergiftung bis zu 106
Salmonellenspezies (von Tieren) erforderlich sein. Auch der Infektionsweg spielt eine
Rolle. Werden menschliche Rhinoviren in die Nasenhöhle eingebracht, reicht für eine
Erkältung (Schnupfen) eine einfache Dosis (single tissue culture infectious dose),
dagegen sind trotz der vielen Viruspartikel bei Applikation im Pharynx rund 200
solcher Dosen erforderlich. Eine Infektion im Bereich der Harnröhre können bereits
zehn Gonokokken verursachen, für eine Infektion der Mundhöhlen- oder
Rektumschleimhaut muss ihre Anzahl mehrere tausendfach größer sein.

Andere Einflüsse bei der Übertragung


Genetische Faktoren der Mikroorganismen spielen bei der Übertragung ebenfalls
eine Rolle. So kommt es, dass manche Stämme leichter übertragen werden als andere,
wobei der genaue Mechanismus oft noch unklar ist. Schwankungen in der
Übertragbarkeit sind unabhängig von Pathogenität und Virulenz der Erreger (d.h.
davon, wie schädlich und infektiös sie sind).

Bestimmte Aktivitäten des infizierten Wirts steigern die Effizienz der Übertragung
bzw. Weiterverbreitung. Husten- und Niesreflex nutzen nicht nur dem Wirt (weil sie
Fremdstoffe aus den Atemwegen befördern), sondern auch Mikroorganismen. Daher

260
findet eine Selektion von Stämmen statt, die eine vermehrte Sekretion bewirken bzw.
das respiratorische Epithel reizen (d.h. verstärkt Husten und Niesen provozieren) und
sich deshalb entsprechend besser verbreiten.

Ähnliches gilt für die gesteigerte Darmaktivität: Diarrhoe. Auch wenn sie schneller
aus dem Körper geleitet werden (durch Mittel gegen Durchfall dauert eine
Darminfektion oft länger), ist Diarrhoe aus Sicht der Keime eine höchst wirkungsvolle
Methode, die Umgebung zu kontaminieren und sich bzw. die Infektion auf neue Wirte
auszubreiten.

Tab. 13.6 Infektionsarten.

261
262
13.3 Übertragung von Mensch zu Mensch
Mikroorganismen können von Menschen, Wirbeltieren und stechenden/beißenden
Arthropoden übertragen werden. Am effektivsten erfolgt sie durch direkte Ansteckung
von Mensch zu Mensch. Die weltweit häufigsten Infektionen breiten sich inhalativ
(aerogen), fäkal-oral oder venerisch (durch Geschlechtsverkehr) aus. Eine eigene
Untereinheit bilden direkt durch Wirbeltiere (Zoonosen) oder über Vektoren (beißende
und stechende Arthropoden) übertragene Infektionen. Infektionen, die von einer anderen
Spezies erworben wurden, breiten sich nicht oder nur schlecht zwischen Menschen aus. In
Abb. 13.7 sind die unterschiedlichen Übertragungswege bzw. -arten dargestellt.

Tab. 13.7 Trockenresistenz von Pathogenen als Einflussfaktor bei


der Übertragung.

13.3.1 Aerogene Übertragung

Infektionen der oberen Atemwege breiten sich in


überfüllten Räumen sehr rasch aus
Niesen und Husten sorgen in Verbindung mit vermehrt gebildetem Nasensekret für
eine sehr effektive Verbreitung von Keimen aus der Nasenhöhle. Beim Niesen werden
bis zu 20000 Tröpfchen pro Stoß aus der Nase freigesetzt (Abb. 13.8), und im Fall
einer Erkältung sind darin viele Viruspartikel enthalten.

Beim Husten (Keuchhusten, Tuberkulose) wird eine geringere Zahl von


Mikroorganismen – vielleicht ein paar hundert – aus Mund, Rachen, Larynx und

263
Lunge ausgestoßen. Auch beim Sprechen gelangen Partikel aus dem Mund (nicht sehr
viele, aber immerhin sind vor allem Konsonanten wie f, p, t und s als Quelle zu
berücksichtigen). Sicher ist es kein Zufall, dass viele Flüche im Englischen mit diesen
Buchstaben anfangen; der Beschimpfte wird also womöglich noch mit (infektiösem)
Speichel kontaminiert.

Der Bereich, in dem sich inhalierte Tröpfchen niederschlagen, hängt von ihrer Größe
ab. Große Tropfen fallen schon nach 4 m Flugstrecke wieder zu Boden, andere lagern
sich z.B. auf der Nasenschleimhaut (Durchmesser von 10 mm) ab. Die kleinsten
Tröpfchen (Durchmesser von 1–4 mm) können für unbestimmte Zeit in der Luft
hängen bleiben und gelangen mit dem normalen Luftstrom über die Nase in die
unteren Luftwege.

In überfüllten Räumen breiten sich Infektionen rasch aus, z.B. Erkältung/Grippe in


Schulen und Büros oder eine Meningokokkeninfektion unter den Rekruten in einer
militärischen Einrichtung. Das erklärt vielleicht die Häufung von Atemwegsinfekten
im Winter. In schlecht belüfteten Räumen ist die Luft feuchter; das kommt
Streptokokken und Hüllviren, die darin schweben, zugute und lässt sie länger
überleben. Ein weiterer Faktor sind Klimaanlagen, denn durch trockene Luft wird die
mukoziliare Clearance beeinträchtigt. In einer Hinsicht ist die aerogene Ausbreitung
einmalig: In auffälligem Kontrast zur Ausscheidung über den Verdauungstrakt kann
Material aus dem Respirationstrakt quasi sofort auf andere Menschen übergehen. Das
erklärt, weshalb sich Atemwegsinfektionen so rasch in geschlossenen Räumen
ausbreiten.

Auch durch Taschentücher, Hände und andere Objekte können Krankheitserreger


(z.B. Schnupfenviren) zwischen Menschen übertragen werden, wobei Husten und
Niesen wichtigere Infektionsquellen darstellen. Auf Bindehautinfektionen wird in
Kap. 25 näher eingegangen.

Welcher Teil des Respirationstrakts betroffen ist, hängt von der anfänglichen
Lokalisation, aber auch von den jeweiligen Rezeptoren (Tab. 13.2) und der lokalen
Temperatur ab. Rhinoviren können zwar in großer Zahl in den unteren
Respirationstrakt vordringen, aber sich nicht so gut vermehren wie in der
Nasenschleimhaut, weil sie – ebenso wie z.B. der Lepraerreger – kühlere
Temperaturen bevorzugen.

13.3.2 Gastrointestinale Übertragung

Unter schlechten gesundheitlichen bzw. hygienischen


Verhältnissen können sich Magen-Darm-Infektionen
rasch ausbreiten
Unter schlechten gesundheitlichen bzw. hygienischen Verhältnissen breiten sich
Magen-Darm-Infektionen mit ziemlicher Sicherheit aus, wenn ausreichende
Erregermengen im Stuhl und empfängliche Wirtspersonen zusammentreffen. Auf die
Schlüsselrolle der Diarrhoe bei der Übertragung wurde bereits oben hingewiesen. In
der Geschichte der Menschheit fand über lange Zeit in großem Maße eine
Wiederverwertung von fäkalem Material statt, und dieser fäkal-orale Kreislauf setzt
sich in den Entwicklungsländern noch heute fort. In der großen Vielfalt der

264
Mikroorganismen und Parasiten, die auf diesem Weg übertragen werden, spiegelt sich
auch seine Anziehungskraft für die Erreger wider.
Abb. 13.7 Übertragungswege/-arten und
Möglichkeiten zur Kontrolle.

Durch Arthropoden übertragene Infektionen oder auch Zoonosen lassen sich


eindämmen, indem man Vektoren oder tierische Infektionen bekämpft; sie sind
praktisch nicht von Mensch zu Mensch übertragbar.

265
Abb. 13.8 Nach einem heftigen Niesen verteilen
sich Tröpfchen im Raum. Die meisten der rund 20000
Partikel fliegen aus dem Mund

[Nachdruck aus F.R. Moulton, Aerobiology 1942].

In den entwickelten Ländern konnten Darminfektionen einigermaßen eingedämmt


werden. Aus den großen Reformen des öffentlichen Gesundheitswesens im 19.
Jahrhundert ging eine angemessene Abwasserentsorgung und Wasseraufbereitung
(Kanalisation, Kläranlagen) hervor. Noch vor 200 Jahren gab es z.B. weder
Toilettenspülung noch Abwasserkanäle in England und das Trinkwasser war
größtenteils verunreinigt. Typhus und Cholera konnten sich leicht ausbreiten. Die
Themse in London glich einer offenen Kloake. Heutzutage verfügt London genau wie
andere Städte über ein komplexes, unterirdisches, getrenntes Kanalsystem für
Abwässer und Trinkwasser.

Darminfektionen in entwickelten Ländern werden jetzt eher durch Nahrung oder über
die Hände als durch Wasser und Fliegen übertragen. Obwohl in Großbritannien nach
Reisen in Entwicklungsländer jährlich Dutzende Fälle von Typhus auftreten, ist die
Infektion nicht auf andere übertragbar.

Gewöhnlich haben sich Fäkalkeime im Darmlumen oder in der Darmwand vermehrt;


vereinzelt gelangen sie aber auch in die Galle. So geht z.B. das Hepatitis-A-Virus
(Enterovirus 72) nach Replikation in Leberzellen in die Galle über.

13.3.3 Urogenitale Übertragung

266
Urogenitale Infektionen werden oft auf sexuellem
Weg übertragen
Auch wenn Harnwegsinfekte häufiger vorkommen, breiten sie sich meist nicht über
Urin aus. Lebensmittel, Trinkwasser und Lebensraum können mit Urin kontaminiert
sein. Infektionen, die durch Urin übertragen werden, sind in Tab. 13.8 aufgelistet.

Sexuell übertragene Krankheiten (STD)


Anfällige Menschen infizieren sich oft durch Schleimhautkontakt, d.h. vor allem bei
sexuellen Aktivitäten, mit Mikroorganismen aus dem Urogenitaltrakt. Eine
Ansteckung wird noch wahrscheinlicher, wenn sich Keime durch Ausfluss auf der
Epitheloberfläche verteilen. Daher verursachen besonders durchsetzungsfähige sexuell
übertragbare Mikroorganismen (wie Gonokokken oder Chlamydien) meist Ausfluss.
Bei anderen erfolgt die Übertragung über Schleimhautulzerationen (z.B. Treponema
pallidum, Herpes-simplex-Virus). Eine Infektion mit humanen Papillomaviren (HPV)
geht oft von genitalen Warzen oder Dysplasieherden im – trotz infizierter Zellen
normal aussehenden – Zervixepithel aus (s. Kap. 21).

Für die Ansteckung an STD sind soziale und sexuelle Aktivitäten bestimmend.
Dramatisch haben sich der Anstieg der Weltbevölkerung und eine veränderte
Lebensweise auf die Epidemiologie der STD ausgewirkt. Mit wachsender
Bevölkerungsdichte und zunehmender Mobilität vergrößert sich die Zahl der
Sexualpartner; die Menschen sehen Sexualität nicht mehr als „Sünde“ und wissen,
dass sich Geschlechtskrankheiten behandeln und Schwangerschaften verhüten lassen.
Auch die Pille hat zur Verbreitung von STD beigetragen, weil seltener mechanische
Verhütungsmittel verwendet wurden. Dabei können Kondome verlässlich vor
Infektionen mit HSV, HIV, Chlamydien und Gonokokken schützen (s. Kap. 21).

267
Tab. 13.8 Infektionen durch Urin
STD breiten sich viel langsamer und weniger effektiv als respiratorische oder enterale
Infektionen aus. Während das Influenzavirus in überfüllten Räumen innerhalb einer
Stunde zahlreiche Menschen oder das Rotavirus an einem Vormittag ganze Gruppen
im Kindergarten anstecken kann, werden STD nur beim sexuellen Kontakt, d.h.
individuell, übertragen. Daher ist für die Ausbreitung Promiskuität entscheidend,
denn in einer stabilen Partnerschaft infizieren sich selbst bei häufigem Sex nur die
Partner gegenseitig. Erst die zunehmende Promiskuität in der Gesellschaft und eine
Vielzahl von Sexualpartnern bei Einzelpersonen (z.B. Prostituierte) führen zum
dramatischen Anstieg der STD-Inzidenz.

Sexuelle Aktivitäten können so gut wie alle Schleimhäute einbeziehen. Dadurch


bietet sich Mikroorganismen die Gelegenheit, neue Körperstellen zu infizieren. So
lassen sich in Abstrichen von Zervix, männlicher Harnröhre oder aus dem Analkanal
manchmal Meningokokken gewinnen, die eigentlich zur Normalflora des Nasen-
Rachen-Raums gehören, während Rachen und Analkanal gelegentlich mit
Gonokokken und Chlamydien infiziert sind. Abb. 13.9 zeigt die vielfältigen,
anscheinend nur durch die anatomischen Gegebenheiten eingeschränkten
Möglichkeiten. Dass sich aufgrund genito-oral-analer Kontakte auch Darminfektionen
(mit Salmonellen, Giardia lamblia, Hepatitis-A-Virus, Shigellen und pathogenen
Amöben) – trotz guter Hygiene und Abwasserentsorgung – zwischen Individuen
ausbreiten können, dürfte daher nicht weiter überraschen.

268
Abb. 13.9 Sexuelle Übertragung von Infektionen

[aus: R.R. Wilcox, The rectum as viewed by the venereologist. Br J Ven Dis 57
(1981) 1–6].

Sperma als Infektionsquelle


Wie nicht anders zu erwarten, ist auch Sperma an der Übertragung von Infektionen
beteiligt, z.B. bei Virusinfektionen von Tieren (Maul- und Klauenseuche). Im
menschlichen Sperma sind oft große Mengen des Zytomegalievirus (CMV)
nachzuweisen, und da es sich auch von der Zervix gewinnen lässt, liegt die Vermutung
seiner sexuellen Übertragbarkeit nahe. Im Samen können sich auch das Hepatitis-B-
Virus und HIV befinden; selbst wenn es nur geringe Mengen sind, spielen sie bei der
Übertragung eine wichtige Rolle (Homo- und Heterosexuelle).

Perinatale Ansteckung
Für Neugeborene kann auch der weibliche Genitalbereich zur Infektionsquelle werden
(s. Kap. 23). Wenn während der Passage durch den Geburtskanal Mikroorganismen
auf die Augenbindehaut des Kindes gelangen (Schmierinfektion) oder inhaliert
werden, können sie zu Konjunktivitis, Pneumonie oder bakterieller Meningitis
führen.

13.3.4 Oropharyngeale Übertragung

269
Oropharyngeale Infektionen verbreiten sich oft durch
Speichel
Häufig dient Speichel als Vehikel zur Übertragung von Infektionen. Im Speichel
können Streptokokken und Tuberkelbakterien (bei oberen und unteren
Atemwegsinfektionen) oder Viren, die Speicheldrüsen infizieren, vorkommen und
übertragen werden. Über Speichel verbreiten sich Paramyxoviren, HSV, CMV und
HHV-6 (humanes Herpesvirus Typ 6). Auf diesem Weg stecken sich meist kleine
Kinder an, die ihre Finger in den Mund stecken und alles, was sie anfassen,
regelmäßig mit Speichel kontaminieren. Auch das Epstein-Barr-Virus (EBV) wird
durch Speichel übertragen; allerdings weniger effektiv, weil es nur in einzelnen Zellen
oder in kleinerer Menge vorhanden ist. In den entwickelten Ländern machen viele
Menschen keine Kinderkrankheiten mehr durch, sondern infizieren sich erst als
Jugendliche oder Erwachsene – beim ausgedehnten Speichelaustausch (im Mittel 4,2
ml/h) verbunden mit Zungenküssen (s. Kap. 18). Auch Tierspeichel kann eine
Infektionsquelle sein (Tab. 13.9).

13.3.5 Übertragung über die Haut

Hautinfektionen können sich über Schuppen oder


direkten Kontakt verbreiten
Dermatophyten (Pilze, die z.B. Tinea verursachen) können sich sowohl von der Haut
als auch von Nägeln und Haaren weiter verbreiten, je nachdem, um welche Art
Mykose es sich handelt (s. Kap. 26). Aber auch virale und bakterielle Infektionen
gehen von der Haut aus (Tab. 13.10).

Schuppung (Streuung in die Umgebung)


Im Normalfall verliert jeder Mensch täglich rund 5 × 108 Hautschuppen, die sich je
nach körperlicher Betätigung (z.B. beim An- oder Ausziehen) mehr oder weniger stark
in der Umgebung verbreiten. Die feinen weißen Staubablagerungen in Innenräumen
(besonders in Krankenstationen) bestehen zum größten Teil aus Hautschuppen. Darin
enthalten sind auch Staphylokokken, deren Anteil jedoch – aus unbekannten Gründen
– bei einzelnen Menschen stark schwankt.

Sehr viel häufiger als durch Streuung in die Umgebung werden Mikroorganismen wie
fakultativ pathogene Staphylokokken und humane Papillomaviren (HPV) aber durch
Kontaktinfektion oder über kontaminierte Finger übertragen.

270
Tab. 13.9 Durch Speichel übertragene Infektionen des Menschen

Tab. 13.10 Infektionen, die von der Haut ausgehen.


*
außer bei Zoster mit lokalisiertem Ausschlag ohne Beteiligung des Atemtrakts;
**
im Allgemeinen Kontaktinfektion, Warzen an der Fußsohle verbreiten sich
über kontaminierte Bodenbeläge

271
13.3.6 Übertragung durch Milch
Milch wird in Hautdrüsen gebildet. Während in Frauenmilch nur selten Erreger (HIV,
CMV und HTLV-1) vorkommen, kann die Milch von Kühen, Ziegen oder Schafen eine
wichtige Infektionsquelle darstellen (Tab. 13.11). Bakterien gelangen manchmal erst
nach dem Melken in die Milch.

13.3.7 Übertragung durch Blut

Infektionen können sich durch Arthropoden-oder


Nadelstiche verbreiten
Häufig ist Blut das Medium für Infektionserreger wie Mikroorganismen und Parasiten. Sehr
erfolgreich ist ihre Übertragung durch blutsaugende Arthropoden. Hepatitisviren und HIV
können aber auch durch Injektionen übertragen werden, z.B. bei Bluttransfusionen oder über
kontaminierte Spritzenbestecke. Bekanntlich hat intravenöser Drogenkonsum sehr zur
Verbreitung dieser Infektionen beigetragen.Hinzu kommen jährlich mindestens 12 Milliarden
Injektionen weltweit, jede zehnte davon zu Impfzwecken. Leider werden Einmalspritzen in
Entwicklungsländern teilweise mehrmals und ohne ausreichende Sterilisation benutzt (nach
dem Motto: „Nichts wegwerfen, was noch funktioniert“). Um das auszuschließen, propagiert
die WHO einen neuen Spritzentyp, dessen Kolben sich nach dem Abdrücken nicht mehr
zurückziehen lässt.

Tab. 13.11 (Human-)Infektionen durch Milch.


Blut ist auch bei diaplazentarer Übertragung (meist nach Infektion der Plazenta) die
Infektionsquelle (s. Kap. 23).

13.3.8 Vertikale und horizontale Übertragung

272
Von den Eltern findet eine vertikale Übertragung auf
den Nachwuchs statt
Wenn eine Infektion über Sperma, Eizelle, Plazenta (Tab. 13.12), Milch oder Blut
direkt von den Eltern auf die Nachkommen übertragen wird, spricht man von
vertikaler Übertragung – wie ein Familienstammbaum gleicht sie einem
Flussdiagramm von oben nach unten (Abb. 13.10).

Horizontal können sich auch nichtverwandte Individuen bei einem Infizierten


anstecken. Die Übertragungswege (Kontakt, aerogen oder fäkal-oral) bei horizontalen
Infektionen zeigt Tab. 13.13.

Streng genommen handelt es sich um Infektionen, die sich auch ohne horizontale
Übertragung in einer Spezies selbst unterhalten, solange sie die Lebensfähigkeit des
Wirtes nicht beeinträchtigen. Von Retroviren weiß man, dass sie sich vertikal selbst
erhalten können (z.B. das Mammatumorvirus in Milch, Sperma und Eizellen von
Mäusen). Abgesehen von HTLV-1, bei dem die Übertragung durch Milch offenbar
eine größere Rolle spielt, scheint das bei Menschen weniger bedeutsam zu sein.
Allerdings finden sich im menschlichen Genom normalerweise zahlreiche retrovirale
DNA-Sequenzen. Auch wenn sie für die Bildung infektiöser Viruspartikel zu
unvollständig sind, müssen sie als erstaunlich durchsetzungsfähige Parasiten des
Menschen betrachtet werden. Sie verhalten sich wahrscheinlich unschädlich und
überleben deshalb, kontrolliert, konserviert und repliziert als Teil unserer genetischen
Ausstattung.
Abb. 13.10
Vertikale
und horizontale
Übertragung
von
Infektionen.

Wie zu erwarten, breiten


sich Infektionen in
großen

Menschenansammlungen meist horizontal aus. Für kleine isolierte Gruppen ist die
vertikale Übertragung bedeutsamer (s. Kap. 17).CMV = Zytomegalievirus, HTLV
= human T cell lymphotropic virus (humanes T-Zell-Leukämievirus).

273
Tab. 13.12 Diaplazentare Übertragung von Infektionen

Tab. 13.13 Vertikale Übertragung.


HTLV = human T cell lymphotropic virus

13.4 Übertragung von Tieren auf Menschen

Für bestimmte Pathogene sind sowohl Menschen als


auch Tiere anfällig
Menschen stehen täglich in direktem oder indirektem Kontakt zu Tieren
unterschiedlicher Spezies (Wirbeltieren und anderen). Sie teilen aber nicht nur dieselbe
Umgebung mit ihnen, sondern auch die Anfälligkeit für bestimmte Pathogene. Von den
äußeren Bedingungen (urbane/ländliche Umgebung, tropische/gemäßigte Klimazone,
hygienische/unhygienische Wohnverhältnisse) und der Art des Tierkontakts hängt es
ab, in welchem Maße Infektionen übertragen werden. Engerer Kontakt besteht zu
Wirbeltieren, die als Nahrungslieferanten dienen oder als Haustiere gehalten werden,
und zu wirbellosen Parasiten, die sich an den menschlichen Körper angepasst haben.
Doch auch ohne engeren Kontakt können Tiere Erreger auf Menschen übertragen. Es
bietet sich daher eine Unterteilung in Infektionen an, die:

■ durch Arthropoden und andere wirbellose Vektoren oder

■ direkt von Wirbeltieren (Zoonosen) übertragen werden. (Nähere Einzelheiten


s. Kap. 27 und 28)

274
13.4.1 Vektoren

Für die Ausbreitung von Infektionen sind


blutsaugende Arthropoden am wichtigsten –
Insekten, Zecken und Milben
Abb. 13.11 Von Arthropoden übertragene
Krankheitserreger.

Wichtigste Infektionsquelle sind Mücken (Moskitos). Mit Ausnahme der


Lungenpest findet aber keine direkte Übertragung von Mensch zu Mensch statt.

Zu diesen drei Gruppen gehören die mit Abstand wichtigsten Krankheitsvektoren. Als
Überträger kommen viele Spezies in Frage und das Erregerspektrum, das sie
übertragen, ist entsprechend breit (Abb. 13.11). In der Vergangenheit waren Insekten
wie Flöhe (Pest) und Läuse (Typhus) für einige der schlimmsten Epidemien
verantwortlich. Eine der weltweit wichtigsten Infektionskrankheiten, die Malaria, wird
von der Anophelesmücke übertragen. Entscheidend für die Verteilung und
Epidemiologie von Infektionen ist, dass Vektoren klimatisch günstige Bedingungen
zum Brüten vorfinden und Mikroorganismen in ihrem Körper die volle Entwicklung
durchlaufen lassen. Einige Infektionskrankheiten (z.B. Malaria, Schlafkrankheit,
Gelbfieber) bleiben daher auf tropische oder subtropische Regionen beschränkt,
während andere (wie Pest oder Typhus) weiter verbreitet vorkommen.

275
Passive Träger (Carrier)
Insekten können Pathogene, die sich einfach nur passiv an ihren Mundwerkzeugen, am
Körper oder im Darmschlauch befinden, auf Nahrungsmittel oder einen menschlichen
Wirt übertragen, sobald sie Nahrung aufnehmen bzw. Speichel oder Kot ausscheiden.
Auf diese Weise können von der gemeinen Stubenfliege oder Küchenschaben
Krankheiten übertragen werden.

Die Mundwerkzeuge blutsaugender Spezies sind so beschaffen, dass sie an Gefäße in


der Haut herankommen oder kleine Blutlachen bilden können (Abb. 13.12). Das
verschafft Erregern, die sich an den Mundwerkzeugen befinden, Zugang zur Haut oder
zum Blut des Wirts und bewirkt – ähnlich wie eine subkutane Injektion mit
kontaminierter Nadel – eine Übertragung der Infektion von einem Menschen zu einem
anderen.

Biologische Übertragung
Sehr viel häufiger dienen blutsaugende Arthropoden jedoch als obligater
Zwischenwirt, in dem sich die Pathogene vermehren und entwickeln. Fast alle
wichtigen Infektionen (Abb. 13.11) werden auf diesem Weg übertragen. Nach einiger
Zeit werden die Krankheitserreger dann – ebenfalls beim Blutsaugen – wieder in den
menschlichen Körper eingebracht: durch direkte Injektion von Speichel (Malaria,
Gelbfieber) oder durch Kontamination mit Kot bzw. regurgitiertem Blut des Vektors
(Typhus, Pest).

Andere Vektoren verbreiten Infektionen passiv


weiter oder dienen als Zwischenwirt
Pathogene werden auch durch wirbellose Nahrungslieferanten des Menschen
übertragen (Abb. 13.13). Am bekanntesten sind wohl die Fälle von
Lebensmittelvergiftung oder akuter Gastroenteritis nach dem Verzehr von
Schalentieren (Muscheln, Krebse). Diese Meerestiere können Viren und Bakterien,
die sie aus verseuchten Abfällen aufnehmen, in ihrem Körper anhäufen und passiv
weitergeben.

276
Abb. 13.12 Weibliche Anophelesmücke beim
Blutsaugen

(mit freundlicher Genehmigung von C.J. Webb).


Abb. 13.13 Mikroorganismen können auch durch
wirbellose Nahrungslieferanten übertragen werden.

Häufig sind Infektionen durch Meerestiere bedingt, die Nährstoffe aus dem
Wasser filtern und aus der Nähe von Abwassereinleitungen stammen.

Sonst unterhalten Pathogene und wirbellose Tiere aber oft eine engere Beziehung.
Denn viele Parasiten (besonders Würmer) müssen erst eine (Teil-)Entwicklung in
wirbellosen Zwischenwirten durchlaufen, ehe sie Menschen infizieren können (z.B.

277
nach Verzehr des Zwischenwirts). Für solche Infektionen spielen daher die
Essgewohnheiten eine wichtige Rolle.

Obligate Zwischenwirte für Schistosomen sind Wasserschnecken. In ihnen nisten


sich Larven ein, nachdem sie in (verunreinigtem) Wasser aus Eiern im Urin oder
Stuhl infizierter Menschen geschlüpft sind. Sobald sie sich in Wasserschnecken
entwickelt und vermehrt haben, verlassen sie ihre Zwischenwirte in größerer Zahl –
als Zerkarien. Diese infektiösen Stadien können sich schnell und aktiv durch die
menschliche Haut bohren, und infolge der Infektion setzen sich am Ende adulte
Würmer in viszeralen Blutgefäßen fest (s. Kap. 30).

13.4.2 Übertragung durch Wirbeltiere

Pathogene werden vielfach direkt von Wirbeltieren


auf Menschen übertragen
Streng genommen wäre jede Infektion als Zoonose zu bezeichnen, die von infizierten
Tieren auf Menschen übertragen wird – ob direkt (durch Kontakt oder Verzehr) oder
indirekt (über Vektoren). Wenn wir hier von Zoonosen sprechen, meinen wir jedoch
nur direkt von Wirbeltieren ausgehende Infektionen. Viele Pathogene werden auf ganz
unterschiedlichem Wege (Kontakt, Inhalation, Bisse, Kratzwunden, kontaminiertes
Wasser bzw. Essen, durch Fleischverzehr) übertragen (Tab. 13.14).

Epidemiologisch besteht bei Zoonosen ein Zusammenhang mit Häufigkeit und Art des
Kontakts zwischen Tieren und Menschen. Einige hängen von lokalen
Essgewohnheiten ab und beschränken sich daher geografisch auf bestimmte
Regionen. Bei bevorzugt rohem Verzehr von Fisch (oder Amphibien) können z.B.
Parasiten (vor allem Bandwürmer und Nematoden) mit aufgenommen werden. Andere
Zoonosen treten berufsbedingt auf, z.B. Toxoplasmose oder Q-Fieber bei Metzgern
(durch rohe Fleisch-/Tierprodukte) oder Brucellose und Dermatomykose bei
Landwirten (durch ständigen Kontakt zu Nutzvieh). Menschen in urbanen Gebieten
infizieren sich dagegen eher durch den Verzehr tierischer Nahrungsmittel oder im
Kontakt mit Hunden, Katzen und anderen Haustieren.

Haustiere – Gefährten oder Gefährdung für


Menschen?
Hunde und Katzen sind nicht nur die beliebtesten Haustiere, sondern auch ein
ständiges Infektionsreservoir für ihre Besitzer (Abb. 13.14). Durch Kontaktinfektion,
Biss- und Kratzwunden, über Vektoren und kontaminierten Kot können sich die
Krankheitserreger ausbreiten. Auf diesem Weg übertragen werden Beide Infektionen
sind bedeutsam und nahezu ubiquitär verbreitet.

■ Toxokariasis durch Hunde

■ Toxoplasmose durch Katzen

Dort, wo Hunde zum Schafehüten eingesetzt werden und von infizierten Kadavern
fressen, können sich Menschen durch Bandwurmeier im Hundekot eine

278
Echinokokkose zuziehen. Diese Infektion war – und ist es zum Teil noch immer –
besonders in Ländern mit überwiegend ländlicher Struktur wichtig.

Schwere Infektionen können auch von bestimmten Vogelarten ausgehen. Menschen,


die sie als Haustiere halten, stecken sich meist durch Inhalation infizierter Partikel an.
Wichtig ist vermutlich vor allem die durch Chlamydophila (früher: Chlamydia)
psittaci verursachte Psittakose. Trotz der umgangssprachlichen Bezeichnung
„Papageienkrankheit“ können daran auch Halter anderer Vogelarten erkranken.

Der Trend zu ungewöhnlichen Haustieren (Reptilien, exotische Vögel und


Säugetiere) in den entwickelten Ländern birgt die Gefahr, dass sich neue Zoonosen
entwickeln. Mit den Ausscheidungen vieler Reptilien verbreiten sich humanpathogene
Salmonellen. Exotische Vögel und Säugetiere tragen ein breites Spektrum von Viren
in sich, die unter geeigneten Bedingungen auf Menschen übergehen können. Unter
diesen Umständen kann die Diagnose von Infektionen schwierig sein, wenn der Arzt
nichts von den „Haustieren“ weiß.

279
Tab. 13.14 Direkt von Wirbeltieren (Vögel und Säugetiere) auf
Menschen übertragbare Infektionen

280
Abb. 13.14 Bester Freund des Menschen? Zoonosen
durch Hunde und Katzen.

(* gutartige Infektion mit Hautläsionen und Lymphadenopathie durch das kürzlich


entdeckte Bakterium Afipia catei).
Zusammenfassung
■ Mikroorganismen müssen sich an die Oberfläche heften oder in den Körper
ihres Wirts eindringen, um ihn infizieren zu können.

■ Viele Mikroorganismen haben biochemische oder mechanische Hilfsmittel


ausgebildet, um sich im Respirations-, Urogenital- oder Verdauungstrakt
festsetzen zu können. Für den Zugang über die Haut sind Erreger meist auf kleine
Wunden oder Stiche/Bisse von Arthropoden angewiesen.

■ Zur Weiterverbreitung auf neue Wirte müssen Mikroorganismen ihren


bisherigen Wirt verlassen, nachdem sie sich vermehrt (repliziert) haben. Auch das
geschieht über die Körperoberflächen.

■ Ausscheidung aus dem Körper (Atemwege, Urogenital-, Verdauungstrakt,


Hautoberfläche) oder Aufnahme (aus Blut oder Hautgewebe) durch Arthropoden
sind (über)lebenswichtige Stationen im Zyklus von Mikroorganismen.

■ Infektionen des Menschen gehen oft von Tieren aus und werden direkt
(Zoonosen) oder indirekt (über blutsaugende Arthropoden) übertragen. Dabei
richtet sich die Inzidenz nach den Kontaktmöglichkeiten zu infizierten Tieren oder
Arthropoden.

FRAGEN

281
1 Geben Sie in der richtigen Reihenfolge an, auf welchem Weg sich
Infektionen am schnellsten innerhalb von Menschengruppen ausbreiten –
sexuell, fäkal-oral, aerogen/inhalativ, als Zoonose?

2 Warum findet bei Infektionen durch Arthropodenvektoren oder


Zoonosen keine direkte Übertragung von Mensch zu Mensch statt?

3 Halten Sie Urin für ein geeignetes Mittel zur Übertragung von
Infektionen? Bitte begründen Sie Ihre Antwort.

4 Ist eine Atemwegsinfektion ohne Niesen oder Husten ansteckend für


andere?

5 Auf welchen Wegen können Infektionen vertikal übertragen werden?


Nennen Sie Gewebe oder Zellen, die daran beteiligt sind.

6 Was könnte verhindern, dass ein sexuell übertragbarer Erreger sich


nicht nur an Epithelzellen der Urethra heftet und sie infiziert, sondern auch
noch Epithelzellen im Respirationstrakt
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

Cohen, M.S., Sparling, P.F.: Mucosal infection with Neisseria gonorrhoeae. J. Clin
Investig 89 (1992) 1699–1705.

Falkow, S.: Bacterial entry into eukaryotic cells. Cell 65 (1991) 1099–1102.

Haywood, A.M.: Virus receptors: binding, adhesion, strengthening and changes in


viral structure. Virology 68 (1994) 1–5.

Mims, C.A.: The transmission of infection. Rev Med Microbiol 6 (1995) 217–227.

Mims, C.A., Nash, A. Stephen, J.: Mims’ Pathogenesis of Infectious Disease, 5th ed.
Academic Press, London 2001.

Simonsen, I., Kane, A., Lloyd, J. et al.: Unsafe injections in the developing world
and transmission of blood-borne pathogens: a review. Bull WHO 77 (1999) 789–
800.

Warren, K.S.: The control of helminths; non-replicating infectious agents of man.


Am Rev Publ Health 2 (1981) 101–116.

282
14 Aktivierung der Immunabwehr
14.1 Komplementsystem 155

14.2 Akute-Phase-Proteine und Muster- erkennende Rezeptoren 156

14.2.1 Kollektine 156

14.3 Fieber 156

14.4 Natürliche Killerzellen 157

14.5 Phagozytose 157

14.5.1 Oxidative Zerstörung intrazellulärer Erreger 158

14.5.2 Nichtoxidative Abtötung von Erregern 159

14.5.3 Stickstoffmonoxid (NO) 159

14.6 Zytokine 160

14.6.1 Interferone 160

14.6.2 Weitere Zytokine 160

14.7 Antikörpervermittelte Immunität 162

14.7.1 Geschwindigkeit, Ausmaß, Dauer 162

14.7.2 Affinität 163

14.7.3 Antikörperklassen und -subklassen (Isotypen) 163

14.7.4 Hemmende und neutralisierende Antikörperwirkung 163

14.7.5 Immobilisierung und Agglutination 163

14.7.6 Lyse 164

14.7.7 Opsonisierung 164

14.7.8 Antikörper-abhängige zelluläre Zytotoxizität (ADCC) 164

14.8 Zellvermittelte Immunität 164

14.9 Erholung von einer Infektion 168

283
Zur Orientierung
Auf die Barrierefunktion von Haut, Schleimhäuten und Hautanhangsgebilden (Zilien,
Flimmerepithel) wurde bereits hingewiesen (s. Kap. 9). Wenden wir uns nun den dahinter
stehenden Abwehrmechanismen zu – Komplementsystem, Phagozyten und zytotoxischen
Zellen sowie verschiedenen zelltoxischen Molekülen –, die ins Spiel kommen, sobald
Mikroorganismen diese Schranken durchbrochen haben. Auch wenn sie nicht über die
beeindruckende Spezifität und Gedächtnisfunktion der auf Lymphozyten basierenden
erworbenen Immunmechanismen verfügen, sind diese natürlichen Abwehrkräfte
lebenswichtig, besonders wenn sie – wie für wirbellose Tiere – den einzigen Schutz vor
Infektionen darstellen (adaptive Immunreaktionen entwickelten sich erst bei den
Vertebraten).

Zur unspezifischen Immunabwehr kommt noch die spezifische Antigenerkennung durch


T- und B-Zellen (Teil der erworbenen Immunität) hinzu. Verallgemeinert könnte man
sagen, dass Antikörperreaktionen besonders zur Bekämpfung extrazellulärer
Infektionserreger (vor allem pyogene Bakterien) wichtig sind, während die T-Zell-
vermittelte Immunität zur Kontrolle intrazellulärer Infektionserreger (Bakterien, Viren,
Pilze oder Protozoen) erforderlich ist. Wie hoch ihr Stellenwert ist, verdeutlichen die
fatalen Folgen, die Defekte der T- oder B-Zellen bzw. ihrer Produkte gewöhnlich haben
(Einzelheiten s. Kap. 30). In diesem Kapitel wird anhand von Beispielen aufgezeigt, wie
die unterschiedlichen Arten der Immunabwehr mithelfen, den Körper vor Infektionen zu
schützen.

Antimikrobieller Schutz der Haut durch Peptide


Zu den Proteinen, die auf Epitheloberflächen oder von polymorphkernigen Leukozyten
(PMN) exprimiert werden und unmittelbar antibakteriell wirken, gehören β-Defensine,
Dermizidin und Kathelizidin. Dermizidin, das in Schweißdrüsen gebildet und mit dem
Schweiß ausgeschieden wird, ist gegen Escherichia coli, Staphylococcus aureus und
Candida albicans wirksam. Mäuse, deren PMNs und Keratinozyten kein Kathelizidin
produzierten, wurden in Experimenten anfällig für Infektionen mit Gruppe-A-
Streptokokken.

In der Lunge findet sich besonders reichlich das antimikrobielle Protein Lysozym. Die
Bronchiallavage gentechnisch erzeugter Mäuse enthielt zwei- bis viermal mehr Lysozym
als bei Kontrollmäusen. Diese transgenen Mäuse konnten nachweislich besser mit
Infektionen durch Streptokokken der Gruppe B fertig werden und waren auch gegen
Pseudomonas aeruginosa resistenter (Abb. 14.1).

284
14.1 Komplementsystem

Alternative Komplementaktivierung als Bestandteil der


frühen Abwehr
Die biochemischen Grundlagen und Funktionen (Induktion einer Entzündungsreaktion,
Chemotaxis, Phagozytose und Gefäßpermeabilität) des Komplementsystems sind in
Kap. 9 beschrieben. Hier interessiert uns seine unmittelbar schädigende Wirkung für
Mikroorganismen in der Frühphase von Immunreaktionen. Wider Erwarten (nach
Experimenten, die effektive Bakteriolyse im Teströhrchen zeigten) beschränkt sich die
Wirkung des Komplementsystems in vivo aber ausschließlich auf Neisserien. Da
Patienten mit Komplementfaktormangel (C5, C6, C7, C8 oder C9) weder Gonokokken
noch Meningokokken eliminieren können, haben sie ein höheres Septikämie- oder
Trägerstatusrisiko.
Abb. 14.1 Transgene Mäuse sind aufgrund
größerer Lysozymmengen resistenter gegen
einePseudomonas-aeruginosa-Infektion.

(a) Verglichen mit Kontrollmäusen des Wildtyps bilden transgene Mäuse 18fach
mehr Lysozym. (b) Nach intratrachealer Inokulation mit Pseudomonas aeruginosa
wurde die Lunge transgener Mäuse deutlich schneller von den Erregern befreit als
die von Mäusen des Wildtyps [Akinbi et al., J Immunol 165 (2000) 5760].

Allerdings sei betont, dass nur der alternative Weg der Komplementaktivierung bzw. der
Weg über Mannan-bindende Lektine zu diesem natürlichen Frühabwehrsystem
gehören. Erst nach Antikörperreaktionen kommt es auch zur Komplementaktivierung
auf klassischem Weg. Dass der alternative Weg entwicklungsgeschichtlich älter ist,
dürfte insofern kaum überraschen.

14.2 Akute-Phase-Proteine und Muster-erkennende


Rezeptoren

285
Als Reaktion auf Zytokine bilden Leberzellen das
antibakterielle C-reaktive Protein
Von den Akute-Phase-Proteinen, die bei den meisten Entzündungsreaktionen gebildet
werden, ist das C-reaktive Protein (CRP) wegen seiner – wenn auch nur begrenzten –
antibakteriellen Wirkung besonders interessant. Als pentameres β-Globulin ähnelt CRP
(Molekulargewicht von 130000) einer Miniaturausgabe des IgM (MG von 900000).
Durch chemische Reaktion mit dem Zellwand-Phosphorylcholin mancher
Streptokokken kann es Komplement aktivieren und die Phagozytose induzieren. CRP
wird von Leberzellen als Reaktion auf Zytokine – besonders Interleukin 6 (IL-6, s. Kap.
11) – gebildet. Da seine Konzentration innerhalb von 24 Stunden auf das 1000fache
ansteigen kann, ist die Reaktionszeit viel kürzer als bei Antikörperreaktionen (s. Kap. 9).
Aus dem Grund zieht man zur Verlaufskontrolle entzündlicher (z.B. rheumatischer)
Erkrankungen oft die CRP-Werte heran.

In der Frühphase von Infektionen werden meist noch andere Akute-Phase-Proteine


vermehrt gebildet. Auch wenn sie nicht direkt antimikrobiell wirken, können sie als
Opsonine oder Antiproteasen bei der Immunmodulation eine Rolle spielen oder an
Abläufen wie Fibrinolyse bzw. Gerinnungshemmung beteiligt sein (viele
Komplementfaktoren sind z.B. Akute-Phase-Proteine). Schützen Akute-Phase-Proteine
(wie Mannose-bindendes Lektin) vor Infektionen, werden sie auch als „Muster
erkennende Rezeptoren“ (pattern recognition receptors) bezeichnet. Manche (z.B.
Lipopolysaccharid-bindendes Protein) binden toxische Bakterienprodukte
(Lipopolysaccharide) und können so die pathologischen Folgen mildern.

Makrophagen können mit Toll-like-Rezeptoren


Bakterien als fremd erkennen
Eine Familie von Oberflächenrezeptoren der Makrophagen und anderer Zellen sind
sog. Toll-like-Rezeptoren. Sie binden erhalten gebliebene Bakterienmoleküle wie
Endotoxin (Lipopolysaccharid, LPS), DNA, doppelsträngige RNA oder Flagellin. Wenn
Toll-like-Rezeptoren wiederholte Sequenzmuster (Pathogen-assoziierte
Molekularmuster, PAMP, s. Kap. 9) erkannt haben, werden proinflammatorische
Zytokine (z.B. Tumornekrosefaktor α [TNFα], IL-1 und IL-6) freigesetzt. Von Toll-like-
Rezeptoren ausgehende Signale führen auch zur vermehrten Expression von MHC- und
kostimulatorischen Molekülen – also zur verstärkten Antigenpräsentation – und somit
zur Aktivierung von T-Helferzellen (TH1).

286
14.2.1 Kollektine
Kollektine sind Proteine, die sich an Oberflächenmoleküle (Kohlenhydrate) von
Bakterien und Viren binden. Das lockt verstärkt Zellen an und bewirkt die alternative
Komplement- sowie Makrophagenaktivierung. Das Kollektin Surfactant-Protein A
spielt eine wichtige Rolle in der angeborenen Abwehr der Lunge, z.B. in der Abwehr
von Infektionen durch Streptokokken der Gruppe B. Mäuse, denen dieses Kollektin
fehlte, waren viel anfälliger für Infektionen, und verglichen mit Kontrollmäusen ohne
Surfactant-Protein-A-Mangel kam es zu einer stärkeren pulmonalen Infiltration und
Aussaat in die Milz.

Mannan-bindendes Lektin (MBL) ist ein Serumkollektin und führt zur


Komplementaktivierung, wenn es von Mannose-haltigen Kohlenhydraten (auf der
Oberfläche von Mikroorganismen) gebunden wird. Niedrige MBL-
Serumkonzentrationen beruhen häufig auf Mutation des MBL-Gens oder seiner
Promoterregion. Kürzlich konnte eine Studie aufzeigen, dass Infektionen bei Kindern
mit malignen Erkrankungen infolge eines MBL-Mangels länger anhielten.

14.3 Fieber
Bei Infektionen kommt es – in aller Regel – zu einem Anstieg der Körpertemperatur (s.
Kap. 29). Als mögliche Ursache entdeckt man in vielen Fällen freigesetzte Zytokine (IL-1
oder IL-6), die für Immunität wie für Krankheit eine wichtige Rolle spielen (s. Kap. 11).
Das lässt aber unbeantwortet, ob die Temperaturerhöhung selbst schon von Vorteil sein
könnte.

Pauschal kann nicht von „nützlichem“ Fieber


gesprochen werden
Manche Mikroorganismen haben sich als hitzeempfindlich erwiesen. Darauf gründete
sich die Fiebertherapie der Syphilis: Man führte absichtlich eine Infektion mit Malaria-
Blutstadien herbei. Selbst wenn hohe Temperaturen für Malariaparasiten schädlich sind,
werden sie aber keinesfalls vollständig beseitigt. Im Allgemeinen würde man Parasiten
für erfolgreich halten, die Fieberepisoden unbeschadet überstehen.

Tatsächlich sieht man es als Schutzstrategie an, dass Säugetiere und Mikroorganismen
auf unterschiedliche Belastungen (einschließlich Hitze) mit der Bildung von Stress- oder
Hitzeschock-Proteinen reagieren. Andererseits ist zu erwarten, dass auch bestimmte
Immunmechanismen des Wirts bei erhöhter Temperatur noch wirksamer werden;
Beispiele sind Komplementaktivierung, Lymphozytenproliferation und Proteinsynthese
(Antikörper und Zytokine).

287
14.4 Natürliche Killerzellen

Natürliche Killerzellen ermöglichen eine rasche, aber


unspezifische Kontrolle viraler bzw. intrazellulärer
Infektionen
Natürliche Killer(NK)-Zellen stellen früh Zytokine und Chemokine bereit und helfen so,
die Zeit bis zur Aktivierung und Expansion antigenspezifischer T-Zellen zu
überbrücken. In den ersten paar Tagen einer Infektion können NK-Zellen als wichtige
Gamma-Interferon(IFNγ)-Quelle dienen (Abb. 14.2). Zur Zytokinproduktion
veranlasst werden sie durch Monokine (IL-12 oder IL-18), die als Reaktion auf LPS
oder andere mikrobielle Produkte von Makrophagen induziert werden. NK-Zellen
können aber auch zytotoxische Granula und Perforine bilden, d.h. als zytotoxische
Effektorzellen die Lyse (mit Viren und bestimmten Bakterien) infizierter Wirtszellen
bewirken.

Ziele erkennen sie dank einer Reihe nicht-antigenspezifischer Rezeptoren, die


aktivierend oder hemmend sein können. Inhibitorische Rezeptoren erkennen sowohl
MHC-Klasse-I-Moleküle als auch Eigen-Peptide. Wenn sowohl der inhibitorische als
auch ein aktivierender Rezeptor besetzt sind, findet keine Aktivierung der NK-Zelle
statt. Reicht die MHC-Klasse-I-Menge auf der Zelloberfläche aber nicht aus, den
inhibitorischen Rezeptor zu besetzen, kommt es zur Aktivierung der NK-Zelle, die sich
auf die Zerstörung der Zielzelle richtet. Da manche Viren die MHC-Klasse-I-Expression
auf Zellen, die sie infiziert haben, hemmen, ist diese Strategie sehr wirkungsvoll. NK-
Zellen sind somit ein rasch verfügbares, aber kaum spezifisches Kontrollmittel viraler
und anderer intrazellulärer Infektionen. Dass Mäuse mit schwerem kombiniertem
Immundefekt (SCID) trotz fehlender B- und Zellen bestimmte Virusinfektionen in
Schach halten können, unterstreicht erst recht die Bedeutung der NK-Zellen.

288
Abb. 14.2 Um die Bakterien abzutöten, müssen bei
vielen intrazellulären Infektionen (z.B. mit Listerien)
Makrophagen aktiviert werden; dazu ist IFNγ nötig.

Doch bis zur Aktivierung und Proliferation antigenspezifischer T-Zellen vergehen


einige Tage. So lange kann IFNγ von NK-Zellen bereitgestellt werden. Bis T-Zellen
die IFNγ-Produktion von den NK-Zellen übernehmen, wird es zum geringeren Teil
auch von anderen Untereinheiten (γδ-T-Zellen und NK-T-Zellen) gebildet.

14.5 Phagozytose

Potenziell schädliche Parasiten werden von


Phagozyten aufgenommen, abgetötet und abgebaut
Die größte Bedrohung für potenziell schädliche Parasiten dürften Phagozyten sein,
durch die sie erkannt, aufgenommen, abgetötet und abgebaut werden (Abb. 14.3). Die
einzelnen Schritte bei der Phagozytose sind in Kap. 9 beschrieben. Normalerweise
befinden sich Phagozyten (in erster Linie Makrophagen) in Geweben, wo mit
ziemlicher Wahrscheinlichkeit eingedrungene Mikroorganismen anzutreffen sind. Bei
Bedarf können aber jederzeit auch Phagozyten aus dem Blut (hauptsächlich PMN) rasch
und gezielt dorthin mobilisiert werden, wo sie gebraucht werden. Bei einer Umsatzrate
von ca. 1011 PMN pro Tag ist zu einem gegebenen Zeitpunkt nur etwa 1% der normalen
Knochenmarkreserve von Erwachsenen (3 × 1012 PMN) im Blut vorhanden. Die meisten
Makrophagen bleiben im Gewebe, nur knapp 1% ist im Blut präsent (als Monozyten).
PMN sind kurzlebig, während die Lebensdauer von Makrophagen mehrere Jahre
betragen kann (s. unten).

Phagozyten können Mikroorganismen auf oxidativem


oder nichtoxidativem Weg abtöten/zerstören

289
Je nachdem, ob Zellen bei der Phagozytose Sauerstoff verbrauchen oder nicht, wird
traditionell zwischen oxidativer und nicht-oxidativer Form unterschieden. Da PMN
keine Mitochondrien haben und anaerob atmen, kommt es während der Phagozytose
unter Bildung bakterizider O2-Zwischenprodukte (reactive oxygen intermediates, ROI)
zu einem explosionsartigen Anstieg des Sauerstoffverbrauchs (sog. respiratory burst,
Abb. 14.4).
Abb. 14.3 Elektronenmikroskopische Aufnahme
und schematische Darstellung eines Neutrophilen
nach Phagozytose vonCandida albicans. 7000×
vergr.

(mit freundlicher Genehmigung von H. Valdimarsson).

14.5.1 Oxidative Zerstörung intrazellulärer Erreger


Wie wichtig reaktive O2-Zwischenprodukte (ROI) für die Abtötung von Bakterien
sind, wurde bei Patienten mit chronischer Granulomatose (CGD) entdeckt, deren
PMN keinen Sauerstoff zur Phagozytose von Staphylokokken verbrauchten. Patienten

290
mit CGD können drei verschiedene Gendefekte eines Enzymsystems in der PMN-
Membran haben, an dem NADPH-Oxidase (Nikotinamid-Adenin-Dinukleotid-
Phosphat-Oxidase) beteiligt ist.

Normalerweise sorgt das Enzymsystem für eine progressive Reduktion von Sauerstoff
aus der Luft zu Wasser. Bei dieser Reaktion werden Intermediärprodukte (ROI) wie
Superoxid, Wasserstoffperoxid und freie Hydroxylradikale gebildet, die für
Mikroorganismen hoch toxisch sein können (Tab. 14.1).

Da Staphylokokken und bestimmte andere Bakterien und Pilze bei einer CGD nicht
abgetötet werden, können sie chronisch tiefe Abszesse verursachen. Mit Katalase-
negativen Bakterien (z.B. Pneumokokken) werden diese Patienten dagegen besser fertig,
denn aus dem in ausreichender Menge gebildeten (und nicht abgebauten)
Wasserstoffperoxid entsteht in Verbindung mit der Zell-Myeloperoxidase hochgiftige
Hypochlorsäure. PMN-Defekte bei CGD-Patienten lassen sich in vitro leicht daran
erkennen, dass sie den gelben Farbstoff Nitroblautetrazolium nicht zu dem blauen
Bestandteil reduzieren können (NBT-Test, s. Kap. 32).
Abb. 14.4 Die wichtigsten am Respiratory Burst
beteiligten Moleküle.

Durch Hinzufügung von Elektronen (e−)


wird Sauerstoff schrittweise reduziert.
NADPH = Nikotinamid-Adenin-
Dinukleotid-Phosphat

291
Tab. 14.1 Mikroorganismen, die durch Sauerstoff- (und Stickstoff-
)Reaktionsprodukte abgetötet werden können.

Umstritten ist, wie die Zerstörung der Mikroorganismen


durch ROI vor sich geht
ROI können Zellmembranen (Lipidperoxidation), DNA und Proteine (einschließlich
lebenswichtiger Enzyme) schädigen, doch manchmal könnte sich allein schon die pH-
Wert-Veränderung (die diese Reaktion begleitet) negativ auswirken. Bestimmte
Bakterien und Pilze (z.B. Escherichia coli, Candida) werden nur in einem sauren
Milieu, andere (z.B. Staphylokokken) dagegen nur bei basischem pH abgetötet.
Möglicherweise ist auch eine gewisse Proteaseaktivität (Kathepsine, Elastase) nötig,
um Enzyme aufzulösen (infolge des H+- und K+-Ionen-Einstroms in
Phagozytosevesikel).

Zytotoxische Lipide verlängern die Wirksamkeit von


ROI
Wie bereits erwähnt, sind Lipide in Zellmembranen ein Angriffsziel toxischer ROI.
Wenn sie sich mit Serumlipoproteinen verbunden haben (Lipidperoxidation), hält die
toxische Wirkung der normalerweise sehr kurzlebigen (Bruchteile von Sekunden) ROI
jedoch viel länger an. Lipidperoxide bleiben über Stunden stabil und können die
oxidative Membranschädigung der Parasiten- (z.B. mit Malaria infizierter roter
Blutkörperchen) und der Wirtszellen (z.B. Gefäßendothel) vorantreiben. Dass
Normalserum für bestimmte Trypanosomen im Blut zytotoxisch sein kann, wird auf
HDL (high density lipoprotein) und auf ein Makroglobulin zurückgeführt.

14.5.2 Nichtoxidative Abtötung von Erregern

An der nichtoxidativen Abtötung von Erregern sind


zytotoxische (Phagozyten-)Granula beteiligt
Nicht immer steht Sauerstoff für die Zerstörung von Mikroorganismen zur Verfügung.
Manche Bakterienspezies (z.B. Clostridien, die Gasgangrän verursachen) wachsen
unter anaeroben Bedingungen sogar besser, und in tiefen Gewebeabszessen ist das
Sauerstoffangebot ohnehin knapp. Deshalb enthalten phagozytierende Zellen eine
Reihe anderer zytotoxischer Moleküle. Am besten untersucht sind die Proteine
verschiedener PMN-Granula (Tab. 14.2), die (nach der Fusion) den Inhalt von
Phagosomen beeinflussen. Die mikrobizide Wirkung kationischer Proteine und
Defensine wird durch den vorübergehenden Abfall des pH-Werts, der mit dem
Respiratory Burst einhergeht, noch verstärkt.

Besonders reichlich mit zytotoxischen Granula ausgestattet sind Eosinophile, die auch
als Phagozyten fungieren (Tab. 14.2). Wegen ihres stark kationischen (d.h. basischen)
Inhalts zeigen diese Granula ein charakteristisches azidophiles Färbemuster. Bisher
sind fünf Eosinophilen-kationische Proteine bekannt, die – zumindest in vitro –

292
besonders für parasitäre Würmer toxisch zu sein scheinen. Aufgrund des enormen
Größenunterschieds zwischen Würmern und Eosinophilen beschränkt sich die
Schädigung aber auf die Außenfläche der Parasiten. Die für Wurminfektionen typische
Eosinophilie spiegelt vermutlich den Versuch wider, so große und nahezu
unzerstörbare Parasiten zu überwältigen. Produktion und Aktivierung der
Eosinophilen werden von T-Zellen und Makrophagen gesteuert, dabei dienen
Zytokine wie Interleukin 5 (IL-5) und Tumornekrosefaktor (TNF) als Mediatoren.

Tab. 14.2 Granulainhalt polymorphkerniger Leukozyten (PMN) und


Eosinophiler
BPI = bactericidal permeability increasing protein, ECP = eosinophil cationic
protein, MBP = major basic protein, NADPH = Nikotinamid-Adenin-Dinukleotid-
Phosphat

Auch Monozyten und Makrophagen besitzen zytotoxische Granula. Im Gegensatz zu


PMN enthalten Makrophagen nur wenig bis gar keine Myeloperoxidase, sezernieren
aber große Mengen Lysozym (Tab. 14.3). Lysozym ist antibakteriell, seine mittlere
Serumkonzentration beträgt etwa 30 mg/ml. In seltenen Fällen einer monozytären
Leukämie kann es aber zu einem Konzentrationsanstieg auf 800 mg/ml kommen.
Makrophagen lassen sich leicht durch bakterielle (LPS) und T-Zell-Produkte (IFNγ)
aktivieren und sind dann sehr viel besser imstande, intra- und extrazelluläre Erreger
abzutöten.

14.5.3 Stickstoffmonoxid (NO)


Ein wichtiges Sekretionsprodukt aktivierter Makrophagen ist Stickstoffmonoxid (NO),
ein Reaktions-/Intermediärprodukt des Stickstoffs (reactive nitrogen intermediate,
RNI), das bei der chemischen Umwandlung von Arginin in Citrullin durch Arginase
entsteht. NO wirkt auf verschiedene Zellarten in hohem Maße zytotoxisch, und bei
Infektionen wie Leishmaniasis oder Malaria werden große Mengen RNI gebildet.
Arginase kann für Viren (HSV) und Parasiten (Schistosomen) auch schädlich sein, weil
sie ihnen Arginin – und damit eine essenzielle Aminosäure – entzieht.

293
Tab. 14.3 Polymorphkernige Leukozyten (PMN) und Makrophagen
im Vergleich.
CGD = chronische Granulomatose, GM-CSF = Granulozyten-Makrophagen-
Kolonie- stimulierender Faktor, IFN = Interferon, IL = Interleukin, LPS =
Lipopolysaccharide, NO = Stickstoffmonoxid, TNFα= Tumornekrosefaktor α

294
14.6 Zytokine

Zytokine können Infektionen verstärken, aber auch


kontrollieren helfen
Wie frühe Untersuchungen der Überstände von Lymphozyten- und
Makrophagenkulturen ergaben, ist eine darin enthaltene Familie nicht-
antigenspezifischer Moleküle (mit unterschiedlichen Wirkungen) an der
Kommunikation zwischen Zellen beteiligt. Heute kennt man die Gruppe unter der
Bezeichnung Zytokine. Wie diese Moleküle, die eine wichtige Rolle beim Schutz vor
Infektionen spielen, ihren manchmal irreführenden Namen erhielten und wie sich ihre
Funktionen trotz Strukturunterschieden verblüffend gleichen, ist in Kap. 11
ausführlicher beschrieben.

Zytokine sind bei Infektionen aus zwei völlig gegensätzlichen Gründen wichtig. Für ihre
schädliche Wirkung liefert der septische Schock durch TNF ein gutes Beispiel (s. Kap.
12). Ihr unmittelbarer oder häufiger indirekter Nutzen besteht darin, dass sie andere
antimikrobielle Prozesse in Gang setzen.

■ Sie können helfen, sie zu bekämpfen,

■ aber auch zur Verstärkung beitragen.

14.6.1 Interferone
Die bekanntesten Zytokine mit antimikrobieller Wirkung sind wohl die Interferone
(IFN; Tab. 14.4). Ihr Name leitet sich von dem 1957 geführten Nachweis her, dass
virusinfizierte Zellen ein Molekül ausscheiden, das die Virusreplikation in unbeteiligten
Zellen stört bzw. mit ihr „interferiert“. Alle drei Interferonarten – IFNα, IFNβ, IFNγ –
binden an spezifische Zellrezeptoren (einer für IFNα und IFNβ, ein zweiter für IFNγ)
und können bei den meisten Zellen einen antiviralen Zustand herbeiführen, indem sie
mindestens zwei Enzyme produzieren: eine Proteinkinase und eine 2′,5′-
Oligoadenylatsynthetase. Beide Enzyme verursachen eine Hemmung der (Virus-
)RNA-Translation, d.h. der Proteinsynthese (Abb. 14.5).

Zur Frühreaktion auf Viren tragen hauptsächlich IFNα


und IFNβ bei
Da IFNα und IFNβ ziemlich schnell (innerhalb von 24 Stunden) bei Infektionen
gebildet werden, stützt sich die Frühreaktion bei Virusinfektionen größtenteils auf sie.
Als Produkt der T-Zellen wird IFNγ erst später gebildet, doch wie oben bereits
angesprochen, können NK-Zellen früher mit einer IFNγ-Produktion reagieren.

In einem späteren Stadium können Interferone die Zusammensetzung (assembly) der


Viruspartikel (z.B. von Retroviren) hemmen, während viele andere IFN-Wirkungen
(z.B. verstärkte MHC-Expression, Aktivierung von NK-Zellen und Makrophagen)
zum antiviralen Status beitragen (Abb. 14.6). Im Unterschied zu zytotoxischen T-
Zellen werden durch Interferone normalerweise nur Viren gehemmt, aber nicht die
Wirtszellen geschädigt.

295
Obwohl sie eher für ihre antivirale Aktivität bekannt sind, konnte kürzlich gezeigt
werden, dass Interferone von einem breiteren Erregerspektrum induziert werden bzw.
daran wirksam sind (Rickettsien, Mykobakterien und mehrere Protozoenarten). Die
Rolle von IFNγ wird weiter unten im Zusammenhang mit den T-Zellen besprochen.
Einige intrazelluläre Erreger (wie Leishmanien) verbessern ihre Überlebenschancen,
indem sie den IFNγ-Einfluss auf die MHC-Expression abwehren.

In Tierversuchen nahm die Anfälligkeit für Virusinfektionen durch Behandlung mit


IFNα-Antikörpern deutlich zu. Bei Virusinfektionen des Menschen (speziell bei
chronischer Hepatitis B) hat sich eine Behandlung mit IFNα als sinnvoll erwiesen (s.
Kap. 22).

14.6.2 Weitere Zytokine

TNFα-Produktion kann nützlich oder von Nachteil sein


Einen schlagenden Beweis für den möglichen therapeutischen Nutzen von TNF liefert
die Hemmung der B-Lymphozyten-Proliferation bei Infektionen mit dem Epstein-
Barr-Virus (EBV). Bei an Malaria Erkrankten kann sich infolge einer EBV-Infektion
ein Burkitt-Lymphom – ein monoklonaler B-Zell-Tumor – entwickeln. TNF-Werte
sind bei Malaria nachweislich erhöht. Man vermutet allerdings auch, dass TNF die
Symptome der Malaria ebenso wie die bakterieller Endotoxine verstärken kann (s.
Kap. 12). Das verdeutlicht beispielhaft, wie undurchsichtig die Rolle der Zytokine bei
allen möglichen Infektionen oft sein kann.

Tab. 14.4 Interferone (IFN) des Menschen


*
jeweils von einem anderen Gen kodiert
dsRNA = doppelsträngige Ribonukleinsäure, MHC = major histocompatibility
complex
Abb. 14.5 Molekulare Grundlagen der
Interferon(IFN)-Wirkung.

296
eIF-2 = eukaryotischer
Initiationsfaktor 2

297
Abb. 14.6 Unterschiedliche Interferon-(IFN-
)Wirkungen und Immunität gegen Viren.

MHC = major histocompatibility complex, NK = natürliche Killerzellen

Für die stark wirksamen Moleküle scheinen Regeln wie „genug ist genug“ und „zu
viel ist gefährlich“ zu gelten. Paradox ist das positive Feedback mit negativen Folgen
bei HIV-Infizierten, d.h., der Anstieg der TNF-Konzentration begünstigt die HIV-
Replikation in T-Zellen. Auf Zytokine der T-Zellen (wie IFNγ) und ihre Rolle für die
Immunität wird unten eingegangen.

14.7 Antikörpervermittelte Immunität


Kennzeichnend für Antikörpermoleküle ist ihre Fähigkeit, sich spezifisch an Antigene
fremder Mikroorganismen zu binden. In vielen Fällen kommt es danach noch zur
Bindung an andere Zellen bzw. Moleküle des Immunsystems (Phagozyten,
Komplementfaktoren). Darauf wird unten näher eingegangen. Zunächst seien einige
allgemeine Einflüsse auf die Durchsetzungsstärke von Antikörperreaktionen erwähnt.

298
14.7.1 Geschwindigkeit, Ausmaß, Dauer
Bis eine primäre Antikörperreaktion in ausreichendem Umfang ausgeprägt wird,
kann es gefährlich lange dauern. Das liegt an den Interaktionen der beteiligten Zellen
und der notwendigen Proliferation einer kleinen Anzahl spezifischer Vorläuferzellen
(Lymphozyten). Als es noch kein Penicillin gab, war die Lobärpneumonie ein
klassisches Beispiel für das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Bakterienvermehrung und
Antikörperproduktion, das eine Seite (nach ca. 1 Woche) in sehr dramatischer Weise für
sich entschied.

Heutzutage stehen die Chancen für die Patienten dank Impfungen und Antibiotika viel
besser. Tierversuche mit speziell gezüchteten Mäusen lassen vermuten, dass eine
größere Anzahl von Genen kontrolliert, wie rasch und stark Antikörperreaktionen
auftreten, und das gilt zweifellos auch für Menschen.

Zu berücksichtigen sind außerdem Rate und Geschwindigkeit, mit der sich


Mikroorganismen vermehren. Die Replikationsraten, gemessen als Verdopplungszeit
(s. Kap. 15), zeigen eine Schwankungsbreite von weniger als einer Stunde (die meisten
Viren, viele Bakterien) bis hin zu Tagen oder sogar Wochen (Mykobakterien, T.
pallidum). Dass Mikroorganismen in vivo langsamer wachsen als in vitro, zeigt, wie
ungeeignet oder feindlich die Umgebung im jeweiligen Wirt im Allgemeinen ist. Bei
einer Inkubationszeit von wenigen Tagen (Rhinoviren, Rotaviren, Cholera) entwickelt
sich die Antikörperreaktion zu langsam, um das Ergebnis von Anfang an zu
beeinflussen. Daher sind in dieser Phase rascher produzierte Zytokine wie die
Interferone wichtiger.

Allgemein ausgedrückt hält eine Antikörperreaktion so lange an, wie noch Antigen
vorhanden ist, auch wenn sich nach längerer Dauer eine gewisse Abschwächung
bemerkbar machen kann. Vermutlich stellt dies einen Versuch dar, die
immunpathologischen Auswirkungen zu begrenzen (s. Kap. 17). Lebenslange
Immunität nach Virusinfektionen kann auf regelmäßig wiederkehrendem
Antigenkontakt beruhen (z.B. mit dem Masern- oder Mumpsvirus, das noch immer in
der Bevölkerung umgeht), aber manchmal persistieren Antikörper (z.B. bei Gelbfieber)
jahrzehntelang, ohne dass eine Auffrischung stattgefunden hätte. Diese Persistenz des
immunologischen Gedächtnisses könnte mit der unspezifischen Stimulation der
Gedächtnis-B- und T-Zellen zusammenhängen, wenn Zytokine auf andere Antigene
ansprechen. Dieser Vorgang wird als Aktivierung von „Bystander“-Zellen bezeichnet.

14.7.2 Affinität
Dass Antikörper nützlicher sind, wenn sie Antigene mit höherer Affinität binden,
erscheint einleuchtend und wurde auch experimentell (passive
Immunität/Schutzwirkung) bestätigt. Die Bindungsaffinität wird sowohl vom
ursprünglichen Antikörper-Genpool als auch durch somatische Mutationen einzelner
B-Lymphozyten festgelegt. Genetisch wird sie offenbar unabhängig von der Antikörper-
Gesamtmenge kontrolliert. Bei einigen Menschen fand man eine relativ niedrige
Antikörperaffinität für den Tetanustoxoidimpfstoff, besonders wenn IgG4-Reaktionen
überwogen, und aus Versuchen mit Mäusen ergaben sich eindeutige Hinweise, dass eine
mangelnde Affinität der Antikörperreaktionen zu Immunkomplexkrankheiten
prädisponierte.

299
14.7.3 Antikörperklassen und -subklassen
(Isotypen)
Für die meisten funktionellen Unterschiede von Antikörpern sind ihre Fc-Abschnitte
verantwortlich (s. Kap. 10). Indem es von einem Fc-Abschnitt zum anderen umschaltet
(während die Fab-Region konstant bleibt), kann das Immunsystem ausprobieren, wie
effektiv verschiedene Mechanismen gegen eingedrungene Mikroorganismen sind. Diese
Flexibilität ist aber nicht unbegrenzt möglich. Von T-Zellen unabhängige Antigene
(bestimmte Polysaccharide) induzieren z.B. nur IgM-Antikörper. Für das Umschalten
auf IgG, IgA oder IgE sind jedoch T-Zellen erforderlich.

IgG-Reaktionen gegen Polysaccharide gehen hauptsächlich von IgG2 aus und IgG-
Reaktionen gegen Proteine hauptsächlich von IgG1. Die mangelhafte Bildung von IgG2
bei Kindern unter zwei Jahren erklärt die ausbleibende Antikörperreaktion auf Bakterien
mit Polysaccharidkapsel (z.B. Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae). Um
Impfstoffe, die andere IgG-Subklassen induzieren, herzustellen, werden beträchtliche
Anstrengungen unternommen. Bei den Antikörpern gegen Viren überwiegen IgG1 und
IgG3, bei den Antikörpern gegen Helminthen IgG4 und IgE. Der einzige Antikörpertyp,
der im proteasereichen Milieu des Darms funktionieren kann, ist IgA, das entsprechend
hauptsächlich von Antigenen, die den Verdauungstrakt erreichen, induziert wird. Bei
dieser Isotypen-Präferenz spielen auch T-Zellen und Zytokine eine wichtige Rolle.

14.7.4 Hemmende und neutralisierende


Antikörperwirkung
Zum Schutz des Wirtes vor Mikroorganismen reicht es oft schon aus, dass sich
Antikörper an die Oberfläche des Erregers heften. Dadurch können sie z.B. die für das
Eindringen in Wirtszellen erforderliche Rezeptorbindung von Viren oder
Bakterientoxinen behindern. Auf dieser Grundlage wurden viele lebensrettende
Impfstoffe gegen Viren oder Bakterientoxine entwickelt. Die wichtige Frage, ob eine
rasche Sekundärreaktion zum Schutz ausreicht oder ob bereits vor der Infektion
Antikörper im Serum vorhanden sein müssen, wird in Kap. 34 diskutiert.

Bei Mikroorganismen mit spezifischen Adhäsionsstellen (Viren, Bakterien oder


Protozoen) kann es eine wirksame Gegenmaßnahme darstellen, ihre Anheftung bzw. ihr
Eindringen in die Wirtszellen zu verhindern (s. Kap. 16). Eine wichtige Ausnahme
bilden Erreger wie das Denguefiebervirus, die in Makrophagen parasitieren. In dem Fall
kann die Infektion durch eine niedrige IgG-Antikörper-Konzentration sogar verstärkt
werden, weil sich die Erreger noch leichter an Fc-Rezeptoren binden (s. unten).

Etwas schwächer ist die Wirkung von Antikörpern, die essenzielle


Oberflächenbestandteile (vor allem Enzyme oder Transportmoleküle) der
Mikroorganismen hemmen. Selbstredend unternehmen die Erreger die nötigen Schritte,
um sich erfolgreich zur Wehr zu setzen, um diese Bestandteile möglichst zu schützen (s.
Kap. 16).

14.7.5 Immobilisierung und Agglutination


Immunglobulin(Ig)-Antikörper sind etwa so groß wie kleinere Viren und haben einen
größeren Durchmesser als Bakteriengeißeln, vor allem die großen pentameren IgM-

300
Moleküle (Abb. 14.7). Daher werden bewegliche Mikroorganismen schon rein
physikalisch eingeschränkt, sobald sich ein Antikörper an sie heftet.

Hinzu kommt, dass Antikörper aufgrund ihrer Molekülstruktur (Multivalenzen) zwei


oder mehrere Mikroorganismen zusammen binden können, wie sich durch
Bakterienagglutinationstests leicht zeigen lässt (Abb. 14.8). Ob Bakterienagglutination
zum Schutz dient, ist in vivo schwer zu beurteilen; möglicherweise werden
zusammenklebende Bakterien schneller phagozytiert. Im Blut infizierter Tiere fand man
aber z.B. trotz ausreichender Serumantikörper noch immer motile Trypanosomen in
solchen zusammengelagerten Klumpen. In-vitro-Agglutinationsreaktionen sind
diagnostisch sehr hilfreich (s. Kap. 32).
Abb. 14.7 Elektronenmikroskopische Aufnahme
eines IgM-Moleküls.

„Krabben“-artige Struktur durch (Quer-)Verbindung mit einzelner Bakteriengeißel


(mit freundlicher Genehmigung von A. Feinstein).

301
Abb. 14.8 Bakterienagglutination.

Gruppe-A-Streptococcus und Latexpartikel, die mit Anti-Gruppe-A-Antikörpern


beschichtet sind (mit freundlicher Genehmigung von D.K. Banerjee).

14.7.6 Lyse
Ein anderes bequemes Antikörper-Nachweisverfahren ist die Lyse von Bakterien bei
Zugabe von Komplement. Lyse schützt aber wahrscheinlich nur vor einem schmalen
Erregerspektrum (Neisserien- und einigen Virusinfektionen; s. Kap. 17).

14.7.7 Opsonisierung
Direkte (Bindung der CH2- und CH3-Regionen von Immunglobulinen an Fc-
Rezeptoren) oder indirekte Opsonisierung (durch C3b-Rezeptor-Bindung nach
Komplementaktivierung) ist überhaupt die wichtigste Antikörperfunktion. Den
schlagenden Beweis liefert die große Ähnlichkeit der Symptome bei Patienten mit
Antikörper-oder Komplementdefekten (bis zu und einschließlich Faktor C3) bzw.
Phagozytendefekten (s. Kap. 30). Die Phagozytoserate kann sich schätzungsweise auf
das 1000fache steigern, wenn sich Antikörper und Komplement in ihrer Wirkung
ergänzen (Abb. 14.9).

Ein gutes Beispiel ist erneut die Lobärpneumonie: Gegen die Bakterienkapsel
(Streptococcus pneumoniae) gerichtete IgG-Antikörper ermöglichen Neutrophilen die
Phagozytose, so dass sich die durch Flüssigkeit, Fibrin und Fresszellen angeschoppte
Lunge quasi über Nacht wieder zum normalen Atemapparat zurückbilden kann.

Anmerkung: Da die später entstehenden Komplementfaktoren C5–9 nicht erforderlich


sind, prädisponieren entsprechende Mängel im Allgemeinen nicht zu
Bakterieninfektionen (s. Kap. 30).

Wie erfolgreich die Opsonisierung ist, hängt davon ab, ob aufgenommene Erreger von
den Phagozyten endgültig ausgeschaltet werden können. Das ist jedoch nicht der Fall,
wenn Mikroorganismen die normale intrazellulären Vorgänge, die zu ihrer Zerstörung
führen würden, hemmen oder umgehen können (typisches Beispiel: Mykobakterien; s.
Kap. 16).

302
Abb. 14.9 Phagozytose.

Durch Antikörper und Komplement werden Pneumokokken bei Mäusen schneller


aus dem Blut entfernt.

14.7.8 Antikörper-abhängige zelluläre Zytotoxizität


(ADCC)
Die Phagozytose größerer Organismen (z.B. Würmer) ist nicht möglich. Es gibt aber
eine Reihe von Zellen, die Parasiten von außen (extrazellulär) schädigen können,
indem sie – ähnlich wie Phagozyten – über Antikörper und Fc-Rezeptoren an sie
andocken. Dazu gehören außer den üblichen Phagozyten noch Eosinophile und
Thrombozyten. Man muss allerdings einschränkend hinzufügen, dass sich Hinweise auf
solche Wirkmechanismen nur in vitro ergaben und sich ihre Rolle in vivo nur schwer
einschätzen lässt.

Tatsächlich weiß man in den meisten Fällen nicht genau, wie Antikörper vor Infektionen
schützen. Dass z.B. enorm viel IgA (fast die Hälfte der Antikörperproduktion im
gesamten Körper) enteral gebildet wird, spricht für eine vitale Schutzfunktion der
Darmschleimhaut; trotzdem kommt ein IgA-Mangel relativ häufig vor, ohne ernste
Folgen zu haben.

Tab. 14.5 zeigt einige gängige Beispiele für Infektionen, die normalerweise von
Antikörpern kontrolliert werden. Es sei erneut betont, dass das bloße Vorhandensein von
Antikörpern keinesfalls schon Schutz bedeutet. Zum einen können Antikörper gegen
pathogenetisch unbedeutende bzw. nicht krank machende Antigene gerichtet sein und
zum anderen entwickeln sich viele Infektionen (vor allem intrazelluläre wie
Tuberkulose, Typhus, Herpes) unabhängig von Antikörpern. Die Bedeutung von
Antikörpern lässt sich am besten aus Antikörpermangelsyndromen herleiten (s. Kap.
30).

14.8 Zellvermittelte Immunität

303
T-Zellen bilden die zweite Hauptkomponente bei erworbenen Immunreaktionen (s. Kap.
10 und 11). Einige produzieren Zytokine, die Makrophagen aktivieren oder bei der
Antikörperproduktion mithelfen (Tab. 14.6), andere wirken direkt zytotoxisch auf
infizierte Zielzellen. In beiden Fällen müssen die T-Zellen bestimmte Peptid-MHC-
Molekül-Kombination wahrnehmen und sie mit ihrem T-Zell-Rezeptor erkennen. Einige
Beispiele zur Bedeutung der antikörper- und zellvermittelten Immunität bei systemischen
Infektionen sind in Tab. 14.5 angegeben.

Tab. 14.5 Bedeutung der antikörper- (ADCC) und zellvermittelten


Immunität (CMI) für die Resistenz gegen systemische Infektionen.
*
früher: P. carinii
CMV = Zytomegalievirus, HSV = Herpes-simplex-Virus, VZV = Varicella-
Zoster-Virus

304
Tab. 14.6 Therapeutischer Einsatz von Zytokinen bei Infektionen des
Menschen.
GM-CSF/M-CSF = Granulozyten-Makrophagen- bzw. Makrophagen-Kolonie-
stimulierender Faktor, HBV/HCV = Hepatitis-B-/-C-Virus, IFN = Interferon, IL =
Interleukin

Bei Lepra korrelieren T-Zell-vermittelte Immunität und


Kontrolle des Bakterienwachstums
Das Krankheitsspektrum bei Lepra reicht von tuberkuloiden Formen (niedrige
Bakterienzahl) bis zur Lepra lepromatosa (hohe Bakterienzahl). Während Patienten mit
Lepra tuberculoides noch messbar – durch Lymphozytenproliferation, TH1-Zytokin-
Sekretion (wie IFNγ) oder Überempfindlichkeitsreaktion vom verzögerten Typ (DTH,
delayed-type hypersensitivity) in Hauttests – auf die Lepra-Antigene reagieren, haben
Patienten mit Lepra lepromatosa die T-Zell-vermittelte Immunität gegen M. leprae
verloren.

In Experimenten (direkte Injektion von IFNγ in Hautläsionen) mit Lepra-lepromatosa-


Patienten erwies sich eindeutig, wie wichtig die Stimulation von T-Zellen für die
Makrophagenaktivierung und Bakterienabtötung ist. IFNγ bewirkte einen Zustrom
von T-Zellen und Makrophagen zu den Hautläsionen und eine Abnahme der
Bakterienzahl.

Ein anderes gutes Beispiel für die schützende Wirkung von IFNγ und die TH1-
Immunität sind Tiermodelle der Leishmaniose: Einige Mäuse-Stämme (C57BL/6-
Mäuse) sind resistent gegen Leishmaniasis und können die Infektion gut – durch eine

305
TH1-Zytokin-Reaktion – kontrollieren. BALB/c-Mäuse konnten dagegen kein IFNγ
bilden und das Parasitenwachstum nicht kontrollieren (Tab. 14.7).

Sehr anschaulich wird die Schutzwirkung von IFNγ (aktiviert über spezifische
Rezeptorbindung Makrophagen und die Bildung antibakterieller Moleküle), wenn man
die Folgen bedenkt, die eine ausbleibende IFNγ-Synthese oder -Rezeptor-Bindung
haben kann. Mäuse, deren IFNγ-Gen ausgeschaltet („knocked-out“) wurde, sind stark
anfällig für intrazelluläre Infektionserreger. Kürzlich gelang es, Genmutationen des
IFNγ-Rezeptors bei Menschen zu identifizieren, die dadurch besonders anfällig für
Mykobakterien- oder disseminierte Infektionen nach BCG-Impfung werden (Abb.
14.10).

Tab. 14.7 Schutzwirkung von IFNγbei Leishmanien-infektion.

Abb. 14.10 Erhöhte Anfälligkeit für


Mykobakterieninfektionen durch Genmutationen des
IFNγ-Rezeptors am Beispiel von drei maltesischen
Familien.

Von den anfälligen Kindern (voll grüne Symbole) starben zwei an einer atypischen
Mykobakterieninfektion (durchgestrichene Symbole). Die halben grünen Symbole
geben den Trägerstatus der übrigen Familienmitglieder wieder. Sämtliche erkrankten
Kinder waren homozygot für eine Punktmutation des IFNγ-Rezeptor-Gens
(Genlokus a auf Chromosom 6q22–q23). Infolge des eingefügten Stoppkodons
wurde ein nichtfunktionelles, defektes Protein gebildet [Newport et al., N Engl J
Med 335 (1996) 1941–1949).

Manche Bakterien entziehen sich der TH1-Schutzreaktion, indem sie


antigenspezifische regulatorische T-Zellen induzieren. Bei Keuchhusten gebildete
regulatorische T-Zellen sind z.B. auf das filamentöse Hämagglutinin und Pertactin von
Bordetella pertussis spezialisiert und unterdrücken durch ihre IL-10-Produktion die
TH1-vermittelte Immunität.

306
Weist ein positiver Hauttest (Überempfindlichkeit des
verzögerten Typs, DTH) auf Immunität hin?
Bei Menschen wird meist ein Hauttest (auf Überempfindlichkeit vom verzögerten Typ
bzw. delayed-type hypersensitivity, DTH) durchgeführt, um ihre T-Zell-Immunität zu
ermitteln; 2–3 Tage nach intradermaler Antigeninjektion kann eine Schwellung
(Induration) an der Einstichstelle gemessen werden. Solche Tests dienen als
Screening-Untersuchung auf eine Anergie der T-Zellen (z.B. mit Candidin, da die
meisten Menschen schon mit Candida in Kontakt gekommen sind).

Am verbreitetsten ist wohl der Mendel-Mantoux-Hauttest unter Verwendung von


Tuberculin (M.-tuberculosis-Antigen). Doch selbst wenn die IFNγ-Produktion mit der
Hautreaktion korreliert (Abb. 14.11), ist dieser Test weder diagnostisch wertvoll noch
Ausdruck der Immunität. Leider führt das Testantigen – gereinigtes Proteinderivat von
M. tuberculosis – teilweise zu Kreuzreaktionen mit anderen (Mykobakterien-
)Antigenen, einschließlich BCG und Mykobakterien aus der Umgebung, die keine
Tuberkulose auslösen. Das heißt, der Hauttest kann z.B. auch nach BCG-Impfung
positiv ausfallen, ohne dass eine Exposition mit M. tuberculosis vorangegangen sein
muss. Hinzu kommt, dass bei manchen Menschen mit erhöhtem Tuberkuloserisiko die
Haut besonders stark reagiert; d.h., T-Zell-Reaktionen können sich bei fortschreitender
Krankheit noch verstärken.

307
Abb. 14.11 Beziehung zwischen IFNγ-Produktion
und Überempfindlichkeitsreaktion vom verzögerten
Typ.

In-vitro-Untersuchung der IFNγ-Reaktion gesunder junger Erwachsener auf


gereinigte Proteinderivate von M. tuberculosis. Die Hautreaktion auf das Antigen
wurde anhand der Mendel-Mantoux-Probe (Messung der Induration) beurteilt
[Black et al., Int J Tuberc Lung Dis 5 (2001) 664–672].

Zytotoxische T-Lymphozyten töten Zielzellen über die


Induktion von „Lecks“ (Leakage) ab
Zytotoxische T-Lymphozyten (CTL) zeichnet aus, dass sie erregerspezifische
Antigene sowohl erkennen als auch zerstören können. Der erste Schritt, die
Erkennung von Zielzellen anhand eines Antigenfragments, das sich mit einem MHC-
Klasse-I-Molekül verbindet, ist in Kap. 10 beschrieben und verdeutlicht, wie
hochspezifisch das erworbene Immunsystem reagiert.

Die Abtötung der Erreger erfolgt aber relativ unspezifisch. Anscheinend sind daran
„Lecks“ in Zielzellen beteiligt, die beim Einfügen von Perforin entstehen. Perforin ist
ein 66-kD-Molekül, das eine strukturelle und funktionelle Ähnlichkeit mit dem
terminalen Komplementfaktor C9 aufweist, einem 80-kD-Protein (Abb. 14.12).
Andere Stoffe, darunter Granzyme und Zytokine wie TNFα, könnten sich ebenfalls
direkt oder indirekt auswirken. Der Tod von Zielzellen könnte durch Induktion einer

■ Leakage (Lecks) oder

■ Apoptose bedingt sein; das in alle Zellen eingebaute „Selbstmord-Programm“


wird von Fas-FasL-Interaktionen, Granzymen und TNFα ausgelöst.

Diese Mechanismen scheinen vor allem gegen virusinfizierte Zellen zu greifen, doch
in einigen Fällen könnten auch mit intrazellulären Parasiten wie Mykobakterien (z.B.

308
M. leprae in Schwann-Zellen) oder sogar Protozoen (z.B. Theileria parva in
Lymphozyten) infizierte Zellen anfällig sein. Zytotoxische T-Zellen sind meist CD8-
positiv und erkennen MHC-Klasse-I-Restriktionspeptid-Epitope, doch es gibt auch
zytotoxische CD4-positive und γδ-T-Zellen.

Überraschend war kürzlich die Entdeckung, dass CD8-positive T-Zellen auch gegen
bakterielle Erreger aktiviert werden, wenn sie bei Infektionen wie der Tuberkulose
in Phagosomen zurückbleiben, statt ins Zytoplasma überzugehen. Das könnte durch
einen als „cross-priming“ bezeichneten Vorgang zustande kommen, bei dem
dendritische Zellen das aufgenommene bakterielle Antigen nicht nur zu MHC-Klasse-
II-, sondern auch zu MHC-Klasse-I-Molekülen verarbeiten und präsentieren.
Intrazelluläre Erreger müssen bei der Lyse infizierter Zellen nicht unbedingt abgetötet
werden, doch sobald sie ihr Versteck verlassen, droht ihnen Phagozytose mit
anschließender Zerstörung durch noch stärker aktivierte Makrophagen (Abb. 14.13).
Abb. 14.12 Lyse durch zytotoxische Zellen und
Komplement im Vergleich.

Ca2+ = Kalziumionen, MAC = Membranangriffskomplex, MHC =


Haupthistokompatibilitätskomplex, Zn2+ = Zinkionen

309
Abb. 14.13 Bei der Immunität gegen intrazelluläre
Erreger spielen T-Zellen verschiedene Rollen:

(a) Durch ihre Zytokinsekretion (IFNγ) aktivieren T-Zellen intrazelluläre


Tötungsmechanismen, z.B. in Makrophagen. (b) T-Zellen bewirken die direkte
Zerstörung infizierter Zellen und Parasiten. (c) T-Zellen töten Parasiten ab,
schädigen dabei aber auch vitales Gewebe. (d) T-Zellen ermöglichen durch die
Zelllyse überlebenden Parasiten die weitere Streuung (Dissemination). (e) Wenn
Parasiten auf diese Weise freigesetzt werden, könnten noch stärker aktivierte
Wirtszellen sie phagozytieren [Kaufman, S.H., Rev Infect Dis 11 (Suppl. 2) (1989)
S448–454].

Dass nicht alle CD8-positiven T-Zellen zytotoxisch wirken können, ist eine weitere
interessante Entdeckung neueren Datums. Beim Menschen exprimieren mehr CD8-
positive T-Zellen die Protease Granzym A (in Granula) als das präformierte
Effektormolekül Perforin. Bei einer HIV-Infektion bilden zwei Drittel der CD8-
positiven T-Zellen Granzyme und nur ein Drittel Perforin. Das könnte erklären,
weshalb HIV-infizierte Zellen einer Zerstörung durch antigenspezifische CD8-positive
T-Zellen entgehen.

Eine Übersicht über zytotoxische Moleküle von Zellen des angeborenen und
erworbenen Immunsystems zeigt Tab. 14.8.

310
14.9 Erholung von einer Infektion
Nach gängiger Vorstellung sind Patienten mit einer Infektion für eine befristete Dauer von
Tagen bis Monaten krank und erholen sich dann wieder. Manchmal sind sie danach
immun gegen diese Erkrankung. Unter diesen Umständen waren mit ziemlicher Sicherheit
adaptive Immunmechanismen (Lymphozyten) am Werk, denn:

1 Das Auftreten von Symptomen impliziert, dass die Parasiten von rasch wirksamen
natürlichen Abwehrmechanismen nicht beseitigt werden konnten.

2 Eine Dauer von Tagen bis Wochen benötigen die adaptiven Immunmechanismen bis
zur Entwicklung ihrer vollen Wirkstärke.

3 Die anschließende Immunität ist Ausdruck des immunologischen Gedächtnisses,


über das ausschließlich Lymphozyten verfügen. Ihre Fähigkeit, spezifische Antigene zu
erkennen, klonal zu proliferieren und als Gedächtnis-(Memory-)Zellen weiterzuleben,
ermöglicht eine zunehmend bessere Anpassung an infektiöse Keime in der Umgebung.
Je älter, desto besser sind Individuen an die Umgebung adaptiert, bis das
fortgeschrittene Alter selbst das Immunsystem zu schwächen beginnt.

In Frühstadien einer Infektion kann sich die erworbene Immunität jedoch noch etwas
holprig und ineffektiv ausnehmen. Lymphozyten sind darauf programmiert,
Antigenepitope an der Form zu erkennen; daher können sie weder zwischen virulenten
und harmlosen Parasiten unterscheiden noch „wissen“, welche Immunantwort am
effektivsten sein wird. Für die Genesung von einer individuellen Infektion dürften die
meisten Reaktionen unerheblich sein, und der Nachweis von Antikörpern, Zytokinen oder
zytotoxischen Zellen beweist noch nicht den Nutzen. Oft führt ein Mechanismus zur
Erholung (bei Masern z.B. zytotoxische Zellen und Interferon), während ein anderer
gegen eine Reinfektion resistent macht (bei Masern schützen Antikörper vor dem erneuten
Ausbruch).

Welche der zahlreichen beobachtbaren Reaktionen auf eine Infektion (namentlich mit
Protozoen oder Würmern) als nützlich, schädlich oder neutral anzusehen ist, ist noch
umstritten. Die Unterscheidung lässt sich wohl erst nach wiederholten Untersuchungen
anhand von Patientenbeobachtungen und Korrelationen treffen. Weiterhelfen könnten
auch Studien zu aufgetretenen Mangelsyndromen und Tierexperimente, sofern gute
Modelle verfügbar sind.

Gründe für eine ausbleibende Erholung von einer Infektion zu benennen kann schwierig
sein. Wenn es sich um eine Infektion handelt, von der sich die meisten Menschen erholen
(z.B. Masern) oder an der sie gar nicht erkranken (z.B. Pneumocystis), sollte eine
Immunschwäche (Immundefizienz) in Betracht gezogen werden (s. Kap. 30). Schnell
tödlich gehen für normale Menschen oft Infektionen aus, denen ihr Immunsystem vorher
noch nicht ausgesetzt war (wie das Lassafieber), da sie normalerweise nur bei Tieren
überdauern und sich nur zufällig auf Menschen übertragen (s. Zoonosen, Kap. 28). Wenn
eine Infektion normal verläuft und erst verzögert abklingt, ohne dass die Erreger beseitigt
oder ihren Wirt töten würden, sind sie als erfolgreich anzusehen. Dieser Erfolg beruht auf
einer ihrer Überlebensstrategien, die in Kap. 16 thematisiert werden.

311
Tab. 14.8 Wichtige zytotoxische Moleküle gegen Infektionserreger.

312
Zusammenfassung
■ Vor Infektionserregern, die äußere Barrieren wie Haut oder Schleimhäute
überwinden können, schützt eine Reihe von Abwehrmechanismen (angeborene
Immunität).
■ Diese Abwehr tritt früher und schneller auf den Plan, ist aber auch
unspezifischer als die erworbene Immunität, deren Abwehr sich auf Lymphozyten
stützt.
■ Wichtige frühe Abwehrmechanismen sind Akute-Phase-Reaktionen,
Komplementsystem, Interferone, Phagozyten und natürliche Killerzellen. Zusammen
bilden sie die erste Linie der Abwehr, die in den ersten Stunden oder Tagen der
Infektion wirksam wird.
■ Für die Erholung von einer Infektion ist in vielen Fällen die durch Antikörper
und T-Zellen vermittelte erworbene Immunität verantwortlich. Allerdings dauert es
Tage bis Wochen, bis sich die Wirkung voll entfaltet.
■ Bei geläufigen Virusinfektionen kommt es manchmal durch die zellvermittelte
Immunität zur Genesung, während Antikörper Schutz vor einer erneuten Erkrankung
verleihen.
■ Die ausbleibende Erholung kann durch eine geschwächte Immunlage des Wirts
oder eine erfolgreiche Vermeidungsstrategie des Erregers bedingt sein.

313
FRAGEN
1 *Makrophagen können Parasiten zerstören durch
a) reaktive Sauerstoff-Intermediärprodukte
b) major basic protein
c) zytotoxische Lipidperoxide
d) Antikörper
e) Stickoxid?
2 *Interferone sind gegen Viren wirksam durch
a) Schädigung der Wirtszelle
b) Hemmung der Entstehung neuer Viruspartikel (assembly)
c) Hemmung der viralen RNA-Translation
d) Verhütung der Virusinvasion?
3 *Antikörper können den Schutz vor Infektionen (Immunität) verstärken durch
a) Opsonisierung (als Vorbereitung auf die Phagozytoseder Parasiten)
b) direkte Lyse von Parasiten
c) direkte Induktion der Phagozytenaktivierung
d) Hemmung der Invasion in Wirtszellen
e) Induktion der antikörperabhängigen Zytotoxizität?
4 *Voraussetzung für die Immunitat gegen intrazellulare Erreger wie M.
tuberculosis sind
a) antigenspezifische T-Zellen
b) Zytokinproduktion (IFNγ)
c) Mediatorsubstanzen der Eosinophilen
d) IgE-Antikörper?
* Fragen mit mehr als einer richtigen Antwort.
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Alt, F., Marrack, P. (eds.): Curr. Opin. Immunol. [erscheint zweimonatlich, Ausgabe 4
jedes Bandes befasst sich mit „Immunität gegen Infektionen“].
Roitt, I.M., Brostoff, J., Male, D.: Immunology, 6th ed. Elsevier Science, London 2002.

314
15 Ausbreitung und Replikation
15.1 Kennzeichen oberflächlicher und systemischer Infektionen 171

15.2 Ausbreitung im Körper (systemische Aussaat/Streuung) 172

15.2.1 Übertritt in Lymphe oder Blut 172

15.2.2 Verbreitung auf dem Blutweg (hämatogen) 174

15.2.3 Ausbreitung über periphere Nerven 175

15.2.4 Ausbreitung im Liquor cerebrospinalis 176

15.2.5 Andere Ausbreitungswege 176

15.3 Genetische Einflüsse 176

15.3.1 Genetische Faktoren des Wirts 176

15.3.2 Genetische Faktoren der Erreger 178

15.4 Sonstige Einflüsse 179


Zur Orientierung
Infektionen breiten sich oberflächlich oder systemisch aus

Viele Mikroorganismen vermehren sich erfolgreich in Zellen des Oberflächenepithels,


sind jedoch nicht in der Lage, in tiefer liegende Strukturen einzudringen oder sich im
ganzen Körper auszubreiten. Besonders leicht können sie sich im Flüssigkeitsfilm lokaler
Schleimhäute verbreiten, unterstützt vom Flimmerepithel. Bei Fließbewegungen im
größeren Maßstab weiten sich oberflächliche Infektionen auch auf entferntere Gebiete
aus; besonders augenfällig wird das im Gastrointestinaltrakt. Erreger aus den Atemwegen
können entweder in heftigen Sprühstößen (beim Husten oder Niesen) in einen
Nebenhöhleneingang bzw. ins Mittelohr gelangen oder aber mit dem Schleim (z.B. im
Schlaf) in den unteren Respirationstrakt rinnen.

Auf diese Weise können Erreger innerhalb weniger Tage größere Körperflächen infizieren
und sich nach außen weiterverbreiten – für eine primäre Immunreaktion bleibt nicht genug
Zeit. Deshalb sind unspezifische (nichtadaptive) Mittel wie Interferone und natürliche
Killerzellen wichtig für die Infektionskontrolle.

Andere Mikroorganismen breiten sich dagegen über die Lymphe oder das Blut
systemisch, d.h. im ganzen Körper, aus. Oft kommt es zu einer komplexen oder
schrittweisen Invasion unterschiedlicher Gewebe, ehe sie ihr eigentliches Ziel erreichen,
sich vermehren und nach außen weiterverbreiten (z.B. Masern oder Typhus). Abb. 15.1
zeigt die Ausbreitung bei oberflächlicher und systemischer Infektion im Vergleich.

15.1 Kennzeichen oberflächlicher und systemischer


Infektionen

315
Ob Infektionen oberflächlich oder systemisch
verlaufen, hängt von mehreren Faktoren ab
Was verhindert ein tieferes Eindringen oberflächlicher Infektionen? Warum setzen sich
die Erreger systemischer Infektionen in voller Breitseite den Abwehrkräften im
Körperinneren aus und verlassen den relativ sicheren „Hafen“ der Körperoberfläche?
Wichtige Fragen. Was bringt z.B. Meningokokken dazu, statt harmlos weiter die
Nasenschleimhaut zu besiedeln, in tiefere Gewebe und ins Blut einzudringen, um die
Hirnhäute zu erreichen und eine Meningitis zu verursachen (s. Kap. 24)?

Ein Faktor, der Mikroorganismen an der Körperoberfläche zurückhält, ist die


Temperatur. Dass Infektionen durch Rhinoviren auf die oberen Atemwege beschränkt
bleiben, liegt an deren Wärmeempfindlichkeit; bei 33 °C vermehren sich Rhinoviren,
nicht aber bei der Temperatur (37 °C), die in den unteren Atemwegen herrscht. Auch
Mycobacterium leprae ist wärmeempfindlich; das würde erklären, weshalb sich seine
Replikation mehr oder weniger auf Nasenschleimhaut, Haut und oberflächliche Nerven
beschränkt.

Dass Viren an einer Körperoberfläche bleiben, könnte mit ihrer Ausknospung


(Budding) zusammenhängen. Influenza- und Parainfluenzaviren dringen zwar in das
Oberflächenepithel der Lunge ein, doch da sie zur freien (äußeren) Seite der
Epithelzellen statt nach basal ausknospen, können sie sich nicht in tiefere
Gewebeschichten fortpflanzen (Abb. 15.2).

Viele Mikroorganismen, die sich an der primär infizierten Stelle (Körperoberfläche)


weder ausbreiten noch vermehren können, verursachen zwangsläufig eine systemische
Infektion. Aus unklaren Gründen kommt es im Fall von Masern oder Typhus zu (fast)
keiner Replikation am Ort der anfänglichen (respiratorischen bzw. enteralen) Infektion.
Erst wenn die Erreger nach der systemischen Infektion in größerer Zahl zu ihrem
Ausgangspunkt zurückkehren und sich vervielfältigt haben, streuen sie in die
Umgebung.

Andere Mikroorganismen sind auf einen bestimmten Infektionsweg festgelegt, müssen


sich aber systemisch ausbreiten, um ihre Replikationsstelle zu erreichen. Es ist daher
keine ausgedehntere Replikation an der primär infizierten Stelle erforderlich. Obwohl
ihr Infektionsweg über den Atem- bzw. Verdauungstrakt verläuft, müssen sich Mumps-
oder Hepatitis-A-Viren (HAV) im Körper ausbreiten, um sich nach der Invasion in
Speicheldrüsen (Mumpsvirus) bzw. Leber (HAV) zu vermehren.

316
Abb. 15.1 Oberflächliche und systemische
Infektionen.

IFN = Interferon, NK = natürliche Killerzellen

317
Bei systemischer Infektion kommt es stufenweise zur
Invasion unterschiedlicher Körpergewebe
In Abb. 15.3 sind die Stufen dieser Invasion für Infektionen wie Masern (Abb. 15.4)
oder Typhus (Abb. 15.5) dargestellt. Auch wenn es für die Ausbreitung und
Übertragung einer Infektion (Masern) wichtig sein kann, wo sich die Erreger schließlich
vervielfältigen, ist dieser Aspekt völlig nebensächlich, wenn nach der Vermehrung in
Hirnhäuten oder Rückenmark keine Aussaat der Erreger nach außen erfolgt (z.B. bei
Meningokokkenmeningitis oder paralytischer Poliomyelitis).

Für Mikroorganismen bedeutet die systemische Ausbreitung einen Weg voller


Hindernisse, auf dem sich eine Auseinandersetzung mit Immun- und anderen
Abwehrmechanismen kaum vermeiden lässt. Deshalb mussten sie Strategien entwickeln,
um die Abwehr des Wirts zu unterlaufen oder zu umgehen (s. Kap. 16).
Abb. 15.2 Bestimmend für das Infektionsmuster
kann auch die Lokalisation sein, wo Viren aus
Epithelzellen freigesetzt werden.

318
Wesentlich für oberflächliche Infektionen ist eine
schnelle Replikation der Erreger
Von zentraler Bedeutung für Infektionen ist die Replikationsrate der Erreger, bei einer
Verdopplungszeit, die zwischen 20 Minuten und mehreren Tagen variieren kann (Tab.
15.1). Wegen des flüchtigen Charakters oberflächlicher Infektionen müssen sich diese
Erreger rasch vermehren, während andere, die sich nur alle paar Tage teilen (z.B.
Mycobacterium tuberculosis), höchstwahrscheinlich zu Krankheiten mit längerer
Inkubationszeit und lang-samerem Verlauf führen. In vitro vermehren sich
Mikroorganismen fast immer schneller als in vivo – wie bei intakter Wirtsabwehr zu
erwarten.

Wenn die Abwehr des Wirts richtig funktioniert, werden Mikroorganismen von
Phagozyten aufgenommen und zerstört oder sie finden nur ein sehr begrenztes
Nährstoffangebot vor. Deshalb steigt ihre Zahl (netto) viel langsamer als in Kulturen im
Labor, wo sie sich nicht nur unbehelligt von Abwehrattacken entwickeln können,
sondern wo auch alle Anstrengungen unternommen werden, sie optimal mit
Nährstoffen, empfänglichen Zellen usw. zu versorgen.

15.2 Ausbreitung im Körper (systemische


Aussaat/Streuung)

15.2.1 Übertritt in Lymphe oder Blut

In den Körper eingedrungene Mikroorganismen


treffen auf vielfältige Abwehrkräfte
Nach Durchqueren des Oberflächenepithels und der Basalmembranen sehen sich
Mikroorganismen folgenden Abwehrmechanismen gegenüber:

319
Abb. 15.3 Ausbreitung einer Infektion im Körper.

Neben Blutgefäßen, Leber und Milz kommen als mögliche Quellen einer
sekundären Parasitämie auch Knochenmark und Muskeln in Frage.

320
1
Die Erreger von Denguefieber, Malaria und Typhus vermehren sich in
Blutzellen oder im Gefäßendothel.
2
Das Poliovirus geht aus dem Blut ins Gehirn über (ohne sich von dort
weiterzuverbreiten), während das Tollwutvirus nach Invasion des Gehirns
entlang von peripheren Nerven weiterwandert.

■ Körperflüssigkeiten mit antimikrobiellen Wirkstoffen (Antikörper,


Komplement),

■ ortsständigen Makrophagen (Histiozyten) in Subkutis und Submukosa, die ihr


Überleben bedrohen,

■ (physikalischen) Schranken durch lokale Gewebe, die aus unterschiedlichen


Zellen in einer gelartigen Grundsubstanz bestehen. Viren können zwar stufenweise
in Zellen eindringen, doch für Bakterien wird es schwierig, wenn sie keine
speziellen Ausbreitungs-(Spreading-) Faktoren besitzen (z.B. Hyaluronidase der
Streptokokken).

■ Lymphsystem. In den stark vernetzten Lymphbahnen werden


Mikroorganismen ziemlich bald zu regionalen Lymphknoten befördert, wo sie eine
phagozytäre und immunologische Abwehrlinie erwartet (Abb. 15.6). Strategisch
günstig in Marginal- und anderen Lymphsinus platzierte Makrophagen stellen ein
effektives Filtersystem dar.

321
Abb. 15.4 Pathogenese der Masern.

Über Blutgefäße dringt das Masernvirus zunächst ins Oberflächenepithel des


Respirationstrakts (besteht nur aus ein bis zwei Zellreihen) ein, dann in
Schleimhaut- (Koplik-Flecken) und schließlich in Hautzellen (Ausschlag).

322
Abb. 15.5 Pathogenese der Typhusinfektion.

Tab. 15.1 Replikationsraten verschiedener Mikroorganismen


*
Replikation und Ausbreitung (von Zelle zu Zelle) bei einigen Viren jedoch
stark verzögert
**
in vitro nicht kultivierbar

In jeder Phase kann die Entwicklung einer Infektion angehalten werden. Doch sobald
sich Erreger lokal oder in Lymphknoten vervielfältigt haben und der Phagozytose

323
entgangen sind, erreichen sie schließlich den Blutstrom. Ein roter Streifen
(entzündetes Lymphgefäß) und druckempfindliche, geschwollene lokale Lymphknoten
sind z.B. nach kleinen Hautverletzungen die klassischen Zeichen einer Streptokokken-
Invasion. Die meisten Bakterien verursachen solche Entzündungen, wenn sie auf
diesem Weg in den Körper eindringen. In Frühstadien führt das zu einem verstärkten
Lymphfluss, doch wenn sich die Entzündung ausbreitet und das Lymphknotengewebe
selbst geschädigt ist, kann der Lymphfluss schwächer werden bzw. versiegen.
Abb. 15.6 Invasion und Verbreitung auf dem
Lymph- und Blutweg.

Auf der Unterseite des Oberflächenepithels haben Mikroorganismen (oder andere


Fremdpartikel) leichten Zugang zu lokalen Lymphgefäßen.

Viren oder andere intrazelluläre Organismen dringen dagegen oft unbemerkt (stumm)
in Blut und Lymphe ein und verursachen einen asymptomatischen Verlauf in der
Inkubationszeit; das wird noch begünstigt, wenn sie Monozyten und Lymphozyten
ohne vorhergehende Schädigung infizieren.

15.2.2 Verbreitung auf dem Blutweg (hämatogen)

Das Schicksal von Mikroorganismen im Blut hängt


davon ab, ob sie frei oder im Verbund mit anderen
Zellen zirkulieren
Viren oder geringe Bakterienmengen im Blut müssen keine Allgemeinstörung
hervorrufen. Eine zeitweilige Bakteriämie ist bei Gesunden gar nicht so selten, etwa
nach Stuhlgang oder Zahnpflege. Doch gewöhnlich werden Bakterien in den Leber-
und Milzsinus von Makrophagen herausgefiltert und zerstört. Unter bestimmten
Voraussetzungen eröffnet sich jedoch für dieselben Bakterien eine Möglichkeit,
weniger geschützte Stellen zu besiedeln. Das ist z.B. bei einer infektiösen (Viridans-
)Streptokokken-Endokarditis auf dem Boden eines angeborenen Herzklappenfehlers
oder bei einer Staphylococcus aureus-Osteomyelitis der Knochenenden
(Wachstumsfugen) der Fall.

Frei im Blut bewegliche Mikroorganismen sind den Abwehrkräften (Antikörper,


Phagozyten) ausgesetzt. Wenn sie sich aber mit zirkulierenden Zellen verbinden,

324
finden sie nicht nur Schutz vor der Wirtsabwehr, sondern werden auch im ganzen
Körper verbreitet. Viren wie das Epstein-Barr- (EBV) und das Rötelnvirus sowie
intrazelluläre Bakterien (Listerien, Brucellen), die z.B. Lymphozyten oder Monozyten
befallen, lassen sich, wenn sie nicht beschädigt oder zerstört werden, von ihren
Trägerzellen schützen und transportieren. Bei Malaria sind Erythrozyten betroffen,
und manche Viren können Thrombozyten infizieren.

Mit ihrem Eintritt ins Blut sind Mikroorganismen den Makrophagen des
retikuloendothelialen Systems ausgesetzt (s. Kap. 9). Oft werden sie in den Sinus
phagozytiert und zerstört, weil das Blut dort langsamer fließt. Doch bestimmte Erreger
(wie Salmonella typhi, Leishmania donovani, Gelbfiebervirus) überleben und
vermehren sich in diesen Zellen. Danach können sie

■ auf benachbarte Zellen in Leber (Hepatozyten, z.B. Hepatitisviren) oder Milz


(Lymphgewebe, z.B. Masernvirus) übergreifen oder

■ ins Blut zurückzukehren (S. typhi, Hepatitisviren).

Im Blut zirkulierende Mikroorganismen befallen


typische Zielorgane/-gewebe
Falls die Phagozytose der Erreger durch retikuloendotheliale Makrophagen nicht
innerhalb kürzester Zeit abgeschlossen ist oder eine größere Erregermenge im Blut
kreist, können auch andere Stellen im Gefäßsystem besiedelt werden. Weshalb
Mikroorganismen aus dem Blut in bestimmte Zielorgane/-gewebe eindringen (Tab.
15.2), ist noch nicht ganz geklärt, könnte aber zusammenhängen mit

325
Tab. 15.2 Im Blut zirkulierende Mikroorganismen, die über kleine
Blutgefäße in bestimmte Organe eindringen.
*
in der Leber Sinusoide, sonst Kapillargefäße bzw. Venulen

■ spezifischen Rezeptoren im Gefäßendothel der Zielorgane,

■ einer Zufallsverteilung der Erreger auf Organe überall im Körper, die sich
aber nicht alle zur Besiedlung und Replikation eignen,

■ einer Anhäufung zirkulierender Mikroorganismen im Bereich lokaler


Entzündungen, weil das Blut dort langsamer fließt und entzündetes Gefäßendothel
zur leichteren Anheftung geeignet ist.

Nachdem sie sich niedergelassen haben und in ein Organ eingedrungen sind,
vermehren sich die Erreger und breiten sich von der Außenfläche, sofern das jeweilige
Organ eine besitzt, weiter in die Umgebung aus (Abb. 15.3). Manche Erreger kehren
aber auch direkt oder über die Lymphe ins Blut zurück.

326
15.2.3 Ausbreitung über periphere Nerven

Bestimmte Viren breiten sich über periphere Nerven


aus (von der Körperperipherie zum ZNS und
umgekehrt)
Tetanustoxin gelangt z.B. auf diesem Weg zum ZNS. Das Tollwut-, Herpes-simplex-
(HSV) und Varicella-Zoster-Virus (VZV) bewegen sich in Axonen voran (s. Kap. 13
und 24). Selbst wenn sie nur langsam vorankommen (bei einer axonalen Flussrate von
10 mm/h), spielt es doch für die Pathogenese dieser Infektionen eine wichtige Rolle.
Den Weg über periphere Nerven nimmt das Tollwutvirus nicht nur, um das ZNS zu
erreichen, sondern auch, um von dort aus in Speicheldrüsen einzudringen. Bei einem
Virenbefall von Nerven stehen dem Körper – falls überhaupt – nur noch wenige Mittel
zur Kontrolle der weiteren Aussaat zur Verfügung. Abb. 15.7 veranschaulicht die
Zugangswege von Mikroorganismen zum ZNS.

Das Übergreifen einer Infektion auf das ZNS ist auch über den Riechnerv (N.
olfactorius), dessen Axone in der Riechschleimhaut enden, möglich. Diesen eher
ungewöhnlichen Weg wählen z.B. bestimmte frei lebende Amöben (Naegleria spp. im
Bodenschlamm von Frischwasserbecken), die eine Meningitis bei Schwimmern
hervorrufen können (s. Kap. 24). Viren und Bakterien aus dem Nasen-Rachen-Raum
(Meningokokken, Polioviren) breiten sich im Allgemeinen auf dem Blutweg ins ZNS
aus.

15.2.4 Ausbreitung im Liquor cerebrospinalis

Haben Erreger die Blut-Liquor-Schranke


durchbrochen, breiten sie sich schnell in den
Liquorräumen aus
Anschließend können sie in Nervengewebe eindringen (Echoviren, Mumpsvirus) oder
sich lokal vermehren (Neisseria meningitidis, Haemophilus influenzae, Streptococcus
pneumoniae) und eventuell ependymale und meningeale Zellen infizieren.

15.2.5 Andere Ausbreitungswege

Im Pleura- oder Peritonealraum kann eine Infektion


rasch auf verschiedene Viszeralorgane übergreifen
In der Schleimhaut der Pleura- wie der Peritonealhöhle sind Makrophagen vorhanden,
als würden sie auf eine Invasion lauern. Mit dem Omentum und vielen Lymphozyten,
Makrophagen sowie Mastzellen verfügt die Peritonealhöhle über ein starkes
antimikrobielles Abwehrsystem. Eine Infektion kann von jedem verletzten oder
erkrankten Abdominalorgan (Peritonitis) bzw. von Thoraxwunden oder
Lungeninfektionen (Pleuritis) ausgehen.

327
Abb. 15.7 Zugangswege zur mikrobiellen Invasion
des ZNS.

CSF = Liquor cerebrospinalis

15.3 Genetische Einflüsse

Bei der Pathogenität von Mikroorganismen spielen


unterschiedliche Faktoren zusammen
Darauf wird in Kap. 12 und 16 näher eingegangen. Pathogenität und Virulenz werden
manchmal insofern unterschieden, als Virulenz eine quantitative (Mengen-)Angabe der
Pathogenität darstellt. So lässt sich z.B. angeben, bei welcher Erregermenge 50% der
betroffenen Individuen sterben würden (sog. Dosis letalis 50, LD 50).

Die Pathogenitätsfaktoren werden (fast) alle genetisch kontrolliert (seitens des Wirts
oder Erregers). Schon seit langem war bekannt, dass die Infektionsanfälligkeit eines
Wirts oder die Pathogenität von Mikroorganismen genetischen Einflüssen (durch
Mutationen) unterliegen. In den vergangenen 15 Jahren konnten mit
molekulargenetischen Methoden mehrere genetische Einflussfaktoren aufgedeckt
werden, und seitdem gelingt es zunehmend häufiger, daran beteiligte spezifische
Genprodukte zu identifizieren. Verbessert hat sich auch das Verständnis für die
Wirkungsweise der Genprodukte, obwohl es schwieriger war, hier Fortschritte zu
erzielen.

15.3.1 Genetische Faktoren des Wirts

328
Ob Mikroorganismen eine Infektion oder Erkrankung
verursachen können, hängt auch von der
genetischen Ausstattung des Wirts ab
Humanpathogene lassen sich relativ grob danach unterscheiden, ob sie ausschließlich
Menschen bzw. nahe verwandte Primaten infizieren (z.B. Masern, Trachom, Typhus,
Hepatitis B, HPV) oder ein breites Wirtsspektrum haben (Tollwut, Milzbrand). Auch
die Infektionsanfälligkeit innerhalb einer Wirtsspezies wird genetisch beeinflusst.
Die besten Beispiele findet man bei Tieren, doch es gibt auch ein paar Erkrankungen
beim Menschen (s. unten).

Auf molekulargenetischer Ebene besteht z.B. ein Zusammenhang der genetischen


Disposition für Sichelzellen und Malaria. Als Parasiten in roten Blutkörperchen
metabolisieren Malaria-Merozoiten (s. Kap. 27) Hämoglobin, indem sie Häm
freisetzen und aus dem Globin Aminosäuren bilden. Unter Einfluss des Sichelzellgens
kommt es an einer Stelle der β-Polypeptid-Kette des Hämoglobinmoleküls zu einem
Austausch der Aminosäure Valin gegen Glutaminsäure.

Das neue Hämoglobinmolekül (HbS) wird bei Reduktion unlöslich und in der
Erythrozytenhülle ausgefällt; deshalb verformt sich die Zelle sichelartig. Da
Homozygote zwei dieser Gene besitzen und ihre fragilen roten Blutzellen schon unter
normalen Bedingungen sichelförmig werden, tritt bei ihnen eine Sichelzellanämie in
Erscheinung. Nur ein Sichelzellgen ist weniger schädlich und macht Heterozygote
resistent gegen schwere Malariaformen (durch Plasmodium falciparum). Das führt zu
einer Selektion in Malaria-Endemiegebieten. Wenn das Gen nicht einen gewissen
Vorteil bieten würde, wäre es nach 10–20 Generationen aus den Bevölkerungen
verschwunden.

In indischen und westafrikanischen Malariagebieten haben (Endonuklease-


)Restriktionsenzym-Analysen ergeben, dass das Gen in diesen Populationen völlig
unabhängig aufgetreten war. Nach wiederholten Milzinfarkten werden Homozygote
allerdings durch den Funktionsausfall der Milz zunehmend anfälliger für andere
Infektionen, besonders mit Streptococcus pneumoniae.

329
Infektionsanfälligkeit macht sich oft auf Ebene der
Immunreaktionen bemerkbar
Bei zu schwachen Immunreaktionen auf bestimmte Infektionen erhöht sich die
Anfälligkeit für diese Krankheiten, während überschießende Immunreaktionen zu
Immunkrankheiten führen können (s. Kap. 17). Von besonderer Bedeutung sind Gene
auf dem Chromosom 6, die MHC-Klasse-II-Antigene (HLA-DP, -DQ, -DR) kodieren
und spezifische Immunantworten kontrollieren (s. Kap. 10 und 11). Stark von MHC-
Klasse-II-Antigenen beeinflusst ist z.B. die Anfälligkeit für Lepra (s. Kap. 26): Das
HLA-DR3-Antigen macht Menschen stärker anfällig für die Form der Lepra
tuberculoides, das HLA-DQ1-Antigen für Lepra lepromatosa.

Dass die Anfälligkeit für Tuberkulose genetisch bestimmt ist, belegten Studien an
eineiigen Zwillingen (s. Kasten). Die heutige europäische Bevölkerung ist ziemlich
resistent, nachdem große Lungentuberkulose-Epidemien im 17., 18. und 19.
Jahrhundert zur Verringerung genetisch empfindlicherer Individuen führten. 1850
betrug die Mortalität in Boston, New York, London, Paris und Berlin noch über
500/100000 Einwohner, doch mit Verbesserung der Lebensbedingungen fielen die
Raten auf 180/100000 im Jahre 1900 und sind seither noch weiter zurückgegangen.
Geschichte der Mikrobiologie
Infektionsanfälligkeit – eine genetische Veranlagung

Dass die Anfälligkeit für Infektionen von unbekannten, aber vermutlich


(human)genetischen Faktoren des Wirts determiniert sein könnte, zeigt sich an
mehreren klassischen Beispielen.

Lübecker Katastrophe: Impfung mit virulenten Tuberkelbakterien

1926 wurde 249 Säuglingen in Lübeck versehentlich eine Impfung mit Lebend-
(virulenten Tuberkelbakterien) statt abgeschwächtem (attenuiertem) Impfstoff
verabreicht. 76 von ihnen starben. Die Überlebenden hatten jedoch nur kleinere
Läsionen entwickelt und waren 12 Jahre später gesund und munter. Da allen
Säuglingen dieselbe Dosis injiziert worden war, scheinen die unterschiedlichen
Impfergebnisse überwiegend genetisch bedingt zu sein.

Zwischenfall beim Militär durch HBV-verseuchten Gelbfieberimpfstoff

Bei einer Impfung gegen Gelbfieber im Jahr 1942 wurden über 45000 Angehörigen
der US-Streitkräfte versehentlich mit HBV (Hepatitis-B-Virus) infiziert, weil das
Humanserum durch den Stabilisator kontaminiert war. In 914 Fällen entwickelten
sich klinische Zeichen einer Hepatitis: 580 zeigten eine milde Verlaufsform, 301
eine mäßig stark ausgeprägte und 33 eine schwere Form der Erkrankung. Trotz
gleicher Impfstoffchargen schwankte die Inkubationszeit zwischen 10 und 20
Wochen. Da serologische Tests damals nicht verfügbar waren, blieb die Zahl
subklinischer Infektionen unbekannt. In diesem Fall dürften physiologische und
genetische Einflüsse bei der Anfälligkeit mitgespielt haben.

Ähnliches Erkrankungsmuster eineiiger Zwillinge bei Lungentuberkulose

330
In einer Studie zeigte sich, dass eineiige Zwillinge in 87% der Fälle beide an
Tuberkulose erkrankten, zweieiige Zwillinge jedoch nur in 26%. Darüber hinaus
stimmte bei eineiigen Zwillingen auch das (klinische) Krankheitsbild überein.

Stattdessen zeichnet sich vor allem in Afrika und auf den Pazifikinseln ein starker
Anstieg der Tuberkuloseanfälligkeit in zuvor nicht exponierten Bevölkerungsgruppen
ab. 1886 starben 9000/100000 Indianer im Qu-Appelle-Valley-Reservat in der
kanadischen Provinz Saskatchewanan einer systemischen Tuberkulose, die sich im
ganzen Körper ausbreitete und Drüsen, Knochen, Gelenke und Hirnhäute infizierte.

15.3.2 Genetische Faktoren der Erreger

Wahrscheinlich kodieren mehrere Gene die Virulenz


von Mikroorganismen
Die Virulenz eines Erregers hängt von zahlreichen Faktoren ab (Adhärenz,
Zellpenetration, antiphagozytäre Aktivität, Toxinbildung, Interaktion mit dem
Immunsystem). Demnach sind vermutlich auch mehrere Gene und Genprodukte an
unterschiedlichen Pathogenese-Stadien beteiligt.

Unter natürlichen Bedingungen machen Mikroorganismen (z.B. durch Mutationen)


einen ständigen genetischen Wandel durch. Besonders hohe Mutationsraten zeigen
Einzelstrang-(ss-)RNA-Viren. Mutationen der Oberflächenantigene unterliegen der
raschen Selektion unter dem immunologischen Druck (Antikörper- oder
zellvermittelte Immunität) in einem Wirt, wie im Fall der sich schnell entwickelnden
M-Proteine von Streptokokken oder der Kapsidproteine von Picornaviren. Genetische
Veränderungen bei Bakterien sind oft auf hinzugekommene oder verloren gegangene
Elemente wie Introns, Pathogenitätsinseln, Transposons und Plasmide zurückzuführen
(s. Kap. 2 und 33).

Auch die Anzüchtung (Kultivierung) von Mikroorganismen im Labor verändert ihre


Virulenz. Beim klassischen Verfahren zur Gewinnung von Lebendimpfstoff (s. Kap.
34) werden Erreger z.B. in wiederholten Durchgängen (Passagen) in vitro gezüchtet,
was normalerweise reduzierte Pathogenität im Wirt zur Folge hat. Diesen neu
gezüchteten Stamm bezeichnet man dann als abgeschwächt oder attenuiert (Tab. 15.3).

Tab. 15.3 Beispiele für die Abschwächung (Attenuierung) der


Pathogenität durch wiederholte Erreger-Passagen in vitro

331
Tab. 15.4 Molekulare Grundlagen der Erregerpathogenität
(Beispiele)
*
Shigellen gelangen über M-Zellen der Peyer-Plaques in die Darmwand und
dringen von basolateral in Kolonepithelzellen ein. Wie bei anderen bakteriellen
Infektionen hängt es von der koordinierten Expression mehrerer Gene ab, wie
invasiv sie sind.

In den letzten Jahren haben sich durch DNA-Klonierungs- und


Genmanipulationstechniken unsere Kenntnisse über die genetischen Grundlagen der
Erregerpathogenität rasch erweitert. So konnten z.B. durch Einfügen oder Ausschalten
(Deletion) einzelner Abschnitte die Virulenzgene im Erbgut identifiziert werden (s.
Beispiele in Tab. 15.4). Rasche Fortschritte in der Gentechnik haben auch wesentlich
zum besseren Verständnis der Virulenzgene bzw. der Bedingungen, die ihre
Expression beeinflussen, beigetragen. Nach Sequenzierung des kompletten Genoms
vieler Viren lassen sich bestimmte Funktionen spezifischen Genorten zuordnen.

332
15.4 Sonstige Einflüsse
Einfluss auf die Infektionsanfälligkeit haben aber noch andere Faktoren (Tab. 15.5). In
den meisten Fällen weiß man allerdings nicht, ob unterschiedliches Ausbreitungs- und
Replikationsverhalten der Mikroorganismen oder unterschiedliche Immun- und
Entzündungsreaktionen des Wirts mit hineinspielen (Immunschwäche und andere
Mangelsyndrome s. Kap. 33).

Einfluss des Gehirns auf Immunreaktionen


Wenn Stress mit Fehlernährung oder Hektik verbunden ist, lässt sich meist nur schwer
abgrenzen, welchen Einfluss die einzelnen Faktoren auf die Infektionsanfälligkeit (z.B.
im Fall von Tuberkulose) haben. Immunreaktionen können jedoch über die
Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren(rinden)-Achse vom Gehirn beeinflusst
werden. Schon seit langem ist bekannt, dass Glukokortikoide eine starke Wirkung auf
Immunzellen haben und die Widerstandskraft gegen Infektionen oder Traumen steigern.
Sowohl ein Mangel (Addison-Krankheit) als auch Überdosierung/Überschuss an
Glukokortikoiden (Steroidtherapie) macht anfälliger für Infektionen (Tab. 15.5).

Hinzu kommt, dass Gehirn (bzw. ZNS), endokrines und Immunsystem oft dieselben
Botenstoffe benutzen (second messenger wie Zytokine, Peptidhormone,
Neurotransmitter): Nervenzellen besitzen z.B. Interferon- und Interleukin-Rezeptoren
(für IL-1, IL-2, IL-3, IL-6), T-Lymphozyten können Prolaktin und Wachstumshormone
bilden. Nachdem sich diese immun-neuroendokrinen Nebenerscheinungen inzwischen
auf molekularer Ebene bestätigt haben, bieten sie eine anerkannte Grundlage für den
Einfluss des Gehirns auf Immunität und Infektionen.

333
Tab. 15.5 Einflussfaktoren auf die Infektionsanfälligkeit.
CMI = zellvermittelte Immunität, EBV = Epstein-Barr-Virus, RSV =
respiratory syncytial virus
Zusammenfassung
■ Oberflächlich verlaufende Infektionen (wie Erkältung, Shigellendysenterie)
haben eine kürzere Inkubationszeit als systemische Infektionen (z.B. Masern,
Typhus) und die (erworbenen) Immun-/Abwehrreaktionen des Wirts fallen weniger
deutlich aus.
■ Erreger mit langsamer Wachstumsrate (z.B. M. tuberculosis) rufen meist auch
langsam fortschreitende Krankheiten hervor.
■ Erreger breiten sich hauptsächlich auf dem Lymph- und Blutweg im Körper
aus. Ihr Schicksal hängt davon ab, ob sie frei oder in Blutzellen im Blut zirkulieren.
■ Die Infektion konzentriert sich auf Leber und Milz, wenn retikuloendotheliale
Zellen in diesen Organen die Erreger in sich aufnehmen. Spezifische Lokalisationen
im Gefäßbett anderer Organe (z.B. Mumpsvirus in Speicheldrüsen, Meningokokken
in den Hirnhäuten) werden dagegen noch nicht verstanden.
■ Dass sich Viren entlang von Nerven/Axonen in beiden Richtungen ausbreiten
können, ist für die Pathogenese wiederkehrender Virusinfektionen (Herpes simplex,
Zoster) und z.B. Tollwut wichtig.
■ Pathogenität und Virulenz sind stark von genetischen Faktoren des Wirts (z.B.
Tuberkulose eineiiger Zwillinge) sowie wie des Erregers (z.B. Sichelzellmerkmal
bei Malaria) beeinflusst.

334
FRAGEN
1 Auf welchen Wegen gelangen Mikroorganismen
(a) in die Speicheldrüsen,
(b) in die Leber?
2 Lohnt sich aus Sicht der Erreger eine ZNS-Invasion in jedem Fall?
3 Nennen Sie Beispiele für Mikroorganismen, die sich
(a) frei im Plasma bewegen und
(b) mit Blutzellen zirkulieren. Welche Auswirkungen hat das für sie?
4 Warum können Tuberkulose- und Leprabazillen kein flüchtiges
Infektionsmuster hervorrufen?
5 Nennen Sie ein Beispiel für eine einzelne menschliche Genvariante, durch die
sich die Infektionsanfälligkeit entscheidend verändert.
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Alonzo de Velasco, E., Verheul, A.F., Verhoef, J., Snippe, H.: Streptococcus
pneumoniae: virulence factors, pathogenesis and vaccines. Microbiol Rev 59 (1995)
591–603.
Griffin, J.W., Watson, D.F.: Axonal transport in neurologic disease. Ann Neurol 23
(1988) 3–13.
Mims, C.A., Nash, A. Stephen, J.: Mims’ Pathogenesis of Infectious Disease, 5th ed.
Academic Press, London 2001.
Savino, W., Dardenne, M.: Immune-neuroendocrine interactions. Immunol Today 16
(1995) 318–322.
Townsend, G.C., Scheld, W.M.: In vitro models of the blood-brain barrier to study
meningitis. Trends Microbiol 3 (1995) 441–445.

335
16 Überlebensstrategien von Parasiten und
persistierende Infektionen
16.1 Vermeidungsstrategien 181

16.1.1 Gegen Phagozyten und natürliche (angeborene, nicht-adaptive) Abwehr


gerichtet 181

16.1.2 Gegen die erworbene (adaptive) Abwehr gerichtet 182

16.2 Überlebensstrategien von Parasiten 182

16.2.1 Rasch flüchtiges Infektionsmuster als Vermeidungsstrategie 183

16.2.2 Toleranzentwicklung 186

16.3 Antigenvariation 187

16.4 Immunsuppression 188

16.5 Persistierende Infektionen 191

16.5.1 Reaktivierung 191


Zur Orientierung
Die meisten Infektionserreger haben Reaktionen auf die Wirtsabwehr entwickelt

Bisher haben wir uns auf die – angeborenen und erworbenen – Abwehrmöglichkeiten des
Wirts konzentriert, mit denen er Parasiten fern halten oder sie vernichten kann. Doch so
stark die Abwehr auch sein mag, ist sie offenbar nicht hundertprozentig wirksam, da sich
Infektionen immer wieder klinisch manifestieren. Tatsächlich haben die hier
beschriebenen Erreger verbreiteter Infektionen meist eine passende Reaktion auf die
Wirtsabwehr gefunden, weil ihr Überleben als Parasiten des Menschen davon abhing.
Gerade weil sie Strategien entwickelt haben, um der Wirtsabwehr zu entgehen oder sie
aktiv zu behindern, gelingt es ihnen, Menschen zu infizieren und medizinische Probleme
zu verursachen.

336
16.1 Vermeidungsstrategien

16.1.1 Gegen Phagozyten und natürliche


(angeborene, nicht-adaptive) Abwehr gerichtet
■ Zerstörung von Phagozyten/eigene Zerstörung durch Phagozyten verhindern.
Um sich erfolgreich zu behaupten, setzen Parasiten raffinierte antiphagozytäre Mittel
ein (Abb. 16.1). Das Spektrum reicht von der Zerstörung oder Hemmung der
Phagozytenfunktion über subtilere Ausweichmanöver wie Kontaktvermeidung bis hin
zum Schutz intrazellulärer Erreger vor der Abtötung; sie überleben in Phagozyten und
stellen den Wirt vor ernste Probleme.

■ Behinderung der Zilienaktivität (Flimmerbewegung; Tab. 13.3)

■ Verhinderung der alternativen Komplementaktivierung. Bestimmte


Salmonellen-(smooth-)Stämme können z.B. durch lange Polysaccharid-Seitenketten
die Insertion des Komplementfaktorkomplexes C567 in ihre Zellwand verhindern,
während bei Staphylokokken die Kapsel im Unterschied zur Zellwand keine
Komplementaktivierung bewirkt (Beispiele in Abb. 16.2).

Eine andere Möglichkeit, die Komplementaktivierung zu stören und ihrer Lyse zu


entgehen, haben Streptokokken und Campylobacter durch ihre Beschichtung mit
nicht-komplementfixierenden Antikörpern (z.B. IgA). Auch für mehrere Protozoen-
und Helmintheninfektionen (z.B. Leishmanien oder Echinococcus granulosus) ist eine
gegen Komplement gerichtete Aktivität kennzeichnend.

■ Eisenbindung. Fast alle Bakterien benötigen Eisen, doch eisenbindende


Proteine des Wirts (wie Transferrin) schränken seine chemische Verfügbarkeit ein.
Um sich gegen Eisenknappheit zu wappnen, bilden manche Bakterien (z.B.
Neisserien) eigene Proteine mit starker Eisenbindungskapazität.

■ Blockade von Interferonen. Auf Erreger mit doppelsträngiger (ds-)RNA –


einschließlich aller Viren – reagieren Wirtszellen mit der Bildung von α- und β-
Interferon. Das geschieht rasch (innerhalb von 24 Stunden nach der Infektion) und ist
Bestandteil der angeborenen Immunität.

Bestimmte Viren induzieren aber nur eine geringe Interferonmenge (Hepatitis-B-Virus


[HBV]) oder produzieren Hemmstoffe, um die Interferonwirkung abzuschwächen
(HBV, HIV, Adenoviren, Epstein-Barr- [EBV], Vaccinia-Virus). Mit γ-Interferon ist
davon auch ein wichtiger Teil der erworbenen Immunabwehr betroffen.

337
Abb. 16.1 Um ihrer Phagozytose zu entgehen,
greifen Erreger auf unterschiedliche Mittel zurück.

16.1.2 Gegen die erworbene (adaptive) Abwehr


gerichtet

Erworbenen Abwehrmechanismen auszuweichen


erfordert komplexere Strategien
In diesem Kapitel geht es darum, wie erfolgreich sich Mikroorganismen der
erworbenen (adaptiven) Immunabwehr entziehen oder sie behindern können. Sie
müssen schon komplexere Strategien aufbieten als gegen angeborene Abwehrkräfte,
weil Lymphozyten so programmiert sind, dass ihre Rezeptoren jede Zelle als fremd
erkennen, deren Form (B-Zellen) oder Aminosäuresequenz (T-Zellen) nicht mit der
eigenen übereinstimmt; z.B.:

■ Kapselpolysaccharide verhindern zwar den (nichtimmunen) Kontakt


zwischen Bakterienwand und Phagozyten, werden aber von Oberflächenrezeptoren
der B-Zellen (Immunglobuline) schnell als fremd erkannt; nach Bildung
entsprechender Antikörper kommt es zur Opsonisierung und Phagozytose der
Bakterien.

■ Bakterien und Pilze können die intrazelluläre Zerstörung durch Makrophagen


überstehen, aber nicht verhindern, dass sich ihre Peptide in Verbindung mit MHC-
Molekülen auf der Makrophagenoberfläche zeigen und von T-Zellen entdeckt

338
werden. Das ruft ein weiteres Bündel zytotoxischer und sonstiger
Immunmechanismen auf den Plan.

In beiden Fällen verhalten sich die Lymphozyten wie hoch spezialisierte, sehr
wachsame Zellen des Immunsystems – im Unterschied zu den Makrophagen mit eher
alltäglichen Aktivitäten (Routinearbeiten).

16.2 Überlebensstrategien von Parasiten


Vermutlich gibt es ähnlich viele Überlebensstrategien wie Parasiten. Trotzdem scheint es
sinnvoll zu sein, sie nach der Art, wie sie bestimmte Immunkomponenten umgehen,
einzuteilen (s. Kap. 12). Mit solchen Strategien verschaffen sich Mikroorganismen oft die
Möglichkeit zur Vermehrung und Ausbreitung im Körper während einer ziemlich
langen Inkubationszeit, bevor sie ausgeschieden und auf neue Wirte übertragen werden
(z.B. Hepatitis B oder Tuberkulose). Wenn die Erregerausscheidung nach Abklingen der
Symptome auch nur ein paar Tage weitergeht, breitet sich eine Infektion viel nachhaltiger
in Gruppen aus.

339
Abb. 16.2 Eine Komplementschädigung von Erregern
lässt sich auf drei Arten verhindern:

a) Scheitern der Komplementaktivierung, b) Schutz der Zellmembran vor Angriffen,


c) Abwehr (Ausstoßung) des Membranangriffskomplexes C5–9.

Mikroorganismen können in ihrem Wirt persistieren


Manche Mikroorganismen können sich jahre-, oft sogar lebenslang in ihrem Wirt
aufhalten (= persistieren). Das lohnt sich für sie aber nur, wenn sie währenddessen auch
ausgeschieden werden. Persistierende Erreger lassen sich entsprechend zwei Kategorien
zuordnen:

■ Mehr oder weniger ständig ausgeschieden werden z.B. das Epstein-Barr-


Virus (EBV) im Speichel, das Hepatitis-B-Virus (HBV) im Blut, Wurmeier im Stuhl.

340
■ Nur zeitweilig (intermittierend) ausgeschieden werden Herpes-simplex-Virus
(HSV), Polyomaviren, Typhus- und Tuberkelbakterien oder Malariaparasiten.

Viren können die Immunabwehr besonders gut


parieren
Das hat mehrere Gründe:

■ Viren dringen oft unbemerkt in Gewebe oder Zellen ein. Im Unterschied zu


den meisten Bakterien bilden sie keine Toxine, und solange sie keine größere
Zerstörung anrichten, treten auch keine Symptome auf; manchmal vergehen Wochen,
bis Immun- und Entzündungsreaktionen einsetzen (z.B. bei HBV- oder EBV-
Infektionen).

■ Viren wie Röteln-, humanes Papillomavirus, HBV oder EBV können Zellen
über längere Zeit infizieren, ohne sich nachteilig auf deren Lebensfähigkeit
auszuwirken.

Auch Viruslatenz ist eine Art von Persistenz. Sie beruht auf der engen molekularen
Beziehung zwischen Virus und infizierter Zelle. Ohne Antigen oder infektiöses Material
zu produzieren, hält sich das Virusgenom fortwährend in der Wirtszelle auf; das ändert
sich nur sehr selten bei Reaktivierung des Virus (mit Ausbruch/Manifestierung der
vorher latenten Infektion).

16.2.1 Rasch flüchtiges Infektionsmuster als


Vermeidungsstrategie
Eine Vermeidungsstrategie von Erregern besteht in einem rasch flüchtigen
Infektionsmuster. Innerhalb weniger Tage dringen sie in den Körper ein, vermehren sich
und werden gleich wieder ausgeschieden, bevor die erworbenen (adaptiven)
Immunabwehrkräfte Zeit finden, aktiv einzugreifen. Zu dieser Kategorie gehören
Infektionen (durch Rhino- oder Rotaviren), die sich oberflächlich ausbreiten. Um
Lymphozyten zu täuschen (s. unten), setzen Parasiten hauptsächlich auf folgende
Strategien:

■ Antigentarnung

■ Antigenvariation

■ Immunsuppression

341
Antigentarnung
Antigene können sich nur vor den Komponenten des Immunsystems verbergen, indem
sie sich verstecken, sich nur in bestimmten Organen oder Körperkompartimenten
aufhalten oder sich tarnen. Geeignete Verstecke finden sie z.B. in Wirtszellen (obwohl
dort MHC-Moleküle als Informanten dienen und Erregerpeptide zur Zelloberfläche
transportieren, damit sie erkannt werden) oder an besonderen Stellen, zu denen
normalerweise keine Lymphozyten kommen.

Ohne Antigenpräsentation an der Oberfläche


schützt der Aufenthalt in der Zelle vor Entdeckung
Erreger, die sich in Zellen aufhalten, ohne ihre Antigene an der Oberfläche zu
zeigen, bleiben unerkannt, sie werden von der Immunabwehr nicht identifiziert.
Selbst wenn schon spezifische Antikörper- und T-Zell-vermittelte Reaktionen in
Gang gesetzt wurden, bleiben Erreger in infizierten Zellen davon unberührt. So
verhalten sich z.B. Herpesviren (HSV), wenn sie als latente Infektion in sensorischen
Neuronen persistieren. Bei ihrer Reaktivierung ist natürlich ein erneuter Kontakt
mit Verstärkung der Abwehrkräfte unvermeidlich.

Möglich sind auch andere Strategien. Manche Viren (wie HIV in Makrophagen,
Coronaviren) stellen ihre Proteine heimlich aus: nicht an der Zelloberfläche, sondern
an den Wänden intrazellulärer Vakuolen, in die sie hineinknospen (budding).
Adenoviren gehen aktiv gegen die Präsentation ihrer Antigene vor: E19, eines ihrer
Proteine, verbindet sich mit MHC-Klasse-I-Molekülen, damit sie nicht an die
Zelloberfläche gelangen, und verhindert so, dass infizierte Zellen von zytotoxischen
T-Zellen erkannt werden können.

An bestimmten abgeschiedenen Stellen sind Erreger


außer Reichweite zirkulierender Lymphozyten
Die unzähligen Keime auf der Haut und im Darm befinden sich praktisch außer
Reichweite zirkulierender Lymphozyten, genauso wie Erreger, die mit
Körpersekreten gleich wieder ausgeschieden werden. Sekretorische Antikörper,
mit denen sie dabei in Kontakt kommen, können sich zwar an sie binden (z.B.
Influenzavirus) und ihre Infektiosität abschwächen, doch im Allgemeinen sind diese
Antikörper weder imstande, Mikroorganismen abzutöten noch ihre Replikation in
oder auf Epitheloberflächen einzuschränken (Abb. 16.3 und 16.4). Lokale
Entzündungsreaktionen können die Abwehrkräfte jedoch verstärken.

Im Körper ist es schwieriger, Lymphozyten und Antikörpern auszuweichen, doch


auch da gibt es Orte, die sicherer sind als andere – das zentrale Nervensystem
(ZNS), Gelenke, Hoden und Plazenta gehören dazu. Hier zirkulieren weniger
Lymphozyten und auch der Zugang für Antikörper und Komplement ist
eingeschränkt. Sobald aber eine entzündliche Reaktion ausgelöst wird, werden rasch
Lymphozyten, Monozyten und Antikörper dorthin transportiert, so dass die Stelle
nicht mehr abgeschieden ist.

Erreger können sich auch selbst solche abgeschiedenen Plätze schaffen. Ein gutes
Beispiel sind Hydatidenzysten, die sich um anwachsende Kolonien des

342
Hundebandwurms (Echinococcus granulosus) in Leber, Lunge oder Gehirn bilden
können (Abb. 16.5). In ihnen überleben die Würmer selbst dann, wenn der
Antikörpertiter im Blut ihres Wirts ausreichend ist.
Abb. 16.3 Virusinfektion nach außen gewandter
Zelloberflächen.

Ist z.B. das Oberflächenepithel sekretorischer oder exkretorischer Drüsen


infiziert, werden die Viren direkt ausgeschieden und entgehen so der
Immunabwehr.

Der exklusivste Platz überhaupt dürfte die Wirts-DNA sein – diesen besetzen
Retroviren. Unverzichtbarer Bestandteil im Replikationszyklus von Retroviren ist
die Transkription ihrer RNA in DNA (durch reverse Transkriptase), die dann in die
DNA der Wirtszellen integriert wird (s. Kap. 21). Solange keine Zellschädigung
eintritt und keine Expression von Virusprodukten an der Zelloberfläche stattfindet,
wo sie von der Immunabwehr erkannt würden, genießen Retroviren den Schutz

343
völliger Anonymität. Deshalb ist die vollständige Heilung bzw. Virusvernichtung
bei HIV-Patienten besonders schwierig.

Noch geschützter etabliert sich eine Infektion in Eizellen oder Spermien. Auf diese
Weise enthalten alle embryonalen Zellen das Virusgenom, und es überträgt sich von
einer auf die nächste Generation, als wäre es das eigene Erbgut. Glücklicherweise
geschieht das nicht mit HIV oder humanen T-Zell-Leukämieviren (HTLV-1 und -2).
Allerdings fallen endogene Retroviren darunter, deren DNA-Sequenzen häufig im
menschlichen Genom vorkommen, aber nicht als Antigene exprimiert werden. Sie
sind Teil unseres Erbmaterials geworden. Sicher stellt das den äußersten, letztlich
auch logischen Entwicklungsschritt des Parasitismus im Grenzbereich zwischen
Infektion und Vererbung dar.

344
Abb. 16.4 Replikation des humanen
Papillomavirus in der Epidermis – einer
abgeschiedenen Stelle?

Da die Zelldifferenzierung (z.B. Keratinisierung) seine Replikation kontrolliert,


reift das Virus erst in größerer (räumlicher) Entfernung von den Immunkräften
heran.

345
Abb. 16.5 Hydatidenzysten.

Operationspräparat mit zahlreichen dünnwandigen und mit flüssigkeitsgefüllten


Zysten; meist in der Lunge anzutreffen (mit freundlicher Genehmigung von J.A.
Innes).

Mimikry verhindert nicht die antimikrobiellen


Reaktionen des Wirtes
Wenn es Erregern irgendwie gelänge, eine Immunantwort zu vermeiden, könnte man
es als geschickte Tarnung ihrer Antigene auffassen. Eine Methode ist das täuschend
echte Nachahmen (Mimikry) wirtseigener Antigene, die so nicht als fremd erkannt
werden (Abb. 16.6). Für diese Ähnlichkeit von Parasiten- mit Wirtsmolekülen gibt
es viele bekannte Beispiele (Tab. 16.1). Im Fall viraler Proteine beruht das Mimikry
auf homologen (etwa 8–10 aufeinander folgenden) Aminosäuresequenzen; die
Gemeinsamkeit lässt sich durch einen Computervergleich zwischen Virus- und
Wirtsproteinen feststellen.

Das berühmteste Beispiel ist vermutlich die Kreuzreaktion zwischen β-


hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A und menschlichem
Herzmuskelgewebe (Myokard), hauptsächlich Meromyosin. Weil sich nach
wiederholten Streptokokkeninfektionen Antikörper gegen Meromyosin bilden,
entwickelt sich eine rheumatische Herzerkrankung (Abb. 16.6). Dass der Wirt solche
Autoantikörper bildet, zeigt, dass die Bakterien in diesem Fall nicht durch Mimikry
geschützt werden. Daraus lässt sich folgern, dass Mimikry vermutlich eher Zufall als
eine gezielte Erregerstrategie ist. Jedenfalls verhindert es weder antimikrobielle noch
Autoimmunreaktionen des Wirts.

Erreger können sich durch die Platzierung von


Wirtsmolekülen auf ihrer Oberfläche verstecken

346
Beispiele sind in Tab. 16.1 aufgeführt. Ein besonders gutes Beispiel sind die
komplett mit einer Außenschicht aus Blutgruppen-Glykolipiden (der Blutgruppe
ihres Wirts), MHC-Antigenen und Immunglobulinen aus dem Plasma umhüllten
Saugwürmer, die Schistosomen. Dieser Überzug macht sie quasi unsichtbar, auch
für Lymphozyten. Aus unbekannten Gründen beschränkt sich diese Strategie aber im
Wesentlichen auf Würmer.
Abb. 16.6 Molekulares Mimikry unterdrückt
wahrscheinlich nicht die Immunantwort auf Erreger,
sondern macht Wirtszellen und -gewebe anfällig für
Immunschäden.

Antikörper gegen Meromyosin (kreuzreagierender Determinant bei


Streptokokkeninfektion) verursachen z.B. die rheumatische Herzerkrankung.

347
Tab. 16.1 Beispiele für Mimikry oder die Aufnahme von
Wirtsantigenen durch Parasiten.
*
bei manchen Spezies auch Kreuzreaktion mit Erythrozyten; Grundlage für den
Nachweis heterophiler Antikörper (Paul-Bunnell-Reaktion)
**
möglicherweise Grundlage der Spondylitis ankylosans
***
Grundlage des Syphilis-Antikörpertests (Wassermann-Reaktion)
****
Grundlage des Kälte(hämagglutinin)-Antikörpertests
HLA = human leukocyte antigen, Ig = Immunglobulin

Noch verbreiteter scheint die Aufnahme von Immunglobulinmolekülen durch


Mikroorganismen zu sein. Eine Reihe von Viren und Bakterien bilden an der
Oberfläche Fc-Rezeptoren aus, mit denen sie alle Immunglobulinarten an sich
binden können, allerdings in umgekehrter Position und damit immunologisch
wirkungslos (s. unten und Abb. 16.7). Das schützt Erreger bzw. infizierte Zellen vor
dem Zugriff spezifischer Antikörper oder T-Zellen.

16.2.2 Toleranzentwicklung

Toleranzentwicklung verhindert die Induktion von


Immunreaktionen des Wirts
Als Alternative können Mikroorganismen versuchen, keine oder nur schwache
Immunantworten hervorzurufen. Dazu bieten sich ihnen vier Möglichkeiten an:

■ Infektionen während der frühen Embryonalzeit

■ Bildung größerer Mengen von Antigenen oder Antigen-Antikörper-Komplexen

■ Aufspüren von „Lücken“ in der Immunausstattung des Wirts

348
■ Störung antikörper- und zellvermittelter (bzw. TH1- und TH2-
)Immunreaktionen

Frühembryonale Infektion
Bis sich das Immunsystem entwickelt hat, werden alle vorhandenen Antigene als
körpereigen betrachtet. Daher könnten Infektionen in dieser Zeit zur Immuntoleranz
führen. Im Fall einer intrauterinen Infektion mit Zytomegalie (CMV), Röteln oder
Syphilis lassen sich unter Umständen fetale IgM-Antikörper im Nabelschnurblut
nachweisen. Doch die zellvermittelten Immunreaktionen sind stärker beeinträchtigt.
Da sich bei Kindern mit kongenitaler CMV- oder Rötelninfektion keine
lymphoproliferativen Reaktionen auf CMV- oder Rötelnvirus-Antigene entwickeln,
dauert es Jahre, bis das Virus vollständig aus dem Körper entfernt ist (s. Kap. 23).
Abb. 16.7 Erreger wie Staphylokokken,
Streptokokken,Herpes-simplex- (HSV), Varicella-
Zoster- (VZV)undZytomegalievirus (CMV)ziehen
gewissen Nutzen aus Fc-Rezeptoren.

In einigen Fällen bewirken Infektionen im Neugeborenenalter wahrscheinlich eher


Immuntoleranz als Infektionen zu einem späteren Zeitpunkt. Deshalb führen
neonatale Hepatitis-B-Virusinfektionen oft zu einem dauerhaften HBV-Trägerstatus;
allerdings ist der genaue Mechanismus noch unbekannt.

Produktion größerer Mengen (mikrobieller) Antigene


bzw. Antigen-Antikörper-Komplexe

349
Wenn mikrobielle Antigene oder Antigen-Antikörper-Komplexe in größeren Mengen
im Körper kreisen, erzeugt das möglicherweise Immuntoleranz gegen die betreffenden
Antigene. Bei disseminierten Formen der Kokzidioidomykose und Kryptokokkose
sowie bei viszeraler und diffuser Hautleishmaniose, die alle mit großen
Antigenmengen im Blut einhergehen, kann es zur Anergie kommen, d.h.
herabgesetzter Ansprechbarkeit der zellvermittelten Immunreaktion auf eingedrungene
Erreger bei normaler Antikörperaktivität.

„Lücken“ in der Immunausstattung des Wirts


Dass das Immunsystem des Wirts auf bestimmte Peptide nur schwach reagiert, hängt
wahrscheinlich mit den MHC-Klasse-II-Molekülen zusammen. Sie stellen genetisch
determinierte „Lücken“ im Immunsystem des Wirts dar, und daher kommt es nicht
ganz unerwartet, wenn sich Mikroorganismen im Laufe ihrer Entwicklung perfekt mit
diesen Peptiden ergänzen. Mit anderen Worten: Um seine Schwachstellen
herauszufinden, wird das Immunsystem des Wirts ständig von Erregern getestet.

Ob sich das so abspielt, lässt sich zwar nicht beweisen, doch es ist durchaus denkbar,
dass z.B. die höhere Anfälligkeit der Afrikaner für Tuberkulose genetisch bedingt
sein könnte: durch eine schwache zellvermittelte Immunreaktion auf
Schlüsselantigene von M. tuberculosis. Europäer erweisen sich als resistenter, weil
über hunderte von Jahren die genetisch anfälligen Individuen weniger wurden. Im 19.
Jahrhundert starben schätzungsweise 30% der Erwachsenen in Europa an
Tuberkulose.

Störung der Antikörper- und TH1-/TH2-Reaktionen


Resistenz gegen Infektionen hängt oft von der Ausgewogenheit der Antikörper- und
T-Helferzell-(TH1- und TH2-)Reaktionen ab (s. Kap. 10). Zur Abwehr von
Tuberkulose und Herpesviren wird die zellvermittelte, zur Abwehr von Polioviren
oder Streptococcus pneumoniae eine Antikörperreaktion benötigt. Bei aktiver
Tuberkulose ist zu beobachten, dass T-Zellen IL-4 bilden, während die Produktion
nützlicher TH1-Zytokine zurückgeht.

Zum Vorteil ihres eigenen Überlebens setzen Erreger also unwirksame


Abwehrreaktionen in Gang. Manche Bakterien induzieren antigenspezifische,
regulatorische T-Zellen, um schützenden Reaktionen der TH1-Zellen zu entgehen. Die
von Bordetella pertussis induzierten regulatorischen T-Zellen weisen z.B. eine
Spezifität für filamentöses Hämagglutinin und Pertactin auf und produzieren IL-10.
Dadurch wird die TH1-Immunität gegen zwei wichtige bakterielle Bestandteile
unterdrückt und die Bakterien können sich besser an Wirtszellen festsetzen.

16.3 Antigenvariation
Mikrobielle Antigene können noch auf andere Weise Verwirrung stiften – durch
wiederholte Veränderung ihrer äußeren Erscheinung. So verhält es sich z.B. mit
afrikanischen Trypanosomenstämmen (Erreger der Schlafkrankheit), aber auch mit einem
breiteren Spektrum von Viren, Bakterien und Protozoen. Im Verlauf einer Infektion kann
eine Antigenvariation sowohl

350
■ bei ein und demselben Individuum als auch

■ bei der Ausbreitung in Gruppen auftreten (Abb. 16.8).

Ob sich die Antigenvariation als Ausweichstrategie in Bezug auf die Immunabwehr des
Wirts eignet, hängt davon ab, ob sie Antigene betrifft, deren Erkennung solche
Schutzreaktionen auslöst. Häufig verändern sich Antigene bei der Ausbreitung von
Erregern in Wirtsgruppen. Eine besonders wichtige Rolle spielt die Antigenvariation
offenbar bei langlebigen Wirten wie dem Menschen, da sich wiederholte Reinfektionen
in der Lebenszeit eines Menschen günstig auf das Überleben der Erreger auswirken.

Häufiger ist Antigenvariation auch bei Infektionen der Atemwege oder des Darmepithels
mit Inkubationszeiten von weniger als einer Woche anzutreffen; so bleibt den Erregern
genügend Zeit zur Infektion, Vermehrung und Ausscheidung, bevor eine signifikante
sekundäre Immunantwort zustande kommt. Wegen der längeren Inkubationszeit bei
systemischen Infektionen (z.B. Masern, Mumps, Typhus) können sich sekundäre
Immunreaktionen eher formieren und die Infektionen einer bestimmten Antigenvariante
unter ihre Kontrolle bringen. Demzufolge ist Antigenvariation kein entscheidendes
Kennzeichen systemischer Infektionen.

Auf molekularer Ebene findet die Antigenvariation hauptsächlich auf drei Arten statt,
durch:

■ Mutation

■ Rekombination

■ Genswitch (-umschaltung)

351
Bekannt für Mutationen: das Influenzavirus
Abb. 16.8 Erregerstrategie der Antigenvariation.

Antigene können sich entweder bei dem ursprünglich Infizierten verändern – und
damit erneutes Erregerwachstum ermöglichen (z.B. Trypanosomen) – oder während
der Infektionsausbreitung in einer Wirtspopulation – und damit zur Reinfektion
eines früher Infizierten führen (z.B. Influenzavirus).

Während sich das Influenzavirus in Gruppen ausbreitet, kommt es wiederholt zu


Mutationen der Gene, die für Hämagglutinin und Neuraminidase kodieren (s. Kap. 19).
Schon sehr kleine Antigenveränderungen reichen aus, das bei früheren Infektionen
erworbene immunologische Gedächtnis der B- und T-Memory-Zellen abzuschwächen.
Man spricht von Antigendrift.

Ein ähnlicher Antigendrift zeigt sich bei (humanen) Rhino- und Enteroviren, die sich
rasch entwickeln. Mit Antigendrift lässt sich vermutlich auch die Fülle antigener
Subtypen der Staphylo-, Strepto- und Pneumokokken erklären. Bei Polio-Epidemien
traten Mutationen in Raten von durchschnittlich zwei Basensubstitutionen pro Woche
auf, und einige bezogen sogar die Hauptantigenstellen des Virus mit ein. Einen
Antigendrift macht auch HIV (s. Kap. 21) durch, nur betrifft das jeweils den Infizierten.
Das könnte erklären, weshalb es für das Immunsystem so schwierig ist, diese Infektion
unter Kontrolle zu bekommen. Wenn sich Mutationen auf Epitope auswirken, die von
zytotoxischen T-Zellen (Tc) erkannt werden, entstehen Escape-Mutanten.

Klassisches Beispiel für Rekombination: das Influenza-


A-Virus
Durch den Austausch von Genmaterial zwischen zwei verschiedenen Erregern kommt
es zu einer größeren und abrupteren Antigenveränderung. Klassisches Beispiel für
diesen Antigenshift durch Rekombination humaner und avianer (Vogel-)Virusstämme
ist das Influenza-A-Virus (s. Kap. 19). Der plötzlich aufgetauchte, völlig neue Stamm
des Influenza-A-Virus präsentierte sich bedrohlich mit Hämagglutinin bzw.
Neuraminidase avianen Ursprungs. In der Bevölkerung, die zuvor noch nie in Kontakt
mit dem Virus gekommen war, kann eine Grippepandemie ausbrechen.

352
Gen-Switch bei afrikanischen Trypanosomen
Die dramatischste Form der Antigenvariation ist das zuerst für afrikanische
Trypanosomen (Trypanosoma gambiense und T. rhodesiense, s. Kap. 27)
nachgewiesene Umschalten (switching) zwischen Genen. Diese Mikroorganismen
tragen Gene für etwa tausend unterschiedliche Oberflächenmoleküle (sog.
variantenspezifische Glykoproteine), die fast ihre gesamte Oberfläche einnehmen und
immundominant sind. Zwischen diesen Genen können Trypanosomen einfach
umschalten, ähnlich wie B-Zellen zwischen konstanten Genen der Schwerketten von
Immunglobulinen.

Infolgedessen treten beim Wirt in annähernd einwöchigen Intervallen eigenständige


(nicht zueinander in Beziehung stehende) Infektionen auf; die Trypanosomen können
auf diese Weise persistieren, während das Immunsystem ihnen ständig hinterherjagt.
Möglicherweise ist die Antikörperreaktion selbst der wichtigste Auslöser für das Gen-
Switching, doch der Wirkmechanismus ist noch nicht genau geklärt. Das Genom der
Trypanosomen besteht zu rund 10% aus Genen von Oberflächenmolekülen.

Durch Gen-Switch lassen sich Rückfälle einer


persistierenden Infektion erklären
Wiederholte Rückfälle im Verlauf einer persistierenden Infektion (z.B. Rückfallfieber
durch Borrelia recurrentis oder Brucellose) erklärt man sich durch Gen-Switching. Es
kann auch bei Gonorrhoe wichtig sein, weniger wegen der Antigenvariation, sondern
weil in unterschiedlichen Infektionsstadien andere Bakterieneigenschaften erforderlich
sind. Im Frühstadium hat es z.B. Vorrang, dass sich Neisseria gonorrhoeae ans
Harnröhrenepithel heften (und nicht unbedingt an Phagozyten). Daher erfolgt eine
Umschaltung auf Gene, die für Pilin und Proteine der Außenmembran kodieren, um die
Adhäsion zu verbessern. Während sich Gonokokken in einer Wirtspopulation
ausbreiten, zeigt sich eine große Antigenvariation, die durch Rearrangements und
Rekombinationen im Pilin-Genbestand zustande kommt.

16.4 Immunsuppression

Viele Virusinfektionen verursachen eine


vorübergehende Immunsuppression
Viele verschiedene Erreger sind in der Lage, bei Infizierten eine Immunsuppression zu
verursachen. Das mag als subversive Strategie sinnvoll sein, doch inwieweit sie den
Erregern nützt, ist oft fraglich. Es kann sich um eine antigenspezifische
Immunsuppression oder – häufiger – um eine eingeschränkte Immunantwort auf
Antigene des Infektionserregers wie auf andere Antigene handeln.

Eine HIV-Infektion ist wohl eines der bekanntesten Beispiele hierfür, allerdings ist das
HIV keinesfalls der einzige Erreger, der das Immunsystem in der Weise schwächt, dass
es durch Zerstörung von CD4-T-Zellen zu einem fatalen Funktionsausfall der T-Zellen
kommt (Tab. 16.2). Wie sich das abspielt, ist noch nicht vollständig geklärt, doch häufig
scheint eine Invasion des Immunsystems im Sinne einer „Flucht nach vorn“ der Erreger
beteiligt zu sein.

353
Natürlich wäre es besser für die Erreger, wenn nur die Immunreaktionen auf ihre
eigenen statt auf alle möglichen anderen Antigene unterdrückt würden. Das geschieht
aber nur selten. Trotzdem haben sie genügend Zeit, sich zu vermehren, im Körper
auszubreiten und in die Umgebung ausgeschieden zu werden, solange eine generelle
Immunsuppression nur vorübergehend währt. Das ist genau das, was sich bei vielen
Virusinfektionen abspielt. Eine anhaltende allgemeine Immunschwäche wäre insofern
abträglich für Erreger, als die erhöhte Anfälligkeit für andere Infektionen ihre
Wirtsspezies unnötig schädigen würde.

Verschiedene Erreger wirken unterschiedlich


immunsuppressiv
An einer Immunsuppression sind außer den Erregern meist auch (infizierte)
Immunzellen beteiligt:

■ T-Zellen (HIV, Masernvirus)

■ B-Zellen (EBV)

■ Makrophagen (HIV, Leishmanien)

■ dendritische Zellen (HIV).

Infolgedessen kann ein Funktionsverlust der Zellen (ausbleibende Zellteilung,


Unterdrückung der Interleukin-2-Freisetzung und anderer Zytokine) oder der Zelltod
eintreten.

Darüber hinaus setzen die Erreger oft immunsuppressive Substanzen frei. Von HIV
wird z.B. ein Polypeptid (gp41) gebildet, das wie ein „immunologisches Anästhetikum“
wirkt und die Funktion der T-Zellen vorübergehend ausschalten kann. Andere
Erregersubstanzen (z.B. von Pocken-, Herpesviren, T. cruzi) behindern die
Komplementaktivierung oder schränken die Wirkung immunologisch wichtiger
Zytokine ein (wie IL-2, Interferone oder Tumornekrosefaktor [TNF]).

354
Tab. 16.2 Immundepression (eingeschränkte Immunreaktion auf
Infektionen).
*
Das virale BCRF1-Gen kodiert auch ein IL-10-ähnliches Molekül, das eher die
Antikörper als die protektive zellvermittelte Immunreaktion verstärkt.
**
Bei einer Maserninfektion kann der Tuberkulin-Hauttest vorübergehend
negativ ausfallen. Masern hemmen auch die für die (protektive) TH-1-
Immunreaktion nötige IL-12-Produktion der Makrophagen.
AK = Antikörper, CMI = zellvermittelte Immunität, APC =
antigenpräsentierende Zellen

355
Bestimmte Bakterientoxine wirken immunmodulierend
In besonders dramatischer Form können sich Immunstörungen durch Staphylokokken
zeigen. Viele Staphylokokkenstämme setzen Exotoxine frei (Enterotoxin,
Epidermolyse- und Toxic-Shock-Syndrom-Toxin), die krank machen. Auf den ersten
Blick schienen diese Toxine den Staphylokokken keinen Vorteil zu bringen, doch
inzwischen gelten sie als stark wirksame Immunmodulatoren.

Als die stärksten der bisher bekannten T-Zell-Mitogene sind sie bereits in minimalen
(pikomolaren) Konzentrationen wirksam. In ihrer Funktion als „Superantigene“
verbinden sie sich mit MHC-Klasse-II-Molekülen auf antigenpräsentierenden Zellen
und bewirken eine polyklonale Aktivierung von T-Zellen (Abb. 16.9). Bei einem relativ
großen Anteil (2–20%) der T-Zellen kommt es daraufhin zur Teilung und Freisetzung
von Zytokinen. Auf ein reguläres Antigen würden dagegen nur 0,001–0,01% der T-
Zellen reagieren.

Die Toxine werden von Plasmiden kodiert. Es drängt sich förmlich der Verdacht auf,
dass sich Parasiten die Fähigkeit zur Toxinproduktion angeeignet haben, um
Immunreaktionen zu durchkreuzen, d.h. zur Unterstützung im Kampf gegen die
Wirtsabwehr. Wie zur Bestätigung dieser Vermutung fand man heraus, dass
Streptokokken und Mykoplasmen ähnliche Stoffe produzieren.

Staphylokokkentoxine könnten die Immunabwehr in folgender Weise behindern:

■ Das empfindliche System der Immunregulation gerät durch lokal vermehrte


Zytokinfreisetzung (aktivierter Zellen) aus dem Gleichgewicht.

■ Zerstörung von T- und anderen Immunzellen

■ Durch polyklonale Aktivierung werden sämtliche Aktivitäten der T-Zellen


immunologisch unproduktiv (Abb. 16.9).

Bei vielen anderen Infektionen verläuft die polyklonale Aktivierung nicht ganz so
dramatisch. Neben der polyklonalen Aktivierung von T-Zellen gibt es auch die von B-
Zellen (z.B. bei EBV- oder HIV-Infektion). Man könnte sie als Ablenkungsmanöver der
Erreger begreifen oder – wie im Fall von EBV – als Versuch, sich einen Vorrat an B-
Zellen zuzulegen, in denen das Virus wachsen kann. Eine Folge ist die Bildung einer
Palette irrelevanter, manchmal auch autoimmuner Antikörper (z.B. heterophile
Antikörper bei EBV-Infektion).

356
Abb. 16.9 Immunstörung durch T- oder B-Zell-
Mitogene (von Erregern gebildete polyklonale
Aktivatoren).

Den Austausch von Immunsignalen, ihre Erkennung


durch zytotoxische T-Zellen oder eine
Apoptosereaktion können Erreger erfolgreich
verhindern
Viele Erreger stören die Wirtsabwehr durch einen Angriff auf wichtige Bestandteile der
Abwehr (Zytokine, Chemokine, MHC-Moleküle, Apoptose- und
Komplementrezeptoren). DNA-Viren können die Abwehr unterbinden, indem sie
gefälschte Wirtsmoleküle oder Zellrezeptoren kodieren. Ein Rezeptormolekül für
C3b ist das vom Herpes-simplex-Virus (HSV) produzierte Glykoprotein C (gC). Ist es
vorhanden, wird die Komplementaktivierung verhindert. Daher sind Virus und infizierte
Zellen vor der Zerstörung durch Antikörper und Komplement geschützt.

EBV produziert ein Äquivalent zu IL-10, welches eher eine humorale statt die stärker
protektive zellvermittelte Immunantwort, wie sie IL-12 induzieren kann, begünstigt.
Auch dass virulente Stämme von Mycobacterium tuberculosis infizierte Makrophagen
zur Bildung von IL-10 veranlassen, wirkt sich günstig für sie aus. Hinzu kommt, dass M.
tuberculosis genau wie andere intrazelluläre Erreger (Leishmania major, Histoplasma
capsulatum) die IL-12-Produktion infizierter Makrophagen hemmt, so dass die T-Zellen
nicht wie sonst durch IL-12 zur IFNγ-Produktion aktiviert werden. Auf diese Weise
entfernt sich die Immunantwort immer weiter vom schützenden Muster der TH1-
Reaktion.

357
Wegen der verringerten Expression von MHC-Klasse-I-Molekülen auf Zellen, die mit
Adeno- oder Herpesviren infiziert sind, können sie von zytotoxischen T-Zellen nicht
erkannt werden. Andere Viren (Rota-, Adenoviren) sorgen für eine eingeschränkte
Produktion bzw. Wirkung der Interferone.

Nicht jede Strategie, die einem Erreger nützt, muss auch für alle anderen gut sein. Wenn
z.B. eine virusinfizierte Zelle sich der Apoptose unterzieht, kann das eine nützliche
Verteidigungsstrategie sein, solange die Virusreplikation noch nicht vollendet ist.
Bestimmte Viren (HSV, EBV, HIV) kodieren daher Proteine, die eine Apoptose der
Zellen verhindern und eine lang anhaltende Infektion ermöglichen.

Andere Viren (Masernvirus) oder Bakterien (Shigella flexneri, Salmonellen) induzieren


dagegen nach dem Zusammentreffen mit Makrophagen eine Apoptose, um ihrer
Zerstörung zu entkommen. Eine Apoptose zu induzieren kann also in einer Zelle
sinnvoll sein, in einer anderen aber nicht. Während HIV z.B. die Apoptose infizierter
Immunzellen verhindert, induziert es sie in benachbarten, nicht befallenen Zellen.

Manche Erreger stören die lokale Expression der


Immunantwort in Geweben
Manche Erreger verhindern weniger die Ausbildung einer Immunantwort als ihre
Ausprägung im Gewebe. N. gonorrhoeae, Streptococcus pneumoniae und Haemophilus-
influenzae- Stämme setzen z.B. eine Protease frei, die (humane) IgA-Antikörper
aufspaltet. Da es sich um Bakterien der Normalflora bzw. Invasoren von Schleimhäuten
handelt, indenen IgA-Antikörper vorkommen, dürfte ihre Fähigkeit zur Protease-
/Enzymproduktion kein reiner Zufall sein.

Offenbar zahlen sich auch lokale Störungen durch Fc-Rezeptor-Moleküle aus;


zumindest werden sie von so vielen unterschiedlichen Erregern produziert, dass es
signifikant erscheint. Wohl das bekannteste Beispiel ist Protein A, ein Zellwandprotein
virulenter Staphylokokken, das die Phagozytose antikörperbeschichteter Bakterien
verhindert (Abb. 16.7). Bestimmte Herpesviren (HSV, VZV, CMV) kodieren Fc-
Rezeptor-Moleküle für IgG und Streptokokken produzieren einen Fc-Rezeptor für IgA.

Ein weiteres Beispiel ist die von Pseudomonaden gebildete Elastase. Durch sie werden
die Komplementfaktoren C3b und C5a inaktiviert und daher die Abwehrfunktionen des
Komplementsystems (Opsonisierung und andere) gehemmt.

Ob es sich bei den beschriebenen Phänomenen tatsächlich um Anpassungsvorgänge


handelt, mit denen Erreger die Wirtsabwehr durchkreuzen wollen, lässt sich nur schwer
nachweisen.

358
16.5 Persistierende Infektionen

Persistierende Infektionen stehen für ein Scheitern der


Wirtsabwehr
Persistierende Infektionen kann man als fehlgeschlagene Wirtsabwehr ansehen (Tab.
16.3), denn eigentlich sollten die Abwehrkräfte das Wachstum und die Ausbreitung der
Erreger eindämmen und sie aus dem Körper entfernen können. Erreger/Infektionen
persistieren entweder

■ in Form einer aktiven Infektion(Hepatitis-B-Virus im Blut, Schistosomen in


Gefäßen des Verdauungstrakts oder der Harnblase),

■ in schwach oder nur teilweise infektiöser Form (Adenoviren in Tonsillen und


Adenoiden) oder

■ in nicht ansteckender, oft nicht einmal antigenbildender Form (klassisches


Beispiel: latente Virusinfektion). Im Fall von HSV hält sich die virale DNA jahrelang,
vermutlich sogar lebenslang in sensorischen Neuronen der Dorsalwurzelganglien.

Die molekularen Grundlagen der Viruspersistenz sind noch nicht geklärt. Beteiligt sind
spezielle Schritte, mit denen sich Viren an das Latenzstadium anpassen – im Fall von
HSV und VZV findet nur eine sehr begrenzte Transkription viraler RNA in infizierten
Neuronen statt („Latenz-assoziierte Transkription“). Das Virusgenom wird nicht in
die Wirts-DNA integriert, ist nicht linear, sondern kreisförmig (zirkulär) und liegt in
freier episomaler Form vor.

Latente Infektionen können ausbrechen


Infektionen werden als latent bezeichnet, weil sie jederzeit ausbrechen können. Dadurch
kommt ihnen medizinisch enorme Bedeutung zu (zu latenten Herpesvirusinfektionen s.
Kap. 26). Persistierende Infektionen (mit unterschiedlichen Verlaufsmustern in Abb.
16.10 dargestellt) sind aus vier Gründen wichtig:

■ Sie können reaktiviert werden.

■ Manchmal gehen sie mit chronischen Krankheiten einher, wie im Fall der
chronischen Virushepatitis (HBV), der subakut-sklerosierenden Panenzephalitis (nach
Masern) und bei AIDS.

■ Gelegentlich sind sie mit Malignomen assoziiert (HBV-Infektion mit


hepatozellulärem Karzinom, EBV-Infektion mit Burkitt-Lymphom oder
Nasopharynxkarzinom).

■ Aus Erregersicht ermöglichen sie die Persistenz in einer Wirtsgruppe (s.


Kasten).

16.5.1 Reaktivierung

359
Klinisch ist eine Reaktivierung besonders bei
Immunsupprimierten von Bedeutung
Zur Reaktivierung einer Infektion kann es bei Patienten mit Immunschwäche
kommen. Das ist klinisch besonders wichtig für Patienten, die infolge einer
chronischen Krankheit oder Infektion (AIDS), aufgrund von Tumoren (Leukämie,
Lymphome) oder nach Transplantation – also medizinisch induziert –
immunsupprimiert sind (Tab. 16.4).

Eine Reaktivierung kann aber auch in Lebensphasen wie Schwangerschaft oder im


höheren Alter auftreten, wenn die Abwehrlage von Natur aus eingeschränkt ist. Aus
Sicht der Erreger ermöglicht ihnen ein Anpassungsvorgang wie die Reaktivierung aus
der Latenz in solchen natürlichen Lebensphasen ein erneutes Wachstum, Vermehrung
und ihre Weiterverbreitung.

Die Reaktivierung einer Herpesvirusinfektion ist in Kap. 21 und 26 beschrieben. Wir


wissen noch sehr wenig über die Mechanismen auf molekularer Ebene, die zur
Reaktivierung führen – was angesichts unserer mangelnden Kenntnis über das
Latenzstadium nicht verwundert. Oft meint man, die Erreger würden im
Latenzstadium tief schlummern. Doch die Ergebnisse neuerer Versuche lassen einen
aktiveren Zustand vermuten. Um sich manifestieren zu können, muss M. tuberculosis
z.B. bestimmte Proteine bilden. Zur Reaktivierung latenter Erreger könnten sog.
resuscitation promoting factors (die Wiederbelebung fördernde Faktoren) nötig sein.

Es ist sinnvoll, zwei Reaktivierungsstadien zu


unterscheiden
Besonders rätselhaft ist das erste Ereignis (Stadium A der Reaktivierung), das dazu
führt, dass Viren ihre Aktivität in latent infizierten Zellen wieder aufnehmen (Abb.
16.12). Im Fall von HSV könnten Sinnesreize (Sonnenstrahlen auf der Haut), die das
Neuron erreichen, Fieber (als Begleiterscheinung einer anderen Infektion) oder
hormonelle Einflüsse stimulierend wirken.

Das zweite Ereignis (Stadium B) bezieht sich auf die Verbreitung und Replikation
eines reaktivierten Virus. Das HSV muss am sensorischen Axon entlang zu einer Stelle
der Haut oder Schleimhaut wandern, das Unterhautgewebe und das Epithel infizieren
und sich ausbreiten. Schließlich bildet sich ein prall mit Viren gefülltes Bläschen (über
1 Million infektiöser Einheiten pro Milliliter Flüssigkeit). Das dauert mindestens 3–4
Tage.

Stadium B ist weniger mysteriös als Stadium A und unterliegt der Kontrolle des
Immunsystems. Deshalb können Herpesbläschen mit einer schwachen lymphozytären
Reaktion auf HSV-Antigene oder Herpes zoster bei älteren Menschen mit einer
schwächeren zellvermittelten Immunreaktion (speziell auf VZV-Antigene) verbunden
sein.

Möglicherweise kommt Stadium A häufiger vor als Stadium B, weil der Prozess im
Stadium B von der Immunabwehr aufgehalten werden kann, ehe sich eine Läsion
(Herpesbläschen) bildet. Vermutlich verlaufen 10–20% der Episoden einer
Herpesreaktivierung ohne sichtbare Läsionen – mit einem Brennen, Kitzeln oder

360
Jucken der Stelle ohne sichtbare Herpesbläschen. Auch bei Herpes zoster können sich
Virusreaktivierung und -replikation in den sensorischen Neuronen auf Prodromi
beschränken, während die Abwehrkräfte ein Auftreten von Hautläsionen verhindern.

Tab. 16.3 Persistierende Infektionen, die sich direkt (über


Hautläsionen, Speichel oder Urin) oder indirekt auf dem Blutweg
(Hepatitis B, Malaria) ausbreiten.
(Mims et al.. Medizinische Mikrobiologie – Infektiologie, 2.A.. Elsevier GmbH, Urban &
Fischer Verlag).
<vbk:978-3-437-41272-1#t016003> CMV = Zytomegalievirus, EBV = Epstein-
Barr-Virus, HBV = Hepatitis-B-Virus, HSV = Herpes-simplex-Virus, HTLV =
humanes T-Zell-Leukämie-Virus, VZV = Varicella-Zoster-Virus

361
Abb. 16.10 Verlaufsmuster akuter und
persistierender Infektionen.

Manchmal (z.B. bei CMV, Tuberkulose) sind Persistenz der infektiösen Form und
echte Latenz nicht deutlich zu unterscheiden.HTLV-1 = humanes T-Zell-
Leukämievirus 1, PML = progressive multifokale Leukenzephalopathie, SSPE =
subakut sklerosierende Panenzephalitis

362
Geschichte der Mikrobiologie
Erregerpersistenz als Überlebensstrategie

Reine Persistenz – ohne Weiterverbreitung – der Erreger wie bei subakut-


sklerosierender Panenzephalitis oder progressiver multifokaler Leukenzephalopathie
(s. Kap. 24) ist für ihr Überleben unerheblich, doch wenn sie kontinuierlich oder
intermittierend ausgeschieden werden, hat das offensichtlich Vorteile. Das gilt
besonders, wenn die Wirtsspezies aus kleinen isolierten Gruppen von Individuen
besteht (Abb. 16.11).

Normalerweise sind Masern keine persistierende Infektion. Das Virus kann nicht
lange außerhalb des Körpers überleben, es infiziert nur Menschen und hat keine
Ausweichmöglichkeit (z.B. Tierreservoire, auf die es sich zurückziehen könnte).
Gäbe es nicht ständig neu zu infizierende Menschen, wäre das Masernvirus bald
ausgestorben. Daher müssen jeweils einige Menschen zu jeder Zeit infiziert sein.
Untersuchungen an Inselbevölkerungen haben ergeben, dass mindestens 500000
Menschen notwendig sind, um die Masern zu erhalten (ohne Neuinfektion von
außen). In der Steinzeit (Paläolithikum), als die Menschen noch in kleinen isolierten
Gruppen lebten, kann es Masern in der heutigen Form nicht gegeben haben.

Persistierende und latente Infektionen sind dagegen hervorragend für den


Fortbestand unter diesen Umständen geeignet. Das Varicella-Zoster-Virus (VZV)
kann sich selbst in kleinen Gruppen von weniger als tausend Menschen halten:
Zuerst erkranken Kinder an Windpocken, dann persistiert das Virus in latenter Form
in sensorischen Neuronen und verursacht bei seiner Reaktivierung im
Erwachsenenalter einen Herpes zoster. Zu der Zeit ist bereits eine neue Generation
noch nicht infizierter Individuen herangewachsen, für die der Bläschenausschlag des
Zosters eine Infektionsquelle darstellt.

Wie serologische Untersuchungen ergaben, treten in den kleinen, völlig


abgeschieden lebenden Indiogruppen im Amazonasgebiet überwiegend
persistierende oder latente (z.B. durch Adeno-, Polyoma-, Papilloma-, Herpesviren)
statt akuter Virusinfektionen (durch Influenza-, Masern-, Poliovirus) auf.

363
Abb. 16.11 Persistenz als Überlebenstrategie von
Infektionserregern.

Das trifft auch für nichtvirale Infektionen zu. In kleineren Bevölkerungsgruppen


verlaufen sie persistierend bzw. latent (Typhus, Lungentuberkulose), oder es gibt
ein Tierreservoir, in dem sich die Erreger halten können.

364
Tab. 16.4 Reaktivierung persistierender Infektionen.
*
von dort aus findet keine Weiterverbreitung statt
**
früher: P. carinii
PML = progressive multifokale Leukenzephalopathie

365
Abb. 16.12 Die zwei Stadien der Reaktivierung einer
latenten Virusinfektion.

CMV = Zytomegalievirus

Mit Reaktivierung einer EBV- oder CMV-Infektion erscheint das Virus im Speichel
(EBV) oder Blut (CMV), bleibt aber im Allgemeinen asymptomatisch. Nur bei
immungeschwächten Menschen kann der Prozess bis zu einem klinischen
Krankheitsbild fortschreiten: Hepatitis oder Pneumonie im Fall von CMV, seltener
Haarzell-Leukoplakie durch EBV (s. Kap. 30).
Zusammenfassung
■ Erfolgreiche Parasiten haben sich Strategien zur Vermeidung von
Immunreaktionen des Wirts angeeignet. So können sie lange genug im Körper
bleiben, um eine Infektion zu etablieren. Einige halten sich zeitlich unbegrenzt im
Körper auf.

■ Zu ihren Vermeidungsstrategien gehören:

– Antigentarnung bzw. Verstecken vor dem Wirt (im Innern der Wirtszellen,
Infektion privilegierter/abgeschiedener Stellen);

– Antigenvariation (Änderung bei einzelnen Infizierten, z.B. Trypanosomen,


oder während der Ausbreitung in einer Wirtspopulation, z.B. Grippe-
/Influenzavirus);

– unmittelbare Einwirkung auf Immunzellen (HIV auf CD4+-T-Zellen) oder


Immunsignale (z.B. Bildung gefälschter Zytokinmoleküle);

– lokal begrenzte Störung der Immunabwehr (Bildung von IgA-Proteasen, Fc-


Rezeptoren).

■ Bei persistierender Infektion können sich Erreger ständig weiter vermehren


und andere infizieren (HIV, Hepatitis B).

■ Alternativ können sie bei persistierender Infektion in ein Latenzstadium


eintreten und sich erst bei späterer Reaktivierung erneut vermehren und andere
infizieren (Herpesviren).

FRAGEN

366
1 Könnte molekulares Mimikry lediglich ein biologischer Zufall sein?
Falls ja, wäre dies eher bei kurzen (4–5) oder langen (7–8)
Aminosäuresequenzen zu erwarten?

2 Warum sollte eine Antigenvariation besonders die (Außen-)


Oberflächenmoleküle eines Parasiten einbeziehen?

3 Verstehen Sie unter Latenz von Herpesviren, dass man

a) durch Kontakt mit Windpocken eine Gürtelrose oder

b) ein paar Wochen nach Kontakt mit einem Herpespatienten selbst


Herpesbläschen bekommt?

4 Unter welchen Umständen könnten Warzenviren in der Epidermis der


Immunabwehr ausgesetzt sein?
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

Alcami, A., Koszinowski, U.H.: Viral mechanisms of immune evasion. Trends


Microbiol 8 (2000) 410–418.

Fitzpatrick, D.R., Bielefeldt-Ohmann, H.: Mechanisms of herpesvirus immuno-


evasion. Microb Pathogen 10 (1991) 253–259.

Garcia-Blanco, M.A., Cullen, B.R.: Molecular basis of latency in pathogenic human


viruses. Science 254 (1991) 815–820.

Lower, R., Lower, J., Kurth, R.: The viruses in all of us: characteristics and
biological significance of human retrovirus sequences. Proc Natl Acad Sci USA 93
(1996) 5177–5184.

Maizels, R.M., Bundy, D.A.P., Selkirk, M.E. et al.: Immunologic modulation and
evasion by helminth parasites in human populations. Nature 365 (1993) 797–805.

Mocarski, E.S.: Immunomodulation by cytomegaloviruses: manipulative strategies


beyond evasion. Trends Microbiol 10 (2002) 332–339.

367
17 Pathologische Folgen von Infektionen
17.1 Direkt von Erregern verursachte Symptome 197

17.1.1 Wirkung und Wirkungsweise von Toxinen 200

17.1.2 Diarrhoe 200

17.2 Pathologische (Über-)Aktivierung der natürlichen Immunabwehr 202

17.3 Pathologische Folgen von Immunreaktionen 204

17.3.1 Typ-I-Hypersensitivitätsreaktionen 204

17.3.2 Typ-II-Hypersensitivitätsreaktionen 204

17.3.3 Typ-III-Hypersensitivitätsreaktionen 205

17.3.4 Typ-IV-Hypersensitivität 207

17.4 Hautausschlag 208

17.5 Viren und Malignome 208

17.6 Bakterien und Malignome 211


Zur Orientierung
Symptome können durch Erreger selbst oder Immunreaktionen des Wirts bedingt
sein

Symptome, die bald nach einer Infektion auftreten, sind meist unmittelbar auf den
Erreger oder seine Sekrete zurückzuführen. So kann ein intrazelluläres Virus den
Stoffwechsel der Zelle beeinträchtigen oder sie durch Lyse zerstören. Akute Symptome
einer bakteriellen Infektion werden dagegen meist durch freigesetzte Toxine oder
pathophysiologische Abläufe bei einer Entzündung ausgelöst.

Entzündliche (inflammatorische) Reaktionen sind ein wichtiger Schutzfaktor des Wirts,


weil die erhöhte Gefäßdurchlässigkeit entscheidend zur raschen Mobilisierung von
Neutrophilen und Serumbestandteilen (Komplement und Antikörper) beiträgt. An sich
sind Entzündungen gesunde Abwehrreaktionen, und daher ist interessant, dass virulente
Bakterien (z.B. Staphylokokken) sie in gewissem Umfang hemmen können.

Oft führt aber die Aktivierung von gewöhnlich protektiven Immunmechanismen auch
zu krankhaften Veränderungen. Daran beteiligt sind meist angeborenes und erworbenes
Immunsystem, gelegentlich auch nur eins von beiden (Abb. 17.1). Eine
Gewebeschädigung infolge adaptiver Immunreaktionen bezeichnet man als
„immunpathologisch“. Immunpathologische Veränderungen kommen besonders häufig
vor, wenn infektiöse Erkrankungen chronisch geworden sind (persistieren). Die
immunologischen Grundlagen einer Gewebeschädigung sind in Kap. 11 beschrieben.

Bestimmte Viren können Zellen auf Dauer maligne verändern. Beispiele sind unter
anderem HTLV-1 und -2, (Lymphome, Leukämien), das Epstein-Barr-Virus
(Nasopharynxkarzinom und Burkitt-Lymphom), humane Papillomaviren

368
(Zervixkarzinom) und das Hepatitis-B-Virus (hepatozelluläres Karzinom).
Möglicherweise sind weitere Kofaktoren beteiligt.

17.1 Direkt von Erregern verursachte Symptome

Unmittelbare Auswirkungen hat eine Zellruptur


(Zytolyse), eine Okklusion (Organverschluss) oder
mechanischer Druck
Erreger, die sich intrazellulär vermehren, müssen die Zellen gewöhnlich zerstören
(Zytolyse), um sich anschließend verbreiten zu können. So verhalten sich z.B. viele
Viren, einige intrazelluläre Bakterien und Protozoen (Tab. 17.1). Man weiß aber, dass es
andere Mechanismen gibt, wie z.B. Viren und Bakterien, die latent bleiben (z.B.
Herpes-simplex- und Varizella-zoster-Virus in Nervenganglien, Mycobacterium
tuberculosis in Makrophagen), oder das Ausknospen (budding) vieler Viren aus Zellen,
ohne sie dabei zu zerstören. Einfluss hat vermutlich auch die Art der infizierten Zellen
(T-Zellen werden durch HIV lysiert, während es in Makrophagen persistiert). Andere
direkte Effekte sind:

■ Verstopfung größerer Hohlorgane durch Würmer,

■ Verschluss von Lungenalveolen durch dichtes Wachstum, z.B. von


Pneumocystis,

■ mechanischer Druck großer (Hydatiden-)Zysten.

Schwere Gewebeschäden sind meist durch Exotoxine


verursacht (vor allem bei bakteriellen Infektionen)
Parasiten können Exotoxine ausscheiden (Tab. 17.2). In einigen Fällen dient ihnen das
eindeutig als Mittel, um in Wirtszellen einzudringen, sich im Körper auszubreiten oder
vor der Abwehr zu schützen; manchmal scheint es den Erregern selbst aber kaum oder
nur wenig zu nützen.

Die meisten Exotoxine sind Proteine und werden oft nicht von der bakteriellen DNA,
sondern von Genen auf Plasmiden (z.B. Escherichia coli) oder Bakteriophagen (z.B.
Botulismus, Diphtherie, Scharlach) kodiert. Manchmal bestehen sie aus zwei oder mehr
Untereinheiten, von denen eine für die Zellbindung und das Eindringen sorgt, während
die andere bestimmte Zellfunktionen einschalten oder hemmen kann.
Abb. 17.1 Allgemeines Schema pathologischer
Infektionsfolgen.

369
Infektiöse Parasiten können unmittelbarer Auslöser der Krankheit sein (oben) oder
sie indirekt durch eine Überaktivierung diverser Immunreaktionen verursachen (in
Bildmitte angeborene, unten erworbene Immunmechanismen).

IFN = Interferon, IL = Interleukin, Ma = Makrophage, PMN = polymorphkerniger


Leukozyt, TNF = Tumornekrosefaktor

Stark wirksame Toxine werden im Allgemeinen von extrazellulären Erregern


ausgeschieden. Intrazelluläre Erreger können es sich nicht leisten, Zellen, in denen sie
sich vermehren, zu früh oder zu schwer zu schädigen. Daher stehen Toxine
intrazellulärer Erreger (wie Mykobakterien, Chlamydien oder Mykoplasmen) weniger
im Vordergrund der Symptomatik. Lepra-lepromatosa-Patienten müssen z.B. jahrelang
trotz immenser Bakterienlast kein Anzeichen von Toxizität aufweisen.

Auch wenn viele Toxine für die Wirtszellen tödlich sein können, sind sie in niedriger
Konzentration wichtig, um Immunzellen oder Phagozyten funktionell einzuschränken.
Streptolysin-Konzentrationen knapp unter dem für Zellen tödlichen Grenzwert hemmen
z.B. die Leukozyten-Chemotaxis, und Entero- oder Epidermolyse-Toxine der
Staphylokokken wirken selbst in niedrigsten Konzentrationen (Nano- bis
Pikogrammbereich) noch immunmodulierend.

370
Tab. 17.1 Infizierte Gewebe können von Erregern direkt geschädigt
oder zerstört werden; das trifft besonders häufig auf zytopathische
Viren zu.

371
Tab. 17.2 Wichtige Exotoxine und Krankheit.
*
bei Truthähnen und Schweinen durch Erdnüsse im Futter, die mit A. fumigatus
kontaminiert waren; bei Menschen bisher noch nicht nachgewiesen
SSS = Scalded Skin Syndrome (Syndrom der verbrühten Haut), TSS = Toxic
Shock Syndrome, TSST-1 = Toxic-Shock-Syndrom-Toxin

Gewinnung von Impfstoffen durch Inaktivierung von


Toxinen (bei unveränderter Antigenität)
Toxine lassen sich oft (z.B. mit Formaldehyd) inaktivieren, ohne ihre Antigenwirkung
zu verändern. Das Ergebnis sind Toxoidimpfstoffe wie die klassischen Impfstoffe
gegen Diphtherie und Tetanus, die zu den erfolgreichsten überhaupt gehören (s. Kap.
34). Im Allgemeinen ist die Struktur der Toxine stärker konserviert als die
Oberflächenantigene der Mikroorganismen, die sie sezernieren. Das bewirkt eine
stärkere Kreuzimmunität und erklärt auch, weshalb man z.B. nur einmal im Leben

372
Scharlach (durch Streptokokken-Erythrotoxin) bekommt, während
Streptokokkeninfektionen unbegrenzt häufig wiederkehren können.

Ein interessanter Nebenaspekt der Toxine mit zwei Untereinheiten besteht darin, dass
sich ihre Spezifität für bestimmte Zellarten ändern kann, wenn sich die Spezifität des
für die Adhäsion zuständigen Teils umwandelt. Ein Beispiel ist Ricin: Die Untereinheit
A dieses pflanzlichen Toxins kann durch Bindung an einen monoklonalen Antikörper zu
einem Zellgift für spezifische Tumorzellen werden.

17.1.1 Wirkung und Wirkungsweise von Toxinen


Diese Aspekte lassen sich unter fünf Überschriften zusammenfassen (Abb. 17.2).

Bakterien bilden Enzyme, um zu überleben oder ihre


Verbreitung zu fördern
Eine Reihe von Bakterien setzen Enzyme frei, die das Wirtsgewebe oder
Interzellularsubstanz schädigen, so dass sich die Infektion ungehindert ausbreiten
kann. Solche Enzyme sind z.B. Hyaluronidase, Kollagenase, DNase und
Streptokinase. Eine von Staphylokokken freigesetzte Koagulase bewirkt, dass sich
eine schützende Fibrinschicht auf und um Zellen legt und sie lokalisiert.

Toxine, die Zellen schädigen oder zerstören, sind als


Hämolysine bekannt
Zellmembranen können geschädigt werden entweder enzymatisch (durch
Lecithinasen oder Phospholipasen) oder indem porenbildende Moleküle die intakte
Zellwand durchlässig machen. Der Sammelbegriff für diese Toxine lautet
„Hämolysine“, obwohl sie nicht nur rote Blutkörperchen angreifen. Porenbildende
Toxine werden z.B. von Staphylo- und Streptokokken produziert, während
Pseudomonaden enzymatische Hämolysine freisetzen.

Nach dem Eindringen in Zellen können Toxine in den


Zellstoffwechsel eingreifen
Kennzeichnend für diese Toxine sind ihre zwei Untereinheiten. Aktiver Bestandteil ist
die Untereinheit A, für die Bindung an Zellrezeptoren ist die Untereinheit B nötig.
Kommt eine Rezeptorbindung zustande, wird der gesamte Toxin-Rezeptor-Komplex
oder nur Untereinheit A endozytotisch in die Zelle aufgenommen und aktiv. Zwei gut
untersuchte Beispiele für diese Art von Toxinen sind das Diphtherie- (s. Kap. 18) und
das Choleratoxin.

Diphtherietoxin hemmt die Proteinsynthese


Das von n-Genen der Bakteriophagen als einzelnes Polypeptid gebildete
Diphtherietoxin dockt mit seiner Untereinheit B an Zielzellen an (Abb. 17.2). Nach
teilweiser Aufspaltung des Polypeptids wird der gesamte Toxin-Rezeptor-Komplex in
die Zelle aufgenommen. Dort spaltet sich die Untereinheit A ab und geht ins Zytosol

373
über, wo sie während der Translation von mRNA durch die Ribosomen verhindert,
dass von der Transfer-RNA Aminosäuren an die Polypeptidkette übertragen werden.
Durch die von der Untereinheit A katalysierte Bindung von Adenosindiphosphat-
Ribose an das Elongationsprotein (ADP-Ribosylierung) wird die Proteinsynthese
nachhaltig blockiert.

Choleratoxin führt zum massiven Wasserverlust aus


Darmepithelzellen
Choleratoxin ist ein Komplex aus fünf B-Untereinheiten, die sich um eine A-
Untereinheit gruppieren. A ist in zwei Fragmente (A1 und A2) aufgespalten, die durch
Disulfidbrücken zusammengehalten werden. Nach Bindung der B-Untereinheiten an
Gangliosidrezeptoren der Darmepithelzellen wird die Untereinheit A internalisiert (in
die Zellen aufgenommen) und die A-Fragmente lösen sich voneinander (Abb. 17.2).

Weil A1 ein Regulatormolekül, das an der Steuerung der cAMP-Produktion


(zyklisches Adenosinmonophosphat) beteiligt ist, ADP-ribosyliert, kann die
Produktion nicht mehr abgeschaltet werden. Infolge der erhöhten cAMP-
Konzentration in den Zellen ändert sich der Natrium-/Chlorid-Zustrom über die
Zellmembran, und es kommt zu einem massiven Wasser- und Elektrolytverlust der
Zellen. Das ist die Erklärung für die profusen Durchfälle bei Cholera. Ähnlich wirken
die Exotoxine von Escherichia coli und Salmonellen, aber auch das Pertussistoxin.

Tetanus- und Botulinustoxin wirken sich am stärksten


auf Nerven/die Reizleitung aus
Ein Gramm Botulinustoxin würde reichen, um 10 Millionen Menschen zu töten!
Tetanus- und Botulinustoxin weisen die charakteristische Struktur aus A- und B-
Untereinheiten auf. Ihre Untereinheit B bindet an die Gangliosidrezeptoren von
Nervenzellen. Die Untereinheit A des Tetanustoxins wird nach Internalisierung
(Aufnahme in die Zelle) durch axonalen Transport zum ZNS befördert, wo sie die
Neurotransmitter-Freisetzung hemmt und so die synaptische Übertragung in
inhibitorischen Neuronen stört. Das führt zu einer ständigen Stimulation motorischer
Neurone durch exzitatorische Neurotransmitter – mit der Folge einer spastischen
Paralyse. Botulinustoxin gelangt aus dem Dünndarm in den Körper. Nachdem es der
Ausscheidung entgangen ist und die Darmwand durchquert hat, befällt es die Enden
peripherer Nerven im Bereich der neuromuskulären Übergänge. Da es die
präsynaptische Freisetzung von Acetylcholin blockiert, werden Muskelkontraktionen
verhindert – mit der Folge einer schlaffen Paralyse.

17.1.2 Diarrhoe

Diarrhoe ist fast immer Folge einer Darminfektion


Weltweit gehören Diarrhoen zu den Haupttodesursachen bei Kindern (s. Kap. 22).
Man kann Durchfall als Mittel sehen,

■ mit dem der Wirt möglichst rasch infektiöse Erreger loszuwerden versucht,

374
■ mit dem sich Erreger auf andere Wirte ausbreiten.
Abb. 17.2 Wirkungsweise einiger Exotoxine.

Bakterientoxine wirken ganz unterschiedlich. Oft bestehen die Toxinmoleküle aus


zwei Ketten (eine ermöglicht das Eindringen in Zellen, die andere hemmt vitale
Zellfunktionen). ACh = Acetylcholin, cAMP = zyklisches
Adenosinmonophosphat, C. = Corynebacterium, Cl. = Clostridium, Staph. =
Staphylococcus, V. = Vibrio

Diarrhoen sind zwar kennzeichnend für ein breites Infektionsspektrum, doch in den
wenigsten Fällen versteht man den genauen Zusammenhang. Während sie häufig
durch Toxine (Cholera, Shigellen) ausgelöst werden, sind möglicherweise auch
Erregerinvasion und Schäden der Epithelzellen ausschlaggebend. In einigen Fällen
liefern Enterozytenverluste oder Veränderungen im Elektronentransport eine plausible
pathophysiologische Erklärung.

375
Viele Keime, die eine Diarrhoe verursachen, nimmt man mit der Nahrung auf. Der
Begriff Lebensmittelvergiftung sollte jedoch nur den Fällen vorbehalten bleiben, in
denen von Anfang an Toxine in der Nahrung waren und nicht erst im Darm gebildet
wurden. Wie nicht anders zu erwarten, treten die Symptome einer
Lebensmittelvergiftung früh – d.h. innerhalb weniger Stunden nach Exposition – statt
erst Tage danach auf (Tab. 17.3).

Tab. 17.3 Infektiöse Ursachen von Diarrhoen (weltweit


Hauptursache der Säuglingssterblichkeit)

17.2 Pathologische (Über-)Aktivierung der natürlichen


Immunabwehr

Überaktivierung kann Wirtsgewebe schädigen


Die in Kap. 14 beschriebenen natürlichen Immunmechanismen verfügen trotz ihrer
starken Wirkung über eine eingebaute Sicherung in Form ihrer Spezifität. Da sie sich im
ständigen Beisein von Wirtsantigenen entwickeln, reagieren sie auf Eigen-Antigene
nicht mehr. Allerdings sind sie mengenmäßig nicht besonders gut kontrolliert und so

376
kommt es immer wieder vor, dass sie überaktiv nicht nur eingedrungene Parasiten,
sondern auch harmloses Wirtsgewebe schädigen. Als Ausdruck der natürlichen
Immunität ist eine Entzündung in gewissem Ausmaß normal, doch sie kann auch
stärker ausfallen und das Gewebe schädigen. Dabei spielen Komplement,
polymorphkernige Leukozyten (PMN) und Tumornekrosefaktor (TNF) eine wichtige
Rolle.

Mikrobielle Endotoxine, die das Immunsystem aktivieren und zur Zytokinbildung


führen, haben unüberschaubar vielfältige biologische Wirkungen (Abb. 17.3). Klinisch
können sie für einen septischen Schock verantwortlich sein.

Endotoxine sind typischerweise Lipopolysaccharide


Die Funktion und Wirkungsweise der Endotoxine (von Bakterien und anderen
Mikroorganismen) unterscheidet sich grundlegend von derjenigen der Exotoxine.
Anders als Exotoxine sind die Endotoxine integraler Bestandteil der
Bakterienzellwand und werden normalerweise nur freigesetzt, wenn Zellen absterben.
Endotoxine sind vor allem kennzeichnend für Gram-negative Bakterien. Ein typisches
Lipopolysaccharid-Endotoxin besteht aus:

■ einem Lipidanteil (Lipid A), der in die Zellwand eingebaut wird und
größtenteils für die toxische Wirkung verantwortlich ist,

■ einem stabilen Kern-(Core-)Polysaccharid,

■ einem hoch variablen O-Polysaccharid, das unterschiedliche Serotypen (ein


Merkmal von Salmonellen oder Shigellen) determiniert.

Lipopolysaccharide (LPS) stimulieren eine außerordentliche Bandbreite von


Wirtsreaktionen – bzw. hat sich als Reaktion auf LPS ein breites Spektrum an
Wirtsreaktionen entwickelt. Um es mit Lewis Thomas zu sagen: „When we sense
lipopolysaccharide, we are likely to turn on every defence at our disposal“ [Wenn wir
LPS bemerken, schalten wir wahrscheinlich alle verfügbaren Abwehrmechanismen ein]
(Abb. 17.3). Offensichtlich muss der Körper eingedrungene Gram-negative Bakterien
im frühestmöglichen Stadium registrieren können.

Klinisch wichtige Auswirkungen von LPS sind:

■ Fieber

■ Kreislaufkollaps oder Schock

Wie schon in Kap. 14 erwähnt, kann Fieber dem Wirt und/oder Parasiten nützen. Fieber
wird derzeit hauptsächlich auf zwei Zytokine – Interleukin 1 (IL-1) und
Tumornekrosefaktor (TNF) – mit Einfluss auf den Hypothalamus zurückgeführt. Beide
werden von Makrophagen als Reaktion auf LPS (und entsprechende Substanzen anderer
Erreger, s. unten) gebildet.

Ein Endotoxinschock hängt meist mit der systemischen


Ausbreitung von Erregern zusammen

377
Das bekannteste Beispiel eines Endotoxin- (oder septischen) Schocks ist die Septikämie
durch Gram-negative Bakterien wie E. coli oder Neisseria meningitidis. Allerdings
setzen auch andere Mikroorganismen Stoffe frei, die wenigstens teilweise wie LPS
wirken, indem sie die TNFα- und/oder IL-1-Produktion stimulieren (Tab. 17.4), obwohl
sie strukturell nur entfernt verwandt sind.

Verantwortlich für das „Toxic-Shock-Syndrom“ junger Frauen nach einer genitalen


Staphylokokkeninfektion ist das Toxic-Shock-Syndrom-Toxin (TSST-1), ein
Superantigen, das einen großen Prozentsatz (bis zu einem Fünftel)der T-Zellen
aktivieren kann (s. Kap. 16). Möglicherweise reichen für die toxische Wirkung allein
schon die Zytokine aus, die von dieser enormen Anzahl aktivierter T-Zellen gebildet
werden.
Abb. 17.3 Vielfältige Wirkung bakterieller
Endotoxine.

Da Lipopolysaccharide (LPS) so gut wie alle Immunmechanismen und die


Gerinnungskaskade aktivieren, zählen sie zu den stärksten bekannten Immunstimuli.
DIC = disseminierte intravasale Gerinnung, IFN = Interferon, IL = Interleukin, Ma =
Makrophage, PMN = polymorphkerniger Leukozyt, TNF = Tumornekrosefaktor

Ein septischer Schock ist ein komplexes Phänomen, an dem auch andere bakterielle
Substanzen (z.B. Peptidoglykane) beteiligt sein könnten. Bei Streptokokken sind z.B.
pyrogene (erythrogene) Exotoxine verantwortlich.

Die Mitwirkung von Zytokinen an der Pathogenese des Schocks ist keineswegs nur rein
akademisch, sondern auch für die Behandlung von Belang. So könnte man mit
Antagonisten (z.B. monoklonalen Antikörpern oder Inhibitoren) einer kleineren Anzahl
von Zytokinen behandeln statt mit Antikörpern gegen die Toxine selbst, die große
antigene Unterschiede aufweisen (ausführlicher dazu s. Kap. 33).

378
Von den Zytokinen scheint derzeit TNF am engsten mit
einer Erkrankung verbunden zu sein
Bei Patienten mit Meningokokkensepsis oder mit Malaria (durch Plasmodium
falciparum) sind erhöhte TNFα-Serumkonzentrationen nachweislich mit der Schwere
der Erkrankung korreliert. Tierversuche deuten aber darauf hin, dass TNFα in dem Fall
seine volle Wirkung nur durch synergistische Effekte mit anderen Zytokinen (IL-1 oder
γ-Interferon/IFNγ) entfalten kann.

Unabhängig voneinander können sich die TNFα-Spiegel im Blut und Liquor bei
Meningokokkeninfektionen verändern (bei Septikämie Anstieg im Blut, bei Meningitis
im Liquor). Daher kann die Bildung und/oder Wirkung von TNFα anscheinend auf ein
bestimmtes Körperkompartiment beschränkt bleiben.

An gewebeschädigenden Reaktionen ist zum Teil auch


Komplement beteiligt
Die Komplementaktivierung ist (lebens)wichtig für die Abwehr von Bakterien, Viren
und Protozoen (s. Kap. 14). Allerdings kann Komplement – gemeinsam mit Antikörpern
und polymorphkernigen Leukozyten (PMN) – auch an Immunreaktionen beteiligt sein,
die Gewebe schädigen (z.B. Immunkomplexkrankheit). Über die Generierung der
chemotaktischen Komplementfaktoren C3a und C5a spielt es auch bei akut
entzündlichen Reaktionen eine wichtige Rolle (s. Kap. 9).

Eine direkte Komplementaktivierung durch LPS könnte insofern zum Endotoxinschock


beitragen, als bei toxischen (LPS-)Mengen der Spiegel von Komplementfaktoren wie
C3 deutlich sinkt. An dieser Reaktion scheinen sowohl der klassische wie der alternative
Weg der Komplementaktivierung (durch den Lipid- bzw. Polysaccharid-Anteil der LPS)
beteiligt zu sein. Während vermehrt C3a und C5a gebildet werden, nimmt die
Leukozytenzahl häufig stark ab (bedingt durch Zellaggregation, Adhäsion an
Gefäßwänden und Aktivierung zur oxidativen und nichtoxidativen Freisetzung toxischer
Moleküle). Wenn davon pulmonale Kapillargefäße betroffen sind, kann ein schweres
Lungenödem – das Atemnotsyndrom des Erwachsenen („adult respiratory distress
syndrome“, ARDS) – die Folge sein.

379
Tab. 17.4 Wichtige Endotoxine und funktionell ähnliche Stoffe.
IL = Interleukin, TNF = Tumornekrosefaktor, TSST-1 = Toxic-Shock-Syndrom-
Toxin

Gerinnungsstörungen (DIC) als Merkmal bakterieller


Septikämien sind selten, aber ernst zu nehmen
Die disseminierte intravasale Koagulation (DIC) kann sowohl Zeichen einer
bakteriellen (z.B. Meningokokken-) Septikämie sein als auch Virusinfektionen wie
das Ebola-Fieber begleiten (s. Kap. 28). Umstritten ist aber, in welchem Maße
Immunkomplexe, Plättchen und die direkte Aktivierung der Gerinnungskaskade (unter
dem Einfluss der LPS auf den Hageman-Faktor) dazu beitragen. Während die
hämorrhagischen Symptome bei Gelbfieber vermutlich auf einer Gerinnungsstörung
(Koagulopathie) infolge der ausgedehnten Leberschädigung beruhen, könnte ihnen beim
(hämorrhagischen) Dengue-Fieber eine Immunkomplexablagerung in Blutgefäßen
zugrunde liegen. Doch bei all diesen hämorrhagischen Syndromen sollte auch die Rolle
der Zytokine (z.B. TNF) berücksichtigt werden.

Mastzelldegranulation (als Reaktion auf LPS) ist meist


Folge der IgE-Antikörperbildung
Werden Mastzellen direkt aktiviert, wie es z.B. einige Insektengifte können, spricht man
dagegen von „anaphylaktoider“ Reaktion.

380
17.3 Pathologische Folgen von Immunreaktionen

Überschießende Reaktionen des Immunsystems


werden als „Überempfindlichkeit“ (Hypersensitivität)
bezeichnet
Wie die erhöhte Infektanfälligkeit immungeschwächter Patienten zeigt (s. Kap. 30), sind
adaptive Immunreaktionen ein wichtiger Schutz vor Infektionen. Lymphozyten-
/zellvermittelte Reaktionen wirken hauptsächlich über eine gezielte Beeinflussung oder
Verstärkung unspezifischer Effektormechanismen antimikrobiell (s. Kap. 10). Das kann
allerdings auch die oben geschilderten pathologischen Effekte verstärken. Wenn sich die
Hypersensitivität gewebeschädigend auswirkt, spricht man von Immunpathologie. Nach
der Klassifikation von Coombs und Gell aus dem Jahre 1958 werden, entsprechend dem
Immunmechanismus, der einer Gewebeschädigung zugrunde liegt, vier Typen von
Hypersensitivitätsreaktionen unterschieden.

Alle vier Typen von Überempfindlichkeitsreaktionen


können sowohl mikrobiell verursacht sein als auch
andere Ursachen haben
Einige der schwersten Hypersensitivitätsreaktionen sind bakteriellen Ursprungs (Tab.
17.5). Auch wenn verschiedene Arten von Erregern beteiligt sein können, ist es ein
gemeinsames Merkmal dieser lang anhaltenden Infektionen, dass es kontinuierlich oder
wiederholt zur Antigenstimulation kommt.

17.3.1 Typ-I-Hypersensitivitätsreaktionen

Allergische Reaktionen sind ein Kennzeichen von


Wurminfektionen
Besonders dramatisch fällt die allergische (Typ-I-)Reaktion nach einer
Hydatidenzysten-Ruptur aus. Langsam austretende Wurmantigene sorgen für eine
Sensibilisierung der Mastzellen des Patienten mit spezifischem IgE, und wenn es dann
bei der Ruptur zu einem massiven Anfluten der Antigene kommt, kann das zu einer
akuten, tödlichen Anaphylaxie mit Kreislaufkollaps und Lungenödem führen. Selbst
die geringen Antigenmengen, wie für diagnostische Hauttests verwendet werden,
können das bewirken, wenn auch nur selten.

Mit hohen IgE-Konzentrationen verbunden ist auch ein Wurmbefall mit Askariden. In
diesem Fall kommt es hauptsächlich zu respiratorischen Symptomen mit
Eosinophileninfiltraten und Asthmaanfällen (bei der Passage des Parasiten durch die
Lunge). Kennzeichen von Helmintheninfektionen ist der juckende Ausschlag, wenn
Würmer z.B. in der Haut absterben. Es könnte sich auch um eine Typ-I-Reaktion
handeln, wie z.B. bei der „Schwimmerkrätze“ durch Kontaktinfektion mit Tier- oder
Vogel-Schistosomen.

381
Weshalb allergische Reaktionen typisch für Wurminfektionen sind, ist nicht wirklich
geklärt; es könnte aber mit bestimmten Antigenmerkmalen zusammenhängen. Zudem
wird vermutet, dass IgE eine Rolle beim Schutz vor Würmern haben könnte. Das
wäre zu wünschen, denn in jeder anderen Hinsicht scheint diese Antikörperklasse nur
überflüssig zu sein.

17.3.2 Typ-II-Hypersensitivitätsreaktionen

Typ-II-Reaktionen sind durch Antikörper gegen


Erreger oder durch Autoantikörper bedingt
Streng genommen werden Typ-II-Reaktionen durch Antikörper (meist IgE) vermittelt,
die intra- (nach Phagozytose) oder extrazellulär zytotoxisch wirken. Wenn sich
Antikörper an Zellen gebunden haben und Komplement aktiviert wird, kommt es zur
Lyse der Zellen. Zytotoxische T-Zellen werden unter Typ-IV-Reaktionen besprochen.

Zwischen Antikörpern gegen Infektionserreger und Autoantikörpern besteht ein


wichtiger Unterschied: Erstere töten Wirtszellen ab, weil sie Fremdantigene
präsentieren, letztere binden sich an unveränderte Wirtsantigene. Bei einer Infektion
kommen beide Reaktionen vor (Tab. 17.5). Im letzteren Fall stellt sich die Frage,
warum bei einer Infektion Autoantikörper gebildet werden. Es wurden mehrere
Erklärungen vorgeschlagen, doch über Autoimmunität wird insgesamt noch sehr
kontrovers diskutiert.

382
Tab. 17.5 Durch Mikroorganismen bedingte
Überempfindlichkeitsreaktionen.
PMN = polymorphkernige Leukozyten

383
Bei Malaria im Blutstadium heften sich die Antigene
an Wirtszellen
Es konnte nachgewiesen werden, dass die hämolytische Anämie im Blutstadium der
Malaria nicht – wie zunächst vermutet – durch Autoantikörper bedingt ist, sondern
durch Antikörper gegen ein Parasitenantigen, das von roten Blutkörperchen
aufgenommen wurde. In einigen Fällen könnte sich ein Antigen-Antikörper-Komplex
an die Zellen binden. Eine ähnliche Reaktion („Schwarzwasserfieber“) kann nach
einer Malariabehandlung mit Chinin auftreten.

Antimyokardiale Antikörper sind der klassische, durch


Infektion (β -hämolysierende Streptokokken der
Gruppe A) getriggerte Autoantikörper-Typ
Diese Reaktion lässt sich auf ein kreuzreagierendes Kohlenhydrat-Antigen
zurückführen, das sowohl auf dem Myokard wie auch auf Bakterien vorhanden ist.
Seitdem mehr Proteinsequenzen verglichen werden können, treten allerdings
zahlreiche ähnliche Beispiele zutage; vielleicht liegt sogar vielen Erkrankungen
(bisher) unbekannter Ursache eine Kreuzreaktion zwischen mikrobiellen und
Wirtsantigenen zugrunde. Ob sich das Mimikry von Wirtsantigenen für
Mikroorganismen lohnt, wird in Kap. 16 diskutiert.

17.3.3 Typ-III-Hypersensitivitätsreaktionen

In Geweben oder Blutgefäßen abgelagerte


Immunkomplexe verursachen Krankheiten
Bilden sich Immunkomplexe, können sie zur Phagozytose und Antigenbeseitigung,
aber auch zur Komplementaktivierung führen. Komplikationen treten auf, wenn sich
Immunkomplexe, die den Phagozyten des retikuloendothelialen Systems entgangen
sind, im Gewebe oder in Blutgefäßen ablagern und Komplement und Neutrophile
anlocken. Durch Freisetzung lysosomaler Enzyme kommt es dann zu einer lokalen
Schädigung; besonders schwer können davon kleine Gefäße, vor allem in den
Nierenglomeruli, betroffen sein.

Die Immunkomplexkrankheit ist Hauptursache der akuten und chronischen


Glomerulonephritis – in den meisten Fällen vermutlich Folge einer Infektion. Es gibt
auch eine wichtige Gruppe von Erkrankungen durch Autoantigen-Autoantikörper-
Komplexe (z.B. DNA-Anti-DNA bei systemischem Lupus erythematodes), doch
selbst die könnten letztlich Folge einer viralen Infektion sein.

Wie die meisten immunpathologischen Veränderungen ist die


Immunkomplexablagerung im Allgemeinen Kennzeichen einer chronischen
Infektion (z.B. Malaria). Dass ein anhaltender Antigenstimulus nicht die einzige
Voraussetzung sein kann, zeigt sich schon daran, dass sich die schwerste Form der
Nephropathie (bei Malaria quartana durch Plasmodium malariae) trotz erfolgreicher
Behandlung der Infektion progredient weiterentwickelt, während sich die

384
Nephropathie bei der malignen Malaria tropica (durch Plasmodium falciparum) nach
ausgeheilter Infektion bessert.

Als prädisponierende Faktoren kommen schwache (bezogen auf Menge oder


Affinität) Antikörperreaktion, bevorzugte Antigenbindung ans Gefäßendothel oder
Hemmung der normalen Phagozyten- oder Komplementfunktion (Beseitigung
zirkulierender Immunkomplexe) in Frage.

Eine akute Glomerulonephritis als schwere Komplikation einer


Streptokokkeninfektion (s. Kap. 18) kann wenigstens zum Teil auf der Ablagerung
von (Streptokokkenantigen enthaltenden) Immunkomplexen in den Glomeruli beruhen
(Abb. 17.5). Infolge der Infiltration (Polymorphkernige) und Veränderungen der
Basalmembran können Albumin oder sogar Erythrozyten in den Urin gelangen. Ein
paar Wochen nach Beendigung der Infektion tritt dann die (akute) Glomerulonephritis
auf. Bleiben Immunkomplexablagerungen längere Zeit bestehen (wie bei der Malaria-
Nephropathie), führt das Einzwängen von Mesangiumzellen mit der Fusion von
Fußfortsätzen (Podozyten) zu einem irreversiblen Funktionsverlust der Glomeruli
(chronische Glomerulonephritis).

Klassisches Beispiel für Immunkomplexablagerungen


im Gewebe sind Berufskrankheiten durch
Pilz(sporen)inhalation
Berühmt wurden Immunkomplexablagerungen im Gewebe durch die Arbeiten von
Arthus: Durch Antigeninjektion in die Haut von Tieren mit vorhandenen Antikörpern
(hauptsächlich IgG) kam es zur Thrombosierung kleiner Blutgefäße und zu
Gewebsnekrosen infolge der Leukozytendegranulation (Abb. 17.4).

Am besten untersucht sind vermutlich Krankheiten durch Pilz(sporen)inhalation im


Rahmen bestimmter Tätigkeiten/Berufe (z.B. Farmerlunge, Taubenzüchter-,
Ahornrindenschälerkrankheit), bei denen die chronische Entzündung zur Zerstörung
und Fibrosierung des Lungengewebes führen kann. „Extrinsische allergische
Alveolitis“ ist eine etwas unglücklich gewählte Bezeichnung für sie, da die klassische
IgE-vermittelte Form der Allergie offenbar gar nicht beteiligt ist.

385
Ein anderes bekanntes Beispiel ist die Serumkrankheit
Wenn sich nach wiederholter Injektion von Fremdprotein frei zirkulierende
Immunkomplexe in Nieren (Abb. 17.5), Haut oder Gelenken ablagern, kommt es zur
Serumkrankheit. Das passierte häufiger, als es noch keine Antibiotika gab und
infektiöse Erkrankungen noch passiv mit Serum behandelt wurden (s. Kap. 35). Die
Serumkrankheit kann aber auch als Komplikation einer monoklonalen
Antikörpertherapie (meist murine AK) auftreten. Dass dieser Behandlungsansatz bei
vielen Störungen zunehmend attraktiver wird, ist einer der Gründe, weshalb vermehrt
Anstrengungen unternommen werden, um weitgehend humane monoklonale
Antikörpermoleküle zu produzieren.
Abb. 17.4 Arthus-Reaktion.

Ins Gewebe eingedrungene Antigene (z.B. Pilzpartikel in der Lunge) bilden mit
Antikörpern, auf die sie dort treffen, Immunkomplexe. Diese bewirken eine
Komplementaktivierung und Chemotaxis polymorphkerniger Leukozyten (PMN).
Durch die entzündliche Reaktion infolge der Degranulation (Freisetzung des
Granulainhalts aus Leukozyten und Gewebsmastzellen) wird die von lysosomalen
Enzymen der PMN verursachte Schädigung noch weiter verstärkt.

386
Abb. 17.5 Glomerulonephritis aufgrund einer
Gewebeschädigung durch Immunkomplexe.

Typ-III-Hypersensitivität bewirkt eine Immunkomplexablagerung in


Gefäßwänden, besonders in Bereichen mit Hochdruck, Filterstationen oder
Strömungsturbulenzen wie in der Niere. PMN = polymorphkernige Leukozyten

17.3.4 Typ-IV-Hypersensitivität

Zellvermittelte Immunreaktionen zerstören


ausnahmslos Teile des Gewebes, häufig mit
bleibenden Schäden
Trotz der oben genannten Beispiele für Gewebeschäden durch Antikörperreaktionen
erfüllen Antikörper im Allgemeinen ihren Zweck (Beseitigung eingedrungener
Erreger), ohne dem Wirt im Geringsten zu schaden. Zellvermittelte (Typ-IV-
)Immunreaktionen sind nicht ganz so sicher, da die Aktivierung von T-Zellen und
Makrophagen ausnahmslos eine gewisse Gewebezerstörung mit sich bringt. Diese ist
reparabel, wenn sie nicht zu lange anhält, allerdings kann sie auch zu Fibrosierung
oder gar Kalzifizierung mit schwerem, irreversiblem Gewebeuntergang führen.

Für Verwirrung sorgt der unterschiedliche Gebrauch von Begriffen zur Beschreibung
bzw. Unterteilung der Typ-IV-Reaktionen. Einige beziehen sich auf konkrete
pathologische Veränderungen, andere auf Befunde diagnostischer Hauttests, aber
keiner gibt genau den Ablauf wieder, wie zellvermittelte Immunität vor Infektionen
schützen kann (Tab. 17.6).

Aus medizinischer Sicht ist Granulombildung die


wichtigste Typ-IV-Reaktion

387
Zellvermittelte Immunreaktionen auf (Erreger-)Antigene sind für die
Granulombildung verantwortlich, die bei Tuberkulose, tuberkulöser Lepra,
Lymphogranuloma inguinale und Toxokariasis eine wichtige Rolle spielt. In gewisser
Weise paradox wirkt sich die verzweigte Beteiligung der Zytokine an Typ-IV-
Reaktionen aus. Dass manche Granulome zur Nekrose (z.B. Verkäsung bei
Tuberkulose) neigen und andere nicht (z.B. bei Lepra, Sarkoidose), lässt sich durch
die unterschiedlichen Muster der beteiligten Zytokine erklären. Besonders hoch ist die
Gefahr einer Nekrose bei TNF (oft zusammen mit mikrobiellen Bestandteilen) –
wegen seiner Wirkung auf das Gefäßendothel (die möglicherweise auch seine
Antitumoraktivität erklärt).

Klinische Zeichen der Schistosomiasis beruhen auf der


zellvermittelten Immunität
Welcher Preis für den Schutz der zellvermittelten Immunität gezahlt werden muss,
lässt sich anhand der Schistosomiasis (Helmintheninfektion) besonders gut klar
machen. Die Eier von Schistosoma mansoni (Saugwürmer im Blutgefäßsystem)
werden in Mesenterialvenen abgelegt, dabei gelangen einige auch in kleine Gefäße der
Leberpforte. Von den Wurmeiern sezernierte Enzyme rufen eine starke zellvermittelte
Reaktion hervor: Um jedes Ei bilden sich Granulome, die es zerstören, um so das
Leberparenchym vor den toxischen Wirkungen dieser Enzyme zu schützen. Letztlich
führen Einschmelzung und Verkalkung der Granulome jedoch zur Leberzirrhose mit
Pfortaderhochdruck (portale Hypertonie), Ösophagusvarizen und Hämatemesis (s.
Kap. 22).

Tab. 17.6 Zellvermittelte Immunität kann Schutz vor Infektionen


oder Krankheit bedeuten.

388
Ein überraschender Effekt von Mangelernährung ist die rückläufige Inzidenz und
Schwere bestimmter Erkrankungen (z.B. Typhus, Malaria). Das könnte mit einer
verringerten Immunpathologie zusammenhängen, obwohl bei den meisten
Erkrankungen (z.B. Masern, Meningokokkeninfektion, Tuberkulose) eher das
Gegenteil zutrifft. Unterernährung scheint ein wichtiger prädisponierender Faktor für
viele schwere verbreitete Infektionen in tropischen Ländern zu sein.

17.4 Hautausschlag

Verschiedene Hautausschläge haben immunologische


Ursachen
Wie sich Infektionen auf die Haut auswirken können, wird in Kap. 26 näher
beschrieben. Doch dass bestimmte Ausschläge Immunreaktionen der Haut
widerspiegeln, sei schon an dieser Stelle erwähnt. Wenn Kinder mit T-Zell-Mangel (z.B.
Thymusaplasie oder DiGeorge-Syndrom) an Masern erkranken, entwickelt sich bei
ihnen nicht das typische Masernexanthem, sondern eine tödliche systemische Infektion.
Das weist darauf hin, dass die Hauterscheinungen Ausdruck einer schützenden T-Zell-
vermittelten Immunität sind. Werden Kinder mit T-Zell-Mangel mit Vaccinia-
Lebendimpfstoff geimpft, entwickeln sie dagegen einen sich unaufhaltsam weiter
ausbreitenden Ausschlag, der eindeutig eine direkte (und keine immunpathologische)
Folge der Impfung ist.

In Tab. 17.7 sind häufigere Hauterkrankungen aufgeführt, an deren immunologischen


Ursprung Infektionserreger beteiligt sein können (nähere Einzelheiten s. Kap. 26).

17.5 Viren und Malignome


Verschiedene RNA- und DNA-Viren können irreversible maligne Veränderungen von
Zellen bewirken (Tab. 17.8). Die maligne Transformation durch solche „Tumorviren“
ist ausgiebig untersucht. In Kap. 3 sind unter anderem Proviren und Onkogene (Gene, die
malignes Wachstum verursachen) aufgeführt. Allerdings ließ sich nur für eine kleine
Anzahl humaner Krebserkrankungen eine Assoziation zu Tumorviren wirklich
nachweisen (Tab. 17.9).

HTLV (humane T-Zell-Leukämieviren) sind mit


bestimmten Lymphomen und Leukämien assoziiert
HTLV-1 und -2 sind Retroviren ohne Onkogene (s. Kap. 3). In der DNA bestimmter
maligner Lymphom- und Leukämiezellen ist provirale DNA dieser Viren nachweisbar.
HTLV-1 ist als Auslöser der Erwachsenenform von T-Zell-Leukämie und Lymphomen
(besonders in Südjapan, auf den Karibikinseln und in Westafrika) bekannt.

Über die geografische Verbreitung von HTLV-2, das bei Haarzell-Leukämie isoliert
werden kann, weiß man weniger. HTLV-1 wirkt nicht kanzerogen, indem es ein
zelluläres Onkogen aktiviert, sondern weil sein tat-Gen-Produkt die Transkription von
Wirtsgenen verstärkt, die für die Zellteilung wichtig sind. Detaillierter werden diese
Infektionen in Kap. 26 beschrieben.

389
EBV (Epstein-Barr-Virus) ist mit dem
Nasopharynxkarzinom assoziiert
EBV ist eng mit der Entwicklung eines Nasopharynxkarzinoms (NPC) verbunden (s.
Kap. 18), das vor allem in Südchina und anderen Teilen Asiens sehr verbreitet (12–30
Fälle pro 100000 Einwohner pro Jahr) und in Teilen Nordafrikas etwas weniger häufig
ist; in anderen Teilen der Erde kommt es nur selten vor. Die Gründe für die geografisch
beschränkte Verteilung sind nicht bekannt.

Es gibt keine überzeugenden Anhaltspunkte für spezifisch krebserregende EBV-


Stämme, aber vielleicht beeinflussen lokale Kokarzinogene (z.B. Nitrosamine in
gepökeltem Fisch) die Wirkung. In Krebszellen lässt sich zwar EBV-DNA nachweisen,
doch wie die Kanzerogenese genau abläuft, ist nicht bekannt. Zelluläre Onkogene sind
offenbar nicht beteiligt.

390
Tab. 17.7 Bei Ausschlägen handelt es sich vielfach um
Immunreaktionen der Haut.

391
Tab. 17.8 Veränderungen an Zellen in Kultur aufgrund ihrer
malignen Transformation durch Tumorviren.
cAMP-Produktion
cAMP = zyklisches Adenosinmonophosphat

Bei Patienten mit hohem NPC-Risiko kommt es ein Jahr oder noch früher vor dem
Auftreten erster klinischer Symptome zu einem IgA-Titer-Anstieg gegen EBV-Kapsid-
Antigen.

EBV ist auch mit dem Burkitt-Lymphom assoziiert


Das Burkitt-Lymphom, ein Tumor unreifer B-Zellen, kommt bei 6- bis 14-jährigen
Kindern in Teilen Ostafrikas (z.B. Uganda) und in Papua-Neuguinea vor, bevorzugt bei
Jungen. In den Tumorzellen ist EBV-DNA vorhanden, doch von den zahlreichen EBV-
Gen-Kopien sind die meisten nicht in die Wirtszellen-DNA integriert.

Vermutlich ist die Einwirkung von EBV auf B-Zellen der Auslöser für die
Tumorentstehung; es veranlasst sie zur Proliferation und erhöht damit die
Wahrscheinlichkeit, dass zelluläre Onkogene aktiviert werden. Das zelluläre c-myc-
Onkogen wird nach Translokation vom Chromosom 8 zum Chromosom 14 am
Genlokus der Immunglobulin-Schwerkette exprimiert. Infolgedessen könnten B-Zellen
am Eintritt ins Ruhestadium gehindert werden. Da auch die Steuerung der Adhäsions-
und HLA (human leukocyte antigen)-Moleküle behindert wird (Downregulation),
können sich die EBV-infizierten Zellen, die normalerweise der Immunkontrolle
unterliegen, zu Tumorzellen entwickeln. Welche Rolle andere chromosomale
Veränderungen in Burkitt-Lymphom-Zellen bei der Tumorentwicklung spielen, ist
unklar.

392
Dass EBV-Infektionen weltweit verbreitet sind, während das Burkitt-Lymphom (wie das
Nasopharynxkarzinom)nur geografisch eng begrenzt vorkommt, weist wieder auf die
Beteiligung lokaler Kofaktoren, vielleicht chemischer oder infektiöser Kokarzinogene,
hin.

Tab. 17.9 Viren und Malignome.


EBV = Epstein-Barr-Virus, HBV/HCV = Hepatitis-B/C-Virus, HPV = humane
Papillomaviren, HTLV = humanes T-Zell-Leukämievirus, HSV = Herpes-simplex-
Virus

HIV scheint weder mit nicht-endemischen Burkitt-Lymphomen noch mit den


Lymphomen immunsuppremierter Patienten (z.B. nach Nierentransplantation)
vergesellschaftet zu sein. Anders verhält es sich mit HIV-assoziierten Lymphomen.
Bei etwa 3% der AIDS-Patienten entwickeln sich Non-Hodgkin-Lymphome, die zu 20%
im Gehirn lokalisiert sind. Allerdings fehlen stichhaltige Beweise, dass Hodgkin-
Lymphome durch EBV verursacht sein könnten.

393
Bestimmte HPV-Infektionen sind mit dem
Zervixkarzinom assoziiert
Zwischen Zervixkarzinomen und einer Infektion mit einigen der 77 Genotypen humaner
Papillomaviren (HPV, s. Kap. 3, 21 und 26) besteht eindeutig ein Zusammenhang; das
trifft für über 80% der Zervixkarzinome zu. Mit bestimmten HPV-Typen sind Penis-,
Vulva- und Rektumkarzinome assoziiert. Besonders hoch ist das Risiko durch HPV-
Typ 16 und 18. HPV-Typ 6 und 11 verursachen zwar auch zervikale Läsionen, doch das
Risiko einer malignen Progression ist in dem Fall niedriger.

In den meisten primären oder metastasierten Krebszellen liegt das HPV-Genom in


integrierter Form (d.h. im Wirtsgenom) vor und es kommt zur Transkription und
Translation bestimmter Virusgene (E6, E7). Die Integration kann an unterschiedlichen
chromosomalen Stellen erfolgen. Als offen lesbare Bezugsgrößen scheinen E6 und E7
an der Transformation und Aufrechterhaltung des transformierten Zustands von
Epithelzellen beteiligt zu sein; möglicherweise binden sie sich an Zellproteine, die für
die Steuerung des Zellzyklus zuständig sind und das Tumorwachstum unterdrücken
(Tumorsuppression), und legen sie dadurch lahm. Das Zervixkarzinom ist keine häufige
Folge einer HPV-Infektion, Kokarzinogene wie Zigarettenrauchen und Herpes (HSV)
scheinen assoziiert mit der Krebsentstehung zu sein.

HPV-Infektionen sind mit Hautkrebs


(Plattenepithelkarzinom) assoziiert
Möglicherweise wirkt ultraviolettes (UV-)Licht als Kokarzinogen, wie es bekanntlich
bei Schafen und Kühen mit Papillomavireninfektion und Hautkrebs der Fall ist. Die
seltene, autosomal-rezessive Epidermodysplasia verruciformis des Menschen wird
durch eine Infektion mit etwa 10–20 der weniger häufigen HPV-Typen ausgelöst, und
bei einem Drittel (35%) dieser Patienten entwickeln sich multiple
Plattenepithelkarzinome der Haut. In 90% ist die DNA von HPV-5 oder HPV-8 in den
Tumorzellen enthalten.

HPV könnten auch für die Genese von Hautkrebs bei immunsupprimierten Patienten
(z.B. Nierentransplantierten) eine Rolle spielen, die recht häufig Hautwarzen
bekommen. Allerdings gibt es keine Anhaltspunkte, dass der Hautkrebs von Gesunden
mit einer HPV-Infektion verbunden ist.

HBV und HCV sind Hauptursachen des


hepatozellulären Karzinoms
Bei Patienten mit hepatozellulärem Karzinom (HCC) sind Sequenzen des Hepatitis-B-
Virus (HBV) in die Tumorzellen integriert. Der genaue Mechanismus ist unklar, doch es
könnte sein, dass die integrierten HBV-Sequenzen zelluläre Onkogene (z.B. der myc-
Familie) aktivieren oder per Transkription die Wachstumskontrolle der Zellen
beeinflussen.

Das verbreitetere Vorkommen des HCC in bestimmten Teilen der Welt (z.B.
Westafrika) könnte mit Kokarzinogenen (z.B. Aflatoxinen) zusammenhängen.
Allerdings verursacht das eng verwandte Hepadnavirus bei Waldmurmeltieren auch

394
ohne Kokarzinogene ein Leberzellkarzinom (s. Kasten). Möglicherweise ist das HBV-
assoziierte HCC des Menschen ein Folgezustand der kontinuierlichen
Hepatozytenregeneration, wie sie bei chronischen HBV-Trägern auftritt.

Das Hepatitis-C-Virus (HCV) scheint auf indirektem Weg ein hepatozelluläres


Karzinom (HCC) zu verursachen, es sind keine HCV-Sequenzen in den Tumorzellen
integriert. Man nimmt an, dass bei HCV-Trägern die anhaltende Entzündung und
Schädigung der Leberzellen in ein HCC münden. Nachdem sich erst einmal eine
Zirrhose ausgeprägt hat, besteht ein HCC-Risiko von 1–4%.

DNA-Viren transformieren Zellen, in denen sie sich


nicht replizieren können
Außerdem wird ihr Genom manchmal ins Genom der Wirtszellen integriert. Ausgiebige
Studien legen jedoch den Schluss nahe, dass diese Viren trotz hoher Onkogenität in vitro
und bei Labortieren für Krebserkrankungen des Menschen keine besondere Bedeutung
haben.

■ Humane Adenoviren können Zellen in Kultur transformieren und bei Hamstern


Sarkome auslösen. Ca. 10% des Adenovirus-Genoms werden integriert und das T-
Antigen wird exprimiert. Adenoviren sind jedoch nicht mit Krebserkrankungen des
Menschen assoziiert.

■ Nach experimenteller Inokulation von Polyomavirus (poly- für viele, -oma für
Tumor) – einem Mäuse-Papovavirus – und SV40 (simian vacuolating virus 40) –
einem Affen-Papovavirus – entwickeln sich bei Hamstern Tumoren. Die Virus-DNA
ist in die Tumorzellen integriert, und es werden T-Zell-Antigene exprimiert. Sind
diese Viren bzw. ihre humanen Entsprechungen (BK- und JC-Virus) mit
Krebserkrankungen des Menschen verbunden?

Vor rund 30 Jahren ereignete sich ein Zwischenfall bei einer Polio-Impfung, als
tausende Kinder unabsichtlich mit dem SV40-Virus inokuliert wurden, das einige
Impfchargen enthielten. Es war offenbar nicht gelungen, durch das
Inaktivierungsverfahren mit Formalin das in Affennierenzellen, in denen der Polio-
Impfstoff angezüchtet wurde, enthaltene SV40-Virus abzutöten. Trotzdem ließ sich bei
den infizierten Kindern kein Anstieg der Tumorinzidenz beobachten.
Nichtsdestoweniger mehren sich die Hinweise, dass Virusinfektionen (durch JC, BK
und SV40) mit bestimmten Hirntumoren, Lymphomen und anderen Tumoren assoziiert
sind.

Das Kaposi-Sarkom ist möglicherweise viral bedingt


Bei AIDS-Patienten tritt 300-mal häufiger als in anderen Gruppen von
Immunsupprimierten ein Kaposi-Sarkom auf. Fast immer sind Patienten betroffen, die
sich beim Sexualkontakt mit HIV infiziert haben. In den Tumorzellen ist das auf
sexuellem Weg übertragbare humane Herpesvirus Typ 8(HHV-8) nachzuweisen.

17.6 Bakterien und Malignome

395
Auf die Verbindung zwischen Helicobacter pylori und Malignome im Bereich des
Magens und des Duodenums wird in Kap. 22 eingegangen. Wie es dazu kommt, ist bisher
nicht geklärt.
Geschichte der Mikrobiologie
Die vielen Gesichter der Hepatitis B

Klassische epidemiologische Studien in Taiwan führten zu zwei Ergebnissen:

Erstens: 90% der mit dem Hepatitis-B-Virus (HBV) infizierten Säuglinge und 23% der
im Alter von 1–3 Jahren infizierten Kinder wurden HBV-Träger; bei denen, die sich erst
als junge Erwachsene (Studenten) infizierten, betrug der Anteil jedoch nur 3%.

Zweitens: Von 3454 HbsAg-Trägern hatten 184 ein Leberzellkarzinom, unter den 19253
Nichtträgern waren dagegen nur 10 Fälle. Alle Arten von Malignomen der Leber sind zu
80% auf eine Hepatitis B zurückzuführen.

Weltweit tragen etwa 350 Millionen Menschen das HBV in sich, und da bis zu 2
Millionen Menschen pro Jahr an einem Malignom der Leber sterben, ist HBV nach
Tabak das zweitwichtigste Karzinogen des Menschen.

Die Karzinogenese ist noch unklar. Bei fast allen Malignomformen (des Menschen) ist
das Virus in Chromosomen integriert, nur zeigt sich bei den Integrationsstellen und der
Anzahl der Kopien eine große Variationsbreite.

Starke Ähnlichkeit weisen Viren auf, die Waldmurmeltiere, Eichhörnchen und


Pekingenten infizieren. Im Nordwesten der USA sind 30% der Murmeltiere Virusträger,
von denen die meisten später Leberkrebs bekommen. In dieser Spezies infiziert das
Virus nicht nur die Leberzellen, sondern auch Lymphzellen in Milz, peripherem Blut
und Thymus sowie Azinuszellen des Pankreas und das Gallengangepithel.

396
Zusammenfassung
■ Infektionserreger können auf unterschiedliche Weise Gewebeschäden oder
Krankheiten verursachen.
■ Zellen können direkt durch Erreger (z.B. zytotoxische Viren) oder freigesetzte
Toxine (z.B. Staphylokokken- oder Tetanustoxin) zerstört bzw. funktionell
ausgeschaltet werden. Es kann aber auch zur Hyperaktivität der normalen
Abwehrkräfte (z.B. auf LPS) oder zu überschießenden bzw. verlängerten
Immunreaktionen kommen.
■ Wenn die Wirkungen der Erreger auf das Abwehrsystem durch Antikörper
oder T-Zellen vermittelt sind, werden sie als Überempfindlichkeits-
/Hypersensitivitätsreaktionen bzw. „Immunpathologie“ bezeichnet.
■ Manche Viren sind nachweislich an der Tumorentstehung beteiligt, da ihr
Genom in den Krebszellen gefunden wurde. Dass sich die Verteilung mancher dieser
Tumoren auf bestimmte geografische Regionen beschränkt, kommt möglicherweise
unter dem Einfluss lokaler Kokarzinogene zustande.

FRAGEN
1 Wie unterscheiden sich Exotoxine und Endotoxine?
2 Was ist ein septischer Schock und wie lässt er sich verhindern?
3 Was ist ein Immunkomplex und wie kann er Krankheiten verursachen?
4 Welche Hautausschläge sind immunologisch bedingt?
5 Welche Viren stehen im Verdacht, Malignome auszulösen?
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Bosch, F.X., Manos, M.M., Munoz, N. et al.: Prevalence of human papillomavirus in
cervical cancer; a worldwide perspective. J. Natl. Cancer Inst. 87 (1995) 796–802.
Collier, L.H. (ed.): Topley and Wilson’s Microbiology and Microbial Infections, 9th ed.
Vol. 1: Virology, Ch. 12: Oncogenicity, pp. 211–234. Edward Arnold, London 1998.
Hacker, J., Blum-Oehler, G., Muhldorfer, I., Tschape, H.: Pathogenicity islands of
virulent bacteria: structure, function, and impact on microbial evolution. Mol. Microbiol.
23 (1997) 1089–1097.
Mims, C.A., Nash, A., Stephen, J.: Mims’ Pathogenesis of Infectious Disease, 5th ed.
Academic Press, London 2001.
Rees, A.J., Andres, G.A., Peters, D.K. (eds.): Symposium on pathogenetic mechanisms
in nephritis. Kidney Int. 35 (1989) 921–1033.
Sriskandan, S., Cohen, J.: The pathogenesis of septic shock. J. Infect. 30 (1995) 201–
206.
Stephen, J.: Pathogenesis of infectious diarrhoea: a mini-review. Canadian J.
Gastroenterol. 15 (2001) 669–683.

397
18 Infektionen der oberen Atemwege
18.1 Die gewöhnliche Erkältung (Katarrh) 216

18.2 Pharyngitis und Tonsillitis 216

18.2.1 Zytomegalievirus(CMV)-Infektion 217

18.2.2 Epstein-Barr-Virus(EBV)-Infektion 222

18.2.3 Bakterielle Infektionen 224

18.2.4 Diagnose 225

18.3 Parotitis 225

18.3.1 Behandlung und Prävention 226

18.4 Otitis und Sinusitis 226

18.4.1 Akute Mittelohrentzündung (Otitis media) 227

18.4.2 Otitis externa 228

18.4.3 Akute Nebenhöhlenentzündung (Sinusitis) 228

18.5 Akute Epiglottitis 228

18.6 Mundhöhleninfektionen 228

18.6.1 Orale Candidiasis 228

18.6.2 Karies 229

18.6.3 Parodontalerkrankungen 229

18.7 Laryngitis und Tracheitis 229

18.8 Diphtherie 230


Zur Orientierung
Mukoziliare Clearance und Spülwirkung des Speichels schützen vor (oberen)
Atemwegsinfektionen

In der Luft, die wir einatmen, schweben Millionen Teilchen, darunter auch
Mikroorganismen. Die meisten von ihnen sind völlig harmlos, nur in der Nähe von
Infizierten kann eine größere Erregermenge in der Atemluft enthalten sein. Daher sind
wirksame Reinigungsfunktionen im oberen und unteren Respirationstrakt (s. Kap. 9 und
13) ein wichtiger Bestandteil der körpereigenen Abwehr und schützen vor Infektionen.
Kommt es trotzdem zur Infektion, ist zu klären, warum die natürlichen
Abwehrmechanismen versagt haben. In den oberen Atemwegen sind das mukoziliare
System im Nasen-Rachen-Raum (Nasopharynx) und die Spülwirkung des Speichels im
Mund-Rachen-Raum (Oropharynx) besonders wichtig.

398
Wie auf anderen Körperoberflächen (s. Kap. 8) leben auch in den oberen Atemwegen
zahlreiche Mikroorganismen (Tab. 18.1), die Nase, Mund, Rachen und Zähne besiedeln,
unschädlich sind und sich gut an die örtlichen Verhältnisse angepasst haben. Wie
„wohlerzogene“ Gäste dringen sie normalerweise weder in tieferes Gewebe ein noch
führen sie zur Erkrankung. Allerdings können ortsansässige (residente) Keime hier wie in
anderen Körperbereichen problematisch werden, wenn die Immunlage des Wirts
geschwächt ist.

Für Erreger bilden die Atemwege ein Kontinuum


Obwohl zwischen oberen und unteren Atemwegsinfektionen unterschieden wird, bildet
der Respirationstrakt für Erreger einfach ein Kontinuum, das sie ungehindert von der Nase
bis zu den Alveolen gelangen lässt (Abb. 18.1). Es kann allerdings bevorzugte Stellen
(Infektionsherde) geben, z.B. den Nasopharynx für Corona- und Rhinoviren.
Parainfluenzaviren können dagegen nicht nur den Nasen-Rachen-Raum (Erkältung),
sondern auch Kehlkopf und Luftröhre (Krupp, Larynotracheitis) oder gelegentlich sogar
Bronchien und Bronchiolen (Bronchitis, Bronchiolitis oder Pneumonie) infizieren.

Auf (obere und untere) Atemwegsinfektionen treffen


zwei Verallgemeinerungen zu:
■ Viele Erreger bleiben auf das Oberflächenepithel beschränkt, andere breiten sich erst
weiter im Körper aus, ehe sie zu den oberen Luftwegen, Mund-Rachen-Raum oder
Speicheldrüsen zurückkehren (Tab. 18.2).

■ Als zwei Erregergruppen lassen sich „professionelle“ und „sekundäre“ Eindringlinge


unterscheiden.

Dass „professionelle“ Invasoren selbst den normalerweise gesunden Respirationstrakt


infizieren können (Tab. 18.3), liegt an ihren besonderen Fähigkeiten, der Wirtsabwehr zu
entgehen (z.B. dank spezifischer Anheftungsmechanismen bei respiratorischen Viren,
Tab. 18.4, oder anderer der in Tab. 18.3 genannten Mittel). „Sekundäre“ Invasoren
führen nur bei bereits geschwächter Wirtsabwehr zur Erkrankung (Tab. 18.3).

399
Tab. 18.1 Normalflora des Respirationstrakts
*
außer den Keimen im Gewebe sind alle anderen im Mund-Nasen-Rachen-
Raum oder auf den Zähnen vertreten
**
im Mund; dort können auch Entamoeba gingivalis, Trichomonas tenax,
Mikrokokken und Actinomyces spp. vorhanden sein
***
bei den meisten Menschen finden sich alle außer M. tuberculosis
****
früher: P. carinii

400
18.1 Die gewöhnliche Erkältung (Katarrh)

Rhino- und Coronaviren verursachen zusammen über


50% der Erkältungen
Am häufigsten dringen Viren in den Nasen-Rachen-Raum ein. Für eine Erkältung
können ganz unterschiedliche Viren verantwortlich sein (Tab. 18.4). Wenn virushaltiges
Sekret aus dem Nasopharynx fließt (Schnupfen) und Niesreiz auslöst, werden große
Mengen von Viruspartikeln in die Umgebungsluft ausgestoßen. Die Ansteckung erfolgt
daher meist durch Tröpfcheninfektion oder über kontaminierte Hände (s. Kap. 13).

Die meisten dieser Viren können sich über bestimmte Oberflächenmoleküle fest an
Wirtszellen – bzw. davon abstehende Zilien und Mikrovilli – heften. Infolgedessen
werden sie nicht von Sekreten weggespült, sondern können zuvor noch gesunde
Menschen infizieren. Nachfolgende Virusgenerationen breiten sich von den zuerst
infizierten Zellen auf Nachbarzellen aus und gelangen mit den Sekreten immer wieder
an neue Schleimhautstellen. Nach ein paar Tagen kommt es infolge der Schädigung von
Epithelzellen und der Sekretabsonderung (mit darin enthaltenen Entzündungsmediatoren
wie Bradykinin) zu den typischen Erkältungssymptomen (Abb. 18.2).

Erkältungen durch Viren lassen sich anhand des


klinischen Bildes diagnostizieren
Angesichts der zahlreichen möglichen Auslöser und des im Allgemeinen milden,
selbstlimitierenden Verlaufs scheinen sich Labortests bei banalen Virusinfekten (ohne
systemische Ausbreitung) nicht zu lohnen. Wichtig wird die Diagnose nur, wenn der
untere Atemtrakt mit betroffen ist, z.B. bei einer Influenzavirus- oder Respiratory-
Syncytial-Virus(RSV)-Infektion im Kindesalter. In abgeschilferten Zellen
(Aspirationsbiopsie von Nasen-Rachen-Sekret) lassen sich bei diesen Kindern
Virusantigene (Abb. 19.4) nachweisen, meist wird die Diagnose dann nachträglich
durch Anstieg des Antikörpertiters bestätigt.

Die Isolierung der Viren ist oft mühsam und sehr schwierig. Sie wird im Interesse der
öffentlichen Gesundheit – meist von Referenzlaboratorien – durchgeführt, wenn eine
Pandemie durch einen neuen Influenzavirusstamm droht. Zur Typisierung von
Influenzaviren wenden die Referenzlaboratorien inzwischen molekulare Nachweis- und
Sequenzierungsmethoden an, um so auch überwachen zu können, ob die für Impfstoffe
ausgewählten Stämme gut mit den im Umlauf befindlichen Stämmen übereinstimmen.

Erkältungen werden symptomatisch behandelt


Für diese Viruserkrankungen stehen keine Impfstoffe zur Verfügung, ihre Behandlung
erfolgt überwiegend symptomatisch mittels Antiphlogistika, Analgetika und Antibiotika
bei bakterieller Superinfektion. Für eine echte Virusgrippe (Influenzavirusinfektion)
stehen dagegen Impfstoffe zur Verfügung.

18.2 Pharyngitis und Tonsillitis

401
Akute Infektionen des Rachenraumes sindzu rund 70%
viral bedingt
Die Auslöser einer akuten Pharyngitis sind in Tab. 18.5 aufgeführt. Erkältungs- und
andere respiratorische Viren treffen im Mund-Rachen-Raum zwangsläufig auf den
Abwehrring aus submukosalem Lymphgewebe (Abb. 18.1). Bei einer Hals-
/Rachenentzündung (Pharyngitis) handelt es sich entweder um eine Infektion der
darüber liegenden Mukosaschicht oder um eine entzündliche Immunreaktion des
lymphatischen Gewebes.

Häufig sind Adenoviren die Ursache; wenn sie außer dem Pharynx auch die
Konjunktiven infizieren, entwickelt sich ein Pharyngokonjunktivalfieber. Während sich
Epstein-Barr- (EBV) und Zytomegalieviren (CMV) direkt im Pharynx vermehren (Abb.
18.3), vermehren sich Herpes-simplex- (HSV) und bestimmte Coxsackie-A-Viren in der
Mundschleimhaut und rufen schmerzhafte lokale Läsionen oder Ulzera hervor.
Enteroviren können darüber hinaus Bläschen an Händen, Füßen und Mund verursachen
(Hand-Fuß-Mund-Krankheit; Abb. 18.4).
Abb. 18.1 Der Respirationstrakt bildet ein
Kontinuum.

*besiedelt den Nasopharynx häufig asymptomatisch

** Abstand zwischen schwarzer Linie und blauer Kurve entspricht der Stärke der
Symptome (Rhinitis, Laryngitis etc.)

402
Tab. 18.2 Zwei Arten von Atemwegsinfektionen.
CMV = Zytomegalievirus; EBV = Epstein-Barr-Virus

403
18.2.1 Zytomegalievirus(CMV)-Infektion

CMV kann durch Speichel, Urin, Blut, Sperma und


Zervikalsekret übertragen werden
Von CMV, dem größten der humanen Herpesviren (Abb. 18.5), gibt es nur einen
Serotyp. Wie bei den Zytomegalieviren der Tiere ist das humane CMV artspezifisch;
für das humanpathogene CMV ist daher der Mensch der natürliche Wirt.
Tierpathogene Zytomegalieviren sind nicht ansteckend für Menschen. Der Name
bezieht sich auf die vielkernigen (Riesen-)Zellen mit intranukleären
Einschlusskörpern, die eine typische Reaktion auf die CMV-Infektion darstellen.
Ursprünglich bezeichnete man CMV als „Speicheldrüsenvirus“, weil es über den
Speichel und andere Sekrete übertragen wird.

Tab. 18.3 Atemwegsinfektionen durch „professionelle“ und


„sekundäre“ Invasoren

404
Tab. 18.4 Erkältungsviren und ihre Anheftungsmechanismen
*
ein Typ ist, verglichen mit anderen, kaum oder gar nicht durch Antikörper
neutralisierbar
**
ICAM-1 (interzelluläres Adhäsionsmolekül) wird auch von vielen normalen
Zellen exprimiert; gehört zur Superfamilie der Immunglobuline (auf Chromosom
19 kodiert)
***
Coxsackie-Virus A9 bindet an Vitronektin, ein Integrin(protein); Typ 1 und 8
binden an das Very-late-activating-Antigen 2 (ein Integrin), Typ 6, 7, 12, 21 an
den Decay-accelerating-Faktor (CD55) auf Zellen.

405
Abb. 18.2 Pathogenese der Erkältung (zur
Vereinfachung nur einschichtiges Epithel dargestellt)

Für Kinder ist Urin eine zusätzliche Infektionsquelle, und bei infizierten Schwangeren
kann sich das Virus auf dem Blutweg auf Plazenta und Fetus ausbreiten. CMV kann
auch im Sperma und Zervikalsekret enthalten sein – und demnach durch
Sexualkontakte übertragen werden. Ob die geringen CMV-Mengen, die oft in der
Muttermilch vorhanden sind, für eine Ansteckung ausreichen würden, erscheint
zumindest fraglich. CMV kann auch bei einer Bluttransfusion oder
Organtransplantation übertragen werden.

Eine CMV-Infektion verläuft oft asymptomatisch, kann


aber bei geschwächter (zellvermittelter)
Immunabwehr reaktiviert und zur manifesten
Erkrankung werden
Nach klinisch stummer Infektion der oberen Atemwege kommt es zunächst zur
lokalen und danach – mit zirkulierenden Lympho- und Monozyten – zur systemischen
Ausbreitung von CMV ins Lymphgewebe (Befall von Lymphknoten und Milz). Dann
verlagert sich die Infektion auf Epithelzellen der Speicheldrüsen und Nierentubuli, der
Zervix bzw. der Hoden oder Nebenhoden und bleibt stationär, bis sich das Virus von
dort nach außen weiter verbreitet (Tab. 18.6).

406
Infizierte Zellen können zwar vielkernig sein oder intranukleäre Einschlusskörper
aufweisen, doch die Infektion verursacht nur geringe pathologische Veränderungen
und verläuft im Allgemeinen asymptomatisch. Bei jungen Erwachsenen kann es zu
einer Art Drüsenfieber kommen, allerdings ohne die bei den meisten EBV-Infizierten
(außer Kindern unter 14 Jahren) vorhandenen heterophilen Antikörper, begleitet von
Fieber und Mattigkeit sowie anormalen Lymphozyten und Mononukleose im
Blutausstrich. Da CMV die T-Zell-Reaktionen hemmt, ist auch die Immunantwort auf
andere Antigene vorübergehend eingeschränkt.

Obwohl spezifische CMV-Antikörper gebildet werden und zellvermittelte


Immunreaktionen auftreten, schaffen sie es nicht, das Virus aus dem Körper zu
beseitigen (s. Kap. 16). Oft wird es noch monatelang im Speichel und Urin
ausgeschieden. Selbst wenn die Infektion von der zellvermittelten Immunität (CMI)
kontrolliert werden kann, bleiben lebenslang infizierte Zellen im Körper zurück, die
bei eingeschränkter Immunlage jederzeit zur Reaktivierung der Infektion und zum
Ausbruch der Erkrankung führen können.

Tab. 18.5 Auslöser einer akuten Pharyngitis.


CMV = Zytomegalievirus
Abb. 18.3 Infektiöse Mononukleose (Pfeiffersches
Drüsenfieber) durch Epstein-Barr-Virus (EBV).

407
Tonsillen und Uvula geschwollen und weiß belegt; Petechien am weichen Gaumen
(mit freundlicher Genehmigung von J.A. Innes).
Abb. 18.4 Gaumen- und Zungenulzera bei Hand-
Fuß-Mund-Krankheit durch das Coxsackie-A-Virus.

(mit freundlicher Genehmigung von J.A. Innes)


Abb. 18.5 Elektronenmikroskopische Aufnahme
von Zytomegalieviruspartikeln.

408
CMV ist mit einem Durchmesser von 150–200 nm das größte humane Herpesvirus
und hat einen dichten zentralen DNA-Kern (mit freundlicher Genehmigung von
D.K. Banerjee).

Seinen Erfolg als Humanpathogen verdankt CMV seiner Fähigkeit, sich der
Immunabwehr zu entziehen. Für zytotoxische T-Zellen stellt es z.B. ein ungeeignetes
Ziel dar, weil es verhindert, dass MHC-Klasse-I-Moleküle zur Zelloberfläche
transportiert werden (s. Kap. 10), und auf infizierten Zellen Fc-Rezeptoren induziert
(s. Kap. 16).

Eine CMV-Infektion kann Ursache fetaler


Fehlbildungen oder einer Pneumonie bei
immungeschwächten Patienten sein
Beim Menschen, dem natürlichen Wirt, führt eine CMV-Infektion nicht zur
Erkrankung (bei Säuglingen und Kindern) oder höchstens zu milden Symptomen (bei
Erwachsenen). Doch unter zwei Bedingungen kann das harmonische Wirt-Parasit-
Verhältnis gestört sein:

■ Bei einer Primärinfektion in der Schwangerschaft kann sich das Virus


hämatogen auf Plazenta und Fetus ausbreiten und kongenitale Fehlbildungen
bewirken (s. Kap. 23). Möglich ist auch eine Reaktivierung der Infektion in der
Schwangerschaft; sie kann beim Fetus auch zur Infektion führen, selten jedoch zu
angeborenen Fehlbildungen. CMV-Infektionen sind nach dem Down-Syndrom
zweithäufigste Ursache einer geistigen Retardierung von Säuglingen.

■ Bei immungeschwächten Patienten (z.B. nach Knochenmark- oder


Organtransplantation, in seltenen Fällen auch AIDS-Patienten, s. Kap. 30) kann eine
interstitielle Pneumonie mit mononukleären Zellinfiltraten durch CMV ausgelöst
werden. Auch das ZNS kann betroffen sein (mit fokalen „mikronodulären“
Hirnläsionen aus infizierten mononukleären Zellen und einer Reihe weiterer
Komplikationen, z.B. Retinitis). Bei Beteiligung des Gastrointestinaltrakts können
eine Kolitis und Hepatitis hinzukommen.

409
Die Primärinfektion verläuft gewöhnlich asymptomatisch und lässt sich daher
klinisch kaum diagnostizieren. Falls doch Beschwerden bei immunkompetenten
Patienten auftreten, wird der Nachweis von CMV-IgM zur Diagnose herangezogen.
Um die Diagnose einer CMV-Pneumonie zu stellen, kann der Nachweis von CMV-
Antigen oder CMV-DNA anhand der bronchoalveolären Flüssigkeit geführt werden.
Biopsiematerial aus der Lunge kann vielkernige Zellen oder Zellen mit deutlich
sichtbaren intranukleäre Einschlusskörpern aufweisen.

Obwohl serologische Untersuchungen (auf CMV-IgM bzw. CMV-IgG) auch für


immunsupprimierte Patienten verfügbar sind, dürften sie diagnostisch kaum
weiterhelfen. Zur Nachsorge bei Transplantatempfängern gehört auch die Überprüfung
von Vollblut- oder Plasmaproben auf CMV-DNA bzw. eine adäquate Therapie bei
nachgewiesener CMV-Virämie (s. Kap. 30).

Tab. 18.6 Zytomegalievirus(CMV)-Infektion.

410
Behandlung einer CMV-Retinitis und -Pneumonie
Während sie mit Ganciclovir oder Foscarnet oft effektiv behandelt werden können,
erweist sich Aciclovir als unwirksam. Da die CMV-Pneumonie als eine
immunpathologische Erkrankung gilt, wird den Patienten zusätzlich zu antiviralen
Mitteln noch CMV-spezifisches oder normales (humanes) Immunglobulin
verabreicht, um so möglichst die gegen Pneumozyten, die das Antigen exprimieren,
gerichtete Reaktion zu unterdrücken.

Versuche mit inaktivierten und Lebendimpfstoffen wurden zwar durchgeführt, doch es


gibt keine Impfung gegen CMV. Schwangere seronegative Frauen sollten daher den
Kontakt zu infizierten Kindern meiden. Für Bluttransfusionen (bei Neugeborenen),
Organ- und Knochenmarktransplantationen sind CMV-Antikörper-negative Spender
vorzuziehen.

18.2.2 Epstein-Barr-Virus(EBV)-Infektion

EBV wird mit Speichel übertragen


Wie CMV ist auch EBVspeziesspezifisch. Strukturell und morphologisch stimmt EBV
mit anderen Herpesviren überein, unterscheidet sich aber hinsichtlich der Antigenität
(s. Kap. 3). Zu Diagnosezwecken wird hauptsächlich Viruskapsidantigen (VCA)
verwendet. Diagnostisch hilfreich können auch „early antigens“ (EA), die vor der
Virus-DNA-Synthese gebildeten Frühantigene, und EBV-assoziierte nukleäre
Antigene (EBNA) im Kern infizierter Zellen sein. Natürlicher Wirt von EBV ist der
Mensch.

EBV-Infektionen kommen weit verbreitet (ubiquitär) vor und werden durch


Speichel, z.B. beim Küssen, übertragen. In Entwicklungsländern verlaufen EBV-
Infektionen meist subklinisch; sie können durch enge frühkindliche Kontakte bedingt
sein. In den entwickelten Ländern gibt es zwei Altersgipfel (1–6 und 14–20 Jahre);
hier verläuft die Infektion meist klinisch manifest.

Die Symptome einer EBV-Infektion sind


immunologisch vermittelt
Wie sich eine EBV-Infektion klinisch und immunologisch entwickelt, zeigt Abb. 18.6.
Nach spezifischer Bindung an den C3d-Rezeptor (CD21) von B-Lymphozyten
repliziert sich EBV in ihnen, aber auch in bestimmten Epithelzellen. Auf dieser
Grundlage werden Pathogenese und klinisches Krankheitsbild verständlich: Aus
infizierten Epithelzellen und möglicherweise Lymphozyten in Speicheldrüsen und im
Mund-Rachen-Bereich tritt das Virus in den Speichel über und breitet sich dann
klinisch stumm auf B-Lymphozyten im Lymphgewebe lokal bzw. generalisiert aus.
Abb. 18.6 Klinische und immunologische Abläufe
bei Epstein-Barr-Virus(EBV)-Infektion eines
Jugendlichen oder Erwachsenen.

411
Bei Kindern verläuft die Infektion meist milder oder subklinisch.

Infizierte B-Zellen lösen eine Immunantwort der T-Lymphozyten aus, die ihnen
zahlenmäßig weit überlegen sind (etwa 50:1) und als atypische Lymphozyten im
peripheren Blut erscheinen (Abb. 18.7). Viele Krankheitszeichen sind dieser
Auseinandersetzung zwischen spezifisch aktivierten T-Zellen und infizierten B-Zellen
zuzuschreiben. Da die Immunreaktion bei spontan infizierten Säuglingen und
Kleinkindern noch schwach ausfällt, tritt die Erkrankung bei ihnen klinisch nicht in
Erscheinung. Ältere Kinder fühlen sich jedoch unwohl und besonders bei
Jugendlichen oder jungen Erwachsenen kommt es 4–7 Wochen nach der Erstinfektion
zu einer infektiösen Mononukleose.

Typische Zeichen sind Fieber, Halsentzündung (Abb. 18.3), Petechien am harten


Gaumen, Lymphadenopathie und Splenomegalie mit Appetitmangel und
Abgeschlagenheit. Bei Hepatitis sind in 90% der Fälle die Leberenzyme leicht erhöht,
und in 9% geht sie mit einem Ikterus einher. Auch eine Milzruptur kann vorkommen.

Neurologische Komplikationen (aseptische Meningitis und Enzephalitis), die sich in


weniger als 1% der Fälle entwickeln können, heilen fast immer vollständig aus.

Wahrscheinlich werden die Symptome durch Zytokine hervorgerufen. Unter dem


Einfluss der bei starker immunologischer Aktivierung freigesetzten Zytokine werden
infizierte B-Zellen zur Differenzierung und Antikörperproduktion stimuliert. Diese
polyklonale Aktivierung von B-Zellen führt zur Bildung heterophiler Antikörper
(die mit Schafs- oder Pferdeerythrozyten reagieren) und einer Reihe von
Autoantikörpern. Meist kommt es nach 2–3 Wochen zur Spontanheilung, obwohl die
Symptome noch ein paar Monate weiterbestehen können. Trotz antikörper- und
zellvermittelter Immunreaktionen hält sich das Virus latent weiter im Körper, und
selbst nach klinischer Besserung bleibt der Speichel oft monatelang infektiös.

412
Werden infolge einer EBV-Infektion Autoantikörper gebildet, handelt es sich meist
um IgM-Antikörper gegen Erythrozyten (Kältehämagglutinine). In rund 1% der Fälle
entwickelt sich eine autoimmunhämolytische Anämie, die erst im Laufe von ein, zwei
Monaten nachlässt.

Bei immungeschwächten Patienten kann es aufgrund der EBV-Replikation im


Plattenepithel der Zunge zu einer „Haarzunge“ kommen.
Abb. 18.7 Atypischer Lymphozyt als Kennzeichen
einer Epstein-Barr- Virus-Infektion.

In einem kleinen Anteil der B-Lymphozyten bleibt EBV


latent erhalten
Um sich der Immunabwehr entziehen zu können, ist das EBV gut gerüstet (s. Kap.
16). Es ist gegen Komplement und Interferon resistent und kann die Wirkung des
wirtseigenen IL-10 (ein wichtiges immunregulatorisches Zytokin) durch ein
gefälschtes, selbst produziertes IL-10 abschwächen. EBV verhindert auch die
Apoptose (Zytolyse) infizierter Zellen. Mit einer klugen Strategie ist es dem Virus
gelungen, sich auf Dauer im Immunsystem niederzulassen.

In einem kleinen Prozentsatz der B-Lymphozyten liegt die EBV-DNA in episomaler


Form vor und einzelne Kopien können ins Genom der Zellen integriert sein. Eine
Immunschwäche im späteren Leben kann zur Reaktivierung der Infektion führen, so
dass EBV wieder im Speichel auftaucht, ohne klinische Symptome zu verursachen;
das betrifft z.B. über 50% der Patienten nach einer Nierentransplantation.

Die Labordiagnostik einer infektiösen Mononukleose


sollte den Nachweis von Viruskapsidantigen-IgM
beinhalten

413
Klinisch lässt sich die infektiöse Mononukleose anhand der typischen Symptome und
des Rachenbefunds diagnostizieren. Zur Labordiagnostik gehören:

■ Blutausstrich zum Nachweis atypischer Lymphozyten (bis zu 30% der


kernhaltigen Zellen); da mehrere Virusinfektionen mit atypischer Lymphozytose
einhergehen, ist dies nicht EBV-spezifisch.

■ „Monospot“-Test zum Nachweis heterophiler Antikörper gegen Pferde- (oder


Schafs-) Erythrozyten. Sie sind in 90% der Fälle vorhanden, selten bei Kindern.
Während der Genesung sinken die Antikörpertiter; nach sechs Monaten sind sie
verschwunden und die durchgemachte Infektion nicht mehr nachweisbar.

■ Nachweis EBV-spezifischer Antikörper: VCA-IgM als Indikator einer akuten


Infektion, VCA-IgG und EBNA-IgG als Marker nach vorangegangener Exposition.

■ DNA-Hybridisierung oder Polymerasekettenreaktion zum Nachweis von


EBV-DNA.

Eine Behandlung ist nur begrenzt möglich


Obwohl sich Aciclovir in hohen Dosen in vitro als wirksam erwies, war bislang
klinisch kein antivirales Mittel bei EBV-Infektion von Nutzen. Ein Impfstoff ist noch
nicht zugelassen, doch Zubereitungen aus verschiedenen Glykoproteinen der
Virushülle wurden an Tieren getestet.

414
Mit EBV assoziierte Tumoren

EBV ist eng mit dem Burkitt-Lymphom bei


afrikanischen Kindern assoziiert
Da sich das Burkitt-Lymphom (Abb. 18.8) praktisch nur auf Gebiete in Afrika und
Papua-Neuguinea beschränkt, kommt eine EBV-Infektion nicht als alleinige Ursache
in Betracht. Das wahrscheinlichste Kokarzinogen dürfte Malaria sein, denn sie
schränkt die Wirkung der T-Zellen (Kontrolle der EBV-Infektion) ein. Vielleicht
führt Malaria auch zu einer polyklonalen Aktivierung von B-Zellen, deren erhöhte
Umsatz-/Turnover-Rate sie anfälliger für eine neoplastische Transformation machen
könnte.
Abb. 18.8 Afrikanisches Kind mit Burkitt-Lymphom.
Betroffen sind Auge und Oberkiefer.

(mit freundlicher Genehmigung von D.H. Wright).

Bei Immundefekten ist EBV eng mit anderen B-Zell-


Lymphomen assoziiert
Wenn eine EBV-Infektion zum ersten Mal nach einer Organtransplantation
auftritt, entwickeln sich bei 1–10% der Empfänger B-Zell-Lymphome (besonders
bei Kindern). In den Tumorzellen sind EBV-DNA- und RNA-Transkripte
vorhanden, oft liegt auch eine Translokation des c-myc-Onkogens von Chromosom 8

415
auf Chromosom 14 vor (Genlokus der Schwerketten von Immunglobulinen; s. Kap.
17).

EBV ist eng mit dem Nasopharynxkarzinom assoziiert


In China und Südostasien ist das Nasopharynxkarzinom weit verbreitet. In den
Tumorzellen lässt sich EBV-DNA nachweisen, und wahrscheinlich spielt auch hier
ein Kokarzinogen (Nitrosamine aus konserviertem Fisch?) eine Rolle. Genetische
Wirtsfaktoren (Kontrolle der humanen Leukozytenantigene, HLA) und
Immunreaktionen könnten eine erhöhte Anfälligkeit für ein Nasopharynxkarzinom
bewirken.

18.2.3 Bakterielle Infektionen


Eine Pharyngitis können u.a. folgende Bakterien hervorrufen:

■ Streptococcus pyogenes (β-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A, Abb.


18.9) ist der häufigste und diagnostisch wichtigste Erreger, weil er zu Komplikationen
(s. unten) führen kann, sich aber gut mit Penicillin behandeln lässt.

■ Corynebacterium diphtheriae

■ Haemophilus influenzae (Typ B) kann gelegentlich eine schwere Epiglottitis


mit Atemwegsobstruktion verursachen, vor allem bei Kleinkindern.

■ Borrelia vincentii (meist zusammen mit bestimmten fusiformen Bakterien, die


Rachen- oder Zahnfleischulzera hervorrufen)

■ Neisseria gonorrhoeae.

416
Abb. 18.9 : Tonsillitis durch β-hämolysierende
Streptokokken der Gruppe A (Streptococcus
pyogenes).

Stark gerötete Mandeln mit weißlich gelbem Belag (mit freundlicher Genehmigung
von J.A. Innes).

Alle genannten Bakterien halten sich gut auf Schleimhautoberflächen und dringen
manchmal ins lokale Gewebe ein.

Komplikationen einer Streptococcus-pyogenes-


Infektion

Tonsillitis, Scharlach, rheumatisches Fieber,


rheumatische Herzerkrankung und
Glomerulonephritis zählen zu den Komplikationen
einer S.-pyogenes-Infektion
Diese Komplikationen sind zwar dank der besseren medizinischen Versorgung (und
vielleicht auch geringeren Kontaktmöglichkeiten zu Streptokokken) in höher
entwickelten Ländern selten geworden, aber immer noch wichtig genug, um hier
einzeln aufgeführt zu werden:

■ Peritonsillärer Abszess (eitrige Tonsillitis): kann in seltenen Fällen


Komplikation einer unbehandelten (Streptokokken-)Rachenentzündung sein.

■ Otitis media, Sinusitis, Mastoiditis (s. unten): bei lokaler Ausbreitung von S.
pyogenes

■ Scharlach. Bestimmte Stämme von S. pyogenes produzieren ein erythrogenes


Toxin, das von lysogenen Phagen kodiert wird. Wenn es sich nach Ausbreitung im
Körper in der Haut niederschlägt, tritt der punktförmige, erythematöse
Scharlachausschlag auf (Abb. 18.10). Die Zunge ist anfangs belegt und wird

417
später ganz rot. Der Ausschlag beginnt als Rötung/Erythem im Gesicht und breitet
sich über den ganzen Körper aus – ausgespart bleiben nur Handteller und
Fußsohlen. Im geröteten Gesicht bildet sich zirkumoral ein blasses
„Scharlachdreieck“. Innerhalb einer Woche blasst der Ausschlag ab, danach
schält sich die Haut (starke Desquamation). Die Hautläsionen selbst sind nicht
besonders schlimm, aber Ausdruck einer Infektion durch potenziell schädliche
Streptokokken. Vor der Antibiotika-Ära kam es bei systemischer Ausbreitung der
Erreger zu Zellulitis und Septikämie.

■ Rheumatisches Fieber – eine indirekte Komplikation. Antikörper gegen die


Streptokokkenzellwand kreuzreagieren mit Proteinen des Herzmuskels und
anderen Geweben. Im Herzen werden Granulome gebildet (Aschoff-Knoten) und
ca. 2–4 Wochen nach den Halsbeschwerden entwickeln die Patienten (meistens
Kinder) eine Myo- oder Perikarditis. Diese kann gemeinsam mit subkutanen
Knötchen, Polyarthritis und selten einer Chorea auftreten. Chorea ist eine
Erkrankung des ZNS, die durch die Reaktion von Anti-Streptokokken-Antikörpern
mit Neuronen verursacht wird.

■ Rheumatische Herzerkrankung. Wiederholte Infektionen durch verschiedene


M-Typen von S. pyogenes (s. Anhang) können die Herzklappen schädigen.
Manche Kinder sind auch genetisch zu dieser Immunkrankheit veranlagt. Wenn
der Anti-Streptolysin-O(ASO)-Antikörpertiter (s. Anhang) schon bei der ersten
Attacke ansteigt oder erhöht ist, muss während der gesamten Kindheit eine
Penicillin-Prophylaxe durchgeführt werden, um weitere Infektionen zu verhindern.
In vielen Entwicklungsländern stellt die rheumatische Herzerkrankung die
häufigste Form der Kardiomyopathie dar.

■ Akute Glomerulonephritis. Wenn sich Antikörper gegen bestimmte


Streptokokkenbestandteile mit den Antigenen zu zirkulierenden
Immunkomplexen verbunden haben und (evtl. zusammen mit Autoantikörpern
gegen glomeruläre Bestandteile) in den Glomeruli ablagern, werden Komplement-
und Gerinnungssystem aktiviert und es kommt zu einer lokalen Entzündung. 1–2
Wochen nach der Halsentzündung sind im Urin Erythrozyten und Protein
nachweisbar, als Zeichen eines akuten nephritischen Syndroms treten Ödeme und
Hypertonie auf. Meist sind auch die ASO-Antikörpertiter erhöht. Da aber nur 4
oder 5 der insgesamt 65 M-Typen von Str. pyogenes die pathogenen
Veränderungen bewirken und eine wiederholte Infektion mit diesen
„nephritogenen“ Typen eher unwahrscheinlich ist, wird keine Penicillinprophylaxe
angewandt. Im Unterschied zum rheumatischen Fieber kommen Zweitinfektionen
nur selten vor.

418
Abb. 18.10 Scharlach.

a) 2–3 Wochen nach dem punktförmigen Hauterythem schält sich die Haut; b)
die anfangs belegte Zunge wird zur „Erdbeer-“ oder „Himbeerzunge“ und wirkt
mit den hervortretenden Papillen wie roh (mit freundlicher Genehmigung von
W.E. Farrar).

18.2.4 Diagnose

Zur Diagnose einer Pharyngitis oder Tonsillitis sind im


Allgemeinen keine Laboruntersuchungen notwendig
Da viele Viren als Auslöser einer Pharyngitis oder Tonsillitis in Frage kommen und
das Krankheitsbild im Allgemeinen nicht sehr schwer ist, wird keine
Laboruntersuchung zu Hilfe gezogen. EBV- und CMV-Infektionen lassen sich anhand
der Lymphozytose und atypischer Lymphozyten diagnostizieren. Um beide
Infektionen voneinander abzugrenzen, kann man mit dem Paul-Bunnell- oder
„Monospot“-Test heterophile Antikörper und VCA-IgM nachweisen (bei EBV-
Infektion), während eine CMV-Infektion durch den Nachweis von CMV-IgM bestätigt
wird. HSV ließe sich leicht im Labor isolieren, doch gewöhnlich ergibt sich bereits
klinisch die richtige Diagnose.

Zur Identifizierung von Bakterien wird eine Kultur der Rachenabstriche angelegt (s.
Kap. 32). Besonders wichtig ist die Diagnose einer S.-pyogenes-Infektion, zum einen
wegen der oben genannten Komplikationen, zum anderen aber auch, weil sie noch
immer auf Penicillin anspricht (im Unterschied zu S. pneumoniae). Ein
Latexantigentest würde zwar eine rasche Diagnose direkt aus dem Rachenabstrich

419
ermöglichen, ist aber noch nicht allgemein verbreitet; daher bleiben Bakterienkulturen
weiterhin Standard. Streptokokken entwickeln zunehmend eine Resistenz gegen
Erythromycin und Tetracyclin.

18.3 Parotitis

Das Mumpsvirus befällt Speicheldrüsen und breitet sich


durch engen Kontakt aus
Von diesem Einzelstrang-RNA-Paramyxovirus gibt es nur einen Serotyp. Es verbreitet
sich durch Tröpfchen in der Luft, über Speichel und möglicherweise auch über Urin.
Für die Ansteckung ist enger Kontakt erforderlich – wie in der Schule (Altersgipfel bei
5–14 Jahren) oder in größeren Menschenansammlungen (Gefängnisse, Kasernen,
Schiffe).

Nach der ersten Replikation im Epithel der oberen Atemwege oder des Auges breitet
sich das Virus systemisch im Körper aus. Es durchläuft eine längere Wachstumsperiode
in Zellen des Lymphgewebes (Lymphozyten und Monozyten) sowie
retikuloendothelialen Zellen und kehrt nach etwa 7–10 Tagen zurück ins Blut. Es siedelt
sich in Speichel- und anderen Drüsen an, kann aber auch ZNS, Hoden, Pankreas oder
Ovar befallen (Abb. 18.11). Durch Degeneration infizierter Zellen in den
Drüsenausführungsgängen entwickelt sich eine Entzündung (mit
Lymphozyteninfiltraten, oft auch Ödembildung), die schließlich nach einer
Inkubationszeit von 18–21 Tagen in das Mumps-Krankheitsbild übergeht.

420
Abb. 18.11 Mumps-Pathogenese.

Aus der Entwicklung der Infektion lassen sich Krankheitsbild, Ausbreitung und
Komplikationen besser verstehen; über die Abläufe in der ersten Infektionswoche
weiß man aber noch wenig.

Nach einer Prodromalphase von 1–2 Tagen mit allgemeinem Krankheitsgefühl und
Appetitverlust schwillt die Glandula parotis an und wird schmerz- und
druckempfindlich. Manchmal ist auch die Glandula submandibularis beteiligt (Abb.
18.12). Diese klassischen Mumpssymptome sind allerdings nur in 30–40% der Fälle
vorhanden.

Da auch andere Körpergewebe betroffen sein können, führt z.B. die Entzündung von
Hoden oder Pankreas zur Orchitis bzw. Pankreatitis (Tab. 18.7). Nachdem antikörper-
und zellvermittelte Immunreaktionen in Erscheinung getreten sind, erholen sich die
meisten Patienten innerhalb einer Woche und sind danach ihr Leben lang immun gegen
eine erneute Mumpsinfektion.

421
Mumps wird anhand der Parotitis diagnostiziert
Die Labordiagnostik umfasst:

■ Virusisolierung aus Zellkulturen oder Nachweis der Virus-RNA in Speichel,


Liquor cerebrospinalis oder Urin;

■ Nachweis mumpsspezifischer IgM-Antikörper.

18.3.1 Behandlung und Prävention


Es gibt zwar keine spezifische Behandlung für Mumps, doch ein abgeschwächter
(attenuierter) Lebendimpfstoff ist ein sicheres und wirksames Mittel zur Prävention.
Meist wird eine Kombinationsimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln durchgeführt
(MMR-Impfstoff).

Als in Großbritannien über Fälle von Autismus und Darmerkrankungen nach der
Impfung berichtet wurde, wurde der Impfstoff kontrovers diskutiert. Doch in einer
Reihe epidemiologischer Studien wurde der vermutete Zusammenhang nicht bestätigt.

18.4 Otitis und Sinusitis

Zahlreiche Virus- und einige bakterielle


Sekundärinfektionen kommen als Ursache von Ohren-
und Nebenhöhlenentzündungen in Frage
In die luftgefüllten Räume des oberen Respirationstrakts (Nasennebenhöhlen, Mittelohr,
Mastoid) können Viren eindringen. Das Mumps- oder Respiratory-Syncytial-Virus
(RSV) kann z.B. zu einer Entzündung des N. vestibularis oder einer – im Allgemeinen
vorübergehenden – Taubheit führen.
Abb. 18.12 Kind mit Mumps und vergrößerter
Glandula submandibularis.

(mit freundlicher Genehmigung von J.A. Innes).

422
Tab. 18.7 Mumps-Pathogenese: klinische Folgen der
Gewebeinvasion durch das Virus
Zum Spektrum der sekundären Invasoren zählen dieselben Bakterien wie bei oberen
Atemwegsinfektionen (neben S. pneumoniae und H. influenzae gelegentlich Anaerobier
wie Bacteroides fragilis). Wichtigste Komplikation ist ein Hirnabszess (s. Kap. 24).
Kommt es aufgrund einer allergischen Schleimhautschwellung zur Verlegung der
Ohrtrompete (Tuba auditoria [Eustachii]) oder der Nebenhöhlenöffnungen – und damit
zur Störung der mukoziliaren Clearance –, trägt die lokale Anhäufung entzündlich-
bakterieller Produkte noch weiter zur Schwellung und Verlegung bei.

423
18.4.1 Akute Mittelohrentzündung (Otitis media)

Viren, Streptococcus pneumoniae und H. influenzae


sind die häufigsten Auslöser
Dass eine akute Otitis media besonders häufig bei Säuglingen und Kleinkindern
vorkommt, liegt zum Teil daran, dass die Tuba auditoria (Eustachii) in dem Alter noch
weit geöffnet ist. Eine Bostoner Studie zeigte, dass 83% der dreijährigen Kinder schon
mindestens einmal eine akute Mittelohrentzündung und 46% bereits drei oder mehr
Episoden seit der Geburt hatten. In mindestens 50% der Fälle sind Viren (vor allem
RSV) die Ursache oder Bakterien aus dem Nasen-Rachen-Raum (am häufigsten S.
pneumoniae oder H. influenzae, gelegentlich auch S. pyogenes oder Staphylococcus
aureus).

An eine akute Otitis media sollte bei Kindern auch gedacht werden, wenn
unspezifische Allgemeinsymptome wie unerklärliches Fieber, Durchfall oder
Erbrechen auftreten. Im Spätstadium ist bei der Ohrspiegelung eine Gefäßdilatation
und Vorwölbung des Trommelfells zu sehen (Abb. 18.13). Trotz Therapie staut sich
oft wochen- oder monatelang klebrige Flüssigkeit im Mittelohr, die bei Säuglingen
und Kleinkindern zu Hörschäden und Lernschwierigkeiten beitragen kann.

Wenn eine akute Entzündung nicht ausreichend behandelt wird, droht eine chronische
Infektion, bei der sich über das perforierte Trommelfell chronisch Sekret/Eiter
entleert und das Hörvermögen stark eingeschränkt ist (chronisch suppurative/purulente
Otitis media).
Abb. 18.13 Vorgewölbtes Trommelfell bei akuter
Mittelohrentzündung (Otitis media acuta).

18.4.2 Otitis externa

424
Staphylococcus aureus, Candida albicans und
Gram-negative, opportunistische Bakterien sind die
häufigsten Auslöser
Auch Infektionen des äußeren Ohres können Reizungen und Schmerzen hervorrufen
und müssen von einer Otitis media abgegrenzt werden. Im Unterschied zum Mittelohr
hat der äußere Gehörgang eine ähnliche Flora wie die Haut (Staphylokokken,
Corynebakterien und in geringerem Umfang Propionibakterien). Daher finden sich bei
einer Otitis externa nur selten die typischen Erreger einer Otitis media. Die feucht-
warme Umgebung begünstigt das Wachstum von S. aureus, Candida albicans oder
Gram-negativen opportunistischen Bakterien wie Proteus spp. und Pseudomonas
aeruginosa.

Polymyxin oder andere Antibiotika enthaltende Ohrentropfen eignen sich meist zur
Behandlung.

18.4.3 Akute Nebenhöhlenentzündung (Sinusitis)


Ätiologie und Pathogenese der akuten Sinusitis sind ähnlich wie bei der Otitis media.
Klinische Zeichen sind Fazialisschmerzen und lokale Druckempfindlichkeit. Man
könnte die bakterielle Ursache zwar mikroskopisch aus der Kultur (durch Aspiration
von Eiter aus der betroffenen Nebenhöhle) feststellen, doch eine Punktion wird nur
selten durchgeführt. Hinzu kommt, dass die Patienten wie im Fall einer Otitis media
auch empirisch (mit Ampicillin oder Amoxycillin) behandelt werden können bzw. mit
einem der neueren oralen Cephalosporine (wie Cefixim), die gegen Betalaktamase-
bildende Erreger wirksam sind.

18.5 Akute Epiglottitis

Eine akute Epiglottitis ist im Allgemeinen durch


Infektion mit H. influenzae (Kapseltyp B) bedingt
Eine akute Epiglottitis tritt besonders häufig bei Kleinkindern auf. Aus unbekannten
Gründen greift der Kapseltyp B von H. influenzae aus dem Nasopharynx auf die
Epiglottis über und verursacht eine schwere Entzündung mit Ödembildung. Sie geht
gewöhnlich mit einer Bakteriämie einher.

425
Die akute Epiglottitis ist ein Notfall und erfordert
sofortige Intubation und Antibiotikatherapie!
Kennzeichnend für eine akute Epiglottitis sind Atemschwierigkeiten infolge der
Atemwegsobstruktion. Solange die Atemwege noch nicht (durch Intubation)
stabilisiert wurden, darf die Untersuchung nur mit äußerster Vorsicht erfolgen, weil ein
vollständiger Verschluss provoziert würde, wenn die geschwollene Epiglottis in die
ödematöse Luftröhre gerät.

Die Behandlung muss unverzüglich mit Antibiotika, die gegen H. influenzae wirksam
sind (z.B. Cefotaxim), beginnen. Durch Erregerisolierung aus dem Blut und evtl. aus
einem Abstrich der Epiglottis lässt sich die klinische Diagnose sichern. Seit der
Einführung des H.-influenzae-Typ-B-Impfstoffs (Hib-Impfung) hat sich die Häufigkeit
der akuten Epiglottitis und anderer H.-influenzae-Infektionen deutlich verringert.

Bei einer Atemwegsobstruktion durch Diphtherie (s. unten) kann die Uvula beteiligt
sein, wenn sich die typische Pseudomembranbildung und lokale Schwellung vom
Pharynx bis dorthin erstreckt.

18.6 Mundhöhleninfektionen

Speichel wirkt durch verschiedene Substanzen


antibakteriell und spült den Mund
Obwohl die Mundhöhle direkt mit dem Pharynx verbunden ist, wird sie hier getrennt
behandelt, weil sich durch die Zähne, die sich in ihr befinden, besondere
mikrobiologische Problemstellungen ergeben können. Die normale Mundflora besteht
aus kommensalen Keimen, die sich vereinzelt weitgehend auf den Mund beschränken
(Tab. 18.1). Die meisten können sich dank spezifischer Haftmechanismen auf Zähnen
und Schleimhaut halten und in den Speichel übertreten, sobald sie sich vermehren.

Täglich sondern Speicheldrüsen etwa einen Liter Speichel ab, der den Mund
(mechanisch) spült. Im Speichel sind aber auch sekretorische Antikörper,
polymorphkernige Leukozyten, abgeschilferte Schleimhautzellen und antibakterielle
Substanzen wie Lysozym und Laktoperoxidase enthalten. Wenn der Speichelfluss (z.B.
zwischen den Mahlzeiten) nur für ein paar Stunden nachlässt, vervierfacht sich die Zahl
der Bakterien im Speichel. Bei dehydrierten oder schwer kranken Patienten (Typhus,
Pneumonie) kann die bakterielle Überwucherung zu Mundfäule führen.

426
18.6.1 Orale Candidiasis

Veränderungen in der Mundflora durch


Breitspektrumantibiotika oder eine geschwächte
Immunlage prädisponieren zu Mundsoor
Die kommensalen Keime im Mund verhindern die Ausbreitung von eindringenden
Erregern. Wenn sich die Mundflora verändert, kippt das Gleichgewicht. Nach längerer
Einnahme von Breitspektrumantibiotika können normalerweise harmlose
Sprosspilze wie Candida albicans überhand nehmen, mit Pseudomyzelien ins Epithel
eindringen und Soor verursachen. Mundsoor (orale Candidiasis, Abb. 18.14) kann sich
auch bei eingeschränkter Immunabwehr (z.B. durch HIV-Infektion, maligne
Tumoren, gelegentlich bei Neugeborenen oder älteren Menschen) entwickeln.
Manchmal dehnt sich eine orale Candidiasis bis zum Ösophagus aus. Gesichert wird
die Diagnose durch Gram-Färbung und Kultivierung von Abstrich-/Probenmaterial
(große, Gram-positive Sprosspilze).

Unter Berücksichtigung prädisponierender Faktoren sind Antimykotika wie Nystatin


oder Clotrimazol (zur topischen Anwendung) und Fluconazol (orale Gabe) wirksame
Mittel zur Behandlung (s. Kap. 33).

Ein anderes Beispiel für den fließenden Übergang zwischen harmloser Koexistenz
residenter Keime und Gewebeinvasion zeigt sich bei Vitamin-C-Mangel: Er
verringert die Resistenz der Schleimhaut und ermöglicht so eine Zahnfleischinfektion
(Gingivitis) durch Keime der Normalflora.
Abb. 18.14 Orale Candidiasis.

(mit freundlicher Genehmigung von J.A. Innes).

18.6.2 Karies

427
Bei 80–90% der Menschen in den USA und
Westeuropa ist die Mundhöhle mit Streptococcus
mutans, dem Auslöser der Zahnkaries, besiedelt
Speziell an das Leben im Zahnbereich angepasste Mikroorganismen bilden einen Film
auf der Zahnoberfläche (sog. Plaque). In dieser komplexen Masse sind 109 Bakterien
pro Gramm in eine Polysaccharid-Grundsubstanz eingebettet (Abb. 18.15). Roter
Farbstoff wie Erythrocin kann (im Mund gekaut) den Zahnfilm sichtbar machen. Auch
wenn sich Plaque durch gründliches Zähneputzen weitgehend beseitigen lässt, bildet
sie sich innerhalb weniger Stunden wieder neu.

Zuerst werden die gereinigten Zähne von Glykoproteinen aus dem Speichel
überzogen, an die sich dann Streptokokken (besonders S. mutans und S. sobrinus)
heften und vermehren. In den USA und Westeuropa ist z.B. bei 80–90% der
Menschen die Mundhöhle mit S. mutans besiedelt. Zwischen den Streptokokken bildet
sich eine Grundsubstanz aus Glucanen (von S. mutans aus Zucker synthetisierte
klebrige, hochmolekulare Polysaccharide). Auch andere Bakterien, darunter anaerobe
filamentöse Fusobakterien und Aktinomyzeten, sind in der Plaque vorhanden. Werden
die Zähne mehrere Tage lang nicht geputzt, verdickt sich die Plaque und dehnt sich
immer weiter aus.

Plaquebakterien wandeln Nahrungszucker in Milchsäure um, die eine lokale


Entkalkung der Zähne bewirkt. Durch proteolytische Enzyme der Bakterien werden
noch andere Bestandteile des Zahnschmelzes abgebaut, bis er am Ende ein
schmerzhaftes Loch (Karies) aufweist. Die Infektion kann sich weiter auf die
Zahnpulpa ausbreiten, einen Pulpa- oder Wurzelabszess hervorrufen und schließlich
auf den Ober- oder Unterkieferknochen übergreifen.

Bei aktiver Karies kann der pH-Wert unter 4,0 sinken


Wenn entsprechende Plaquebakterien (S. mutans) vorhanden sind und regelmäßig
Zucker zugeführt wird, entwickelt sich Karies – bevorzugt in Zahnzwischenräumen.
Völlig zu Recht ist Karies als Infektionskrankheit anzusehen – in den höher
entwickelten Ländern zählt sie sogar zu den häufigsten Infektionskrankheiten
überhaupt (begünstigt durch engen Zahnschluss, zuckerreiche Ernährung und häufige
Fluorid-Unterversorgung).

428
Abb. 18.15 Zahn eines Kindes mit tief reichender
Plaquebildung.

20000 × vergr. (mit freundlicher Genehmigung von H.N. Newman)

18.6.3 Parodontalerkrankungen

An Parodontopathien sind meist Actinomyces


viscosus, Actinobacillus- und Bacteroides-Spezies
beteiligt
Zwischen Zahnrand und Zahnfleisch bilden sich leicht Spalten, in denen sich
Flüssigkeit sammelt, die sich wie eine stagnierende Masse im Mund auswirken kann.
In ihr sind polymorphkernige Leukozyten, Komplement, IgG- und IgM-Antikörper
enthalten und sie ist anfällig für Infektionen. Unter den durchschnittlich 2,7 ×1011
Keimen/g in Zahnfleischspalten befinden sich normalerweise 75% Anaerobier. Am
häufigsten sind Actinomyces viscosus, Actinobacillus- und Bacteroides-Spezies
vertreten.

Wenn sich die Spalten bei Parodontalerkrankung vergrößern und entzünden, bilden
sich Taschen (mit Zunahme der polymorphkernigen Leukozyten und serösem
Exsudat). Das entzündete Zahnfleisch blutet leicht. Später weicht es zurück. Die
Bakterienvermehrung führt zu Mundgeruch (Halitosis). Schließlich sind auch noch
die Haltestrukturen betroffen, durch Resorption der Zahnbänder und Knochenschwund
lockern sich die Zähne. Parodontopathien mit Gingivitis sind nahezu universell
verbreitet, wenn auch von unterschiedlicher Schwere, und Hauptursache des
Zahnausfalls bei Erwachsenen.

429
18.7 Laryngitis und Tracheitis

Parainfluenzaviren sind die häufigste Ursache einer


Laryngitis
Infektionen der oberen Atemwege können sich nach unten verlagern und Kehlkopf
(Larynx) oder Luftröhre (Trachea) mit einbeziehen. Gewöhnlich sind
Parainfluenzaviren die Ursache, gelegentlich auch RSV, Influenza- oder Adenoviren.
Bei Diphtherie sind Larynx oder Trachea ebenfalls hin und wieder beteiligt.

Bei Erwachsenen äußert sich eine Infektion von Larynx (Laryngitis) oder Trachea
(Tracheitis) durch Heiserkeit und brennende Retrosternalschmerzen beim Ein- und
Ausatmen. Wegen der starren Knorpelspangen in der Wand und der Enge von Larynx
oder Trachea kann es bei Kindern leicht zur Obstruktion kommen. Ein Anschwellen der
Schleimhaut kann zu Krupphusten führen, einem trockenen Husten mit inspiratorischem
Stridor („Pfeifen“). Bei Atemschwierigkeiten kann eine stationäre Behandlung
erforderlich sein.

Streptokokken der Gruppe A, H. influenzae und S. aureus sind seltener Ursache einer
Laryngitis und Tracheitis.

18.8 Diphtherie

Diphtherie entsteht durch toxinbildende Stämme von


C. diphtheriae und kann zu einer lebensgefährlichen
Atemwegsobstruktion führen
Dank verbreiteter Verwendung von Toxoidimpfstoff zur Immunisierung (s. Kap. 34) ist
die Diphtherie in den entwickelten Ländern selten geworden, aber in
Entwicklungsländern noch immer recht häufig. Nicht-toxigene Stämme kommen zwar
auch im Pharynx vor, doch zur Erkrankung führen nur Diphtheriebakterien, die ein
extrazelluläres Toxin (Exotoxin; s. Kap. 2) produzieren. Sie können Rachen (besonders
im Bereich der Tonsillen), Kehlkopf und Nase besiedeln, gelegentlich auch den
Genitalbereich und die Haut (bei Menschen, die in tropischen Ländern oder ärmlichen
Verhältnissen mit schlechter Hygiene leben).

Die Adhäsionsmechanismen sind noch nicht geklärt, doch Diphtheriebakterien


vermehren sich nur lokal, ohne in tiefere Gewebe einzudringen oder sich systemisch zu
verbreiten. Ihr Toxin zerstört Epithelzellen und polymorphkernige Leukozyten. Es
entsteht ein Ulkus, das von einem nekrotischen Exsudat überzogen ist. Diese
Pseudomembran dunkelt bald nach, riecht ziemlich übel und blutet leicht, wenn man
versucht, sie zu entfernen. Entzündung und Schwellung sind sehr ausgedehnt (Abb.
18.16). Manchmal vergrößern sich die Halslymphknoten so stark, dass sie an einen
„Stiernacken“ erinnern.

Die schwerste Form der Erkrankung ist eine nasopharyngeale Diphtherie. Wenn der
Kehlkopf beteiligt ist, kann es zu einer lebensgefährlichen Atemwegsobstruktion
kommen. Wenn sich die Infektion auf den vorderen Nasenbereich beschränkt, verläuft
die Diphtherie milder, weil das Toxin an der Stelle schlechter resorbiert wird und eine

430
laufende Nase (Sekret) das stärkste Symptom sein kann. Doch diese Patienten sind hoch
ansteckend.

Diphtherietoxin kann tödliches Herzversagen und


Polyneuritis verursachen
Diphtherietoxin (s. Kasten und Abb. 18.17) wird in Lymphe und Blut aufgenommen und
kann unterschiedliche Auswirkungen haben:

■ geschwächter Allgemeinzustand: Fieber, Blässe, Erschöpfung

■ Myokarditis, meist innerhalb der ersten beiden Wochen: häufig EKG-


Abweichungen, evtl. Herzversagen; ohne tödlichen Ausgang vollständige Ausheilung.

■ Polyneuritis: nach Ausbruch der Erkrankung aufgrund der Demyelinisierung.


Ist z.B. der 9. Hirnnerv betroffen, kommt es zur Gaumenlähmung (weicher Gaumen)
und Regurgitation von Flüssigkeiten.
Abb. 18.16 Rachendiphtherie.

Typische „Pseudomembran“ und lokale Entzündung bei einem Kind mit Diphtherie
(mit freundlicher Genehmigung von Norman Begg).

431
Abb. 18.17 Wirkmechanismen des Diphtherietoxins.

ADP = Adenosindiphosphat, EF-2 = Elongationsfaktor 2


Geschichte der Mikrobiologie
Diphtherietoxin

Die Produktion des Toxins ist auf Genen von temperenten Bakteriophagen
verschlüsselt. Diese werden während der lysogenen Phase ins Bakterienchromosom
integriert. Diphtherietoxin wird als einzelnes Polypeptid (Molekulargewicht von
62000 und 535 Aminosäuren) synthetisiert und besteht aus:

■ einem B(Bindungs)-Fragment am carboxy-terminalen Ende, mit dem sich das


Toxin an Wirtszellen (oder beliebige eukaryote Zellen) heftet;

■ einem A-Fragment (aktive Komponente) am amino-terminalen Ende als


eigentlich toxisch wirkendem Teil.

Das A-Fragment entsteht nur, wenn das Toxin nach der Aufnahme in Zellen durch
Proteasen gespalten und seine Disulfidbrücken reduziert wurden. Es kann den
Elongationsfaktor 2 (EF-2) durch Adenosindiphosphat(ADP)-Ribosylierung
inaktivieren, d.h. die Proteinsynthese hemmen (Abb. 18.17). Da an der
prokaryotischen und mitochondrialen Proteinsynthese ein anderer EF beteiligt ist, sind
sie nicht betroffen. Ein einzelnes Bakterium kann bis zu 5000 Toxinmoleküle pro
Stunde produzieren. Das toxische A-Fragment ist so stabil, dass ein einzelnes Molekül

432
ausreicht, um die infizierte Zelle abzutöten. Aus unbekannten Gründen sind besonders
Myokard- und periphere Nervenzellen empfindlich gegenüber Diphtherietoxin.

Diphtherie muss unverzüglich mit Antitoxin und


Antibiotika behandelt werden
Diphtherie ist eine lebensbedrohliche Erkrankung und die klinische Diagnose daher
umgehend zu stellen. Bei Verdacht auf Diphtherie müssen die Patienten isoliert werden,
um das Risiko einer Ausbreitung toxigener Erreger auf andere zu mindern. Danach wird
sofort mit der Antitoxin-Behandlung begonnen. Da Diphtherie-Antitoxin aus
Pferdeserum gewonnen wird, sollte ein Hypersensitivitätstest durchgeführt werden. Als
ergänzende Therapie wird Erythromycin oder Penicillin verabreicht. Bei
Kehlkopfdiphtherie kann eine Tracheotomie erforderlich sein.

Die Diagnose lässt sich durch Laboruntersuchungen (Erregerisolierung und -


identifizierung, s. Anhang und Kap. 32) und den Nachweis der Toxinproduktion (Gel-
Diffusions-Immun-Präzipitationsreaktion, Elek-Test) sichern.

Auch Kontaktpersonen müssen behandelt werden


(Chemoprophylaxe oder Impfung)
Kontaktpersonen von Diphtheriepatienten sollten getestet werden, ob sie Träger eines
toxigenen C.-diphtheriae-Stammes sind; bei Bedarf muss eine Chemoprophylaxe oder
Immunisierung (Impfung) durchgeführt werden. Auch asymptomatische
Rekonvaleszenten oder scheinbar Gesunde können noch Träger bzw. Überträger
toxigener Bakterien sein.

Diphtherie lässt sich durch Schutzimpfung verhindern


Seitdem Kinder in den entwickelten Ländern gegen Diphtherie geimpft werden (mit
einem sicheren und wirksamen Toxoidimpfstoff, s. Kap. 34), ist sie dort fast
verschwunden. Allerdings tritt sie bei zu nachlässigem Impfverhalten schnell wieder
auf. 1990 brach in der Russischen Föderation eine Epidemie aus und weitete sich bis
1994 auf alle 15 GUS-Mitgliedsstaaten aus. Weltweit zählt man noch immer 100000
Neuerkrankungen und bis zu 8000 Todesfälle pro Jahr.

433
Zusammenfassung
■ Da der Respirationstrakt von der Nase bis zu den Alveolen ein Kontinuum
darstellt, können Erreger gleich in mehreren Abschnitten Krankheiten auslösen.
■ Einige Atemwegsinfektionen (Grippe/Influenza, Diphtherie,
Keuchhusten/Pertussis) bleiben auf das Oberflächenepithel beschränkt, während sich
andere (z.B. durch Masern-, Röteln-, Mumpsvirus, CMV, EBV) im ganzen Körper
ausbreiten.
■ „Professionelle“ Erreger (wie Erkältungs-, Influenzaviren, Mumpsvirus, CMV,
EBV, M. tuberculosis) können den gesunden Respirationstrakt infizieren, während
eine Erkrankung durch „sekundäre“ Infektionsauslöser (z.B. Staphylococcus aureus,
Pneumocystis jiroveci, Pseudomonaden) erst nach Schwächung der Wirtsabwehr
möglich wird.
■ Erkrankungen der Zähne und benachbarter Strukturen (Karies, Parodontitis)
sind häufig bakteriell bedingt.
■ Diphtherie ist eine lebensgefährliche Erkrankung durch ein biochemisch
definiertes Bakterientoxin, lässt sich aber durch eine Schutzimpfung verhindern.

FRAGEN
In der Ambulanz der Intensivstation wird ein 18 Monate altes Mädchen vorgestellt,
das in den frühen Morgenstunden schreiend und mit Fieber aufgewacht war und sich
von den Eltern nicht beruhigen lieβ. Seit drei Tagen hatte es eine Erkältung mit
Schnupfen. Bei der Untersuchung des erhitzten, reizbaren Mädchens sind beide
Trommelfelle hellrot und vorgewölbt.
1 Wie lautet die Diagnose?
2 Welche Erreger kommen am ehesten als Auslöser in Betracht?
3 Wie würden Sie das Kind behandeln?
4 Mit welchen Komplikationen ist zu rechnen?
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Adam, D., Doerr, H.W., Link, H., Lode, H.: Die Infektiologie. Springer Verlag, 2004.
Efstratiou, A., George, R.C.: Microbiology and epidemiology of diphtheria. Rev. Med.
Microbiol. 7 (1996) 31–42.
Fischetti, V.A.: Streptococcal M protein: molecular design and biological behavior.
Clin. Microb. Rev. 2 (1989) 285–314.
Henderson, F.W., Collier, A.M., Sanyal, M.A. et al.: A longitudinal study of
respiratory viruses and bacteria in the etiology of acute otitis media with effusion. N.
Engl. J. Med. 366 (1982) 1377–1383.
McMillan, J.A., Sandstrom, C., Weiner, L.B. et al.: Viral and bacterial organisms
associated with acute pharyngitis in a school-aged population. J. Paediatr. 109 (1986)
747–752.
Shaw, J.H.: Causes and control of dental caries. N. Engl. J. Med. 317 (1987) 996.

434
19 Untere Atemwegsinfektionen
19.1 Akute Infektionen 233

19.1.1 Keuchhusten 233

19.1.2 Akute Bronchitis 234

19.1.3 Akute Exazerbation einer chronischen Bronchitis 235

19.1.4 Bronchiolitis 235

19.1.5 Respiratory-Syncytial-Virus(RSV)-Infektionen 235

19.1.6 Pulmonalerkrankung durch Hantaviren 236

19.1.7 Pneumonie 237

19.2 Chronische Infektionen 249

19.2.1 Tuberkulose 249

19.2.2 Mykosen (Pilzinfektionen) 252

19.2.3 Zystische Fibrose (Mukoviszidose) 252

19.2.4 Lungenabszess 254

19.2.5 Pleuraerguss und Empyem 254

19.3 Parasitäre Infektionen 254


Zur Orientierung
Obwohl der Respirationstrakt von der Nase bis zu den Alveolen reicht und ein Kontinuum
bildet, ist es sinnvoll, zwischen oberen und unteren Atemwegsinfektionen zu
unterscheiden, selbst wenn einige Erreger an beiden ursächlich beteiligt sein können.
Nach den oberen Atemwegsinfektionen (s. Kap. 18) folgen in diesem Kapitel Infektionen
des unteren Respirationstrakts. Sie verlaufen oft schwerer, daher ist die Wahl der
richtigen Therapie sehr wichtig und möglicherweise sogar lebensrettend.

435
Untere Atemwegsinfektionen lassen sich in akut und
chronisch verlaufende unterteilen
Zu den akuten Infektionen gehören vier wichtige Syndrome:

■ Akute Bronchitis

■ Akute Exazerbation einer chronischen Bronchitis

■ Akute Bronchiolitis

■ Pneumonie

Eine Sonderstellung nimmt die Grippe (Influenza) ein, die in schweren Fällen in eine
Bronchitis oder Pneumonie übergehen kann. Als ernste und akute Infektion des unteren
Respirationstrakts wird auch Keuchhusten in diesem Abschnitt behandelt.

Im zweiten Teil des Kapitels geht es um chronische Infektionen:

■ Spezifische Krankheitsbilder wie Tuberkulose und Aspergillose

■ Lungenabszess und Empyem

■ Infektionen bei Patienten mit zystischer Fibrose (Mukoviszidose)

19.1 Akute Infektionen

19.1.1 Keuchhusten

Bordetella pertussis verursacht Keuchhusten


Keuchhusten (Pertussis) ist eine schwere Kinderkrankheit. Der Erreger (Bordetella
pertussis) ist ausschließlich human-pathogen und wird durch Tröpfcheninfektion
übertragen. Auf dem Flimmerepithel der Atemwegsschleimhaut vermehren sich die
Erreger zwar, dringen aber nicht in tiefere Strukturen ein. Wichtig für die spezifische
Adhäsion am Atemwegsepithel sind bakterielle Oberflächenbestandteile wie
filamentöses Hämagglutinin und Fimbrienagglutinogene.

436
Bei einer B.-pertussis-Infektion werden verschiedene
Toxine gebildet
Einige dieser Toxine rufen Entzündungen hervor, andere schädigen das
Flimmerepithel.

■ Pertussistoxin besteht ähnlich wie Diphtherie- und andere Toxine (s. Kap. 17
und 18) aus zwei Untereinheiten. Aktiver Bestandteil (A-Einheit) ist eine
Adenosindiphosphat(ADP)-Ribosyltransferase; sie katalysiert den Transfer von
ADP-Ribose aus Nicotinamid-Adenin-Dinucleotiden (NAD) auf Zellproteine des
Wirts. Das hat funktionelle Folgen, weil die Signalübertragung zu den befallenen
Zellen unterbrochen wird. Das Toxin wirkt vermutlich zusätzlich direkt auf die
Zelloberfläche.

■ Adenylatcyclase-Toxin ist ein Einzelpeptid, das in bestimmte Wirtszellen


eindringen und einen unphysiologisch hohen Anstieg des zyklischen
Adenosinmonophosphats (cAMP) auslösen kann. Dadurch werden z.B. wichtige
Abwehrfunktionen von Neutrophilen gehemmt (Chemotaxis, Phagozytose, Abtötung
von Bakterien). Adenylatcyclase-Toxin könnte auch für die hämolytischen
Eigenschaften von B. pertussis verantwortlich sein.

■ Tracheales Zytotoxin wird aus dem Peptidoglykan der Zellwand von B.


pertussis gebildet und zerstört gezielt Zellen des Trachealepithels (s. Kap. 2).

■ Pertussis-Endotoxin unterscheidet sich zwar von den klassischen Endotoxinen


anderer Gram-negativer Bakterien, hat aber funktionelle Ähnlichkeit mit ihnen und
könnte in der Pathogenese des Keuchhustens eine Rolle spielen.

Kennzeichnend für eine B.-pertussis-Infektion sind Hustenanfälle (Paroxysmen),


gefolgt von typischem Keuchen. Nach einer Inkubationszeit von 1–3 Wochen beginnt
das katarrhalische Stadium der Erkrankung, das sich kaum von anderen (oberen)
Atemwegsinfektionen unterscheidet. Etwa eine Woche später tritt trockener,
unproduktiver Husten auf. Daraus entwickeln sich Hustenanfälle in Form einer Reihe
kurzer Hustenstöße mit starker Schleimbildung. Auf ein typisches Keuchen folgt ein
hörbares Einziehen der Luft beim Atmen. Ungeachtet der Schwere des Hustens
bleiben die Symptome auf den Respirationstrakt beschränkt; es kann aber zu einem
lobären oder segmentalen Lungenkollaps kommen (Abb. 19.1).

Zu den Komplikationen gehören Anoxie (Unterversorgung des ZNS mit Sauerstoff),


Erschöpfung und Sekundärpneumonie durch Invasion anderer Erreger in das
vorgeschädigte Atemwegsepithel.

Im Frühstadium von Keuchhusten ist das klinische Bild unspezifisch, so dass die
richtige Diagnose oft erst aufgrund der Hustenattacken im Stadium convulsivum
gestellt werden kann. Auf geeigneten Kulturmedien oder „Hustenplatten“ (s. Kap. 32
und Anhang) kann B. pertussis aus Rachenabstrichen isoliert werden. Es handelt sich
jedoch um einen anspruchsvollen Erreger, der außerhalb der Wirtsumgebung nicht gut
überleben kann.

437
Abb. 19.1 Bei Keuchhusten zeigt die Thorax-
Röntgenaufnahme eine fleckige Verschattung der
Lunge mit Kollaps des rechten Mittellappens.

(mit freundlicher Genehmigung von J.A. Innes)

Keuchhusten wird supportiv und mit Erythromycin


behandelt
Die supportive Behandlung steht an erster Stelle. Gerade bei Säuglingen ist das
Komplikationsrisiko sehr hoch, daher sollte man bei Kindern unter einem Jahr eine
Krankenhauseinweisung in Erwägung ziehen. Wirksame antibakterielle Mittel müssen
schleimhautgängig sein, damit sie den Infektionserreger hemmen oder zerstören zu
können. Mittel der Wahl ist Erythromycin.

Obwohl die Behandlung oft erst im konvulsiven Stadium begonnen wird (wenn sich
anhand der Hustenanfälle die richtige Diagnose stellen lässt), scheint sie die Schwere
und Krankheitsdauer günstig zu beeinflussen. Sowohl die Gefahr, dass die Infektion
auf den Hals übergreift (und damit die Infektiosität der Patienten steigt), als auch das
Risiko einer Sekundärinfektion werden durch die Behandlung verringert.

Um die Ausbreitung der Infektion einzudämmen, empfiehlt sich für alle, die engen
Kontakt zu akut Erkrankten hatten, eine Erythromycin-Prophylaxe.

Eine aktive Immunisierung (Schutzimpfung) kann


Keuchhusten verhindern

438
Viele Jahre wurde eine Vollbakterienvakzine (Suspension abgetöteter B.-pertussis-
Zellen) verwendet und meist als Kombinationsimpfung mit einer „Tripelvakzine“
(DPTImpfstoff, enthält auch noch gereinigte Diphtherie- und Tetanustoxoide)
durchgeführt. Im Allgemeinen ist die Effektivität der Pertussisimpfung hoch, jedoch
variabel. Außerdem machte man sich in den letzten Jahren vermehrt Sorgen um die
Nebenwirkungen:

■ Bis zu 20% der Säuglinge können mit leichten Beschwerden wie Fieber,
allgemeinem Krankheitsgefühl und Schmerzen an der Injektionsstelle reagieren.

■ Bei etwa 0,5% der Geimpften können Krämpfe mit der Verabreichung des
Impfstoffes assoziiert sein.

■ Enzephalopathie und bleibende neurologische Schäden infolge der Impfung


kommen in weniger als 0,001% (1/100000 Impfungen) vor.

Als die Zahl der Impfungen aus Angst vor möglichen Nebenwirkungen spürbar
zurückging, stieg die Keuchhusten-Inzidenz in der Folgezeit merklich an (s. Kap.
31). Mittlerweile wird konzentriert an der Entwicklung von Komponentenimpfstoffen
gearbeitet, die nur noch die protektiven Antigene enthalten. Schwierig war nur, diese
Antigene zu identifizieren; Kombinationen aus inaktiviertem Pertussis-Toxin und
filamentösem Hämagglutinin erscheinen vielversprechend und sind in Deutschland,
Japan und einigen anderen Ländern bereits als Impfstoff im Einsatz.

19.1.2 Akute Bronchitis

Eine akute Entzündung des Bronchialbaums


(Bronchitis) ist meist infektiös bedingt
Auslöser können neben Rhino- und Coronaviren, die auch Infektionen der oberen
Atemwege verursachen, typische Erreger unterer Atemwegsinfektionen sein
(Influenza- und Adenoviren, Mycoplasma pneumoniae). Bakterielle
Sekundärinfektionen durch Streptococcus pneumoniae und Haemophilus influenzae
können ebenfalls eine Rolle in der Pathogenese spielen. Das Ausmaß der
Epithelschädigung hängt von den Erregern ab:

■ Auf die ausgedehnte Schädigung bei Influenzavirusinfektion kann sich leicht


eine bakterielle Sekundärinfektion aufpfropfen (Post-Influenza-Pneumonie, s.
unten).

■ Die spezifische Rezeptorbindung von Mycoplasma pneumoniae an


Epithelzellen der Bronchialschleimhaut (Abb. 19.2) mit Freisetzung toxischer Stoffe
führt zur Exsudat- und Infiltratbildung.

Husten ist das auffälligste Zeichen. Die Behandlung erfolgt weitgehend


symptomatisch. Oft werden zwar Antibiotika empfohlen, doch ihr Nutzen ist fraglich.

19.1.3 Akute Exazerbation einer chronischen


Bronchitis

439
Infektion ist nur ein Faktor bei chronischer Bronchitis
Als chronische Bronchitis wird ein Zustand mit Husten und starker Schleimsekretion
im Bronchialbaum bezeichnet, der sich keiner spezifischen Krankheit (wie
Bronchiektasie, Asthma oder Tuberkulose) zuschreiben lässt. Bei diesem Syndrom
scheint eine Infektion nur ein Faktor von vielen zu sein (z.B. neben Rauchen und der
Inhalation von Feinstaub oder Dämpfen am Arbeitsplatz).

Obwohl bakterielle Infektionen nicht die unmittelbaren Auslöser sind, können sie
erheblich zur Fortdauer der Erkrankung beitragen und die typischen akuten
Exazerbationen bewirken. Aus dem Sputum werden am häufigsten S. pneumoniae und
unbekapselte Stämme von H. influenzae isoliert, doch es ist schwierig, allein daraus
ihre pathogene Bedeutung zu beurteilen. Da sie auch in der normalen Rachenflora
vorkommen, könnte es sich um eine zufällige Kontamination des Auswurfs handeln.
Staphylococcus aureus und Mycoplasma pneumoniae sind selten für Infektion und
Exazerbation verantwortlich. Viren sind meist Ursache einer akuten Infektion.

Im Fall von akuten Exazerbationen kann eine Antibiotikatherapie sinnvoll sein, auch
wenn sich die Wirksamkeit schwer beurteilen lässt.

19.1.4 Bronchiolitis

Bronchiolitiden sind zu 75% durch Respiratory-


Syncytial-Viren (RSV) bedingt
Bei der Bronchiolitis handelt es sich um eine reine Kinderkrankheit, am häufigsten
erkranken Kinder unter zwei Jahren. Die dünnkalibrigen Bronchiolen von
Kleinkindern können sich bei entzündlich geschwollener Schleimhaut leicht verengen,
so dass der alveoläre Luftstrom stark eingeschränkt wird. Kommt es infolge der
Infektion zur Nekrose von Epithelzellen der Bronchiolenwand, kann daraus eine
peribronchiale Infiltration entstehen, die sich in Lungenfelder ausbreiten und zu einer
interstitiellen Pneumonie führen kann (s. unten). In bis zu 75% ist das Respiratory-
Syncytial-Virus (RSV) die Infektionsursache, und auch in der Ätiologie der restlichen
25% spielen Viren (nur gelegentlich M. pneumoniae) eine Rolle.

19.1.5 Respiratory-Syncytial-Virus-(RSV)-Infektionen

RSV ist Hauptverursacher von Säuglingsbronchiolitis


und -pneumonie
RSV ist ein typisches Paramyxovirus, von dem zwei Stämme (Gruppe A und B)
identifiziert wurden. Spikes auf der Oberfläche tragen statt Hämagglutinin oder
Neuraminidase ein G- (Glykoprotein, zur Anheftung an Zellen) und ein F(Fusions)-
Protein. Das F-Protein bewirkt, dass Virushülle und Zellmembran verschmelzen, und
eröffnet so den Zugang zur Zelle, darüber hinaus lässt es Wirtszellen zu Synzytien
(Riesenzellen) fusionieren.

440
Die durch Tröpfchen und in gewissem Umfang auch über die Hände übertragbaren
RSV-Infektionen brechen regelmäßig im Winter (Abb. 19.3) aus und können sich in
Krankenhäusern und in der Bevölkerung rasch ausbreiten. Im zweiten Lebensjahr hat
sich bereits fast jeder infiziert. Einer von 100 Säuglingen mit RSV-Bronchiolitis oder -
Pneumonie muss ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Besonders schwer erkranken meist junge Säuglinge


an einer RSV-Infektion
Durch Einatmen des Virus setzt sich die Infektion im Nasopharynx und unteren
Atemtrakt fest. Nach einer Inkubationszeit von 4–5 Tagen treten die ersten Symptome
auf. Besonders schwere Verläufe kommen bei sehr jungen Säuglingen vor (Letalität
im Alter von drei Monaten am höchsten). Bei ihnen breitet sich das Virus direkt an der
Oberfläche bis in die unteren Atemwege aus und kann eine Bronchiolitis oder
Pneumonie mit Husten, beschleunigter Atemfrequenz und Zyanose verursachen.

RSV-Infektionen älterer (Klein-) Kinder und Erwachsener bleiben auf die oberen
Atemwege beschränkt und rufen nur schwächere Erkältungssymptome hervor. Relativ
häufig entwickelt sich eine Otitis media. Bakterielle Sekundärinfektionen sind selten.

441
Abb. 19.2 Phagozytose opsonierter
Mycoplasmapneumoniae-Zellen (Pfeile) durch
einen Alveolarmakrophagen (Strichdicke 2 μm).

In der Ausschnittsvergrößerung ist erkennbar, wie M.-pneumoniae-Zellen mit


ihren Spitzenorganellen (T = tip) an der Makrophagenoberfläche hängen [Jacobs
1991].
Abb. 19.3 Akute Bronchiolitis durch RSV.

442
In den Quartalsberichten aus England und Wales sind deutlich die saisonalen
Schwankungen bei RSV-Infektionen erkennbar [nach einer Grafik des
Communicable Disease Surveillance Centre].

Die Symptome einer RSV-Infektion scheinen


immunpathologisch bedingt zu sein
Vielleicht führt bei Säuglingen die Reaktion mütterlicher Antikörper auf
Virusantigene zur Freisetzung von Histamin und anderen Mediatorsubstanzen aus den
Zellen. Die These einer Immunpathogenese wird auch dadurch gestützt, dass Kinder in
frühen klinischen Studien nach einer Impfung mit Totimpfstoff häufiger und schwerer
an spontanen RSV-Infektionen der unteren Atemwege erkrankten als nicht geimpfte
Kinder.

Schon bei jungen Säuglingen werden geringe Mengen neutralisierender Antikörper


gebildet, doch überwunden wird die Infektion nur mithilfe der zellvermittelten
Immunität (CMI). Bei Kindern, deren CMI noch nicht entwickelt ist, kann das Virus
monatelang aus der Lunge ausgeschieden werden. Manche Kinder können, selbst
nachdem sie offensichtlich genesen sind, noch ein, zwei Jahre eine
Lungenfunktionseinschränkung oder keuchende Atmung aufweisen.

RSV-Infektionen können häufiger wiederkehren, aber dann in abgeschwächter Form.


Die Gründe für rekurrierende Infektionen (auch ein Merkmal von
Parainfluenzavirusinfektionen) sind nicht bekannt.

In Zellausstrichen (exfoliative Zytodiagnostik) sind


RSV-spezifische Antigene nachweisbar; in schweren
Fällen ist Ribavirin indiziert
Durch eine Nasen-Rachen-Spülung (nasopharyngeale Lavage) lassen sich Zellen für
Ausstrichpräparate gewinnen, in denen mit Immunfluoreszenzmethoden (Abb. 19.4)
oder ELISA (enzyme-linked immunosorbent assay) RSV-spezifische Antigene
nachgewiesen werden können (s. Kap. 32). Eine Virusisolierung ist nur selten von
Nutzen; der Erfolg hängt davon ab, dass Zellkulturen möglichst rasch mit den
Sekreten inokuliert werden. Hilfreich ist auch eine Polymerasekettenreaktion (PCR)
zum Nachweis von Virus-RNA.

Ribavirin ist ein antivirales Mittel, das gelegentlich erfolgreich in Aerosolform bei
schweren Verlaufsformen eingesetzt wurde. Ein Impfstoff steht bislang noch nicht zur
Verfügung.

443
19.1.6 Pulmonalerkrankung durch Hantaviren
Im Südwesten der USA traten 1993 mehrere Fälle einer schweren
Pulmonalerkrankung auf, nachdem sich Menschen mit dem Sin-Nombre-Virus (einem
Hantavirus wilder Nagetiere) infiziert hatten. Die Invasion des Kapillarendothels führte
zum Übertritt von Flüssigkeit in die Lunge. Nach offiziellen Zahlen starben an dieser
Virusinfektion mindestens 26 Menschen.
Abb. 19.4 Immunfluoreszenzmethode.

Präparat mit RSV-infizierten (grün leuchtenden) Zellen aus dem Nasopharynx (mit
freundlicher Genehmigung von H. Stern).

19.1.7 Pneumonie
Die Pneumonie galt lange Zeit als „Freund des alten Mannes“. In Europa und den USA
ist sie die häufigste Infektions-assoziierte Todesursache. Als Auslöser kommt ein
breites Erregerspektrum in Frage, doch die Symptome sind kaum voneinander zu
unterscheiden. Daher stellt weniger die klinische Diagnose der Pneumonie (außer
vielleicht bei Kindern, hier ist es etwas schwieriger) als vielmehr die
Erregeridentifizierung durch geeignete Labormethoden (s. Anhang) die eigentliche
Herausforderung dar. Ohne Erregeridentifizierung wird aber möglicherweise nicht die
optimale Therapie gewählt.

Durch Inhalation, Aspiration oder auf dem Blutweg


gelangen Erreger in die Lunge
In den unteren Respirationstrakt gelangen Mikroorganismen, wenn sie in Aerosolform
inhaliert oder als Keime der Normalflora aus den oberen Atemwegen aspiriert
werden. Wie weit nach unten sie vordringen, hängt von der Größe der eingeatmeten
Partikel ab; nur winzige Teilchen mit einem Durchmesser unter 5 μm schaffen es bis
in die Alveolen. Weniger häufig findet eine hämatogene Streuung von Keimen aus
anderen Infektionsherden in die Lunge statt.

444
Gesunde sind nur anfällig für eine Infektion mit Pathogenen, die sich über bestimmte
Adhäsine am Atemwegsepithel festheften können. Menschen mit eingeschränkter
Immunlage (z.B. aufgrund einer Immunschwäche/-suppression, einer viralen
Vorschädigung oder einer zystischen Fibrose) können sich jedoch auch mit
opportunistischen Erregern infizieren, die normalerweise nicht krank machen (z.B.
Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie von AIDS-Patienten).

Der Respirationstrakt kann nur begrenzt auf


Infektionen reagieren
Die Wirtsreaktionen lassen sich anhand pathologischer oder radiologischer Befunde
erfassen, doch weil sie unterschiedlich benutzt werden, kann es zu einer
Begriffsverwirrung kommen. Allgemein gebräuchlich sind vier beschreibende
Begriffe (Abb. 19.5):

■ Lobärpneumonie: betroffen ist ein umschriebenes Lungengebiet (Lappen).


Als entzündliche Reaktion polymorphkerniger Leukozyten bildet sich ein Exsudat,
das die Alveolen von innen verklebt und verdichtet (Anschoppung). Die Infektion
kann innerhalb der anatomischen Grenzen einzelner Lungensegmente auf
benachbarte Alveolen übergreifen. Daher kann ein ganzer Lappen (Lobus) verdichtet
sein.

■ Bronchopneumonie: bezeichnet eine diffusere fleckige Verdichtung


(Anschoppung) des Lungengewebes; kann sich vom ursprünglichen Herd aus in den
kleinen Luftwegen auf die ganze Lunge ausbreiten.

■ Interstitielle Pneumonie: besonders typisch für Virusinfektionen der Lunge


mit Invasion der Erreger ins Interstitium.

■ Lungenabszess (manchmal auch als nekrotisierende Pneumonie bezeichnet):


Zustand mit Kavernenbildung und Lungenparenchymzerstörung.

Gemeinsam ist allen Störungen, dass es aufgrund des behinderten Gasaustauschs in


der Lunge zu Atemnot (Dyspnoe) und infolge einer Infektion an anderen Stellen zu
systemischen Auswirkungen kommen kann.

445
Ein breites Erregerspektrum kann Pneumonien
auslösen
Ein wichtiger Faktor ist das Alter (Tab. 19.1):

■ Pneumonien in der Kindheit können viral oder durch eine bakterielle


Sekundärinfektion nach vorhergehender Virusinfektion (z.B. Masern) bedingt sein.
Wenn sich Neugeborene von Müttern mit einer genitalen Chlamydia-trachomatis-
Infektion unter der Geburt infiziert haben, kann sich aus der (Chlamydien-)
Besiedlung des Respirationstrakts eine interstitielle Pneumonie (s. Kap. 21)
entwickeln.

■ Ohne eine zugrunde liegende Störung wie z.B. zystische Fibrose


(Mukoviszidose) ist eine Pneumonie älterer Kinder eher selten.
Mukoviszidosekranke Kinder und Jugendliche sind verstärkt anfällig für typische
Erreger einer unteren Atemwegsinfektion (wie S. aureus, H. influenzae und
Pseudomonas aeruginosa).

■ Risikofaktoren für eine Pneumonie im Erwachsenenalter sind Alter,


Grunderkrankungen und Exposition (beruflich, auf Reisen oder durch Tierkontakt).

Eine nosokomiale Pneumonie kann verschiedene Ursachen haben, aber die


häufigsten Erreger sind Gram-negative Bakterien. In Abb. 19.6 sind die Auslöser einer
Erwachsenen-Pneumonie zusammengestellt. Auch wenn sich klinische und
epidemiologische Hinweise auf die wahrscheinliche Ursache ergeben, sind
mikrobiologische Untersuchungen entscheidend zur Diagnosesicherung und Wahl
einer optimalen Therapie.

Tab. 19.1 Altersbezogene Ursachen einer

Tab. 19.1 Altersbezogene Ursachen einer Pneumonie.

Klinisch sind virale und bakterielle Pneumonien oft


kaum zu unterscheiden

446
Thoraxröntgenaufnahmen zeigen bei viralen Pneumonien häufiger eine
charakteristische interstitielle Beteiligung (Abb. 19.5c) als bei bakteriellen
Infektionen. Aus Gründen der größeren Klarheit werden hier beide getrennt
beschrieben. RSV-Infektionen wurden bereits besprochen und die speziell bei
immungeschwächten Patienten mit Pneumonie assoziierten opportunistischen Erreger
wie P. jiroveci sind in Kap. 30 beschrieben.

Bakterielle Pneumonie

Klassischer Erreger einer akuten (nicht-


nosokomialen) Pneumonie ist Streptococcus
pneumoniae
Früher wurden 50–90% der Pneumonien durch Pneumokokken (S. pneumoniae)
ausgelöst, doch nachdem sie in den letzten Jahren an Bedeutung verloren haben,
verursachen sie jetzt nur noch ca. 25–60% der Fälle (Tab. 19.2). Schätzungsweise
5–15% der Fälle lassen sich auf H. influenzae zurückführen, wobei die wirkliche
Inzidenz schwer beurteilt werden kann, weil dieser Erreger häufig auch die oberen
Atemwege von Bronchitispatienten besiedelt (s. oben).

Zahlreiche Bakterien können eine primär atypische


Pneumonie verursachen
Als Penicillin – ein wirksames Antibiotikum für Pneumokokkeninfektionen – breiter
verfügbar wurde, sprach ein beträchtlicher Prozentsatz der Pneumoniefälle nicht
mehr darauf an. Sie wurden daher als „primär atypische Pneumonie“ bezeichnet.
„Primär“ bedeutet, dass es sich um eine neu aufgetretene Pneumonie handelt, im
Unterschied zu einer sekundären (z.B. infolge einer Grippe). „Atypisch“ bezieht
sich darauf, dass aus dem Sputum der Patienten keine Pneumokokken isoliert
werden können, dass sowohl Allgemein- wie respiratorische Symptome auftreten
und die Pneumonie nicht auf Penicillin oder Ampicillin anspricht.

447
Abb. 19.5 Vier Arten von Pneumonie.

a) Pneumokokken-Lobärpneumonie, verdichtete, mit Neutrophilen und Fibrin


gefüllte Alveolen (Hämatoxylin-Eosin-Färbung); b) Mykoplasmen-
Bronchopneumonie mit fleckiger Verdichtung in mehreren Lungenarealen; c)
interstitielle Pneumonie (nach Influenzavirusinfektion); d) Lungenabszess mit
Abszesshöhle (Kaverne) im rechten unteren Lappen. Mit freundlicher
Genehmigung von I.D. Starke und M.E. Hodson (a, c) bzw. J.A. Innes (b, d).

Auslöser einer atypischen Pneumonie können M. pneumoniae, Chlamydophila


(früher: Chlamydia) pneumoniae oder psittaci, Legionella pneumophila und Coxiella
burnetii sein. Die relative Bedeutung dieser Pathogene unterscheidet sich in
einzelnen Studien (Tab. 19.2). Besonders häufig kommt eine Infektion mit
Chlamydophila pneumoniae vor. Etwa 50% der Erwachsenen haben Antikörper, und
in den USA erkranken jährlich bis zu 300000 Erwachsene an einer Chlamydophila-
Pneumonie. Mycoplasma und Chlamydophila pneumoniae scheinen ausschließlich
humanpathogen zu sein, während C. psittaci und Coxiella burnetii von infizierten
Tieren übertragen werden. Legionella pneumophila wird aus verseuchten Quellen in
der Umgebung erworben (Abb. 19.6).

448
Abb. 19.6 Potenziell können viele Erreger eine
Pneumonie des Erwachsenen verursachen.

Beeinflusst wird die Ätiologie auch von Risikofaktoren wie Pathogen-Exposition


im Beruf, auf Reisen oder durch Tierkontakte. Ältere Patienten erkranken öfter
und meist auch schwerer an einer Pneumonie als jüngere.

* Eher Reaktivierung einer endogenen statt einer im Umfeld oder im


Krankenhaus erworbenen Infektion C. = Coxiella, CMV = Zytomegalievirus, H.
= Haemophilus, K. = Klebsiella, L. = Legionella, M. = Mycobacterium, P. =
Pseudomonas, Staph. = Staphylococcus, Str. = Streptococcus

449
Tab. 19.2 Häufigste Pneumonie-Ursachen in der (Normal-)
Bevölkerung, Studienergebnisse aus drei Ländern.
*
da bei einigen Patienten mehr als ein Erreger isoliert werden konnte, ergeben sich bei der
Addition über 100%

Zunehmend häufiger wird Moraxella (früher: Branhamella) catarrhalis als


Pneumonie-Ursache nachgewiesen, besonders bei Patienten mit Lungenkarzinom
oder einer anderen pulmonalen Grundkrankheit. Ätiologisch sind bei Pneumonie
auch andere Faktoren zu berücksichtigen (bestimmte Grunderkrankungen, Berufe,
Tierkontakte, Reisen), die in Abb. 19.6 dargestellt und in anderen Kapiteln
ausführlicher beschrieben werden. Wichtig ist anzumerken, dass sich in bis zu 35%
der unteren Atemwegsinfektionen kein Erreger isolieren lässt.

Eine Pneumonie äußert sich meist durch Unwohlsein


und Fieber
Zu den Symptomen einer Lungenentzündung zählen unter anderem:

■ Brustschmerzen (können pleuritisch sein)

■ produktiver Husten (mit Sputum)

■ Kurzatmigkeit

■ erschwertes und schmerzhaftes Atmen

Bei manchen Infektionen beschränken sich die Symptome im Wesentlichen auf den
Brustbereich. Doch die von L. pneumophila verursachte Legionärskrankheit wirkt
sich systemisch aus, so dass es zu geistiger Verwirrtheit (Desorientiertheit), Diarrhoe
und Anzeichen einer Nierenoder Leberfunktionsstörung kommen kann. In der Regel

450
ist die Unterscheidung zwischen Lokal- und Allgemeinsymptomen aber nicht so
zuverlässig, dass sie ausreichen würde, die richtige Diagnose zu stellen.

Ehe sich Veränderungen im Röntgenbild zeigen, können bereits bei der körperlichen
Untersuchung auffällige Rasseloder Knistergeräusche zu hören und
Verdichtungszeichen erkennbar sein.

Bei Pneumonie-Patienten können ein oder mehr


Lungenareale verschattet sein
Thorax-Röntgenaufnahmen stellen eine wichtige Ergänzung zur klinischen Diagnose
dar. Oft haben Pneumonie-Patienten Schatten auf der Lunge (wie oben für Lobär-,
Broncho- und interstitielle Pneumonie beschrieben), die Ausdruck einer
Gewebeverdichtung sein können. Allerdings ist sehr sorgfältig zwischen
infektiösen und nichtinfektiösen Prozessen (z.B. Tumoren) zu unterscheiden.

Bei älteren Menschen ist die Pneumonie die


häufigste Infektions-assoziierte Todesursache
Pneumonie ist aber auch bei jungen und zuvor noch gesunden Menschen eine
wichtige Todesursache. Zu den Komplikationen trägt mit bei, dass sich die Erreger

■ direkt in extrapulmonale Regionen wie den Pleuraraum (führt zum Empyem,


s. unten) oder

■ indirekt auf dem Blutweg (hämatogen) in andere Körperbereiche ausbreiten


können.

Patienten mit Pneumokokkenpneumonie haben z.B. in der Mehrheit positive


Blutkulturen. Ältere Menschen erkranken im Anschluss nicht selten an
Pneumokokkenmeningitis.

Sputumproben werden am besten morgens vor dem


Frühstück gesammelt
Trotz aller Zweifel am Wert der mikroskopischen Sputumuntersuchung und Kultur
des Auswurfs bleiben sie Stützpfeiler der respiratorischen Bakteriologie. Die
Sputumgewinnung erfolgt nicht invasiv. Wahrscheinlich führen aber invasive
Methoden wie transtracheale Aspiration, Bronchoskopie und Bronchiallavage bzw.
offene Lungenbiopsie zu nützlicheren Ergebnissen.

Sputumproben werden am besten morgens gewonnen. Wenn die Patienten im Bett


liegen, sammelt sich vermehrt Sputum an, außerdem ist es vor dem Frühstück noch
nicht mit Essensresten und Bakterien aus der Nahrung kontaminiert. Es ist wichtig,
echte Sputum- und nicht etwa Speichelproben zur Untersuchung einzusenden.
Patienten, die zu schwach sind, um ohne Hilfe abzuhusten, können
physiotherapeutisch unterstützt werden.

451
Gängige Labormethoden für Sputumproben von
Pneumonie-Patienten sind Gram-Färbung und Kultur
Nach Gram-Färbung (s. Kap. 32) des Sputums lässt sich innerhalb weniger Minuten
eine (Verdachts-) Diagnose stellen, wenn in dem Film eine
Leukozytenvermehrung (als Form der Wirtsreaktion) und der mutmaßliche Erreger
erkennbar sind (typisch für S. pneumoniae z.B. Gram-positive Diplokokken; Abb.
19.7). Sind nur Keime, aber keine polymorphkernigen Leukozyten zu sehen, spricht
das eher für eine Kontamination der Probe als für eine Infektion. Wichtig ist aber,
daran zu denken, dass eine adäquate Leukozyten-Reaktion bei immungeschwächten
Patienten nicht mehr möglich ist. Und nicht zu vergessen: mit Ausnahme von L.
pneumophila sind atypische Pneumonie-Erreger in Gram-gefärbten Ausstrichen
(Abb. 19.8) nicht erkennbar.
Abb. 19.7 Sputumausstrich.

Die Gram-Färbung ermöglicht eine rasche Diagnose, wenn wie hier zahlreiche,
für Pneumokokkenpneumonie typische Gram-positive Diplokokken und
polymorphkernige Leukozyten erkennbar sind. Doch viele wichtige Pneumonie-
Erreger werden durch die Gram-Färbung nicht angefärbt.

Mit Standardkulturtechniken lassen sich S. pneumoniae, S. aureus, H. influenzae,


Klebsiella pneumoniae und andere weniger anspruchsvolle Gram-negative Bakterien
anzüchten. Spezielle Kulturmedien bzw. -methoden sind dagegen für die Erreger
atypischer Pneumonien (einschließlich L. pneumophila) erforderlich (Abb. 19.8, s.
Anhang).

Mit Erfolg wurden auch Schnellverfahren (ohne Anzüchtung) zur Diagnose einer
Pneumokokkenpneumonie erprobt. Durch Agglutination mit Antikörper-
beschichteten Latexpartikeln (s. Kap. 32) kann Pneumokokkenantigen sowohl in
Sputum- als auch in Urinproben nachgewiesen werden, da es auch im Urin
ausgeschieden wird. Das Ergebnis liegt innerhalb einer Stunde nach der
Probengewinnung vor. Doch die Antibiotika-Empfindlichkeit kann erst nach der
Erregerisolierung getestet werden.

452
Abb. 19.8 Legionella pneumophila.

a) Lungenbiopsieprobe eines Patienten mit fulminanter Legionärskrankheit


(Gram-Färbung); b) Kulturplatte mit weißen Kolonien auf einem gepufferten
Kohle-Hefeextrakt. Mit freundlicher Genehmigung von S. Fisher-Hoch (a) bzw.
I. Farrell (b)

Die mikrobiologische Diagnose einer atypischen


Pneumonie wird meist serologisch bestätigt
Wie schon erwähnt, lassen sich wichtige Auslöser einer (atypischen) Pneumonie
weder in Gram-gefärbten Sputumausstrichen nachweisen noch auf einfachen
Standardkulturmedien anzüchten. Aus diesem Grund wird die Diagnose gewöhnlich
serologisch statt durch Kultur gesichert. Einige Infektionen können schon im
Frühstadium durch den Nachweis von IgM, bakteriellem Antigen oder
Erregergenomabschnitten diagnostiziert werden. Ein stark erhöhter Einzeltiter
bestimmter Antikörper oder vorzugsweise der Nachweis eines Titeranstiegs kann
zwischen Akut- und Erholungsphase der Erkrankung unterscheiden. Die
serologische Diagnose wird daher oft rückblickend (retrospektiv) gestellt. Wichtige
serologische Untersuchungen sind in Tab. 19.3 zusammengefasst.

Eine Pneumonie wird gezielt antibiotisch behandelt


Sobald die Ursache feststeht, fällt die Wahl einer geeigneten Antibiotikatherapie
nicht mehr allzu schwer (Tab. 19.4), obwohl die Penicillin- und Ampicillin-
Resistenz von Pneumokokken in einigen Ländern zunimmt.

Schwieriger ist die Wahl der Therapie, wenn kein Sputum produziert oder kein
Erreger darin festgestellt wird. Es ist daher wichtig, eine ausführliche Anamnese zu
erheben und bei Bedarf auf invasive diagnostische Methoden zurückzugreifen, um
die Ursache herauszufinden.

453
Tab. 19.3 Serologische Diagnose einer atypischen Pneumonie.
ELISA = enzyme-linked immunosorbent assay

Tab. 19.4 Antibakterielle Pneumoniebehandlung

454
455
Verringerung der Expositionsgefahr oder eine
Pneumokokken-Schutzimpfung nach Splenektomie
und bei Sichelzellkrankheit dienen als Maßnahmen
zur Prävention
Respiratorische Infektionen werden normalerweise durch Tröpfchen in der Luft
übertragen, so dass ihre Ausbreitung praktisch nicht verhindert werden kann. Etwas
geringer ist die Infektionsgefahr, wenn größere Menschenansammlungen gemieden
und Räume gut belüftet werden. Andere Infektionsquellen, z.B. Kontakt mit kranken
Tieren (Q-Fieber) oder Vögeln (Psittakose), lassen sich oft besser umgehen. Nach
ausgiebiger Untersuchung der Legionellen-Kontamination von Klimaanlagen und
Warmwasserleitungen sind jetzt in vielen Ländern Vorschriften für die technischen
Versorgungsunternehmen in Kraft.

Gegen einige Erreger von Atemwegsinfektionen besteht die Möglichkeit einer


Impfung. Besonders Patienten mit hohem Risiko ist ein Pneumokokken-Impfstoff zu
empfehlen, der Polysaccharidkapselantigene der gängigsten Streptococcus-
pneumoniae-Typen enthält (z.B. wenn nach Splenektomie oder bei
Sichelzellerkrankung bekapselte Keime nicht mehr wirksam bekämpft werden
können). In Deutschland gehört die Pneumokokkenimpfung bei > 60-Jährigen zu
den empfohlenen Impfungen laut Ständiger Impfkommission am Robert-Koch-
Institut (STIKO).

Viruspneumonie

Viren können auf dem Blutweg oder aus den oberen


Luftwegen in die Lunge gelangen
Auch Viren können eine Pneumonie verursachen (Tab. 19.5) – und wie bei
Infektionen der oberen Atemwege gelingt ihnen das trotz einer normal
funktionierenden Abwehr. Anfällig sind auch völlig gesunde Menschen, denn die
meisten Viren besitzen Oberflächenmoleküle, mit denen sie sich speziell am
Atemwegsepithel halten können. Das oben beschriebene RSV kann z.B. zu einer
Säuglingspneumonie führen.

456
Tab. 19.5 Viruspneumonie
Selbst wenn Viren dieser Gruppe nicht direkte Auslöser einer Pneumonie sind,
können sie die Abwehrkräfte im Respirationstrakt so weit schädigen, dass eine

457
bakterielle (Sekundär-) Pneumonie begünstigt wird. Manchmal breiten sich Viren
nicht weiter in den Luftwegen aus, sondern bleiben im interstitiellen Gewebe und
verursachen eine interstitielle Pneumonie. Ein Beispiel ist das Zytomegalievirus,
das bei Patienten, die unter einer immunsuppressiven Therapie stehen (z.B. nach
Knochenmarktransplantation), eine CMV-Pneumonie hervorruft.

Parainfluenzavirusinfektion
Neben RSV sind Parainfluenzaviren die wahrscheinlichste Ursache von unteren
Atemwegsinfektionen, Krupp und Pneumonie bei Kindern.

Unterschiedliche klinische Auswirkungen der vier


Virustypen
Die Oberflächen-Spikes von Parainfluenzaviren bestehen entweder aus
Hämagglutinin und Neuraminidase oder aus F(Fusions)-Proteinen. Es gibt vier
Virustypen mit unterschiedlichen Antigenen. Nach der Übertragung durch
Tröpfcheninfektion breiten sich die Viren lokal auf dem Atemwegsepithel aus.

Typ 1–3 des Parainfluenzavirus verursachen Pharyngitis, Krupp, Otitis media,


Bronchiolitis und Pneumonie. Krupp tritt als akute Laryngotracheobronchitis bei
Kindern unter fünf Jahren auf und äußert sich durch rauen Husten und Heiserkeit.
Typ 4 kommt seltener vor und ruft im Allgemeinen eine Art Erkältungskrankheit
hervor.

In Zellen der Spülflüssigkeit können oft Antigene nachgewiesen bzw. Viruspartikel


isoliert werden. Mit Ribavirin steht ein wirksames antivirales Mittel zur Verfügung,
doch ein Impfstoff ist nicht verfügbar.

Adenovirusinfektion

Bis zu 5% der akuten Atemwegsinfektionen sind


durch Adenoviren verursacht
Einige der 41 Antigentypen von Adenoviren verursachen Infektionen sowohl der
oberen (Pharyngokonjunktivalfieber und Halsentzündung, s. Kap. 18) als auch der
unteren Atemwege. Bei Kindern unter fünf Jahren treten im Allgemeinen nur
unspezifische Symptome auf. Mit nachlassender Wirkung der mütterlichen
Antikörper werden untere Atemwegsinfektionen häufiger, vor allem durch Typ 7 der
Adenoviren.

Typ 3, 4 und 7 rufen respiratorische Erkrankungen hervor, deren Bandbreite sich


von einer Pharyngitis bis zuratypischen Pneumonie erstreckt. Dabei könnten dichte
Menschenansammlung (etwa in Kasernen) und Stress als Kofaktoren eine Rolle
spielen.

Die Erholungsphase verläuft im Allgemeinen undramatisch. Adenoviren können


offenbar im Körper persistieren, da sie in 50% der operativ entfernten Mandeln

458
nachzuweisen waren. Bei Soldaten wurde eine Schluckimpfung (dünndarmlösliche
Kapseln mit Typ 4 und 7) erprobt, diese konnte sich allerdings nicht etablieren.

Metapneumovirus(hMPV)-Infektion
Das 2001 in Holland entdeckte „human metapneumovirus“ (hMPV) ist eng mit RSV
verwandt und befällt die Atemwege. Infektionen scheinen vor allem in den
Wintermonaten aufzutreten. Das Krankheitsspektrum reicht von leichten Beschwerden
bis hin zu Bronchiolitis und Pneumonie mit Fieber, Schnupfen, Husten,
Halsentzündung und Keuchatmung. Betroffen sind vor allem Säuglinge und
Kleinkinder, und einige Berichte lassen darauf schließen, dass die meisten Kinder
unter fünf Jahren bereits eine hMPV-Infektion durchgemacht haben. Da hMPV aber
auch bei älteren Kindern und Erwachsenen nachzuweisen ist, können offenbar auch
Reinfektionen vorkommen.

Influenzavirusinfektion

Influenzaviren gelten als klassische respiratorische


Viren und können Grippeendemien, -epidemien
und -pandemien hervorrufen
In Abb. 19.9 ist die (Einzelstrang-RNA-)Struktur eines typischen Orthomyxovirus
gezeigt und in Abb. 19.10 der Budding-Vorgang.

Es gibt drei Typen von Influenzaviren (A, B, C)


Influenzaviren unterscheiden sich durch ein gruppenspezifisches Antigen: das im
Innern befindliche Ribonukleoprotein (RNP).

■ Influenza-A-Viren verursachen Grippeepidemien, gelegentlich auch


pandemien, und haben in Vögeln ein Tierreservoir.

■ Influenza-B-Viren verursachen nur Grippeepidemien und haben keine Tiere als


Wirtsspezies.

■ Influenza-C-Viren verursachen nur schwächere Atemwegsinfektionen, aber


keine Grippeepidemie.

Die Virushülle weist Hämagglutinin- und


Neuraminidase-Spikes auf (Abb. 19.9)
Als typspezifische Antigene der Influenza-A-Viren können Hämagglutinin (H) und
Neuraminidase (N) auch dazu benutzt werden, verschiedene Stämme von Influenza-
A-Viren zu unterscheiden (Tab. 19.6). Im Umlauf sind z.B. Stämme wie H3N2,
H1N1 und H1N2. Bei der vollen Bezeichnung werden nach der Virusgruppe noch
Ort und Jahr der Virusisolierung angegeben (z.B. A/Philippinen/82/H3N2).

459
Das einzelsträngige RNA-Genom ist in Segmente unterteilt, deren Umsortierung bei
der Replikation zu Viren mit neuer H-N-Antigen-Kombination führen kann. Daher
können Zellen von mehreren Virusstämmen gleichzeitig infiziert sein.
Abb. 19.9 a) Influenza-A-Viruspartikel; b)
Detailvergrößerung der Oberflächen-Spikes aus
Hämagglutinin (H) und Neuraminidase (N).

Ein Viruspartikel hat ca. 500 H-Spikes (für seine Bindung an Wirtszellen) und
rund 100 N-Spikes (für die Ablösung von der Zelloberfläche). Mit der Fusion
von Virushülle und Plasmamembran beginnt die Infektion der Zellen, danach
löst sich das Virus von der Oberfläche. Eng mit bestimmten RNA-Abschnitten
verbundene Nukleo- und Polymeraseproteine bilden Ribonukleoprotein (RNP).
Vom Ende her betrachtet sieht das N-Tetramer wie ein Propeller aus. Die
Detailansicht (b) zeigt je ein H-Trimer und N-Tetramer, deren dreidimensionale
Struktur aus röntgenkristallographischen Untersuchungen bekannt ist. c)
Elektronenmikroskopisches Schnittbild von Influenzaviruspartikeln; 300000 ×
vergr. (mit freundlicher Genehmigung von D. Hockley)

460
Bei ihrer Ausbreitung innerhalb einer Wirtsspezies
verändern sich Influenzaviren genetisch
Man unterscheidet zwei Arten genetischer Veränderungen:

■ Antigen-Drift. Wenn ständig stattfindende kleinere Mutationen der H- und N-


Antigene dazu führen, dass sich das Virus erheblich stärker in Individuen, die
gegen bisherige Stämme immun waren, vermehren kann, kann es durch diesen
neuen Subtyp zur Reinfektion der ganzen Gruppe kommen. Ein Antigen-Drift ist
bei allen Influenzaviren möglich.

■ Antigen-Shift. Dass sich die Antigenität der H- oder N-Antigene plötzlich


stärker verändert, ist selten und kommt nur bei Influenza-A-Viren vor. Der Grund
ist eine Rekombination zwischen verschiedenen Virusstämmen, die ein und
dieselbe Zelle infizieren. Die größere Veränderung von H oder N bedeutet, dass
sich der neue Virusstamm in früher immunen Populationen ausbreiten und den
Beginn einer neuen Pandemie markieren kann (Tab. 19.6). Gehen noch weitere
genetische Veränderungen (zusätzlich zu der von N und H) damit einher, können
sie die Pathogenität steigern oder die Ausbreitung beschleunigen.
Abb. 19.10 Aussprossen (budding) von
Influenzaviren an der Oberfläche einer infizierten
Zelle.

a) Ultraschall-Elektronenmikroskopie, 27000 × vergrößert;

b) Längsschnitt, 350000 × vergr. (mit freundlicher Genehmigung von D.


Hockley)

461
Tab. 19.6 Pandemische humane Influenzaviren
*
Antigen-Shift bei Influenza-A-Viren an neuen N- und H-Antigen-
Kombinationen erkennbar
**
Aminosäuren- und Basensequenzanalyse lassen vermuten, dass es sich
bei H3N2 um eine Rekombination von H3N8 (Enten) mit H2N2 handeln könnte

Die meisten der bekannten 13 H- und 9 N-Typen kommen bei Vögeln vor. Von den
117 möglichen H-N-Kombinationen wurden 71 bei Vögeln gefunden, besonders bei
Enten. Manchmal führen sie zu schweren Epidemien bei Hühnern und Truthähnen.
Influenza-A-Viren können auch Schweine, Pferde, Robben und andere Säugetiere
infizieren, was angesichts ihrer Fähigkeit zu N-H-Umstellungen die „Mischgefäß-
Hypothese“ erklären kann: Da in einigen Ländern z.B. Bauern und Schweine im
selben Raum leben, besteht die Möglichkeit, dass sich Influenzaviren mischen und
neue Stämme auftauchen.

An der Spanischen Grippe starben 1918 weltweit über 20 Millionen Menschen.


Nach dieser Pandemie folgten 1957 mit der Asiatischen und 1968 mit der
Hongkong-Grippe zwei weniger schwere Pandemien. 1976 gab es Alarm wegen
einer Schweinegrippe in Fort Dix (USA) und 1997 erkrankten 18 Menschen in
Hongkong an dem Vogelgrippevirus A/H5N1. Sechs der Infizierten starben. Erst
als die Gesundheitsbehörden das Schlachten sämtlicher Hühner in Hongkong
anordneten, brach die Welle ab. Aus Hongkong und Südchina wurden 1999 fünf
Infektionen von Menschen mit einem anderen Vogelgrippevirus (A/H9N2)
gemeldet. Keiner dieser Stämme schien sich weiter zu verbreiten oder von Mensch
zu Mensch übertragbar zu sein.

Grippeepidemien und -pandemien entstehen, wenn sich Menschen mit dem


Erscheinen neuer Virusstämme regelmäßig mit verschiedenen Virusstämmen
reinfizieren. Das unterscheidet Influenza- von sog. monotypen Viren (z.B. Masern-
oder Mumpsvirus), deren Antigene sich nur minimal verändern. Eine Masern- oder
Mumpsinfektion verleiht lebenslange Immunität.

462
Die Übertragung von Influenzaviren erfolgt durch
Tröpfcheninfektion (Inhalation)
Grippe tritt auf der ganzen Welt auf, aber fast ausnahmslos in den kälteren
Monaten des Jahres (außer in den Tropen). Das liegt zum großen Teil daran, dass
sich Menschen bei kaltem Wetter bevorzugt in geschlossenen Räumen aufhalten, wo
die eingeschränkte Frischluftzufuhr die gegenseitige Ansteckung begünstigt,
vielleicht aber auch an einer schwächeren Immunlage in kälteren Monaten. Wie
aktiveine Grippevirusinfektion ist, lässt sich nicht nur an der steigenden Zahl von
Patienten ablesen, die einen Arzt aufsuchen, sondern auch an der erhöhten Letalität
akuter Atemwegserkrankungen (wie Pneumonien), gerade bei älteren Menschen
(Abb. 19.11).
Abb. 19.11 Das Auftreten einer Grippewelle
spiegelt sich in einem allgemeinen Anstieg der
Todesfälle infolge akuter Atemwegserkrankungen
wider.

Parallel zu den Meldungen über Neuerkrankungen an Grippe steigt die Zahl der
Todesfälle, die sich auf Grippe, Pneumonie und Bronchitis zurückführen lassen.
Hier wurden Angaben aus England und Wales für die Monate Oktober bis Mai
(1971–1983) dargestellt. Spitzenwerte sind durch die Ausbreitung verschiedener
Influenza-A- (H3N2 und H1N1) und Influenza-B-Virusstämme (durch Pfeile
markiert) in der Bevölkerung zu erklären [nach Daten des Office of Population,
Censuses and Surveys].

Die Anfangssymptome beruhen unmittelbar auf der viral bedingten


Gewebeschädigung und der damit einhergehenden entzündlichen Reaktion. Durch
Tröpfchen gelangt das Grippevirus in den Respirationstrakt. Dort bindet es sich mit
dem H-Glykoprotein seiner Hülle an Sialsäurerezeptoren der Epithelzellen. Für eine
untere Atemwegsinfektion reichen wesentlich weniger Viren als für eine Infektion
der oberen Atemwege.

463
Etwa 1–3 Tage nach der Infektion verursachen aus den geschädigten Zellen und
infiltrierenden Leukozyten freigesetzte Zytokine dann Symptome wie Schüttelfrost,
Krankheitsgefühl, Fieber und Muskelschmerzen. Hinzu kommen Lokalsymptome
wie Schnupfen und Husten. Den meisten Erkrankten geht es innerhalb einer Woche
wieder besser. Direkte Zellschädigung und damit verbundene entzündliche Reaktion
können aber schwer genug sein, um eine Bronchitis oder eine interstitielle
Pneumonie zu verursachen.

Eine Vorschädigung des Atemwegsepithels durch


Influenzaviren prädisponiert zu bakteriellen
Sekundärinfektionen
Eine bakterielle Sekundärinfektion können Staphylokokken, Pneumokokken und H.
influenzae verursachen. Auch nachdem Antikörper und zellvermittelte
Immunreaktionen die Virusinfektion unter Kontrolle gebracht haben, kann eine
Grippe bei einer bakteriellen Superinfektion (vor allem durch S. aureus) noch
lebensgefährliche Ausmaße annehmen. In Frühstadien der Infektion spielt
vermutlich Interferon eine Rolle. Obwohl sich antivirale Antikörper erst nach 1–2
Wochen im Serum nachweisen lassen, werden sie schon zu einem früheren
Zeitpunkt gebildet, verbinden sich aber mit Virusantigenen im Respirationstrakt zu
Antigen-Antikörper-Komplexen.

Bei Menschen, die das 60. Lebensjahr überschritten haben, und Patienten mit
geschwächten Abwehrkräften infolge einer chronischen Herz-Kreislauf- oder
Nierenkrankheit ist die Letalität sekundär bakterieller Pneumonien erhöht. Auch
Schwangere sind anfälliger.

Sehr selten führt eine Grippe zu ZNS-Komplikationen


Enzephalomyelitis und Polyneuritis können ZNS-Komplikationen einer Grippe
sein. Dabei scheint es sich eher um Folgen der Immunpathologie als um eine ZNS-
Invasion durch das Virus selbst zu handeln. In den USA trat 1976 infolge einer
breiten Impfkampagne mit inaktiviertem H3N2-Influenzavirus als signifikante, wenn
auch seltene (1/100000) Impfkomplikation ein Guillain-Barré-Syndrom
(Polyneuropathie mit distaler, proximaler oder generalisierter Muskelschwäche) auf.
Für später entwickelte Impfstoffe ließ sich kein derartiger Zusammenhang mehr
nachweisen.

Bei Grippeepidemien lässt sich die Diagnose im


Allgemeinen klinisch stellen
Mithilfe von Fluoreszenz-markierten Antikörpern oder nach Immunperoxidase-
Färbung sind in Aspirationsbiopsien des Nasensekrets infizierte Zellen zu erkennen.
Man kann auch mit einer Polymerase-Kettenreaktion (PCR) den Nachweis von
Virus-RNA führen und anschließend mit einer Sequenzanalyse das verantwortliche
Influenzavirus typisieren. Ein Titeranstieg spezifischer Antikörper lässt sich per
Hämagglutinationshemmtest, KBR oder ELISA (s. Kap. 32) in gepaarten
Serumproben nachweisen, die gleich zu Beginn der Erkrankung und 7–10 Tage
später entnommen werden.

464
Am ersten oder zweiten Tag nach Ausbruch der Grippe kann eine Rachenspülung
durchgeführt werden, um das Virus nach Inokulation in Eier oder bestimmte
Zellkulturen zu isolieren. Das dauert jedoch einige Tage und ist eher für die
Gesundheitsbehörden wichtig (bei Infektionen mit neuen Virusstämmen) als
diagnostisch wegweisend bei einzelnen Patienten.

Zur Vorbeugung gibt es antivirale Mittel und


Impfstoffe
Impfungen können mithelfen, die Infektion zu verhindern. Deshalb sollten sich
Menschen mit erhöhtem Risiko vor der Grippesaison impfen lassen, um
Komplikationen zu vermeiden.

Reguläre Influenzavirus-Impfstoffe enthalten entweder

■ in Ei angezüchtete Viren, die gereinigt, mit Formalin inaktiviert und mit Äther
extrahiert, oder

■ gereinigte H- und N-Antigene, die weniger starke Reaktionen hervorrufen und


aus aufgespaltenen Viren („Splitting“ durch Lipidlöser) zubereitet wurden.

Grippeimpfstoff enthält Influenza-A- (H3N2 und H1N1) und Influenza-B-


Virusstämme. Durch Vergleiche mit dem Vorjahr wird jährlich neu ermittelt,
welcher Virusstamm im Umlauf ist. Der Impfstoff wird als parenterale Injektion
verabreicht und gewährt bis zu 70% der Geimpften wirksamen Schutz für ca. ein
Jahr. Empfohlen wird die Impfung vor allem bei erhöhtem Risiko (über 65-Jährige
und Herz-Kreislauf-Kranke). Eigentlich steht zu erwarten, dass sich eine
Immunisierung besser direkt über die Atemwege erreichen ließe; daher wird derzeit
in Versuchen attenuierte Lebendvakzine nasal verabreicht.

Während Rimantadin und Amantadin die Replikation von Influenza-A-Viren


hemmen, greifen Neuraminidase-Hemmer wie Zanamivir und Oseltamivir
Influenza-A- und -B-Viren an. Antivirale Mittel (Virustatika) können die Infektion
aber nur abschwächen, wenn sie in den ersten 1–2 Tagen nach Ausbruch der Grippe
angewandt werden. Auch zur Prophylaxe sind sie geeignet.

SARS-assoziierte Coronavirusinfektion
Im November 2002 meldete die Volksrepublik China aus der Provinz Guangdong
Fälle einer akuten schweren Atemwegserkrankung ohne erkennbare Ursache. Der
Erreger breitete sich vor allem in Teilen Süd- und Südostasiens aus, erreichte aber
auch Kanada (Toronto) und vereinzelt noch 30 andere Länder. Die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnte im März 2003 weltweit vor dem
schweren akuten Atemwegssyndrom (SARS, severe acute respiratory syndrome).

Leitsymptome waren hohes Fieber (> 38°C), Husten, Atemstörungen oder Atemnot
und Anzeichen einer Pneumonie im Thoraxröntgen. Besonders hoch war die
Ansteckungsgefahr bei engem Kontakt zu SARS-Patienten; daher breitete sich die
Infektion hauptsächlich unter Familienmitgliedern und Pflegekräften im Krankenhaus
aus. Die Inkubationszeit betrug im Durchschnitt 2–7 (maximal 10) Tage.

465
Als neues Mitglied der Coronavirusfamilie konnte das SARS-assoziierte Coronavirus
(SARS-CoV) aus Zellkulturen isoliert und elektronenmikroskopisch sowie mit
molekularen Methoden identifiziert werden. Zu den Diagnoseverfahren gehören PCR
und serologische Untersuchungen. Die rasche Identifizierung des SARS-assoziierten
Coronavirus und die Infektionsbekämpfung in einem zuvor nie gekannten Ausmaß
(Gesichtsmasken, systematische Fieberkontrollen in der Bevölkerung und an
Flughäfen, unverzügliche Isolierung bei den ersten Krankheitszeichen) setzten in
Verbindung mit internationalen wissenschaftlichen Netzwerken und der sofortigen
Datenverfügbarkeit globale Maßstäbe für die Untersuchung neu auftretender
Krankheiten.

Bereits im Juli 2003, knapp vier Monate nachdem sich das Virus über den
internationalen Luftverkehr auf andere Länder auszubreiten begann, konnte die WHO
melden, dass alle bekannten Übertragungsketten (von Mensch zu Mensch) des SARS-
Virus abgerissen waren. Am stärksten betroffen waren das chinesische Festland
(5327 Erkrankungsfälle und 348 Tote) und Hongkong (1755 Erkrankungsfälle und
298 Tote).

466
Masernpneumonie

In Entwicklungsländern sind sekundär bakterielle


Pneumonien häufig eine Komplikation nach
Infektion mit Masern
Masern werden unter den multisystemischen Infektionen (s. Kap. 26) ausführlicher
besprochen. Hier werden sie erwähnt, weil das Masernvirus

■ bei Abwehrschwäche zu einer „Riesenzell“-Pneumonie führen kann;

■ bei seiner Replikation im unteren Respirationstrakt unter bestimmten


Umständen eine größere Vorschädigung verursachen kann, durch die eine
sekundär bakterielle Pneumonie begünstigt wird.

In den entwickelten Ländern ist eine sekundäre bakterielle Pneumonie heute eine
Seltenheit. Doch bei Kindern in den Entwicklungsländern ist sie noch immer eine
häufige Komplikation. Masern gehören weiterhin zu den Haupttodesursachen im
Kindesalter. Schwäche der Immunabwehr, unzureichende Impfprogramme,
Unterernährung (vor allem Vitamin-A-Mangel) und schlechte medizinische
Versorgung bei Komplikationen tragen dazu bei, dass sich das Wirt-Parasiten-
Gleichgewicht deutlich zugunsten des Virus verschiebt.

Nach einer Inkubationszeit von 10–14 Tagen kommt es zu Fieber, Schnupfen,


Konjunktivitis und Husten. Ein bis zwei Tage später erscheinen Koplik-Flecken
und das typische Masernexanthem. Das Virus repliziert sich im Nasen-Rachen-,
Mittelohr- und Lungenepithel und behindert die Abwehrkräfte. Das begünstigt eine
bakterielle Superinfektion durch Pneumokokken, Staphylokokken oder
Meningokokken.

Zur stationären Aufnahme von Masernkranken führt fast immer eine Pneumonie,
doch auch eine Otitis media entwickelt sich recht häufig. Bei Kindern mit schwer
beeinträchtigter zellvermittelter Immunabwehr kann sich das Virus ungehemmt
vermehren, bis als seltene, aber meist tödliche Komplikation eine
Riesenzellpneumonie auftritt (Abb. 19.12). Auf weitere Komplikationen wird in
Kap. 26, speziell auf neurologische Komplikationen in Kap. 24 eingegangen.

467
Abb. 19.12 Masernpneumonie.

In der Lungenbiopsie sind entzündliche Zellinfiltrate, Alveolarzellproliferation


und dunkel gefärbte (Hämatoxylin-Eosin-Färbung) große, mehrkernige
Riesenzellen erkennbar (mit freundlicher Genehmigung von I.D. Starke und
M.E. Hodson).

Die Diagnose lässt sich im Allgemeinen klinisch stellen. Doch wenn die Masern-
Inzidenz sehr niedrig ist, können spezifische IgM-Reaktionen, Virusisolierung und
Virus-RNA-Nachweis hilfreich sein.

Bakterielle Komplikationen müssen mit Antibiotika


behandelt werden; doch Masern lassen sich durch
Impfung verhindern
Für schwere Fälle ist Ribavirin verfügbar, doch die bakteriellen Komplikationen
müssen antibiotisch behandelt werden. Kinder mit einer schweren Infektion haben
meist niedrige Serumretinolspiegel; hier kann eine Vitamin-A-Injektion (400000
IU) die Heilung beschleunigen und die Letalität senken.

Der hochwirksame, attenuierte Lebendimpfstoff gegen Masern wird als MMR-


Kombinationsimpfung (mit Mumps-und Rötelnimpfstoff, s. Kap. 34) verabreicht.
Seitdem mit der Immunisierung begonnen wurde, ging die Zahl der Erkrankungen
um 70% zurück. In den USA sank die Zahl nach einem Anstieg auf fast 30000 Fälle
im Jahr 1990 auf 488 (davon 47 importierte) im Jahr 1996. Die WHO hofft, sie
weltweit bis 2010 oder 2015 ausrotten zu können.

Bevor in den sechziger Jahren der Impfstoff entwickelt wurde, erkrankten jährlich
weltweit 135 Millionen Menschen an Masern und 7–8 Millionen starben daran. Eine
Maserninfektion kann noch immer tödlich verlaufen, doch 1996 war die jährliche
Zahl der Todesfälle zumindest auf eine Million gesunken.

468
Abb. 19.13 Eulenaugenzelle (Einschlusskörperchen)
als typisches Zeichen einer
CMV(Zytomegalievirus)-Infektion.

Die im Kern der infizierten und vergrößerten Zelle angehäuften Viruspartikel


haben sich zu einem Einschlusskörperchen verdichtet (Hämatoxylin-Eosin-
Färbung) (mit freundlicher Genehmigung von I.D. Starke und M.E. Hodson)

CMV-Infektion

CMV-Infektionen können bei immungeschwächten


Patienten zu einer interstitiellen Pneumonie führen
Normalerweise vermehrt sich CMV nicht im respiratorischen Epithel und ruft auch
keine Atemwegserkrankung hervor (s. Kap. 18). Doch bei geschwächter
Immunabwehr, besonders bei Knochenmarkempfängern unter immunsuppressiver
Therapie, kann sich eine interstitielle Pneumonie entwickeln. In dem Fall ist es
möglich, CMV-DN A (quantitativ) nachzuweisen, das Virus zu isolieren und die
typischen Einschlusskörperchen im Lungengewebe zu erkennen (Abb. 19.13).

469
19.2 Chronische Infektionen

19.2.1 Tuberkulose

In der Dritten Welt ist Tuberkulose eine der schwersten


Infektionskrankheiten
Jedes Jahr sterben ca. 3 Millionen Menschen an Tuberkulose und überall dort, wo
Armut, Unterernährung und schlechte Wohnverhältnisse herrschen, infizieren sich
jährlich fast 9 Millionen Menschen neu. An Tuberkulose erkranken Gesunde genauso
wie Patienten mit Immunschwäche. Besonders deutlich zeigt sich das an den schweren
Verlaufsformen der Tuberkulose bei AIDS-Patienten. Tuberkulose ist primär eine
Lungenkrankheit, kann aber auch auf andere Körperstellen übergreifen oder sich –
als „Miliartuberkulose“ – zu einer generalisierten Infektion ausweiten (s. auch Kap.
20, 24 und 26).

Mycobacterium tuberculosis ist Auslöser der


Tuberkulose
Lungeninfektionen können aber auch andere (sog. atypische) Mykobakterien
hervorrufen, sog. MOTT (mycobacteria other than tuberculosis) oder NTM (non-
tuberculous mycobacteria) (Tab. 19.7).

Ausgelöst wird die Infektion durch Inhalation von M. tuberculosis in Form von
Aerosol oder Feinstaub. Die Übertragung auf dem Luftweg ist sehr wirkungsvoll, da
Infizierte beim Husten enorm viele Mykobakterien in die Umgebung ausstoßen, wo
sie sich dank ihrer wächsernen Außenschicht (s. Kap. 2) gut halten können. Geschützt
vor Austrocknung können sie lange Zeit in Luft oder Hausstaub ausharren.

Die Pathogenese hängt von einer früheren


Tuberkulose-Exposition ab
Bei einer Primärinfektion (d.h. dem ersten Kontakt mit M. tuberculosis) werden die
Erreger von Alveolarmakrophagen aufgenommen und können so überleben und sich
vermehren. Auch angelockte nicht ortsständige Makrophagen nehmen die
Mykobakterien auf und transportieren sie in den Lymphgefäßen zu den
Hiluslymphknoten. In diesen lokalen Lymphknoten werden Immunreaktionen
(hauptsächlich zellvermittelte, CMI) stimuliert.

Vier bis sechs Wochen nach der Infektion kann man die CMI-Reaktion nachweisen,
wenn ein gereinigtes Proteinderivat (purified protein derivative, PPD) von M.
tuberculosis in die Haut eingebracht wird. Bei einem positiven Befund zeigen sich 48–
72 Stunden später eine lokale Verhärtung und Rötung der Stelle.

Durch die zellvermittelte Immunreaktion (CMI) wird


die Ausbreitung von M. tuberculosis gebremst

470
Es kann aber sein, dass schon Erreger durchgeschlüpft waren und Infektionsherde an
anderen Stellen gebildet haben. Von sensibilisierten T-Zellen freigesetzte Lymphokine
können Makrophagen verstärkt zur Vernichtung von Mykobakterien aktivieren. Der
Körper reagiert, indem er die Erreger in „Tuberkeln“ einkapselt, kleinen
Granulomen, die aus Epitheloid- und Riesenzellen bestehen (Abb. 19.14). In
Verbindung mit vergrößerten Lymphknoten wird diese Lungenläsion oft auch als
Ghon- oder Primärkomplex bezeichnet. Nach einer gewissen Zeit wird das Material
in den Granulomen nekrotisch, es wirkt nun wie Käse („käsig“).

Tab. 19.7 Humanpathogene Mykobakterien


*
Langsam wachsende Organismen brauchen nach Beimpfen einer verdünnten
Lösung mehr als 7 Tage, um sichtbar zu wachsen, schnell wachsende weniger als 7
Tage.
**
M. avium-Komplex; nach neueren Studien handelt es sich um zwei unter-
schiedliche Spezies. Die Serotypen 1–6 und 8–11 des M.-avium-Komplexes
werden M. avium, die Serotypen 7, 12–17, 19, 20 und 25 M. intracellulare
zugewiesen.

Tuberkel können spontan abheilen, fibrosieren oder verkalken und in dieser Form
lebenslang persistieren, auch wenn die Menschen völlig gesund erscheinen. Im
Thoraxröntgenbild sind röntgendichte Knötchen zu sehen (Abb. 19.15). Doch bei

471
einem kleinen Prozentsatz der Patienten, vor allem immun geschwächten, führt die
Primärinfektion nicht dazu, dass die Mykobakterien in Tuberkeln eingekapselt
werden, sondern dass sie in die Blutbahnen eindringen und eine disseminierte
Erkrankung verursachen (Miliartuberkulose, Abb. 19.16).

Eine sekundäre Tuberkulose in Form der Reaktivierung „schlummernder“


Mykobakterien ist gewöhnlich Folge einer geschwächten Immunität aufgrund von
Mangelernährung, Infektionen (z.B. AIDS), Chemotherapie maligner Tumoren oder
Kortikosteroidtherapie entzündlicher Erkrankungen.
Abb. 19.14 Histopathologisches Bild bei
Lungentuberkulose.

Erkennbar sind dichte entzündliche Infiltration, Granulombildung und käsige


Nekrose (mit freundlicher Genehmigung von R. Bryan).

472
Tuberkulose verdeutlicht die Doppelrolle der
Immunreaktionen auf Infektionen
Infektionen können einerseits durch zellvermittelte Immunreaktionen (CMI)
kontrolliert werden bzw. disseminieren oder reaktiviert werden, wenn die Kontrolle
nicht ausreicht. Andererseits sind Pathologie und Symptomatik fast ausnahmslos
Folge der CMI, da M. tuberculosis selbst keine oder nur eine geringe Schädigung
bewirkt (auch nicht indirekt über Toxine).

Am häufigsten reaktiviert werden Herde in den Lungenspitzen. Da die Oxygenierung


hier stärker ist als an anderen Stellen, können sich Mykobakterien schneller vermehren
und käsig-nekrotische Läsionen hervorrufen. Sie streuen zuerst in andere
Lungenbereiche und können sich von dort aus in entfernte Körperregionen ausbreiten.
Abb. 19.15 Thoraxröntgenaufnahmen.

a) primäre Tuberkulose mit einem Ghon-Herd im linken unteren Lungenlappen;

b) postprimäre Tuberkulose, ein weiter fortgeschrittenes Krankheitsstadium(mit


freundlicher Genehmigung von J.A. Innes).

Eine Primärtuberkulose verläuft oft asymptomatisch


Im Unterschied zur Pneumonie, bei der es sich meist um eine akute Infektion handelt,
entwickelt sich die Tuberkulose schleichend, so dass es einige Zeit dauern kann, bis
die Patienten einen Arzt aufsuchen, weil sie sich krank fühlen. Eine Primärtuberkulose
verursacht keine oder nur leichte Symptome und verläuft in 90% der Fälle auch nicht
progredient. Das Vollbild der Krankheit entwickelt sich nur bei ca. 10% der
Infizierten.

Mykobakterien können sich fast überall im Körper ansiedeln und verursachen sehr
variable klinischen Zeichen: z.B. Müdigkeit, Gewichtsverlust, Schwäche und Fieber

473
bei Tuberkulose. Die Lungeninfektion äußert sich durch einen typischen, chronisch
produktiven Husten, und wegen der Gewebezerstörung kann das Sputum blutig
gefärbt sein. Wenn die Nekrose in Blutgefäße einbricht und sie zerreißen, kann es zu
einer Blutung (Hämorrhagie) mit tödlichem Ausgang kommen.

Komplikationen ergeben sich durch lokale


Ausbreitung oder Dissemination einer M.-tuberculosis-
Infektion
Auf dem Lymph- oder Blutweg können die Erreger in andere Körperbereiche streuen.
Diese Dissemination ereignet sich meist schon bei der Primärinfektion und führt dazu,
dass sich z.B. im Nierengewebe chronische Herde etablieren, nekrotisch werden und
es zerstören. Die andere Möglichkeit ist eine Ausbreitung der Infektion auf
angrenzende Gebiete, z.B. wenn ein Tuberkel in einen Bronchus oder in den
Pleuraspalt einbricht und seinen Inhalt entleert (Entstehung eines Pleuraergusses).

Obwohl die Zahl der Lungentuberkulosefälle in den höher entwickelten Ländern seit
Beginn des 20.Jahrhunderts zurückging (erst recht, seitdem neue Chemotherapeutika
diese Entwicklung beschleunigten), ist die Inzidenz der extrapulmonalen Tuberkulose
über viele Jahre konstant geblieben; daher gibt es in diesen Ländern einen höheren
Tuberkulose-Anteil als in Entwicklungsländern.

Die Diagnose lässt sich nach Ziehl-Neelsen-Färbung


des Sputums innerhalb einer Stunde stellen, der
kulturelle Nachweis dauert bis zu 6 Wochen
Die oben genannten Symptome und typische Thoraxröntgen-Befunde (Abb. 19.15)
legen den Verdacht auf Tuberkulose ebenso nahe wie eine positive Hautreaktion im
Tuberkulin- bzw. Mendel-Mantoux-Test. Bestätigt werden die Testergebnisse
mikroskopisch und durch die Anzüchtung von M. tuberculosis.

Bei mikroskopischer Untersuchung einer Sputumprobe (Ausstrichpräparat, Ziehl-


Neelsen- oder Auramin-Färbung, s. Kap. 32 und Anhang) zeigen sich oft säurefeste
Stäbchenbakterien (Abb. 19.17). Dieses rasche Ergebnis – innerhalb einer Stunde nach
Einreichen der Probe vom Labor erhältlich – ist deshalb wichtig, weil die Anzüchtung
von M. tuberculosis auf Kulturmedien bis zu 6 Wochen dauern kann (obwohl
radiometrische Nachweismethoden die erforderliche Zeit verkürzen können, s.
Anhang) und sich die Bestätigung der Diagnose sonst zwangsläufig verzögern würde.

Schnelle, nicht auf kultureller Anzucht basierende Methoden – z.B. Polymerase-


Kettenreaktion (PCR, s. Kap. 32) – finden zunehmend breitere Anwendung. Zur
Identifizierung der Spezies und zur Empfindlichkeitstestung (für die Wahl der
Antituberkulotika) sind jedoch weitergehende Untersuchungen nötig.

Die Behandlung erfolgt als Langzeittherapie mit


spezifischen Antituberkulotika

474
Da Mykobakterien von Natur aus gegen die meisten Antibiotika resistent sind, müssen
spezifische Substanzen eingesetzt werden (s. Kap. 33). Wesentlich für die Behandlung
ist:

■ eine Kombinationstherapie (mindestens drei Medikamente, meist Isoniazid,


Rifampicin und Ethambutol), um Resistenzentwicklung zu verhindern,

■ eine Langzeittherapie (über mindestens sechs Wochen), um die langsam


wachsenden intrazellulären Mikroorganismen alle zu vernichten.

Die Zahl der Stämme, die inzwischen gegen die gebräuchlichsten (first-line)
Antituberkulotika resistent geworden sind, nimmt zu. Das hat die Gesundheitsämter
zu einer sorgfältigeren Überwachung der Behandlung (z.B. mit DOTS, directly
observed treatment, short-course) veranlasst und die Forschung zur Suche nach neuen
Wirkstoffen animiert.

Tuberkulose lässt sich durch Verbesserung der


sozialen Verhältnisse, durch Impfung und
Chemoprophylaxe verhindern
Der stete Rückgang der Tuberkulose-Inzidenz seit Beginn des 20.Jahrhunderts, als
noch keine spezifischen Präventionsmaßnahmen verfügbar waren, unterstreicht die
Bedeutung, die eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse für die Verhütung von
Tuberkulose und anderen Infektionskrankheiten hat. In den letzten Jahren ist jedoch
ein Anstieg der Tuberkulosefälle bei AIDS-Patienten zu beobachten. In einigen
(entwickelten) Ländern könnten HIV-Infektion und AIDS die Tuberkulose-
Bekämpfungsprogramme gefährden. Man schätzt, dass 1995 etwa ein Drittel der
AIDS-Todesfälle auf Tuberkulose zurückzuführen waren.

475
Abb. 19.16 Miliartuberkulose.

Makroskopisch sind die Tuberkuloseherde als weiße Knötchen auf der


Schnittfläche einer Lungengewebeprobe zu erkennen (mit freundlicher
Genehmigung von J.A. Innes).

Bei hoher Tuberkuloseprävalenz hat sich die Impfung mit attenuiertem BCG-
Lebendimpfstoff (Bacillus Calmette-Guérin) als sehr wirksam erwiesen. Nach der
Immunisierung fallen Hauttests positiv aus. Die Impfung verhindert nicht die
Infektion, sondern hilft dem Körper, schneller auf die Proliferation der Erreger zu
reagieren und sie einzudämmen. In Gegenden mit niedriger Tuberkuloseprävalenz ist
die Impfung weitgehend durch eine Chemoprophylaxe ersetzt worden. In Deutschland
gehört die BCG-Impfung nicht mehr zu den durch die STIKO empfohlenen
Impfungen.

Für alle, die engeren Kontakt zu einem Tuberkulosekranken hatten, empfiehlt sich
eine Prophylaxe mit Isoniazid über ein Jahr. Sie wird auch für Menschen befürwortet,
deren Hauttest nach einer kürzlich aufgetretenen Konversion positiv ausfällt. In dem
Fall handelt es sich eher um die frühe Behandlung einer subklinischen Infektion als
um eine Prophylaxe.

476
Abb. 19.17 Lungentuberkulose.

Sputumpräparat (Ziehl-Neelsen-Färbung) mit rosa gefärbten, säurefesten


Tuberkelbakterien (mit freundlicher Genehmigung von J.A. Innes).

19.2.2 Mykosen (Pilzinfektionen)


An einer Pilzinfektion erkranken vor allem Patienten mit Immunschwäche (infolge
einer Immunsuppressivatherapie oder aufgrund einer Begleiterkrankung).
Opportunistische Infektionen können von verschiedenen Spezies hervorgerufen werden,
zwei Vertreter sind besonders wichtig: Aspergillus fumigatus und Pneumocystis jiroveci.

Aspergillus fumigatus

A. fumigatus kann eine allergische


bronchopulmonale Aspergillose, Aspergillome oder
eine disseminierte Aspergillose verursachen
Viele Spezies der Aspergillen-Familie kommen ubiquitär in der Umgebung vor,
sind aber kein Bestandteil der Normalflora. In der Regel hat die Inhalation von
Pilzsporen keine schädlichen Folgen, doch manche Arten, namentlich A. fumigatus,
können ein ganzes Spektrum von Krankheiten verursachen, darunter

■ Allergische bronchopulmonale Aspergillose: wie der Name schon sagt,


handelt es sich um eine allergische Reaktion auf Aspergillus-Antigen in der Lunge
bei Asthmapatienten.

■ Aspergillome: Betroffen sind Patienten mit Lungenkavernen oder chronischen


pulmonalen Störungen. Ein Aspergillom ist ein „Pilzball“ aus Pilzfäden (Hyphen),
der sich bei Besiedlung mit A. fumigatus in den Kavernen bildet (Abb. 19.18). Die

477
Pilze dringen zwar nicht ins Lungengewebe ein, doch ein größeres Aspergillom
kann zu Atemstörungen führen.

■ Eine disseminierte oder invasive Aspergillose kann sich bei


immunsupprimierten Patienten entwickeln, wenn es zu einer Lungeninvasion
durch den Pilz kommt.

Die Behandlung einer invasiven Aspergillose gestaltet sich sehr schwierig, zum
einen aufgrund der nur in beschränkter Zahl verfügbaren und hochtoxischen
Antimykotika mit Aspergillus-Wirksamkeit (s. Kap. 33) und zum anderen wegen
fehlender Immunabwehr.
Abb. 19.18 Aspergillus fumigatus.

a) Laktophenolblau gefärbtes Nativpräparat mit typischen Konidiophoren; b)


Aspergillom – Schichtbild (Tomogramm) des „Pilzballs“ in einer
Lungenkaverne, umgeben von Luft (mit freundlicher Genehmigung von J.A.
Innes); c) invasive Aspergillose – histologisches Schnittpräparat (Grocott-
Färbung) mit Pilzfäden, die ins Lungenparenchym und in die Blutgefäße
eingedrungen sind (mit freundlicher Genehmigung von C. Kibbler).

Pneumocystis jiroveci (früher: P. carinii)

Pneumocystis-Pneumonie ist eine wichtige


opportunistische Infektion bei AIDS-Patienten
P. jiroveci kommt als atypischer Pilz bei gesunden Menschen und bei Nagetieren
vor. Die Übertragung erfolgt durch Tröpfcheninfektion. Betroffen sind meist
körperlich und immun-geschwächte Menschen. Bevor es die Möglichkeit einer
hochwirksamen antiretroviralen Therapie (highly active antiretroviral therapy,
HAART) gab, entwickelte sich bei einem hohen Anteil der AIDS-Patienten eine
Pneumocystis-Pneumonie – oft mit tödlichem Ausgang.

P. jiroveci kann in Form von Trophozoiten (Durchmesser bis zu 7 μm) vorkommen,


oder aber auch als Zysten (5–8 μm), die in reifem Zustand bis zu 8 intrazystische
Körperchen enthalten, aus denen nach Freisetzung wiederum Trophozoiten
hervorgehen.

Die Krankheit geht mit einer interstitiellen Pneumonie und Plasmazellinfiltration


einher. Auch über Erkrankungsherde außerhalb der Lunge wurde vereinzelt
berichtet.

478
19.2.3 Zystische Fibrose (Mukoviszidose)
Mit einer Inzidenz von ca. 1/2500 Lebendgeburten ist die zystische Fibrose
(Mukoviszidose) die häufigste angeborene (und tödlich verlaufende)
Stoffwechselstörung in der weißen Bevölkerung. Kennzeichnend sind
Pankreasinsuffizienz, abnorme Elektrolytkonzentrationen im Schweiß und hochvisköses
Bronchialsekret. Letzteres staut sich in der Lunge und prädisponiert zu Infektionen.

Im Alter von 15–20 Jahren sind fast alle


Mukoviszidose-Patienten mit P. aeruginosa in der
Lunge besiedelt
In den Atemwegsschleimhäuten von Mukoviszidose-Patienten finden potenzielle
Pathogene ganz andere Bedingungen vor als bei Gesunden. Auch Erreger und Art der
Infektion unterscheiden sich von den üblichen Lungenkrankheiten. Invasive Keime bei
Mukoviszidose:

■ Staphylococcus aureus verursacht Lungenschäden und pulmonale Infektionen,


lässt sich aber durch eine Antibiotikatherapie (mit spezifischer Staphylokokken-
Wirksamkeit) gut kontrollieren.

■ Pseudomonas aeruginosa ist pathogenetisch von herausragender Bedeutung (


unten).

■ In den letzten Jahren ist mit Burkholderia cepacia ein weiterer Gram-negativer
Erreger mit besonderen Antibiotika-Resistenzen zum Problem geworden.

■ Gemeinsam mit S. aureus und P. aeruginosa kann H. influenzae


(typischerweise unbekapselte Stämme) vorhanden sein, doch die pathogenetische
Bedeutung ist unklar; H. influenzae trägt anscheinend zu Exazerbationen der
respiratorischen Störungen bei.

Bei Kindern unter fünf Jahren sind P.-aeruginosa-Infektionen selten, doch mit 15–20
Jahren ist die Lunge fast aller Mukoviszidose-Patienten mit dem Keim besiedelt,
dessen intrinsische Resistenz gegen die meist verabreichten staphylokokkenwirksamen
Mittel die Vermehrung offenbar noch begünstigt.

In Frühstadien der Infektion zeigen die Erreger in Sputumkulturen ein normales


(Kolonie-) Wachstum, doch mit fortschreitender Infektion wird daraus eine stark
mukoide Form, die fast die Sekretionen des Patienten imitiert (Abb. 19.19). Obwohl
die mukoiden Formen vermutlich in Mikrokolonien in der Lunge wachsen, dürften die
Lungenschäden größtenteils durch Immunreaktionen bedingt sein – auf Erreger und
Alginate im mukoiden Material (Abb. 19.20). Selbst bei einer schweren Infektion geht
die Invasion von P. aeruginosa selten über die Lungengrenzen hinaus.
Abb. 19.19 Pseudomonas aeruginosa lässt sich bei
Patienten mit zystischer Fibrose aus dem Sputum
isolieren.

479
Typisch sind stark mukoide Kolonien, wie hier links im Bild zu sehen (rechts zum
Vergleich die normale Kolonieform).

480
Abb. 19.20 Pseudomonas aeruginosa verursacht
bei Patienten mit zystischer Fibrose eine chronische,
aber nur selten die Grenzen der
Bronchialschleimhaut überschreitende Infektion.

Man nimmt an, dass die Erreger in Mikrokolonien wachsen und in ein
Kalzium(Ca2+)-abhängiges, mukoides Alginatgel eingebettet sind, das DNA und
tracheobronchiales Muzin enthält. Das klebrige Gel haftet an der
Bronchialschleimhaut und schützt die Erreger vor den Abwehrkräften des Wirts,
zudem bildet es eine physikalisch-chemische (Elektrolyt-) Schranke für
Antibiotika. Für die Gewebeschädigung dürften zum großen Teil bakterielle
Proteasen (deren verzögerte Freisetzung zu Schleimhautläsionen und
Hypersekretion von Muzin führt), immunpathologische Auswirkungen (verstärkt
durch Größe, Antigenität und Persistenz der Alginatmatrix) und die indirekte
Wirkung von Immunkomplexen mit Pseudomonas-aeruginosa- Antigenen (P)
verantwortlich sein. Aber auch Phagozyten-Proteasen können das Gewebe
schädigen. Zeitweilige Exazerbationen lassen sich damit erklären, dass diese
Proteasen Fc aus Immunkomplexen abspalten und die weitere
Phagozytenstimulierung hemmen [nach Govan & Glass 1990].

481
Obwohl eine spezifische antibakterielle Chemotherapie die Infektionssymptome
abmildern und die Lebensqualität verbessern kann, ist eine Eradikation von P.
aeruginosa und B. cepacia fast unmöglich; diese Infektionen führen daher meist zum
Tode. Für manche Patienten kann eine Herz-Lungen-Transplantation eine Erfolg
versprechende Alternative sein.

19.2.4 Lungenabszess

In Lungenabszessen findet sich meist eine Vielzahl


verschiedener Bakterien (einschließlich Anaerobiern)
Bei einem Lungenabszess handelt es sich um eine eitrige Lungeninfektion, die oft
auch als nekrotisierende Pneumonie bezeichnet wird. Dazu prädisponieren kann eine
Sekretaspiration aus Atemwegen oder Magen, z.B. bei Bewusstseinsstörungen.
Ursprünglich ist es also eine endogene Infektion, oft mit gemischten
Bakterienkulturen, bei der Anaerobier wie Bacteroides und Fusobakterien eine
wichtige Rolle spielen (Abb. 19.21).

Bei einem Lungenabszess fühlen sich die Patienten schon mindestens zwei Wochen
vor Auftreten der ersten Symptome krank. Das in großen Mengen produzierte Sputum
kann faulig riechen. Dieser Geruch spricht für eine anaerobe Infektion und lässt oft
schon die richtige Diagnose vermuten. Gesichert wird die Diagnose durch Thorax-
Röntgenaufnahmen (Abb. 19.5d). Die Ursache abzuklären helfen mikrobiologische
Untersuchungen.

Lungenabszesse sollten mindestens 2–4 Monate (mit


einem Anaerobier-wirksamen Antibiotikum)
behandelt werden
Ein gegen Anaerobier wirksames Mittel wie Metronidazol sollte auf jeden Fall Teil
des Therapieregimes sein, weil bei einem Lungenabszess höchstwahrscheinlich
Anaerobier vorliegen. Um Rezidive zu vermeiden, muss die Behandlung über 2–4
Monate weitergeführt werden. Wenn sich Diagnosestellung und Therapiebeginn
verzögern, kann die Infektion auf den Pleuraspalt übergreifen und ein Empyem
verursachen (s. unten).

482
Abb. 19.21 Eiter aus einem Lungenabszess.

Durch Gram-Färbung werden Gram-positive Kokken und Gram-positive wie


Gram-negative Stäbchenbakterien sichtbar (mit freundlicher Genehmigung von
J.R. Cantey).

19.2.5 Pleuraerguss und Empyem

Bis zu 50% der Pneumonie-Patienten haben einen


Pleuraerguss
Pleuraergüsse können unterschiedliche Ursachen haben. Manchmal breiten sich
Erreger aus der Lunge in den Pleuraraum aus und verursachen eitriges Exsudat oder
ein Empyem.

Pleuraergüsse lassen sich auf Röntgenbildern nachweisen, doch ein Empyem kann –
gerade bei Patienten mit ausgedehnter Pneumonie – schwierig abzugrenzen sein.
Material zur mikrobiologischen Untersuchung wird durch Aspiration von
Pleuraflüssigkeit gewonnen. Häufig sind Staphylococcus aureus, Gram-negative
Stäbchenbakterien und Anaerobier an Pleuraergüssen und -empyemen beteiligt.

Die Behandlung besteht in einer Pleuradrainage, Eradikation der Infektion und


Lungenexpansion.

483
19.3 Parasitäre Infektionen

Parasiten können sich in der Lunge ansiedeln oder


eine Entwicklungsphase durchlaufen
■ Nematoden wie Ascaris und Hakenwürmer (s. Kap. 6 und 22) wandern auf
ihrem Weg zum Dünndarm durch die Lunge. Dabei brechen sie durch kleine
Alveolokapillargefäße in die Bronchiolen ein. Die Gefäßschädigung kann zusammen
mit einer Entzündungsreaktion eine vorübergehende Pneumonie bewirken.

■ Schistosomenlarven können leichte respiratorische Symptome hervorrufen,


wenn sie durch die Lunge wandern (s. Kap. 6 und 22).

■ Mikrofilarien von Nematoden wie Wuchereria oder Brugia können in einem


regelmäßigen 24-Stunden-Rhythmus im peripheren Kreislauf auftauchen. Sie
erscheinen genau zu der Zeit (am Tag oder in der Nacht), in der höchstwahrscheinlich
auch blutsaugende Insekten (= ihre Vektoren) stechen. Außerhalb dieser Perioden
werden Larven in den Lungenkapillaren sequestriert. Unter bestimmten (noch nicht
näher definierten) Umständen bzw. bei bestimmten Personen wird durch die Larven
eine tropische pulmonale Eosinophilie (TPE) oder ein Weingarten-Syndrom
ausgelöst (mit Husten, Atemnot und ausgeprägter Eosinophilie); Mikrofilarien sind bei
diesem Zustand im Allgemeinen nicht im Blut nachzuweisen.

■ Eine pulmonale Eosinophilie kann auch durch Ascaris-und Strongyloides-


Infektionen ausgelöst werden, unterscheidet sich aber von der TPE.

■ Hydatidenzysten von Echinococcus granulosus sind in 20–30% der Fälle in


der Lunge lokalisiert, wenn sich dort Bandwurmlarven befinden (s. Kap. 6 und 22).
Die Zysten können eine beträchtliche Größe erreichen und durch mechanischen Druck
auf das Lungengewebe Atemnot verursachen.

■ Entamoeba histolytica kann in seltenen Fällen auch die Lunge befallen.

■ Paragonimus westermani, der sog. Orientalische Lungenegel, ist das


wichtigste Beispiel für Parasiten, die im Erwachsenenstadium in der Lunge leben
(insgesamt nur sehr wenige). Die Infektion erfolgt durch den Verzehr von
Krustentieren, die infektiöse Stadien enthalten. Diese Metazerkarien wandern vom
Darm aus durch die Bauchhöhle und dringen in die Lunge ein. Dort reifen sie in
fibrösen Zysten zu erwachsenen Egeln heran. Die Zysten bleiben so mit den
Bronchien in Verbindung, dass die Eier hinausgelangen können (Abb. 19.22). Die
Infektion verursacht Brustschmerzen und Atemschwierigkeiten, bei einer größeren
Zahl von Parasiten kann es auch zur Bronchopneumonie kommen. Praziquantel ist ein
wirksames Antihelminthikum für diese Art von Infektion.
Abb. 19.22 Zwei adulte Paragonimus-Exemplare in
einer fibrösen Lungenzyste

484
(mit freundlicher Genehmigung von H. Zaiman)
Zusammenfassung
■ Obwohl der Respirationstrakt von der Nase bis zu den Alveolen ein Kontinuum
bildet, ist es besser, zwischen „oberen“ und „unteren“ Atemwegsinfektionen zu
unterscheiden.

■ Untere Atemwegsinfektionen (mit Ausnahme eines Parasitenbefalls) verbreiten


sich auf dem Luftweg, können akut oder chronisch sein, oft schwer verlaufen und
auch tödlich enden, wenn sie nicht richtig behandelt werden. Als Auslöser kommt
ein breites Erregerspektrum in Frage – meist Bakterien oder Viren, aber auch Pilze
und Parasiten.

■ Eine Bronchitis verläuft meist als chronische Entzündung des Bronchialbaums


mit akuten Exazerbationen und wird durch Viren oder Bakterien verursacht. Typisch
für die Infektion sind Husten und starke Schleimproduktion, die Diagnose wird
klinisch gestellt. Ob die häufig verabreichten Antibiotika wirksam sind, ist fraglich.

■ Die Bronchiolitis tritt als akute, schwere RSV-Infektion bei Kleinkindern auf.
Die Erkrankung kann in der häuslichen Umgebung oder im Krankenhaus
ausbrechen. Zugrunde liegt ihr eine Immunpathologie. Man sollte eine spezifische
Therapie (Ribavirin) in Betracht ziehen. Ein Impfstoff steht nicht zur Verfügung.

■ Eine Pneumonie kann durch eine Reihe von Pathogenen verursacht werden.
Einen wichtigen Einfluss haben Alter, Vorerkrankungen oder andere
Grundkrankheiten des Patienten, berufliche und geografische Faktoren. Für eine
optimale Therapie ist die richtige mikrobiologische Diagnose entscheidend. Die
Pneumonie ist noch immer mit einer signifikanten Sterblichkeit behaftet.

■ Bordetella pertussis kann das Flimmerepithel der Atemwege besiedeln und mit
Keuchhusten eine spezifisch humanpathogene Infektion verursachen. Wichtig für
seine Virulenz sind Pertussis- und andere Toxine. Keuchhusten wird klinisch

485
diagnostiziert, verdächtig sind die typischen Hustenattacken (Paroxysmen). An
vorderster Stelle steht die supportive Behandlung, Antibiotika spielen nur eine
untergeordnete Rolle. Keuchhusten lässt sich durch Impfung zuverlässig verhindern,
und neue sichere Impfstoffe mit weniger Nebenwirkungen stehen bereits zur
Verfügung.

■ Influenzaviren können endemische, epidemische und pandemische


Grippeinfektionen verursachen, weil sie zu Antigen-Drift und Antigen-Shift
imstande sind. Grippe beginnt akut und verläuft zum Teil mit schweren
Krankheitssymptomen. Eine virale Vorschädigung der Atemwegsschleimhaut kann
bakterielle Sekundärinfektionen begünstigen. Antivirale Mittel sind verfügbar, aber
nur begrenzt wirksam. Wichtig ist daher die Impfung. Wegen häufiger
Antigenänderung muss jedoch eine ständige Anpassung der Impfstoffe an die gerade
im Umlauf befindlichen Viren erfolgen.

■ Die Tuberkulose ist eine der Haupttodesursachen und tritt immer häufiger in
Verbindung mit AIDS auf. Die Infektion verläuft meist chronisch. Bei
Primärinfektion mit Mycobacterium tuberculosis entwickelt sich eine lokal
begrenzte pulmonale Läsion, die Reaktivierung der Infektion aufgrund
eingeschränkter Immunfunktionen führt dann zur Sekundärerkrankung. Die
klinische Diagnose wird durch den Nachweis säurefester Mykobakterien im Sputum
gesichert. Wirksame Medikamente sind verfügbar, müssen aber ausreichend lange
verabreicht werden (als Zyklen einer Kombinationstherapie).

■ Aspergillus fumigatus kann Lungenerkrankungen auslösen, deren Bandbreite


von der invasiven Form bei Immunschwäche bis zur allergischen Reaktion bei
ansonsten Gesunden reicht. Die Behandlung ist schwierig, weil nur eine begrenzte
Zahl wirksamer Antimykotika verfügbar ist und die Abwehrkräfte des Wirts meist
beeinträchtigt sind.

■ Die zystische Fibrose (Mukoviszidose) ist eine erbliche Krankheit, die zu


einem besonderen Krankheitsmuster prädisponiert. Die Lungeninfektion durch P.
aeruginosa lässt sich zwar in der Regel durch eine antibakterielle Therapie unter
Kontrolle bringen, doch eine vollständige Beseitigung (Eradikation) des Erregers ist
selten möglich.

■ Verschiedene Parasiten können im Laufe ihrer Entwicklung durch die Lunge


wandern oder sich auf Dauer dort niederlassen. Der Schaden hält sich in Grenzen,
solange die parasitäre Belastung nicht zu hoch ist, und ist meist immunpathologisch
bedingt.

FRAGEN
Ein 30-jähriger Mann gibt bei der Anamnese an, dass er seit 10 Tagen unter
Müdigkeit, Kopfschmerzen, Fieber und trockenem Husten leidet. Er raucht etwa 20
Zigaretten am Tag. Die medizinische Anamnese ist unauffällig und auch bei der
körperlichen Untersuchung sind keine Besonderheiten feststellbar. Die
Untersuchungsbefunde sind: Fieber (38°C), Dyspnoe und Hautausschlag (Erythema
multiforme). Die Auskultation der Lunge ist unauffällig bis auf vereinzelte
Krepitationen. Laborwerte: Hämoglobin 10 g/dl, Leukozyten 6 × 109/l, BSG

486
(Blutsenkungsgeschwindigkeit) 45 mm/h; Harnstoff und Elektrolyte normal;
Thoraxröntgen: fleckige Verschattung.

1 Wie lautet die Differenzialdiagnose?

2 Welche für die Differenzialdiagnose relevanten Fragen wurden nicht gestellt?

3 Welche weiterführenden Untersuchungen würden Sie veranlassen?

4 Einige Ergebnisse weiterführender Untersuchungen: Mykoplasmen-


Agglutinationstest (Titer von 1024), Mykoplasmen-KBR (Akutserumtiter 160,
Rekonvaleszenzserumtiter 2560), Kälteagglutinine (positiv). Wie lautetdaher die
Diagnose?

5 Wie würden Sie diesen Patienten behandeln?


Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

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488
20 Harnwegsinfektionen
20.1 Infektionsweg und Ätiologie 257

20.2 Pathogenese 258

20.3 Klinik und Komplikationen 260

20.3.1 Infektionen des unteren Harntraktes 260

20.3.2 Infektionen des oberen Harntraktes 261

20.4 Laboruntersuchung und Befunde 261

20.4.1 Laboruntersuchung 262

20.4.2 Mikroskopische Untersuchung 262

20.5 Behandlung 263

20.6 Prävention 264


Zur Orientierung
Harnwegsinfektionen kommen häufig vor, besonders bei Frauen

Der Harntrakt ist mit am häufigsten von bakteriellen Infektionen betroffen, vor allem bei
Frauen. 20–30% der Frauen haben irgendwann in ihrem Leben eine rezidivierende
Harnwegsinfektion. Männer erkranken seltener, meist erst ab dem 50.Lebensjahr. Obwohl
die meisten Infektionen akut auftreten und rasch wieder abklingen, tragen sie in
erheblichem Maße zur Morbidität der Bevölkerung bei. Schwere Infektionen führen zum
Funktionsverlust der Nieren mit gravierenden Langzeitfolgen. Bei Frauen wird zwischen
Zystitis, Urethritis und Vaginitis unterschieden, doch da der Urogenitaltrakt eine Einheit
darstellt, überlappen sich die Symptome häufig.

20.1 Infektionsweg und Ätiologie

Bakterielle Infektionen steigen meist von der Urethra


zur Harnblase auf
Die Infektion kann anschließend auf die Nieren übergreifen. Wenn Erreger in die
Blutbahn gelangen, kommt es zu einer Urosepsis. Seltener wird zuerst das
Nierengewebe befallen und die Infektion breitet sich dann von den Nieren absteigend
aus.

Aus epidemiologischer Sicht können Harnwegsinfekte ambulant erworben werden


oder nosokomial auftreten. Letztere treten oft nach Katheterisierung auf. Nosokomiale
Harnwegsinfektionen kommen seltener vor als ambulant erworbene, machen jedoch den
größten Anteil der gesamten nosokomialen Infektionen aus.

489
Der Gram-negative Erreger Escherichia coli ist der
häufigste Erreger aufsteigender Harnwegsinfektionen
Beteiligt sind aber auch andere Enterobacteriaceae (Abb. 20.1). Dass Harnsteine oft
mit Proteus mirabilis einhergehen, könnte an der stark harnalkalisierenden Urease
liegen, die der Keim produziert und die Harnstoff (Urea) in Ammoniak umwandelt. Bei
nosokomialen Harnwegsinfekten sind gehäuft Klebsiella-, Enterobacter- und Serratia-
Spezies oder Pseudomonas aeruginosa anzutreffen, deren Resistenz gegenüber
bestimmten Antibiotika eine Selektion bei hospitalisierten Patienten begünstigt (s. Kap.
36).

Unter den Gram-positiven Spezies verfügt besonders Staphylococcus saprophyticus


über Eigenschaften, die vor allem bei sexuell aktiven jungen Frauen eine
Harnwegsinfektion hervorrufen. Bei hospitalisierten (vor allem AIDS-) Patienten sind
eher Staphylococcus epidermidis und Enterokokken ursächlich für einen
Harnwegsinfekt; hier können Mehrfachresistenzen die Behandlung erschweren. Erst seit
kurzem sieht man auch kapnophile (d.h. in CO2-angereicherter Luft besser wachsende)
Spezies wie Corynebakterien und Laktobazillen als mögliche Auslöser eines
Harnwegsinfektes. Obligate Anaerobier sind sehr selten beteiligt.

Bei hämatogener Ausbreitung von den Nieren zu den Harnwegen finden sich unter
anderem auch Salmonellen, Staphylococcus aureus oder Mycobacterium tuberculosis
(Erreger der Nierentuberkulose).

Viren sind selten die Ursache von


Harnwegsinfektionen; es gibt jedoch Assoziationen mit
hämorrhagischer Zystitis und renalen Syndromen
Bestimmte Viren können im Urin nachgewiesen werden, ohne dass ein Harnwegsinfekt
besteht:

■ Wenn sich humanpathogene (JC- und BK-)Polyomaviren vom


Respirationstrakt aus im Körper ausgebreitet und Nierentubuluszellen oder das
Ureterepithel infiziert haben, persistiert das Virusgenom in einer Latenzphase. Etwa
35% der Nieren gesunder Individuen enthalten Polyomavirussequenzen. Während
einer normalen Schwangerschaft kann das Virus asymptomatisch reaktiviert werden,
es kommt zur massiven Ausscheidung von Viren im Urin. Eine Reaktivierung tritt
außerdem bei immunsupprimierten Patienten auf (s. Kap. 30) und kann zu
hämorrhagischer Zystitis führen.

■ Nach kongenitaler Infektion können hohe Zytomegalie-(CMV)- und


Rötelnvirustiter im Urin das einzige Symptom der Kinder sein (s. Kap. 23).

■ Im Unterschied zur asymptomatischen Ausscheidung von Viren können


bestimmte Serotypen der Adenoviren offenbar eine hämorrhagische Zystitis auslösen.

■ Das von Nagern übertragene Hantavirus (Auslöser des koreanischen


hämorrhagischen Fiebers) infiziert Kapillargefäße der Nieren und kann ein renales
Syndrom mit Proteinurie hervorrufen.

490
■ Auch andere Viren (darunter das Mumpsvirus und HIV) können die Nieren
infizieren.

Zum Virusnachweis werden Urinproben elektronenmikroskopisch bzw. anhand von


Isolations- oder Genomnachweismethoden untersucht.
Abb. 20.1 Häufige Ursachen bakterieller
Harnwegsinfektionen.

Prozentualer Anteil einzelner Spezies bei ambulanten und stationären Patienten. In


beiden Patientengruppen wird mit Abstand am häufigsten Escherichia coli isoliert,
doch bei anderen Gram-negativen Keimen zeigt sich eine auffallende Differenz.
Erreger mit Mehrfachresistenz gegenüber Antibiotika lassen sich bevorzugt bei
Krankenhauspatienten isolieren, die antibiotisch behandelt werden.

Nur sehr wenige Parasiten verursachen einen


Harnwegsinfekt
Andere Ursachen von Harnwegsinfektionen sind:

■ Pilze (Candida spp. und Histoplasma capsulatum).

491
■ Das Protozoon Trichomonas vaginalis kann bei Männern und Frauen eine
Urethritis auslösen, verursacht aber viel häufiger vaginale Infektionen (s. Kap. 21).

■ Schistosoma haematobium (s. Kap. 27); führt zu Blasenentzündung bzw.


häufiger zu Hämaturie. Die Wurmeier können in die Blasenwand eindringen, bei
schweren Infektionen ausgedehnte granulomatöse Reaktionen hervorrufen und
verkalken. Maligne Harnblasentumoren scheinen mit chronischen Infektionen
zusammenzuhängen, obwohl der genaue Mechanismus nicht bekannt ist. Bei einer
Ureterobstruktion aufgrund der entzündlichen Veränderungen (ausgelöst durch die
Wurmeier) kann es auch zu Hydronephrose kommen.

20.2 Pathogenese

Verschiedene mechanische Faktoren prädisponieren


für einen Harnwegsinfekt
Prädisponierend für einen Harnwegsinfekt wirkt jede Behinderung des normalen
Urinflusses oder der vollständigen Harnentleerung. Hierdurch wird den Erregern der
Zugang zur Harnblase erleichtert (Abb. 20.2). Die kürzere weibliche Harnröhre ist
anfälliger für Infektionen als die von Männern (s. Kap. 13). Unterstützt wird der
Aufstieg der Keime in der Urethra auch durch Geschlechtsverkehr, besonders bei
Frauen; dementsprechend weisen sexuell aktive Frauen eine höhere Inzidenz von
Harnwegsinfekten auf als enthaltsame Frauen. Möglicherweise spielt die bakterielle
Besiedlung des periurethralen Vaginalbereichs eine Rolle (s: unten).

Männer, die nicht beschnitten sind, leiden häufiger an Harnwegsinfekten. Hier besteht
eine Assoziation mit der Kolonisation mit fäkalen Mikroorganismen auf der Innenseite
des Präputiums und in der Urethra.

492
Hauptursachen einer unvollständigen
Blasenentleerung: Schwangerschaft,
Prostatahyperplasie, Nierensteine, Tumoren und
Strikturen
Wenn mehr als 2–3 ml Restharn in der Harnblase zurückbleiben, steigt das
Infektionsrisiko. Wird eine Obstruktion von einer Superinfektion überlagert, können
Keime, die bis zur Niere aufsteigen, eine rasche Zerstörung von renalem Gewebe
bewirken.

Kommt es aufgrund neurologischer Erkrankungen (z.B. durch Verlust der Blasen-


/Sphinkterverschluss-Kontrolle bei Spina bifida, Paraplegie oder multipler Sklerose) zu
einer funktionellen Harnabfluss-Störung mit großem Restharnvolumen, sind die
Patienten besonders anfällig für rezidivierende Infektionen.

Ein vesikoureteraler Reflux (Rückstau des Urins aus der Harnblase in die Ureteren,
manchmal auch bis ins Pyelon oder Nierenparenchym) tritt häufiger bei Kindern mit
Fehlbildungen der Harnwege auf; er prädisponiert zu aufsteigenden chronischen
Infektionen und damit einhergehend zu Schädigungen des Nierenparenchyms. Bei
Kindern kann es auch ohne anatomische Fehlbildungen zu einem Reflux im Rahmen
einer Harnwegsinfektion kommen.

Zwar unterscheidet sich die Prävalenz von Harnwegsinfekten bei Diabetikern und
Nicht-Diabetikern nicht signifikant, der Infekt nimmt aber bei Diabetikern häufiger
einen schwereren Verlauf. Oft chronifizieren diese Infektionen, wenn eine neurogene
Blasenstörung im Rahmen einer diabetischen Neuropathie vorliegt. Häufig kann bei
Diabetikern postmortal eine Pyelonephritis nachgewiesen werden.

493
Abb. 20.2 Eigenschaften von Bakterien und
Wirtsfaktoren, die eine Harnwegsinfektion
begünstigen.

Anatomische Fehlbildungen prädisponieren offenbar zu einer Harnwegsinfektion.


Zwar sind Bakterienadhäsine detaillierter untersucht, doch über andere bakterielle
Virulenzfaktoren bei der Harnwegsinfektion weiß man noch wenig.

Katheterisierung ist ein wichtiger prädisponierender


Faktor für Harnwegsinfektionen
Beim Einführen des Katheters können Bakterien direkt in die Harnblase gelangen. Bei
liegendem Katheter können die Bakterien entweder innen oder außen (zwischen
Katheter und Harnröhrenwand) zur Harnblase aufsteigen (Abb. 20.3). Da der Katheter
die normale Schutzbarriere der Harnblase durchbricht, können sich Bakterien leichter
ansiedeln. Daher besteht zwischen Verweildauer des Katheters und Infektionsgefahr ein
direkter Zusammenhang (d.h., mit jedem Tag der Katheterisierung erhöht sich das
Risiko einer Harnwegsinfektion um 3–5%).

494
Abb. 20.3 Harnkatheter.

Eine Katheterisierung prädisponiert zu aufsteigenden Infektionen. Dabei können die


Bakterien entweder während des Einführens mit vorgeschoben werden oder außen
am liegenden Katheter zur Harnblase aufsteigen. Auch eine bakterielle
Kontamination des Drainage-systems aus anderen Quellen kann zur Infektion
führen. (Blasen-) Urinproben für Laboruntersuchungen bei katheterisierten Patienten
wie gezeigt entnehmen. Über den zweiten Anschluss oben kann Flüssigkeit in die
Harnblase instilliert werden. Urin aus dem Auffang-/Sammelbeutel eignet sich nicht
zur Untersuchung, weil er mehrere Stunden im System gestanden haben könnte.

Erreger besitzen unterschiedliche Virulenz-Faktoren


(Wirt-Parasiten-Beziehung im Harntrakt s. Kap. 13) Die meisten Pathogene im
Harntrakt entstammen der Darmflora, doch nur aerobe und fakultativ anaerobe Spezies
wie E. coli verfügen über die nötigen Voraussetzungen, um den Harntrakt zu besiedeln
bzw. zu infizieren. Nur bestimmte Serotypen von E. coli, darunter somatische (O-) und
Kapsel-(K-) Serotypen wie O1, O2, O4, O6, O7 und O75 bzw. K1, K2, K3, K5, K12
und K13, verursachen Harnwegsinfektionen. Da sich diese Serotypen von den Auslösern
gastrointestinaler Infektionen (s. Kap. 22) unterscheiden, bezeichnet man sie auch als
„uropathogene E. coli“ (UPEC).

Der Erfolg dieser Bakterienstämme dürfte auf Genen in chromosomalen Pathogenitäts-


Inseln (s. Kap. 2) beruhen, die z.B. in fäkalen E. coli nicht vorkommen. UPEC enthalten
z.B. Gene, die sie zur Besiedlung des Periurethralbereichs befähigen. So ermöglichen
ihnen z.B. spezifische Fimbrien (Pili), sich an das Blasen- und Harnröhrenepithel
anzuheften. Untersuchungen mit anderen Erregern im Harntrakt haben gezeigt, dass sie
ähnliche Adhäsine für Urothelzellen besitzen (Abb. 20.4).

Zur Besiedlung bzw. Schädigung der Niere durch E. coli scheinen noch weitere
Merkmale beizutragen, z.B.:

■ Saure Polysaccharid-Kapsel (K)-Antigene sind mit einer Pyelonephritis


assoziiert. Sie hemmen die Phagozytose, so dass sich E.-coli- Stämme der Abwehr des
Wirtsorganismus widersetzen können.

■ Durch die Produktion von Hämolysinen kann E. coli die Nieren schädigen;
viele Hämolysine wirken eher unspezifisch (als membranschädigende Toxine).

495
Die Urease-Produktion durch Proteus spp. begünstigt das Entstehen einer Pyelonephritis
bzw. einer Urolithiasis.
Abb. 20.4 An einer Urothelzelle haftende Bakterien
(Patient mit akuter Zystitis; Exfoliativzytologie).

(Elektronenmikroskopische Aufnahme mit freundlicher Genehmigung von T.S.J.


Eliot und den Herausgebern des British Journal of Urology).

Ein gesunder Harntrakt ist resistent gegen bakterielle


Besiedlung
Außer von der urethralen Schleimhaut werden Mikroorganismen gewöhnlich rasch und
vollständig aus dem Harntrakt entfernt (s. Kap. 13). Mit Hilfe von Urin-pH, chemischer
Bestandteile und Spülmechanismen werden Keime aus der Harnröhre befördert. Obwohl
Urin für die meisten Bakterien ein gutes Kulturmedium darstellt, kann er andere
hemmen; daher vermehren sich Anaerobier und andere Spezies (nichthämolysierende
Streptokokken, Corynebakterien und Staphylokokken), die den Hauptteil der normalen
Harnröhrenflora ausmachen, nicht sehr gut.

Welche Rolle die humorale Immunität des Wirtsorganismus bei der Abwehr von
urogenitalen Infektionen spielt, ist bisher kaum verstanden. Nach Niereninfektionen
lassen sich IgG- und sekretorische IgA-Antikörper im Urin nachweisen, doch ob diese
Antikörper möglicherweise vor weiteren Infektionen schützen, ist unklar. Infektionen
des unteren Harntrakts rufen meist nur eine geringe bzw. kaum nachweisbare
Seroreaktion hervor, was zeigt, dass es sich um oberflächliche Infektionen handelt;
Blasen- und Urethralschleimhaut sind bei Harnwegsinfekten selten verletzt.

496
20.3 Klinik und Komplikationen

20.3.1 Infektionen des unteren Harntraktes

Akute untere Harnwegsinfekte verursachen Dysurie,


Harndrang und erhöhte Miktionsfrequenz.
Akute Infektionen der unteren Harnwege sind durch folgende, plötzlich auftretende
Beschwerden gekennzeichnet:

■ Dysurie (brennende Schmerzen beim Wasserlassen)

■ Harndrang (dringendes Bedürfnis, die Harnblase zu entleeren)

■ erhöhte Miktionsfrequenz.

Allerdings verlaufen die Infektionen bei älteren Menschen oder liegendem Katheter
oft asymptomatisch.

Bei einer Pyurie bzw. Bakteriurie erscheint der Urin makroskopisch trüb. Häufig
findet sich begleitend eine Hämaturie (mikroskopisch oder makroskopisch). Zur
Bestätigung der Diagnose müssen Urinproben im Labor untersucht werden. Patienten
mit genitalen Infektionen wie Vaginalsoor oder Chlamydien-Urethritis können
ähnliche Symptome aufweisen (s. Kap. 21).

Eine Pyurie ohne positive Urinkultur kann durch Chlamydien oder Tuberkulose
bedingt sein. Sie wird aber auch unter einer laufenden Antibiotikatherapie gesehen,
denn die Bakterien sind evtl. bereits durch die Antibiotikatherapie gehemmt oder
abgetötet, ehe die Entzündungsreaktion abklingt.

497
Oft kommt es zu rezidivierenden Harnwegsinfektionen. Dabei handelt es sich
entweder um

■ Rezidive (Infektionen durch denselben Bakterienstamm) oder

■ Infektionen durch andere Erreger.

Rezidivierende Infektionen können chronisch entzündliche Veränderungen der


Harnblase, der Prostata und der Periurethraldrüsen verursachen.

Eine akute Prostatitis verursacht systemische (Fieber)


und lokale Beschwerden (Damm- und
Rückenschmerzen, Dysurie, erhöhte Miktionsfrequenz)
Zu einer akuten bakteriellen Prostatitis kann es durch aufsteigende oder hämatogene
Infektionen kommen. Anfällig sind vermutlich vor allem Männer, in deren
Prostatasekret die normal vorhandenen antibakteriellen Substanzen fehlen. Eine
chronische bakterielle Prostatitis wird meist durch E. coli verursacht, ist aber
trotzdem schwer zu behandeln und wird oft zum Ausgangspunkt für wiederkehrende
Infektionen der Harnwege.

20.3.2 Infektionen des oberen Harntraktes


Um sicher beurteilen zu können, ob sich eine Infektion auf die Harnblase beschränkt
oder sich auf die Ureteren bzw. das Pyelon ausgedehnt hat, muss eine Urinprobe aus
dem Ureter mittels Katheterisierung gewonnen werden.

Eine Pyelonephritis verursacht Fieber und Symptome


einer unteren Harnwegsinfektion
Patienten mit Pyelonephritis (Niereninfektion; Abb. 20.5) präsentieren sich mit
Symptomen wie bei einer unteren Harnwegsinfektion und haben meist auch Fieber.
Häufig sind Staphylokokken die Ursache, und in der Regel liegen auch
Nierenabszesse vor. Wenn das Nierengewebe durch eine rezidivierende
Pyelonephritis in seiner Funktion geschwächt wird, kann es zu Bluthochdruck
(Hypertonie) kommen, der die Niere weiter schädigt. Infektionen, die mit
Konkrementbildung einhergehen, können zu einer Nierenobstruktion mit
nachfolgender Sepsis (Septikämie) führen.

Hämaturie kann Symptom einer Endokarditis oder Immunkrankheit


(Immunkomplexbildung), aber auch Folge einer Niereninfektion sein. Auf jeden Fall
ist sie ein Warnzeichen, das sorgfältig abgeklärt werden muss. Bei Niereninfektionen
durch Mycobacterium tuberculosis kann eine Pyurie auftreten. Sie kann als sterile
Pyurie erscheinen, weil sich der Erreger nicht auf normalen Urinkulturmedien
anzüchten lässt (s. Anhang).
Abb. 20.5 Akute Pyelonephritis.

498
Histologisch starke Entzündungsreaktion und Mikroabszesse (M) in der Niere
(Hämatoxylin- und Eosin-Färbung; mit freundlicher Genehmigung von M.J.
Woods).

Asymptomatische Infektionen (d.h. beträchtliche Bakterienzahl im Urin ohne


sonstige Symptome, s. unten) können nur bei einem Screening von Urinproben im
Labor entdeckt werden. Das Screening sollte durchgeführt werden

■ bei Schwangeren und Kleinkindern, weil Therapieversagen zu chronischen


Nierenschäden führen könnte;

■ wenn eine Instrumentierung des Harntrakts vorgesehen ist und die Bakteriurie
in eine Bakteriämie übergehen könnte;

■ bei älteren Menschen und Diabetikern (Risikogruppen für asymptomatische


Bakteriurie).

499
20.4 Laboruntersuchung und Befunde
Methoden für die Bearbeitung von Urinproben im Labor sind im Anhang
zusammengefasst.

Mit Hilfe quantitativer Kulturmethoden lassen sich


Infektionen und Kontaminationen voneinander
abgrenzen
Bei Gesunden ist der Harntrakt steril, auch wenn der distale Abschnitt der Urethra mit
kommensalen Organismen besiedelt ist (einschließlich periurethraler und fäkaler
Keime). Für Urinproben wird normalerweise der Urinstrahl in einem sterilen Behälter
aufgefangen. Dabei kann die Probe durch periurethrale Keime kontaminiert werden.
Mit quantitativen Kulturmethoden gelingt es, eine Kontamination von einer Infektion zu
unterscheiden.

Eine Bakteriurie gilt als signifikant, wenn eine richtig gewonnene Probe des
Mittelstrahlurins (MSU) mehr als 105 Keime/ml enthält. Üblicherweise findet man bei
Infektionen nur eine Bakterienspezies im Urin. Kontaminierter Urin enthält dagegen
weniger als 104 Keime/ml und oft mehrere Bakterienspezies (Abb. 20.6). Bei Werten
zwischen 104 und 105 Keimen/ml fällt die Unterscheidung zwischen Kontamination und
Infektion zum Teil schwer. Entscheidend sind sorgfältige Gewinnung und schneller
Transport der Urinproben zum Labor (s. unten und Kap. 32).

Wichtig: Die Kriterien einer „signifikanten Bakteriurie“ treffen nicht für Urinproben zu,
die aus einem (Nephrostomie-) Katheter oder durch suprapubische Blasenpunktion
entnommen wurden. In solchen Proben gilt jede Keimzahl als signifikant, weil die
Probe nicht durch periurethrale Keime kontaminiert ist.

Zur mikrobiologischen Untersuchung werden meist


Mittelstrahlurinproben verwendet
Mittelstrahlurin (MSU) wird in einem sterilen Behälter mit weiter Öffnung aufgefangen.
Zuvor ist die Glans penis bzw. sind die Labien sorgfältig mit Wasser zu reinigen. Die
erste Portion des Urinstrahls wird nicht verwendet, sondern normal entleert, um
Keime aus der unteren Urethra auszuspülen. Bei richtiger Einweisung gelingt es den
meisten erwachsenen Patienten, eine geeignete Urinprobe zu gewinnen. Schwieriger
kann es für ältere oder bettlägerige Patienten sein, diese Probleme müssen auch bei der
Befundauswertung berücksichtigt werden.

500
Abb. 20.6 Signifikante Bakteriurie.

Proben aus dem Urinstrahl sind selten steril, weil so gewonnener Urin durch
periurethrale Keime kontaminiert sein kann. Selbst bei sorgfältiger Gewinnung
können Urinproben von Gesunden bis zu 103 Keime/ml enthalten. Werte von 105/ml
gelten als verlässlicher Indikator für eine Infektion. Aus unterschiedlichen Gründen
können aber bereits auch niedrigere Werte signifikant sein (z.B. bei akuter Dysurie,
Ureterobstruktion usw.).

Es liegt auf der Hand, dass sich Mittelstrahlurinproben auch bei Säuglingen und
Kleinkindern schwierig gewinnen lassen. Ersatzweise bietet sich „Beutelurin“ (bei
Mädchen ist der Plastikbeutel am Damm, bei Jungen am Penis anzubringen) an, doch
solche Proben sind oft stark mit Fäkalkeimen kontaminiert. Das Problem lässt sich
durch eine suprapubische Blasenpunktion umgehen (Abb. 20.7).

Urinproben sollten möglichst unverzüglich zum Labor transportiert werden. Urin ist
ein gutes Medium für viele Mikroorganismen, in dem sie wachsen und sich vermehren.
Wenn eine längere Zeitspanne zwischen Probengewinnung und Untersuchung vergeht,
werden die Werte leicht verfälscht (s. Kap. 32).

501
Abb. 20.7 Suprapubische Blasenpunktion zur
Aspiration von Urinproben direkt aus der Harnblase.

Diese Methode ist bei Kleinkindern nützlich, weil es zu schwierig wäre,


unkontaminierten Mittelstrahlurin aufzufangen.

Im Idealfall sollten Urinproben vor dem Beginn einer Antibiotikatherapie gesammelt


werden. Wenn der Patient bereits Antibiotika erhält oder innerhalb der letzten 48 h
erhalten hat, muss das ausdrücklich auf dem Begleitformular vermerkt werden.

Bei liegendem Harnkatheter wird eine


Katheterurinprobe für die mikrobiologische
Untersuchung verwendet
Patienten sollten aber nicht katheterisiert werden, nur um eine Urinprobe zu gewinnen!
Bei liegendem Katheter entnimmt man mit Kanüle und Nadel direkt Urin aus dem
Katheterlumen (Abb. 20.3). Urin aus dem Auffangbeutel kann bereits seit Stunden
stehen und eignet sich daher nicht zur Untersuchung; die Keime könnten sich vermehrt
haben, so dass fälschlich höhere Werte bestimmt würden als eigentlich bei dem
Patienten vorhanden.

Zum Nachweis von M. tuberculosis und Schistosoma


haematobium sind besondere Urinproben erforderlich
■ Bei M. tuberculosis: Morgenurinproben von drei aufeinander folgenden
Tagen; sie müssen nicht unter so strengen Kautelen wie Mittelstrahlurin gesammelt
werden, weil bei dieser (Urinkultur-) Technik das Wachstum anderer Erreger als
Mykobakterien gehemmt wird.

502
■ Bei S. haematobium: nur die letzten Milliliter einer Morgenurinprobe nach
körperlicher Anstrengung sammeln.

20.4.1 Laboruntersuchung
Urinproben werden erst makroskopisch und mikroskopisch untersucht, danach wird eine
Kultur angelegt (quantitative und semiquantitative Methoden s. Kap. 32).

20.4.2 Mikroskopische Untersuchung


Bakterien in größerer Zahl in einer Urinprobe werden unter dem Mikroskop sichtbar.
Das weist aber nicht notwendigerweise auf eine Infektion hin, sondern kann auch
bedeuten, dass die Probe nicht richtig gesammelt oder länger bei Raumtemperatur
aufbewahrt wurde.

Erythrozyten oder Leukozyten im Urin sprechen ebenfalls nicht unbedingt für eine
Harnwegsinfektion. Eine Hämaturie kann auftreten bei

■ Harnwegs- und sonstigen Infektionen (z.B. bakterieller Endokarditis)

■ Nierenverletzung/-trauma

■ Konkrementen (Steinen)

■ malignen Tumoren des Urogenitaltraktes

■ Gerinnungsstörungen

■ Thrombozytopenie.

Bei Frauen können Erythrozyten in der Urinprobe während der Mensruation


nachweisbar sein.

Leukozyten sind bei Gesunden nur in geringer Zahl im Urin vorhanden (≤ 10/ml). Werte
über 10/ml gelten als auffälliger Befund, müssen aber nicht gleichbedeutend mit
Bakteriurie sein. Einen wichtigen Befund stellt eine sterile Pyurie dar als Zeichen einer

■ laufenden Antibiotikatherapie

■ anderen Erkrankung (Tumor, Harnsteine)

■ Infektion durch Keime, die ihrer Entdeckung durch Routine-Urinkulturmedien


entgehen (s. Anhang).

503
Der Laborbefund einer signifikanten Bakteriurie muss
quantifiziert werden
(Kulturmedien und Anzüchtung der Keime s. Anhang) Mit konventionellen
Methoden ist nach 18–24 Stunden mit einem Ergebnis zu rechnen, doch es gibt auch
Schnelltests (aufgrund von Biolumineszenz, Turbidimetrie, Leukozyten-
Esterase/Nitrat-Reduktase etc.). Manche Labors testen gleich die
Antibiotikaempfindlichkeit, sobald eine abnorme Zahl von Leukozyten oder Bakterien
unter dem Mikroskop erkennbar ist. In diesem Fall können innerhalb von 24 Stunden
die Ergebnisse beider Tests (Kultur und Antibiotikaresistenz) vorliegen.

Die richtige Interpretation der Testergebnisse hängt


von einer Reihe Faktoren ab
Dazu zählen:

■ Korrekt durchgeführte Probengewinnung.

■ Aufbewahrung: Urin darf maximal 18 Stunden bei 4°C aufbewahrt werden;


Urinkultur besser innerhalb einer Stunde anlegen.

■ Antibiotikatherapie: Bei Patienten, die mit Antibiotika behandelt werden, kann


schon eine kleinere Keimzahl signifikant sein (neu aufgetauchte Resistenz).
Hemmstoffe des Bakterienwachstums lassen sich mit einfachen Labormethoden
nachweisen.

■ Flüssigkeitszufuhr: Das quantitative Ergebnis wird natürlich davon beeinflusst,


ob ein Patient zuvor viel oder wenig getrunken hat.

■ Art der Urinprobe: Quantitative Richtlinien gelten nur für Mittelstrahlurin-,


nicht für (Nephrostomie-) Katheterbzw. Blasenurinproben (durch suprapubische
Blasenpunktion).

20.5 Behandlung

Ein unkomplizierter Harnwegsinfekt wird mit oralen


Antibiotika behandelt (Einmaldosis oder über 3 Tage)
Ein unkomplizierter Harnwegsinfekt (Zystitis) heilt bei bis zu 40% der Patienten im
Allgemeinen spontan innerhalb von vier Wochen aus. Allerdings verringern sich die
Beschwerden und die Zahl der Bakterien schneller durch die Einnahme eines
Antibiotikums. Ob eine antimikrobielle Chemotherapie als orale Einmalgabe oder an
drei Tagen durchgeführt wird, hängt vom Medikament ab. Häufig verschriebene Mittel
sind in Tabelle 20.1 zusammengestellt. Die Auswahl richtet sich nach der
Erregerempfindlichkeit.

504
Tab. 20.1 Orale Antibiotika zur Behandlung von
Harnwegsinfektionen
Bei unkompliziertem, ambulant erworbenem Harnwegsinfekt kann „blind“ mit einer
ungezielten Antibiotikatherapie begonnen werden, zumindest bis das Laborergebnis
vorliegt. Das setzt voraus, dass man die in Frage kommenden Erreger und ihre
Sensibilität gegenüber einzelnen Antibiotika kennt. Frühestens zwei Tage nach
Abschluss der Therapie sollte durch erneute Kulturen überprüft werden, ob alle Keime
erfasst wurden. Zusätzlich zur Antibiotikatherapie sollten Patienten viel trinken, um das
Herausspülen der Keime zu unterstützen.

Kinder und Schwangere mit asymptomatischer Bakteriurie sollten antibakteriell


behandelt werden, mit anschließender Kontrolle, ob die Infektion beseitigt werden
konnte. Instrumentelle urologische Eingriffe sollten bei Patienten mit signifikanter
Bakteriurie nicht durchgeführt werden, so lange, bis der Urin nach der Behandlung
wieder steril geworden ist.

505
Komplizierte Harnwegsinfektionen (Pyelonephritis)
werden parenteral mit Antibiotika behandelt
Bei bekannter Erregerempfindlichkeit muss eine systemische Behandlung mit
antibakteriellen Medikamenten (Tab. 20.2) so lange fortgesetzt werden, bis alle
Symptome abgeklungen sind. Danach kann auf eine orale Verabreichung umgestellt
werden. Gewöhnlich wird die Therapie mindestens zehn Tage lang durchgeführt, doch
es kann auch länger bis zur Beseitigung der Infektion dauern.

Nosokomiale oder rezidivierende Infektionen können – besonders bei katheterisierten


Patienten – durch antibiotikaresistente Keime ausgelöst werden. Hier richtet sich die
Wahl des Mittels nach dem Muster der Erregerempfindlichkeit. Wenn möglich, sollte
der Katheter entfernt werden, um die Infektionsquelle zu eliminieren. Manche Autoren
befürworten eine Behandlung nur bei Patienten mit Symptomen bzw. vor
instrumentellen Eingriffen. Richtlinien zur Katheterpflege und zur Prävention von
Harnwegsinfekten zeigt Tab. 20.3.

Eine spezifische Antibiotikatherapie ist erforderlich bei Infektionen, die sich


hämatogen ausgebreitet haben (z.B. Tuberkulose s. Kap. 33, Salmonella typhi s. Kap.
22, Staphylococcus aureus s. Kap. 26, Schistosomiasis s. Kap. 27).

20.6 Prävention

Pathogenese der Harnwegsinfekte bzw. Prädisposition


sind noch nicht ganz verstanden
Rezidivierende Infektionen bei an sich gesunden Frauen lassen sich verhindern, wenn
sie regelmäßig ihre Harnblase entleeren. Dadurch werden Keime ausgeschwemmt, was
bei diesen Patientinnen besonders nach dem Geschlechtsverkehr wichtig ist. Eine
Antibiotika-Prophylaxe kann zwar rezidivierende Harnwegsinfekte verhindern, doch
wenn andere Störungen zugrunde liegen, kann es leicht zu einer Selektion resistenter
Bakterienstämme kommen; die Behandlung nachfolgender Infektionen würde
zunehmend erschwert.

Infektionen sind bei katheterisierten Patienten relativ häufig, lassen sich aber durch
sorgfältige Katheterpflege reduzieren (Tab. 20.2 und s. Kap. 36). Eine Katheterisierung
sollte generell möglichst vermieden oder die Liegedauer auf ein Minimum reduziert
werden.

506
Tab. 20.2 Therapie von Harnwegsinfektionen

507
Tab. 20.3 Richtlinien zur Katheterpflege

Zusammenfassung
■ Harnwegsinfekte gehören zu den häufigsten bakteriellen Infektionen,
besonders bei Frauen.
■ In den meisten Fällen handelt es sich um akute Episoden ohne Nachwirkungen.
■ Harnwegsinfektionen sind meist endogen, durch aufgestiegene Keime aus dem
Periurethralbereich erworben. Vorherrschend ist E. coli. Als Auslöser kommen auch
andere Gram-negative Keime in Frage, besonders bei hospitalisierten Patienten.
Viren sind nur selten Ursache von Harnwegsinfekten.
■ Prädisponierend sind spezielle anatomische Gegebenheiten durch (strukturelle
oder mechanische) Wirtsfaktoren oder eine Katheterisierung.
■ Eine wichtige Rolle bei Harnwegsinfektionen könnten Bakterienadhärenz und
Kapsel-Polysaccharide spielen. Spezifische Toxine scheinen nicht beteiligt zu sein,
vielleicht aber Hämolysine (Zytotoxine).
■ Untere Harnwegsinfekte verstärken meist akut die Miktionshäufigkeit und
verursachen Dysurie. Bei Schwangeren und Kindern verläuft ein Harnwegsinfekt oft
asymptomatisch. Bei einer größeren Zahl von Patienten kommt es zu Rezidiven.
■ Die Symptomatik einer Pyelonephritis bzw. oberen Harnwegsinfektion ist
schwerer: Fieber und Lendenschmerzen; Rezidive können zu Nierenschäden führen.
■ Zur Bestätigung einer bakteriellen Diagnose sind quantitative
Untersuchungsmethoden erforderlich. Pyurie weist auf eine Infektion hin.
■ Eine Kurzzeit-Therapie mit oralen Antibiotika hilft bei unterer
Harnwegsinfektion; eine Pyelonephritis muss länger und oft parenteral behandelt
werden.

508
■ Nosokomiale Harnwegsinfektionen werden häufig durch Gram-negative Keime
mit Mehrfachresistenz hervorgerufen. Die Behandlung richtet sich nach der
(getesteten) Erregerempfindlichkeit.

FRAGEN
Eine 22-jährige, im 8. Monat schwangere Lehrerin leidet seit ca. 48 Stunden an
Dysurie und unteren Abdominal-schmerzen. Es ist ihre erste Schwangerschaft, die
bisher unauffällig verlief. Bei der Untersuchung durch die Ärztin ist sie fieberfrei und
der Uterus normal groß (termingerecht). Leichte Druckempfindlichkeit des
Unterbauchs, Nierenlager frei. Ein Urin-Streifentest weist Proteine, aber weder
Glukose noch Blut nach. Die Urinprobe wird zum Labor gesandt. In der Urinkultur
wachsen mehr als 105 koliforme Keime pro ml.
1 Was besagt die Bakterienzahl in der Urinprobe der Patientin?
2 Warum wird Urin in der Schwangerschaft routinemäßig auf Infektionszeichen
untersucht?
3 Nennen Sie in absteigender Reihenfolge die drei wahrscheinlichsten Ursachen
für die Infektion dieser Patientin.
4 Welche Antibiotika eignen sich zur Therapie der Schwangeren?
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Am. J. Med. 2002; 113 (Suppl. 1): 1–84.
Bergan, T. (ed.): Urinary Tract Infections. Karger, Basel 1997.
Mobley, H., Warren, J. (eds.): Urinary Tract Infections: Molecular Pathogenesis and
Clinical Management. Blackwell, Oxford 1996.
Unyime, O.N., Weinman, E., Lamm, D.L.: Urology for Primary Care Physicians.
Saunders, Philadelphia 1999.
Vogel, F., Bodmann, K.-F.: Empfehlungen zur kalkulierten parenteralen
Initialtherapie bakterieller Erkrankungen bei Erwachsenen. Chemotherapie Journal
2004; 13(2):46–105, s. Internetseiten der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie
e.V. unter www.p-e-g.de.

509
21 Sexuell übertragbare Krankheiten
21.1 STD und Sexualverhalten 269

21.2 Syphilis 269

21.2.1 Labordiagnose 271

21.2.2 Behandlung 272

21.3 Gonorrhoe 272

21.4 Chlamydieninfektionen 275

21.5 Inguinale Lymphadenopathie anderer Ursache 277

21.5.1 Lymphogranuloma venereum (LGV) 278

21.5.2 Weicher Schanker (Chankroid, Ulcus molle) 278

21.5.3 Granuloma inguinale (Donovanosis) 279

21.6 Mykoplasmen- und Nicht-Gonokokken-Urethritis 279

21.7 Sonstige Ursachen von Vaginitis und Urethritis 279

21.7.1 Candida-Infektion 279

21.7.2 Trichomonadeninfektion 279

21.7.3 Bakterielle Vaginose 280

21.8 Genitaler Herpes 281

21.9 Human-Papillomavirus- (HPV)-Infektion 282

21.10 HIV-Infektion 282

21.10.1 Übertragungswege 286

21.10.2 Krankheitsverlauf 287

21.10.3 Behandlung 288

21.10.4 Labortests 290

21.10.5 Maßnahmen zur Infektionskontrolle 291

21.10.6 Impfung 291

21.11 Opportunistische Infektionen 292

21.12 Arthropodenbefall 292


Zur Orientierung

510
Sexuell übertragene Infektionen führen meist zu Krankheiten

Unter bestimmten Umständen äußern sich sexuell übertragene Infektionen primär nicht
durch offensichtliche Krankheitssymptome (z.B. Frühstadium der HIV-Infektion,
symptomlose Gonorrhoe der Frau). Das ist besonders problematisch, weil sexuell
übertragene Krankheiten (STD), wenn sie asymptomatisch verlaufen oder nicht
angegeben werden, im Allgemeinen auch unbehandelt bleiben, so dass es weiterhin zu
Ansteckung und zur Ausbreitung der Erkrankung kommt.

STDs spielen auf der ganzen Welt medizinisch eine wichtige Rolle, dabei stellen HIV-
Infektion und AIDS die größte globale Bedrohung dar. Betroffen waren 2003 ca. 42
Millionen Erwachsene. Zusätzlich zur HIV-Infektion kommt es weltweit zu einer
alarmierenden Häufung von Neuerkrankungen an weiteren STDs (hunderte Millionen pro
Jahr).

Die Inzidenz der meisten STDs steigt


Exemplarisch ist die Situation in England, Wales und Nordirland, wo sich die Zahl
gemeldeter neuer STD-Fälle (Patienten in Fachkliniken) zwischen 1995 und 2000 mehr
als verdreifacht hat. Ähnlich sieht es in anderen Ländern, inklusive den USA, aus.
Gründe für die Zunahme sind:

■ steigende Bevölkerungsdichte und verstärkte Mobilität,

■ verändertes Sexualverhalten,

■ fehlende Impfstoffe gegen die meisten STDs.

Die beiden letzten Faktoren dürften sich ändern lassen. Es gibt bereits Anzeichen dafür,
dass manche STDs unter männlichen Homosexuellen seltener übertragen werden, seitdem
sich das Sexualverhalten dieser Gruppe geändert hat, und gegen bestimmte Infektionen
(z.B. Herpes simplex, Gonorrhoe, HIV) könnten demnächst Impfstoffe zur Verfügung
stehen.

Das Aufkommen von HIV-Infektion bzw. AIDS stellt alle anderen STDs in den
Schatten, da diese neue, mit hoher Letalität verbundene Infektionskrankheit eine enorme
Belastung bedeutet. In den (ressourcen-)reichen Ländern wurden HIV-1-RNA-
Plasmawerte und die absoluten oder relativen CD4-Zahlen zum wichtigsten Mittel, um die
Krankheitsprogression und das Ansprechen der antiretroviralen Therapie bei HIV-
Infizierten zu überwachen.

In Tab. 21.1 sind die „Top Ten“ der STDs aufgelistet, in Tab. 21.2 die selteneren. Mit
welchen Strategien sich Mikroorganismen den Abwehrkräften des Wirts widersetzen,
zeigt Tab. 21.3.

511
Tab. 21.1 Die zehn wichtigsten sexuell übertragbaren Krankheiten
(„Top Ten“ der STDs).

Tab. 21.2 Andere sexuell übertragbare Krankheiten (Impfungen


nicht verfügbar).

512
Tab. 21.3 Strategien sexuell übertragbarer Erreger gegen
Abwehrkräfte des Wirts.
NK = natürliche Killerzellen

513
21.1 STD und Sexualverhalten
Wie sexuell übertragbare Infektionserreger in den Körper gelangen, ausgeschieden und
übertragen werden, ist in den Grundzügen in Kap. 13 beschrieben.

Die Ausbreitung von STD steht in direkter Beziehung


zum Sexualverhalten
Das bedeutet, dass sich ihre Übertragung viel leichter verhindern lässt als z.B. bei
Atemwegsinfektionen. Infizierte asymptomatische Individuen spielen eine bedeutende
Rolle. Weitere Faktoren sind Promiskuität sowie Sexualpraktiken unter Einbeziehung
von verschiedenen Körperöffnungen und Schleimhautoberflächen (s. Kap. 13).

■ Oral- oder Analverkehr ermöglichen eine Übertragung zwischen


Heterosexuellen oder männlichen Homosexuellen. Gonokokken können z.B. eine
Pharyngitis und Proktitis verursachen, auch wenn sie ein- oder mehrschichtiges
Plattenepithel nicht so leicht infizieren wie das Darmepithel.

■ Entscheidend ist der Gebrauch von Kondomen. Bei simulierten Koitaltests


wurden Gonokokken, Herpes-simplex-Virus (HSV), HIV und Chlamydien in
Kondomen zurückgehalten, selbst wenn das infizierte Agens extra lange (8 Stunden)
vor Ort blieb.

Ausführlicher wird auf die Kontrolle von STD in Kap. 31 eingegangen.

Verschiedene Wirtsfaktoren haben Einfluss auf das STD-


Infektionsrisiko
Dass dabei die Art der sexuellen Aktivitäten eine Rolle spielt oder genitale Läsionen
bzw. Ulzera das Ansteckungsrisiko (z.B. mit HIV) erhöhen können, überrascht nicht.
Andere Faktoren, wie die häufige Beobachtung, dass z.B. nicht beschnittene Männer ein
höheres Infektionsrisiko tragen, sind dagegen weniger gut erklärbar.

Eine Geschlechtskrankheit tritt nicht notwendigerweise einzeln auf, sondern man sollte
stets an die Möglichkeit einer Mehrfachinfektion denken. Syphilis kann z.B. mit
Gonorrhoe einhergehen. Ein Genitalherpes wird anscheinend durch eine akute
Gonorrhoe reaktiviert.

514
21.2 Syphilis

Syphilis (durch Treponema pallidum) kommt seltener


vor als andere STD
Treponema pallidum (s. Anhang) ist eng mit anderen Spirochäten bzw. Treponemen
verwandt, die keine genitalen Erkrankungen (wie Pinta oder Frambösie, Tab. 21.4 und
Abb. 21.1) verursachen. Syphilis ist weltweit verbreitet (in den USA dritthäufigste
bakterielle Geschlechtskrankheit). Sie stellt besonders in den Entwicklungsländern ein
Problem dar, weil schwere Folgeschäden auftreten können und die Gefahr einer
kongenitalen Infektion besteht.

Tab. 21.4 Medizinisch wichtige Spirochäten


(„Schraubenbakterien“.)
T. pallidum gelangt durch winzige Wunden der Haut oder Schleimhäute in den Körper.
Die Übertragung setzt engen Körperkontakt voraus. T. pallidum kann sich außerhalb
des Körpers nur schlecht halten, da es sehr anfällig für Austrocknung, Hitze und
Desinfektionsmittel ist. Horizontal breitet es sich auf sexuellem Weg aus (s. Kap. 13)
und vertikal durch diaplazentare Infektion des Fetus (s, Kap. 23).

Die lokale Vermehrung mit Infiltration von Plasmazellen, (polymorphkernigen)


Leukozyten und Makrophagen führt im späteren Stadium zu einer Endarteriitis. Die
Inkubationszeit beträgt durchschnittlich drei Wochen und die Bakterien vermehren sich
nur sehr langsam.

Nach der klassischen Einteilung gibt es drei Stadien


Syphilis wird in drei Stadien eingeteilt (Primär-, Sekundär- und Tertiärstadium; Tab.
21.5). Nicht alle Patienten durchlaufen jedoch alle drei Stadien; ein nicht unerheblicher
Teil bleibt nach dem Primär- oder Sekundärstadium dauerhaft frei von Symptomen
(Primäraffekt bei Syphilis, Abb. 21.1). Auf das Sekundärstadium kann eine Latenzphase
von 3–30 Jahren folgen, ehe das Tertiärstadium der Krankheit eintritt.

Anders als viele andere pathogene Bakterien kann T. pallidum trotz starker
Immunreaktionen jahrelang im Körper überdauern. Man nimmt an, dass sich
unversehrte Treponemen mit einer lipidreichen Hülle vor der Erkennung und
Eliminierung durch die Wirtsabwehr schützen, ohne dass diese Schicht antigen wirken

515
würde. Daher findet eine Antigen-(Antikörper-)Reaktion erst statt, wenn sie bei
absterbenden oder abgetöteten Mikroorganismen bloß liegen. Die Schädigung des
Gewebes beruht demnach weitgehend auf der Wirtsreaktion.
Abb. 21.1

Treponemen-Erkrankungen

a) Typischer Schanker am Penis, der Primäraffekt bei Syphilis. Frambösie (b) und
Pinta (c) sind in tropischen und subtropischen Ländern endemisch verbreitet und
durch direkten Kontakt übertragbar. Mit freundlicher Genehmigung von R.D.
Catterall (a) und P.J. Cooper und G. Griffin (b, c)

Trotz langjähriger Bemühungen kann T. pallidum noch immer nicht auf künstlichen
Kulturmedien im Labor angezüchtet werden. Daher lassen sich mögliche
Virulenzfaktoren auf molekularer Ebene kaum untersuchen. Dennoch konnten
bestimmte Gene in Escherichia coli geklont und wichtige Proteine charakterisiert
werden.

Infizierte Schwangere können T. pallidum intrauterin


auf ihr Kind übertragen
Eine nach dem dritten Schwangerschaftsmonat erworbene, angeborene Syphilis kann
sich manifestieren

■ als schwere Infektion (Fetopathie), die zum intrauterinen Fruchttod führt,

■ durch kongenitale Fehlbildungen bei der Geburt,

■ als klinisch stumme Infektion, die erst im Alter von zwei Jahren erkennbar
wird (Gesichts- und Zahndeformierungen).

516
Tab. 21.5 Pathogenese der Syphilis (Lues).
LK = Lymphknoten
*
Schanker: aus der anfänglichen Papel wird ein schmerzloses Geschwür, das
unbehandelt innerhalb von 2 Monaten abheilt
**
bei Dunkelfeldmikroskopie lebende Treponemen in der (Läsions-)Flüssigkeit
erkennbar; Patienten hochinfektiös

517
21.2.1 Labordiagnose
Da sich T. pallidum in vitro nicht anzüchten lässt, steht und fällt die Labordiagnose mit
mikroskopischen und serologischen Untersuchungen.

Mikroskopische Untersuchungen
Exsudat aus dem Primäraffekt (Schanker, Ulcus molle) sollte entweder

■ direkt nach der Gewinnung unter einem Dunkelfeldmikroskop oder

■ nach Färbung mit fluoreszenzmarkierten (Anti-Treponemen-)Antikörpern unter


einem UV-Lichtmikroskop untersucht werden.

In ungefärbten Präparaten bewegen sich die Mikroorganismen mit ihren fest


gewickelten, dünnen Windungen und spitz zulaufenden Enden langsam und träge. T.
pallidum ist viel dünner als z.B. E. coli (0,2 μm statt 1 μm Durchmesser) und in Gram-
gefärbten Präparaten nicht erkennbar. Zum Erregernachweis in Biopsiematerial kann
als Färbemethode eine Silberimprägnierung angewandt werden.

Serologische Untersuchungen
Die Diagnose der Syphilis stützt sich vor allem auf serologische Tests. Unterschieden
werden spezifische oder unspezifische Nachweismethoden für Antikörper im
Patientenserum.

Unspezifische Syphilistests: VDRL- und RPR-Test


Der Begriff „unspezifisch“ wird verwendet, weil die Antigene nicht von
Treponemen, sondern aus normalen Gewebeextrakten von Säugetieren stammen.
Kardiolipin (aus Rinderherz) ermöglicht den Nachweis der Anti-Lipid-Antikörper
IgG und IgM bei Patienten. Diese Antikörper stellen eine Reaktion auf das von
infizierten, geschädigten Zellen freigesetzte lipoide Material, aber auch auf
Oberflächenlipide von T. pallidum dar. Gebräuchlich sind

■ VDRL(Venereal Disease Research Laboratory)-Test und

■ RPR(rapid plasma reagin)-Test,

die beide als Testset (Kit) zur Verfügung stehen.

Bei unspezifischen Tests kann sich 4–6 Wochen nach der Infektion (oder 1–2
Wochen nach Auftreten des Primäraffekts) ein positives Ergebnis zeigen. Da sie im
Tertiärstadium oder nach erfolgreicher antibiotischer Behandlung einer Primär- oder
Sekundärsyphilis nicht länger positiv ausfallen, eignen sie sich als Screening-Tests.
Trotzdem sind sie unspezifisch, d.h. ein positives Ergebnis kann auch durch eine
andere Erkrankung zustande kommen (biologisch falsch-positiv, Tab. 21.6). Alle
positiven Testergebnisse müssen daher durch einen spezifischen Test bestätigt
werden. Allerdings kann die Behandlung (vor allem im Primär- oder
Sekundärstadium der Syphilis) zu einer „Seroreversion“ führen, so dass sich diese
Tests zumindest als Indikator für die therapeutische Wirksamkeit eignen.

518
Tab. 21.6 Lues-/Syphilisserologie und mögliche andere
Erkrankungen als Ursache falsch-positiver Ergebnisse in
Syphilistests.
FTA-Abs = Fluoreszenz-Treponemen-Antikörper-Absorptionstest, TPHA (T.
pallidum Hämagglutinationsassay) PRP = rapid plasma reagin test, VDRL =
Venereal-Disease-Research-Laboratory-Test

Häufig benutzte spezifische Tests: Treponemen-


Antikörper-Tests, FTA-Abs und MHA-TP
Spezifische Syphilistests verwenden rekombinante Proteine oder Antigenextrakte
von T. pallidum. Häufig angewandt werden:

■ ELISA (enzyme-linked immunosorbent assays) zum Nachweis von IgM und


IgG

■ FTA-Abs (Fluoreszenz-Treponemen-Antikörper-Absorptionstest, Abb. 21.2),


bei dem vor der Reaktion mit T.-pallidum-Antikörpern erst kreuzreagierende
Antikörper aus dem Patientenserum entfernt werden (durch Absorption mit
nichtpathogenen Treponemen).

■ TPHA (T. pallidum Hämagglutinationsassay).

Mit spezifischen Tests lässt sich überprüfen, ob ein positives Ergebnis eines
unspezifischen Tests wirklich auf Syphilis beruht. Da sie früh positiv ausfallen,
können spezifische Tests auch zur Diagnosebestätigung herangezogen werden,
wenn das klinische Bild stark für Syphilis spricht. Auch im weiteren Verlauf bleiben
sie – oft jahrelang – positiv und können bei Patienten im Spät-(Tertiär-) Stadium als
einziger Test positiv ausfallen. Weil sie trotz erfolgreicher Antibiotikatherapie
weiterhin positiv bleiben, eignen sie sich jedoch nicht zur Beurteilung des
Ansprechens der Therapie. Möglich sind auch falsch-positive Reaktionen (Tab.
21.6).
Abb. 21.2 Fluoreszenz-Treponemen-Antikörper-
Absorption als Syphilistest.

519
Durch den fluoreszierenden Farbstoff wird die Antikörperbindung an Bakterien
im Patientenserum erkennbar.

Zur Diagnosesicherung sind verschiedene


serologische Tests notwendig
Positive Testergebnisse können bei Neugeborenen infizierter Mütter Ausdruck einer
passiven Immunität (durch Übertragung mütterlicher Antikörper) oder bereits einer
eigenen Infektion sein. Um die beiden Möglichkeiten voneinander abzugrenzen,
werden IgM-Antikörper bestimmt und der Antikörpertest sechs Monate später
wiederholt, da zu der Zeit die mütterlichen Antikörper verschwunden sind. Bei
kongenitaler (angeborener) Syphilis bleiben die Antikörpertiter des Kindes weiter
erhöht.

Derzeit sind zur Diagnosesicherung noch mehrere serologische Tests erforderlich.


Doch mit keinem einzigen lässt sich Syphilis von einer nicht sexuell übertragenen
(Trepanosomen-) Krankheit wie Pinta oder Frambösie abgrenzen. Der Westernblot-
Assays mit dem Vollantigen von T. pallidum scheint jedoch eine sehr gute
Möglichkeit für einen spezifischen Bestätigungstest zu sein.

520
21.2.2 Behandlung

Penicillin ist das Mittel der Wahl für Syphilispatienten


und Kontaktpersonen
Penicillin ist sehr gut gegen T. pallidum wirksam (Tab. 21.1). Für Patienten mit
Penicillinallergie bietet sich ersatzweise eine Behandlung mit Tetracyclin oder
Doxycyclin an. Doch eine sichere Behandlung des Fetus ist nur durch eine
Penicillintherapie der Mutter gewährleistet.

Ob sich ein Sekundär- oder Tertiärstadium verhindern lässt, hängt von einer
frühzeitigen Diagnose und richtigen Behandlung der Syphilis ab. Darüber hinaus
müssen alle Kontaktpersonen mit behandelt werden. Da Patienten mehr als eine
Geschlechtskrankheit haben können, sollten sie bei jeder anderen STD auch auf
Syphilis untersucht werden.

Eine angeborene Syphilis kann durch serologische Screening-Untersuchungen in der


Frühschwangerschaft (bis zum 3. Monat) und eine Penicillinbehandlung infizierter
Frauen verhindert werden.

21.3 Gonorrhoe

Die Ursache sind Gram-negative Kokken


(Gonokokken oder Neisseria gonorrhoeae)
N. gonorrhoeae ist ein humanpathogenes Bakterium und kann bei Tieren keine
natürliche Infektion hervorrufen. Daher beschränkt sich sein Reservoir auf Menschen.
Die Übertragung erfolgt von Mensch zu Mensch, meist durch Sexualkontakte.
Gonokokken sind anfällig für Austrocknung und würden daher außerhalb ihres Wirts
nicht gut überleben können. Man schätzt, dass sich bei einmaligem Intimkontakt zu
einem infizierten Mann 50% der Frauen anstecken, aber Männer sich nur mit einer
Wahrscheinlichkeit von 20% bei einer infizierten Frau anstecken.

Asymptomatisch Infizierte (fast stets Frauen, s. unten) bilden die wichtigste


Infektionsquelle. Eine Gonorrhoe kann unter der Geburt auch vertikal (von der
infizierten Mutter auf das Kind) übertragen werden und manifestiert sich bei
Neugeborenen meist als Augeninfektion (Ophthalmia neonatorum, s. Kap. 23).

Gonokokken verfügen über spezielle


Adhäsionsmechanismen für Schleimhautzellen
Für Gonokokken sind Vaginal- und Penisschleimhaut die üblichen Eintrittspforten in
den Körper, doch über bestimmte sexuelle Praktiken können sie auch in den Rachen
oder After gelangen. Dass die Bakterien nicht einfach vom Urin oder Vaginalsekret
weggespült werden, verhindern spezielle Adhäsionsmechanismen (Abb. 21.3). Nach
ihrer Adhäsion beginnen sich Gonokokken rasch zu vermehren und aufzusteigen – bei
Frauen durch die Zervix, bei Männern durch die Harnröhre. Obwohl sie nicht begeißelt
und damit unbeweglich sind, wird ihre Ausbreitung von mehreren Virulenzfaktoren

521
begünstigt (Abb. 21.3). Durch eine IgA-Protease schützen sich die Erreger vor
sekretorischen Antikörpern.

Schädigung des Wirtsgewebes durch entzündliche,


von den Gonokokken induzierte Reaktionen
Gonokokken dringen in Zellen des zilienfreien Epithels ein, damit sie sich – geschützt
vor Phagozyten und Antikörpern – in intrazellulären Vakuolen vermehren können.
Diese Vakuolen senken sich im Zellinneren nach unten und verschmelzen mit der
Basalmembran, ehe sich ihr Inhalt ins subepitheliale Bindegewebe entleert. Neisseria
gonorrhoeae bildet kein Exotoxin. Die Schädigung des Wirtsgewebes beruht allein auf
Entzündungsreaktionen, die Gonokokken hervorrufen. Bei einer anhaltenden,
unbehandelten Infektion kann es zu chronischer Entzündung und Fibrosierung kommen.
Abb. 21.3 Mehrere Virulenzfaktoren fördern die
Ausbreitung einer Infektion mit Neisseria
gonorrhoeae.

Durch strukturelle Veränderungen ihrer Oberfläche können Gonokokken avirulent


werden.

Normalerweise beschränkt sich die Infektion auf den Genitaltrakt, doch in einigen
Fällen konnten Bakterien isoliert werden, die sich auf dem Blutweg in andere
Körperregionen ausgebreitet hatten, weil sie offensichtlich resistent gegen die
bakterizide Wirkung des Serums waren.

522
Bei Frauen verläuft die Gonorrhoe vielfach ohne
Beschwerden, kann aber später zu Infertilität führen
In den ersten 2–7 Tagen der Infektion können sich typische Symptome entwickeln:

■ beim Mann Ausfluss aus der Harnröhre (Abb. 21.4) und Schmerzen bei der
Miktion (Dysurie),

■ bei der Frau Ausfluss aus der Vagina.

Mindestens 50% der infizierten Frauen haben leichte bis gar keine Beschwerden.
Deshalb suchen sie keinen Arzt auf, bleiben unbehandelt und können für andere weiter
ansteckend sein. Bei Männern ist aber eher ein symptomatischer Verlauf die Regel.
Unter Umständen bemerken Frauen erst Komplikationen wie

■ aufsteigende Beckenentzündung (pelvic inflammatory disease, PID)

■ chronische Unterleibsschmerzen

■ Unfruchtbarkeit durch Tubenverschluss.

Die Ophthalmia neonatorum äußert sich durch klebrige Augenabsonderung (Abb. 23.5).
Im Rachen können Gonokokken zu einer Halsentzündung führen (s. Kap. 18), bei
Infektion der Rektalschleimhaut kann es zu purulentem Ausfluss kommen.

523
Abb. 21.4 Gonokokkenurethritis.

Entzündete Glans penis mit typisch purulentem Ausfluss aus der Harnröhrenöffnung
(mit freundlicher Genehmigung von J. Clay).

Lokale Komplikationen treten bei Männern nur selten auf (Abb. 21.5). Invasive
Formen einer Gonokokkeninfektion betreffen viel häufiger Frauen als Männer. Hier
würde eine sofortige Behandlung helfen, die Infektion einzudämmen. Dass die Infektion
bei Frauen üblicherweise asymptomatisch verläuft (d.h. nicht erkannt und nicht
behandelt wird), ist ein wichtiger Faktor für Komplikationen. In 10–20% der Fälle steigt
die Infektion bei (unbehandelten) Frauen auf und verursacht eine Beckenentzündung
(pelvic inflammatory disease, PID) und/oder eine Schädigung der Tuben.

Eine disseminierte Infektion kommt bei 1–3% der Frauen vor, bei Männern sehr viel
seltener (s. oben und Abb. 21.6). Das hängt nicht nur vom Gonokokkenstamm (s. oben),
sondern auch von Wirtsfaktoren ab; 5% der Patienten mit disseminierter Infektion hatten
z.B. einen Komplementfaktor-Mangel (C5–C8).
Abb. 21.5 Lokale und systemische Komplikationen
einer Gonokokkeninfektion.

a) Als gerötete Papeln beginnende Hautläsionen gehen oft in blutige Bläschen


(Pusteln) mit nekrotischem Zentrum über. b) Septische Arthritis mit ausgeprägtem

524
Erythem und Schwellung am Knöchel und Unterschenkel. Mit freundlicher
Genehmigung von J.S. Bingham (a) und T.F. Sellers jr. (b).

Diagnostiziert wird die Gonorrhoe mikroskopisch und


durch Kultivierung geeigneter Materialien
Bei entsprechender Indikation werden vaginale oder urethrale Ausfluss- und andere
Proben mikroskopisch untersucht und Kulturen angelegt. Obwohl purulenter Ausfluss
typisch für eine lokale Gonokokkeninfektion ist, lässt sich allein aufgrund der klinischen
Untersuchung eine Infektion durch andere Erreger (z.B. Chlamydia trachomatis) nicht
sicher ausschließen.

Für erfahrene Diagnostiker kann der Nachweis von Gram-negativen intrazellulären


Diplokokken im urethralen Ausstrichpräparat – bei entsprechender Symptomatik des
Patienten – ein hoch empfindlicher und spezifischer Gonorrhoe-Test sein.

Bei Frauen und asymptomatischen Männern ist zur Abklärung eine Anzüchtung von
Probenmaterial wichtig; Proben sollten auch von anderen Stellen als der Harnröhre
entnommen werden. Auch Proben von symptomatischen männlichen Patienten sollten
kultiviert werden:

■ zur Erregeridentifizierung,

■ zur Empfindlichkeitstestung von Antibiotika (s. Kap. 32),

■ zur Unterscheidung zwischen Therapieversagen und Reinfektion.

Die empfindlich auf Trockenheit reagierenden Gonokokken sollten auf angewärmten


selektiven (z.B. modifizierter Thayer-Martin-Agar) und nichtselektiven (Schokolade-
Blut-Agar) Kulturmedien gezüchtet werden. Wenn sich die Übergabe ans Labor
hinauszögert (nicht länger als 48 Stunden!), muss ein geeignetes Transportmedium
verwendet werden. Bei Verdacht auf eine disseminierte Infektion sollten Blutproben
entnommen werden; auch Aspirate aus Gelenken können positive Kulturergebnisse
ergeben.

Serologische Untersuchungen führen meist zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis.


Seit kurzem sind spezifische DNA-Sonden für N. gonorrhoeae und Chlamydien im
Handel erhältlich; solche Kits liefern innerhalb von 2–4 Stunden zuverlässige
Ergebnisse.

525
Abb. 21.6 Lokale und systemische Ausbreitung der
Gonokokkeninfektion und Komplikationen.

Antibiotikatherapie für die Therapie der Gonorrhoe sind


Ceftriaxon und Fluorchinolone (z.B. Ciprofloxacin) –
doch die Resistenz nimmt zu

526
(Antibiotika der Wahl s. Tab. 21.1)

Seitdem 1976 zum ersten Mal Penicillinase-bildende N. gonorrhoeae beobachtet wurden,


hat zunehmende Resistenz die wirksame Behandlung der Gonorrhoe in einigen Teilen der
Welt (vor allem in Südostasien) stark eingeschränkt. Auch die Resistenz gegen
Fluorchinolone nimmt zu. Da Gonorrhoe-Patienten auch mit Chlamydien infiziert sein
können (s. unten), wird oft eine kombinierte Behandlung mit Mitteln wie Ceftriaxon und
Doxycyclin durchgeführt, die gegen beide Erregerarten wirksam sind. Durch frühzeitige
Behandlung kann die Dauer der Infektiosität verkürzt und können die Ansteckungsraten
bei sexuell aktiven, promiskuitiven Patienten zu einem erheblichen Teil verringert
werden.

Während sich sexuell erworbene Infektionen durch Antibiotika-Prophylaxe nicht


verhindern lassen, stellen antibakterielle Augentropfen für die Neugeborenen von
Müttern mit Gonorrhoe oder Verdacht auf eine Gonokokkeninfektion einen wirksamen
Schutz dar. Vor der sexuell übertragbaren Infektion schützen Kondome.

Um die weitere Ausbreitung zu unterbinden, ist die Nachsorge für Gonorrhoe-Patienten


und ihre Kontaktpersonen wichtig. Derzeit gibt es noch keine wirksamen Impfstoffe, doch
es wird untersucht, inwieweit sich Pilus- (Fimbrien-)Proteine oder andere Bestandteile der
Gonokokkenhülle als Antigene eignen würden. Es könnte jedoch sein, dass sich durch die
Impfung nur die Krankheitssymptome verhindern lassen, nicht aber die Infektion selbst.
Auf die Gefahren einer asymptomatischen Infektion wurde oben bereits hingewiesen.
Wiederholte Infektionen können durch Bakterienstämme mit unterschiedlichen Fimbrien-
(F-)Proteinen auftreten.

21.4 Chlamydieninfektionen

Die Serotypen D–K von Chlamydia trachomatis


verursachen sexuell übertragbare Genitalinfektionen
Chlamydien sind sehr kleine und obligat intrazelluläre Bakterien. Ihr Lebenszyklus ist
komplizierter als bei frei lebenden Bakterien, da sie in unterschiedlicher Form
existieren:

■ als Elementarkörperchen (elementary body, EB), die auch außerhalb von


Zellen überleben können. Sie stellen die infektiöse Form dar;

■ als Initialkörperchen (reticulate body, RB), die sich intrazellulär vermehren


(Abb. 21.7).

Traditionell wurden drei Chlamydienspezies (C. trachomatis, C. psittaci und C.


pneumoniae) unterschieden, doch die beiden Letzteren ordnet man jetzt der Gattung
Chlamydophila zu (Tab. 21.7). C. psittaci und C. pneumoniae verursachen
Atemwegsinfektionen und sind daher in Kap. 19 besprochen.

C. trachomatis kann in verschiedene Serotypen (auch als Serovare bezeichnet)


unterteilt werden, die unterschiedliche Infektionen hervorrufen:

■ die Serotypen A–C eine schwere Augeninfektion, das Trachom (s. Kap. 25),

527
■ die Serotypen D–K eine genitale Infektion in Verbindung mit Augen- und
Atemwegsinfektionen (Tab. 21.8),

■ die Serotypen L1, L2 und L3 eine systemische Erkrankung (Lymphogranuloma


venereum, LGV, s. unten).

Die Serotypen D–K von C. trachomatis sind weltweit, die LGV-Serotypen nur
eingeschränkt verbreitet.

Meist handelt es sich um genitale, beim Geschlechtsverkehr erworbene Infektionen, die


oft ohne irgendwelche Symptome verlaufen, vor allem bei Frauen. Erwachsene können
sich die Augen durch Autoinokulation über die Genitalien oder okulär-genitale Kontakte
infizieren. Neugeborene können sich bei der Passage durch den infizierten
Geburtskanal eine Augeninfektion zuziehen und haben auch ein erhöhtes Risiko für eine
C.-trachomatis-Pneumonie (s. Kap. 19).

Chlamydien gelangen über winzige Schleimhautrisse


in den Körper
Nach Bindung an spezifische Rezeptoren der Wirtszelle induzieren Chlamydien ihre
Aufnahme ins Zellinnere durch Endozytose (s. Kap. 13). Doch die Fusion des
chlamydienhaltigen Vesikels mit Lysosomen wird verhindert (Mechanismus
unbekannt), es beginnt der Entwicklungszyklus des Elementarkörperchens (Abb. 21.7).
Innerhalb von 9–10 Stunden nach der Zellinvasion differenzieren sich
Elementarkörperchen zu metabolisch aktiven Initialkörperchen (reticulate body), die
sich durch Zellteilung vermehren. Die neu dabei entstehenden Elementarkörperchen
werden innerhalb von 20 Stunden nach extrazellulär freigesetzt.

528
Abb. 21.7 Lebenszyklus von Chlamydien

EB = Elementarkörperchen, RB = Initialkörperchen, engl. reticulate body

Das klinische Bild ist Folge der Zellzerstörung und


entzündlicher Wirtsreaktionen
Die freigelassenen Elementarkörperchen können von Lymphe oder Blut zu nahe oder
auch entfernter vom Infektionsort gelegene Zellen transportiert werden und in sie
eindringen.

Tab. 21.7 Medizinisch wichtige Chlamydiaceae.


Während sich die Serotypen D–K von C. trachomatis auf das Säulen- und
Übergangsepithel beschränken, können die Serotypen L1–L3 eine systemische
Erkrankung (LGV) hervorrufen. Das klinische Bild hängt vom Infektionsort ab (Tab.
21.8). Eine genitale Infektion (durch die Serotypen D–K) verläuft bei Frauen oft ohne
Lokalsymptome, bei Männern dagegen fast immer symptomatisch.

Bei Chlamydien-Urethritis oder -Zervizitis sind Labortests


diagnostisch wegweisend

529
Allein aufgrund des klinischen Bildes lassen sich Chlamydien nicht eindeutig als
Ursache einer Urethritis oder Zervizitis feststellen oder andere Erreger ausschließen. Als
traditionelle Labormethoden bieten sich Zellkultur und direkter Antigennachweis an.

Tab. 21.8 Klinische Syndrome und Komplikationen durch C.


trachomatis (Serotypen D – K).
* Urethritis, Konjunktivitis, Polyarthritis, mukokutane Läsionen

Bei den meisten Patienten bilden sich zwar Antikörper nach der Infektion, doch für die
Diagnose sind serologische Untersuchungen nicht zuverlässig genug. Als obligat
intrazelluläre Parasiten müssen Chlamydien aus Zellkulturen isoliert werden. In
Flüssigkeit gelöste Proben werden nach Zentrifugation auf eine einschichtige Zellkultur
aufgebracht, die mit Cyclohexidin vorbehandelt wird, um die Aufnahme der
Chlamydien zu verbessern. Nach 48–72 Stunden bilden sich die typischen
Einschlusskörperchen, die Glykogen enthalten und sich deshalb mit Jod färben lassen
(Abb. 21.8) oder durch Immunfluoreszenz sichtbar werden.

Mikroskopischer Nachweis von C. trachomatis durch


direkten Immunfluoreszenz-Antikörpertest
In Ausstrichpräparaten von klinischen Proben kann C. trachomatis auch direkt entdeckt
werden, wenn der Objektträger mit Fluorescein-konjugierten monoklonalen Antikörpern
beschichtet und unter dem UV-Lichtmikroskop betrachtet wird, d.h., wenn ein direkter
Immunfluoreszenz-Antikörpertest durchgeführt wird. Elementarkörperchen der
Chlamydien färben sich als hellgelb-grüne Pünktchen an (Abb. 21.9). Das Ergebnis
liegt innerhalb weniger Stunden vor.

Verglichen mit Zellkulturen ist die Methode hochspezifisch, aber für eine
asymptomatische Infektion oft nicht sensitiv genug. Chlamydienantigene in Proben
können auch mit ELISA (enzyme-linked immunosorbent assay) entdeckt werden; auch
dieser Test ist bei asymptomatischen Patienten leider nur eingeschränkt empfindlich
(sensitiv).

Inzwischen sind Nukleinsäuretests zum


Chlamydiennachweis erhältlich

530
Mit den verschiedenen verfügbaren DNA-Sonden und Amplifikationstests lässt sich C.
trachomatis direkt in Proben (von Zervix, Urethra, Urin etc.) eines Infizierten
nachweisen. Wie bereits erwähnt, ermöglichen kommerziell erhältliche Kits einen
raschen (innerhalb von 2–4 Std.) und spezifischen DNA-Nachweis für N. gonorrhoe und
Chlamydien. Das kann wichtig sein, weil Patienten oft mit beiden Erregern infiziert
sind. Als Erregernachweis kommen zunehmend häufiger die schnellen und spezifischen
molekularen Testmethoden zum Einsatz.
Abb. 21.8 Chlamydien-Einschlusskörperchen
färben sich mit Jod dunkelbraun an.

531
Abb. 21.9 Direkter Immunfluoreszenz-
Antikörpertest zum Nachweis von C. trachomatis.

Unter dem UV-Lichtmikroskop sind die Elementarkörperchen als hellgelb-grüne


Pünktchen erkennbar (mit freundlicher Genehmigung von J.D. Treharne).

Behandlung/Prävention von Chlamydieninfektionen


mit Doxycyclin oder Tetracyclin
Chlamydien sprechen nicht auf Betalaktam-Antibiotika an. Das kann bei Gonorrhoe
und Syphilis entscheidend für die Wahl der Therapie sein kann. Es empfiehlt sich,
Patienten, die schon wegen einer Gonorrhoe in Behandlung sind, ebenfalls mit
Doxycyclin zu behandeln, um eine begleitende Chlamydieninfektion mit zu erfassen
(Tab. 21.1). Bei einer klinisch diagnostizierten genitalen Chlamydieninfektion sollten
zusätzlich die Sexualpartner der Patienten bzw. die Neugeborenen infizierter Mütter
behandelt werden. Für Kinder sind Makrolidantibiotika geeignet.

Die Prävention hängt wesentlich davon ab, ob asymptomatische Infektionen erkannt


werden. Um Komplikationen zu vermeiden und die Ansteckungsmöglichkeiten
einzuschränken, sind frühzeitige Diagnose und Behandlung der Patienten und ihrer
Sexualpartner wichtig. Man sollte auch daran denken, dass sich Geschlechtskrankheiten
nicht ausschließen, sondern gleichzeitig oft mehrere Infektionen durch unterschiedliche
Erreger bestehen.

21.5 Inguinale Lymphadenopathie anderer Ursache


Bei sexuell aktiven Menschen sind häufig genitale Infektionen die Ursache einer
inguinalen Lymphadenopathie. Syphilis und Gonorrhoe wurden oben bereits
angesprochen. Lymphogranuloma venereum (LGV), weicher Schanker und
Granuloma inguinale kommen zwar in tropischen und subtropischen Ländern häufiger
vor als in Europa und den USA, sind aber insofern wichtig, als sich Reisende über
Sexualkontakte in diesen Ländern infizieren können.

532
21.5.1 Lymphogranuloma venereum (LGV)

Erreger des LGV sind die Serotypen L1–L3 von C.


trachomatis
Das Lymphogranuloma venereum ist eine schwere Erkrankung und besonders in
Afrika, Asien und Südamerika verbreitet. In Europa, Australien und Nordamerika tritt
die Infektion nur sporadisch und bevorzugt bei homosexuellen Männern in
Erscheinung. Die Prävalenz scheint bei Männern höher als bei Frauen zu sein,
vielleicht zeigen sich bei Männern auch nur häufiger Symptome.

LGV, eine systemische Infektion des Lymphgewebes,


wird mit Tetracyclin oder Doxycyclin behandelt
Das klinische Bild kann sich deutlich von der oben beschriebenen lokal begrenzten
Infektion durch C. trachomatis (Serotypen D–K) unterscheiden. Primärläsion ist ein
ulzerierendes Knötchen (Papel) an der Inokulationsstelle, das 1–4 Wochen nach der
Infektion auftreten und mit Fieber, Kopfschmerzen und Muskelschmerzen (Myalgie)
einhergehen kann. Die Läsion heilt relativ schnell ab, doch die Chlamydieninfektion
der ableitenden Lymphknoten setzt sich fort, bis die typischen Bubonen in der Leiste
zu sehen sind, die sich allmählich vergrößern (Abb. 21.10). Chlamydien können über
die Lymphgefäße von infizierten Lymphknoten aus ins Darmgewebe streuen und eine
Proktitis hervorrufen.

Als weitere systemische Komplikationen können Fieber, Hepatitis, Pneumonie und


Meningoenzephalitis auftreten. Auch wenn die Infektion unbehandelt abheilt, können

■ sich eitrige Lymphknotenabszesse bilden und über die Haut entleeren,

■ chronische granulomatöse Reaktionen in den Lymphgefäßen und angrenzenden


Geweben zu Analfisteln oder einer genitalen Elephantiasis führen.

Kulturmethoden für Chlamydien sind zwar verfügbar (s. oben), doch für die
Erregerisolierung werden nur niedrige Erfolgsraten (24–30%) angegeben. Die
Diagnose wurde anhand des klassischen Frei-Antigen-Tests gestellt, bei dem LGV-
Antigen in die Haut injiziert wird. In frühen Krankheitsstadien ist es allerdings ein
unzuverlässiger Test, der weder ausreichend sensitiv noch spezifisch ist (weil Frei-
Antigen nur art-, aber nicht typspezifisch ist). Wie oben erwähnt, sind auch
Nukleinsäure-(DNA-)Tests verfügbar. Empfohlen wird die Behandlung mit
Tetracyclin und Doxycyclin (Tab. 21.1). Schwangere und Kinder unter 9 Jahren
sollten mit einem Makrolid, z.B. Erythromycin, behandelt werden.
Abb. 21.10 Lymphogranuloma venereum.

533
Beidseitige Vergrößerung der Leistenlymphknoten (mit freundlicher
Genehmigung von J.S. Bingham).

21.5.2 Weicher Schanker (Chankroid, Ulcus molle)

Ursache ist Haemophilus ducreyi, klinisches


Kennzeichen sind schmerzhafte Genitalulzera
Eine Infektion mit dem Gram-negativen Bakterium Haemophilus ducreyi äußert sich
durch schmerzhafte, nicht verhärtete Genitalulzera und eine lokale Lymphadenitis
(Abb. 21.11). Durch die schmerzenden Läsionen unterscheidet sich dieser weiche
Schanker vom schmerzlosen Primäraffekt bei Syphilis. Die Ulzera könnten mit
genitalem Herpes verwechselt werden, sehen aber im Allgemeinen größer und
unregelmäßiger begrenzt aus.

Trotz endemischen Vorkommens in bestimmten Gebieten der USA treten die meisten
Fälle unabhängig voneinander auf. In Afrika und Asien ist weicher Schanker die
häufigste Ursache genitaler Geschwüre. Epidemiologische Angaben sind wichtig, weil
die Diagnose gewöhnlich klinisch gestellt wird; der Erreger lässt sich nämlich sehr
schlecht im Labor anzüchten. Ein Ulcus molle kann mit Granuloma inguinale
verwechselt werden (s. unten).

Weicher Schanker wird mikroskopisch und durch Kultur


diagnostiziert und mit Erythromycin, Ceftriaxon oder
Co-trimoxazol behandelt
Gram-gefärbte Ausstriche (nach Aspiration vom Ulkusrand oder aus einem
vergrößerten Lymphknoten) zeigen zahlreiche kurze Gram-negative Stäbchen und
Ketten, die oft in einem typischen „Fischzugmuster“ innen- oder außerhalb von
polymorphkernigen Leukozyten angeordnet sind.
Abb. 21.11 Weicher Schanker.

534
Mehrere unregelmäßige Ulzera auf der Vorhaut (mit freundlicher Genehmigung von
L. Parish).

Die Aspirate sollten bei 33°C in 5–10% Kohlendioxid auf einem angereicherten
Spezialkulturmedium (GC-Agar mit 1–2% Hämoglobin, 5% fetalem Rinderserum,
IsoVitale X und Vancomycin [3 μg/ml] zur Unterdrückung der Gram-positiven
Begleitflora) angezüchtet werden. H. ducreyi verträgt keine Hitze und wächst nur
langsam. Daher kann es 2–9 Tage dauern, bis sich Kolonien bilden. Zur Behandlung
wird im Allgemeinen ein Makrolidantibiotikum (z.B. Erythromycin oder Azithromycin)
oder Ceftriaxon empfohlen (Tab. 21.1).

535
21.5.3 Granuloma inguinale (Donovanosis)

Ursache ist Calymmatobacterium granulomatis,


klinische Kennzeichen sind genitale Knötchen und
Ulzera
In gemäßigten Klimazonen ist das Granuloma inguinale (oder Granuloma venereum)
selten, kommt aber in tropischen und subtropischen Regionen (Karibik, Neuguinea,
Indien und Zentralaustralien) häufiger vor. Gekennzeichnet ist es durch Knötchen, die
fast immer an den Genitalien sitzen, erosiv wachsen und ulzeröse Granulome bilden
können; bei Berührung bluten sie leicht. Die Ulzera können sich flächenmäßig
ausdehnen oder sekundär infizieren.

Erreger des Granuloma inguinale ist ein Gram-negatives Stäbchen, das traditionell
als Calymmatobacterium granulomatis bezeichnet wurde (Tab. 21.2). Seit neuestem
wird es aufgrund seiner Genomanalyse den Klebsiellen zugeordnet, doch in der
Literatur ist weiterhin die Bezeichnung C. granulomatis gebräuchlich. Die
Vermehrung der Bakterien findet in mononukleären Zellen statt, aus denen sie durch
Zytolyse freigesetzt werden.

Die Diagnose wird mikroskopisch gestellt; die


Behandlung erfolgt mit Tetracyclin
Diagnostiziert wird das Granuloma inguinale anhand eines mit Wright- oder Giemsa-
Färbung behandelten Ausstrichpräparats. Die „Donovan-Körperchen“ bilden blau oder
schwarz gefärbte Haufen (Cluster) im Zytoplasma mononukleärer Zellen. Zur
Behandlung werden Tetracycline oder Co-trimoxazol empfohlen (Tab. 21.2).

21.6 Mykoplasmen- und Nicht-Gonokokken-Urethritis

Ursache einer Genitalinfektion können auch


Mycoplasma hominis, M. genitalium oder Ureaplasma
urealyticum sein
Während Mycoplasma pneumoniae nachweislich eine Rolle als Pneumonieursache spielt
(s. Kap. 19), ist die Rolle der sog. „T-Stämme“ – Mycoplasma hominis, M. genitalium
und Ureaplasma urealyticum (verstoffwechselt Harnstoff, Urea) – bei
Geschlechtskrankheiten (STD) weniger klar. Da sie häufig auch den Genitaltrakt
gesunder, sexuell aktiver Männer und Frauen besiedeln, bei sexuell abstinent lebenden
aber seltener vorkommen, geht man von ihrer sexuellen Übertragbarkeit aus. Doch es
lässt sich schwer nachweisen, ob sie auch Auslöser genitaler Infektionen sind.

M. genitalium könnte eine (Nicht-Gonokokken-)Urethritis, M. hominis eine


aufsteigende Beckenentzündung (pelvic inflammatory disease, PID), febrile Zustände
nach Abort oder Geburt und eine Pyelonephritis verursachen. Auch U. urealyticum ist
mit Urethritis und Prostatitis in Verbindung gebracht worden.

536
Infektionen mit M. genitalium und U. urealyticum werden genauso wie
Chlamydieninfektionen mit Tetracyclin oder Erythromycin behandelt. Ureaplasmen
sind teilweise Tetracyclin-resistent, M. hominis ist fast immer Erythromycin-resistent.

21.7 Sonstige Ursachen von Vaginitis und Urethritis

21.7.1 Candida-Infektion

Candida albicans verursacht ein breites Spektrum


genitaler Erkrankungen, die mit oral oder topisch
angewandten Antimykotika behandelt werden
Die Bandbreite reicht von einer leichten, oberflächlichen, lokalen Infektion bei
ansonsten Gesunden bis hin zu disseminierten, oft tödlichen Infektionen bei
Immungeschwächten. Der Hefepilz Candida albicans gehört zur normalen
Vaginalflora, doch bei manchen Frauen kann es unter noch nicht geklärten Umständen
infolge eines vermehrten Candida-Befalls zu einer stark juckenden Vaginitis mit
käsigem Ausfluss kommen. Mögliche Begleiterscheinungen wie Urethritis und
Dysurie lassen oft primär an eine Harnwegsinfektion denken (s. Kap. 20). Die
Diagnose kann durch mikroskopische Untersuchung des Ausflusses und aus der
Kultur gestellt werden (Abb. 21.12).

Empfohlen wird die Behandlung mit einem Antimykotikum (oral mit Fluconazol oder
topisch mit einer Nystatin-Mischung), trotzdem kommt es bei einer kleineren Gruppe
von Frauen häufig zu Rezidiven. Rund 10% der Partner von Frauen mit
vulvovaginaler Candida-Infektion können an einer Balanitis leiden, während eine
Urethritis bei Männern selten und auch nur vereinzelt mit Symptomen verbunden ist.

21.7.2 Trichomonadeninfektion

Trichomonas vaginalis (ein Protozoon) verursacht


Vaginitis mit starkem Ausfluss
Trichomonas vaginalis parasitiert

■ bei Frauen in der Vagina,

■ bei Männern in der Urethra (und manchmal auch in der Prostata).

Trichomonaden werden beim Geschlechtsverkehr übertragen. Schwere Infektionen


führen bei Frauen zur Vaginitis mit reichlich übel riechendem Ausfluss. Damit
einher geht ein Anstieg des vaginalen pH-Werts. Trichomonadeninfektionen sollten
durch mikroskopische Untersuchung von einer bakteriellen Vaginose (s. unten)
abgegrenzt werden. Dabei sind im Ausfluss aktiv bewegliche Trophozoiten zu
erkennen (Abb. 21.13).
Abb. 21.12 Candida albicans im (vaginalen)
Ausfluss.

537
a) lichtmikroskopisches Bild, b) Kultur.

Für symptomatische Infektionen wird Metronidazol


empfohlen
Bei Männern äußert sich eine Trichomonas-vaginalis-Infektion nur selten mit
Symptomen, z.B. einer leichten Urethritis. Trotzdem sollten die Sexualpartner
infizierter Frauen prophylaktisch behandelt werden, um eine Reinfektion zu
verhindern.

21.7.3 Bakterielle Vaginose

Bei bakterieller Vaginose durch Gardnerella vaginalis


und Anaerobier hat der vaginale Ausfluss einen
fischigen Geruch
Diese unspezifische Vaginitis ist zumindest durch drei der folgenden klinischen
Zeichen und Symptome gekennzeichnet:

■ starker, übel riechender vaginaler Ausfluss

■ vaginaler pH-Wert über 4,5

■ clue cells („Schlüssel-“zellen: von Bakterien bedeckte vaginale Epithelzellen;


Abb. 21.14)

■ fischiger Amingeruch

Begleitend zu der erheblichen Zunahme von G. vaginalis in der Vaginalflora ist ein
Anstieg obligat anaerober Bakterien wie Bacteroides zu beobachten (Tab. 21.2). G.
vaginalis ist nicht nur im Rahmen einer Vaginose regelmäßig anzutreffen, sondern
auch bei 20–40% der gesunden Frauen. Dass G. vaginalis bei den männlichen
Partnern von Patientinnen mit Vaginose in der Urethra vorkommt, spricht für eine
sexuelle Übertragung. Bei postpartalem Fieber ließ sich G. vaginalis aus Blutkulturen
der Patientinnen isolieren.

538
Abb. 21.13 Bewegliche Trophozoiten im (vaginalen)
Ausfluss bei Trichomonadeninfektion (T. vaginalis).

Giemsa-Färbung (mit freundlicher Genehmigung von R. Muller).

Taxonomisch wurde G. vaginalis zunächst als Haemophilus und danach als


Corynebacterium klassifiziert. Darin spiegelt sich sein Gram-variables (sowohl
Gram-negatives, als auch Gram-positives) Verhalten wider. Im Labor lässt sich G.
vaginalis auf Human-Blutagar in feuchter, mit Kohlendioxid angereicherter
Atmosphäre anzüchten. Die Infektion wird durch orale Gabe von Metronidazol
behandelt. Mit G. vaginalis verwandt sind anscheinend auch die Mobiluncus-Spezies,
die ebenfalls an einer Vaginose beteiligt sein können.

Die Pathogenese der bakteriellen Vaginose ist noch immer unklar. Begünstigt wird
sie aber offenbar durch Veränderungen des normalen sauren pH-Werts in der Scheide
oder wenn das Gleichgewicht der Vaginalflora gestört ist. Ob diese oder noch
unbekannte Faktoren sexuell übertragbar sind, ist nicht geklärt.

539
Abb. 21.14 Clue cells bei bakterieller Vaginose.

21.8 Genitaler Herpes

Häufigste Ursache ist Typ 2 des Herpes-simplex-Virus


(HSV-2), doch auch HSV-1 wird häufiger entdeckt
HSV ist ubiquitär und verursacht weltweit Infektionen beim Menschen. Gewöhnlich
wird HSV-1 mit dem Speichel übertragen und verursacht eine oropharyngeale
Primärinfektion im Kindesalter. Bei späterer Reaktivierung treten dann die typischen
Herpesbläschen auf. Mit HSV-2 ist jedoch ein zweiter Stamm aufgetaucht, der
unabhängig auf genitalem Weg übertragen wird.

Trotz seiner biologischen und antigenen Unterschiede zum ursprünglichen HSV-1 sind
spezielle Labortechniken erforderlich, um die beiden Stämme zu unterscheiden. Es
besteht nur eine geringe Kreuzimmunität zwischen HSV-1 und -2. Mittlerweile sind
oral-genitale Sexualpraktiken so verbreitet, dass sich die topografischen Unterschiede
zwischen beiden Stämmen (ursprünglich traten sie an unterschiedlichen Stellen auf)
verwischt haben. Jetzt können HSV-1 und HSV-2 sowohl aus dem Oral- als auch aus
dem Genitalbereich gewonnen werden.

Das Abheilen der typischen ulzerierenden Bläschen


bei genitalem Herpes kann bis zu 2 Wochen dauern
An Penis oder Vulva ist 3–7 Tage nach der genitalen Infektion die Primärläsion zu
erkennen: Bläschen, die ziemlich bald in schmerzhafte, flache Ulzera übergehen (Abb.
21.15). Neben einer Schwellung der lokalen Lymphknoten können Allgemeinsymptome
wie Fieber, Kopfschmerzen und Krankheitsgefühl hinzukommen. Gelegentlich
verursachen Läsionen im Bereich der Urethra Beschwerden wie eine Dysurie oder
Miktionsschmerzen.

540
Bis zur Heilung der Läsionen kann es zwei Wochen dauern. Danach besteht die
Infektion jedoch in latenter Form weiter, weil das Virus an sensorischen Nerven entlang
zu Ganglioneuronen der Hinterwurzel aufsteigt (s. Kap. 24). Von dort aus kann die
Infektion jederzeit reaktiviert werden: Das HSV wandert an den Nerven entlang wieder
zur selben Stelle und verursacht wiederkehrende Läsionen („Herpesbläschen“).

Bei Erwachsenen kann als seltene Komplikation eine aseptische Meningitis oder
Enzephalitis auftreten. Wird HSV unter der Geburt von der Mutter auf das Kind
übertragen, kann eine disseminierte Herpesinfektion oder eine Neugeborenen-
Enzephalitis die Folge sein.

Genitaler Herpes wird im Allgemeinen anhand des


klinischen Bildes diagnostiziert und mit Aciclovir
behandelt
HSV lässt sich aus der Bläschenflüssigkeit oder Abstrichen von den Ulzera isolieren.
Die Typisierung erfolgt durch Immunfluoreszenz mit typspezifischen monoklonalen
Antikörpern. Da Genitalinfektionen durch HSV-2 häufiger rekurrieren, kann die
Typisierung prognostisch hilfreich sein. Charakteristisch ist der zytopathische Effekt,
der sich meist 1–2 Tage nach der Inokulation in Form aufgeblähter degenerierter Zellen
und mehrkerniger Riesenzellen zeigt. Zur Typisierung können auch DNA-
Nachweismethoden herangezogen werden, die viel empfindlicher (sensitiver) als die
Virusisolierung sind.

541
Abb. 21.15 Genitaler Herpes.

Bläschen am Penis (a) bzw. in der Perianal- und Vulvaregion (b). Am Frenulum und
den kleinen Schamlippen sind die typischen Erosionen aufgeplatzter Herpesbläschen
sichtbar (mit freundlicher Genehmigung von J.S. Bingham).

Für eine Behandlung von frühen oder schweren Läsionen sind eine Reihe antiviraler
Mittel (Aciclovir, Valaciclovir und Famciclovir) zur oralen Therapie verfügbar. Nur bei

542
systemischen Komplikationen muss Aciclovir intravenös verabreicht werden. Als
Behandlungsoption für die wiederkehrenden lästigen Schübe bieten sich zwei
Alternativen an: entweder sofortige Gabe eines antiviralen Mittels bei den ersten
Prodromi oder eine niedrig dosierte Therapie mit Aciclovir (Valaciclovir bzw.
Famciclovir) über 6–12 Monate.

21.9 Human-Papillomavirus-(HPV)-Infektion
Es werden über 70 verschiedene Human-Papillomaviren(HPV) unterschieden, die Haut
oder Schleimhäute infizieren können. Die DNA jedes HPV-Typs lässt sich mit weniger als
50% der anderen Typen hybridisieren. Bei den HPV-Typen handelt es sich offensichtlich
um sehr alte virale „Begleiter“ des Menschen, die schon eine lange Entwicklung hinter
sich gebracht und sich an bestimmte Körperregionen angepasst haben.

Viele HPV-Typen sind sexuell übertragbar und


verursachen genitale Warzen
Nach einer Inkubationszeit von 1–6 Monaten (s. Kap. 26) können an Penis, Vulva oder
perianal Feigwarzen (Condylomata acuminata) auftreten (Abb. 21.16), die
monatelang bestehen bleiben, ohne sich zurückzubilden. Behandelt werden sie mit
Podophyllin. Bei der Kolposkopie können zervikale Läsionen als flaches Dysplasie-
Gebiet zu erkennen sein, auf dem sich nach lokaler Applikation von 5% Essigsäure ein
weißlicher Belag bildet (Abb. 21.17). Wegen der Assoziation zu Zervixkarzinomen
sollten zervikale Dysplasien (besonders Läsionen durch HPV-Typ 16 und 18) per Laser
oder Schlingenextraktion entfernt werden.

21.10 HIV-Infektion
Das HIV (human immunodeficiency virus) ist ein Retrovirus (Tab. 21.9). Retroviren (lat.
retro = rückwärts) werden so bezeichnet, weil das pol- Gen ihrer Einzelstrang-RNA für
eine reverse Transkriptase kodiert.

AIDS wurde 1981 zum ersten Mal in den USA festgestellt


1981 dokumentierte das Communicable Disease Center in Atlanta, USA, eine steigende
Nachfrage nach Pentamidin, das zur Behandlung einer Pneumocystis-carinii-Infektion
(heute: P.-jiroveci-Infektion) benötigt wurde. Die früher gesunden Patienten waren
plötzlich erkrankt und machten noch andere schwere Infektionen durch normalerweise
harmlose Erreger durch. Dazu gehörten die Soor-Oesophagitis, mukokutane
Herpesinfektionen, Toxoplasmose-Infektionen des ZNS und der Lunge und die Enteritis
durch Kryptosporidien. Kaposi-Sarkome wurden ebenfalls oft gefunden.
Abb. 21.16 Genitale Feigwarzen.

543
a) Am Penis meist multiple Warzen, die am Schaft flach und keratinisiert sein
können. b) Warzen im Perianalbereich reichen oft in den Analkanal hinein. c) Im
Vulva-Perinealbereich können sich die Warzen drastisch vergrößern und in die
Vagina wuchern (mit freundlicher Genehmigung von J.S. Bingham).

Die Patienten wiesen eine eingeschränkte Immunabwehr auf, die durch Haut-Anergie-
Tests und Verminderung der T-Helferzellen festgestellt wurde. Dieses Immundefizienz-
Syndrom, das in Patienten ohne erkennbare Ursache auftrat, wurde als erworbenes
Immunschwäche-Syndrom (acquired immune deficiency syndrome, AIDS)
bezeichnet. Eine international anerkannte Definition wurde kurz darauf verabschiedet.
Nachfolgend kam es zu Epidemien in San Francisco, New York und anderen Städten in
den USA. Epidemien in Großbritannien und Europa folgten einige Jahre später.

HIV – das „AIDS-Virus“ – wurde 1983 aus Blut-


Lymphozyten isoliert
Identifiziert wurde es als Vertreter der Lenti- bzw. Slow-Virusgruppe der Retroviren
und schien mit ähnlichen Erregern bei Affen und dem Visnavirus von Schafen und
Ziegen in Verbindung zu stehen. Struktur und Genom des HI-Virus-Partikels sind in
Abb. 21.18 dargestellt, die Replikation in Abb. 21.19 und 21.20.

Mindestens sechs Gene sind an der Steuerung der HIV-Replikation beteiligt. Nach
Integration des Provirus wird der Replikationszyklus oft angehalten, so dass es zu einer
latenten Infektion der Zellen kommt. Transaktivierende Faktoren wie die tat- und rev-
Gene können jedoch die Produktion von Virus-RNA und Virusproteinen steigern, wenn
latent infizierte Zellen

■ durch Antigene zur Differenzierung stimuliert werden (z.B. T-Helferzellen)


oder

■ schon durch vorhergehende Virusinfektionen (HSV oder CMV) stimuliert


wurden.
Abb. 21.17 Eine Zervixdysplasie durch HPV sollte
mit dem Laser entfernt warden

544
(mit freundlicher Genehmigung von A. Goodman).

Tab. 21.9 Retroviren des Menschen.

Die HIV-Infektion könnte in den 50er Jahren von Afrika


ausgegangen sein; Ende 2002 waren weltweit 42
Millionen Menschen infiziert

545
Molekularbiologisch (hinsichtlich der Aminosäuresequenzen) ist HIV-1 ganz
offensichtlich eng mit dem in Westafrika aufgetretenen HIV-2 verwandt;
möglicherweise stammen beide von nahe verwandten Primatenviren ab. HIV-1 wird in
drei Gruppen unterteilt: M (main), N (new) und O (outlier). Die Hauptgruppe (M)
umfasst zehn Subtypen (A–J), die N- und O-Gruppe konzentrieren sich auf das
westliche Zentralafrika.

Die geografische Prävalenz einzelner Subtypen ist unterschiedlich; während in


Nordamerika und Europa Subtyp B am häufigsten vorkommt, sind es in Afrika
Subtypen wie A oder C, aber nicht B. Doch mit zunehmendem Reiseverkehr beginnt
sich die Verteilung der Subtypen zu verändern; zudem besteht ein höheres Risiko, dass
es zu Misch- oder Superinfektionen kommt. Wenn sich ein HIV-Infizierter mit einem
anderen Virusstamm infiziert, können durch Rekombination neue Subtypen auftreten,
wie die zirkulierenden rekombinanten Formen (CRF] zeigen. Das ist insofern wichtig,
als die Krankheit dadurch in unterschiedlicher Geschwindigkeit fortschreiten könnte.

HIV-1 war möglicherweise schon seit vielen Jahren bei Menschen in Zentralafrika
vorhanden, begann sich aber erst Ende der 70er Jahre rasch auszubreiten (Abb. 21.21).
Vielleicht hatten sich seine biologischen Eigenschaften verändert, weil es häufiger
übertragen wurde (infolge großer sozioökonomischer Umwälzungen oder aufgrund der
Migration von Menschen aus Zentral- nach Ostafrika). Dabei spielten weibliche
Prostituierte und männliche Söldner oder Arbeitsuchende, die von einem Land ins
andere reisten, eine wichtige Rolle. Schon bald tauchte die Krankheit in Haiti und den
USA auf, danach folgten Europa, Australien und Asien.

In den späten 80er Jahren tauchte HIV auch in asiatischen Ländern auf, zuerst in
Thailand. Dass sich die Infektion bis 1995 explosionsartig ausbreitete, lag an der
heterosexuellen Übertragung von HIV in Asien. Hohe Infektionsraten wiesen vor allem
Prostituierte und i.v. Drogenabhängige auf.

Weltweit waren Ende 2002 mehr als 42 Millionen Menschen (Erwachsene und Kinder)
mit HIVinfiziert:
■ 29,4 Millionen in Afrika südlich der Sahara
■ 7,2 Millionen in Asien und im Pazifikraum
■ 1,2 Millionen in Osteuropa und Zentralasien
■ 1 Million in Nordamerika
■ 650000 in Westeuropa
Fünf Millionen neu Infizierte kamen allein 2002 hinzu, und an den Infektionsfolgen
starben im selben Jahr 3,1 Millionen Menschen. Während dieser Zeit wuchs sich die
Infektion zu einer Epidemie aus, und mit schätzungsweise 1 bzw. 4 Millionen
Infizierten in China und Indien erwartete man dort besonders hohe
Durchseuchungsraten. Nach einigen Hochrechnungen werden sich zwischen 2002 und
2010 zusätzlich 45 Millionen Menschen in 126 Ländern infiziert haben, hauptsächlich in
Ländern mit niedrigem oder mittlerem Pro-Kopf-Einkommen, von denen sich mehr als
40% in Asien und der Pazifikregion befinden.
Abb. 21.18 Struktur und Genkartierung des HIV.

546
Im RNA-Transkript werden die nicht zusammenhängenden Segmente der rev- und
tat-Gene zusammengefügt. Gelegentlich können in der Virushülle Wirtsproteine wie
MHC-Moleküle vorhanden sein (MHC = major histocompatibility complex, p =
Protein, gp = Glykoprotein). Auf dem Höhepunkt der Infektion werden täglich etwa
109 HIV-1-Partikel produziert. Das bedeutet in Verbindung mit der ungenauen
Wiedergabe der reversen Transkriptase, dass ständig neue Virusvarianten entstehen.
Von Mutationen sind vor allem die env- und nef- Gene betroffen. Bei jedem
Patienten finden sich mehrere Virusvarianten und darunter zunehmend häufiger
Mutanten, die arzneimittel- und immunresistent sind.

Auf das Fortschreiten der Erkrankung wirkt sich auch aus, dass es Virusgruppen mit
Tropismus für Makrophagen und T-Zellen gibt und solche, die ein Synzytium
induzieren oder nicht. Durch Genanalysen wurden die HIV-1-Stämme in drei
Gruppen unterteilt – M ist eine Gruppe mit mindestens 10 Subtypen (A–J) in
unterschiedlicher geografischer Verbreitung, zu der die meisten HIV-1-Isolate
gehören, sowie N und O (Afrikaner). Nicht klar ist, wie stark die Kreuzimmunität
zwischen diesen Stämmen ausgeprägt ist.

547
HIV infiziert vor allem Zellen mit CD4-Rezeptoren an der
Oberfläche, benötigt aber zusätzlich Chemokin-
Korezeptoren
Zu den Zellen mit CD4-Rezeptoren gehören T-Helferzellen, Monozyten, dendritische
und Mikrogliazellen (Abb. 21.22 und 21.23). Das CD4-Molekül wirkt als hochaffine
Bindungsstelle für das Glykoprotein gp120 der Virushülle. Doch zu einer produktiven
Replikation mit Zerstörung der Zelle kommt es erst, wenn die T-Helferzelle aktiviert
ist. Die Aktivierung von T-Helferzellen wird nicht nur verstärkt, wenn sie versuchen,
auf HIV-Antigene zu reagieren, sondern auch bei bakteriellen Sekundärinfektionen von
HIV-Patienten.

Auch Monozyten und Makrophagen, Langerhans- und follikulär-dendritische


Zellen bewirken eine Expression des CD4-Moleküls und können durch HIV infiziert
werden. Da sie im Allgemeinen aber nicht zerstört werden, dienen sie vermutlich eher
als Reservoir. Zuerst infizieren sich Langerhans-Zellen, z.B. dendritische Haut- und
Mukosazellen im Genitalbereich. Im späteren Verlauf zeigt sich im histologischen
Muster der Lymphfollikel eine auffällige Zerstörung durch den Untergang follikulär-
dendritischer Zellen.

Um in die Zellen zu gelangen, bindet sich HIV-1 mit seinem Glykoprotein gp120 an den
CD4- und zusätzlich an einen Chemokinrezeptor der Zelloberfläche. Wichtig für die
Infektion ist besonders der CCR5-β-Chemokinrezeptor; Menschen mit Deletionen des
CCR5-Gens sind resistent gegenüber der Infektion mit HIV. Eine fortschreitende
Erkrankung scheint mit HIV-Varianten assoziiert zu sein, die den CXCR4-α-
Chemokinrezeptor benutzen. Also beeinflussen Chemokin(ko)rezeptoren die
Anfälligkeit für eine HIV-Infektion und durch opportunistische Infektionen kommen sie
offenbar vermehrt zur Expression.

Nachdem es die HIV-Infektion zuerst noch bekämpft


hat, beginnt das Immunsystem zu versagen
In den ersten Monaten kommt es zu einem Rückgang der HIV-bedingten Virämie
(HIV-Virus-Last), weil virusspezifische CD8-positive Zellen gebildet werden und
danach neutralisierende Antikörper. Doch selbst dann werden täglich noch bis zu 1010
infektiöse Viruspartikel produziert und bis zu 109 Lymphozyten infiziert. So wird das
Immunsystem zunehmend geschwächt, die Zahl der zirkulierenden CD4-positiven T-
Zellen fällt stetig weiter ab und die Viruslast steigt. Die infizierten CD4-positiven T-
Zellen befinden sich fast alle in Lymphknoten.

548
Abb. 21.19 Replikationszyklus des HIV.

In Zellen gelangt es entweder durch Fusion mit der Zellmembran an der


Zelloberfläche oder durch Freisetzung aus einer Vakuole im Zellinneren.

549
Anhand der Lymphozytenproliferation ist die zellvermittelte Immunreaktion auf HIV-
Antigene messbar – auch sie wird immer schwächer, während die Immunreaktionen auf
andere Antigene normal ausfallen. Vielleicht erzeugt das Virus anfangs eine spezifische
Immunsuppression zu seinem eigenen Schutz. Schließlich scheitert der Patient auch bei
der Neubildung von T-Zellen als Ersatz für die Verluste, so dass deren Zahl noch
rascher sinkt.

In Hauttests ist keine Hypersensitivitätsreaktion vom verzögerten Typ (DTH) mehr


erkennbar, und neben der reduzierten Aktivität von natürlichen Killer- (NK-) und
zytotoxischen T(Tc)-Zellen zeigen sich verschiedene andere immunologische
Anomalien, einschließlich polyklonaler Aktivierung von B-Zellen. Auch funktionell
verändern sich die T-Lymphozyten – sie reagieren nur noch eingeschränkt auf Mitogene
und bilden weniger Interleukin 2 (IL-2) und Gamma-Interferon (IFN-γ).
Abb. 21.20 Elektronenmikroskopisches Bild vom
Aussprossen (budding) des HIV an der Zelloberfläche
kurz vor der Freisetzung

(mit freundlicher Genehmigung von D. Hockley)

Sobald sich das Vollbild von AIDS entwickelt, fallen die Immunreaktionen auf HIV-
und andere Antigene noch schwächer aus: Das Immunsystem hat die Kontrolle verloren.
Da Messungen der HIV-1-RNA-Last im Plasma einen Voraussagewert bezüglich der
klinischen Folgen haben, werden sie herangezogen, um das klinische Krankheitsstadium
zu bestimmen und die Krankheitsprogression sowie das Ansprechen der antiretroviralen
Therapie zu beurteilen.

Wie es bei HIV-Infektion zur Immunsuppression kommt,


ist noch nicht genau geklärt
Zu berücksichtigen sind unter anderem folgende Faktoren:

550
■ direkte Zerstörung von T-Helferzellen oder Induktion des programmierten
Zelltods (Apoptose) durch das HIV;

■ erhöhte Verletzlichkeit von T-Helferzellen für Immunattacken zytotoxischer T-


Zellen;

■ durch Thymus- und Lymphknotenschädigung sowie Infektion der Stammzellen


nur unzureichende (Wieder-) Auffüllung des T-Zellen-Bestands;

■ fehlerhafte Antigenpräsentation aufgrund der Infektion dendritischer Zellen;

■ immunsuppressive Virusmoleküle (gp120, gp41).

Die Immunreaktionen des Wirts werden außerdem durch die hohe Rate, mit der sich
neue Viruspartikel entwickeln, und die fehlende Korrekturfunktion der reversen
Transkriptase behindert. HIV existiert als Quasispezies, d.h. mit anderen Worten, die
Infektion beruht auf mehreren heterogenen Stämmen. Manche HIV-Varianten sind
Immune-escape-Varianten, also resistent gegen zirkulierende Tc-Zellen, andere sind
hoch pathogen.
Abb. 21.21 Anfängliche Ausbreitung der
(inzwischen weltweit verbreiteten) HIV-Infektion.

HIV-1 könnte bereits seit vielen Jahren in Zentralafrika vorhanden gewesen sein, ehe
es sich in den späten 70er Jahren mit der zunehmenden Migration und aufgrund
sozioökonomischer Umwälzungen auszubreiten begann. Außerhalb von Afrika sind
vor allem Männer infiziert.

Vor dem Aufkommen der hochwirksamen antiretroviralen Therapie (HAART) war


die Immunsuppression von HIV-Infizierten anhaltend und irreversibel. Das Virus
persistierte im Körper, die Patienten blieben infektiös und starben schließlich an
opportunistischen Infektionen und Tumoren.

551
HIV-2 scheint nicht so leicht übertragbar zu sein wie HIV-1, vielleicht weil die
Viruslast geringer ist und die Progression zu AIDS langsamer vorangeht. In Westafrika
tritt die HIV-2-Infektion endemisch auf, hat sich aber auch schon auf Portugal und
Indien (Teilgebiete) ausgebreitet.

21.10.1 Übertragungswege
Bisher waren in höher entwickelten Ländern vor allem homosexuelle Männer von
einer HIV-Infektion und AIDS bedroht, besonders der passive Partner beim
Analverkehr. Obwohl die Infektion primär von Mann zu Mann und vom Mann auf die
Frau übertragen wird (Abb. 21.24), lässt sie sich nicht gut mit anderen
Geschlechtskrankheiten (STD) vergleichen. In Afrika und Asien wird die HIV-
Infektion dagegen nachweislich häufiger von Frauen auf Männer übertragen. In zufällig
ausgewählten Stichproben waren bis zu 40% der Bevölkerung in zentral- und
ostafrikanischen Dörfern mit HIV infiziert, meist Jugendliche bzw. junge Erwachsene.
Abb. 21.22 Elektronenmikroskopisches Bild einer
HIV-infizierten T-Helferzelle

20000 × vergr. (mit freundlicher Genehmigung von D. Hockley).


Abb. 21.23 AIDS-Pathogenese.

552
Obwohl sich HIV in erster Linie an CD4-Rezeptoren bindet, wird die Infektion
durch seine Bindung an Chemokinrezeptoren der Wirtszellen (hier nicht gezeigt)
noch verstärkt. Gendefekte an Chemokinrezeptoren könnten eine Erklärung dafür
sein, dass sich manche Prostituierte in Afrika trotz wiederholter HIV-Kontakte nicht
infizierten.

TH = T-Helferzelle
Abb. 21.24 Hauptübertragungswege der HIV-
Infektion.

553
Obwohl die heterosexuelle Übertragung bisher nur in Entwicklungsländern
hinreichend belegt ist, gibt es Anzeichen dafür, dass dieser Weg auch in
entwickelten Ländern zunehmend wichtiger wird.

In reichen Ländern ist die heterosexuelle Übertragung


noch nicht so bedeutend wie in armen Ländern
Dass in den Entwicklungsländern überhaupt häufiger STD mit Geschwüren und
Ausfluss (als Quelle für infizierte Lymphozyten und Monozyten) vorkommen, könnte
erklären, weshalb sich die HIV-Infektion dort vermehrt heterosexuell ausbreitet.
Genitale Geschwüre sind mit einem vierfach erhöhten Infektionsrisiko verbunden. Es
zeigte sich auch, dass Langerhans-Zellen in der Genitalschleimhaut leichter von
Virusstämmen infiziert werden, die in Asien und in Afrika südlich der Sahara verbreitet
sind, als von anderen Virusstämmen. Nicht ganz klar ist, ob die Urethra von Männern
direkt durch HIV infiziert werden kann oder nur, wenn Hautrisse bestehen. Wie mit
anderen Geschlechtskrankheiten infizieren sich Männer, die nicht beschnitten sind, auch
eher mit HIV.

HIV kann von einer infizierten Mutter auf ihr Kind (vertikal) übertragen werden. 55–
85% der Neugeborenen sind jedoch nicht infiziert (der obere Wert scheint mit einem
Verzicht auf das Stillen verbunden zu sein). Insgesamt kommt es bei 20% der
Schwangerschaften intrauterin oder unter der Geburt zur HIV-Infektion des Kindes.
Peri- und postnatal liegt die Rate bei 11–16%, wenn das Kind bis 24 Monate nach der
Geburt gestillt wurde. In den entwickelten Ländern konnte das Übertragungsrisiko
durch ein vorgeburtliches HIV-Screening, eine antiretrovirale Medikation während der
Schwangerschaft, durch Kaiserschnitt-Entbindung, Verzicht auf das Stillen und eine
antiretrovirale Therapie der Neugeborenen verringert werden. In den
Entwicklungsländern ließe sich schon durch einmalige Gabe eines antiretroviralen

554
Medikaments an Mutter und Kind die HIV-Übertragung nachweislich um 47%
reduzieren!

Ende 2002 waren 3,2 Millionen Kinder unter 15 Jahren mit HIV infiziert oder an AIDS
erkrankt, davon hatten sich 800000 erst in diesem Jahr neu infiziert.

Da die Infektion in Afrika gewöhnlich erst nach Erreichen der sexuellen Reife ausbricht,
ist eine Übertragung durch Arthropoden kaum wahrscheinlich. Seltener kommt es vor,
dass Hämophile (durch verseuchte Blutprodukte) mit HIV infiziert werden. Wie bei
anderen hämatogen übertragbaren Virusinfektionen stellt die Verwendung
kontaminierter Nadeln (bei i.v. Drogenabhängigen, aber auch beim Tätowieren,
Piercing, bei der Akupunktur) eine Infektionsquelle dar. Schließlich können sich auch
Menschen (z.B. Arzt- und Pflegepersonal) infizieren, die beruflich mit HIV-Patienten
zu tun haben (versehentliche Nadelstiche, spritzende Schleimhautverletzung).

Das Infektionsrisiko liegt bei ca. 1/400 und hängt von weiteren Faktoren
(Verletzungstiefe, Menge des kontaminierten Blutes) ab. Handschuhe und Schutzbrille
sollten daher zu den allgemeinen Vorsichtsmaßnahmen gehören, um die
Ansteckungsgefahr zu vermindern.

21.10.2 Krankheitsverlauf

Die Primärinfektion kann von leichten Beschwerden


wie bei einer Mononukleose begleitet sein
Zu den schwachen mononukleoseartigen Symptomen der HIV-Infektion gehören
Fieber, Krankheitsgefühl und Lymphadenopathie (Abb. 21.25). Auch ein
makulopapulöser Ausschlag kann auftreten. Nach ein paar Wochen sind
Antikörperreaktionen und die Produktion von Tc-Zellen nachzuweisen.

Auf die akute Infektion mit rascher, ausgedehnter Dissemination des HIV folgt das
chronische, asymptomatische Stadium der Infektion. Wenn mit Nachlassen der
Immunantwort die Virusreplikation zurückgeht, fühlen sich die Betroffenen im
Allgemeinen recht gut. Wie lange dieses Stadium anhält, hängt von mehreren Faktoren
ab (HIV-Phänotyp, Immunlage des Wirts, antiretrovirale Therapie). Doch es sind
weiterhin infizierte Zellen vorhanden.
Abb. 21.25

555
Klinik und Verlauf der unbehandelten HIV-Infektion (CMV, Zytomegalievirus;
ZNS, Zentrales Nervensystem; HSV, Herpes-simplex-Virus; PML = progressive
multifokale Leukoenzephalopathie).

In späteren Stadien können Gewichtsverlust, Fieber, persistierende


Lymphadenopathie, orale Candidiasis und Diarrhoen auftreten. Die Virusreplikation
findet so lange weiter statt, bis sich schließlich nach jahrelanger HIV-Infektion das
Vollbild von AIDS entwickelt (Abb. 21.25).

556
Progression zum Vollbild AIDS
In Frühstadien der HIV-Infektion führt die Invasion des ZNS zu einer
selbstlimitierenden aseptischen Meningoenzephalitis als dem häufigsten
neurologischen Krankheitsbild. Bei AIDS-Kranken tritt dann eine progrediente,
HIV-assoziierte Enzephalopathie auf, die durch zahlreiche kleine Knötchen
gekennzeichnet ist. Dabei handelt es sich um entzündlich veränderte Zellen, offenbar
hauptsächlich Mikrogliazellen oder infiltrierende Makrophagen. Diese Zellen
exprimieren CD4-Antigen. Man vermutet, dass das HI-Virus von infizierten
Monozyten zum Gehirn transportiert wird.

Doch das Bild wird dadurch komplizierter, dass andere persistierende Infektionen
reaktiviert werden und sich pathologisch auf das Gehirn auswirken können, z.B.
Infektionen durch HSV (Herpes), VZV (Varicella-Zoster-Virus), Toxoplasma gondii,
JC-Virus (progressive multifokale Leukoenzephalopathie, PML) und Cryptococcus
neoformans. Das HIV übt zwar eine umfassende Kontrolle über seine eigene
Replikation aus (Abb. 21.19), doch sie wird auch von den Reaktionen auf andere
Infektionen beeinflusst, die zum Teil wie antigene Reize (Stimuli) oder sogar direkt
wie transaktivierende Faktoren wirken.

Dass sich bei einigen Patienten, vor allem in Afrika, ein Wasting-Syndrom
(auszehrende Krankheit) entwickelt, könnte an einer unerkannten Darminfektion oder
einem Parasitenbefall liegen, möglicherweise ist es aber auch dem direkten Einfluss
von HIV auf die Darmwand zuzuschreiben.

Das AIDS-Vollbild besteht aus einem breiten Spektrum mikrobieller Erkrankungen,


die aufgrund der Immunsuppression durch HIV neu erworben oder reaktiviert wurden
(Abb. 21.26 und Tab. 21.10). Das Krankheitsbild von AIDS ist daher eher eine
indirekte Folge der HIV-Infektion.

Vor dem Aufkommen der antiretroviralen Therapien lag die 5-Jahres-Letalität nach
einer New Yorker Studie bei 80% und die durchschnittliche Überlebenszeit nach der
Einlieferung ins Krankenhaus belief sich auf 242 Tage.

557
21.10.3 Behandlung

Seit Einführung der antiretroviralen Therapie hat sich


die Prognose deutlich verbessert
Die Ende der 90er Jahre eingeführten antiretroviralen Mittel schließen nukleosidische
und nicht-nukleosidische Reverse-Transkriptase-Hemmer (NRTI bzw. NNRTI)
sowie Proteaseinhibitoren (PI) mit ein (s. Kap. 33). Im Jahr 2003 kam noch ein
Fusionshemmer hinzu.

Eine Studie zur Monotherapie mit AZT, einem NRTI, konnte vorzeitig beendet
werden, nachdem sich ein signifikanter klinischer Nutzen für Patienten mit
Symptomen herausgestellt hatte. Für asymptomatisch Erkrankte brachte eine
Monotherapie der Concorde-Studie zufolge keinen größeren Nutzen, während die
1996 vorgelegte Delta-Studie einen erheblichen Vorteil durch eine Behandlung mit
zwei NRTI nachwies.

Nacheinander wurden mit NNRTI und PI zwei Medikamentenklassen mit


unterschiedlichem Angriffsort in die Therapie eingeführt. In Kombination mit zwei
NRTI ließ sich durch NNRTI oder PI eine dramatische Wirkung erzielen: die
Progression zu AIDS wurde aufgehalten. Das führte zu der Bezeichnung
„hochwirksame (highly active) antiretrovirale Therapie“ (HAART).

Einen Rückschlag brachten die nicht unerheblichen Nebenwirkungen


(Mitochondrientoxizität und veränderte Fettverteilung, sog. Lipodystrophie) mit sich.
Wegen der Nebenwirkungen und der Vielzahl von Pillen, die häufig mehrmals am Tag
geschluckt werden müssen, ist die Compliance noch immer ein Problem. Sie ist aber
sehr wichtig, denn eine Unterdosierung könnte zur Arzneimittelresistenz führen und
damit die Therapieoptionen erheblich einschränken.

558
Abb. 21.26 Opportunistische Infektionen und
Tumoren bei HIV-Infektion.

a) Haarleukoplakie – erhabene weiße Schleimhautläsionen im Mund, bevorzugt an


den Zungenseitenrändern, eine Epstein-Barr-Virus-(EBV)-Infektion; b)
ausgedehnte orale Candidiasis (Mundsoor); c) Kaposi-Sarkome – braun
pigmentierte Läsionen an den Armen; d) Pneumocystis-Pneumonie mit
ausgedehnter Infiltration beider Lungenflügel; e) Zytomegalievirus(CMV)-
Retinitis mit verstreuten Exsudat- und Einblutungsherden sowie Scheidenbildung
um die Gefäße; f) Kryptosporidiose – elektronenmikroskopisches Bild eines reifen
Schizonten, der mit mehreren Merozoiten am Darmepithel sitzt.

Mit freundlicher Genehmigung von H.P. Holley (a), W.E. Farrar (b und f), E. Sahn
(c), J.A. Innes (d), C.J. Ellis (e).

Seitdem es bessere Überwachungsmöglichkeiten gibt (Messung der Viruslast im


Plasma, Bestimmung der CD4-Zahlen bzw. ihres prozentualen Anteils), zeigte sich,
wie erfolgreich die HAART sein kann. Schon bald nach Beginn der Therapie nahm
die Viruslast rasch ab, während die Zahl der CD4-Zellen anstieg. Da sich HIV in
verschiedenen Kompartimenten, auch im Liquor und im Genitaltrakt, aufhält, in die
antiretrovirale Mittel nicht vordringen können, kann im Sperma noch eine hohe
Viruslast messbar sein, obwohl sie im Plasma supprimiert wurde. Infolge der HAART
hat sich die Inzidenz der AIDS- bzw. mit AIDS in Verbindung stehenden (AIDS-
related) Todesfälle in Großbritannien seit 1996 um über 40% verringert.

Neben den bereits in Gebrauch befindlichen Medikamentenklassen der


nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Hemmer (NRTI) und Fusionsinhibitoren
werden derzeit noch andere antiretrovirale Medikamente entwickelt. Erforscht werden
auch immuntherapeutische Ansätze, die sich gegen andere HIV-Ziele richten.

Zunehmende Resistenz gegen antiretrovirale Mittel


und Kreuzresistenz

559
Ein guter Indikator für die Virusreplikation ist die HIV-1-RNA-Last im Plasma. An
einem Anstieg der Viruslast lässt sich ein Therapieversagen ablesen. Man schätzt, dass
die HAART bei jährlich 50% der Patienten nicht anschlägt. Zur klinischen Betreuung
von Infizierten gehören daher auch antiretrovirale Resistenztestung und Überwachung
der Medikation. Ein Test sollte z.B. durchgeführt werden, wenn sich die HIV-1-Last
im Plasma trotz der antiretroviralen Therapie nicht verringert.

Mithilfe der Nukleinsäuresequenzierung (sog. Genotypanalyse) konnte eine


reduzierte Empfindlichkeit für ein oder mehrere antiretrovirale Mittel mit spezifischen
Mutationen der Reverse-Transkriptase- und Protease-Regionen des HIV in
Verbindung gebracht werden. Mehr als 15 Mittel sind zur HIV-Therapie zugelassen.
Bei manchen Mutationen besteht Resistenz gegen mehrere Medikamente derselben
Klasse, andere wirken sich nur bei einem bestimmten Arzneimittel aus.

Offenbar werden zunehmend häufiger arzneimittelresistente HIV-Varianten


übertragen. Ihre Prävalenz bei neu Infizierten beträgt 5–20% und hängt unter anderem
davon ab, ob sie von jemandem angesteckt wurden, bei dem die antiretrovirale
Therapie versagt hat. Das dürfte in armen Ländern seltener der Fall sein. In
bestimmten Situationen ist es sinnvoll, vor dem Behandlungsbeginn erst die Resistenz
zu testen, da die Therapie nur wirksam ist, wenn keine Infektion mit einem
arzneimittelresistenten Virus vorliegt.

560
Tab. 21.10 Opportunistische Infektionen und Tumore bei AIDS.
*
Auch pyogene Bakterien (z. B. Haemophilus, Streptokokken, Pneumokokken)
verursachen Septikämie, Pneumonie, Meningitis, Osteomyelitis, Arthritis,
Abszesse usw.;multiple oder rekurrierende Infektionen, vor allem bei Kindern
**
mit HHV-8 assoziiert, einem unabhängig übertragenen Herpesvirus, das bei
AIDS 300 ×häufiger als bei anderen Immundefizienzsyndromen vorkommt
CMV = Zytomegalievirus, EBV = Epstein-Barr-Virus, HSV = Herpes-simplex-
Virus, PML = progressive multifokale Leukoenzephalopathie, ZNS = zentrales
Nervensystem

561
Die Behandlung von AIDS-Kranken schließt neben
dem Einsatz antiretroviraler Medikamente die
Prophylaxe opportunistischer Infektionen mit ein
Je nach Zahl der CD4-positiven T-Zellen wird eine Prophylaxe gegen
opportunistische Infektionen (mit Pneumocystis jiroveci und Cryptococcus
neoformans) durchgeführt. Wenn opportunistische Infektionen festgestellt wurden,
müssen sie mit geeigneten Mitteln behandelt werden. Zum Einsatz kommen z.B. Co-
trimoxazol oder Pentamidin (mit/ohne Steroide) gegen P. jiroveci, Ganciclovir gegen
CMV, Fluconazol oder Amphotericin B gegen C. neoformans.

21.10.4 Labortests

Bei HIV-Infektion werden serologische und


molekularbiologische Laboranalysen durchgeführt
AIDS ist eine klinische Definition. Das Vorliegen von HIV-Antikörpern und eines
der in Tab. 21.10 genannten Kriterien sprechen unabhängig von anderen Ursachen
einer Immunschwäche für AIDS. Drastisch zugenommen haben Bandbreite und
Komplexität der Tests, die zum Screening auf HIV-1- und HIV-2-Antikörper, zur
Diagnose, zur Verlaufskontrolle und zur Überwachung des Therapieerfolgs eingesetzt
werden.

Die Virusreplikation findet in der Inkubationszeit statt. In dieser Phase kann neben
dem Virusgenom für kurze Zeit auch das p24-Virus-Antigen nachweisbar sein, aber
noch keine Antikörperreaktion des Wirts. Bei den diagnostischen Tests auf HIV-1 und
HIV-2 können verschiedene Nachweismethoden unterschieden werden:
Antikörpernachweis, Antigen-Antikörper-Nachweis, Antigennachweis und
Genomnachweis. Letzterer wird als qualitativer HIV-1-Provirus-DNA- oder als
quantitativer HIV-1-RNA-Nachweis geführt. Zusätzlich werden immer häufiger
antiretrovirale Resistenztests ins Standardrepertoire aufgenommen.

Zunächst wird ein HIV-1- und HIV-2-Antikörper- oder ein kombinierter Antigen-
Antikörper-Test (auf p24-Antigen, s. Kap. 32) durchgeführt. Letzterer hilft die Phase
des diagnostischen Fensters zu verkürzen. Bei positiven Testbefunden muss zur
Bestätigung ein alternatives HIV-Testformat auf eine zweite Originalprobe angewandt
werden (die nicht aufgetrennt im Labor vorrätig zu halten ist). Damit soll sichergestellt
werden, dass kein Laborfehler bei der Separation passiert ist. Mit einem Immunoblot
(auf Nitrozellulose-Streifen geschichtete Antigene) kann die Differenzierung des HIV-
Typs erfolgen. Ein positives Testergebnis wird noch durch eine weitere Blutprobe
bestätigt, um eine Verwechslung bei der Beschriftung der ursprünglich entnommenen
Probe auszuschließen.

Ist es schwierig oder unmöglich, die Diagnose zu stellen – z.B. Ansprechen auf die
Probe, ohne eindeutiges Testergebnis; Serokonversionskrankheit, so dass alle
Screeningtests negativ ausfallen –, kann anhand von Plasma- oder Vollblutproben ein
HIV-1-RNA- oder Provirus-DNA-Test durchgeführt werden.

562
Unabhängig davon, ob HIV-Infizierte eine antiretrovirale Therapie erhalten oder nicht,
wird regelmäßig die Viruslast (HIV-1-RNA) im Plasma gemessen. Zur quantitativen
Bestimmung stehen unterschiedliche Testmethoden zur Verfügung, die kommerziell
erhältlich sind. Den wichtigsten Verfahren liegen Reverse-Transkriptase-Polymerase-
Kettenreaktion (RT-PCR), Branched-DNA-Signalamplifikation und RNA-
Transkriptions-Isothermalen-Amplifikation zugrunde.

Zum Portfolio der Laboruntersuchungen gehört auch die Möglichkeit einer


automatisierten DNA-Sequenzierung, um die antiretrovirale Resistenz der HIV-
Genotypen zu beurteilen. Diese Spezialuntersuchung ist nicht nur sehr teuer, sondern
kann auch schwierig zu interpretieren sein.

Probleme kann die Diagnose einer HIV-Infektion bei Neugeborenen bereiten. Die
vorhandenen IgG-Antikörper könnten von der Mutter stammen. Tests, die
virusspezifische IgM- und IgA-Antikörper nachweisen könnten und damit eine
intrauterine Infektion (s. Kap. 23) bestätigen würden, sind kommerziell noch nicht
erhältlich. In Referenzlaboren gehören sie jedoch zum Portfolio und werden auch im
Haus durchgeführt. Um den HIV-Status von Säuglingen zu ermitteln, werden in
unterschiedlichen Zeitabständen (bis 12 oder 24 Monate nach der Geburt) Blutproben
auf p24-Antigen, HIV-1-RNA und/oder HIV-1-Provirus-DNA und auf HIV-
Antikörper getestet.

21.10.5 Maßnahmen zur Infektionskontrolle

Um die Ausbreitung von HIV einzudämmen, haben


viele Länder entsprechende Maßnahmen ergriffen
Anders als in Afrika und Asien waren in höher entwickelten Ländern bisher
hauptsächlich männliche Homosexuelle betroffen (Tab. 21.11), doch das Bild beginnt
sich zu verändern. Bei Blutspendern wird ein Screening auf HIV durchgeführt (neben
anderen Viren, die durch Blut übertragbar sind), und wenn die Gefahr besteht, dass sie
infiziert sein könnten, wird ihnen von der Blutspende abgeraten. Als weitere
Vorsichtsmaßnahme werden Faktor-VIII-Produkte erst nach einer Hitzebehandlung
an hämophile Patienten verabreicht. HIV besitzt eine Außenhülle, die sehr empfindlich
für Hitze und Chemikalien ist. Durch Pasteurisieren oder mit Hypochlorit (selbst in
niedrigen Konzentrationen von 1/10000 ppm) kann man HIV inaktivieren; auch
Glutaraldehyd (2,5%) und Äthylalkohol sind wirksam.

Zur Prävention der HIV-Infektion bemüht man sich aber vor allem um
Erziehungsprogramme für die breite Öffentlichkeit. Das betrifft die Anleitung zu
einem veränderten Sexualverhalten (weniger Promiskuität) ebenso wie die
Anwendung von Barriere-Kontrazeptiva (Kondome).

In den westlichen Ländern scheint sich mit dem veränderten Sexualverhalten


männlicher Homosexueller ein Umschwung bei der Ausbreitung von
Geschlechtskrankheiten abzuzeichnen. In einigen Gebieten konnte die Übertragung
der Infektion unter Drogenabhängigen, die den Suchtstoff i.v. injizieren, durch
kostenlose Versorgung mit sauberen Spritzen bzw. Nadeln gestoppt werden, obwohl
diese Maßnahme anfangs sehr umstritten war.

563
Wie wichtig es ist, die Übertragungsraten zu verringern, wird in Kap. 31 diskutiert.
Die größte Gefahr für die Zukunft geht in den entwickelten Ländern von der
zunehmend häufiger werdenden heterosexuellen Übertragung aus – nach
demselben Muster wie in Afrika und Asien. Leider sind noch nicht alle
Einflussfaktoren bei der heterosexuellen Übertragung bekannt, doch klar ist, wie sie
sich verhüten lässt: durch Benutzen von Kondomen und geringere Promiskuität.
Bisher hat es sich als schwierig erwiesen, mithilfe öffentlicher Gesundheitsprogramme
und über die Medien auch in der heterosexuellen Bevölkerung eine Veränderung des
Sexualverhaltens zu bewirken. Eine Verhaltensänderungen unter Heterosexuellen
würde sicher zu einem deutlichen Rückgang sämtlicher STD führen.

21.10.6 Impfung

Die Aussichten auf eine erfolgreiche HIV-Impfung sind


gering, aber nicht hoffnungslos
Dass die Aussichten nicht so gut sind, liegt zum Teil an Antigenvariationen und zum
Teil an der langsamen neutralisierenden Antikörperreaktion auf die HIV-
Infektion. Inzwischen wurden Hüllproteine verschiedener Subtypen,
Vollvirusvakzinen und HIV-Antigen-Überträger (Virusvektoren) entwickelt und
getestet. Die meisten Versuche werden noch an Tiermodellen (Affen) durchgeführt,
doch es gibt erste Vorstudien an Menschen. Benötigt werden gute virusspezifische
Reaktionen.

Die Gefahr, dass Antikörper induziert werden, die die Infektiosität verstärken, hat man
erkannt. Eine Verstärkung durch Antikörper spielt z.B. beim hämorrhagischen
Schocksyndrom (Dengue-Virus) eine wichtige Rolle. Diese Antikörper neutralisieren
das Virus nicht, sondern kombinieren sich mit ihm zu einem Komplex, der sich an den
Fc-Rezeptor von Monozyten bindet, aufgenommen wird und sie so infiziert. Anders
ausgedrückt: Diese Antikörper schützen nicht, sondern sie befördern das Virus direkt
in anfällige Zellen hinein. Andererseits lässt die Tatsache, dass es schon eine
erfolgreiche Impfung gegen Katzenleukose (feline Leukämie durch ein felines
Retrovirus) und einen ähnlichen Impfschutz für Affen gibt, darauf hoffen, dass
irgendwann ein HIV-Impfstoff entwickelt wird.

Eine sexuelle Übertragung ließe sich vermutlich am bes-ten durch Immunisierung


der Schleimhäute verhindern. Dass lokal (mukosal) applizierbare Peptidimpfstoffe
entwickelt werden, ist derzeit wenig wahrscheinlich, weil sich durch Trägerproteine
oder Zusatzstoffe ein allgemeines Immunogenitätsproblem (s. Kap. 34) ergeben kann
und weil angesichts der vielfältigen Antigenvariationen von MHC-Klasse-II-
Molekülen in der Bevölkerung zahlreiche T-Zell-Epitope eingeschlossen sein müssten.
Tab. 21.11 Gesamtzahl der AIDS-Fälle in England
(bis September 2002), bezogen auf den Zeitraum der
Diagnose.

564
21.11 Opportunistische Infektionen

Zu den opportunistischen Erregern sexuell


übertragbarer Krankheiten (STD) gehören Salmonellen,
Shigellen, Hepatitis-A-Virus, Giardia lamblia und
Entamoeba histolytica
Obwohl heterosexueller Verkehr der klassische Übertragungsweg ist, können STD auch
durch Schleimhautkontakt übertragen werden. Beim Analverkehr können
Mikroorganismen vom Penis auf die Darmschleimhaut oder in den (Peri-)Analbereich
gelangen. An diesen Stellen treten dann z.B. Gonokokken- oder Papillomavirusläsionen
auf. Erreger wie HBV oder HIV werden häufiger über die Darmmukosa übertragen. Bei
oral-analem Kontakt haben verschiedene Darmpathogene die Gelegenheit (engl.
opportunity), eine STD hervorzurufen. Daher spricht man von „opportunistischer“ STD.

Auslöser können Salmonellen, Shigellen, Hepatitis-A-Virus (HAV), Giardia lamblia


und Entamoeba histolytica sein (s. Kap. 22). Heutzutage sind sie seltener geworden,
doch Entamoeba histolytica war früher wichtig als Erreger des „gay bowel syndrome“.
Neben chronischen Infektionen (Zytomegalie und Kryptosporidiose) tragen sie bei
AIDS-Patienten zu Darmstörungen und Diarrhoen bei.

Das Hepatitis-B-Virus (HBV) wird oft auf sexuellem Weg


übertragen
In Sperma, Speichel und Scheidensekret können HBV und das Oberflächenantigen
HbsAg nachweisbar sein, doch die Virus-Titer im Blut sind höher. Genauso wie bei HIV
wird die Übertragung durch genitale Geschwüre (Ulzera) oder Blutkontamination (z.B.

565
während der Menstruation) begünstigt. Für die Übertragung von Hepatitis B zwischen
männlichen Homosexuellen ist wie bei der HIV-Übertragung Analverkehr (besonders
für den passiven Partner) als höchster Risikofaktor anzusehen. Hepatitis D wird ähnlich
wie Hepatitis B übertragen. Nur selten wird eine Hepatitis C sexuell übertragen
(weniger als 5% der langjährigen Sexualpartner infizieren sich).

21.12 Arthropodenbefall

Filzläuse verursachen Juckreiz; behandelt wird mit


Permethrin-Creme
Die Filzlaus (Phthirus pubis) unterscheidet sich von anderen Läusen des Menschen
(Pediculus humanus corporis und Pediculus humanus capitis) dadurch, dass sie sich gut
an das Leben im Genitalbereich angepasst hat. Sie hält sich üblicherweise an
Schamhaaren fest (s. Kap. 6), doch gelegentlich können auch Augenbrauen oder
Achselhaare befallen sein. Filzläuse saugen bis zu 10-mal am Tag Blut, danach fangen
die Bissstellen an zu jucken.

Ihre Eier („Nissen“) sieht man an den Schamhaaren. Mit der Handlupe oder unter dem
Mikroskop sind auch die 2 mm langen, typischen Läuse erkennbar, die oft an
Haarwurzeln sitzen. Läuse sind keine Seltenheit (über 10000 Fälle/Jahr in
Großbritannien). Zur Behandlung wird auf die befallenen Stellen 1%ige Permethrin-
Creme aufgetragen.

Auch Krätze im Genitalbereich wird mit Permethrin-


Creme oder Lindan behandelt
Sarcoptes scabiei (s. Kap. 26) kann Läsionen an den Genitalien verursachen und sich
wie eine STD ausbreiten. Spuren der Krätze können am ganzen Körper zu finden sein,
z.B. in Finger- oder Zehenzwischenräumen. Der Genitalbereich wird mit 5%iger
Permethrin-Creme behandelt.
Zusammenfassung
■ Auf sexuellem Weg können Mikroorganismen sämtlicher Gruppen (außer
Rickettsien und Helminthen) zwischen Menschen übertragen werden.

■ Sexuell übertragbare Krankheiten (STD) beschränken sich nicht länger auf


Hochrisikogruppen, sondern breiten sich zunehmend in der ganzen Bevölkerung aus.

■ Genitaler Herpes, Feigwarzen und Chlamydien-Ure-thritis sind die mit


Abstand häufigsten STD. Doch zum größten Problem hat sich die HIV-Infektion
entwickelt, die alle anderen (bekannten) STD in den Schatten stellt, weil sie bisher
meist tödlich ausgeht.

■ Bis auf Hepatitis A und B gibt es keine Impfung; doch für viele dieser
Infektionen gibt es eine wirksame Chemotherapie.

■ Derzeit ist Prävention die beste Kontrollmethode.

566
■ Die Übertragungshäufigkeit hängt u. a. vom Verhalten ab, das sich bekanntlich
bei Menschen schlecht beeinflussen lässt.

■ Lange Intervalle zwischen dem Beginn der Infektiosität und Ausbruch der
Krankheit erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung.

FRAGEN
Eine 24-jährige Kunstkritikerin mit Fieber, trockenem Husten und Kurzatmigkeit seit
ca. 10 Tagen hat das Gefühl, ihr Zustand habe sich verschlechtert. Sie wirkt sehr
besorgt, doch aus der medizinischen Anamnese oder körperlichen Untersuchung
ergeben sich keine auffälligen Befunde. Um eine atypische Pneumonie abzuklären,
wird ihr Blut abgenommen und vom Arzt Amoxycillin und Erythromycin
verschrieben. Fünf Tage später gehtes ihr noch viel schlechter, und ihr Arzt veranlasst
die Krankenhauseinweisung. Blutuntersuchung (Ergebnis der Probe vom 10.
Krankheitstag): Hämoglobin 13 g/dl, Leukozyten 2,3 × 109/l, Mykoplasmen-
Latexagglutinationstest <8, Chlamydienantikörper-KBR < 40, Titer:Influenza-A- und -
B-Virus < 40, Adenoviren < 40, Mycoplasma pneumoniae < 40, Coxiella burnetii < 40.

Später gesteht die Patientin, dass sie viel Gewicht verloren hat und nachts stark
schwitzt. Sorgen bereitet ihr vor allem, dass sie vor vier Jahren monatelang intimen
Kontakt zu einem Freund hatte, der später als HIV-1-seropositiv diagnostiziert wurde.

Untersuchungsbefunde: 37,8°C Körpertemperatur, Dyspnoe und Tachypnoe, sonst


keine Atembeschwerden. Röntgen: beidseitig Lungenschatten, die wie Mattglas“
aussehen und nur die oberen Bereiche aussparen. Nach ausführlicher Beratung stimmt
sie zu, einen HIVAntikörper-Suchtest durchführen zu lassen.

1 Wie lautet die wahrscheinlichste Diagnose?

2 Welche weitergehenden Untersuchungen würden veranlassen?

3 Wie würden Sie die Patientin behandeln?

4 Der Zustand der Patientin bessert sich in den nächsten zwei Wochen. Wie sieht
die Prognose aus? Wie würden Sie die Nachsorge gestalten?
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

Hansfield, H.: Color Atlas and Synopsis of Sexually Transmitted Diseases. McGraw-
Hill, New York 2001.

Hirsch, M.S., Brun-Vezinet, F., D’Aquila, R.T. et al.: Antiretroviral drug resistance
testing in adult HIV-1 infection: recommendations of an International AIDS Society-
USA Panel. JAMA 283 (18) (2000) 2417–2426.

Ho, D.D., Neumann, A.U., Perelson, A.S. et al.: Rapid turnover of plasma virions and
CD4 lymphocytes in HIV-1 infection. Nature 373 (1995) 123–126.

Holmes, K.: Sexually Transmitted Diseases. McGraw-Hill, New York 1998.

567
Köhler, W., Eggers, H.J., Fleischer, B., Marre, R., Pfister, H., Pulverer, G (Hrsg.).
Medizinische Mikrobiologie. Urban & Fischer Verlag, München, Jena.

Lawn, S.D., Butera, S.T., Folks, T.M.: Contributions of immune activation to the
pathogenesis and transmission in human immunodeficiency virus type 1 infection.
Clin Microbiol Rev 14 (2001) 753–777.

Mellors, J.W., Rinaldo, C.R., Gupta, P. et al.: Prognosis of HIV-1 infection predicted
by the quantity of virus in plasma. Science 272 (1996) 1167–1170.

Shafer, R.W.: Genotypic testing for human immunodeficiency virus type 1 infection
drug resistance. Clin Microbiol Rev 15 (2002) 247–277.

UNAIDS: http://www.unaids.org

Wilfert, C.M.: Prevention of mother-to-child transmission of HIV-1. Antiviral Therapy


6 (2001) 161–177.

568
22 Gastrointestinale Infektionen
22.1 Viral und bakteriell verursachte Durchfallerkrankungen 298

22.1.1 Bakterielle Ursachen 298

22.1.2 Antibiotika-assoziierte Diarrhoen durch Clostridium difficile 308

22.1.3 Virus-assoziierte Diarrhoe 309

22.2 Lebensmittelvergiftung 311

22.2.1 Staphylococcus aureus 311

22.2.2 Botulismus 311

22.3 Helicobacter pylori und Ulkuskrankheit 312

22.4 Parasiten im Verdauungstrakt 313

22.4.1 Protozoeninfektionen 313

22.4.2 Wurminfektionen 317

22.5 Vom Gastrointestinaltrakt ausgehende systemische Infektionen 320

22.5.1 Typhus abdominalis und Paratyphus („enterisches Fieber“) 320

22.5.2 Listeriose 323

22.5.3 Virushepatitis 323

22.5.4 Parasiteninfektionen der Leber 329

22.5.5 Gallenwegsinfektionen 330

22.5.6 Peritonitis und Sepsis 331

569
Zur Orientierung
Krankheiten durch oral aufgenommene Pathogene können auf den Darm
beschränkt bleiben oder auf andere Körperregionen übergreifen

Durch orale Aufnahme (Ingestion) von Erregern kann es zu unterschiedlichen Infektionen


kommen, die sich auf den Verdauungstrakt beschränken oder über den Darm auf andere
Körperbereiche ausweiten können. In diesem Kapitel befassen wir uns mit den
wichtigsten bakteriellen Ursachen von Durchfallerkrankungen und in einer Übersicht
mit Bakterien, die Nahrungsmittel-assoziierte Infektionen oder Lebensmittelvergiftungen
auslösen. Angesprochen werden außerdem virale und parasitäre Auslöser von
Durchfallerkrankungen sowie Infektionen, die zwar vom Gastrointestinaltrakt ausgehen,
sich aber an anderer Stelle manifestieren (z.B. Typhus und Paratyphus, Listeriose,
bestimmte Virushepatitiden).

Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden die Virushepatitiden hier abgehandelt.


Leberinfektionen können zu Leberabszessen führen, und einige Lebererkrankungen
können von Parasiten verursacht sein. Bei Streuung (Dissemination) von Erregern aus
dem Verdauungstrakt in die Bauchhöhle kann es zu Peritonitis und intraabdominellen
Abszessen kommen. Da zur Beschreibung gastrointestinaler Infektionen zum Teil
unterschiedliche Begriffe verwendet werden, sind in Tab. 22.1 die gängigsten aufgeführt.

Der Verdauungstrakt kann durch ein breites Spektrum pathogener Mikroorganismen


infiziert werden (die wichtigsten bakteriellen und viralen Erreger s. Tab. 22.2).
Übertragen werden sie meist auf fäkal-oralem Weg, über Nahrung, Flüssigkeit oder über
mit Fäkalien verunreinigte Finger.

Eine Infektion setzt voraus, dass eine ausreichende Keimmenge aufgenommen wird oder
dass die Erreger dank bestimmter Eigenschaften der Abwehr im oberen Verdauungstrakt
entgehen und in den Dünndarm gelangen (Abb. 22.1; s. auch Kap. 13). Dort können sie
sich vermehren und/oder Toxine bilden und so eine lokal begrenzte Infektion auslösen.
Sie können aber auch tiefer in die Darmmukosa eindringen und sich über das Lymph-
oder Blutsystem im Körper ausbreiten (Abb. 22.2). Die schädlichen Folgen, die
gastrointestinale Infektionen haben können, sind in Tab. 22.3 zusammengefasst.

Nahrungsmittel-assoziierte Infektion oder


Lebensmittelvergiftung?
Obwohl sie oft als „Lebensmittelvergiftung“ bezeichnet werden, sollte man besser von
„Nahrungsmittel-assoziierten Infektionen“ sprechen, wenn Infektionen nach dem
Verzehr kontaminierter Nahrung auftreten.

Eine echte Lebensmittelvergiftung tritt dagegen auf, wenn mit der Nahrung chemische
Giftstoffe (wie Schwermetalle) oder Bakterientoxine (z.B. von Clostridium botulinum
oder Staphylococcus aureus) aufgenommen wurden. Die Bakterien vermehren sich und
produzieren Toxine innerhalb der kontaminierten Nahrungsmittel. Durch die Zubereitung
können zwar toxinbildende Bakterien, nicht aber ihre Toxine zerstört werden, die wenige
Stunden nach dem Konsum Wirkung zeigen. Bei einer Nahrungsmittel-assoziierten
Infektion dient die Nahrung nur als Vehikel (z.B. für Campylobacter pylori) oder
begünstigt die Keimvermehrung (z.B. von Salmonellen).

570
Tab. 22.1 Wie in der Umgangssprache werden gastrointestinale
Infektionen auch klinisch oft unterschiedlich bezeichnet.

571
Tab. 22.2 Wichtige bakterielle und virale Krankheits-erreger im
Verdauungstrakt.
EHEC = enterohämorrhagische E. coli (bilden Verotoxin), ETEC =
enterotoxigene E. coli, SRSV = kleine Viren rundlicher Struktur (small round
structured viruses)

572
Abb. 22.1 Täglich verschlucken wir jede Menge
Mikroorganismen.

Die körpereigene Abwehr bewirkt, dass nicht allzu viele die Darmpassage überstehen
und eine Infektion auslösen.

573
Abb. 22.2 Gastrointestinale Infektionen lassen sich in
zwei Gruppen unterteilen, je nachdem, ob sie auf den
Verdauungstrakt beschränkt bleiben oder auf andere
Bereiche übergreifen.

Um sich auf neue Wirte auszubreiten, müssen die Erreger in großer Menge mit dem
Stuhl ausgeschieden werden und lange genug in der Umgebung überleben können, bis
sich ein anderer Wirt direkt oder indirekt (über kontaminierte Nahrung oder Wasser)
infiziert.

574
Tab. 22.3 Lokale oder weiter entfernte Schädigungsfolgen
gastrointestinaler Infektionen

22.1 Viral und bakteriell verursachte


Durchfallerkrankungen

Durchfall (Diarrhoe) ist die häufigste Folge einer


Magen-Darm-Infektion
Infektionen des Gastrointestinaltrakts wirken sich unterschiedlich aus. Das Spektrum
reicht von milden, selbstlimitierenden Durchfallattacken bis hin zu schweren, manchmal
tödlichen Diarrhoen. Begleitend können Übelkeit, Fieber und ein allgemeines
Krankheitsgefühl hinzukommen. Eine Diarrhoe ist Folge des erhöhten Wasserund
Elektrolytverlusts ins Darmlumen, der zu ungeformten oder dünnflüssigen Stühlen führt.
Man kann darin eine Methode des Wirts sehen, Pathogene forciert loszuwerden (was
allerdings zur weiteren Streuung beiträgt). Es gibt aber auch nichtinfektiöse Diarrhoen.

In Entwicklungsländern sind Durchfallerkrankungen


eine führende Ursache der Kindersterblichkeit
Durchfallerkrankungen gehören in Entwicklungsländern gerade bei Kleinkindern zu den
Hauptursachen von Morbidität und Mortalität. Auch in den entwickelten Ländern
kommen sie sehr häufig vor, doch in der Regel verlaufen sie mild und selbstlimitierend
– mit Ausnahme von Säuglingen, älteren Menschen und Patienten mit Immunschwäche.
Die meisten der in Tab. 22.2 genannten Erreger sind weltweit verbreitet, während einige
(z.B. Vibrio cholerae) nur geografisch begrenzt vorkommen. Reisende in die
betreffenden Gebiete können sich infizieren und die Erreger in ihre Heimatländer
importieren.

Dass Durchfallerkrankungen vielfach gar nicht diagnostiziert werden, liegt zum Teil an
ihrem milden und spontan sistierenden Verlauf (was einen Arztbesuch überflüssig
macht), zum Teil aber auch an unzureichenden Labor- und medizinischen
Einrichtungen, besonders in den Entwicklungsländern.

Im Allgemeinen kann man allein anhand des klinischen Bildes die verschiedenen
Infektionserreger nicht unterscheiden. Nützliche Hinweise ergeben sich aber oft aus der
Anamnese (Ernährung, Reisen) sowie durch makro- und mikroskopische Untersuchung

575
des Stuhls auf Blut und Schleim/Eiter. Die exakte Diagnose lässt sich nur mit
Laboruntersuchungen stellen. Sie ist wichtig, wenn bei gehäuftem Auftreten
(Epidemien) epidemiologische Untersuchungen und geeignete Kontrollmaßnahmen
durchgeführt werden sollen.

22.1.1 Bakterielle Ursachen

Escherichia coli (E. coli)


E. coli zählt zu den vielseitigsten Bakterien; einige Stämme sind Bestandteil der
normalen Darmflora von Mensch und Tier (s. Kap. 2), während andere durch
Virulenzfaktoren zu Infektionen im Darmtrakt oder an anderen Stellen (besonders
urogenital, s. Kap. 20) führen können. Die E.-coli-Stämme, die Durchfallerkrankungen
auslösen, unterscheiden sich in Bezug auf ihre Pathomechanismen und in
epidemiologischer Hinsicht (Tab. 22.4).

Sechs verschiedene E.-coli-Gruppen mit


unterschiedlichen Pathomechanismen
Anfänglich bezeichnete man alle mit Diarrhoe assoziierten E. coli als
enteropathogene E. coli (EPEC). Doch ein besseres Verständnis der
Pathomechanismen führte schließlich zu spezifischen Gruppenbezeichnungen:
enteropathogene (EPEC), enterotoxische (ETEC), enterohämorrhagische (EHEC),
enteroinvasive (EIEC), enteroaggregative (EAEC) und diffus-aggregative E. coli
(DAEC).

Enteropathogene E. coli (EPEC) bilden offenbar


keine Toxine
Stattdessen produzieren EPEC bündelförmige Pili (Bfp), Intimin (ein Adhäsin) und
ein damit zusammenhängendes Rezeptorprotein (translocated intimin receptor, Tir).
Aufgrund dieser Virulenzfaktoren können sie sich an Dünndarmepithelzellen
heften und Mikrovilli zerstören. Über diesen besonderen Wirkmechanismus (Tab.
22.4 und Abb. 22.3) kommt es dann zur Diarrhoe (Tab. 22.5).

576
Enterotoxische E. coli (ETEC) besitzen Fimbrien-
Adhäsine
Mit ihren Fimbrien-Adhäsinen können sich ETEC an spezifische
Membranrezeptoren der Dünndarmzellen binden (Tab. 22.4 und Abb. 22.4). Ihre
Plasmidgene produzieren stark wirksame Enterotoxine, die als hitze- bzw.
thermolabil (LT) oder thermostabil (ST) eingestuft werden:
Abb. 22.3 Elektronenmikroskopisches Bild
enteropathogener E. coli (EPEC).

Nach ihrer Adhäsion am Bürstensaum der Dünndarmmukosa zerstören sie lokale


Mikrovilli (mit freundlicher Genehmigung von S. Knutton).

■ Struktur und Wirkung des hitzelabilen Enterotoxins LT-1 haben große


Ähnlichkeit mit Choleratoxin, daher können Infektionen mit LT-1-bildenden
Stämmen vor allem bei Kleinkindern oder unterernährten Kindern einer Cholera
(Vibrio cholerae) täuschend ähneln (Tab. 22.5).

■ andere ETEC-Stämme produzieren statt LT (oder zusätzlich) hitzestabile


Enterotoxine (ST), die ähnlich, aber doch anders als LT wirken. Bei
Guanylatcyclase-Aktivierung durch STA kommt es durch Zunahme von
zyklischem Guanosinmonophosphat (cGMP) zu vermehrter Flüssigkeitssekretion;
Immunoassays zur ETEC-Identifizierung sind kommerziell erhältlich (Tab. 22.4).

577
Tab. 22.4 Eigenschaften von E.-coli-Stämmen, die gastrointestinale
Infektionen auslösen.

578
* in Kursivschrift Spezialtests (LT = thermolabiles, ST = thermostabiles
Enterotoxin)
Abb. 22.4 Elektronenmikroskopisches Bild der Pili
enterotoxischer E. coli – zur Adhärenz an
Schleimhautepithel

(mit freundlicher Genehmigung von S. Knutton).

Enterohämorrhagische E. coli (EHEC) produzieren ein


Verotoxin
Das Verotoxin (toxisch für echte bzw. „Vero-“Zellen in Gewebekulturen) von
EHEC ist im Wesentlichen identisch mit dem Shigatoxin von Shigellen. Nach der
EHEC-Adhäsion an der Dickdarmmukosa (mit demselben „attaching-effacing“-
Mechanismus wie EPEC) wirkt ihr Toxin direkt auf das Kolonepithel – eine
Diarrhoe ist die Folge (Tab. 22.5). EHEC lösen eine hämorrhagische Kolitis aus
und können ein hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) verursachen. Dass
Verotoxin-Rezeptoren auch auf Nierenepithelzellen nachgewiesen wurden, könnte
die renale Beteiligung erklären helfen. Von den zahlreichen EHEC-Serotypen
kommt O157:H7 am häufigsten vor.

579
Enteroinvasive E. coli (EIEC) heften sich bevorzugt an
Dickdarmmukosa
Sie benutzen dazu Plasmidgene und werden durch Endozytose in die Zellen
aufgenommen. Im Zellinneren vermehren sie sich nach Lyse der Endozytosevesikel
und breiten sich in benachbarte Zellen aus. Die Zerstörung, Entzündung, Nekrose
und Ulzeration des Gewebes, die sie verursachen, hat Blut und Schleim im Stuhl zur
Folge (Tab. 22.4 und 22.5).

Der Name der enteroaggregativen E. coli (EAEC)


leitet sich von ihrem typischen Adhäsionsmuster an
Zellen in Gewebekultur ab
Das Muster, eine klumpige Anhäufung, sieht wie ein Ziegelstein-Stapel aus. EAEC
wirken auf den Dünndarm und rufen vor allem bei Kindern in den
Entwicklungsländern anhaltende Durchfälle hervor. Ihre aggregative Adhärenz
wird durch Plasmidgen-assoziierte Fimbrien vermittelt. EAEC produzieren zwar
auch thermolabile Toxine (ein Enterotoxin und ein mit E.-coli- Hämolysin
verwandtes Toxin), doch welche Rolle sie bei Durchfallerkrankungen spielen, ist
unklar.

Diffus-aggregative E. coli (DAEC) bilden α-


Hämolysin und den zytotoxischen Nekrosefaktor 1
DAEC sind zum Teil auch als diffus-adhärente oder zellablösende E. coli bekannt.
Ob und welche Rolle sie bei Durchfallerkrankungen (besonders von Kleinkindern)
spielen, ist nicht geklärt bzw. umstritten, da einige Studien keinen Zusammenhang
herstellen konnten.

Zur weltweiten Inzidenz der Diarrhoe tragen


hauptsächlich EPEC und ETEC bei, in höher
entwickelten Ländern ist EHEC wichtiger
Je nach auslösendem E.-coli-Stamm und Allgemeinzustand des Wirts können die
Durchfälle mild bis schwer verlaufen. In Entwicklungsländern ist eine ETEC-
Diarrhoe bei Kindern klinisch nicht von Cholera zu unterscheiden. EIEC und EHEC
verursachen blutige Durchfälle (Tab. 22.5). Ein hämolytisch-urämisches Syndron
(HUS) infolge einer EHEC-Infektion ist durch akutes Nierenversagen (Abb. 22.5),
Anämie und Thrombozytopenie gekennzeichnet, auch neurologische
Komplikationen kommen vor. In Großbritannien und den USA ist das HUS die
häufigste Ursache für ein akutes Nierenversagen bei Kindern.

Pathogene E.-coli-Stämme lassen sich nur durch


spezifische Tests identifizieren

580
Da E. coli zur normalen Darmflora gehören, müssen die für Diarrhoe
verantwortlichen Stämme durch spezifische Tests identifiziert werden (Tab. 22.4).
Dass häufiger Kinder betroffen sind oder Infektionen oft mit Reisen
zusammenhängen, sollte bei der Laboruntersuchung von Stuhlproben berücksichtigt
werden. Wichtig ist, dass neben einer Routine-Stuhluntersuchung Spezialtests
nötig sind, um spezifisch mit Diarrhoe assoziierte E.-coli-Typen zu identifizieren.
Solche Tests werden bei unkomplizierter Diarrhoe gewöhnlich nicht durchgeführt,
da diese in der Regel selbstlimitierend verläuft. Aus Sorge vor einer EHEC-Infektion
(blutige Durchfälle) führen die meisten Laboratorien in den entwickelten Ländern
ein Screening auf E. coli O157:H7 durch.
Abb. 22.5 Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS)
infolge der Verotoxinbildung bei EHEC-Infektion.

In den Glomeruluskapillaren sind Fibrinthromben erkennbar; Weigert-Färbung


(mit freundlicher Genehmigung von H.R. Powell).

Bei einer E.-coli-Diarrhoe ist keine


Antibiotikatherapie indiziert
Eine spezifische Antibiotikatherapie ist nicht angezeigt, doch unter Umständen kann
– besonders bei Kleinkindern – ein Flüssigkeitsersatz nötig sein. Dagegen muss ein
HUS umgehend behandelt werden (evtl. mit Dialyse).

Sauberes Trinkwasser und ausreichende Kanalisation bzw. Abwasserentsorgung


sind die Grundvoraussetzungen, um Durchfallerkrankungen zu verhindern. Wichtige
Transportvehikel für eine E.-coli-Infektion (besonders mit EIEC und EHEC) können
Nahrung und unpasteurisierte (Roh-) Milch sein; es deutet jedoch nichts auf ein
Tieroder Umweltreservoir hin.

581
Salmonellen

In den entwickelten Ländern sind Diarrhoen am


häufigsten durch Salmonellen bedingt
In manchen Ländern (z.B. USA und Großbritannien) sind sie durch Campylobacter
auf den zweiten Platz verdrängt worden. Wie E. coli gehören auch Salmonellen zur
Familie der Enterobakterien. Historisch war die Nomenklatur der Salmonellen
ziemlich verwirrend. Nach dem Kauffmann-White-Schema wurden anhand
unterschiedlicher Zellwand-(O-) und Geißel-(H-) Antigene über 2000 Serotypen
definiert.

Neuere (DNA-Hybridisierungs-) Studien weisen darauf hin, dass es nur zwei


Spezies gibt, von denen Salmonella enterica für Menschen die wichtigere ist. Um
die Beschreibung und Vergleichbarkeit zu vereinfachen, wurde früher
vereinbarungsgemäß statt der Spezies- die Serotypbezeichnung angegeben. Obwohl
es streng genommen falsch ist (ein Serotyp ist keine Spezies), war es in der Praxis
hilfreich, wenn man z.B. bei epidemiologischen Untersuchungen Isolate zueinander
in Beziehung setzen wollte, um die Spuren zur Infektionsquelle zurückzuverfolgen.
Um die Kontinuität der wissenschaftlichen Literatur zu wahren, wird die Konvention
hier beibehalten (s. Anhang).

Alle Salmonellen außer S. typhi und S. paratyphi findet man sowohl bei Tieren als
auch bei Menschen. Wegen des großen Tierreservoirs kann die Infektion durch
kontaminierte Nahrungsmittel (vor allem Geflügel und Molkereiprodukte) leicht
auf Menschen übertragen werden (Abb. 22.6). Eine Übertragung durch Wasser ist
selten. Da Salmonellen auch von Mensch zu Mensch übertragbar sind, können sich
z.B. mehrere Familienmitglieder anstecken, nachdem sich einer durch kontaminierte
Speisen infiziert hat.

Salmonellen werden fast immer oral aufgenommen


(durch Nahrung oder Getränke)
Nach Invasion des Dünndarmepithels kommt es zur Diarrhoe (Abb. 22.7).
Vermutlich werden Salmonellen von M-Zellen im terminalen Ileum
(„Antigensammler“ des Darms) aufgenommen und breiten sich dann auf die
Epithelzellen aus (ähnlich ist der Zugangsweg für Shigellen, Yersinien und
Reoviren). Die Bakterien wandern in den Ileozäkalbereich ein, vermehren sich dort
in der Lamina propria und rufen dadurch eine Entzündung hervor. Die entzündliche
Reaktion führt einerseits dazu, dass die Infektion auf den Darmtrakt beschränkt
bleibt, doch andererseits werden auch Prostaglandine freigesetzt, die über eine
Aktivierung von cAMP (zyklisches Adenosinmonophosphat) die
Flüssigkeitssekretion verstärken – mit einer Diarrhoe als Folge.
Abb. 22.6 Der Kreislauf von Salmonellen.

582
Bis auf Salmonella typhi sind Salmonellen auch bei Tieren weit verbreitet, die
daher eine ständige Infektionsquelle für Menschen darstellen. Da Infizierte und
Träger sie in großer Zahl im Stuhl ausscheiden, gelangen Salmonellen laufend
zurück in die Nahrungskette.

583
Abb. 22.7 Salmonellen-Passage durch den Körper.

Die meisten Infektionen bleiben auf den Darmtrakt beschränkt, ohne dass die
Salmonellen weiter als zur Mukosa vordringen. cAMP = zyklisches
Adenosinmonophosphat

Bei besonderer Prädisposition (Kinder, Krebskranke, Patienten mit


Sichelzellanämie) können auch Salmonellenspezies, die normalerweise nur
Durchfall auslösen (S. enteritidis, S. cholerae-suis), invasiv werden. In dem Fall
halten sich die Erreger nicht lange im Darm auf, sondern dringen tiefer in den
Körper ein und verursachen eine Sepsis; infolgedessen können sie unterschiedliche
Organe befallen und z.B. eine Osteomyelitis, Pneumonie oder Meningitis
induzieren.

584
In den allermeisten Fällen führen Salmonellen zu einer akuten, selbstlimitierenden
Diarrhoe, auch wenn die Symptome bei Kleinkindern und älteren Menschen stärker
sein können. Häufig kommt begleitend zur Enterokolitis Erbrechen vor, während
Fieber meist auf eine invasive Verlaufsform hindeutet (Tab. 22.5). Systemische
Infektionen durch S. typhi und S. paratyphi, die sich vom Verdauungstrakt in den
Körper ausbreiten, werden weiter unten besprochen.

Eine Salmonellendiarrhoe lässt sich mit selektiven


Kulturmedien nachweisen
Kulturmethoden für Stuhlproben auf Spezialnährböden sind im Anhang
beschrieben. Da Salmonellen nicht sehr anspruchsvoll sind, lassen sie sich meist
innerhalb von 24 Stunden isolieren, obwohl bei geringer Anzahl evtl. eine
Anreicherung in Selenitbouillion nötig ist. Eine vorläufige Diagnose kann man rasch
stellen, doch bis zum endgültigen Ergebnis (mit Serotypangabe) dauert es
mindestens 48 Stunden.

Tab. 22.5 Klinische Merkmale bakterieller Durchfallerkrankungen.

Bei Salmonellendiarrhoe kann ein Flüssigkeits-


Elektrolyt-Ersatz nötig werden
Normalerweise klingt die Diarrhoe nach einem selbstlimitierenden Verlauf ohne
Behandlung ab. Doch besonders Säuglinge und ältere Menschen benötigen

585
möglicherweise einen Ersatz von Flüssigkeit und Elektrolyten. Solange nichts für
einen invasiven oder septischen Verlauf spricht, ist von einer Antibiotikatherapie
abzuraten, da sie weder die Symptome lindert noch die Krankheitsdauer verkürzt,
sondern sogar noch zu einer längeren Ausscheidung von Salmonellen im Stuhl
beitragen kann. Es deutet auch einiges darauf hin, dass die symptomatische
Behandlung mit Antidiarrhoeika dieselbe unerwünschte Wirkung hat.

Die Salmonellenausscheidung kann noch Wochen


nach der Infektion weitergehen
Abb. 22.6 veranschaulicht, wie schwierig sich die Verhütung von
Salmonelleninfektionen gestaltet. Wegen des großen Tierreservoirs ist es praktisch
unmöglich, die Erreger völlig zu eliminieren, so dass präventive Maßnahmen in
erster Linie auf eine Unterbrechung der Übertragungsketten (von Tier zu Mensch
bzw. zwischen Menschen) abzielen müssen. Entsprechende Maßnahmen sind:

■ Mindeststandards der öffentlichen Gesundheitsversorgung (sauberes


Trinkwasser, angemessene Kanalisation/Abwasserentsorgung)

■ hygienische Nahrungszubereitung

Nach dem Ende einer Salmonellendiarrhoe können Infizierte noch wochenlang


Erreger in sich tragen und im Stuhl ausscheiden. Auch wenn sich Salmonellen mit
Abklingen der Symptome nicht mehr so ungehemmt in der Umgebung verteilen, ist
gründliches Händewaschen vor der Nahrungszubereitung eine wichtige
Vorsichtsmaßnahme. Wer beruflich mit Nahrungsmitteln zu tun hat, darf erst wieder
arbeiten, wenn drei Stuhlproben negativ (d.h. keine Salmonellen anzüchtbar) sind.

Campylobacter

Campylobacter-Spezies zählen zu den häufigsten


Durchfallursachen
Campylobacter spp. sind S-förmig gebogene Gram-negative Stäbchenbakterien
(Abb. 22.8). Obwohl sie schon länger als Durchfallerreger bei Tieren bekannt waren,
gehören sie auch bei Menschen zu den häufigsten Auslösern von Diarrhoen. Dass
ihre Bedeutung erst so spät erkannt wurde, hängt damit zusammen, dass sie
mikroaerophil und thermophil sind (Wachstum bei 42°C). Campylobacter spp.
benötigt andere Kulturmedien als Enterobakterien wie E. coli oder Salmonellen.
Abb. 22.8 Campylobacter jejuni nach Gram-
Färbung; erkennbar S-förmige, Gram-negative
Stäbchenbakterien

586
(mit freundlicher Genehmigung von I. Farrell).

Es sind zwar mehrere Campylobacter-Spezies mit Erkrankungen des Menschen


verbunden, doch Campylobacter jejuni überwiegt bei weitem. Helicobacter pylori
wurde früher als Campylobacter pylori bezeichnet und ist eine wichtige Ursache von
Gastritis und Magengeschwüren (s. unten).

Wie Salmonellen hat auch Campylobacter ein großes Tierreservoir (Rinder, Schafe,
Nager, Geflügel, andere Vögel). Die Infektion erfolgt über kontaminierte
Nahrungsmittel (meist Geflügel), Milch oder Wasser. Nach neueren Studien
besteht offenbar eine Assoziation zum Konsum aus Milchflaschen, an deren Deckel
wild lebende Vögel mit dem Schnabel gehackt hatten. Auch Haustiere wie Hunde
oder Katzen können sich infizieren und besonders für Kleinkinder eine
Infektionsquelle darstellen. Eine Ansteckung auf fäkal-oralem Weg zwischen
Menschen kommt ähnlich selten vor wie eine Übertragung durch
Lebensmittelverkäufer.

587
Klinisch besteht eine große Ähnlichkeit zwischen
Campylobacter-, Salmonellen- und
Shigelleninfektionen
Die makroskopisch und histopathologisch erkennbaren Ulzerationen und blutig-
entzündeten Schleimhautstellen in Jejunum, Ileum und Kolon (Abb. 22.9) sind mit
einer Bakterieninvasion vereinbar, doch es wurden auch Zytotoxine von C. jejuni
nachgewiesen. Gerade bei Neugeborenen und körperlich geschwächten
Erwachsenen sind Invasion und Bakteriämie keine Seltenheit.

Das klinische Bild ähnelt einer Salmonellen- oder Shigelleninfektion, doch


Inkubationszeit und Krankheitsdauer können bei Campylobacter-Infektionen länger
sein. Weitere Unterscheidungsmerkmale sind in Tab. 22.5 angegeben.
Abb. 22.9 Entzündliche Enteritis durch
Campylobacter jejuni, bei der die gesamte
Mukosa mit einbezogen ist.

Zottenatrophie, Detritus (Nekrose) in Krypten, Verdickung der Basalmembran;


Kresylviolettfärbung (mit freundlicher Genehmigung von J. Newman).

Bei Durchfallerkrankungen ist routinemäßig eine


Campylobacter-Kultur anzulegen
Die Methoden sind im Anhang näher beschrieben. Wichtig ist, daran zu denken,
dass sich die Kulturmedien und Wachstumsbedingungen von Campylobacter von
denen anderer Enterobakterien unterscheiden. Oft wachsen sie langsamer als andere
Enterobakterien, doch eine vorläufige Diagnose sollte innerhalb von 48 Stunden
möglich sein.

588
Schwere Campylobacter-Diarrhoen mit
Erythromycin behandeln
Erythromycin ist Mittel der Wahl, falls die Schwere der Symptome eine
Antibiotikatherapie erforderlich macht. Invasive Infektionen müssen unter
Umständen zusätzlich mit Chinolonen, Tetracyclin oder Aminoglykosiden behandelt
werden. Die für Salmonellen beschriebenen präventiven Maßnahmen gelten auch
für Campylobacter. Ein Screening bei Lebensmittelverkäufern ist allerdings nicht
notwendig, da eine Kontamination von Nahrungsmitteln auf diesem Weg eher
ungewöhnlich ist.

Vibrio cholerae (Erreger der Cholera)


Cholera ist eine akute Darminfektion durch das kommaförmige, Gram-negative
Bakterium Vibrio cholerae (Abb. 22.10). Die Erkrankung hat eine lange Geschichte
von Epidemien und Pandemien. In Großbritannien traten die letzten Cholerafälle im
19.Jahrhundert auf, als Seeleute vom Kontinent das Bakterium eingeschleppt hatten.
1849 veröffentlichte Snow seinen historischen Essay „On the Mode of
Communication of Cholera“ [„Übertragungswege von Cholera“].
Abb. 22.10 Vibrio cholerae.

Elektronenmikroskopisches Bild der kommaförmigen Stäbchen mit Geißel an


einem Polende; 13000 × vergr. (mit freundlicher Genehmigung von D.K.
Banerjee).

In Gemeinden ohne ausreichende


Trinkwasserversorgung und Kanalisation blüht
Cholera regelrecht auf

589
1990 verbreitete sich in Lateinamerika die siebte Cholera-Pandemie. Endemisch tritt
die Cholera auch weiterhin in Südostasien sowie in Teilen Afrikas und Südamerikas
auf. Anders als Salmonellen oder Campylobacter kommt V. choleraefrei lebend in
Süßwasser vor, infiziert aber ausschließlich Menschen. Man vermutet in
symptomlosen menschlichen Trägern das Hauptreservoir.

Die Krankheit breitet sich über kontaminierte Nahrung aus; auch Muscheln aus
Süßwasserzuchten oder Flussmündungen könnten eine Rolle spielen. Eine direkte
Übertragung von Mensch zu Mensch ist aber eher untypisch. Cholera tritt überall
dort häufig auf, wo die Versorgung mit sauberem Trinkwasser nicht oder nur
sporadisch gewährleistet ist bzw. Abwässer nicht richtig entsorgt werden.
Vereinzelte Fälle gibt es auch in entwickelten Ländern hin und wieder (in den USA
z.B. an der Golfküste von Louisiana oder in Texas), doch die hohen
Hygienestandards verhindern im Allgemeinen eine Weiterverbreitung.

Somatische (O-) Antigene kennzeichnen die


Serotypen von V. cholerae
Wichtigster Serotyp ist O1, der in ein klassisches und ein El-Tor-Biovar unterteilt
wird (Abb. 22.11). Das El-Tor-Biovar wurde zuerst bei Pilgern aus Mekka isoliert
und ist nach dem Quarantänelager El Tor benannt. Es unterscheidet sich in vielerlei
Hinsicht vom klassischen V. cholerae, vor allem weil es nur milde Diarrhoen
verursacht. Bezogen auf die Fälle, gibt es im Vergleich zur klassischen Cholera
mehr Träger als Erkrankte. Der El-Tor-Trägerstatus hält meist länger an, und die
Keime können besser in der Umgebung überleben. El Tor war für die siebte
Pandemie verantwortlich und hat sich jetzt weltweit verbreitet und das klassische
Biovar weitgehend verdrängt.

1992 tauchte in Südindien ein neuer Nicht-O1-Stamm (O139) auf, der sich rasch
ausbreitete. Da er Menschen, die gegen O1 immun sind, infizieren und Epidemien
verursachen kann, erklärte man ihn zum achten pandemischen Cholerastamm. V.
cholerae O139 scheint von einem El-Tor-O1-Biovar abzustammen, das durch
horizontalen Gentransfer ein neues O-(Kapsel-) Antigen eines Nicht-O1-Stamms
erworben hat. In einer Region, in der große Teile der Bevölkerung immun gegen
O1-Stämme sind, bedeutete das einen selektiven Vorteil für den „Empfänger“-
Stamm.

Andere Vibrio-Spezies können unterschiedliche Infektionen bei Menschen


verursachen (Abb. 22.11). Auch V. parahaemolyticus kann Durchfallerkrankungen
auslösen, doch gewöhnlich ist der Verlauf nicht so schwer wie bei Cholera (s.
unten).
Abb. 22.11 Vibrio cholerae ist Ursache der Cholera.

590
Der Serotyp O1 kann in Biovare mit unterschiedlichen epidemiologischen
Eigenschaften unterteilt werden. Beim Ausbruch von Masseninfektionen wird zu
Untersuchungszwecken noch eine weitere Unterteilung in Serosubgruppen und
Phagentypen vorgenommen. Obwohl V. cholerae der wichtigste Erreger ist,
können auch andere Vertreter der Gattung gastrointestinale und sonstige
Infektionen hervorrufen.

Die Cholerasymptome werden durch ein Enterotoxin


verursacht
Cholerasymptome kommen ausschließlich durch ein Enterotoxin zustande, das im
Verdauungstrakt gebildet wird (s. Kap. 17). Um die Wirtsabwehr zu überstehen und
sich an die Dünndarmmukosa zu heften, braucht der Erreger allerdings zusätzliche
Virulenzfaktoren; sie sind in Abb. 22.12 dargestellt (s. auch Kap. 13).

Die klinischen Kennzeichen der Cholera sind in Tab. 22.5 zusammengefasst. Der
stark wässrige, nicht blutige Durchfall wird aufgrund seines Aussehens als
„Reiswasserstuhl“ bezeichnet (Abb. 22.13) und kann zu einem Flüssigkeitsverlust
von 1 Liter/Stunde führen. Durch den Flüssigkeitsverlust und die damit verbundenen
Elektrolytstörungen kommt es zu ausgeprägter Dehydrierung, metabolischer
Azidose (Bikarbonatverlust), Hypokaliämie (Kaliumverlust) und zum
hypovolämischen Schock bis hin zum Herzversagen. Unbehandelt ist Cholera in 40–
60% der Fälle tödlich, doch durch raschen Ersatz von Flüssigkeit und Elektrolyten
lässt sich die Letalität unter 1% senken.

591
Um sporadische oder importierte Fälle von Cholera
und Träger des Erregers zu erkennen, sind
Stuhlkulturen nötig
In Ländern mit Cholera-Prävalenz stützt sich die Diagnose auf klinische Zeichen
und wird selten laborchemisch überprüft. Man sollte daran denken, dass eine ETEC-
Infektion ähnlich schwer wie Cholera verlaufen kann – und dass in beiden Fällen der
Ersatz von Flüssigkeit und Elektrolyten vorrangig ist. Die Kulturmethoden sind im
Anhang aufgeführt.
Abb. 22.12 Zentraler Pathomechanismus bei
Cholera ist die Bildung eines Enterotoxins.

Doch um in den Dünndarm zu gelangen und sich an die Mukosazellen zu heften,


muss der Erreger noch andere Virulenzfaktoren besitzen.
Abb. 22.13 Typischer Reiswasserstuhl bei Cholera.

592
(mit freundlicher Genehmigung von A.M. Geddes)

Von zentraler Bedeutung ist die umgehende


Rehydrierung (Flüssigkeits- und
Elektrolytersatztherapie)
Die Rehydrierung kann oral oder intravenös durchgeführt werden. Antibiotika sind
nicht erforderlich. Trotzdem wird manchmal Tetracyclin verabreicht, um die
Ausscheidungsphase abzukürzen – und die Ansteckungsgefahr zu verringern.
Allerdings wurde bereits über eine Tetracyclinresistenz bei V. cholerae in
bestimmten Gebieten berichtet.

Wie bei anderen Durchfallerkrankungen sind sauberes Trinkwasser und Kanalisation


wesentliche Voraussetzungen, um eine Infektion mit Vibrio cholerae zu verhindern.
Da es kein Tierreservoir gibt, müsste die Krankheit theoretisch auszurotten sein.
Doch der Trägerstatus von 1–20% der vormals infizierten Patienten macht es –
selbst wenn er nur ein paar Wochen anhält – schwierig, dieses Ziel tatsächlich zu
erreichen.

Der Vollkeim-Impfstoff aus abgetöteten


Cholerabakterien wird von der WHO nicht länger
empfohlen
Eine parenteral zu verabreichende Cholera-Vakzine aus abgetöteten Bakterien ist
zwar verfügbar, verleiht aber nur 50% der Geimpften Schutz, und das für höchstens
3–6 Monate. Für Reisen in Cholera-Endemiegebiete wird sie von der WHO nicht
länger empfohlen, kann aber für bestimmte Länder weiter erforderlich sein. Besser
scheinen orale Impfstoffe (in den USA nicht verfügbar) zu schützen.

Shigellen (Shigellose)

593
Je nach Erregerspezies können Shigelleninfektionen
mild oder schwer verlaufen
Die Shigellose ist auch als Bakteriendysenterie – im Unterschied zur
Amöbendysenterie (s. unten) – bekannt, weil ihre schwere Verlaufsform durch eine
entzündliche Invasion der Dickdarmmukosa gekennzeichnet ist. Aufgrund der
Entzündung sind die Durchfälle mit eitrigem Schleim und Blut durchsetzt. Je nach
auslösender Spezies und Gesundheitszustand des Wirts kommt es zu milden bis
schweren Symptomen. Es gibt vier Spezies:

■ Shigella sonnei verursacht meist sehr milde Infektionen.

■ S. flexneri (Dysenterie) und S. boydii verursachen schwerere Symptome.

■ S. dysenteriae ist für schwerste Verlaufsformen verantwortlich (bakterielle


Ruhr).

Shigellosen sind in erster Linie pädiatrische Erkrankungen. Wenn sie mit einer
starken Mangelernährung einhergehen, können Komplikationen wie das
Proteinmangelsyndrom Kwashiorkor begünstigt werden.

Wie V. cholerae sind Shigellen obligat humanpathogen (ohne Tierreservoir). Im


Unterschied zu den Choleraerregern kommen sie allerdings nicht in der Umgebung
vor, sondern breiten sie sich eher auf fäkal-oralem Weg direkt von Mensch zu
Mensch aus als durch kontaminiertes Essen oder Wasser. Shigellen scheinen schon
in kleinen Infektionsdosen (10–100 Keime) eine Infektion auslösen zu können und
breiten sich unter schlechten hygienischen Bedingungen oder bei mangelnder
Reinlichkeit (Flüchtlingslager, Kinderheime, Tagespflege- und
Behinderteneinrichtungen) entsprechend schnell aus.

Der Durchfall ist zunächst wässrig, später schleimig-


blutig
Shigellen heften sich im distalen Ileum und Kolon an die Schleimhaut, dringen dann
in die Epithelzellen ein und verursachen eine ulzerierende Entzündung (Abb.
22.14). Sie brechen allerdings nur selten durch die Darmwand ins Blut ein. S.
dysenteriae bildet ein (Shiga-) Toxin, das Ähnlichkeit mit dem Toxin
enterohämorrhagischer E. coli (EHEC) aufweist. Es kann das Darmepithel oder
glomeruläre Endothelzellen schädigen; im letzteren Fall kann es zu Nierenversagen
kommen (hämolytisch-urämisches Syndrom, HUS, s. oben).
Abb. 22.14 Shigellose.

594
Histologisch Epithelläsionen, die von Pseudomembranen bedeckt sind, und
interstitielle Infiltration im Kolon sichtbar. Die Nebenzellen haben Muzin
abgesondert, die Becherzellen sind leer; Kolloid-Eisenfärbung.

E = Epithel, I = interstitielle Infiltration, M = muzinhaltige Drüsenzellen, P =


Pseudomembran (mit freundlicher Genehmigung von R.H. Gilman).

Die Hauptmerkmale einer Shigelleninfektion sind in Tab. 22.5 zusammengefasst.


Der Durchfall ist zunächst wässrig, enthält aber später Schleim und Blut. Es können
starke Krämpfe im unteren Abdomen auftreten. Gewöhnlich verläuft die Erkrankung
selbstlimitierend, kann aber besonders bei Kindern und alten Menschen zur
Dehydrierung führen. Bei Mangelernährung können Komplikationen hinzukommen
(s. oben).

Antibiotika sollten nur bei schweren Durchfällen


gegeben werden
Bei Shigelleninfektionen kann eine Rehydrierung indiziert sein. Vor allem
Antibiotika, die die Darmmotilität verringern, sollten nur in Ausnahmefällen
(schwere Verlaufsformen) gegeben werden. Verbreitet kommt eine
plasmidvermittelte Resistenz vor, daher sollte erst die Antibiotikaempfindlichkeit
getestet werden, um bei Bedarf die richtige Therapie zu wählen.

Wichtig sind Reinlichkeitserziehung und bessere Entsorgung von Abwässern.


Obwohl Shigellen noch ein paar Wochen nach der Infektion weiter ausgeschieden
werden, ist ein längerer Trägerstatus eher die Ausnahme. Da es kein Tierreservoir
gibt, wäre die Erkrankung durch geeignete öffentliche Gesundheitsmaßnahmen
auszurotten.

Andere bakterielle Ursachen von


Durchfallerkrankungen
Bisher wurden die wichtigsten bakteriellen Durchfallerreger beschrieben.
Salmonellen-, Campylobacter- und bestimmte E.-coli-Infektionen werden am

595
häufigsten mit Nahrungsmitteln übertragen, während Cholera bevorzugt durch
verseuchtes Wasser und Shigellosen im direkten Kontakt auf fäkal-oralem Weg
übertragen werden. Nachfolgend werden weitere Bakterien beschrieben, die
nahrungsassoziierte Infektionen oder eine Lebensmittelvergiftung hervorrufen können.

V. parahaemolyticus und Yersinia enterocolitica sind


Nahrungsmittel-assoziierte Gram-negative
Durchfallerreger
Als halophile (salzliebende) Vibrio-Spezies kommt V. parahaemolyticus in
Meeresfrüchten und Fisch vor. Werden sie roh verzehrt, kann eine
Durchfallerkrankung die Folge sein. Der Pathomechanismus ist noch immer
ungeklärt. Die meisten Stämme, die eine Infektion verursachen, bilden ein
hämolysierendes hitzestabiles Zytotoxin. Im Unterschied zu V. cholerae bzw. dem
nichtzytotoxischen Choleratoxin sind sie invasiv und dringen in die Darmzellen ein.

Die klinischen Infektionsmerkmale sind in Tab. 22.5 zusammengefasst. Im


Anhang werden Methoden zur Labordiagnostik (Spezialnährböden usw.) von V.-
parahaemolyticus-Infektionen beschrieben. Infektionen lassen sich vermeiden, wenn
Fisch und Meeresfrüchte richtig gekocht werden.

Yersinia enterocolitica gehört zur Familie der Enterobacteriaceae und löst speziell
bei Kindern und vor allem in kälteren Regionen nahrungsmittelassoziierte
Infektionen aus. Die Gründe für dieses geografische Verteilungsmuster sind nicht
bekannt, doch der Keim wächst z.B. bevorzugt bei Temperaturen von 22–25°C. Y.
enterocolitica findet sich bei tierischen Wirten wie Nagetieren, Kaninchen,
Schweinen, Schafen, Rindern, Pferden und Haustieren (nach einigen Fallberichten
erfolgte eine Übertragung durch Hunde). Yersinien überstehen selbst tiefe
Temperaturen (4°C) und vermehren sich im Kühlschrank, wenn auch langsamer.
Eine Infektion kann durch verseuchte Milch und andere Lebensmitteln
hervorgerufen werden.

Der Pathomechanismus ist unbekannt. Klinisch zeigt sich eine Invasion des
terminalen Ileums mit Nekrose der Peyer-Plaques und einer Entzündung
mesenterialer Lymphknoten (Abb. 22.15). Das Krankheitsbild (Enterokolitis mit
mesenterialer Lymphadenitis) lässt sich besonders bei Kindern leicht mit einer
akuten Appendizitis verwechseln. Die klinischen Zeichen sind in Tab. 22.5
zusammengefasst, die Labordiagnostik wird im Anhang erläutert. Wie bei V.
parahaemolyticus sollte man auf den Yersinien-Verdacht hinweisen, damit die
Proben im Labor entsprechend aufbereitet werden.

Sporenbildner wie Clostridium perfringens und


Bacillus cereus sind Gram-positive Durchfallerreger
Die bisher beschriebenen Gram-negativen Keime verursachen Diarrhoen, indem sie
in die Darmmukosa eindringen oder Enterotoxine produzieren. Keiner dieser Erreger
bildet Sporen. Wichtige Durchfallerreger sind mit Clostridium perfringens und
Bacillus cereus auch zwei Gram-positive Spezies, die besonders in
sporenverseuchten Lebensmitteln vorkommen.

596
C. perfringens kann unter folgenden Bedingungen mit Durchfallerkrankungen
assoziiert sein (Pathogenese Abb. 22.16):
Abb. 22.15 Yersinia-enterocolitica -Infektion des
Ileums; oberflächliche Schleimhautnekrose mit
Ulzerationen

(mit freundlicher Genehmigung von J. Newman).

597
Abb. 22.16 Clostridium perfringens ruft zwei Formen
nahrungsassoziierter Infektionen hervor.

598
Üblicherweise ist die Infektion durch ein Enterotoxin vermittelt (links). Wenn
beim Kochen von Fleisch- oder Geflügelgerichten zwar die lebenden Bakterien,
nicht aber die Sporen zerstört werden, keimen die Sporen beim Abkühlen der
Nahrung. Wird das Essen beim Aufwärmen nicht ausreichend erhitzt (wie es oft
bei Fertiggerichten aus Großküchen der Fall ist), werden große Keimmengen
aufgenommen. Die seltenere Infektion durch β-Toxinbildende Stämme (rechts)
führt zu einer schwer nekrotisierenden Erkrankung.

■ Enterotoxinbildende Stämme verursachen meist nahrungsassoziierte


Infektionen.

■ Sehr viel seltener führen β-Toxin-produzierende Stämme zu einer akut-


nekrotisierenden Dünndarmerkrankung, die mit Abdominal-schmerzen und
Diarrhoe einhergeht.

Von dieser Form (nach Verzehr von kontaminiertem Fleisch) sind Menschen
betroffen, die nicht an eine proteinreiche Ernährung gewöhnt sind und bei denen
das Toxin aufgrund eines Trypsinmangels nicht im Dünndarm abgebaut werden
kann. Traditionell trat diese Form der Erkrankung bei Eingeborenen in Neuguinea
nach orgiastischen Schweinefleisch-Festen auf, kam aber auch bei
Kriegsgefangenen nach der Freilassung vor.

Die klinischen Zeichen der üblichen Verlaufsform sind in Tab. 22.5 aufgeführt. Im
Anhang ist die Labordiagnostik bei Verdacht auf C.-perfringens-Infektion
beschrieben. Der anaerobe Keim lässt sich gut auf Routinelabor-Nährböden
anzüchten. Mithilfe der Latexagglutination kann die Enterotoxinbildung
nachgewiesen werden.

C.-perfringens-Diarrhoen müssen nur selten antibakteriell behandelt werden. Zur


Prävention sollten Speisen vor dem Servieren ausreichend aufgewärmt bzw.
generell erst unmittelbar vor dem Verzehr zubereitet werden. C. perfringens ist auch
ein wichtiger Erreger von Wund- und Weichteilinfektionen (s. Kap. 26).

Viele Lebensmittel können mit Sporen und vegetativen Formen von Bacillus cereus
kontaminiert sein. Die Infektionen äußern sich entweder:

■ als Diarrhoe infolge der Enterotoxinbildung im Darm oder

■ als Erbrechen bei Aufnahme des Enterotoxins mit der Nahrung.

Wie Abb. 22.17 zeigt, sind zwei verschiedene Toxine beteiligt. In Tab. 22.5 sind
die klinischen Infektionsmerkmale aufgelistet. Zur Diagnosesicherung sind
Spezialnährboden erforderlich (s. Anhang). Solange keine Kultur von verdächtigen
Nahrungsmitteln angelegt wurde, lässt sich bei Erbrechen nur schwer B. cereus als
Ursache ermitteln.

Wie bei C. perfringens sollten Gerichte ausreichend gekocht und möglichst bald
verzehrt werden, um eine B. cereus-Infektion zu verhindern. Eine
Antibiotikatherapie ist nicht indiziert.

22.1.2 Antibiotika-assoziierte Diarrhoen durch


Clostridium difficile

599
Als Komplikation einer Breitspektrum-
Antibiotikatherapie kann eine Diarrhoe durch C.
difficile auftreten
Alle bisher beschriebenen Infektionen hingen mit der Ingestion von Keimen oder
Toxinen zusammen. Diarrhoen können allerdings auch infolge einer Störung der
normalen Darmflora auftreten. Schon früh erkannte man, dass Antibiotika nicht nur
gegen Erreger wirksam sind, sondern auch die Normalflora schädigen können. Ist die
Darmflora z.B. nach oraler Gabe von Tetracyclinen gestört, siedeln sich manchmal
statt der üblichen fakultativ anaeroben Gram-negativen Keime Staphylococcus aureus
(verursacht Enterokolitis) oder Hefepilze wie Candida an.

Kurz nach der Zulassung von Clindamycin zum therapeutischen Einsatz stellte sich
heraus, dass es zu schweren Diarrhoen führt, bei denen sich charakteristische fibrinöse
Pseudomembranen auf der Mukosa bilden (pseudomembranöse Kolitis, s. Abb.
22.18). Clindamycin ist allerdings nicht selbst Ursache der Kolitis, sondern begünstigt
eine Überwucherung der normalen Darmflora mit C. difficile. Bei Kindern kommt
dieser Keim oft im Darm vor, bei Erwachsenen tritt er seltener auf; unter
Krankenhauspatienten kann er durch eine Kreuzinfektion erworben werden.

600
Abb. 22.17 Bacillus cereus kann zwei Formen
nahrungsassoziierter Infektionen hervorrufen. An
beiden sind Toxine beteiligt.

Wie andere Clostridien produziert auch C. difficileExotoxine, von denen zwei als
Zytotoxin bzw. als Enterotoxin charakterisiert wurden; beide scheinen in der
Pathogenese der pseudomembranösen Enterokolitis eine Rolle zu spielen.

Obwohl anfangs nur eine Verbindung mit Clindamycin bestand, hat sich gezeigt, dass
eine C.-difficile- Diarrhoe auch nach Therapien mit anderen Breitspektrumantibiotika
auftreten kann; daher die Bezeichnung Antibiotika-assoziierte Diarrhoe bzw. Kolitis.

601
Die Infektion verläuft oft so schwer, dass eine Behandlung mit Metronidazol (gegen
Anaerobier wirksam) oder oralem Vancomycin erforderlich wird. Da aber unter
verlängerter oraler Vancomycin-Therapie – vermutlich aus der Darmflora stammende
– Vancomycin-resistente Enterokokken isoliert wurden, wird empfohlen, auf eine
orale Gabe von Vancomycin möglichst zu verzichten (s. Kap. 33).
Abb. 22.18 Antibiotika-assoziierte Kolitis durch
Clostridium difficile.

Beim Blick durch das Sigmoidoskop sind zahlreiche Läsionen mit


Pseudomembranen erkennbar (mit freundlicher Genehmigung von J.
Cunningham).

22.1.3 Virus-assoziierte Diarrhoe

Jährlich sterben über drei Millionen Säuglinge an


Gastroenteritis, die meist viral bedingt ist
Eine nichtbakterielle Gastroenteritis bzw. Diarrhoe wird gewöhnlich durch Viren
verursacht. Von den weltweit auftretenden Infektionen sind vor allem Säuglinge und
Kleinkinder betroffen (Abb. 22.19). Mit erschütternden Folgen: In Afrika, Asien und
Lateinamerika sterben jährlich mehr als drei Millionen Säuglinge an Gastroenteritis,
und Kinder haben oft an bis zu 60 Tagen pro Jahr Durchfall. Das wirkt sich deutlich
auf ihren Ernährungsstatus und ihr Wachstum aus. In den USA werden jährlich rund
200000 Kinder unter fünf Jahren wegen einer infektiösen Gastroenteritis ins
Krankenhaus eingewiesen.

Obwohl bei Säuglingen und Kleinkindern am häufigsten Viren Ursache einer


Gastroenteritis zu sein scheinen, kann man sie klinisch nicht von anderen Formen
unterscheiden. Die Infektion mit humanpathogenen Viren erfolgt im Allgemeinen auf
fäkal-oralem Weg. Experimentell konnte die orale Übertragbarkeit einer
nichtbakteriellen Gastroenteritis 1945 zum ersten Mal nachgewiesen werden, doch erst
1972 konnten elektronenmikroskopisch Viruspartikel im Stuhl identifiziert werden.
Bei den meisten Viren ist eine Anzüchtung in Zellkulturen schwierig bis unmöglich.

602
Abb. 22.19 In den Entwicklungsländern sind
Durchfallerkrankungen eine Hauptursache von
Krankheit und Tod im Kindesalter.

Hier ist der prozentuale Anteil der unterschiedlichen Erreger dargestellt. Es fällt
auf, dass in rund 20% der Fälle die Infektionsursache unklar bleibt; doch
vermutlich sind vielfach Viren dafür verantwortlich (nach Daten der WHO).

EPEC = enteropathogene E. coli, ETEC = enterotoxigene E. coli

Rotaviren
Diese morphologisch unverwechselbaren Viren (Abb. 22.20) haben ein Genom aus 11
getrennten Abschnitten doppelsträngiger RNA. Rotaviren infizieren meist junge
Säugetiere (Menschen genauso wie Kätzchen, Welpen, Kälber, Fohlen und
Täubchen), doch zu Kreuzinfektionen zwischen verschiedenen Spezies kommt es
vermutlich nur gelegentlich. Beim Menschen sind mindestens zwei Serotypen
bekannt.

603
Rotaviren beeinträchtigen den Darmtransport und
lösen so Diarrhoen aus
Die Inkubationszeit beträgt 1–2 Tage. Nach der Virusvermehrung im
Dünndarmepithel kommt es zu akutem, oft schwallartigem Erbrechen und zu
Durchfall, der 4–7 Tage anhalten kann. Durch die Virusreplikation werden die
Transportmechanismen im Darm behindert und der Wasser-, Salz- und
Glukoseverlust führt dann zur Diarrhoe (Abb. 22.21).
Abb. 22.20 Rotaviren.

Der klar umschriebene äußere Rand und strahlenförmig um den inneren Kern
(Core) angeordnete Kapseln verleihen den Viruspartikeln (Durchmesser 65 nm)
ihr typisches „Speichenrad“-Aussehen (daher: Rotaviren) (mit freundlicher
Genehmigung von J.E. Banatvala).

Die Zerstörung infizierter Dünndarmzellen mündet in eine Zottenatrophie. Mit


Abflachung der Zotten (Villi intestinales, lange fingerartige Schleimhautauswüchse)
nehmen sowohl Resorptionsfläche als auch Verdauungsenzyme ab, so dass der
erhöhte osmotische Druck im Darmlumen zu einer Diarrhoe führen kann, die
weder mit Entzündung noch mit Blutverlust verbunden ist. Im Stuhl tauchen
massenhaft Viruspartikel auf (1010–1011/g). Aus unbekannten Gründen treten
begleitend oft respiratorische Symptome wie Husten und Schnupfen auf. Bei
Säuglingen in den Entwicklungsländern verläuft die Erkrankung meist schwerer.

604
Abb. 22.21 Entstehungsmechanismus einer
Rotavirusdiarrhoe; bei anderen Virusinfektionen
dürften unterschiedliche Mechanismen beteiligt
sein.

605
Am häufigsten sind Kleinkinder unter zwei Jahren betroffen, und Infektionen
treten bevorzugt in der kalten Jahreszeit auf. In den ersten sechs Lebensmonaten
verleihen IgA-Antikörper im Kolostrum noch Immunität. Oft kommt es in
Kinderkrippen zu Infektionsausbrüchen. Da sich bei fast allen älteren Kindern
Antikörper gebildet haben, sind sie weniger anfällig. Sporadische Fälle können aber
auch bei Erwachsenen vorkommen.

Rotaviren sind gut an den Dünndarm angepasste Erreger. Um eine Infektion


auszulösen, reicht schon die orale Aufnahme weniger Viruspartikel (ca. 10). Da sie
aber Diarrhoen mit enormer infektiöser Erregerdichte bewirken, stellen sie so ihre
fortgesetzte Übertragung und ihren weiteren Bestand sicher.

In Stuhlproben sind Rotaviren


elektronenmikroskopisch nachweisbar
Eine Labordiagnostik ist in Entwicklungsländern im Allgemeinen nicht verfügbar
und in den entwickelten Ländern nicht nötig. Im Akutstadium lassen sich aber
elektronenmikroskopisch die typischen 65 nm großen Viruspartikel in Stuhlproben
entdecken. Mit ihrer räumlichen Symmetrie und der äußeren Kapsidhülle sehen sie
wie ein Speichenrad aus (Abb. 22.20). Durch ELISA (enzyme-linked
immunosorbent assay) ist in Stuhlproben das Virusantigen nachzuweisen (s. Kap.
32).

Eine Ersatztherapie (Flüssigkeit und Elektrolyte) kann


lebensrettend sein
Säuglinge können sehr leicht austrocknen, daher kann bei Dehydrierung eine orale
oder intravenöse Salz-/Elektrolyt- und Flüssigkeitsersatztherapie lebensrettend
sein. Antivirale Mittel stehen nicht zur Verfügung, doch in Versuchen wurden
bereits mehrere (oral verabreichte) attenuierte Lebendimpfstoffe erfolgreich getestet.

Andere humanpathogene Viren

Diarrhoen können auch Calici-, Astro-, Adeno- und


Coronaviren verursachen
Caliciviren sind einzelsträngige RNA-Viren mit einem Durchmesser von 27 nm und
können den „Winterbrechdurchfall“ verursachen. Dazu gehören auch die früher
als SRSV (small round structured viruses) oder NLV (Norwalk-like viruses)
bezeichneten Noroviren, die bisher nicht in vitro angezüchtet werden konnten.
Freiwillige erwachsene Testpersonen erkrankten nach oraler Zufuhr an
Gastroenteritis. Zum ersten Mal brach die Infektion 1969 in einer Schule in Norwalk
(im US-Bundesstaat Ohio) aus. Infiziert werden vorzugsweise ältere Kinder und
Erwachsene. Die hoch infektiösen Viren breiten sich rasch aus und verursachen
häufig nosokomiale Infektionen.

In 25–50% der Fälle kommt es zu Schüttelfrost, Kopfschmerzen, Myalgie oder


Fieber sowie Übelkeit, Bauchschmerzen, Erbrechen und Diarrhoe; doch die meisten

606
Patienten erholen sich innerhalb von 24–48 Stunden wieder. Bei massenhaften
Ausbrüchen oder für epidemiologische Studien ist die Labordiagnostik wichtig –
gewöhnlich elektronenmikroskopisch oder mit Immuntechniken (ELISA). Mit den
Genom-Nachweismethoden hat sich die Sensitivität verbessert. Viren dieser Gruppe
verursachen oft durch Nahrungsmittel aus Gewässern bedingte Diarrhoen (z.B. mit
Fäkalien verseuchte Muscheln).

Astroviren sind 28 nm große, einzelsträngige RNA-Viren mit einem typischen


Sternmuster (fünf- oder sechszackig). Bekannt sind fünf Serotypen. Die meisten
Infektionen treten bei Kindern auf und zeigen einen milden Verlauf.

Adenoviren sind hüllenlose, 70–80 nm große doppelsträngige DNA-Viren. Mit


Gastroenteritiden werden Adenovirustyp 40 und 41 in Verbindung gebracht, die sich
beide nur in spezialisierten Zellkulturen anzüchten lassen. Nach Rotaviren sind sie
zweithäufigste Ursache einer akuten Diarrhoe bei Kleinkindern in gemäßigten
Klimazonen. Die Bedeutung der Coronaviren ist unklar.

Obwohl epidemieartige Gastroenteritisfälle oft eine virale Ätiologie haben, lässt sich
kaum genau sagen, welche Rolle ein bestimmtes, im Stuhl nachgewiesenes Virus
dabei spielt. Denn im Gastrointestinaltrakt replizieren sich viele Viren, die keine
akute Durchfallerkrankung auslösen.

22.2 Lebensmittelvergiftung
In diesem Abschnitt bleibt der Begriff „Lebensmittelvergiftung“ ausschließlich
Erkrankungen vorbehalten, die durch bakterielle Toxine in kontaminierten
Lebensmitteln verursacht werden (s. oben). Diese Definition erfüllt das emetogene B.-
cereus- Toxin ebenso wie Erkrankungen durch Staphylococcus-aureus-Enterotoxin und
Clostridium-botulinum-Toxin, die mit der Nahrung aufgenommen werden.

22.2.1 Staphylococcus aureus

Staphylococcus-aureus-Stämme produzieren acht


unterschiedliche Enterotoxine
Von den mindestens acht serologisch unterschiedlichen Enterotoxinen der Staph.-
aureus-Stämme sind die Enterotoxine A–E am besten untersucht (Tab. 22.6). Alle fünf
sind hitzestabil und resistent gegen Magen- und Dünndarmenzyme. Ihr
Wirkmechanismus ist noch nicht völlig aufgeklärt. Im Allgemeinen scheinen sie sich
jedoch – ähnlich dem TSST-1 beim toxischen Schocksyndrom (s. Kap. 26) – wie
Superantigene zu verhalten (s. Kap. 16), die über ihre Bindung an MHC-Klasse-II-
Moleküle T-Zellen stimulieren. Infolge ihrer ZNS-Wirkung kommt es innerhalb von
3–6 Stunden nach dem Essen zu heftigem Erbrechen. Durchfall tritt nicht auf,
normalerweise kommt es innerhalb von 24 Stunden zur Regeneration.

Bis zu 50% der S.-aureus-Stämme produzieren Enterotoxine. Zur Kontamination von


Nahrungsmitteln (vor allem Hackfleisch) kommt es durch menschliche Träger. Die
Bakterien wachsen bei Raumtemperatur und setzen dabei Toxine frei. Bei
anschließender Erhitzung werden zwar die Keime, nicht aber die Toxine zerstört. In

607
kontaminierten Speisen lässt sich oft kein einziger lebender Keim mehr entdecken,
wohl aber das Enterotoxin (Nachweis durch Latexagglutinationstest).

Tab. 22.6 Staphylokokken-Enterotoxine.

22.2.2 Botulismus

Ursache sind Exotoxine von Clostridium botulinum


Botulismus ist eine seltene, aber schwere Erkrankung durch Exotoxine von C.
botulinum. Dieser Mikroorganismus kommt weit verbreitet in der Umgebung vor.
Seine Sporen lassen sich leicht aus Bodenproben und bei Tieren (auch Fisch) isolieren.
Nur vier der bisher identifizierten sieben serologisch unterschiedlichen Toxine sind
humanpathogen (A, B, E und seltener F). Von Verdauungsenzymen werden sie nicht
zersetzt, doch man kann sie durch 30-minütiges Erhitzen (80°C) inaktivieren.

Die Toxine werden entweder mit der Nahrung aufgenommen (meist Konserven oder
wieder Aufgewärmtes) oder im Darm gebildet (nach Ingestion des Erregers). Nach
der Resorption über die Darmschleimhaut gelangen sie mit dem Blut zu ihrem
eigentlichen Wirkort, den Synapsen peripherer Nerven. Dort bewirken sie eine
Blockade der Nervenleitung (Neurotransmission, s. Kap. 17).

Häufigste Form ist der Säuglingsbotulismus


Es gibt drei Formen von Botulismus:

■ Lebensmittelbotulismus

■ Säuglingsbotulismus

■ Wundbotulismus

608
Beim Lebensmittelbotulismus entsteht das Toxin in keimverseuchter Nahrung und
wird dann aufgenommen. Beim Säuglings- und Wundbotulismus werden dagegen
die Keime aufgenommen bzw. in Wunden eingebracht, ehe sie sich vermehren und in
vivo Toxine bilden. Beim Säuglingsbotulismus konnte eine Verbindung zu Sporen
von C. botulinum in Honig nachgewiesen werden, mit dem die Kinder gefüttert
wurden.

Alle drei Formen zeigen das gleiche klinische Bild und sind durch eine schlaffe
Parese gekennzeichnet; die progressive Muskelschwäche kann bis zum Atemstillstand
führen. Daher ist unbedingt eine Intensivbehandlung erforderlich. Bis zur völligen
Genesung kann es Monate dauern. Auch wenn die Letalität durch eine verbesserte
supportive Behandlung von ca. 70 auf 10% gesenkt werden konnte, bleibt diese
Erkrankung trotz ihrer Seltenheit lebensgefährlich. Besorgnis erregend ist auch, dass
Botulinustoxin – bekanntlich eines der stärksten Gifte für Menschen – als biologischer
Kampfstoff eingesetzt werden kann.

Inokulation von Serum- und Nahrungsproben in


Mäuse zur Labordiagnostik
Die Diagnose hängt weitgehend vom Toxinnachweis ab. Daher werden Mäusen, die
zuvor mit Botulinus-Antitoxin immunisiert wurden oder ungeschützt sind, Serum- und
Nahrungsproben (sofern verfügbar) injiziert. Von Stuhl oder Wundexsudaten sollte
auch eine Kultur angelegt werden. Aus Angst vor Bioterroristen bemüht man sich
derzeit um weniger zeitraubende Nachweismethoden für Botulinustoxin, wie
Verfahren zur Sequenzanalyse mithilfe der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) oder
Funktionstests (ELISA) zur Toxinaktivität (s. Kap. 32).

Empfehlung: polyvalentes Antitoxin ergänzend zur


Intensivtherapie des Botulismus
Aufgrund ihrer Antigenwirkung lassen sich Botulinustoxine inaktivieren und zur
Produktion von Antitoxin in Tieren verwenden. Bei jedem Botulismusverdacht sollte
ergänzend zur supportiven Behandlung – Beatmung (wegen Atemschwierigkeiten)
und i.v. Infusion oder nasogastrale Sonde zur Nahrungszufuhr (wegen
Schluckstörungen) – sofort ein Antitoxin verabreicht werden. Antibiotisch werden im
Allgemeinen nur Sekundärinfektionen behandelt.

Eine Kontamination von Lebensmitteln mit C.-botulinum- Sporen lässt sich nicht
verhindern. Daher hängt die Krankheitsprävention davon ab, ob es gelingt, das
Keimen der Sporen in Nahrungsmitteln zu verhindern, z.B. durch:

■ sauren pH-Wert,

■ Lagerung unter 4°C,

■ 30-minütiges Erhitzen bei 80°C (zur Zerstörung des Toxins).

22.3 Helicobacter pylori und Ulkuskrankheit

609
Magen- und Duodenalulzera sind meist mit
Helicobacter pylori assoziiert
Inzwischen ist gut belegt, dass über 90% der Duodenalund 70–80% der
Magengeschwüre mit dem Gram-negativen spiralförmigen Bakterium H. pylori
assoziiert sind (Abb. 22.22). Bei der gastroösophagealen Refluxkrankheit (GERD) oder
einer nichtulzerösen Dyspepsie (mit persistierenden oder rezidivierenden
Oberbauchschmerzen ohne strukturelle Veränderungen) scheint H. pylori dagegen keine
Rolle zu spielen. Die Diagnose lässt sich gewöhnlich histologisch anhand von
Biopsieproben stellen, doch den schnellsten Nachweis ermöglicht der nichtinvasive
Urease-Atemtest (H. pylori produziert große Mengen Urease). H. pylori ist nur sehr
aufwendig im Labor anzüchtbar.

Auch wenn die Pathomechanismen noch weiter erforscht werden müssen, sind offenbar
eine Reihe von Virulenzfaktoren (Zytotoxin, säurehemmendes Protein, Adhäsine,
Urease für das Überleben im sauren Milieu) und andere, die Magenschleimhaut
angreifende Faktoren beteiligt. Um eine Remission und Heilung der Ulzera zu erreichen,
ist eine H.-pylori -Eradikation nötig; sie wird als Kombinationstherapie mit einem
Protonenpumpenhemmer und zwei Antibiotika durchgeführt (z.B. Clarithromycin und
Amoxicillin, s. Kap. 33).

Allerdings legen Studien nahe, dass H. pylori in Wirklichkeit sogar vor manchen
Ösophagus- und Magentumoren schützen könnte. Seitdem ist eine lebhafte Diskussion
im Gange, ob der Keim auch bei asymptomatischen Patienten eliminiert werden sollte.
Die komplexe Beziehung zwischen H. pylori und Erkrankungen des Magens sollte daher
erst noch weiter erhellt werden.

610
Abb. 22.22 Helicobacter-pylori -Gastritis.

Nach Silberfärbung sind auf der Schleimhaut zahlreiche spira-lförmige Bakterien


sichtbar (mit freundlicher Genehmigung von A.M. Geddes).

22.4 Parasiten im Verdauungstrakt


Im Gastrointestinaltrakt leben viele verschiedene Protozoenund Wurmparasiten, so dass
weltweit ca. 3,5 Milliarden Menschen infiziert sind. Doch nur wenige Spezies verursachen
ernste Erkrankungen, auf die in diesem Kapitel eingegangen wird (Abb. 22.23).

Darmparasiten werden als unterschiedliche Stadien im


Stuhl übertragen
Ihr Lebenszyklus kann Zysten-, Ei- und Larvenstadien umfassen. In den meisten Fällen
kommen Neuinfektionen durch direkten oder indirekten Kontakt mit fäkal
verschmutzten Materialien zustande, daher spiegeln sich in den Infektionsraten auch die
hygienischen und sanitären Bedingungen wider. Im Allgemeinen sind im Stuhl
ausgeschiedene Protozoen bereits infektiös oder werden es innerhalb kürzester Zeit.
Solche Parasiten werden daher meist als infektiöse Stadien (in fäkal verschmutzter
Nahrung oder Wasser) aufgenommen.

Dagegen benötigen Wurmeier oder die Larven von Wurmparasiten – mit zwei
großen Ausnahmen (Madenwurm und Zwergbandwurm) – eine Entwicklungsphase
außerhalb des Wirts, um infektiös zu werden. Hier verläuft die Übertragung auf
verschiedenen Wegen:

611
Abb. 22.23 Darmparasiten.

Die meisten Infektionen treten in Entwicklungsländern auf, doch sämtliche Spezies


kommen auch in den entwickelten Ländern vor. Einige sind erst neu im
Zusammenhang mit AIDS bekannt geworden. Die wichtigsten Parasiten sind
halbfett hervorgehoben.

■ Die infektiösen Wurmeier oder Larven einiger Spezies werden über


kontaminiertes Wasser und kontaminierte Nahrung oder direkt über schmutzige Finger
aufgenommen.

■ Manche Wurmlarven bohren sich durch die Haut und wandern schließlich in
den Darm.

■ Infektiöse Stadien können in Fleischprodukten oder Tieren enthalten sein, die


als Nahrung dienen.

Die Symptomatik reicht von leichten Darminfektionen über akute oder chronische
(entzündlich bedingte) Durchfälle bis zu lebensbedrohlichen Erkrankungen bei
Ausbreitung der Parasiten auf andere Körperorgane. Die meisten Infektionen fallen
jedoch unter die erste Kategorie, so dass Darmparasiten in vielen Teilen der Welt als
Normal-zustand hingenommen werden.

612
22.4.1 Protozoeninfektionen
Von Bedeutung sind besonders drei Arten:

■ Entamoeba histolytica

■ Giardia lamblia

■ Cryptosporidium parvum

Alle drei können zu Durchfallerkrankungen führen, doch wegen unterschiedlicher


Merkmale fällt die Differenzialdiagnose leicht (Abb. 22.24). Erst kürzlich entdeckte
Protozoen, wie z.B. Cyclospora cayetanensis, Isospora belli und Mikrosporidien,
spielen besonders bei immunsupprimierten Patienten eine Rolle.
Abb. 22.24 Protozoeninfektionen des
Gastrointestinaltrakts.

a) im akuten Krankheitsstadium vorhandene Trophozoiten von Entamoeba


histolytica enthalten oft rote Blutkörperchen. b) akutes Infektionsstadium mit
Giardia-lamblia-Trophozoit. c) in der E.-histolytica-Zyste ist nur einer der vier
Kerne erkennbar. Bei dem breiten Chromatinband handelt es sich um eine
semikristalline Ansammlung von Ribosomen (Hämatoxylin-Eosin-Färbung). d) In

613
der ovalen Zyste (G. lamblia) sind zwei der vier Kerne sichtbar (Eisen-Hämatoxylin-
Färbung).

Mit freundlicher Genehmigung von D.K. Banerjee (a, b) bzw. R. Muller und J.R.
Baker (c, d).

Entamoeba histolytica

Entamoeba-histolytica-Infektionen sind besonders in


tropischen und subtropischen Ländern verbreitet
Jahrelang glaubte man, dass eine E.-histolytica-Infektion asymptomatisch oder
pathogen verlaufen könnte und dass Dysenterie das Leitsymptom einer
Schleimhautinvasion wäre. Kürzlich wurde jedoch entdeckt, dass zwei Spezies an
einer Amöbiasis beteiligt sind: E. histolytica an der invasiven und E. dispar an der
nichtinvasiven Verlaufsform. Trotz weltweiter Verbreitung kommt E. histolytica vor
allem in subtropischen und tropischen Ländern vor, wo die Prävalenz über 50%
betragen kann.

Trophozoitenstadien halten sich im Dickdarm an der Schleimhaut auf und


reproduzieren sich durch einfache Zellteilung. In regelmäßigen Abständen werden
Zysten gebildet und aus dem Körper ausgeschieden. Mit ihrer widerstandsfähigen
Hülle können sie gut in der Umgebung überleben. Diese Zysten stellen die
infektiösen Stadien dar.

Die Übertragung erfolgt durch kontaminierte Nahrung oder Wasser (über infizierte
Händler oder bei schlechten sanitären Verhältnissen). Möglich ist auch eine
Infektion durch bestimmte sexuelle (anale) Praktiken. Nachdem sie unversehrt in
den Magen gelangt sind, lösen sich die äußeren Hüllen verschluckter Zysten ab. Im
Dünndarm entwickeln sich aus jeder Zyste acht Protozoen, die sich an Epithelzellen
heften und sie nach Phagozytose zytolytisch schädigen. Da die Protozoen in die
Mukosa eindringen und sich von Wirtszellen (auch roten Blutkörperchen) ernähren
können, kommt es zur Amöbenkolitis.

614
E.-histolytica-Infektionen verlaufen als leichte
Diarrhoe oder schwere Dysenterie (Amöbenruhr)
E. dispar verursacht keine Symptome. Bei einer Schleimhautinvasion durch E.
histolytica können sich im Kolon kleine, oberflächlich ulzerierte Stellen oder tiefe,
konfluierende Ulzera bilden, die die gesamte Darmmukosa einbeziehen (Abb.
22.25). Während oberflächliche Ulzerationen nur zu einer leichten Diarrhoe führen,
kommt es bei einer tiefen Invasion zu Schleim, Eiter und Blut im Stuhl
(Amöbendysenterie, -ruhr). Amöben- und bakterielle Dysenterien unterscheiden
sich (Tab. 22.7).
Abb. 22.25 Amöbenkolitis (Sigmoidoskopie).

Unter dem eitrigen Exsudat sind tiefe Ulzera erkennbar (mit freundlicher
Genehmigung von R.H. Gilman).

Zu den Komplikationen zählen Darmperforation (Peritonitisgefahr) und


extraintestinale Gewebeinvasion. Wenn sich Trophozoiten auf dem Blutweg in die
Leber ausbreiten, können sich Leberabszesse bilden; infolgedessen ist ein
Übergreifen auf die Lunge und andere Organe möglich. In seltenen Fällen streuen
Abszesse direkt unter Einbeziehung der darüber befindlichen Haut.

615
Tab. 22.7 Kennzeichen einer bakteriellen und Amöben-dysenterie
(-ruhr).

E.-histolytica- Infektionen lassen sich anhand der


typischen vierkernigen Zysten im Stuhl
diagnostizieren
Weil bei einer leichteren Infektion nur sporadisch Zysten auftreten, sind
wiederholte Stuhluntersuchungen erforderlich. Dabei ist E. histolytica sorgfältig
von apathogenen Spezies abzugrenzen, die ebenfalls vorkommen können (Abb.
22.26). Vor der Untersuchung sollte man ein paar Stuhlproben konservieren, da die
bei Dysenterie (weicher, feuchter Stuhl) vorhandenen Trophozoiten sehr fragil sind
und sich leicht zersetzen. Für die Unterscheidung zwischen E. histolytica/E. dispar,
Cryptosporidium parvum und Giardia lamblia sind z.B. Antigen-ELISAs verfügbar.
E. histolytica ist nur durch spezifische Antigentests oder PCR von E. dispar
abzugrenzen.

Akute Infektionen mit Metronidazol behandeln


In der Regel kommt es zur Genesung von der Infektion und zu einer gewissen
Immunität gegen Reinfektionen. Manchmal wird die Infektion jedoch nicht komplett
ausgeräumt, so dass trotz Behandlung weiterhin infektiöse Zystenstadien
ausgeschieden werden. Metronidazol eignet sich sowohl für intestinale wie
extraintestinale Infektionen. Wenn es bereits zu einer bakteriellen Sekundärinfektion
gekommen ist, müssen zusätzliche Antibiotika und Drainagen eingesetzt werden.
Zur Prävention einer Amöbiasis sind dieselben hygienischen und sanitären
Vorkehrungen zu treffen wie bei bakteriellen Darminfektionen.

616
Abb. 22.26 Pathogene und apathogene Protozoen
lassen sich anhand bestimmter Merkmale (Größe
und Anzahl der Kerne in Zysten) unterscheiden.

Zum Vergleich ein Erythrozyt.

Giardia lamblia
Giardia lamblia war der erste Darmparasit, der unter dem Mikroskop betrachtet
wurde. Entdeckt hat ihn Anton van Leeuwenhoek, als er 1681 eigene Stuhlproben
untersuchte, um sein neu entwickeltes Mikroskop auszuprobieren. Giardia lamblia ist
weltweit verbreitet und derzeit in den USA der am häufigsten diagnostizierte
Darmparasit.

Wie Entamoeba hat auch Giardia nur zwei


Entwicklungsstadien
Neben dem Trophozoiten- (vier Geißelpaare, zwei Kerne) gibt es ein sehr
widerstandsfähiges Zystenstadium (vier Kerne). Die Trophozoiten halten sich im
oberen Dünndarmabschnitt auf und binden sich mit spezialisierten Regionen fest an
das Bürstensaumepithel (Abb. 22.27). Durch normale Zellteilung können sie sich so
stark vermehren, dass sie die Schleimhaut großflächig bedecken. In regelmäßigen
Intervallen bilden sich Zysten, deren robuste Wand aus einem aufgerollten
Trophozoiten besteht. Sie werden im Stuhl ausgeschieden und können unter
optimalen Bedingungen mehrere Wochen überstehen.

Die Infektion erfolgt durch Verschlucken der Zysten (meist kontaminiertes Wasser).
Mit 10–25 Zysten ist die minimale Infektionsdosis sehr gering. Die meisten
Lambliasis-Epidemien gingen von der (kontaminierten) öffentlichen
Wasserversorgung aus, doch bei kleineren Ausbrüchen ließen sich die Spuren bis
zum Trinken von Flussoder Bachwasser zurückverfolgen, das wild lebende Tiere
kontaminiert hatten.

Unter Säugetieren ist die Gattung Giardia weit verbreitet und es deutet einiges
darauf hin, dass es zur Kreuzinfektion zwischen bestimmten Wirten (wie Biber)
und Menschen kommen kann. Das mag in vielen Fällen reiner Zufall sein, doch
Fallberichte liefern auch konkrete Hinweise. Nach neueren Befunden könnte
Giardia sexuell übertragbar sein.

617
Abb. 22.27 An der Dünndarmmukosa haftende
Giardia-lamblia -Trophozoiten (Eisen-Hämatoxylin-
Färbung).

(mit freundlicher Genehmigung von R. Muller und J.R. Baker)

Leichte Infektionen verlaufen asymptomatisch,


schwerere mit Diarrhoen
Die Diarrhoen können

■ nach 7–10 Tagen von selbst aufhören (selbstlimitierender Verlauf ist die Regel)

■ oder chronisch progredient in eine schwere Durchfallerkrankung übergehen


(besonders bei Immunschwäche oder Immunsuppression).

Man hält sie für eine entzündliche Reaktion auf die Epithelzellschädigung und die
Störung der normalen Resorptionsvorgänge. Typisch ist die weiche Konsistenz der
übel riechenden, oft fettigen Stühle.

Die Diagnose stützt sich auf den Nachweis von


Zysten oder Trophozoiten im Stuhl
Bei leichten Verlaufsformen sind wiederholte Stuhluntersuchungen nötig, und
durch Stuhlkonzentrierungsmethoden erhöht sich die Chance, Zysten zu finden.
Mithilfe einer Duodenalsonde oder schluck- und rückholbarer Kapseln und Fäden
lassen sich Trophozoiten auch direkt aus dem Dünndarm gewinnen. Verfügbar sind
ELISA-Tests von guter Spezifität.

Giardia-lamblia-Infektionen können mit


unterschiedlichen Mitteln behandelt werden

618
In Frage kommen Metronidazol und Tinidazol, eine wiederholte Behandlung kann
erforderlich sein. Zur Prävention empfehlen sich die üblichen öffentlichen
Hygieneund sanitären Vorkehrungen; zusätzlich sollte eine als Infektionsquelle
verdächtige Trinkwasserversorgung verbessert werden (Kläranlagen, Chlorzusatz).
Vorsicht ist auch beim Trinken natürlichen Quellwassers geboten, das ebenfalls
verseucht sein könnte.

Cryptosporidium parvum

Cryptosporidium parvum ist bei Tieren weit verbreitet


Dass C. parvum auch bei Menschen ein wichtiger Auslöser von Diarrhoen ist, drang
erst mit Beginn der AIDS-Epidemie ins Bewusstsein; bekannt war nur, dass ähnliche
Parasiten verbreitet bei Tieren vorkommen. Von den beiden bekannten Genotypen
ist einer humanpathogen, während der andere primär tierische Infektionen
(Rinder) verursacht, aber offenbar auch auf Menschen übertragbar ist
(Kreuzinfektion). Kryptosporidien haben einen komplexen Lebenszyklus und
durchlaufen ihre asexuelle und sexuelle Entwicklung ohne Wirtswechsel.

Die Übertragung erfolgt fäkal-oral durch Material, das mindestens 10 Oozysten


enthält (Abb. 22.28). Im Dünndarm setzen die resistenten und 4–5 μm im
Durchmesser großen Oozysten infektiöse Sporozoiten frei, die in Epithelzellen
eindringen. Fest mit der apikalen Plasmamembran verbunden bilden sie Schizonten,
aus denen durch Teilung Merozoiten hervorgehen, die zur Invasion weiterer
Epithelzellen befähigt sind. Schließlich tritt die sexuelle Entwicklungsphase ein,
nach der wieder Oozysten freigelassen werden.

Wahrscheinlich findet bei Mensch und Tier am häufigsten eine Übertragung durch
kontaminiertes Wasser statt. 1993 kam es in Milwaukee (USA) zu einer
Masseninfektion mit C. parvum, in deren Verlauf rund 403000 Menschen an
wässriger Diarrhoe erkrankten. Die Infektionsquelle dürften Rinder gewesen sein
und die Übertragung erfolgte über die öffentliche Wasserversorgung.

619
C.-parvum-Diarrhoen verlaufen mittelschwer bis
schwer
Eine C.-parvum-Infektion kann unter dem Bild einer mäßigen bis schweren profusen
Diarrhoe in Erscheinung treten, die bei normaler Immunlage nach einer Dauer von
15–40 Tagen selbstlimitierend verläuft, bei Patienten mit Immunschwäche aber
chronisch werden kann. AIDS-Patienten leiden häufiger an einer Kryptosporidiose.
Bei Werten unter 100/mm3 CD4-positiven T-Zellen kann die anhaltende Diarrhoe
irreversibel und lebensbedrohlich werden.
Abb. 22.28 Stuhlprobe mit Oozysten von
Cryptosporidium parvum.

(mit freundlicher Genehmigung von S. Tzipori)

Zur Diagnose reicht eine Routine-Stuhluntersuchung


nicht aus
Um Oozysten gewinnen und identifizieren zu können, sind
Konzentrierungsmethoden und Spezialfärbungen (z.B. modifizierte Ziehl-
Neelsen-Färbung) der Stuhlproben erforderlich. Angewandt werden direkte
Immunfluoreszenz und ELISA, während ein DNA-Nachweis (mittels Polymerase-
Kettenreaktion) derzeit noch entwickelt wird.

Nur Patienten mit Immunschwäche müssen


behandelt werden
Durch antivirale Mittel bessert sich die Diarrhoe bei AIDS-Patienten. Mit
begrenztem Erfolg wurde Spiramycin (ein Makrolid) eingesetzt. Unter
Paromomycin und Azithromycin wurden zwar weniger Oozysten gebildet, aber die
Infektion nicht beseitigt. Zur Prävention empfehlen sich ähnliche öffentliche
Hygienemaßnahmen wie gegen Giardiasis bzw. Lambliasis. Allerdings sind
Kryptosporidien resistenter gegen chloriertes Wasser.

620
Cyclospora, Isospora und Mikrosporidien
1994 wurde Cyclospora cayetanensis identifiziert; mittlerweile sieht man darin einen
Auslöser von Reisediarrhoen. Der Erreger kann mit Obst importiert werden; in den
USA kam es 1997 z.B. durch Himbeeren aus Guatemala zum Ausbruch der Infektion.
Auch Vögel können eine wichtige Infektionsquelle sein. Bei immunsupprimierten
Patienten ist die Diarrhoe schwerer und länger anhaltend. Ein wirksames Mittel ist Co-
trimoxazol (Trimethoprim-Sulfamethoxazol).

Isospora belli ist wie Cyclospora cayetanensis und Cryptosporidium parvum ein
(Kokzidien-) Parasit, der seine Entwicklungsphasen in Schleimhautepithelzellen
durchläuft. Besonders schwere Symptome – Gewichtsverlust oder sogar Tod – durch
die persistierende Diarrhoe treten bei AIDS-Patienten auf.

Als seltene Gruppe können auch Mikrosporidien bei AIDS- und anderen
immunsupprimierten Patienten Diarrhoen verursachen. Häufig ist Enterozoon bieneusi
der Auslöser, aber auch Encephalitozoon intestinalis kommt vor. Die Übertragung
erfolgt scheinbar auf direktem Weg. Mit Erfolg wurden Albendazol und Metronidazol
zur Behandlung eingesetzt.

„Unbedeutendere“ Darmprotozoen
Der menschliche Darm beherbergt eine Vielzahl von Protozoen. Die meistens dürften
völlig harmlos sein (Abb. 22.23), einige wie z.B. Balantidium coli, Blastocystis
hominis, Dientamoeba fragilis oder Sarcocystis hominis spielen jedoch eine fragliche
Rolle im Hinblick auf Erkrankungen.

22.4.2 Wurminfektionen

Klinisch sind Nematoden, die „Würmer aus dem


Boden“, am wichtigsten
Aus dem Erdboden werden zwei Gruppen von Helminthen übertragen:

■ Als verschluckte infektiöse Wurmeier gelangen Ascaris


lumbricoides(Spulwurm) und Trichuris trichiura(Peitschenwurm) in den Darm.

■ Hakenwürmer (Ancylostoma duodenale, Necator americanus) und der


Zwergfadenwurm (Strongyloides stercoralis) dringen als infektiöse Larven in die
Haut ein und wandern im Körper durch die Lunge zum Darm.

Mit Ausnahme von Trichuris trichiura (im Dickdarm) besiedeln alle Würmer den
Dünndarm.

In den entwickelten Ländern ist vermutlich der fadenförmige Madenwurm


Enterobius vermicularis der häufigste Rundwurm im (Dick-) Darm – und die bei
weitem harmloseste Spezies. Die infektiösen Eier werden von den Weibchen in
perianalen Hautfalten abgelegt. Da sie Juckreiz verursachen, findet die Übertragung
meist direkt über kontaminierte Finger statt; andererseits sind die Eier auch leicht
genug, um im Staub zu schweben.

621
Wurminfektionen durch Umweltbestandteile kommen meist in wärmeren
Entwicklungsländern vor. Etwa ein Viertel der Erdbevölkerung trägt Darmwürmer in
sich, wobei die am häufigsten betroffene Gruppe Kinder sind. Dass Fäkalien
unzureichend beseitigt werden, die Wasserversorgung oft kontaminiert ist und
Fäkalien als Düngemittel verwendet werden, begünstigt die Übertragung ebenso wie
niedrige Hygienestandards (s. unten). Riesige Mengen von Eiern werden von den
weiblichen Würmern abgesetzt (Zehntausende beim Peitschenwurm und beim
Hakenwurm, Hunderttausende beim Spulwurm).

Lebenszyklus und Übertragung

Die von Ascaris- und Trichuris-Weibchen im


Dünndarm abgelegten Eier werden im Stuhl
ausgeschieden; sobald ein anderer Wirt sie
verschluckt hat, schlüpfen Larven
In Abb. 22.29 sind die dickschaligen Wurmeier von Ascaris und Trichuris gezeigt.
Erst nach mehrtägiger Inkubation unter optimalen Bedingungen (Wärme, hohe
Feuchtigkeit) können sich aus den Eiern infektiöse Larvenstadien entwickeln. In
dem Fall bleiben sie je nach dem lokalen Mikroklima wochen- bis monatelang
infektiös. Nach ihrem Verschlucken werden die Eier im Dünndarm „bebrütet“, bis
die Larvenstadien schlüpfen.

Ascaris -Larven durchdringen die Darmwand und werden vom Blut in die Leber
und zur Lunge transportiert. Von dort steigen sie in Bronchien und Luftröhre hoch,
werden wieder verschluckt und landen erneut im Dünndarm. Die adulten Würmer
halten sich frei im Darmlumen auf und ernähren sich vom Darminhalt. Trichuris -
Larven bleiben dagegen im Kolon und dringen in die Epithelschicht ein, um dort
voll auszureifen.

622
Aus den dünnschaligen Eiern adulter Hakenwürmer
schlüpfen kurz nach der Ausscheidung im Stuhl
Larven
In Abb. 22.29c ist ein dünnschaliges Hakenwurmei zu sehen. Erst wenn sie sich
lange genug von Bakterien ernährt haben und infektiös geworden sind, bewegen sich
die Larven von Ancylostoma duodenale und Necator americanus aus den
Stuhlmassen heraus. Der Infektionsweg beginnt an ungeschützten Hautstellen, mit
denen die Larven in Berührung kommen (oder – wie im Fall von A. duodenale –
zusätzlich durch Verschlucken). Nachdem sie sich durch die Haut gebohrt haben,
gelangen die Larven im Blut zur Lunge, steigen in der Trachea hoch und werden
wieder verschluckt.

Die adulten Hakenwürmer halten sich mit ihren großen Mundwerkzeugen an der
Darmmukosa fest und beißen Gewebestückchen ab, damit die Kapillargefäße
einreißen und sie Blut saugen können.
Abb. 22.29 Im Stuhl ausgeschiedene Eier und
Larven von Nematoden.

a) Ascaris-Ei (fertil); b) Trichuris-Ei; c) Hakenwurmei, das sich in der


Stuhlprobe weiter teilen und zum Zeitpunkt der Untersuchung bereits ein 16-
oder 32-zelliges Stadium erreicht haben kann; d) Strongyloides-stercoralis-Larve
(mit freundlicher Genehmigung von J.H. Cross).

623
Aus den Eiern adulter Strongyloides-Weibchen
schlüpfen im Dünndarm Larven
Trotz seiner Ähnlichkeit mit Hakenwürmern weist der Zwergfadenwurm ein paar
wichtige Unterschiede im Lebenszyklus auf. Bei den adulten Strongyloides- Formen
handelt es sich um parthenogenetische Weibchen. Sie legen ihre Eier in der
Darmschleimhaut ab. Nachdem sie im Dünndarm geschlüpft sind, werden die
Wurmlarven mit dem Stuhl ausgeschieden (Abb. 22.29d). Außerhalb ihres Wirts
können sie sich – nach dem Muster der Hakenwürmer – unmittelbar zu infektiösen
Stadien entwickeln, die gleich wieder durch die Haut eindringen oder erst auf dem
Umweg über eine komplett frei lebende Generation infektiös werden.

Unter bestimmten Umständen (vor allem bei Immunschwäche des Wirts) kann es
zur erneuten Invasion der Strongyloides-Larven kommen, ohne dass sie aus dem
Körper ausgeschieden wurden. Aus dieser Autoinfektion kann eine „disseminierte
Strongyloidose“ als besonders schweres Krankheitsbild hervorgehen.

Obwohl alle „Boden-Helminthen“ ziemlich langlebig sind (mehrere Monate bis


Jahre), gibt es Fallberichte von Strongyloides-Infektionen, die über 30 Jahre
anhielten. Das lässt sich wohl nur durch innere Prozesse einer fortgesetzten
Autoinfektion erklären.

Klinik
Wurminfektionen verursachen bei den meisten Menschen eher leichte chronische
Symptome wie Darmbeschwerden und selten schwere Diarrhoen oder akute
Symptome. Wurminfektionen können aber auch Überempfindlichkeitsreaktionen
hervorrufen und dazu führen, dass Impfungen schlechter anschlagen. Jedem
Wurmparasiten lassen sich typische Symptome zuordnen.

Darmverschluss durch adulte Ascaris-Würmer


Bei ihrer Wanderung durch die Lunge können Ascaris-Larven eine schwere
Atemstörung (Pneumonie) verursachen; oft kommt es begleitend zu einer
ausgeprägten Eosinophilie. Intestinale Infektionsstadien führen zu Bauchschmerzen,
Übelkeit und Verdauungsstörungen. Sie können neben einem unzureichenden
Nährstoffangebot bei Kindern zum klinischen Bild der Mangel- oder
Unterernährung beitragen.

In großer Zahl vorhandene adulte Würmer können einen mechanischen


Dünndarmverschluss bewirken (auch nach Behandlung mit Wurmmitteln).
Würmer aus dem Dünndarm wandern bevorzugt den Gallengang hinauf und können
daher eine Cholangitis auslösen. Auch eine Dünndarmperforation ist möglich.
Selbst an ausgefallenen Stellen wie der Augenhöhle oder der (männlichen)
Harnröhre waren gelegentlich Würmer nachzuweisen. Ascaris-Infektionen wirken in
hohem Maße allergen, so dass die Hypersensitivitätssymptome oft noch Jahre
danach weiterbestehen.

624
Chronische Diarrhoe bei mäßiger bis schwerer
Trichuris-Infektion
Wie bei allen Wurminfektionen sind Kinder die am stärksten betroffene
Bevölkerungsgruppe. Obwohl ihnen gewöhnlich kaum eine klinische Bedeutung
beigemessen wird, können mäßige bis schwere Trichuris- Infektionen nach neueren
Forschungsergebnissen zu chronischen Durchfällen bei Kindern führen (Abb.
22.30). Unterernährung und Wachstumsverzögerung sind die sichtbaren Folgen.
Gelegentlich kommt es bei schweren Infektionen zum Rektumprolaps.

Eisenmangelanämie durch Hakenwurmbefall


Durch ihre Invasion von Haut und Lunge können Hakenwurmlarven eine
Dermatitis bzw. Pneumonie verursachen. Da adulte Hakenwürmer im Dünndarm
Blut saugen, kann es bei Fehlernährung sogar zu einer Eisenmangelanämie
kommen. Eine schwere Infektion macht sich oft als ausgeprägte Hinfälligkeit und
Wachstumsretardierung bemerkbar.

Für Immunsupprimierte kann eine Strongyloidosis


verheerende Folgen haben
Die persistierenden und profusen Diarrhoen infolge einer schweren Darminfektion
mit Strongyloides stercoralis (Strongyloidosis) führen zu Dehydratation und
Elektrolytstörungen. Durch tiefe Schleimhautschäden kann es auch zu einem
Malabsorptionssyndrom kommen, das gelegentlich mit tropischer Sprue
verwechselt wird. Aufgrund ihrer Immunschwäche sind AIDS- oder Krebskranke
und Patienten mit medikamentöser Immunsuppression für eine disseminierte
Strongyloidosis anfällig. Für sie stellt die Invasion tausender autoinfektiöser Larven
eine tödliche Bedrohung dar.

625
Abb. 22.30 Wurmbefall bei einem gesunden Kind
(Trichuriasis).

Proktoskopisch sind zahlreiche adulte Exemplare von Trichuris trichiura an der


Darmmukosa zu sehen (mit freundlicher Genehmigung von R.H. Gilman).

Übliches Zeichen einer Fadenwurminfektion ist der Analpruritus, der gelegentlich


mit leichter Diarrhoe einhergeht. Manchmal kann eine Appendizitis mit Würmern
zusammenhängen, die in den Wurmfortsatz gewandert sind. Vereinzelt wurde über
einen vaginalen Wurmbefall bei kleinen Mädchen berichtet.

Labordiagnostik
Alle genannten Wurminfektionen lassen sich anhand von Larven oder Eiern in
frischen Stuhlproben diagnostizieren (direkte Ausstrichpräparate oder
Konzentrierungsmethoden). Immunologische Nachweisverfahren für Darmwürmer
befinden sich erst noch in einer frühen Entwicklungsphase. Ascaris-, Hakenwurm- und
Strongyloides-Infektionen sind meist mit einer starken Bluteosinophilie verbunden,
die zwar nicht als diagnostisch beweisend, aber doch als hoch verdächtig für
Wurminfektionen gelten kann.

Typisches Aussehen der Wurmeier


Wie in Abb. 22.29 gezeigt, sind die Eier von Ascaris, Trichuris und Hakenwürmern
leicht erkennbar. Um die Hakenwurmspezies zu bestimmen, müssen von den Eiern
Stuhlkulturen angelegt werden, damit die Larven schlüpfen und bis zum
infektiösen dritten Stadium heranreifen. Adulte Ascaris-Würmer sind manchmal
direkt beim Röntgen nachzuweisen (Abb. 22.31).

Strongyloides-Infektionen werden durch den Nachweis von Larven in frischen


Stuhlproben diagnostiziert.

626
Eier in perianalen Hautfalten sprechen für einen
Fadenwurmbefall
Manchmal sind adulte Enterobius-Würmer im Stuhl zu sehen, doch ihre Eier werden
direkt auf der Perianalhaut abgelegt und tauchen daher nur selten in Stuhlproben auf
(Abb. 22.32). Wird der Bereich mit einem Klebestreifen abgewischt
(„Tesafilmtest“), können die hängen gebliebenen Eier unter dem Mikroskop
betrachtet werden.
Abb. 22.31 Füllungsdefekt bei Ascaris -Befall des
Dünndarms

(Röntgenaufnahme nach Bariumbreischluck; mit freundlicher Genehmigung von


W. Peters).

627
Abb. 22.32 Enterobius -Ei auf der Perianalhaut.

(mit freundlicher Genehmigung von J.H. Cross)

Behandlung und Prävention


Zur Behandlung von Nematodeninfektionen stehen mehrere Antihelminthika zur
Verfügung. Piperazin wurde mit großem Erfolg gegen Ascaris-, Haken- und
Fadenwurmbefall eingesetzt, doch inzwischen gibt es neuere Mittel (Albendazol,
Mebendazol, Levamisol, Pyrantel), die bei Trichuriasis und Strongyloidosis genauso
wirksam sind (vor allem Albendazol und Levamisol).

Im Sinne der Prävention ist eine Verbesserung der hygienischen und sanitären
Verhältnisse mit adäquater Entsorgung der Fäkalien anzustreben.

Andere Darmwürmer

Die meisten anderen Wurmarten, die den Darm


befallen können, kommen in den entwickelten
Ländern nur selten vor
Bandwürmer des Menschen:

■ Am weitesten verbreitet ist der über infiziertes Rindfleisch übertragene


Rinderbandwurm (Taenia saginata). Bis auf Übelkeit bei der Passage großer
Bandwurmglieder verläuft die Infektion jedoch im Allgemeinen asymptomatisch.
Die Diagnose stützt sich auf den Nachweis von Bandwurmgliedern (Proglottiden)
oder der typischen Eier im Stuhl (Abb. 22.33).

628
■ Der Fischbandwurm (Diphyllobothrium latum) ist geografisch weit verbreitet,
befällt aber nur Menschen, die rohen oder nicht ausreichend gegarten Fisch
verzehren (der infektiöse Larvenstadien enthält). Diagnostisch beweisend sind Eier
im Stuhl, die bei dieser Wurmart einen Deckel am Ende haben (Abb. 22.34a).

■ Der Zwergbandwurm (Hymenolepis nana) kommt in erster Linie bei Kindern


vor, die sich durch Verschlucken der Eier infizieren (Abb. 22.34b). Durch
Autoinfektion kann er sich im Darm des Wirts sehr rasch vermehren (führt zu
Diarrhoe und Abdominalbeschwerden).

Alle genannten Bandwürmer können mit Praziquantel oder Niclosamid


ausgetrieben werden.

Auch eine Trichinella-spiralis- Infektion kann Darmbeschwerden (vor allem


Durchfall und Bauchschmerzen) verursachen. Bekannter ist diese Nematodenart
aber für Symptome, die durch ihre Entwicklungsphase in Blut und Muskeln
ausgelöst werden (s. Kap. 26 und 28). Eine Infektion der Mesenterialgefäße (durch
Schistosoma japonicum und S. mansoni) kann ebenfalls zu Darmsymptomen
führen. Bei ihrer Passage durch die Wand des Dünndarms rufen Schistosomen-Eier
so starke entzündliche Reaktionen hervor, dass sich granulomatöse Läsionen bilden.
In der früh-akuten Phase kann Durchfall auftreten. Schwere, chronische
Verlaufsformen einer S.-mansoni-Infektion gehen mit entzündlichen Kolonpolypen
einher, während bei einer S.-japonicum-Infektion der Dünndarm stärker beteiligt ist.
Abb. 22.33 Taenia saginata.

a) Nach Anfärbung mit Tinte zeigen sich die zahlreichen Seitenäste reifer
Proglottiden. b) Ei mit Sechshakenlarve (mit freundlicher Genehmigung von R.
Muller & J.R. Baker).
Abb. 22.34 Bandwurmeier.

629
a) Diphyllobothrium latum und b) Hymenolepis nana (mit freundlicher
Genehmigung von R. Muller & J.R. Baker).

22.5 Vom Gastrointestinaltrakt ausgehende


systemische Infektionen
In der Einleitung zu diesem Kapitel haben wir darauf hingewiesen, dass sich Infektionen
durch die Aufnahme von Pathogenen auf den Verdauungstrakt beschränken oder in andere
Organe und Körpersysteme ausbreiten (disseminieren) können. Wichtige Beispiele für
disseminierte Infektionen sind Typhus und Paratyphus oder die Virushepatitiden A und
E. Anscheinend wird auch die Listeriose auf gastrointestinalem Weg erworben. Aus
Gründen der Übersichtlichkeit werden andere Virushepatitisformen in diesem Kapitel mit
abgehandelt.

22.5.1 Typhus abdominalis und Paratyphus


(„enterisches Fieber“)
Der Begriff „enterisches Fieber“ wurde im letzten Jahrhundert eingeführt, um besser
zwischen Typhus exanthematicus („Fleckfieber“, s. Kap. 27) und Typhus
abdominalis („Bauchtyphus“) unterscheiden zu können. Der gemeinsame Wortstamm
(Anmerkung: im Englischen ist typhus = Fleckfieber und typhoid = Typhus) legt den
Verdacht nahe, dass beide Krankheiten jahrelang verwechselt wurden.

Doch selbst als die Auslöser (Salmonella typhi bei Typhus, Rickettsien bei Fleckfieber)
noch nicht isoliert waren, wurde bereits betont, dass „die Darmläsionen bei Typhus
genauso wenig mit den pathologischen Folgen des Fleckfiebers zu verwechseln sind wie
ein Masernexanthem mit dem Pockenausschlag“. Typhus/Paratyphus wird nicht nur von
S. typhi, sondern noch durch drei andere Spezies verursacht:

630
S. typhi, S. paratyphi A, S. paratyphi B (auch S.
schottmuelleri) und S. paratyphi C (auch S.
hirschfeldii)
Diese Salmonellenspezies sind ausschließlich humanpathogen und verfügen über
kein Tierreservoir. Daher breitet sich die Infektion – meist über kontaminierte
Nahrung oder Wasser – von Mensch zu Mensch aus. Nach einer Infektion können die
Betroffenen oft monate- oder jahrelang Erreger in sich tragen und damit zur ständigen
Infektionsquelle für andere werden. Als langjährige Trägerin löste z.B. eine New
Yorker Köchin („Typhus-Mary“) Anfang des 20.Jahrhunderts mindestens 10
Masseninfektionen aus.

Salmonellen vermehren sich in Makrophagen und


breiten sich so im Körper aus
Nach oraler Aufnahme dringen Salmonellen, wenn sie die Abwehrmechanismen im
Magen und Dünndarm überwunden haben, vermutlich im mittleren (Jejunum) oder
distalen Abschnitt (Ileum) über Peyer-Plaques in die Mukosa ein (Abb. 22.35). Nach
Überwinden der Schleimhautbarriere gelangen sie in Darmlymphknoten, wo sie im
Innern der Makrophagen überleben und sich vermehren können (Abb. 15.5). In den
Makrophagen werden sie über mesenteriale Lymphknoten weiter zum Ductus
thoracicus transportiert und schließlich in den Blutstrom freigesetzt. Die im Blut
kreisenden Keime können in zahlreiche Organe streuen (Dissemination),
konzentrieren sich aber vor allem in den Zellen des retikuloendothelialen Systems
(d.h. in Milz, Knochenmark, Leber und Peyer-Plaques).

Nach ihrer Vermehrung, z.B. in den Kupffer-Zellen der Leber, kehren sie vom
retikuloendothelialen System zurück ins Blut und erreichen auf diesem Weg andere
Organe (z.B. die Nieren). Da Salmonellen sehr resistent gegen Galle sind, können sie
die Gallenblase entweder hämatogen oder über das Gallenwegssystem von der Leber
aus infizieren. So kommt S. typhi dann ein zweites Mal – allerdings in viel größeren
Mengen – in den Dünndarm. Die starke Entzündungsreaktion der Peyer-Plaques,
die das verursacht, führt zu Ulzerationen mit drohender Perforation des Dünndarms.

Die typischen rosa Flecken am Oberbauch fehlen bei


der Hälfte der Patienten
Nach einer Inkubationszeit von 7–21 (durchschnittlich 10–14) Tagen beginnt die
Erkrankung schleichend mit unspezifischen Symptomen wie Fieber und
allgemeinem Krankheitsgefühl; das lässt wegen der begleitenden Gliederschmerzen
und Atemwegssymptome häufig an eine Erkältung denken (s. Kap. 15). Es können
Diarrhoe oder Obstipation auftreten. In diesem Stadium tritt oft Fieber auf (Fieber
unerklärlicher Ursache, FUO, s. Kap. 29), das unbehandelt weiter ansteigt.

Jetzt sind die Patienten akut krank und können einen makulopapulösen Ausschlag
bekommen. Die typischen rosa Flecken am Oberbauch, die bei Druck abblassen (Abb.
22.36), fehlen jedoch bei der Hälfte der Patienten. Als flüchtige Erscheinung sind sie
innerhalb von Stunden oder Tagen wieder verschwunden. Ohne Behandlung dauern
auch unkomplizierte Infektionen mindestens 4–6 Wochen.

631
Abb. 22.35 Typhus abdominalis.

Schnittbild des Ileums; typhöses Ulkus mit transmuraler Entzündungsreaktion,


Nekroseherde (N) und fibrinöses Exsudat (E) auf der Serosa. Hämatoxylin-Eosin-
Färbung (mit freundlicher Genehmigung von M.S.R. Hutt).

Bevor es Antibiotika gab, starben 12–16% der


Patienten – meist an Komplikationen
Die Typhus-Komplikationen lassen sich danach unterteilen, ob sie:

■ durch Darmläsionen (z.B. Hämorrhagie oder Perforation, Abb. 22.37) oder

■ toxämisch (z.B. Myokarditis, Leber- und Knochenmarkschädigung) bedingt,

■ Folge einer längeren schweren Erkrankung oder

■ auf eine Keimvermehrung an anderer Stelle (Meningitis, Osteomyelitis,


Endokarditis) zurückzuführen sind.

632
Abb. 22.36 Rosa Hautflecken bei Typhus.

(mit freundlicher Genehmigung von W.E. Farrar)


Abb. 22.37 Klinischer Verlauf von Typhus.

Neben der Fieberkurve sind Pulsfrequenz und bakteriologische Befunde


eingetragen. Als Komplikation trat bei diesem Patienten eine massive Blutung auf
(mit freundlicher Genehmigung von H.L. DuPont).

Als noch keine Antibiotika verfügbar waren, starben 12–16% der Patienten in der
dritten oder vierten Krankheitswoche an Komplikationen. Nach anfänglicher
Genesung kam es auch häufig zu Rückfällen.

1–3% der Patienten werden chronische Träger des


Typhuserregers

633
Die meisten Patienten scheiden noch Wochen nach ihrer Genesung weiter S. typhi im
Stuhl aus. 1–3% werden zu chronischen Trägern (definiert als Stuhl- oder
Urinausscheidung von S. typhi über ein Jahr nach der Infektion). Chronische Träger
sind überwiegend Frauen, ältere Menschen und Patienten mit Gallen- oder
Harnblasenerkrankungen (z.B. Gallensteine oder Schistosomiasis).

Die Diagnose stützt sich auf die Isolierung von S. typhi


oder S. paratyphi mithilfe von selektiven Nährböden
Allein aufgrund des klinischen Bildes lässt sich die Diagnose nicht stellen, auch wenn
rosa Flecken bei Patienten mit Fieber hoch verdächtig sind. Blut-, Stuhl- und
Urinproben sollten auf selektiven Nährmedien kultiviert werden.

Mit dem Widal-Test (Agglutinationstest) ist eine Antikörperreaktion nachzuweisen.


Ein Titeranstieg der H- und O-Antikörper kann allerdings auch durch eine
unspezifische Kreuzreaktion mit anderen Enterobakterien verursacht sein. Die
Befundinterpretation ist schwierig und setzt voraus, dass die normalen Antikörpertiter
in der Bevölkerung und der Impfstatus der Patienten bekannt sind. Sinnvoller als eine
Einzelprobenuntersuchung ist der Nachweis eines Serumtiteranstiegs zwischen Akut-
und Rekonvaleszenzphase. Im besten Fall bestätigt das Ergebnis die mikrobiologische
Diagnose.

Gleich nach Diagnosestellung mit einer


Antibiotikatherapie beginnen
Ciprofloxacin oder Ceftriaxon (und als zweite Wahl Cefixim) wurden mit Erfolg
angewandt. Die Antibiotikatherapie sollte noch mindestens eine Woche nach
Normalisierung der Körpertemperatur fortgesetzt werden. Mit einigen Antibiotika, die
sich in vitro als wirksam erwiesen, ließ sich klinisch keine Heilung erzielen, weil sie
vermutlich nicht bis zu den intrazellulären Bakterien vordrangen. Berichtet wurde von
S.-typhi-Resistenzen gegen eine Reihe von Antibiotika.

Zur Prävention: öffentliche Hygienemaßnahmen,


Behandlung chronischer Träger und Impfung
Um die Infektionskette abreißen zu lassen, sind gute persönliche und öffentliche
Hygiene mit Abwasserentsorgung und sauberer Trinkwasserversorgung erforderlich.
Trotzdem kommt es in den entwickelten Ländern zwar selten, aber immer noch zu
Typhusfällen.

Typhusträger stellen ein öffentliches Gesundheitsrisiko dar und dürfen keiner


Beschäftigung nachgehen, bei der sie Umgang mit Lebensmitteln haben. Um die
Infektion auszurotten, sollten alle Anstrengungen unternommen werden, auch Träger
antibiotisch zu behandeln; falls dies erfolglos bleiben sollte, ist eine Entfernung der
Gallenblase (üblicher Sitz der Erreger) zu erwägen.

Die Impfung erfolgt als einmalige Injektion einer Typhim-Vi-Dosis (Vakzine mit
Polysaccharid-Kapselantigen) oder oral (abgeschwächter Lebendimpfstoff mit Ty21a-

634
Stamm). Reisenden in Entwicklungsländer ist die Impfung zu empfehlen. Ein
kompletter Impfschutz besteht aber nur bei 50–80% der Geimpften.

22.5.2 Listeriose

Ein Listerieninfektion tritt oft bei Schwangeren und


geschwächter Immunlage auf
Listeria monocytogenes ist ein Gram-positives kokkoides Stäbchen, das verbreitet bei
Tieren und in der Umgebung vorkommt. Zunehmend häufiger findet man den
Erreger in Lebensmitteln wie roher Leberpastete, Milch, Weichkäse und Krautsalat.
Studien mit unpasteurisierter Milch ergaben, dass weniger als 1000 Keime zur
Erkrankung ausreichen und dass sich Listerien selbst bei Kühlschranktemperaturen
noch vermehren, zwar nur langsam, aber doch so, dass ihre Zahl auch in gekühlt
aufbewahrten Lebensmitteln bis zur Infektionsdosis ansteigt. Ein Infektionsrisiko
besteht vor allem für:

■ Schwangere (mit Ansteckungsgefahr für das Kind im Uterus oder unter der
Geburt),

■ Menschen mit geschwächter Immunabwehr,

■ Krebspatienten (besonders bei Leukämie).

In den meisten Fällen tritt die Erkrankung als Meningitis in Erscheinung (s. Kap. 24).

22.5.3 Virushepatitis

Die alphabetisch mit A bis E bezeichneten


Hepatitisviren greifen direkt die Leber an
„Hepatitis“ bedeutet so viel wie Entzündung oder Schädigung der Leber. Ihre
Ätiologie reicht von nichtinfektiösen, multisystemischen Erkrankungen über
Arzneimitteltoxizität bis hin zu Infektionen (in erster Linie durch Viren, seltener
Bakterien, z.B. Leptospiren, oder andere Mikroorganismen). Das klinische
Krankheitsbild ist breit gefächert, die Erkrankung verläuft asymptomatisch oder
symptomatisch mit Krankheitsgefühl, Appetitmangel, Übelkeit, Abdominal-
schmerzen, Ikterus, in seltenen Fällen kommt es zu Leberversagen als akut
lebensbedrohlicher Zustand.

Ikterus ist die klinische Bezeichnung für die gelbliche Verfärbung von Haut, Skleren
und Schleimhäuten. Die „Gelbsucht“ beruht auf einer Leberzellschädigung, die dazu
führt, dass Bilirubin aus der Leber nicht mehr in die Galle übergeht und sich die
Bilirubinkonzentration in Körperflüssigkeiten erhöht.

Bevor es zum Funktionsausfall (funktionelles Leberversagen) kommt, muss über die


Hälfte der Leberzellen geschädigt oder zerstört sein. Obwohl sich Leberzellen schnell
regenerieren, kann ihre reparative Fibrosierung – besonders bei persistierender

635
Infektion – zu einer bleibenden Schädigung führen (Leberzirrhose). Eine zirrhotisch
veränderte Leber ist klein und geschrumpft, die Funktion ist beeinträchtigt.

Als Hepatitisviren werden mindestens sechs verschiedene Viren bezeichnet, die sich
klinisch meist nicht unterscheiden lassen (Tab. 22.8). Hepatitis A und Hepatitis E
werden fäkal-oral übertragen; beide Infektionen heilen aus, ohne in einen Trägerstatus
überzugehen. Dagegen können Patienten mit Hepatitis B, D (Deltavirus) und C zu
chronischen Trägern werden. Diese Infektionen werden alle ähnlich übertragen –
durch mit Blut kontaminierte Instrumente oder auf sexuellem Weg (letzteres bei
Hepatitis B weitaus häufiger als bei C).

Es gibt zwar Berichte über Erreger, die man den Non-A-non-B-Hepatitiden zuordnen
könnte, doch es deutet nichts darauf hin, dass diese GB-, Hepatitis-G- und TT-Viren
die Leber direkt infizieren. Vielmehr scheint es sich bei der Leberentzündung nur um
eine Begleiterscheinung zu handeln. Auf Viren, die im Rahmen anderer Syndrome
eine Hepatitis verursachen, wird in anderen Kapiteln eingegangen.

Tab. 22.8 Hauptursachen einer Virushepatitis.


Ein deutlicher Anstieg der Serumaminotransferasen (Alaninaminotransferase, ALT,
und Aspartataminotransferase, AST) ist typisch für eine akute Virushepatitis. Seit
einigen Jahren gibt es spezifische Labortests auf Hepatitisviren (HAV, HBV, HCV,
HDV und HEV). Impfstoffe sind bislang nur gegen Hepatitis A und B zugelassen. Zur
Behandlung von Hepatitis B und C stehen spezifische antivirale Therapien mit/ohne
Immunmodulatoren zu Verfügung.

636
Hepatitis A
Auslöser ist ein einzelsträngiges, hüllenloses RNA-Virus, das als Hepatitis-A-Virus
(HAV) bezeichnet und neuerdings als eigene Gattung (Hepatovirus) der Familie der
Picornaviridae zugeordnet wird. Von dem weltweit endemischen Virus gibt es nur
einen Serotyp.

HAV wird auf fäkal-oralem Weg übertragen


Das in großen Mengen im Stuhl (pro Gramm 108 Infektionsdosen) ausgeschiedene
Virus breitet sich über engen Kontakt (Hände, Analverkehr) oder kontaminierte
Nahrung bzw. Wasser von Mensch zu Mensch aus. Nach einer Inkubationszeit von
durchschnittlich vier (3–5) Wochen bricht die Erkrankung aus. Im Stuhl ist das
Virus etwa von 1–2 Wochen vor dem Auftreten von Symptomen bis zum Ende der
ersten (manchmal auch noch zweiten und dritten) Krankheitswoche vorhanden. In
Schulen und Lagern kann es durch den engen Kontakt zu massenhaften HAV-
Infektionen kommen. Infektionsquellen sind üblicherweise verseuchtes Wasser
und/oder Nahrung (Abb. 22.38).

Während sich bis zu 90% der Kinder in Entwicklungsländern bereits mit 5 Jahren
infiziert haben, sind in höher entwickelten Ländern bis zu 20% der jüngeren
Erwachsenen betroffen. Früher lag der Anteil über 20%, ging aber infolge besserer
sanitärer Verhältnisse und der geringeren Bevölkerungsdichte zurück.
Abb. 22.38 Durch kontaminierte Muscheln können
sich Menschen mit dem Hepatitis-A-Virus (HAV)
infizieren.

Bei Kleinkindern verläuft die Hepatitis A klinisch


milder als bei älteren Kindern und Erwachsenen
An unbekannten Stellen im Verdauungstrakt geht das HAV ins Blut über und
vermehrt sich, bevor es Leberzellen infiziert. Danach gelangt es über die
Gallenwege in den Dünndarm und erscheint im Stuhl (Abb. 22.39). In diesem
Stadium befinden sich nur geringe Virusmengen im Blut. Wir wissen nicht genau,

637
was sich in der verhältnismäßig langen Inkubationszeit noch abspielt. Jedenfalls
scheinen die Leberzellen direkt von den Viren geschädigt zu werden.

Gewöhnlich treten Symptome wie Fieber, Appetitverlust, Übelkeit und Erbrechen


auf; eine Gelbsucht kommt häufiger bei Erwachsenen vor. Im Allgemeinen verläuft
der Beginn einer Hepatitis A akuter als der einer Hepatitis B. Am besten wird der
Nachweis mit einem Labortest auf HAV-spezifische IgM-Antikörper im Serum
geführt.

Gepooltes humanes (normales) Immunglobulin enthält HAV-Antikörper und kann


als prä- oder postexpositionelle Prophylaxe verabreicht werden, um die Infektion
zu verhindern oder abzuschwächen. Spezifische antivirale Mittel stehen nicht zur
Verfügung. Inzwischen ist jedoch ein wirksamer Formaldehyd-inaktivierter
Impfstoff erhältlich, der besonders Personengruppen mit erhöhtem Risiko
angeboten werden sollte (z.B. Reisende in HAV-Endemiegebiete, Arbeiter in
Kläranlagen, Erzieher/Betreuer in Kindertagesstätten, Personal anderer
Pflegeeinrichtungen, männliche Homosexuelle, Patienten mit chronischen
Leberkrankheiten). Der Impfstoff kann auch zur postexpositionellen Prophylaxe
angewandt werden und hier die Immunglobulinpräparate ersetzen.

Hepatitis E

Das Hepatitis-E-Virus (HEV) wird auf fäkal-oralem


Weg übertragen
Auslöser der Hepatitis E – auch bekannt als sog. enterale Non-A-non-B-Hepatitis –
ist ein kleines, einzelsträngiges RNA-Virus, das Ähnlichkeit mit den Caliciviren
aufweist.
Abb. 22.39 Klinischer und virologischer Verlauf der
Hepatitis A.

AK = Antikörper

638
Es wird im Stuhl ausgeschieden und verbreitet sich fäkal-oral. In höher entwickelten
Ländern kommt Hepatitis E kaum vor. In Indien wird der Erreger durch verseuchtes
Wasser übertragen und könnte in den Entwicklungsländern für 50% der
sporadischen Hepatitisfälle verantwortlich sein. Da HEV bei zahlreichen Tierarten
identifiziert wurde, vermutet man, dass sie ein Infektionsreservoir bilden; somit
könnte Hepatitis E ein weiteres Beispiel für eine Zoonose sein.

Die Inkubationszeit beträgt 6–8 Wochen. Im Allgemeinen verläuft eine Hepatitis-E-


Infektion milde, in der Schwangerschaft jedoch kann es zu einer fulminanten
Hepatitis mit hoher Sterblichkeit (bis zu 20% im dritten Trimenon) kommen. In der
Erholungsphase wird das Virus vollständig aus dem Körper eliminiert und führt
nicht zum Trägerstatus. Die Diagnose wird serologisch durch den Nachweis von
HEV-spezifischem IgM gestellt. Ein Impfstoff steht nicht zur Verfügung.
Abb. 22.40 Bei akuter Infektion und manchen
Trägern können im Serum pro ml:

106–107 infektiöse Danepartikel (a) und bis zu 1012 HBsAg-Partikel (b) enthalten
sein. c) Dane- und HBsAg-Partikel im elektronenmikroskopischen Bild (mit
freundlicher Genehmigung von J.D. Almeida).

Hepatitis B
Auslöser ist das Hepatitis-B-Virus (HBV), ein Hepadnavirus (abgeleitet von
Hepatitis-DNA, s. Anhang und Kasten) mit teilweise doppelsträngigem, ringförmigem
DNA-Genom und drei wichtigen Antigenen (HBsAg, HBcAg, HBeAg; Abb. 22.40
und Tab. 22.9). Als lösliches Sekretionsprodukt aus dem Viruskern kommt HBeAg
auf der Oberfläche von Hepatozyten zur Expression und wird zum Angriffsziel für das
Immunsystem des Wirts. Obwohl die Infektion mit einem bestimmten HBV-Stamm zu
einer Immunität gegen alle weiteren Stämme führt, kann doch eine Antigenvariation
auftreten.

Die vier serologischen Subtypen (adw, adr, ayw und ayr) wurden inzwischen durch
eine genetische Klassifikation (in die Genotypen A–F) ersetzt. Vom Genotyp hängen
das klinische Bild der Infektion und das Ansprechen auf die antivirale Therapie ab.
Auch für epidemiologische Studien ist die Genotypisierung nützlich.

639
HBsAg (Oberflächenantigen von HBV) ist in Blut und
anderen Körperflüssigkeiten nachweisbar
HBV kann auf unterschiedlichen Wegen übertragen werden:

■ sexuell,

■ vertikal als intrauterine, peri- oder postnatale Infektion (von der Mutter auf das
Kind, s. Kap. 23),

■ über Blut und Blutprodukte, z.B. bei i.v. Drogenabhängigen durch


kontaminierte Nadeln und Spritzbestecke bzw. beim Tätowieren (Piercing,
Akupunktur) durch mehrfache Benutzung mit Blut kontaminierter Nadeln.

Auch in therapeutischen Einrichtungen wie Hämodialyse-Abteilungen kann HBV


übertragen werden. Doch seitdem die Patienten regelmäßig auf HBsAg kontrolliert
und Einmalsysteme verwendet werden, hat sich die Gefahr merklich verringert.
Darüber hinaus gibt es Berichte über Patienten, die bei Zwischenfällen mit direktem
Blutkontakt durch HBV-Träger im Behandlungsteam infiziert wurden (erhöhte
Expositionsgefahr z.B. bei kardiothorakalen Eingriffen durch intraoperative
Nadelstichverletzungen). Solche Zwischenfälle ereignen sich seltener, wenn das
medizinische Personal gegen Hepatitis B geimpft und routinemäßig auf HBsAg
untersucht wird, bzw. durch engmaschige Kontrolle der HBV-DNA-Last von HBV-
Trägern.

Tab. 22.9 Hepatitis-B-Virus-Antigene und -Antikörper.


Blutsaugende Insekten scheinen keine wichtigen Überträger zu sein, obwohl 1 ml
Blut bis zu 1 Million Infektionsdosen enthalten kann und zur Ansteckung selbst
unsichtbare Blutspuren ausreichen. Die Zahl der HBV-Träger schätzt man auf über
300 Millionen weltweit, und auch bei der Übertragung spielen sie die Hauptrolle. In
Nord-, West- und Mitteleuropa sowie in den USA und Australien dürfte ihre
Prävalenz bei etwa 0,5% liegen, in Osteuropa, Russland, den
Mittelmeeranrainerstaaten, Mittelund Südamerika sowie in Südwestasien bei ca.
0,7%. Mit bis zu 20% ist ein HBV-Trägerstatus in Südostasien, China und in Afrika
südlich der Sahara deutlich verbreiteter. Noch höher sind die Gesamtraten in

640
Ländern, wo die Infektion bereits bei Säuglingen und Kindern auftritt (vermutlich
weil viele Mütter HBV-Trägerinnen sind).

Da HBV nicht direkt zytopathisch wirkt, ist die


Pathologie weitgehend immunvermittelt
Nach dem Eindringen in den Körper gelangt das Virus erst ins Blut und dann zur
Leber. Entzündung und Nekrose als pathologische Folgen sind jedoch weitgehend
immunvermittelt, da die infizierten Leberzellen von virusspezifischen zytotoxischen
T-Zellen angegriffen werden. Die Inkubationszeit beträgt 6 Wochen bis 6 Monate
(im Mittel 2,5 Monate). Sobald sich die ersten virusspezifischen Antikörper bilden,
kann es zu einer kurzen Prodromalphase mit einem Exanthem und Arthralgien
kommen. Das betrifft etwa 10–20% der Patienten mit Ikterus. Zugrunde liegen
Immunkomplexe, die sich aus HBsAg (im Überfluss vorhanden) und frei
zirkulierenden HBsAK bilden und sich z.B. in der Haut oder in Gelenken ablagern
(s. Kap. 17). Freie Antikörper sind zu diesem Zeitpunkt nicht nachweisbar.

Mit zunehmender Leberschädigung manifestiert sich die Hepatitis B klinisch


(Abb. 22.41), im Allgemeinen mit stärkeren Symptomen als bei Hepatitis A.
Während die Immunreaktion langsam Wirkung zeigt, wird die Virus-replikation
eingeschränkt, bis das Blut schließlich nicht länger infektiös ist; das kann aber unter
Umständen Monate dauern. Durch spezifische Genprodukte des äußerst komplexen
HBV wird die α- und β-Interferon-Bildung des Wirts gezielt unterdrückt.

Bestimmte Personengruppen werden eher zu


chronischen HBV-Trägern
Bei einer guten Immunabwehr wird das Virus schneller aus dem Körper entfernt,
doch dafür leiden die Patienten meist auch an stärkeren Symptomen. Bei rund 10%
der Erwachsenen wird die Virusinfektion nicht vollständig beseitigt, so dass sie zu
chronischen HBV-Trägern werden. Ihr Blut bleibt infektiös – oft lebenslang – und
trotzdem fühlen sie sich gesund, weil die Leber meist nur schwach geschädigt ist,
auch wenn eine fortgesetzte Leberschädigung zur chronischen Hepatitis führen
kann. Bei bestimmten Personengruppen besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, zu
chronischen HBV-Trägern zu werden:

641
Geschichte der Mikrobiologie
Hepatitis A

Im August 1988 verfolgte das Florida Department of Health and Rehabilitation


Services die Spuren von 61 Menschen mit einer serologisch nachgewiesenen
HAV-Infektion. Sie lebten zwar in fünf verschiedenen US-Bundesstaaten, doch 59
von ihnen hatten rohe Austern von denselben Zuchtbänken im Küstenwasser von
Bay County gegessen. Die illegal außerhalb der ausgewiesenen Bereiche
gefischten Austern waren mit HAV kontaminiert. Die mittlere Inkubationszeit bis
zum Ausbruch der Hepatitis A betrug 29 Tage (16–48 Tage). Vermutlich war das
Wasser in der Nähe der Austernbänke durch Fäkalien von Schiffen ohne
Toilettenanlage und Abwässer mit hoher fäkaler Kolibakterienkonzentration aus
einer örtlichen Kläranlage verunreinigt worden.

Hepadnaviren

Hepadnaviren sind in den USA auch bei Waldmurmeltieren, Eichhörnchen und


Pekingenten zu finden. In allen Fällen persistierte die Infektion im Körper mit
HBsAg-artigen Partikeln im Blut, die Folge waren chronische Hepatitis sowie
hepatozelluläres Karzinom. Diese Viren infizieren nicht nur Hepatozyten, sondern
oft auch andere Zellen. Im Nordosten der USA sind z.B. 30% der
Waldmurmeltiere Träger ihres eigenen Hepadnavirustyps und bei den meisten
entwickelt sich daraus später ein hepatozelluläres Karzinom. Die
Virusreplikation kann in der Leber und darüber hinaus im Lymphgewebe der Milz,
im peripheren Blut, Thymus, in Azinuszellen des Pankreas und im
Gallengangsepithel stattfinden.
Abb. 22.41 Klinischer und virologischer Verlauf der
Hepatitis B.

a) bis zur Genesung, b) bei einem HBV-Träger (nach Farrar, W.E., Wood, M.J.,
Innes, J.A. et al.: Infectious Diseases, 2nd ed. Mosby International, London
1992).

■ Bei Patienten mit Immunschwäche entwickeln sich mildere Symptome, doch


die Krankheit mündet häufiger im Trägerstatus.

642
■ Ein deutlicher Alterseffekt macht sich bemerkbar. Wie eine Studie in Taiwan
zeigte, wurden perinatal infizierte Säuglinge in 90–95% zu Trägern (zum
Vergleich: Trägerrate von 23% nach einer Infektion als Kleinkind mit 1–3 Jahren
bzw. von 3% nach einer Infektion im Studentenalter).

■ Einfluss des Geschlechts: Männer werden häufiger zu Trägern als Frauen.

Komplikationen bei Hepatitis B


■ Leberzirrhose. Die irreversible Leberschädigung ist Folge einer chronisch-
aktiven Hepatitis und kann zu einem primären hepatozellulären Karzinom führen.

■ Das hepatozelluläre Karzinom gehört weltweit zu den zehn häufigsten


Malignomarten. HBV-Träger haben ein 200fach erhöhtes Risiko. Oft entwickelt
sich erst 20–30 Jahre nach der Infektion ein Malignom. Dass die Krebszellen
mehrere HBV-DNA-Kopien enthalten (die nach etwa 2-jährigem Trägerstatus in
infizierte Leberzellen integriert werden), könnte der karzinogene Faktor sein.
Weitere Erklärungsmöglichkeiten sind die konstant ablaufende regenerative
Mitose der Leberzellen als Reaktion auf die chronische Infektion oder ein bisher
unbekanntes Kokarzinogen.

Serologische Tests zur Diagnose der HBV-Infektion


Während der Inkubationszeit erscheinen HBsAg und die infektiösen Danepartikel
im Serum (Abb. 22.41). Das typische serologische Bild einer akuten HBV-Infektion
schließt den Nachweis von HBsAg, HBc-IgM und HBe-Antigen mit ein. Im Laufe
der Erholungsphase und der Rekonvaleszenz sinkt die HBsAg-Konzentration, bis
sie schließlich ganz verschwunden ist. In den darauf folgenden drei Monaten fällt
auch der HBc-IgM-Spiegel; zwar lässt sich noch ein Gesamttiter von HBc-
Antikörpern (IgM und IgG) nachweisen, doch in dieser Phase überwiegt IgG. Jetzt
erscheinen HBs-Antikörper. Somit würde eine abgelaufene Infektion folgendes
serologisches Profil ergeben: HBsAg negativ, Gesamt-HBc-Titer positiv und HBs-
Antikörper positiv.

Als HBV-Trägerstatus definiert man die Nachweisbarkeit von HBsAg in einem


Zeitraum von sechs Monaten nach der akuten Infektion. Das Vorhandensein von
HBeAg spricht für eine große Virusmenge im Blut und eine hohe Infektiosität des
Trägers. Nach dem Verschwinden von HBeAg können HBe-Antikörper nachweisbar
sein. Solche HBeAK-positiven Träger gelten als gering infektiös.

In der HBV-DNA-Last wird heute ein nützlicherer Marker der Infektiosität


gesehen. Mit dazu beigetragen hat die Entdeckung, dass in der HBe-Antigen
kodierenden Region Mutationen vorkommen, so dass trotz fehlender HBe-Antigen-
Produktion noch immer infektiöse Viruspartikel zusammengefügt werden. HBeAg-
negative und HBeAK-positive Patienten können demnach hochinfektiös sein.

Antivirale Mittel sind verfügbar


Die Entwicklung oraler antiviraler Mittel brachte einen Aufschwung für die
Behandlung von HBV-Trägern. Erprobt werden vor allem Lamivudin (3TC) und

643
Adefovir sowie andere Substanzen. Früher wurde bei ausgewählten Patienten eine
Immunmodulation mit Interferon-α2b versucht, doch nur 30% zeigten eine
anhaltende Besserung. Hinzu kommt, dass eine Interferontherapie erhebliche
Nebenwirkungen hat.

Hepatitis-B-Impfung
Ursprünglich (1981) bestand der Impfstoff aus gereinigtem HBsAg und wurde nach
chemischer Vorbehandlung (um eine Viruskontamination zu vermeiden) aus dem
Plasma von Trägern zubereitet. Der aktuelle Impfstoff enthält dagegen gentechnisch
in Hefe- oder Säugetierzellen erzeugtes HBsAg. Über 90% der gesunden
Erwachsenen gewähren drei Injektionen in einem Zeitraum von sechs Monaten
einen guten Impfschutz.

Eine Impfung ist allen zu empfehlen, die Blut oder Blutprodukte erhalten (bei
Mehrfachtransfusionen oder Dialysepatienten), dem gesamten medizinischen
Personal, den Sexualpartnern akut oder chronisch mit HBV Infizierter und
intravenös Drogenabhängigen. Problematisch ist, dass sich in bis zu 10% der
Normalbevölkerung trotz wiederholter Immunisierung keine schützenden HBs-
Antikörper bilden. Das könnte an genetisch determinierten Immundefekten oder an
der Induktion von Suppressorzellen liegen.

Nach Zwischenfällen mit HBV-Exposition sollte als sofortiger passiver


Infektionsschutz Hepatitis-B-Immunglobulin (HBIg) verabreicht werden. HBIg wird
aus dem Serum von Menschen mit hohen HBs-Antikörper-Titern gewonnen.
Zusammen mit Hepatitis-B-Impfstoff wird es auch prophylaktisch bei Neugeborenen
angewandt, damit das Virus nicht von der infizierten Mutter auf das Kind übertragen
wird.

644
Hepatitis C

HCV war die häufigste Ursache einer


transfusionsassoziierten Hepatitis
1989 stellte sich heraus, dass eine Non-A-non-B-Hepatitis nach Bluttransfusionen in
90–95% der Fälle durch das Hepatitis-C-Virus (HCV) verursacht war. Das
einzelsträngige RNA-Virus gehört zu den Flaviviren. Das HCV konnte mit
enormem Aufwand von Molekularbiologen entdeckt werden. Sie hatten die Virus-
RNA aus dem Blut extrahiert, einen komplementären cDNA-Klon angefertigt und
Virusantigen hergestellt und testeten das Blut von Patienten mit Non-A-non-B-
Hepatitis auf Antikörper gegen das Virus-antigen. Mit Einführung der ersten
Generation von HCV-Antikörper-Screening-Tests zwischen 1990 und 1992 und
schrittweiser Verbesserung der Sensitivität und Spezifität sowie Methoden zum
Genomnachweis ließ sich eine massive Reduktion transfusionsassoziierter HCV-
Infektionen erreichen. Man schätzt die Zahl der HCV-Infizierten auf weltweit ca.
170 Millionen Menschen.

HCV wird ähnlich wie HBV übertragen


Als Erreger im Blut wird HCV durch Blut und Blutprodukte übertragen, aber auch
durch kontaminierte Nadeln und Spritzbestecke von i.v. Dorgenabhängigen oder bei
mehrfacher Verwendung von Nadeln zum Tätowieren (bzw. bei Piercing oder
Akupunktur) von Kunden. Berichtet wurde auch über Infektionen im medizinischen
Umfeld (kontaminierte Dialysegeräte, Instrumente oder Handschuhe). Obwohl die
Infektion besser unter Kontrolle ist, seitdem Patienten regelmäßig auf HCV
untersucht und Einmalsysteme zur Dialyse verwendet werden, kann es noch zur
Infektion kommen.

Darüber hinaus kann HCV auch bei invasiven Maßnahmen von HCV-Trägern auf
Patienten übertragen werden, z.B. durch direkten Blutkontakt bei intraoperativen
Nadelstichverletzungen oder während eines kardiothorakalen Eingriffs. Im
Unterschied zu HBV wird HCV allerdings nur selten vertikal (von Müttern auf
Kinder) oder sexuell übertragen. Es scheint noch andere Möglichkeiten zu geben, da
der Übertragungsweg bei bis zu 40% der Infizierten unbekannt ist.

Bisher wurden sechs Genotypen und mehrere Subtypen identifiziert. Die


Genotypisierung des HCV ist prognostisch wichtig für das Ansprechen auf die
Therapie; Typ 1 ist z.B. mit einem schlechten Ansprechen auf die Therapie
assoziiert. Virale und Wirtsfaktoren beeinflussen den Krankheitsverlauf. Eine rasche
Progression ist mit hoher HCV-Last im Blut, Genotyp und Heterogenität
(Quasispezies) assoziiert. Ob das Virus aus dem Körper beseitigt werden kann,
hängt von der Entwicklung und Persistenz einer starken HCV-spezifischen
Immunreaktion der T-Helfer- und zytotoxischen T-Zellen ab. Eine Infektion mit
einem bestimmten Genotyp schützt nicht vor erneuten Infektionen mit anderen
Genotypen. Dass wiederholte Infektionen möglich sind, erschwert die Herstellung
eines breit wirksamen Impfstoffs.

645
Bei der Hälfte der Patienten entwickelt sich eine
chronischaktive Hepatitis
Die Inkubationszeit beträgt 2–4 Monate, im Mittel 7 Wochen. In der Regel kommt
es zu einer subklinischen Infektion und in etwa 10% zu einem sehr milden Verlauf.
Oft ist das HCV erst in der Erholungsphase nach der Akutkrankheit im Blut
nachzuweisen, so dass Träger eine Infektionsquelle darstellen. In den USA haben
scheinbar gesunde Menschen in bis zu 2% der Fälle HCV-Antikörper und folglich
ca. 2,7 Millionen eine aktive Infektion. Bei rund der Hälfte der Patienten entwickelt
sich eine chronischaktive Hepatitis; in 20% geht sie in eine Zirrhose über. Bei
einer Zirrhose erhöht sich das Risiko für ein hepatozelluläres Karzinom auf
jährlich 1–4%.

Zur Diagnose einer HCV-Infektion werden serologische HCV-Antikörpertests,


quantitative und qualitative HCV-RNA-Nachweismethoden und Genotypanalyse
eingesetzt. Rund 70% der Patienten haben neben HCV-Antikörpern auch HCV-RNA
im Blut. Da eine transfusionsassoziierte Hepatitis am häufigsten durch HCV bedingt
ist, muss Spenderblut auf HCV-RNA oder HCV-Antikörper untersucht werden.

Die Behandlungsergebnisse mit Interferon-α und


Ribavirin sind ermutigend
Einen enormen Fortschritt in der Behandlung der HCV-Infektion brachte eine
antivirale Kombinationstherapie aus Ribavirin und Interferon-α. Nachdem
ursprünglich 40% auf eine IFNα-Monotherapie angesprochen hatten, lagen die
dauerhaften Ansprechraten unter 20%. Erst mit der Kombination aus Ribavirin und
pegyliertem IFNα, bei dem sich Halbwertszeit und Wirkdauer durch die Bindung
von Polyethylenglykol (PEG) an Interferon verlängern, zeigten 40% der Patienten
eine anhaltende Besserung. Ein Impfstoff steht bisher noch nicht zur Verfügung,
doch die Forschungen gehen weiter.

646
Hepatitis D

Das HDV kann sich nur in HBV-infizierten Zellen


vermehren
Auslöser ist das Hepatitis-D-Virus (HDV oder Deltavirus). Es hat ein kleines,
ringförmiges Einzelstrang-RNA-Genom und wird als defektes Virus bezeichnet,
weil es sich nur erfolgreich vermehren kann, wenn Zellen bereits mit HBV infiziert
sind (s. Anhang). Bei der Aussprossung (Budding) von Leberzellen erhält das HDV
eine HBsAg-Hülle (Abb. 22.42). Mit dieser Hülle werden die 35–37 nm großen
Viruspartikel infektiös und bleiben mit Leberzellen verbunden.

HDV wird ähnlich wie HBV und HCV übertragen


Infiziertes Blut kann große Mengen HDV (bis 1010 Infektionsdosen/ml bei
experimentell infizierten Schimpansen) enthalten. HDV wird wie andere
Hepatitisviren parenteral übertragen.

Das Krankheitsbild der kombinierten HBV/HDV-Infektion ist schwerer als das bei
einer reinen Hepatitis-B-Infektion. Möglicherweise wird durch eine HDV-
Superinfektion auch der Übergang zu einer chronischen HBV-assoziierten
Lebererkrankung bei HBV-Trägern beschleunigt. In Großbritannien und den USA
ist die Infektion selten, in den Mittelmeerländern sowie Teilen von Südamerika und
Afrika jedoch recht häufig anzutreffen. Weltweit sind schätzungsweise 5% der
HBV-Träger zusätzlich mit HDV infiziert.

Die Diagnose wird durch serologischen Nachweis von Deltaantigen oder HDV-IgM
bzw. -IgG gestellt. Auch HBsAg ist vorhanden. Einen spezifischen HDV-Impfstoff
gibt es nicht, doch eine Hepatitis-B-Impfung schützt auch vor Hepatitis D.

Virushepatitiden (noch mehr Buchstaben des


Alphabets?)
Nach Entdeckung des HCV bleibt ein gewisser Prozentsatz von Hepatitiden übrig
(wenn auch nur noch ein sehr kleiner), von denen man weiß, dass sie bei
Bluttransfusionen übertragen werden, die aber erst noch einem bestimmten Virus
zugeordnet werden müssen. Warten noch mehr humane Hepatitisviren auf ihre
Entdeckung?

647
Abb. 22.42 Struktur des Hepatitis-D-Virus im Serum.

22.5.4 Parasiteninfektionen der Leber


Protozoen befallen die Leber nur selten. Manche adulten Würmer halten sich in der
Leber auf, während andere auf ihrem Weg zu anderen Zielen auch durch die Leber
wandern.

Entzündliche Reaktionen auf die Eier von Schistosoma


mansoni führen zu einer schweren Leberschädigung
Am stärksten wird die Leber bei einer Infektion mit S. mansoni in Mitleidenschaft
gezogen. Obwohl die Würmer auf ihrem Weg zu den Mesenterialgefäßen nur eine
kurze Zeit in der Leber zubringen, können die Weibchen Eier ablegen, die in den
hepatischen Kreislauf geschwemmt und in den Lebersinusoiden aus dem Blut gefiltert
werden. Verantwortlich für die komplexen Veränderungen (Hepatomegalie,
Fibrosierung, Varikose) ist hauptsächlich eine entzündliche Reaktion auf diese in der
Leber stationierten Wurmeier (Abb. 22.43).

Während die Schistosomiasis in tropischen und subtropischen Ländern sehr verbreitet


ist, zeigen andere Parasiteninfektionen der Leber (z.B. Clonorchiasis, Faszioliasis,
Hydatidose) ein geografisch eingeschränkteres Verteilungsmuster.

Die in Asien vorkommenden Infektionen mit dem humanpathogenen Leberegel


Clonorchis sinensis werden durch Fischkonsum (mit Metazerkarienstadien) erworben.
Jugendliche im Dünndarm freigesetzte Egel bewegen sich im Gallengang aufwärts.
Dabei heften sie sich ans Gangepithel, um sich von Zellen, Blut und
Gewebeflüssigkeit zu ernähren. Bei schweren Infektionen kann die Entzündung so
ausgeprägt sein, dass sie in Proliferation/Hyperplasie des Gallenepithels, Cholangitis,
Gelbsucht und Lebervergrößerung mündet. Es könnte eine Verbindung zum
Cholangiokarzinom bestehen, doch bei Menschen gibt es kaum stichhaltige Beweise.

Auch tierpathogene Leberegel können sich im menschlichen Körper festsetzen. Dazu


gehört neben Opisthorchis-Spezies (in Asien und Osteuropa) vor allem der große
Leberegel Fasciola hepatica. Die Symptomatik ist im Allgemeinen ähnlich wie bei
Clonorchis sinensis beschrieben.

648
Aus verschluckten Eiern des Hundebandwurms Echinococcus granulosus können
sich im menschlichen Körper Larven entwickeln, die im Darm schlüpfen und sich zu
anderen Stellen hinbewegen. In der Leber bilden sich häufig große Hydatidenzysten,
die im Ultraschall als große Hohlräume (Kavernen) erkennbar sind. Außer einer
Druckschädigung des Gewebes können nach einer Zystenruptur weitere kleinere
Zysten entstehen und zu anaphylaktischen Reaktionen führen. Die Zysten müssen
chirurgisch entfernt oder medikamentös mit Benzimidazol behandelt werden.

Über Eier, die fleischfressende Wildtiere ausscheiden, kann eine Infektion mit
Echinococcus multilocularis erworben werden. In dem Fall bildet sich in der Leber
statt Zysten ein verzweigtes, karzinomartiges Geschwür, das nur mit Chemotherapie
behandelbar ist.

Weitere Parasiteninfektionen mit Leberbefall sind Malaria, Leishmaniasis, Askariasis


und eine extraintestinale Amöbiasis, die Leberabszesse hervorruft.
Abb. 22.43 Nachdem sich unzählige Granulome
um Wurmeier in der Leber gebildet haben, droht bei
Schistosoma-mansoni -Befall am Ende eine
Pfortaderzirrhose.

Ein ähnlicher Prozess läuft bei Infektionen mit Schistosoma haematobium in der
Harnblasenwand ab.

a) Wurmei von S. mansoni, 400 × vergr.; b) „Pfeifenhals“-Zirrhose infolge


einschmelzender, kalzifizierter Granulome in der Leber; c) entzündliche (zelluläre)
Reaktion um ein Wurmei in der Leber (E = Ei mit Mirazidium, G = Riesenzelle, H
= Leberzelle); d) klinisches Bild einer Schistosomiasis mit massiver
Hepatosplenomegalie und Aszites nach Pfortaderobstruktion. Mit freundlicher
Genehmigung von R. Muller (a, b, c) und G. Webbe (d).

Leberabszesse

649
Ein Amöbenabszess der Leber enthält keinen Eiter
E. histolytica kann sich aus dem Verdauungstrakt hinausbewegen und eine
extraintestinale Erkrankung auslösen, unter anderem in der Leber (s. oben). Streng
genommen trifft die Bezeichnung Amöbenabszess nicht zu, weil die Leberläsion aus
nekrotischem Gewebe statt aus Eiter besteht.

Echte Leberabszesse – d.h. eingekapselte Erregerherde mit toten oder


absterbenden Leukozyten (Eiter) – enthalten häufig auch noch eine gemischte
aerobe und anaerobe Bakterienflora (Abb. 22.44). Allerdings können die Herde bei
einer E.-granulosus-Hydatidose sekundär mit Bakterien infiziert werden. Die
Infektionsquelle kann sich in Nähe der Läsion oder anderswo befinden, lässt sich
aber nur selten diagnostizieren. Um sowohl aerobe wie anaerobe Erreger
abzudecken, sind zur Therapie Breitspektrumantibiotika erforderlich.

22.5.5 Gallenwegsinfektionen

Infektionen sind eine häufige Komplikation von


Erkrankungen der Gallenwege
Obwohl Infektionen keine primäre Ursache der meisten Gallenwegserkrankungen
sind, stellen sie doch eine häufige Komplikation dar. Bei vielen Patienten mit einem
Gallensteinleiden rufen bei einer Obstruktion der Gallenwege Keime der normalen
Darmflora (wie Enterobakterien oder Anaerobier) infektiöse Komplikationen hervor.
Eine lokale Infektion kann über eine Cholangitis zu Leberabszessen führen oder bei
Einschwemmung der Erreger ins Blut in eine generalisierte Infektion übergehen
(Sepsis bzw. Septikämie). Grundlage eines Therapieerfolges ist die Beseitigung der
biliären Obstruktion. Gewöhnlich behandelt man die Infektion mit einem
Breitspektrumantibiotikum, das gegen Anaerobier wie Aerobier wirksam ist.

650
Abb. 22.44 Multiple pyogene Leberabszesse durch
Pseudomonas aeruginosa.

(mit freundlicher Genehmigung von N. Holland)

22.5.6 Peritonitis und Sepsis


Obwohl die Peritonealhöhle normalerweise steril ist, schwebt sie in ständiger Gefahr,
bei einer Darmperforation von Bakterien kontaminiert zu werden. Darmperforationen
können traumatisch (Unfallereignis, chirurgischer Eingriff) oder infektiös bedingt sein.
Der Ausgang einer peritonealen Kontamination hängt von der inokulierten Menge (1 ml
Darminhalt enthält Millionen Keime) und der lokalen Abwehr ab, d.h. davon, inwieweit
die Keime abgekapselt oder zerstört werden können.

Im Allgemeinen wird zwischen primärer (ohne


offensichtliche Infektionsquelle) und sekundärer
Peritonitis unterschieden (durchbrechende
Appendizitis, Ulkus- oder Darmperforation)
Eine Peritonitis beginnt meist als akuter Entzündungsprozess im Abdomen, bei dessen
Fortschreiten sich intraabdominelle Abszesse bilden. Im Allgemeinen haben primäre
und sekundäre Peritonitis sowie intraperitoneale Abszesse unterschiedliche Ursachen.
Eine spontane bakterielle Peritonitis (SBP) ist am häufigsten mit einer
Leberzirrhose assoziiert. Typische Auslöser einer SBP sind Gram-negative
Darmbakterien, meist E. coli. An einer sekundären Peritonitis und
intraabdominellen Abszessen sind oft gemischte Keime beteiligt, besonders Gram-
negative Anaerobier wie Bacteroides fragilis. Auch Mycobacterium tuberculosis und
Actinomyces können zu intraperitonealen Infektionen führen (Abb. 22.45). Ohne
adäquate antibiotische Behandlung können die Infektionen tödlich verlaufen, und
trotz geeigneter Antibiotikatherapie beträgt die Letalität noch 1–5%. Bis das Ergebnis
der Erregerkultur vorliegt, erfolgt eine empirische Therapie der SBP z.B. mit einem

651
Aminopenicillin plus β-Laktamase-Inhibitor (s. Kap. 33). Bei sekundärer Peritonitis
muss die Initialtherapie in erster Linie gegen Gram-negative Erreger und obligate
Anaerobier wirksam sein (z.B. Carbapeneme). Gleichzeitig sollte alles unternommen
werden, um die Ursache zu beseitigen.
Abb. 22.45 Tuberkulöse Peritonitis.

Ödematöse Darmschwellung mit multiplen Läsionen der Peritonealschicht (mit


freundlicher Genehmigung von M. Goldman).
Zusammenfassung
■ Durchfallerkrankungen sind in den Entwicklungsländern eine Hauptursache
von Morbidität und Mortalität. Ein breites Keimspektrum kann gastrointestinale
Infektionen auslösen, mit Durchfällen als häufigstem Symptom. Diarrhoen können
milde und selbstlimitierend bis schwer verlaufen, zu Dehydrierung und zum Tod
führen.

■ Pathogene, die auf fäkal-oralem Weg in den Gastrointestinaltrakt gelangen,


können durch Invasion der Darmwand eine systemische Erkrankung (z.B.
Typhus) hervorrufen oder durch Toxine mit lokaler Wirkung eine auf den
Darmtrakt beschränkte Schädigung (z.B. Cholera) auslösen. Entscheidend für die
Stärke der Infektion sind aufgenommene Menge und Virulenz der Erreger.

■ Ohne Laboruntersuchungen ist eine mikrobiologische Diagnose kaum zu


stellen, doch aus der Anamnese (nach Ernährung und Reisen fragen) ergeben sich
oft nützliche Hinweise.

■ Die wichtigsten bakteriellen Auslöser von Diarrhoen sind E. coli,


Salmonellen, Campylobacter, V. cholerae und Shigellen, seltener C. perfringens,
B. cereus, V. parahaemolyticus und Y. enterocolitica. Zu einer
Lebensmittelvergiftung im engeren Sinn (d.h. durch Bakterientoxine in der
Nahrung) führen S. aureus und C. botulinum.

■ E. coli ist die wichtigste Durchfallursache in Entwicklungsländern und auch


Auslöser der Reisediarrhoe. Die einzelnen Gruppen (ETEC, EHEC, EPEC und

652
EIEC) unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Pathomechanismen; manche sind
invasiv, andere bilden Toxine.

■ Salmonellen und Campylobacter kommen in höher entwickelten Ländern


häufiger vor. Sie verfügen über große Tierreservoire und breiten sich über die
Nahrungskette aus. Beide vermehren sich im Darm und führen durch lokal
wirksame Toxine zur Erkrankung.

■ V. cholerae und Shigellen besitzen kein Tierreservoir, daher könnten


Erkrankungen wie Cholera und Shigellosen potenziell ausgerottet werden. Eine
Übertragung lässt sich durch Hygiene, sauberes Trinkwasser und geeignete
Entsorgung der Fäkalien verhindern. Bei Cholera entfaltet das Cholera-Enterotoxin
seine pathogene Wirkung auf die Darmmukosa. Shigellen verursachen dagegen
durch Schleimhautinvasion Ulzerationen und blutige Diarrhoen, d.h. ähnliche
Symptome wie bei Amöbenruhr/-dysenterie.

■ H. pylori ist mit Gastritis und Duodenalulzera verbunden. Nach Eradikation


des Bakteriums (durch eine Kombinationstherapie mit Antibiotika und
Protonenpumpenhemmer) klingen die Symptome ab und es kommt zur Abheilung
der Ulzera.

■ Bei einem verschobenen Gleichgewicht der Normalflora (meist durch


Antibiotikatherapie) können im Darm Keime überhand nehmen, die sonst nur in
geringer Zahl vorhanden sind oder ganz fehlen (wie C. difficile). Dadurch wird
eine antibiotikaassoziierte Diarrhoe hervorgerufen.

■ Virale Gastroenteritiden gehen in den Entwicklungsländern mit einer


erschreckend hohen Morbidität und Mortalität einher (vor allem bei Säuglingen
und Kleinkindern). Ursache sind in erster Linie Rotaviren. Diese obligat
humanpathogenen Erreger breiten sich auf fäkal-oralem Weg aus. Sie vermehren
sich ausschließlich in gastrointestinalen Epithelzellen und zerstören sie dabei.
Schon kleinste Mengen können eine Infektion auslösen. Nach ihrer Vermehrung
im Darm werden enorme Mengen ausgeschieden und auf neue Wirte übertragen.

■ Durch Wasser oder Nahrung, die mit S. typhi oder S. paratyphi kontaminiert
sind, kann es zu einer systemischen Infektion kommen (Typhus abdominalis oder
„enterisches Fieber“). Nach Invasion der Darmschleimhaut werden die Erreger
von Makrophagen aufgenommen, ohne Schaden zu nehmen. Über die Lymphe
gelangen sie ins Blut und streuen hämatogen in verschiedene Organe
(Multisystemerkrankung). Die richtige Diagnose hängt von der Erregerkultur ab.
Zur Behandlung ist eine erregerspezifische Antibiotikatherapie nötig; die Impfung
ermöglicht eine gezielte Prävention.

■ Eine Hepatitis ist meist viral verursacht (Virushepatitis). Hepatitis A und E


werden auf fäkal-oralem Weg übertragen, die anderen (Hepatitis B, C, D) durch
kontaminiertes Blut oder sexuell. Eine HBV- und eine HCV-Infektion gehen oft in
eine chronische Hepatitis über. Ein hepatozelluläres Karzinom kann die Folge
sein.

■ Obwohl im Darm viele Protozoen und Würmer leben, verursachen nur


wenige schwere Diarrhoen. Wichtige Protozoen sind E. histolytica, G. lamblia und
Cryptosporidium, die als infektiöse Stadien mit fäkal verunreinigtem Wasser oder

653
Nahrung aufgenommen werden. Als wichtige Wurmparasiten werden Ascaris,
Trichuris und Hakenwürmer auf kompliziertere Weise übertragen, da ihre Ei- oder
Larvenstadien obligat eine bestimmte Entwicklungsphase außerhalb des
menschlichen Wirts durchlaufen müssen.

■ Parasiteninfektionen mit Leberbefall werden in tropischen und subtropischen


Ländern durch S. mansoni und in Asien durch den humanpathogenen Leberegel C.
sinensis hervorgerufen. Parasiteninfektionen mit pathogenen Auswirkungen auf
die Leber sind auch Malaria, Leishmaniasis, extraintestinale Amöbiasis,
Hydatidose und Askariasis.

■ Gallenwegsinfektionen entstehen oft als Sekundärkomplikation nach einer


Obstruktion. Wenn sich Mischinfektionen durch Keime der normalen Darmflora
ausdehnen, können sie zu Leberabszessen oder Septikämie führen.

■ Nach Kontamination der (im Normalfall sterilen) Bauchhöhle mit Darmkeimen


kann es zu Peritonitis und Sepsis kommen. Die Infektion manifestiert sich als
akutes Abdomen und kann tödlich enden. Entscheidend ist eine
Antibiotikatherapie, die sowohl gegen aerobe wie gegen anaerobe Keime wirksam
ist.

FRAGEN
Ein 24-jähriger Astrologe kommt zum Arzt, weil er sich in den letzten Wochen
ständig müde und unwohl fühlt. Er war drogenabhängig und hatte sich den Stoff
intravenös injiziert. Ihm sei eine Dunkelfärbung des Urins aufgefallen, er leide
außerdem an Übelkeit, Appetitverlust und rechtsseitigen Abdominalbeschwerden.
Ein Freund fand ihn „gelb“ aussehend.

Bei der Inspektion fällt seine Tätowierung auf. Die Skleren sind gelb verfärbt.
Palpatorisch erweist sich das Abdomen im rechten oberen Quadranten als
tastempfindlich, die Leber ist vergrößert, hart und glatt. Einige Ergebnisse der
Laboruntersuchung (einschließlich der Leberfunktionswerte): AST 1200 IU/l, ALT
1000 IU/l, ALP 100 IU/l, Bilirubin 60 mmol/l.

1 Wie lautet die Verdachtsdiagnose? Welche Virushepatitis muss in


dieser Situation differenzialdiagnostisch ausgeschlossen werden?

2 Welche weiterführenden Untersuchungen würden Sie veranlassen?

3 Wie würden Sie den Patienten behandeln?

4 Welche Faktoren sind hinsichtlich der Infektionskontrolle zu beachten?

Ein 11 Monate altes Mädchen wird wegen zweitägigen Fiebers mit Erbrechen und
reichlich wässrigen Durchfällen stationär in der Kinderabteilung aufgenommen. Die
Geburt verlief normal (voll ausgetragen und Entbindung zum Termin). Von den
beiden Geschwistern hatte eines bis vor vier Tagen eine leichte
Durchfallerkrankung, die jetzt abgeklungen war.

654
Bei der Untersuchung fühlt sich die Kleine sichtlich unwohl. Sie ist leicht dehydriert
und hat Fieber (38°C). Das Abdomen ist weich zu tasten, auch sonst zeigen sich
keine auffälligen Befunde.

1 Wie würden Sie das Mädchen akut behandeln?

2 Welche Viren sind die wahrscheinlichste Ursache der Diarrhoe?

3 Wie lässt sich eine Virusinfektion diagnostizieren?

4 Wie sieht der natürliche/spontane Verlauf der Infektion aus?


Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

Blaser, M.J., Ravdin, J.I., Guerrant, R.L. et al.: Infections of the Gastrointestinal
Tract. Lippincott Williams & Wilkins, Baltimore 1995.

Doerr, H.W., Gerlich, W.H.: Medizinische Virologie. Grundlagen, Diagnostik und


Therapie virologischer Krankheitsbilder Georg Thieme Verlag, Stuttgart New York
2002.

Farthing, M.J., Wakelin, D., Keusch, G.T.: Enteric Infection: Intestinal Helminths,
Vol. 2. Chapman and Hall, London 1995.

Köhler, W., Eggers, H.J., Fleischer, B., Marre, R., Pfister, H., Pulverer, G (Hrsg.).
Medizinische Mikrobiologie. Urban & Fischer Verlag, München, Jena 2001.

Lauer, G., Walker, B.D.: Hepatitis C virus infection. N Engl J Med 345 (2001) 41–
52.

Mahoney, F.J.: Update on diagnosis, management and prevention of hepatitis B


virus infection. Clin Microbiol Rev 12 (1999) 351–366.

Mehlhorn, H., Eichenlaub, D., Löscher, T., Peters, W. Diagnostik und Therapie der
Parasitosen des Menschen. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart Jena New York 1995.

Paradise, L.J., Friedman, H., Bendinelli, M.: Enteric Infections and Immunity.
Kluwer Academic, Dordrecht 1996.

Surawica, C.F., Owen, R.: Gastrointestinal and Hepatic Infections. WB Saunders,


Philadelphia 1995.

655
23 Intrauterine und perinatale Infektionen
23.1 Infektionen in der Schwangerschaft 335

23.2 Konnatale Infektionen 336

23.2.1 Röteln 338

23.2.2 CMV-Infektion 339

23.2.3 Syphilis 340

23.2.4 Toxoplasmose 340

23.2.5 HIV-Infektion 340

23.2.6 Listeriose 340

23.3 Perinatale Infektionen (max. 3 Tage vor und 3 Tage nach der Geburt) 341

23.3.1 Auswirkungen auf Feten und Neugeborene 341

23.3.2 Auswirkungen auf die Mutter 342

23.3.3 Weitere Neugeboreneninfektionen 343


Zur Orientierung
Die in der Schwangerschaft neu entstehenden Gewebe wie Fetus, Plazenta und die
milchproduzierenden Brustdrüsen sind potentiell anfällig für Infektionen. Die Plazenta
bildet eine sehr wirksame Schranke, die den Fetus vor den meisten frei zirkulierenden
Erregern schützen kann, während die Fruchtblase ihn vor Keimen aus dem mütterlichen
Genitaltrakt schützt. Deshalb kommt es bei einem vorzeitigen Blasensprung in der
Spätschwangerschaft häufig zur fetalen Infektion.

Bei Schwangeren können bestimmte Infektionen schwerer verlaufen (Malaria, Hepatitis)


oder reaktiviert werden (HSV-, CMV-, Polyomavirusinfektion). Nach der Entbindung ist
der Uterus mit seiner großen Wundfläche anfällig für Streptokokken und andere Erreger
einer Puerperalsepsis.

Diaplazentare Infektionen können den Fetus in hohem Maße gefährden. Selbst wenn er
überlebt, können sich unter der Einwirkung bestimmter Pathogene (z.B. Röteln, CMV-,
Toxoplasma gondii- und Treponema pallidum-Infektion) Fehlbildungen entwickeln. Aus
dem Vaginalbereich aufsteigende Bakterien (z.B. Streptokokken der Gruppe B) können
zu Neugeborenensepsis, -meningitis und zum Tod führen. Wenn der Geburtskanal mit
Neisseria gonorrhoeae oder Chlamydia trachomatis infiziert ist, kann es durch
Inokulation der Augen zu einer Neugeborenenkonjunktivitis kommen. Eine genitale
Herpes-simplex-Virus-Infektion der Mutter kann eine schwere Erkrankung des
Neugeborenen verursachen.

Abort, Frühgeburt oder niedriges Geburtsgewicht können durch eine mütterliche HIV-
Infektion bedingt sein. Bis zu 40% der Neugeborenen HIV-positiver Mütter sind in
Entwicklungsländern oder bei nicht diagnostizierter Infektion der Mutter infiziert; ein
Drittel stecken sich bereits in utero und zwei Drittel perinatal an (über mütterliches Blut

656
oder Muttermilch). Mit mütterlichem Blut können auch Hepatitis B und C übertragen
werden, während Muttermilch u.a. eine Infektionsquelle für T-Zell-Leukämieviren
(HTLV-1 und -2) darstellt.

Im Folgenden werden Infektionen besprochen, die während Schwangerschaft und Geburt


auftreten, unter Berücksichtigung ihrer Auswirkungen auf Mutter, Fötus und
Neugeborenes.

23.1 Infektionen in der Schwangerschaft

Durch die immunologischen und hormonellen


Veränderungen in der Schwangerschaft können
bestimmte Infektionen schwerer verlaufen oder
reaktiviert werden
Man könnte den Fetus als ein immunologisch inkompatibles Transplantat betrachten,
das von der Mutter nicht abgestoßen werden soll. Verhindert wird seine Abstoßung
durch

■ das Fehlen oder eine geringe Dichte von MHC-Antigenen auf den
Plazentazellen,

■ mit blockierenden Antikörpern bedeckte Antigene,

■ eine leichte Schwäche der mütterlichen Immunreaktionen.

Eine schwere oder generalisierte Immunsuppression der Mutter wäre unerwünscht, weil
sie die Infektionsanfälligkeit in fataler Weise steigern würde. Bekannt ist, dass
bestimmte Infektionen in der Schwangerschaft schwerer verlaufen (Tab. 23.1) und dass
latent persistierende Infektionen reaktiviert werden können (Tab. 23.2). Auch die
hormonellen Veränderungen im Laufe der Schwangerschaft tragen zur verstärkten
Anfälligkeit bei. Komplizierend kommt unter Umständen eine Mangelernährung
hinzu; sie kann die Immunabwehr schwächen, die metabolischen Reserven verringern
und die Intaktheit der Epithelflächen schädigen.

657
Schwache Immunabwehr des Fetus
Feten sind außerordentlich infektionsanfällig, weil

■ erst in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft größere Mengen von IgM- und
IgA-Antikörpern gebildet werden,

■ keine IgG-Antikörper-Synthese stattfindet,

■ nicht genügend Zytokine produziert werden, da die zellvermittelten


Immunreaktionen kaum entwickelt sind oder fehlen.

Tab. 23.1 Einfluss der Schwangerschaft auf die Schwere von


Infektionskrankheiten.
Wäre der Fetus zu einer starken Immunreaktion auf mütterliche Antigene imstande,
könnte das eine unerwünschte Abstoßungsreaktion (graft-versus-host reaction)
auslösen.

Die meisten Erreger wirken fruchtschädigend, es kommt zum Spontanabort oder zu


einer Totgeburt. Unser Interesse richtet sich hier aber auf die wenigen Erreger, die eine
subtilere, nichtletale Wirkung entfalten können. Sie überwinden die Plazentaschranke,
indem sie erst die Plazenta und dann den Fetus infizieren. Das kann die fetale
Entwicklung stören oder zur Schädigung bei lebend geborenen Kindern führen.

658
23.2 Konnatale Infektionen

Fruchttod oder Fehlbildungen können Folge einer


intrauterinen Infektion sein
Bestimmte Erreger, die bei einer Primärinfektion in der Schwangerschaft ins Blut
gelangen, können die Plazenta infizieren und auf den Fetus übergreifen. Manchmal
stirbt der Fetus an der Infektion und es kommt zum Abort. Doch wenn die Infektion
weniger schwer ist (z.B. weil ein Virus nicht zytopathisch wirkt) oder durch mütterliche
IgG-Antikörper z.T. unterdrückt wird, kann der Fetus überleben. Möglicherweise
kommt er dann mit einer konnatalen Infektion zur Welt, weist Fehlbildungen oder
andere pathologische Veränderungen auf. Es sind im Allgemeinen kleine Säuglinge, die
nicht richtig gedeihen.

Tab. 23.2 Reaktivierung latent persistierender Infektionen während


der Schwangerschaft.
Obwohl spezifische Antikörper gebildet werden, kann das Kind z.B. bei einer CMV-
Infektion (Zytomegalie) längere Zeit infiziert bleiben, weil keine wirksame,
virusspezifische zellvermittelte Immunreaktion zustande kommt. Daher kann sich die
Schädigung auch nach der Geburt noch fortsetzen. Diese Infektionen verlaufen oft so
symptomarm, dass sie von der Mutter nicht bemerkt werden.

Wichtige Auslöser fetaler Infektionen sind in Tab. 23.3 genannt. Fehlbildungen (fetale
Malformationen) können Viren bewirken, die ähnliche Wirkungen wie teratogene
Medikamente oder Strahlen aufweisen (Tab. 23.4). Da Feten auf verschiedene Erreger
immer gleich (z.B. mit Hepatosplenomegalie, Enzephalitis, Augenfehlern, niedrigem
Geburtsgewicht) reagieren, lässt sich die genaue Diagnose nur selten anhand der
klinischen Zeichen stellen. Infektionen wie Herpes (HSV), Röteln, Zytomegalie (CMV)
oder Syphilis können gelegentlich tödlich für den Fetus sein. In der Regel handelt es
sich um eine Primärinfektion der Schwangeren, so dass ihre Inzidenz vom Anteil
nichtimmuner Frauen im gebärfähigen Alter bestimmt wird.

Weltweit wird in unterschiedlichem Umfang ein routine-mäßiges Screening von


Schwangeren auf Röteln- und Treponemenantikörper (da Syphilis, Frambösie, Pinta
oder Bejel serologisch nicht unterscheidbar sind), Hepatitis-B-Surface-Antigen (HBsAg)
und HIV-Antikörper durchgeführt. Diese Tests helfen, Frauen zu identifizieren, die mit

659
HBV oder HIV infiziert sind, eine Treponemeninfektion oder Kontakt zu Infizierten
hatten (wobei Syphilis am wichtigsten ist) oder die nicht gegen Röteln immun sind.

Aus Routine-Screeningprogrammen ergeben sich Folgen für den klinischen Umgang mit
Mutter und Kind. Wird bei der Schwangeren z.B. eine HIV-Infektion diagnostiziert,
versucht man, eine vertikale Übertragung zu verhindern. Neben der antiretroviralen
Therapie für die Mutter (und direkt nach der Geburt für das Kind) dienen eine
Empfehlung zur Schnittentbindung und zum Verzicht auf das Stillen dazu. In
Nachuntersuchungen mit empfindlichen Tests wird über wenigstens 12 Monate verfolgt,
ob sich das Kind wirklich nicht infiziert hat.

Nach Diagnose einer chronischen HBV-Infektion wird die Infektiosität der


Schwangeren bestimmt, weil davon abhängt, ob das Kind bald nach der Geburt nur mit
Hepatitis-B-Vakzine oder zusätzlich mit einem HBV-spezifischen Immunglobulin (bei
hochinfektiöser Mutter) geimpft werden muss. Bei chronischer Hepatitis B kann der
Mutter auch eine antivirale Therapie mit Langzeitüberwachung angeboten werden.

Tab. 23.3 Intrauterine Infektionen, die Mütter auf ihre Feten


übertragen.
* gilt für ressourcenarme Länder ohne medizinische Intervention (keine
antiretroviralen Medikamente, keine Schnittentbindung, kein Verzicht aufs Stillen)
** auch während und unmittelbar nach der Geburt Infektion möglich

660
1
Schutz des Neugeborenen mit Hepatitis-B-Impfstoff und spezifischem
Immunglobulin

Frauen, die noch nicht gegen Röteln immun sind, sollten direkt nach der Geburt des
Kindes eine Schutzimpfung erhalten. Wenn Schwangere mit Treponemen Kontakt
hatten, empfiehlt sich eine Antibiotikatherapie; ihre Kinder müssen im ersten
Lebensjahr engmaschig (serologisch) auf eine aktive Infektion kontrolliert werden. Eine
konnatale Syphilis kann Folge einer unbehandelten Infektion der Mutter sein.

CMV-Infektionen werden beim pränatalen Routine-Screening nicht erfasst. Sie können


in der Schwangerschaft reaktiviert werden und zur Infektion des Fetus führen. Da
mütterliche Antikörper die Infektion teilweise in Schach halten, sind die Neugeborenen
im Allgemeinen jedoch nicht betroffen. Nur bei einem kleinen Prozentsatz entwickeln
sich im Laufe der ersten Jahre Symptome.

Durch eine schwache Immunabwehr der Mutter, hohe Erregerkonzentrationen im


mütterlichen Blut (wie bei primärer oder sekundärer Syphilis, e-Antigen-positiven
HBV-Trägerinnen, HIV-positiven Frauen) oder in der Frühphase einer primären CMV-
Infektion erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer fetalen Infektion.

Tab. 23.4 Teratogene Viren haben viele Gemeinsamkeiten mit


anderen Teratogenen.
Abb. 23.1 Organbeteiligung und pathologische
Folgen konnataler Röteln.

661
Ob Virusinfektionen wie Mumps, Grippe oder Poliomyelitis eine Fetopathie
verursachen können, ist nicht hinreichend belegt. Doch eine Parvovirusinfektion (s.
Kap. 26) führt gelegentlich zur Schädigung des Fetus bzw. in der Frühschwangerschaft
in 5–10% zum Fruchttod. Da das Virus Vorstufen der roten Blutstammzellen infiziert,
entwickelt sich bei den betroffenen Feten ein Hydrops fetalis (d.h. eine hochgradige
Anämie mit Blässe, Aszites und Hepatosplenomegalie). Zur Behandlung wird eine
intrauterine Blutaustauschtransfusion durchgeführt.

23.2.1 Röteln

Besonders im ersten Schwangerschaftsdrittel ist der


Fetus durch eine mütterliche Rötelnvirusinfektion
gefährdet
In dieser Zeit bilden sich Herz, Gehirn, Augen und Ohren aus; daher führt die
Infektion zu Entwicklungsstörungen dieser Organe. Überlebende Feten weisen
bestimmte Fehlbildungen und andere Schädigungen auf (Abb. 23.1). Doch es sind
nicht alle Feten betroffen. In einer Studie hatten nach einer mütterlichen
Rötelnvirusinfektion im ersten Schwangerschaftsmonat (SSM) 15,3% der Kinder
konnatale Defekte, nach einer Infektion im 2. SSM 24,6%, im 3. SSM 17,5% und im
4. SSM 6,5%. Dass der Anteil geschädigter Kinder nach einer Rötelninfektion im 1.
SSM relativ niedrig ist, liegt daran, dass sie meist zum Fruchttod führt.

Auswirkungen auf Augen, Herz, Gehirn und Ohren


Klinisch manifestieren sich konnatale Röteln in einem niedrigen Geburtsgewicht, als
Herz- und Augenschäden (Abb. 23.2). Erst später machen sich in Form von geistiger
Retardierung und Taubheit Veränderungen an Gehirn und Ohren bemerkbar. Am
Ende können bis zu 80% der infizierten Kinder schwerhörig sein. Auch wenn sich bei
rund 25% der Kinder (infolge der Virusreplikation im Pankreas) ein insulinpflichtiger
Diabetes mellitus entwickelt, sind Röteln nur eine sehr seltene Diabetesursache.

662
Zeigen sich schon bei der Geburt Symptome der Infektion, beträgt die
Säuglingssterblichkeit 15% (meist durch Hypogammaglobulinämie).

663
Abb. 23.2 Katarakt als Zeichen konnataler Röteln.

(mit freundlicher Genehmigung von R.J. Marsh und S. Ford)

Im Nabelschnurblut und Blut der Neugeborenen sind


fetale Röteln-IgM-Antikörper nachweisbar
Infizierte Feten bilden eigene Antikörper gegen das Rötelnvirus. Diese IgM-
Moleküle lassen sich im Nabelschnurblut und im Blut der Neugeborenen nachweisen.
Daneben sind auch mütterliche IgG-Antikörper vorhanden, die zusammen mit
Interferonen helfen, die fetale Infektion einzudämmen. Da das Rötelnvirus aus Rachen
oder Urin der Neugeborenen isoliert werden kann und Säuglinge es noch monatelang
ausscheiden, können sich nichtimmune Menschen bei ihnen anstecken.

Konnatale Röteln sind durch eine Impfung komplett


zu verhindern
Meist wird der attenuierte Lebendimpfstoff als kombinierte MMR (Masern, Mumps,
Röteln)-Impfung in der Kindheit verabreicht (s. Kap. 34). Da Schwangerschaft eine
Kontraindikation darstellt, ist die Phase direkt nach der Geburt des Kindes die
sicherste Zeit, um Frauen im gebärfähigen Alter zu impfen. Röteln sind ein
interessantes Beispiel dafür, dass Infektionen trotz ihres subklinischen oder milden
Verlaufs bei der Mutter eine Impfung zum Schutz des irgendwann in der Zukunft
werdenden Lebens/Fetus erfordern können.

Als noch keine wirksamen Impfstoffe zur Verfügung standen (bis Ende der 60er
Jahre), waren Röteln eine der Hauptursachen für angeborene Herzfehler, Taubheit,
Blindheit und geistige Retardierung. Das Rötelnvirus ist nicht ausgerottet, sondern
breitet sich weiter in der Bevölkerung aus; daher kann es in Ländern mit niedrigen
Impfraten auch weiterhin Fetopathien verursachen.

23.2.2 CMV-Infektion

664
Mütter mit schwacher Immunreaktion (T-Zell-
Proliferation) auf CMV-Antigene stecken mit größerer
Wahrscheinlichkeit ihre Feten an
Bei einer Primärinfektion der Schwangeren infizieren sich etwa 40% der Feten mit
CMV, und 5% weisen zum Zeitpunkt der Geburt Symptome auf. Es ist nicht bekannt,
ob die Anfälligkeit in bestimmten Phasen der fetalen Entwicklung besonders hoch ist.
Auch infolge der schwangerschaftsbedingten Reaktivierung einer früher
durchgemachten CMV-Infektion kann sich der Fetus infizieren, doch in dem Fall
kommt es zu keiner Schädigung. In den USA sind 1–2% der Neugeborenen mit CMV
infiziert, bei jedem Zehnten zeigen sich Symptome (bis zu 1 Million
Infektionsdosen/ml Urin). Vermutlich wird die Inzidenz konnataler CMV-Infektionen
weltweit zu niedrig eingeschätzt.
Geschichte der Mikrobiologie
Röteln und der Fetus

Dr. Norman McAllister Gregg (1892–1966) war Augenchirurg am Royal Alexandra


Hospital für Kinder in Sydney, als ihm während des Zweiten Weltkriegs bei
Säuglingen eine – wie er es nannte – „Epidemie“ konnataler Katarakte auffiel.
Sein Scharfsinn führte ihn bei weiteren Untersuchungen zu der Entdeckung, dass
deren Mütter in der Frühschwangerschaft an Röteln erkrankt waren. Bei 68 der 78
kindlichen Kataraktpatienten war anamnestisch eine Rötelninfektion der Mutter in
der Frühschwangerschaft bekannt. Viele hatten Herzfehler und waren klein, zwei
Drittel hatten eine Mikrophthalmie.

Als McAllister Gregg seine Ergebnisse 1941 veröffentlichte, lieferte er den ersten
eindeutigen Nachweis, dass angeborene Fehlbildungen durch einen
Umweltfaktor beeinflusst sein konnten. Ein auffälliges Merkmal der Infektion war,
dass die Mütter keine oder nur leichte Symptome zeigten, während es bei den Feten
zu furchtbaren Fehlbildungen kam. Wir wissen heute, dass andere Viren (vor allem
CMV), aber auch chemische Stoffe wie Thalidomid oder ein Folsäuremangel
dieselbe Wirkung haben können.

Bei späteren Studien stellte sich heraus, dass eine Rötelnembryopathie auch zu
Taubheit und Hirnschäden bei den infizierten Kindern führen kann. Follow-up-
Untersuchungen bis 1991, als die überlebenden Kinder 50 Jahre alt wurden, ergaben,
dass noch weitere Abweichungen hinzugekommen waren, darunter Diabetes ab dem
25.Lebensjahr und bestimmte Gefäßanomalien.

Erst 1962 konnte das Rötelnvirus isoliert und in Zellkulturen angezüchtet werden.
Eine Rötelnepidemie in den USA ließ 1964/65 ca. 20000 Säuglinge mit einem
konnatalen Rötelnsyndrom zurück. Seit Ende der 60er Jahre steht eine wirksame
Lebendvakzine zur Verfügung; seitdem sieht man konnatale Röteln nur noch bei
unzureichendem Impfschutz.

Besonders im ersten Drittel der Schwangerschaft ist der Embryo/Fetus durch


Röteln gefährdet. In dieser kritischen Phase der Embryonalentwicklung entstehen
wichtige Organe wie Herz, Ohren, Augen und Gehirn. Zwar schädigt das Virus nicht
die Zellen, in denen es wächst, verhindert aber ihre Kernteilung (Mitose). Neben

665
Fehlbildungen dieser wichtigen Organe durch Störung der programmierten
Zellteilung spielt auch eine Vaskulitis eine Rolle.

Obwohl Schäden vom Fetus oft gut repariert werden können, lässt sich die
frühembryonale Entwicklungshemmung vitaler Organe in späteren Stadien nicht
mehr kompensieren. Aus der antimitotischen Wirkung des Rötelnvirus erklärt sich
auch die verringerte Gesamtzahl der Körperzellen; daher sind konnatal mit Röteln
infizierte Neugeborene kleiner. In infizierten Organen wie Augenlinsen und Gehirn
kann sich das Rötelnvirus über ein Jahr lang halten, bis es durch Einsetzen
entsprechender zellvermittelter Immunreaktionen beseitigt wird.

Klinische Zeichen einer konnatalen CMV-Infektion sind geistige Retardierung,


Spastik, Augenfehler, Hörschäden, Hepatosplenomegalie, thrombozytopenische
Purpura und Anämie (Abb. 23.3). Taubheit und geistige Retardierung machen sich
meist erst später in der Kindheit bemerkbar.

Die Diagnose wird serologisch durch den Nachweis CMV-spezifischer IgM-


Antikörper im Blut des Neugeborenen (bis zu drei Wochen nach der Entbindung)
gestellt. Zuverlässiger ist die Isolierung des Virus aus Rachenabstrichen oder Urin;
allerdings sind dazu spezialisierte Zelllinien erforderlich. Molekularbiologische
Nachweismethoden des Virusgenoms sind ebenfalls geeignet.

Nach ersten Studien scheinen die in Entwicklung befindlichen attenuierten


Lebendimpfstoffe mit AD169- und Towne-Stämmen eine vertikale Infektion zu
verhindern (wenn Frauen vor dem Eintreten der Schwangerschaft geimpft wurden,
übertrugen sie das Virus nicht auf ihr Kind).

23.2.3 Syphilis
Infolge des serologischen Routine-Screenings auf Syphilis in Entbindungskliniken und
der Penicillinbehandlung (s. Kap. 21) ist eine konnatale Syphilis inzwischen selten
geworden und kommt nur in den Entwicklungsländern noch häufiger vor.

Klinische Zeichen bei infizierten Neugeborenen sind Rhinitis (Schnupfen), Haut- und
Schleimhautläsionen, Hepatosplenomegalie, Lymphadenopathie sowie Knochen-,
Knorpel- (Sattelnase) und Zahnveränderungen. Obwohl die Frühzeichen einer Syphilis
oft durch die Schwangerschaft maskiert werden, lässt sich eine Treponemeninfektion
der Mutter serologisch feststellen, außerdem sind im Fetalblut Treponemen-IgM-
Antikörper nachweisbar. Wird die Mutter bis zum 4. Schwangerschaftsmonat
behandelt, lässt sich eine fetale Infektion verhindern.

23.2.4 Toxoplasmose

Eine akute asymptomatische Infektion mit


Toxoplasma gondii der Schwangeren kann zu
Fehlbildungen beim Fetus führen
Rund 35% der gesunden Erwachsenen haben serologisch nachweisbar eine
Toxoplasma-gondii-Infektion durchgemacht. Bei Neugeborenen äußert sich eine
Toxoplasmose mit klinischen Zeichen wie Krämpfen (Konvulsionen), Mikrozephalie,

666
Chorioretinitis, Hepatosplenomegalie und Gelbsucht; später können Hydrozephalus,
geistige Retardierung und Sehfehler (s. Kap. 25) hinzukommen. Oft sind bei der
Geburt noch keine auffälligen Veränderungen erkennbar, doch innerhalb weniger
Jahre entwickeln sich Symptome wie die Chorioretinitis (Abb. 25.5).
Abb. 23.3 Neugeborenes mit Mikrozephalie,
schwerer psychomotorischer Retardierung und
Hepatosplenomegalie aufgrund einer CMV-
Infektion.

(Mit freundlicher Genehmigung von W.E. Farrar)

Die Inzidenz fetaler Schäden (Abort, Totgeburt, Erkrankung des Neugeborenen) hängt
vom Zeitpunkt der Infektion ab und erhöht sich von 14% bei mütterlicher Infektion
im ersten Schwangerschaftsdrittel auf 59% bei Infektion im letzten Trimenon.

Spezifische IgM-Antikörper gegen Toxoplasmen lassen sich im Nabelschnurblut


nachweisen. Die Schwangeren oder infizierte Neugeborene werden mit Spiramycin
(vorsichtig dosieren, um Toxizität zu vermeiden!) oder einem Sulfonamid,
Pyrimethamin und Folinsäure behandelt. Einen Impfstoff gibt es nicht. Zur
Prävention muss daher eine Primärinfektion durch Zysten (aus Katzenkot oder
Verzehr von unzureichend gegartem Fleisch) in der Schwangerschaft vermieden
werden.

23.2.5 HIV-Infektion

In ressourcenarmen Ländern ist rund ein Viertel der


Neugeborenen HIV-positiver Mütter infiziert; ein Drittel
infiziert sich intrauterin, der Rest unter der Geburt
Klinisch manifestiert sich eine konnatale HIV-Infektion in mangelnder
Gewichtszunahme, erhöhter Neigung zur Sepsis, verzögerter Entwicklung,
lymphozytärer Pneumonie, Mundsoor, vergrößerten Lymphknoten,
Hepatosplenomegalie, Diarrhoe und Pneumonie. Manchmal entwickelt sich im ersten
Lebensjahr eine Enzephalopathie oder das Vollbild von AIDS.

667
Da die Ansteckung meist erst in der Spätschwangerschaft oder unter der Geburt
erfolgt, lassen sich die Infektionsraten reduzieren, wenn die Viruslast durch eine
antiretrovirale Therapie im letzten Drittel der Schwangerschaft (oder während der
Entbindung) verringert, eine elektive Schnittentbindung durchgeführt und auf das
Stillen verzichtet wird.

IgG-Antikörper im Blut der Neugeborenen können von der Mutter stammen und sind
oft ein Jahr lang nachweisbar. Die Labordiagnose stützt sich daher auf den Nachweis
proviraler HIV-1-DNA oder HIV-1-RNA mithilfe der Polymerasekettenreaktion
(PCR), allerdings können diese Tests erst Monate nach der Geburt positiv ausfallen;
zusätzlich wird der Nachweis von p24-Antigen und HIV-Antikörpern geführt.

23.2.6 Listeriose

Ein Kontakt der Mutter mit listerieninfizierten Tieren


oder Nahrungsmitteln kann zum Fruchttod oder zu
Fehlbildungen führen
Listeria monocytogenes ist ein bewegliches, betahämolysierendes Stäbchenbakterium.
Die kleinen Gram-positiven Erreger finden sich weltweit und nutzen eine Vielzahl
von Tieren (Rinder, Schweine, Nagetiere und Vögel) als Reservoir. Sie kommen auch
in Pflanzen und im Boden vor. Listerien lassen sich bei normalen
Kühlschranktemperaturen von 3–4°C anzüchten und können durch

■ Kontakt mit infizierten Tieren oder Kot,

■ Konsum von (unpasteurisierter) Rohmilch oder Weichkäse bzw.


kontaminiertem Gemüse

auf Menschen übertragen werden. In den USA werden jährlich ca. 1700 neue
Listeriosefälle gemeldet, und bei rund einem Drittel handelt es sich um Neugeborene
bzw. Säuglinge. Eine Übertragung auf fäkalem Weg kommt nur selten vor und betrifft
meist die Kontaktpersonen von Infizierten.

L. monocytogenes kann bei Schwangeren eine leichte, grippeartige Erkrankung


auslösen oder gar keine Symptome verursachen. Doch die Bakteriämie führt erst zur
Infektion der Plazenta und dann zur Infektion des Fetus. Mögliche Folgen sind Abort
oder Frühgeburt, eine Neugeborenensepsis oder -pneumonie mit Abszedierung oder
Granulombildung. Das Neugeborene kann sich auch unmittelbar nach der Geburt bei
anderen Kindern oder dem Personal der Säuglingsstation anstecken; in dem Fall
kommt es zu einem meningitischen Krankheitsbild.

L. monocytogenes lässt sich aus Blutkulturen, Liquor cerebrospinalis oder


Hautläsionen des Neugeborenen isolieren. Behandelt wird mit Ampicillin – unter
Umständen kombiniert mit Gentamicin, um eine stärkere antibakterielle Wirkung zu
erzielen. Ein Impfstoff ist nicht verfügbar. Schwangere sollten möglichst den Kontakt
mit infiziertem Material vermeiden, doch im Allgemeinen lässt sich die
Infektionsquelle nicht sicher feststellen.

668
23.3 Perinatale Infektionen (max. 3 Tage vor und 3
Tage nach der Geburt)

23.3.1 Auswirkungen auf Feten und Neugeborene


Die Infektionswege bei Feten und Neugeborenen sind in Abb. 23.4 gezeigt.

Wenn sich die Mutter erst in der Spätschwangerschaft infiziert, sind Virusinfektionen
(wie Röteln, CMV) im Allgemeinen weniger schädlich für das Kind. Bis zur 20. SSW
(Schwangerschaftswoche) kann eine Primärinfektion mit dem Varicella-Zoster-Virus
(VZV) zu Gliedmaßendeformitäten und anderen schweren Schäden des Neugeborenen
führen. In dem Zusammenhang wird viel zu selten eine HSV-Infektion diagnostiziert,
die erheblich zur neonatalen Morbidität und Mortalität beitragen kann.

In der Spätschwangerschaft sind bakterielle Infektionen mit Ursprung in der Vagina


und im Dammbereich wichtiger als Virusinfektionen, vor allem wenn sie ein oder zwei
Tage nach dem (vorzeitigen) Blasensprung auftreten. Sie können zu Chorioamnionitis,
mütterlichem Fieber, Frühoder Totgeburt führen. Kinder mit niedrigem Geburtsgewicht
(unter 1500 g) sind meist stärker von bakteriellen Infektionen betroffen. Beteiligt sein
können:

■ betahämolysierende Streptokokken der Gruppe B, die bei 10–30% der


Schwangeren Rektum oder Vagina besiedeln,

■ Escherichia coli,

■ Klebsiellen,

■ Proteus,

■ Bacteroides,

■ Staphylokokken und

■ Mycoplasma hominis.

Werden die Infektionen erst kurz nach der Geburt erworben, bricht die Erkrankung
später aus.

669
Abb. 23.4 Infektionswege bei Feten und
Neugeborenen.

670
CMV = Zytomegalievirus, HIV = human immunodeficiency virus, HTLV = human T-
cell lymphotropic virus

Eine Neugeborenensepsis geht oft in eine Meningitis


über
Unbehandelt verläuft eine Meningitis (Tab. 24.6) oft tödlich. Klinisch lässt sie sich nur
schwer diagnostizieren, weil die Neugeborenen meist nur unspezifische Symptome
wie Atemschwierigkeiten, Gedeihstörungen, Trinkschwäche, Durchfall und Erbrechen
zeigen.

Dabei ist die frühzeitige Diagnose lebenswichtig und eine Notfallbehandlung


erforderlich! Nach der Gewinnung von Liquor- (Gram-Färbung und Kultur) und
Blutproben sollte man sofort mit einer empirischen Antibiotikatherapie beginnen.

Eine Infektion ist unter der Geburt oder beim Stillen


möglich
Bei der Entbindung kann sich das Kind durch einen direkten Erregerkontakt im
Geburtskanal infizieren (Tab. 23.5). Aus den Hautläsionen des Herpes simplex kann
sich z.B. eine Woche nach der Geburt eine generalisierte Infektion mit starker ZNS-
Beteiligung entwickeln. Fast 80% der Mütter mit einer primären HSV-Infektion (aber
nur 10% mit Herpesrezidiven) haben zervikale Läsionen, und rund ein Drittel der
Neugeborenen infiziert sich darüber. Gonokokken (Abb. 23.5), Chlamydien oder
Staphylokokken (s. Kap. 25) können eine Augeninfektion (Ophthalmia neonatorum)
hervorrufen. Zum Zeitpunkt der Geburt erfolgt auch eine Infektion mit
Streptokokken der Gruppe B.

In Ländern mit hohen Trägerraten ist das mütterliche Blut eine Hauptquelle für eine
HBV-Infektion während oder unmittelbar nach der Geburt. Mehr als 90% der
Neugeborenen von Müttern mit Hepatitis-B-Trägerstatus infizieren sich und werden
ebenfalls zu Trägern. Das lässt sich durch Verabreichung des Hepatitis-B-Impfstoffes
und des spezifischen Immunglobulins an Neugeborene verhindern. Hepatitis C wird
im Allgemeinen nicht auf diesem Weg übertragen; daher infizieren sich weniger als
5% der Kinder von Müttern mit Trägerstatus.

In der Muttermilch können Rötelnvirus, CMV, HTLV (human T-cell lymphotropic


virus) und HIV enthalten sein. Doch ihre Titer sind im Allgemeinen so niedrig, dass
Muttermilch außer bei HTLV und HIV nicht als relevante Infektionsquelle angesehen
wird. Allerdings kann es sinnvoll sein, Muttermilch (wie Kuhmilch) in
Humanmilchbänken zu pasteurisieren.

671
23.3.2 Auswirkungen auf die Mutter

Eine Puerperalsepsis lässt sich durch aseptische


Kautelen verhindern
Nach der Geburt (oder einem Abort) ist das geschädigte Uterusgewebe mit seiner
großen Wundfläche sehr anfällig für Infektionen. Im 19.Jahrhundert war die
Puerperalsepsis („Kindbettfieber“) in Europa eine Hauptursache für den Tod der
Mütter im Wochenbett. Oliver Wendell Holmes machte sich 1843 sehr unbeliebt mit
seiner Behauptung, es würde von den Händen der Ärzte übertragen. Vier Jahre später
konnte Ignaz Semmelweis in Wien zeigen, dass sich das Kindbettfieber vermeiden
ließ, wenn Ärzte und Hebammen ihre Hände wuschen, bevor sie Frauen bei der
Entbindung halfen, und wenn sie aseptische Techniken anwandten. Denn

Tab. 23.5 Bei der Passage durch den infizierten Geburtskanal


erworbene Infektionen.
* durch Kaiserschnitt vermeidbar, doch eine Genitalinfektion der Mutter ist oft
schwierig festzustellen; Säuglinge prophylaktisch mit Aciclovir behandeln
** bis zu 30% der Frauen tragen diese Bakterien in Vagina oder Rektum

672
Abb. 23.5 Gonokokkenkonjunktivitis (Ophthalmia
neonatorum) mit ersten Symptomen am 2. bis 5. Tag
nach der Geburt.

Entzündung und Ödem sind meist stärker ausgeprägt als bei einer
Chlamydieninfektion (mit freundlicher Genehmigung von J.S. Bingham).

■ mit betahämolysierende Streptokokken der Gruppe A stammten die


wichtigsten Erreger aus dem Nasenrachenraum oder von der Haut der Geburtshelfer;

■ als Erreger kamen unter anderem auch Anaerobier aus der Darmflora der
Mutter wie Clostridium perfringens, Bacteroides, E. coli und Streptokokken der
Gruppe B infrage.

Bis in die 30er Jahre des 20.Jahrhunderts war die Puerperalsepsis mit einer
Sterblichkeit von bis zu 10% belastet, ist aber in höher entwickelten Ländern ähnlich
selten geworden wie ein septischer Abort. Prädisponierend wirken neben einem
vorzeitigen Blasensprung der Einsatz von Instrumenten und verbleibende Reste von
Fruchtblase oder Plazenta im Uterus. Zur Abklärung sollten bei postnatalem Fieber
(Pyrexie) und übel riechendem Ausfluss hoch in der Vagina Abstriche entnommen
und Blutkulturen angelegt werden.

23.3.3 Weitere Neugeboreneninfektionen


Zu den Infektionserregern, die eher ein oder zwei Wochen nach der Geburt als
unmittelbar bei der Entbindung übertragen werden, gehören:

■ betahämolysierende Streptokokken der Gruppe B und gramnegative


Bakterien (s. oben); die nach einer Kreuzinfektion auf der Säuglingsstation eine
schwere Infektion mit Meningitis (s. Kap. 24) auslösen können;

■ Herpes-simplex-Virus, das bei der Pflege des Neugeborenen z.B. aus offenen
oder geschlossenen Herpesbläschen von Erwachsenen übertragen werden kann;

673
■ Staphylokokken, die über Nasensekrete oder die Finger erwachsener Träger
ins Auge des Neugeborenen eingebracht werden. Sie können eine
Staphylokokkenkonjunktivitis oder „Augenverklebung“ (s. Kap. 25) und eine
Hautsepsis verursachen; manchmal kommt es durch ein spezifisches
epidermolytisches Staphylokokkentoxin zum Syndrom der „verbrühten Haut“
(staphylococcal scalded skin syndrome; Abb. 23.6).
Abb. 23.6 Syndrom der „verbrühten Haut“
(staphylococcal scalded skin syndrome) mit
großflächigen Epidermisverlusten durch aufgeplatzte
Blasen.

(Mit freundlicher Genehmigung von L. Brown)

In den ersten ein bis zwei Lebenswochen wird die Nase des Neugeborenen von
Staphylococcus aureus besiedelt. Dieser Keim kann einen Brustdrüsenabszess bei der
Mutter hervorrufen, wenn er beim Stillen in die Brustwarze eindringt.

All diese Infektionen lassen sich vermeiden, wenn das Krankenhauspersonal auf
peinliche Sauberkeit (Händewaschen und aseptische Techniken) achtet. Bei mangelnder
Hygiene kann sich der Nabelstumpf mit Clostridium tetani infizieren. Das passiert vor
allem in den Entwicklungsländern noch häufiger. Wenn die Nabelschnur z.B. mit einem
sporenverseuchten Instrument durchtrennt wurde, erkrankt das Neugeborene an Tetanus
(Abb. 23.7). Das lässt sich durch Impfen der Mütter mit Tetanustoxoid verhindern.

674
In den Entwicklungsländern ist die Gastroenteritis ein
Hauptproblem bei Neugeborenen und im
Säuglingsalter
Die Wasserund Elektrolytverluste durch eine Diarrhoe haben besonders nachteilige
Folgen bei Kindern mit einem niedrigen Geburtsgewicht. Auslöser sind meist E.-coli-
Stämme und Salmonellen, seltener Rotaviren (s. Kap. 22). Einen gewissen Schutz
verleiht das Stillen; doch bis auf die spezifischen Antikörper sind die Schutzfaktoren
der Muttermilch noch nicht besonders gut untersucht.
Abb. 23.7 Tetanus mit Risus sardonicus.

(Mit freundlicher Genehmigung von W.E. Farrar)


Zusammenfassung
■ Bestimmte Infektionen (wie Kokzidioidomykose, Grippe) können in der
Schwangerschaft schwerer verlaufen als sonst üblich, und einige latent
persistierende Infektionen (mit CMV, Polyomaviren) können reaktiviert werden.

■ Einige Erreger können die Plazentaschranke überwinden und den Fetus


schädigen. Bei der Mutter zeigen sich meist milde bis subklinische Verläufe der
Infektionen (Röteln, Zytomegalie, Toxoplasmose), doch das ist nicht immer der
Fall (z.B. bei Syphilis).

■ Der infizierte Fetus kann absterben oder überleben und mit einer Infektion (mit
HIV, Toxoplasmose) oder typischen Fehlbildungen (durch Röteln, Syphilis)
geboren werden.

■ Eine Infektion des Kindes während oder kurz nach der Geburt kann sich als
lokal begrenzte (Gonokokken-, Chlamydienkonjunktivitis), gelegentlich aber auch

675
als schwere, lebensbedrohliche, systemische Erkrankung (wie E.-coli-Meningitis,
Herpes-simplex-Virus- oder Gruppe-B-Streptokokken-Infektion) manifestieren.

■ Die Puerperalsepsis („Kindbettfieber“) war als lebensbedrohliche bakterielle


Infektion der Mutter gefürchtet, ist in den entwickelten Ländern aber extrem selten
geworden.

FRAGEN
1 Ein Kinderarzt wird von der Hebamme auf die Entbindungsstation
gerufen. Sie sorgt sich um ein Kind, das vor 12 Stunden als erstes Kind der
Mutter geboren wurde. Nach lang anhaltenden Wehen und wegen der
schwierigen Geburt war schließlich eine Zangenentbindung erforderlich. Der
Blasensprung fand 12 Stunden vor der Geburt statt. In der Austreibungsphase
bekam die Mutter Fieber von 38,5°C, das auch nach der Entbindung anhielt.
Der Apgar-Wert des Neugeborenen betrug nach einer Minute 1, nach fünf
Minuten 9. Bei der Untersuchung wirkte der Junge blass und lethargisch.
Auskultation und Palpation ergaben ein schwaches systolisches Geräusch,
Krepitationen über beiden Lungenflügeln und unter dem Rippenbogen tastbare
Leber. Das Kind kam auf die Intensivstation.

a) Wie lautet die Verdachtsdiagnose?

b) Wie würden Sie das Neugeborene weiter untersuchen?

c) Gibt es Risikofaktoren aus der Vorgeschichte der Mutter?

2 Warum sind bei einer kongenitalen Rötelninfektion so häufig Herz,


Gehirn, Augen und Ohren betroffen?

676
3 Welche der folgenden Erreger werden über die Muttermilch übertragen:

a) Herpes simplex,

b) HTLV-1,

c) Treponema pallidum (Syphilis),

d) Epstein-Barr-Virus,

e) E. coli?

4 Welche der genannten konnatalen Infektionen lassen sich durch


Impfung verhindern:

a) Syphilis,

b) HIV,

c) Röteln,

d) Listeriose,

e) Toxoplasmose?
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

Demmler, G.: Congenital cytomegalovirus infection and disease. Adv Pediatr Inf Dis
11 (1996) 134–162.

Köhler, W., Eggers, H.J., Fleischer, B., Marre, R., Pfister, H., Pulverer, G (Hrsg.).
Medizinische Mikrobiologie. Urban & Fischer Verlag, München, Jena 2001.

Kovar, I.Z.: Neonatal and pediatric infections. Curr Opin Infect Dis 3 (1990) 479–
500.

Peckham, C., Gibb, D.: Mother-to-child transmission of human immunodeficiency


virus. N Engl J Med 333 (1995) 298–302.

Sever, J.L., Ellenberg, J.H., Ley, A.C.X et al.: Toxoplasmosis; maternal and
pediatric findings in 23.000 pregnancies. Pediatrics 82 (1988) 181–192.

677
24 ZNS-Infektionen
24.1 ZNS-Invasion 345

24.2 Reaktion auf die Invasion 347

24.3 Meningitis 348

24.3.1 Bakterielle Meningitis 348

24.3.2 Pilzmeningitis 352

24.3.3 Protozoenmeningitis 353

24.3.4 Virusmeningitis 353

24.4 Enzephalitis 354

24.4.1 Enterovirusinfektionen 355

24.4.2 Paramyxovirusinfektionen 357

24.4.3 Tollwutvirusenzephalitis 357

24.4.4 Togavirusinfektionen (Meningitis und Enzephalitis) 358

24.4.5 Neu aufgetauchte Enzephalitisursache, das Westnilvirus 359

24.4.6 Retrovirusinfektionen (Meningitis und Enzephalitis) 359

24.4.7 Impf- und postinfektiöse Enzephalitis 359

24.5 Neurologische Erkrankungen mit vermuteter viraler Ätiologie 360

24.6 Spongiforme Enzephalopathien durch Scrapie-artige Partikel 360

24.6.1 Creutzfeldt-Jakob-Krankheit 360

24.6.2 Andere Prionenkrankheiten 361

24.7 Parasitäre ZNS-Erkrankungen 361

24.8 Hirnabszesse 362

24.9 Tetanus und Botulismus 362

24.9.1 Tetanus 363

24.9.2 Botulismus 363


Zur Orientierung
ZNS-Infektionen – entstehen meist hämatogen – oder die Erregerinvasion geht von
peripheren Nerven aus

678
Die Schädelknochen und der Wirbelkanal schützen Gehirn und Rückenmark nicht nur vor
mechanischem Druck oder Verformung, sondern verhindern durch ihre
Schrankenfunktion die Ausbreitung von Infektionen. Eintrittspforten für Erreger sind
hauptsächlich Blutgefäße und Nerven, die Schädel- und Wirbelknochen durchqueren

Am häufigsten kommt es zur hämatogenen ZNS-Invasion (z.B. von Polioviren und


Neisseria meningitidis). Seltener geht die Invasion – wie im Fall des Herpes-simplex-
(HSV), Varicella-Zoster- (VZV) und Tollwutvirus – von peripheren Nerven aus. Auch
eine lokale Infektion, die von Herden in Ohren oder Nebenhöhlen übergreift,
Verletzungen oder angeborenen Fehlbildungen (Spina bifida) sind möglich, dagegen
kommt eine Meningitis durch frei lebende Amöben über die Riechbahn nur sehr selten
vor.

Wir besprechen hier zunächst die bevorzugten Zugangswege von Erregern zum ZNS (s.
Kap. 13) und die Reaktion des Körpers auf die Invasion, während am Ende eine
ausführlichere Darstellung von Krankheiten folgt.

24.1 ZNS-Invasion

Natürliche Schranken verhindern eine ZNS-Invasion auf


dem Blutweg
Eine hämatogene Invasion führt zur

■ Enzephalitis nach Überwinden der Blut-Hirn-Schranke,

■ Meningitis nach Überwinden der Blut-Liquor-Schranke (Abb. 24.1).

Die Blut-Hirn-Schranke besteht aus einem festen Verband von Endothelzellen, die von
Gliafortsätzen umgeben sind, während fest verbundene Plexus-choroideus-Epithelzellen
mit dem gefensterten Endothel am Plexus choroideus die Blut-Liquor-Schranke bilden.
Diese Barrieren können überwunden werden, wenn Erreger

■ die Zellen, aus denen die Schranken aufgebaut sind, infizieren,

■ sich in intrazellulären Vakuolen passiv hindurchtransportieren lassen oder

■ weiße Blutzellen infizieren, die die Erreger mit sich überall hintragen.

Bei den Virusinfektionen finden sich für sämtliche Infektionswege Beispiele. Das
Poliovirus dringt z.B. über die Blut-Hirn-Schranke ins ZNS ein. Nach seiner oralen
Aufnahme führt eine komplexe Abfolge von Schritten schließlich zur ZNS-Invasion
(Abb. 24.2). Das Poliovirus kann auch in Zellen des Gefäßendothels Station machen,
dann die Blut-Liquor-Schranke überwinden und die Hirnhäute (Meningen) infizieren.
Abb. 24.1 Strukturen der Blut-Hirn- und Blut-Liquor-
Schranke.

679
680
Abb. 24.2 Zeitlicher Ablauf und an einer ZNS-
Invasion durch dasPoliovirusbeteiligte Faktoren.

CSF = Liquor cerebrospinalis, GALT = gut-associated lymphoid tissue,


Darmlymphgewebe

Dasselbe trifft für das Mumpsvirus oder für Bakterien (wie Haemophilus influenzae,
Meningo- oder Pneumokokken) zu, die frei zirkulieren können. Hat die Infektion
Meningen und Liquor erreicht, kann sie sich über die Pia mater auf das Hirngewebe
ausbreiten. So kann bei einer Poliomyelitis der Enzephalitis und Paralyse oft eine
meningitische Phase vorausgehen.

Insgesamt kommt es aber nur selten zur ZNS-Invasion, weil die meisten Erreger bereits
beim Übertritt vom Blut ins ZNS an den natürlichen Barrieren scheitern. Werden
Viren direkt ins Hirngewebe eingebracht, wachsen und vermehren sich viele, bis sie den
Schwellenwert zur Auslösung von Krankheiten überschreiten, doch Viren aus dem
Kreislauf schaffen es im Allgemeinen nicht bis ins ZNS. Daher kommt es nur bei einem
kleinen Prozentsatz der mit Polio, Masern, Mumps oder Röteln Infizierten zu einer

681
ZNS-Beteiligung. Von welchen Faktoren eine erfolgreiche ZNS-Invasion abhängt, ist
nicht bekannt.

Typisch für HSV-, VZV- oder Tollwutvirusinfektion ist eine


ZNS-Invasion von peripheren Nerven aus
Ausgehend von Haut- oder Schleimhautläsionen (s. Kap. 26) können Herpes-simplex-
(HSV) oder Varicella-Zoster-Viren (VZV) an Axonen entlang zu Hinterwurzelganglien
aufsteigen. Unter Ausnutzung der normalen retrograden Transportmechanismen
bewegen sie sich mit einer Geschwindigkeit von 200 mm/Tag voran. Ebenso schnell
werden Fremdstoffe (z.B. Tetanustoxin) transportiert. Durch den Biss eines infizierten
(tollwütigen) Tieres kann das Tollwutvirus ins Muskel- oder Subkutangewebe
eingebracht werden. Es bindet sich an nikotinerge Acetylcholinrezeptoren und
infiziert Muskelfasern und -spindeln. Dort befällt es periphere Nerven und steigt zum
ZNS auf, wo es sich in Gliazellen und Neuronen vermehrt.

24.2 Reaktion auf die Invasion

Infolge einer Infektion erhöht sich die Zellzahl im Liquor


Als Reaktion auf eine Virusinvasion kommt es zum Anstieg der Lymphozyten
(überwiegend T-Zellen) und Monozyten im Liquor (Tab. 24.1). Möglich ist auch eine
leichte Zunahme des Proteingehalts. Doch der Liquor bleibt klar. Das bezeichnet man
als „aseptische“ Meningitis. Pyogene Bakterien bewirken eine mehr dramatische
Reaktion: Durch die rasche Zunahme polymorphkerniger Leukozyten und Proteine
(Abb. 24.3) trübt sich der Liquor sichtbar ein. In dem Fall spricht man von „septischer“
Meningitis. Nicht ganz so dramatische Veränderungen rufen langsamer wachsende oder
weniger pyogene Keime hervor (z.B. tuberkulöse oder Listerienmeningitis).

Die pathologischen Folgen von ZNS-Infektionen sind


abhängig von der Art des Erregers
Im ZNS selbst können Nervenzellen von Viren infiziert werden, und es zeigen sich z.T.
ausgesprochene Präferenzen. So dringen Polio- und Tollwutviren z.B. bevorzugt in
Neurone ein, das JC-Virus dagegen in Oligodendrozyten. Weil es im ZNS kaum
extrazelluläre Räume gibt, breiten sich Infektionen meist direkt von Zelle zu Zelle über
vorhandene Nervenbahnen aus. Dass eingedrungene Bakterien und Protozoen im
Allgemeinen zu stark entzündlichen Prozessen führen, bewirkt rasch eine lokale
Begrenzung der Infektion mit Abszessbildung.

Die von Viren ausgelöste perivaskuläre Infiltration von Lymphozyten und


Monozyten kann manchmal, wie im Fall von Polio, die infizierten Zellen direkt
schädigen. In Abb. 24.7 ist die Pathogenese einer Virusenzephalomyelitis gezeigt. Bei
einer Impfenzephalitis spielen zum Teil Immunreaktionen eine Rolle, die sich nicht nur
gegen virale, sondern auch gegen wirtseigene Komponenten (im ZNS) richten.

682
Tab. 24.1 Liquorveränderungen bei ZNS-Infektionen.
* aseptisch, weil Liquor cerebrospinalis in normalen Bakterienkulturen steril ist
** niedrig (< 45 mg/dl) bei Tuberkulose, Pilzinfektionen (Mykosen) oder
Leptospirose
Abb. 24.3 Bakterielle Meningitis.

Akut-entzündliche Exsudation in den Subarachnoidalraum; Hämatoxylin-Eosin-


Färbung (mit freundlicher Genehmigung von P. Garen).

Während infiltrierende B-Zellen Antikörper gegen eingedrungene Erreger produzieren,


werden von T-Zellen in einer Antigenreaktion Zytokine gebildet, die weitere T-Zellen
und Makrophagen anlocken bzw. aktivieren. Daraus entwickelt sich innerhalb von
Tagen die Erkrankung. Unter Umständen kann sich die Entwicklung über Jahre
hinziehen – z.B. wenn die Infektion teilweise von der Wirtsabwehr eingedämmt wird –
wie bei der virologisch und immunologisch bedingten subakut-sklerosierenden
Panenzephalitis (SSPE) nach Masern.

Bakterien verursachen im Gegensatz dazu viel rascher pathologische Veränderungen;


dabei spielen lokale Reaktionen auf Bakterienantigene und Toxine eine wichtige Rolle.

683
In empfindlichen, nach außen abgeschlossenen Geweben wie der Leptomeninx, in
Gehirn und Rückenmark können Entzündung und Ödembildung lebensbedrohliche
Ausmaße annehmen, obwohl sie völlig belanglos wären, wenn sie in Skelettmuskeln,
Haut oder Leber auftreten würden.

Oft dauert es nach der klinischen Besserung noch Wochen, bis alle Zellinfiltrate entfernt
sind und sich das histologische Erscheinungsbild normalisiert hat.

Nur selten fördert eine ZNS-Invasion die Ausbreitung


von Infektionen
Für parasitäre Mikroorganismen, die ausgeschieden und auf neue Wirte übertragen
werden müssen, ist die ZNS-Invasion normalerweise eine unnütze Strategie, weil sie zur
Schädigung des Wirts führt. Sinnvoll erscheint sie nur bei zwei Gelegenheiten:

■ Wenn die Invasion von Hinterwurzelganglioneuronen einen wesentlichen


Schritt zur Latenzphase darstellt, aus der die Infektion reaktiviert und der Erreger
über Haut-/Schleimhautläsionen weiterverbreitet werden kann (HSV und VZV).

■ Bei Tollwut (s. unten) ist die ZNS-Invasion aus zwei Gründen notwendig; zum
einen kann sich das Virus durch eine absteigende Infektion vom ZNS über periphere
Nerven zu den Speicheldrüsen des infizierten Tieres ausbreiten und mit Speichel
übertragen werden, zum anderen bewirkt der Befall des limbischen Systems eine
Verhaltensänderung, die infizierte Tiere enthemmt, aggressiver und bissiger macht.
Das erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung der Infektion (durch einen Biss).
Man könnte in der Invasion des limbischen Systems eine abgefeimte Strategie des
Tollwutvirus sehen, um seine eigene Übertragung und sein Überleben zu sichern.

684
24.3 Meningitis

24.3.1 Bakterielle Meningitis

Eine akute bakterielle Meningitis ist lebensbedrohlich


und muss als Notfall behandelt werden
Eine bakterielle Meningitis kommt zwar seltener vor als eine Virusmeningitis, verläuft
aber schwerer. Sie kann eine Reihe verschiedener Ursachen haben (Tab. 24.2). Bis
Ende 1990 war in den meisten Fällen Haemophilus influenzae Typ b (Hib) der
Auslöser. Seit der Einführung eines spezifischen Hib-Impfstoffes in die
Impfempfehlungen für Kinder ist die Hib-Inzidenz jedoch gesunken, so dass jetzt
Neisseria meningitidis und Streptococcus pneumoniae für die meisten bakteriellen
Meningitiden verantwortlich sind. Zu den gemeinsamen Virulenzfaktoren der drei
Erreger (Tab. 24.3) gehört unter anderem ihre Polysaccharidkapsel (Tab. 24.4).

Meningokokkenmeningitis

Die Trägerrate (Neisseria meningitidis) in der


Bevölkerung liegt bei rund 20%, kann aber bei
Epidemien noch höher sein
Neisseria meningitidis ist ein Gram-negativer Diplokokkus, der strukturell große
Ähnlichkeit mit N. gonorrhoeae aufweist (s. Kap. 21). Allerdings kennzeichnet
zusätzlich eine antigen wirkende Polysaccharidkapsel den jeweiligen Serotyp.
Asymptomatische Träger sind in bestimmten geografischen Regionen bis zu 20%
der Bevölkerung. Mit ihren Pili haften die Bakterien vor allem an Epithelzellen im
Nasenrachenraum. In Blut und Meningen streuen sie selten, und falls doch, wird der
Hergang nicht besonders gut verstanden. Die bisher bekannten Virulenzfaktoren sind
in Tab. 24.3 zusammengefasst.

685
Tab. 24.2 Hauptursachen einer nichtviralen Meningitis, spezifische
Behandlung und Vorbeugung.
* sofortiger Therapiebeginn, Antibiotikaempfindlichkeit von Isolaten im Labor
testen lassen
** in Gebieten mit hoher Prävalenz penicillinresistenter Pneumokokken
empfiehlt sich eine Therapie mit Ceftriaxon, bis das Ergebnis der
Antibiotikaempfindlichkeitstestung vorliegt
BCG = Bacillus Calmette-Guérin

Tab. 24.3 Virulenzfaktoren der wichtigsten

Tab. 24.3 Virulenzfaktoren der wichtigsten bakteriellen


Meningitiserreger.

686
Menschen mit spezifischen komplementabhängigen Antikörpern gegen
Kapselantigene sind vor einer Bakterieninvasion geschützt. Verstärkt anfällig für
eine Bakteriämie (z.B. durch N. gonorrhoeae; s. Kap. 21) sind Patienten mit einem
Komplementmangel (C5–9). Am häufigsten infizieren sich Kleinkinder – nach
Verlust der Leihimmunität durch mütterliche Antikörper – oder Jugendliche beim
ersten Kontakt mit einem neuen infektiösen Serotyp, gegen den sich noch keine
spezifische Immunität entwickeln konnte.

Die Übertragung per Tröpfcheninfektion kann durch (virale) Atemwegsinfektionen


mit vermehrter Sekretion noch begünstigt werden. Daher tragen dichte
Menschenansammlungen auf engstem Raum (Gefängnisse, Militärlager, Schlafsäle
in Internaten) zum gehäuften Vorkommen der Infektion bei. Bei massenhaften
Ausbrüchen einer Meningokokkenmeningitis, wie es besonders häufig gegen Ende
des Winters/Anfang des Frühlings der Fall ist, kann die Trägerrate auf 60–80%
ansteigen.

Die Infektionen mit spezifischen Serotypen zeigen geografische Unterschiede. In


höher entwickelten Ländern dominieren die Serotypen B, C und Y, während die
Serotypen A und W-135 in Entwicklungsländern verbreiteter sind. Die verfügbaren
Impfstoffe sind nur gegen A, C, Y und W-135 wirksam, nicht aber gegen B (Tab.
24.4).

Großbritannien hat als erstes Land den neuen Meningitis-C-Konjugatimpfstoff


eingeführt, der seit November 1999 zu den Routineimpfungen von Kindern gehört.
Nach Empfehlungen des britischen Gesundheitsamtes sollten sich alle Universitäts-
und Collegestudenten im ersten Jahr bzw. junge Erwachsene im Alter von 20–24
Jahren gegen Meningitis C impfen lassen. Die US Centers for Disease Control
wollen verstärkt die Aufmerksamkeit von Collegestudenten in Wohnheimen auf die
Impfung lenken und das Angebot verbessern.

Zur Symptomatik einer Meningokokkenmeningitis


gehört ein hämorrhagisches Exanthem
Nach einer Inkubationszeit von 1–3 Tagen treten bei einer
Meningokokkenmeningitis plötzlich Halsentzündung, Kopfschmerzen,
Benommenheit und Meningitiszeichen auf – Fieber, Reizbarkeit, Nackensteife und
Lichtempfindlichkeit (Photophobie). Als Zeichen der begleitenden Sepsis zeigt sich
oft ein hämorrhagisches Exanthem mit Petechien (Abb. 24.4).

Bei rund 35% der Patienten entwickelt sich eine fulminante Sepsis mit
Komplikationen wie Gerinnungsstörung (disseminierte intravasale Koagulopathie),
Endotoxinämie, Schock und Nierenversagen. In besonders schweren Fällen kommt
es zur akuten Addison-Krise mit Einblutungen ins Gehirn und in die Nebennieren
(sog. Waterhouse-Friderichsen-Syndrom). Ohne Behandlung ist eine
Meningokokkenmeningitis zu 100% tödlich, doch auch mit Behandlung bleibt die
Letalität noch hoch (bis zu 10%). Hinzu kommen bei Überlebenden schwere
Folgeschäden wie ein dauerhafter Hörverlust (Tab. 24.5).

687
Tab. 24.4 Kapselpolysaccharide als wichtige Virulenzfaktoren in
der Pathogenese einer bakteriellen Meningitis.

Abb. 24.4 Meningokokkensepsis.

An den Extremitäten und Außenflächen mischen sich Petechien und ein


makulopapulöser Ausschlag (mit freundlicher Genehmigung von W.E. Farrar).

Die Verdachtsdiagnose akute Meningitis ergibt sich


meist aus der klinischen Untersuchung

688
Bei einer akuten Meningitis ist die labordiagnostische Sicherung der bakteriellen
Ursache eine Grundvoraussetzung für die richtige Antibiotikatherapie und (bei
Kontaktpersonen) -prophylaxe. Eine Stunde nach Abgabe einer Liquorprobe im
Labor sollte das vorläufige Ergebnis der mikroskopischen Untersuchung
(Leukozytenzahl, Gram-Färbung) vorliegen und 24 Stunden später sollten die
Ergebnisse der Liquor- und Blutkulturen nachgeliefert werden (s. Kap. 32). Eine
serologische Untersuchung ist diagnostisch nicht weiterführend, weil bei einer
akuten Infektion noch keine Antikörperreaktion nachweisbar ist.

Eine bakterielle Meningitis ist ein medizinischer


Notfall
Bei entsprechendem Verdacht sollte sofort mit einer Antibiotikatherapie begonnen
werden (möglichst nach der Liquorpunktion). Ein frühzeitiger Behandlungsbeginn
kann lebensrettend sein, selbst wenn er den Nachweis lebender Erreger in Proben
schwieriger macht.

Intime Kontaktpersonen und Familienmitglieder (Austausch von Küssen) sollten


eine 2-tägige Chemoprophylaxe mit Rifampicin erhalten. (Anmerkung: Penicillin
eignet sich nicht als Prophylaxe, weil Meningokokken aus dem Nasenrachenraum
von Trägern nicht beseitigt würden.) Nach Abklingen der Akutphase sollte ein
Therapieschema mit Rifampicin angewandt werden, um einen Übergang zum
Trägerstatus zu verhindern.

Haemophilus-Meningitis

Haemophilus influenzae Typ b kann zur Meningitis


bei Säuglingen und Kleinkindern führen
Haemophilus influenzae ist ein Gram-negatives Stäbchen. „Hämophil“ heißt
wörtlich „blutliebend“ und aus dem Zusatz „influenzae“ geht hervor, dass man ihn
ursprünglich für einen Grippe-(Influenza-)Erreger hielt. Heute weiß man, dass der
Keim üblicherweise eine Sekundärinfektion der unteren Atemwege bewirkt. Die
sechs bekannten Typen (a–f) von H. influenzae lassen sich serologisch durch ihre
Kapselpolysaccharide unterscheiden:

■ Die häufiger vorkommenden Stämme (z.B. auch im Rachen von Gesunden)


sind unbekapselt.

■ Typ b besitzt eine Kapsel und ist häufiger in den Atemwegen von Säuglingen
und Kleinkindern anzutreffen (wo dann auch die Infektion lokalisiert ist, s. Kap.
18); nur in seltenen Fällen kommt es zur Keimeinschwemmung ins Blut mit
Hirnhautentzündung.

Bis etwa zum 3./4.Lebensmonat sind Säuglinge durch mütterliche Antikörper


geschützt. Doch mit Nachlassen dieser Leihimmunität und solange die Kinder noch
keine eigenen Antikörper haben, öffnet sich ein „Fenster“ erhöhter Anfälligkeit.
Gegen die Bakterienkapsel gerichtete (antikapsuläre) Antikörper tragen als gute
Opsonine (s. Kap. 14) zur Phagozytose und Abtötung der Bakterien bei. Die T-Zell-

689
unabhängigen Antikörper werden erst im 2. oder 3.Lebensjahr der Kinder gebildet.
Neben der Kapsel besitzt H. influenzae noch weitere Virulenzfaktoren (Tab. 24.3).

Tab. 24.5 Klinische Kennzeichen einer bakteriellen Meningitis.


* bezogen auf die Zahl der Behandlungen
** größere ZNS-Ausfallerscheinungen; zudem Schwerhörigkeit bei bis zu
10% der Patienten

Schwere neurologische Komplikationen einer


akuten H.-influenzae-Meningitis
Nach einer Inkubationszeit von 5–6 Tagen beginnt eine H.-influenzae-Meningitis oft
schleichender als eine Meningo- oder Pneumokokkeninfektion (Tab. 24.5). Obwohl
sie seltener zum Tod führt, kann sie genauso wie eine Meningokokkeninfektion
gravierende Folgen haben (z.B. Hörverlust/Schwerhörigkeit, verzögerte
Sprachentwicklung, geistige Retardierung und Krämpfe; Tab. 24.5).

Die Diagnostik ist im Grunde dieselbe wie bei einer Meningokokkenmeningitis (s.
oben; Labordiagnose s. Kap. 32). Wichtig zu wissen ist, dass die Keime (erst recht in
geringer Zahl) in Gram-gefärbten Liquor-Ausstrichpräparaten oft nur schwer
erkennbar sind.

Hib-Impfung ab dem 2. Lebensmonat


Die Grundzüge der Behandlung sind oben bei der Meningokokkenmeningitis
beschrieben und Einzelheiten in Tab. 24.2 zusammengefasst. Für Kinder ab dem 2.
Lebensmonat ist eine Hib-Impfung geeignet, und der verfügbare Impfstoff ist gut
wirksam. Enge nichtimmune Kontaktpersonen kann man prophylaktisch mit
Rifampicin behandeln.

Pneumokokkenmeningitis

690
Streptococcus pneumoniae ist besonders bei
Kindern und älteren Menschen häufiger Auslöser
einer bakteriellen Meningitis
Seitdem Streptococcus pneumoniae vor mehr als 100 Jahren zum ersten Mal isoliert
wurde, hat man ihn intensiv erforscht, nicht nur als Erreger, sondern auch als frühes
Studienobjekt für bakterielle Veränderungen (Transformationen). Trotzdem weiß
man wenig mehr über seine Virulenzfaktoren, als dass er eine Polysaccharidkapsel
(Tab. 24.3 und 24.4) besitzt. Er bleibt eine führende Ursache der Morbidität und
Mortalität (Atemwegsinfektionen durch Pneumokokken s. Kap. 19).

Pneumokokken sind Gram-positive Kokken (mit Kapsel) und im Rachen vieler


Gesunder vorhanden. Selten bricht der Erreger ins Blut und die Hirnhäute ein, und
falls doch, sind vor allem Kleinkinder unter 2 Jahren, ältere Menschen,
Sichelzellkranke, geschwächte, splenektomierte oder Schädeltrauma-Patienten
betroffen. Mit der erhöhten Anfälligkeit verbunden sind niedrige Antikörpertiter
gegen Kapselantigene; diese Antikörper schützen den Wirt vor einer Invasion, weil
sie opsonisierend wirken und die Phagozytose fördern. Der Schutz ist allerdings
typspezifisch – es gibt über 85 verschiedene Kapseltypen von S. pneumoniae.

Klinisch zeigen sich bei Pneumokokkenmeningitis im Allgemeinen schwerere


Verläufe als bei einer N.-meningitidis- oder H.-influenzae-Infektion (Symptome s.
Tab. 24.5). Grundzüge der Diagnostik sind oben bei der Meningokokken-Meningitis
beschrieben (Einzelheiten s. Kap. 32).

Behandlung und Prävention einer Pneumokokken-Meningitis sind in Tab. 24.2


dargestellt. Seitdem weltweit penicillinresistente Pneumokokken beobachtet wurden,
muss die Antibiotikaempfindlichkeit des betreffenden Stamms untersucht werden. In
Ländern mit hoher Prävalenz von Penicillinresistenz in Pneumokokken hat sich
eine empirische Kombinationstherapie aus Vancomycin und Cefotaxim bzw.
Ceftriaxon bewährt.

Von den US Centers for Disease Control wird für alle Kinder vom 2. bis
23.Lebensmonat (d.h. im Rahmen der üblichen
Vorsorgeuntersuchungen/Schutzimpfungen) oder für ältere Kinder (zwischen 24 und
59 Monaten) mit erhöhtem Risiko für Pneumokokkeninfektionen (aufgrund von
Sichelzellanämie, HIV-Infektion, chronischer Immunkrankheit bzw. -schwäche)
eine Impfung empfohlen. Verfügbar ist ein wirksamer hepta-(7-)valenter
proteinkonjugierter Impfstoff, für Kinder über 5 Jahren auch der ältere 23-valente
Polysaccharidimpfstoff.

Listeria-monocytogenes-Meningitis

An einer Listerienmeningitis erkranken meist


Erwachsene mit Immunschwäche
Listeria monocytogenes ist ein Gram-positives kokkoides Stäbchen. Bei
Erwachsenen, deren Immunabwehr (z.B. nach Nierentransplantation, durch eine
Krebserkrankung) geschwächt ist, kann er eine wichtige Meningitisursache sein. L.

691
monocytogenes kann aber auch intrauterine und Neugeboreneninfektionen
hervorrufen (s. Kap. 23). Zur Behandlung empfiehlt sich eine Kombination von
Ampicillin mit Gentamicin.

Neugeborenenmeningitis
Weil ihr Immunsystem noch nicht ausgereift ist, haben Neugeborene (vor allem die
mit niedrigem Geburtsgewicht) ein erhöhtes Meningitisrisiko. Die Unreife des
Immunsystems äußert sich z.B. in Problemen der humoralen und zellulären
Immunität, der Phagozytosefähigkeit und der unwirksamen Komplementaktivierung
auf alternativem Weg. Seitdem medizinische Fortschritte der letzten Jahre dazu
beigetragen haben, dass mehr Frühgeborene überleben, wird das besonders deutlich.

Trotz rückläufiger Sterblichkeit in den entwickelten


Ländern stellt die Neugeborenenmeningitis noch
immer ein ernstes Problem dar
Aus dem breiten bakteriellen Erregerspektrum sind hämolysierende Streptokokken
der Gruppe B (GBS) und Escherichia coli die häufigsten Auslöser einer
Neugeborenenmeningitis (Tab. 24.6, s. Kap. 23). Zum einen kann sie als
nosokomiale Infektion auftreten, doch zum anderen können sich Säuglinge auch bei
ihrer Mutter infizieren. Wenn die Vagina der Mutter z.B. mit GBS besiedelt ist,
könnte das Kind bei der Geburt mütterliche Sekrete wie infiziertes Fruchtwasser
schlucken.

Eine Neugeborenenmeningitis führt oft zu bleibenden neurologischen Schäden


(Hirn- bzw. Kranialnervenlähmung, Epilepsie, geistige Retardierung,
Hydrozephalus). Das liegt zum Teil daran, dass sie klinisch schwer diagnostizierbar
ist, weil Neugeborene kaum spezifischere Symptome als Fieber, Trinkschwäche,
Erbrechen, Atemschwierigkeiten oder Diarrhoe zeigen. Zudem kommen so viele
Erreger als Ursache in Frage, dass eine „blinde“ Antibiotikatherapie ohne
Empfindlichkeitstest suboptimal ist; fraglich ist auch, wie liquorgängig die Mittel
sind.

692
Tab. 24.6 Streptokokken der Gruppe B – wichtige Ursache der
Neugeborenenmeningitis.

Tuberkulöse Meningitis
Bei einer tuberkulösen Meningitis befindet sich der Infektionsherd immer an anderer
Stelle im Körper, doch bei rund 25% der Patienten gibt es weder klinische noch
anamnestische Hinweise auf eine solche Infektion. In über 50% geht die Meningitis
mit einer akuten Miliartuberkulose einher (Abb. 24.5). In Gebieten mit hoher
Tuberkuloseprävalenz erkranken am häufigsten Kinder unter 4 Jahren an Meningitis,

693
während dort, wo die Tuberkulose eher seltener ist, die meisten Meningitisfälle bei
Erwachsenen auftreten.

Schleichender Beginn der tuberkulösen Meningitis


über mehrere Wochen
Nach schleichendem Beginn (mit Allgemeinsymptomen wie Abgeschlagenheit,
Apathie und Appetitverlust) entwickelt sich die Meningitis über Wochen weiter, bis
hin zu Photophobie, Nackensteife und Bewusstseinstrübung. Manchmal beginnt sie
aber so plötzlich, dass sie irrtümlich für eine Subarachnoidalblutung gehalten
werden kann. Aufgrund ihres variablen Erscheinungsbildes wird eine tuberkulöse
Meningitis oft nur dann diagnostiziert, wenn der Arzt überhaupt an diese
Möglichkeit denkt. Werden Diagnose und Behandlungsbeginn (Antibiotikatherapie,
Tab. 24.2) hinausgezögert, kann es zu ernsten Komplikationen und Folgezuständen
kommen.

Außer in Entwicklungsländern ist die spinale Tuberkulose inzwischen selten


geworden. Da Tuberkelbazillen das Bandscheibengewebe zerstören, bilden sich im
Wirbelbereich Epiduralabszesse, die durch Kompression des Rückenmarks zur
Paraplegie führen können.

24.3.2 Pilzmeningitis
Wenn Cryptococcus neoformans oder Coccidioides immitis von einem Primärherd in der
Lunge ins Blut eingeschwemmt werden, können sie auch eine Meningitis verursachen.
C. neoformans weist einen ausgeprägten ZNS-Tropismus auf und ist Hauptauslöser
einer metastatischen Meningitis durch Pilze. Von C. neoformans gibt es zwei Formen
mit jeweils zwei Serotypen.

An einer Cryptococcus-neoformans-Meningitis
erkranken meist Patienten mit geschwächter
zellvermittelter Immunität
Daher kommt sie bei AIDS-Kranken oder Patienten unter immunsuppressiver
Therapie vor. Die Meningitis beginnt gewöhnlich schleichend über Tage bis Wochen.
Die in Liquor-Tuschepräparaten erkennbaren Hefepilze mit Kapseln (Abb. 24.6)
lassen sich anzüchten (s. Kap. 32). Ein anderes nützliches Diagnoseinstrument ist der
Antigennachweis, der sich auch zur Kontrolle des Therapieerfolgs (sinkender
Antigentiter im Liquor) eignet. Als antimykotische Kombinationstherapie werden
Amphotericin B, Fluconazol und Flucytosin empfohlen, da Amphotericin allein
schlecht liquorgängig ist.
Abb. 24.5 Zusammenhang zwischen akuter
Miliartuberkulose und Meningitis.

694
* Invasion ins Blut führt zur Miliartuberkulose (von latein. milium = Hirsekorn)
mit Tuberkeln, die wie Hirsekörner aussehen und in der Lunge, aber auch an
anderen Stellen im Körper vorkommen können.

Coccidiodes-immitis-Infektionen sind geografisch


unterschiedlich verbreitet
Bevorzugt treten sie im Südwesten der USA, in Mexiko und Südamerika auf. Zu einer
ZNS-Infektion kommt es bei weniger als 1% der Infizierten; allerdings kann sie
unbehandelt tödlich verlaufen. Die Meningitis kann Symptom einer generalisierten
Erkrankung sein oder den einzigen extrapulmonalen Herd darstellen. In
Liquorpräparaten sind die Mikroorganismen selten sichtbar und sie lassen sich auch
nur in weniger als 50% anzüchten. Diagnostisch wegweisend ist aber der Nachweis
komplementfixierter Antikörper im Serum. Amphotericin B, Fluconazol oder
Miconazol werden zur Behandlung empfohlen.
Abb. 24.6 Cryptococcus neoformansim Sediment
eines Liquor-Tuschepräparats.

695
(Mit freundlicher Genehmigung von A.E. Prevost)

24.3.3 Protozoenmeningitis
In wärmeren Ländern können sich in stehenden Gewässern Amöben (Naegleria- oder
Acanthamoeba-Spezies) vermehren, bevorzugt im Bodenschlamm von Seen oder
Swimming-Pools. Wenn sie eingeatmet werden, können sie über Riechbahn und
Siebplatte (Lamina cribrosa) bis zu den Hirnhäuten gelangen. Von Naegleria wird eine
primäre Amöbenmeningoenzephalitis mit raschem Beginn und hoher Sterblichkeit
verursacht, während eine Acanthamoeba-Infektion eher chronisch verläuft und zu
einer granulomatösen Amöbenenzephalitis führt.

Bei sorgfältiger Untersuchung frischer, feuchter Liquorproben sind die langsam


beweglichen Amöben zu sehen. Die Behandlungsergebnisse sind nicht voll zufrieden
stellend. Erprobt wurden Amphotericin mit Miconazol und Rifampin gegen Naegleria-
Spezies bzw. eine Vielzahl unterschiedlicher Mittel gegen Acanthamöben.

24.3.4 Virusmeningitis

Die meisten Meningitiden sind viral bedingt


Eine virale Meningitis verläuft milder als eine bakterielle Infektion – auch mit
Kopfschmerzen, Fieber und Photophobie, aber ohne starke Nackensteife. Wenn keine
Bakterien vorhanden sind, bleibt der Liquor klar und enthält überwiegend
Lymphozyten, in der Frühphase können auch polymorphkernige Leukozyten
vorhanden sein (Tab. 24.1). Mögliche Ursachen einer Virusmeningitis sind in Tab.
24.7 zusammengestellt. In weniger als 50% der Fälle lassen sich aus dem Liquor Viren
isolieren, daher wird die Diagnose meist mithilfe von Virusgenom-
Nachweismethoden wie der Polymerasekettenreaktion (PCR) gestellt.

696
Tab. 24.7 Ursachen einer Virusmeningitis.
Da eine Infektion mit humanen Enteroviren (Echoviren, Coxsackie Gruppe A und B,
drei Poliovirus-Gruppen) meist asymptomatisch verläuft, muss es ätiologisch nichts
weiter bedeuten, wenn sich eines der Viren aus dem Rachenabstrich oder der
Stuhlprobe eines Kindes mit leichter Meningitis isolieren lässt. Enteroviren sind
allerdings die häufigste Ursache einer saisonal auftretenden aseptischen Meningitis.
Im Unterschied zur bakteriellen Meningitis heilt eine Virusmeningitis trotz geringer
Behandlungsalternativen (verfügbar sind lediglich ein paar antivirale Medikamente)
nach benignem Verlauf in der Regel vollständig aus.

697
24.4 Enzephalitis

Eine Enzephalitis ist meist durch Viren verursacht


Mögliche Ursachen und Pathogenese einer Virusenzephalitis sind in Tab. 24.8 und Abb.
24.7 zusammengestellt. Typisch sind Anzeichen einer zerebralen Dysfunktion
(Funktionsausfall), da das Hirngewebe von der Entzündung betroffen ist und nicht nur
die Hirnhaut bei der Meningitis. Bei manchen Enzephalitis-Patienten kann es zu
auffälligem Verhalten, Krämpfen und Bewusstseinsveränderungen kommen (oft mit
Übelkeit, Erbrechen und Fieber).

Auch Toxoplasma gondii und Cryptococcus neoformans können – besonders bei


eingeschränkter zellvermittelter Immunität – zu einer lebensbedrohlichen Enzephalitis
oder Meningoenzephalitis führen. Als Komplikation einer Plasmodium-falciparum-
Infektion verläuft eine zerebrale Malaria oft tödlich. Eine Enzephalitis kann auch als
Begleiterscheinung der Lyme- (durch Borrelia burgdorferi) und der Legionärskrankheit
(Legionella pneumophila) auftreten, doch es ist nicht klar, welchen Stellenwert
bakterielle Invasion, Bakterientoxine und Immunpathologie haben.

Die Herpes-simplex-Enzephalitis (HSE) ist die häufigste


Form einer sporadisch auftretenden, schweren akuten
Herdenzephalitis
In den USA beträgt die jährliche Inzidenz der Neuerkrankungen an HSE ca. 1/250000
bis 500000 Einwohner. Es macht aber einen Unterschied, ob eine Herpesinfektion des
ZNS bei Neugeborenen oder bei älteren Kindern und Erwachsenen auftritt. Wenn sich
Neugeborene von Müttern mit einer genitalen HSV-2-Infektion während der
vaginalen Entbindung angesteckt haben, entwickelt sich eine disseminierte
Primärinfektion mit diffuser Enzephalitis.

Dagegen wird eine Herpesenzephalitis bei älteren Kindern und Erwachsenen meist
durch HSV-1 ausgelöst. In der Mehrzahl handelt es sich um eine Reaktivierung des
Virus in den Trigeminusganglien (s. Kap. 15), von wo aus die Infektion zurück ins
Gehirn (Temporallappen) wandert. Nur die wenigsten Fälle beruhen auf einer
Primärinfektion. Rund 30% der HSE-Patienten sind unter 20, rund 50% über 50 Jahre
alt.

Auch auf Haut oder Schleimhäuten können sich Herpesbläschen zeigen. Diagnostisch
wegweisend ist eine verstärkte Temporallappen-Zeichnung im CT oder MRT (Abb.
24.8). Mithilfe der PCR sollte man einen HSV-DNA-Nachweis an einer Liquorprobe
durchführen. Auch ein Elektroenzephalogramm (EEG) kann sinnvoll sein. Durch eine
rechtzeitig begonnene intravenöse Dauerinfusion von Aciclovir lässt sich die
Sterblichkeit (bis zu 70% der unbehandelten Patienten!) deutlich senken.

Andere Herpesviren verursachen seltener eine


Enzephalitis
Während eine Enzephalitis durch das Varicella-Zoster-Virus(VZV) im Allgemeinen
durch eine Reaktivierung bedingt ist, kann es sich bei einer Zytomegalie-(CMV-

698
)Enzephalitis um eine intrauterine Primärinfektion (s. Kap. 21) oder um eine
Reaktivierung handeln, die z.B. als Komplikation bei Immunschwäche (wie AIDS)
auftritt. Berichtet wurde auch über eine HHV-6-Enzephalitis bei immunsupprimierten
Patienten.

699
Tab. 24.8 Ursachen einer Enzephalitis.
FSME = Frühjahrs-Sommer-Meningoenzephalitis, HTLV = human T-cell
lymphotropic virus

700
Das B-Virus ist ein „simian“-(Affen-)Herpesvirus von Makaken. Den Tieren selbst tut
es nichts, führt jedoch bei Menschen, die von einem infizierten Affen gebissen wurden,
unter Umständen zu einer schweren, tödlichen Enzephalitis. Die Bisswunde muss sofort
gereinigt werden, und eine sofortige antivirale Prophylaxe wird empfohlen.

24.4.1 Enterovirusinfektionen

Früher waren Polioviren eine häufige


Enzephalitisursache
Bei der großen Poliovirusepidemie in New York (1916) wurde 9000 Fälle von
Paralysen gemeldet, fast durchweg bei Kindern unter 5 Jahren („Kinderlähmung“).
Weniger als 1% der Infizierten hatten Anzeichen einer ZNS-Erkrankung. Nach 1- bis
4-tägigem Fieber mit Halsschmerzen und allgemeinem Krankheitsgefühl zeigten sich
die ersten meningitischen Symptome, gefolgt von einer Beteiligung motorischer
Neurone und Lähmungen (Abb. 24.2).

Heute gibt es wirksame Impfstoffe. Seitdem Struktur (Abb. 24.9) und Replikation des
Virus besser bekannt sind und der Versuch unternommen wurde, die Erkrankung bis
zum Jahre 2002 auszurotten, hat die Poliomyelitis-Inzidenz ihren historisch
niedrigsten Stand erreicht. Die Kinderlähmung lässt sich durch Schutzimpfungen
sicher verhüten (s. Kap. 31) und ist infolge der in den 50er Jahren gestarteten
Impfprogramme in den entwickelten Ländern praktisch verschwunden (Abb. 24.10).

Mit der weltweiten Initiative zur Ausrottung der Polio – Global Polio Eradication
Initiative – konnte die Zahl der Endemiegebiete im Zeitraum von 2000/2001 um die
Hälfte auf 10 Länder verringert werden. 2002 blieben folgende Endemiegebiete übrig:
Indien, Pakistan, Nigeria, Afghanistan, Niger, Somalia, Ägypten, Angola, Äthiopien
und Sudan (in abnehmender Reihenfolge der Ansteckungsraten). Die Zahl der
Neuerkrankungen sank von 2979 im Jahr 2000 auf 537 im Jahr 2001, d.h. um über
80%. Verglichen mit 1988, als noch über 350000 Kinder in 125 Ländern
Kinderlähmung hatten, ein höchst eindrucksvoller Rückgang! Im Jahr 2001 erhielten
mehr als 575 Millionen Kinder unter 5 Jahren in 94 Ländern die Impfung.

701
Abb. 24.7 Pathogenese einer viralen
Enzephalomyelitis.

Ma = Makrophagen, NK = natürliche Killerzellen

702
Abb. 24.8 Herpes-simplex-Enzephalitis (HSE).

Das Computertomogramm (CT) zeigt eine Verstärkung der Hirnwindungen (Gyri)


im linken Temporallappen und ein Hirnödem (mit freundlicher Genehmigung von
J. Curé).
Abb. 24.9 Oberfläche eines Poliovirus in einem
Modell (Computergrafik aufgrund von
Röntgenstrahlendiffraktionsstudien).

703
Bei den Untereinheiten der Kapsid-/Hüllproteine handelt es sich um Virusprotein 1
(VP-1, blau), VP-2 (grün) und VP-3 (grau). Mit freundlicher Genehmigung von
A.J. Olson (Forschungsinstitut der Scripps-Klinik in La Jolla, Kalifornien).
Abb. 24.10 Inzidenz der Kinderlähmung
(paralytische Poliomyelitis) in den USA im Zeitraum
1951–1985.

Da die drei Antigen- bzw. Serotypen des Poliovirus eine geringe Kreuzreaktivität
aufweisen, sind zum Schutz jeweils typspezifische Antikörper nötig. In mindestens
75% waren die Lähmungen durch Typ 1 bedingt.

Eine Epidemie der Hand-Fuß-Mund-Krankheit (durch


Enterovirus 71) war mit einer hohen Rate
neurologischer Komplikationen verbunden
Enteroviren wie Coxsackie- oder Echoviren führen nur gelegentlich zu
Meningoenzephalitis. 1998 häuften sich jedoch Fälle einer Hand-Fuß-Mund-Infektion
durch das Enterovirus 71 in Taiwan. Die meisten der 405 Patienten waren Kinder
unter 5 Jahren, mit einer Letalitätsrate von 19%. Von den am stärksten betroffenen
Kindern (mit Beteiligung des Hirnstamms) behielten viele bleibende neurologische
Schäden zurück. Ein Impfstoff steht nicht zur Verfügung. Die Wirksamkeit der
Substanz Pleconaril wird zurzeit in klinischen Studien von Enterovirusinfektionen
untersucht.

704
24.4.2 Paramyxovirusinfektionen

Das Mumpsvirus löst häufig eine milde Form von


Enzephalitis aus
Eine asymptomatische ZNS-Invasion scheint öfter vorzukommen, denn bei rund
50% der Patienten mit Parotitis lässt sich eine erhöhte Zellzahl im Liquor nachweisen.
Doch Meningitis und Enzephalitis treten andererseits oft auch ohne Parotitis auf.

Als Zoonose gewinnt die Nipah-Virus-Enzephalitis


zunehmend an Bedeutung
1998 brach auf Schweinefarmen in Malaysia eine tödliche Enzephalitis unter den
Arbeitern aus; 105 der insgesamt 265 Patienten starben an der Nipah-Virus-
Enzephalitis. Zunächst hatte man eine Japanische Enzephalitis als Ursache vermutet,
doch aufgrund der klinischen, epidemiologischen und virologischen Merkmale musste
es sich um ein Paramyxovirus handeln. Vermutlich wurde es durch
Tröpfcheninfektion (Aerosol) von infizierten Schweinen auf Menschen übertragen,
die engen Kontakt zu den Tieren hatten.

Nach der Schlachtung von über 1 Million infizierten bzw. exponierten Schweinen in
den betroffenen sowie angrenzenden Gebieten Malaysias brach die Epidemie ab. Das
Reservoir bilden vermutlich Inselflughunde (Pteropus hypomelanus), denn in Urin
und Speichel dieser Fledermausart war das Virus nachzuweisen. Die Schweine hatten
Obst gefressen, das mit Sekreten der Flughunde kontaminiert war, und sich daran
infiziert.

24.4.3 Tollwutvirusenzephalitis

Weltweit erkranken jährlich 35000 Menschen an


Tollwut
Auslöser der Tollwut ist ein Rhabdovirus, ein einzelsträngiges RNA-Virus mit
Gewehrkugel-/Patronenform. Infizierte Hunde, Füchse, Schakale, Wölfe, Stinktiere,
Waschbären und Vampirfledermäuse scheiden es im Speichel aus, und wenn
infektiöser Speichel in eine Wunde gelangt (Tierbiss oder Verunreinigung einer
Hautabschürfung), kann das Tollwutvirus auf Menschen übertragen werden. Füchse
z.B. sind infektiöser als andere Tiere, weil ihr Speichel größere Virusmengen (bis zu
106 Infektionsdosen/ml) enthält.

Letztlich ist Tollwut tödlich, auch wenn der Krankheitsverlauf speziesabhängig enorm
schwanken kann. Bei einem Hund, der 10 Tage, nachdem er einen Menschen gebissen
hat, weiterhin gesund wirkt, ist Tollwut ziemlich unwahrscheinlich. Doch das Virus
kann sich schon im Speichel befinden, bevor bei dem infizierten Tier klinische
Zeichen auftreten.

Das Tollwutvirus kann alle Warmblüter infizieren. In Mittel- und Südamerika


verenden jährlich über 1 Million Stück Vieh an Tollwut durch Vampirfledermaus-

705
Bisse. Weltweit erkranken 35000 Menschen pro Jahr an Tollwut, meist nach einem
Hundebiss. Auf dem kontinentalen Festland erhält sich die Infektion in Säugetieren
(nicht Menschen) selbst aufrecht. Inseln wie Australien, Großbritannien, Japan,
Hawaii, die meisten Karibikinseln und Skandinavien sind tollwutfrei, weil der Import
von Hunden und Katzen streng kontrolliert wird; doch es zeichnen sich
Veränderungen ab.

Nachdem in den 40er/50er Jahren die meisten Fälle durch Hunde verursacht waren, ist
in den USA die Tollwut-Inzidenz bei Menschen rückläufig. Jetzt sind häufiger wild
lebende Tiere (Stinktiere, Waschbären und Fledermäuse) oder auch Hunde in anderen
Ländern die Infektionsquelle. Von Florida aus breitete sich die Waschbären-Tollwut
ab 1950 langsam nordwärts aus. Als 1980 in Virginia, Maryland und Columbia ein
explosionsartiger Anstieg zu beobachten war, lag es offenbar daran, dass Waschbären
aus infizierten Gebieten importiert worden waren.

Die Inkubationszeit bei Menschen beträgt im Allgemeinen 4–13 Wochen, manchmal


aber auch bis zu 6 Monate, wenn das Virus verzögert in periphere Nerven eindringt.
Weil das Tollwutvirus an peripheren Nerven aufwärts wandert, dauert die
Inkubationszeit umso länger, je weiter distal vom ZNS das Tier zugebissen hat; nach
einem Biss in den Fuß wird sie z.B. länger sein als nach einem Biss ins Gesicht.

Solange das Virus an den Axonen motorischer oder sensorischer Nerven entlang
hochsteigt, ist keine Antikörper- oder zellvermittelte Immunantwort nachweisbar,
wahrscheinlich weil das Antigen in infizierten Muskelzellen noch sequestriert bleibt.
Daher kann in der Inkubationszeit eine passive Immunisierung mit Immunglobulin
erfolgen.

Hat es das Gehirn erreicht, breitet sich das Virus von Zelle zu Zelle aus, bis ein großer
Teil der Neurone infiziert ist. Doch selbst elektronenmikroskopisch sind kaum
zytopathische Auswirkungen und so gut wie keine Zellinfiltration erkennbar. Statt
einer sichtbaren Schädigung infizierter Zellen fällt ihr weitgehender Funktionsausfall
auf. Sobald das Virus ins limbische System eingedrungen ist, kann sich bei infizierten
Tieren ein verändertes Verhalten bemerkbar machen.

706
Klinische Zeichen von Tollwut sind Muskelspasmen,
Krämpfe (Konvulsionen) und Wasserscheu
(Hydrophobie)
Nach Hals- und Kopfschmerzen, Fieber und Beschwerden an der Bissstelle werden die
Patienten zunehmend erregt und bekommen Muskelspasmen und Krämpfe. Dass sich
auch die Schluck-/Schlingmuskeln beim Versuch, Wasser zu trinken, verkrampfen und
sich die Symptome manchmal schon beim Anblick von Wasser verstärken, erklärt die
frühere Bezeichnung der Tollwut als „Wasserscheu“ (Hydrophobie).

Tollwut ist tödlich; die meisten Patienten sterben an einem Herz- oder
Atemstillstand. Oft ist die Lähmung Leitsymptom der Erkrankung. Ein oder zwei
Patienten überlebten nach der Behandlung auf der Intensivstation mit schweren
neurologischen Schäden.

Tollwut lässt sich durch Virusantigen- oder Virus-RNA-


Nachweis diagnostizieren
Labordiagnostisch kann Tollwut durch Immunfluoreszenz (zum Nachweis von
Virusantigen) oder PCR (zum Nachweis von Virus-RNA aus Hautproben, Hornhaut-
Impressionsabstrichen, Hirnbiopsien) festgestellt werden. In den Neuronen sind
typische zytoplasmatische Einschlusskörperchen, die sog. Negri-Körperchen, zu
sehen (Abb. 24.11).

Außer einer supportiven Behandlung gibt es keine Möglichkeit der Therapie.

Viele Länder (z.B. Frankreich) haben Impfprogramme für Haushunde festgesetzt,


und in Kanada (unter anderem) wurden zur Impfung wild lebender Füchse in
Lebendvakzine getauchte Fleischbrocken aus der Luft abgeworfen. Tollwutfreie
Länder müssen ihre Grenzen ständig überwachen und durch strenge
Quarantänevorschriften verhindern, dass infizierte Tiere eingeführt werden. 1886
starben in England 36 Menschen an Tollwut, 11 davon in London. Noch bis 1906 war
die Tollwut in England endemisch und im Londoner Hampton Court Park verendeten
einzelne Hirsche bzw. Rehe.

Nach Kontakt mit einem verdächtigen Tier sollten


unverzüglich Schritte zur Prävention von Tollwut
unternommen werden
■ Wunde sofort reinigen (Alkohol, Jod, Débridement);

■ Nachweis oder Ausschluss von Tollwut (klinische Beobachtung des Hundes,


histologische Untersuchung von Hirnproben bei anderen verdächtigen Spezies);

■ sofortige passive Immunisierung durch humanes Tollwut-Immunglobulin, die


Hälfte der Dosis in die Wunde, den Rest intramuskulär injizieren;

707
■ bei nachgewiesenem Risiko aktive Immunisierung mit abgetötetem
Tollwutvirusimpfstoff (s. Kap. 34). Durch möglichst frühzeitige Impfung lässt sich
Tollwut mit größerer Wahrscheinlichkeit verhindern.

24.4.4 Togavirusinfektionen (Meningitis und


Enzephalitis)

Togaviren werden von Arthropoden übertragen und


können eine Meningitis oder Enzephalitis verursachen
Diese Togaviren sind in Tab. 24.7 und 24.8 aufgelistet und manchmal führen sie zu
einer Häufung von Infektionen. In bestimmten Gegenden der Welt dienen Säugetiere,
Vögel oder sogar Reptilien als Reservoir und eine Reihe von Mücken oder Zecken als
Vektoren. Eine neurologische Erkrankung entwickelt sich meist bei weniger als 1%
der infizierten Menschen (s. Kap. 27). Auch wenn hin und wieder eine febrile
Erkrankung vorkommen kann, verlaufen die meisten Infektionen doch
asymptomatisch.
Abb. 24.11 Mehrere Negri-Körperchen als
zytoplasmatische Einschlüsse in den
Pyramidenneuronen des Hippocampus als Zeichen
von Tollwut.

(Mit freundlicher Genehmigung von P. Garen)

In Kalifornien sind z.B. das Western-Equine-Encephalitis(WEE)- und das St.-Louis-


Encephalitis(SLE)-Virus vorherrschend. Sie werden von der Mücke Culex tarsalis
übertragen; ein WEE-Impfstoff steht nur für Pferde zur Verfügung. In Indien sind
Infektionen mit dem Japanische-Enzephalitis-Virus verbreitet; in höheren
Altersgruppen können sie eine hohe Letalität (über 50%) aufweisen. Ein Impfstoff für
Menschen wurde entwickelt.

708
24.4.5 Neu aufgetauchte Enzephalitisursache, das
Westnilvirus
1999 starben bei einer Epidemie in New York 7 von 62 an Virusenzephalitis
erkrankten Patienten. Von der Meningoenzephalitis waren nur selten jüngere
Altersgruppen, sondern hauptsächlich die über 50-Jährigen betroffen. Ursprünglich
dachte man an das St.-Louis-Encephalitis-Virus (SLE), doch eine genauere klinische,
epidemiologische und virologische Charakterisierung ergab, dass es sich um eine
Westnilvirusinfektion handeln musste. Bei einer vorausgegangenen Virusepidemie
waren Wild- und andere Vögel gestorben, die als Reservoir des SLE normalerweise
nicht von ihm getötet würden.

Wie das SLE gehört das Westnilvirus zur Serogruppe der Japanischen Enzephalitis der
Flaviviren. Obwohl man es aus Afrika und dem Mittleren Osten kannte, war das
Westnilvirus zuvor im Westen noch nicht aufgetreten. Es infiziert primär Vögel und
Culex-Mücken, während Menschen und Pferde nur Zufallswirte werden. Seit 1999 hat
sich das Virus erfolgreich mit den Zugvögeln ausgebreitet und ist nun fast überall in den
USA anzutreffen. Berichten zufolge wurde es durch Organe von einem Spender, der vor
seinem Tod an einer Westnilvirämie litt, auch auf vier Transplantatempfänger
übertragen.

Die Diagnose kann durch Nachweis der Virus-RNA oder eine IgM-Reaktion von
Serum- und/oder Liquorproben gestellt werden. Behandelt wird rein supportiv; einen
Impfstoff gibt es nicht. Zur Prävention dienen Mückenbekämpfungsprogramme.

24.4.6 Retrovirusinfektionen (Meningitis und


Enzephalitis)

Durch HIV kann eine subakute Enzephalitis mit


Demenz ausgelöst werden
Oft dringt das HIV kurz nach Beginn der Infektion ins ZNS ein (s. Kap. 21) und
bewirkt dadurch einen Anstieg der Liquorzellzahl mit leichten Meningismuszeichen.
In einem späteren Stadium kann sich unabhängig vom Krankheitsbild der
Immunschwäche eine subakute Enzephalitis, meist mit Demenz, entwickeln.
Manchmal ist sie schwer von den neurologischen Symptomen zu unterscheiden, die
eine Infektion mit T. gondii, C. neoformans, CMV und JC-Virus hervorrufen kann.
Das JC-Virus ist ein Polyomavirus, das bei Immunschwäche, vor allem bei AIDS-
Patienten, durch Invasion in Oligodendrozyten zu einer progressiven multifokalen
Leukoenzephalopathie (PML) führt.

Bei HIV-assoziierter Demenz sind die Ventrikel des geschrumpften Gehirns


vergrößert und die Nervenbahnen mit Myelinscheiden vakuolisiert. Durch HIV werden
hauptsächlich Makrophagen und Mikroglia des ZNS infiziert. Weil das Krankheitsbild
viel schwerer ist, als aufgrund der pathologischen Veränderungen zu erwarten wäre,
vermutet man noch andere Pathomechanismen. So lässt z.B. die Ähnlichkeit von
Aminosäuresequenzen des HIV-Hüllproteins gp120 und bestimmter
Neurotransmittermoleküle vermuten, dass HIV-Moleküle die Wirkung natürlicher
Neurotransmitter blockieren könnten.

709
Bei einigen Patienten entwickelt sich nach einer HTLV-1-Infektion das
Krankheitsbild der „tropischen spastischen Paraparese“. Das Rückenmark ist auf jeden
Fall beteiligt, doch über die Pathogenese weiß man noch wenig.

24.4.7 Impf- und postinfektiöse Enzephalitis

Eine Enzephalitis nach Virusinfektionen oder


Impfungen könnte autoimmun bedingt sein
Sehr selten kommt es ein bis zwei Wochen nach einer scheinbar normalen
Maserninfektion und noch seltener nach Röteln zu einer Enzephalitis, gelegentlich
auch nach einer Mykoplasmeninfektion oder einigen grippeähnlichen Krankheiten. Im
Allgemeinen lässt sich im ZNS kein Virus nachweisen, und die perivaskuläre
Infiltration zum Teil mit Demyelinisierung legt den Verdacht einer
Autoimmunpathogenese nahe. Inaktivierter Tollwutimpfstoff aus Hirngewebe (heute
obsolet), aber auch eine Immunisierung mit nichtinfektiösem Material konnte zu
einem ähnlichen Zustand führen. Das klinische Bild gleicht dem einer experimentell
erzeugten allergischen Enzephalitis und könnte durch eine Autoimmunreaktion auf
eine Infektion oder auf das injizierte Material ausgelöst werden.

Ein analoger Zustand mit entzündlicher Demyelinisierung peripherer Nerven ist das
Guillain-Barré-Syndrom, das mit verschiedenen Virusinfektionen und
nichtinfektiösen Impfstoffen in Verbindung gebracht wird. Als 1976 die meisten
Erwachsenen in den USA mit inaktivierter Influenzavirusvakzine gegen Grippe
geimpft wurden, kam es in einer kleinen, aber hoch signifikanten Zahl von Fällen zu
einem Guillain-Barré-Syndrom.

Auch das Röteln- und das Masernvirus dringen ins ZNS sein, doch sie wachsen so
langsam und oft unvollständig, dass sie von der Immunabwehr des Wirts zumindest
teilweise unter Kontrolle gehalten werden können (s. Kap. 11). Klinisch treten erst
nach bis zu 10-jähriger Inkubationszeit erste Krankheitszeichen in Erscheinung.

■ SSPE kann Folge der ZNS-Invasion bei einer ansonsten unkomplizierten


Masernvirusinfektion sein.

■ Röteln führen nur selten zu einem SSPE-ähnlichen Krankheitsbild, dringen


aber wie CMV häufiger ins Gehirn von Feten ein und verursachen dadurch
Entwicklungsstörungen in Form einer geistigen Retardierung.

24.5 Neurologische Erkrankungen mit vermuteter


viraler Ätiologie
Schon öfter wurde die Vermutung geäußert, dass bestimmte neurologische Erkrankungen
unbekannter Ursache (wie multiple Sklerose, amyotrophe Lateralsklerose, Parkinson-
Krankheit, Schizophrenie und senile Demenz) viral bedingt sein könnten. Obwohl es
bisher noch keine stichhaltigen Beweise dafür gibt, könnten gefährliche autoimmune
ZNS-Reaktionen zum Teil durch Viren getriggert sein.

710
24.6 Spongiforme Enzephalopathien durch Scrapie-
artige Partikel

Die infektiösen Partikel sind eng mit Prionproteinen des


Wirts verbunden
Unterschiedliche Säugetiere, darunter auch Menschen, können Scrapie-artige
Krankheiten bekommen, die von Labortieren (Mäuse und Ratten oder Primaten)
übertragen werden. Die infektiösen Partikel weisen besondere biologische
Eigenschaften auf. Molekularbiologisch sind sie inzwischen gut beschrieben, und
Laborexperimente mit Mäusen gaben Aufschluss über ihre Interaktion mit
Wirtsgeweben (s. Kap. 7). Typisch für das Krankheitsbild ist das durch Vakuolen- und
Plaquebildung schwammartig aussehende Nervengewebe. Merkmale Scrapie-artiger
Partikel sind unter anderem:

■ Extrem langsame Replikation; es dauert über eine Woche bis zur


Verdopplung ihrer Zahl. Normalerweise ist die Inkubationszeit so lang, dass sie einen
beträchtlichen Teil der Lebensspanne ausmacht.

■ Trotz ihrer virusähnlichen Größe sind es keine echten Viren, da sie weder
DNA noch RNA enthalten. Eng mit den infektiösen Partikeln verbunden ist ein
Prionprotein, das vom Wirt kodiert wird, im infizierten Gehirn aber leicht abgewandelt
ist; das anormale Protein häuft sich in Nervenzellen an. Durch Umwandlung des
wirtskodierten Prionproteins in die anormale Form findet die Replikation statt.

■ Die Partikel zeigen sich erstaunlich resistent gegen Hitze, Chemikalien und
Bestrahlung und lassen sich weder durch Kochen noch durch jahrelanges Einlegen in
Formalin komplett zerstören.

■ In vitro lassen sich die Partikel nicht anzüchten, und da es weder Antikörper-
noch andere Immunreaktionen auf die Infektion gibt, kann die Diagnose nur anhand
der Klinik und der typischen pathologischen Hirnveränderungen gestellt werden.
Unter dem Mikroskop sind Vakuolen erkennbar, die dem Hirngewebe zwar ein
schwammartiges (spongiformes) Aussehen verleihen, aber keine oder nur eine
geringe entzündliche Reaktion hervorrufen. Die infektiösen Partikel bleiben auf das
ZNS und Lymphgewebe beschränkt.

■ Es gibt keine Therapiemöglichkeit und keinen Impfstoff für die tödlich


ausgehende Erkrankung.

Bei Tieren scheint die Infektion von Ziegen oder Schafen mit Scrapie ausgegangen zu
sein (Abb. 7.2). „Scrapie“ gibt es in Europa seit 200 oder 300 Jahren; es wurde so
bezeichnet, weil sich die befallenen Tiere an Pfosten „schaben“, um ihren Juckreiz zu
lindern.

24.6.1 Creutzfeldt-Jakob-Krankheit

711
Die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit ist eine chronische
Enzephalopathie des Menschen und mit Demenz
verbunden
Bei schätzungsweise jedem 10000. Menschen lassen sich zum Zeitpunkt des Todes
Anzeichen der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) nachweisen. Der natürliche
Übertragungsweg ist nicht bekannt, die CJK scheint nicht von Schafen übertragen zu
werden. Zwischen Menschen kann eine Übertragung stattfinden über:

■ Elektroden für neurochirurgische (stereotaktische) Eingriffe, die nicht richtig


sterilisiert wurden,

■ Hornhauttransplantate,

■ Injektionen von Wachstumshormonlösungen (die aus Extrakten eines humanen


Hypophysen-Pools zubereitet wurden, bevor Wachstumshormone gentechnisch
hergestellt werden konnten). Insgesamt wurde von 15–20 Fällen nach einer
Inkubationszeit von ca. 19 Jahren berichtet.

Bei einigen Fällen in den letzten Jahren vermutete man eine Verbindung zum
„Rinderwahn“, der bovinen spongiformen Enzephalopathie (BSE, nach dem
Verzehr kontaminierter Lebensmittel). Weil sie rascher ausbrach als die CJK teilweise
bei Jugendlichen im Teenageralter und sich noch in anderen Punkten von der CJK
unterscheidet, wird diese Form als „neue Variante“ (nvCJK) bezeichnet.

Die CJK kann auch als erbliche Krankheit und offensichtlich unabhängig vom
Kontakt mit kontaminiertem Material vorkommen. Etwa 10% der CJK-Fälle traten
familiär gehäuft auf; die Betroffenen wiesen Mutationen des Prionprotein kodierenden
Gens auf. Dadurch kann das anormale Prionprotein leichter in die pathogene Form
überführt werden. Das geschieht offensichtlich spontan. Hierbei findet eher eine
vertikale als eine horizontale Übertragung der CJK statt (s. Kap. 13), so dass die
Grenze zwischen Infektion und Vererbung verschwimmt. Vielleicht beruhen sogar die
meisten CJK-Fälle auf einer somatischen Mutation des Prionprotein-Gens.

Kennzeichnend für CJK sind Demenz, Auszehrung („wasting“) und motorischer


Kontrollverlust.

Kuru – eine tödliche Nervenkrankheit mit


Kleinhirnsymptomatik bei den Fore-Stämmen in
Papua-Neuguinea
In einer Bevölkerung von 35000 Menschen traten insgesamt 3700 Fälle von Kuru auf.
Die Übertragung hing mit dem rituellen Kannibalismus zusammen, die Leichen
verstorbener Familienangehöriger wurden gemeinsam aufgegessen. Da überwiegend
erwachsene Frauen erkrankten, gab es in einigen Dörfern dreimal mehr Männer als
Frauen; Männer nahmen selten an dem Ritual teil und infizierten sich daher seltener.
Obwohl somit eine eindeutige Verbindung zum Kannibalismus bestand, hätte die
Infektion auch über kleine Schürfwunden an den Fingern oder im Mund erfolgen
können statt erst im Gastrointestinaltrakt. Auffällig war die geringe Übertragbarkeit

712
zwischen Menschen, denn kurukranke Mütter gebaren und stillten Hunderte von
Kindern, ohne dass bei einem einzigen Zeichen der Krankheit auftraten.

Die Inkubationszeit von Kuru betrug 4–20 Jahre. Seitdem der Kannibalismus
aufgegeben wurde, ist bei den nach 1957 Geborenen kein Fall von Kuru mehr
aufgetreten. In manchen Dörfern war Kuru die Haupttodesursache und an zweiter
Stelle stand (Vergeltungs-)Mord, weil man die tödliche Erkrankung einem
Hexenzauber zuschrieb. Ursprünglich wurde Kuru vermutlich von Missionaren
eingeschleppt; einer könnte an CJK gestorben sein und die Eingeborenen über den
kannibalistischen Leichenschmaus angesteckt haben.

24.6.2 Andere Prionenkrankheiten


Noch zwei andere seltene neurologische Krankheiten des Menschen sind durch
prionartige Partikel bedingt:

■ das Gerstmann-Sträussler-Scheinker(GSS)-Syndrom und

■ die familiäre Insomnie.

Bei der familiären Insomnie führt der Verlust des Schlafvermögens innerhalb von ein,
zwei Jahren zum Tod.

24.7 Parasitäre ZNS-Erkrankungen

Das ZNS ist ein wichtiges Angriffsziel bei Toxoplasmose


Nachdem sie anfangs generalisiert verläuft, kann sich eine angeborene Toxoplasma-
gondii-Infektion schließlich im ZNS manifestieren. Am häufigsten kommt es zu
Augenschäden (s. Kap. 25), aber auch das Gehirn kann betroffen sein (durch
Hydrozephalus und intrazerebrale Kalkablagerung). Bevor eine hochwirksame
antiretrovirale Therapie (HAART) verfügbar war, gehörte Toxoplasmose zu den
Haupttodesursachen bei AIDS-Patienten; dazu trugen vor allem die Enzephalopathie
und nekrotische Hirnschäden bei.

Zerebrale Malaria ist tödlich


Der Plasmodium-falciparum-Lebenszyklus weist insofern ein ungewöhnliches Merkmal
auf, als sich rote Blutkörperchen, die die sexuellen Vermehrungsstadien enthalten, an
die Wände von Kapillargefäßen anlagern (s. Kap. 27). Wenn das im Gehirn passiert,
kann eine zerebrale Malaria die Folge sein. Sie ist für den Tod von jährlich mindestens 1
Million afrikanischer Kinder verantwortlich.

Nach anfänglichem Fieber folgen Symptome wie Krampfanfälle und Koma, die
unbehandelt rasch zum Tod führen. Solange noch keine Resistenz aufgetreten ist,
können die Patienten mit Chloroquin behandelt werden, sonst muss Chinin (zunächst
intravenös) verabreicht werden. Bei erfolgreicher Behandlung ist das Koma vollständig
reversibel, ohne dass Schäden zurückbleiben.

713
Nach einer Toxocara-Infektion können sich Hirn- und
Netzhautgranulome bilden
Menschen können sich mit Katzen- (Toxocara cati) und Hunde-Rundwürmern
(Toxocara canis) infizieren, vor allem Kinder, die beim Spielen Toxocara-Eier aus dem
Kot von Welpen oder Kätzchen aufnehmen können (s. Kap. 6). Auch wenn die
Übertragung direkt (von Hund oder Katze) erfolgen kann, benötigten die Parasiten
ursprünglich wahrscheinlich Nagetiere als Zwischenwirte, die von Hunden oder Katzen
gefressen werden müssen, ehe sich der Lebenszyklus der Wurmparasiten vollendet.

Nach der Eiaufnahme schlüpfen im Darm (von Mensch oder Nagetier) Larven, die in
Leber, Lunge, Augen (s. Kap. 25), Gehirn, Nieren und Muskeln einwandern.
Granulome, die sich um die Larven herum bilden, können eine Epilepsie auslösen
(wenn sie im Gehirn lokalisiert sind) oder als tumorartige Geschwulst im Auge zur
Netzhautablösung und Erblindung führen. Oft besteht eine starke Eosinophilie. In den
meisten Fällen verläuft die Infektion jedoch asymptomatisch.

Das Serum Infizierter kann mit einem Fluoreszenztest auf Antikörper gegen
Toxocara-Antigen untersucht werden. Eine regelmäßige Entwurmung von Hunden und
Katzen trägt mit dazu bei, die Krankheit zu verhindern, und Kinderspielplätze sollten
nicht mit Hundekot verschmutzt sein. Zur Behandlung können neben Mebendazol auch
Entzündungshemmer (antiinflammatorische Mittel) erforderlich sein.

Eine Echinokokkose ist durch Zysten in Leber, Lunge,


Gehirn und Nieren gekennzeichnet
Eine Hydatidose/Echinokokkose wird durch den Bandwurm Echinococcus granulosus
(s. Kap. 6 und 22) ausgelöst, der weltweit vor allem in Gegenden mit Schafzucht
vorkommt. Wenn Menschen die Bandwurmeier infizierter Hunde aufnehmen,
wandern die daraus entstehenden Embryonalstadien durch den Darm zu den
Portalgefäßen und entwickeln sich zu Hydatidenzysten weiter (bevorzugt in der
Leber, aber auch in Lunge, Gehirn und Nieren). Beschwerden verursacht vor allem der
lokale Druck der Zysten. Manchmal kommt es zu einer
Überempfindlichkeitsreaktion gegen Hydatidenantigene. Zu den neurologischen
Symptomen gehören Übelkeit und Erbrechen, Krämpfe und geistig-mentale
Veränderungen.

Eine Echinokokkose kann durch den Nachweis von Antikörpern gegen


Hydatidenantigene oder von Hydatidenzysten im CT, Röntgen- oder Ultraschallbild
diagnostiziert werden (Abb. 24.12). Zur Verhütung der Krankheit sollte man den
natürlichen Übertragungsweg (von Hunden auf Schafe oder Ziegen bzw. von anderen
Fleisch- auf Pflanzenfresser) unterbinden. In der Behandlung kommen Albendazol,
Mebendazol und Praziquantel zum Einsatz.

Eine Zystizerkose ist durch Hirn- und Augenzysten


gekennzeichnet
Zystizerkose ist die Folge eines (Schweine-)Bandwurmbefalls(Taenia solium). Wenn
sich Schweine mit Wurmeiern aus menschlichem Stuhl infiziert haben, entwickeln sich

714
in ihrem Muskelgewebe Zystenstadien; dieses Schweinefleisch kann zur
Infektionsquelle für weitere Menschen werden. Gelegentlich kommt es zur Reinfektion
von Menschen durch Eier aus dem Dünndarm, vermutlich nach der Aufnahme von
kontaminierter Nahrung oder Wasser oder wenn sie direkt ausschlüpfen.

Nachdem sie durch die Darmwand ausgewandert sind, entwickeln sich die Parasiten
meist im Gehirn (Abb. 24.13) oder im Auge zu Zysten weiter, die eine Epilepsie oder
Enzephalopathie verursachen können. Die Diagnose erfolgt durch den Nachweis
spezifischer Antikörper im Serum oder Liquor bzw. durch die Darstellung von Zysten
im CT, MRT oder Röntgenbild. Behandelt wird mit Albendazol und Praziquantel;
manchmal sind Entzündungshemmer erforderlich.
Abb. 24.12 Echinokokkose.

a) Im zerebralen Angiogramm sichtbare Verdrängung der Hirngefäße durch eine


massive Geschwulst im Stirnbereich; b) derselbe Patient nach Entfernung der Zyste
(mit freundlicher Genehmigung von H. Whitwell).

24.8 Hirnabszesse

715
Bei Hirnabszessen liegen meist prädisponierende
Faktoren vor
Seitdem es Antibiotika gibt, sind Hirnabszesse selten geworden. Sie entwickeln sich
gewöhnlich nach Operation oder Trauma, bei einer chronischen Osteomyelitis
benachbarter Knochen, septischer Embolie oder chronischer Anoxie. Auch Kinder mit
angeborenen zyanotischen Herzfehlern, bei denen im Blut zirkulierende Bakterien in der
Lunge nicht ausgefiltert werden, können einen Hirnabszess haben.

Akute Abszesse werden von unterschiedlichen Bakterien, unter anderem von


Anaerobiern (überwiegend aus dem Oropharynx), verursacht. Meist besteht eine
gemischte Bakterienflora. Chronische Abszesse können durch Mycobacterium
tuberculosis oder C. neoformans entstehen. Bei immunsupprimierten Patienten können
Pilze und Protozoen die Auslöser opportunistischer Infektionen sein.

Hirnabszesse werden anhand der Klinik oder mit bildgebenden Verfahren (kraniales
CT oder MRT) diagnostiziert. Bei Verdacht auf einen Hirnabszess ist eine
Lumbalpunktion kontraindiziert; wird sie trotzdem durchgeführt, sind im Liquor
vermehrt Zellen und Proteine nachweisbar (Tab. 24.1). Bei einem gut abgekapselten
Abszess erfolgt die Behandlung durch chirurgische Drainage und unter antibiotischer
Abdeckung über mindestens einen Monat. Andere Infektionen, die sich als chronische
Meningitis oder Hirnabszess manifestieren können, sind in Tab. 24.9 aufgezählt.
Abb. 24.13 Zerebrale Zystizerkose.

Das Magnetresonanztomogramm (MRT) zeigt eine Zyste, in der die Entwicklung


von Larven beginnt (mit freundlicher Genehmigung von J. Curé).

716
24.9 Tetanus und Botulismus
Verschiedene Bakterien dringen selbst nicht ins ZNS ein, setzen aber Toxine frei, die sich
auf das Nervensystem auswirken können (s. Kap. 17). Im Fall von Clostridium tetani oder
Clostridium botulinum sind klinisch die neurologischen Symptome am wichtigsten.

Tab. 24.9 Infektionen, die sich als chronische Meningitis oder


Hirnabszess äußern.
* manifestiert sich als Hirnabszess

717
24.9.1 Tetanus

Tetanustoxin gelangt über periphere Nerven ins ZNS


Clostridium-tetani-Sporen kommen verbreitet im Boden vor und stammen aus dem
Kot von Haustieren. Wenn Sporen in eine Wunde gelangen und wenn nekrotisches
Gewebe oder ein vorhandener Fremdkörper ein lokales, anaerobes Bakterienwachstum
begünstigen, wird das Toxin Tetanospasmin gebildet (s. Kap. 17). Alle Stämme von
C. tetani bilden dieses Toxin. Die Wunde kann winzig klein (Kratzer bei der
Gartenarbeit) oder groß und tief sein (nach Autounfall, Kriegsverletzung). In fast 20%
der Fälle findet sich jedoch keine Verletzung in der Vorgeschichte. Eine
Nabelstumpfinfektion kann zum Neugeborenentetanus führen, an dem weltweit
jährlich 200000–300000 Säuglinge sterben (s. Kap. 23).

Das Toxin wird axonal an peripheren Nerven entlang und möglicherweise auch auf
dem Blutweg zum ZNS transportiert. Dort bindet es an Neurone und blockiert die
Freisetzung hemmender Transmitter an Spinalnervensynapsen. Dadurch kommt es
zur Übererregbarkeit motorischer Neurone. Über sympathische Axone kann das Toxin
aber auch zur Übererregbarkeit von Sympathikusnerven führen.

Klinische Zeichen von Tetanus sind Muskelsteife und


Spasmen
Nach 3–21 Tagen oder erst nach einem längeren Zeitraum zeigen sich übersteigerte
Reflexe, Muskelsteife und unkontrollierbare Muskelspasmen. Durch die
Dauerkontraktion der Kiefermuskeln kommt es zur Kiefersperre (Trismus).
Zusätzlich treten Schluckstörungen, Risus sardonicus, Nackensteife und
Opisthotonus auf (vor allem bei Neugeborenentetanus, s. Kap. 23). Die
Muskelspasmen können zu Verletzungen und schließlich sogar zur Ateminsuffizienz
führen. Auf eine Beteiligung des sympathischen Nervensystems weisen Tachykardie
und Schweißausbrüche hin.

Je nach Schwere der Infektion und Qualität der Behandlung kann die Letalität bis zu
50% betragen. Die Diagnose wird anhand der Klinik gestellt. Aus Wunden lassen sich
nur selten Keime isolieren. Für die Toxinbildung bzw. Krankheitsmanifestation reicht
schon eine geringe Zahl von Bakterien aus.

Bei klinischem Verdacht auf Tetanus sollte sofort


humanes Immunglobulin verabreicht werden
Die Wunde muss ggf. chirurgisch gesäubert werden. Durch Penicillin lässt sich die
Vermehrung der Bakterien hemmen. Zum Einsatz kommen Muskelrelaxanzien und
bei Bedarf muss eine intensivmedizinische Behandlung mit maschineller Beatmung
durchgeführt werden.

Tetanus kann durch eine Immunisierung mit Toxoidimpfstoff verhindert werden; die
Wirkung hält bis zu 10 Jahre nach der letzten Injektion an. Daher zählt Tetanus zu den
Krankheiten, die sich durch Schutzimpfung verhindern lassen. Eine Besonderheit
besteht darin, dass die Ansteckung nicht durch andere Menschen, sondern durch

718
Umgebungseinflüsse erfolgt (Kontakt mit C.-tetani-Sporen im Boden). Wunden
sollten gereinigt, nekrotisches Gewebe und Fremdkörper entfernt und eine
Auffrischungsimpfung mit Tetanustoxoid durchgeführt werden. Bei besonders stark
verschmutzten Wunden sollte man den Patienten zusätzlich Tetanus-Immunglobulin
verabreichen.

Die routinemäßige Impfung von Frauen in den Entwicklungsländern mit


Tetanustoxoid und die verbesserte Hygiene in der Geburtshilfe haben sich positiv
ausgewirkt und zu einem spürbaren Rückgang des Neugeborenentetanus geführt.

24.9.2 Botulismus
Clostridium-botulinum-Sporen kommen verbreitet im Boden vor und können Gemüse,
Fleisch und Fisch kontaminieren. Werden Gerichte unsteril in Konservendosen gefüllt
oder zu Hause hergestellt, können Sporen in der anaeroben Umgebung überleben und
auskeimen. Dabei bildet sich das Toxin.

C.-botulinum-Toxin blockiert die


Acetylcholinfreisetzung an Synapsen peripherer
Nerven
Wird so entstandenes Botulinustoxin aufgenommen und aus dem Darm ins Blut
resorbiert (s. Kap. 22), hemmt es die Acetylcholinfreisetzung an den Synapsen
peripherer Nerven (s. Kap. 17). Es handelt sich um eine Art Lebensmittelvergiftung,
die sich auf das motorische und autonome Nervensystem auswirkt. Manchmal
geraten die Sporen auch in eine Wunde und das Toxin wird von dort aus in den Körper
resorbiert. Haben Säuglinge (z.B. durch Honig am Schnuller) den Erreger
aufgenommen, vermehrt er sich im Darm und bildet dann das Toxin
(Säuglingsbotulismus).

Klinische Zeichen sind Schwäche (Schlaffheit) und


Lähmung (Paralyse)
Nach einer Inkubationszeit von 2–72 Stunden entwickeln sich absteigende Schwäche
und Paralyse. Sie sind mit Schluckstörungen, Diplopie, Erbrechen, Schwindel und
Ateminsuffizienz (Schwächung der Atemmuskulatur) verbunden, doch es kommt nicht
zu Abdominalschmerzen mit Durchfall oder Fieber. Die Kinder entwickeln eine
allgemeine Schlaffheit („floppy infants“), von der sie sich im Allgemeinen wieder
erholen.

Botulismus wird mit Antikörper- und


Beatmungstherapie behandelt
Botulismus wird im Wesentlichen klinisch diagnostiziert. Das Toxin ist in
kontaminierten Nahrungsmitteln und gelegentlich auch im Patientenserum
nachzuweisen. Da man nicht weiß, welcher C.-botulinum-Stamm verantwortlich ist,
wird sofort mit der Beatmung begonnen und ein Dreifach-immunglobulin(gegen

719
Toxin A, B, C) verabreicht. Die Letalität liegt bei erfolgreicher Beatmungstherapie
unter 20%.

Zur Prävention sollte auf unzureichend sterilisierte Konservendosen oder


aufbewahrte Gerichte verzichtet werden. Konservendosen wirken durch Gasbildung
(von Clostridien-Enzymen) wie aufgebläht. Zwar werden meist selbst eingekochte
Lebensmittel verdächtigt, doch der saure pH-Wert von Früchten hindert Sporen
gewöhnlich am Auskeimen. Das hitzelabile Toxin wird durch ausreichendes
Erhitzen zerstört (z.B. 10-minütiges Kochen). Die Sporen können allerdings
Kochzeiten von 3–5 Stunden überstehen.
Zusammenfassung
■ Eine ZNS-Invasion kommt selten vor, weil Blut-Hirn- und Blut-Liquor-
Schranke das Übergreifen von Infektionserregern verhindern oder erschweren.

■ Wenn sie diese Barrieren überwunden haben, verursachen Erreger im


Allgemeinen eine neurologische Erkrankung, die Hirnhäute (Meningitis) oder
Hirngewebe (Enzephalitis) mit einschließt.

■ Häufigste Erkrankung ist eine Virusmeningitis, gefolgt von einer bakteriellen


Meningitis; dagegen sind Hirnabszess und Virusenzephalitis eher selten.
Gelegentlich können Rückenmark (bei Myelitis) und periphere Nerven (bei
Neuritis) befallen sein.

■ Die Auswirkungen können von einer Funktionsstörung infizierter Nervenzellen


(bei Tollwut) über ihre direkte Schädigung (bei Poliomyelitis) bis hin zu
entzündlichen Folgen der ZNS-Invasion (bei bakterieller Meningitis oder
Virusenzephalitis) reichen.

■ Da die anatomisch definierten Abschnitte des Nervensystems aneinander


grenzen bzw. miteinander verbunden sind, können Infektionen mehr als ein
Kompartiment erfassen.

■ Manchmal ist das ZNS auch bei Wurminfektionen beteiligt (z.B. Toxokariasis,
Hydatidose, Zystizerkose).

■ ZNS-Erkrankungen können auch durch bakterielle Neurotoxine hervorgerufen


werden, die sich in extraneuralen Geweben bilden (bei Tetanus) oder aus
kontaminierter Nahrung stammen (bei Botulismus).

FRAGEN
Eine 45-jährige Bankmanagerin wird als Notfall ins Krankenhaus eingeliefert,
nachdem sie auf der Straße zusammengebrochen war. Sie kann selbst nicht sagen,
was passiert ist. Ein Passant hatte gesehen, dass sie nach dem Verlassen eines
Geschäfts plötzlich ohnmächtig wurde und einen Krampfanfall hatte. Die Polizei
benachrichtigte den Ehemann. Diesem war aufgefallen, dass sie seit ein paar Tagen
über Kopfschmerzen geklagt und sich irgendwie komisch verhalten hatte.
Anamnestisch war bei ihr weder eine Krampfneigung bekannt, noch stand sie unter
einer Medikation. Bei der Untersuchung wirkt sie benommen und verwirrt. Sie hat

720
Fieber von 38°C. Neurologische Herdsymptome liegen nicht vor, nur die Reflexe
sind leicht übersteigert, die sonstigen Befunde normal. Bei der Fundoskopie zeigt
sich kein Papillenödem, Rachen- und Ohrenspiegelung ergeben keinen auffälligen
Befund. Die Laborwerte großes Blutbild, Harnstoff, Elektrolyte (mit
Glukosespiegel) liegen alle im Normalbereich.

1 Welche Untersuchungen sollten umgehend durchgeführt werden?

2 Im kranialen CT ist eine geringe Dichteabschwächung in einem Bereich


des linken Temporallappens erkennbar, aber kein Anzeichen für ein Hirnödem
oder eine Verschiebung der Mittellinie. Lumbalpunktion: Liquor klar
(Lymphozyten 50/mm3, keine roten Blutkörperchen, Protein 0,9 g/dl);
Glukose: 3,3 mmol/l im Liquor und 5 mmol/l im Blut; Gram-Färbung ohne
sichtbare Erreger. Welche Diagnose kommt unter Berücksichtigung der
Laborwerte und der klinischen Vorgeschichte in Betracht?

3 Wie würden Sie die Patientin behandeln?


Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

Chuka, K.B., Bellini, W.J., Rota, P.A. et al.: Nipah virus: a recently emergent deadly
paramyxovirus. Science 288 (2000) 1432–1435.

Cook, T.M., Protheroe, R.T., Handel, J.M.: Tetanus: a review of the literature. Br J
Anaesth 87 (2001) 477–487.

Johnson, R.T.: The pathogenesis of acute viral encephalitis and post infectious
encephalomyelitis. J Infect Dis 155 (1987) 359–364.

Köhler, W., Eggers, H.J., Fleischer, B., Marre, R., Pfister, H., Pulverer, G (Hrsg.).
Medizinische Mikrobiologie. Urban & Fischer Verlag, München, Jena 2001.

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Whitley, R.J., Gnann, J.W.: Viral encephalitis: familiar infections and emerging
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721
25 Augeninfektionen
25.1 Konjunktivitis 365

25.1.1 Chlamydieninfektion 365

25.1.2 Andere Bindehautinfektionen 366

25.2 Tiefere Augeninfektionen 367

25.2.1 Toxoplasmose 367

25.2.2 Parasitäre Wurminfektionen 368


Zur Orientierung
Die Außenschicht des Auges ist der Außenumgebung zugewandt und dadurch leichter für
Infektionserreger zugänglich. Besonders anfällig ist die Bindehaut (Konjunktiva). Nicht
nur als verletzliche Epithelfläche, sondern auch weil sie von den Augenlidern bedeckt
wird, die ein abgeschlossenes, feucht-warmes Milieu schaffen, in dem sich eine
Keimkontamination gut halten und zum Infektionsherd werden kann. Durch Lider und
Tränenflüssigkeit sind die Augen mechanisch und biochemisch geschützt; wenn hier eine
Funktionsstörung vorliegt, setzen sich Pathogene noch eher in den Augen fest.

Lidinfektionen sind meist durch Staphylococcus aureus bedingt. Bei Mitbeteiligung des
Lidrandes kommt es zur Blepharitis und bei einer Liddrüsen- oder Follikelentzündung
kann sich ein Gerstenkorn (Hordeolum) bilden.

Die Bindehaut wird noch auf anderen Wegen (hämatogen oder über Nervenstrukturen)
befallen. Manchmal dringen Infektionen in tiefere Augenschichten ein, besonders
Protozoen- oder Wurminfektionen.

722
25.1 Konjunktivitis
Ein breites Erregerspektrum von Viren oder Bakterien kann eine Bindehautentzündung
bzw. Konjunktivitis verursachen (Tab. 25.1). Bestimmte Infektionen betreffen vorwiegend
Kinder und diese heilen rasch ab, andere können dagegen schwerer verlaufen. Zu
schweren Augenschäden kann eine Keratokonjunktivitis durch Adeno-, Herpes-simplex-
(HSV) oder Varicella-Zoster-Viren (VZV) führen. Eine akute hämorrhagische
Konjunktivitis ist oft Folge einer Enterovirus-70- oder Coxsackievirus-A24-Infektion.

25.1.1 Chlamydieninfektion

Einschlusskörperchen-Konjunktivitis und Trachom


werden durch unterschiedliche Chlamydia-
trachomatis-Serotypen verursacht
Um die Augenbindehaut infizieren zu können, dürfen sich Mikroorganismen nicht
einfach von der Tränenflüssigkeit wegspülen lassen. Das gelingt am besten durch
spezifische Adhäsion an den Bindehautzellen. Chlamydien binden sich z.B. über
Oberflächenmoleküle an spezifische Zellrezeptoren. Das ist einer der Gründe, weshalb
sie zu den häufigsten Konjunktivitiserregern gehören (Tab. 25.1). Acht C.-
trachomatis-Serotypen können eine Einschlusskörperchen-Konjunktivitis (Abb. 25.1)
verursachen und vier weitere sind für das Trachom verantwortlich, eine der weltweit
wichtigsten Augeninfektionen.

Tab. 25.1 Erreger einer Bindehautentzündung (Konjunktivitis).

723
Abb. 25.1 Häufigste Form der
Neugeborenenkonjunktivitis ist eine
Chlamydieninfektion.

(Mit freundlicher Genehmigung von G. Ridgway)

Sechs Millionen Menschen sind durch ein Trachom


erblindet
Von weltweit etwa 100–200 Millionen Menschen mit Trachom sind sechs Millionen
erblindet, viele andere leiden an einer Sehbehinderung. Das Trachom war schon vor
rund 4000 Jahren im alten Ägypten bekannt (Abb. 25.2), und in Königsgräbern fand
man Pinzetten, mit denen einwärts gedrehte Lider bzw. Wimpern (Entropium)
umgestülpt wurden. Chlamydia trachomatis wird als Kontaktinfektion z.B. über
kontaminierte Fliegen, Hände und Handtücher übertragen.

Das Trachom selbst ist Endergebnis wiederholter chronischer Infektionen (Abb.


25.2) und tritt besonders häufig auf, wenn Hände und Gesicht wegen Wasserknappheit
nicht regelmäßig gewaschen werden. Unter diesen Umständen greift eine
Chlamydieninfektion schnell auf andere Bindehäute über, so dass man fast schon
analog zur unspezifischen Urethritis, die sich über genitale Sekrete weiter verbreitet (s.
Kap. 21), von einer „okulären Promiskuität“ sprechen könnte. Bestimmte
Chlamydien-Serotypen können Urogenitaltrakt (s. Kap. 21) und Augenbindehaut
infizieren.

Neugeborene können sich beim Durchqueren des infizierten Geburtskanals z.B. eine
Konjunktivitis oder eine Lungeninfektion zuziehen (s. Kap. 23). In dieser Situation ist
meist eine systemische Behandlung mit Erythromycin erforderlich.

724
Chlamydieninfektionen werden antibiotisch
behandelt und lassen sich durch Gesichtswäsche
verhindern
Laborchemisch kann eine Chlamydieninfektion (s. Anhang) anhand des Sekrets oder
Zellabstrichs von der Bindehaut diagnostiziert werden. Die Therapie erfolgt durch
topisch oder oral anzuwendende Antibiotika (wie Azithromycin, Doxycyclin usw.).

Weil Infektion und Reinfektion durch dichte Menschenansammlungen,


Wasserknappheit und eine Überpopulation von Fliegen begünstigt werden, lässt sich
die Krankheit durch bessere Hygienebedingungen verhindern. In vielen
Endemiegebieten mit hohen Trachomraten konnte ein Fortschreiten der Erkrankung
bis zur Erblindung durch sozioökonomische Verbesserungen und spezifische
Maßnahmen (z.B. Gesichtswäsche) deutlich eingeschränkt oder ganz unterbunden
werden. Das veranlasste die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu einer
internationalen Allianz mit dem Ziel, die trachominduzierte Erblindung bis zum Jahr
2020 weltweit auszurotten.
Abb. 25.2 Chlamydia trachomatis und Erblindung.

a) Skizzierung der Pathogenese. Durch Vernarbung der Hornhaut (b) bildet sich
ein länger anhaltendes Trachomkorn im Auge. In Zellabstrichen aus einem
Trachom (c) sind nach Giemsa-Färbung intrazelluläre C.-trachomatis-

725
Einschlusskörperchen erkennbar. Mit freundlicher Genehmigung von R.C. Barnes
(b) und G. Ridgway (c).

Trotz jahrzehntelanger Forschung gibt es noch immer keine Impfstoffe gegen


Chlamydieninfektionen. Das liegt zum Teil an einer starken immunpathologischen
Komponente, die wesentlich zur Erkrankung beiträgt, so dass sich Impfreaktionen
schädlich auswirken könnten.

25.1.2 Andere Bindehautinfektionen

In höher entwickelten Ländern beruhen nur 20% der


Konjunktivitisfälle auf Chlamydien
Verschiedene Bakterien wie Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae und
Staphylococcus aureus können eine Konjunktivitis auslösen (Abb. 25.3). H. aegyptius,
ein Biovar von H. influenzae, verursacht das Brasilianische Purpurafieber (BPF),
das sich Wochen nach einer akuten Hämophiluskonjunktivitis entwickeln kann. BPF
ist durch Fieber, Purpura und massiven Gefäßkollaps gekennzeichnet und führt rasch
zum Tod. Die Pathogenese ist unklar. Obwohl sie ursprünglich für Brasilien
beschrieben wurden, sind mittlerweile fast überall auf der Welt BPF-Fälle aufgetreten.

Wenn sich Neugeborene bei der Passage durch den infizierten Geburtskanal mit
Neisseria gonorrhoeae infiziert haben, kann sich am ersten oder zweiten Lebenstag
eine schwere eitrige Augenerkrankung (Ophthalmia neonatorum) einstellen, die
dringend mit Ceftriaxon behandelt werden muss, weil inzwischen verbreitet eine
Penicillinresistenz in Gonokokken auftritt. Staphylococcus aureus kann sowohl bei
Neugeborenen wie bei Erwachsenen Infektionen hervorrufen. Bei einer
Augeninfektion von Säuglingen kann der Keim aus dem Körper des Kindes stammen
oder von einem infizierten Erwachsenen übertragen worden sein.

726
Abb. 25.3 Eitrige Absonderung bei bakterieller
Konjunktivitis (meist bei einer Infektion mit
Streptococcus pneumoniae, Haemophilus
influenzae oder Staphylococcus aureus).

(Mit freundlicher Genehmigung von M. Tapert).

Eine Augeninfektion ist auch durch Kontaktlinsen


möglich
Ständiges Tragen von Kontaktlinsen kann zwar die Abwehrmechanismen des Auges
unwirksamer werden lassen und Erregern den Zutritt erleichtern, doch Infektionen
sind wahrscheinlich trotzdem häufiger Folge eines falschen Umgangs mit
Kontaktlinsen bzw. des Gebrauchs kontaminierter Reinigungslösungen oder
Augentropfen. Auf diesem Weg kommt es zur Direktübertragung einer Reihe von
Bakterien. Wird die Reinigungslösung von Kontaktlinsen nicht regelmäßig
gewechselt, können sich darin frei lebende Akanthamöben vermehren und die
Hornhaut schädigen, wenn die Linse das nächste Mal wieder ins Auge eingesetzt wird.

Eine Bindehautinfektion kann über Blut- oder


Nervenbahnen übertragen werden
Nachdem sie vom Blut zum Auge transportiert wurden oder sich wie im Fall des
Herpes-simplex-Virus (HSV) entlang dem Trigeminusnerv dorthin bewegt haben,
können Erreger in die oberflächlichen Schichten eindringen. Durch Reaktivierung
einer HSV-Infektion kann sich eine Keratitis entwickeln, die zur Bildung
dendritischer Ulzera führt (Abb. 25.4). Bei versehentlicher Anwendung topischer
Steroide verschlimmert sich der Zustand noch, bis die schweren Ulzerationen
schließlich die Hornhaut zerstören.

25.2 Tiefere Augeninfektionen

727
Das Erregerspektrum von Augenkrankheiten tieferer Gewebeschichten ist breiter als bei
Bindehautentzündungen (Tab. 25.2).
Abb. 25.4 Herpes-simplex-Virus(HSV)-Keratitis.

Dendritische Ulzera wie hier sind häufig bei rekurrierenden HSV-Infektionen auf der
Hornhaut sichtbar (mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood).

Die Invasion tieferer Augenschichten kann auf


unterschiedlichen Wegen erfolgen
Manifestiert sich nach Augenverletzung eine opportunistische Pseudomonas-aeruginosa-
Infektion, kann es zu einer schweren Innenaugenerkrankung kommen. Manchmal wird
der Erreger durch kontaminierte Augentropfen ins Auge eingebracht. Das Röteln- und
das Zytomegalievirus (CMV) infizieren bereits intrauterin die Augen des Fetus und
können Katarakt und Mikrophthalmie (Rötelnvirus) oder eine schwere Chorioretinitis
(CMV) verursachen. CMV-Infektionen können auch bei AIDS-Patienten zur
Chorioretinitis führen (Abb. 21.26e). Bei angeborener Syphilis entwickelt sich oft erst
später aus einer latenten Retinopathie eine Keratitis. Auch eine Syphilis im
Sekundärstadium kann von einer Augenentzündung begleitet sein.

25.2.1 Toxoplasmose

Eine Chorioretinitis durch Toxoplasma gondii kann zur


Erblindung führen
Auch bei Toxoplasmose kommt es häufiger zur Chorioretinitis. Übertragen wird sie
bei der oralen Aufnahme von Oozysten aus dem Kot infizierter Katzen (Primärwirt)
oder beim Verzehr von Fleisch, das Gewebezysten enthält. Obwohl Toxoplasmose
eine weit verbreitete Protozoeninfektion ist (s. Kap. 5), hat sie nur ernste Folgen, wenn

■ nach intrauteriner Infektion sämtliche Gewebe, und vor allem das ZNS,
befallen sind,

■ sie unter Immunsuppression erworben (oder reaktiviert) wurde.

728
Augenschäden treten hauptsächlich im Fall einer angeborenen Toxoplasmose auf.
Infizierte Schwangere können ihr Kind intrauterin anstecken, da die schnell
beweglichen Larven die Plazentaschranke überwinden können. Wenn sich im
Netzhautgewebe des Fetus Zysten bilden, bewirkt ihre kontinuierliche Proliferation
Läsionen, die ständig weiter voranschreiten, gerade wegen der noch unterentwickelten
Immunität. Ist neben der Retina auch die Choroidea (Aderhaut) betroffen, kann die
Chorioretinitis letztlich zur Erblindung führen (Abb. 25.5). Erkranken können ein oder
beide Augen.

Tab. 25.2 Augeninfektionen tieferer Gewebeschichten.


* 25% der AIDS-Patienten erkranken an CMV-Retinitis

729
25.2.2 Parasitäre Wurminfektionen

Die starke Entzündungsreaktion auf Toxocara-canis-


Larvenstadien kann zur Netzhautablösung führen
Gelegentlich dringen Bandwurmlarven ins Auge ein (z.B. Hydatidenzysten von
Echinococcus granulosus), nachdem sie aus Eiern im Kot infizierter Hunde geschlüpft
sind. Durch das Zystenwachstum kann eine schwere mechanische (Druck-)Schädigung
ausgelöst werden. Häufiger findet jedoch eine Invasion wandernder
Rundwurmlarven (z.B. von Toxocara canis) statt.

Toxocara canis ist ein natürlicher Darmparasit von Hunden, dessen Eier in die
Umgebung ausgeschieden werden und die wegen ihrer dicken Hülle sehr
widerstandsfähig sind. Werden sie von Menschen aufgenommen, beginnen die
geschlüpften Larven ihre übliche Wanderung durchs Gewebe, können sie aber nicht
vollenden. In ihrem eigentlichen Wirt, dem Hund, führt die Migration dazu, dass die
Larven wieder in den Dünndarm zurückgelangen und dort zu adulten Rundwürmern
heranreifen.
Abb. 25.5 Angeborene Toxoplasmose.

Auf dem Foto ist nach abgeheilter Chorioretinitis eine Narbe auf dem
Augenhintergrund zu sehen (mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood).

Bei Menschen können die Larven so gut wie in jedes Organ eindringen, oft z.B. ins
ZNS oder Auge (Abb. 25.6), und eine heftige eosinophile Entzündungsreaktion
auslösen. In der Retina lokalisierte Läsionen können eine Netzhautablösung
verursachen. Die Fehldiagnose als Retinoblastom hat schon zur Enukleation solcher
Augenläsionen geführt. Empfohlen wird eine Behandlung mit Antihelmintika (wie
Albendazol oder Mebendazol).

730
Abb. 25.6 Granulom am hinteren Augenpol bei
einer Toxocara-canis-Infektion.

Mitten im Granulom befindet sich deutlich sichtbar die Nematodenlarve (mit


freundlicher Genehmigung von D. Spalton).

Onchocerca volvulus ist Ursache der Flussblindheit


und wird von Kriebelmücken übertragen
Onchocerca-volvulus-Infektionen (Onchozerkose des Menschen) führen in Afrika und
Mittelamerika zur Flussblindheit. Übertragen werden sie von Kriebelmücken
(Simulium), die beim Blutsaugen Mikrofilarien von einem infizierten Wirt aufnehmen
und die infektiösen Larven bei ihrem nächsten Biss weiter übertragen. Die adulten
Würmer bilden subkutane Knötchen und sind vergleichsweise harmlos. Doch die in
großer Menge von den Weibchen freigesetzten Mikrofilarien rufen eine intensive
Entzündungsreaktion der Haut hervor (s. Kap. 26). Die Larven wandern durch das
Unterhautgewebe und dringen, besonders in bestimmten Regionen Afrikas und
Mittelamerikas, häufiger ins Auge ein.

Durch entzündliche Reaktionen kommt es zu pathologischen Veränderungen, die


sowohl die Vorder- wie die Hinterkammer des Auges betreffen können (Abb. 25.7),
z.B.:

■ Keratitis punctata und sclerosans,

■ Iridozyklitis,

■ Chorioretinitis,

■ Optikusatrophie.

Die Krankheit wird als Flussblindheit bezeichnet, weil sich Kriebelmücken in Flüssen
entwickeln und daher vor allem Menschen erkranken, die am Ufer von Flüssen leben.
In Endemiegebieten können bis zu 40% der erwachsenen Bevölkerung nach der
Infektion erblinden. Doch die Bekämpfung der Vektoren und die Behandlung der

731
Patienten mit Ivermectin haben dazu beigetragen, die Zahl der Neuerkrankungen in
vielen afrikanischen Ländern drastisch zu verringern. Flussblindheit ist aber eine
irreversible Erkrankung.
Abb. 25.7 Onchozerkose.

Sklerose der Aderhaut-/Choroideagefäße nach der Invasion von Onchocerca-


volvulus-Mikrofilarien (mit freundlicher Genehmigung von J. Anderson).
Zusammenfassung
■ Die Außenschicht der Augen ist besonders infektionsanfällig. Zu ihrem Schutz
tragen Augenlider und Lysozyme in der Tränenflüssigkeit bei.

■ Jede Augeninfektion kann ernste Folgen haben, da das Sehvermögen von einer
intakten und transparenten Hornhaut (Kornea) abhängt.

■ Um die Bindehaut infizieren zu können, müssen die Keime über spezifische


Adhäsionsmechanismen verfügen.

■ Durch entzündliche Reaktionen, die eigentlich die Erregerinvasion der Augen


begrenzen und Schäden reparieren sollten, können die oberflächlichen Schichten
(Binde- und Hornhaut) auch irreversibel geschädigt werden.

■ Relativ wenige Keime dringen in die Netzhaut ein (Retina) und diese
gefährden das Sehvermögen.

■ Mit zu den schwersten Augenerkrankungen/-infektionen führt eine Invasion


von Protozoen- oder Wurmparasiten. Oft wird die Diagnose nicht rechtzeitig
gestellt, sondern erst aufgrund des eingeschränkten Sehvermögens.

FRAGEN
Ein 42-jähriger homosexueller AIDS-Patient klagt über verschwommenes Sehen und
eine Einschränkung seines Gesichtsfelds. Ihm sind auch „Mouches volantes“
aufgefallen, die er als „schwarze Flecken“ vor den Augen beschreibt. Bei der letzten

732
Untersuchung hatte er sehr niedrige CD4-Zellzahlen (20/mm3) und wurde ins
Krankenhaus eingeliefert, um seine Pneumonie (durch Pneumocystis jiroveci
[früher: P. carinii]) und ein Kaposi-Sarkom behandeln zu lassen. Die bei der
Fundoskopie sichtbaren weißen Flecken und Einblutungen im Augenhintergrund
sprechen für eine Retinitis. Bei der Gesichtsfelduntersuchung zeigt sich ein
einzelnes Skotom( blinder Fleck) im infratemporalen Teil der Netzhaut.

1 Welche Infektionen können zu Chorioretinitis führen?

2 Wie würden Sie diagnostisch vorgehen?

3 Wie würden Sie einen Patienten mit CMV-Retinitis behandeln?


Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

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733
26 Infektionen von Weichteilen und Knochen
26.1 Bakterielle Infektionen von Haut, Weichteil- und Muskelgewebe 373

26.1.1 Staphylokokkeninfektionen der Haut 374

26.1.2 Streptokokkeninfektionen der Haut 376

26.1.3 Zellulitis und Gangrän 377

26.1.4 Nekrotisierende Fasziitis, Muskelnekrose und Gangrän 378

26.1.5 Akne und Propionibacterium acnes 379

26.2 Mykobakterielle Hautkrankheiten 380

26.2.1 Lepra 380

26.2.2 Andere Mykobakterieninfektionen 382

26.3 Pilzinfektionen der Haut 383

26.3.1 Oberflächliche und kutane Mykosen 383

26.3.2 Subkutane Mykosen 387

26.4 Parasiteninfektionen der Haut 388

26.4.1 Arthropodeninfektionen 389

26.5 Mukokutane Virusinfektionen 390

26.5.1 Papillomavirus-(HPV-)Infektionen 390

26.5.2 Herpes-simplex-Virus-(HSV-) Infektion 392

26.5.3 Varicella-Zoster-Virus-(VZV-) Infektionen 393

26.5.4 Ausschläge durch Coxsackie- und Echoviren 396

26.5.5 Ausschläge durch Erythrovirus B9 396

26.5.6 Ausschläge durch humane Herpesviren (HHV-6 und HHV-7) 397

26.6 Pocken 397

26.7 Masern 398

26.7.1 Ätiologie und Übertragung 398

26.7.2 Diagnose, Therapie, Prävention 400

26.8 Röteln 400

734
26.9 Hautläsionen bei anderen Infektionen 401

26.10 Kawasaki-Syndrom 401

26.11 Virusinfektionen von Muskeln 401

26.11.1 Virale Myositis, Myo- und Perikarditis 401

26.11.2 Chronic-Fatigue-Syndrom 402

26.12 Parasiteninfektionen von Muskeln 402

26.12.1 Trypanosoma cruzi-Infektion 402

26.12.2 Taenia solium-Infektion 402

26.12.3 Trichinella spiralis-Infektion 403

26.12.4 Sarcocystis 403

26.13 Gelenk- und Knocheninfektionen 403

26.13.1 Reaktive Arthritis, Arthralgie und septische Arthritis 403

26.13.2 Osteomyelitis 404

26.14 Infektionen des blutbildenden Systems 405

26.14.1 HTLV-1-Infektion 405

26.14.2 HTLV-2-Infektion 405

735
Zur Orientierung
Schutzfunktion der Haut–Gesunde, unversehrte Haut wehrt eine Erregerinvasion
gut ab und schützt darunter liegendes Gewebe

Auf die Bakterienzahl in der normalen Hautflora üben unterschiedliche Faktoren


Einfluss aus (Tab. 26.1). Länger einwirkende Feuchtigkeit und andere Veränderungen
können das ökologische Gleichgewicht der (kommensalen) Hautflora stören und zu
Hautinfektionen prädisponieren.

Eine kleinere Zahl von Erregern kann Muskel- und Gelenkerkrankungen oder
Störungen des blutbildenden Systems (Hämopoese) verursachen. Hier erfolgt im
Allgemeinen eine Invasion vom Blutweg aus, doch aus welchem Grund bestimmte
Gewebe befallen werden, ist vielfach ungeklärt. Keime aus dem Blutkreislauf siedeln sich
bevorzugt in wachsenden bzw. vorgeschädigten Knochen (akute Osteomyelitis) oder
Gelenken an; wir wissen allerdings nicht, warum Coxsackieviren oder Trichinella spiralis
bevorzugt in Muskelgewebe eindringen. Andererseits hängt es mit spezifischen
Zelladhäsionsstellen zusammen, dass Viren bestimmte Zielzellen infizieren oder
Plasmodien in Erythrozyten einwandern.

Tab. 26.1 Bakterienmenge der Haut.

Hautinfektionen
Zusätzlich zu ihrer mechanischen Barrierefunktion ist die Haut von einer Normalflora aus
unterschiedlichen Keimen besiedelt. In relativ trockenen Hautarealen wie den
Unterarmen oder am Rücken handelt es sich um eine eher spärliche Besiedlung, bei der
grampositive Bakterien und Hefepilze überwiegen. In feuchteren Bereichen wie Leiste
oder Achselhöhle finden sich mehr und unterschiedlichere Keime, darunter auch Gram-
negative Bakterien. Wie die Normalflora an anderen Körperstellen spielt auch die
Hautflora eine wichtige Rolle als Schutz vor einer Invasion fremder Keime.

Bei näherer Betrachtung der Hautstruktur wird verständlich, weshalb sie und die
darunter befindlichen Gewebe für unterschiedliche Infektionen anfällig sind (Abb. 26.1).
Wenn Keime die Hornschicht (Stratum corneum) überwinden, wird die körpereigene

736
Abwehr mobilisiert: Von Langerhans-Zellen in der Epidermis werden Zytokine gebildet,
die Neutrophile zur Invasionsstelle hinlocken, und der alternative Weg des
Komplementsystems wird aktiviert.

Zu Hautkrankheiten führen drei unterschiedliche


Angriffslinien der Erreger
Abb. 26.1 Bei Infektionen der Haut und
Unterhautgewebe lässt sich eine Beziehung zur
Anatomie der Haut herstellen.

Normalerweise dringen Erreger erst nach einer Schädigung der Hautoberfläche in


die unteren Epidermis- und Dermisschichten vor.

■ Risse in der Haut ermöglichen eine Infektion von außen.

■ Hautsymptome im Rahmen von systemischen Erkrankungen kommen


hämatogen oder durch direktes Übergreifen eines Infektionsherds auf die Haut
zustande (z.B. Fisteln bzw. Ausführungsgänge bei aktinomykotischen Läsionen,
nekrotisierende Anaerobierinfektion bei intraabdominaler Sepsis).

■ An anderen Stellen im Körper gebildete Bakterientoxine (z.B. bei Scharlach


oder toxischem Schocksyndrom) können ebenfalls die Haut schädigen.

737
In Abb. 26.2 ist der pathogenetische Ablauf einer mukokutanen Schädigung nach
Bakterien-, Pilz- oder Virusinfektionen dargestellt. Die Haut kann mikroskopisch kleine
Risse oder tiefe und großflächige Verletzungen aufweisen (Schnittwunden nach
Unfällen, Brandblasen nach Verbrennung, Operationsschnitte). Hospitalisierte
Patienten sind noch durch andere Vorschäden (Dekubitus,
Venenkatheterinsertionsstelle) anfällig für Hautinfektionen (s. Kap. 36). Infektionen bei
Immunschwäche, z.B. Patienten mit Brandverletzungen, werden in Kap. 30 näher
besprochen.
Abb. 26.2 Pathogenese mukokutaner Läsionen.

Ausgangspunkt (Keiminvasion, Toxin- oder Immunkomplexbildung) und


Endergebnis (makulopapulöser Ausschlag, Bläschen) von Haut- und
Schleimhautinfektionen können unterschiedlich sein. HSV = Herpes-simplex-Virus,
VZV = Varicella-Zoster-Virus

Hier befassen wir uns mit Primärinfektionen der Haut und des Unterhautgewebes
sowie mit mukokutanen Schäden nach bestimmten systemischen Virusinfektionen.
Systemische bakterielle und Pilzinfektionen als Ursache einer Haut- oder
Schleimhautschädigung sind in Tab. 26.2 zusammengefasst.

26.1 Bakterielle Infektionen von Haut, Weichteil- und


Muskelgewebe

Einteilung auf anatomischer Grundlage

738
Ihre Einteilung richtet sich nach den beteiligten Haut- und Weichteilschichten; bei
manchen Infektionen können verschiedene Bestandteile des Bindegewebes
eingeschlossen sein:

■ Abszedierung. Infolge einer Infektion und Entzündung der Haarfollikel in der


Haut (Follikulitis) können sich Furunkel und Karbunkel bilden.

■ Ausbreitung von Infektionen. Bei Impetigo (bullöse, verkrustete oder


pustelartige Flechte) bleibt der Ausschlag auf die Epidermis beschränkt. Ein Erysipel
geht mit der Blockade von Hautlymphgefäßen einher; es manifestiert sich als
umschriebene, sich ausbreitende entzündliche Rötung (meist im Gesicht, an Beinen
oder Füßen) und ist oft mit Schmerzen und Fieber verbunden. Bei Infektionsherden im
Unterhautfettgewebe ist eine diffuse akute Entzündung (Zellulitis) die übliche
Erscheinungsform.

■ Nekrotisierende Infektionen. Die entzündliche Reaktion auf eine Infektion


subdermaler Weich-/Bindegewebe bezeichnet man als Fasziitis. Oft breitet sich die
Infektion mit alarmierender Schnelligkeit entlang von Faszien aus und behindert die
Blutzufuhr. Nach ischämischen Muskelinfektionen kann sich eine Gangrän oder
Muskelnekrose entwickeln. Bei einer Gasgangrän können die im fermentiven
(Gärungs-)Stoffwechsel anaerober Keime gebildeten Gase im Gewebe tastbar sein.

Die häufigsten Auslöser solcher bakteriellen oder Pilzinfektionen sind in Tab. 26.3
aufgeführt. Zu beachten ist, dass derselbe Erreger (z.B. Streptococcus pyogenes) je nach
betroffener Haut-/Unterhautschicht oft unterschiedliche Infektionen verursachen kann.

739
Tab. 26.2 Hautsymptome bei systemischen Infektionen durch
Bakterien oder Pilze.

26.1.1 Staphylokokkeninfektionen der Haut

Staphylococcus aureus (häufigste Ursache von


Hautinfektionen) ruft eine heftige Entzündungsreaktion
hervor
Neben kleineren Hautinfektionen (Furunkel oder Abszesse) verursacht Staphylococcus
aureus auch schwere postoperative Wundinfektionen. Die Übertragung kann durch
Selbstinokulation (z.B. aus der Nase) oder im Kontakt mit einer exogenen
Infektionsquelle (meist andere Menschen) erfolgen. Die Träger virulenter S.-aureus-
Stämme (in der Nase) können unter wiederkehrenden Furunkeln leiden. Ohne
vorhandene Wunden oder Fremdkörper ist dazu allerdings ein Inokulum von
mindestens 100000 Keimen erforderlich. Auch durch Toxinbildung kann S. aureus
schwere Hautsymptome (Syndrom der verbrühten Haut, toxisches Schocksyndrom, s.
unten) hervorrufen.

Ein Furunkel beginnt 2–4 Tage nach der Inokulation als oberflächliche Entzündung
in und um einen Haarfollikel (Follikulitis, Abb. 26.3). An dieser Stelle kann sich der
Keim einigermaßen sicher vor der Wirtsabwehr rasch vermehren und lokal ausbreiten.
Das provoziert eine stark entzündliche Reaktion mit dem Zustrom von Neutrophilen
und einer Abkapselung der Stelle durch Fibrinablagerungen.

Typisch für Abszesse ist gelber Eiter von cremiger Konsistenz, der reichlich
vorhanden ist und aus Zellmassen der Erreger und nekrotischen weißen
Blutkörperchen besteht. Unter langsamer Ausbreitung einer Abszedierung kommt es
schließlich zur Erosion der darüber befindlichen Haut, bis sich ein „Eiterstippchen“
bildet und sich der Abszess entleert. Fließt Eiter nach innen ab, kann die Streuung von
Staphylokokken in innere Körperstrukturen zu schweren Infektionen (Peritonitis,
Empyem oder Meningitis) führen.

S.-aureus-Infektionen sind oft klinisch


diagnostizierbar, werden ausgeleitet und mit
Antibiotika behandelt
S. aureus ist die häufigste Ursache von Furunkeln. Meist stützt sich die Diagnose auf
klinische Anhaltspunkte. Zur Abklärung von Hospitalinfektionen sind Isolierung und
nähere Identifizierung der auslösenden Staphylokokken bei Krankenhauspatienten und
-personal wichtig (s. Kap. 36).
Abb. 26.3 Follikulitis.

740
Hier ist die oberflächliche Infektion von Haarfollikeln am Unterschenkel gezeigt.
Die Furunkel enthalten cremig-gelben Eiter und Bakterienmassen. Am häufigsten
ist Staphylococcus aureus die Ursache (mit freundlicher Genehmigung von A. du
Vivier).

Tab. 26.3 Direkter Zugang für Bakterien oder Pilze zu


unterschiedlichen Hautschichten.
Bei kleineren Läsionen kann eine Entleerung der Furunkel als Behandlung
ausreichen, doch bei stärkeren Infektionen mit Fieber sollten die Patienten zusätzlich
Antibiotika erhalten. Die meisten Staphylokokken bilden Betalaktamase, doch
Methicillin-empfindliche S. aureus (MSSA) können mit einem betalaktamasefesten
Penicillin behandelt werden. Zur Behandlung Methicillin-resistenterS. aureus

741
(MRSA, s. Kap. 33) kommen z.B. Vancomycin oder Linezolid zum Einsatz. Eine
Behandlung mit diesen Substanzen führt jedoch bei Trägern von Stapyholokken nicht
unbedingt zur Eradikation der Erreger.

Um rezidivierende Infektionen über die Nase zu verhindern, können S.-aureus-


Träger z.B. mit antibiotikahaltigen Nasensalben behandelt werden. Mupirocin wurde
z.B. erfolgreich gegen MRSA angewandt (s. Kap. 36). Man sollte Träger und
Patienten zu guter Hautpflege und sorgfältiger Hygiene anhalten.

Toxinbildende S. aureus verursachen das „Syndrom


der verbrühten Haut“ (staphylococcal scalded skin
syndrome)
Bei Säuglingen ist es auch als Dermatitis exfoliativa neonatorum Ritter von
Rittershain und bei älteren Kindern als Lyell-Syndrom oder Epidermolysis acuta
toxica bekannt. Das sporadisch oder epidemisch auftretende Syndrom wird von S.
aureus-Stämmen verursacht, die ein Toxin bilden (sog. Exfoliatin oder scalded skin
syndrome toxin, SSST). Ausgehend von einer Hautschädigung, die völlig unerheblich
sein kann, führt das Toxin zur Zerstörung von interzellulären Verbindungen mit
Ablösung der obersten Epidermisschicht.

Nachdem sich große, mit klarer Flüssigkeit gefüllte Blasen entwickelt haben, kommt
es innerhalb von ein, zwei Tagen zum Verlust der darüber befindlichen Hautareale
(Abb. 26.4); darunter kommt wieder normale Haut zum Vorschein. Obwohl sie gereizt
wirken können und sich unwohl fühlen, sind die Säuglinge selten ernstlich krank.
Allerdings ist die Gefahr eines großen Flüssigkeitsverlustes über die geschädigte
Haut zu berücksichtigen; daher kann unter Umständen ein Flüssigkeitsersatz nötig
sein.

Toxisches Schocksyndrom durch S.-aureus-Stämme,


die TSST produzieren
Einen gewissen Bekanntheitsgrad erreichte diese systemische S.-aureus-Infektion
gesunder Frauen im Zusammenhang mit der Tamponbenutzung; doch sie beschränkt
sich weder auf Frauen noch auf den Genitalbereich, sondern kann z.B. in
extragenitalen Wunden auftreten. In das toxische Schocksyndrom (TSS) sind mehrere
Organe mit einbezogen; kennzeichnend sind Fieber, Hypotonie und ein diffuser,
fleckig-roter Ausschlag mit Abschälung der Haut (Desquamation), besonders an
Handinnenflächen und Fußsohlen (Abb. 26.5).

Auslöser sind Exotoxine von S. aureus, vor allem TSST-1, das sich wie ein
Superantigen verhält (stimuliert T-ZellProliferation und Zytokinfreisetzung, s. Kap.
16). Während die Prävalenz des TSS in den USA derzeit auf 6000 Fälle pro Jahr
geschätzt wird, haben über 90% der Erwachsenen Antikörper gegen TSST-1. Zur
Behandlung des toxischen Schocksyndroms werden der Infektionsherd eröffnet (und
ausgeleitet), ein Flüssigkeitsersatz und eine Antibiotikatherapie mit
staphylokokkenwirksamen Mitteln durchgeführt.

742
Abb. 26.4 „Syndrom der verbrühten Haut“ durch
Staphylococcus-aureus-Stämme, die ein
spezifisches Toxin produzieren.

Das Toxin zerstört interzelluläre Verbindungen in der Haut, so dass sich die Haut
großflächig ablöst (Desquamation). Man könnte das Erscheinungsbild mit einer
Verbrennung verwechseln (mit freundlicher Genehmigung von A. du Vivier).
Abb. 26.5 Toxisches Schocksyndrom.

Infolge einer systemischen Staphylococcus-aureus-Infektion kam es, begleitet von


Hautsymptomen in Form einer Desquamation der Handinnenflächen und
Fußsohlen, zum TSS (mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood).

743
26.1.2 Streptokokkeninfektionen der Haut

Hautinfektionen verursachen besonders


Streptokokken der Gruppe A (wie Streptococcus
pyogenes)
Eine Impetigo kann sich unabhängig von einer Atemwegsinfektion durch
Streptokokken entwickeln. Auch wenn rund 35% der Patienten denselben Stamm in
ihrer Nasen- oder Rachenschleimhaut tragen, könnte sie erst nach der Hautinfektion
besiedelt worden sein. Streptokokken werden im Kontakt zu anderen Leuten mit
Hautinfektionen übertragen. Sie halten und vermehren sich vermutlich schon auf der
normalen Haut, bevor sie über kleine Hautrisse eindringen und zu Läsionen führen. In
Abb. 26.6 sind Risikofaktoren für die Entwicklung einer Streptokokken-Impetigo
zusammengestellt.

S. pyogenes kann auch ein Erysipel verursachen, eine tiefere akute Infektion der
Dermis. Bei rund 5% der Patienten mit Erysipel schreitet die Infektion bis zur
Bakteriämie fort, die unbehandelt mit einer hohen Sterblichkeit behaftet ist. Wie schon
erwähnt, kann auch S. aureus eine Impetigo auslösen, bei der sich gelegentlich so
starke Blasen entwickeln (Impetigo bullosa), dass sie einem lokalen Scalded-skin-
Syndrom ähnlich sieht (s. oben).

Bestimmte Oberflächenproteine (M und T) von S. pyogenes wirken antigen.


Aufgrund dieser Antigene lassen sich einzelne Subtypen unterscheiden. Mit
Hautinfektionen sind nachweislich andere M- und T-Typen assoziiert als mit
Halsentzündungen. Die Funktion der T-Proteine ist unklar, sie scheinen jedenfalls
keine Rolle für die Virulenz zu spielen. M-Proteine sind jedoch wichtige
Virulenzfaktoren, die eine Opsonisierung der Bakterien verhindern und sie dadurch
resistent gegen Phagozytose machen. Zur Virulenz tragen auch Faktoren wie z.B.
Lipoteichonsäure und F-Protein bei, indem sie die Erregerbindung an Epithelzellen
fördern.

744
Abb. 26.6 An Streptokokkeninfektionen der Haut
beteiligte Faktoren.

Obwohl bestimmte M-Formen von Streptococcus pyogenes bevorzugt die Haut


befallen, prädisponieren erst bestimmte Wirtsfaktoren zur Infektion (vor allem im
Kindesalter). Auch Mischinfektionen mit Staphylococcus aureus kommen häufiger
vor.

Typisch für Streptokokkeninfektionen der Haut sind


akute Symptome
Innerhalb von 24–48 Stunden nach der Hautinvasion entwickeln sich klinische
Zeichen und eine ausgeprägte Entzündungsreaktion aus dem Bemühen des Wirts, die
Infektion lokal zu begrenzen (Abb. 26.7 und 26.8). S. pyogenes kann durch eine Reihe
toxischer Produkte und Enzyme wie Hyaluronidase zu seiner Verbreitung im Gewebe
beitragen. Da häufig auch Lymphgefäße beteiligt sind, kann es zur Lymphadenitis und
Lymphangitis kommen.

Lysogene Stämme von S. pyogenes bilden pyrogene Exotoxine, die früher als
erythrogene Toxine bezeichnet wurden. Wie oben für das TSST-1 von S. aureus
beschrieben, haben solche Toxine als Superantigene einen starken Einfluss auf das
Immunsystem. Sie wirken sich auch auf die Hautgefäße aus und verursachen ein
diffuses Erythem (Scharlach), z.B. bei einer Streptokokken-Pharyngitis. Auch S.
pyogenes kann ein toxisches Schocksyndrom hervorrufen, bei dem offenbar ein
Zusammenhang mit der Bildung des pyrogenen Exotoxins SpeA besteht.

745
Bestimmte M-Typen (z.B. M49) von S. pyogenes sind
mit akuter Glomerulonephritis assoziiert
Eine akute Glomerulonephritis (AGN) tritt häufiger nach Haut- als nach
Racheninfektionen auf (s. Kap. 18) und ist durch die Ablagerung von
Immunkomplexen in der glomerulären Basalmembran gekennzeichnet. Welche
kausale Rolle Streptokokken dabei spielen, ist noch immer unklar (s. Kap. 17). Rund
2–3 Wochen nach Primärinfektion mit einem nephritogenen Stamm entwickelt sich
bei 10–15% der Patienten eine AGN. In den meisten Fällen heilt sie vollständig aus,
und auch Rezidive bei nachfolgenden Streptokokkeninfektionen kommen eher selten
vor. Rheumatisches Fieber (s. Kap. 18) ist sehr selten Folge einer Hautinfektion mit S.
pyogenes.
Abb. 26.7 Hautflechte (Impetigo).

Die typischen gelb verkrusteten Läsionen bleiben auf die Epidermis beschränkt.
Ursache ist meist Streptococcus pyogenes, zum Teil auch eine Mischinfektion mit
Staphylococcus aureus (mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood).

Streptokokkeninfektionen der Haut werden meist


klinisch diagnostiziert und mit Penicillin behandelt
Nach Gram-Färbung sind im Eiter aus Hautbläschen Gram-positive Kokken sichtbar,
und in Kulturen zeigen sich manchmal Mischinfektionen von S. pyogenes mit S.

746
aureus (Abb. 26.9). Bakterielle Kulturen aus einem Erysipel bleiben meist negativ,
während Kulturen mit der Flüssigkeit aus Randbezirken der Läsion gelegentlich zum
Erfolg führen.
Abb. 26.8 Erysipel.

Die Streptococcus-pyogenes-Infektion führt unter Einbeziehung lokaler


Lymphgefäße zu einer klar umschriebenen Rötung und Verhärtung des
Hautbezirks. Wenn wie hier das Gesicht betroffen ist, zeigt sich oft ein
schmetterlingsförmiges Erythem (mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood).

747
Abb. 26.9 Eiter mit Gram-positiven Kokken.

Penicillin ist das Mittel der Wahl; für Patienten mit Penicillinallergie kommt
Erythromycin oder ein orales Cephalosporin in Betracht. Die Resistenz von
Streptokokken nimmt allerdings zu, und auch bei Mischinfektionen mit S. aureus sind
die Mittel nicht gut wirksam. In schweren Fällen kann eine stationäre Aufnahme
erforderlich sein.

Eine Impetigo lässt sich verhindern, wenn man die zur Infektion beitragenden
Wirtsfaktoren stärker berücksichtigt und soweit möglich verbessert (Abb. 26.6). Da
eine AGN bei nachfolgenden Streptokokkeninfektionen nur selten rezidiviert, ist keine
Langzeitprophylaxe mit Penicillin indiziert (anders als beim rheumatischen Fieber, s.
Kap. 18).

26.1.3 Zellulitis und Gangrän

Zellulitis ist eine akute Hautinfektion, die sich in


subkutanes Gewebe ausbreitet
Eine Zellulitis entsteht gewöhnlich aus einer oberflächlichen Hautläsion (Furunkel,
Ulzera) oder nach einem Trauma und dehnt sich tiefer ins Gewebe aus als z.B. ein
Erysipel. Statt selbst hämatogen ausgelöst zu werden, kann sie umgekehrt eine
Bakterieneinschwemmung ins Blut bewirken. Die Infektion entwickelt sich
innerhalb weniger Stunden oder Tage nach einem Trauma und führt rasch zu einer
überwärmten, geröteten Schwellung (Abb. 26.10) mit Vergrößerung regionaler
Lymphknoten. Die Patienten fühlen sich krank und reagieren mit Schüttelfrost und
Fieber.
Abb. 26.10 Ein Infektionsherd im
Unterhautfettgewebe führt zum typischen Bild der
Zellulitis, einer schweren und rasch progredienten
Infektion.

748
Auf der Hautoberfläche können auch große Blasen und Verschorfung zu sehen
sein (mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood).

In den allermeisten Fällen sind S. pyogenes und S. aureusAuslöser einer Zellulitis.


Nur gelegentlich können andere Keime aus der Umgebung beteiligt sein: bei Metzgern
und Fischhändlern z.B. Erysipelothrix rhusiopathiae. In Salzwasser können Vibrio
vulnificus und Vibrio alginolyticus zu Komplikationen bei offenen Wunden führen.

Nur in 25–35% der Zellulitis-Fälle lässt sich der verantwortliche Erreger isolieren.
Daher sollte die Therapie am Anfang gegen Streptokokken und Staphylokokken
wirksam sein. Zur Sicherung der klinischen Diagnose können Kulturen anlegt werden,
z.B. von:

■ Aspiraten aus den Randbezirken der sich ausweitenden Zellulitis,

■ einer verletzten Stelle (sofern vorhanden),

■ Hautbiopsien oder

■ Blutproben.

Weil die Erkrankung gerade bei S.-pyogenes-Infektionen rasch voranschreitet, sollte


man sofort mit der Behandlung beginnen und sich von der klinischen Diagnose leiten
lassen. Die eingesetzten Mittel sollten sowohl Streptokokken- wie
Staphylokokkeninfektionen erfassen.

749
In geschädigtem oder devitalisiertem Gewebe kann
sich eine Anaerobier-Zellulitis entwickeln
Solche Gewebeschäden sind meist durch Wunden (chirurgisch oder traumatisch)
bedingt oder in ischämischen Bereichen der Extremitäten anzutreffen. Besonders
anfällig für eine Anaerobier-Zellulitis sind z.B. die Füße von Diabetikern (Abb.
26.11).

Welcher Erreger ursächlich ist, hängt von den Umständen ab; Infektionen im unteren
Körperbereich werden häufiger von Fäkalkeimen ausgelöst, während sich Bisswunden
eher mit Keimen aus der Mundhöhle infizieren. Übel riechende Absonderungen,
deutliche Schwellung und Gasbildung im Gewebe sind typisch für eine Anaerobier-
Zellulitis. Meist werden verschiedene Erreger aus solchen Wunden isoliert. Eine
Ausbreitung der Infektion lässt sich nur durch rigorose Behandlung verhindern;
deshalb sind Antibiotika und chirurgisches Débridement erforderlich. Eine häufige
Folge ist eine Osteomyelitis (s. unten).
Abb. 26.11 Schwere, progrediente Zellulitis am Fuß.

Die Ursache sind meist Anaerobier oder eine aerob-anaerobe Mischinfektion.


Betroffen sind vor allem Diabetiker mit peripheren Gefäß- oder Nervenschäden
(mit freundlicher Genehmigung von J.D. Ward).

Synergistische bakterielle Mischinfektionen wie eine


Gangrän führen unaufhaltsam zur Zerstörung
Dabei handelt es sich um eine seltene Mischinfektion durch mikroaerophile
Streptokokken und S. aureus. Eine Gangrän kann nach Operationen im Inguinal-
oder Genitalbereich auftreten und im Bereich einer Drainage oder an der Naht
beginnen. In der Umgebung entwickelt sich eine Zellulitis, die sich rasch (innerhalb
weniger Stunden) ausbreitet und ein dunkles nekrotisches Zentrum hinterlässt; oft mit
tödlichem Ausgang. Zur Behandlung ist eine radikale Exzision des nekrotischen
Gewebes mit systemischer Antibiotikatherapie erforderlich.

26.1.4 Nekrotisierende Fasziitis, Muskelnekrose und


Gangrän

750
Eine nekrotisierende Fasziitis ist eine Mischinfektion
durch obligat und fakultativ anaerobe Keime und
endet oft tödlich
Trotz offensichtlicher Ähnlichkeit mit einer synergistischen bakteriellen Gangrän
verläuft die nekrotisierende Fasziitis noch akuter und hoch toxisch. Durch
großflächige Nekrose und Unterminierung des umgebenden Gewebes wirkt die
Infektion in tieferen Schichten viel zerstörerischer als auf der Haut (Abb. 26.12).

Sie kann zwar von unterschiedlichen Keimen verursacht werden, doch für die
Laienpresse stand die nekrotisierende Fasziitis vorrangig mit S. pyogenes in
Verbindung und es war oft von „fleischfressenden Bakterien“ die Rede. Der Zustand
der Patienten verschlechtert sich rapide, und viele sterben an einer nekrotisierenden
Fasziitis. Die Therapie besteht im Wesentlichen in der radikalen Exzision des
nekrotischen Fasziengewebes plus einer lokalen und systemische Antibiotikatherapie.
Abb. 26.12 Nekrotisierende Fasziitis der
Bauchdecke.

Vom ursprünglichen Herd breitet sich die Infektion rasch aus und kann zu einer
ausgedehnten, tiefen Nekrose führen. Sie macht ein vollständiges Débridement mit
intensiver Antibiotikatherapie erforderlich. Trotzdem verläuft die Erkrankung oft
tödlich (mit freundlicher Genehmigung von W.M. Rambo).

Offene Verletzungen oder Operationswunden können


von Clostridien infiziert werden
Clostridium tetani dringt über Hautverletzungen ins Gewebe ein. Zum Krankheitsbild
Tetanus führt jedoch ausschließlich die Bildung eines starken Exotoxins (s. Kap. 17).

751
Von den Clostridien-Spezies, die eine Gasgangrän oder eine Muskelnekrose
verursachen können, ist Clostridium perfringens der häufigste Auslöser. Da Keime
und Sporen im Boden sowie in Fäkalien von Tieren und Menschen vorkommen,
können Gewebeverletzungen aus diesen Quellen kontaminiert werden. Die Infektion
entwickelt sich in schlecht durchbluteten (anaeroben) Körperbereichen, daher ist sie
meist im Gesäß- und Dammbereich lokalisiert und betrifft besonders Patienten mit
einer ischämischen Vaskulopathie oder peripheren Arteriosklerose.

Die Keimvermehrung im Subkutangewebe wird von Gasbildung und einer anaeroben


Zellulitis begleitet, doch typisch für Clostridieninfektionen ist ihre größere
Eindringtiefe bis in Muskelschichten; dort führen sie zur Nekrosierung und die
Gasblasen, die sich dabei bilden, sind im Gewebe tastbar und manchmal sogar in
Wunden zu sehen (Abb. 26.13). Bei ihrem raschen Voranschreiten ruft die Infektion
akute Schmerzen hervor.

Die Schädigung beruht zum großen Teil auf einer von C. perfringens gebildeten
Lecithinase (auch als Alphatoxin bekannt), die Zellmembranlipide hydrolysiert und
so zur Zytolyse und zum Zelltod führt (Abb. 26.14). Durch abgestorbenes und
untergehendes Gewebe wird die Blutversorgung noch weiter eingeschränkt, so dass
sich die Keime vermehren, noch mehr Toxin bilden und weitere Gewebeschäden
verursachen können. Andere extrazelluläre Enzyme könnten die Ausbreitung der
Clostridien fördern. Sobald das Toxin ins Blut übergeht, bewirkt es eine massive
Hämolyse, führt zu Nierenversagen und schließlich zum Tod.

Um die Ausbreitung einer Clostridieninfektion zu


verhindern, kann eine Amputation nötig sein
Wegen des rasch progredienten Verlaufs und tödlichen Ausgangs ist bei dieser Art
von Clostridieninfektion eine sofortige chirurgische Intervention erforderlich. Das
gangränöse Gewebe muss komplett entfernt werden, und manchmal ist eine
Amputation unumgänglich. Empfohlen wird auch eine Überdruckbehandlung im
Sauerstoffzelt, um die Oxygenierung des Gewebes zu verbessern. Als adjuvante
Behandlung, aber nie als Ersatz für das chirurgische Débridement werden Antibiotika
(z.B. Penicillin) gegeben.

752
Abb. 26.13 Gasgangrän durch Clostridium
perfringens.

Nach Kontamination einer Wunde können Fäkalkeime in schlecht durchblutetem


(anaerobem) Gewebe wachsen und sich vermehren. Bei der sich rasch
ausbreitenden Infektion können Gasblasen im Gewebe zu tasten oder auf
Röntgenbildern zu sehen sein (mit freundlicher Genehmigung von J. Newman).
Abb. 26.14 Nagler-Reaktion.

Das von Clostridium perfringens produzierte Alphatoxin ist eine Lecithinase. Wird
der Keim auf einem dotterhaltigen (Eigelb, Lecithin) Medium angezüchtet, lässt
sich an der Verdichtung um die Wachstumslinien die Enzymaktivität ablesen

753
(rechts). Wird die Platte vor der Keiminokulation mit Anti-Alphatoxin beschichtet,
hemmt das die Toxinwirkung (links). Anhand dieses Tests können Clostridien
identifiziert werden.

Vorrangige Bedeutung hat die Prävention. Um Anaerobierinfektionen zu verhindern,


sollten Wunden gereinigt und abgestorbenes oder schlecht durchblutetes Gewebe
möglichst frühzeitig entfernt werden. Vor elektiven Operationen an Körperstellen, die
für Fäkalkeime leicht zugänglich sind, sollten die Patienten eine
Antibiotikaprophylaxe erhalten (s. Kap. 33 und 36).

26.1.5 Akne und Propionibacterium acnes

Hand in Hand mit hormonellen Veränderungen


kommt es in der Pubertät zu Akne durch P. acnes
Eine gesteigerte Ansprechbarkeit auf Androgene führt zu einer vermehrten
Talgproduktion, und die Ausführungsgänge der Talgdrüsen im Bereich von
Haarfollikeln können aufgrund der stärkeren Verhornung (Keratinisierung) und
Abschuppung (Desquamation) verstopft werden. Dadurch verwandeln sie sich in
„Blindsäcke“, in denen sich P. acnes und andere Vertreter der Normalflora
(Mikrokokken, Hefepilze, Staphylokokken) vermehren können.

Unter dem Einfluss von P. acnes entstehen Fettsäuren und Peptide aus dem Talg, die
zusammen mit den von Bakterien und polymorphkernigen Leukozyten freigesetzten
Enzymen und anderen Substanzen entzündlich wirken (Abb. 26.15). Komedonen
(„Mitesser“) sind Pfröpfe aus Keratin und Talg/Fett, vermischt mit Bakterien, und
sehen durch die obere Melaninschicht schwarz aus (Abb. 26.16).

754
Abb. 26.15 Typisches Aknebild.

„Mitesser“ sind Keratinpfröpfe, die Haarfollikel und Talgdrüsenausführungsgänge


verstopfen (mit freundlicher Genehmigung von A. du Vivier).

Orale Langzeit-Antibiotikatherapie zur Behandlung


von Akne
Akne wird meist mit einem Tetrazyklin oder Erythromycin behandelt. Ergänzend
kommen Hautpflegemittel, Keratolytika und in schweren Fällen synthetische Vitamin-
A-Derivate wie Isotretinoin zum Einsatz. Unter einer oralen Antibiotikatherapie
nimmt mit der Anzahl von P. acnes auf der Hautoberfläche auch der Anteil freier
Fettsäuren ab, die unter der Einwirkung bakterieller Enzyme zu Hautreizungen führen.
Für Teenager kann Akne zum Problem werden, doch mit nachlassender Aktivität der
Talgdrüsen verschwindet sie in zunehmendem Alter oft wieder. Auch mit P. acnes
verwandte Gram-positive Bakterien (wie Coryne- und Brevibakterien) können
Hautinfektionen verursachen.

755
26.2 Mykobakterielle Hautkrankheiten

26.2.1 Lepra

Weltweit sind Millionen Menschen an Lepra erkrankt


Lepra ist seit biblischen Zeiten bekannt, war aber in der Vergangenheit oft ein
Oberbegriff für unterschiedliche Erkrankungen, der auch so etwas wie „moralische
Unreinheit“ implizierte. Man nimmt an, dass sich Lepra im 6.Jahrhundert in Europa
ausbreitete. Im 13.Jahrhundert gab es über 200 Leprahospitäler in England. In den
folgenden Jahrhunderten ging die Inzidenz zurück, bis die Lepra im 15.Jahrhundert
nicht länger endemisch in England war; dagegen stieg die Zahl der Tuberkulosefälle.

In Großbritannien und den USA ist Lepra heute sehr selten geworden. Ende des
20.Jahrhunderts waren weltweit schätzungsweise 1–2 Millionen Menschen an Lepra
erkrankt; die meisten Fälle konzentrierten sich auf Südostasien, Afrika und
Südamerika. Jährlich kommen etwa 500000 bis 800000 Neuerkrankungen hinzu.

Lepra wird durch Mycobacterium leprae verursacht


Als G. A. Hansen 873 das Mycobacterium leprae entdeckte, hatte er den ersten
bakteriellen Krankheitserreger des Menschen identifiziert. Die Lepra (oder Hansen-
Krankheit) beschränkt sich offenbar auf Menschen. Obwohl sich M. leprae auch bei
Gürteltieren, Schimpansen und Mangabey-Affen nachweisen lässt, konnten
epidemiologische Untersuchungen keine signifikante Beziehung zwischen diesen
Trägern und der Erkrankung von Menschen belegen.

756
Abb. 26.16 Vermuteter Pathomechanismus der
Akne.

Wenn sich aufgrund hormoneller Veränderungen Komedonen in normalen


Haarfollikeln bilden, findet Propionibacterium acnes neue
Umgebungsbedingungen vor und verändert seine physiologischen Eigenschaften.
P. acnes gilt auch als Immunstimulans.

757
Die Übertragung (durch direkten Kontakt oder als Tröpfcheninfektion) steht aber
unmittelbar mit beengten Wohnverhältnissen und schlechten hygienischen
Bedingungen in Verbindung. Während aus den Hautläsionen nur geringe
Erregermengen freigesetzt werden, können die Nasensekrete von Patienten mit Lepra
lepromatosa stark mit M. leprae angereichert sein. Vielleicht spielen Arthropoden als
Vektoren eine Rolle. Da Lepra nicht hochkontagiös ist, ist längerer Kontakt zu einer
Infektionsquelle nötig, um sich anzustecken.

Kinder, die unter demselben Dach mit einem Leprakranken leben, sind offenbar am
stärksten gefährdet. Es mutet wie eine Ironie des Schicksals an, dass man Leprakranke
wegen ihrer sichtbaren Läsionen aus der Gemeinschaft ausschloss und in
Leprakolonien unterbrachte, aber die viel ansteckenderen Tuberkulosekranken nicht
verbannte.

Die zellvermittelte Immunreaktion bestimmt die


Symptomatik der Lepra
M. leprae lässt sich nicht auf künstlichen Kulturmedien anzüchten; auch über seine
Pathogenität ist kaum etwas bekannt. In zwei Tiermodellen wurden Gürteltiere und
Mäuse experimentell infiziert. Die Konzentration auf Haut und oberflächlichen
Nerven ist dadurch zu erklären, dass der Keim bei Temperaturen unter 37°C besser
wächst; er vermehrt sich nur sehr langsam. Im Fettpolster der Mäusepfote beträgt die
Generationszeit 11–13 Tage; bei Menschen kann die Inkubationszeit viele Jahre
dauern.

M. leprae wächst intrazellulär, vor allem in Histiozyten und Endothelzellen der Haut
und den Schwann-Zellen peripherer Nerven. Entscheidend für den Krankheitstyp ist
die Immunreaktion.

M. leprae weist pathobiologisch viele Gemeinsamkeiten mit M. tuberculosis auf, doch


die Krankheitsbilder sind völlig verschieden. Nach mehrjähriger Inkubationszeit und
schleichendem Beginn zeigt sich bei Lepra eine große Bandbreite der
Krankheitsaktivität, die von der zellvermittelten Immunreaktion (CMI) auf M. leprae
abhängig ist (Abb. 26.17). Am einen Ende dieser Skala befindet sich die tuberkuloide
Lepra mit roten Flecken und „tauben“ Hautbezirken im Gesicht, am Stamm und an
den Extremitäten (Abb. 26.18).

Wegen der Keimvermehrung in den Nervenscheiden sind die peripheren Nerven


tastbar verdickt. Die lokale Anästhesie macht die betroffenen Hautstellen anfällig für
Verletzungen und bakterielle Superinfektionen. Dieses Krankheitsbild entspricht einer
sekundären Tuberkulose (s. Kap. 19), bei der eine starke zellvermittelte
Immunreaktion zur Phagozytose/Zerstörung der Bakterien führt und eine übersteigerte
allergische Reaktion auslöst. Die tuberkuloide Lepra hat eine bessere Prognose als
die lepromatöse Lepra; bei manchen Patienten verläuft sie selbstlimitierend, bei
anderen Patienten kann sie in die lepromatöse Form übergehen (d.h. sich zum anderen
Ende der Skala verschieben).
Abb. 26.17 Immunreaktionen bei Lepra.

758
Da bei tuberkuloider Lepra (TT) eine wirksame zellvermittelte Immunantwort der
Patienten zustande kommt, können die Erreger von Makrophagen zerstört und die
Infektion aufgehalten werden. Dagegen gelingt es Patienten mit lepromatöser
Lepra (LL) nicht mehr, eine zellvermittelte Immunreaktion aufzubauen, so dass
sich die Keime ungehindert vermehren können. In ihren Haut- und Nasensekreten
sind zahlreiche säurefeste Stäbchen nachzuweisen, und sie sind viel ansteckender
als Patienten mit tuberkuloider Lepra. Zwischen diesen beiden Extremen befinden
sich Grenzfälle wie Borderline-lepromatöse (BL), Borderline-Borderline(BB)- und
Borderline-Tuberkuloid(BT)-Reaktionen.

759
Abb. 26.18 Für Lepra tuberculoides typischer
trocken-erhabener Fleck im Gesicht.

Zur Diagnosesicherung muss eine Hautbiopsie mikroskopisch untersucht werden


(Abb. 26.21). Mit freundlicher Genehmigung des Dermatologischen Instituts.

Bei Lepra lepromatosa ist die Haut in viel stärkerem Maße beteiligt und die
Bakterienzahl in den befallenen Gebieten sehr hoch. Mit fortschreitender Erkrankung
fallen die Augenbrauen aus, und infolge der Verdickung und Vergrößerung von Nase,
Ohren und Wangen kommt es zur Facies leontina, dem typischen Löwengesicht
(Abb. 26.19). Das Nasenseptum wird zunehmend zerstört und in der
Nasenschleimhaut steigt die Keimmenge deutlich an (Abb. 26.20).

Als Entsprechung zur Miliartuberkulose (s. Kap.19) geht diese Krankheitsform mit
einer schwachen zellvermittelten Immunreaktion und zahlreichen extrazellulären
Keimen in den Läsionen einher. Die groben Entstellungen im Spätstadium der Lepra
beruhen in erster Linie auf der Zerstörung der nasomaxillären Gesichtsstrukturen und
in zweiter Linie auf den pathologischen Veränderungen peripherer Nerven, die zu
wiederholten Verletzungen der Hände und Füße und zu Superinfektionen mit anderen
Keimen prädisponieren.

Ob sich bei einem Patienten die tuberkuloide oder lepromatöse Form der Lepra
entwickelt, ist zum Teil genetisch determiniert. Aus Zwischenformen kann sich die
Lepra in die eine oder andere Richtung weiter entwickeln.

In Zellabstrichen aus der Nase und Hautbiopsien sind


die säurefesten Stäbchen von M. leprae nachweisbar
Bei Patienten mit dermatologischen, neurologischen oder multisystemischen
Beschwerden größeren Ausmaßes kann es entscheidend sein, an Lepra zu denken.
Obwohl die meisten Patienten nicht in den USA oder Europa geboren wurden, kommt
die Diagnose auch bei allen in Betracht, die z.B. in Endemiegebieten gearbeitet haben.

760
Abb. 26.19 Großflächige Hautbeteiligung bei der
Lepra lepromatosa führt zum typischen
Löwengesicht (Facies leontina).

(Mit freundlicher Genehmigung von D.A. Lewis.)

In Zellabstrichen aus der Nase und Biopsien aus Hautläsionen lassen sich nach
Anfärbung (nach Ziehl-Neelsen oder mit Auramin) die säurefesten Stäbchen
nachweisen (s. Anhang). Bei der lepromatösen Form sind viele, bei der tuberkuloiden
Form nur wenige oder gar keine Keime sichtbar; trotzdem kann die Diagnose anhand
der typischen Granulome gestellt werden (Abb. 26.21). Es sei noch einmal daran
erinnert, dass sich der Erreger im Unterschied zu M. tuberculosis nicht in vitro
anzüchten lässt.

Behandlung

Zur Vermeidung von Resistenzen wird Lepra nur in


Mehrfachkombination mit Dapson, Rifampicin und
Clofazimin behandelt
Wenn Lepra rechtzeitig diagnostiziert und sofort mit der Behandlung begonnen
wird, ist die Prognose sehr viel besser. Dapson (s. Kap. 33) war lange Zeit ein
Stützpfeiler der Therapie, doch wegen Resistenzentwicklung bevorzugt man heute
Mehrfachkombinationen:
Abb. 26.20 Bei Lepra lepromatosa ist die
Nasenschleimhaut voll gepackt mit
Mycobacterium leprae, wie sich hier durch

761
säurefeste Ziehl-Neelsen-Färbung eines
Nasenabstrichs zeigt.

Mit freundlicher Genehmigung von I. Farrell.


Abb. 26.21 Bei Lepra tuberculoides sind nur spärlich
Keime, stattdessen aber typische Granulome in der
Haut anzutreffen, wie dieses histologische Präparat
zeigt.

(Mit freundlicher Genehmigung von C.J. Edwards)

762
■ bei lepromatöser Lepra eine Dreierkombination aus Dapson, Rifampin und
Clofazimin: mindestens zwei Jahre oder lebenslang oder bis keine säurefesten
Stäbchen mehr in Zellabstrichen und Hautbiopsien nachweisbar sind;

■ bei tuberkuloider Lepra eine Zweierkombination aus Dapson und Rifampin


über sechs Monate. Grundlage dieser Empfehlung ist die Überlegung, dass sich
wegen der viel geringeren Keimzahl bei dieser Form wahrscheinlich seltener
resistente Mutanten bilden.

Die kostengünstigen und gut verträglichen Kombinationstherapien bewirken


eine vollständige Heilung der Lepra und lassen die weltweite Ausrottung dieses
Public-Health-Problems in größere Nähe rücken.

Manchmal kann durch eine wirksame Antibiotikatherapie eine schwere


Entzündungsreaktion (Erythema nodosum leprosum) auf die Zerstörung der Erreger
hervorgerufen werden, die in einigen Fällen tödlich enden kann. Eine Behandlung
mit Kortikosteroiden oder Thalidomid kann hier indiziert sein.

Zu widersprüchlichen Ergebnissen führten Impfversuche zur Prävention der Lepra


mit BCG (Bacillus Calmette-Guérin) und M.-leprae-Totimpfstoff (nach
Hitzebehandlung).

26.2.2 Andere Mykobakterieninfektionen

Hautläsionen durch Mycobacterium marinum, M.


ulcerans und M. tuberculosis
M. marinum und M. ulcerans sind zwei langsam wachsende Mykobakterien-Spezies,
die kühlere Temperaturen bevorzugen und ebenfalls Hautläsionen hervorrufen können.
Wie der Name schon sagt, ist M. marinum mit Wasser- und Meerestieren assoziiert.
Menschen können sich im feuchten Milieu über Verletzungen infizieren, z.B. wenn
ein kleiner Kratzer beim Herausklettern aus dem Schwimmbecken oder beim Reinigen
eines Aquariums durch Mykobakterien kontaminiert wird. Nach einer Inkubationszeit
von 2–8 Wochen erscheinen erst kleine Papeln, die sich vergrößern, anfangen zu
eitern und eventuell ulzerieren. Histologisch handelt es sich granulomatöse Läsionen,
daher auch der Name „Schwimmbad-“ oder „Aquariumgranulom“ (Abb. 26.22).
Manchmal ziehen sich die Knötchen an Lymphgefäßen entlang, so dass man das
Erscheinungsbild mit einer Sporotrichose verwechseln kann (s. unten).

M. ulcerans verursacht chronische, fast schmerzlose Hautgeschwüre (Buruli-Ulzera),


die in Afrika und Australien häufiger, anderswo aber nur selten vorkommen.

Eine Hauttuberkulose ist äußerst selten. Zur Infektion führt entweder die direkte
Implantation von M. tuberculosis in Hautverletzungen (Lupus vulgaris) oder das
Übergreifen von einem infizierten Lymphknoten auf die Haut (Skrofuloderm).

26.3 Pilzinfektionen der Haut


Pilzinfektionen können sich auf äußere Hautschichten und Haare beschränken oder in die
Hornschicht der Epidermis, in Nägel und Haare eindringen (oberflächliche oder kutane

763
Mykosen); subkutane Mykosen entwickeln sich in den Schichten der Dermis. Hinzu
kommt, dass sich auch systemische (durch Inhalation erworbene) Pilzinfektionen auf der
Haut manifestieren können (Tab. 26.2).

26.3.1 Oberflächliche und kutane Mykosen


Einige gehören zu den häufigsten Infektionen des Menschen. Oberflächliche
Infektionen von Haut und Haaren (Pityriasis versicolor, Tinea nigra, Piedra negra und
blanca) bereiten eher kosmetische Probleme. Wichtiger sind
Dermatophyteninfektionen (Dermatophytien) wie Tinea und Hautflechten. Auslöser
sind hauptsächlich der Hefepilz Malassezia furfur und Dermatophyten wie
Epidermophyton, Trichophyton und Microsporum.

764
Abb. 26.22 „Schwimmbad-“ oder
„Aquariumgranulom“ aufgrund einer
Mycobacterium-marinum-Infektion, die sich z.B. beim
Reinigen eines Aquariums ereignen kann.

(Mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood)

Pityriasis versicolor

Ursache einer Pityriasis bzw. Tinea versicolor ist


Malassezia furfur
Die Haut wird häufiger von Malassezia furfur (Pityrosporum) besiedelt. Der Wandel
vom Kommensalen zum Pathogen scheint mit dem Phasenwechsel vom Hefepilz zur
Hyphenform zusammenzuhängen, doch wodurch er stimuliert wird, ist nicht
bekannt. Gewöhnlich bleiben die Herde auf Stamm oder proximale
Gliedmaßenabschnitte beschränkt; es sind hyper- oder hypopigmentierte Flecken,
die unter Bildung schuppender Plaques zusammenfließen. Juckreiz tritt meist nicht
auf, und bei einigen Patienten heilen die Läsionen spontan ab. Pityrosporum-Hefen
sind vermutlich auch an der Entstehung einer seborrhoischen Dermatitis beteiligt.

Durch mikroskopische Untersuchung von


Zellabstrichen lässt sich die Diagnose einer Pityriasis
versicolor bestätigen

765
Unter dem Mikroskop zeigen sich die typisch runden Formen der Hefepilze in
Zellabstrichen (Abb. 26.23). Zur topischen Behandlung ist ein azolhaltiges
Antimykotikum (s. unten) oder eine Selensulfid-Lotion (2%) geeignet.

Dermatophytie (Dermatophyteninfektion der Haut)

Dermatophyteninfektionen können aus


unterschiedlichen Quellen stammen und sich über
Arthrosporen ausbreiten
Je nach ihrem primären Vorkommen (bei Menschen, Tieren oder im Boden) werden
die Dermatophyten-Spezies als anthropophil, zoophil oder geophil bezeichnet.
Unterschiede ergeben sich aus der geografischen Verbreitung, der Prädilektion
bestimmter Körperstellen und der Stärke der Wirtsreaktion, die sie bei Menschen
hervorrufen können.

Von der Infektionsquelle hängen sowohl die Übertragung auf Menschen als auch zu
einem gewissen Grad die Verbreitung innerhalb von Menschengruppen ab (Abb.
26.24), obwohl sich die Muster seit der Zunahme von Migrationen ändern. Durch
Immigranten aus Lateinamerika hat z.B. Trichophyton tonsurans in den USA
Microsporum audouinii als Hauptursache der Tinea capitis abgelöst. Doch auch
letzterer ist wieder im Steigen begriffen (spricht sehr schlecht auf die Behandlung
an).

766
Abb. 26.23 Nach der Anfärbung infizierter
Hautschuppen werden die dickwandigen
Sporenhaufen von Malassezia furfur und die kurzen,
angewinkelten Pilzfäden sichtbar.

767
(Mit freundlicher Genehmigung von Y. Clayton und G. Midgley)
Abb. 26.24 Aus drei Dermatophyten-Gattungen
kommen wichtige Krankheitserreger: Microsporum,
Trichophyton und Epidermophyton.

768
In jeder gibt es anthropophile, zoophile und geophile Arten. Wie der natürliche
Wirt variiert auch die Verteilung der anthropophilen Spezies. Wichtigste
geophile Spezies ist Microsporum gypseum.

Dermatophytien werden oft durch anthropophile Spezies verursacht. In gemäßigten


Klimazonen übertragen Rinder Trichophyton verrucosum, Nagetiere T.
mentagrophytes sowie Hunde und Katzen Microsporum canis als die häufigsten
zoophilen Ursachen für Infektionen des Menschen. Geophile Spezies wie
Microsporum gypseum führen nur sehr selten zu Infektionen, und wenn doch, sind
Menschen mit entsprechender Exposition betroffen, z.B. Gärtner und Landarbeiter.
Entzündungsreaktionen auf zoophile und geophile Spezies fallen oft stärker aus als
bei anthropophilen.

Übertragen wird die Infektion durch Arthrosporen, d.h. von Hyphen (Pilzfäden)
gebildete vegetative Formen mit dicker Zellwand (Abb. 26.25), die Monate
unbeschadet überstehen können. Bei anthropophilen und zoophilen Spezies werden
Arthrosporen mit Hautschuppen und ausgefallenen Haaren des Primärwirts in die
Umgebung verstreut.

Dermatophyten dringen in Haut, Haare und Nägel


ein
Als keratinliebende Mikroorganismen dringen Dermatophyten in entsprechende
Strukturen wie Haut, Haare und Nägel ein. Die Arthrosporen heften sich an
Keratinozyten, keimen aus und dringen in sie ein. Der lateinische Begriff „Tinea“
bedeutet so viel wie Made oder Larve (engl. ringworm) und wurde für diese
Infektionen gewählt, weil man ursprünglich wurmartige Parasiten für den Auslöser
hielt. Bei Tinea capitis sind Haare und Kopfhaut befallen, bei Tinea corporis der
Körper, bei Tinea inguinalis der Leistenbereich, bei Tinea manuum die Hände, bei
Tinea unguium die Nägel und bei Tinea pedis die Füße (Abb. 26.26).

Typisch ist ein ringförmiger oder geschlängelter, schuppender Fleck mit


erhabenem Rand und als Leitsymptom tritt Juckreiz auf, wenn auch in
unterschiedlich starker Ausprägung. Die trockene Haut ist oft schuppig und
manchmal rissig (z.B. zwischen den Zehen bei Tinea pedis), während eine Infektion
der Haare zu Haarausfall führen kann (Abb. 26.27).

Je nach Ursache fällt die Entzündungsreaktion verschieden aus; bei zoophilen


Spezies ist sie in der Regel stärker als bei anthropophilen. Menschen zeigen eine
individuell unterschiedliche Anfälligkeit, ohne dass man sich erklären kann,
wodurch sie zustande kommt. Aber auch die einzelnen Dermatophyten-Spezies
unterscheiden sich in Bezug auf ihre Fähigkeit, Immunreaktionen hervorzurufen;
manche (wie Trichophyton rubrum) führen zu chronischen oder rezidivierenden
Läsionen, während andere eine lang anhaltende Resistenz gegen Reinfektionen
bewirken.
Abb. 26.25 Arthrosporen von Trichophyton
tonsurans in einem Haarschaft.

769
In Form solcher dickwandigen Sporen breitet sich die Infektion aus. Bis sie
einen neuen Wirt infizieren, können sie Wochen oder Monate in der
Außenumgebung überstehen (mit freundlicher Genehmigung von A.E. Prevost).
Abb. 26.26 Tinea ist eine Dermatophyteninfektion
von Haut, Haaren und Nägeln.

Einzelne Spezies bevorzugen bestimmte Körperstellen. E. = Epidermophyton,


M. = Microsporum, T. = Trichophyton

Bei einigen Patienten reagiert die Haut mit immunvermittelter Überempfindlichkeit


(Erythem oder Bläschen) auf frei zirkulierende Pilzantigene und es kommt zu einem

770
sog. Dermatophytid. Eine infolge der Infektion rissige oder wunde Haut ist sehr
anfällig für eine Superinfektion mit anderen Erregern, z.B. mit Gram-negativen
Bakterien in feuchteren Körperzonen.

In sehr seltenen Fällen dringen Dermatophyten auf dem Lymphweg in subkutanes


Gewebe ein und verursachen Granulome, Lymphödeme oder nässende Fisteln. Ein
Übergreifen der Infektion auf Leber und Gehirn kann tödlich enden.

Viele Dermatophyten-Spezies fluoreszieren im UV-


Licht
Das kann besonders bei Tinea capitis den Weg zur klinischen Diagnose weisen. Die
Labordiagnose stützt sich auf den mikroskopischen Nachweis von Pilzfäden
(Hyphen) und die Kultivierung von (Schabe- oder Knips-)Material aus Läsionen auf
Sabouraud-Agar (Abb. 26.28, s. Anhang). Bei einem Haarbefall durch
Dermatophyten kann das typische Verteilungsmuster die Identifizierung erleichtern:

■ Arthrosporen der meisten Microsporum-Spezies bilden sich außen am


Haarschaft (Ektothrix-Infektionen).

■ Arthrosporen der meisten Trichophyton-Spezies bilden sich innen im


Haarschaft (Endothrix-Infektionen, Abb. 26.29).
Abb. 26.27 Tinea.

a) Klassisches ringförmiges Ekzem bei Tinea corporis (hier durch


Microsporum); b) Tinea inguinalis mit juckendem, schuppendem Ausschlag in
den Leistenfalten (das Skrotum bleibt meist ausgespart); c) schuppige Kopfhaut
und Haarausfall sind typisch für Tinea capitis. Dass manche Dermatophyten
unter UV-Licht fluoreszieren, kann diagnostisch weiterhelfen. Mit freundlicher
Genehmigung von A.E. Prevost (a), M.J. Wood (b) und M.H. Winterborn (c).

Entscheidend für die Identifizierung sind Koloniebildung und mikroskopische


Eigenschaften der auf Sabouraud-Agar kultivierten Pilze (Abb. 26.30). Ihre
Anzüchtung kann bis zu zwei Wochen dauern, doch die Identifizierung ist nicht
schwierig und nützlich zum Aufspüren der Infektionsquelle.

Dermatophyteninfektionen werden nach


Möglichkeit topisch behandelt

771
Ein Nagel- oder Haarbefall sollte mit oralen Antimykotika behandelt werden. Zur
topischen Anwendung stehen verschiedene Mittel zur Verfügung (→ Kap. 33),
darunter Antimykotika wie Miconazol und keratolytische Salben (z.B. Whitfields
Mischung aus Salizyl- und Benzoesäure). Am häufigsten wird Griseofulvin oral
verabreicht. Bei einer Infektion der Kopfhaut spricht die Therapie nach 6–12
Wochen an, bei Fingernagelinfektionen kann es bis zu 6 Monaten und bei
Fußnagelinfektion ein Jahr oder noch länger dauern. Da die Rezidivrate bei
Nagelinfektionen sehr hoch ist, raten viele Ärzte von der Behandlung ab, solange
weder Schmerzen noch eine stärkere Hautbeteiligung vorliegen.
Abb. 26.28 Dermatophyteninfektion.

Haut-, Haar- und Nagelproben müssen vor der mikroskopischen Untersuchung


erst mit Kaliumhydroxid vorbehandelt werden, um die Pilzfäden erkennen zu
können.

772
Abb. 26.29 Arthrosporen von Dermatophyten
können sich a) im Haarschaft (Endothrix) oder
seltener b) außen am Haarschaft (Ektothrix) bilden.

(Mit freundlicher Genehmigung von Y. Clayton und G. Midgley.)

773
Abb. 26.30 a) Makroskopisches (Kolonie-
)Wachstum und b) im mikroskopischen Präparat
erkennbare Makrokonidien von Microsporum
gypseum.

Candidainfektionen

Candida braucht Feuchtigkeit


Für Pilze wie Candida, die zum Wachsen Feuchtigkeit benötigen, bedeutet die
relative Trockenheit der meisten Hautareale eine natürliche Einschränkung ihres
Wachstums. Auf gesunder, intakter Haut finden sich nur geringe Mengen, doch

774
verletzte und intertriginöse Hautstellen (Hautflächen, die sich berühren, sind oft
feucht und reiben aufeinander), werden rasch von Candida überwuchert (Abb.
26.31). Da auch Mund- und Vaginalschleimhaut von Candida besiedelt werden,
bildet sich hier Soor bei einer Überwucherung (s. Kap. 21).

Allerdings muss die Wirtsresistenz schon wesentlich verringert sein (z.B. bei
Neutropenie), damit Candida in tiefere Subkutangewebe eindringen kann. Eine
disseminierte Candidose entwickelt sich weniger aus einer Hautinfektion als durch
die Instrumentierung infizierter Areale (s. Kap. 30).

26.3.2 Subkutane Mykosen

Viele verschiedene Spezies können subkutane


Pilzinfektionen verursachen
Diese Läsionen entwickeln sich gewöhnlich nach der Pilzimplantation in eine (durch
Dornen oder Biss) verletzte Stelle. Bis auf die Sporotrichose kommen subkutane
Mykosen eher selten vor. Da Bakterien (Aktinomyzeten, atypische Mykobakterien)
ähnliche Krankheitsbilder verursachen können, ist die ätiologische Abklärung aber
wichtig für die Wahl der richtigen Therapie. Auf Antimykotika sprechen diese
Pilzinfektionen kaum an, so dass zur Behandlung oft eine chirurgische Intervention
(Exzision oder Amputation) erforderlich wird.
Abb. 26.31 Candidainfektion der Haut.

Hier fanden die Pilze auf den sich berührenden Hautflächen günstige
Wachstumsbedingungen (Feuchtigkeit) vor (mit freundlicher Genehmigung von A.
du Vivier/St. Mary’s Hospital).

775
Sporotrichose–eine noduläre Mykose durch
Sporothrix schenckii
Sporothrix schenckii ist ein saprophytärer Pilz, der verbreitet im Boden, auf Rosen-
und Berberitzenbüschen, auf Baumrinden und Sphagnum-Moosen vorkommt. Ein
berufliches Risiko tragen Bauern, Gärtner und Floristen, die sich die Infektion durch
eine Verletzung (z.B. an Dornen) zuziehen können.

Etwa 1 Woche bis 6 Monate nach der Inokulation bildet sich an der Verletzungsstelle
eine kleine Papel oder ein subkutanes Knötchen, bis sich schließlich eine
Knötchenreihe an den ableitenden Lymphgefäßen entlang zieht (Abb. 26.32). Durch
Anzüchtung von Proben aus der Lymphflüssigkeit oder aspiriertem Material auf
Sabouraud-Agar lässt sich die Diagnose stellen. Bei Erkrankung der Hautlymphgefäße
ist die orale Gabe von Kaliumjodid wirksam.

Eine Haut- oder Lungeninfektion mit S. schenckii kann in eine disseminierte


Erkrankung übergehen. Betroffen sind vor allem Patienten mit Immunschwäche,
z.B. durch ein Karzinom oder eine Sarkoidose. Oft liegt aber keine bzw. keine
bekannte Grundkrankheit vor. In dem Fall ist eine Behandlung mit Amphotericin B
indiziert, doch die Prognose ist nicht sehr gut.
Abb. 26.32 Sporotrichose mit Ausbreitung von
einem Infektionsherd am Nagelbett des Mittelfingers
entlang den ableitenden Lymphgefäßen am
Handrücken.

(Mit freundlicher Genehmigung von T.F. Sellers jr.).

Subkutane Infektionen verursachen auch Spezies wie Cladosporium und


Phialophora (Chromoblastomykose), Pseudallescheria und Madurella (Myzetome).

776
Systemische Mykosen mit Hautsymptomen
(Blastomykose, Kokzidioidomykose und
Kryptokokkose)
In Mittel- und Nordamerika sowie in Afrika kommt endemisch eine Blastomykose
durch Blastomyces dermatitidis vor, deren Leitsymptom Hautläsionen sind. Die
Infektion wird durch Pilzsporen übertragen und breitet sich nach der Inhalation von
der Primärstelle in der Lunge weiter aus. Als systemische Erkrankung kann die
Blastomykose bei immunologisch völlig normal wirkenden Menschen auftreten (Abb.
26.33). Auch Hunde und Pferde können daran erkranken.

Systemische Infektionen mit Hautsymptomen verursachen auch Coccidioides immitis


und Cryptococcus neoformans.

26.4 Parasiteninfektionen der Haut


Die Haut ist eine wichtige Eintrittspforte für Parasiten, die

■ direkt in sie eindringen (z.B. Schistosomen, Nematoden),

■ von Vektoren beim Blutsaugen inokuliert werden.

Die meisten dieser Parasiten verlassen sie umgehend wieder, doch einige bleiben in der
Haut oder werden eingekapselt. Umgekehrt werden nur wenige über die Haut aus dem
Körper ausgeschieden. Die (pathologischen) Hautreaktionen auf Parasiten können
schwach bis stark beeinträchtigend sein. Es folgt eine kurze Beschreibung von
Parasiteninfektionen, die zu schweren Störungen führen.
Abb. 26.33 Typische Hautläsion bei Blastomykose.

Die Infektion wird über die Atemwege übertragen und befällt daher zunächst die
Lunge. Doch die extrapulmonalen Infektionsherde bei chronischer Blastomykose

777
befinden sich am häufigsten auf der Haut (mit freundlicher Genehmigung von K.A.
Riley).

Leishmaniose als Haut- und mukokutane Infektion


Leishmanien werden durch den Biss von Sandfliegen übertragen. Die zu den Protozoen
zählenden Leishmanien lösen zwei wichtige Krankheitskomplexe der Haut aus:

■ Die Hautleishmaniose kommt in Asien, Afrika, Südeuropa und in Mittel- und


Südamerika vor. Ihr Spektrum reicht von lokalen, selbst abheilenden Geschwüren bis
zu unheilbaren, disseminierten, lepraartigen Läsionen.

■ Bei den nur in der Neuen Welt (Mittel- und Südamerika) auftretenden
mukokutanen Leishmaniosen sind die Parasiten in der Haut lokalisiert oder in Haut-
Schleimhaut-Übergangsbereiche (Mund und Nase) eingedrungen und verursachen
chronische, entstellende Erkrankungen (ausführlicher zu Leishmaniosen s. Kap. 27).

Dermatitis durch Schistosomeninfektionen


Schistosomen benötigen Wasserschnecken als Vektoren und die Übertragung erfolgt
durch aktive Hautpenetration der Larvenstadien (s. Kap. 27). In dieser Phase kann sich
eine Dermatitis entwickeln. Wenn statt der Spezies, die sich an den Menschen adaptiert
haben, Vogelschistosomen in die Haut eindringen, kommt es zu einer ähnlichen, aber
sehr viel stärkeren Hautreaktion auf die Invasion. Die „Schwimmerkrätze“ ist relativ
häufig bei Freizeitsportlern anzutreffen, die natürliche und dicht von Wasservögeln
bevölkerte Seen aufsuchen, z.B. die großen Seen im Norden der USA. Wirksam sind
antientzündliche Mittel zum Auftragen (Salben).

Juckende, entzündete Gänge in der Haut sind


Kennzeichen der Larva migrans
Wenn Hakenwürmer (wie Ancylostoma duodenale oder Necator americanus) über die
Haut in den menschlichen Körper eingedrungen sind, graben sich die infektiösen Larven
durch die Dermis und wandern im Blut schließlich zum Dünndarm. Ihre Invasion kann
zur Dermatitis führen, die sich bei wiederholter Infektion weiter verschlimmert.

Menschen können aber auch von Katzen- und Hundehakenwurmlarven befallen


werden, wenn sie mit verseuchtem Boden in Kontakt kommen. Die Haustiere können
erwachsene Würmer im Darm tragen und scheiden in ihrem Kot Eier aus, aus denen
dann die infektiösen Larven schlüpfen. Diese Larven bleiben über längere Phasen
lebensfähig. Da der Mensch eigentlich der falsche Wirt für sie ist, leben sie nach der
Invasion noch eine Zeit lang weiter, schaffen es aber nicht mehr, sich wieder aus der
fremden Dermis herauszubewegen. In der Zeit bewegen sie sich parallel zur Haut und
hinterlassen stark juckende, gewundene, entzündete Gänge (creeping eruption), die an
der Hautoberfläche gut erkennbar sind (Abb. 26.34). Um die Entzündung einzudämmen,
können topische Mittel und ein Anthelminthikum wie Thiabendazol angewandt werden.

Typisch für Onchozerkose ist eine


Überempfindlichkeitsreaktion auf Larvenantigene

778
Die Onchozerkose ist auch als „Flussblindheit“ bekannt. Adulte Formen von
Onchocerca volvulus (Knäuelfilarie) überleben jahrelang in subkutanen Knötchen. Die
lebend von den Weibchen freigesetzten Mikrofilarien wandern aus den Knötchen
heraus, halten sich aber überwiegend in den Dermisschichten auf. Wenn sie ins Auge
eindringen, können sie ein Blindheit verursachen (s. Kap. 25).
Abb. 26.34 Larva migrans (creeping eruption).

Hakenwurmlarven hinterlassen nach ihrem Eindringen leicht erhabene, entzündete


Gänge in der Haut (mit freundlicher Genehmigung von A. du Vivier).

Während der langsamen Zunahme der Parasitenzahl entwickelt sich eine


Hypersensitivitätsreaktion auf die von lebenden und absterbenden Larven
ausgeschiedenen Antigene, die zu entzündlichen Hautsymptomen führt. In frühen
Stadien erscheint ein papulöses, stark juckendes Erythem. Später verdickt sich die Haut,
wird unelastisch und sehr faltig; auch ein Pigmentverlust kommt häufiger vor. Durch
eine Behandlung mit Ivermectin können zwar die Mikrofilarien abgetötet werden, doch
wenn die Hautveränderungen schon fortgeschritten sind, ist der Zustand irreversibel.
Auch bei Infektionen mit anderen Filarien oder Nematoden treten häufiger
Hautentzündungen auf.

779
26.4.1 Arthropodeninfektionen

In den Tropen und Subtropen können sich


Fliegenlarven in der Haut entwickeln
Als Myiasis bezeichnet man eine Erkrankung durch die in den Körper eingedrungenen
Larven (Maden) von Diptera-Fliegen. Bei verschiedenen Fliegenarten wachsen die
Larvenstadien in der Haut von Säugetieren heran, wo sie sich auch ernähren. Sie
bleiben möglichst dicht an der Oberfläche, um sich unmittelbar vor oder nach der
Verpuppung als erwachsene Fliegen wieder befreien zu können. Da die Weibchen ihre
Eier oder Larven direkt auf der Haut ablegen, können Larven über Wunden oder
natürliche Öffnungen in den Körper gelangen.

Infolge der Aktivitäten und des Fressverhaltens der Larven kann es zu starken
Schmerzen und zum Teil großflächigen Läsionen kommen. Menschen können von
mehreren Spezies dieser Fliegen(larven) befallen sein; Fallberichte gibt es aus vielen
Ländern, auch wenn die Infektionen vor allem in tropischen und subtropischen
Regionen auftreten.

Wieder aufgelebt ist das Interesse an Maden, die zur Entfernung von nekrotischem
Gewebe aus Wunden eingesetzt werden könnten und deren Sekrete eine bakterielle
Kontamination verhindern.

Zecken, Läuse und Milben leben von Blut oder


Gewebeflüssigkeit des Menschen
Bestimmte Spezies ernähren sich nur fakultativ von Menschen, andere aber
wirtsspezifisch. Durch ihr Fressverhalten und den Speichel, den sie dabei unweigerlich
ausscheiden, kommt es zur Hautreizung, die noch stärker wird, wenn Speichelproteine
eine Immunreaktion des Wirts auslösen. Dauern die Fressphasen länger, z.B. die von
Zecken, können schmerzhafte Hautläsionen zurückbleiben, die sich oft sekundär
infizieren. Läuse und Krätzemilben (Skabies), die den größten Teil oder ihr ganzes
Leben auf dem menschlichen Körper zubringen, können mit Zunahme ihrer
Population schwere Hautsymptome verursachen. Auslöser sind:

■ Aktivitäten der Insekten selbst,

■ Ausscheidungen (Exkretion) der Insekten,

■ Austritt von Blut oder Gewebeflüssigkeit an der Bissstelle,

■ Entzündungsreaktionen des Wirts.

Bei einer schweren Pedikulose, d.h. einem Befall von Kopf und Körper mit Pediculus
humanus, können sich im Schorf der entzündeten Stellen Pilzinfektionen entwickeln.
Durch gute Körperhygiene lässt sich ein Läusebefall (Infestation) verhindern.
Angewandt werden insektizide Cremes, Lotionen, Shampoos und Puder, die
Malathion oder Carbaryl enthalten.

780
Krätzemilben haben noch intimeren Kontakt zu ihrem menschlichen Wirt als Läuse,
weil sie ihr ganzes Leben in seiner Haut zubringen. Sie graben Gänge, in denen die
Weibchen Eier ablegen, bis sich der infizierte Bereich schließlich großräumig um den
ursprünglichen Herd (meist an den Händen oder Handgelenken; Abb. 26.35 und s.
Kap. 21) herum ausdehnt.

Typisch für Skabies ist ein juckender Ausschlag, der sich durch Kratzen sekundär
infizieren kann. Menschen mit Immunschwäche oder die sich nicht selbst versorgen
können, leiden oft an besonders schweren Infektionen. Unter diesen Umständen kann
es zu einer starken Verdickung und Verkrustung der Haut kommen (Scabies
norvegica oder Boeck-Skabies). Empfohlen wird eine Behandlung mit Malathion
oder Gammabenzenhexachlorid; auf unversehrte Haut kann auch Benzylbenzoat
aufgetragen werden.
Abb. 26.35 Typischer Hautgang von Krätzemilben
bei Skabies.

(Mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood).

26.5 Mukokutane Virusinfektionen


Mukokutane Läsionen durch Viren lassen sich danach unterteilen, ob

■ die Virusinfektion lokal bleibt, d.h. sich auf den Ort der Primärinfektion an der
Hautoberfläche beschränkt, oder ob

■ sich die Virusinfektion systemisch ausbreitet und erst danach Haut- und
Schleimhautsymptome hervorruft (Tab. 26.4).

Die Hautsymptome systemischer Infektionen können unterteilt werden in

■ infektiöse Hautläsionen (Bläschen), in denen die Virusreplikation stattfindet,

■ nichtinfektiöse (makulopapulöse, fleckig-knotige) Hautläsionen, die immunvermittelt


sind und auch auftreten, wenn das Virus an anderen Stellen ausgeschieden wird.

781
Bei vielen Infektionskrankheiten zeigt sich ein typisches Verteilungsmuster des
Ausschlags, doch bis auf die Gürtelrose (Zoster) sind die Gründe dafür unklar.

Hautausschläge sind eine Besonderheit des Menschen und kommen bei Infektionen von
Tieren nur selten vor. Das liegt an der „Nacktheit“ der menschlichen Haut, die dadurch
sehr störanfällig und empfindlich wird, so dass sich entzündliche bzw. Immunreaktionen
deutlich abzeichnen. Die Betroffenen leiden oft nicht unter dem Hautausschlag, der jedoch
dem Arzt eine wichtige Hilfestellung für die Diagnose geben kann. So gut haben es
Tierärzte nicht, denn die Haut der meisten Säugetiere ist mit Fell bedeckt; Hautläsionen
treten daher meist an unbehaarten Stellen wie Euter, Skrotum, Ohren, Vorhaut, Zitzen,
Nase oder Pfoten auf, wo die Haut ähnlich dick und empfindlich wie bei Menschen ist und
Gefäßreaktionen zeigt.

Tab. 26.4 Mukokutane Läsionen durch Viren


HSV = Herpes-simplex-Virus, VZV = Varicella-Zoster-Virus

26.5.1 Papillomavirus-(HPV-)Infektionen

Menschen können sich mit rund 80 HPV-Typen


infizieren
Papillomaviren sind kubische, doppelsträngige DNA-Viren mit einem Durchmesser
von 55 nm und die Ursache von Hautpapillomen (Warzen). Die 80 Typen, mit denen

782
sich Menschen infizieren können, verfügen über < 50% Homologie auf DNA-Ebene.
Nicht alle Typen kommen gleich häufig vor. Humane Papillomaviren sind
speziesspezifisch und unterscheiden sich von den Papillomaviren von Tieren. Ihre
Anpassung an die menschliche Haut und Schleimhaut ist so gelungen, dass sie zu
uralten „Gefährten“ unserer Gattung wurden; daher machen sie nicht richtig krank
oder führen meist nur zu leichten Beschwerden. Einige haben sich auf bestimmte
Körperregionen spezialisiert:

■ Mindestens 25 HPV-Typen (darunter Typ 6, 11, 16 und 18) sind sexuell


übertragbar und können den Genitalbereich infizieren.

■ HPV-Typ 1 und 4 verursachen Plantarwarzen.

■ HPV-Typ 2, 3 und 10 führen zu Warzen an Knien und Fingern.

Obwohl sie im Allgemeinen durch direkten Kontakt übertragen werden, sind


Papillomaviren stabil genug, um sich auch auf Umwegen auszubreiten. Plantarwarzen
kann man sich z.B. auf infizierten Böden oder am Rand von Schwimmbecken
zuziehen und Warzen können sich bei bereits Infizierten z.B. durch das Rasieren
weiter ausbreiten.

Papillomaviren infizieren Zellen in der Basalschicht


von Haut oder Schleimhäuten
Nachdem sie in kleine Hautabschürfungen gelangt sind, infizieren HPV die
Basalzellen von Haut oder Schleimhäuten (Abb. 26.2), dringen aber nicht in tiefere
Schichten ein. Sie vermehren sich langsam und sind entscheidend auf die
Zelldifferenzierung des Wirts angewiesen. In den Basalzellen ist zwar Virus-DNA
vorhanden, doch erst wenn die Zellen näher zur Oberfläche geschoben werden, um
sich zu schuppen und zu verhornen, werden Antigene und infektiöse Viruspartikel
gebildet.

Infizierte Zellen werden zur Teilung stimuliert, bis sie schließlich 1–6 Monate nach
Beginn der Infektion als Ausstülpung in Form eines Papilloms oder einer Warze an
der Körperoberfläche sichtbar werden (Abb. 26.36). Besonders deutlich proliferieren
die Stachelzellen, und in oberflächlicheren Lagen bestehen Zellvakuolen. Warzen
können folgendermaßen aussehen:

■ filiform (mit fingerartigen Auswüchsen),

■ oben abgeflacht,

■ flach nach innen wachsend (durch Druck von außen, z.B. Plantarwarzen),

■ blumenkohlartig (Genitalwarzen),

■ flächig-dysplastisch (Zervixdysplasie).

Sobald Immunreaktionen die Virusreplikation schließlich unter Kontrolle gebracht


haben, bilden sich die Warzen Monate nach der Infektion wieder zurück. Trotz
vorhandener Antikörper sind zellvermittelte Immunreaktionen wichtiger für die
Heilung. Wahrscheinlich hält sich die Virus-DNA im Latenzzustand in der

783
Basalzellschicht und infiziert eher zufällig die eine oder andere Stammzelle. Daher
bleibt sie in dieser Schicht, während sich die epidermalen Zellen differenzieren und
nach außen abgestoßen werden. So kommt es, dass Patienten mit Immunschwäche
(z.B. nach einer Transplantation) plötzlich ganze Büschel von Warzen aufweisen, weil
das Virus aus der Latenz in der Haut reaktiviert wurde.
Abb. 26.36 Gemeine Warzen (Verruca vulgaris)
bzw. Papillome in der Hand.

(Mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood)

Zervix-, Vulva-, Penis- und Rektum-karzinome sind mit


HPV-Infektionenassoziiert
Auf die Beziehung zwischen Genitalwarzen und Karzinomen von Zervix, Vulva,
Penis oder Rektum wird in Kap. 17 näher eingegangen. Es ist nicht klar, ob es sich um
einen kausalen oder rein zufälligen Zusammenhang handelt. Aber es spricht nichts
dafür, dass „normale“ Warzen an der Entstehung von Hautkrebs beteiligt wären. Es
gibt allerdings eine seltene, autosomal-rezessive Erkrankung (Epidermodysplasia
verruciformis), für die Warzen mit vielen verschiedenen HPV-Typen typisch sind,
die normalerweise nicht vorkommen. Darüber hinaus zeigen sich noch unerklärbare
Immundefekte. Bei fast 30% der Patienten können die Warzen besonders an
lichtexponierten Stellen entarten (Plattenepithelkarzinome).

HPV-Infektionen werden klinisch diagnostiziert und


unterschiedlich behandelt
Warzenviren lassen sich nicht im Labor anzüchten, und serologische Tests sind bisher
weder von Nutzen noch verfügbar. Mit HPV-DNA-Nachweismethoden kann man
den HPV-Typ ermitteln und auch die Viruslast von Hautproben feststellen.

784
Verblüffend sind die vielfältigen Warzenmittel, die schon zur Behandlung eingesetzt
wurden; einige „wirken“ zweifellos deshalb, weil Warzen am Ende auch ohne
Behandlung wieder verschwinden. Gelegentlich erwiesen sich posthypnotische
Suggestionen als erfolgreich. Derzeit werden keratolytische Mittel wie Salizylsäure
eingesetzt oder Warzen durch Kryotherapie zerstört (Kältekauterisierung mit
Trockeneis bzw. festem Kohlendioxid oder mit flüssigem Stickstoff). Am gängigsten
und wirksamsten ist die Behandlung mit flüssigem Stickstoff.

Intraepitheliale Läsionen im Genitalbereich, besonders an der Zervix, können


maligne entarten; um sie zu beseitigen, werden Lasertherapie, Schlingenexzision und
chirurgische Eingriffe durchgeführt.

Molluscum contagiosum (Dellwarze)durch ein


Pockenvirus
Wenn Epidermiszellen von dem Pockenvirus infiziert werden, bildet sich eine
fleischige Hautläsion, oft mit nabelartiger Einziehung in der Mitte (Abb. 26.37).
Dellwarzen kommen nur bei Menschen vor und verbreiten sich durch
Kontaktinfektion oder wie im Fall genitaler Läsionen auf sexuellem Wege. Es gibt
zwei verschiedene Antigentypen. Pockenviruspartikel sind elektronenmikroskopisch
sichtbar (s. Kap. 3).

Orf–ein papulovesikulöser Ausschlagdurch ein


Pockenvirus
Orf (eine ansteckende pustelförmige Dermatitis) ist eine seltenere epidermale
Infektion und wird durch direkten Kontakt mit infizierten Schafen oder Ziegen
übertragen. Die Knötchen und Bläschen treten meist an den Händen auf und können
ulzerieren. Dabei handelt es sich um eine klinische Diagnose, die sich
elektronenmikroskopisch sichern lässt.

785
Abb. 26.37 Einzeln stehende Dellwarze (Molluscum
contagiosum) mit „Nabel“.

(Mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood)

26.5.2 Herpes-simplex-Virus(HSV)-Infektion

HSV-Infektionen sind überall verbreitet und treten


bereits in der frühen Kindheit auf
Das Herpes-simplex-Virus (HSV) ist ein mittelgroßes (20 nm) doppelsträngiges DNA-
Virus der Herpesvirengruppe. Es gibt zwei Antigentypen, HSV- und HSV-2, die ein
breites Spektrum klinischer Syndrome auslösen können; ihnen allen gemeinsam sind
intraepitheliale Bläschen, aus denen das Virus freigesetzt wird. Die Übertragung
erfolgt im Allgemeinen durch den Speichel oder Herpesbläschen anderer Menschen,
oft z.B. beim Küssen.

Herpesbläschen und Latenz sind die klinischen


Kennzeichen
Nach der Infektion kommt es zur Virusreplikation in der Mundschleimhaut und es
bilden sich virusreiche Bläschen. Die Patienten spüren kaum mehr als leichtes Fieber
mit einer Störung ihres Allgemeinbefindens. Aufbrechende Bläschen werden von
einem grauweißen Belag überzogen (Abb. 26.38).

786
Abb. 26.38 Primärinfektion mit dem Herpes-
simplex-Virus (HSV).

Auf flachen Geschwüren am Gaumen und Zahnfleisch hat sich ein weißes Exsudat
gebildet (mit freundlicher Genehmigung von J.A. Innes).

Bei der Primärinfektion dringen Viruspartikel in sensible Nervenendigungen ein und


werden zu den (trigeminalen) Hinterwurzelganglien transportiert, wo sie eine latente
Infektion sensorischer Neurone bewirken (s. Kap. 16). Sobald sich Antikörper
bilden und sich eine zellvermittelte Immunreaktion entwickelt, heilen die Läsionen ab.
Doch das Virus hält sich (latent) lebenslang in sensorischen Ganglien und kann von
dort unter Umständen jederzeit reaktiviert werden. Dann wandert es an sensorischen
Nerven entlang zum ursprünglichen Infektionsherd hinunter und es erscheinen wieder
Herpesbläschen (Abb. 26.39). Eine Primärinfektion kann aber auch an anderen
Stellen auftreten, z.B.

■ im Auge; Konjunktivitis und Keratitis sind die Folge, oft auch Herpesbläschen
auf den Augenlidern (s. Kap. 25);

■ an den Fingern (Nagelbettentzündung);

■ an vorgeschädigten Hautstellen (durch Reibung oder Trauma) nach direktem


Kontakt mit Infizierten, wie die „Rugby-Pocken“ bei Rugby-Spielern oder der
„Herpes gladiatorum“ bei Ringern;

■ im Genitalbereich (s. Kap. 21). Obwohl HSV-2 ursprünglich eine sexuell


übertragbare Variante von HSV- war, lassen sich die Infektionsgebiete der beiden
HSV-Typen inzwischen nicht mehr so deutlich voneinander abgrenzen.

Ernste Komplikationen einer HSV-Infektion sind:

■ herpetische Infektionen von Hautekzemen als schwere Erkrankung von


Kleinkindern (Abb. 26.40);

787
■ akut nekrotisierende Enzephalitis nach Primärinfektion oder Reaktivierung (s.
Kap. 24);

■ Neugeborenenherpes nach Ansteckung im Genitaltrakt der Mutter (s. Kap. 23);

■ schwere Erkrankung von Immungeschwächten nach einer Primär- oder


reaktivierten HSV-Infektion (s. Kap. 30).

Faktoren, die eine HSV-Reaktivierung provozieren


können
Bei Gesunden:

■ bestimmte fiebrige Erkrankungen (Erkältung, Pneumonie),

■ Sonnenlicht,

■ Stress,

■ Trauma/Verletzung,

■ Menstruation,

■ Immunschwäche.

Bei immungeschwächten Patienten hat die Reaktivierung besonders schwere


Auswirkungen (s. Kap. 30).

Nadelstiche, Schmerzen, Brennen und Jucken der befallenen Stellen sind schon vor
dem Auftreten der Herpesbläschen zu spüren. Diese Prodromi hängen mit der
Virusaktivität in sensorischen Neuronen zusammen. Die Bläschen (ein „kalter“, d.h.
nichtentzündlicher Ausschlag) bilden sich meist in den Haut-Schleimhaut-
Übergangszonen von Nase oder Mund (Abb. 26.41).

Seltener entsteht ein dendritisches Hornhautulkus (bei Beteiligung des Augenastes


des Ganglion trigeminale). Aus Herpesbläschen entleeren sich große Virusmengen,
dann verschorfen sie und heilen innerhalb einer Woche ab. Manchmal treten auch nur
Prodromi auf, ohne dass der Herpes ausbricht (s. rezidivierende VZV-Infektionen).

788
Abb. 26.39 Pathogenese von Herpes und
Gürtelrose.

Herpes-simplex- (HSV) und Varicella-Zoster-Viren (VZV) steigen von


mukokutanen Nervenendigungen über die Axone hoch zu sensorischen Neuronen
und „schlummern“ dort (Latenz). Rezidive bilden sich, wenn das Virus in den
Neuronen reaktiviert wird und wieder infektiös geworden an den Axonen entlang
zu der mukokutanen Stelle zurückkehrt, an der die Infektion ursprünglich
begonnen hat. Lokale Ausbreitung und Virusreplikation führen dann zu den
klinischen Läsionen.

789
HSV kann aus der Bläschenflüssigkeit isoliert werden;
behandelt wird mit Aciclovir
HSV lässt sich leicht aus Speichel, Tränen- und Bläschenflüssigkeit isolieren. Im
Labor von Krankenhäusern werden meist Proben eingereicht, die aus genitalen
Läsionen stammen. Das Virus verhält sich ausgesprochen zytopathisch, wenn man es
auf Zellkulturen aus menschlichem embryonalem Lungengewebe isoliert. Die
Immunfluoreszenz erlaubt eine Typisierung, und in bestimmten klinischen
Situationen kann es differenzialdiagnostisch (HSV-Typ1 und 2) wichtig sein, einen
DNA-Nachweis zu führen, der sensitiver als eine Virusanzüchtung ist.

Aciclovir hat die Behandlung von HSV-Infektionen revolutioniert (s. Kap. 33); es
kann topisch oder systemisch angewandt werden, und bei relativ geringer Toxizität
wirkt es spezifisch auf virusinfizierte Zellen. Wiederholte Herpesepisoden lassen sich
erfolgreich mit niedrig dosiertem Aciclovir behandeln (2 × täglich für 6–12 Monate).
Danach sollte die Behandlung ausgesetzt werden, um zu prüfen, wie häufig sich
Herpesausbrüche wiederholen.

Als weitere Therapieoptionen bieten sich Valaciclovir oder Famciclovir an. Bei
schweren HSV-Infektionen (Herpes-Enzephalitis, disseminierte Infektion
Immungeschwächter) muss Aciclovir intravenös verabreicht werden. Wenn eine
Aciclovir-Resistenz aufgetreten ist, kommen Ganciclovir, Foscarnet oder Cidofovir als
Alternative in Betracht.

26.5.3 Varicella-Zoster-Virus(VZV)-Infektionen

VZV ist sehr ansteckend und kann Windpocken


(Varizellen) und Gürtelrose (Zoster) hervorrufen
VZV ist ein mittelgroßes (100–200 nm im Durchmesser), doppelsträngiges DNA-Virus
der Herpesvirengruppe und morphologisch nicht von HSV unterscheidbar. Es gibt nur
einen Serotyp. VZV wächst langsamer als HSV und wird nicht aus infizierten Zellen
freigesetzt. Übertragen wird es als Tröpfcheninfektion (Inhalation abgehusteter
Sekrete oder von Speicheltröpfchen) oder durch direkten Kontakt mit Hautläsionen.
Bei der Primärinfektion mit VZV treten Windpocken (Varizellen) auf. Die
Erkrankung macht zwar immun gegen eine Reinfektion (mit Windpocken), doch das
Virus bleibt im Körper.

790
Abb. 26.40 Eczema herpeticatum durch HSV-
Infektion des Säuglings.

(Mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood)

Wenn es später reaktiviert wird, verursacht es Gürtelrose (Zoster). In den


ressourcenreichen Ländern hat sich fast jeder bereits in der Kindheit infiziert, doch in
manchen Regionen ist die Inzidenz von Windpocken bei Kindern sehr niedrig (Afrika
und Karibikinseln). Die Bläschen der Gürtelrose bilden eine wichtige Infektionsquelle
für die Verbreitung von Windpocken in der Bevölkerung (s. Kap. 16).

Windpocken sind gruppiert stehende Bläschen, die zu


Pusteln werden, bevor sie verschorfen
Nach der Primärinfektion gelangt das Virus über das Oberflächenepithel in die
Atemwege und infiziert mononukleäre Zellen, die es dann zu Lymphgeweben
transportieren. Das geschieht ohne nachweisbare Symptome oder Läsionen an der
Eintrittsstelle. Nach langsamer Replikation (über etwa eine Woche) im
lymphoretikulären Gewebe wird das Virus mit mononukleären Zellen ins Blut
eingeschwemmt und streut dann zu anderen Epithelstellen. Diese befinden sich
überwiegend im Respirationstrakt und in der Haut, doch auch Mund, Konjunktiva,
teilweise sogar Verdauungs- und Urogenitaltrakt können betroffen sein.

791
Abb. 26.41 Herpesrezidiv an der Haut-Schleimhaut-
Grenze der Oberlippe.

(Mit freundlicher Genehmigung von A. du Vivier)

Aus unbekannten Gründen sind besonders die Haut am Stamm und im Gesicht sowie
die Kopfhaut befallen. An den Stellen treten die Viren aus den kleinen Blutgefäßen
aus und infizieren erst das Subepithel und danach das Epithel. In den Läsionen sind
mehrkernige Riesenzellen mit intranukleären Einschlusskörperchen vorhanden.
Von der Oberfläche im Oropharynx und in den Atemwegen werden die Viren nach
außen ausgeschieden, so dass sich ca. zwei Wochen nach der Primärinfektion auch
andere anstecken können. In der Haut dauert es noch ein oder zwei Tage länger; genau
in diesem Stadium erscheinen die für Windpocken typischen Bläschen, die zur
klinischen Diagnose führen (Abb. 26.42). Die Inkubationszeit beträgt durchschnittlich
4 Tage (10–23 Tage).

Bis kurz vor Auftreten des Ausschlags (1–2 Tage) geht es den Patienten gut, und
selbst dann stellen sich nur leichtes Fieber und allgemeines Krankheitsgefühl ein. Der
Krankheitsverlauf ist mild und bleibt oft vollkommen unbemerkt. Windpocken treten
zuerst am Stamm auf und breiten sich auf Gesicht und Kopfhaut aus, seltener auch auf
Arme und Beine, und stehen häufig gruppiert. Nach einigen Tagen sind in den
Gruppen mehrere Stadien gleichzeitig vertreten, bevor sich Bläschen (Pusteln)
entwickeln, die aufbrechen und verkrusten. Es sind tiefere Läsionen als bei Herpes
und sie vernarben auch häufiger. Besonders schmerzhaft können Mundbläschen sein.

Bei Erwachsenen verlaufen Windpocken schwerer


und häufiger mit Komplikationen
Wenn sich Windpocken sekundär mit Streptokokken oder Staphylokokken infizieren,
kann es zu einer Impetigo kommen, doch Windpocken im Kindesalter sind meist eine
sehr leichte Infektionskrankheit. Mögliche Komplikationen von Windpocken sind
hauptsächlich:

792
Abb. 26.42 Windpockenausschlag mit Flecken,
Papeln und Bläschen im Frühstadium.

(Mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood)

■ interstitielle Pneumonie bei rund 20% der Erwachsenen, die zwar oft
subklinisch verläuft, sich aber durch Röntgen nachweisen lässt; auch eine sekundäre
bakterielle Pneumonie kann vorkommen;

■ ZNS-Beteiligung in Form einer lymphozytären Meningitis oder


Enzephalomyelitis (s. Kap. 24).

Eine gelegentliche Thrombozytopenie führt meist nicht zu Symptomen.


Lebensgefährlich können Windpocken für immungeschwächte Patienten, vor allem
für leukämiekranke Kinder werden.

Eine Primärinfektion in der Schwangerschaft kann sich auf den Fetus auswirken (s.
Kap. 23), im Verlauf sorgen mütterliche Antikörper dafür, dass die Infektion im
Allgemeinen ohne schwere Folgen bleibt. Wenn sich Mütter im ersten oder zweiten
Trimenon der Schwangerschaft infiziert haben, kommt es in 1–2% der Fälle zu einem
angeborenen Varizellensyndrom bei den Kindern (mit Symptomen wie vernarbte
Haut, hypoplastische Gliedmaßen, Augen- oder Gehirnstigmata).

Hat sich die Mutter erst ein paar Tage vor oder nach der Geburt infiziert und das Kind
angesteckt, wird es nicht durch mütterliche Antikörper geschützt und kann schwer
erkranken. Eine Säuglingsinfektion lässt sich durch passive Immunisierung mit
Varicella-Zoster-Immunglobulin verhüten oder abmildern.

Bei Reaktivierung einer latenten VZV-Infektion kommt


es zur Gürtelrose (Zoster)
Nach der Primärinfektion steigt das VZV aus mukokutanen Läsionen über sensible
Nervenendigungen zu Neuronen der Hinterwurzelganglien auf und hält sich dort als
latente Infektion (Abb. 26.39). Bei der Reaktivierung zu einem späteren Zeitpunkt

793
kann in den zugehörigen Dermatomen eine Gürtelrose (Zoster) auftreten. Dass
häufiger die Dermatome am Oberkörper betroffen sind, liegt an der bevorzugten
Lokalisation der Primärinfektion, der Windpocken, am Stamm. Da es sich bei der
Reaktivierung um ein lokales Ereignis in einem einzelnen Dorsalwurzelganglion
handelt, bleibt die Gürtelrose auf eine Seite beschränkt. Der Zoster hat also seinen
Ursprung im Körperinneren und wird nicht durch Ansteckung bei anderen (an
Windpocken oder Gürtelrose Erkrankten) erworben.

Die Virusreaktivierung in sensorischen Neuronen (Abb. 26.39) führt zu Parästhesien


und Schmerzen. Die Schmerzen können sehr stark sein und dem erythematösen
Ausschlag (mit virushaltigen Bläschen) um mehrere Tage vorausgehen (Abb. 26.43).
Solange dauert es, bis das
Abb. 26.43 Gürtelrose (Zoster).

a) Frühzeichen ist ein bandförmiges blasses Erythem im Nervenverlauf eines


Interkostalnervs;b) Ausschlag im Gebiet des N.-trigeminus-Augenastes (mit
freundlicher Genehmigung von M.J. Wood).

Virus an peripheren Nerven entlang gewandert ist und sich in der Haut vermehrt hat.
Der Ausschlag kann mit Fieber und Unwohlsein einhergehen. Manchmal wird die
Virusreaktivierung vom Immunsystem unter Kontrolle gebracht, bevor sich der
Hautausschlag bildet; in dem Fall treten nur die sensiblen Erscheinungen auf.

Zu Zoster prädisponieren:

■ höheres Alter; auch wenn er sehr selten schon in der Kindheit auftritt, nimmt
die Inzidenz des Herpes zoster mit steigendem Alter zu (von 3/1000 pro Jahr bei den
50- bis 59-Jährigen auf 10/1000 pro Jahr bei den 80- bis 89-Jährigen).

■ Immunschwäche (Leukämie, Lymphome, AIDS) oder Immunsuppression


(medikamentös, Organtransplantation); so entwickelt sich z.B. bei rund 20% der
Patienten mit Hodgkin-Krankheit eine Gürtelrose.

■ Hirn- oder Rückenmarksverletzung bzw. -tumor.

Wie aufgrund der Pathogenese nicht anders zu erwarten, lässt sich in den befallenen
Hautarealen das Verteilungsmuster des ursprünglichen Varizellenausschlags erkennen
(Abb. 26.39). Daher ist meist der Stamm betroffen. Besonders unangenehme

794
Symptome kann ein ophthalmologischer Zoster mit Beteiligung von Oberlid, Stirn
und Kopfhaut bereiten oder sogar das Sehvermögen beeinträchtigen.

Häufige Komplikation ist eine postherpetische


Zosterneuralgie
Eine postherpetische Zosterneuralgie (oder Zoster-assoziierter Schmerz) kommt
besonders häufig bei ansonsten gesunden Älteren vor. Im Frühstadium der
Erkrankung können die starken Schmerzen noch Monate nach Abklingen des
Ausschlags fortbestehen. Ihre Behandlung ist schwierig, auch wenn sich Inzidenz,
Dauer und Schwere des ZAP durch antivirale Mittel verringern lassen; allerdings
sollte damit möglichst bald nach Auftreten des Zosters begonnen werden.

Bei immungeschwächten Patienten können sich schwere Verlaufsformen eines


Zosters zeigen. Wenn sich das VZV einige Tage nach dem lokalisierten Ausschlag auf
dem Blutweg im Körper ausgebreitet hat, weil es nur unzureichend von der
zellvermittelten Immunantwort kontrolliert wurde, können überall Haut- und viszerale
Läsionen entstehen. Auch Pneumonie und hämorrhagische Komplikationen können
auftreten.

Labordiagnostik
Die klinische Diagnose einer VZV-Infektion kann durch verschiedene Tests gestützt
werden, wie Immunfluoreszenztest von Zellabstrichen aus Hautläsionen mithilfe
VZV-spezifischer monoklonaler Antikörper, molekularem Nachweis von VZV-DNA
und VZV-Isolierung aus Zellkulturen (der zytopathische Effekt kann u. U. erst nach
einigen Wochen erkennbar sein). Elektronenmikroskopisch sind in der
Bläschenflüssigkeit Herpesviruspartikel zu sehen; man kann sie allerdings nicht von
anderen Herpesviren unterscheiden (besonders nicht von HSV, das ebenfalls Bläschen
verursacht).

Eine durchgemachte Infektion kann durch den Nachweis von VZV-IgG mittels
ELISA oder anderer Methoden bestätigt werden. Ein positives VZV-IgM-Ergebnis
kann auch hilfreich sein, wenn die Diagnose aus klinischen Gründen nachträglich
gestellt werden muss, nachdem die Hautläsionen bereits abgeheilt sind.

Behandlung von Windpocken und Zoster


Um Kratzen und Sekundärinfektionen zu verhindern, werden die (Varizellen-
)Hautläsionen mit Bädern und juckreizlindernden Lotionen behandelt. Zur
Behandlung von Windpocken und Gürtelrose kann Aciclovir oder wegen der besseren
Bioverfügbarkeit Valaciclovir bzw. Famciclovir oral verabreicht werden. VZV ist aber
viel unempfindlicher für diese Mittel als HSV. Windpocken gelten als harmlose
Infektionskrankheit ohne größere Beschwerden, so dass eine Behandlung meist gar
nicht in Erwägung gezogen wird.

Jugendlichen und Erwachsenen mit Windpocken ist jedoch eine antivirale


Behandlung zu empfehlen, um Komplikationen zu verhindern. Antivirale Mittel
bewirken auch eine Abschwächung neuer Läsionen, verringerte Virusausscheidung
und Symptomlinderung. Schwere Infektionen müssen besonders bei

795
Hochrisikogruppen mit Aciclovir-Infusionen behandelt werden. Als passive
Immunisierung gegen Windpocken sollten alle, die für Komplikationen anfällig sind
(z.B. immungeschwächte Patienten), nach einer Exposition VZV-Ig erhalten, das
einen hohen Titer humaner VZV-Antikörper enthält.

In einer Reihe von Ländern ist ein attenuierter Lebendimpfstoff zugelassen. In


Deutschland wird seit 2004 die Schutzimpfung bei Kindern im Alter von 11–14
Monaten (in der Regel zusammen mit der Masern-Mumps-Röteln-Schutzimpfung)
durchgeführt.

26.5.4 Ausschläge durch Coxsackie- und


Echoviren

Coxsackie- und Echoviren können unterschiedliche


Hautexantheme verursachen
Manche dieser Infektionen führen auch zu einem Enanthem (auf inneren
Epithelflächen, z.B. in der Mundhöhle auftretender Ausschlag). Betroffen sind meist
Kleinkinder. Klinisch sind die Infektionen kaum voneinander zu unterscheiden und
sie verlaufen im Allgemeinen nicht besonders schwer. Coxsackie- und Echoviren
können auch ZNS-Erkrankungen (s. Kap. 24), Infektionen der oberen Atemwege (s.
Kap. 18), der quergestreiften Muskulatur und des Herzmuskels hervorrufen (s. unten).

Die von Coxsackievirus A verursachten Bläschen sind meist in der


Wangenschleimhaut oder auf der Zunge lokalisiert. Viele Kinder klagen über Mund-
oder Zungenentzündungen und haben leichtes Fieber. Treten die virushaltigen
Bläschen auch an der Haut von Händen und Füßen auf, spricht man von einer Hand-
Fuß-Mund-Krankheit (Abb. 26.44). Am häufigsten ist Coxsackievirus A6 der
Auslöser. Vor allem im Sommer können sich Coxsackie-A- und Echovirusinfektionen
als makulopapulöser Ausschlag (ähnlich wie bei Röteln) darstellen.

26.5.5 Ausschläge durch Erythrovirus B9

Das früher als Parvovirus bezeichnete Erythrovirus B9


verursacht das „Ohrfeigen“-Syndrom
Parvoviren sind sehr kleine (22 nm im Durchmesser) einzelsträngige DNA-Viren. Als
defekte Viren (s. Anhang) benötigen sie zu ihrer Replikation ein Adenovirus als Helfer
und werden daher auch als „Adeno-assoziierte Viren“ bezeichnet. Es gibt vier
Serotypen und die Infektion tritt relativ häufig auf.

Das in mitotisch aktiven Zellen wachsende Erythrovirus B9 kann bei Kindern eine
febrile Erkrankung mit sehr typischem, makulopapulösem Gesichtsausschlag auslösen,
die als Erythema infectiosum oder Ringelröteln bezeichnet wird. Dass sie auch
„Fünfte Krankheit“ (fifth disease) genannt wird, liegt an dem Umstand, dass sie als
fünfte von sechs allgemein verbreiteten exanthematischen Infektionskrankheiten von
den Ärzten im 19.Jahrhundert entdeckt wurde.

796
Erythrovirus-B19-Infektionen verlaufen meist ohne
Symptome und werden durch Tröpfchen übertragen
Fast die Hälfte der Bevölkerung weist Antikörper gegen Erythrovirus B9 auf. Das
Virus befällt blutbildende Zellen des Knochenmarks. Normalerweise bewirkt es nicht
viel mehr als einen vorübergehenden, kaum nachweisbaren Abfall des
Hämoglobinspiegels, doch für alle Patienten mit chronischer Anämie kann dies ernste
Folgen haben. Bei Kindern mit Sichelzellanämie kann die Erythropoesestörung z.B.
eine aplastische Krise auslösen, bei Erwachsenen kann die Virusinfektion zu
Arthralgie führen.

797
Abb. 26.44 Bläschen am Fuß bei der Hand-Fuß-
Mund-Krankheit.

(Mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood)

Labordiagnostisch wird das Blut auf Erythrovirus-B9- spezifische IgM-Antikörper


untersucht. Bei Verdacht auf Hydrops fetalis führt man mit molekularbiologischen
Tests den Nachweis von B9-DNA im Fetalblut. In Zellkulturen lässt sich Erythrovirus
B9 nicht isolieren.

26.5.6 Ausschläge durch humane Herpesviren


(HHV-6 und HHV-7)

HHV-6 (Auslöser von Roseola infantum) ist bei über


85% der Erwachsenen im Speichel nachweisbar
Als sechstes der humanen Herpesviren nach HSV-, HSV-2, VZV, CMV und EBV wurde
986 HHV-6 isoliert, dessen Verhalten und natürliche Entwicklung noch Gegenstand
von Studien sind. Infektionen treten meist in der Altersgruppe der Säuglinge und
Kleinkinder bis zum 3.Lebensjahr auf. Die Replikation findet in T- und B-Zellen
sowie im Oropharynx statt, wo das Virus in den Speichel übergeht. Nach der
Erstinfektion persistiert das Virus im Körper.

HHV-6 verursacht das Exanthema subitum (oder Roseola infantum,


„Dreitagefieber“), eine sehr verbreitete, akut-fiebrige Erkrankung von Säuglingen
und Kleinkindern. Nach einer Inkubationszeit von ca. zwei Wochen bekommen die
Kinder hohes Fieber, das mehrere Tage anhält. Die Krankheit nimmt einen milden
Verlauf, und der makulopapulöse Ausschlag tritt innerhalb von zwei Tagen nach
Abklingen des Fiebers auf (Abb. 26.45).

HHV-7 haben über 75% der Erwachsenen im Speichel

798
HHV-7 konnte aus CD4-positiven T-Zellen isoliert werden. Infektionen treten im
Säuglings- und Kleinkindalter auf, später als HHV-6-Infektionen. Es bleibt zwar
dauerhaft im Speichel, doch noch immer ist nicht klar, ob HHV-7 als
Krankheitsursache wichtig ist. Einzelne Berichte brachten HHV-7 mit dem Exanthema
subitum in Verbindung.
Abb. 26.45 Makulopapulöser Ausschlag bei
Roseola infantum oder Exanthema subitum.

(Mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood)

HHV-8 ist mit sämtlichen Formen des Kaposi-Sarkoms


assoziiert
Einige epidemiologische Berichte legten die Vermutung nahe, dass an der
Entwicklung des Kaposi-Sarkoms ein übertragbarer Erreger beteiligt sein müsste. Das
Kaposi-Sarkom (KS) ist ein maligner Hauttumor, der in bestimmten
Mittelmeerländern und Teilen Afrikas neben dem AIDS-assoziierten KS vorkommt.
Nach einer Reihe molekulartechnologischer Fortschritte gelang es 1994, aus
Endothelzellen der KS-Hautläsionen HHV-8 zu isolieren. Dieses Virus scheint auch
noch mit zwei selteneren Malignomen verbunden zu sein.

Die Diagnose wird klinisch gestellt. Seitdem hoch wirksame antiretrovirale Mittel
verfügbar sind, ist die Inzidenz des AIDS-assoziierten KS zurückgegangen. In
retrospektiven Studien zeigte sich, dass sich bei Behandlung mit Ganciclovir und
Foscarnet auch die Zahl von KS-Läsionen verkleinerte.

26.6 Pocken

799
Pocken (oder Blattern, Variola) waren in den vergangenen dreitausend Jahren eine der
schlimmsten Geißeln der Menschheit. Auslöser war eine Pockenvirusinfektion, die sich
über Hautläsionen (Kontaktinfektion) und über die Atemwege unter Menschen
ausbreitete. Abhängig vom jeweiligen Virusstamm gingen schwere Erkrankungen mit
generalisiertem Ausschlag (Abb. 26.46) in bis zu 40% der Fälle tödlich aus.

Im Dezember 979 wurde offiziell die weltweite


Ausrottung der Pocken verkündet
In der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts waren die Pocken in Australien und
Neuseeland, Nordamerika und Europa schon weitgehend ausgerottet. Es wurden auf
breiter Basis Impfprogramme mit einem ursprünglich von Edward Jenner (s. Kap. 34)
entwickelten attenuierten Lebendimpfstoff aus dem Vaccinia-Virusstamm durchgeführt.
Hinzu kamen strenge Kontrollen an den Grenzen. 1967 startete die WHO eine
Kampagne zur weltweiten Ausrottung der Pocken, deren Schwerpunkt auf Südamerika,
Afrika, Indien und Indonesien lag und die Impfungen sowie die Überwachung und
Registrierung der Fälle beinhaltete. Trotz teilweise entmutigender Schwierigkeiten
(kulturell bedingte Hindernisse, Kriege, Transport in entlegene Gebiete) war die
Kampagne erfolgreich.

In den USA traten noch bis in die 40er Jahre vereinzelte Fälle auf, und 1974 waren von
den weltweit 28000 Fällen die meisten auf Asien konzentriert. Doch der letzte Fall
wurde im Oktober 1977 aus Somalia gemeldet. Die Gesamtkosten für die WHO beliefen
sich auf 150 Millionen US-Dollar.

Die globale Eradikation der Pocken war aus mehreren


Gründen möglich
■ Da es keine subklinische Infektion gab, konnten die Kranken leicht identifiziert
werden.

■ In der Genesungsphase wurde das Virus aus dem Körper beseitigt, ohne dass
sich ein Trägerstatus entwickelte.

■ Das Pockenvirus ist obligat humanpathogen (ohne Tierreservoir).

■ Ein wirksamer Impfstoff stand zur Verfügung.


Abb. 26.46 Pocken.

800
Für ihre Kampagne zur Ausrottung der Pocken verwendete die WHO solche
Bildkarten zur Pockenerkennung. Nach einer Infektion der oberen Atemwege befällt
das Virus die Haut, repliziert sich dort und führt zu einem großflächigen, Bläschen-
/Pustel-ausschlag, der später vernarbt (Pocken-/Blatternnarben, besonders im
Gesicht). Die Sterblichkeit betrug je nach Virusstamm und Alter des Patienten bis zu
40% (mit freundlicher Genehmigung der WHO).

In Afrika bereiteten die „Affenpocken“ einige Jahre lang Sorgen; dabei erkrankten
Affen an einem ähnlichen Virus, wenn sie sich bei infizierten Affen ansteckten („simian
disease“ durch Kontaktinfektion). Eine Übertragung von Mensch zu Mensch fand
allerdings kaum statt. 2003 hatten sich jedoch über 80 Menschen in den USA mit
Affenpocken infiziert, vermutlich durch Kontakte zu Präriehunden. In einigen Ländern
wurden aus Angst vor terroristischen Anschlägen mit Pockenviren planmäßige
Vorkehrungen gegen die potenzielle Gefahr getroffen, die unter anderem eine
Bevorratung ausreichender Impfstoffmengen enthalten.

26.7 Masern
Masern weisen einige Besonderheiten auf:

801
■ Die Infizierten fühlen sich fast alle unwohl und werden richtig krank. Das
unterscheidet Masern von den meisten anderen Virusinfektionen, die zu einem nicht
unbeträchtlichen Teil asymptomatisch oder subklinisch bleiben.

■ Das Krankheitsbild ist so typisch, dass die Diagnose eigentlich immer klinisch gestellt
werden kann und nicht erst durch Laboruntersuchungen gesichert werden muss. Anhand
der Beschreibung des arabischen Arztes Rhazes vor mehr als tausend Jahren können wir
Masern noch immer erkennen.

■ Vom Masernvirus gibt es nur einen Antigentyp.

■ Nach der Infektion besteht wahrscheinlich lebenslange Immunität gegen


Reinfektionen. Zweiterkrankungen sind nicht bekannt.

■ Masern sind hochinfektiös und bei entsprechendem Kontakt ziehen sich fast alle
anfälligen Kinder Masern zu. Bis vor kurzem galten Masern als unvermeidlich, als eine
übliche Kinderkrankheit, und mehr als 99% der Menschen haben Masern durchgemacht.

■ Es besteht ein auffallender Gegensatz zwischen Masern bei wohlgenährten Kindern


mit guter medizinischer Versorgung (d.h. in den entwickelten Ländern) und Masern
unter ungünstigen Bedingungen wie Mangelernährung oder Hunger und schlechter
medizinischer Versorgung (in den Entwicklungsländern, Tab. 26.5).

26.7.1 Ätiologie und Übertragung

Ohne Impfschutz treten alle paar Jahre


Masernepidemien auf
In Grundzügen ist die Virologie des Paramyxovirus in Kap. 3 beschrieben (s. auch
Anhang). Zur Übertragung kommt es durch Tröpfchen. An Oberflächen wird das
Virus durch Austrocknung schnell inaktiviert, verhält sich jedoch in Suspension
(Tröpfchen in der Luft) stabiler. In Bevölkerungsgruppen ohne Impfschutz können alle
paar Jahre Masernepidemien auftreten, sobald die Zahl der anfälligen Kinder
ausreichend hoch ist.

Typisch für Masern sind respiratorische Symptome,


Koplik-Flecken und Exanthem
Nach Inhalation dringt das Virus irgendwo in den oberen oder unteren Atemwegen in
den Körper ein und breitet sich auf das subepitheliale und lokale Lymphgewebe aus,
ohne dass Läsionen oder Symptome nachweisbar wären. In den darauf folgenden
Tagen vermehrt sich das Virus langsam in den Lymphgeweben einschließlich der
Milz. So gelangen größere Virusmengen ins Blut und verstreuen sich rund eine Woche
nach Beginn der Infektion auf unterschiedliche Epithelstellen.

Bald treten erste klinische Zeichen in den Atemwegen mit ihrem ein- oder höchstens
zweilagigen Epithel auf. Noch bis zu 10 Tage nach der Infektion fühlt sich der Patient
recht wohl, dann entwickelt sich eine Art Erkältung mit laufender Nase, Fieber und
Husten. Als weiteres Symptom kann eine Konjunktivitis hinzukommen. Aufgrund
der großen Virusmengen, die mit den Atemwegssekreten ausgeschieden werden, sind

802
die Patienten jetzt hoch kontagiös. Wenn bekannt ist, dass kurz vorher eine Exposition
stattfand, kann sich allein schon aus den Prodromi die Verdachtsdiagnose ergeben.

Es dauert dann noch ein oder zwei Tage, bis die Infektionsherde zu Haut- und
Schleimhautläsionen führen. Auf der Innenseite der Wangen erscheinen Koplik-
Flecken (Abb. 26.47), und kurz danach zeigt sich der unverwechselbare
makulopapulöse Ausschlag (Abb. 26.48), der vom Gesicht aus über den Körper bis
zu den Extremitäten herunterreicht. Jetzt ist die Diagnose eindeutig.

Tab. 26.5 Unterschiedliche klinische Ausprägung der Masern.

803
Das Masernexanthem ist durch eine zellvermittelte
Immunreaktion bedingt
Trotz Antikörperbildung wird die Virusvermehrung in der Lunge und anderswo erst
durch eine zellvermittelte Immunreaktion eingedämmt; die ungehemmte
Virusvermehrung würde sonst zu einer Riesenzellpneumonie führen (s. Kap. 19). Die
zellvermittelte Immunreaktion (CMI) ist auch für das Masernexanthem
verantwortlich, das bei schweren Immundefekten nicht vorkommt. Auf der anderen
Seite verläuft die Masernkrankheit bei Kindern mit Agammaglobulinämie völlig
normal; sie werden immun oder können durch Impfung geschützt werden. In
unkomplizierten Fällen genesen die Kinder rasch wieder.
Abb. 26.47 Koplik-Flecken.

Kleine weiße Punkte auf der entzündeten Wangenschleimhaut eines


Masernpatienten (mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood).

Wie bei anderen akuten Infektionen können auch bei Masern vorübergehend Defekte
der Immunantwort gegen nicht verwandte Antigene auftreten. So kann z.B. bei
Menschen, die als Tuberkulin-positiv bekannt sind, zeitgleich mit dem
Masernexanthem ein Tuberkulintest negativ ausfallen (keine Hautreaktion). Das
normalisiert sich nach einem Monat wieder. Als die Masern 1953 nach langer Zeit
wieder nach Südgrönland zurückkehrten (als Epidemie auf
„unberührtem/jungfräulichem Boden“) und sowohl Erwachsene als auch Kinder
erkrankten, war eine erhöhte Letalität bei allen festzustellen, die sich vorher mit
Tuberkulose infiziert hatten.

804
Abb. 26.48 Masernexanthem.

Ein makulopapulöser Ausschlag im Gesicht und am Oberkörper (mit freundlicher


Genehmigung von M.J. Wood).

Komplikationen treten eher bei Kindern in den


Entwicklungsländern auf
Masernkomplikationen sind unter anderem:

■ opportunistische bakterielle Superinfektionen; sehr häufig kommt es zu Otitis


media und Pneumonie infolge einer Vorschädigung des respiratorischen Epithels;

■ eine primäre Masernpneumonie (Riesenzellpneumonie) bei Patienten mit


schweren CMI-Immundefekten;

■ Masernenzephalitis (in 1/1000 Fällen, Kap. 24);

■ eine subakut sklerosierende Panenzephalitis (SSPE), die sich sehr selten 1–10
Jahre nach scheinbarer Genesung von einer akuten Infektion entwickeln kann.

In Ländern mit schlechter medizinischer Versorgung und Unterernährung


erkranken die Kinder oft schwerer an Masern (Tab. 26.5), vor allem in
Hungerperioden. Das lässt sich zurückführen auf:

■ schwache Abwehrkraft der Schleimhäute, die durch Vitamin-A-Zufuhr gestärkt


werden könnte;

■ Abwehrschwäche infolge einer proteinarmen Mangelernährung, zu der noch


die vom Masernvirus induzierte Immunsuppression hinzukommt;

805
■ schlechte medizinische Versorgung, so dass kaum Antibiotika zur Behandlung
von Sekundärinfektionen zur Verfügung stehen;

■ hohe bakterielle Kontamination der Umgebung;

■ möglicherweise auch Kontakt zu einer größeren Virusmenge, weil


schwerkranke Masernpatienten größere Virusmengen aus dem Respirationstrakt
ausscheiden.

26.7.2 Diagnose, Therapie, Prävention

Masern lassen sich gewöhnlich klinisch


diagnostizieren; antivirale Mittel sind nicht verfügbar,
wohl aber ein Impfstoff
Eigentlich sollte die klinische Diagnose eindeutig sein. Trotzdem kann der Ausschlag
ähnlich wie andere Virusexantheme aussehen, die in derselben Altersgruppe
vorkommen. Hinzu kommt, dass Masern aufgrund der Schutzimpfung eine rückläufige
Inzidenz zeigen und das medizinische Personal in ressourcenreichen Ländern nur noch
selten Kinder mit Masern zu sehen bekommt. Daher kann ein IgM-Test von Blut-
oder Speichelproben zur Bestätigung der Diagnose hilfreich sein. Eine Virusisolierung
aus Zellkulturen ist jedoch nur selten erforderlich.
Abb. 26.49 Rötelnpathogenese.

Röteln verlaufen im Allgemeinen als leichte, oft sogar subklinische Infektion,


können aber auch zu Arthritis führen und vor allem den Fetus gefährden.

Seit 1963 ist ein attenuierter Lebendimpfstoff verfügbar, der sicher und lang
wirksam ist. Meist wird eine Kombinationsimpfung (mit Masern-Mumps-
Röteln/MMR-Impfstoff, s. Kap. 34) verabreicht. Bevor es den Impfstoff gab, starben
weltweit jährlich 7–8 Millionen Kinder an Masern. Bis 1996 sank die Zahl auf 1

806
Million, und wenn dieselben Impfprogramme wie in Amerika und Europa auch in den
Entwicklungsländern angewandt würden, könnten Masern nach Schätzungen der
WHO bis 2010 ausgerottet sein.

26.8 Röteln

Die Folgen der multisystemischen Rötelnvirusinfektion


treffen hauptsächlich Feten
Es gibt nur einen Serotyp dieses einzelsträngigen RNA-Togavirus und betroffen sind in
erster Linie Feten (s. Kap. 23). Röteln werden als Tröpfcheninfektion übertragen und
sind nicht so ansteckend wie Masern, aber kontagiöser als Mumps.

Nach stummer Invasion an einer unbekannten Stelle des Atemtrakts wächst das
Rötelnvirus eine Zeit lang in lokalem Lymphgewebe heran, ehe es sich auf die Milz und
Lymphknoten im ganzen Körper ausbreitet. Eine Woche nach Infektionsbeginn führt die
weitere Vermehrung in diesen Geweben zur Virämie mit Absiedlung des Virus in den
Respirationstrakt und die Haut, manchmal auch in Plazenta, Gelenke und Nieren. Die
Rötelnpathogenese ist in Abb. 26.49 skizziert und die klinischen Auswirkungen auf
unterschiedliche Körpergewebe sind in Tab. 26.6 zusammengestellt.

Nach einer Inkubationszeit von 14–21 Tagen folgt eine schwach ausgeprägte
Krankheit mit Fieber, Unwohlsein und unregelmäßig makulopapulösem Ausschlag
über etwa drei Tage. Die Lymphknoten hinter dem Ohr sind oft vergrößert, doch
ansonsten verläuft die Infektion meist subklinisch.

Tab. 26.6 Rötelnpathogenese. Klinische Auswirkungen auf


unterschiedliche Körpergewebe.

807
Röteln werden serologisch diagnostiziert; es gibt keine
rötelnspezifische Behandlung, aber eine
Schutzimpfung
Auch wenn sich Röteln manchmal klinisch diagnostizieren lassen, sollte die Diagnose
durch Laboruntersuchungen gesichert werden, z.B. mit dem Nachweis rötelnspezifischer
IgM-Antikörper (s. Kap. 32). Eine Virusisolierung aus Rachenabstrichen ist nur selten
indiziert und erfordert spezialisierte Zelllinien; zum Wachstumsnachweis sind indirekte
Methoden nötig. Die Rötelnvirus-RNA kann in Proben von verschiedenen Stellen
entdeckt werden.

Antivirale Mittel gegen Röteln gibt es nicht, wohl aber einen attenuierten
Lebendimpfstoff, der sicher und wirksam ist; er wird meist als MMR-Vakzine in
Kombination mit Masern- und Mumpsimpfstoff verabreicht (zur Prävention
angeborener Röteln s. Kap. 23).

Auf makulopapulöse Ausschläge bei Virusinfektionen, die von Arthropoden (z.B.


Denguevirus) oder als Zoonosen (Marburg-Virus) übertragen werden, wird in Kap. 27
und 28 eingegangen. Ein makulopapulöser Ausschlag kann auch als Prodromalstadium
einer Hepatitis B (s. Kap. 22) auftreten und ist in dem Fall durch Immunkomplexe
vermittelt.

808
26.9 Hautläsionen bei anderen Infektionen

Ausschläge oder Hautläsionen können auch von


Bakterien, Pilzen und Rickettsien verursacht sein
Die meisten dieser Infektionen sind an anderer Stelle im Buch behandelt und in Tab.
26.2 aufgeführt. Bei Rickettsieninfektionen kommt es oft zu sehr auffälligen
Ausschlägen, etwa beim Rocky Mountain spotted fever oder dem epidemischen
Fleckfieber (s. Kap. 27). Nach ihrer Invasion in Gefäßendothelzellen treten Rickettsien
ins Blut über, so dass sich blutsaugende Insekten infizieren können. Der Befall von
Hautgefäßen bildet die Grundlage für Hautausschläge, ist aber nicht die direkte Quelle
für die Virusausscheidung nach außen.

26.10 Kawasaki-Syndrom

Als akute Vaskulitis ist das Kawasaki-Syndrom


möglicherweise toxisch bedingt (durch Superantigene)
Das Kawasaki-Syndrom ist eine Kinderkrankheit unbekannter Ätiologie, bei der die
Patienten meist jünger als vier Jahre sind. Es kommt zu Fieber, Konjunktivitis und
Ausschlag, die Lippen sind trocken und gerötet, die Handinnenflächen und Fußsohlen
sind rot und zum Teil ödematös, während sich die Fingerspitzen schuppen. Häufiger
treten Arthralgie und Myokarditis auf, die die Letalität auf rund 2% erhöhen können.
Zugrunde liegt eine akute Vaskulitis, und unbehandelt entwickeln sich bei 20% der
Patienten Aneurysmen der Koronararterien.

Betroffen sind zwar häufiger Kinder asiatischer Herkunft, doch die Erkrankung ist
weltweit verbreitet. Obwohl es keine Anzeichen für eine Übertragung von Mensch zu
Mensch gibt, vermutet man einen infektiösen Ursprung, z.B. durch Superantigene wie
die Toxine von S. aureus oder S. pyogenes (s. Kap. 16). Wird rechtzeitig mit einer
hochdosierten intravenösen Immunglobulin-Behandlung begonnen, lässt sich die
Aneurysmenbildung verhindern.

26.11 Virusinfektionen von Muskeln

26.11.1 Virale Myositis, Myo- und Perikarditis

Einige Viren, speziell Coxsackievirus B, verursachen


Myokarditis und Myalgie
Hauptursachen einer akuten Myokarditis und Perikarditis sind Coxsackieviren der
Gruppe B und in geringerem Umfang der Gruppe A sowie bestimmte Enteroviren. In
beiden Fällen erkranken hauptsächlich erwachsene Männer. Wichtig sind diese
Infektionen vor allem, weil sie leicht mit einem Herzinfarkt verwechselt werden
können; sie haben aber eine gute Prognose und heilen in der Regel vollständig aus. Es
verdichten sich auch die Anzeichen, dass persistierende Virusinfektionen mit
chronischer Myokarditis und chronisch dilatativer Kardiomyopathie verbunden sind.

809
Eine virale Myokarditis bei Säuglingen wird am häufigsten von Coxsackieviren der
Gruppe B verursacht; sie kann plötzlich auftreten und tödlich enden.

Die Infektionen werden fäkal-oral und gelegentlich durch Rachensekrete übertragen.


Nach oraler Aufnahme gelangen Coxsackieviren aus dem Rachen oder Darm über
Lymphgefäße ins Blut. Von kleinen Blutgefäßen aus beginnen sie die Invasion von
Skelettmuskeln, Herz oder Perikard und rufen eine akute Entzündung hervor. Bei einer
Myo- oder Perikarditis kommt es zu Atemnot und Schmerzen in der Brust, die
manchmal an einen Herzinfarkt denken lassen.

In Rachenabstrichen, Stuhlproben und gelegentlich der Perikardflüssigkeit sind


Coxsackieviren zu finden. Alternativ können zum Nachweis der Virus-RNA
Methoden wie die In-situ-Hybridisierung von Biopsiematerial aus dem Endomyokard
angewandt werden. Seltener sind Mumps und Influenza Ursache einer Myo- oder
Perikarditis. Röteln (s. Kap. 23) können bei Feten zu Myokarditis und damit
assoziierten angeborenen Herzfehlern führen.

Coxsackieviren der Gruppe B sind außerdem Auslöser einer Pleurodynie oder


epidemischen Myalgie. Nach der dänischen Insel, auf der es 1930 zu einem
massenhaften Ausbruch kam, wird dieser Zustand auch als „Bornholmsche Krankheit“
bezeichnet. Sie geht mit Schmerzen und Entzündung der Interkostal- oder
Abdominalmuskeln einher.

Muskelschmerzen und Druckempfindlichkeit können durch Influenzaviren (besonders


Typ B bei Kindern) verursacht sein, wobei man nicht weiß, ob sie mit einer
Virusinvasion des Muskelgewebes zusammenhängen. Die auch bei Dengue-Fieber,
Rickettsien- und anderen Infektionen mit Fieber auftretenden Myalgien werden
vermutlich durch zirkulierende Zytokine ausgelöst. Unter diesen Umständen kann es
labordiagnostisch schwierig werden, eine Verbindung zwischen einer bestimmten
Virusinfektion und einem spezifischen Organ herzustellen; Serologie und
Virusisolierung können höchstens Indizien liefern. Hilfreicher dürfte in dem Fall ein
direkter Nachweis in betroffenem Gewebe sein.

Derzeit werden antivirale Mittel wie Pleconaril auf ihren therapeutischen Nutzen bei
Coxsackievirusinfektionen untersucht. Einen Impfstoff gegen
Coxsackievirusinfektionen gibt es nicht.

810
26.11.2 Chronic-Fatigue-Syndrom

Das postvirale (Chronic-)Fatigue-Syndrom war nur


schwierig als eigenständiges Krankheitsbild zu
etablieren
Das postvirale oder Chronic-Fatigue-Syndrom wird manchmal unzutreffend als
„myalgische Enzephalomyelitis“ bezeichnet; es gibt nämlich keine Anzeichen für eine
ZNS-Beteiligung. Typische Merkmale des Chronic-Fatigue-Syndroms sind:

■ chronische und sehr ausgeprägte Muskelschwäche über mindestens sechs


Monate, oft nach einer akut fieberhaften Erkrankung

■ starke Müdigkeit

■ als unregelmäßiger vorhandene Symptome Depression, Kopfschmerzen und


Ängste

Treten die beiden zuerst genannten Symptome bei zuvor gesunden Menschen ohne
psychosomatische Vorgeschichte auf, spricht das für ein Chronic-Fatigue-Syndrom.
Als Ursache werden Viren vermutet. Wiederholt standen Coxsackieviren der Gruppe
B im Verdacht, nachdem Antikörpertests und der Nachweis eines virusspezifischen
Proteins im Patientenserum darauf hindeuteten. Doch diese Befunde haben sich nicht
ausreichend bestätigen lassen, so dass weiterhin Unklarheit herrscht.

Einem kleinen Prozentsatz scheint eine chronische Epstein-Barr-Virus(EBV)-


Infektion zugrunde zu liegen. Einzelne Fallberichte belegten eine Verbindung zu
HHV-6 und anderen Viren. Es könnte sich aber auch um eine „allergische Reaktion“
auf eine Virusinfektion handeln.

811
26.12 Parasiteninfektionen von Muskeln
Nur relativ wenige Protozoen- oder Wurmparasiten dringen ins Muskelgewebe ein und
verursachen ernste Erkrankungen. Wir beschreiben hier drei Beispiele für häufiger
vorkommende Infektionen, um die Bandbreite der Mikroorganismen und Krankheitsbilder
zu veranschaulichen.

26.12.1 Trypanosoma-cruzi-Infektion

Das Protozoon Trypanosoma cruzi ist Ursache der


Chagas-Krankheit
Die auch als Amerikanische Trypanosomiasis bekannte Chagas-Krankheit (s. Kap. 27)
beschränkt sich auf Mittel- und Südamerika, wo schätzungsweise 10–12 Millionen
Menschen erkrankt sind. Es handelt sich um eine Zoonose. Trypanosoma cruzi ist bei
über 150 verschiedenen Säugetierspezies nachzuweisen und wird von Insekten
(Raubwanzen) übertragen, die beim Blutsaugen infektiöse Stadien (Trypomastigoten)
mit ihrem Kot auf der Haut ablagern.

Werden die Ausscheidungen in Schleimhäute oder Wunden eingerieben, wandeln sich


die in die Zellen eingedrungenen Parasiten in amastigote Formen um und
proliferieren. Die infizierten Zellen platzen auf und setzen wieder Trypomastigoten
frei. Dabei entstehen lokale Läsionen. Nach ihrer Verbreitung im ganzen Körper
können die Parasiten in immer neue Zellen eindringen. Infektionsherde befinden sich
vor allem im ZNS, Verdauungstrakt (Plexus myentericus), retikuloendothelialen
System und im Herzmuskel.

Jahre nach einer Chagas-Krankheit kann es zu


Herzversagen kommen
In der akuten Phase tritt die Krankheit mit Fieber und stark entzündlichen
Veränderungen in Erscheinung. Die chronische Phase zeigt sich erst Jahre später in
Form einer allmählich zunehmenden Gewebezerstörung, bei der eine autoimmune
Schädigung eine wichtige Rolle spielt. Durch Invasion in die Myofibrillen des
Herzmuskels (Abb. 27.15) verursachen die Parasiten eine Myokarditis. Dabei können
Myofibrillen und Purkinje-Fasern durch Bindegewebe ersetzt werden und
infolgedessen Leitungsdefekte auftreten. Das Herz vergrößert sich, es kommt zu
Arrhythmien und eventuell zu Herzversagen.

In der Akutphase wird die Chagas-Krankheit mit Nifurtimox und Benzimidazol


behandelt, der chronische Zustand ist jedoch irreversibel. Derzeit steht kein Impfstoff
zur Verfügung. Daher ist Prävention die wichtigste Maßnahme.

26.12.2 Taenia-solium-Infektion

812
Larvenstadien von Taenia solium dringen in
Körpergewebe ein
Bandwürmer sind zwar Darmparasiten, doch die Larvenstadien einzelner Spezies
befallen auch tiefer gelegene Gewebe. Am wichtigsten sind:

■ Echinococcus granulosus (Ursache der Hydatidose/Echinokokkose, s. Kap. 24


und 28)

■ Schweinebandwurm (Taenia solium).

Menschen können sich mit T. solium infizieren, wenn sie Schweinefleisch essen, das
nicht richtig gar gekocht wurde und Larven (Zystizerkarien) enthält. Die Larven
befinden sich als kleine, blasenartige Strukturen im Muskelgewebe, gelangen bei der
Verdauung in den Darm und reifen dort zu adulten Bandwürmern heran, die mehrere
Meter lang sein können. T. solium ist insofern ungewöhnlich, als die Eier direkt im
menschlichen Darm schlüpfen können, nachdem sie mit verunreinigtem Wasser
aufgenommen oder direkt von adulten Würmern freigesetzt wurden. Die geschlüpften
Larven bohren sich durch die Darmwand und werden im Blut zu unterschiedlichen
inneren Organen transportiert. Sie entwickeln sich unter anderem im ZNS und in
Muskeln.

Auf Röntgenbildern sind manchmal kalzifizierte Zysten im Muskelgewebe erkennbar


(Abb. 26.50). Die Muskelinfektion ist nicht besonders schwer und bleibt sogar
überwiegend asymptomatisch. Die Finnen können sich jedoch in allen Organen
niederlassen, so auch im ZNS. Infektionen mit dem Schweinebandwurm sind in
weiten Teilen der Welt verbreitet, vor allem in Süd- und Mittelamerika sowie in
Asien. Als Vorsichtsmaßnahme sollte Schweinefleisch immer ausreichend gegart
werden; Infektionen werden mit Praziquantel behandelt.

26.12.3 Trichinella-spiralis-Infektion

Trichinella-spiralis-Larven befallen gestreifte


Muskulatur
Dieser Rundwurm weist mehrere Besonderheiten auf: Er kann fast alle Warmblüter
infizieren und vollzieht den Lebenszyklus einer kompletten Generation (von
infektiösem zu infektiösem Stadium) im Körper eines einzigen Wirts. Die
Übertragung erfolgt durch den Verzehr von Muskelgewebe, das genügend
lebensfähige infektiöse Larven enthält. Für Menschen ist infiziertes Schweinefleisch
die häufigste Infektionsquelle, aber auch andere Fleischsorten sind dafür bekannt
(Bären-, Wildschwein-, Pferdefleisch). Die Infektion ist weltweit verbreitet.

Aus nicht ausreichend gekochtem Fleisch kommen bei der Verdauung im Dünndarm
die Larven frei und entwickeln sich rasch zu adulten Würmern. Fadenwürmer leben in
der Darmschleimhaut und jedes Weibchen setzt über 1000 frische Larven direkt im
Darmgewebe ab. Von dort werden sie dann mit Blut oder Lymphe im Körper verteilt,
bis die Larven schließlich in quergestreiftes Muskelgewebe eindringen und zu
infektiösen Stadien heranreifen; die Muskelzellen werden zu einer Art Amme für die
Parasiten umfunktioniert (Abb. 28.10).

813
Abb. 26.50 Auf dem Röntgenbild sind in den
Unterarmen zahlreiche verkalkte Zysten von Taenia
solium erkennbar.

(Mit freundlicher Genehmigung von R. Muller & J.R. Baker)

Leichte Infektionen bleiben asymptomatisch. Bei schweren Infektionen können


Wanderung und Penetration der Larven mit starken und lebensbedrohlichen
Entzündungsreaktionen verbunden sein. In dieser Phase kommt es zu typischen
Symptomen wie Fieber, Muskelschmerzen, Schwäche und Eosinophilie. Auch wenn
sich die Wurmparasiten nicht im Herzmuskel entwickeln, kann trotzdem eine
Myokarditis auftreten.

Die Symptome führen zur Diagnose, aber meist erst nachdem die Muskeln infiziert
sind. Entsprechend schwierig ist die Behandlung. Man kann es mit Mebendazol
versuchen, unter Umständen sind auch Kortikosteroide erforderlich.

26.12.4 Sarcocystis

Sarcocystis ist ein seltener Muskelparasit


Es gibt Einzelfallberichte, dass im Muskelgewebe von Menschen Zystenstadien von
Sarcocystis gefunden wurden, einem mit Toxoplasmen verwandten Protozoon. Die
Infektion wird über verseuchtes Fleisch von Schlachttieren übertragen und kann zur
Myositis führen.

26.13 Gelenk- und Knocheninfektionen


Der Einfachheit halber werden Gelenke und Knochen getrennt dargestellt, auch wenn
Gelenkinfektionen oft auf benachbarte Knochen übergreifen und umgekehrt (z.B. bei
Tuberkulose).

814
26.13.1 Reaktive Arthritis, Arthralgie und septische
Arthritis

Arthralgien und Arthritis sind im Rahmen von


Infektionen oft immunvermittelt
Beispiele für derartige Infektionen sind in Tab. 26.7 aufgeführt. Auch wenn sich
Gelenke hämatogen bzw. direkt nach einem Trauma oder einem chirurgischen Eingriff
infizieren können, sind Gelenkinfektionen in den meisten Fällen eher auf eine
Immunreaktion als auf eine Erregerinvasion zurückzuführen. Wenn sich ein
Infektionsherd an einer anderen Stelle im Körper befindet, spricht man von
„reaktiver“ Arthritis. Zu einer reaktiven Arthritis oder Arthralgie kommt es bei
bestimmten enteralen Bakterieninfektionen, und eine Arthralgie bei Röteln oder
Hepatitis B ist ähnlich zu erklären. Meist ist mehr als ein Gelenk betroffen.

Eine Spondylitis ankylosans kann mit einer Klebsielleninfektion zusammenhängen


und man vermutet, dass eine Kreuzreaktion aufgrund der Ähnlichkeit zwischen
Klebsiellen- und HLA-B27-Antigenen zur Krankheit führt. Bisher gibt es noch keinen
Beweis dafür, dass auch die rheumatoide Arthritis durch Viren oder andere
Mikroorganismen verursacht sein könnte.

815
Tab. 26.7 Arthralgie und Arthritis im Rahmen von
Infektionskrankheiten.

Im Blut zirkulierende Bakterien befallen manchmal


Gelenke, z.B. nach einem Trauma
Durch Absiedlung von Bakterien kann es zu einer suppurativen (septischen) Arthritis
kommen. Im Allgemeinen ist ein einzelnes Gelenk betroffen. Besonders
vorgeschädigte Gelenke (z.B. durch rheumatoide Arthritis oder mit Prothese) sind
äußerst anfällig für Infektionen. Am häufigsten sind die Kniegelenke betroffen,
danach folgen Hüft-, Fuß- (Abb. 21.5b) und Ellbogengelenke.

816
Als Symptome treten Fieber, Gelenkschmerzen, eingeschränkter Bewegungsumfang
und Schwellung auf, oft auch ein Gelenkerguss. Aus der Synovialflüssigkeit oder
Sedimenten nach dem Zentrifugieren können Bakterien isoliert werden; häufigster
Erreger ist S. aureus. Manchmal ist offensichtlich, woher die Bakterien im Blut
stammen (z.B. aus einer septischen Hautläsion), doch die Quelle ist nicht immer
erkennbar.

26.13.2 Osteomyelitis

Knochen können von einem benachbarten Herd aus


oder hämatogen infiziert werden
Wie Gelenk- können auch Knocheninfektionen entweder direkt (von einem
benachbarten Herd aus, nach Frakturen oder orthopädischen Operationen) oder durch
Erreger im Blut hervorgerufen werden. Häufigste Ursache einer hämatogenen
Osteomyelitis ist S. aureus, doch von benachbarten Herden übergreifende
Infektionen sind gewöhnlich Mischinfektionen mit Gram-negativen Stäbchen,
gelegentlich auch Anaerobiern. Es scheint keine Entsprechung zur reaktiven Arthritis
zu geben, wo die Entzündung von einem Infektionsherd in größerer Entfernung
ausgeht.

Eine akute Osteomyelitis bezieht typischerweise die Enden langer Röhrenknochen


mit ein, wo aussprossende Kapillaren in der Nähe der Epiphysen-Wachstumszentren
die Absiedlung im Blut zirkulierender Bakterien begünstigen. Daher handelt sich
meist um eine Erkrankung von Kindern und Jugendlichen nach einer stumpfen
Knochenverletzung. Bei Osteomyelitis entwickeln sich schmerzhafte oder
druckempfindliche Knochenläsionen und eine fiebrige Allgemeinerkrankung.

Eine Osteomyelitis wird medikamentös und


manchmal auch chirurgisch behandelt
Vor Beginn der Antibiotikatherapie werden Blutkulturen angelegt, um den Erreger zu
diagnostizieren, oder, im Fall einer offenen Verletzung, eine Knochenbiopsie
durchgeführt. Manchmal sind Periostreaktion und Knochenverlust radiologisch
sichtbar (Abb. 26.51). Sobald Proben zur mikrobiologischen Untersuchung gewonnen
wurden, wird eine Behandlung auf empirischer Grundlage begonnen.

Eine Osteomyelitis kann chronisch werden, wenn sich z.B. nekrotische


Knochenfragmente als ständige Infektionsquelle auswirken. Daher können
chirurgische Eingriffe zur Wundreinigung (Débridement und Drainage) sowie eine
längere Antibiotikatherapie erforderlich sein.

Eine Tuberkulose kann sich auch auf Wirbelsäule, Hüfte, Knie, Hand- und
Fußknochen erstrecken; in höher entwickelten Ländern sind vor allem Zuwanderer
vom indischen Subkontinent betroffen. Ohne weitere Störung des Allgemeinbefindens
sind die befallenen Stellen oft schmerzhaft, und ein tuberkulöser Abszess kann durch
Druck auf das Rückenmark eine Paraplegie verursachen.

817
Abb. 26.51 Akute Staphylokokkeninfektion
(Osteomyelitis) des Femurs bei einer 24-jährigen
Frau.

Vor dem hellen/durchscheinenden Hintergrund ist eine umschriebene


Periostreaktion in der Mitte des Femurschafts erkennbar (mit freundlicher
Genehmigung von A.M. Davies).

818
26.14 Infektionen des blutbildenden Systems

Viele Infektionserreger können sich auf zirkulierende


Blutzellen auswirken
Beispiele sind:

■ Bordetella pertussis als Ursache einer Lymphozytose,

■ EBV- und Zytomegalievirus(CMV)-Infektionen als Ursache einer


Mononukleose,

■ Plasmodien als Ursache von Anämie und Thrombozytopenie.

Eine kleinere Zahl von Erregern zielt direkt auf Knochenmarkzellen ab (humane Parvo-
bzw. Erythroviren) oder führt zur malignen Transformation von Lymphozyten (z.B.
HTLV-1, human T-cell lymphotropic virus). Die unterschiedlichen
Einflussmöglichkeiten sind in Tab. 26.8 aufgelistet. HTLV-1 und HTLV-2 sind schon in
Kap. 21 und 24 erwähnt, sollen aber hier näher beschrieben werden.

26.14.1 HTLV-1-Infektion

HTLV-1 wird hauptsächlich mit Muttermilch


übertragen
HTLV-1 wurde 1980 zum ersten Mal bei einem Patienten mit der erwachsenen Form
der T-Zell-Leukämie (ATLL) isoliert. Die Infektion ist weit verbreitet; besonders auf
einigen Westindischen Inseln und in Japan sind 5–15% der Bevölkerung infiziert, aber
auch in Südamerika und Teilen von Afrika tritt sie auf. Die Übertragung erfolgt primär
mit der Muttermilch, seltener auf sexuellem Weg oder mit Blut (kontaminiertes
Besteck von i.v. Drogenkonsumenten).

HTLV-1 befällt T-Zellen; bis zu 5% der Infizierten


erkranken an einer T-Zell-Leukämie
Nach der Infektion von T-Zellen persistiert HTLV-1 und beeinflusst über das tax-Gen-
Produkt die Zellreplikation. Das Transkription-aktivierende Protein stimuliert die
Transkription von Wirtsgenen, die die Produktion von Interleukin-2 (IL-2), IL-2-
Rezeptor und anderen Molekülen kontrollieren. Die infizierten T-Zellen beginnen zu
proliferieren, und wenn außerdem noch bestimmte Chromosomenanomalien vorliegen,
entarten sie (maligne Transformation).

Klinische Zeichen sind eine leicht fieberhafte Erkrankung mit Lymphadenopathie.


Oft zeigt sich bei den Patienten eine Knötchen- oder Plaquebildung in der Haut; ein
Pleuraerguss oder eine aseptische Meningitis können ebenfalls auftreten. Hinzu
kommt eine erhöhte Anfälligkeit für opportunistische Infektionen mit Pneumocystis
jiroveci und Strongyloides stercoralis. Damit verbunden ist eine schwächere

819
Überempfindlichkeitsreaktion (vom verzögerten Typ) im Tuberkulintest. Beschrieben
ist auch eine Polymyositis.

Bis zu 5% der Infizierten erkranken schließlich an einer T-Zell-Leukämie mit hoher


Sterblichkeit, die rasch zum Tod führt. In einem ähnlich hohen Prozentsatz führt die
Krankheitsprogression zu einer „tropischen“ spastischen Paraparese (TSP) bzw.
HTLV-assoziierten Myelopathie (HAM), bei der es zu einer primären
Demyelinisierung kommt (s. Kap. 24). Nervenzellen scheinen nicht infiziert zu
werden, und neurologische Erkrankungen durch das Virus sind nicht bekannt.

Der Nachweis HTLV-1- und HTLV-2-spezifischer Antikörper beruht auf einer


serologischen Typdifferenzierung mithilfe der Immunoblot-Technik. Antiretrovirale
Mittel (nicht Proteaseinhibitoren), die nachweislich die Virusreplikation hemmen,
werden auf ihre Eignung zur Behandlung von Patienten mit ATLL oder TSP
untersucht. Andere Behandlungsformen hatten nur begrenzten Erfolg. Da HTLV-
Antikörper-positive Menschen vermutlich infektiös sind, sollten sie weder als Blut-
noch als Organspender zugelassen werden. In vielen Ländern wird inzwischen ein
HTLV-Antikörper-Screening bei Blutspendern durchgeführt.

26.14.2 HTLV-2-Infektion
HTLV-2 konnte 1982 zum ersten Mal bei einem Patienten mit (T-Zell-)Haarzell-
Leukämie isoliert werden, obwohl es nicht die eigentliche Ursache dieser Erkrankung
ist. Es ist eng mit HTLV-1 verwandt und wird auf ähnlichem Weg übertragen. HTLV-2-
Infektionen betreffen offenbar vor allem i.v. Drogenabhängige und Indianerstämme in
Nord-, Mittel- und Südamerika. Neben einer Reihe neurologischer Störungen wurde
über einzelne Fälle von Myelopathie berichtet.

820
Tab. 26.8 Blutzellen oder Hämopoese beeinflussende Erreger
* auch kutane Form möglich (Verruga peruana); 1885 wies Daniel Carrion, ein
peruanischer Medizinstudent, den gemeinsamen bakteriellen Ursprung nach, als er
nach einem Selbstversuch (Inokulation von infiziertem Blut aus Hautläsion der
kutanen Form) Oroya-Fieber bekam
** viele andere Viren, die Immunzellen infizieren (z. B. CMV, Masernvirus),
unterdrücken die Immunreaktionen weniger drastisch
Zusammenfassung
■ Intakte Haut bildet eine Barriere von unschätzbarem Wert zum Schutz des
Körpers gegen eine Invasion von außen.

■ Hautinfektionen und -krankheiten sind mit einem breiten Erregerspektrum


verbunden.

■ Bakterien, Pilze und Viren verschaffen sich meist über


Verletzungen/traumatisch bedingte Risse im Schutzmantel der Haut Zutritt zum
Körper.

■ Einige Parasiten können die Haut aktiv penetrieren (Leptospirose,


Schistosomiasis).

■ Andere Erreger werden von Vektoren (Arthropoden) in die Haut eingebracht.

821
■ Erreger können lokale Hautinfektionen verursachen oder von der Haut aus zu
weiter entfernten Stellen streuen.

■ Pathogene, die auf anderem Weg in den Körper gelangt sind, können sich nach
einer disseminierten (systemischen) Infektion direkt in der Haut niederschlagen oder
toxische bzw. immunpathologische Hauterscheinungen auslösen.

■ Oberflächliche Hautinfektionen (Furunkel, Impetigo, Warzen, Akne, Tinea)


gehören bei Menschen zu den häufigsten Infektionen.

■ Eine Erregerinvasion in tieferen Haut- und Unterhautschichten kann zu


schweren, rasch tödlich verlaufenden Infektionen (z.B. Gangrän) oder zu einer
fortschreitenden Entstellung und Zerstörung führen (wie bei Lepra).

■ Muskelinfektionen werden gewöhnlich durch Invasion von außen verursacht,


während Gelenkinfektionen häufiger auf dem Blutweg entstehen.

■ Knocheninfektionen können sich von einem lokalen Herd (infiziertes Gelenk)


aus oder durch hämatogene Aussaat entwickeln.

■ Viren, die in Knochenmarkzellen oder Leukozyten eindringen, können die


Hämopoese stören (z.B. Parvoviren), eine maligne Transformation bewirken (HTLV-
und -2) oder das Immunsystem schwächen (EBV, HIV).

FRAGEN
Eine 19-jährige Philosophiestudentin konsultiert den Collegearzt, weil sie sich seit drei
Wochen (seit Beginn des dritten Trimesters) ständig müde fühlt. Sie hatte Fieber und
Schweißausbrüche, Halsschmerzen und leichte Bauchbeschwerden.

Untersuchungsbefunde: Temperatur von 38,5°C, zervikale Lymphadenopathie, einige


Petechien am Gaumen, Pharyngitis und druckempfindliche, weiche, vergrößerte Milz.
Laborwerte: Hämoglobin 14 g/dl, Leukozyten 4 × 109/l mit atypischen Lymphozyten,
Alanintransaminase 300 IU/l, Aspartattransaminase 350 IU/l.

1 Welche Differenzialdiagnosen kommen in Betracht?

2 Wie würden Sie eine EBV-Infektion der Frau abklären?

3 Monospottest- (Paul-Bunnell-Test-)Ergebnisse: Agglutination ohne


Serumadsorption nach Zusatz von Indikator-Pferdeerythrozyten; Agglutination
mit Meerschweinchen(antigen)zellen nach Zusatz von Pferdeerythrozyten; keine
Agglutination mit Ochsenstromazellen nach Zusatz von Pferdeerythrozyten;
VCA-IgM positiv, VCAIgG positiv. Wie würden Sie diese Ergebnisse
interpretieren?

4 Welche Komplikationen treten bei einer EBV-Infektion häufiger auf?

5 Was würden Sie der Patientin empfehlen?

822
Ein vierjähriger Junge wird mit Armschmerzen in die Klinik eingeliefert. Er war vor
fünf Tagen vom Klettergerüst gefallen und hatte sich den rechten Unterarm
aufgeschürft. In den letzten 24 Stunden hat sich sein Zustand verschlechtert (Fieber,
Erbrechen und Bauchschmerzen). Bei der Untersuchung wirkt er sehr krank,
ausgetrocknet und fiebrig. Sein rechter Unterarm ist an der Verletzungsstelle äußerst
berührungsempfindlich. Das Abdomen ist gespannt, aber nicht bretthart und zeigt auch
keine Abwehrspannung. Der Thorax ist ohne Befund.

1 Welche Diagnose ist am wahrscheinlichsten?

2 Welche Untersuchungen würden Sie durchführen?

3 Laborwerte: Hämoglobin 15 g/dl, Leukozytenzahl 24 × 109/l mit 90%


Neutrophilen; Methicillin-empfindlicher Staphylococcus aureus aus Blutkulturen
anzüchtbar. Röntgen: Weichteilschwellung über der verletzten Stelle am rechten
Unterarm. Wie würden Sie den Jungen behandeln?

Bei einem zweijährigen Mädchen entwickelt sich ein feiner erythematöser Ausschlag
mit plötzlichem hohem Fieber. Es ist regelmäßig geimpft worden. Der Kinderarzt
macht einen Hausbesuch. Bei der Untersuchung fühlt sich die Kleine sichtlich unwohl.
Außer Fieber und Ausschlag sind keine auffälligen Befunde zu erheben.

1 Welche Differenzialdiagnose kommt in Betracht?

2 Die Diagnose bleibt eine rein klinische Diagnose, doch im Krankenhaus könnte
das Mädchen noch weiter untersucht werden. Welche Untersuchungen würden
Sie in dem Fall durchführen
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

Doerr, H.W., Gerlich, W.H (Hrsg.): Medizinische Virologie: Grundlagen, Diagnostik


und Therapie virologischer Krankheitsbilder. Georg Thieme Verlag, Stuttgart New
York 2002.

Harahap, M.: Diagnosis and Treatment of Skin Infections. Blackwell, Oxford 1997.

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Medizinische Mikrobiologie. Urban & Fischer Verlag, München, Jena 2001.

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infection. J Infect 44 (2002) 143–151.

Mehlhorn, H., Eichenlaub, D., Löscher, T., Peters, W.: Diagnostik und Therapie der
Parasitosen des Menschen. 2. Auflage, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart Jena New
York 1995.

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J Dermatol 39 (Suppl 53) (1998) 9–12.

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treatment. Drugs Aging 18 (2001) 165–176.

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Trent, J.T., Federman, D., Kirsner, R.S.: Common viral and fungal skin infections.
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824
27 Von Vektoren übertragene Infektionen
27.1 Arbovirusinfektionen 410

27.1.1 Gelbfieber 410

27.1.2 Denguefieber 410

27.1.3 Arbovirus-Enzephalitis 411

27.1.4 Arboviren und hämorrhagisches Fieber 411

27.2 Rickettsiosen 412

27.2.1 Rocky Mountain spotted fever 413

27.2.2 Mittelmeer-Fleckfieber (Boutonneuse-Fieber) 414

27.2.3 Rickettsien-Pocken 414

27.2.4 Epidemisches Fleckfieber 414

27.2.5 Endemisches Fleckfieber 414

27.2.6 Tsutsugamushi-Fieber 414

27.3 Borrelieninfektionen (Borreliosen) 415

27.3.1 Rückfallfieber 415

27.3.2 Lyme-Krankheit 417

27.4 Protozoeninfektionen 418

27.4.1 Malaria 418

27.4.2 Trypanosomiasis 421

27.4.3 Leishmaniose 423

27.5 Helmintheninfektionen 424

27.5.1 Schistosomiasis 424

27.5.2 Filariose 425

825
Zur Orientierung
Blutsaugende Insekten (Arthropoden) übertragen eine Reihe wichtiger Erkrankungen des
Menschen, von Virus- bis hin zu Wurminfektionen. Während sie sich vom Blut ernähren,
injizieren Vektoren gleichzeitig Erreger in den menschlichen Körper. Krankheiten
übertragen hauptsächlich zwei Klassen von Arthropoden: sechsbeinige Insekten und
achtbeinige Zecken oder Milben. Solche Infektionen kommen weltweit vor, aber
schwerpunktmäßig in wärmeren Ländern. Eine wichtige Tropenerkrankung durch
Vektoren ist auch die Schistosomiasis, sie wird von Wasserschnecken übertragen.

Vektoren als effektive Verbreitungsform von Infektionen

In spärlich besiedelten Regionen stellt die Übertragung


durch Insekten eine sehr effektive Verbreitungsform
dar
Die Übertragung durch Insekten hat für Wirt, Vektor und Parasit wichtige
Auswirkungen. Parasiten müssen zunächst einmal zur richtigen Zeit (manche Insekten
saugen nur nachts Blut) am richtigen Ort sein. Blut kann sich als sehr unwirtliche
Umgebung erweisen und Parasiten zu subtilen Ausweichmanövern zwingen, um
trotzdem zu überleben. Zudem können die in Insekten/Vektoren vorgefundenen
Bedingungen äußerst schwierig für Erreger sein, die sich an den Menschen/Wirt
angepasst haben. Unter Umständen müssen Parasiten innerhalb kürzester Zeit eine
komplexe Entwicklung durchlaufen.

Bei größeren Protozoen- und Wurmparasiten kann die Umwandlung zu deutlichen


Veränderungen ihres Aussehens führen, was zum Teil auch die komplizierte
Terminologie für ihre Lebensstadien erklärt. Da manche Insekten kaum länger als „ihre“
Parasiten leben, droht ein beträchtlicher Verlust an infektiösem Potenzial. Beim Tod
ihrer Vektoren erreichen diese Parasiten nicht mehr ein für Menschen infektiöses
Entwicklungsstadium.

Angesichts der kurzen Lebensspanne von Anopheles-Mücken können wenige Tage


einen enormen Unterschied für die Übertragung der Malaria bedeuten; und dieser
einfache Faktor scheint tatsächlich einen wichtigen Einfluss auf das unterschiedliche
Ausbreitungsmuster der Malaria in Afrika (endemisch) und Indien (sporadisch) zu
haben. Allerdings werden Verluste durch das Absterben von Vektoren durch die
Streuung von Parasiten über große Entfernungen mehr als wettgemacht.

826
Vektoren als Ansatzpunkt zur Infektionsbekämpfung

Die Übertragung durch Vektoren bietet auch die


Möglichkeit, durch deren Kontrolle Krankheiten
einzudämmen
Das ist leichter gesagt als getan, wie der fehlgeschlagene Versuch zeigte, Malaria durch
Besprühen der Mückenbrutstätten mit DDT (Dichlorodiphenyltrichlorethan)
auszurotten. Während die Mücken Resistenz entwickelten, war DDT letztlich
schädlicher für die Umwelt als für die Insekten. Die Bekämpfung der Vektoren bleibt
ein erstrebenswertes Ziel bei allen hier besprochenen Krankheiten und ist z.B. einer der
Hauptgründe, weshalb Malaria in vielen europäischen Ländern nicht endemisch ist.

Für den Wirt hat diese Art der Übertragung manchmal den Vorteil, dass gegen
bestimmte Parasitenstadien eine gezielte Impfung möglich ist. Auch hier kann
Malaria wieder als Beispiel dienen, denn in Tierversuchen erwiesen sich Impfstoffe
gegen Sporozoiten, Gametozyten und Gameten als wirksam und verhinderten die
Übertragung. Gelingt es, die Übertragung zu unterbrechen, besteht eine mathematisch
errechenbare Wahrscheinlichkeit, dass die Krankheit aussterben wird.

27.1 Arbovirusinfektionen

Arboviren werden von Arthropoden übertragen


Die ca. 500 von Arthropoden (wie Zecken, Mücken und Sandfliegen) übertragbaren
Viren werden als Arboviren (arthropode-borne) bezeichnet. Nach ihrer Vermehrung in
Vektoren durchlaufen Arboviren ihren natürlichen Entwicklungszyklus sowohl in
Wirbeltieren (Vögel oder Säugetiere) als auch in Insekten. Beim Blutsaugen nehmen
Arthropoden die Arboviren von infizierten Wirbeltieren auf. Aus dem Darm der
Arthropoden wandern die Viren dann zu den Speicheldrüsen, wo sie sich replizieren.

Ein, zwei Wochen später sind die Arthropoden infektiös geworden und können jetzt
beim Blutsaugen Arboviren auf andere Wirbeltiere übertragen. Bestimmte Arboviren,
die Zecken infizieren, können direkt von adulten Zecken auf Eier (vertikale
Übertragung) übergehen, so dass die neuen Generationen von Zecken ohne den Umweg
über Vertebraten-Zwischenwirte infiziert werden können.

Nur eine geringe Zahl von Arboviren führt zu


Erkrankungen des Menschen
Arboviren replizieren sich bevorzugt im Gefäßendothel, ZNS, Haut- und Muskelgewebe
und verursachen daher multisystemische Infektionen. Benannt werden sie im
Allgemeinen nach dem Krankheitsbild, das sie hervorrufen (z.B. Gelbfiebervirus), oder
nach der Gegend, in der sie zum ersten Mal entdeckt wurden (z.B. Rifttalfieber,
Japanische Enzephalitis). Manche Arboviren (wie das Ross-River-Virus in Australien
und im Pazifikraum) führen zu Arthritis.

827
Das Entwicklungsstadium im Menschen kann für manche Arboviren (z.B. urbane
Form des Gelbfiebers, Dengue-Fieber) lebenswichtig sein, weil sie keine anderen
Vertebraten-Wirte haben, oder eine Art Zufall bzw. Sackgasse sein, wenn sie in ihrem
natürlichen Zyklus nicht unbedingt Menschen als Zwischenwirte benötigen (z.B.
Pferdeenzephalitis).

27.1.1 Gelbfieber

Gelbfieber wird von Mücken übertragen und


beschränkt sich geografisch auf Afrika, Mittel- und
Südamerika und die Karibik
Das Gelbfiebervirus gehört zu den Flaviviren, und es gibt nur einen Antigentyp. Nach
Amerika kam es mit den ersten Sklavenhändlern; der erste Fall trat 1640 in Yucatan
(Mexiko) auf. Das Gelbfiebervirus kann auf zwei unterschiedlichen Wegen übertragen
werden:

■ von Mensch zu Mensch durch Aedes-aegypti- Mücken; auf diese Weise wird
das „urbane“ Gelbfieber aufrechterhalten;

■ von infizierten Affen auf Menschen durch Haemagogus-Mücken; dieses


„Dschungel“-Gelbfieber tritt in Afrika und Südamerika auf.

Gelbfieber wird nicht direkt von Mensch zu Mensch übertragen.

Gelbfieber kann mit leichten Symptomen verlaufen,


doch bei einer Leberschädigung zum Tod führen
Nach einem Mückenstich verbreitet sich das Virus von der Dermis oder Blutgefäßen
aus im ganzen Körper und infiziert Gefäßendothel und Leber. Nach einer
Inkubationszeit von 3–6 Tagen treten dann plötzlich Fieber, Kopf- und
Muskelschmerzen auf. Auch wenn leichte Verläufe möglich sind, führt Gelbfieber
nicht selten zu Erschöpfungs- und Schockzuständen. Eine schwere Leberschädigung
kann tödlich ausgehen. Infolge von Gerinnungsstörungen (meist
Prothrombinmangel) kann es zu gastrointestinalen oder sonstigen inneren Blutungen
(Hämatemesis) kommen. Bei einem Nierenschaden können sich Proteinurie und
seltener eine Tubulusnekrose entwickeln. Die fallbezogene Letalität liegt bei 5–50%.

Die Diagnose wird meist klinisch gestellt; es gibt keine


spezifische Behandlung, wohl aber einen Impfstoff
Im Akutstadium kann das Virus aus Blutproben isoliert werden, und post mortem
lässt sich Gelbfieber anhand von Leberzellnekrosen und azidophilen
Einschlusskörperchen diagnostizieren. Nach rund einer Woche sind virusspezifische
IgM-Antikörper nachweisbar.

Die beste Prävention für alle Expositionsgefährdeten besteht in der Impfung mit
attenuiertem „17D“-Gelbfieber-Lebendimpfstoff. Der Impfschutz hält mindestens

828
10 Jahre an, und zur Ein- oder Durchreise durch endemische Gebiete ist eine Impfung
erforderlich. Eine gesetzliche Impfpflicht besteht auch für Reisende, die aus
Endemiegebieten in Länder wollen, in denen es noch keine Krankheitsfälle, aber die
„richtigen“ Mücken gibt (z.B. aus tropischen afrikanischen Ländern nach Indien). Wie
bei allen Infektionen, die Arthropoden übertragen, sind Bekämpfung der Vektoren
(Insektizide, Suche nach Brutstätten) und Schutzmaßnahmen (Repellenzien,
Moskitonetze) zur Verringerung der Expositionsgefahr wichtig.

27.1.2 Denguefieber

Mücken übertragen das Dengue-Virus und


Infektionen kommen in Südostasien, im Pazifikraum,
in Indien und der Karibik vor
Das Dengue-Virus ist ein Flavivirus mit vier Antigentypen und wird hauptsächlich von
Aedes aegypti-Mücken auf Menschen übertragen. Auch bei Affen ist ein Dengue-
Virus im Umlauf, das − von Mücken auf Menschen übertragen − analog zum
„Dschungel-Gelbfieber“ ein „Dschungel“-Denguefieber hervorrufen kann.

Als Komplikation kann ein hämorrhagisches


Denguefieber-Schocksyndrom auftreten
Die Replikation des Dengue-Virus findet in Monozyten und vermutlich auch im
Gefäßendothel statt. Nach einer Inkubationszeit von 4–8 Tagen entwickeln sich
allgemeines Krankheitsgefühl, Fieber, Kopfschmerzen, Arthralgie, Übelkeit und
Erbrechen, manchmal kommt noch ein makulopapulöser Ausschlag hinzu. In der
Erholungsphase stellen sich häufiger Erschöpfung und Schwäche ein.

Eine besonders schwere Form ist das Dengue-Schocksyndrom mit


hämorrhagischem Fieber und einer Sterblichkeit bis zu 10%. Betroffen sind vor
allem Kinder in Endemiegebieten. In Abb. 27.1 ist die Pathogenese dargestellt. Nach
Erstinfektion mit dem Dengue-Virus bilden sich serotypspezifische Antikörper, die
sich bei späteren Infektionen mit einem anderen Serotyp an das Dengue-Virus binden,
es aber erwartungsgemäß nicht neutralisieren können. Stattdessen verbessern sie
dessen Fähigkeit zur Infektion von Monozyten. Denn das Dengue-Virus kann sich mit
dem Fc-Abschnitt des gebundenen Immunglobulinmoleküls an Fc-Rezeptoren auf
Monozyten heften und auf diesem Weg in sie eindringen, was seine Infektiosität
deutlich steigert.

Aufgrund der größeren Zahl infizierter Monozyten werden vermehrt Zytokine in den
Blutkreislauf freigesetzt (s. Kap. 17), die zu Gefäßschäden, Schock und Blutungen,
besonders im Gastrointestinaltrakt und in der Haut, führen. Obwohl sich bei vielen
Virusinfektionen ähnliche „Verstärker“-Antikörper bilden, sind sie bisher nur für ihre
pathogene Rolle beim hämorrhagischen Dengue-Fieber bekannt.

Gegen Denguefieber gibt es weder antivirale Mittel


noch eine Impfung

829
Dass ein Impfstoff den gefährlichen Typ von Antikörpern induzieren könnte, stellt
eine reale Gefahr dar.

27.1.3 Arbovirus-Enzephalitis

Arboviren verursachen nur gelegentlich eine


Enzephalitis
Sechs der zehn in Tab. 27.1 aufgelisteten Arboviren haben in den USA zu
Enzephalitiden geführt, und auch wenn die meisten Infektionen subklinisch oder mild
verlaufen, kann eine Enzephalitis tödlich ausgehen. Diese Viren replizieren sich zwar
im ZNS, doch einen wesentlicheren Anteil an der Erkrankung haben zellvermittelte
Immunreaktionen auf die Infektion.

Bei Laborangestellten wurden Impfstoffe gegen Arboviren erprobt, die bei Pferden
zur Erkrankung führen, d.h. gegen West- und Ostamerikanische (WEE bzw. EEE =
Western bzw. Eastern equine encephalitis) sowie gegen Venezolanische
Pferdeenzephalitis (VEE); in Japan und Indien ist ein Impfstoff gegen die Japanische
Enzephalitis verfügbar. Die Labordiagnose wird in spezialisierten Zentren
durchgeführt − durch Virusisolierung (eher selten) oder Nachweis eines Titeranstiegs
virusspezifischer Antikörper (üblicher Weg).

Nach 1999 brachen in den USA mehrfach Infektionen mit dem West-Nil-Virus aus.
Davor hatte es noch keine Fallberichte aus westlichen Ländern gegeben. Das Virus
wird (von infizierten Vögeln) durch Culex-Mücken übertragen und kann schwere
Erkrankungen verursachen. Bis Dezember 2002 meldeten die Centers for Disease
Control in den USA landesweit 3775 Erkrankungs- und 216 Todesfälle. Die Infektion
wird klinisch und serologisch diagnostiziert (Fieber >38°C, neurologische Symptome,
erhöhte Zellzahl und Eiweiß im Liquor, evtl. Muskelschwäche).
Abb. 27.1 Pathogenese des hämorrhagischen
Dengue-Fieber-Schocksyndroms.

830
Von den vier Serotypen des Dengue-Virus sind hier Typ 1 und 2 als Beispiele
angeführt. Gegen Typ 1 gerichtete Antikörper verhindern trotz Bindung an das
Dengue-Virus keine Infektion mit Typ 2.

27.1.4 Arboviren und hämorrhagisches Fieber

Arboviren sind in Endemiegebieten weltweit eine


Hauptursache von Fieber

831
Arbovirusinfektionen verlaufen meist subklinisch oder in milder Form, können
gelegentlich aber auch als schwere hämorrhagische Erkrankung in Erscheinung
treten. In Tab. 27.2 sind einige bekanntere Infektionen aufgeführt. Die Labordiagnose
(in Speziallabors) ergibt sich durch Virusisolierung oder Virusgenomnachweis bzw.
einen Antikörperanstieg.

Tab. 27.1 Enzephalitis durch Arboviren.

27.2 Rickettsiosen
Rickettsien sind eine Gruppe Gram-negativer, aerober Stäbchen (s. Kap. 2 und Anhang)
der Gattungen Rickettsia, Coxiella, Ehrlichia und Orientia. Da traditionell auch
Bartonella spp. den Rickettsien zugeordnet wurden, sind sie hier berücksichtigt, obwohl
sich inzwischen durch Genomanalysen Unterschiede zu den Rickettsien ergeben haben.
Bis auf Bartonella spp. handelt es sich um obligat intrazelluläre Parasiten. Sie haben
alle ein Reservoir in Arthropoden oder anderen Tieren (Abb. 27.2) und werden von
Arthropoden auf Menschen übertragen. Nur Coxiella-Infektionen kommen anscheinend
durch Einatmen der Erreger aus Umgebungsquellen zustande. Eine Ansteckung von
Mensch zu Mensch findet nicht statt.

Rickettsien sind kleine Bakterien und verursachen


meist persistierende oder latente Infektionen
1906 entdeckte Howard T. Ricketts das Rocky Mountain spotted fever und konnte
nachweisen, dass sich die Infektion „transovariell“ (über Zeckeneier) unter Zecken

832
weiterverbreitet. Wahrscheinlich waren Rickettsien ursprünglich nur Parasiten
blutsaugender oder anderer Arthropoden, die sich durch vertikale Übertragung erhielten
und keine Zwischenwirte für ihr Überleben benötigten. Sie könnten dann eher zufällig
von Arthropoden auf Vertebraten übertragen worden sein. Auf Arthropoden scheint sich
die Infektion nicht nachteilig auszuwirken.

Rickettsia prowazeki dürfte ein relativ neuer Parasit von Kleiderläusen sein, denn
befallene Läuse sterben 1–3 Wochen nach der Infektion ab. Wie bei vielen anderen von
Arthropoden übertragenen Infektionen findet keine direkte Ansteckung unter Menschen
statt.

Typische Symptome sind Fieber, Kopfschmerzen und


Ausschlag
Rickettsien vermehren sich im Gefäßendothel und rufen Gefäßkrankheiten (Vaskulitis)
in der Haut, im ZNS und in der Leber hervor; es handelt sich also um multisystemische
Infektionen (Tab. 27.3), die trotz vorhandener Immunreaktionen längere Zeit im Körper
persistieren oder latent werden können.

Außer beim Q-Fieber (durch Coxiella burneti) sind Fieber, Kopfschmerzen und
Ausschlag die typischen Symptome. Diagnostisch richtungsweisend können
anamnestische Hinweise auf Kontakte zu Vektoren oder Tierreservoiren der
Rickettsien sein (Camping, Arbeit oder Militäreinsätze in Endemiegebieten).

Tab. 27.2 Fieber- und hämorrhagische Syndrome durch Arboviren.

833
Die Labordiagnose stützt sich auf serologische
Untersuchungen
Spezifische Rickettsien-Tests beruhen auf der Komplementbindungsreaktion (KBR).
Am häufigsten wird jedoch ein indirekter Immunfluoreszenztest auf Antikörper
durchgeführt. Als positives Testergebnis gilt ein vierfach erhöhter Antikörpertiter.
Dass sich bei den Infizierten auch Antikörper gegen Rickettsien bilden, die mit dem
O-Antigen (Polysaccharid) verschiedener Proteus -Stämme kreuzreagieren, lässt sich
durch den Weil-Felix-(Agglutinations-)Test nachweisen.

Das Agglutinationsmuster mit drei Proteus-Stämmen kann auch zur Rickettsien-


Bestimmung herangezogen werden. Es ist zwar ein interessantes Phänomen, doch der
Test hat keinen allzu großen Aussagewert, weil er zu falsch-positiven und falsch-
negativen Ergebnissen führen kann. Eine frühere Diagnose ermöglicht oft die
Fluoreszenzmarkierung von Antikörpern in Hautbiopsien. Wie schwierig und
gefährlich die Isolierung von Rickettsien sein kann, zeigen bereits aufgetretene
Laborinfektionen.

834
Rickettsien sind Tetrazyklin-empfindlich
Als Alternative bietet sich Chloramphenicol an.

Zur Prävention sollten Kontakte mit Vektoren (z.B. Zecken) weitgehend


eingeschränkt oder vermieden werden. Für Soldaten ist ein Totimpfstoff mit R.
prowazeki verfügbar und für alle Hochrisikogruppen (Tierärzte, Soldaten usw.), die
nicht antigensensibilisiert sind, gibt es einen Totimpfstoff mit C. burneti.

27.2.1 Rocky Mountain spotted fever

Bei dem von Hundezecken übertragenen Fleckfieber


beträgt die Letalität bis zu 10%
Auslöser des Rocky Mountain spotted fevers sind Rickettsien, die von Hunde-
(Dermacentor variabilis) oder Waldzecken(Dermacentor andersoni) übertragen
werden und sich vertikal von erwachsenen Zecken auf ihre Eier fortpflanzen.
Menschen infizieren sich vor allem in der warmen Jahreszeit, wenn die Zecken aktiv
werden. Am häufigsten sind Kinder betroffen, bei denen die Krankheit aber milder
verläuft.

Rickettsien vermehren sich an der Zeckenbissstelle, breiten sich dann von der Haut ins
Blut aus und infizieren das Gefäßendothel von Lunge, Milz, Gehirn und Haut. Nach
ca. 1-wöchiger Inkubationszeit entwickeln sich Fieber, starke Kopf- und
Muskelschmerzen sowie oft auch Atemwegssymptome. Einige Tage später erscheint
ein generalisierter makulopapulöser Ausschlag mit Petechien oder Purpura (Abb.
27.3). Neben einer Splenomegalie kommt es häufiger zu einer Nervenbeteiligung,
später treten Gerinnungsstörungen auf (disseminierte intravasale Koagulation, DIC),
die zum Schock und zum Tod führen können. Tödlich enden meist zu spät
diagnostizierte Fälle. Am höchsten ist die Sterblichkeit der 40- bis 60-Jährigen.

835
Abb. 27.2 Typischer Ablauf von Rickettsien-
Infektionen.

Eine direkte Ansteckung kommt bei Menschen nicht vor. Atypisch ist nur das Q-
Fieber (Näheres im Text). Ungewöhnlich am Fleckfieber (Typhus exanthematicus)
ist, dass infizierte Arthropoden absterben, nachdem sie es von Mensch zu Mensch
übertragen haben, und dass sich keine Wunden bilden. ZNS = zentrales
Nervensystem

836
27.2.2 Mittelmeer-Fleckfieber (Boutonneuse-Fieber)

Das von Hundezecken übertragene Fleckfieber weist


eine Letalität bis zu 10% auf
Auslöser dieser Rickettsiose ist Rickettsia conori, und der Überträger sind
Hundezecken (Rhipicephalus sanguineus). Menschen infizieren sich vorwiegend im
Oktober. Die in allen Mittelmeerländern bekannte Krankheit kann in städtischen und
ländlichen Gebieten auftreten. Nach rund 1-wöchiger Inkubationszeit entwickeln sich
bei 50% der Infizierten Fieber, Myalgie und Kopfschmerzen, 2–4 Tage später
kommt noch Ausschlag hinzu, besonders an den Handinnenflächen und Fußsohlen.
Oft bleibt der Zeckenbiss völlig unbemerkt, weil er von unreifen Zecken ausgeht und
schmerzlos ist; nur unregelmäßig ist eine lokale Läsion zu sehen. Bei
Krankenhauspatienten ist die Letalität ähnlich hoch wie beim Rocky Mountain spotted
fever (bis zu 10%).

27.2.3 Rickettsien-Pocken

Dabei handelt es sich um eine leichte Infektion


Fünf Tage nach dem Biss einer infizierten Milbe kann sich eine lokale Wunde
entwickeln, auf die eine Woche später Fieber und Kopfschmerzen folgen. Wenige
Tage danach zeigt sich ein generalisierter Ausschlag mit Pusteln und Bläschen, doch
die Krankheit verläuft in sehr abgemilderter Form.

27.2.4 Epidemisches Fleckfieber

Überträger des Fleckfiebers sind Kleiderläuse


Das epidemische Fleckfieber breitet sich über Kleiderläuse(Pediculus humanus) unter
Menschen aus. Auslöser sindRickettsia prowazeki, die sich im Darmepithel der Läuse
vermehren und beim Blutsaugen mit deren Kot ausgeschieden werden. Durch Kratzen
an der Bissstelle gelangen die Rickettsien in die Haut. Die Rickettsiose kann aber nur
Bestand haben, wenn ausreichend viele Menschen mit Läusen befallen sind.

Das epidemische Fleckfieber ist eine klassische Begleiterscheinung von Armut und
Krieg, da sich die Menschen unter solchen Bedingungen seltener waschen (weder
Körper noch Kleidung). In den Jahren von 1918 bis 1922 gab es in Osteuropa und in
der Sowjetunion rund 30 Millionen Fälle. Noch immer tritt die Krankheit in Afrika,
Mittel- und Südamerika auf, seltener in den USA. Da keine direkte Übertragung von
Mensch zu Mensch stattfindet, gelingt es im Allgemeinen, Epidemien durch
Entlausungskampagnen zu beenden.

Unbehandelt steigt die Letalität auf 60% an


Rickettsien vermehren sich an der Bissstelle, bevor sie ins Blut übergehen und das
Endothel von Haut-, Herz-, ZNS-, Muskel- und Nierengefäßen infizieren. Etwa eine
Woche nach einem Läusebiss (der keine Wunde hinterlässt) entwickeln sich Fieber,

837
Kopfschmerzen und grippeartige Symptome. 5–9 Tage danach erscheint ein
generalisierter makulopapulöser Ausschlag, und gelegentlich kommt noch eine
schwere Meningoenzephalitis mit Delirium und Koma hinzu. In unbehandelten Fällen
kann die Letalität von 20% bei ansonsten gesunden Patienten auf 60% bei älteren oder
geschwächten Patienten ansteigen, wenn Komplikationen wie ein peripherer
Gefäßverschluss oder eine sekundäre bakterielle Pneumonie auftreten.

Die Rekonvaleszenz kann Monate dauern. Bei manchen Patienten werden die
Rickettsien trotz klinischer Genesung nicht vollständig aus dem Körper entfernt,
sondern bleiben in den Lymphknoten zurück. Noch 50 Jahre später kann eine
Reaktivierung der Infektion zur Brill-Zinsser-Krankheit führen und die Patienten
erneut zur Infektionsquelle für alle möglichen Läuse werden lassen.

27.2.5 Endemisches Fleckfieber


Das endemische Fleckfieber wird durch Rickettsia typhi ausgelöst und von
Rattenflöhen auf Menschen übertragen. Die Krankheit gleicht dem epidemischen
Fleckfieber, verläuft aber in schwächerer Form.

27.2.6 Tsutsugamushi-Fieber
Auslöser des Tsutsugamushi-Fiebers (engl. scrub typhus, „Buschfieber“) ist Orientia
tsutsugamushi. Auf Menschen wird es von Milben(Trombicula) übertragen. Dieses
Fieber tritt nur in fernöstlichen Ländern auf, vereinzelt hatten sich auch amerikanische
Soldaten im Vietnamkrieg infiziert. Die Rickettsien sichern ihren Fortbestand in Milben
durch infizierte Eier (transovariellen Transfer) und werden beim Blutsaugen auf
Menschen oder Nagetiere übertragen.

Tab. 27.3 Wichtige Rickettsiosen des Menschen


* vertikale Übertragung in Arthropoden
** außer Menschen sind vermutlich noch andere Vertebraten beteiligt

838
*** andere Rickettsien übertragen in Afrika, Indien und Australien ein ähnliches
Zeckenbiss-Fieber
* extrazelluläre Vermehrung; im I. Weltkrieg infizierten sich 1 Million Soldaten
** in Fort Chaffe, Arkansas, isoliert; befällt Lymphozyten, Monozyten und
Neutrophile

839
Abb. 27.3 Generalisierter makulopapulöser
Ausschlag mit petechialen Blutungen bei Rocky
Mountain spotted fever.

(Mit freundlicher Genehmigung von T.F. Sellers jr.)

An der Bissstelle bildet sich eine Wunde und etwa fünf Tage danach erscheint ein
fleckförmiger Ausschlag.

27.3 Borrelieninfektionen (Borreliosen)

27.3.1 Rückfallfieber

Die epidemische Form des Rückfallfiebers wird von


Borrelia recurrentis verursacht und durch Läuse auf
Menschen übertragen
Borrelia recurrentis ist eine Gram-negative Spirochäte mit unregelmäßigen
Windungen, kann 10–30 μm lang werden und ist äußerst beweglich (Dreh- und
schraubende Bewegungen). Die Übertragung durch Körperläuse(Pediculus humanus)
kann ein epidemieartiges Rückfallfieber auslösen (Abb. 27.4). Die Bakterien
vermehren sich in Läusen und können z.B. in Bisswunden gerieben werden, wenn die
Läuse beim Blutsaugen zerquetscht werden. Bei dieser Form des Rückfallfiebers sind
Läuse entscheidend für die Übertragung zwischen Menschen.

Wie andere Infektionen durch Läuse (z.B. Fleckfieber) breitet sich die Krankheit
besonders gut unter Bedingungen aus, unter denen sich Menschen nur selten waschen

840
oder ihre Kleidung wechseln können (Krieg, Naturkatastrophen). Bei der letzten
großen Epidemie während des II.Weltkriegs starben in Nordafrika und Europa 50000
Menschen an Rückfallfieber.
Abb. 27.4 Übertragungswege des Rückfallfiebers.

Die endemische Form des Rückfallfiebers wird durch


Zeckenbisse auf Menschen übertragen
In vielen Teilen der Welt (unter anderem im Westen der USA) kommt eine
endemische Infektion mit anderen Borrelien-Spezies bei Nagetieren vor. Auf
Menschen werden sie von Weichzecken(Ornithodorus) übertragen. Innerhalb der
Zeckenpopulationen findet eine transovarielle Übertragung auf nachfolgende
Generationen statt. Dass Zecken bis zu 15 Jahre ohne Nahrung (Blut) überstehen
können, trägt mit dazu bei, den Zyklus des endemischen Zeckenbiss-Rückfallfiebers
aufrechtzuerhalten.

841
Abb. 27.5 Verlaufsphasen des Rückfallfiebers.

Die für Rückfallfieber typischen wiederholten


Fieberepisoden beruhen auf einer Antigenvariation
dieser Spirochäten
Nach ihrer lokalen Vermehrung gehen die Bakterien ins Blut über. Die Inkubationszeit
dauert 3–10 Tage, bevor plötzlich Schüttelfrost und Fieber auftreten, die 3–5 Tage
anhalten (Abb. 27.5). Nach einem fieberfreien, ca. 1-wöchigen Intervall folgt eine
zweite Fieberattacke mit anschließendem fieberfreiem Intervall. Im Allgemeinen
schwächen sich die Symptome nach 3–10 Episoden wieder ab. Schwerere
Verlaufsformen sind nach bakterieller Überwucherung von Milz, Leber und Nieren
möglich.

Sobald sich agglutinierende und lysierende Antikörper gebildet haben, werden die
Borrelien aus dem Körper entfernt. Unter dem Druck dieser Immunantwort taucht
rasch ein neuer Antigentyp auf, der sich ungehindert vermehren und eine neue
Fieberepisode auslösen kann.

Zur Antigenvariation kommt es durch ein „Switching“ unterschiedlicher


Oberflächenproteine. Borrelien sind mit einem Bündel von Genen (variable large
proteins [Vlp] und variable small proteins [Vsp]) ausgestattet, die unter Beteiligung
der Plasmide, die Sammlungen dieser Gene mit sich tragen, umgewandelt und
aktiviert werden können. Die Genkonversion hat zur Folge, dass sich aus einem
einzelnen Bakterienklon spontan ca. 30 Serotypen entwickeln können. In jeder
Borreliengeneration findet mit einer Häufigkeit von 1:1000 bis 1:10000 ein
„Switching“ statt. Ganz ähnlich verhält es sich mit Trypanosomen.

Eine Direktübertragung zwischen Menschen kommt nicht vor. Die Letalität liegt
beim endemischen (Zeckenbiss-)Rückfallfieber unter 5%, kann aber bei der
epidemischen Form (durch Läuse) auf fast 40% ansteigen.

842
Rückfallfieber wird mit Labormethoden diagnostiziert
und mit Tetrazyklinen behandelt
Borrelien können im Labor angezüchtet werden und nach Giemsa-Färbung in
Blutausstrichen, die während der Fieberphase entnommen wurden, sichtbar sein (Abb.
27.6). Angesichts der häufigen Antigenvariation sind die verfügbaren Antikörpertests
(Komplementbindungsreaktion) meist nicht besonders hilfreich.
Abb. 27.6 Stark gewundene schraubenförmige
Spirochäte (Borrelia recurrentis) im Blut eines
Patienten mit Rückfallfieber.

(Mit freundlicher Genehmigung von T.F. Sellers jr.)

Zur Behandlung und zur Prävention von Rezidiven wird Tetrazyklin eingesetzt. Die
beste Vorbeugung besteht aber darin, möglichst jeden Kontakt mit Vektoren zu
vermeiden.

843
27.3.2 Lyme-Krankheit

Die Lyme-Krankheit wird von Borrelien verursacht und


von Ixodes-Zecken übertragen
Die Lyme-Krankheit, die in Europa, den USA und auf den meisten anderen
Kontinenten vorkommt, ist nach einer Stadt in Connecticut benannt, in der 1975 die
ersten Fälle auftraten. Auslöser sind Borrelia burgdorferi (USA) oder auch andere
Borrelien-Spezies. Sie werden von Schildzecken(Ixodes) auf Mäuse oder Rehwild
übertragen (Abb. 27.7) und durchlaufen in ihnen ihren natürlichen Infektionszyklus.
Menschen infizieren sich über infizierte Zecken (Larven-, Nymphen- oder
Erwachsenenstadium). In Europa und den USA tritt die Infektion gehäuft in den
Sommermonaten auf, weil ein Zeckenbiss bei Freizeitaktivitäten im Freien
wahrscheinlicher ist. Eine Ansteckung von Mensch zu Mensch findet nicht statt.

Typisches Symptom der Lyme-Krankheit ist ein


Erythema chronicum migrans
Nach lokaler Vermehrung der Bakterien und ca. 1-wöchiger Inkubationszeit
entwickeln sich Fieber, Kopfschmerzen, Myalgie, Lymphadenopathie und eine
typische Hautläsion an der Bissstelle. Die Bezeichnung „Erythema chronicum
migrans“ beschreibt schon die wesentlichen Merkmale (Abb. 27.8). Der anfängliche
Fleck vergrößert sich im Laufe weniger Wochen zu einem flachen, ringförmig
geröteten Erythem von mehreren Zentimetern Durchmesser mit abblassendem
Zentrum. Bei rund 50% der Patienten erscheinen auch an anderen Hautstellen
flüchtige Exantheme. Immunologisch lassen sich zirkulierende Immunkomplexe
nachweisen, manchmal sind auch die Serum-IgM-Werte erhöht oder IgM-
Kryoglobuline vorhanden.

844
Abb. 27.7 Übertragungsweg der Lyme-Krankheit.

Eine Woche bis zwei Jahre nach den ersten


Symptomen können sich weitere
Krankheitssymptome entwickeln
Ohne Behandlung treten bei rund 75% der Patienten trotz Antikörperbildung und T-
Zell-Antwort auf die Lyme-Borreliose später noch weitere Krankheitszeichen auf. Das
kann eine Woche, aber auch noch bis zu zwei Jahre nach den ersten Symptomen der
Fall sein. Als Erstes zeigen sich neurologische (Meningitis, Enzephalitis, periphere
Neuropathie) und kardiologische Störungen (Herzblock, Myokarditis), danach
kommt es durch Immunkomplex-Ablagerung in den Gelenken zu Arthralgie und
Arthritis, die monate- oder jahrelang anhalten können.

Diese späten Erscheinungsformen der Lyme-Krankheit sind immunologisch bedingt


und beruhen vermutlich auf einer Kreuzreaktivität zwischen Borrelien-Antigenen
und dem Wirtsgewebe. Borrelien selbst sind in diesem Stadium nur sehr selten
nachzuweisen.

845
Abb. 27.8 Erythema chronicum migrans am Bein
eines Patienten mit Lyme-Krankheit.

(Mit freundlicher Genehmigung von E. Sohn)

Die Lyme-Krankheit wird serologisch diagnostiziert


und antibiotisch behandelt
In Hautbiopsien sind nur selten Borrelien zu finden; wenn doch, lassen sie sich
höchstens in Proben aus Frühstadien isolieren, wobei der Nachweis Wochen dauern
kann. Daher wird die Lyme-Krankheit primär klinisch und aufgrund anamnestischer
Hinweise auf einen Zeckenbiss diagnostiziert. Bei entsprechender Indikation können
serologische Untersuchungen (ELISA, enzyme-linked immunosorbent assay, oder
IFA, indirekter Fluoreszenz-Antikörpertest) weiterhelfen.

3–6 Wochen nach der Infektion sind spezifische IgM-Antikörper nachweisbar, in


späteren Stadien auch IgG-Antikörper. IgM-Antikörper können im Anfangsstadium
der Erkrankung jedoch auch vollkommen fehlen. Eine Kreuzreaktivität der Antigene
kann zu falsch-positiven Ergebnissen führen.

Im Frühstadium sind Doxycyclin oder Amoxicillin wirksam, doch in Spätstadien


muss, besonders bei neurologischen Komplikationen, eine aggressivere Form der
Behandlung gewählt werden (i.v. Penicillin oder Ceftriaxon über mehrere Wochen).
Zur Vorbeugung der Lyme-Krankheit sollte man sich vor Zeckenbissen schützen.

846
27.4 Protozoeninfektionen

27.4.1 Malaria

Malaria beginnt mit dem Stich einer infizierten


weiblichen Anopheles-Mücke
Malaria beschränkt sich weitgehend auf Gebiete mit Brutstätten dieser Mücken, d.h.
auf die Tropen zwischen dem 60. nördlichen und 40. südlichen Breitengrad (außer
höher gelegenen Regionen über 2000 m). Von Bedeutung ist sie hauptsächlich in
Afrika, Indien, Fernost und Südamerika. Seitdem sich Resistenzen gegen
Malariamittel und Insektizide entwickelt haben, nimmt die Zahl der Malariafälle
weltweit zu. Schätzungsweise ein Drittel (35%) der Weltbevölkerung ist infiziert,
und auf jährlich 10 Millionen Neuerkrankungen kommen etwa 2 Millionen Todesfälle.

Durch häufiger gewordene Fernreisen treten jetzt auch in den entwickelten Ländern
regelmäßig neue Fälle auf. Wenn Ärzte bei der Diagnose nicht regelmäßig auch an
Malaria denken, hat das Unterbleiben der lebenswichtigen Behandlung unter
Umständen tödliche Folgen. Malaria kann auch über Blut (Transfusion, versehentliche
Nadelstichverletzung) oder sehr selten von der Mutter auf den Fetus übertragen
werden.

Der Entwicklungszyklus der Malariaparasiten umfasst


drei Stadien
Vier Plasmodien-Arten können bei Menschen Malaria verursachen; davon ist
Plasmodium falciparum die virulenteste (Tab. 27.4). Da sie alle ähnliche
Entwicklungszyklen mit drei völlig verschiedenen Stadien und abwechselnd extra-
und intrazellulären Formen durchlaufen, gehört Malaria zu den komplexesten
Infektionen des Menschen (Abb. 27.9 und 27.10).

Das Eindringen in rote Blutkörperchen setzt mindestens zwei getrennte Rezeptor-


Liganden-Interaktionen voraus; Dass die meisten Westafrikaner resistent gegen P.
vivax sind, lässt sich durch das Fehlen des Duffy-Antigens (Oberflächenrezeptor auf
roten Blutzellen) erklären. Gegen Malaria resistent machen auch andere genetische
Merkmale, wie Hämoglobin S (Sichelzellanämie), β-Thalassämie und Glukose-6-
Phosphat-Dehydrogenase-Mangel.

847
Tab. 27.4 Malariaparasiten des Menschen.

848
Abb. 27.9 Malaria – Entwicklungszyklus der
Parasiten in Menschen und Mücken.

In der symptomfreien (präerythrozytären) Phase gelangen Sporozoiten beim Stich


einer infizierten Anopheles-Mücke über den Speichel ins Blut des Menschen (1).
Sie dringen dann in Leberparenchymzellen ein (2). Dort reifen sie in zwei Wochen
zu Gewebeschizonten heran (4), die schließlich aufplatzen und 10000 bis 40000
Merozoiten freilassen (5). Für ein paar Minuten kreisen die Merozoiten frei im
Blut, dann beginnt mit ihrem Eindringen in rote Blutkörperchen (6) das asexuelle
Blutstadium. Einzelne Parasiten bleiben als „schlummernde“ Hypnozoiten (3) in

849
der Leber zurück, von denen Rezidive ausgehen können. In Blutzellen reifen die
Merozoiten zu Ringformen (7), Trophozoiten (8) und Schizonten (9) heran. Der
Entwicklungszyklus endet damit, dass Merozoiten zurück in den Blutkreislauf
gelangen (10). Diese Phase kann Monate oder sogar Jahre dauern. Einige
Merozoiten gehen allerdings in ein sexuelles Stadium über, so dass sich in den
roten Blutkörperchen männliche und weibliche Gametozyten (11) entwickeln, die
beim Blutsaugen von Anopheles-Mücken aufgenommen werden können. Im Darm
der Insekten werfen die männlichen Gametozyten ihre Geißel ab (12) und werden
zu Mikrogameten, die weibliche Gameten befruchten und Zygoten bilden (13).
Nach Invasion der Darmmukosa (14) werden die Zygoten zu Oozysten (15), aus
denen wieder tausende Sporozoiten (16) entstehen. Die Sporozoiten wandern aus
dem Darm der Mücken (17) in die Speicheldrüsen ein (18) – und damit schließt
sich der Kreis. Ein neuer Infektionszyklus kann beginnen.
Abb. 27.10 Verschiedene Stadien von
Malariaparasiten.

a) Plasmodium falciparum-Ringformen in roten Blutkörperchen, b) Blutschizont


von Plasmodium vivax, c) weiblicher P.-falciparum- Gametozyt, d) männlicher P.
vivax- Gametozyt, der nach Abwerfen der Geißel zu einem 20–25 μm langen
Mikrogameten wird.

Malariasymptome sind undulierendes Fieber und


starke Schweißausbrüche
Das Symptomenspektrum reicht von Fieber bis zu einer tödlichen Hirn- oder
Nierenkrankheit. Klinische Zeichen treten ausschließlich während des asexuellen
Blutstadiums auf (Abb. 27.9). Das Krankheitsbild hängt weitgehend vom Alter und
Immunstatus des Patienten sowie von der Plasmodien-Spezies ab.

Als Leitsymptom entwickelt sich Fieber; nach dem Aufplatzen der Blutschizonten
wird es hauptsächlich durch Zytokine wie Interleukin 1 (IL-1) und
Tumornekrosefaktor (TNF) ausgelöst. Aufgrund des synchronen Entwicklungszyklus
der Malariaparasiten in Erythrozyten zeigt sich ein typisches Fiebermuster mit
Schwankungen (Abb. 27.11): je nach Erreger in einem 48-Stunden- (Malaria tertiana
am 1. und 3. Tag) oder 72-Stunden-Rhythmus (Malaria quartana am 1. und 4. Tag).

Der Fieberanfall (Paroxysmus) beginnt mit starkem Schüttelfrost (Kältezittern),


gefolgt von einer heiß-trockenen Phase und abschließend einem heftigen

850
Schweißausbruch. Recht häufig kommen Kopf- und Muskelschmerzen mit Erbrechen
vor. Übergelagerte unregelmäßige (nicht synchrone) Zyklen können bei einer
Falciparum-Malaria auch zu täglichen abendlichen Fieberattacken führen. In dem Fall
wird möglicherweise irrtümlich eine Grippe oder andere fieberhafte Erkrankung
diagnostiziert. Oft sind Milz und Leber vergrößert, und eine Anämie ist fast schon die
Regel.

Zu den Komplikationen gehören zerebrale Malaria,


schwere Anämie, Hypoglykämie, Laktatazidose und
Glomerulonephritis
Wenn es zu keiner Reinfektion kommt, verläuft eine Malaria durch P. vivax, P. ovale
und P. malariae normalerweise selbstlimitierend; allerdings kommen auch Rückfälle
vor. Dagegen kann eine Falciparum-Malaria aufgrund unterschiedlicher
Komplikationen schon in den ersten zwei oder drei Wochen tödlich enden (Tab. 27.4).
Noch Monate oder sogar Jahre später sind besonders nach Infektionen mit P. vivax
Rezidive möglich, die von persistierenden Parasiten (Hypnozoiten) in der Leber
ausgehen.
Abb. 27.11 Malaria-Fieberkurven.

Spitzen dieser zyklischen Temperaturschwankungen fallen mit dem Heranreifen


und Aufbrechen der Blutschizonten zusammen. Das geschieht bei synchronisierten
(regelmäßigen) Zyklen alle 48 Stunden (P. falciparum, P. vivax und P. ovale) bzw.
alle 72 Stunden (P. malariae).

Mit Komplikationen verläuft eine Falciparum-Malaria vor allem bei Kindern (im
Alter von 6 Monaten bis 5 Jahren) und Schwangeren (besonders Erstgebärenden),
doch im Grunde kann es jeden treffen, der nicht immun ist (z.B. Touristen). Am
gefährlichsten ist die zerebrale Malaria mit stärker werdenden Kopfschmerzen,
Nackensteife, Krämpfen und Koma. Als Ursache kommen infizierte Erythrozyten in

851
Hirnkapillargefäßen, gesteigerte Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke oder
überschießende Zytokinbildung (z.B. von TNF) in Betracht. Nach erfolgreicher
Behandlung bleiben meist nur minimale oder keine Einschränkungen der
Hirnfunktionen zurück. Doch bei 5–10% der Kinder können sich neurologische oder
psychische Folgen bemerkbar machen.

Dass es fast regelmäßig zu einer schweren Anämie kommt, liegt zum Teil an der
Zerstörung roter Blutkörperchen und zum Teil an der Dyserythropoese des
Knochenmarks. Von den sonstigen Komplikationen tragen vermutlich vor allem
Hypoglykämie und Laktatazidose zur Sterblichkeit bei. Auch eine Immunkomplex-
Glomerulonephritis kommt häufiger vor, und ein fortschreitendes nephrotisches
Syndrom entwickelt sich bevorzugt bei Malaria quartana (P. malariae).

Malaria wirkt immunsuppressiv


Epidemiologisch besteht eine starke Korrelation zwischen Malaria und endemischem
Burkitt-Lymphom, worin sich vermutlich die verringerte Zytotoxizität von T-Zellen
gegen EBV-infizierte Zellen widerspiegelt. Auch die Wirkung von Impfstoffen gegen
gängige Virus- oder bakterielle Infektionen kann durch Malaria eingeschränkt sein.

Die allmähliche Entwicklung einer Immunität setzt


anscheinend wiederholten Antigenkontakt voraus
Da Kinder in Endemiegebieten mit etwa fünf Jahren resistent gegen eine schwere
Malaria werden, wenn sie frühe Episoden überlebt haben, kann sich offenbar
stufenweise eine Immunität gegen Malaria entwickeln. Bis zum Erwachsenenalter
sinken die Parasitenspiegel immer weiter ab, bis sie nur noch niedrig oder die meiste
Zeit nicht nachweisbar sind. Bleibt der Antigenkontakt jedoch auch nur ein Jahr aus,
verliert sich die Immunität großenteils wieder, d.h., zu ihrer Aufrechterhaltung sind
offenbar wiederholte Infektionen erforderlich. Umstritten ist noch der beteiligte
Immunmechanismus, doch wie es scheint, spielen sowohl antikörper- als auch
zellvermittelte Immunität eine Rolle (Abb. 27.12).

852
Diagnostiziert wird Malaria anhand von befallenen
Zellen in Blutausstrichen
Dünne Blutausstriche und ein Dicker Tropfen (dicker getrockneter Blutstropfen)
werden mikroskopisch auf das Vorhandensein von Plasmodien und ihren
Entwicklungsformen untersucht. Da spätere Stadien (Schizonten) in tieferen Geweben
sequestiert sein können, lassen sich oft nur enttäuschend wenig oder keine Parasiten
mehr im peripheren Blut nachweisen. Wenn bei Patienten mit Fieber und Anämie,
Splenomegalie oder Hirnzeichen eine Malaria im Bereich des Möglichen liegt, sollten
sie am besten gleich so behandelt werden, als ob sie Malaria hätten.
Abb. 27.12 Immunität gegen Malaria.

Bezogen auf das jeweilige Malariastadium sind die Immunmechanismen


dargestellt, die für die Entwicklung der Immunität verantwortlich sein dürften.

853
IFN = Interferon, IL = Interleukin, TNF = Tumornekrosefaktor, ROI bzw. RNI =
reaktive Sauerstoff- (oxygen) bzw. Stickstoff-Zwischenprodukte (nitrogen
intermediates), ECP = eosinophil-kationisches Protein

Allerdings muss das Vorhandensein von Parasiten im Blut bei Patienten aus
Endemiegebieten nicht unbedingt heißen, dass Malaria die Krankheitsursache ist, da
es eine asymptomatische Parasitämie sein kann. Ein Antikörpernachweis (mit
Immunfluoreszenztest oder ELISA) bestätigt eine Infektion, und wenn IgM-
Antikörper überwiegen, spricht das für eine erst kurz zurückliegende Malariaepisode.
Der Antikörpernachweis spielt für die Akutdiagnostik der Malaria jedoch keine Rolle.

Chinin ist das Mittel der Wahl bei lebensbedrohlicher


Malaria
In lebensbedrohlichen Malariafällen bleibt Chinin das Mittel der Wahl. Zu den
Komplikationen einer Chinintherapie gehört eine massive intravaskuläre Hämolyse
(„Schwarzwasserfieber“). Wichtige Malariamittel sind außerdem Chloroquin
(zunehmende Resistenz bei P. falciparum), Mefloquin, Doxycyclin und das
chinesische Quing-hao-su (Artemisia). Um Rezidiven vorzubeugen, wird Primaquin
eingesetzt.

Die beste Prävention sind mit Insektenmitteln (Repellenzien) imprägnierte


Moskitonetze. Die Erfolgsaussichten für Impfstoffe werden in Kap. 34 diskutiert.

27.4.2 Trypanosomiasis

Erkrankungen des Menschen verursachen drei


Trypanosomen-Spezies
Trypanosoma brucei gambiense und Trypanosoma brucei rhodesiense führen zur
Afrikanischen Trypanosomiasis oder Schlafkrankheit und T. cruzi zur
Südamerikanischen Trypanosomiasis oder Chagas-Krankheit. Zwischen beiden
Krankheitsformen bestehen erhebliche Unterschiede hinsichtlich:

■ des (Insekten-)Vektors

■ der Lokalisation des Parasitenbefalls

■ der Auswirkungen auf das Immunsystem

854
Afrikanische Trypanosomiasis

Die von Tsetsefliegen übertragene Afrikanische


Trypanosomiasis beschränkt sich auf Äquatorialafrika
Überträger ist die TsetsefliegeGlossina, und als Infektionsreservoir dienen Haus- und
Wildtiere (Schafe, Schweine, Rehe). Bei Menschen bleibt T. brucei ein extrazellulärer
Parasit, der sich zuerst in der Nähe der Bissstelle aufhält, bevor er aus dem Gewebe
ins Blut übergeht, wo er sich rasch und kontinuierlich durch Zellteilung vermehrt.

Symptome sind Lymphadenopathie und


„Schlafkrankheit“
Nach dem Biss einer infizierten Tsetsefliege entwickelt sich eine lokale
Weichteilschwellung mit ausgedehnter Lymphknotenvergrößerung, vor allem im
Nacken (Winterbottom-Zeichen, Abb. 27.13a). Infolge der Blutinvasion und raschen
Vermehrung der Trypanosomen treten Fieber, Splenomegalie und oft Zeichen einer
Myokardbeteiligung auf.

Bei einem ZNS-Befall (stärker bei der ostafrikanischen Form durch T. b. rhodesiense
als bei der westafrikanischen Form durch T. b. gambiense) kommt es zu zunehmenden
Kopfschmerzen, psychischen Veränderungen („stille Trauer“), unersättlichem Hunger
und Gewichtsverlust, bevor die Patienten ins Koma fallen („Schlafkrankheit“, Abb.
27.13b) und sterben. Anders als Malaria heilt eine Trypanosomiasis zum Teil mit
schweren neurologischen Restzuständen und geistigen Defiziten aus.

Durch Antigenvariation seiner Glykoproteinhülle


entgeht T. brucei der Wirtsabwehr
Dass T. brucei ungehindert im Blut kreisen kann, liegt an der enormen
Antigenvariabilität seiner Glykoproteinhülle, die auf dem „Switching“ einiger seiner
tausend Gene beruht. Die hohe IgM-Konzentration im Blut und später auch im Liquor
kommt durch Plasmazellen (Mott-Zellen) zustande, die sich wie eine perivaskuläre
Manschette um die Hirnblutgefäße legen und Ausdruck einer Lymphozyteninfiltration
sind (Abb. 27.14).

855
Die Afrikanische Trypanosomiasis wird durch
(mikroskopischen) Parasitennachweis diagnostiziert
und mit unterschiedlichen Mitteln behandelt
T. brucei kann in Lymphknotenbiopsien oder in späteren Stadien auch im Liquor
(CSF) nachgewiesen werden. Gestützt wird die Diagnose durch eine bis zu 16fach
erhöhte IgM-Konzentration im Serum.

Besonders in chronischen Fällen waren arsenhaltige Medikamente wie Tryparsamid


und Melarsoprol Stützpfeiler der Therapie, während in akuten Stadien Mittel wie
Suramin, Nitrofurazon oder Pentamidin angewandt werden, die kein Arsen enthalten.
Pentamidin ist Mittel der Wahl zur Prophylaxe. Die Bekämpfung von Tsetsefliegen
gestaltet sich schwierig, auch wenn verbreitet Insektizide zum Einsatz kommen.
Moskitonetze sind nutzlos, weil die Fliegen tagsüber beißen/stechen.
Abb. 27.13 Afrikanische Trypanosomiasis.

a) Vergrößerter Nackenlymphknoten (Winterbottom-Zeichen), b) Koma


(Schlafkrankheit) infolge einer generalisierten Enzephalitis. Mit freundlicher
Genehmigung von P.G. Janssens (a) sowie M.E. Krampitz und P. de Raadt (b).

856
Abb. 27.14 Lymphozyteninfiltration eines
Hirnblutgefäßes als Zeichen einer Trypanosoma-
brucei-Infektion.

Hämatoxylin-Eosin-Färbung (mit freundlicher Genehmigung von R. Muller und


J.R. Baker).

Chagas-Krankheit

T. cruzi wird von Raubwanzen übertragen


Da T. cruzi von Raubwanzen (Reduviidae, „kissing bug“) übertragen wird, die nicht
fliegen können, beschränkt sich die Krankheit auf Gegenden mit ärmlichen
Wohnverhältnissen. Als Infektionsreservoir können alle möglichen Säugetiere
dienen. Der Parasit befällt vor allem Makrophagen und Herzmuskelzellen des Wirts.

Zu den schweren Langzeitfolgen der Chagas-


Krankheit gehört auch eine tödliche Herzkrankheit
An der infizierten Stelle können sich Weichteilschwellungen („Chagrome“)
entwickeln. Sie sind mit einer flüchtigen fiebrigen Krankheit verbunden, die in sehr
seltenen Fällen zum Tod durch Herzversagen führen kann. Nach Invasion der
Wirtszellen schreitet die Krankheit nur sehr langsam voran und wird chronisch. Bis
sich Herz- und Darmbeteiligung als die beiden Leitsymptome zeigen, können Jahre
vergangen sein.

Haupttodesursache ist eine Myokarditis, die auf einer Zerstörung des Herzmuskels
(durch den Parasitenbefall) mit progredienter Schwäche und Ventrikeldilatation
beruht (Abb. 27.15). Dabei spielen vermutlich auch autoimmune Einflüsse durch

857
kreuzreagierende Antigene eine Rolle. Ähnliche Vorgänge in Nervenzellen des
Verdauungstrakts führen zur Weitstellung mit aufgehobener Peristaltik; zwei übliche
Erscheinungsformen sind daher Megaösophagus und Megakolon.

Die chronische Form wird meist serologisch


diagnostiziert
In der Akutphase können Parasiten im Blutausstrich nachweisbar sein, doch die
chronische Chagas-Krankheit wird meist serologisch oder durch „Xenodiagnose“
festgestellt.
Abb. 27.15 Amastigote Form von Trypanosoma
cruzi im Herzmuskelgewebe bei der Chagas-
Krankheit.

Hämatoxylin-Eosin-Färbung (mit freundlicher Genehmigung von H. Tubbs).

In Verdachtsfällen lässt man „saubere“ Raubwanzen auf Patienten Blut saugen. Ein,
zwei Monate später wird ihr Darminhalt untersucht oder nach Homogenisierung
Mäusen injiziert, bei denen bereits ein einziger Erreger zur manifesten Infektion
führt. In späteren Stadien kann die Diagnose auch anhand von Muskelbiopsien
gestellt werden. Nachweisverfahren mit der Polymerasekettenreaktion (PCR)
befinden sich in Entwicklung.

Die Chagas-Krankheit ist nur schwer heilbar. Gegen die Blutstadien


(Trypomastigoten) sind zwar verschiedene arsenhaltige Mittel wirksam, doch die
amastigoten intrazellulären Formen lassen sich damit kaum beseitigen. Im Idealfall
sind bessere Wohn- und Lebensverhältnisse die beste Prävention. Die Vektoren mit
Insektiziden zu bekämpfen erweist sich als schwierig, und bis die Forschung nach
einem Impfstoff praktischen Erfolg hat, dürften noch Jahre vergehen.

27.4.3 Leishmaniose

858
Leishmanien werden von Sandfliegen übertragen und
rufen verschiedene Formen einer Leishmaniose
hervor
Leishmanien verursachen in Ländern der Alten und Neuen Welt Erkrankungen (Tab.
27.5). In Ländern der Neuen Welt bilden Hunde ein wichtiges Infektionsreservoir.
Alle Leishmaniosen werden von Sandfliegen übertragen.

Tab. 27.5 Leishmanien: Spezies, Verbreitung und


Krankheitssymptome.

Leishmanien sind intrazelluläre Parasiten und befallen


Makrophagen
Im Allgemeinen umgehen Leishmanien die Abwehr der Makrophagen (Abb. 27.16),
solange sie nicht zu stark aktiviert sind, z.B. durch Interferon-γ (IFNγ). Hauptsächlich
befallen werden:

■ Leber und Milz (bei der viszeralen Leishmaniose)

■ Haut (bei der Hautleishmaniose)

Unbehandelt führt die viszerale Leishmaniose (Kala-


Azar) zu Leberversagen

859
Eine viszerale Leishmaniose (oder Kala-Azar) entwickelt sich meist schleichend mit
Fieber und Gewichtsverlust; Monate oder Jahre später kommt es zu einer Hepato- und
vor allem Splenomegalie. Unbehandelt sterben die Patienten an Leberversagen. Nach
der Behandlung können Hautsymptome auftreten, in denen eine große Parasitenmenge
enthalten ist. Man spricht dann von einer „Post-Kala-Azar-Hautleishmaniose“.

Typisch für die Hautleishmaniase sind große


Geschwüre und Immunität vor erneuter Infektion
Auch die klassische Hautleishmaniose entwickelt sich schleichend. Aus einer kleinen
Papel an der Infektionsstelle wird langsam ein großflächiges Geschwür, das
schließlich unter beträchtlicher Narbenbildung abheilt (Abb. 27.17). Sie macht die
Patienten aber relativ immun gegen Reinfektionen. Die Hautläsionen werden als
„Orient- (oder Delhi-)Beule“ und in Südamerika als „Espundia“ (Haut-Schleimhaut-
Leishmaniase) oder „Ulcera de los chicleros“ (am Ohr) bezeichnet.
Abb. 27.16 Leishmanien in Makrophagen.

Aspirationsbiopsie (mit freundlicher Genehmigung von M.J. Woods).

860
Abb. 27.17 Hautläsion im Nacken bei einer
Leishmania brasiliensis-Infektion.

(Mit freundlicher Genehmigung von P.J. Cooper)

Bei Immunschwäche ist der Verlauf oft schwerer


Patienten mit Immunschwäche können ähnlich wie bei einer Lepra lepromatosa
zahlreiche chronische Hautläsionen (diffuse Hautleishmaniose) aufweisen. Bei HIV-
Patienten ist die viszerale Leishmaniose inzwischen nicht nur in den Tropen, sondern
auch im Mittelmeerraum zu einer der Hauptkomplikationen geworden.

Die Diagnose wird durch mikroskopischen


Erregernachweis gestellt; therapeutisch kommen
antimonhaltige Mittel zur Anwendung
Je nach Leishmaniose-Form können die Erreger in Biopsien aus Knochenmark, Milz
oder Hautläsionen nachgewiesen werden, um die Diagnose endgültig zu sichern.
Wenn keine Parasiten gefunden wurden, kann ein positives Ergebnis des
Montenegro-Tests auf Leishmanien-Antigene (Hypersensitivitätsreaktion vom
verzögerten Typ) diagnostisch weiterhelfen.

Abgesehen von einfachen Hautläsionen, die von selbst heilen, ist bei Leishmaniosen
eine Langzeittherapie mit antimonhaltigen Mitteln (Natriumstiboglukonat,
Megluminantimonat) erforderlich; bei Nichtansprechen können Pentamidin oder
Amphotericin B zum Erfolg führen. Als Schutz vor Sandfliegen sind imprägnierte
Moskitonetze geeignet, und über eine Kontrolle von Hunden lässt sich das andere
Tierreservoir beseitigen. Zumindest bei der Hautleishmaniose stehen die Aussichten
für eine Impfung nicht schlecht.

27.5 Helmintheninfektionen

861
27.5.1 Schistosomiasis

Hierbei dienen Wasserschnecken als Vektoren


Digenetische Trematoden (alle Egel) müssen eine Entwicklung in Mollusken als
Zwischenwirt durchlaufen, um ihr Larvenstadium zu vollenden. Schistosomen sind
aber die einzige Gruppe, deren Larven sich nach der Ausscheidung durch
Wasserschnecken aktiv in die Haut bohren können.

Der Entwicklungszyklus von Schistosomen ist in Abb. 27.18 dargestellt. Nachdem


infizierte Wasserschnecken sie ins Wasser ausgeschieden haben, können sich die
gabelschwänzigen Larven in die Haut eines Menschen bohren. Nach Durchqueren der
Dermis gelangen sie auf dem Blutweg und über die Lunge in die Leber, wo sie
geschlechtsreif werden und sich zu festen Paaren aus Männchen und Weibchen
zusammenschließen, die zu ihren Endorganen aufbrechen und sich in Venen
niederlassen, und zwar:
Abb. 27.18 Entwicklungszyklus von Schistosomen.

Frei im Wasser schwimmende Zerkarien (1) dringen in ungeschützte Haut ein (2).
Dabei verlieren sie ihren Schwanz und werden zu Schistosomulae (3). Diese
wandern auf dem Blutweg und über Lunge und Leber in Blasen- (Schistosoma
haematobium) oder Darmvenen ein (S. mansoni, S. japonicum), in denen sie
heranreifen (4) und innerhalb von 6–12 Wochen speziestypische Eier produzieren
(5). Die Eier wandern durch die Wand ins Blasen- oder Darmlumen und werden
mit Urin oder Stuhl ausgeschieden (6). In Süßwasser werden die ausgeschiedenen
Eier von Wasserschnecken als Zwischenwirten (7) aufgenommen und entwickeln

862
sich zu Sporozysten (8). Mit der Freisetzung von Zerkarien (1) schließt sich dann
der Kreis.

■ Schistosoma haematobium im Bereich der Harnblase,

■ Schistosoma japonicum und Schistosoma mansoni im Mesenterium des


Dünndarms.

Der Kreis schließt sich, sobald sich die von den Weibchen gelegten Eier aus der
Blasen- oder Darmwand herausbewegen und den Körper verlassen.

Allergische Reaktionen auf unterschiedliche


Entwicklungsstadien der Schistosomen verursachen
die Symptome
Sowohl die Phasen der Hautpenetration und Wanderung als auch die Eiablage sind mit
pathologischen Veränderungen verbunden, die sich auf verschiedene Organe
auswirken. Durch die Hautpenetration der Larven wird eine Dermatitis ausgelöst, die
sich mit wiederholten Reinfektionen noch verschlimmert.

Auch wenn alle Entwicklungsstadien mit allergischen Reaktionen (Fieber,


Eosinophilie, Lymphadenopathie, Hepato-/Splenomegalie oder Diarrhoe) verbunden
sind, treten die stärksten Symptome nach der Eiablage auf. Der Körper reagiert
überempfindlich auf die von den Eiern freigesetzten Antigene – wenn sie auf ihrem
Weg Gewebe durchwandern oder in Organen „gefangen“ sind, in die sie mit dem Blut
eingeschwemmt wurden:

■ Bei Schistosomiasis der Blase (durch S. haematobium) kommt es beim


Durchwandern der Blasenwand zu Blutungen. Mit der Zeit entsteht daraus eine
entzündliche Infiltration der Blasenwand und es entwickeln sich Polypen; später
können maligne Veränderungen folgen oder auch eine Nephrose auftreten (s. Kap.
20).

■ In ähnlicher Weise können die Eier von S. japonicum oder S. mansoni


Darmblutungen und -entzündungen hervorrufen.

Ernstere Auswirkungen haben entzündliche Reaktionen auf Eier, die sich in anderen
Organen festgesetzt haben. Das gilt in erster Linie für die Leber, doch auch Lunge
oder ZNS können betroffen sein. Solche Reaktionen treten zwar nicht bei allen
Patienten auf, können aber zu schweren Erkrankungen führen (s. Kap. 22).

Bilden sich z.B. infolge einer verzögerten Hypersensitivitätsreaktion auf


Schistosomeneier in den präsinusoidalen Kapillargefäßen der Leber Granulome, wird
die Durchblutung behindert und das kann neben einer ausgeprägten Fibrosierung der
Pfortader („Symmer-Pfeifenhalsfibrose“) zur Entwicklung einer portalen Hypertonie
beitragen. Die Folgen sind Hepatosplenomegalie, Kollateralenbildung zwischen
hepatischen Gefäßen und leicht verletzliche Ösophagusvarizen. Über den
Kollateralkreislauf können dann Eier in das Kapillarbett der Lunge gespült werden.

863
Auch wenn abgetötete Parasiten (nach Antihelmintikatherapie) über die
Mesenterialgefäße wieder zurück in die Leber gelangen, können stark entzündliche
Reaktionen ausgelöst werden.

Eine Schistosomiasis wird mit Praziquantel behandelt


Durch Praziquantel-Behandlung lassen sich zwar die Würmer der Patienten entfernen,
doch in weit fortgeschrittenen Fällen kann die Erkrankung irreversibel sein. Die
Forschung nach einem Impfstoff macht Fortschritte; vielleicht liegt sein Nutzen aber
nicht vorrangig in der Prävention, sondern eher in der Symptomlinderung.

Um die Infektion innerhalb einer Bevölkerung unter Kontrolle zu bekommen, muss


die Übertragungskette durchbrochen werden; das gelingt nur, wenn verseuchte
Gewässer gemieden und die sanitären Verhältnisse verbessert werden.

27.5.2 Filariose

Die Übertragung von Fadenwürmern (Filarien) ist an


blutsaugende Insekten/Vektoren gekoppelt
Fadenwürmer parasitieren in tieferen Körpergeweben (s. Kap. 6). Die wichtigen
Spezies lassen sich nach bevorzugtem Befall von Lymphgefäßen(Brugia,
Wuchereria) oder des Unterhautgewebes(Onchocerca) unterscheiden. Aber auch
harmlosere Spezies kommen vor. Bei allen Fadenwürmern setzen die Weibchen
lebende Larven (Mikrofilarien) ab, die von Vektoren aus dem Blut (Erreger im
Lymphsystem) oder von der Haut (Onchocerca) aufgenommen werden.

Beide Gruppen können schwere Entzündungsreaktionen auslösen, die sich in


unterschiedlichen Haut- oder Lymphknoten-Symptomen äußern, aber zusätzlich noch
mit anderen pathologischen Veränderungen einhergehen. Onchocerca-Krankheiten
(Onchozerkosen) sind in Kap. 25 und 28 näher beschrieben.

Eine lymphatische Filariose verursachen Brugia und


Wuchereria, die von Mücken übertragen werden
Mücken bringen beim Blutsaugen infektiöse Larven in die Haut ein, aus denen sich
sehr langsam die langen, dünnen adulten Würmer entwickeln (Weibchen werden 80–
100 mm lang und 0,25 mm dick), die in Lymphknoten und Lymphgefäßen der
Gliedmaßen (meist im Bein) oder im Leistenbereich zu finden sind. Sobald nach ca.
einem Jahr umhüllte Mikrofilarien im Blut auftauchen, wird die Infektion erkennbar.
Bei den Infizierten zeigen sich entweder kaum klinische Zeichen oder akute
Symptome wie Fieber, Ausschlag, Eosinophilie, Lymphangitis, Lymphadenitis (Abb.
27.19) und Orchitis.

Später kommt es durch wiederholte Entzündung der Lymphgefäße zu einer


chronischen Obstruktion mit Lymphstau, der zu Hydrozelen und massiver
Vergrößerung von Brüsten, Skrotum oder Gliedmaßen führen kann („Elephantiasis“,
Abb. 27.20). Seit kurzem gibt es Belege, dass die entzündlichen Reaktionen zum Teil

864
von Wohlbachia-Bakterien (Symbionten von Fadenwürmern, die in den Filarien
leben) ausgelöst werden könnten.
Abb. 27.19 Adulter Wuchereria-Fadenwurm in
einem Lymphknoten.

Erkennbare Dilatation der Lymphgefäße und Gewebereaktion in der Gefäßwand


(mit freundlicher Genehmigung von R. Muller und J.R. Baker).

865
Abb. 27.20 Bein-Elephantiasis durch Brugia malayi.

(Mit freundlicher Genehmigung von A.E. Bianco)

Ein Merkmal von Filariosen in Endemiegebieten ist, dass nicht bei allen Infizierten
Symptome auftreten. Trotz Mikrofilarien im Blut zeigen viele Patienten einen
asymptomatischen Verlauf, und nur vergleichsweise wenige Patienten haben
sichtbare pathologische Veränderungen (Abb. 27.21). Bei manchen Patienten
entwickeln sich Lungensymptome („tropische pulmonale Eosinophilie“, s. Kap. 19).

Nur wenige Mittel gegen Filarien sind


zufriedenstellend wirksam
Diethylcarbamazin tötet in erster Linie Mikrofilarien ab; es wird seit langem
verwendet, kann aber eine heftige allergische Reaktion (Mazzotti-Reaktion) auslösen.
Suramin tötet adulte Würmer ab, ist aber zu toxisch. Ivermectin ist gegen
Onchozerkose wirksam und könnte auch bei lymphatischer Filariose von Nutzen sein.
Albendazol kommt derzeit im Rahmen einer WHO-Kampagne zur Ausrottung der
Krankheit zum Einsatz. Gegen die symbiotischen Wohlbachia-Bakterien angewandte
Antibiotika sind auch gegen die Würmer wirksam.

866
Abb. 27.21 Verlauf in symptomatischen Fällen einer
lymphatischen Filariose.

(Schema nach Muller und Baker 1990)

Die Übertragung von Filariosen lässt sich kaum verhindern, man kann aber durch
Kontrolle der Vektoren und Schutz vor Insektenstichen wenigstens das Risiko
verringern.
Zusammenfassung
■ Viele wichtige Infektionen (mit Arboviren, Rickettsien, Borrelien, Protozoen
und Helminthen) werden durch Vektoren (Insekten, Zecken oder
Wasserschnecken) übertragen.

■ Manche können chronisch verlaufen (Lyme-Krankheit, Leishmaniose,


Schistosomiasis) oder zum Tod führen (Malaria, Virusenzephalitis).

867
■ Aufgrund der Verbreitung von Vektoren sind viele Infektionen auf tropische
Länder beschränkt. Mit der globalen Erwärmung könnten sich die
Verbreitungsmuster ändern und Krankheiten im größeren Maßstab übertragbar
werden.

■ Durch heftige Immunreaktionen kann es zu immunologischen Komplikationen


kommen. Die Behandlung erfolgt meist medikamentös.

■ Die Bekämpfung von Vektoren ist schwierig, kann aber zur Ausrottung dieser
Krankheiten führen.

■ Bis auf wenige Ausnahmen (Gelbfieber) sind keine Impfstoffe für diese
Gruppe von Krankheiten verfügbar.

FRAGEN
1 Ein 42-jähriger Geschäftsmann wird mit Fieber, Halsentzündung,
Schüttelfrost, Kopf- und Muskelschmerzen, Übelkeit und Erbrechen ins
Krankenhaus eingeliefert. Er war zwei Wochen vorher von einer
dreimonatigen Reise nach Westafrika zurückgekehrt und hatte eine
Malariaprophylaxe durchgeführt. Bei der Untersuchung hat er 38°C Fieber,
eine leichte Pharyngitis, regelmäßige Pulsfrequenz (100/min) und Blutdruck
von 110/70 mmHg. Einziger auffälliger Befund ist eine Splenomegalie mit
tastempfindlicher, leicht vergrößerter Leber.

a) Welche Differenzialdiagnose muss sofort in Betracht gezogen werden?

b) Welche Untersuchungen würden Sie sofort veranlassen?

c) Wie würden Sie den Patienten behandeln?

2 Besteht für Urlauber in den USA die Gefahr, nach einem Zeckenbiss an

a) West-Nil-Enzephalitis,

b) Ostamerikanischer Pferdeenzephalitis,

c) Rückfallfieber,

d) Lyme-Krankheit,

e) St.-Louis-Enzephalitis zu erkranken?

3 Welche Krankheit wird von Mücken übertragen:

a) lymphatische Filariose,

b) Leishmaniose,

c) Chagas-Krankheit,

d) epidemisches Fleckfieber/Flecktyphus,

868
e) Westamerikanische Pferdeenzephalitis?

4 Welche der folgenden Aussagen trifft für Malaria zu:

a) Überträger sind Culex-Mücken,

b) nach einer Infektion besteht lebenslange Immunität,

c) die Infektion tritt nur in Afrika auf,

d) gefährlichste Spezies ist Plasmodium vivax,

e) Malariaparasiten entwickeln sich zuerst in der Leber?


Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Cook, G.C. (ed.): Manson’s Tropical Diseases, 20th ed. W.B. Saunders, London
1996.
Doerr, H.W., Gerlich, W.H (Hrsg.): Medizinische Virologie: Grundlagen,
Diagnostik und Therapie virologischer Krankheitsbilder. Georg Thieme Verlag,
Stuttgart New York 2002.
Fisher-Hoch, S.: Viral hemorrhagic fever. Med Int 54 (1988) 2240–2247.
Hoffman, S.L. (ed.): Malaria Vaccine Development. ASM Press, Washington D.C.
1996.
Köhler, W., Eggers, H.J., Fleischer, B., Marre, R., Pfister, H., Pulverer, G (Hrsg.):
Medizinische Mikrobiologie. Urban & Fischer Verlag, München Jena 2001.
Mehlhorn, H., Eichenlaub, D., Löscher, T., Peters, W.: Diagnostik und Therapie der
Parasitosen des Menschen. 2. Auflage, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart Jena New
York 1995.
Muller, R., Baker, J.R.: Medical Parasitology. Gower Medical Publishing, London
1990.
Nimmanitya, S.: Dengue fever and dengue hemorrhagic fever. Med Int 54 (1988)
2247–2251.
Rahn, D.W., Evans, J. (eds.): Lyme Disease. American College of Physicians,
Philadelphia 1998.
Service, M.W. (ed.): Encyclopedia of Arthropod-Transmitted Infections of Man and
Domesticated Animals. CABI Publishing, Wallingford, Oxon 2001.

869
28 Multisystemische Zoonosen
28.1 Arenavirusinfektionen 429

28.2 Koreanisches hämorrhagisches Fieber 430

28.3 Hämorrhagisches Fieber durch Marburg- oder Ebola-Virus-Infektionen


431

28.4 Q-Fieber 432

28.5 Milzbrand (Anthrax) 432

28.6 Pest 433

28.7 Yersinia-enterocolitica-Infektion 434

28.8 Tularämie 435

28.9 Pasteurella-multocida-Infektion 436

28.10 Leptospirose 436

28.11 Rattenbissfieber (Sodoku) 437

28.12 Brucellose 437

28.13 Wurmbefall/Helmintheninfektionen 439

28.13.1 Echinokokkose 439

28.13.2 Trichinellose 440

28.13.3 Strongyloidose 440

870
Zur Orientierung
Einige multisystemische Infektionen des Menschen beruhen auf Tierkrankheiten
(Zoonosen)

Bei Zoonosen bilden Wirbeltiere das eigentliche Infektionsreservoir und Menschen


stecken sich nur zufällig an. Obwohl sich Menschen bei einem tierischen Wirt infizieren
können, sind sie für die Entwicklung des Erregers oder für die Erhaltung seines
natürlichen Bestands nicht unbedingt erforderlich. Ein auffallendes Merkmal von
Zoonosen oder der von Vektoren übertragenen und in Kap. 27 beschriebenen Infektionen
ist, dass sie sich nur selten nachhaltig von Mensch zu Mensch weiter ausbreiten.

Nicht immer ist bei diesen Infektionen ihr zoonotischer Ursprung eindeutig erkennbar.
Die in diesem Kapitel berücksichtigte Tularämie kann z.B. durch direkten Kontakt mit
einem Tierreservoir oder durch Vektoren übertragen werden. Auch die Pest ist hier
abgehandelt, weil sie durch Rattenflöhe von infizierten Ratten übertragen wird, eine
Kontaktinfektion zwischen Menschen ist jedoch ebenfalls möglich.

Andere Zoonosen sind in ihrem jeweiligen Kontext dargestellt (Toxoplasmose in Kap.


23, Tollwut in Kap. 24, Salmonellose in Kap. 22, Psittakose in Kap. 19).

28.1 Arenavirusinfektionen

Arenaviren werden über Ausscheidungen von


Nagetieren auf Menschen übertragen
Viele Zoonosen werden von einzelsträngigen RNA-Viren mit Virushülle verursacht, den
sog. Arenaviren (Abb. 28.1). Elektronenmikroskopisch sind in den pleomorphen
Viruspartikeln Granula zu sehen, die an Sandkörner erinnern, was zu ihrer Bezeichnung
als Arenaviren (latein. arena = Sand) geführt hat. Als Parasiten einer Reihe von
Nagetieren rufen Arenaviren bei ihren Wirten harmlose lebenslange Infektionen
hervor und werden so ständig im Urin oder Kot scheinbar gesunder Tiere
ausgeschieden.

Wenn sich Menschen über diese Quelle anstecken, können sich bei ihnen schwere und
oft sogar tödliche Erkrankungen entwickeln. In Tab. 28.1 sind von Arenaviren
verursachte Erkrankungen aufgeführt. Wie bei den meisten Zoonosen findet keine oder
zumindest keine sehr erfolgreiche Übertragung von Arenavirusinfektionen zwischen
Menschen statt. Es gab jedoch Fälle, in denen sich Ärzte und medizinisches Personal
durch direkten Kontakt mit Blut oder Sekreten von Patienten mit Lassafieber infiziert
haben. Die Inkubation dauert gewöhnlich 5–10 Tage.

871
Abb. 28.1 Elektronenmikroskopisches Bild vom
„Budding“ (Ausknospen) eines LCM-Virus an der
Oberfläche einer infizierten Zelle (LCM =
lymphozytäre Choriomeningitis).

Typisch für Arenaviren sind sandartige Granula (mit freundlicher Genehmigung von
K. Mannweiler und F. Lehmann-Grübe).

Tab. 28.1 Virale Fieber und hämorrhagische Krankheiten (durch


Ansteckung bei Vertebraten oder unbekannte Infektionsquelle).

872
Arenavirusinfektionen werden serologisch, durch
Virusisolierung oder Genomnachweis diagnostiziert
In Speziallaboratorien kann die Labordiagnose mit spezifischen Antikörpertests, durch
Virusgenomnachweis oder Virusisolierung gestellt werden. Zur Prävention sollte die
Expositionsgefahr möglichst verringert werden. Wie wirksam solche Maßnahmen sein
können, zeigt sich am Beispiel des Bolivianischen hämorrhagischen Fiebers; es trat
nicht mehr auf, als Mäuse in Fallen gefangen wurden (s. Kasten 1). Durch frühzeitige
Anwendung von Ribavirin kann man Lassafieber erfolgreich behandeln.

Das LCM-Virus (Auslöser der lymphozytären


Choriomeningitis) kommt weltweit vor
Sporadische Fälle einer lymphozytären Choriomeningitis traten bei Menschen mit einer
Mäuseplage in der Wohnung auf, ganz vereinzelt aber auch bei Kindern, die scheinbar
gesunde Hamster besaßen. Im Allgemeinen kommt es nur zu unspezifischem Fieber,
gelegentlich kann sich eine aseptische lymphozytäre Meningitis entwickeln, die aber
wieder ausheilt.

Das Lassafieber-Virus ist ein Arenavirus, mit dem Ratten


in Teilen Westafrikas infiziert sind
Menschen, die sich an infizierten Ratten (Mastomys natalensis, Vielzitzenratte) oder
deren Urin anstecken, erkranken meist nur mit leichtem Fieber. Mit 300000 Patienten
und jährlich 5000 Todesfällen ist das Lassafieber in einigen Landesteilen von Sierra
Leone die häufigste fiebrige Infektionskrankheit bei Patienten in den Krankenhäusern.

Wird das Virus über Blut und andere Körperflüssigkeiten stationärer Patienten auf das
Klinikpersonal übertragen, führt es zu einer viel schwereren Verlaufsform mit hoher
Sterblichkeit. Die mit Blutungen, (Kapillar-)Gefäßschäden, Hämokonzentration und
Kollaps gekennzeichnete Krankheit wurde 1969 bei Amerikanern festgestellt, die in
dem Dorf Lassa lebten. Man geht aber davon aus, dass die Infektion nur selten durch
Tröpfchen zwischen Menschen übertragen wird.

Lassafieber-Epidemien wurden aus Zentralafrika, Liberia, Nigeria und Sierra Leone


gemeldet. Von Januar 1996 bis April 1997 starben in Sierra Leone 19% der 823
Erkrankten. Wegen der langen Inkubationszeit von 6–21 Tagen können Infizierte die
Krankheit überallhin tragen. Daher muss nach einer Reise in Endemiegebiete bei
unklarem Fieber unbedingt an ein Lassafieber gedacht werden.

873
28.2 Koreanisches hämorrhagisches Fieber

Auslöser ist das Hantaan-Virus, Nagetiere übertragen


die Infektion
Das Hantaan-Virus ist ein Bunyavirus, das bei Ratten und Mäusen zu einer harmlosen,
persistierenden Infektion führt. Bei Menschen entwickelt sich nach Kontakt mit dem
Urin infizierter Tiere eine fiebrige Erkrankung, oft mit Hypotonie, Blutungen und
einem renalen Syndrom. Schwere Verlaufsformen traten bei amerikanischen Soldaten
in Korea auf, während die Erkrankung in Osteuropa und Skandinavien nur mit leichten
Beschwerden verbunden ist. Verwandte Viren US-amerikanischer Ratten und Mäuse
führten zum Ausbruch einer Infektion im Südwesten der USA, bei der 26 Menschen an
einer schweren Lungenkrankheit starben. Die Labordiagnose kann durch den Nachweis
spezifischer IgM- oder IgG-Antikörper gestellt werden.
Geschichte der Mikrobiologie
Bolivianisches hämorrhagisches Fieber: eine ökologische Lektion

1962 brach in der kleinen bolivianischen Stadt San Joaquin eine schwere, tödliche
Infektionskrankheit aus. Die Patienten bekamen Fieber, Muskelschmerzen und ein
Enanthem, gefolgt von Sickerblutungen aus Kapillargefäßen (capillary leakage),
hämorrhagischem Schock und neurologischen Symptomen. Die Letalität bei dieser als
„Bolivianisches hämorrhagisches Fieber“ bezeichneten Infektionskrankheit lag bei
15%.

Trotz ausgiebiger Untersuchungen ließen sich keine Arthropoden als Vektor ermitteln,
es deutete aber einiges darauf hin, dass Mäuse bei der Epidemie eine Rolle spielen
könnten. Aufgrund dessen stellte man in der geplagten Stadt mehrere hundert
Mausefallen auf. Das zeigte eine dramatische Wirkung auf die Inzidenz der
Krankheit; mit dem Mäusefangen konnte die Epidemie gestoppt werden. Davon
unabhängig konnte aus dem Gewebe einer vor Ort gefangenen Maus (Calomys
callosus) ein Virus isoliert werden, das eine harmlose lebenslange Infektion
verursachte und fortlaufend im Urin und Kot der Maus ausgeschieden wurde.

Dieses „Machupo-Virus“ – wie man es nannte – gehört wie das Lassafieber- und das
LCM-Virus zu den Arenaviren. Mit dem LCM-Virus (führt zu lymphozytärer
Choriomeningitis) sind Hamster und Mäuse und mit dem Lassafieber-Virus eine
afrikanische Rattenart infiziert. Für die natürlichen Tierwirte ist eine persistierende
Infektion harmlos, doch wenn sich Menschen an den Tieren angesteckt haben,
entwickelt sich bei ihnen oft eine schwere Krankheit.

Aus dem Auftreten des Bolivianischen hämorrhagischen Fiebers lässt sich eine
wichtige ökologische Lehre ziehen. Aufgrund der hohen Malaria-Inzidenz in San
Joaquin wurde zur Bekämpfung der Moskitos großflächig DDT
(Dichlordiphenyltrichlorethan) versprüht. Das DDT häufte sich unter anderem im
Gewebe von Geckos (kleine Eidechsen, die Insekten fressen) an. Katzen, die diese
Geckos fingen, starben an einer tödlichen DDT-Konzentration in der Leber. Mit der
Ausdünnung des Katzenbestands konnten mehr Mäuse in menschliche
Wohnsiedlungen eindringen. Die räumliche Nähe infizierter Mäuse zu Menschen bzw.
Lebensmitteln führte schließlich zum Ausbruch der Epidemie (Abb. 28.2).

874
Abb. 28.2 Bolivianisches hämorrhagisches Fieber –
eine wichtige ökologische Lektion.

DDT = Dichlordiphenytrichlorethan

28.3 Hämorrhagisches Fieber durch Marburg- oder


Ebola-Virus-Infektionen

875
Die Infektionsquelle der beiden hämorrhagischen
Fiebersyndrome ist unbekannt
In Zentral- und Ostafrika traten nach einer Marburg- oder Ebola-Virusinfektion Fälle
von hämorrhagischem Fieber auf. Auslöser sind lange, fadenförmige, einzelsträngige
RNA-Viren (Filoviridae). Bei den Patienten entwickeln sich Fieber, Blutungen,
Ausschläge und Gerinnungsstörungen (disseminierte intravasale Koagulation, s. Kap.
17). Es gibt weder eine spezifische Behandlung noch einen Impfstoff für diese
Virusinfektionen. Bei beiden Viren sind weder das Reservoir noch der natürliche
Erhaltungszyklus bekannt.

Die (nach der hessischen Stadt Marburg benannte) Marburg-Virus-Infektion wurde


1967 zum ersten Mal bei Laborarbeitern festgestellt, die mit infizierten Grünaffen aus
Uganda in Kontakt gekommen waren. Da diese afrikanischen Affen aber nicht der
natürliche Wirt des Virus sind, kennt man die eigentliche Infektionsquelle immer noch
nicht. Die Letalität betrug 20%. Wie das Ebola-Virus ließ sich auch das Marburg-Virus
noch Monate nach klinischer Besserung in der Samenflüssigkeit nachweisen; einer der
Patienten infizierte seine Frau auf diesem Weg. Acht der 31 gemeldeten Infektionen
endeten tödlich.

Eine ähnliche Krankheit trat 1976 im Südsudan und im Flussgebiet des Ebola in Zaire
(heutige Demokratische Republik Kongo) auf. Von den insgesamt 602 Erkrankten
starben 397. In örtlichen Krankenhäusern kam es durch kontaminierte Spritzbestecke
und Nadeln zur Übertragung zwischen Menschen. 1989 wurden versehentlich Affen, die
mit einem ähnlichen Virus infiziert waren, von den Philippinen in die USA importiert.
Einige der Affen starben; doch bei keinem der mindestens vier Menschen, die sich
infiziert hatten, brach die Krankheit aus.

1995 forderte eine große Epidemie in Kikwit (Zaire) 244 Todesopfer unter den
insgesamt 315 Infizierten. Weitere Ausbrüche wurden im Februar und Juli 1996 aus
Gabun sowie im Jahr 2000 aus Norduganda gemeldet. Ohne Berücksichtigung dieser
neueren Epidemien starben über 1000 der ca. 1500 infizierten Patienten.

28.4 Q-Fieber

Rickettsien (Coxiella burneti) sind Auslöser des Q-


Fiebers
Noch Jahre nachdem das Q-Fieber 1935 zum ersten Mal in Australien aufgetreten war,
blieb seine Ursache unklar (daher Q-Fieber, von query = fraglich). Der Auslöser,
Coxiella burneti, unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von anderen Rickettsien (s.
Kap. 27):

■ Er wird nicht von Arthropoden auf Menschen übertragen.

■ C. burneti ist relativ resistent gegen Austrocknung, Wärme und Sonnenlicht


und ist deshalb stabil, wenn der Erreger als infektiöses Material eingeatmet wird.

876
■ C. burneti entfaltet seine Wirkung eher in der Lunge als auf dem
Gefäßendothel an anderen Körperstellen; daher entwickelt sich gewöhnlich kein
Ausschlag.

Coxiella burneti wird über die Atemwege auf


Menschen übertragen
Viele Wild- und Haustiere können mit C. burneti infiziert sein. In manchen Ländern wie
den USA gibt es trotz einer verbreiteten Durchseuchung des Nutzviehs nur wenige Fälle
bei Menschen (in den USA weniger als 50 pro Jahr). Gefährdet sind vor allem
Berufsgruppen, die mit infizierten Tieren bzw. der Plazenta von Muttertieren in
Kontakt kommen und dabei die Keime in Aerosolform einatmen können (z.B.
Tierärzte, Landwirte, Schlachthofarbeiter). Auch über die Milch und Gewebeflüssigkeit
infizierter Kühe kann die Krankheit übertragen werden.

Inhalierte Keime vermehren sich in den Endästen der Bronchien in der Lunge. Etwa drei
Wochen später treten Fieber, starke Kopfschmerzen und oft auch Atembeschwerden
oder eine atypische Pneumonie bei den Patienten auf. Wenn die Rickettsieninfektion
auf die Leber übergreift, entwickelt sich meist eine Hepatitis. Innerhalb von zwei
Wochen erholen sich die meisten Patienten wieder völlig. Falls die Erkrankung
chronisch wird, kann es zu einer Herzbeteiligung (Endokarditis) mit Thrombozytopenie
und Purpura kommen. Unbehandelt kann diese Form des Q-Fiebers zum Tode führen.

Q-Fieber wird serologisch diagnostiziert und


antibiotisch behandelt
Als signifikant ist ein vierfach oder noch stärker erhöhter Antikörpertiter in der KBR
(Komplementbindungsreaktion) anzusehen. Es gibt zwei Antigentypen (Phase 1 und 2)
der Rickettsien-Lipopolysaccharide (LPS). Bei akutem Q-Fieber sind nur Antikörper
gegen Phase 2 und bei der chronischen Form Antikörper gegen beide Phasen
nachweisbar. Der Weil-Felix-Test ist nicht gebräuchlich (s. Kap. 27).

Akute Infektionen werden mit oralen Tetrazyklinen behandelt, bei chronischen


Infektionen kann eine Arzneimittelkombination wie Rifampicin und Doxycyclin oder
Trimethoprim-Sulfamethoxazol angebracht sein. Für Risikogruppen steht ein
Totimpfstoff zur Verfügung. Beim Pasteurisieren der Milch werden Rickettsien zerstört.

28.5 Milzbrand (Anthrax)

Auslöser von Milzbrand ist Bacillus anthracis und es


erkranken vor allem Pflanzenfresser
Bacillus anthracis ist ein großes Gram-positives, aerobes und unbewegliches Stäbchen.
Die meisten Vertreter der Bacillus-Familie sind harmlose Saprophyten, die in Böden,
Wasser, Luft und Pflanzenvegetation vorkommen. Bacillus cereus kann zwar eine
Lebensmittelvergiftung auslösen, doch als Krankheitserreger sind in erster Linie die
Milzbrandbazillen wichtig. Nur B. anthracis besitzt eine Kapsel, die ihn durch ihren D-

877
Glutaminsäure-Gehalt vor der Phagozytose schützt. Seine Sporen können jahrelang im
Boden überstehen.

An Milzbrand erkranken Pflanzenfresser wie Schafe, Ziegen, Rinder und Pferde, die die
Bakterien in ihrem Kot, Urin oder Speichel ausscheiden. Menschen sind relativ resistent.
Die Verbreitung der Krankheit beschränkt sich größtenteils auf die
Entwicklungsländer (Teile von Asien, Afrika, Mittlerer Osten). Menschen infizieren
sich durch direkten Kontakt mit kranken Tieren oder über sporenhaltige
Tierprodukte mit Milzbrand. Die Sporen von B. anthracis können über Haut- oder
Schleimhautwunden in den Körper eindringen, in seltenen Fällen auch über die
Atemwege.

In höher entwickelten Ländern sind nur noch gelegentlich Tiere befallen; auch
Menschen infizieren sich eher selten, und wenn, dann meist über importierte Waren
(Tierfelle, Wolle, Ziegenhaare und Borsten, Knochen oder Knochenmehl in Düngern).
Von Terroristen wurden Milzbrandsporen bereits als biologische Waffen eingesetzt.

Typisch für Milzbrand ist ein schwarzer Karbunkel;


unbehandelt kann die Erkrankung tödlich enden
Nachdem die Sporen von B. anthracis an der Eintrittsstelle im Gewebe ausgekeimt sind,
vermehren sich die Milzbrandbakterien und bilden ein Toxin. Das schützende Antigen,
der Ödemfaktor (Adenylatcyclase) und der letale Faktor, aus denen das Anthraxtoxin
besteht, sind alle auf Plasmiden kodiert. Um toxisch zu wirken, muss neben dem
protektiven Antigen noch mindestens einer der beiden anderen Faktoren vorhanden sein.
Durch die antiphagozytisch wirkende Bakterienkapsel wird die Wirtsabwehr gehemmt
(s. Kap. 14).

Übliche Eintrittspforte für den Milzbranderreger ist die Haut. Je mehr toxisches
Material sich anhäuft, desto eher bilden sich Ödeme und Schwellungen. Innerhalb von
12–36 Stunden entwickelt sich ein Knötchen. Während der Ulzeration (geschwürige
Veränderung) der Papel wird ihr Zentrum schwarz und nekrotisch. Der Karbunkel (auch
als Pustula maligna bezeichnet, obwohl er keinen Eiter enthält), der dabei entsteht, ist
schmerzlos und oft ringförmig von Bläschen umstanden (Abb. 28.3).

Die Bakterien breiten sich auf die Lymphgefäße aus und treten in etwa 10% der Fälle
ins Blut über, so dass es zur Septikämie kommt. Fortgesetzte Vermehrung und
Toxinbildung bewirken eine allgemeine Toxizität und Ödembildung, die letztlich tödlich
sind.

Wenn eingeatmete Sporen in Alveolarmakrophagen in der Lunge eingedrungen sind,


führt das Bakterienwachstum zum Lungenödem mit mediastinalen Blutungen und bei
Streuung ins Blut schließlich zum Tod. Lungenmilzbrand ist in den meisten höher
entwickelten Ländern inzwischen eine Seltenheit geworden; früher galt er dort als
Krankheit der Wollsortierer.
Abb. 28.3 Hautmilzbrand.

878
a) Typischer schwarzer Karbunkel mit einem Ring von Bläschen. b) Acht Tage
später hat sich der Karbunkel über die mit Bläschen bedeckte Fläche hinaus
vergrößert, während die ödematöse Schwellung zurückgegangen ist (mit
freundlicher Genehmigung von F.J. Nye).

Milzbrand wird mittels Erregeranzucht diagnostiziert


und mit Penicillin behandelt
In Ausstrichen aus Hautläsionen sind die Gram-positiven Stäbchen mikroskopisch
erkennbar. Zur Sicherung der Diagnose und zur Abgrenzung von B. anthracis
gegenüber apathogenen Bacillus spp. wird eine Kultur angelegt. Auf vorhandene
Bakterien weisen Antikörper gegen Toxinantigene hin.

Milzbrand lässt sich erfolgreich behandeln, wenn frühzeitig und hoch dosiert Penicillin
verabreicht wird. Bei einer Penicillinallergie kann stattdessen Erythromycin oder

879
Tetracyclin gegeben werden. Unbehandelt ist Hautmilzbrand in 10–20% der Fälle
tödlich.

Eine Prävention ist möglich, Milzbrand tritt vorwiegend


in Entwicklungsländern auf
Tiere können zum Schutz vor Milzbrand mit avirulentem Lebendimpfstoff geimpft
werden. Infizierte Tiere sollten isoliert, getötet und ohne vorherige Autopsie vergraben
oder verbrannt werden. Für Menschen mit erhöhtem Risiko steht ein Impfstoff aus
gereinigtem protektivem Antigen zur Verfügung. Durch streng kontrollierte
Desinfektion importierter Tierprodukte (Felle, Haare oder Wolle) lässt sich die
Infektionsgefahr für Menschen deutlich reduzieren.

28.6 Pest

Yersinia pestis infiziert Nagetiere, die Übertragung auf


Menschen erfolgt durch Flöhe
Yersinia pestis ist ein kleines Gram-negatives Stäbchen und verdankt seine Virulenz u.
a. einer Kapsel, die es vor Phagozytose schützt. Sein Wildtierreservoir sind Ratten,
Eichhörnchen, Wüstenrennmäuse, Feldmäuse und andere Nagetiere, bei denen die
Infektion meist in milder Form verläuft. Zwischen infizierten Tieren und auf Menschen
wird die Infektion durch Flöhe übertragen (Abb. 28.4).

Die wichtigste Infektionsquelle für Stadtbewohner waren jedoch Ratten, und zu


bestimmten Zeiten wurde die Bevölkerung so stark dezimiert, dass sich die Pest auf den
Lauf der Geschichte auswirkte. Im 14.Jahrhundert starb ein Viertel der europäischen
Bevölkerung in Pestepidemien (s. Kasten 2). Seitdem sie Anfang des 20.Jahrhunderts
auch Nordamerika erreichte, ist die Pest im Westen der USA endemisch bei wilden
Nagetieren verbreitet. Heute ist die Pest in Europa ausgesprochen selten geworden und
in den USA praktisch nicht existent.

Der RattenflohXeopsylla cheopsis überträgt die Infektion zwischen Ratten und von
Ratten auf Menschen. Yersinia pestis bringt Blut im Darm der Flöhe zum Gerinnen und
verlegt nach reichlicher Vermehrung in den Blutgerinnseln schließlich die Lichtung, so
dass Flöhe infiziertes Material hochwürgen müssen, wenn sie Blut saugen wollen.
Sobald infizierte Ratten erkranken, werden sie von ihren Flöhen verlassen und diese
können einen Menschen stechen. Auf diese Weise infizieren sie Menschen mit der
„Bubonenpest“, die im Allgemeinen nicht von Mensch zu Mensch übertragen wird.

Wenn sich die Bakterien aber massenhaft in der Lunge repliziert haben, kann es zur
Bronchopneumonie mit großen Bakterienmengen im Sputum kommen, so dass sie sich
in dem Fall auch als Tröpfcheninfektion auf andere Menschen ausbreiten. Die
„Lungenpest“ bricht sehr plötzlich aus.
Abb. 28.4 Epidemiologie der Pest.

880
Endemische Infektionen sind bei Nagetieren in Indien, Südostasien, Südafrika,
Südamerika, Mexiko und im Westen der USA verbreitet. In diesen Teilen der Welt
treten immer wieder sporadische Fälle von Pest auf, z.B. wenn sich Jäger in den USA an
infizierten Präriehunden anstecken, oder auch sonst überall in der Landbevölkerung.

Klinische Zeichen sind Bubonen, Pneumonie und eine


hohe Todesrate
Direkt an der Eintrittsstelle in der Haut vermehren sich die Bakterien, bevor sie sich auf
dem Lymphweg in lokale und regionale Lymphknoten ausbreiten. Unter den
Virulenzfaktoren, die sie ausbilden, befinden sich neben einem antiphagozytischen
Kapselantigen (Fraktion 1, plasmidkodiert) ein Endotoxin und verschiedene andere
Proteintoxine.

Achselhöhlen- oder Leistenlymphknoten werden daraufhin sehr druckempfindlich und


vergrößern sich 2–6 Tage nach dem Flohstich zu Pestbeulen (Bubonen) mit
hämorrhagischer Entzündung. Die Patienten entwickeln Fieber. Bei leichteren Formen
kommt die Infektion in dieser Phase zum Stehen, doch bei Ausbreitung ins Blut können
oft Septikämie und ein hämorrhagisches Syndrom mit multipler Organbeteiligung
(Milz, Leber, Lunge, ZNS) die Folge sein.

881
Häufige Komplikationen sind disseminierte intravasale Koagulation (DIC), Pneumonie
und Meningitis. Unbehandelt hat die Bubonenpest eine Letalität von 50%, die
Lungenpest ist sogar fast zu 100% tödlich. Nach der Erholung von der Krankheit besteht
Immunität und alle Bakterien sind aus dem Körper entfernt.

Pest wird mikroskopisch diagnostiziert und antibiotisch


behandelt
Die Erreger können aus aspirierter Lymphknotenflüssigkeit oder aus Sputum (im Fall
der Lungenpest) gewonnen werden und lassen sich nach Giemsa oder Gram bzw. mit
einer bipolaren (Fluoreszenzantikörper-)Färbung anfärben und sind auch anzüchtbar.
Zur Behandlung der Pest werden Streptomycin und/oder Tetrazykline angewandt.

Zur Pestprävention dienten folgende Maßnahmen:

■ klassische Quarantäne in Häfen und auf Schiffen

■ Bekämpfung von Nagetieren (vor allem Ratten) nach der Landung von
Schiffen oder Flugzeugen in pestfreien Ländern

■ strenge Isolierung von Pestkranken

■ Chemoprophylaxe (mit Tetrazyklin) während einer Epidemie oder vor einem


Besuch betroffener Gebiete

■ Impfung von Soldaten oder Angehörigen bestimmter Berufsgruppen vor dem


Einsatz in Endemiegebieten

Der Impfstoff besteht aus Formalin-inaktivierten Bakterien und verleiht Teilimmunität.


Geschichte der Mikrobiologie
Der Schwarze Tod (England im 14. Jahrhundert)

Über tausende Jahre war Yersinia pestis bei Nagetieren im Fernen Osten endemisch,
und gelegentlich brachen auch in Europa und anderswo Epidemien aus. Im Januar
1348 brachten drei mit Gewürzen beladene Schiffe aus dem Osten die Pest an Bord
nach Italien mit, in den Hafen von Genua. Aus unbekannten Gründen wurde die
Krankheit als „Schwarzer Tod“ bezeichnet.

Sie breitete sich rasch über Europa aus und erreichte London im Dezember 1348.
Nach mittelalterlicher Vorstellung waren die Schnelligkeit und Heftigkeit, mit der sich
die Krankheit (im Winter in Form der Lungenpest) von Mensch zu Mensch
ausbreitete, das schrecklichste Merkmal. Besonders in den wärmeren Sommermonaten
war auch die Bubonenpest wichtig, da in jedem Haushalt mindestens eine
Rattenfamilie und auf jeder Ratte mindestens drei Flöhe lebten.

Die Pest wurde Erdbeben oder planetaren Bewegungen zugeschrieben, man vermutete
in ihr eine Verschwörung von Juden oder Arabern (während der großen
Pestepidemie fanden in Europa über 350 Massaker an Juden statt), doch am häufigsten
sah man sie als Strafe Gottes für menschliche Sünden. Man konnte sich infizieren,
ohne je ein Pestopfer berührt zu haben, und vielen schien es, als läge so etwas wie eine

882
ungesunde Ausdünstung oder ein Gift in der Luft. Ärzte trugen seltsam anmutende
Masken, und infizierte Häuser wurden stigmatisiert und gemeinsam mit ihren
Bewohnern hinter Zäunen abgeschottet. Trotzdem war es unmöglich, alle Kranken zu
isolieren. Der Tod traf Reiche und Arme.

In England starben in zweieinhalb Jahren rund 35% der damaligen Bevölkerung (über
eine Million der insgesamt vier Millionen Einwohner Englands). Aus unklaren
Gründen war die Mortalität im Klerus besonders hoch, denn von den Geistlichen
starben fast 50%. In ganz Europa forderte die Pest mindestens 25 Millionen
Menschenleben und war eine Katastrophe für die Menschheit mit lang anhaltenden
Folgen für die Wirtschafts- und Sozialstruktur.

Im 14.Jahrhundert gab es in England noch fünf kleinere Pestepidemien. Seinen


Eindruck von der Pestepidemie im Jahr 1665, ein Jahr vor dem großen Brand in
London, hat der damals erst 5-jährige Daniel Defoe in einer Zeichnung für sein
Journal of the Plague Year in London (Tagebuch vom Londoner Pestjahr)
festgehalten. Die letzte Pandemie trat in China auf und erreichte 1894 auch
Hongkong, wo Yersin und unabhängig von ihm auch Kitasato Yersinia pestis als
auslösenden Mikroorganismus beschrieben.
Abb. 28.5 Eröffnung einer Pestbeule (Bubo).

Holzschnitt aus Deutschland, 15.Jahrhundert (mit freundlicher Genehmigung der


WHO).

28.7 Yersinia-enterocolitica-Infektion

883
Yersinia enterocolitica ist Auslöser von Durchfallerkrankungen (s. Kap. 22) und wird
hier nur erwähnt, weil Nagetiere, Kaninchen, Schweine und andere Nutztiere sein
Reservoir bilden.

28.8 Tularämie

Auslöser der Tularämie ist Francisella tularensis und


Überträger sind Arthropoden
Verursacht wird die Tularämie durch ein kleines Gram-negatives Stäbchen. Francisella
tularensis wurde erstmals 1912 bei Nagetieren in Tulare County (Kalifornien) isoliert,
doch erst später konnte Edward Francis nachweisen, dass es auch zur Erkrankung von
Menschen führen kann. In vielen Ländern der nördlichen Halbkugel (besonders
Arkansas und Missouri in den USA, Russland, Skandinavien, Spanien) hat Francisella
tularensis ein Reservoir in Nagern und zahlreichen anderen Wildtieren, kommt aber
auch in verseuchtem Wasser vor.

Die nordamerikanische Variante führt zu einer schwereren Verlaufsform als in Europa


und Asien. Bei infizierten Tieren tritt eine pestartige Erkrankung auf, die von Zecken,
Milben, Läusen und Stechfliegen übertragen wird. Bei Zecken kann über die Eier
infizierter Dermacentor-Weibchen auch eine vertikale Übertragung (auf die
nachfolgende Generation) stattfinden. Menschen infizieren sich nur sporadisch, z.B.
über Tierkadaver (beim Enthäuten von Hasen, Wildkaninchen, Bisamratten) oder
Insektenstiche; eine Ansteckung zwischen Menschen kommt nicht vor.

Typisches Symptom sind schmerzhaft geschwollene


Lymphknoten
F. tularensis befällt das retikuloendotheliale System, hält sich als intrazellulärer
Parasit in Makrophagen auf und verhindert die Verschmelzung von Phagosom und
Lysosom. Geschützt durch seine antiphagozytische Kapsel breitet sich der Erreger an
der Eintrittsstelle weiter aus, bis sich innerhalb von 3–5 Tagen ein Hautgeschwür
entwickelt hat; dazu kommt leichtes Fieber. Infolge einer lymphogenen Aussaat können
regionale Lymphknoten schmerzhaft anschwellen.

Nicht selten kommt es nach der Einschwemmung ins Blut zu einer Lungen-, Magen-
Darm- und Leberbeteiligung, wobei sich granulomatöse Knötchen um die infizierten
retikuloendothelialen Zellen bilden oder auch Ausschlag auftreten kann. Unbehandelt
liegt die Letalität der Tularämie bei 5–15%. Durch Schmierinfektion (mit den Fingern)
können sich Bindehaut oder Mundschleimhaut infizieren und entsprechende Augen-
bzw. Mundsymptome hervorgerufen werden. Seltener führt eine Tröpfcheninfektion zu
einer Erkrankung mit Fieber und respiratorischen Symptomen.

Eine Tularämie wird serologisch diagnostiziert und mit


Streptomycin behandelt
Infiziertes Gewebe kann mithilfe der Antikörper-Fluoreszenzfärbung untersucht werden,
doch weil das Risiko einer Laborinfektion sehr hoch ist, wird eine Erregerisolierung

884
nicht allzu oft versucht. Stattdessen werden verbreitet Antikörpernachweismethoden
angewandt.

Mit Streptomycin ist ein wirksames Mittel zur Behandlung verfügbar und für
Personengruppen mit Berufsrisiko (z.B. Pelzjäger) steht eine attenuierte
Lebendvakzine bereit. Zur Sicherheit sollten beim Abhäuten oder Ausweiden von
Tieren Handschuhe getragen werden; man sollte sich außerdem auch vor Zeckenbissen
schützen.

28.9 Pasteurella-multocida-Infektion

Als Bestandteil der normalen Mundflora von Katzen


und Hunden wird Pasteurella multocida durch Tierbisse
auf Menschen übertragen
Pasteurella multocida ist ein bekapseltes, Gram-negatives Stäbchen mit
unterschiedlichen Kapseltypen und weltweit verbreitet. Als Bestandteil der normalen
Mundflora von Katzen, Hunden und anderen Haus- oder Wildtieren kann Pasteurella
bei Tieren auch zu Pneumonie und Septikämie führen. Eine Übertragung auf Menschen
erfolgt durch Tierbisse (besonders von Katzen) oder Kratzwunden.

Die Infektion verursacht eine Zellulitis, wird


mikroskopisch diagnostiziert und mit Penicillin
behandelt
Innerhalb von ein oder zwei Tagen führt die lokale Vermehrung der Bakterien zu
Zellulitis und Lymphadenitis; oft sind in den Läsionen noch andere Bakterien
vorhanden, unter anderem auch Anaerobier. Bei geschwächter Immunabwehr kann sich
die Infektion systemisch ausbreiten. Zu den Virulenzfaktoren von P. multocida gehören
ein Endotoxin und die Kapsel.

P. multocida kann aus Wundmaterial angezüchtet und identifiziert werden. Als


wirksame Behandlung bietet sich Penicillin an; zur Prophylaxe nach einem Katzen-
oder Hundebiss wird Ampicillin eingesetzt. Bisswunden sollten gesäubert und an den
Rändern ausgeschnitten werden (Débridement).

28.10 Leptospirose

Auslöser ist Leptospira interrogans, eine Spirochäte, die


Säugetiere (z.B. Ratten) befällt
Leptospiren sind 5–15 μm lange, stark spiralig gewundene Spirochäten. Sie zeigen
aktive Drehbewegungen und haben an beiden Enden je eine Geißel, die aber wie bei
Borrelien im Zellinnern lokalisiert sind. Da sie sich nicht besonders gut anfärben, lassen
sich ihre zarten Umrisse am besten mit der Dunkelfeldmikroskopie untersuchen.
Neben den zwei bekannten Spezies (mit jeweils mehreren Serotypen) könnten noch
andere existieren. Leptospira biflexa ist eine frei lebende und L. interrogans eine

885
pathogene Art. Dass die Enden von L. interrogans wie ein Fragezeichen gebogen sind,
erklärt den Namen dieser Spezies.

In unterschiedlichen Erdteilen sind zahlreiche Haus- und Wildtiere (Säuger) mit L.


interrogans infiziert (Tab. 28.2). Wichtige Infektionsquellen sind vor allem Hunde und
Ratten. Bei infizierten Tieren entwickelt sich eine chronische Niereninfektion mit
Ausscheidung großer Bakterienmengen im Urin. Obwohl Spirochäten rasch austrocknen
oder durch Erhitzen, Detergenzien oder Desinfektion zerstört werden, können sie in
stehenden Gewässern (mit alkalischem pH) oder in feuchten Böden wochenlang
überleben.

Menschen infizieren sich, wenn sie kontaminiertes Wasser oder Nahrung aufnehmen
bzw. damit in Berührung kommen. Dank ihrer Motilität können die Bakterien in Haut-
oder Schleimhautwunden eindringen, so dass sich Menschen beim Baden, Arbeiten oder
Spielen in verseuchtem Wasser infizieren können. Gefährdet sind vor allem Bergleute,
Bauern, Arbeiter in Kläranlagen und Wassersportler. Aus England und Wales werden
jährlich rund 60 Fälle und aus den USA jährlich ca. 100 Fälle gemeldet. Auch wenn
Leptospiren im menschlichen Urin ausgeschieden werden, kommt es nur sehr selten zu
einer Ansteckung unter Menschen. Immunität wird jeweils nur gegen einen bestimmten
Serotyp erworben.

Klinische Zeichen der Leptospirose sind Nieren- und


Leberversagen
Wenn Bakterien ins Blut eingeschwemmt wurden, tritt nach 1- bis 2-wöchiger
Inkubationszeit eine fieberhafte, grippeartige Krankheit auf. In rund 90% der Fälle
klingt sie folgenlos ab, doch die Bakterienvermehrung führt unter Umständen auch zu:

■ Hepatitis, Gelbsucht und Blutungen in der Leber,

■ Urämie und Bakteriurie (Nieren),

■ aseptischer Meningitis, Blutungen in Bindehaut oder Skleren, im Liquor und


im Oberarmknochen (Abb. 28.6).

Die Symptome beruhen im Wesentlichen auf der Schädigung des Gefäßendothels,


während das Krankheitsbild in gewissem Maße vom beteiligten Leptospirentyp abhängt.
Als schwerste Form der Leptospirose tritt bei 5–10% der Patienten die Weil-Krankheit
mit hämorrhagischen Komplikationen, Leber- und Nierenversagen auf.

886
Tab. 28.2 Wichtige serologische Untergruppen von Leptospira
interrogans und Krankheiten, die sie verursachen.

Eine Leptospirose wird mikroskopisch und serologisch


diagnostiziert und antibiotisch behandelt
Oft lässt sich anamnestisch eine Ansteckungsquelle ermitteln. Man kann die Bakterien
aus Blut-, Liquor- und Urinproben isolieren und durch Agglutinationstests ist auch ein
Anstieg serotypspezifischer Antikörper nachweisbar.

Penicillin und Tetrazykline haben sich als wirksam erwiesen, wenn sie ein oder zwei
Tage nach Auftreten der Symptome verabreicht wurden. Durch Doxycyclin-Gabe nach
einer möglichen Exposition lässt sich ein Ausbruch der Krankheit verhindern.

Weitere Präventionsmaßnahmen sind:

■ Nagetier-/Rattenbekämpfung

■ Schutzkleidung

■ Penicillin-Prophylaxe bei Gefährdeten nach Schnittwunden oder


Abschürfungen.

28.11 Rattenbissfieber (Sodoku)

Das Rattenbissfieber ist als bakterielle Infektion durch


Nagetier-/Rattenbisse auf Menschen übertragbar
Die seltene, weltweit verbreitete Krankheit wird entweder durch Spirillum minus, einen
Gram-negativen spiralförmigen Keim (Spirillenfieber, Spirillose), oder durch
Streptobacillus moniliformis, einen Gram-negativen, fadenförmigen Erreger (Haverhill-
Fieber), verursacht. Beide Bakterienspezies sind bei 50% der gesunden Wildtyp- und
Laborratten sowie bei anderen Nagetieren in der Mund-/Rachenflora nachzuweisen und
werden durch Bisse auf Menschen übertragen.

887
Abb. 28.6 Konjunktivalblutungen bei einem
ikterischen Patienten mit Leptospirose.

(Mit freundlicher Genehmigung von D. Lewis)

Zu den Symptomen können auch Endokarditis und


Pneumonie gehören
Nach einer Inkubationszeit von 7–10 Tagen entwickeln sich Fieber, Kopfschmerzen
und Myalgie. Durch Bakterienvermehrung an der Bissstelle tritt im Fall von S.
moniliformis eine lokale Entzündung auf. Bei weiterer Ausbreitung der Infektion auf
Lymphknoten und ins Blut kommt es zu Lymphadenopathie, Ausschlag und Arthralgie.
Unbehandeltes Fieber neigt zu Rezidiven.

Wenn Komplikationen wie Endokarditis und Pneumonie hinzukommen, kann die


Letalität bei unbehandelten Patienten auf 10% ansteigen.

Rattenbissfieber kann durch mikroskopische


Untersuchung oder Kulturen festgestellt werden und
wird mit Antibiotika behandelt
S. moniliformis kann aus Wunden, Lymphknoten oder Blutproben angezüchtet werden.
Da sich Spirillum minus nicht kultivieren lässt, muss dieser Erreger durch
Dunkelfeldmikroskopie im Gewebe nachgewiesen werden.

Penicillin und Streptomycin sind therapeutisch wirksam.

Zur Prävention dienen Maßnahmen wie:

■ Rattenbekämpfung und

■ bei Laborangestellten Schutz vor Rattenbissen.

888
28.12 Brucellose

Auslöser der weltweit verbreiteten Brucellose sind


Brucellen
Brucellen sind kleine, Gram-negative, unbewegliche Stäbchen, die sich intrazellulär
replizieren. Bei den vier Spezies – Brucella abortus, B. melitensis, B. suis, B. canis –,
die zu Erkrankungen des Menschen führen, handelt es sich möglicherweise nur um
Varianten von B. melitensis. Die drei Erstgenannten besitzen gemeinsame A- und M-
Antigene (bei B. abortus überwiegen A-Antigene, bei B. melitensis M-Antigene), nur B.
canis unterscheidet sich von den anderen.

Brucellen sind zwar in erster Linie tierpathogen, doch Menschen können sich an
infizierten Tieren oder Tierprodukten anstecken (Abb. 28.7).

■ B. abortus infiziert weltweit Kühe/Rinder, konnte aber in mehreren Ländern


ausgerottet werden. Bei Menschen tritt nur eine leichte Krankheitsform auf.

■ B. melitensis infiziert Ziegen und Schafe und ist besonders in


Mittelmeerländern (Malta und anderswo), Mexiko und Südamerika verbreitet. Bei
Menschen tritt eine schwerere Krankheitsform auf.

■ B. suis infiziert Schweine in den USA (und ist dort wichtigste Ursache einer
Brucellose), in Südamerika und Südostasien. Bei Menschen verursacht es eine
schwere Erkrankung mit destruierenden Läsionen.

■ B. canis infiziert Hunde, kommt sehr selten vor und verursacht bei Menschen
nur leichte Erkrankungen.

Da Brucellen bei Kühen und Ziegen auch die Plazenta und Brustdrüsen befallen,
können sie zu einem infektiösen Abort führen und über längere Zeit in der Milch
ausgeschieden werden. Die Keime sind auch in vaginalem Ausfluss, Kot und Urin der
Tiere enthalten.

Bei Menschen tritt eine Brucellose in Form von undulierendem Fieber (Maltafieber) auf,
wenn die Bakterien über Hautabschürfungen, aus dem Verdauungstrakt oder – am
häufigsten – über die Atemwege in den Körper gelangen. Besonders häufig sind daher
Landwirte, Veterinäre und Schlachthofarbeiter betroffen. Seltener sind unpasteurisierte
Kuhmilch (Großbritannien, USA), Ziegenmilch bzw. -käse (Mittelmeerländer) die
Infektionsquelle. Zwischen Menschen findet keine Übertragung statt. Trotz weltweiter
Verbreitung kommt die Infektion in den entwickelten Ländern nur höchst selten vor.
Abb. 28.7 Übertragungsweg der Brucellose.

889
Menschen infizieren sich durch Tierkontakte oder beim Verzehr infizierter
Tierprodukte.

Symptome wie undulierendes Fieber und


Chronifizierung sind immunvermittelt
Von ihrer Eintrittsstelle breiten sich die Bakterien auf lokale und regionale
Lymphknoten und über den Ductus thoracicus ins Blut aus (septikämische Phase).
Nachdem sie Zellen des retikuloendothelialen Systems (Leber, Milz, Knochenmark,
Lymphgewebe) infiziert haben, können die Brucellen dort längere Zeit unbeschadet
überstehen. Folgen der entzündlichen (granulomatösen) Reaktion sind Epitheloid-
und Riesenzellen, zentrale Nekrose und periphere Fibrose.

In den meisten Fällen verläuft die Infektion subklinisch. Nach 1- bis 3-wöchiger
Inkubation entwickelt sich die akute Brucellose schleichend mit Symptomen wie
Abgeschlagenheit (Krankheitsgefühl), Fieber, Schweißausbrüchen, Schmerzen und
Schwäche. Nur bei einer Minderheit der Patienten tritt ein undulierendes (wellenförmig
ansteigendes und abfallendes) Fieber auf.

Manchmal sind vergrößerte Lymphknoten, Splenomegalie und Hepatitis (Abb. 28.8)


nachzuweisen. Aus Knochenmarkläsionen kann sich eine Osteomyelitis entwickeln, und
gelegentlich kommen Cholezystitis, Endokarditis oder Meningitis hinzu. Trächtige Tiere

890
(Kühe, Säue, Ziegen) können auf die Infektion mit Abort reagieren. Das ist bei Frauen
nicht der Fall, weil ihnen der Zuckerbaustein Erythritol fehlt, der das
Bakterienwachstum in der Plazenta stimuliert.

Die meisten Patienten erholen sich nach ein paar Wochen oder Monaten wieder, doch
nach mehr als einjähriger Krankheitsdauer kann sich eine chronische Brucellose mit
Müdigkeit, Schmerzen, Angstzuständen, Depression und gelegentlichem Fieber
entwickeln. Rückfälle oder Remissionen sind möglich. Bei chronischer Brucellose
lassen sich keine Bakterien mehr isolieren, daher ist die Diagnose oft schwierig zu
stellen. Auch wenn sich im Allgemeinen hohe Titer in der Agglutinationsreaktion
zeigen, spielen Antikörper bei den intrazellulären Parasiten eine unwichtigere Rolle als
die zellvermittelte Immunität.
Abb. 28.8 Im Computertomogramm ist die
Hepatosplenomegalie bei Brucella-melitensis-
Infektion erkennbar.

(Mit freundlicher Genehmigung von H. Tubbs)

Die Brucellose wird serologisch diagnostiziert und mit


Antibiotika behandelt
Brucellen lassen sich in einigen Fällen nach dem Anlegen von einer Blutkultur (oder
aus Knochenmark-, Lymphknotenbiopsien, Urinproben) isolieren. Das kann bis zu 4
Wochen dauern. In der Akutphase sind IgM-Antikörper und bei chronischer Brucellose
IgG- und IgA-Antikörper vorhanden. Ein Titeranstieg deutet auf eine aktive Infektion
hin.

891
Brucellen sprechen auf Tetrazykline und Streptomycin an; auch Cotrimoxazol kommt
zum Einsatz. Aufgrund der intrazellulären Lokalisation sind bei diesen Bakterien
längere Therapiezyklen nötig (über 3 Monate).

Beim Pasteurisieren von Milch werden die Brucellen zerstört. In den USA und
Großbritannien geht die Zahl der Brucellose-Fälle seit der Durchführung groß
angelegter Eradikations- und Kontrollprogramme allmählich zurück (aus den USA
werden derzeit ca. 100 Fälle/Jahr gemeldet). Wer Kontakt zu infizierten Tieren haben
könnte (Landwirte, Tierärzte, Schlachter), sollte Schutzkleidung und Schutzbrille tragen.
Für Menschen steht noch kein Impfstoff zur Verfügung, der zufrieden stellend wirksam
wäre. Nach unabsichtlicher Eigeninjektion der Lebendvakzine S19 für Tiere trat bei
Tierärzten eine leichte Form der Erkrankung auf.

28.13 Wurmbefall/Helmintheninfektionen

Nur wenige Wurminfektionen sind echte


multisystemische Erkrankungen
Es war in gewisser Weise eine willkürliche Entscheidung, bestimmte
Helmintheninfektionen in dieses Kapitel über multisystemische Zoonosen mit
aufzunehmen. Viele Wurmparasiten kann man sich über Tierkontakte zuziehen. Einige
durchlaufen Entwicklungsstadien, in denen sie in unterschiedliche Körpersysteme
eindringen, während andere primär in einem bestimmten Organ lokalisiert sind, aber
sehr weitreichende pathologische Veränderungen hervorrufen. Umgekehrt können
Würmer zwar in bestimmten Stadien überall im Körper verteilt sein, sich aber auf ein
ganz bestimmtes Organ pathologisch auswirken. Einige Beispiele:

■ Larven des Schweinebandwurms(Taenia solium) entwickeln sich in


unterschiedlichen Geweben, wie etwa in Muskeln, und verursachen eine Zystizerkose.
Trotzdem betreffen die schwersten pathologischen Auswirkungen das ZNS; daher ist
die Zystizerkose in Kap. 24 abgehandelt.

■ Nach einer Infektion mit Wurmeiern des Hundebandwurms(Toxocara canis)


wandern die geschlüpften Larven durch den ganzen Körper; dieser Zustand wird als
Larva migrans visceralis bezeichnet. Die schwersten pathologischen Folgen sind
wiederum mit Larven im ZNS (s. Kap. 24) oder in den Augen (s. Kap. 25) verbunden.

Doch drei Wurmarten können tatsächlich als Helminthen mit multisystemischer


Wirkung aufgefasst werden:

■ der Bandwurm Echinococcus granulosus,

■ die Rundwürmer Trichinella spiralis und

■ Strongyloides stercoralis.

28.13.1 Echinokokkose

892
In adulter Form sind Echinokokken winzige
Hundebandwürmer und in Larvenform verursachen
sie Hydatidenzysten bei Menschen
Die adulten Würmer leben als winzige (3–5 mm lange) Bandwürmer im Darm des
Hundes. Im Hundekot ausgeschiedene Wurmeier können in der Umwelt lange Zeit
unbeschadet überleben. Wenn sie (von Schafen oder unabsichtlich von Menschen)
verschluckt werden, schlüpfen daraus im Dünndarm Larven, die über die Schleimhaut
in Blutgefäße eindringen und sich meist im Kapillarbett der Leber, aber auch in der
Körperhöhle, in Lunge, Gehirn, Augen, Rückenmark oder Röhrenknochen einnisten.
Dort wachsen sie allmählich zu großen, dickwandigen, mit Flüssigkeit gefüllten
Hydatidenzysten heran, die sich weitgehend durch mechanischen Druck pathologisch
auswirken (Abb. 28.9).

Eine Echinokokkose bzw. Hydatidose wird durch


bildgebende Verfahren, mikroskopische oder
serologische Untersuchungen diagnostiziert, sie wird
mit Praziquantel und chirurgisch behandelt
Durch Röntgen, Ultraschall oder CT können die Hydatidenzysten entdeckt werden.
Zur Sicherung der Diagnose können serologische Untersuchungen durchgeführt
werden, jedoch mit variabler Sensitivität und Spezifität. Die endgültige Bestätigung
der Diagnose liefern Haken oder Skolexstücke in der aspirierten Zystenflüssigkeit.

893
Abb. 28.9 Hydatidenzysten.

a) Patienten mit deutlicher Vorwölbung des Abdomens durch Hydatidenzysten in


der Leber. b) Das Bronchogramm zeigt links unten in der Mitte eine
Bronchusverlegung durch Echinococcus-granulosus-Zyste. Mit freundlicher
Genehmigung von G.S. Nelson (a) und R.B. Holliman (b).

Mit Praziquantel steht zwar ein Mittel zur medikamentösen Behandlung bereit, doch
die chirurgische Entfernung der Zysten (soweit möglich) führt zu besseren
Behandlungsergebnissen. Damit keine Flüssigkeit heraussickert, müssen die Zysten
äußerst vorsichtig entfernt werden. Sonst könnten bei empfindlichen Patienten
allergische Reaktionen ausgelöst werden. Aufgrund der großen Anzahl von Larven
(durch asexuelle Vermehrung) in der Zystenflüssigkeit bestünde zudem die Gefahr,
dass die Infektion zu anderen Stellen streut.

Echinococcus multilocularis (Finnen des Fuchsbandwurms) hat große Ähnlichkeit


mit E. granulosus, führt aber zur Bildung von Zysten aus Hunderten kleiner
Bläschen ohne eine Außenhülle aus Bindegewebe. Diese Parasitenform entwickelt
sich im Allgemeinen über einen Fuchs-Nagetier-Zyklus in Nordeuropa, Sibirien und
Teilen Nordamerikas. Menschen infizieren sich durch Fuchskot. Bei einer

894
Leberbeteiligung kommt es zu Gelbsucht und Gewichtsverlust; dieser Zustand ist
gewöhnlich inoperabel.

28.13.2 Trichinellose

Trichinella spiralis wird durch nicht richtig gares


Schweinefleisch übertragen und verursacht eine
Trichinellose
Von allen Nematodenarten ist vermutlich T. spiralis am weitesten verbreitet, da
praktisch jedes warmblütige Tier befallen sein kann. Der natürliche
Entwicklungszyklus von T. spiralis läuft zwischen Raubtieren (Bären, Roben) und
Beute bzw. zwischen Aasfressern und Aas ab, doch daneben hat sich auch noch ein
Haustierzyklus (Schweine, Ratten) etabliert.

Menschen infizieren sich beim Verzehr von nicht ausreichend gegartem Fleisch
(Schwein oder Wildtiere), wenn sich Zysten mit infektiösen Larven darin befinden. Im
Dünndarm reifen die Larven rasch zu adulten Würmern heran, die in die Schleimhaut
eindringen und dadurch eine akute Enteritis verursachen.

Es treten überwiegend immunpathologische


Symptome auf
Die Weibchen setzen lebende Larven in der Darmmukosa ab. Von dort dringen die
Larven in Blutgefäße ein und werden mit dem Blut im ganzen Körper verteilt. In
dieser Phase kann eine Bakteriämie auftreten. Die Larven versuchen zwar, in
zahlreiche Organe (einschließlich Herz und ZNS) einzudringen, doch nur in
Skelettmuskelzellen können sie heranreifen und die typischen Zysten bilden (Abb.
28.10). Es gibt ein breites Spektrum von Symptomen (Fieber, Gelenk- und
Muskelschmerzen, Eosinophilie, periorbitale Ödeme, Myositis, petechiale Blutungen;
gelegentlich auch Enzephalitis und kardiale Störungen), die aber hauptsächlich durch
Hypersensitivitäts- und Entzündungsreaktionen verursacht werden.

895
Abb. 28.10 Entzündliche Reaktion um eine Zyste mit
eingerollter Trichinella spiralis-Larve.

(Mit freundlicher Genehmigung von I.G. Kagan)

Eine Trichinellose wird mikroskopisch und serologisch


diagnostiziert und mit Anthelminthika sowie
Entzündungshemmern behandelt
Muskelbiopsien und der Nachweis spezifischer Antikörper (ELISA) führen zur
Diagnose. Behandelt wird mit Benzimidazolen, doch manchmal kann zusätzlich eine
symptomatische Therapie mit antiinflammatorisch wirkenden Mitteln nötig sein.

28.13.3 Strongyloidose

Strongyloides-Infektionen werden meist zwischen


Menschen übertragen, können sich aber auch in
Tierwirten (Hunden) entwickeln
Eine Strongyloidose entsteht, wenn sich infektiöse Wurmlarven durch die Haut
bohren, durch die Lunge in Alveolen einwandern, in Bronchien und Trachea
hochsteigen und schließlich hinuntergeschluckt werden. Über Parthenogenese
entwickeln sich nur Weibchen im Darm des Wirts, die ihre Eier in Strängen in der
Darmmukosa ablegen (Abb. 28.11). Die aus den Eiern geschlüpften Larven werden
im Stuhl ausgeschieden und benötigen ein warmfeuchtes Milieu im Boden, um
infektiös zu werden. Geografisch zeigt sich bei der Strongyloidose ein ähnliches
Verbreitungsmuster wie bei Hakenwürmern (tropische Regionen und ländliche
Gegenden im Süden der USA).
Abb. 28.11 Strongyloides stercoralis.

896
Adulte Würmer und Larven in der Dünndarmmukosa haben die Zotten zerstört.

Eine Übertragung der Infektion findet am häufigsten zwischen Menschen statt, doch
zwei Strongyloides-Spezies können sich auch in Tieren entwickeln, z.B. in Hunden (S.
stercoralis) und afrikanischen Menschenaffen (S. fulleborni). Fäkale Larven können
direkt in ihr infektiöses Stadium übergehen und ihren Wirt erneut infizieren, wenn sie
in die perianale Haut oder Schleimhaut eindringen; das setzt einen Prozess der
Autoinfektion in Gang.

Auch wenn sie meistens asymptomatisch verläuft,


kann sich eine Strongyloidose bei T-Zell-Insuffizienz
oder Mangelernährung zur disseminierten Krankheit
ausweiten
Bei immunkompetenten Wirten spielt eine Autoinfektion keine besondere Rolle,
und mit Ausnahme von gelegentlicher Diarrhoe oder Erbrechen verläuft die
Strongyloidose bei den meisten Infizierten asymptomatisch. Doch bei T-Zell-
Insuffizienz oder Mangelernährung kanin es infolge der Autoinfektion zu einer
Hyperinfektion bzw. disseminierten Strongyloidose kommen.

Da fast sämtliche Organe mit Larven befallen sein können, entwickelt sich ein
schweres, manchmal tödliches Krankheitsbild. Diese Patienten können mit
Erbrechen, Bauchschmerzen, Durchfall (führt zu Malabsorption und Dehydrierung),
Eosinophilie, Pneumonitis und anderen „allergischen“ Symptomen auf die
Wurminfektion reagieren. Eine disseminierte Strongyloidose stellt sich manchmal erst
Jahre nach der Erstinfektion ein. Es gilt als erwiesen, dass es über 30 Jahre dauern
kann, bis die Immunabwehr des Patienten gegen die ständig wieder aufflackernde
geringgradige Autoinfektion schließlich nachlässt. Vor diesem Hintergrund sollte ein
HTLV-1-Antikörpertest durchgeführt werden, da beide Infektionen zusammenhängen
können.

897
Strongyloides-Infektionen werden mikroskopisch
diagnostiziert und mit Anthelminthika behandelt
Die Labordiagnose stützt sich auf mikroskopisch sichtbare Larven im Stuhl; zur
Behandlung werden PageAnthelminthika wie Thiobendazol oder Levamisol
eingesetzt.
Zusammenfassung
■ Die in diesem Kapitel beschriebenen multisystemischen Infektionen sind
Zoonosen, die sich in natürlichen (Wirbeltier-)Reservoiren aufrechterhalten.

■ Menschen infizieren sich nur zufällig, im Allgemeinen durch Nagetiere (mit


Arenaviren, Hantaviren, Pest, Tularämie, Leptospirose) oder Haustiere
(Brucellose, Hydatidose, Leptospirose, Echinokokkose, Trichinellose).

■ Zwischen Menschen findet in der Regel keine Übertragung statt.

■ Entscheidend sind Art und Ausmaß der Mensch-Tier-Kontakte.

■ Einige Infektionen sind sehr schwerwiegend (virulente Erreger).

■ In der Geschichte traten immer dann große Epidemien (z.B. Pest) auf, wenn
sich das Tierreservoir in räumlicher Nähe zu dicht bevölkerten
Menschenansiedlungen befand.

■ Bei weniger intensivem Kontakt von Menschen zu Tierreservoiren haben selbst


hoch virulente Erreger (wie das Lassa- oder Ebola-Virus) viel schwächere
Auswirkungen.

■ Die meisten genannten Infektionen (Milzbrand, Brucellose, Hydatidose) sind


zwar in den entwickelten Ländern selten geworden, zählen aber in den
Entwicklungsländern weiterhin zu häufigen Krankheitsursachen.

■ Für die meisten nichtviralen Infektionen stehen wirksame (antimikrobielle)


Medikamente zur Verfügung, doch im Allgemeinen mangelt es an wirksamen
Impfstoffen.

FRAGEN
Ein 39-jähriger Seemann war in Fernost und danach in Afrika gewesen. Seit einem
Monat fühlt er sich unwohl mit Fieber, Kopfschmerzen, Müdigkeit und
Schweißausbrüchen. Auf hoher See hatte er außer 38°C Fieber keine anderen
nennenswerten Beschwerden.

Bei der Untersuchung hat er Fieber (39°C), im linken oberen Quadranten ist sein
Abdomen druckempfindlich und die Milz etwa einen Fingerbreit vergrößert.

Laborwerte: Hämoglobin 14 g/dl, Leukozyten 1,8 × 109/l, Thrombozyten 250 ×


109/l; im Blutausstrich sind keine Malariaparasiten erkennbar;
Blutsenkungsgeschwindigkeit von 40 mm/h; Harnstoff und Elektrolyte normal;

898
Leberfunktion und Thoraxröntgen normal; nach 48 Stunden kein
Bakterienwachstum in der Blutkultur; im Morgenurin Mycobacterium tuberculosis
nicht nachweisbar.

Auf Nachfragen gibt er an, dass er in Afrika unpasteurisierte Molkereiprodukte


gegessen hat. Wie lautet die Verdachtsdiagnose?

a) Q-Fieber

b) Milzbrand (Anthrax)

c) Trichinellose

d) Brucellose

e) Leptospirose
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

Hugh-Jones, M.E.: Outline of Zoonotic Diseases. Iowa State University Press, Ames
2002.

Krauss, H., Weber, A., Appel, M., Enders, B., Graevenitz, A. von, Isenberg, H.D.,
Schiefer, H.G., Slenczka, W., Zahner, H.: Zoonosen. Von Tier zu Mensch
übertragbare Infektionskrankheiten. 2004. 3., vollständig überarb. und erw. Aufl.,
Deutscher Ärzte-Verlag.

Palmer, S.R., Soulsby, E.J.L., Simpson, D.I.H. (eds.): Zoonoses. Oxford University
Press, Oxford 1998.

899
29 Fieber unbekannter Ursache (FUO)
29.1 Definition von FUO 443

29.2 Ursachen von FUO 443

29.3 Abklärung eines klassischen FUO 444

29.4 FUO-Behandlung 445

29.5 Besondere Patientengruppen 446

29.6 Infektiöse Endokarditis 447


Zur Orientierung
Fieber ist ein Anstieg der Körpertemperatur über den normalen Wert und kann
kontinuierlich oder intermittierend auftreten

Homöostatische Regelmechanismen sorgen dafür, dass eine konstante Körpertemperatur


aufrechterhalten wird, die täglich (im zirkadianen Rhythmus) nicht mehr als + 1–1,5°C
schwankt. Obwohl 37°C als „normale“ Körpertemperatur gelten, gibt es individuelle
Unterschiede; so kann sie bei manchen Menschen ständig darunter (bis 36°C) und bei
anderen darüber (bis 38°C) liegen. Fieber ist als Anstieg der Körpertemperatur über den
Normalwert definiert – oral über 37,6°C, rektal über 38°C – und kann kontinuierlich oder
intermittierend auftreten:

■ Bei kontinuierlichem Fieber ist die Temperatur über 24 Stunden erhöht und
schwankt im Tagesverlauf um weniger als 1°C (z.B. typisch für Typhus).

■ Bei intermittierendem Fieber ist die Temperatur auch über 24 Stunden erhöht, zeigt
aber im Tagesverlauf Schwankungen um mehr als 1°C (typisch für pyogene Infektionen,
Abszesse und Tuberkulose).

Mit Fieber reagiert der Körper auf:

■ exogene Pyrogene (wie Endotoxine in der Zellwand Gram-negativer Bakterien)

■ endogene Pyrogene (wie das von phagozytierenden Zellen freigesetzte Interleukin 1)

Im Allgemeinen wird Fieber als Schutzreaktion angesehen (Abb. 29.1).

900
29.1 Definition von FUO
Patienten geben bei Arztbesuchen häufig Fieber als Beschwerde an. Die Fieberursache ist
meist sofort ersichtlich oder stellt sich innerhalb weniger Tage heraus. Oft normalisiert
sich die erhöhte Temperatur auch spontan wieder. Wenn Patienten aber wiederholt
Fieber (über 38,3°C) haben, das trotz intensiver einwöchiger Untersuchungen mehr als
drei Wochen anhält, lautet die vorläufige Diagnose „Fieber unbekannter Ursache“ (fever
of unknown origin, FUO). Dies ist die klassische Definition von FUO. Seitdem es aber
dank der modernen Medizin gelingt, immer mehr Patienten mit schweren
Grunderkrankungen am Leben zu erhalten, ist eine weitere FUO-Definition für Patienten
aus besonderen Risikogruppen formuliert worden (Tab. 29.1).

29.2 Ursachen von FUO

Am häufigsten sind Infektionen die Ursache


Seit Jahrhunderten galt Fieber als typisches Zeichen einer Infektion, und Infektionen
sind auch die häufigste Einzelursache eines FUO (bei 30–40% der Erwachsenen und
50% der Kinder). Daneben gibt es allerdings noch zwei wichtige nichtinfektiöse
Fieberursachen, nämlich:

■ maligne Erkrankungen und

■ Kollagenosen (Abb. 29.2).

Diese nichtinfektiösen Ursachen müssen von Infektionen während der Untersuchung


von Patienten mit FUO abgegrenzt werden. Trotz intensiver und zeitaufwendiger
Untersuchungen bleibt aber bei 5–15% der Patienten die Fieberursache unklar. Solange
allerdings kein deutlicher Gewichtsverlust auftritt oder Anzeichen einer schweren
Grundkrankheit vorliegen, ist die Prognose günstig – selbst bei länger anhaltendem
Fieber. Etwa 10% der Patienten können ihr Fieber selbst induziert haben (künstliches
Fieber), z.B. bei einem Münchhausen-Syndrom.

Infektionen als Ursache des klassischen FUO


Die wichtigsten infektiösen Ursachen des klassischen FUO sind in Tab. 29.2
zusammengestellt und können in zwei Hauptgruppen unterteilt werden:

■ Infektionen durch einen bestimmten Erreger (wie Tuberkulose oder Typhus)

■ Infektionen durch unterschiedliche Erreger (wie Harn-/Gallenwegsinfekte oder


Abszesse)

Die meisten dieser Infektionen sind an anderer Stelle dieses Buches näher beschrieben.
Die bakterielle Endokarditis wird weiter unten besprochen.

In einigen Patientengruppen kann eine signifikante Infektion ohne Fieber vorliegen,


z.B. bei

■ schwerkranken Neugeborenen

901
■ älteren Menschen

■ Urämie

■ Kortikosteroidtherapie

■ Dauereinnahme antipyretischer Mittel


Abb. 29.1 Fiebermechanismen.

Fieber kann durch exogene Pyrogene (Bakterien und deren Toxine) oder durch
wirtseigene endogene Pyrogene ausgelöst werden und schützend wirken. IL =
Interleukin, PG = Prostaglandin, TNF = Tumornekrosefaktor

In dem Fall muss nach anderen Zeichen einer Infektion gesucht werden. In diesem
Kapitel geht es aber ausschließlich um Patienten mit Fieber.

29.3 Abklärung eines klassischen FUO

Untersuchungsschritte

902
Da es für ein FUO viele verschiedene infektiöse und andere Ursachen geben kann, ist es
praktisch ausgeschlossen, bei jedem Patienten gleich mit spezifischen Untersuchungen
zu beginnen. Stattdessen kann das diagnostische Vorgehen in einzelne Schritte oder
Stufen unterteilt werden, um auf jeder Stufe die wahrscheinlichste Ursache einzukreisen
oder auszuschließen und dann gezielt weiter zu untersuchen (Tab. 29.3).

Stufe 1: gründliche Anamnese, körperliche


Untersuchung und Screening-Tests
Entscheidend ist eine umsichtige, gründliche Erhebung der Anamnese; daher sollte
nach (Fern-) Reisen, Beruf/Arbeit, Hobbys, Tierkontakten, früher durchgemachten
Infektionen, einer Antibiotikatherapie (in den letzten zwei Monaten), Suchtverhalten
und anderen Gewohnheiten gefragt werden. Da in Tab. 29.2 auch Zoonosen
(Leptospirose, Fleckfieber) und Infektionen, die von Vektoren übertragen werden
(Malaria, Trypanosomiasis) und/oder ein bestimmtes geografisches Verbreitungsmuster
(Histoplasmose) zeigen, aufgeführt sind, ist die Reiseanamnese besonders wichtig.

Als wichtige Ergänzung zur Vorgeschichte und hinsichtlich möglicher


Differenzialdiagnosen wird dann eine umfassende körperliche Untersuchung
durchgeführt. Zu achten ist besonders auf:

■ Haut, Augen, Lymphknoten und Abdomen

■ Herzgeräusche bei der Auskultation

Wichtig ist auch zu kontrollieren, ob der Patient Fieber hat. In einigen


Untersuchungsreihen klagten fast 25% der FUO-Patienten über Fieber, obwohl sich ihre
Körpertemperatur nur im Rahmen der zirkadianen Rhythmusschwankungen leicht
erhöhte. Bis zu 10% der Patienten können ein künstlich induziertes Fieber haben. Auf
dieser ersten Stufe werden auch routinemäßig Thorax (Röntgen) und Blut untersucht.

Stufe 2: kritische Durchsicht der Krankengeschichte,


erneute körperliche Untersuchung, spezifische Tests
und nicht-invasive diagnostische Methoden
Um sich zu vergewissern, dass nichts übersehen wurde (z.B. eine kürzer oder länger
zurückliegende Gefährdung durch einen Risikofaktor), kann eine kritische Durchsicht
der Krankengeschichte (nach Gesprächen mit Kollegen oder unter Umständen von
einem anderen Arzt vorgenommen) sinnvoll sein. Die körperliche Untersuchung sollte
wiederholt werden, weil Ausschläge und andere Symptome oft nur flüchtig auftreten.

Wenn sich aus der Anamnese diagnostisch wichtige Hinweise ergeben, kann gezielt
weitergeforscht werden. Da ein FUO in den meisten Fällen durch eine Infektion bedingt
ist, sollten geeignete Proben entnommen und sorgfältig untersucht werden; auf dieser
Stufe kann auch ein Hauttest sinnvoll sein. Blutproben sind vor allem wichtig für:

■ Blutkulturen

■ Antikörpertests; zu Vergleichszwecken sollten gleich bei der Erstuntersuchung


des Patienten Blutproben entnommen und aufbewahrt werden, um später feststellen zu

903
können, ob sich der Antikörpertiter (nach einigen Wochen der Infektion) erhöht hat.
Serologische Tests eignen sich besonders zur Diagnose einer CMV- (Zytomegalie)
oder EBV(Epstein-Barr-Virus)-Infektion, einer Toxoplasmose, Psittakose oder
Rickettsiose. Vorsicht ist bei positiver Luesserologie (Syphilis) geboten, denn es
könnte sich um ein falsch-positives Ergebnis aufgrund einer anderen Infektion handeln
(s. Kap. 21).

■ Direktuntersuchung auf Parasitenstadien (bei Malaria, Trypanosomiasis und


Rückfallfieber).

Oft ist es nötig, wiederholt Proben (Blut, Urin, andere Körperflüssigkeiten) zu gewinnen
und das Labor anzuweisen, gezielt nach seltenen und schwierig nachzuweisenden
Keimen zu suchen (z.B. nach ernährungsabhängigen Streptokokken als Auslöser einer
Endokarditis, s. unten). Alle Proben sollten möglichst vor Beginn der
Antibiotikatherapie gesammelt werden.

Tab. 29.1 Definitionen von Fieber unbekannter Ursache (FUO).

904
Dank technischer Fortschritte bei bildgebenden Verfahren verfügt der Arzt nun über ein
breites Spektrum nichtinvasiver Diagnosemethoden (wie Ultraschall, CT, MRT usw.).
Während radiologische Verfahren wie Thoraxröntgen (Abb. 29.3) bei Patienten mit
FUO zur Routineuntersuchung gehören, werden Gallium- oder Technetium-Szintigrafie
im Hinblick auf bestimmte Verdachtsdiagnosen angewendet (Abb. 29.4).

905
Abb. 29.2 Ursachen für ein Fieber unbekannter
Ursache (FUO).

Nach den Ergebnissen mehrerer retrospektiver Studien waren Infektionen die


häufigste monokausale Erklärung eines FUO. In einer signifikanten Fallzahl blieb
die Fieberursache jedoch unbekannt.

Stufe 3: invasive Untersuchungsmethoden


Zur Abklärung eines klassischen FUO sollten immer Leber- und
Knochenmarkbiopsien in Erwägung gezogen werden, doch auch andere
Gewebeproben (Haut, Lymphknoten oder Niere) können von Nutzen sein. Da es nicht
wünschenswert ist, Biopsien zu wiederholen, sollte das gewonnene Material im Labor
sehr sorgsam untersucht werden, um möglichst viele Informationen zu erhalten.

Stufe 4: Therapieversuche
Bei Verdacht auf eine nicht-infektiöse Ursache kann ein Therapieversuch mit
Kortikosteroiden (Prednison, Dexamethason) oder Prostaglandinhemmern
(Acetylsalicylsäure, Indometacin) indiziert sein. Beim klassischen FUO gibt es kaum
Indikationen für eine empirische Antibiotika- oder zytotoxische Chemotherapie.
Allerdings ist bei Patienten, die bereits in der Vorgeschichte an Tuberkulose erkrankt
waren, auch ohne mikrobiologische Verdachtszeichen ein Versuch mit
Antituberkulotika vertretbar. Da Infektionen von neutropenischen oder AIDS-
Patienten sehr rasch voranschreiten können, ist auch in ihrem Fall ein therapeutischer
„Blindversuch“ (d.h. eine ungezielte Therapie) gerechtfertigt (s. unten).

906
29.4 FUO-Behandlung
Untersuchung und Behandlung von FUO-Patienten erfordern neben einer gewissen
Ausdauer auch Sachkenntnis und Aufgeschlossenheit, um die Diagnose aufzuspüren.
Angesichts der großen Bandbreite möglicher infektiöser Ursachen ist die richtige
Diagnose Grundbedingung für die Wahl einer geeigneten Therapie. Sobald die Ursache
feststeht, kann mit der gezielten, spezifischen Behandlung begonnen werden (wenn es
sie gibt).

907
Tab. 29.2 Auswahl möglicher infektiöser Ursachen von Fieber
unbekannter Ursache.

908
Tab. 29.3 Stufenplan der diagnostischen Schritte zur Abklärung
eines FUO.

29.5 Besondere Patientengruppen

Der Hauptunterschied zwischen klassischem FUO und


einem FUO bei diesen Patienten ist der zeitliche Verlauf
Wie oben erwähnt, überleben immer mehr Patienten mit schweren Grunderkrankungen,
die sie anfälliger für Infektionen machen oder eine Immunsuppression mit zytotoxischen
Medikamenten erfordern. Diese Patientengruppen sind in Kap. 30 ausführlicher
beschrieben, werden aber hier schon unter dem Aspekt neuer FUO-Definitionen
angesprochen, die sich durch sie ergeben (Tab. 29.1):

■ nosokomiales FUO

■ neutropenisches FUO

■ HIV-assoziiertes FUO

Ein klassisches FUO kann Wochen oder Monate bestehen, ohne diagnostiziert zu
werden, während es bei einem FUO hospitalisierter oder neutropenischer Patienten eine
Frage von Stunden oder Tagen ist. In Tab. 29.4 sind die wichtigsten infektiösen
Ursachen eines FUO bei diesen Patientengruppen aufgeführt.

Die diagnostische Vorgehensweise orientiert sich an den oben genannten Stufen, setzt
aber bei den jeweiligen Patienten besondere Schwerpunkte. Bei hospitalisierten
Patienten richtet sich das Vorgehen nach

■ durchgeführten Eingriffen/Operationen; Fieber ist z.B. eine


Allgemeinerscheinung nach Transplantation und könnte eher auf eine
Abstoßungsreaktion (graft-versus-host disease) als auf eine Infektion hinweisen;

909
■ besonders in Gefäßen vorhandenen Fremdkörpern (z.B. liegender Katheter);

■ der Medikation, da einem FUO häufig ein (nicht infektiöses)


Arzneimittelfieber zugrunde liegt;

■ Grundkrankheit und Chemotherapiestadium bei neutropenischen Patienten;

■ bekannten Risikofaktoren wie i.v. Drogenmissbrauch, Reisen oder Kontakt zu


Infizierten (z.B. bei HIV-positiven Patienten). Obwohl die wichtigsten
opportunistischen Infektionen von AIDS-Patienten gut beschrieben sind (s. Kap. 30),
können Infektionen in atypischer Form erscheinen und auch ständig neue Infektionen
auftreten.
Abb. 29.3 Differenzialdiagnostisch zwischen
infektiösen und anderen Ursachen der Granulome zu
unterscheiden ist wichtig, kann in frühen
diagnostischen Stadien aber schwierig sein.

a) Mithilfe der Computertomografie lassen sich Abszesse nachweisen. Doch bei


diesem Patienten mit Hirntuberkulom ist das CT zu unspezifisch, um es von einem
pyogenen Abszess oder einem Meningeom abzugrenzen.

b) Thoraxröntgenbild eines Patienten mit Sarkoidose. Mit freundlicher


Genehmigung von J. Ambrose (a) und M. Turner-Warwick (b).

29.6 Infektiöse Endokarditis


Als seltene Krankheit kann sich hinter einem FUO eine infektiöse Endokarditis verbergen,
die unbehandelt meist tödlich ausgeht. Die Infektion der Herzinnenhaut (Endokard)
schließt oft auch die Herzklappen mit ein. Sie kann sich als akute, rasch progrediente
Krankheit oder in subakuter Form (Lenta-Endokarditis) präsentieren. Bei den meisten
Patienten war das Herz schon vorher geschädigt (angeborener Herzfehler oder z.B. infolge

910
von rheumatischem Fieber) oder ein Klappenersatz durchgeführt worden. Allerdings
werden manche Patienten erst durch die Infektion auf einen vorhandenen Herzfehler
aufmerksam.

Obwohl fast jeder Erreger eine Endokarditis auslösen


kann, sind die nativen Herzklappen meist mit
Streptokokken oder Staphylokokken infiziert
Infektionen der nativen Herzklappen werden am häufigsten durch orale Streptokokken
der Viridans-Gruppe (vergrünende Streptokokken wie Streptococcus sanguis, S. oralis,
S. mitis) und durch Staphylococcus aureus verursacht. Intravenös Drogenabhängige
haben ein zusätzliches Komplikationsrisiko durch Erreger, die sie sich selbst injizieren.
Eine früh nach Klappenersatz auftretende Endokarditis wird oft durch
koagulasenegative Staphylokokken verursacht, die möglicherweise während der
Operation in den Körper gelangen. Später (mehr als drei Monate nach prothetischen
Herzoperationen) wird die Infektion wahrscheinlich eher von Spezies ausgelöst, die
auch native Herzklappen befallen (Tab. 29.5).
Abb. 29.4 Gallium-Szintigraphie.

Da sich Gallium in vielen entzündeten und tumorösen Geweben anreichert, kann sie
als nichtinvasive Untersuchungsmethode bei Patienten mit FUO nützlich sein: a)
deutlich erkennbare retroperitoneale Lymphadenopathie bei Morbus Hodgkin, b)
intraabdomineller Abszess.

A = Abszess, G = Gallium im KolonMit freundlicher Genehmigung von H. Tubbs


(a) und W.E. Farrar (b).

Bei einer Endokarditis handelt es sich um eine endogene Infektion. Sobald die Erreger
ins Blut gelangen, setzen sie sich an den Herzklappen fest – potenziell könnte jede
Bakteriämie zu Endokarditis führen. Am häufigsten breiten sich Streptokokken der
Mundflora auf dem Blutweg aus (z.B. durch zahnärztliche Eingriffe, kräftiges
Zähneputzen oder den Gebrauch von Zahnseide), um sich dann an geschädigte

911
Herzklappen zu heften. Man nimmt an, dass sich auf geschädigten Herzklappen Fibrin-
Thrombozyten-Auflagerungen (Vegetationen) gebildet haben, die den Boden für die
Erreger bereiten.

Tab. 29.4 Infektiöse FUO-Ursachen in besonderen


Patientengruppen (repräsentative Auswahl).

912
Die Adhärenz der Keime an den Herzklappen wird vermutlich durch ihre Fähigkeit,
Dextrane zu bilden, sowie durch Adhäsine und Fibronektin-bindende Proteine
begünstigt. An Stellen wie den Herzklappen sind die Keime geschützt vor der
Wirtsabwehr, vermehren sich und bewirken dadurch eine weitere Ablagerung von
Fibrin und Thrombozyten. So können die Vegetationen mehrere Zentimeter dick
werden. Das scheint ein ziemlich langsamer Vorgang zu sein; entsprechend lange dauert
es vom Beginn der Bakteriämie bis zum Auftreten von Symptomen – durchschnittlich
fünf Wochen (Abb. 29.5).

Patienten mit infektiöser Endokarditis haben fast immer


Fieber und Herzgeräusche
Trotz variabler Ausprägung der Symptome spielen sich bei einer infektiösen
Endokarditis im Wesentlichen vier Prozesse ab:

■ Infektion der Herzklappe, verbunden mit lokalen intrakardialen


Komplikationen

■ septische Embolisierung in jedes beliebige Organ

■ Bakteriämie, oft mit Absiedlung von Infektionsherden

■ Bildung zirkulierender Immunkomplexe und anderer Faktoren

Die Patienten haben fast immer Fieber und Herzgeräusche, klagen aber oft auch über
unspezifische Symptome wie Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Abgeschlagenheit,
Schüttelfrost, Übelkeit und Erbrechen oder nächtliches Schwitzen. Dieselben
Beschwerden treten bei vielen der in Tab. 29.2 genannten FUO-Ursachen auf. Peripher
können sich Erscheinungen wie Splinter-Hämorrhagien oder Osler-Knötchen
bemerkbar machen (Abb. 29.6). Typisch für Immunkomplexablagerungen in der Niere
ist eine Mikrohämaturie (s. Kap. 17).

913
Abb. 29.5 Im Blut zirkulierende Bakterien setzen
sich an den Herzklappen fest und führen durch ihre
Vermehrung zur Gewebezerstörung an den Klappen.

Damit verbunden ist die Bildung von Vegetationen, die sich auf die normale
Klappenfunktion auswirken und sie schwer beeinträchtigen können. Die beiden
histologischen Schnitte zeigen, wie das Mitralklappensegel praktisch völlig von
Staphylokokken zerstört wurde. a) Gram-Färbung, b) van-Gieson-Eosin-Färbung.

LA = linker Vorhof, LV = linker Ventrikel, MV = Reste der Mitralklappe, TV =


thrombotische Vegetationen (Mit freundlicher Genehmigung von R.H. Anderson).

914
Tab. 29.5 Hauptursachen einer Endokarditis in unterschiedlichen
Patientengruppen.

Blutkulturen sind die wichtigste Diagnosemethode bei


Endokarditis
Von entscheidender Bedeutung ist die mikrobiologische und kardiologische Abklärung.
Wichtigster laborchemischer Einzeltest ist die Blutkultur. Im Idealfall sollten vor
Beginn der Antibiotikatherapie innerhalb von 24 Stunden drei getrennte Blutproben
entnommen werden. Wie Blutkulturen angelegt werden, ist im Anhang beschrieben.
Abb. 29.6 Äußerliche Anzeichen für eine
Endokarditis können diagnostisch hilfreich sein.

915
Sie kommen infolge der Wirtsreaktion auf die Infektion zustande und sind Ausdruck
einer Immunkomplexvaskulitis, einer herdförmigen Thrombozytenaggregation und
erhöhten Gefäßpermeabilität. a und b) Splinter-Hämorrhagien im Nagelbett und
Hautpetechien (aus unterschiedlichen Blickwinkeln gezeigt); c) Osler-Knötchen –
druckempfindliche Papeln an den Handinnenflächen und Fingerspitzen (mit
freundlicher Genehmigung von H. Tubbs).

Die Isolierung des Erregers ist wichtig, um seine Antibiotikaempfindlichkeit zu testen


und eine optimale Therapie anzuordnen bzw. durchzuführen. Ernährungsabhängige
orale Streptokokken-Stämme sind dafür bekannt, dass sie eine infektiöse Endokarditis
verursachen. Manchmal lassen sie sich aber erst auf Blutkulturmedien anzüchten, wenn
Pyridoxal zur Bouillon hinzugefügt wurde. Alternativ kann man sie als
Satellitenkolonien von S. aureus auf Blutagar wachsen lassen.

Trotz Antibiotikatherapie liegt die Letalität der


infektiösen Endokarditis bei 20–50%
Auch wenn die meisten Erreger einer infektiösen Endokarditis in hohem Maße
empfindlich für eine Reihe von Antibiotika sind, kann es mehrere Wochen dauern, bis
sie völlig aus dem Körper verschwunden sind; nicht selten kommt es zu Rückfällen.
Mögliche Gründe sind:

■ relative Unzugänglichkeit der Keime in Vegetationen (für Antibiotika und


Abwehrkräfte)

■ hohe Keimdichte und relativ langsame Keimvermehrung

Bevor es Antibiotika gab, verlief eine infektiöse Endokarditis immer tödlich (100%),
doch auch heute noch liegt die Letalität trotz wirksamer Antibiotika bei 20–50%.

916
Das Therapieschema einer antibiotischen Behandlung
richtet sich nach dem auslösenden Erreger
Für penicillinempfindliche Streptokokken ist hochdosiertes Penicillin die Therapie der
Wahl. Patienten mit bekannter Penicillinallergie können mit Ceftriaxon oder
Vancomycin behandelt werden. Um weniger gut ansprechende oder gegen Penicillin
tolerante Keime zu entdecken, sollten MHK (minimale Hemmkonzentration) und MBK
(minimale bakterizide Konzentration) getestet werden (s. Kap. 33). (Definition:
Penicillin-tolerante Keime werden im Wachstum gehemmt, aber nicht abgetötet, z.B. bei
MBK ≥ 32 × MHK.) Tolerante Keime sollten wie die immer relativ Penicillin-
resistenten Enterokokken mit einer Kombination aus Penicillin (Ampicillin bei
Enterokokken) und einem Aminoglykosid behandelt werden, die sich in ihrer Wirkung
verstärken, d.h. synergistisch gegen Streptokokken und Enterokokken wirken (s. Kap.
33).

Als besonders schwierige therapeutische Herausforderung kann sich eine


Staphylokokken-Endokarditis erweisen; vor allem wenn es sich um eine Infektion
durch Hospitalkeime nach einem Klappenersatz handelt, kann sie gegen mehrere
Antibiotika resistent sein. Oft ist ein β-Laktamase-stabiles Penicillin am besten zur
Therapie geeignet; es wird mit einem Aminoglykosid oder Rifampicin kombiniert
angewandt. Glykopeptid-Antibiotika (z.B. Vancomycin) sollten für Patienten mit
Penicillinallergie und zur Behandlung Methicillin-resistenter Staphylokokken (MRSA)
reserviert bleiben. Detaillierte Therapieschemata wurden z.B. von der Paul-Ehrlich-
Gesellschaft für Chemotherapie veröffentlicht.

Patienten mit Herzfehler benötigen vor invasiven


Eingriffen eine Antibiotikaprophylaxe
Bei Patienten mit bekanntem Herzfehler sollte vor zahnchirurgischen oder anderen
invasiven Eingriffen eine Antibiotikaprophylaxe durchgeführt werden, um sie vor jeder
Gefährdung durch eine passagere (vorübergehende) Bakteriämie zu schützen.

Die meisten FUO-Patienten haben eine Krankheit, die


sich nur in ungewöhnlicher Form präsentiert, aber
behandelt werden kann
Jeder Patient muss natürlich individuell klinisch untersucht werden. Doch in diesem
Kapitel ging es um die wesentlichen Stufen der Diagnostik bei allen Patienten und den
Versuch, die Aufmerksamkeit auf wichtige infektiöse Ursachen eines FUO zu lenken.

Obwohl Patienten mit klassischem FUO meist eine lange Vorgeschichte hinter sich
haben (wochen- oder monatelanges Fieber), kann es vorkommen, dass sich die Ursache
mancher Arten von Fieber nicht sofort mit Routineuntersuchungen im Labor feststellen
lässt. Für diese Patientengruppen wurden neue Definitionen (nosokomiales,
neutropenisches, HIV-assoziiertes FUO) vorgeschlagen. Die Liste möglicher Erreger
wird bei diesen Patienten immer länger.

917
Für den Kliniker ist es bei jeder Abklärung von FUO vorrangiges Ziel, die Ursache
aufzudecken, damit aus Fieber unbekannter Ursache ein Fieber mit bekannter Ursache
wird und eine entsprechende Behandlung einsetzen kann.
Zusammenfassung
■ Fieber ist die Antwort des Körpers auf exogene und endogene Pyrogene. Es ist
ein häufiges Symptom und kann auch schützend wirken.

■ Die Bezeichnung „Fieber unbekannter Ursache“ (fever of unknown origin,


FUO) wird verwendet, wenn die Ursache nicht ersichtlich ist, das Fieber länger als
drei Wochen anhält und durch klinische sowie laborchemische
Routineuntersuchungen nicht abgeklärt werden kann.

■ Die gestiegene Zahl von Patienten mit Immunschwäche hat dazu geführt, dass
neben dem klassischen FUO noch andere FUO-Definitionen für bestimmte Gruppen
eingeführt wurden (z.B. nosokomiales, neutropenisches und HIV-assoziiertes FUO).

■ FUO-Ursachen sind am häufigsten Infektionen, aber auch Malignome und


Autoimmunkrankheiten sind signifikant vertreten. In bis zu 15% der Fälle lässt sich
die Ursache nicht feststellen.

■ Die Liste der infektiösen Ursachen ist lang, daher muss auf der ersten Stufe der
diagnostischen Abklärung (Anamnese, körperliche Untersuchung, Screening-Tests)
nach wichtigen Hinweisen für weiterführende Untersuchungen geforscht werden.

■ Ein Therapieversuch kann indiziert sein, wenn keine eindeutige Diagnose


gefunden wurde, er kann aber weitere Testergebnisse verfälschen.

■ Die richtige Diagnose ist unabdingbar für eine spezifische Behandlung.

■ Eine infektiöse Endokarditis ist zwar selten, aber ein klassisches Beispiel für
FUO. Sie wird gewöhnlich von Gram-positiven Kokken verursacht (wobei die
Spezies von prädisponierenden Faktoren des Patienten abhängt) und führt
unbehandelt zum Tode.

FRAGEN
Eine 60-jährige Frau kommt in die Klinik, weil sie sich seit 7Tagen krank fühlt,
keinen Appetit hat und an Übelkeit leidet. Vor zehn Jahren war sie wegen eines
Aneurysma dissecans im Bereich der Aorta ascendens (Aortenwurzel) ins
Krankenhaus eingeliefert worden. Die Korrekturoperation mit Aortenklappenersatz
verlief damals erfolgreich. Bisher ging es ihr relativ gut, obwohl sie eine schlechte
Compliance zeigt und es daher schwierig war, ihre Antikoagulanzientherapie richtig
einzustellen. Bei der Untersuchung hat sie Fieber (38°C), ist gerötet und fühlt sich
unwohl. Ihre Pulsfrequenz liegt bei 100/min, der Blutdruck beträgt 80/60 mmHg. Die
Auskultation ergibt ein Klicken an der prothetischen Klappe und ein systolisches
Herzgeräusch. Thorax und Abdomen sind ansonsten unauffällig. Blutbild:
Hämoglobin 8,3 g/dl (normochrom-normozytär im Blutausstrich), Leukozyten 14,6 ×
109/l mit 60% Neutrophilen, Thrombozytenzahl 192 × 109/l.

918
1 Wie lautet die Verdachtsdiagnose und welche weiterführenden
Untersuchungen sind entscheidend?

2 Welcher Erreger kommt am häufigsten als Auslöser infrage?

3 Welches sind die wesentlichen Bestandteile der Behandlung?

4 Welche Komplikationen können auftreten?

5 Gibt es Richtlinien, um das Erkrankungsrisiko zu senken?


Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

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Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie (DGHTG), der Deutschen Gesellschaft für
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920
30 Infektionen bei Immunschwäche
30.1 Immunschwäche 453

30.1.1 Erreger bei Immunschwäche 456

30.2 Infektionen bei eingeschränkter angeborener Immunabwehr durch


physikalische Einflüsse 457

30.2.1 Infektionen von Brandwunden 457

30.2.2 Infektionen von Verletzungen und Operationswunden 458

30.2.3 Infektion von Kunststoffprothesen in situ 459

30.2.4 Infektionen bei eingeschränkter Clearance 459

30.3 Infektionen bei sekundärer (erworbener) Immunschwäche 459

30.3.1 Maligne Blutbildungsstörungen und Infektionen bei


Knochenmarktransplantationen 459

30.3.2 Infektionen nach Organtransplantation 460

30.3.3 Infektionen bei AIDS 460

30.4 Wichtige opportunistische Erreger 460

30.4.1 Pilze (Mykosen) 462

30.4.2 Bakterielle Infektionen 463

30.4.3 Protozoen- und Helmintheninfektionen 465

30.4.4 Virusinfektionen 466

921
Zur Orientierung
Der menschliche Körper verfügt über ein komplexes System von Schutzmechanismen, die
eine Infektion verhindern. Daran ist neben dem erworbenen (zellulären und humoralen)
Immunsystem auch die angeborene Abwehr (z.B. Haut, Schleimhäute) beteiligt. Beide
sind in Kap. 9 und 10 ausführlich beschrieben. Bisher wurden häufige und schwerere
Infektionen von Patienten mit weitgehend intakten Schutzfunktionen beschrieben. Unter
diesen Voraussetzungen müssen Parasiten all ihre Schliche und Kniffe aufbieten, um zu
überleben und in den Körper des Wirts einzudringen, denn der gesunde Wirt kann sich
gegen ihre Invasion wehren. In diesem Kapitel geht es um Infektionen, bei denen sich das
Kräfteverhältnis in der Wirt-Parasiten-Beziehung stark zugunsten des Parasiten
verschoben hat, mit anderen Worten: es geht um Infektionen bei Immunschwäche des
Wirts.

30.1 Immunschwäche
Bei Menschen mit Immunschwäche weist die natürliche Abwehr gegen eine
Erregerinvasion eine oder mehrere Lücken auf. Das macht sie viel anfälliger für schwere
oder sogar lebensgefährliche Infektionen. Etwa die Hälfte aller schweren
Krebserkrankungen können mit der modernen Medizin wirksam behandelt werden, die
(Organ-)Transplantationstechnik wurde perfektioniert und dank technologischer
Entwicklungen können Patienten mit sonst tödlichen Erkrankungen heute länger und
besser überleben. Ein unerwünschter Nebeneffekt dieser Fortschritte ist aber, dass
zunehmend mehr Menschen immunsupprimiert und daher anfälliger für Infektionen
sind. Zudem steigt die Zahl der HIV-Infizierten und AIDS-Kranken weiter an.

Eine Immunschwäche des Wirts kann sich auf


unterschiedliche Weise entwickeln
Die unterschiedlichen Formen, unter denen eine Immunschwäche in Erscheinung tritt,
lassen sich in zwei Hauptgruppen einteilen:

■ unbeabsichtigte oder gezielte Schwächung der angeborenen Abwehrkräfte,

■ Lücken in der erworbenen (adaptiven) Immunabwehr.

Diese Immunstörungen können weiter danach unterteilt werden, ob es sich um eine


„primäre“ oder „sekundäre“ Immundefizienz handelt (Tab. 30.1):

■ Eine primäre Immundefizienz kann erblich oder durch intrauterine


Umwelteinflüsse und andere, noch unbekannte Faktoren bedingt sein. Sie kommt
selten vor und ihre Schwere hängt von der Art des Immundefekts ab.

■ Eine sekundäre bzw. erworbene Immundefizienz beruht auf einer zugrunde


liegenden Krankheit (Tab. 30.2) oder folgt auf die Behandlung einer bestimmten
Krankheit.

Primäre Störungen der angeborenen Immunität sind


kongenitale Phagozytose- oder Komplementdefekte

922
Kongenitale Defekte des Phagozytensystems tragen zu einer erhöhten
Infektionsanfälligkeit bei; am bekanntesten dürfte in dem Zusammenhang die
chronische Granulomatose sein (Abb. 30.1), bei der aufgrund einer vererbten
Cytochrom-b245-Synthesestörung keine reaktiven Sauerstoff-Zwischenprodukte während
der Phagozytose gebildet werden können.

Tab. 30.1 Zu Immunschwäche führende Faktoren


Dass das Komplementsystem eine zentrale Rolle bei angeborenen
Abwehrmechanismen spielt, steht außer Frage. Wenn bei angeborenen Synthesedefekten
– besonders der frühen Komplementfaktoren (C4 und C2) – keine C3-Konvertase
gebildet werden kann (s. Kap. 10), kommt es daher zu einer Häufung extrazellulärer
Infektionen.

Zu Sekundärdefekten der angeborenen Abwehr


gehören auch Lücken in natürlichen Schutzschranken
des Körpers
Mechanische, unspezifische Schutzbarrieren können von Infektionserregern
durchbrochen werden, wenn z.B. Brandwunden, traumatische Verletzungen oder
größere Operationen die Unversehrtheit der Haut zerstört haben und dicht an der
Oberfläche schlecht durchblutetes Gewebe zurückbleibt, das Mikroorganismen relativ
schutzlos ausgeliefert ist und von ihnen besiedelt werden kann.

Intakte Schleimhäute im Atem- und Verdauungstrakt schützen vor Infektionen. Werden


sie (z.B. durch Endoskopie, Operation oder Bestrahlung) anhaltend geschädigt, können
sich Infektionserreger leicht Zugang verschaffen. Über Instrumente (wie Venen- oder
Blasenkatheter) und bei invasiven Eingriffen (z.B. Lumbalpunktion oder
Knochenmarkaspiration)gelingt es Keimen, die normale Abwehr zu umgehen und in
normalerweise sterile Körperräume einzudringen. Fremdkörper (wie
Hüftendoprothesen, künstliche Herzklappen oder Liquordrainage) verändern nicht nur
lokale unspezifische Abwehrreaktionen des Wirts, sondern bieten Keimen auch leichter
(als die natürlichen Flächen) zu besiedelnde Angriffsflächen.

923
Tab. 30.2 Zu (vorübergehender) Immunsuppression füh-rende
Infektionen
Abb. 30.1 Chronische Granulomatose.

Nachdem sich in beiden Leisten des 18-monatigen Jungen mit chronischer


Granulomatose Staphylococcus-aureus-Abszesse gebildet hatten, wurden sie
chirurgisch (bilaterale Lymphknotendrainage) entlastet (mit freundlicher
Genehmigung von A.R. Hayward).

Der Merkspruch „Obstruktion führt zu Infektion“ ist eine nützliche Gedächtnisstütze,


denn die Abwehr beruht auch darauf, dass viele Körperfunktionen (Harnfluss,
Ziliartransport in den Atemwegen, Darmperistaltik) dazu beitragen, unerwünschtes
Material aus dem Körper zu entfernen. Werden sie infolge einer pathologischen
Obstruktion, einer ZNS-Dysfunktion oder eines chirurgischen Eingriffs gestört, kann
sich leicht eine Infektion entwickeln.

Primärdefekte der erworbenen Immunität können aus


Defekten im primären Differenzierungsmilieu

924
(Knochenmark, Thymus) oder der Zelldifferenzierung
resultieren
Die wichtigsten angeborenen Störungen des adaptiven Immunsystems sind in Abb.
30.2 dargestellt. Tritt ein Defekt im stromalen Differenzierungsmilieu der Lymphozyten
auf, werden entweder keine B-Zellen (Agammaglobinämie Typ Bruton) oder keine T-
Zellen (Di-George-Syndrom) gebildet.

Auch Abläufe der Zelldifferenzierung selbst können betroffen sein. Ein


nonfunktionales Rekombinase-Enzym verhindert z.B. die Rekombination von
Genfragmenten, die B-Zell-Antikörper oder die variable Region auf T-ZellRezeptoren
(dient zur Antigenerkennung) bilden; infolgedessen kommt es zu einem schweren
kombinierten Immundefekt (severe combined immunodeficiency, SCID).

925
Abb. 30.2 Die wichtigsten Primärdefekte der
zellulären Immunität.

Mangelzustände (lila Kästen) entwickeln sich entweder aus Defekten im primären


Differenzierungsmilieu (Knochenmark oder Thymus) oder während der
Zelldifferenzierung (dargestellt in Form gestrichelter Pfeile von der jeweiligen
Differenzierungsstufe aus).

Als häufigste Form eines kongenitalen Antikörpermangels ist die CVI (common
variable immunodeficiency) typisch für wiederkehrende pyogene Infektionen und
vermutlich ein heterogenes Merkmal. Auch wenn die Zahl unreifer B-Zellen im
Knochenmark noch normal zu sein scheint, sind sie im peripheren Blut nur noch in
Unterzahl oder in manchen Fällen gar nicht mehr vertreten. In einigen Fällen können
sich vorhandene B-Zellen nicht zu Plasmazellen weiterentwickeln und in anderen Fällen
können sie keine Antikörper sezernieren.

Eine transiente Hypogammaglobulinämie von Säuglingen (mit typischen


rezidivierenden Atemwegsinfektionen) ist mit niedrigen Serum-IgG-Konzentrationen
verbunden, die sich mit 3–4 Jahren oft schlagartig normalisieren (Abb. 30.3).

926
Dass mit dem Nachlassen der mütterlichen Leihimmunität die Serum-IgG-
Konzentration abfällt und dadurch ein Immunglobulinmangel bei Säuglingen auftritt, ist
eine natürliche Erscheinung, kann aber bei unreifen Frühgeborenen zu einem ernsten
Problem werden.

Zu den Ursachen sekundärer erworbener


Immundefekte gehören Mangelernährung,
Infektionen, Neoplasien, Splenektomie und bestimmte
medizinische Behandlungsformen
Mangel-/Unterernährung ist weltweit die häufigste und wichtigste Ursache einer
erworbenen Immunschwäche. Sie kommt hauptsächlich als Eiweiß- und
Kalorienmangel (protein-energy malnutrition, PEM) vor, der sich in einer Bandbreite
von Störungen (zwischen Kwashiorkor und Marasmus als den beiden Extremformen)
äußern kann. Unterernährung führt zu:
Abb. 30.3 Serum-IgG-Konzentration eines Jungen
mit transienter Hypogammaglobulinämie und
Vergleichswerte (Mittelwert und Normalbereich).

Nach der Polioschluckimpfung (mit attenuiertem Sabin-Impfstoff) im Alter von vier


Monaten trat bei dem Jungen eine leichte Paralyse auf.

■ drastischen strukturellen Auswirkungen auf die Lymphorgane (Abb. 30.4),

■ stark eingeschränkter Synthese der Komplementfaktoren,

■ abgeschwächter chemotaktischer Reaktion von Phagozyten,

927
■ abnehmenden Immunglobulinkonzentrationen (sekretorisches und mukosales
IgA),

■ verringerter IgG-Affinität,

■ insbesondere einem schweren Mangel an zirkulierenden T-Zellen (Abb. 30.5)


und damit zu einer unzureichenden zellvermittelten Immunreaktion.

Dass Infektionen oft selbst immunsuppressiv wirken (Tab. 30.2), zeigt sich bei keiner
so deutlich wie bei der HIV-Infektion, die zu AIDS führen kann (s. Kap. 21).
Neoplastische Erkrankungen des lymphatischen Systems induzieren oft einen Zustand
mit reduzierter Reaktionsbereitschaft des Immunsystems, und eine Splenektomie (aus
welchen Gründen auch immer) führt zur Schwächung der humoralen Immunität.

Auch bestimmte Therapieformen können eine Immunsuppression verursachen:

■ Zytotoxische Mittel wie Cyclophosphamid und Azathioprin können zu


Leukopenie oder einer Funktionsstörung der T- und B-Zellen führen.

■ Durch Kortikosteroide kann die Zahl zirkulierender Leukozyten, Monozyten


und Eosinophiler verringert und die Leukozytenaggregation an entzündeten Stellen
unterdrückt werden.

■ Eine Strahlentherapie hat nachteilige Folgen für die Lymphozytenproliferation.

Daher kann die Immunschwäche von Patienten, die wegen einer neoplastischen
Erkrankung behandelt werden, sowohl durch die Krankheit als auch durch die Therapie
bedingt sein.

928
Abb. 30.4 Thymushistologie – normales und
unterernährtes Kind (mit Protein-Energie-
Mangelernährung, PEM).

a) Im normalen Thymusgewebe sind Rinden- und Markzonen deutlich abgrenzbar.


b) Akute Schrumpfung bei PEM; typisch sind Läppchenatrophie, verwischte
Grenzen zwischen Rinde und Mark, Lymphozytenmangel (Depletion) und
vergrößerte Hassall-Körperchen (mit freundlicher Genehmigung von R.K.

929
Chandra).C = Rinde (Cortex), CT = Bindegewebe (Connective Tissue), H = Hassall-
Körperchen, L = Läppchen, M = Mark (Medulla)

Eine Immunschwäche zu erkennen und zu begreifen, wodurch die natürlichen


Abwehrkräfte des Patienten wahrscheinlich beeinträchtigt wurden, kann sehr wichtig
sein. Aufgrund medizintechnologischer Verbesserungen tritt eine Immunschwäche in
vielen Fällen – insbesondere nach einer Strahlen- oder Chemotherapie – nur
vorübergehend auf, so dass Patienten nach einer überstandenen Phase der
Immunsuppression gute Chancen haben, komplett geheilt zu werden.

30.1.1 Erreger bei Immunschwäche


Patienten mit Immunschwäche sind nicht nur anfällig für alle Pathogene, mit denen sich
Gesunde infizieren, sondern auch für opportunistische Erreger, die Gesunden nichts
anhaben können, aber bei Abwehrschwäche oft zu Erkrankungen mit tödlichen Folgen
führen. Dass verschiedene Immundefekte zu unterschiedlichen Infektionen
prädisponieren, hängt davon ab, welche Immunmechanismen zur Abwehr bestimmter
Erreger aktiv werden müssten. Wir konzentrieren uns hier auf opportunistische
Infektionen und verweisen für nähere Informationen zu anderen Erregern auf die
entsprechenden Kapitel.
Abb. 30.5 Verglichen mit gesunden
Kontrollpersonen haben unterernährte Patienten
einen verringerten Anteil von T-Zellen.

Die Zahl der B-Zellen ist im Allgemeinen unverändert, während Nullzellen


(Lymphozyten ohne T- oder B-Zell-Marker) prozentual stärker vertreten sind.

930
30.2 Infektionen bei eingeschränkter angeborener
Immunabwehr durch physikalische Einflüsse

30.2.1 Infektionen von Brandwunden

Bei einer Verbrennung werden Haut (mechanische


Schutzbarriere des Körpers), Neutrophilenfunktion und
Immunreaktionen geschädigt
Direkt nach einer Verbrennung sind die Brandwunden noch steril, werden aber
unweigerlich innerhalb weniger Stunden von einer bakteriellen Mischflora besiedelt.
Neben einer unmittelbaren Schädigung der Haut (als mechanischer Schutzschranke
des Körpers) beeinträchtigen Brandverletzungen aber auch Neutrophilenfunktionen
und Immunreaktionen. Hinzu kommen größere physiologische Störungen durch
Flüssigkeits- und Elektrolytverluste. Nach Verbrennungen finden Keime eine sehr
nährstoffreiche Fläche zum Besiedeln vor, wobei Häufigkeit und Schwere der
Infektion von Ausdehnung und Tiefe der Brandwunden sowie vom Alter des Patienten
abhängen.

Während sich eine Infektion bei Verbrennungen, die weniger als 30% der gesamten
Körperfläche ausmachen, mit modernen antibakteriellen Mitteln zur topischen
Anwendung verhindern lässt, werden großflächigere Verbrennungen immer von
Keimen besiedelt. Nicht-invasive Infektionen beschränken sich auf das nekrotische
(abgestorbene) Hautgewebe über tiefen Brandwunden (d.h. auf die Brandblasen).
Typisch ist, dass sich Brandblasen rasch vom darunter liegenden Gewebe abheben,
sobald stark eitriges Exsudat aus der Brandwunde austritt. Die systemischen
Symptome sind meist nur schwach ausgeprägt.

Wenn allerdings Keime aus stark kolonisierten Brandblasen in tieferes Gewebe


eindringen, können sie es sehr schnell zerstören; aus einer oberflächlichen
Verbrennung wird dann eine Zerstörung in ganzer Hautdicke. Von da ist es nur noch
ein kleiner Schritt bis zur Keiminvasion von Lymph- und Blutgefäßen bzw. bis zum
direkten Eintritt ins Blut mit Sepsis. Eine Septikämie von Verbrennungspatienten ist
oft durch mehrere Keime verursacht.

931
Die wichtigsten Erreger in Brandwunden sind aerobe
und fakultativ anaerobe Bakterien sowie Pilze
Die wichtigsten Bakterienpathogene in Brandwunden sind:

■ Pseudomonas aeruginosa und andere Gram-negative Stäbchen

■ Staphylococcus aureus

■ Streptococcus pyogenes und andere Streptokokken

■ Enterokokken

Für ca. 5% der Infektionen sind Candida-Spezies und Aspergillen gemeinsam


verantwortlich. Anaerobier finden sich selten in infizierten Brandwunden. Trotz
einzelner Berichte über Virusinfektionen (meist Herpes- und Zytomegalieviren, CMV)
ist ihre klinische Bedeutung unklar.

P. aeruginosa – ein Gram-negatives Bakterium mit


verheerender Wirkung bei Brandverletzten
P. aeruginosa ist ein opportunistisches Gram-negatives Bakterium und seit langem
schon ein gefürchteter Infektionserreger bei Verbrennungen. Im feuchten Milieu der
Brandwunden wächst es besonders gut und führt zu faulig-grünlichen
Wundabsonderungen sowie zu Nekrosen. Nicht selten kommt es zu einer invasiven
Infektion mit Septikämie, bei der die pathognomonischen Hautläsionen (Ecthyma
gangraenosum) auch an nicht verbrannten Hautstellen auftreten (Abb. 30.6).
Begünstigt wird die Infektion durch Wirtsfaktoren wie:

■ eine anormale antibakterielle Aktivität der Neutrophilen,

■ Opsoninmangel im Serum.

Hinzu kommt noch eine Kombination von Virulenzfaktoren (unter anderem Elastase,
Protease und ein Exotoxin), die P. aeruginosa zu einem besonders verheerend
wirkenden Gram-negativen Erreger von Infektionen bei Verbrennungspatienten
macht. Die Behandlung ist schwierig, weil P. aeruginosa von Natur aus schon gegen
viele antibakterielle Mittel resistent ist. Empfohlen wird eine Kombinationstherapie
mit einem Aminoglykosid (meist Gentamicin oder Tobramycin) und einem
Betalaktam-Antibiotikum (z.B. Ceftazidim oder Imipenem), doch die Zunahme von
mulitresistenten Stämmen wird berichtet.

Die Keimbesiedlung von Brandwunden lässt sich praktisch nicht verhindern. Ob es


zur Infektion kommt, hängt aber weitgehend davon ab, inwieweit topische Mittel wie
Silbernitrat die Keimvermehrung in Brandwunden hemmen können. In den bisher
durchgeführten Versuchsreihen zur aktiven und passiven Immunisierung erwies sich
letztere als vielversprechender.
Abb. 30.6 Ecthyma gangraenosum als Zeichen
einer Pseudomonas-aeruginosa-Septikämie bei
einem Kind mit Immunschwäche.

932
(Mit freundlicher Genehmigung von H. Tubbs)

Weitaus häufigster Keim in Brandwunden ist S. aureus


Bei Verbrennungen scheint eine gestörte Abwehrfunktion der Neutrophilen der
wichtigste prädisponierende Faktor für Wundinfektionen mit S. aureus zu sein. Die
Infektion verläuft schleichender als Streptokokkeninfektionen (s. unten) und bricht
erst einige Tage später voll durch. Dieser Erreger kann Granulationsgewebe zerstören,
invasiv wachsen und zur Sepsis führen (Hautinfektionen durch S. aureus s. Kap. 26).

Bei Anzeichen für eine invasive Infektion sollte ein staphylokokkenwirksames Mittel
wie Cefazolin eingesetzt werden; gegen methicillinresistente S.-aureus-Stämme
(MRSA) ist ein Glykopeptid oder Linezolid geeignet. Es sollte jede Anstrengung
unternommen werden, um eine Ausbreitung auf andere Patienten zu verhindern.
Obwohl Staphylokokken auch durch Aerosole übertragen werden können, spielen
Kontaktinfektionen eine größere Rolle.

Die hohe Ansteckungsgefahr macht S. pyogenes zur


„Geißel“ von Stationen für Verbrennungspatienten
Auf Haut- und Weichteilinfektionen durch S. pyogenes (Streptokokken der Gruppe A)
wird in Kap. 23 näher eingegangen. Bevor es Antibiotika gab, waren Infektionen von
Brandwunden am häufigsten durch S. pyogenes bedingt, und auf Stationen für
Verbrennungspatienten ist der Keim noch immer gefürchtet. Die Infektion tritt
gewöhnlich gleich in den ersten Tagen nach der Verletzung auf und ist durch rasche
Zustandsverschlechterung der Brandwunde mit einer Invasion in angrenzendes

933
gesundes Gewebe gekennzeichnet. Wenn der Patient nicht sofort behandelt wird, stirbt
er innerhalb von Stunden an einem schweren toxischen Syndrom.

S. pyogenes infiziert selten gesundes Granulationsgewebe, kann aber frische


Hautlappentransplantate zur Wunddeckung infizieren und zerstören. Es sollte alles
dafür getan werden, eine Ausbreitung der Infektion zu verhindern. Mittel der Wahl ist
Penicillin und für Patienten mit Penicillinallergie ist Erythromycin
(Resistenzentwicklung beachten!) oder Vancomycin geeignet.

Wichtig für Infektionen von Brandwunden sind außerdem β-hämolysierende


Streptokokken anderer Lancefield-Gruppen (vor allem Gruppe C und G, s. Anhang)
und Enterokokken.

30.2.2 Infektionen von Verletzungen und


Operationswunden
Sowohl durch zufällige Hautverletzungen als auch durch bewusst herbeigeführte
Hautschnitte (bei Operationen) wird der Körper leichter für Infektionen anfällig. Bei
unabsichtlicher (Unfall-)Verletzung können die Keime ziemlich tief in die Wunde
eindringen. Welche Erreger es sind, hängt von der Wundart ab (s. Kap. 26).

Hauptursache einer Wundinfektion nach Operationen


ist S. aureus
Operationswunden können sich intra- oder postoperativ mit S. aureus infizieren, die
vom Patienten selbst, von einem Mitpatienten oder dem medizinischen Personal
stammen. Eine Wunde ist nicht so gut geschützt wie normales Gewebe, denn ihre
Blutzufuhr kann beeinträchtigt sein oder es wurden Nähte gelegt (mit körperfremdem
Material). Klassische Untersuchungen zu Wundinfektionen haben gezeigt, dass im
Nahtbereich schon weit weniger Staphylokokken für eine Infektion ausreichen als im
normalen Hautgewebe.

Wundinfektionen können sehr schwerwiegende Folgen haben: Wenn die Keime ins
Blut übergehen, können sie sich an anderen Stellen ansiedeln, z.B. an den
Herzklappen (führt zu Endokarditis, s. Kap. 29) oder in Knochen (führt zu
Osteomyelitis, s. Kap. 26), und dadurch die Patienten noch weiter schwächen.

Im Harntrakt kommt es häufig zu Katheterinfektionen


Blasenkatheter durchbrechen die normale Abwehr im Harntrakt und erleichtern
Keimen den Aufstieg zur Blase. Katheterinfektionen treten besonders häufig auf,
wenn Katheter länger als 48 Stunden liegen bleiben (s. Kap. 20). An der Infektion sind
gewöhnlich Gram-negative Stäbchen aus der normalen Darm- (Fäkalkeime) oder
periurethralen Flora beteiligt, doch auch Erreger aus der Umgebung im Krankenhaus
kommen vor (s. Kap. 36).

Häufigste Erreger einer Venen- oder


Dialysekatheterinfektion sind Staphylokokken

934
Über Hautverletzungen durch Katheter, die in Venen oder zur Peritonealdialyse
eingeführt werden, haben Keime (aus der Hautflora des Patienten oder von den
Händen des Pflegepersonals) leichten Zugang zu tieferem Gewebe. Neben
Staphylokokken – den häufigsten Erregern – können auch Corynebakterien, Gram-
negative Stäbchen und Candida spp. beteiligt sein.

Für über 50% der Infektionen sind koagulasenegative Staphylokokken verantwortlich,


besonders S. epidermidis (Tab. 30.3). Die opportunistischen Erreger galten jahrelang
als harmlose Keime der normalen Hautflora. Doch sie zeigen eine besondere Vorliebe
für Kunststoff, und wenn sich Herde auf Prothesen oder Kathetern bilden, können sie
eine invasive Infektion im angrenzenden Gewebe auslösen. Obwohl die
Virulenzfaktoren noch nicht ganz geklärt sind, dürfte ihre Fähigkeit, ein klebrig
schleimiges Material zu produzieren und sich als Biofilm auf Kunststoffflächen zu
legen, eine wichtige Rolle zu spielen.

Die Infektion mit S. epidermidis beginnt schleichender als mit hoch virulenten S.
aureus. Erschwert wird die Diagnose dadurch, dass sich ein infektiöser Stamm nur
schwer von Vertretern der Normalflora abgrenzen lässt. Auch die Behandlung ist
schwierig; weil viele Stämme von S. epidermidis gegen Antibiotika resistent sind,
muss oft ein Glykopeptid (Vancomycin oder Teicoplanin) mit Rifampicin eingesetzt
werden (s. Kap. 33). Falls möglich, sollten Fremdkörper wie (Kunststoff-)Katheter
entfernt werden.

30.2.3 Infektion von Kunststoff-prothesen in situ


Technische Weiterentwicklungen bei synthetischen Materialien haben viele Fortschritte
in der Medizin und Chirurgie erst ermöglicht, aber auch dazu geführt, dass
Infektionserreger noch auf anderen Wegen als sonst in den Körper eingebracht werden
können. S. epidermidis ist eine wichtige Infektionsursache bei Patienten mit
Herzschrittmacher, Gefäßprothesen und Liquordrainagen (Shunts).

S. epidermidis infiziert am häufigsten künstliche


Herzklappen und Gelenkprothesen
Künstliche Herzklappen oder Gelenkersatz schwächen die Immunabwehr der
Patienten in doppelter Weise:

■ zum einen durch die Operation (Implantation der Prothese),

■ zum anderen durch ständiges Vorhandensein dieses Fremdkörpers.

935
Tab. 30.3 Prozentualer Anteil von Staphylococcus epider-midis an
Infektionen von Patienten mit liegendem Katheter oder
Kunststoffprothesen (nach Gemmell und McCartney 1990).
Häufigster Erreger ist wiederum S. epidermidis, der sich bereits intraoperativ Zugang
verschaffen oder infolge einer Bakteriämie (z.B. ausgehend von der Infektion eines
venösen Dauerkatheters) angeschwemmt werden kann. (Zur Endokarditis künstlicher
Herzklappen s. Kap. 29.)

Nach Gelenkersatz ist zwar eine Prothesenlockerung die häufigste Komplikation, doch
gleich dahinter folgen an zweiter Stelle Infektionen, die viel wahrscheinlicher zu
einem dauerhaften Misserfolg des Eingriffs führen. Die Schwierigkeiten bei der
Behandlung sind oben skizziert. Aus verständlichen Gründen scheut man sich eher,
eine Endoprothese zu entfernen, doch manchmal ist dies die einzige Möglichkeit,
eine Infektion radikal zu sanieren.

30.2.4 Infektionen bei eingeschränkter Clearance


Stase prädisponiert zu Infektionen. Bei Gesunden wird ein Stau durch die
physiologischen (normalen) Körperfunktionen verhindert. Wenn aber das
Flimmerepithel geschädigt ist, kann sich Sekret im Respirationstrakt stauen und Keimen
das Eindringen in die Lunge erleichtern. Das gilt vor allem für Patienten mit zystischer
Fibrose, die sich mit S. aureus, Haemophilus influenzae und später auch mit P.
aeruginosa infizieren können (s. Kap. 19).

Bei einer Harnwegsobstruktion mit Harnabflussstörung können Gram-negative Keime


aus der periurethralen Flora in der Harnröhre zur Blase aufsteigen. Als wichtige
Komplikation einer Harnwegsinfektion kann sich eine Septikämie auf eine Obstruktion
aufpfropfen.

30.3 Infektionen bei sekundärer (erworbener)


Immunschwäche
Aufgrund einer Immunschwäche verändern sich Art und Schwere sämtlicher Infektionen,
und in einigen Fällen weist erst die Infektion auf eine vorliegende Immunstörung hin.
Infektiöse Komplikationen einer Immunschwäche (wie eine Septikämie) sind jedoch

936
häufiger bei Krankenhauspatienten anzutreffen, die sich wegen maligner Erkrankungen
oder einer Organtransplantation einer Chemotherapie unterziehen müssen. Bei diesen
Patienten sind Infektionen noch immer eine Hauptursache der Morbidität und Letalität
(Tab. 30.4). Zunehmend häufiger handelt es sich um iatrogene Infektionen durch
opportunistische Hospitalkeime.

30.3.1 Maligne Blutbildungsstörungen und


Infektionen bei Knochenmarktransplantationen

Bei Knochenmarkinsuffizienz prädisponiert ein Mangel


an zirkulierenden Neutrophilen zur Infektion
Die Infektionsanfälligkeit leukämischer Patienten beruht in erster Linie auf einem
Mangel an zirkulierenden Neutrophilen, der sich unvermeidlich bei
Knochenmarkinsuffizienz einstellt. Leitsymptom kann zwar eine Septikämie sein,
doch Neutropenie tritt viel häufiger bei Patienten auf, die chemotherapeutisch
behandelt wurden, um eine Krankheitsremission zu erreichen (Remissions-Induktions-
Chemotherapie). Neutropenie ist als Neutrophilenzahl unter 0,5 × 109/l definiert, und
dieser Zustand kann tage- bis wochenlang anhalten. Verlängerte neutropenische
Phasen kommen auch nach einer Knochenmarktransplantation vor.

937
Tab. 30.4 Opportunistische Erreger bzw. Infektionen bei
neutropenischen Patienten und Transplantatempfängern.
CMV = Zytomegalievirus, EBV = Epstein-Barr-Virus, HBV = Hepatitis-B-
Virus, HCV = Hepatitis-C-Virus, HHV = humanes Herpesvirus, HSV = Herpes-
simplex-Virus, VZV = Varicella-Zoster-Virus

Von der Dauer der neutropenischen Phase hängt ab, für welche Infektionen die
Patienten anfällig sind bzw. wie häufig diese Infektion wiederkehrt: Mykosen sind
z.B. viel häufiger bei Patienten, deren Neutropenie über 21 Tage bestehen bleibt. Auch

938
wenn bisher überwiegend Gramnegative Darmkeime wie Escherichia coli und P.
aeruginosa Ursache einer Septikämie bei neutropenischen Patienten waren, gewinnen
Gram-positive Erreger wie Staphylokokken, Streptokokken und Enterokokken
zunehmend an Bedeutung. Eine Kathetersepsis (s. oben) wird oft durch S. epidermidis
ausgelöst.

Dass auch Pilzinfektionen (Mykosen) zunehmen, liegt zum Teil daran, dass dank
moderner antibakterieller Mittel und Granulozytentransfusion immer mehr Patienten
die frühe neutropenische Phase überleben. Als wichtige Komplikation nach einer
Knochenmarktransplantation können schwere CMV-Infektionen sowohl mit
Abstoßungsreaktionen (graft-versus-host) als auch mit immunsuppressiver Therapie
assoziiert sein.

30.3.2 Infektionen nach Organtransplantation

Die meisten Infektionen treten innerhalb von 3–4


Monaten nach der Transplantation auf
Um die Abstoßung eines Spenderorgans zu verhindern, muss die zellvermittelte
Immunität des Empfängers unterdrückt werden. Doch durch die zytotoxische
Chemotherapie wird in gewissem Umfang gewöhnlich auch die humorale Immunität
supprimiert. Hinzu kommt, dass wegen der Entzündungsreaktion hochdosierte
Kortikosteroide verabreicht werden müssen. Aus all diesen Faktoren ergibt sich eine
schwere Immunschwäche des Patienten. Einfluss auf die Infektionsanfälligkeit von
Transplantatempfängern (z.B. Niere, Herz, Lunge, Leber) haben unter anderem:

■ Grundkrankheit des Patienten

■ Immunstatus vor der Transplantation

■ Art des Transplantats

■ Schema der immunsuppressiven Therapie

■ Infektionsgefährdung (Exposition)

Erreger der häufigsten und schwersten Infektionen bei Transplantatempfängern sind in


Tab. 30.4 aufgelistet. Einige latente Virusinfektionen können bei Suppression der
zellvermittelten Immunität, die sie bisher unter Kontrolle hielt (immunosurveillance),
reaktiviert werden. Etwa 3–4 Monate nach der Transplantation geht das
Infektionsrisiko zurück, bleibt aber so lange bestehen, wie die Immunsuppression des
Patienten weitergeführt wird (Abb. 30.7).

30.3.3 Infektionen bei AIDS

Nach der klinischen Definition von AIDS müssen eine


oder mehrere opportunistische Infektionen vorliegen

939
AIDS-Patienten sind oft von mehreren Erregern gleichzeitig infiziert, die sich trotz
einer längeren, aggressiven Chemotherapie mit geeigneten Mitteln nicht vollständig
beseitigen lassen. Dabei handelt es sich überwiegend um intrazelluläre Keime, die nur
durch eine intakte zellvermittelte Immunabwehr wirksam bekämpft werden könnten.
Während sich die Immunschwäche von HIV-Infizierten mit der Entwicklung zum
Vollbild von AIDS (s. Kap. 21) verstärkt, können durch die Reaktivierung von
Erregern, die bisher von der zellvermittelten Immunität unter Kontrolle gehalten
wurden, disseminierte Infektionen hervorgerufen werden, die bei immunologisch
Gesunden nicht vorkommen.

Viele der Pathogene, die zu Infektionen bei Immungeschwächten führen (Tab. 30.4),
sind an anderer Stelle in diesem Buch beschrieben, unten werden einige der
opportunistischen Erreger ausführlicher dargestellt.

940
Abb. 30.7 Diese Zeittafel gibt einen Überblick über
Zeitpunkt und Häufigkeitsgipfel von Infektionen, die
nach einer Nierentransplantation auftreten können.

941
Während bestimmte Infektionen (z.B. Hepatitis B, Wundinfektionen) nur
unmittelbar nach der Transplantation und für begrenzte Zeit ein Risiko für die
Patienten darstellen, entwickeln sich andere erst nach wochenlanger
Immunsuppression. Doch die meisten Infektionen bedeuten eine ständige
Gefährdung – über den ganzen Zeitraum der Immunsuppression. Zu beachten ist,
dass Pneumocystis jiroveci(früher: P. carinii) jetzt als Pilz eingestuft wird.
(Flussdiagramm nach Reese und Douglas 1986) CMV = Zytomegalievirus, EBV =
Epstein-Barr-Virus, HSV = Herpes-simplex-Virus, VZV = Varicella-Zoster-Virus

30.4 Wichtige opportunistische Erreger

30.4.1 Pilze (Mykosen)

Bei Immunschwäche ist Candida der häufigste


pathogene Pilz
Dieser Hefepilz befällt als opportunistischer Erreger eine Vielzahl von Patienten an
unterschiedlichen Körperstellen und verursacht:

■ Vaginal- oder Mundsoor (s. Kap. 21),

■ Hautinfektionen (s. Kap. 26),

■ Endokarditis, besonders bei Drogenabhängigen (s. Kap. 29).

Je nachdem, welche Art von Immunschwäche zugrunde liegt, kann eine Candida-
Infektion in unterschiedlicher Weise in Erscheinung treten.

■ Die chronische mukokutane Candidiasis ist eine seltene, persistierende, aber


nicht-invasive Infektion von Schleimhäuten, Haaren, Haut und Nägeln bei Patienten
(oft Kindern) mit einem spezifischen T-Zell-Mangel, der sie anerg auf die Candida-
Infektion reagieren lässt (Abb. 30.8). Sie kann z.B. mit Ketoconazol
(intermittierende Zyklen) behandelt werden.

■ Eine Oropharynx- oder Ösophagus-Candidiasis kann bei Patienten


vorkommen, deren Immunität aus unterschiedlichen Gründen geschwächt ist, z.B.
Patienten mit schlecht sitzender Zahnprothese, Diabetes mellitus, unter Antibiotika-
oder Kortikosteroidtherapie. Mittlerweile ist sie typisch für HIV-Infizierte (Abb.
30.9). Zur Behandlung werden antimykotische Mundspülungen (mit Nystatin oder
azolhaltigen Mitteln) empfohlen, vor allem wenn sich über den Gastrointestinaltrakt
eine disseminierte (systemische) Krankheit entwickeln könnte (s. unten).

■ Eine gastrointestinale Candidiasis kann nach einer größeren Magen- oder


Bauchoperation oder bei Patienten mit neoplastischen Erkrankungen auftreten. Da
Hefen die Darmwand durchqueren können, ist eine systemische Ausbreitung von
einem intestinalen Herd aus möglich. Vor dem Tod lässt sich die Diagnose nur
schwer stellen, und in Frühstadien haben bis zu 25% der Patienten keinerlei
Symptome. Nach der Dissemination eines Darmherdes können Blutkulturen positiv
ausfallen und im Serum Candida-Antigene nachzuweisen sein. Oft wird eine

942
antimykotische Therapie nur bei hoch verdächtigen Anzeichen früh genug
eingeleitet, denn die disseminierte Erkrankung verläuft meist tödlich.

■ Eine disseminierte oder systemische Candidiasis geht vermutlich vom


Magen-Darm-Trakt aus, kann aber auch mit einer (Venen-)Katheterinfektion
zusammenhängen. Am stärksten sind Lymphom- und Leukämiepatienten gefährdet.
Hämatogen kann sich die Infektion auf jedes beliebige Organ ausbreiten.
Diagnostisch wichtige Hinweise können Infektionen der Augen (Endophthalmitis,
Abb. 30.10) und der Haut (Hautknötchen, s. Kap. 26) liefern; sonst treten nur
unspezifische Symptome wie Fieber und septischer Schock auf, die eine frühzeitige
Diagnose sehr schwierig machen. Patienten mit Immunschwäche werden oft „blind“
(ungezielt) antimykotisch behandelt, wenn sie Fieber bekommen, das nicht auf ein
Breitspektrumantibiotikum anspricht (Abb. 30.11).
Abb. 30.8 Orale chronische mukokutane
Candidiasis bei einem Kind mit herabgesetzter T-
Zell-Reaktion auf Candida-Antigene.

(Mit freundlicher Genehmigung von M.J. Woods)

Bei eingeschränkter zellvermittelter Immunität kommt


es häufig zu Cryptococcus-neoformans-Infektionen
C. neoformans ist als opportunistischer Hefepilz weltweit verbreitet. Zwar können sich
auch immunkompetente/-gesunde Patienten infizieren, aber betroffen sind doch
überwiegend Patienten mit herabgesetzter zellvermittelter Immunität. Die Krankheit
entwickelt sich sehr langsam und führt meist zu einer Lungeninfektion (Pneumonie)
oder Meningoenzephalitis; nur gelegentlich sind andere Stellen beteiligt (Haut,
Knochen, Gelenke, s. Kap. 26).

C. neoformans ist in Liquorproben nachweisbar und durch eine dicke


Polysaccharidkapsel gekennzeichnet (s. Abb. 24.6). Ein Latexagglutinationstest (mit
spezifischen Antikörpern beschichtete Latexpartikel zum Antigennachweis)
ermöglicht eine rasche Identifizierung. Behandelt wird mit einer Kombination aus

943
Amphotericin B und Flucytosin (s. Kap. 33), und zur Verlaufskontrolle kann die
sinkende Antigenkonzentration im Liquor herangezogen werden. Die Prognose hängt
weitgehend von der Grundkrankheit des Patienten ab (bei schwerer Immunschwäche
steigt die Letalität auf fast 50% an). Trotz intensiver Therapie lässt sich der Erreger
bei AIDS-Kranken kaum ausrotten.
Abb. 30.9 Candida-Ösophagitis.

Endoskopischer Blick auf großflächige weißliche Beläge (mit freundlicher


Genehmigung von I. Chesner).

944
Abb. 30.10 Candida-Endophthalmitis.

Bei der Fundoskopie sind weißliche Beläge auf dem Augenhintergrund zu


erkennen (mit freundlicher Genehmigung von A.M. Geddes)

Eine disseminierte Histoplasma-capsulatum-Infektion


kann bei Patienten mit Immunschwäche noch Jahre
nach der Ansteckung auftreten
Histoplasma capsulatum ist ein hochinfektiöser Pilz, der bei Gesunden eine akute,
aber gutartige Lungenkrankheit auslöst, während sich bei immungeschwächten
Patienten eine chronisch progrediente, disseminierte Erkrankung entwickelt.

Histoplasma capsulatum ist nur in tropischen Regionen endemisch, im sog. „histo-


belt“ („Histoplasmengürtel“) der mittleren USA und dort vor allem in Flusstälern von
Ohio und Mississippi. Der natürliche Lebensraum von Histoplasma capsulatum ist der
Boden. Nach aerogener Übertragung lagern sich die Pilzsporen in Alveolen ab und
über die Lymphgefäße breitet sich der Pilz dann in regionale Lymphknoten aus. Da
die Krankheit bei Patienten mit Immunschwäche noch Jahre später disseminieren
kann, erkranken viele erst, nachdem sie das Endemiegebiet, in dem sie sich infiziert
hatten, längst verlassen haben. HIV-Infizierte können sich bei einem Besuch in
Endemiegebieten anstecken.

Um Histoplasmen nachzuweisen, können Kulturen (von Blut, Knochenmark, Sputum,


Liquor) angelegt werden, doch oft ist eine histologische Untersuchung von
Knochenmark-, Leber- oder Lymphknotenbiopsien erforderlich, um die Diagnose
stellen zu können (Abb. 30.12). In rund 50% der Fälle lässt sich die fortgeschrittene
Krankheit erfolgreich mit Amphotericin behandeln.

Eine invasive Aspergillose verläuft bei Patienten mit


Immunschwäche meist tödlich

945
Die Rolle von Aspergillen (Schimmelpilzen) bei Lungenkrankheiten ist in Kap. 19
dargestellt. Inzwischen häufen sich jedoch Berichte über eine invasive Form der
Aspergillose bei Patienten mit Immunschwäche – meist aufgrund einer starken
Neutropenie oder einer hochdosierten Kortikosteroidtherapie (Abb. 30.13).

Wie Histoplasmen leben auch Aspergillen im Boden, kommen allerdings weltweit vor.
Sie breiten sich über die Luft aus und die Lunge ist in der Regel der Eintrittsort des
Erregers. Bei rund 25% der Patienten mit Immunschwäche streuen Herde aus der
Lunge zu anderen Stellen, besonders ins ZNS (Abb. 30.14) und ins Herz. Weil es sich
um einen ubiquitären Schimmelpilz handelt, hängt die Diagnose vom Nachweis einer
Gewebeinvasion ab; dazu ist meist eine Lungenbiopsie erforderlich.

Eine invasive Aspergillose bei Patienten mit Immunschwäche geht meist tödlich aus,
die Prognose scheint sich jedoch zu verbessern, wenn die Krankheit frühzeitig
diagnostiziert und behandelt wird; Mittel der Wahl ist Amphotericin (s. Kap. 33), und
nach Möglichkeit sollte die Kortikosteroid- und zytotoxische Medikation reduziert
werden. Berichten zufolge scheint auch eine Verbindung zwischen kurz vorher
durchgeführten Bauarbeiten und einem gehäuften Auftreten von nosokomialen
(Hospital-)Infektionen zu bestehen (s. Kap. 36).

Pneumocystis jiroveci (früher: P. carinii) führt nur bei


geschwächter zellvermittelter Immunität zur
symptomatischen Erkrankung
P. jiroveci ist als atypischer Pilz offenbar weit verbreitet, da große Teile der
Bevölkerung Antikörper aufweisen. Zu einer symptomatischen Erkrankung kommt es
jedoch nur bei Menschen mit eingeschränkter zellulärer Immunität. Entsprechend
hoch ist die Inzidenz von P.-jiroveci-Pneumonien unter immunsuppressiver
Therapie (zur Vermeidung einer Abstoßung nach Transplantationen) oder bei HIV-
Infizierten. Aus unbekannten Gründen ist die Infektion nur selten an anderen Stellen
als der Lunge lokalisiert. Die Diagnose ist nicht einfach und setzt hochverdächtige
Zeichen voraus. Die unspezifischen Symptome könnten auch bei zahlreichen anderen
Infektionen und Atemwegserkrankungen auftreten. Hinzu kommt, dass sich
Pneumocystis im Unterschied zu den oben beschriebenen Pilzen nicht mit
konventionellen Kulturmethoden aus abgehustetem Sputum isolieren lässt und dass
deshalb eine bronchoalveoläre Lavage (BAL) oder offene Lungenbiopsie
durchgeführt werden muss. Nach Silber- oder Immunfluoreszenzfärbung der
Proben, die mit diesen invasiven Techniken gewonnen wurden, kann man den Keim
dann nachweisen (Abb. 30.15). Die Sensitivität der diagnostischen Tests lässt sich
durch DNA-Amplifizierung (mit der Polymerasekettenreaktion) verbessern.

Empfohlen wird eine Behandlung mit hohen Dosen von Cotrimoxazol


(Trimethoprim-Sulfamethoxazol) oder Pentamidin (s. Kap. 33); auch zur Prophylaxe
wurde Cotrimoxazol mit gewissem Erfolg angewandt.

30.4.2 Bakterielle Infektionen

Nocardia asteroides – ein weltweit vorkommender,


aber seltener opportunistischer Erreger

946
Die Familie der Aktinomyzeten ist mit Mykobakterien verwandt, ähnelt mit ihren
verzweigten Fäden/Geflechten aber auch Pilzen. Pathogen wirken die beiden
Gattungen Actinomyces und Nocardia (Aktinomykose s. Kap. 22). Bei Patienten mit
Immunschwäche (besonders nach Nierentransplantation) sind N.-asteroides-
Infektionen beschrieben. Primärsitz ist meist die Lunge, doch die Infektion kann auch
auf Haut, Nieren oder ZNS übergreifen (Abb. 30.16). Wie bei Aspergillosen sind auch
nosokomiale Fälle von Nokardiose aufgetreten.
Abb. 30.11 Muster zur Entscheidungsfindung als
Flussdiagramm.

Neutropenische Patienten sind sehr anfällig für Infektionen, daher müssen


therapeutische Entscheidungen auf empirischer Grundlage getroffen werden (nach
Rogers 1989).

GVHD = graft-versus-host disease, Abstoßungsreaktion

Nokardien lassen sich im Labor auf Routine-Nährmedien anzüchten, wachsen aber


oft so langsam, dass sie leicht von der kommensalen Flora überwuchert werden
können. Daher sollte man das Laborpersonal auf einen klinischen Nokardiose-
Verdacht hinweisen, damit geeignete Nährböden zur Inokulation ausgewählt werden.
Die Gram-positiven verzweigten Stäbchenbakterien sind partiell säurefest (Abb.
30.17).

947
Mittel der Wahl sind Sulfonamide oder Cotrimoxazol, doch die Behandlung kann
sich als schwierig erweisen; auch Therapieschemata mit Tetrazyklinen,
Aminoglykosiden oder Imipenem sind beschrieben.

Im Endstadium von AIDS treten oft Erkrankungen mit


Mycobacterium avium-intracellulare auf
Obwohl Mykobakteriosen bei immunsupprimierten Patienten ausreichend belegt sind,
fällt ihre Verbindung zu AIDS besonders ins Auge. Darin sind unter anderem
disseminierte Infektionen mit Mycobacterium tuberculosis und Mycobacterium avium-
intracellulare (sog. Mycobacterium-avium-Komplex oder MAC) eingeschlossen.
Diese Erreger können aus Blutkulturen von AIDS-Patienten isoliert werden
(Einzelheiten zu M. tuberculosis s. Kap. 19).
Abb. 30.12 Im histologischen Schnitt
(Lungengewebe) sind nach Methenamin-
Silberfärbung Hefepilzformen von H. capsulatum
sichtbar.

(Mit freundlicher Genehmigung von T.F. Sellers jr.)

M. avium-intracellulare wird zu den „atypischen“ Mykobakterien (mycobacteria other


than tuberculosis, MOTT) gerechnet und ähnelt M. tuberculosis hinsichtlich des
langsamen Wachstums, ist aber resistent gegen herkömmliche Antituberkulotika.
Empfohlen werden daher Kombinationen mit Clofazimin oder Rifamycinderivaten
und Makrolidantibiotika (wie Azithromycin, Clarithromycin), Chinolone, Isoniazid,
Ethambutol, Cycloserin oder Pyrazinamid).

30.4.3 Protozoen- und Helmintheninfektionen

Schwere Diarrhoen von AIDS-Patienten können durch


Cryptosporidium und Isospora belli bedingt sein
Kryptosporidien (Abb. 30.18) sind Protozoenparasiten, die Tierärzte als tierpathogen
kennen, die aber auch beim Menschen zu Infektionen führen können. Bei gesunden

948
Menschen verläuft die starke Diarrhoe, die sie verursachen, selbstlimitierend (s. Kap.
22), während AIDS-Patienten unter schweren chronischen Durchfällen leiden. Eine
wirksame Behandlung ist schwierig; derzeit gilt Spiramycin als Mittel der Wahl (s.
Kap. 33).
Abb. 30.13 Pulmonale Aspergillose.

Das Thoraxröntgenbild zeigt eine invasive Aspergillose in der rechten Lunge eines
Patienten mit akuter Myeloblastenleukämie (mit freundlicher Genehmigung von C.
Kibbler).

949
Abb. 30.14 Zerebrale Aspergillose.

In der Gefäßwand sind nach PAS-Färbung (Perjodsäure-Schiff-Reaktion)


zahlreiche septierte Pilzfäden zu erkennen (mit freundlicher Genehmigung von
W.E. Farrar).

Isospora belli (Abb. 30.19) ist ein ähnlicher Parasit wie Kryptosporidien und
verursacht auch schwere Diarrhoen bei AIDS-Patienten. Im Unterschied zu einer
Kryptosporidiose spricht diese Infektion aber auf Cotrimoxazol an.

950
Abb. 30.15 Dunkel gefärbte Pneumocystis-jiroveci-
Zysten in der Gewebeprobe (offene Lungenbiopsie)
eines AIDS-Patienten mit Pneumonie.

Grocott-Silberfärbung (mit freundlicher Genehmigung von I. Chesner).

Durch Immunsuppression kann es zur Reaktivierung


einer „schlummernden“ Strongyloides-stercoralis-
Infektion kommen
Strongyloides stercoralis, der Zwergfadenwurm kann sich Jahre nach der Erstinfektion
in einem „Schlummerzustand“ als Parasit im menschlichen Dünndarm aufhalten, aber
bei immunsupprimierten Patienten reaktiviert werden und zu einer massiven
Autoinfektion führen. Obwohl ein Wurmbefall in Großbritannien und weiten Teilen
der USA selten vorkommt, sollte man bei Patienten, die in Endemiegebieten (wie den
Tropen oder im Süden der USA) gelebt haben, an diese Möglichkeit denken, selbst
wenn sie sich dort schon Jahre vor der Immunsuppression aufgehalten hatten.

951
Abb. 30.16 Pulmonale Nokardiose.

Auf dem Thoraxröntgenbild ist im rechten unteren Lungenbereich ein großes,


rundes Myzetom mit zahlreichen Kavernen erkennbar (mit freundlicher
Genehmigung von I. Chesner).

30.4.4 Virusinfektionen

Da bestimmte Virusinfektionen bei Immunschwäche


häufiger auftreten und schwerer verlaufen, ist eine
engmaschige Kontrolle wichtig
Virusinfektionen, die bei Patienten mit Immunschwäche häufiger vorkommen oder
schwerer verlaufen (Tab. 30.4), sind an anderer Stelle in diesem Buch ausführlicher
beschrieben. Dabei handelt es sich in vielen Fällen um die Reaktivierung einer
latenten Infektion.

Vor einer Transplantation werden Spender und Empfänger in einer (Basis-


)Blutuntersuchung auf ihren Immunstatus überprüft (Infektionen mit HIV, Hepatitis-B-
und -C-Virus, CMV, EBV und HSV). Zur Behandlung von Transplantatempfängern
gehört unter anderem, bestimmte Virusinfektionen mit antiviralen Mitteln zu
unterdrücken, sowie eine regelmäßige virologische Nachuntersuchung (mit
Virusgenom- oder Antigennachweis) nach der Transplantation. Im Rahmen
präventiver Behandlungsstrategien werden regelmäßig Blutproben entnommen, um
möglichst früh eine Virämie oder Antigenämie festzustellen, da sie der eigentlichen
Krankheit vorausgeht.

952
Abb. 30.17 Sputum mit Nocardia asteroides.

a) nach säurefester Anfärbung, b) nach Gram-Färbung. Mit freundlicher


Genehmigung von T.F. Sellers jr. (a) und I. Chesner (b).

Spender und Empfänger werden z.B. auf CMV-IgG untersucht. Unter den
Bedingungen einer Transplantation kann eine CMV-Infektion ein breites
Krankheitsspektrum hervorrufen (Pneumonitis, Ösophagitis, Kolitis, Hepatitis,
Enzephalitis u. a.). Bei einem CMV-IgG-positiven Spender bestünde die
Möglichkeit, dass sich der CMV-IgG-negative Empfänger über eine Organ- oder
Knochenmarkspende infiziert. Transplantationszentren versuchen dies möglichst zu
vermeiden, da das Risiko einer Primärinfektion mit CMV in den ersten Monaten nach
der Transplantation sehr hoch ist (genauso wie Morbidität und Letalität).

Daher müssen die Blutproben nach einer Transplantation regelmäßig auf CMV-DNA
oder CMV-Antigen kontrolliert werden, um die Infektion rechtzeitig zu entdecken
und so früh wie möglich antiviral behandeln zu können. Manche Zentren beginnen
gleich nach der Transplantation mit der antiviralen Therapie, um den Ausbruch einer
CMV-Infektion so lange hinauszuzögern, bis der Empfänger nicht mehr so stark
immunsupprimiert ist.

Bei CMV-IgG-positiven Transplantatempfängern besteht die Gefahr einer


Reaktivierung oder Reinfektion, daher werden sie ebenfalls engmaschig kontrolliert.
Zur Reaktivierung kommt es meist 8–12 Wochen nach der Transplantation.

Nach Knochenmarkspenden erhalten die Empfänger oft noch längere Zeit danach eine
Prophylaxe gegen HSV, um eine Reaktivierung zu verhindern. HSV-Infektionen
können rezidivieren, und die Episoden treten im Allgemeinen unmittelbar nach der
Transplantation auf.

Eine Viruskontrolle wird nicht durchgeführt, doch wenn eine HSV-Infektion


durchbricht, kann es wichtig sein, Materialproben aus den Herpesbläschen zu
gewinnen, um das Virus zu isolieren oder eine Genomsequenzanalyse durchzuführen
und um das Ansprechen auf Virustatika zu testen. Bei Herpes können persistierende

953
Läsionen an Lippen, im Ösophagus und an anderen Stellen des Verdauungstrakts
auftreten und zu Pneumonie, Hepatitis oder Enzephalitis führen.
Abb. 30.18 Kryptosporidiose mit zahlreichen
Erregern im Bürstensaumepithel des Darms.

(Mit freundlicher Genehmigung von I. Chesner)

Wird eine VZV-Infektion reaktiviert, kann sich innerhalb weniger Monate nach der
Transplantation im Versorgungsgebiet (Dermatom) des betroffenen Nervs ein Herpes
zoster entwickeln. Manchmal können mehrere Dermatome befallen sein oder Herde an
anderen Stellen auftreten (Dissemination).

Berichtet wurde auch über Infektionen, Reaktivierungen oder Reinfektionen mit


HHV-6 und HHV-7 bei Transplantatempfängern; besonders häufig handelte es sich
um neurologische Komplikationen (einschließlich Enzephalitis). HHV-8 ist mit der
Entwicklung eines Kaposi-Sarkoms (KS) bei AIDS-Patienten sowie der klassischen
und endemischen Form des KS bei Nicht-HIV-Infizierten assoziiert.

Eine EBV-Infektion kann zur Tumorbildung führen


EBV-Infektionen scheinen mit der Entwicklung eines Morbus Hodgkin und Non-
Hodgkin-Lymphomen bei HIV-Infizierten, mit lymphoproliferativen Erkrankungen
nach Transplantation und mit Tumoren der glatten Muskulatur bei
immunsupprimierten Kindern in Beziehung zu stehen.
Abb. 30.19 Kokzidiose des Menschen.

954
Hier eine Epithelzelle mit einem einzelnen Isospora-belli-Exemplar und
chronischer Entzündungsreaktion der Lamina propria (mit freundlicher
Genehmigung von I. Chesner).

Eine lymphoproliferative Störung (post-transplantation lymphoproliferative


disorder, PTLD) in Verbindung mit einer EBV-Infektion kann zu einem breiten
Spektrum klinischer Syndrome führen – angefangen von der infektiösen
Mononukleose bis hin zu Malignomen (darunter solche mit klonalen
Chromosomenanomalien und hoher Sterblichkeit, wie z.B. monoklonale Tumoren).

Zu den Risikofaktoren für die Entwicklung einer PTLD gehören eine primäre EBV-
Infektion von Organempfängern, ein inkompatibler CMV-Status von Spender und
Empfänger, eine CMV-Erkrankung sowie Intensität und Art der immunsuppressiven
Therapie. Verglichen mit Empfängern, die schon früher mit EBV in Kontakt
gekommen sind, haben EBV-anfällige Empfänger ein 10- bis 76-fach erhöhtes Risiko,
an einer PTLD zu erkranken.

Da die beiden Häufigkeitsgipfel der primären EBV-Infektion im Kindes- bzw.


Jugendalter liegen, kommt eine PTLD bei pädiatrischen Transplantatempfängern
entsprechend häufiger vor. Bei pädiatrischen Lebertransplantatempfängern beträgt die
Prävalenz z.B. 4–14% (je nachdem, welches immunsuppressives Therapieschema
angewandt wird). Retrospektive Studien haben ergeben, dass bis zu 50% der
pädiatrischen Organempfänger mit primärer EBV-Infektion gefährdet sind, an einer
PTLD zu erkranken.

Eine EBV-Infektion kann sich im privaten Umfeld oder im Rahmen der


Transplantation (durch Spenderorgan, Blutprodukte) ereignen. Über den
Spontanverlauf einer EBV-Infektion und die Pathophysiologie einer EBV-induzierten
Lymphoproliferation nach Transplantationen ist noch nicht viel bekannt. Für eine
EBV-assoziierte PTLD wurden diagnostische Kriterien entwickelt.

Allerdings liegen bisher noch kaum Informationen über die Wirksamkeit spezifischer
Therapieprotokolle vor, da randomisierte plazebokontrollierte Versuche fehlen.
Einige Forschergruppen untersuchten, ob sich Lymphome bei

955
Transplantationspatienten durch adoptiven Transfer EBV-spezifischer zytotoxischer
T-Lymphozyten behandeln lassen.

Adenovirusinfektionen gehen mit hoher Letalität


einher
Bei Kindern und Erwachsenen kann durch die Immunsuppression nach einer
Transplantation (besonders nach Knochenmarkspenden) eine primäre
Adenovirusinfektion auftreten und genauso wie eine Reaktivierung zu disseminierten
(systemischen) Erkrankungen führen. Am häufigsten wurden Fälle einer Hepatitis
und Pneumonie berichtet.

Auch zur Kontrolle von Adenovirusinfektionen werden nach Transplantationen in


spezialisierten Zentren Blutproben auf Adenovirus-DNA untersucht, um eine Virämie
möglichst frühzeitig zu entdecken. Bei nachgewiesener Virämie gibt es verschiedene
Behandlungsstrategien (z.B. schwächere Immunsuppression oder antivirale
Medikamente wie Ribavirin und Cidofovir). Über eine erfolgreiche Behandlung liegen
aber nur wenige Berichte vor.

Wenn eine Hepatitis-B-Virus(HBV)-Infektion nach der


Transplantation entdeckt wird
Eine HBV-Infektion hat immunpathologische Grundlagen, und wenn zytotoxische T-
Zellen Hepatozyten, die das Hepatitis-B-surface-Antigen tragen, lysiert haben,
entwickelt sich eine Gelbsucht. Daher kann es sein, dass eine akute HBV-Infektion
bei Knochenmarkempfängern erst nach der Transplantation symptomatisch wird (bzw.
nach Reaktivierung einer früher durchgemachten HBV-Infektion).

Eine Hepatitis-C-Virus(HCV)-Infektion kann bei Knochenmarkempfängern zu einer


Venenverschlusskrankheit (veno-occlusive disease, VOD) führen.

956
Polyomaviren können Ursache einer
hämorrhagischen Zystitis und einer progressiven
multifokalen Leukoenzephalopathie sein
Polyomaviren (BK- oder JC-Viren) gelangen über die Atemwege in den Körper und
können sich als latente Infektion in der Niere halten. Im Urin von
Knochenmarkempfängern sind sie oft nachweisbar (s. Kap. 20), bleiben aber meist
asymptomatisch. Eine BK-Virämie kann jedoch mit hämorrhagischer Zystitis
assoziiert sein. Nach Reaktivierung und Dissemination einer JC-Virus-Infektion
kann sich bei AIDS-Patienten eine progressive multifokale Leukoenzephalopathie
entwickeln. Sie ist aber seltener geworden, seitdem die Möglichkeit einer
hochwirksamen antiretroviralen Therapie (HAART) besteht.
Zusammenfassung
■ Menschen, deren Immunität (normale Abwehr von Infektionen) herabgesetzt
ist, haben Immundefekte bzw. gelten als immungeschwächt. Eine Immunschwäche
kann primär oder sekundär sein und das angeborene oder das erworbene
Immunsystem betreffen.

■ Patienten mit Immunschwäche können sich nicht nur mit allen Erregern
infizieren, die auch für Immunkompetente infektiös sind, sondern zusätzlich noch
mit opportunistischen Erregern. Der Typ der Infektion hängt mit der Art der
Immunschwäche zusammen.

■ Ohne die normalen Immunreaktionen lässt sich eine wirksame Behandlung


oder ein Therapieerfolg oft nur schwer erreichen, selbst wenn Erreger in vitro
empfindlich für Medikamente sind.

■ Wichtige opportunistische Erreger sind P. aeruginosa (besonders bei Patienten


mit Neutropenie und schweren Verbrennungen) sowie S. epidermidis (z.B. bei
Patienten mit Prothesen/Ersatzteilen aus Kunststoff). Bei AIDS-Patienten
überwiegen intrazelluläre opportunistische Keime (Bakterien), die sich das Fehlen
der zellvermittelten Immunität zunutze machen.

■ AIDS und Neutropenie (besonders nach zytotoxischer Chemotherapie)


prädisponieren zu Pilzinfektionen (Candida-Spezies, Aspergillen und
Kryptokokken), besonders nachdem die Patienten antibiotisch behandelt wurden.

■ Patienten mit Immunschwäche erkranken häufiger und schwerer an


Virusinfektionen als Patienten ohne Immundefekte, besonders wenn es sich um die
Reaktivierung einer latenten Infektion (z.B. mit Herpes-simplex-Virus, CMV, JC-
Viren) handelt.

FRAGEN
Ein 24-jähriger HIV-Infizierter kommt zum Arzt, weil er seit sechs Wochen an
Kopfschmerzen leidet, die ständig wiederkehren und sich verschlimmern. Seit 1987
weiβ er, dass er HIV-1-seropositiv ist, doch bisher ging es ihm gut (CD4-positive
Zellen: 80/mm3).

957
Bei der Untersuchung sind keine neurologischen Herdsymptome erkennbar, auch der
Augenhintergrund (Fundoskopie) ist normal. Der Patient hat allerdings Mundsoor
(orale Candidiasis). Eine kraniale CT ergibt keinen Befund. Eine Lumbalpunktion
liefert folgende Ergebnisse: Liquor klar, Leukozytenzahl von 150/mm3 (vorwiegend
Lymphozyten), Glukose im Liquor 2,2 mmol/l, Blutglukose 3,8 mmol/l,
Proteinkonzentration 0,4 g/dl.

1 Wie lautet die Verdachtsdiagnose und welche diagnostischen


Untersuchungen würden Sie durchführen?

2 Mit welchen Untersuchungen könnte die Diagnose sonst noch gesichert


werden?

3 Wie würden Sie den Patienten behandeln?


Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

Brostoff, J., Scadding, G.K., Male, D., Roitt, I.M.: Clinical Immunology. Mosby
International, London 1991.

Gemmell, C.G., McCartney, A.C.: Coagulase-negative staphylococci within the


hospital environment. Rev Med Microbiol 1 (1990) 213–218.

Orr, K.E., Gould, F.K.: Infection problems in patients receiving solid organ
transplants. Rev Med Micobiol 3 (1992) 96–103.

Reese, R.E., Douglas, R.G. (eds.): A Practical Approach to Infectious Diseases.


Little, Brown & Co., Baltimore/Toronto 1986.

Rogers, T.R.: Management of septicaemia in the immunocompromised with


particular reference to neutropenic patients. In: Shanson, D.C. (ed.): Septicaemia and
Endocarditis. Oxford Medical Publications, Oxford 1989.

www.archetypum.net

958
31 Strategien zur Infektionskontrolle – eine Einführung
31.1 Epidemiologische Überlegungen 473

31.1.1 Die Biologie der Infektionserreger verstehen 473

31.1.2 Aussagewert der Reproduktionsraten 474

31.1.3 Einfluss des Verhaltens auf die Ausbreitung von Infektionen 476

31.1.4 Übertragung zwischen Gruppen 476

31.1.5 Veränderte Inzidenz von Infektionen 477

31.1.6 Erfolgreiche Übertragung 477

31.2 Nachweis und Diagnose 477

31.3 Chemotherapie oder Impfung 480

31.4 Bekämpfung oder Ausrottung 483


Zur Orientierung
Infektionskrankheiten können medikamentös, durch Impfung und eine „gesündere“
Umwelt bekämpft werden

Ein großer Verdienst der angewandten medizinischen Forschung war die erfolgreiche
Bekämpfung zahlreicher Infektionskrankheiten; die Pocken sind ausgerottet und andere
Infektionen können inzwischen in vielen Teilen der Welt wirksam bekämpft werden.
Diese Kontrollierbarkeit wurde hauptsächlich auf drei Wegen erreicht:

■ durch Medikamente (Antibiotika-/Chemotherapie)

■ durch Impfstoffe (Immunisierung)

■ durch Verbesserung der Umweltbedingungen (Hygiene, Ernährung usw.; Tab. 31.1)

Während Infektionskrankheiten auf individueller Ebene im Allgemeinen mit


Medikamenten behandelt werden, dienen Impfungen und Verbesserung der
Umweltbedingungen zur Infektionsbekämpfung in der Bevölkerung. Wie
Infektionskrankheiten entstehen, sich ausbreiten und bekämpft werden können, lässt sich
nur auf der Grundlage detaillierter epidemiologischer Studien verstehen, die eine
Risikoeinschätzung und die Planung von Gegenstrategien ermöglichen.

Solche Untersuchungen setzen zum einen Kenntnisse über Infektionserreger und die
unterschiedlichen Beziehungen zu ihren Wirten voraus, erfordern zum anderen aber auch
eine Datensammlung und -analyse mithilfe mathematischer Modelle, um sich eine
Vorstellung von Übertragungs- und Kontrollmöglichkeiten machen zu können. Wo die
Kausalbeziehung zwischen Krankheitsbild und Erreger oder der Übertragungsweg noch
unbekannt sind, können epidemiologische Forschungen dazu beitragen, das fehlende
Glied zu finden und geeignete Strategien zur Infektionskontrolle festzulegen.

959
31.1 Epidemiologische Überlegungen

31.1.1 Die Biologie der Infektionserreger verstehen

Mikroorganismen reproduzieren sich direkt in ihrem


Wirt und sind in der Regel eine flüchtige (transiente)
Erscheinung
Viren, Bakterien, Pilze und Protozoen („Mikroparasiten“) vermehren sich oft in sehr
hohen Raten in ihrem Wirt. Sie sind meist klein (Mikroorganismen) und haben eine
recht kurze Generationszeit. Eine überstandene Infektion macht gewöhnlich immun
gegen Reinfektionen; nach Virusinfektionen kann sogar lebenslange Immunität
bestehen. Mit einigen wichtigen Ausnahmen (z.B. Herpes, HIV-Infektion) sind es
Infektionen kurzer Dauer, verglichen mit der Lebensspanne des Wirts. Daher ist ihr
flüchtiges (transientes) Erscheinen typisch für Infektionen mit Mikroorganismen.

Um die Epidemiologie dieser Infektionskrankheiten zu definieren und die


Durchseuchung einer Wirtspopulation zu beschrieben, ist es sinnvoll, vier Gruppen
zu unterscheiden: (1) anfällige (nichtimmune), (2) latent infizierte (d.h.
nichtinfektiöse), (3) infizierte und infektiöse, (4) genesene und immun gewordene
Menschen (Abb. 31.1).

Auch Inkubationszeit (vom Zeitpunkt der Infektion bis zur Erkrankung), Latenzphase
(vom Zeitpunkt der Infektion bis zur Infektiosität) und Generationszeit (Summe aus
Inkubationszeit und Latenzphase) sind nützliche Unterscheidungskriterien (Abb.
31.2). Bei einigen Infektionen (z.B. mit Herpesvirus) kann es zu einer
intermittierenden Infektiosität oder zu einer großen Schwankungsbreite während der
Inkubationszeit (z.B. HIV-Infektion) kommen. In Tab. 31.2 sind die durchschnittliche
Dauer der Latenzphase und der Inkubationszeit für einige häufigere
Infektionskrankheiten angegeben.

Größere Parasiten vermehren sich nicht in ihrem Wirt


und sind typischerweise auch nicht transient
Größere Parasiten (d.h. Helminthen und Arthropoden) vermehren sich nicht direkt im
Körper ihres Wirts, sondern bilden übertragbare Stadien aus, die ausgeschieden
werden und ihren Entwicklungszyklus außerhalb vollenden. Typisch für sie sind die
Größe („Makroparasiten“) und eine Generationszeit, die im Verhältnis zur
Lebensdauer des Wirts oft beträchtlich sein kann. Nach ihrer Entfernung besteht nur
eine kurz währende Immunität und Reinfektionen sind jederzeit wieder möglich.

960
Tab. 31.1 Strategien zur Bekämpfung von Infektions-krankheiten.

Die Ausbreitung von Infektionen hängt von der


Reproduktionsrate der Erreger ab
An der Vermehrungsgeschwindigkeit bzw. Reproduktionsrate eines Organismus lässt
sich sein biologischer Erfolg messen. Da sie für Mikroorganismen im Körper nicht
genau errechnet werden kann, definiert man die Grundrate ihrer Vermehrung (R0)
als „durchschnittliche Zahl der Infizierten infolge eines einzigen Falls (einer
Erstinfektion) in einer komplett anfälligen Population“. Synonym gebraucht werden
auch „fallbezogene Reproduktionsrate“ oder „Übertragbarkeit“
(Übertragungspotenzial). Bei größeren Parasiten kann die Zahl der Fälle direkt

961
bestimmt werden; hierbei entspricht R0 der durchschnittlichen Zahl von Nachkommen,
die ein geschlechtsreifes Weibchen im Laufe seines Lebens produziert.
Abb. 31.1 Flussschema einer direkt übertragbaren
Infektion in einer Population (Gruppen von
anfälligen, infizierten und immun gewordenen
Individuen).

Während durch Reproduktion (mit der Rate a) wieder neue anfällige Individuen
hinzukommen, scheiden andere durch Tod (Rate b) aus. In der infektiösen Gruppe
wird „b“ noch durch die krankheitsbezogene Todesrate α ergänzt. Aus einer
Mischung infektiöser und anfälliger Individuen könnten neue Infektionen
hervorgehen.

Diese Definitionen gelten aber nur für Infektionen unter idealen Bedingungen, d.h.,
wenn die gesamte Wirtspopulation anfällig wäre; doch das ist selten der Fall. Die
Infektionsanfälligkeit hängt von individuellen Faktoren ab (wie Geschlecht, Alter,
Genetik, Ernährungs- und Immunstatus, vorhergegangene Exposition), so dass die
Ausbreitung von Infektionen immer gewissen Einschränkungen unterliegt. Daher ist
die Größe der effektiven Reproduktionsrate (R) ein realistischerer Wert.

Sobald sich eine Infektion in einer Bevölkerung etabliert hat (hohe Durchseuchung)
und sich eine Gruppenimmunität entwickelt, nimmt der Anteil anfälliger Individuen
ab. Auch wenn immer wieder saisonal oder in längeren Zeitabständen Schwankungen
auftreten können, stellt sich schließlich eine Art Gleichgewicht ein (endemische
Infektion). Vor Einführung der Masern-Schutzimpfung wurde der regelmäßige 2-
Jahres-Rhythmus der Maserninzidenz z.B. von einer saisonalen Häufung überlagert
(Abb. 31.3).

Bei einem Gleichgewichtszustand halten sich immun gewordene und – durch Geburt
oder Zuwanderung – neu hinzugekommene anfällige Individuen in einer Bevölkerung
genau die Waage; daher beträgt die effektive Reproduktionsrate R = 1. Könnte R
durch gezielte Interventionen verringert werden (R < 1), würde sich die Infektion nicht
selbst erhalten können und aussterben. Nach diesem Grundprinzip werden
Impfkampagnen durchgeführt (s. unten). Bei R > 1 breitet sich die Infektion dagegen
weiter aus.

962
31.1.2 Aussagewert der Reproduktionsraten

Wie stark die Zahl der Infektionen anfangs zunimmt,


hängt von der Größe von R0 ab
Wie hoch der Anteil der (z.B. mit HIV) Infizierten in einer anfälligen Population zu
Beginn ansteigt, wird durch die Größe von R0 und bestimmte Verhaltensweisen
beeinflusst (s. unten). Dabei gilt: je größer R0, desto steiler der Anstieg. Sobald
Infektionen auftreten, deren Erreger einen hohen R0-Wert haben, muss rasch
reagiert werden – auf individueller wie auf der Bevölkerungsebene.
Abb. 31.2 Beziehung zwischen Inkubationszeit,
Latenz- und infektiöser Phase am Beispiel einer
hypothetischen Infektion (mit Mikroorganismen).

Zu beachten ist, dass die infektiöse und die symptomatische Phase einer Krankheit
nicht notwendigerweise synchron sein müssen. Die Generationszeit entspricht der
Gesamtdauer von Latenz- und infektiöser Phase (s. Text).

R0 bestimmt auch das Alter, in dem sich ungeimpfte


Kinder anstecken können
Wie Abb. 31.4 zeigt, nimmt bei ungeimpften Kindern nach dem Rückgang der
mütterlichen Antikörper der Anteil derjenigen zu, die aufgrund einer Virusinfektion
selbst Antikörper gebildet haben. In welchem Durchschnittsalter Infektionen auftreten,
steht in direkter Beziehung zu R0. Dabei gilt: je größer R0, desto niedriger das Alter
(A) bei Infektion und desto kleiner das Zeitfenster der Anfälligkeit – und umgekehrt.

963
Abb. 31.3 Jährliche Meldungen von Masernfällen
in einer städtischen Bevölkerung (für den Zeitraum
von 1960 bis 1985).

Vor Einführung der Schutzimpfung traten alle 2 Jahre deutlich erkennbare


Schwankungen der Maserninzidenz auf. Durch die Masern-Schutzimpfung (seit
1966) und den besonders bei Kleinkindern hohen Anteil der Geimpften haben sich
die Abstände zwischen den Epidemien signifikant verlängert (Statistik des
britischen Office of Population Censuses and Surveys).

964
Tab. 31.2 Inkubationszeit, Latenz- und infektiöse Phase
verschiedener Virus- und bakteriellen Infektionen.
In Tab. 31.3 ist für einige häufige Infektionskrankheiten das geschätzte
Durchschnittsalter A (ungeimpfte Bevölkerungsgruppen) angegeben. Die
Übertragbarkeit von Infektionen (bzw. ihre „erfolgreiche“ Ausbreitung) kann sehr
stark schwanken; in Entwicklungsländern ist das Durchschnittsalter (A) bei
Infektionen viel niedriger als in den USA oder Großbritannien.

965
Abb. 31.4 Altersbezogenes serologisches Profil der
spezifischen Antikörper, die sich gegen Antigene
einer direkt übertragbaren Virusinfektion
(„Kinderkrankheit“) bilden können.

Das Durchschnittsalter bei Infektion beträgt 5 Jahre. Zwischen dem Rückgang der
mütterlichen Antikörper und dem Anstieg der Seroprävalenz nach einer Infektion
öffnet sich ein Fenster erhöhter Anfälligkeit (Suszeptibilität).

Serologische Reihenuntersuchungen können wertvolle Hinweise auf das beste


Impfalter und die Bevölkerungsgruppe liefern, deren Immunisierung (Impfung) am
ehesten Erfolg verspricht (d.h. die weitere Übertragung unterbinden kann).

966
Tab. 31.3 Durchschnittsalter bei Infektion (A) – bezogen auf
Infektionskrankheiten in unterschiedlichen Ländern vor der
Einführung von Schutzimpfungen in größerem Maßstab.

31.1.3 Einfluss des Verhaltens auf die Ausbreitung


von Infektionen

Um sich aufrechtzuerhalten, muss bei Infektionen


(außer den sexuell übertragbaren) der Anteil der
anfälligen Personen über dem kritischen Grenzwert
liegt
Bei einer direkt übertragbaren Infektion müssen infektiöse und anfällige Personen in
Kontakt kommen. Wie eng der Kontakt zu sein hat, richtet sich nach dem Anteil
(Dichte) der anfälligen Mitglieder einer Gruppe, der über dem kalkulierbaren
kritischen Grenzwert liegen muss. Dieses Konzept erklärt, weshalb Impfkampagnen
darauf abzielen, einen möglichst flächendeckenden Schutz aufzubauen, um so den
Anteil der Gefährdeten unter diesen Wert zu senken.

967
Bei sexuell übertragbaren Krankheiten hängt R0 von
der durchschnittlichen Anzahl neuer Sexualpartner ab
Besonders große Bedeutung hat das Verhalten bei sexuell übertragbaren Krankheiten
wie Gonorrhoe oder HIV-Infektion. Da sich die Betroffenen in unterschiedlicher
Häufigkeit neue Sexualpartner suchen (Abb. 31.5), hängt R0 in hohem Maße von der
sexuellen Aktivität ab. Wer viele Sexualpartner hat, kann sich eher infizieren oder
andere anstecken. Das spielt eine Schlüsselrolle für die Aufrechterhaltung von
Infektionen in der Gruppe der sexuell aktiven Menschen. Daher richten sich
Behandlung und Aufklärung über Safer-Sex-Praktiken (Sexualerziehung) vornehmlich
an promiskuitive Menschen.

31.1.4 Übertragung zwischen Gruppen


Nach welchem Muster sich einzelne Bevölkerungsgruppen mischen, ist
ausschlaggebend für das Vorgehen bei der Infektionsbekämpfung. Denn die
Übertragbarkeit von Infektionen ist nicht nur innerhalb einzelner Gruppen
unterschiedlich, sondern auch der Kontakt zwischen den Gruppen kann eine
Schlüsselrolle hinsichtlich des Infektions- und Erkrankungsmusters spielen. Unter
diesen Umständen wird sich die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Einzelner zu
Mitgliedern seiner eigenen oder anderer Gruppen in Kontakt kommt, auch auf R0
auswirken. Mögliche Mischungen zu berücksichtigen ist daher von großer Bedeutung
für die Entwicklung von Strategien zur Infektionsbekämpfung.

968
Abb. 31.5 Zahl der Sexualpartner und
Häufigkeitsverteilung in unterschiedlichen Zeiträumen
(von einem Monat bis lebenslange Beziehung).

Umfrage (1987) unter männlichen und weiblichen Studenten in Großbritannien.

Die Durchmischung wird von Schulzeiten und Ferien


beeinflusst
Bei direkt ansteckenden Infektionskrankheiten wie Masern, Röteln, Mumps und
Keuchhusten können unter Schulkindern der Grund- oder Sekundarstufe (im Alter von
5–15 Jahren) sehr hohe Übertragungsraten auftreten. Von dieser Altersgruppe
breitet sich die Infektion auf jüngere und ältere Familienmitglieder aus. In Ländern, in
denen Kinder in hohem Maße durch Impfungen geschützt sind, halten sich trotzdem
„Infektionsnester“ in ärmeren Gemeinden oder bei ethnischen Minderheiten in
größeren Städten, die sich nur selten impfen lassen. Um die Ansteckungsgefahr
zwischen den Gruppen zu verringern, wäre es erstrebenswert, Kinder vor dem Eintritt
in die Grundschule und Kleinkinder in ärmeren urbanen Zentren zu impfen.

969
31.1.5 Veränderte Inzidenz von Infektionen

Viele direkt übertragbare Virus- und bakterielle


Infektionen zeigen regelmäßige Häufigkeitsgipfel
Anhand epidemiologischer Daten, die über mehrere Jahre gesammelt wurden, lässt
sich der Zeitraum zwischen zwei Epidemien (mittleres Zeitintervall zwischen den
Häufigkeitsgipfeln) ermitteln. Ein auffälliges Merkmal vieler verbreiteter Virus- und
Bakterieninfektionen ist die Regelmäßigkeit, mit der solche Häufigkeitsgipfel
auftreten. Meist handelt es sich um:

■ jahreszeitliche/saisonale Schwankungen (Auswirkungen des Schul- bzw.


Ferienkalenders auf Kinderkrankheiten)

■ längere Zeitintervalle. Vor Einführung der Masern- bzw. Pertussis-


Schutzimpfung lagen in Großbritannien 2 Jahre zwischen Masern- und 3–4 Jahre
zwischen Keuchhusten-Epidemien (Tab. 31.4, s. Kap. 16).

Diese Intervalle werden von den Interaktionen zwischen Erreger und Wirt bestimmt,
die zu ständigen Fluktuationen von R (< 1 oder > 1) führen. Zu Beginn eines
Epidemiezyklus breiten sich die Erreger ziemlich schnell aus. Doch bei
Ausschöpfung des Infektionsreservoirs der Anfälligen fällt R unter 1 und die Inzidenz
der Infektion geht langsam zurück. Das setzt sich so lange fort, bis neue Geburten den
Pool der Infektionsanfälligen wieder auffüllen und ihr Anteil schließlich so stark
ansteigt, dass die nächste Epidemie ausgelöst wird.

31.1.6 Erfolgreiche Übertragung


Wie erfolgreich eine Infektion übertragen wird, hängt von unterschiedlichen
demografischen (Geburtenüberschuss, „Nettogeburtenrate“) und
Verhaltensmerkmalen (Durchmischung einzelner Gruppen) ab. Vor Einführung der
Masern-Schutzimpfung verkürzte sich der Zeitraum zwischen Masernepidemien in
afrikanischen oder indischen Großstädten oft auf ein Jahr (in den USA und
Großbritannien sind zwei Jahre typisch). Darin kommen direkt die Unterschiede beim
durchschnittlichen Infektionsalter zum Ausdruck (Tab. 31.3).

Durch Schutzimpfungen erhöht sich das durchschnittliche Alter zur Zeit der Infektion.
Welche Auswirkungen das hat, wird in Kap. 34 näher besprochen, doch eine Folge ist
unter anderem ein längerer Abstand zwischen Epidemien (Tab. 31.4). Daher verändert
sich durch Schutzimpfungen nicht nur die Inzidenz von Infektionen, sondern sie
beeinflussen auch die Altersverteilung der Fälle und das Fluktuationsmuster.

970
Geschichte der Mikrobiologie (1)
Epidemiologie als Wissenschaft

Die Epidemiologie untersucht das Auftreten, die Verbreitung und die Bekämpfung
von Infektionen. Sie stützt sich dabei auf eine ausführliche Sammlung statistischer
Informationen und kann auf unterschiedlichen Ebenen durchgeführt werden, von der
rein deskriptiven bis zur analytischen und experimentellen Untersuchung, wobei
mathematische Modelle eine zunehmend bedeutendere Rolle spielen.

Epidemiologische Daten können dazu verwendet werden, ein Register von


Krankheiten in der Bevölkerung zu erstellen oder, wenn es sich um
Infektionskrankheiten handelt, die Ursachen und Übertragungswege herauszufinden.
Sie können außerdem benutzt werden, um prognostische Aussagen über die
Wahrscheinlichkeit einer Infektion zu treffen, Risikofaktoren zu erkennen und
Behandlungs-/Kontrollprogramme zu entwickeln.

Wie jede Wissenschaft hat auch die Epidemiologie ihren eigenen „Jargon“ und
besondere Fachbegriffe

Als Infektion wird das Vorhandensein eines Erregers bei Einzelpersonen oder in einer
Bevölkerung(sgruppe) bezeichnet. Der Begriff Krankheit wird nur für eine Infektion
mit erkennbar klinischen Auswirkungen verwendet, egal, ob leichte oder schwere
Symptome. Das Zeitintervall zwischen Exposition und Ausbruch der Infektion ist die
Inkubationszeit. Wer sich infiziert hat und andere Menschen anstecken kann, ist
infektiös. Da die Infektiosität trotz Abklingen der Krankheitszeichen weiter bestehen
kann, gelten die Betreffenden als Überträger oder Carrier.

Ein Carrier-Status kann auch bestehen, ohne dass jemals Symptome aufgetreten
wären. Obwohl die Übertragung (Ansteckung) auf unterschiedlichen Wegen
stattfinden kann, setzt sie immer voraus, dass infektiöse und anfällige Personen direkt
oder indirekt miteinander in Kontakt kommen (s. Kap. 13). Eine Infektion kann immun
und damit oft resistent gegen zukünftige Infektionen machen.

Infektionen oder Krankheiten, die mit niedriger oder mittlerer Häufigkeit in


Bevölkerungsgruppen auftreten, werden als endemisch bezeichnet (und als
hyperendemisch, wenn sie gehäuft vorkommen). Ein plötzlicher Häufigkeitsanstieg –
über das endemische Niveau hinaus – führt zur Epidemie; globale Epidemien sind
Pandemien.

Auf die Infektions- oder Krankheitsfälle in einer Population bezieht sich die
Prävalenz, wobei Punktprävalenz die Fallzahl zu einem bestimmten Zeitpunkt und
Periodenprävalenz die Fallzahl in einem bestimmten Zeitraum bedeutet.
Seroprävalenz gibt die Zahl der Personen an, bei denen Antikörper gegen eine
bestimmte Infektion nachweisbar sind. Bei den Betreffenden hat in dem Moment, wo
solche Antikörper auftauchen, eine Serokonversion stattgefunden. Als Inzidenz
bezeichnet man die Zahl der Neuerkrankungen in einer Bevölkerung über einen
definierten Zeitraum.

Auf Krankheiten oder Infektionen in bestimmten Altersgruppen verweist die


altersspezifische Prävalenz oder Inzidenz. Prävalenz und Inzidenz können periodische
Schwankungen aufweisen oder im zeitlichen Verlauf Trends erkennen lassen (oft

971
„longitudinale“ Trends genannt). Bei säkularenTrends entwickeln sich
Veränderungen langsam über viele Jahre, während sich periodischeTrends
kurzfristiger (innerhalb von Monaten oder wenigen Jahren) abzeichnen. Jährlich oder
monatlich können Veränderungen als saisonaleTrends auftreten, in denen sich Klima-
(Jahreszeiten) oder Verhaltenseinflüsse widerspiegeln, und akute (aktuelle) Trends
ergeben sich während einer Epidemie.

Deskriptive epidemiologische Daten können während oder nach einer Epidemie


gesammelt werden

Je vollständiger die Daten, desto fruchtbarer kann ihre Analyse sein.


Dementsprechend müssen nicht nur Daten in unmittelbarem Zusammenhang zur
Infektion, sondern auch demografische, geografische, klimatische, sozioökonomische,
Verhaltens- und persönliche Daten erfasst werden. Die Unterteilung oder Schichtung
(Stratifikation) einer Bevölkerung anhand solcher Parameter ist eine sinnvolle
Methode, um zu untersuchen, ob eine Infektion mit bestimmten Merkmalen korreliert
ist.

Die analytische Epidemiologie verwendet Fallkontroll- und Kohortenstudien als


Grundlage

Fallkontrollstudien sind retrospektiv. Um Ursache und Wirkung einer Infektion oder


Krankheit herauszufinden, wird eine Gruppe Erkrankter mit einer dazu passenden
(nicht infizierten) Kontrollgruppe verglichen. Kohortenstudien sind normalerweise
prospektiv und beobachten das Auftreten einer Infektion oder Krankheit in sorgfältig
zusammengestellten Gruppen über einen längeren Zeitraum. Wieder dient der
Vergleich mit einer Kontrollgruppe dazu, Ursache und Wirkung aufzudecken.

Als dritte Form der analytischen Epidemiologie befasst sich die epidemiologische
(Feld-)Forschung mit auftretenden Epidemien. In dem Bemühen, geeignete
Maßnahmen zur Behandlung bzw. Bekämpfung zu ergreifen, sammelt sie alle
relevanten Daten, um Infektionserreger und Übertragungswege erkennen zu können.

Die experimentelle Epidemiologie wendet epidemiologische Methoden in


Experimenten an

Systematische Experimente sind z.B. Versuche mit Medikamenten oder Impfstoffen,


die an kranken oder gesunden Probanden getestet werden (bzw. mit/ohne
Erregerexposition). Zur Auswertung werden diese Versuchsergebnisse mit denen von
Probanden in einer Placebo- oder alternativen Therapiegruppe verglichen. Für die
experimentelle Epidemiologie sind detaillierte statistische Planungen und Analysen
erforderlich.

Mathematische Modelle als aussagekräftiges Instrument in der Epidemiologie

Modellrechnungen zu Infektionen und Krankheiten in Bevölkerungsgruppen führen


sowohl die deskriptive als auch die analytische und experimentelle Epidemiologie
durch. Solche Modelle sind nicht nur ein aussagekräftiges Instrument hinsichtlich der
Dateninterpretation, sondern aufgrund ihres Vorhersagewerts sehr breit einsetzbar
zur Krankheitsbekämpfung.
Geschichte der Mikrobiologie (2)

972
Krankheitsüberwachung – Surveillance

In vielen Ländern führen Gesundheitsbehörden regelmäßige epidemiologische


Erhebungen zu bestimmten Erkrankungen in der Bevölkerung durch (in den USA z.B.
die Centers for Disease Control [CDC] des US Public Health Service, in
Großbritannien die Communicable Diseases Surveillance Centres [CDSC] der Health
Protection Agency, in Deutschland das Robert-Koch-Institut [RKI)). International
übernimmt die Weltgesundheitsbehörde (WHO) eine ähnliche Rolle.

Auf nationaler Ebene beruht die Überwachung meist auf meldepflichtigen


Krankheiten; Ärzte sind in dem Fall verpflichtet, die Erkrankung (Morbiditätsdaten)
eines Patienten den Gesundheitsämtern mitzuteilen. Auch meldepflichtige
Todesursachen (Letalitätsdaten) werden zentral erfasst, z.B. aus Laborberichten,
statistischen Erhebungen (Volkszählung) und detaillierten Einzelfallstudien.

Diese Daten werden regelmäßig veröffentlicht (z.B. im American Morbidity and


Mortality Weekly Report [MMWR], im ebenfalls wöchentlich erscheinenden UK
Communicable Diseases Report [CDR]. oder im RKI-Bulletin). So wird die
medizinische Forschergemeinde auf bestimmte Trends im Muster von Krankheiten
aufmerksam und kann rascher effiziente Empfehlungen zur Kontrolle abgeben.

31.2 Nachweis und Diagnose


Epidemiologisches Verständnis kann dazu beitragen, die richtigen Strategien zur
Bekämpfung von Infektionen auf der Bevölkerungsebene festzulegen. Dieses Verständnis
hängt allerdings genauso wie die richtige Entscheidung über angemessene
Gegenmaßnahmen sehr stark davon ab, dass der Ausbruch einer Epidemie erkannt, ihr
Verlauf überwacht und eine Kausalbeziehung zu einem Erreger hergestellt werden
kann. Dem Nachweis und der Diagnose von Infektionskrankheiten kommt daher auf
Bevölkerungsebene eine ähnliche Schlüsselrolle zu wie in der Behandlung jedes einzelnen
Patienten.

973
Tab. 31.4 Zeitintervalle zwischen Epidemien in unterschiedlichen
Ländern am Beispiel einiger häufiger Infektionskrankheiten.
Zur deskriptiven Epidemiologie gehören auch Fragestellungen, die beim gehäuften
Auftreten einer Krankheit mithelfen, den Erreger und die Infektionsquelle zu entdecken.
Es ist wichtig, eine Falldefinition zu haben, die neben den Krankheitssymptomen auch
nähere Einzelheiten zu den Betroffenen und zum zeitlichen Ablauf beinhaltet. Nach
Auswertung dieser Daten sollte man sagen können, wo und wie es zum Ausbruch der
Krankheit kam, wer zu den Risikopersonen zählt und durch welche Behandlung sich
weitere Infektionen verhindern lassen (s. Kasten 3).

Mögliche Gegenmaßnahmen können neben einer Antibiotikatherapie bei direkt


Betroffenen auch eine Impfung umfassen, falls größere Gruppen gefährdet sind (z.B.
Meningitis-Epidemie unter britischen Studenten). Bei sexuell übertragbaren Krankheiten
(s. oben) ist es wichtig, die Kontaktmuster oder die Form, in der sich Gruppen mischen,
aufzudecken, um Infizierte individuell behandeln und weitere Ansteckungen verhindern
zu können.

Dass Epidemien einer bekannten oder neuen Krankheit manchmal rein zufällig aufgrund
klinischer Beobachtungen entdeckt werden, zeigt sich exemplarisch an AIDS: 1981
wurde es entdeckt, als sich Pneumocystis carinii-(heute Pneumocystis jiroveci-
)Infektionen und Kaposi-Sarkome bei männlichen Homosexuellen häuften.

Ein systematischerer Ansatz stützt sich auf ein behördliches Meldesystem oder Register,
mit dem routinemäßig die Episoden einer Reihe meldepflichtiger Krankheiten erfasst
werden. Solche Überwachungssysteme unterstehen auf nationaler Ebene der Verwaltung
durch Regierung oder Gesundheitsämter, während international die WHO für die
Registrierung von Krankheiten wie Cholera, Gelbfieber oder Pest zuständig ist. Mit dem
Grundstock an Daten, den eine regelmäßige Überwachung liefert, lässt sich leichter
ermitteln, ob die Zahl der Erkrankungsfälle „deutlich höher als üblicherweise zu
erwarten“ liegt (und somit die Definition einer Epidemie erfüllt).
Geschichte der Mikrobiologie (3)
Die Legionärskrankheit – eine Fallstudie

Hintergrund

Nachdem Kriegsveteranen der Pennsylvania American Legion vom 21. bis 24. Juli 1976
in einem Hotel in Philadelphia eine Versammlung abgehalten hatten, häuften sich
Anfang August Meldungen über eine schwere Pneumonie unbekannter Ursache unter
den Teilnehmern. Trotz antibiotischer Behandlung kam es zu Todesfällen.

Falldefinition

■ Teilnahme an der Versammlung oder Aufenthalt im Hotel zwischen 1. Juli und


18. August

■ in diesem Zeitraum aufgetretener Husten mit Fieber als Pneumonie


diagnostiziert

Von den 182 Patienten, auf die diese Definition zutraf, hatten 149 an der Veteranen-
Versammlung teilgenommen, neun weitere waren im fraglichen Zeitraum auf anderen

974
Kongressen im selben Hotel gewesen. Zudem hatten sich 39 Patienten mit dem gleichen
Krankheitsbild zur betreffenden Zeit nicht im Hotel, wohl aber im selben Straßenblock
aufgehalten.

Epidemie

Ende Juli traten die ersten Erkrankungen auf und erreichten zwischen dem 25. und 27.
Juli ihren Höhepunkt (Häufigkeitsgipfel). In 78% der Fälle handelte es sich um Männer,
die meisten waren über 50 Jahre alt. Die Inkubationszeit betrug etwa 2–10 Tage. Ein
erheblicher Prozentsatz der Patienten hatte sich in der Lobby aufgehalten oder draußen
vor dem Hotel gestanden, um sich die Parade anzusehen. Eine gegenseitige Ansteckung
hatte nicht stattgefunden.

Schlussfolgerungen

Alle Anzeichen deuteten darauf hin, dass der Infektionserreger als Aerosol verbreitet
wurde und höchstwahrscheinlich in der Lobby oder direkt vor dem Hotel eingeatmet
wurde. Man dachte an eine bakterielle Infektion (erhöhte Neutrophilenzahl im Sputum),
doch Keime ließen sich nicht nachweisen. Schließlich wurde ein bisher unbekanntes
Bakterium isoliert und kurz danach als Legionella identifiziert (s. Kap. 19.2.7). Eine
Behandlung mit Erythromycin erwies sich als wirksam.

Aus den biologischen Merkmalen von Legionella war abzuleiten, dass Infektionen durch
Desinfektion und Hitzebehandlung von Wasserleitungen und Klimaanlagen verhindert
bzw. bekämpft werden können.

Sobald sich eine Häufung (Epidemie) von Infektionskrankheiten bestätigt hat, kann man
durch eine Erregeridentifizierung mit herkömmlichen diagnostischen Methoden (s. Kap.
13) sicherstellen, dass die richtige Antibiotikatherapie oder Impfung durchgeführt wird.

31.3 Chemotherapie oder Impfung

Von zentraler Bedeutung für Antibiotika und Impfstoffe


ist ihre Selektivität (oder Spezifität)
Auch wenn sie auf den ersten Blick sehr unterschiedlich erscheinen (Tab. 31.5), haben
sich Antibiotikatherapie und Impfung doch gemeinsam aus den intensiven Studien
entwickelt, die unternommen wurden, nachdem sich Ende des 19. Jahrhunderts
herausstellte, dass Krankheiten durch Mikroorganismen verursacht sein können.

Louis Pasteur (s. Kasten 4) wies nach, dass Impfungen mit abgetöteten oder
abgeschwächten Bakterien (z.B. Anthrax- oder Rabies-Erregern) eine aktive
Immunisierung gegen Milzbrand oder Tollwut induzierten; und Paul Ehrlich kam durch
seine Arbeit mit histologischen Farbstoffen zu der Überzeugung, dass bestimmte
chemische Stoffe (Medikamente) gegen Krankheiten wirksam sein könnten, weil sie
sich gezielt (spezifisch) an bestimmte Bakterienstrukturen binden und sie schädigen (s.
Kap. 33). Beide Wissenschaftler führten also das Konzept eines selektiven oder
spezifischen Angriffs gegen infektiöse Keime als Mittel zur Krankheitsbekämpfung ein.

975
Tab. 31.5 Chemotherapie (Antibiotikatherapie) und Impfung im
Vergleich.

976
Geschichte der Mikrobiologie (4)
Louis Pasteur (1822–1895)

Die Mikrobiologie wurde im 19.Jahrhundert durch die Arbeiten zahlreicher


hervorragender Wissenschaftler begründet. Doch als eigentlicher „Gründervater“
dieser Wissenschaft ist wohl zu Recht Louis Pasteur anzusehen. Gemeinsam mit dem
deutschen Arzt Robert Koch (s. Kap. 12) konnte er nachweisen, dass lebende
Organismen (Mikroben) Krankheiten verursachen. Damit legten sie den
wissenschaftlichen Grundstein zur Erforschung und Bekämpfung von Bakterien.

Pasteur begann zu einer Zeit zu forschen, als nach der allgemein gültigen Erklärung
Keime noch spontan in verrottendem Material erzeugt wurden. Mit seinen
Experimenten konnte er jedoch beweisen, dass sterile organische Infusionen weder
verwesen noch gären, wenn sie nicht aus der Luft kontaminiert werden. Demnach
konnten Mikroorganismen nicht spontan entstehen, sondern mussten von bereits
vorher vorhandenen abstammen. Diese Entdeckung leistete zu vielen Gebieten der
Grundlagen- und angewandten Wissenschaft ihren Beitrag. Möglicherweise am
wichtigsten war Pasteurs Beitrag für die Arbeit von Lister, der mit seinem Werk über
Antisepsis die Operationsfächer revolutionierte.

Pasteur beschäftigte sich mit erstaunlich vielseitigen mikrobiologischen Themen – von


der Gärung bei Bier- und Weinerzeugung bis zu Krankheiten von Seidenraupen – und
bereicherte jedes dieser Fachgebiete mit hochwissenschaftlichen Erkenntnissen und
Entdeckungen, die ihm in Frankreich und international hohes Ansehen verschafften.

Aus seinem Verständnis von Bakterien als Krankheitsursache und mit


wissenschaftlichem Scharfsinn konnte er auch scheinbar misslungene Cholera-
Experimente an Küken richtig deuten: dass die Inokulation attenuierter Bakterien
deshalb keine Krankheit induziert, weil sie dagegen immun macht. Seine
Vorstellungen stießen zwar auf heftigen Widerstand, doch in unerschütterlicher
Überzeugung nahm Pasteur 1881 an einem öffentlichen Versuch teil und erprobte
seinen Impfstoff gegen Milzbrand (Anthrax) an Haustieren.

Später entwickelte er aufgrund der Erkenntnis, dass er den Tollwuterreger weder


sehen noch anzüchten konnte, aus dem getrockneten Rückenmark infizierter
Kaninchen einen Impfstoff. Dass dieser auch bei Menschen wirksam war, stellte sich
1885 heraus, als Pasteur dem neunjährigen Joseph Meister, nach schlimmen
Bissverletzungen durch einen tollwütigen Hund, den Tollwutimpfstoff spritzte – und
der Junge überlebte. Seitdem fand Pasteurs Auffassung von Impfungen allgemeine
Anerkennung und hat sich durchgesetzt.

Den Rest seines Lebens verbrachte Pasteur in seinem Geburtsland Frankreich als
Nationalheld mit weltweitem Renommé. Sein Name ist nicht nur unsterblich mit dem
von ihm entwickelten Sterilisierungsvorgang – der Pasteurisierung – verbunden,
sondern auch mit dem Institut Pasteur in Paris, das zu den international führenden
mikrobiologischen Zentren weltweit zählt.

977
Louis Pasteur (1822–1895)

Die Spezifität antimikrobieller Mittel bemisst sich


danach, dass sie nur den Erreger, nicht aber den Wirt
schädigen
Um spezifisch gegen Erreger (und nicht gegen den Wirt) zu wirken, sollten
antimikrobielle Mittel im Idealfall an Moleküle binden, die nur auf Erregern
vorkommen (s. Kap. 13). Das lässt sich je nach Erreger in unterschiedlichem Maße
erreichen. Mit ihren prokaryotischen Zellstrukturen stehen Bakterien dem Menschen
viel ferner als Pilze, Protozoen oder Würmer (die alle eukaryotisch sind). Daher
überrascht es auch nicht, dass die gegen Bakterien eingesetzten Antibiotika im
Allgemeinen am besten wirksam sind. An vier Stellen unterscheiden sich
Bakterienzellen so sehr von menschlichen Zellen, dass sie das Angriffsziel von
Antibiotika sein können:

■ Zellwand

■ Ribosomen

■ Nukleinsäuresynthese

■ Zellmembran (Abb. 31.6).

978
Viele Wirkstoffe sind entweder Produkte von Mikroorganismen oder deren Derivate.
Man vermutet dahinter einen Selbsterhaltungsmechanismus, der verhindern könnte,
dass Mikroorganismen (von der eigenen oder fremden Spezies) überwuchert werden.

Obwohl antimikrobielle Mittel theoretisch in einer Zubereitung zugeführt werden


können, in der sie länger im Körper bleiben, nimmt ihre Wirkung automatisch ab, sobald
die Wirkkonzentration unter eine kritische Schwelle sinkt. Für eine anhaltende
Wirkung müssen sie regelmäßig verabreicht werden.
Abb. 31.6 Angriffsziele für antibakterielle
Wirkstoffe.

Die Spezifität eines Impfstoffs hängt davon ab, wie gut


der Körper Fremdantigene erkennt
Mit seiner Ausstattung an T- und B-Zell-Rezeptoren kann der Körper praktisch jedes
Fremdantigen erkennen. Daher hängt die Spezifität eines Impfstoffs davon ab, dass
Moleküle in den Körper eingebracht werden, die eine Abwehrreaktion gegen den
Erreger, nicht aber gegen wirtseigenes Gewebe hervorrufen (s. Kap. 34).

979
Einmal ausgelöst, halten Antigen-Antikörper-Reaktionen nicht nur für gewisse Zeit
an, sondern danach wird sich das Immunsystem immer erinnern, dass es bereits
Bekanntschaft mit dem betreffenden Antigen gemacht hat. Nach einer Impfung wird der
Körper daher umso aktiver auf Antigene reagieren, die ihm bei einer Infektion
wiederbegegnen. Im Unterschied zur medikamentösen Therapie verleiht eine Impfung
meist einen länger anhaltenden Schutz und muss nicht ständig erneuert werden.

Sowohl Arzneimittel als auch Impfstoffe können


Nebenwirkungen haben
Obwohl sich Nebenwirkungen wegen der Spezifität in Grenzen halten sollten, sind
antimikrobielle Wirkstoffe und Impfstoffe nicht völlig frei von Risiken. Bei
unsachgemäßer Anwendung (z.B. Überdosierung) können Antibiotika akut toxisch
wirken und die Langzeittherapie kann zu chronischer Toxizität führen. Das Verhältnis
der minimalen (noch) wirksamen Dosis zur minimalen (bereits) toxischen Dosis wird als
therapeutischer Index bezeichnet. Zum Einsatz kommen bevorzugt Mittel mit hohem
therapeutischem Index, die viel toxischer für den Erreger als für den Wirt sind.

Mit ihrer relativ komplexen Molekülstruktur können Antibiotika selbst zum Angriffsziel
von Immunreaktionen werden. Vergleichsweise häufig tritt gegen Medikamente wie
Penicillin eine Überempfindlichkeit auf (5–10% der Bevölkerung), die schlimme
Folgen haben kann.

Auch Impfstoffe können unerwünschte Wirkungen haben und bei bestimmten Menschen
immunvermittelte Nebenwirkungen hervorrufen, die zu bleibenden Schäden führen,
besonders wenn das Gehirn betroffen ist. Das im Allgemeinen sehr geringe
Nebenwirkungsrisiko von Impfstoffen oder Antibiotika sollte man aber immer gegen die
viel schwereren und wahrscheinlicheren Folgen der Infektionen abwägen, gegen die sie
gerichtet sind.

980
Da sich Viren vielfach in und mit der Hilfe von
Wirtszellen entwickeln, lassen sie sich besonders
schwierig medikamentös bekämpfen
Doch auch Viren haben Stellen, an denen sie empfindlich getroffen werden können: die
zur Virusreplikation nötigen Enzyme. Herausragende Beispiele für eine
maßgeschneiderte Chemotherapie sind Aciclovir (gegen Herpesviren wirksam, greift an
der DNA-Polymerase an) und Zidovudin bzw. AZT (gegen HIV wirksam, greift an der
reversen Transkriptase an). Stattdessen lassen sich Virusinfektionen zum Teil recht
erfolgreich durch Impfungen eindämmen. Die HIV-Infektion gehört zu den
Virusinfektionen, die das vordringliche Ziel für Neuentwicklungen von Impfstoffen
bleiben.

Erreger können Resistenzen gegen Medikamente und


Impfstoffe entwickeln
Mit dem Auftreten von Resistenzen verschiebt sich das Gleichgewicht zugunsten der
Mikroorganismen. Das betrifft gleichermaßen Medikamente wie Impfstoffe. Eine
Resistenz kann sich auf unterschiedlichen Wegen entwickeln:

■ Eine Penicillinresistenz beruht meist auf der von Bakterien gebildeten


Betalaktamase; dieses Enzym bricht den Betalaktam-Ring von Penicillin auf.

■ Die Chloroquinresistenz ist auf einen Mechanismus zurückzuführen, den


Malariaparasiten entwickelt haben, um den Wirkstoff schneller aus ihrem Körper
herauszuschleusen.

■ Influenzaviren sind aufgrund kleiner Veränderungen ihrer


Oberflächenmoleküle (Hämagglutinin und Neuraminidase) gegen die Grippe-
Schutzimpfung resistent geworden.

Medikamente müssen oft regelmäßig verabreicht


werden, Impfungen u.U. nur einmal
Ein Hauptunterschied zwischen Medikamenten und Impfstoffen besteht darin, dass
Medikamente zur Behandlung von Krankheiten dienen und regelmäßig verabreicht
werden müssen, während Impfstoffe Krankheiten verhindern sollen und zur Prävention
nur ein paar Mal oder sogar nur einmalig verabreicht werden müssen. Natürlich gibt es
Ausnahmen von dieser Regel:

Eine passive Immunisierung durch Antikörper kann z.B. wie ein Arzneimittel zur
Behandlung akuter Infektionen eingesetzt werden; oder Medikamente wie Pyrimethamin
und Chloroquin werden – fast als wären sie kurz wirkende Impfstoffe – zur
Malariaprophylaxe verwendet. Doch in den meisten Fällen besteht ein deutlicher
Unterschied zwischen ein- oder zweimaliger Impfung (mit jahrelanger Schutzwirkung)
und täglicher oder zweimal täglicher Gabe einer Arzneimitteldosis.

Verständlich, dass Patienten und Ärzte eine Impfung vorziehen, während der
Pharmaindustrie natürlich Medikamente lieber sind. So erklärt sich, weshalb die

981
Industrie die Arzneimittelforschung vorantreibt, ohne extra ermutigt werden zu müssen
– und im Gegensatz dazu für die Entwicklung von Impfstoffen erst ein äußerer Anreiz
durch zweckgebundene Mittel geschaffen werden muss. Auf dem Gebiet hat sich die
WHO große Verdienste erworben.

31.4 Bekämpfung oder Eradikation

Krankheitsbekämpfung und -ausrottung sind


unterschiedliche Ziele, doch am Ende sollte im
Idealfall immer die Eradikation stehen
Viele Infektionen können (zumindest in einigen Teilen der Welt) durch antimikrobielle
Mittel behandelt oder durch Schutzimpfung verhindert werden, aber sie werden
trotzdem nie völlig verschwinden, nicht einmal in Ländern, die sie sehr wirkungsvoll
bekämpfen. Nach den theoretischen Voraussagen der Epidemiologie sollte eine
Infektion aussterben, sobald die Übertragungsraten unter den kritischen Schwellenwert
sinken; das mag auf lokaler Ebene durchaus der Fall sein.

Da sich aber überall dort, wo es keine oder nur unzureichende


Behandlungsmöglichkeiten gibt, Reservoire halten oder Infektionen durch
Zuwanderungen wieder eingeführt werden, können sich immer neue Epidemien
entwickeln. Bis heute wurde erst bei einer einzigen Krankheit – Pocken – der Punkt
erreicht, an dem der Erreger ausgerottet ist. Wie stehen die Chancen, dass auch andere
Infektionen als die Pocken in Vergessenheit geraten? Programme zur Eradikation von
Krankheiten müssen mehrere Faktoren berücksichtigen (Tab. 31.6).

Angesichts der langfristigen Ziele ist eine realistische


Einschätzung bei der Krankheitsbekämpfung gefragt
Die hoffnungsfrohen Erwartungen nach ersten Erfolgen der Antibiotika erhielten bald
einen Dämpfer, als sich Resistenzen entwickelten. Weit davon entfernt, sich in
absehbarer Zeit zu verringern, hat die „Bakterienlast“ der Menschen sogar noch
zugenommen. Viele Infektionen, die in diesem Buch beschrieben sind (HIV-Infektion,
Legionärskrankheit, Lyme-Borreliose, Kryptosporidiose – um nur einige zu nennen),
kommen in den alten Lehrbüchern der Mikrobiologie gar nicht vor. Für manche
Infektionen bleiben wirksame Impfstoffe reine Illusion. Jeder Versuch,
Infektionskrankheiten zu bekämpfen, ist daher auch eine Frage der Prioritäten:

982
Tab. 31.6 Faktoren, die eine weltweite Ausrottung von
Infektionskrankheiten begünstigen.
■ Welche Krankheit ließe sich mit angemessenem Aufwand ausrotten?

■ Sind die Kosten eines Eradikationsprogramms gerechtfertigt?

■ Bei welchen Krankheiten müssen sofort Maßnahmen ergriffen werden, damit


sie sich nicht verschlimmern?

■ Welche Krankheiten erzeugen den größten Leidensdruck und verursachen die


höchsten Kosten für die Menschheit?

Es wird unvermeidlich immer Krankheiten geben, die sich mit diesem Raster nicht
erfassen lassen und bei denen wir es wohl oder übel hinnehmen müssen, dass sie uns
vielleicht für immer begleiten.
Zusammenfassung
■ Die Epidemiologie trägt zum Verständnis von Infektionen bzw. Krankheiten
bei, die in der Bevölkerung bzw. in bestimmten Gruppen auftreten, und sie kann die
Behandlung und Bekämpfung dieser Infektionen/Krankheiten unterstützen.

■ Parasiten reproduzieren sich mit einer typischen Grundrate (R0), von der ihre
Ausbreitung in voll anfälligen Populationen abhängt. Aus unterschiedlichen
Einschränkungen von R0 ergibt sich die tatsächliche (effektive) Reproduktionsrate
(R).

■ Wenn die Größen von R0 und R bekannt sind, lassen sich Vorhersagen über die
Ausbreitung von Epidemien, wirksame Gegenmaßnahmen und den Nutzen von
Impfprogrammen treffen.

■ Auf Infektionen durch Mikroorganismen (z.B. Viren) oder größere Parasiten


(z.B. Würmer) sowie auf sexuell übertragbare Krankheiten müssen unterschiedliche
epidemiologische Ansätze angewandt werden.

983
■ Nachweis und Diagnose sind wesentliche Voraussetzungen, um
Infektionskrankheiten erkennen und behandeln bzw. bekämpfen zu können.

■ Arzneimittel, Impfungen und umweltmedizinische Maßnahmen haben alle


ihren Platz in der Bekämpfung von Infektionskrankheiten. Wodurch eine
Infektionskrankheit am besten kontrolliert werden kann, hängt von den Faktoren ab,
die in Kap. 33 bis 36 beschrieben sind.

FRAGEN
1 Welche Vor- und Nachteile hat eine Arzneimittel-/Chemotherapie gegenüber
einer Impfung?
2 Bezeichnet man eine Infektion, die plötzlich auftritt und sich dann weltweit
ausbreitet, als
a) Epidemie
b) Endemie
c) Hyperendemie
d) Pandemie
e) Hypoendemie?
3 Steht der Begriff Basisreproduktionsrate (R0) für:
a) die maximale Reproduktionsrate eines Erregers
b) die in Wirklichkeit und realen Wirten erreichbare Reproduktion
c) die Anzahl der Folgegenerationen, die ein Erreger produziert, bevor
sich die Krankheit klinisch manifestiert
d) die für das Auftreten von Symptomen erforderliche Reproduktionsrate
e) die Reproduktionsrate eines Erregers nach Impfung?

984
4 Ein wichtiger Faktor für epidemiologische Unterschiede zwischen Masern und
HIV-Infektion ist, dass:
a) es gegen HIV keine Impfung gibt
b) sich Erwachsene nie mit Masern infizieren
c) Masern durch Tröpfcheninfektion übertragen werden
d) beide Infektionen durch unterschiedliche Viren verursacht werden
e) HIV Lymphozyten infiziert?
5 Welche Kinderkrankheit hat das kürzeste Zeitintervall zwischen Epidemien:
a) Röteln
b) Masern
c) Mumps
d) Keuchhusten (Pertussis)
e) Poliomyelitis?
6 Womit wird Louis Pasteur in Verbindung gebracht:
a) Anthrax-/Milzbrandimpfung
b) Biergärung
c) Seidenraupenkrankheit
d) Tollwut-/Rabiesimpfung
e) mit allen vier?
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

Anderson, R.M., May, R.M.: Infectious Diseases of Humans: Dynamics and Control.
Blackwell Scientific, Oxford 1992.

Giesecke, J.: Modern Infectious Disease Epidemiology. Edward Arnold, London


1994.

Gordis, L.: Epidemiology. W.B. Saunders, Philadelphia 1996.

Scott, M.E., Smith, G.: Parasitic and Infectious Diseases: Epidemiology and Ecology.
Academic Press, New York 1994.

985
32 Diagnose von Infektionen und Beurteilungder
Abwehrlage
32.1 Klinische Mikrobiologie – Laboruntersuchungen 485

32.2 Richtige Aufbereitung der Proben 486

32.3 Labordiagnose von Infektionen – ohne kulturelle Verfahren 487

32.3.1 Mikroskopie 487

32.3.2 Antigennachweis in Proben 491

32.3.3 Nachweis von Mikroorganismen durch Gensonden 492

32.4 Anzüchtung von Mikroorganismen (Kulturen) 494

32.5 Erregeridentifizierung in Kulturen 496

32.6 Antikörpernachweis zur Diagnose von Infektionen 499

32.6.1 Übliche serologische Labortests zur Diagnose von Infektionen 500

32.7 Beurteilung der Abwehr (Immunlage) 502

32.7.1 Lymphozyten 503

32.8 Aufbereitung von Proben 504


Zur Orientierung
Für verlässliche mikrobiologische Diagnosen müssen Proben von guter Qualität sein

Seitdem es bei Infektionen therapeutische Eingriffsmöglichkeiten gibt, ist es zunehmend


wichtiger geworden, die ursächlichen Erreger genau zu bestimmen. Ob das gelingt, hängt
von einer guten Zusammenarbeit zwischen Klinikern und Mikrobiologen ab. Dabei sollte
der Kliniker wissen, wie komplex und zeitaufwendig die erforderlichen Untersuchungen
sind, während der Mikrobiologe sich mit Krankheitsbildern auskennen und dem Kliniker
bei der Interpretation der Untersuchungsergebnisse helfen sollte. Die Wahl geeigneter
Proben ist ein entscheidender Schritt zur Diagnose von Infektionen und muss letztlich
aufgrund des pathogenetischen Verständnisses getroffen werden.

Die Mikrobiologie unterscheidet sich von anderen klinischen Labordisziplinen insofern,


als sie einen Mehraufwand an Interpretationen erfordert. Wenn Probenmaterial
eingereicht wurde, liegt es am Mikrobiologen zu entscheiden, wie es richtig aufbereitet
werden sollte, und sobald das Ergebnis vorliegt, muss er es zur entnommenen Probe und
zum Zustand des Patienten in Beziehung setzen, um es richtig interpretieren zu können.

32.1 Klinische Mikrobiologie – Laboruntersuchungen


Mikrobiologische Laboruntersuchungen werden mit dem Ziel durchgeführt, um

986
■ genaue Informationen zu erhalten, ob in Probenmaterial Mikroorganismen enthalten
sind, die am Krankheitsprozess eines Patienten beteiligt sein könnten;

■ nähere Angaben zur Antibiotikaempfindlichkeit (nach Keimisolierung) machen zu


können.

Zur Identifizierung dienen Erregernachweis, ihre


Produkte oder eine Immunreaktion des Patienten
Laboruntersuchungen werden durchgeführt, um

■ im Probenmaterial eines Patienten Mikroorganismen bzw. deren Produkte zu


entdecken,

■ eine Immunreaktion auf die Infektion (d.h. Antikörperbildung) nachzuweisen.

Labortests fallen unter drei Hauptkategorien:

■ Erregeridentifizierung durch Isolierung und Kultur: Mikroorganismen


lassen sich auf künstlichen Nährmedien oder – wie im Fall von Viren – in Zellkulturen
anzüchten. Unter bestimmten Umständen kann eine Mengenangabe wichtig sein (über
105 Bakterien/ml Urin sind z.B. Ausdruck einer Infektion, niedrigere Werte u.U. nicht;
s. Kap. 20). Sobald Erreger in Kulturen isoliert wurden, kann ihre
Antibiotikaempfindlichkeit bestimmt werden.

■ Identifizierung mikrobieller Produkte: Schneller zu Ergebnissen führen


können andere Nachweismethoden als Kulturen (Anzüchtung zur Keimvermehrung),
die unter anderem Zellstrukturen (z.B. Zellwandantigene) und extrazelluläre Produkte
(z.B. Toxine) der Erreger nachweisen.

Alternativ lassen sich mit DNA-Sonden spezifische Gensequenzen in klinischen


Proben entdecken. Seitdem die Möglichkeit der DNA-Amplifikation durch
Polymerasekettenreaktion (polymerase chain reaction, PCR; s. unten) besteht, finden
solche Methoden immer breitere Anwendung. Auch wenn sie auf alle
Mikroorganismen anwendbar sind, lässt sich die Antibiotikaempfindlichkeit nicht
testen, ohne eine Kultur anzulegen (obwohl mit spezifischen DNA-Sonden einzelne
Resistenzgene nachweisbar sind).

■ Nachweis spezifischer Antikörper: Das ist besonders wichtig bei Erregern,


die sich nicht auf Labormedien anzüchten lassen (z.B. Treponema pallidum, viele
Viren), oder wenn das Anlegen von Kulturen zu gefährlich für das Laborpersonal wäre
(z.B. bei dem Tularämie-Erreger Francisella tularensis oder dem Pilz Coccidioides
immitis). Anhand von IgM- und/oder IgG-Antikörpern in Einzelserumproben aus der
akuten Krankheitsphase können Röteln (rötelnspezifische IgM), Hepatitis A (HAV-
IgM), Hepatitis B (surface antigen, HBsAg) oder seltenere Krankheiten wie das
Lassafieber diagnostizierbar sein.

Doch die klassische Diagnosemethode ist ein (vierfacher oder noch höherer)
Antikörper-Titeranstieg in gepaarten Serumproben, die in der Akutphase der
Infektion (5–7 Tage nach Auftreten der Symptome) und in der Rekonvaleszenzphase
(nach 3–4 Wochen) gewonnen werden. Solche Tests sind aber nur bedingt hilfreich,
da sie erst eine verzögerte oder retrospektive Diagnose ermöglichen.

987
32.2 Richtige Aufbereitung der Proben

Der richtige Umgang mit Probenmaterial und die


Befundinterpretation setzen Kenntnisse über
Normalflora und Kontaminationen voraus
Je nach Entnahmestelle lassen sich Proben zur Kultivierung von Mikroorganismen
unterteilen in:

■ Proben von normalerweise sterilen Stellen und

■ Proben von Stellen mit kommensaler Flora (Tab. 32.1; s. auch Kap. 8).

Damit Proben(material) richtig behandelt und die Ergebnisse richtig interpretiert werden
können, ist eine gründliche Kenntnis der Keime wichtig, die sich normalerweise aus
Proben von unsterilen Stellen isolieren lassen bzw. die Proben von sterilen Stellen
kontaminieren können. Dass Proben von eigentlich sterilen Stellen (z.B. Blasenurin,
Sekret aus dem unteren Respirationstrakt) manchmal erst nach der Passage von
Öffnungen mit Normalflora aufgefangen werden und daher kontaminiert sein können,
muss bei der Befundinterpretation dieser Kulturen berücksichtigt werden.

Im Idealfall würden auf dem Lieferschein zu jeder Probe, die ins Labor kommt,
ausreichende Informationen über den Patienten stehen, so dass sich der Mikrobiologe
vorab ein Bild über die verdächtigen Keime machen und sein Vorgehen individuell
zugeschnitten planen könnte. Doch in der Praxis lässt sich dieser Ansatz wegen äußerer
Zwänge (Kosten, Zeitaufwand) kaum verwirklichen. Daher werden Proben (je nach Art,
z.B. Urin, Blut, Stuhl) unterschiedlich aufbereitet, wobei der Mikrobiologe sein
Augenmerk auf bekanntermaßen mit dieser Probenart verbundene, leicht anzüchtbare
Keime richtet.

Tab. 32.1 Die Entnahmestellen von Proben sind wichtig für die
Ergebnisinterpretation.

988
Nur wenn entsprechende Hinweise (wie vermutete Ätiologie) mitgegeben werden, wird
das Labor gezielt nach anspruchsvolleren oder selteneren Keimen suchen und – sofern
von Belang – deren Antibiotikaempfindlichkeit testen. Das weitere Vorgehen bei der
Aufbereitung von Probenmaterial ist unten skizziert und im Anhang ausführlicher
beschrieben.

Um eine Infektion anhand der Untersuchungsergebnisse identifizieren zu können, ist es


wichtig, geeignetes Material zu gewinnen, es richtig zu transportieren und möglichst
rasch ins Labor einzusenden. Von diesen Bedingungen hängt die Genauigkeit des
Laborbefunds (und damit sein Wert/Nutzen für den Kliniker bzw. letztlich den
Patienten) ab. Woran man bei der Probengewinnung unbedingt denken sollte, ist in Tab.
32.2 zusammengefasst.

Bei Kulturen dauert es mindestens 18 Stunden, bis ein


Ergebnis vorliegt
Weil die herkömmlichen mikrobiologischen Methoden auf der Anzüchtung und
Identifizierung des Erregers beruhen, spielt hierbei die Zeit eine Schlüsselrolle. Denn
Kulturen liefern frühestens nach 18 Stunden Ergebnisse, und bei einigen Pathogenen
kann es noch viel länger dauern (z.B. mehrere Wochen bei den sehr langsam
wachsenden Mykobakterien). Daher können die Aufbereitungsmethoden für Proben
nach Zeitaufwand und Verfahren (mit/ohne Kultur zur Erregeranzüchtung) unterteilt
werden.

Infektionen lassen sich aber auch immunologisch diagnostizieren, wenn Antikörper


gegen ein verdächtigtes Antigen im Patientenblut nachweisbar sind. In Abb. 32.1 sind
die diagnostischen Schritte dargestellt, wobei Schnelltests (PCR, DNA-Sonden,
Mikroarrays usw.) großen Einfluss auf den Ablauf haben.
Abb. 32.1 Vom Patienten zur mikrobiologischen
Diagnose – Überblick über entscheidende Schritte der
Probenaufbereitung.

989
Einige Tests können direkt am Probenmaterial durchgeführt werden und liefern noch
am selben Tag Ergebnisse. Bis sich in Kulturen Kolonien bilden und eine
Keimidentifizierung ermöglichen, dauert es aber mindestens 18 Stunden. Eine
weitere Inkubation ist zur (Antibiotika-)Empfindlichkeitstestung nötig. Eine andere
Möglichkeit bietet der Nachweis spezifischer Antikörper im Serum. CSF = Liquor
cerebrospinalis

990
32.3 Labordiagnose von Infektionen – ohne kulturelle
Verfahren

Bei nichtkulturellen Nachweismethoden ist eine


Keimvermehrung nicht notwendig
Lange Zeit war medizinische Mikrobiologie gleichbedeutend mit dem Anlegen von
Kulturen aus Proben der Patienten. Doch diese Keimanzüchtung ist arbeitsintensiv und
langwierig, denn es dauert eher Tage als Stunden, bis die Ergebnisse vorliegen. Die
Keimvermehrung ist ein notwendiger Schritt, beschränkt aber auch die Schnelligkeit des
Verfahrens. Hinzu kommt, dass sich manche Mikroorganismen nicht auf künstlichen
Medien anzüchten lassen oder dass es bei antimikrobiell vorbehandelten Patienten
schwierig sein kann, noch lebende Keime aus den Proben zu gewinnen.

Mit anderen (Nichtkultur-)Methoden sind Erreger nicht erst nach ihrer Vermehrung
nachweisbar. Einige liefern rasche Ergebnisse (z.B. Mikroskopie und Antigennachweis
in Proben innerhalb von 2 Stunden). Innerhalb von Stunden – und damit schneller als
bei Kulturen – führt auch der Einsatz von DNA-Sonden oder die DNA-Amplifikation
mithilfe der Polymerasekettenreaktion (PCR) zum Ergebnis.

Tab. 32.2 Wichtige Schritte zur Entnahme von Proben.

32.3.1 Mikroskopie

991
Die mikroskopische Untersuchung von Proben ist ein
erster wichtiger Schritt
In der Mikrobiologie spielt das Mikroskop eine wesentliche Rolle. Obwohl sie
beträchtliche Unterschiede in ihrer jeweiligen Größe zeigen (s. Kap. 1), sind
Mikroorganismen im Einzelnen viel zu klein, um mit bloßem Auge erkannt zu
werden. Daher zählt das Mikroskop zur Grundausstattung eines Mikrobiologen. In
Abb. 32.2 sind unterschiedliche Formen der Mikroskopie zusammengefasst. Durch
Vergrößerung der Objekte verbessert sich das Auflösungsvermögen des bloßen Auges
mit dem Lichtmikroskop von etwa 100000 nm (0,1 mm) auf 200 nm und mit dem
Elektronenmikroskop sogar auf 0,1–1,0 nm.

Lichtmikroskopie

Probenmaterial und Kulturen können als feuchte


(Nativ-) oder gefärbte Präparate mit der
Hellfeldmikroskopie untersucht werden
Feuchte bzw. Nativpräparate dienen zum Nachweis von:

■ Blutzellen und Keimen in flüssigen Proben (Urin, Stuhl, Liquor)

■ Zysten, Eiern oder Parasiten in Stuhlproben

■ Hautpilzen

■ Protozoen in Blut und Gewebe

Bei lebenden Mikroorganismen kann die Beweglichkeit beurteilt werden.

Um solche Zellen leichter sichtbar zu machen, werden Farbstoffe verwendet. Vor


dem Anfärben wird das Material gewöhnlich getrocknet und (mit Wärme oder
Alkohol) auf dem Objektträger fixiert. Anfärben lassen sich sowohl Proben als auch
Reinkulturen. Durch eine Ölimmersionslinse verbessert sich das
Auflösungsvermögen, wenn man Objektträger unter dem Lichtmikroskop betrachtet.

992
Abb. 32.2 Anwendungsmöglichkeiten für die
Mikroskopie in der Mikrobiologie.

Gezeigt sind unterschiedliche Formen der Licht- und Elektronenmikroskopie


(EM) zur Untersuchung von Proben auf Mikroorganismen.

In der Bakteriologie ist die Gram-Färbung das


wichtigste Unterscheidungsmittel
Differenzialfärbetechniken machen es sich zunutze, dass sich Zellen mit
unterschiedlichen Eigenschaften verschieden anfärben und daher leichter
differenziert werden können. Aufgrund des Ansprechens auf die Gram-Färbung
(Abb. 32.3) werden Bakterien in zwei Gruppen unterteilt:

■ Gram-positive (dunkelviolette bis blaue Färbung) und

■ Gram-negative (rosa Färbung).


Abb. 32.3 Die Gram-Färbung ist die wichtigste
Färbemethode für Bakterien.

993
Der violette Farbstoff (Kristall-/Gentianaviolett kombiniert mit Jod als Fixierer)
bindet an die Zellwand. Gram-positive Bakterienzellen behalten die Färbung und
bleiben auch nach der Spülung mit Aceton violett. Dagegen verlieren Gram-
negative Bakterienzellen ihre violette Färbung und erscheinen farblos, bis sie
nach Gegenfärbung mit Neutralrot oder Safranin rosa aussehen. Nach der Gram-
Färbung von Ausstrichpräparaten lassen sich auch verschiedene
Bakterienformen erkennen. Hier gezeigte Beispiele sind: a) Gram-positive
Kettenkokken (Streptokokken), b) Gram-positive Stäbchen (Listerien), c) Gram-
negative Stäbchen (Escherichia coli), d) Gram-negative Kokken (Neisserien).

Dieser Unterschied hängt mit der Zellwandstruktur beider Gruppen zusammen (s.
Kap. 2).

Säurefeste Färbungen zum Nachweis von


Mykobakterien
Manche Mikroorganismen (besonders Mykobakterien) nehmen wegen ihrer
wächsernen Zellwand die Gram-Färbung nicht gut an und müssen daher mit
Spezialfärbetechniken nachgewiesen werden. Solche Keime behalten trotz
Behandlung mit „Entfärbern“ wie Säure oder Alkohol ihre Färbung bei. Ein
klassisches Beispiel ist die Ziehl-Neelsen-Färbung (Abb. 19.17), bei der unter
Hitzeeinwirkung Fuchsin als Farbstoff in die Bakterienzellen eingebracht wird.

994
Fuchsin-gefärbte Mykobakterien widerstehen einer Behandlung mit Säure oder
Alkohol – während sich andere Bakterien entfärben würden – und werden daher als
„säurefest“ (bzw. „alkoholfest“) bezeichnet. Statt Fuchsin benutzen viele
Laboratorien Auramin, einen Fluoreszenzfarbstoff mit starker Affinität zur
wächsernen Zellwand von Mykobakterien, um die Keime dann
fluoreszenzmikroskopisch nachzuweisen (Abb. 32.4).
Abb. 32.4 Fluoreszenzmikroskopische Betrachtung
von Mykobakterien.

Nach Fluoreszenzfärbung (Fluorochromierung) von Mycobacterium tuberculosis


mit einer Mischung aus Auramin O und Rhodamin B fluoreszieren die
Mykobakterien bei der Betrachtung im Ultraviolettlicht (mit freundlicher
Genehmigung von D.K. Banerjee).

Andere Färbemethoden können besondere


Zellmerkmale verdeutlichen
Merkmale, die bei der Identifizierung helfen können, sind z.B. die metachromen
Volutin-(Polyphosphat-) Speichergranula in Corynebakterien oder Lipide von
Bacillus-Spezies (Abb. 32.5). Das Vorgehen bei diesen Färbetechniken ist im
Anhang dargestellt.
Abb. 32.5 Mit Spezialfärbetechniken lassen sich
besondere Zellmerkmale von Bakterien darstellen.

995
a) Nach der Anfärbung (Albert-Färbung) von Corynebakterien erscheinen die
Polymetaphosphat-(Volutin-)Speichergranula als dunkle Flecken in den
blaugrünen Zellen. b) Nach der Anfärbung mit Sudanschwarz sind die
Lipidspeichergranula von Bacillus cereus als schwarze Punkte in den roten
Zellen sichtbar.

Die Dunkelfeldmikroskopie eignet sich zur


Beurteilung der Motilität oder zur Betrachtung
besonders dünner (Spirochäten-)Zellen
Durch Modifikation der Sammel-/Kondensatorlinse kann ein Lichtmikroskop so
eingestellt werden, dass das Objekt hell leuchtend vor schwarzem Hintergrund
erscheint. Mit der Dunkelfeldmikroskopie kann die Motilität lebender Organismen
untersucht werden. Sie wird aber auch angewandt, um besonders dünne Zellen (wie
Spirochäten) besser sichtbar zu machen. Da sie durch Lichtreflexion an der
Zelloberfläche größer wirken, sind sie leichter erkennbar als unter dem
Hellfeldmikroskop (Abb. 32.6).

Phasenkontrastmikroskopie zur Verstärkung des


Bildkontrasts
Mit dieser Technik lassen sich die minimalen Unterschiede zwischen
Brechungsindex und Dichte lebender Bakterien und der Flüssigkeit, in der sie sich
befinden, verstärken. Daher liefert sie ein kontrastreicheres Bild als die
Hellfeldmikroskopie.

Die Fluoreszenzmikroskopie dient zur Betrachtung


natürlich fluoreszierender oder fluorochromierter
Substanzen

996
Wenn Licht einer bestimmten Wellenlänge auf ein fluoreszierendes Objekt fällt,
wird es mit anderer Wellenlänge reflektiert. Biologische Substanzen können von
Natur aus fluoreszieren oder mit Fluoreszenzfarbstoffen gefärbt (fluorochromiert)
unter UV-Licht statt normalem Licht mit dem Mikroskop betrachtet werden (Abb.
32.4).

Die Fluoreszenzmikroskopie findet in Mikrobiologie und Immunologie breite


Anwendung. Entwickelt wurde sie zum Nachweis mikrobieller Antigene in Proben
und Geweben, die zuvor mit spezifischen fluoreszenzmarkierten Antikörpern
markiert werden (Immunfluoreszenz). Um die Empfindlichkeit der Methode zu
erhöhen oder Antikörper nachzuweisen, kann sie mit einer weiteren
Antikörpermarkierung als indirekter Immunfluoreszenztest durchgeführt werden
(Abb. 32.7).

Elektronenmikroskopie

Für die Elektronenmikroskopie sind Dünnschnitte


erforderlich
In Elektronenmikroskopen werden Elektronenstrahlen statt Licht verwendet und der
Strahl mit Magneten statt Sammellinsen wie im Lichtmikroskop fokussiert. Das
ganze System arbeitet unter hoher Abdichtung (Vakuumverschluss). Da
Elektronenstrahlen nur eine geringe Eindringtiefe haben, sind einzelne (Bakterien-
)Zellen zu dick für eine direkte Betrachtung. Deshalb müssen Proben vor der
Untersuchung erst fixiert, in Kunststoff eingebettet und in dünne Scheiben
geschnitten werden.

997
Abb. 32.6 Spirochäten unter dem
Dunkelfeldmikroskop.

Spirochäten und Leptospiren sind viel dünner als die meisten anderen Bakterien
(Durchmesser ca. 0,1 μm, verglichen z.B. mit 1 μm bei Escherichia coli),
erscheinen aber hell leuchtend vor dunklem Hintergrund größer.
Abb. 32.7 Fluoreszenztest zur Identifizierung von
mikrobiellen (oder Gewebs-)Antigenen bzw.
Antikörpern.

Im direkten Immunfluoreszenztest werden fluoreszenzmarkierte Antikörper


auf antigentragende Gewebeschnitte angewandt; nach dem Wegwaschen

998
ungebundener Antikörper zeigt sich fluoreszenzmikroskopisch, ob und wo
Antigen-Antikörper-Komplexe übrig geblieben sind. Im indirekten
Immunfluoreszenztest erfolgt der Antigennachweis durch Behandlung mit
einem unmarkierten Antikörper und anschließender Fluoreszenzmarkierung
durch ein Antiimmunglobulin (Anti-Ig) zur Signalverstärkung. War der erste
Antikörper ein humaner Antikörper, wird der markierte Antikörper ein Anti-
Human-Ig sein.

Zur Kontrastverstärkung werden sie mit elektronendichten Farbstoffen wie


Osmiumtetroxid, Uranylacetat oder Glutaraldehyd behandelt. Von den für
Elektronen durchlässigen Dünnschnitten wird ein Bild auf einem fluoreszierenden
Bildschirm erzeugt, das abfotografiert wird und eine tausendfache Vergrößerung
der ursprünglichen Probe wiedergeben kann (Abb. 32.8).

Elektronenmikroskopie kann zur Identifizierung von


Viruspartikeln genutzt werden
Durch Direktuntersuchung unter dem Elektronenmikroskop lassen sich in Proben
rasch Viruspartikel erkennen oder auch Viren entdecken, die nur schwer oder gar
nicht anzüchtbar sind (z.B. Rotaviren). Flüssigkeitsproben werden erst auf einem
Kupfergitter getrocknet und dann auf Viruspartikel untersucht. Um nachweisbar zu
sein, müssen aber mindestens 1 Million pro ml enthalten sein. Durch
Vorbehandlung der Flüssigkeit (Antivirus-Antikörper-Reaktion zur „Verklumpung“
von Viruspartikeln) lässt sich die Testsensitivität verbessern. Analog zur
lichtmikroskopischen Immunfluoreszenz bezeichnet man dies als
Immunelektronenmikroskopie.
Abb. 32.8 Elektronenmikroskopisches Bild des HPV
bzw. „Warzenvirus“.

32.3.2 Antigennachweis in Proben


Eine schnellere Nachweismethode als der Versuch, Mikroorganismen anzuzüchten und
dann zu identifizieren, ist der Nachweis spezifischer Antigene. Dazu werden folgende
Methoden (Tab. 32.3) angewandt:

999
■ Nachweis über spezifische Antigen-Antikörper-Interaktionen,

■ Nachweis mikrobieller Toxine.

Der Nachweis mikrobieller Gene mit DNA-Sonden wird weiter unten besprochen.

1000
Tab. 32.3 Nachweismethoden für Bakterienprodukte.

1001
Latexagglutination: sichtbare Verklumpung durch die
Reaktion spezifischer Antikörper-beschichteter
Latexpartikel mit Bakterien oder deren Produkten
Als häufige Auslöser einer bakteriellen Meningitis können z.B. Streptococcus
pneumoniae, Haemophilus influenzae und Neisseriae meningitidis (Typ A und C) im
Liquor nachgewiesen werden, wenn man Liquorproben mit Latexpartikeln mischt, die
mit spezifischen Antikörpern beschichtet sind. Falls die Latexpartikel Klumpen
bilden, ist ein Bakterienantigen (oder -produkt) in der Probe vorhanden (Abb. 32.9).

Latextests liefern zwar innerhalb von Minuten nach Einreichen der Proben das
Ergebnis, doch ihre Sensitivität ist nur unwesentlich höher als die der Gram-Färbung
und aufgrund von Kreuzreaktionen können auch falsch-positive Ergebnisse
vorkommen. Trotzdem können sie diagnostisch nützlich sein, wenn Patienten bereits
mit Antibiotika vorbehandelt wurden, ein Erreger im Liquor morphologisch nicht
eindeutig erkennbar oder nicht anzüchtbar ist.
Abb. 32.9 Latextest.

Wird eine bakterienhaltige (z.B. Haemophilus influenzae) Liquorprobe mit einer


Lösung von Latexpartikeln gemischt, die (z.B. Haemophilus-influenzae-Kapsel-
)Antikörper tragen, führt die Antigen-Antikörper-Reaktion unverzüglich zu einer
auch mit bloßem Auge erkennbaren Agglutination der Latexpartikel.

Die Antigenkonzentration kann mit Immunoassays


bestimmt werden
Antigene lassen sich auch anhand ihrer Bindung an eine Standardmenge von
Antikörpern bestimmen; dabei entspricht die Antigenkonzentration dem Anteil der
besetzten an den insgesamt verfügbaren Antigenbindungsstellen (Abb. 32.10). Der
Einfachheit halber wird meist eine Adsorption von Antikörpern an ein Festphasen-
(solid-phase-)Antigen durchgeführt und dann mithilfe eines zweiten Antikörpers die
gebundene Menge bestimmt. Der zweite Antikörper kann enzym- (Abb. 32.11) oder
fluoreszenzmarkiert sein.

1002
■ Bei Verwendung enzymmarkierter Antikörper wird der Test als „enzyme-
linked immunosorbent assay“ (ELISA) bezeichnet.

■ Durch Chemilumineszenz oder zeitlich verzögerte Fluoreszenzmarkierung


haben diese Tests eine sehr hohe Sensitivität.

Früher wurden Antikörper für Immunoassays eher mit Radioisotopen als mit Enzymen
oder Fluoreszenz markiert.

Mit monoklonalen Antikörpern lassen sich


Antigenunterschiede zwischen Spezies bzw. den
Stämmen einer Spezies feststellen
Monoklonale Antikörper (Abb. 32.12) dienen häufig als diagnostisches Instrument.
Bei einem direkten ELISA (s. oben) werden z.B. enzymkonjugierte monoklonale
Antikörper verwendet, um im Probenmaterial von Patienten Antigene nachzuweisen.
Durch direkten ELISA mit monoklonalen Antikörpern sind Rotaviren, HIV, Hepatitis-
B- (HBV), Herpes- und Respiratory-syncytial-Viren (RSV) nachweisbar. Durch einen
direkten Fluoreszenztest mit Fluorescein-markierten monoklonalen Antikörpern
kann eine Chlamydia-trachomatis-Infektion innerhalb von Stunden diagnostiziert
werden (s. Kap. 21).

32.3.3 Nachweis von Mikroorganismen durch


Gensonden

Durch Nukleinsäuresonden können Gene für


Virulenzfaktoren entdeckt werden
Als Gensonde bezeichnet man ein einzelsträngiges und markiertes
Nukleinsäuremolekül, das zur Entdeckung und Hybridisierung mit einer
komplementären DNA-Sequenz eingesetzt wird. Um Polynukleotidsonden zu erhalten,
können sie – nach dem Klonen natürlich vorkommender DNA-Fragmente in
geeigneten Plasmidvektoren – aus der geklonten DNA isoliert werden. Ist die
betreffende Gensequenz bekannt, lassen sich allerdings auch Oligonukleotidsonden
synthetisieren oder mit der PCR (s. unten) herstellen.

Gensonden werden mit Radioisotopen oder mit Indikatoren markiert, die unter
bestimmten Bedingungen eine Farbreaktion zeigen (z.B. Biotin-Streptavidin). Zum
Nachweis spezifischer Nukleinsäure-Zielsequenzen wurden unterschiedliche DNA-
und RNA-Sonden entwickelt und angewandt (Abb. 32.13).

Im Handel sind derzeit Sonden zum Schnellnachweis (innerhalb von 2–4 Stunden)
einer Vielzahl pathogener Mikroorganismen (in klinischen Proben oder Kulturen)
erhältlich, z.B. für Chlamydien, Streptokokken der Gruppe A, Neisseria gonorrhoeae,
Mykobakterien, Pilze und humane Papillomaviren.

Nukleinsäuresonden sind bei geringen


Erregermengen nur von begrenztem Nutzen

1003
Obwohl sie eine wichtige Ergänzung des diagnostischen Arsenals darstellen, sind
Gensonden unter Umständen nicht sensitiv genug, z.B. wenn nur eine kleine Anzahl
von Mikroorganismen vorhanden ist (d.h. nur wenige Genkopien zur Verfügung
stehen). Unter solchen Bedingungen kann sich die Genamplifikation mit
Polymerasekettenreaktion (PCR, s. unten) und anschließender Hybridisierung mit
Oligonukleotidsonden als mögliche Lösung anbieten. Hinzu kommt, dass sich
mikrobielle Antigene auch direkt mit der PCR nachweisen lassen, was besonders bei
langsam wachsenden oder nur schwer im Labor anzüchtbaren Mikroorganismen sehr
hilfreich sein kann.
Abb. 32.10 Das Prinzip der Ligandenbindung in
Immunoassays.

Eine ligandenbindende Substanz kann in löslicher Form oder (wie hier) in fester
Bindung an ein Hilfsmittel vorliegen. Letzteres hat den Vorteil, dass sich
gebundenes mühelos von freiem Substrat (Analysat) trennen lässt. Um nach einer
Exposition den Anteil der besetzten Ligandenbindungsstellen zu bestimmen,
werden kompetitive oder nicht-kompetitive Immunoassays mit (hier in Orange)
markierten Reagenzien verwendet.

1004
Abb. 32.11 Festphasen-Enzymimmunoassay
(ELISA).

a) Wird das Testantigen mit dem (Festphasen-)Antikörper 1 zusammengebracht,


kann mit einem zweiten enzymmarkierten Antikörper die Besetzung der
Bindungsstellen (vgl. Abb. 32.10) bestimmt und kolorimetrisch oder anhand der
Lumineszenz abgelesen werden, wie viel Enzym (z.B. Peroxidase oder alkalische
Phosphatase) durch Antigen-Antikörper-Reaktionen gebunden wurde. In einigen
Fällen verwendet man eine Standardmenge markierten Antigens, um unbesetzte
Stellen zu entdecken (das gilt besonders für sehr kleine Antigene). b) Um
Antikörper nachzuweisen, verwendet man (Festphasen-)Antigen und gibt dann
enzymmarkiertes Antiimmunglobulin hinzu (vgl. den indirekten
Immunfluoreszenztest in Abb. 32.7, bei dem ein fluoreszierendes
Antiimmmunglobulin zum Nachweis gebundener Antikörper benutzt wird). Für
diese Immunoassays ist statt der Enzym- auch eine Fluoreszenzmarkierung
möglich.

Mit der PCR können bestimmte DNA-Sequenzen


amplifiziert, d.h. innerhalb weniger Stunden
millionenfach kopiert bzw. vervielfältigt werden
Auch wenn man mit der PCR theoretisch einzelne Gensequenzen entdecken könnte
(Abb. 32.14), wird diese Sensitivität bei klinischen Proben selten erreicht. Mit den
Standard-PCR-Techniken lassen sich jedoch schon sehrkleine Bakterienzahlen (je
nach Größe einer Probe z.B. knapp unter 10) nachweisen, und mit verfeinerten
Techniken sind einzelne Virussequenzen identifizierbar. Ein weiterer Vorteil ist die
Schnelligkeit (innerhalb weniger Stunden), mit der das zu schaffen ist.

1005
Abb. 32.12 Herstellung monoklonaler Antikörper.

Nach Immunisierung mit einem Antigen, das z.B. die beiden Epitope X und Y
trägt, entwickeln sich in Mäusen Milzzellen, die Anti-X- und Anti-Y-
Serumantikörper produzieren. Die Milz wird dann entfernt, um die einzelnen B-
Zellen in Polyethylenglykol mit immortalisierten (d.h. sich ständig teilenden) B-
Tumorzellen zu verschmelzen, die im Hinblick auf ihren Purinmangel ausgesucht
wurden, aber oft auch kein Immunglobulin zur Bildung von Hybridomzellen
sezernieren können. Die fusionierten Zellen werden auf Platten mit kleinen
Vertiefungen in ein HAT-Medium (Hypoxanthin, Aminopterin, Thymidin)
eingebettet, und zwar in so starker Verdünnung, dass jede Mulde im Schnitt

1006
weniger als eine Hybridomzelle aufnimmt. Als Hybridom bezeichnet man das
Ergebnis der Fusion zwischen einer antikörperbildenden Zelle und einer
Tumorzelle; durch diese beiden Zellen hat jedes Hybridom zum einen die
Fähigkeit, eine einzige Art von Antikörpern zu bilden, und zum anderen
unsterblich zu sein (d.h. ständig weiter zu proliferieren). So werden unendlich
viele Klone einer bestimmten Antikörperspezifität bereitgestellt. Diese
monoklonalen Antikörper lassen sich mit Enzymen oder fluoreszierenden
Molekülen markieren und bei Bindung an spezifische Antigene (z.B.
Viruspartikel) entsprechend darstellen.

Etwas Zeit kostet die Nachuntersuchung mit Agarose-Gelelektrophorese (zur


Bestätigung des PCR-Ergebnisses), die man allerdings einsparen kann, seitdem mit
den neu entwickelten Real-Time-PCR-Methoden bereits das im Entstehen begriffene
Produkt nachweisbar ist. Das ermöglichen spezifische PCR-Primer, die fluoreszieren,
sobald sie in die bei der PCR erzeugten Amplikons eingebaut werden. Auch RNA
(z.B. von Retroviren) kann mit der PCR amplifiziert werden, nachdem sie mithilfe der
reversen Transkriptase in DNA überführt wurde (sog. RT-PCR).

Durch sorgfältige Wahl der Primer lässt sich die


Spezifität der PCR bestimmen
Da Primer (Oligonukleotide) sich komplementär zur Ziel-DNA verhalten, muss diese
Zielsequenz bekannt sein, um passende (komplementäre) Primer zu synthetisieren.
Derzeit stehen PCR-Methoden zum Nachweis diverser Erreger zur Verfügung (Abb.
32.15), darunter Bakterien (C. trachomatis, N. gonorrhoeae, M. tuberculosis) und
Viren (Zytomegalie-, Hepatitis-C-, Herpes-simplex-Virus und HIV). Der Nachweis
kann sowohl qualitativ als auch quantitativ erfolgen (z.B. HIV-1-RNA-Last).

32.4 Anzüchtung von Mikroorganismen (Kulturen)

Bakterien und Pilze sind auf festen Nährböden oder


flüssigen Medien anzüchtbar
Werden Kulturen in flüssigen Medien (z.B. Bouillon) angesetzt, lässt sich unmöglich
sagen, ob mehr als eine Spezies vorhanden ist. Daher sind feste Nährböden besser für
diagnostische Zwecke geeignet. Wenn Bakterien und Pilze auf festen Nährböden (Agar)
wachsen, bilden sich Kolonien aus mehreren tausend Zellen, die alle von einer einzelnen
Zelle abstammen. Dass unterschiedliche Spezies in sehr charakteristischen
Kolonieformen wachsen, ist aufschlussreich für die Keimidentifizierung (Abb. 32.16).

1007
Abb. 32.13 Hybridisierung von Nukleinsäure – die
wichtigsten Methoden.

Denaturierte (d.h. einzelsträngige) DNA kann direkt auf einer festen Unterlage (z.B.
einer Nitrozellulosemembran) immobilisiert und mit einer spezifischen
einzelsträngigen DNA-Sonde hybridisiert werden, deren Sequenz markiert ist, um
sie anschließend wieder zu erkennen („Dot-Blot“-Methode). Alternativ können
verschieden große DNA-Fragmente durch Agarose-Gelelektrophorese aufgetrennt
und denaturiert werden, bevor man sie zur Hybridisierung und zum Nachweis mit
der Sonde auf die Membran überträgt („Southern Blot“-Methode). Wird das ganze
Verfahren mit elektrophoretisch aufgetrennten RNA-Molekülen durchgeführt,
spricht man von „Northern Blot“-Methode.
Abb. 32.14 Polymerasekettenreaktion (PCR).

Zur Expansion von DNA-Fragmenten werden die kurzen Oligonukleotid-Primer mit


Nukleotidsequenzen auf komplementären Strängen an beiden Enden hybridisiert.
Zusammen mit einer hitzestabilen Polymerase bilden sie eine rasch (exponentiell)
ansteigende Zahl von Fragmenten mit der zu amplifizierenden Sequenz; nach
mehreren Zyklen liegen dann Millionen Kopien vor. (Hier wurden die einzelnen

1008
Stränge nummeriert, um sie in darauf folgenden Zyklen wiederfinden zu können.)
Die nach den ersten Zyklen gebildeten (überschriebenen) Kopien sind identisch mit
der Sequenz, die amplifiziert werden sollte.
Abb. 32.15 Nachweis von Herpes-simplex-Virus-
(HSV-) DNA im Liquor eines Patienten mit Enzephalitis.

Hier wurde eine Modifikation der ursprünglichen PCR-Methode angewandt, die


„nested PCR“. Bei der modifizierten PCR werden zur Amplifikation der Ziel-DNA
zuerst zwei Primer angewandt, die etwas weiter entfernte Sequenzen erkennen, und
in einem zweiten Reaktionsschritt dann mit einem weiteren Primer-Paar nach
Sequenzen innerhalb des vom ersten Paar amplifizierten DNA-Stückes gesucht.
Durch diese modifizierte Technik erhöhen sich Spezifität und Sensitivität der PCR.

Verschiedene Species von Bakterien und Pilzen stellen


unterschiedliche Ansprüche an Nährböden

1009
Die überwiegende Mehrheit der medizinisch bedeutsamen Bakterien und Pilze lässt sich
zwar im Labor anzüchten, doch es gibt kein universelles Kulturmedium, das für alle
gleichermaßen geeignet wäre, und noch immer können einige Spezies (z.B.
Mycobacterium leprae und Treponema pallidum) nur in Versuchstieren angezüchtet
werden. Bakterien wie Rickettsien und Chlamydien wachsen zwar nicht auf künstlichen
Medien, aber in Zellkulturen (s. unten).

Viele Kulturmedien sind so beschaffen, dass sie nicht nur das erwünschte
Keimwachstum fördern, sondern auf andere hemmend wirken, d.h. „Selektivmedien“
sind. Im Anhang werden für die Labordiagnostik wichtige Kulturmedien sowie ihr
Einsatz zur Aufbereitung klinischer Proben beschrieben.

In Proben von Körperstellen, die mit kommensaler Normalflora besiedelt sind, kann
eine Keimmischung enthalten sein, aus der gezielt nach einem Pathogen gesucht werden
muss. Deshalb werden die Proben auf Platten sorgsam ausgewählter Nähr- und
Selektivmedien inokuliert, um Einzelkolonien in Reinkultur zu erhalten. Die weitere
Nachbereitung in Frischkulturen dient zur Erregeridentifizierung und Antibiotika-
Empfindlichkeitstestung (s. unten). Mit konventionellen (nichtmolekularen) Methoden
kann die Prozedur 48 Stunden oder noch länger dauern (Abb. 32.1).

Um Parasiten wie Leishmanien, Trypanosomen und Trichomonaden, die meist nur in


geringer Anzahl in Proben (z.B. Blut oder Vaginalsekret) enthalten sind, bei der
mikroskopischen Untersuchung leichter entdecken zu können, werden sie zur
Vermehrung erst in flüssigen Nährmedien angezüchtet. Parasiten bilden auf festen
Nährböden keine Kolonien wie Bakterien oder Pilze.

Viren, Chlamydien und Rickettsien müssen in Zell- oder


Gewebekulturen angezüchtet werden
Das liegt daran, dass sie in frei lebender Form nicht existieren können. In der
Labordiagnostik werden für Zellkulturen meist kontinuierliche Zelllinien verwendet –
d.h. Zellen von Menschen oder Tieren, die in vitro wachsen und bei −80°C so lange
aufbewahrt werden können, bis sie gebraucht werden. Nach dem Einbringen einer Probe
in die Zellkultur wird beobachtet, ob ein sichtbarer zytopathischer Effekt (CPE) das
Vorhandensein von Viren beweist.

Zellkulturtechniken sind hoch spezialisiert und arbeitsintensiv. Da aber manche Viren


keinen zytopathischen Effekt hervorrufen oder es länger als eine Woche dauert, bis er
sich entwickelt (z.B. bei Zytomegalieviren, während CMV-Antigene schon nach 1–2
Tagen in den Zellen entdeckt werden können), sind andere Methoden – z.B.
Antigennachweis (s. oben), Antikörpernachweis ( unten) und PCR-Techniken –
diagnostisch wichtiger.

32.5 Erregeridentifizierung in Kulturen

Bakterien sind anhand einfacher Merkmale und


biochemischer Eigenschaften gut zu erkennen

1010
Viele Bakterien, die medizinisch eine Rolle spielen, werden traditionell anhand
bestimmter Zelleigenschaften (Abb. 32.17) vorläufig beurteilt, z.B. durch

■ Ansprechen auf die Gram-Färbung

■ Morphologie (z.B. Stäbchen, Kokken) und Anordnung (z.B. in Paaren oder


Ketten)

■ anaerobes oder aerobes Wachstum

■ Ansprüche an Nährböden (leicht anzüchtbar oder aufwendig)

Eine weitere Identifizierung wird aufgrund biochemischer Eigenschaften


vorgenommen, z.B. der Fähigkeit,

■ Enzyme zu produzieren, die sich mit einfachen Tests nachweisen lassen,

■ Zucker oxidativ oder fermentativ (d.h. aerob oder anaerob) zu


verstoffwechseln,

■ unterschiedliche Substrate zu verwenden (z.B. Glukose, Laktose, Sucrose).

Obwohl alle Untersuchungen einzeln durchgeführt werden könnten (z.B. in einer


Nährlösung bzw. Bouillon mit den jeweils erforderlichen Reagenzien), werden
üblicherweise kommerziell erhältliche Testkits oder automatisierte Systeme
verwendet, die anhand des biochemischen Profils relativ rasch (in 2–4 Stunden) die
Identität eines Erregers erbringen können.

1011
Abb. 32.16 Kolonien von Bakterien.

Nach ihrer Implantation auf einen festen Nährboden beginnt eine Bakterienzelle sich
zu vermehren und eine Kolonie aus Millionen Zellen zu bilden. Das typische
Kolonie-/Wachstumsmuster unterschiedlicher Spezies liefert einen ersten Hinweis
auf ihre Identität. a) Goldfarbene Kolonien von Staphylococcus aureus. b) Durch
Anzüchten auf bluthaltigen Kulturmedien lassen sich zusätzliche
Bakterieneigenschaften nachweisen (z.B. Lyse roter Blutzellen), wie hier die von
Streptococcus pyogenes verursachte β-Hämolyse (komplette Hämolyse) auf
Pferdeblutagar. c) Durch Zugabe bestimmter Mittel kann das Wachstum anderer
Spezies gehemmt und ein Kulturmedium folglich „selektiv“ gemacht werden; wegen
der im MacConkey-Agar enthaltenen Gallensalze können darauf z.B. nur
gallensalztolerante Mikroorganismen wachsen. Darüber hinaus enthält er Laktose
und einen pH-Indikator, so dass bei Laktose vergärenden (fermentierenden)
Bakterien ein Farbumschlag nach Hellrosa erfolgt. d) Nicht-laktosefermentierende
Spezies wie Salmonellen oder Shigellen bilden dagegen gelbliche Kolonien.

Manche Spezies werden aufgrund ihrer Antigene identifiziert (durch Antigen-


Antikörper-Reaktion in Zellsuspensionen mit einem spezifischen Antiserum). Die
wichtigsten Nachweismethoden für medizinisch relevante Erreger sind im Anhang
beschrieben.

Die Antibiotikaempfindlichkeit kann nur an Bakterien in


Reinkultur getestet werden

1012
Zu den zahlreichen Methoden der (Antibiotika-)Empfindlichkeitstestung gehören unter
anderem Verdünnungsreihen und automatisierte Verfahren. Am häufigsten kommen
jedoch mit unterschiedlichen Antibiotika getränkte Filterpapierscheiben zum Einsatz,
die auf einen Keimrasen (nach Aussaat des Testkeims auf einer Agarplatte) gelegt
werden – so genannte Disk-(Filterscheiben-)Diffusion. Während die Keime über Nacht
bebrütet werden, wachsen und sich vermehren, diffundieren die Antibiotika aus der
Filterscheibe heraus und hemmen das Keimwachstum rund um die Scheibe.

Daher ist im Anschluss an die Bakterienisolierung aus Proben eine weitere Inkubation
über Nacht erforderlich, ehe das Ergebnis der Empfindlichkeitstestung (Antibiogramm)
vorliegt. Diese Methode wird aus wirtschaftlichen Gründen am häufigsten angewandt.
Die Ergebnisse des Agardiffusionstestes müssen jedoch aus verschiedenen Gründen als
minderwertig beurteilt werden. Die nach DIN (Deutsches Institut für Normung)
empfohlene Methode zur Empfindlichkeitstestung der meisten Bakterien ist die
Bouillon-Mikrodilution. Ausführlicher sind Methoden der Empfindlichkeitstestung in
Kap. 33 beschrieben.

Pilze werden anhand ihres Koloniewachstums und der


Zellmorphologie identifiziert
Pilze lassen sich anhand ihrer Kolonien oder aus Reinkulturen identifizieren. Das
geschieht weitgehend aufgrund bestimmter Koloniemerkmale (z.B. der Farbe) oder der
mikroskopisch erkennbaren Morphologie einzelner Zellen (Abb. 32.18). Um
medizinisch wichtige Hefen näher zu identifizieren, können biochemische Tests
(Substratassimilation) hinzugezogen werden. Da Pilze im Allgemeinen langsamer als
Bakterien wachsen, kann es bis zu ihrer endgültigen Identifizierung u.U. zwei Wochen
dauern.

Protozoen und Helminthen lassen sich durch direkte


Untersuchung in Proben identifizieren
Viele Protozoen und Helminthen können gleich bei der Untersuchung des
Probenmaterials erkannt werden, ohne dass Kulturen angelegt werden müssen, daher
liegen die Ergebnisse noch am selben Tag (nach Einreichen der Probe im Labor) vor.

■ Protozoen werden anhand morphologischer Merkmale identifiziert; dabei


können in Proben ein und desselben Patienten sowie in unterschiedlichen
Krankheitsphasen verschiedene Entwicklungsstadien erkennbar sein (Abb. 32.19).

■ Helminthen sind makroskopisch an der typischen Wurmform oder bei der


mikroskopischen Untersuchung von Proben (z.B. Stuhl oder Urin) anhand der
vorhandenen Wurmeier, etwa von Schistosomen, zu erkennen (s. Kap. 22).
Abb. 32.17 Identifizierung von Bakterien.

1013
Bakterien von medizinischer Bedeutung wurden traditionell anhand einiger typischer
Merkmale vorläufig eingestuft (s. Text). Anhand biochemischer und serologischer
Tests ist dann eine weitere Charakterisierung möglich.
Abb. 32.18 Pilze unter dem Mikroskop.

Pilze können wie Bakterien auf Agar-Kulturmedien angezüchtet werden, wachsen


aber meist langsamer als Bakterien, so dass es zwei Wochen dauern kann, bis sich
Kolonien bilden. Besonderheiten (z.B. Farbe) der Kolonieformen helfen zwar, Pilze
zu identifizieren, doch zur Bestätigung ist eine mikroskopische Untersuchung der
Pilzfäden (Hyphen) und Sporen nötig. a) Feuchtpräparat mit Konidiophoren und
freien Konidien von Penicillium; b) Makrokonidien von Microsporum canis nach
Anfärbung mit Laktophenol-Baumwollblau.

Viren werden meist serologisch identifiziert


Viren sind an ihrem zytopathischen Effekt in Zellkulturen und anhand ihrer
Morphologie in elektronenmikroskopischen Präparaten zu erkennen (Abb. 32.8). Eine
Reihe von Viren können inzwischen mit Nukleinsäure-Testmethoden (DNA-Sonden und

1014
PCR, s. oben) identifiziert werden, doch die Diagnose wird auch oft durch den
Nachweis von Virusantigenen oder spezifischer Antikörper im Patientenserum
gestellt (s. unten).
Abb. 32.19 Auch wenn sich einige Parasiten im
Labor anzüchten lassen, werden sie meist anhand
ihres mikroskopischen Erscheinungsbilds in Proben
identifiziert.

a) Cryptosporidium in einer Stuhlprobe nach säurefester Färbung. Wie


Mykobakterien bleiben Cryptosporidien nach Karbolfuchsinfärbung trotz Spülung
mit Säure/Alkohol weiterhin rosa.

b) Leishmania donovani (Donovan-Körperchen) im gefärbten Präparat einer


Knochenmarkprobe.

32.6 Antikörpernachweis zur Diagnose von


Infektionen
Serologische Tests (d.h. Untersuchung der Antigen-Antikörper-Reaktion) dienen zur:

■ Diagnose von Infektionen

1015
■ Erregeridentifizierung (s. oben)

■ Typisierung von Blut (für Blutbanken und vor Gewebetransplantation)

Ein Antikörpernachweis im Patientenserum ermöglicht


eine retrospektive Diagnose
Diagnosen, die sich auf Antikörper im Patientenserum stützen, können nur retrospektiv
gestellt werden; das ist ihr größter Nachteil, denn bis sich nach einer Infektion IgG-
Antikörper gebildet haben und nachweisen lassen, sind bereits 2–4 Wochen vergangen.
Mehr noch: Ein positiver Befund besagt nichts weiter, als dass der Patient irgendwann in
der Vergangenheit mit der Infektion in Kontakt gekommen ist.

Zu einem früheren Zeitpunkt (nach 7–10 Tagen) sind allerdings IgM-Antikörper zu


entdecken, die gewöhnlich für eine aktive (statt früher durchgemachte) Infektion
sprechen. Auch eine „Serokonversion“ kann hilfreich sein, d.h. ein vier- oder
mehrfacher Anstieg des Antikörpertiters in Serumproben aus der Akut- und der
Rekonvaleszenzphase einer Krankheit.

Ein Antikörpernachweis ist äußerst wertvoll zur


Identifizierung langsam wachsender oder schwer
anzüchtbarer Erreger
Trotz der oben genannten Nachteile ist der Antikörpernachweis eine wichtige
Labormethode zur Diagnose von Virusinfektionen. Oft werden Techniken angewandt,
mit denen gleichzeitig nach verschiedenen Infektionen gesucht werden kann (z.B. bei
atypischer Pneumonie, s. Kap. 19). Serumproben aus der Akutphase von Krankheiten
sollten bei −20°C aufbewahrt werden, bis auch Serumproben aus der
Rekonvaleszenzphase verfügbar sind, um dann beide parallel zu testen.

Nur die wenigsten Diagnosen lassen sich zuverlässig anhand einzelner


Serumuntersuchungen stellen. Dennoch kann ein Frühtest manchmal gerechtfertigt
sein, falls klinisch der Verdacht auf eine seltene Infektion (z.B. Legionellose) besteht,
mit der ein Patient vermutlich bisher noch nie in Berührung gekommen war.

Nach vorhergehender Impfung kann es schwierig, wenn nicht sogar unmöglich sein,
die Ergebnisse bestimmter serologischer Untersuchungen richtig zu interpretieren, weil
die nachweisbaren Antikörper sowohl impf- als auch infektionsbedingt sein könnten
(z.B. Widal-Test zur serologischen Diagnose von Typhus abdominalis, s. Kap. 22).

32.6.1 Übliche serologische Labortests zur


Diagnose von Infektionen

Präzipitationsreaktionen beruhen auf der Ausfällung


von Antigen-Antikörper-Komplexen
Wenn in Lösungen ausreichend hohe Antigen- und Antikörperkonzentrationen
aufeinander treffen, bilden sich aufgrund ihrer Multivalenzen Aggregate (Komplexe),

1016
die gewöhnlich ausgefällt werden. Noch ausgeprägter sind Präzipitationsreaktionen,
wenn Antigene und Antikörper durch Agar-Gele aufeinander zu diffundieren (Abb.
32.20).

Sofern keine immunchemische Verwandtschaft (d.h. Kreuzreaktivität) zwischen ihnen


besteht, wird sich jedes Antigen mit den passenden Serumantikörpern verbinden
(reagieren), so dass sich getrennte Präzipitationslinien im Gel bilden. Ein
praktisches Beispiel ist der Elek-Test, mit dem Diphtherietoxin in Isolaten von
Corynebacterium diphtheriae nachgewiesen wird. (Anmerkung: Eine inzwischen
erhältliche PCR-Methode ermöglicht den Direktnachweis des Toxingens in klinischen
Proben.)

Durch Hämagglutination lassen sich Antikörper


gegen antigene Oberflächenstrukturen, die auf der
Oberfläche roter Blutzellen gebunden sind,
nachweisen
Gegen antigene Oberflächenstrukturen von Erythrozyten gerichtete Antikörper können
eine derartig starke Quervernetzung bewirken, dass sich die Zellen in Mulden einer
Mikrotiter-Agglutinationsplatte eher als Matte statt fest und knopfartig ablagern (Abb.
32.21). Dieses System dient zum Nachweis von Antikörpern, die sich gegen ein
beliebiges, kovalent oder nichtkovalent an die Erythrozytenoberfläche (oder sogar an
andere Partikel, z.B. Latex) gebundenes Antigen richten.

Es kann auch zum Antigennachweis verwendet werden (z.B. Hepatitis-B-surface-


Antigen), wenn sich ein Antigen und ein spezifischer Antikörper an der Oberfläche
von Partikeln verbunden haben. Diese klassische Untersuchungsmethode wird aber
nur in Referenzlaboratorien angewandt.

1017
Abb. 32.20 Doppeldiffusion und Immunpräzipitation
in Agar-Gel.

Die dunklen (opaken) Linien sind angefärbt besser sichtbar. a) Präzipitationsbande


mit einem Antigen; b) durch zwei unabhängige Antigene mit entsprechenden
Antikörpern gebildete getrennte Präzipitationsbanden innerhalb eines Antigen-
Antikörper-Komplexes.

Manchmal maskieren Antikörper auch Virusmoleküle, z.B. Hämagglutinine von


Influenza-/Grippeviren, die an deren spezifischer Zelladhärenz beteiligt sind. Das
ermöglichte die Entwicklung eines Hämagglutinationshemmtests (Abb. 32.22), der
aber ebenfalls nur von Referenzlaboratorien durchgeführt wird.

Komplementverbrauch kann die Grundlage für


Antigen- oder Antikörpertests bilden
Unter der Voraussetzung, dass Immunkomplexe das Komplementsystem aktivieren
können, eignet sich auch der Komplementverbrauch zum Nachweis von Antigenen
oder Antikörpern. Die Komplementbindungsreaktion (KBR) wird so wie in Abb.
32.23 dargestellt durchgeführt. Auch dieser klassische Test verhilft vor allem zu einer
retrospektiven Diagnosestellung.

Soll Serum auf Antikörper untersucht werden, wird es mit einem bekannten Antigen
vermischt und nachträglich Komplement hinzugefügt. Sind Antikörper vorhanden,
bilden sich Antigen-Antikörper-Komplexe, die einen Teil oder das gesamte
Komplement verbrauchen. Um den Komplementverbrauch zu messen, werden
Indikator-Erythrozyten ergänzt, die mit einer Antikörpermenge unterhalb der
Agglutinationsschwelle beschichtet sind; übrig gebliebene Komplementreste werden

1018
eine Lyse dieser Indikatorzellen bewirken. Alternativ lässt sich ein Standard-
Antiserum als Suchtest für Antigene in Serumproben verwenden.

Antikörper in Proben können auch durch ELISA


nachgewiesen werden
Enzymimmunoassays wie ELISA wurden oben schon als Nachweismethode
beschrieben (Abb. 32.11). Als Maßeinheit für die Antikörperkonzentration in der
Originalprobe dient die Menge der an Festphasenantigen gebundenen Antikörper,
während zum Nachweis ein zweiter Antikörper mit einem Enzym wie Phosphatase
oder Peroxidase konjugiert wird, das einen Farbumschlag bei Antigen-Antikörper-
Reaktionen eines Substrats bewirkt.
Abb. 32.21 Hämagglutinationstest zum
Antikörpernachweis mit Antigen-sensibilisierten
roten Blutzellen.

Horizontal sind die doppelt verdünnten Testseren (Serumdilution) angeordnet,


senkrecht (in der 11. bzw. 12. Spalte) positive und negative Kontrollen. Bei
negativer Reaktion (Hämagglutinationshemmung) bilden sich feste „Knöpfe“,
während agglutinierte rote Blutzellen sich wie eine Matte auf den Muldenboden
legen. Ein Mikroagglutinations-Schnelltest kann Antikörper gegen Legionellen im
Patientenserum nachweisen.
Abb. 32.22 Hämagglutinationshemmtest.

1019
Manche Viren (z.B. Grippe-/Influenzaviren) haben Hämagglutinine in ihrer
Außenhülle, die zur Hämagglutination führen, wenn Viruspartikel und
Erythrozyten vermischt werden. Spezifische Antikörper können die
Hämagglutination jedoch verhindern (hemmen). Dieser Test eignet sich daher zum
Nachweis von Influenzavirus-Antikörpern im Patientenserum.

Einige Tests erfassen die hemmende Wirkung von


Antikörpern auf bakterielle Antigene
Bei manchen Tests steht die hemmende Wirkung von Antikörpern im Mittelpunkt;
erfasst wird, inwieweit sie biologische Eigenschaften der betreffenden Erreger im
Patientenserum inhibieren können. Ein Beispiel ist der Antistreptolysin-O-Test, bei
dem das Streptolysin-O-Toxin durch Antikörper neutralisiert wird. Wie stark das
Testserum verdünnt werden kann, um die Lyse roter Blutzellen durch das Toxin
gerade noch zu verhindern, wird austitriert (Abb. 32.24). Ein anderes Beispiel sind
Antikörper, die die Beweglichkeit von Bakterien im Patientenserum lähmen können,
wie z.B. mit dem Treponema-pallidum-Inhibitionstest (TPI) nachgewiesen werden
kann.

Gegen zytopathische Viren gerichtete Antikörper


können dadurch nachgewiesen werden, dass
Patientenserum ihre Infektiosität
verhindert/neutralisiert

1020
Im Fall zytopathischer Viren kann die Verhinderung ihres zytopathischen Effekts
durch das Patientenserum als Antikörpernachweis dienen. Sie werden als
„neutralisierende Antikörper“ bezeichnet. Auf wichtige Anwendungsbereiche
dieser Methode wird in den jeweiligen klinischen Kapiteln (s. Kap. 18–30) näher
eingegangen.
Abb. 32.23 Zur serologischen Diagnose einer Reihe
von Infektionen stehen KBR-Tests
(Komplementbindungsreaktion) zur Verfügung.

Wird neben Antigen auch Komplement (als Quelle dient meist


Meerschweinchenserum) zu einem Testserum hinzugefügt, werden alle
vorhandenen Antikörper an das Antigen gebunden und in den meisten Fällen
bewirken diese Antigen-Antikörper-Komplexe dann eine Komplementbindung.
„Fixiertes“ Komplement steht nicht länger zur Lyse antikörperbeschichteter
(Indikator-)Erythrozyten bereit. (Es sei daran erinnert, dass der „klassische Weg“
der Komplementaktivierung durch Antigen-Antikörper-Komplexe – wie in Kap.
10 beschrieben – zur Bildung von Membranangriffskomplexen führt, die im
vorliegenden Fall die roten Blutzellen lysieren, d.h. zerstören, würden.) Daher
stellt die Lyse von Erythrozyten ein negatives bzw. die nicht stattfindende Lyse ein
positives (Antikörper-)Testergebnis dar. Hier ist als Beispiel die KBR für
Antikörper gegen Coxiella burneti (Ursache einer atypischen Pneumonie) gezeigt.
In der oberen Reihe mit verdünntem Akutphasenserum kam es nur in den ersten
fünf Vertiefungen zur Komplementfixierung (daher beträgt der Antikörpertiter
1/32), während in der unteren Reihe auf keiner Verdünnungsstufe des
Rekonvaleszentenserums eine Lyse roter Blutzellen stattfand (das entspricht einem
Antikörpertiter von 1/512 oder noch mehr). Dieser vierfache Serumtiteranstieg
zwischen Akut- und Rekonvaleszenzphase zeigt eine Infektion mit Coxiella
burneti an. Da KBR-Tests sehr aufwendig und problembehaftet sind, werden sie
zunehmend durch neuere Testmethoden wie ELISA ersetzt.
Abb. 32.24 Antistreptolysin-O-(ASO-)Test.

1021
Streptolysin-O-Toxin führt zur Lyse von roten Blutzellen. Beim ASO-Test wird
Serum so lange verdünnt, bis die enthaltenen Antikörper nicht mehr verhindern
können, dass es durch eine Standard-Toxinkonzentration zur Lyse kommt. Das
beinhaltet auch negative und positive Kontrollen (rechts).

32.7 Beurteilung der Abwehr (Immunlage)

Zur Beurteilung können Opsonisierung und Aktivität


einzelner Komplementfaktoren herangezogen werden
Obwohl derzeit nur in Ausnahmefällen die Gesamtaktivität des Komplements im Serum
erfasst wird, kann es oft nützlich sein, die opsonisierende Wirkung einer Serumprobe
zu untersuchen; dabei wird gemessen, wie sehr die Phagozytose mikrobieller Partikel
durch Komplementanlagerung gefördert wird (Abb. 32.25).

1022
Die Aktivität einzelner Komplementfaktoren lässt sich

■ anhand ihrer Titrierbarkeit in einem komplementabhängigen Lysesystem


beurteilen, wenn der gesuchte Komplementfaktor fehlt,

■ direkt immunchemisch bestimmen, oft mithilfe von Gel-


Präzipitationsreaktionen.
Abb. 32.25 Opsonisierende Wirkung von Serum.

a) Zeitverlauf bei der Phagozytose von Hefepilzen (durch polymorphkernige


neutrophile Leukozyten, PMN): Vergleich zwischen der opsonisierenden Wirkung
eines Normalserums von 12 gesunden Spendern und eines Serums, dessen Spender
vorher mit Cytochalasin B (40 mg/ml) behandelt wurde, das die Phagozytose
hemmt. b) Verteilung der Opsonisierungsaktivität in 150 Serumproben von
gesunden jungen, älteren und kranken Spendern [nach Kerr et al. 1983].

1023
Zur Beurteilung der Phagozytoseaktivität wird der
Nitroblautetrazolium(NBT)-Test angewandt
Mit dem Nitroblautetrazolium(NBT)-Test lässt sich untersuchen, inwieweit Neutrophile
zur Phagozytose befähigt sind und gleichzeitig molekularen Sauerstoff reduzieren
können. Wird der gelbe NBT-Farbstoff zu Blutproben hinzugefügt, bildet er Komplexe
mit Heparin oder Fibrinogen, die von Neutrophilen phagozytiert werden (nach
Aktivierung durch ein exogenes Endotoxin). Die von den stimulierten Neutrophilen
aufgenommenen Farbstoffkomplexe ersetzen Sauerstoff, der normalerweise als Substrat
für den Reduktionsprozess dient, an dessen Ende das unlösliche blaue Formazan entsteht
(Abb. 32.26).

32.7.1 Lymphozyten

Lymphozyten werden gezählt und anhand ihrer


Oberflächenmoleküle in verschiedene Gruppen
unterteilt
Mit der Lymphozytendifferenzierung geht die Expression bestimmter Moleküle auf
ihrer Zelloberfläche einher. Ihr Nachweis mithilfe der Immunfluoreszenz ermöglicht
neben der Zählung auch die Zuordnung von Lymphozyten zu unterschiedlichen
Subklassen (Abb. 32.27). Verbreitet werden monoklonale Antikörper zur
Abgrenzung dieser Differenzierungsmoleküle eingesetzt, und auch von der
Durchflusszytofluorometrie wird zunehmend Gebrauch gemacht (Abb. 32.28). Sie
ist schneller und ein weniger arbeitsintensives Mittel zur Bestimmung der
Lymphozyten-Subpopulationen als die konventionelle Fluoreszenzmikroskopie.

Die Entwicklung von T-Effektorzellen gegen ein


Antigen wird oft durch einen intradermalen
Provokationstest aufgedeckt
Auf einen intradermalen Provokationstest reagiert die Haut gewöhnlich mit Rötung
und Induration, die nach ca. 48 Stunden ihren Höhepunkt erreichen (Abb. 32.29).
Aufgrund des zeitlichen Verlaufs wird diese Reaktion als „Überempfindlichkeit vom
verzögerten Typ“ (delayed type hypersensitivity, DTH) bezeichnet.

Mit Substanzen wie Phytohämagglutinin oder Concanavalin A kann die


Ansprechbarkeit der gesamten T-Zell-Population getestet werden, denn sie wirken wie
polyklonale Stimulanzien, die T-Zellen unabhängig von ihrer Antigenspezifität
aktivieren. Werden periphere Blutzellen jedoch in vitro mit einem Antigen inkubiert,
führt das nur zur Aktivierung spezifischer T-Zellen, die einen sehr geringen Teil der
Gesamtzahl verkörpern und sich zu teilen beginnen. Bei der Untersuchung solcher
Kulturen sind Blastozyten und mitotische Zellteilung zu erkennen. Die Bestimmung
der Lymphozytenstimulation anhand der Inkorporation von radioaktiv markiertem
Thymidin, mit der sich auch die Zellproliferation bestimmen lässt, ist die geeignetere
Methode (Abb. 32.30).
Abb. 32.26 Nitroblautetrazolium(NBT)-Test.

1024
a) Im Normalfall werden bei der Phagozytose reaktive Sauerstoff-
Zwischenprodukte (reactive oxygen intermediates, ROI) in Monozyten und
Polymorphkernigen aktiviert und das gelbe NBT in blauviolettes Formazan
überführt. b) Patienten mit chronischer Granulomatose (CGD) bilden jedoch keine
ROI, so dass der Farbstoff gelb bleibt (mit freundlicher Genehmigung von A.R.
Hayward).
Abb. 32.27 Immunfluoreszenztechnik zur
Darstellung von Differenzierungsmolekülen auf
Lymphozyten.

a) Im doppelten Antikörpertest werden monoklonale Maus-Antikörper zum


Nachweis des gesuchten Oberflächenmoleküls verwendet. b) Direktnachweis von
Antikörperrezeptoren auf zwei B-Lymphozyten durch fluoreszierendes
Antiimmunglobulin. Deutlich sichtbar sind Aggregation und Capping der
Oberflächenrezeptoren durch das Antiimmunglobulin(-Reagens).
Abb. 32.28 Durchflusszyto(fluoro)metrie.

1025
Um ihre Oberflächenmoleküle zu entdecken, lässt man die Zellen einer Probe nach
dem Anfärben mit spezifisch fluoreszierenden Reagenzien einzeln hinter einem
Laserstrahl her strömen. Bei jeder Zelle werden Größe (Lichtstreuung nach vorn)
und Granulation (90°-Lichtstreuung) sowie Rot- und Grünfluoreszenz gemessen,
um unterschiedliche Oberflächenmarker zu erkennen. Die dreidimensionalen
Grafiken zeigen neben einer ganzen Lymphozytenpopulation (links) auch CD8-
positive Zellen, die durch Zellseparierung gewonnen und mit anti-CD8 gefärbt
wurden (rechts).

Zytokine können jetzt näher untersucht werden


Stimulierte T-Zellen setzen auch Zytokine frei. Ursprünglich waren Zytokine für ihre
Wirkung als biologische Marker bekannt, denn ein Nachlassen ihrer Aktivität unter
dem Einfluss spezifischer Antikörper bewies ihre Spezifität. Seitdem Zytokine geklont
werden können und monoklonale Antikörper direkt gegen sie gerichtet sind, zeichnet
sich ein starker Trend in Richtung von Immunoassays mit einzelnen Zytokinen und
Zytokinrezeptoren ab.

1026
Abb. 32.29 Verzögerte Hypersensitivität vom
Tuberkulintyp.

Sensibilisierte Menschen reagieren auf Lepraantigene mit typischen


Erscheinungen (Fernandez-Reaktion): einer Rötung und Induration (a), die nach
48–72 Stunden am stärksten sind, und einer dichten Infiltration von Lymphozyten
und Makrophagen (b) an der Injektionsstelle. Hämatoxylin-Eosin-Färbung; 80 ×
vergr.

Der Angriff zytotoxischer T-Zellen auf bestimmte Ziele


wird mit herkömmlichen Mitteln (Radioisotopen)
untersucht
Zytotoxische T-Zellen attackieren z.B. virusinfizierte Zellen. Um diese Fähigkeit zu
untersuchen, werden mögliche Ziele üblicherweise mit Radioisotopen (z.B. mit 51Cr)
markiert und dann darauf achtet, ob die Radioisotopen nach der Zentrifugation im
Überstand von geschädigten Zellen auftauchen (Abb. 32.31).

1027
Abb. 32.30 Beurteilung der Lymphozytenstimulation
nach Inkorporation von radioaktiv markiertem
Thymidin.

Hohe Werte weisen auf eine Zellproliferation hin und bestätigen damit die
Antigenempfindlichkeit der Lymphozyten

1028
Abb. 32.31 Messung der zytotoxischen Aktivität
humaner Lymphozyten.

Angegriffen werden nur Zielzellen, die mit dem Grippe-/Influenzavirus infiziert


sind und denselben HLA-Haplotyp (human leukocyte antigens) haben wie der
Spender dieser zytotoxischen Zellen (Haplotyp-Restriktion). Erst dann wird 51Cr
freigesetzt. Die gestrichelte Linie zeigt, dass im Hintergrund auch ohne Inkubation
der Effektorzellen Radioisotop aus Zielzellen freigesetzt wird.

32.8 Aufbereitung von Proben


In der Labordiagnostik gibt es Protokolle für die Bearbeitung von:

■ Urin

■ Stuhl

■ Genitalabstrichen

■ Haut- und Weichteil-/Bindegewebeproben

■ Augenabstrichen

■ Proben aus dem Respirationstrakt (Nasen-, Rachen-, Ohrenabstriche und Sputum)

■ Liquor

■ Eiter

■ sonstigen Körperflüssigkeiten (Aspirate der Pleura-, Perikard-, Synovialflüssigkeit)

1029
■ Blut

■ Knochenmark- und anderen Biopsien

■ Autopsie- und forensischen Proben

Nähere Einzelheiten hierzu finden sich unter www.StudentConsult.de.


Zusammenfassung
■ Die mikrobiologische Bestätigung für eine klinisch diagnostizierte Infektion
hängt von der Qualität der Proben ab, die mit allen erforderlichen Informationen
möglichst rasch ans Labor weitergereicht werden.
■ Mit Laboruntersuchungen lassen sich Mikroorganismen, deren Produkte sowie
Anzeichen für eine Immunreaktion des Patienten auf die Infektion nachweisen.
■ Bakterienkulturen und serologische Untersuchungen sind wichtige und sich
gegenseitig ergänzende Methoden zur Identifizierung klinisch relevanter Erreger, auch
wenn sie unterschiedliche Aspekte beleuchten.
■ Um Erreger rascher nachzuweisen, werden zunehmend häufiger neue
molekulare Techniken (PCR oder Gensonden) eingesetzt. Doch zur
Empfindlichkeitstestung (Antibiogramm) und zur Wahl der richtigen Therapie müssen
die Erreger in Reinkultur isoliert werden.
■ Bakterien benötigen in der Regel mindestens 18 Stunden zum Wachstum (und
die Isolierung von Viren oder Pilzen kann sogar noch länger dauern); daher sind
frühestens nach 24 Stunden erste Ergebnisse aus Kulturen zu erwarten.
■ Wie die Ergebnisse zu interpretieren sind, hängt von der Entnahmestelle ab: In
Proben von normalerweise sterilen Stellen ist schon ein einziger Keim signifikant,
während Isolierung und Identifizierung der Erreger schon schwieriger sind, wenn
Proben von Stellen mit kommensaler Normalflora stammen.
■ Eine gute Kommunikation zwischen Kliniker und Mikrobiologen ist überaus
wichtig.

FRAGEN
1 Nennen Sie jeweils drei Körperstellen, die normalerweise steril bzw. von
kommensaler Normalflora besiedelt sind.
2 Welche Proben würden Sie entnehmen, um folgende Diagnosen zu sichern:
a) Harnwegsinfektion
b) Meningitis
c) Osteomyelitis
d) Malaria?
3 In welchem Probenmaterial lassen sich Antikörper nachweisen? Was ist in
Bezug auf den Zeitpunkt der Probenentnahme wichtig?
4 Wann ist frühestens mit dem Ergebnis der Laboruntersuchung zu rechnen:
a) bei signifikanter Bakteriurie (Mittelstrahlurinprobe) eines Patienten mit
Dysurie
b) bei mikroskopischen Anzeichen für eine Infektion im Liquor eines
jungen Patienten mit Nackensteife
c) bei Testung der Antibiotikaempfindlichkeit von Staphylococcus aureus
(nach Isolierung aus der Blutkultureines Fieberpatienten)?
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

1030
Alonzo de Velasco, E., Verheul, A.F., Verhoef, J., Snippe, H.: Streptococcus
pneumoniae: virulence factors, pathogenesis and vaccines. Microbiol Rev 59 (1995)
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11th ed. Mosby, St. Louis 2002.
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opsonization by normal and pathological sera; identification of a complement-dependent
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Medizinische Mikrobiologie, 8. Auflage. Urban & Fischer Verlag, München Jena 2001.
Larone, D.: Medically Important Fungi: a Guide to Identification, 4th ed. American
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Academic Press, London 2001.
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Townsend, G.C., Scheld, W.M.: In vitro models of the blood-brain barrier to study
meningitis. Trends Microbiol 3 (1995) 441–445.

1031
33 Antimikrobielle Wirkstoffe und Chemotherapie
33.1 Selektive Toxizität 508

33.2 Entdeckung und Entwicklung von antimikrobiellen Wirkstoffen 508

33.3 Antibakterielle Wirkstoffe – Einteilung 508

33.4 Resistenz gegen antibakterielle Wirkstoffe 510

33.4.1 Genetik der Resistenz 510

33.4.2 Resistenzmechanismen 512

33.5 Antibiotikaklassen 512

33.6 Zellwand-Synthesehemmer 513

33.6.1 Betalaktame 513

33.6.2 Glykopeptide 518

33.7 Proteinsynthesehemmer 519

33.7.1 Aminoglykoside 519

33.7.2 Tetrazykline 521

33.7.3 Chloramphenicol 523

33.7.4 Makrolide, Lincosamide, Streptogramine 523

33.7.5 Oxazolidinone 526

33.7.6 Fusidinsäure 526

33.8 Nukleinsäuresynthesehemmer 526

33.8.1 Chinolone 526

33.8.2 Rifamycine 528

33.9 Antimetaboliten mit Auswirkungen auf die Nukleinsäuresynthese 529

33.9.1 Sulfonamide 529

33.9.2 Trimethoprim (und Co-trimoxazol) 529

33.10 Nitroimidazole mit Einfluss auf die DNA 531

33.11 Polymyxine als Hemmstoffe der Zytoplasmamembranfunktion 531

33.12 Urologika (Harnwegsantiseptika) 531

1032
33.13 Antituberkulotika 531

33.13.1 Isoniazid 532

33.13.2 Ethambutol 532

33.13.3 Pyrazinamid 532

33.13.4 Resistenzentwicklung bei Mykobakterien 532

33.14 Antibakterielle Mittel in der Praxis 533

33.14.1 Empfindlichkeitstestung 533

33.14.2 Antibiotikatests/-assays 534

33.15 Antivirale Therapie 536

33.15.1 Aciclovir (Acycloguanosin) 537

33.15.2 Ganciclovir (Dihydroxypropoxy- methylguanin, DHPG) 537

33.15.3 Foscarnet (Phosphonoformat) 538

33.15.4 Nukleotid- und Nukleosid-Reverse- Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) 538

33.15.5 Nichtnukleosidische Reverse- Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI) 539

33.15.6 Protease-Inhibitoren (PI) 539

33.15.7 Influenzavirus-Inhibitoren 539

33.15.8 Antivirale Mittel gegen Hepatitisviren (HBV und HCV) 540

33.15.9 Entwicklung von Virustatika 540

33.15.10 Interferontherapie bei Infektionen 540

33.16 Antimykotika 540

33.17 Gegen Parasiten wirksame Mittel 542

33.18 Richtiger Gebrauch und Missbrauch 545

1033
Zur Orientierung
Die wechselseitigen Beziehungen zwischen Wirt, Erreger und Wirkstoffen kann man sich
als Dreieck vorstellen, bei dem sich jede Veränderung einer Seite unvermeidlich auf die
beiden anderen auswirkt (Abb. 33.1). In diesem Kapitel werden zwei Seiten dieses
Dreiecks näher beleuchtet:

■ Interaktionen zwischen Wirkstoffen und Erreger

■ Interaktionen zwischen Wirkstoffen und menschlichem Wirt

Skizziert werden auch einige Aspekte zu Laboruntersuchungen und (Antibiotika-


)Empfindlichkeitstests. Als dritte Seite des Dreiecks sind die Beziehungen zwischen
Mikroorganismen und menschlichem Wirt bereits in den vorhergehenden Kapiteln
ausführlich erörtert worden. Am Ende des Kapitels werden alle drei Seiten des Dreiecks
abschließend noch einmal zusammengeführt.
Abb. 33.1 Darstellung der wechselseitigen Beziehung
als Dreieck.

Die Beziehungen zwischen antimikrobiellen Wirkstoffen, Mikroorganismen und


menschlichem Wirt kann man sich als Dreieck vorstellen, wobei sich jede Beeinflussung
der einen Seite auch auf die beiden anderen auswirkt.

33.1 Selektive Toxizität


Den Begriff der „selektiven Toxizität“ hat Paul Ehrlich, der Begründer der
Chemotherapie, eingeführt (s. Kasten). Um selektive Toxizität zu ermöglichen, werden
Unterschiede in der Struktur und im Metabolismus von Mikroorganismen und Wirtszellen
erforscht. Im Idealfall greifen antimikrobielle Wirkstoffe gezielt an Stellen an, die nur bei
den Erregern, nicht aber auf Wirtszellen vorhanden sind. Das lässt sich eher bei
Prokaryonten erreichen, die größere strukturelle Unterschiede zu den Wirtszellen
aufweisen als Eukaryonten (Zellstrukturen von pro- und eukaryoten Mikroorganismen s.
Kap. 1).

1034
Am anderen Ende des Spektrums befinden sich die Viren, die durch ihre obligat
intrazelluläre Lebensweise schwierig anzugreifen sind – ein wirksames Mittel gegen
Viren muss in Wirtszellen eindringen können, darf aber nur virusspezifische Ziele
hemmen bzw. schädigen. Wünschenswerte Eigenschaften eines idealen antimikrobiellen
Mittels sind in Tab. 33.1 zusammengestellt.

33.2 Entdeckung und Entwicklung von


antimikrobiellen Wirkstoffen
Der Begriff „antibiotisch“ war traditionell auf natürliche Stoffwechselprodukte von
Pilzen, Aktinomyzeten und Bakterien bezogen, die das Wachstum von Mikroorganismen
hemmten oder sie zerstörten. Da Antibiotika offenbar besonders von Mikroorganismen im
Boden produziert werden, scheinen sie ihnen einen selektiven Vorteil vor anderen
Keimen in der Konkurrenz um Raum und Nährstoffe der natürlichen Umgebung zu
verleihen.

Die heute klinisch gebräuchlichen antimikrobiellen Wirkstoffe leiten sich zwar meist von
natürlichen Fermentierungs- bzw. Gärungsprodukten her, sind aber mehrheitlich
semisynthetisch, d.h. chemisch verändert worden, um ihre antibakteriellen oder
pharmakologischen Eigenschaften zu verbessern. Einige Wirkstoffe (wie Sulfonamide
oder Chinolone) sind vollsynthetisch. Daher sollte man besser von „antimikrobiellen“
oder „antibakteriellen“ Mitteln statt von „Antibiotika“ sprechen. Obwohl sich auch Mittel
gegen Pilze und Parasiten unter antimikrobiellen Wirkstoffen subsumieren lassen, sind in
dem Fall „Antimykotika“ bzw. „Antihelminthika“ gebräuchlichere Bezeichnungen.

Tab. 33.1 Erwünschte Eigenschaften neuer antimikrobieller Mittel.


*
hängt vom Anwendungsgebiet ab: Da Mittel mit engem Wirkspektrum weniger
stark in die Normalflora eingreifen, führen sie wahrscheinlich langsamer zur
Resistenz; Substanzen mit breitem Wirkspektrum sind besser für empirische
Therapieversuche und zur Behandlung von Mehrfachinfektionen (mehreren Erregern)
geeignet.

1035
Neue Wirkstoffe wurden oft durch reinen Zufall entdeckt, wenn pharmazeutische Firmen
mit massenhaften Boden-Screening-Programmen nach Mikroorganismen mit
antibiotischer Wirkung suchten. Doch mit umfassenderen Kenntnissen über die
Wirksamkeit vorhandener Substanzen konnten diese Prozesse rationalisiert werden, so
dass jetzt entweder gezielt nach neuen natürlichen Produkten mit einem bestimmten
Angriffsziel gesucht wird oder entsprechende Wirkstoffe synthetisiert werden. Seit
kurzem gibt es auch Ansätze dazu, das Genom nach neuen (noch unerforschten)
Angriffszielen zu untersuchen. Die einzelnen Schritte zu einem rationalen
Entwicklungsprogramm für antimikrobielle Wirkstoffe sind in Tab. 33.2
zusammengefasst.

33.3 Antibakterielle Wirkstoffe – Einteilung


Antibakterielle Wirkstoffe können nach

■ Wirksamkeit (bakterizid oder bakteriostatisch),

■ Angriffspunkt oder

■ chemischer Struktur

klassifiziert werden.

Antibakterielle Mittel wirken bakterizid oder


bakteriostatisch
Bakterizide Wirkstoffe töten Bakterien ab, während andere nur das Bakterienwachstum
hemmen (bakteriostatisch wirken). Bakterizidie ist demnach ein irreversibler,
Bakteriostase ein reversibler Prozess. Trotzdem lassen sich Infektionen erfolgreich mit
bakteriostatischen Mitteln be handeln, weil die Wirtsabwehr besser mit einer statischen
(nicht mehr weiter ansteigenden) Bakterienmenge fertig werden kann. Doch bei
Patienten mit Immunschwäche sind bakteriostatische Mittel unter Umständen weniger
wirksam.
Geschichte der Mikrobiologie
Paul Ehrlich (1854–1915)

Von ähnlich überragender Bedeutung wie Pasteur für die (Immun-)Mikrobiologie ist
Paul Ehrlich als „Vater der Immunchemie“. Er leistete außerordentliche
wissenschaftliche Beiträge zu allen Gebieten der Medizin. Ehrlich äußerte als Erster
1890 die Vermutung, Fremdantigene könnten von „Seitenketten“ an Zellen erkannt
werden; doch es dauerte noch 70 Jahre, bis seine brillante Idee bestätigt wurde.

Ehrlich entdeckte die Mastzellen, führte eine säurefeste Färbetechnik für


Tuberkelbazillen ein und entwickelte eine Methode zur Herstellung und Vermarktung
eines stark wirksamen Diphtherie-Antitoxins. Mit seiner Arbeit über „606“ (oder
„Salvarsan“) zur Syphilisbehandlung wurde er zum Pionier der Antibiotikatherapie,
was die Kirche als Einmischung in Gottes gerechte Strafe für Sünder anprangerte.

Das Konzept der selektiven Toxizität begann sich abzuzeichnen, als Ehrlich sich mit
der Behandlung von Trypanosomeninfektionen befasste, wie folgendes Zitat zeigt:

1036
„Aber meine Herren, es sollte klar sein, dass sich diese Aufgabe im Allgemeinen viel
schwieriger bewerkstelligen lässt als eine Serumtherapie. Im Unterschied zu
Antikörpern können diese Chemotherapeutika schädlich für den Körper sein. Will man
ein solches Mittel einem Kranken geben, muss hinsichtlich seiner Toxizität für Erreger
und den Wirtorganismus ein Unterschied bestehen. Wir müssen uns immer der
Tatsache bewusst sein, dass sich diese Mittel genauso auf andere Körperbereiche wie
auf die Parasiten auswirken können.“

Wie Pasteur begriff auch Ehrlich den ganzen Körper als Kontinuum – bis zu den
Zellen und der dreidimensionalen Struktur der Moleküle – und betonte sein Leben
lang die Bedeutung, die molekulare Interaktionen als Grundlage sämtlicher
biologischen Funktionen hätten. Dies kommt in seinem berühmten Leitsatz „Corpora
non agunt nisi fixata“ (oder „Nur wenn sich Dinge berühren, interagieren sie“) zum
Ausdruck.

1908 erhielt Paul Ehrlich den Nobelpreis. Weil er Jude war, wurde sein Name unter
dem Naziregime systematisch aus allen Aufzeichnungen getilgt. Mit allen Ehren
rehabilitiert wurde er, als anlässlich des 7. Internationalen Immunologie-Kongresses in
Berlin 1989 sein früheres Labor (Paul-Ehrlich-Institut) wiedererrichtet wurde.

Paul Ehrlich (1854–1915)

Manchmal verschwimmt jedoch die Grenze zwischen bakteriziden und


bakteriostatischen Wirkstoffklassen, wenn die Mittel nur bestimmte Erreger abtöten und
bei anderen lediglich bakteriostatisch wirken: So kann Chloramphenicol z.B. das
Wachstum von Escherichia coli nur hemmen, Haemophilus influenzae jedoch abtöten.

Antibakterielle Wirkstoffe haben fünf wichtige


Angriffspunkte

1037
Eine geläufige Einteilung antibakterieller Mittel erfolgt nach ihrem Wirkort oder
Angriffsziel. Mit dieser Klassifizierung lässt sich zwar nicht genau vorhersagen, welcher
Stoff bei welchen Bakterien wirksam sein wird, doch sie trägt zu einem besseren
Verständnis der molekularen Grundlagen der antibakteriellen Wirkung bei und kann
zudem viele Syntheseprozesse in Bakterien aufklären. Die fünf Hauptangriffspunkte
für antibakterielle Mittel sind:

■ Zellwandsynthese

■ Proteinsynthese

■ Nukleinsäuresynthese

■ Stoffwechselwege

■ Zellmembranfunktionen

Da sich Bakterienzellen in Bezug auf diese Angriffsziele mehr oder weniger stark von
den Wirtszellen unterscheiden, geht ihre Hemmung nicht mit gleichzeitiger Hemmung
der (Säugetier-)Wirtszellen einher (selektive Toxizität antibakterieller Mittel).

An jedem Angriffsziel läuft eine Vielzahl chemischer Reaktionen ab (Synthese von


Enzymen und Substraten), die einzeln von bestimmten antibakteriellen Wirkstoffen
inhibiert werden können. Chemisch unterschiedliche Wirkstoffmoleküle können auch an
derselben Stelle angreifen und unterschiedliche Reaktionen hemmen (z.B.
Proteinsynthesehemmer).
Tab. 33.2 Gezielte Entwicklung neuer
antimikrobieller Mittel.

1038
Antibakterielle Wirkstoffe haben unterschiedliche
chemische Strukturen
Die chemische Struktur allein ist zu unterschiedlich, um für die Einteilung von
Wirkstoffen von praktischem Nutzen zu sein. Doch in Verbindung mit dem
Angriffspunkt ermöglicht die chemische Struktur eine sinnvolle vorläufige Zuordnung
zu spezifischen Wirkstoffklassen oder -familien, die weiter unten besprochen werden.

33.4 Resistenz gegen antibakterielle Wirkstoffe


Die Resistenz gegen antibakterielle Wirkstoffe kann graduell unterschiedlich ausgeprägt
sein. Im medizinischen Rahmen werden Erreger als resistent definiert, wenn sie durch die
Wirkstoffkonzentration, die sich mit normaler Dosierung eines antibakteriellen Mittels
erreichen lässt, weder im Wachstum gehemmt noch abgetötet werden. „Some men are
born great, some achieve greatness, and some have greatness thrust upon them“ [so viel
wie: Einige Männer sind groß geboren, andere erlangen Größe und einigen fällt Größe
zu“] (William Shakespeare, 12. Night oder Was ihr wollt).

Ähnlich ist es mit Bakterien; einige sind von Natur aus resistent und andere erwerben
Resistenz. Mit anderen Worten: Manche Spezies sind natürlich (angeboren) resistent
gegen bestimmte Antibiotikaklassen, weil ihnen das Angriffsziel fehlt oder der Wirkstoff
nicht zu ihnen durchdringt. Mit ihrer Außenhülle um die Peptidoglykan-Zellwand sind
Gram-negative Stäbchen nicht so durchlässig für Makromoleküle wie Gram-positive

1039
Bakterien. Doch auch bestimmte Stämme von Natur aus empfindlichen Bakterien können
Resistenzen entwickeln oder erwerben.

33.4.1 Genetik der Resistenz


Parallel zur raschen Entwicklung einer Vielzahl antibakterieller Mittel (seit 1940)
entwickelten Bakterien äußerst geschickt Resistenzen gegen jedes der neu
aufkommenden Mittel. Das ist exemplarisch mit dem Zeitschema in Abb. 33.2 für
Staphylococcus aureus gezeigt. Dass Resistenzen immer rascher und häufiger
auftreten, während sich gleichzeitig die Entwicklung neuer Wirkstoffe zur Bekämpfung
resistenter Stämme verlangsamt, wird inzwischen weltweit als ernste Gefahr für die
Behandlung lebensbedrohlicher Infektionen erkannt.

Durch chromosomale Mutation kann es zur Resistenz


gegen ganze Antibiotikaklassen kommen
(Kreuzresistenz)
Resistenz entsteht entweder durch:

■ Einzelmutation im Bakterienchromosom, so dass ein verändertes Protein


synthetisiert wird; Beispiele sind die Streptomycinresistenz (durch Veränderung
eines ribosomalen Proteins) oder die verringerte Bindungsaffinität zu Sulfonamiden
nach einem einzelnen Aminosäurenaustausch im Enzym Dihydropteroat-Synthetase;

■ reihenweise Mutationen, z.B. Veränderungen in den Penicillin-


Bindungsproteinen (PBP) von Penicillin-resistenten Pneumokokken.

Durch solche spontanen Mutanten haben manche Erreger bei einer Antibiotikatherapie
einen selektiven Vorteil gegenüber empfindlichen Erregern, die sie überleben oder
überwuchern können (Abb. 33.3a). Auch ein Übergreifen resistenter Keime auf andere
Körperbereiche desselben Patienten oder eine Disseminierung durch Kreuzinfektion
mit anderen Patienten ist möglich. Chromosomale Mutationen kommen relativ
selten vor (d.h. meist nur in 1 von 106–108 Keimen) und machen im Allgemeinen nur
gegen eine einzelne Antibiotikaklasse resistent (d.h., sie bewirken eine
„Kreuzresistenz“ gegen strukturell verwandte Substanzen).

Von Plasmiden übertragbare Gene können gegen


unterschiedliche Wirkstoffklassen resistent machen
(Multidrug-Resistenz)
Bakterien wappnen sich auch mit Resistenzgenen, die von Plasmiden übertragen
werden, und sind somit nicht allein auf zufällige chromosomale Mutationen
angewiesen, um Antibiotika-Behandlungen zu überleben (Abb. 33.3b, s. Kap. 2).
Solche Plasmide kodieren häufig Resistenzfaktoren gegen mehrere antibakterielle
Wirkstoffe, die nicht miteinander verwandt sein müssen. So kann sich eine
Bakterienzelle sehr viel effizienter als durch eine chromosomale Mutation gleich eine
„Multidrug-Resistenz“ (gegen mehrere Wirkstoffklassen, MDR) erwerben.

1040
Die „infektiöse Resistenz“ wurde von japanischen Forschern zunächst bei der
Untersuchung von Darmbakterien beschrieben, ist aber inzwischen als verbreitetes
Phänomen im ganzen Bakterienreich bekannt. Einige „promiskuitive“ Plasmide
überschreiten Speziesschranken, so dass dasselbe Resistenzgen bei völlig
unterschiedlichen Bakterien anzutreffen sein kann. So kommt TEM-1, die am
häufigsten von Plasmiden übertragene Betalaktamase Gram-negativer Bakterien, z.B.
nicht nur verbreitet bei E. coli und anderen Enterobakterien vor, sondern ist auch für
die Penicillinresistenz von Neisseria gonorrhoeae bzw. die Ampicillinresistenz von H.
influenzae verantwortlich.

1041
Abb. 33.2 Zeitschema zur chronologischen
Entwicklung der Antibiotikaresistenz bei Gram-
positiven Kokken.

1042
Abb. 33.3 Verschiedene Arten des
„Resistenzerwerbs“.

Verändert sich durch chromosomale Mutation (a) das Angriffsziel antibakterieller


Mittel, können sich die resistent gewordenen Bakterienzellen trotz
Antibiotikatherapie vermehren. Schneller als durch Teilung und Verbreitung der
Zellen selbst übertragen Plasmide die Resistenzgene unter den Bakterien (b). Dass
sich Resistenzgene mit Transposons (c) vom Chromosom zu Plasmiden bewegen
oder zwischen Plasmiden hin- und herbewegen können, macht sie stabiler bzw.
ermöglicht eine breitere Streuung (größere Dissemination).

1043
Resistenz kann auch über Transposons und andere
bewegliche Elemente erworben werden
Resistenzgene können sich auch auf Transposons befinden. Von diesen
„springenden“ Genen in einem Replikationsprozess erzeugte Kopien können in ein
Bakterienchromosom oder in Plasmide integriert werden (s. Kap. 2). Im Chromosom
finden die Gene zwar eine stabilere Lage, können sich aber nicht schneller verbreiten
als sich die Bakterienzelle teilt. Wenn sich Kopien von Transposons vom Chromosom
zu Plasmiden bewegen, erfolgt eine sehr viel raschere Disseminierung. Um die
Streuung von Resistenzgenen noch mehr zu beschleunigen, kann auch eine
Übertragung zwischen Plasmiden (z.B. von stationären auf bewegliche/übertragbare)
stattfinden (Abb. 33.3c).

Resistenzgene können in sog. Integronen zu


„Kassetten“ zusammengefügt werden
Wie bereits erwähnt, können einzelne Antibiotika-Resistenzgene entweder auf
Plasmiden oder im Chromosom bzw. auf Transposons (an beiden Stellen) lokalisiert
sein. Doch unter bestimmten Umständen können sich MDR-Gene auch in einer
Struktur versammeln, die als „Integron“ bezeichnet wird.

Wie in Abb. 33.4a gezeigt, wird im Integron an einer spezifischen Stelle ein
Rekombinationsenzym (Integrase) vom int-Gen kodiert, das die Insertion – und
genauso Exzision – von Antibiotika-Resistenzgen-Kassetten an der Anheftungsstelle
(att) des Integrons ermöglicht. Solche Kassetten bestehen aus dem Resistenzgen und
zusätzlichen Sequenzen mit einer „attachment region“. Nach der klassischen Art von
Operonen wird die Transkription der inserierten Gene von einem starken Integron-
Promoter kontrolliert.

Integrone finden sich sowohl in Gram-negativen als auch in in Gram-positiven


Bakterien und werden anhand ihrer Integrationsform (mit Integrase usw.) in
verschiedene Klassen unterteilt. Als eigenständige mobile Genelemente oder in
Transposons eingebaut, können sich Integrone in zahlreiche DNA-Moleküle
hineinbegeben; ihre gesamte Hierarchie ist in Abb. 33.4b dargestellt. Dass sie
verschiedene Antibiotika-Resistenzgene aufnehmen, strukturieren oder umstellen
(rearrangieren) können, macht Integrone zu einem wichtigen Faktor für die
Ausbreitung einer Multidrug-Resistenz unter klinisch relevanten Erregern.

33.4.2 Resistenzmechanismen
Resistenzmechanismen lassen sich grob in drei Hauptarten unterteilen, die im
Folgenden und in Tab. 33.3 zusammengefasst sind, auf die aber weiter unten im
Zusammenhang mit einzelnen Antibiotika (sofern sie eine Rolle spielen) noch näher
eingegangen wird. Bei allen Resistenzen gegen antibakterielle Mittel, die bisher
aufgeklärt werden konnten, scheint eine Synthese neuer oder veränderter Proteine der
entscheidende Faktor zu sein. Wie oben erwähnt, können sich diese proteinkodierenden
Gene auf Plasmiden oder im Chromosom befinden.

Verändertes Angriffsziel

1044
Das Angriffsziel kann in einer Art und Weise verändert sein, dass die antibakterielle
Substanz nur noch mit geringerer Affinität an den Angriffspunkt bzw. Wirkort
gebunden wird. Der Metabolismus funktioniert unverändert. Alternativ kann ein
zusätzlicher Angriffspunkt (z.B. ein zusätzliches Enzym) synthetisiert werden.
Abb. 33.4 Grundstruktur eines Integrons (a) und
Beziehungsebenen zwischen Integronen und
anderen DNA-Elementen (b).

att = Anheftungsstelle des Integrons, int = Integrase

Veränderte Zugänglichkeit (geringere Aufnahme


oder vermehrte Ausscheidung)
Hierbei verändert sich die am Zielort verfügbare Wirkstoffmenge durch

■ schlechtere Zugänglichkeit (z.B. geringere Durchlässigkeit der Zellwand) oder

■ Herauspumpen des Wirkstoffs aus der Zelle (sog. Efflux-Mechanismus)

1045
Inaktivierung antibakterieller Wirkstoffe durch
enzymatische Modifikation/Zerstörung
Es gibt viele Beispiele derartiger Enzyme, doch die wichtigsten sind:

■ Betalaktamasen

■ Aminoglykosid-modifizierende Enzyme

■ Chloramphenicol-Acetyltransferasen

Sie werden unter den jeweiligen Antibiotikaklassen näher beschrieben.

33.5 Antibiotikaklassen
Nachfolgend geht es um antibakterielle Wirkstoffe, die aufgrund ihres
Angriffspunkts/Wirkorts und ihrer chemischen Struktur zu unterschiedlichen Gruppen
(Klassen) zusammengefasst werden können. Bei der Darstellung wird versucht, auf alle
Fragen, die sich aus Tab. 33.4 ergeben, eine Antwort zu geben und dabei die Beziehungen
zwischen Antibiotika und Bakterien sowie zwischen Antibiotika und Patienten zu
berücksichtigen (d.h. zwei Seiten des in Abb. 33.1 gezeigten Dreiecks).

Tab. 33.3 Bei Resistenzen gegen antibakterielle Mittel lassen sich


drei Hauptmechanismen unterscheiden.

1046
Tab. 33.4 Was muss ich über ein antibakterielles Mittel wissen?

1047
33.6 Zellwand-Synthesehemmer
Peptidoglykane sind ein lebenswichtiger Bestandteil der Bakterienzellwand (s. Kap. 2).
Dass sie nur bei Bakterien vorkommen, macht sie zum idealen Angriffsziel im Sinne der
selektiven Toxizität. Die Synthese beginnt mit Peptidoglykan-Vorstufen (Präkursoren) im
Zytoplasma; Untereinheiten werden durch die Zytoplasmamembran hindurchtransportiert
und schließlich in das wachsende Peptidoglykanmolekül der Zellwand eingebaut. Für
Inhibitoren bieten sich in den jeweiligen Stadien verschiedene Angriffspunkte (Abb.
33.5).

Verschiedene Wirkstoffe, die die Zellwandsynthese hemmen, haben unterschiedliche


chemische Strukturen. Die wichtigste und größte Gruppe bilden die Betalaktame, gefolgt
von den Glykopeptiden, die nur gegen Gram-positive Bakterien wirksam sind. Seltener –
d.h. bei wenigen Indikationen – kommen Bacitracin (vor allem topisch) und Cycloserin
(hauptsächlich als „Second-line“-Medikation in der Tuberkulosebehandlung, s. unten)
klinisch zum Einsatz.

33.6.1 Betalaktame

Betalaktame besitzen einen Betalaktam-Ring und


hemmen die Zellwandsynthese durch ihre Bindung an
Penicillin-bindende Proteine (PBP)
Betalaktame sind eine große Familie (Antibiotikaklasse) mit unterschiedlichen
bakteriziden Wirkstoffgruppen, die alle einen Betalaktam-Ring aufweisen. Die
einzelnen Gruppen der Betalaktam-Antibiotika unterscheiden sich durch die
Ringstruktur, die am Betalaktam-Ring ansetzt (bei Penicillinen ist es z.B. ein
fünfgliedriger, bei Cephalosporinen ein sechsgliedriger Ring), und durch die
Seitenketten an diesem Ring (Abb. 33.6).

1048
Abb. 33.5 Peptidoglykan-Synthese.

Der komplexe Prozess beginnt im Zytoplasma, setzt sich durch die


Zytoplasmamembran hindurch weiter fort und führt zur Anlagerung neuer
Bausteine an die wachsende Peptidoglykankette der Zellwand. Diesen
Syntheseweg können antibakterielle Wirkstoffe an mehreren Stellen hemmen.
Während nicht genau bekannt ist, wie Glykopeptide (wie Vancomycin) die
Synthese hemmen, ist der Wirkmechanismus von Betalaktamen inzwischen
vollständig aufgeklärt worden (s. Text). NAG = N-Acetyl-Glucosamin, NAM = N-
Acetyl-Muraminsäure, UDP = Uridindiphosphat

PBP sind Membranproteine (z.B. Carboxypeptidasen, Transglykosylasen,


Transpeptidasen), die Penicillin binden können – daher PBP – und die abschließende
Quervernetzung der Zellwandstrukturen von Bakterien sicherstellen. Wird eines oder
mehrere dieser wichtigen Enzyme gehemmt, kommt es zur Anhäufung von Vorstufen
der Wandbausteine, durch die die Autolyse der Zelle aktiviert und damit ihre
Zerstörung (Zytolyse) eingeleitet wird (Abb. 33.7).

Die meisten Betalaktame müssen parenteral


verabreicht werden

1049
Neben den mehrheitlich intramuskulär oder intravenös zu injizierenden Betalaktamen
gibt es einige oral zu verabreichende Wirkstoffe. Da die Blut-Hirn-Schranke bei
Hirnhautentzündung durchlässiger wird, lassen sich bei Meningitis meist
therapeutische Wirkstoffkonzentrationen im Liquor erzielen. Gegen intrazelluläre
Erreger sind Betalaktame im Allgemeinen unwirksam.

Cephalosporine (wie etwa Cefotaxim) werden vereinzelt zu Produkten mit


schwächerer mikrobiologischer Wirkung abgebaut. Alle Betalaktame werden im Urin
ausgeschieden – manche sogar ziemlich rasch (z.B. Benzylpenicillin) – daher sind
häufigere Dosen nötig. Durch gleichzeitige Zufuhr von Probenecid lässt sich die
Ausscheidung verlangsamen, um über längere Zeit höhere Blut- und Gewebespiegel
aufrechtzuerhalten.
Abb. 33.6 Familie der Betalaktam-Antibiotika.

Um eine antibakterielle Wirkung zu entfalten, muss die allen Betalaktamen


gemeinsame Ringstruktur intakt sein. Betalaktamasen sind Enzyme, die die
Betalaktam-Bindung hydrolytisch spalten und damit inaktivieren. Wichtigste
Klassen der Betalaktam-Antibiotika sind Penicilline und Cephalosporine, doch bei

1050
Neuentwicklungen stehen andere Vertreter (besonders Carbapeneme und
Monobactame) im Mittelpunkt des Interesses.

Betalaktame haben unterschiedliche


Anwendungsgebiete (Indikationen), sind aber
unwirksam bei Bakterien ohne Zellwand
Zum klinischen Gebrauch ist ein riesiges Aufgebot von Betalaktam-Antibiotika
zugelassen. Einige (wie Penicillin) sind hauptsächlich gegen Gram-positive Erreger
wirksam, während andere (z.B. halbsynthetische Penicilline, Carboxypeneme,
Monobactame, Cephalosporine der 3./4. Generation) ihre Aktivität überwiegend gegen
Gram-negative Stäbchen entwickeln. Nur neuere Betalaktame zeigen auch bei
natürlich resistenteren Keimen wie Pseudomonas aeruginosa Wirkung (Tab. 33.5).

Es ist wichtig, daran zu denken, dass Betalaktame unwirksam sind, wenn Bakterien
keine Zellwand (z.B. Mykoplasmen) oder eine nahezu undurchlässige Zellwand haben
(wie Mykobakterien) oder wenn es sich um intrazelluläre Erreger handelt (Brucellen,
Legionellen und Chlamydien).

Betalaktam-Resistenz

Resistenz durch Veränderungen am Angriffsbzw.


Wirkort
Methicillin-resistente Staphylokokken (wie S. aureus/MRSA oder S.
epidermidis/MRSE) synthetisieren ein zusätzliches PBP, das Betalaktame mit sehr
viel geringerer Affinität bindet als die normalen PBP und daher die
Zellwandsynthese trotz Hemmung der anderen PBP fortsetzen kann.

Das zusätzliche PBP wird von einem Gen (mecA) kodiert, das zwar im Chromosom
sämtlicher Zellen einer resistenten Bakterienpopulation vorhanden ist, aber offenbar
nur bei einem bestimmten Prozentsatz transkribiert wird. Dieses Phänomen ist als
„heterogene Resistenz“ bekannt. Um die Expression zu verstärken und diese
Resistenz nachzuweisen, werden im Labor Spezialkulturen angewandt. Methicillin-
resistente Staphylokokken sind auch gegen alle anderen Betalaktam-Antibiotika
resistent. Die meisten Stämme bilden auch Betalaktamasen (s. unten).

Je nach Wirkstoff können auch Keime wie Streptococcus pneumoniae, Neisseria


gonorrhoeae und Haemophilus influenzae eine Betalaktam-Resistenz aufgrund von
PBP-Veränderungen entwickeln.

Resistenz durch erschwerte Zugänglichkeit


Dieser Mechanismus ist vor allem bei Gram-negativen Bakterien anzutreffen, bei
denen Betalaktame durch Proteinkanäle (Porine) in der Außenhülle diffundieren
müssen, um zu ihrem PBP-Ziel zu gelangen. Wenn sich infolge einer Porin-
Genmutation die Durchlässigkeit der Außenhülle verringert, erhöht sich
dementsprechend die Resistenz. Auf diesem Weg resistent gewordene Stämme

1051
weisen oft eine Kreuzresistenz gegen nicht verwandte Antibiotika auf, die ebenfalls
Porine als Zugang benutzen.

Resistenz durch Betalaktamase-Bildung


Betalaktamasen sind katalytische Enzyme, die durch Hydrolyse des Betalaktam-
Rings die Wirkstoffe zu mikrobiologisch inaktiven Produkten abbauen. Im
Bakterienreich finden sich verbreitet solche enzymkodierenden Gene, die auf
Chromosomen oder Plasmiden lokalisiert sein können.

Da Gram-positive Bakterien ihre Betalaktamasen nach extrazellulär freisetzen


(Abb. 33.7a), manifestiert sich ihre Resistenz erst ab einer größeren Keimzahl.
Dagegen verbleiben die Betalaktamasen Gram-negativer Bakterien im Periplasma
(Abb. 33.7b).

Bislang wurden schon Hunderte Betalaktamase-Enzyme beschrieben, die alle


dieselbe Funktion erfüllen, aber unterschiedliche Aminosäuresequenzen haben, von
denen ihre Affinität zu den jeweiligen Betalaktam-Substraten beeinflusst wird.
Manche Enzyme greifen gezielt Penicilline oder Cephalosporine an, während andere
besonders wirksam sind, weil sie auf breiter Front fast alle Betalaktam-Antibiotika
attackieren („Extended-spectrum“-Betalaktamasen, ESBL).

1052
Abb. 33.7 Rolle der PBP.

Penicillin-bindende Proteine (PBP) spielen eine Schlüsselrolle im Endstadium


der Peptidoglykansynthese, da sie die Quervernetzung der Untereinheiten

1053
katalysieren, bevor sie in die Zellwand eingebaut werden. Betalaktame können in
Bakterienzellen eindringen (z.B. durch Poren in der Außenhülle Gram-negativer
Bakterien) und an die PBP binden, so dass die Quervernetzung der
Wandbausteine nicht mehr katalysiert wird; stattdessen häufen sich die
Wandbausteine in der Bakterienzelle an und bewirken die Freisetzung
autolytischer Enzyme, die zur Zytolyse führen. Im periplasmatischen Raum
Gram-negativer Bakterien (b) können Betalaktame durch Betalaktamasen
inaktiviert werden, bevor sie ihr Ziel-PBP erreichen; daher ist die Zelle vor der
Antibiotikawirkung geschützt. Alternativ scheitert die Bindung von
Betalaktamen, weil PBP-Mutanten vorliegen, so dass die Peptidoglykansynthese
doch abgeschlossen werden kann. Bei Gram-positiven Bakterien (a) können
Betalaktam-Antibiotika entweder extrazellulär von Betalaktamasen zerstört oder
– wie bei Gram-negativen Bakterien – durch PBP-Mutanten unwirksam werden.

Einige Betalaktam-Antibiotika wie Cloxacillin, Ceftazidim oder Imipenem sind


Betalaktamase-fest (d.h. nur von ganz wenigen Enzymen hydrolysierbar), andere
(z.B. Ampicillin) dagegen sehr viel labiler. Betalaktamase-Hemmer wie
Clavulansäure (Abb. 33.8) sind Moleküle mit einem Betalaktam-Ring und agieren,
indem sie an Betalaktamasen binden, um deren zerstörerische Wirkung auf
Betalaktame zu verhindern. Selbst entfalten sie nur eine schwache bakterizide
Aktivität.

Nebenwirkungen

Toxische Effekte der Betalaktam-Antibiotika sind


leichte Ausschläge und
Überempfindlichkeitsreaktionen vom Soforttyp
Statistisch lässt sich eine Betalaktam-Allergie schwer fassen, weil meist nur
subjektive Angaben von Patienten vorliegen, die das Problem oft fälschlich
„diagnostizieren“. Dennoch dürften schwere allergische Reaktionen (Typ-1-
Hypersensitivität vom Sofforttyp) bei 0,5–2% der Patienten auftreten, während
anaphylaktische Reaktionen viel seltener sind (ca. 0,002% der Behandelten).
Häufiger kommen leichte idiopathische Reaktionen – gewöhnlich Ausschlag – auf
Betalaktam-Antibiotika vor (in ca. 25% der Fälle), vor allem bei Ampicillin.

1054
Tab. 33.5 Repräsentative Auswahl von
Betalaktamen.

Patienten mit Penicillinallergie reagieren oft auch auf Cephalosporine allergisch


(oder umgekehrt), vielleicht etwas weniger bei Cephalosporinen der 3. Generation.
Nur Aztreonam, ein Monobactam, zeigt eine vernachlässigbar geringe
Kreuzreaktivität.

Benzylpenicillin kann – besonders bei Patienten mit Niereninsuffizienz – in hohen


Dosen neurotoxisch wirken. Das äußert sich in Anfällen, Bewusstlosigkeit,
Myoklonien und Halluzinationen. Carbenicillin kann zu Thrombozytenfunktions-
/Gerinnungsstörungen und zu einer Hypernatriämie führen (da es in Form von
Natriumsalzen zugeführt wird), vor allem bei Patienten mit Leber-, Nieren- oder
Herzinsuffizienz.

1055
Abb. 33.8 Betalaktamase-Hemmer und
Kombinationspräparate.

Clavulansäure ist ein Produkt von Streptomyces clavuligerus, das viele der
üblichen Betalaktamasen (z.B. TEM-Enzyme) hemmt bzw. es Amoxicillin
ermöglicht, die bakterielle Produktion dieser Enzyme zu verhindern. Als
Präparat mit beiden Wirkstoffen wird am häufigsten Augmentan eingesetzt.
Verfügbar sind auch Kombinationen mit Ticarcillin und Clavulansäure sowie mit
Piperacillin und Tazobactam.

33.6.2 Glykopeptide

Glykopeptide sind Makromoleküle und greifen auf


einer früheren Synthesestufe ein als Betalaktame
Die beiden Glykopeptide Vancomycin und Teicoplanin sind sehr große Moleküle
und haben daher Schwierigkeiten, in Gram-negative Bakterienzellen einzudringen.
Teicoplanin ist ein natürlicher Komplex aus fünf unterschiedlichen, aber eng
verwandten Molekülen.

Glykopeptide wirken bakterizid und greifen in die Zellwandsynthese ein, indem sie
das terminale D-Alanin-D-Alanin-Ende der Pentapeptidketten besetzen, die ein
struktureller Bestandteil der wachsenden Bakterienzellwand sind (Abb. 33.5). Durch
diese Bindung wird die Transglykosylierungsreaktion gehemmt und verhindert, dass
neue Untereinheiten in die wachsende Zellwand eingebaut werden. Da Glykopeptide
auf einer früheren Stufe der Zellwandsynthese eingreifen als Betalaktame, ist es nicht
sinnvoll, Infektionen kombiniert mit beiden Mitteln zu behandeln.

1056
Bei systemischen Infektionen müssen Vancomycin
und Teicoplanin als Injektion verabreicht werden
Vancomycin und Teicoplanin werden nicht aus dem Gastrointestinaltrakt resorbiert
und sind normalerweise auch nicht liquorgängig. Doch bei Meningitis können meist
bakterizide Wirkstoffkonzentrationen erreicht werden, weil die Blut-Hirn-Schranke
dann durchlässiger ist. Glykopeptide werden über die Nieren ausgeschieden.

Vancomycin und Teicoplanin sind nur gegen Gram-


positive Keime wirksam
Zum Einsatz kommen sie hauptsächlich bei

■ Infektionen durch Gram-positive Kokken und Stäbchen, die gegen Betalaktame


resistent sind (besonders multiresistente Keime wie Staphylococcus aureus und S.
epidermidis);

■ Patienten mit Betalaktam-Allergie;

■ antibiotikaassoziierter Kolitis (durch Clostridium difficile); orale


Verabreichung; allerdings werden zunehmend häufiger andere Mittel eingesetzt,
seitdem Glykopeptide im Verdacht stehen, die Entwicklung resistenter
Enterokokken in der Darmflora zu fördern.

Glykopeptid-Resistenz

Einige Bakterien sind intrinsisch resistent


Wie schon erwähnt, verleiht die äußere Hülle Gram-negativen Bakterien eine
natürliche Resistenz gegen Glykopeptide, weil die Moleküle zu groß sind, um durch
die äußere Membran zu den Peptidoglykanen vorzudringen. Andere Erreger schützen
sich durch Veränderungen am Angriffsziel der Glykopeptide, indem ihre
Pentapeptidketten mit D-Alanin-D-Laktat (z.B. Erysipelothrix, Leuconostoc,
Lactobacillus und Pediococcus) oder mit D-Alanin-D-Serin enden (z.B. Enterococcus
gallinarum, Enterococcus casseliflavus).

Resistenz gegen Glykopeptide kann sich auch erst


entwickeln
Historisch betrachtet ist die Glykopeptid-Resistenz, die sich bei Vancomycin-
resistenten Enterokokken (VRE) wie Enterococcus faecium und Enterococcus
faecalis entwickelt hat und 1986 von Forschern in Großbritannien zum ersten Mal
beobachtet wurde, klinisch am wichtigsten. Seit der Zeit sind mehrere resistente
Phänotypen beschrieben worden, die sich aufgrund der Übertragbarkeit
(plasmidgebunden), Induzierbarkeit und Ausprägung ihrer Resistenz unterscheiden
lassen (Tab. 33.6). Eine besonders starke Glykopeptid-Resistenz ist mit den Genen
VanA, VanB und vanD verbunden; eine von ihnen kodierte Ligase führt zu
Pentapeptiden mit endständigem D-Alanin-D-Laktat.

1057
Am besten wird die Resistenzentwicklung durch VanA
verstanden
Die Glykopeptid-Resistenz vom Typ VanA wurde besonders ausgiebig untersucht und
ist dadurch gekennzeichnet, dass sich eine High-Level-Resistenz gegen Vancomycin
und Teicoplanin induzieren lässt. VanA ist mit transponierbaren

Tab. 33.6 Merkmale der Glykopeptid-Resistenz von Enterokokken.


Elementen assoziiert, die mit Tn1546 (ca. 11 kb groß) verwandt sind und sich
ursprünglich im Chromosom oder auf Plasmiden (daher transferierbar) befunden
haben können.

Durch VanB wird eine High-Level-Resistenz gegen Vancomycin, nicht aber gegen
Teicoplanin induziert (allerdings kann nach vorausgegangener Exposition mit
Vancomycin auch eine Teicoplanin-Resistenz entstehen). Die chromosomal oder
plasmidvermittelte VanB-Resistenz ist mit einem sehr großen (34 kb) Transposon
verbunden, mit Tn1549.

VanD ist ans Chromosom gebunden (daher nicht übertragbar) und bewirkt eine
konstitutive Resistenz gegen hohe Vancomycin- und niedrige Teicoplanin-
Konzentrationen.

Die Glykopeptid-Resistenz von Staphylokokken ist


mutationsbedingt oder von Enterokokken erworben
Von den koagulasenegativen Staphylokokken neigen besonders S. epidermidis und S.
haemolyticus zur Resistenzentwicklung, wobei die Mechanismen noch nicht ganz klar
sind. Trotzdem ließ sich an resistenten klinischen und im Labor erzeugten Isolaten
aufzeigen, dass sie sich in vielfältiger Weise von ihren (Glykopeptid-)empfindlichen
Gegenstücken unterscheiden, etwa in Bezug auf die veränderte Glykopeptid-
Bindungskapazität, Membranproteine, Zellwandsynthese und Zusammensetzung.

Dass koagulasepositive Staphylokokken (wie S. aureus) schwächer auf


Glykopeptide ansprechen, ohne völlig resistent zu sein, hatten japanische Forscher
1996 zum ersten Mal beschrieben. Die begrenzte Empfindlichkeit sog. VISA bzw.
GISA (vancomycin- bzw. glycopeptide-intermediate S. aureus) kann homogen oder
heterogen zur Expression kommen. In beiden Fällen ist diese Resistenz aber nicht mit
VanA, VanB oder VanD assoziiert, sondern stattdessen scheinen Resistenzfaktoren

1058
beteiligt zu sein, die sich auf die Zusammensetzung der Zellwand auswirken (z.B. die
Wanddicke verstärken).

Leider lässt sich eine hochgradige Glykopeptid-Resistenz auch schon bei S. aureus
beobachten. Sie scheint auf einem (offensichtlich von Vancomycin-resistenten
Enterokokken erworbenen) VanA-Gen zu beruhen, das sich auf einem
Staphylokokken-Plasmid befindet.

Nebenwirkungen

Glykopeptide sind potenziell oto- und nephrotoxisch


Vancomycin wird gewöhnlich intravenös infundiert, muss aber sehr langsam laufen,
um das „Red Man“-Syndrom durch Histaminfreisetzung zu verhindern. Besonders
bei Niereninsuffizienz ist die Infusion sorgfältig zu überwachen, um toxische
Spiegel zu vermeiden. Zur Behandlung einer antibiotikaassoziierten
pseudomembranösen Kolitis durch Clostridium difficile wird Vancomycin oral
verabreicht. Teicoplanin ist weniger toxisch als Vancomycin und kann als
intravenöser Bolus oder intramuskulär injiziert werden.

33.7 Proteinsynthesehemmer
Obwohl die Proteinsynthese von Eu- und Prokaryonten im Wesentlichen in ähnlichen
Schritten abläuft, lässt sich durch Ausnutzen der Unterschiede (z.B. 70S- statt 80S-
Ribosom) eine selektive Toxizität erreichen. Die Translation der Messenger-RNA
(mRNA) in ihre entsprechende Peptidkette ist ein komplexer Prozess, den man mit einer
Reihe antibakterieller Mittel hemmen kann, auch wenn die Wirkmechanismen noch nicht
in allen Einzelheiten aufgeklärt sind (Abb. 33.9).

1059
33.7.1 Aminoglykoside

Aminoglykoside sind eine Familie verwandter


Substanzen mit bakterizider Wirkung
Aminoglykoside enthalten entweder Streptidin (Streptomycin) oder 2-
Desoxystreptamin (z.B. Gentamicin, Tab. 33.7). Durch eine chemische Modifikation
der ursprünglichen Strukturen (Seitenkettenaustausch) konnten Wirkstoffe wie
Amikacin und Netilmicin hergestellt werden, die auch noch bei Keimen wirken, die
gegen ältere Aminoglykoside resistent geworden sind.

Durch ihre Bindung an spezifische Proteine der ribosomalen 30S-Untereinheit


verdrängen Aminoglykoside die Formylmethionyl-Transfer-RNA (fmet-tRNA) von
den Ribosomen-Bindungsstellen (Abb. 33.9) und verhindern so, dass sich
Initiationskomplexe bilden können, mit denen die Proteinsynthese startet. Hinzu
kommt, dass Aminoglykoside ein fehlerhaftes Lesen der mRNA-Kodons und das
Auseinanderbrechen funktionell wichtiger Polysomen (mehrere Ribosomen, die sich
zur Proteinsynthese in Tandems an ein einzelnes mRNA-Molekül heften) in
funktionslose Monosomen bewirken.

Zur systemischen Infektionsbehandlung müssen


Aminoglykoside intravenös oder intramuskulär
verabreicht werden
Aminoglykoside werden nicht aus dem Darm resorbiert, verteilen sich nicht besonders
gut in Knochen und Geweben und sind auch nicht liquorgängig, da sie die Blut-Hirn-
Schranke nicht überwinden können. Daher werden sie gewöhnlich intravenös
verabreicht. Bei tuberkulöser Meningitis wird eine intrathekale Applikation von
Streptomycin durchgeführt, und bei einer Säuglingsmeningitis (Gram-negative Keime)
kann Gentamicin auf diesem Weg verabreicht werden. Aminoglykoside werden über
die Nieren ausgeschieden.

Schwere Infektionen durch Gram-negative Erreger


werden mit Gentamicin und neueren
Aminoglykosiden behandelt
Bei schweren Infektionen durch Gram-negative Bakterien wie P. aeruginosa (Tab.
33.8) sind Gentamicin, Tobramycin, Amikacin und Netilmicin wichtig für die
Therapie. Aminoglykoside sind nicht wirksam gegen Streptokokken oder Anaerobier,
besitzen jedoch Aktivität gegenüber Staphylokokken. Bei P. aeruginosa scheint
Tobramycin etwas besser als Gentamicin zu wirken. Amikacin und Netilmicin sind
beide schwächer wirksam, können aber gegen Stämme mit Gentamicin- und
Tobramycin-Resistenz unter Umständen erfolgreich eingesetzt werden (s. unten).
Abb. 33.9 Syntheseweg eines neuen
Bakterienproteins mit den Angriffspunkten für
antibakterielle Mittel.

1060
Die äußerst komplexen Abläufe hierbei sind noch immer nicht ganz aufgeklärt.
Hier können unterschiedliche Wirkstoffgruppen über spezifische Reaktionen mit
Proteinen ihre hemmende Wirkung auf die Synthese entfalten. Unterschieden
werden sie nach Gruppen, die auf die 30S-Untereinheit (z.B. Aminoglykoside und
Tetrazykline) bzw. auf die 50S-Untereinheit des Ribosoms (z.B. Chloramphenicol,
Lincosamide, Erythromycin und Fusidinsäure) einwirken.fmet-tRNA =
Formylmethionin-Transfer-RNA

1061
Streptomycin bleibt inzwischen fast ausschließlich der Therapie mykobakterieller
Infektionen vorbehalten. Neomycin wird nicht systemisch angewandt, kann aber oral
z.B. bei neutropenischen Patienten zur Darmdekontamination eingesetzt werden.

Hauptursache der Aminoglykosid-Resistenz sind


Aminoglykosid-modifizierende Enzyme
Obwohl es eher selten vorkommt, kann sich eine Resistenz gegen Aminoglykosid-
Antibiotika entwickeln, wenn ihr Angriffspunkt, das ribosomale 30S-Protein,
verändert wird (Austausch einer einzigen Aminosäure im p12-Protein kann z.B. die
Streptomycin-Bindung verhindern). Auch eine geringere Durchlässigkeit der Zellwand
oder Veränderung im energieabhängigen Transport durch die Zytoplasmamembran
kann zur Resistenz führen.

T
Tab. 33.7 Chemische Gruppenstruktur der Aminoglykoside.
*
-micine stammen von Micromonospora-Spezies ab
**
mycine stammen von Streptomyces-Spezies ab

Der wichtigste (erworbene) Resistenzfaktor sind aber Aminoglykosid-modifizierende


Enzyme (Abb. 33.10). Deren Gene stammen oft von Plasmiden und befinden sich auf
Transposons, so dass sie von einer Bakterienspezies zur nächsten übertragen werden
können. Durch strukturelle Veränderungen der Moleküle können diese Enzyme

1062
Aminoglykosid-Antibiotika unwirksam machen (inaktivieren). Das Resistenzspektrum
eines Erregers hängt von der Art des Enzyms ab.

Aminoglykoside sind potenziell oto- und


nephrotoxisch
Zwischen den für eine erfolgreiche Behandlung erforderlichen (therapeutischen) bzw.
toxischen Aminoglykosid-Serumkonzentrationen besteht nur ein schmales
therapeutisches Fenster. Daher sollten die Blutspiegel regelmäßig überwacht
werden, besonders bei Patienten mit Niereninsuffizienz. Netilmicin gilt als eines der
weniger toxischen Aminoglykosid-Antibiotika.

Tab. 33.8 Indikationen für eine Aminoglykosidtherapie.


*
es sollte jede Anstrengung unternommen werden, die genaue Ursache
festzustellen

33.7.2 Tetrazykline

1063
Tetrazykline sind bakteriostatische Mittel, die sich
mehr durch ihre pharmakologischen Eigenschaften
als durch ihr Wirkspektrum unterscheiden
An den großen ringförmigen Strukturen der Tetrazykline bietet sich an mehreren
Stellen die Möglichkeit für chemische Substitutionen (Abb. 33.11).

Tetrazykline hemmen die Proteinsynthese, indem sie sich an die kleine ribosomale
Untereinheit binden und auf diese Weise verhindern, dass die Aminoacyl-Transfer-
RNA die Akzeptorstellen des Ribosoms besetzen kann (Abb. 33.9). Dieser Vorgang
kann sich zwar an Ribosomen sowohl eukaryoter wie prokaryoter Zellen abspielen,
doch die selektive Wirkung der Tetrazykline kommt durch ihre stärkere Aufnahme in
Prokaryonten zustande.

Tetrazykline werden im Allgemeinen oral verabreicht. Da Doxycyclin und


Minocyclin besser (vollständiger) resorbiert werden als Tetracyclin, Oxytetracyclin
und Chlortetracyclin, lassen sich höhere Serumspiegel bei geringeren
gastrointestinalen Beschwerden erreichen, weil die normale Darmflora weniger stark
beeinträchtigt wird. Tetrazykline verteilen sichgut im Gewebe und dringen auch in
Wirtszellen ein, so dass sie das Wachstum intrazellulärer Bakterien hemmen
können. Ausgeschieden werden sie primär in Galle und Urin.
Abb. 33.10 Prototyp der Aminoglykosid-Struktur:

1064
Aminohexosen sind glykosidisch mit einem zentralen 2-Desoxystreptamin-
Kerngerüst verbunden. An den Hydroxyl- und Aminogruppen können
Aminoglykoside durch Phosphorylierung, Adenylierung oder Acetylierung
inaktiviert werden, wenn resistente Stämme die entsprechenden katalysierenden
Enzyme produzieren.

Trotz ihrer Wirksamkeit gegen ein breites


Bakterienspektrum sind Tetrazykline wegen der
verbreiteten Resistenz nur beschränkt einsetzbar
Tetrazykline kommen bei Mykoplasmen-, Chlamydien- und Rickettsien-
Infektionen zum Einsatz. Andere Bakterien sind oft resistent geworden, was zum Teil
an der weit verbreiteten Anwendung von Tetrazyklinen bei Menschen, zum Teil aber
auch an ihrer Beimischung zum Tierfutter (als wachstumsfördernde Zusätze) liegt. Die
Resistenzgene werden von einem Transposon übertragen und führen unter einer
Tetrazyklinbehandlung zur Synthese neuer Zytoplasmamembranproteine. Mit der
Folge, dass Tetrazykline aus resistenten Zellen herausgepumpt werden (positiver
Effluxmechanismus).

1065
In der Schwangerschaft und bei Kindern unter acht
Jahren sollten Tetrazykline nicht angewandt werden
Da sie die normale Darmflora schädigen, können Tetrazykline gastrointestinale
Störungen mit Diarrhoen auslösen und eine Überwucherung durch resistente oder
pathogene Bakterien (wie S. aureus) und Pilze (z.B. Candida) begünstigen.

Bei Feten und Kindern können Knochenentwicklungsstörungen und eine


Braunfärbung der Zähne durch Tetrazykline verursacht sein. Bei systemischer
Therapie besteht die Gefahr einer Leberschädigung.

1066
Abb. 33.11 An den vier Ringen der Tetrazyklin-
Moleküle gibt es fünf verschiedene Stellen für eine
Substitution.

So entsteht durch unterschiedliche Substituenten an unterschiedlichen Stellen eine


Molekülfamilie, deren Mitglieder sich stärker durch ihre pharmakologischen
Eigenschaften als durch ihr Wirkspektrum unterscheiden.

33.7.3 Chloramphenicol

Chloramphenicol hat ein Nitrobenzen-Kerngerüst und


wirkt bakteriostatisch (durch verhinderte Synthese
von Proteinbindungen)
Chloramphenicol hat eine relativ einfache Molekülstruktur mit einem Nitrobenzen-
Kern, der für bestimmte toxische Arzneimittelwirkungen verantwortlich ist (s. unten).
Keins der verschiedenen Chloramphenicol-Derivate kommt klinisch verbreitet zum
Einsatz.

Mit seiner Affinität zur großen (50S-)Untereinheit von Ribosomen schaltet


Chloramphenicol die Peptidyltransferase-Aktivität aus und verhindert so die
Synthese von Proteinbindungen (Abb. 33.9). Dass es auch bei Menschen
mitochondriale Ribosomen (70S) hemmen kann, könnte zur dosisabhängigen
Knochenmarktoxizität von Chloramphenicol beitragen ( unten).

1067
Chloramphenicol wird nach oraler Gabe gut resorbiert, kann aber Patienten, die per
os nichts zu sich nehmen können, i.v. injiziert werden. Topische Präparate sind
ebenfalls erhältlich. Chloramphenicol verteilt sich gut im Körper und dringt in
Wirtszellen ein. Durch Konjugation mit Glukuronsäure wird es in der Leber abgebaut
und dann in mikrobiologisch inaktiver Form über die Nieren ausgeschieden.

Salmonella-typhi-Infektionen waren lange die


Hauptindikation für Chloramphenicol, doch Resistenz
schränkt den Einsatz heute ein
Da sich ausreichende Wirkspiegel im Liquor erreichen lassen, kam Chloramphenicol
bei bakterieller Meningitis (besonders durch H. influenzae) zur Anwendung.
Augeninfektionen werden mit topischen Zubereitungen behandelt. Chloramphenicol
ist zwar gegen eine Vielzahl von Bakterien wirksam (Gram-positive und -negative,
Aerobier und Anaerobier, intrazelluläre Erreger), aber auch hoch toxisch (s. unten).
Probleme wie Nebenwirkungen und Resistenz haben dazu geführt, dass
Chloramphenicol – zumindest in den Ländern, die über alternative Mittel verfügen –
kaum noch systemisch angewandt wird.

Eine Chloramphenicol-Resistenz entwickelt sich am häufigsten auf enzymatischem


Wege; da die Inaktivierung des Wirkstoffs plasmidvermittelt erfolgt, kann sich die
Resistenz in einer Gram-negativen Bakterienpopulation leicht weiter verbreiten.
Obwohl sich die von resistenten Bakterien erzeugten Chloramphenicol-
Acetyltransferasen (Abb. 33.12) intrazellulär befinden, können sie sämtliches
Chloramphenicol in der unmittelbaren Umgebung von Bakterienzellen inaktivieren.
Acetyliertes Chloramphenicol kann nicht mehr an sein ribosomales Ziel binden.

Knochenmarktoxizität ist die wichtigste


Nebenwirkung von Chloramphenicol
Nitrobenzen führt zu einer Knochenmarkdepression (Myelosuppression) und das
strukturell ähnliche Chloramphenicol hat die gleiche Wirkung. Die
Knochenmarktoxizität kann in zweierlei Form in Erscheinung treten:

■ als dosisabhängige Knochenmarkdepression nach längerer Gabe von


Chloramphenicol (nach Beendigung der Therapie reversibel) oder

■ als idiosynkratische Reaktion, die dosisunabhängig eine irreversible


aplastische Anämie verursacht. Das kann selbst nach Beendigung der Therapie noch
auftreten, ist aber zum Glück sehr selten (ca. 1/30000 Patienten).
Abb. 33.12 Chloramphenicol-Resistenz.

1068
Einige Bakterien entwickeln Resistenz gegen Chloramphenicol, indem sie ein
Enzym (Chloramphenicol-Acetyltransferase) bilden, das die Bindung weiterer
Acetylgruppen an das Chloramphenicol-Molekül katalysiert. Die in zwei Schritten
ablaufende Reaktion führt zur inaktiven acetylierten Form von Chloramphenicol.

Chloramphenicol ist auch für Neugeborene toxisch und kann vor allem bei
Frühgeborenen, deren Leberenzymsystem noch unterentwickelt ist, zu einem „Gray-
Baby-Syndrom“ führen. Daher müssen die Chloramphenicol-Serumkonzentrationen
bei Neugeborenen engmaschig überwacht werden.

33.7.4 Makrolide, Lincosamide, Streptogramine


Die Ribosomen-Bindungsstellen dieser drei antibakteriellen Wirkstoffgruppen
überlappen sich, und eine Makrolid-Resistenz betrifft meist auch die beiden anderen
Substanzgruppen. Klinisch sind Erythromycin (ein Makrolid) und Clindamycin (ein
Lincosamid) am wichtigsten.

Makrolide

1069
Erythromycin ist das Makrolid mit den breitesten
Einsatzmöglichkeiten und verhindert die Freisetzung
von Transfer-RNA aus Peptidbindungen
Makrolide sind große, ringförmige Moleküle mit einem makrozyklischen Lacton-
Ring (Abb. 33.13), die alle bakteriostatisch wirken. Noch ist Erythromycin das
bekannteste und am breitesten anwendbare Makrolid, doch neuere Mittel (wie
Azithromycin und Clarithromycin) mit verbesserter Pharmakokinetik und
Wirksamkeit könnten es bei bestimmten Indikationen bald ersetzen. Spiramycin, ein
weiteres Makrolid, wird fast ausschließlich zur Behandlung der Kryptosporidiose
und zur Prävention der kongenitalen Toxoplasmose eingesetzt.
Abb. 33.13 Makrolide sind antibakterielle
Wirkstoffe, deren relativ große Molekülstruktur aus
14-, 15- oder 16-gliedrigen Ringen besteht.

Erythromycin ist das älteste Mittel und wird sehr breit angewandt, doch die
Entwicklung neuer Mittel mit verbesserter Wirksamkeit und geringeren
Nebenwirkungen geht weiter.

Erythromycin bindet an die 23S-ribosomale RNA (rRNA), die sich in der 50S-
Untereinheit des Ribosoms befindet, und blockiert dadurch den

1070
Translokationsschritt der Proteinsynthese; daher wird nach Bildung der
Peptidbindungen keine Transfer-RNA freigesetzt (Abb. 33.9).

Erythromycin wird meist oral verabreicht, kann aber bei Bedarf auch i.v. injiziert
werden. Es verteilt sich gut im Körper und kann in Säugetierzellen auch bis zu
intrazellulären Erregern vordringen. In der Leber gebildete Wirkstoffkonzentrate
werden in die Galle ausgeschieden und ein kleinerer Teil der Dosis kann im Urin
nachweisbar sein.

Bei Streptokokkeninfektionen kann Erythromycin


eine Alternative zu Penicillin sein, doch resistente
Stämme treten zunehmend häufiger auf
Mit seiner Aktivität gegen Gram-positive Kokken (Streptokokkeninfektion) stellt
Erythromycin eine wichtige Alternative für die Behandlung von Patienten mit
Penicillinallergie dar. Es wirkt nicht nur gegen Legionella pneumophila und
Campylobacter jejuni, sondern ist außerdem gegen Mykoplasmen, Chlamydien und
Rickettsien aktiv – und daher ein wichtiges Medikament zur Behandlung atypischer
Pneumonien und urogenitaler Chlamydieninfektionen.

Für die Resistenzentwicklung sind in erster Linie plasmidkodierte Gene (mef oder
erm), ein Effluxmechanismus oder eine Veränderung an der 23S-rRNA-
Bindungsstelle (durch Methylierung von zwei RNA-Adeninnukleotiden)
verantwortlich. Das Enzym Methylase kann entweder induzierbar oder konstitutiv
exprimiert sein. Resistenz wird zwar eher durch Erythromycin als durch
Lincosamide erzeugt, doch da resistente Stämme auch gegen Lincomycin und
Clindamycin resistent sind, spricht man von „MLS-(Makrolid-Lincosamid-
Streptogramin)-Resistenz“.

Wie leicht eine Resistenz induzierbar ist, hängt jeweils von der Bakterienspezies ab;
resistente Stämme kommen aber besonders bei Gram-positiven Kokken (Staphylo-
und Streptokokken) vor. Im Unterschied zur Methylierung wirkt sich der gesteigerte
Efflux nur auf Makrolide aus, ohne auch gegen Lincosamide oder Streptogramine
resistent zu machen.

1071
Erythromycin ist relativ nebenwirkungsarm (kaum
toxisch)
Bei einer beträchtlichen Zahl von Patienten treten nach oraler Einnahme von
Erythromycin Übelkeit und Erbrechen auf. Einige Präparate können zu Gelbsucht
führen.

Lincosamide

Clindamycin verhindert die Bildung von


Peptidbindungen
Clindamycin ist ein chloriertes Lincomycin-Derivat mit stärkerer Aktivität und das
wichtigste Medikament dieser Klasse.

Da Lincosamide ähnlich wie Erythromycin an die 50S-Untereinheit von Ribosomen


binden und die Proteinsynthese hemmen (Abb. 33.9), kann es zu der oben erwähnten
kombinierten MLS-Resistenz kommen. Ihre selektive Toxizität beruht darauf, dass
sie nicht an die entsprechende ribosomale Untereinheit von Säugetierzellen binden
können.

Clindamycin wird meist oral verabreicht, kann aber auch (i.v. oder i.m.) injiziert
werden und dringt gut in Knochengewebe ein. Es ist aber nicht liquorgängig, nicht
einmal bei einer Hirnhautentzündung. Clindamycin wird in polymorphkernigen
Leukozyten und Makrophagen zur Leber transportiert und dort metabolisiert. Die
Abbauprodukte zeigen unterschiedliche antibakterielle Wirksamkeit, und manchmal
kann die Aktivität noch bis zu fünf Tage nach einer Clindamycin-Dosis im Stuhl
nachwirken.

Clindamycin hat ein ähnliches Wirkspektrum wie


Erythromycin
Bei Gram-positiven (z.B. Clostridien) und Gram-negativen Anaerobiern (z.B.
Bacteroides) ist Clindamycin weitaus stärker wirksam als Erythromycin. Nur
Clostridium difficile ist oft resistent und kann aufgrund der Selektion im Darm zu
einer pseudomembranösen Kolitis führen (s. unten). Seine Wirksamkeit gegen S.
aureus und seine Knochengängigkeit machen Clindamycin zu einem wertvollen
Therapiemittel bei Osteomyelitis. Gegen Gram-negative aerobe Bakterien ist
Clindamycin unwirksam, weil es kaum durch ihre Außenhülle dringt.

Da die 23S-rRNA-Methylase schwächer durch Clindamycin induzierbar ist, können


Stämme, die in vitro empfindlich erscheinen, in vivo dennoch resistent gegen
Erythromycin sein (s. oben unter MLS-Resistenz).

Eine pseudomembranöse Kolitis durch C. difficile


wurde zum ersten Mal nach einer Clindamycin-
Behandlung beobachtet

1072
Viele Antibiotika können zu einer pseudomembranösen Kolitis führen (zur
Pathogenese dieser Komplikation s. Kap. 22), die mit Metronidazol oder
Vancomycin (oral) behandelt wird.

Streptogramine
Derzeit ist ein Kombinationspräparat aus Streptogramin A (Dalfopristin) und
Streptogramin B (Quinupristin) verfügbar (Abb. 33.14). Für sich genommen wirken
beide nur bakteriostatisch, doch kombiniert wirken sie synergistisch und bakterizid.
Beide Komponenten binden an die 23S-RNA der großen (50S-)Untereinheit von
Ribosomen (wobei Dalfopristin die Bindung von Quinupristin erleichtert).
Dalfopristin hemmt die Proteinsynthese auf einer früheren Stufe als Quinupristin
(Abb. 33.9), und gemeinsam verhindern sie die Verlängerung (Elongation und
Extension) der Peptidketten.

Eine Streptogramin-Resistenz ist noch selten, kann sich aber durch Veränderungen
an der Quinupristin-Bindungsstelle (MLS-Resistenz, s. oben), durch enzymatische
Inaktivierung oder Efflux entwickeln.

1073
Abb. 33.14 Strukturformel der Streptogramine.

Die Wirkstoffkombination Quinupristin-Dalfopristin ist gegen Gram-positive


Kokken (auch bei Multidrug-Resistenz) wirksam. Dass sie trotz guter Wirksamkeit
gegen Enterococcus faecium jedoch nicht gegen E. faecalis wirken, könnte an einem
intrinsischen Effluxmechanismus liegen. Quinupristin-Dalfopristin wird i.v. injiziert
und hauptsächlich in der Leber metabolisiert.

1074
33.7.5 Oxazolidinone
Oxazolidinone sind eine neue Klasse synthetischer bakteriostatischer Wirkstoffe (Abb.
33.15). Derzeit ist nur Linezolid verfügbar, das gegen ein breites Spektrum Gram-
positiver Bakterien (auch multiresistenter Stämme) wirksam ist. Linezolid hemmt die
Proteinsynthese, bevor sie beginnen kann (Abb. 33.9), da es an die 23S-rRNA der 50S-
Untereinheit von Ribosomen bindet und so die Bildung eines funktionell aktiven 70S-
Komplexes verhindert.

Aufgrund der besonderen Wirkungsweise von Linezolid entwickelt sich selten eine
Resistenz (durch Mutation verändertes Angriffsziel), und wenn doch, dann meist bei
Enterococcus faecium. Linezolid wird oral oder intravenös verabreicht und in der Leber
metabolisiert.

33.7.6 Fusidinsäure

Fusidinsäure ist ein steroidartiger Wirkstoff, der die


Proteinsynthese hemmt
Fusidinsäure wirkt bakteriostatisch und hemmt die Proteinsynthese dadurch, dass sie
einen stabilen Komplex mit dem Elongationsfaktor EF-G (bakterielles Pendant zum
humanen EF-2), Guanosindiphosphat und dem Ribosom bildet.

Fusidinsäure kann oral oder intravenös zugeführt werden und ist gut resorbierbar. Es
verteilt sich gut in Knochen und Gewebe, ist aber nicht liquorgängig. Topische
Darreichungsformen sind zwar verfügbar, sollten aber restriktiv verwendet werden,
da sich rasch Resistenzen entwickeln können (s. unten). Fusidinsäure wird in der
Leber metabolisiert und in die Galle ausgeschieden.
Abb. 33.15 Strukturformel der Oxazolidinone.

Fusidinsäure eignet sich zur Behandlung von


Staphylokokkeninfektionen, sollte aber mit anderen

1075
Mitteln kombiniert werden, um Resistenzentwicklung
zu vermeiden
Fusidinsäure ist gegen Gram-positive Kokken wirksam und kommt hauptsächlich
gegen Staphylokokken zum Einsatz, die Betalaktam-resistent sind, oder falls die
Patienten auf andere Mittel allergisch reagieren. Man sollte Fusidinsäure nur
zusammen mit einer anderen Staphylokokken-wirksamen Mittel anwenden, um zu
verhindern, dass resistente Mutanten mit verändertem EF-G auftreten, wie es in
Staphylokokkenpopulationen unter dem Einfluss von Fusidinsäure sehr rasch
geschehen kann.

Fusidinsäure hat kaum Nebenwirkungen


Gelegentlich kann es zu Gelbsucht oder zu Magen-Darm-Beschwerden durch
Fusidinsäure kommen.

33.8 Nukleinsäuresynthesehemmer
Die Nukleinsäuresynthese kann durch antibakterielle Wirkstoffe in dreierlei Weise
gehemmt werden (Tab. 33.9).

33.8.1 Chinolone

Chinolone sind synthetische Wirkstoffe, die mit der


Replikation bakterieller Chromosomen interferieren
Chinolone bilden eine große Familie synthetischer bakterizider Wirkstoffe, die sich –
ähnlich wie Cephalosporine – anhand ihres Wirkspektrums im Allgemeinen
unterschiedlichen Kategorien oder Generationen zuordnen lassen (Tab. 33.10).
Prototyp der 1. Generation ist Nalidixinsäure, durch Hinzufügen von Fluor an
Position 6 des Haupt-Chinolonrings hat sich die antibakterielle Aktivität entscheidend
verbessert (Abb. 33.16) und es wurden noch viele andere Substanzen (Fluorchinolone)
synthetisch hergestellt.

Tab. 33.9 Nukleinsäuresynthesehemmer.


Die antibakterielle Wirkung der Chinolone beruht darauf, dass sie bakterielle Enzyme
(die DNA-Gyrase, eine Topoisomerase und die Topoisomerase IV) hemmen können.

1076
Die DNA-Gyrase sorgt bei der Replikation des Bakterienchromosoms dafür, dass es
vor der Replikationsgabel des DNA-Strangs nicht zur Überspiralisierung der DNA-
Stränge kommt (supercoils). Ähnlich wirkt die Topoisomerase IV, die nach der
Replikation die neu gebildeten DNA-Tochterstränge auftrennt (Abb. 33.17). Die
richtige räumliche Beziehung der DNA-Stränge wird nach der Replikation durch die
Topoisomerasen wiederhergestellt.

Tab. 33.10 Eigenschaften ausgewählter Chinolone – hier die am


häufigsten angewandten Mittel und ihre Haupt-indikationen.
*
alle bis auf Nalidixinsäure (1. Generation) sind Fluorchinolone
**
mit Fällen von akutem Leberversagen assoziiert; in Deutschland nicht
verfügbar

Beide Enzyme stellen also gemeinsam sicher, dass das DNA-Molekül die richtige
Konformation für eine effiziente Replikation hat und in die Zelle hineingepackt
werden kann. Chinolone hemmen diese Enzyme nur bei Bakterien, ohne sich auf
entsprechende Vorgänge in Säugetierzellen auszuwirken.

Die Chinolon-Resistenz ist chromosomal vermittelt


Dass bisher noch über keine plasmidvermittelte Resistenz berichtet wurde, ist eine
wichtige Besonderheit. Chromosomale Resistenz kommt allerdings vor und kann in
zwei Formen in Erscheinung treten:

■ als Mutationen, durch die sich Zielenzyme so verändern, dass es sich auf die
Chinolon-Bindung auswirkt;

■ als veränderte Durchlässigkeit der Zellwand mit verringerter Aufnahme


oder Efflux. Auf dem Weg kann sich auch eine Kreuzresistenz gegen andere (nicht
verwandte) Substanzen entwickeln, die von demselben Prozess betroffen sind.

1077
Wegen ihrer Sicherheit und Verträglichkeit sind
Chinolone eine Alternative zu Betalaktam-Antibiotika
in der Behandlung verschiedener Infektionen
Da sie gut aus dem Gastrointestinaltrakt resorbiert werden, können Chinolone
vorwiegend oral zugeführt werden, um ausreichende Serumspiegel und eine gute
Verteilung in den Körperkompartimenten zu erreichen. Eliminiert werden sie
hauptsächlich über den Urin und zu einem geringen Teil mit dem Stuhl.

1078
Abb. 33.16 Chinolone bilden eine große Gruppe
synthetischer antibakterieller Wirkstoffe; hier einige
Strukturformeln.

Mit Nalidixinsäure lassen sich keine wirksamen systemischen Konzentrationen


erreichen. Sie ist nur gegen Enterobakterien wirksam. Gelegentlich wird sie noch bei
Harnwegsinfektionen angewandt (s. Kap. 20), doch inzwischen wurde sie weitgehend
durch die neueren Fluorchinolone ersetzt.
Abb. 33.17 Darstellung der Rolle, die Enzyme wie
DNA-Gyrase und Topoisomerase bei der Replikation
des Bakterienchromosoms spielen.

a) Überblick und b) Ausschnitt

Die neueren Fluorchinolone haben eine verbesserte Wirksamkeit gegen Gram-


negative Stäbchen (einschließlich Pseudomonas aeruginosa). Neben der Behandlung
von Harnwegsinfektionen eignen sie sich besonders für systemische Infektionen durch
Gram-negative Bakterien, Chlamydien und Rickettsien. Ihr therapeutischer Nutzen
erstreckt sich auch auf intrazelluläre Erreger (wie L. pneumophila und S. typhi) und
„atypische“ Mykobakterien (nur in Kombination mit anderen Mitteln). Bei gewisser

1079
Staphylokokken-Wirksamkeit sind sie jedoch bei Streptokokken- und
Enterokokkeninfektionen nur bedingt einsetzbar (Tab. 33.10).

Fluorchinolone sind wegen möglicher toxischer


Effekte auf die Knorpelbildung nicht für Kinder,
Schwangere und Stillende zu empfehlen
Die häufigste Nebenwirkung von Chinolonen sind gastrointestinale Beschwerden.
Seltener kommt es zu Neurotoxizität und Photosensitivitätsreaktionen. Eine
nennenswerte Ausnahme stellt jedoch die potenzielle Hepatotoxizität von
Trovafloxacin (Tab. 33.10) dar, das seitdem sehr viel restriktiver angewandt wird (in
Deutschland nicht mehr zugelassen).

33.8.2 Rifamycine

Klinisch ist Rifampicin am wichtigsten, es blockiert die


Synthese der mRNA
Im klinischen Gebrauch ist Rifampicin der wichtigste Vertreter der Rifamycin-
Familie, ein großes Molekül mit komplexer Struktur. Weitere Vertreter sind Rifabutin
und Rifapentin. Sie alle wirken bakterizid.

Rifampicin bindet an die DNA-abhängige RNA-Polymerase und hemmt die mRNA-


Synthese. Seine selektive Toxizität beruht auf der größeren Affinität zu bakteriellen
Polymerasen als zu entsprechenden Enzymen des Menschen.

Rifampicin wird oral zugeführt, ist gut resorbierbar und verteilt sich sehr gut im
Körper. Es kann die Blut-Hirn-Schranke passieren und hohe Konzentrationen im
Speichel erreichen. Zudem scheint es eine besondere Affinität zu Kunststoffen zu
besitzen, was sich bei infizierten Prothesen als nützlich für die Behandlung erweisen
kann.

Rifampicin wird in der Leber metabolisiert und in die Galle ausgeschieden. Unter der
Behandlung können sich Urin, Schweiß und Speichel der Patienten durch die rote
Substanz orange verfärben. Das mag für die Patienten unangenehm sein, ist aber
harmlos und ein Zeichen ihrer guten Compliance.

Da die neueren Rifamycine (Rifabutin und Rifapentin) langsamer als Rifampicin


eliminiert werden, müssen sie seltener appliziert werden. Das macht sie besonders
attraktiv für die Tuberkulose-Behandlung.

Rifampicin wird hauptsächlich gegen Mykobakterien


eingesetzt, doch die Resistenz nimmt zu
Obwohl es primär bei Mykobakteriosen angewandt wird, eignet sich Rifampicin auch
zur Prophylaxe bei engen Kontaktpersonen von Patienten mit Meningokokken- oder
Hämophilus-Meningitis. Da allerdings hochresistente Meningokokken-Stämme

1080
entstehen können, sollte die Behandlung nicht länger als höchstens 48 Stunden dauern
(s. Kap. 24).

Während Staphylokokken sehr rasch Resistenz entwickeln, kann Rifampicin in


Kombination mit anderen Mitteln eine wirksame Therapie der (künstlichen)
Klappenendokarditis darstellen (s. Kap. 29).

Zur Resistenz führen chromosomale Mutationen, die eine Veränderung der RNA-
Polymerase bewirken; mit ihrer geringeren Bindungsaffinität zu Rifampicin kann sie
der hemmenden Wirkung entgehen. Durch die zunehmende Prävalenz resistenter M.
tuberculosis wird die Anwendbarkeit von Rifampicin als Antituberkulotikum
zukünftig in Frage gestellt sein.

Nebenwirkungen von Rifampicin sind Ausschlag und


Gelbsucht
Bei intermittierender Rifampicin-Gabe können Hypersensitivitätsreaktionen
auftreten.

33.9 Antimetaboliten mit Auswirkungen auf die


Nukleinsäuresynthese
Einige häufiger verwendete antibakterielle Mittel hemmen Stoffwechselprozesse von
Bakterien, unter anderem die Bildung von Vorstufen der Nukleinsäuresynthese.

33.9.1 Sulfonamide

Als Strukturanaloga der Paraaminobenzoesäure


verhalten sich Sulfonamide kompetitiv zu ihr
Bei dieser Gruppe handelt es sich nicht um natürliche Produkte, sondern um komplett
chemisch synthetisierte. Ausgangssubstanz war Sulfanilamid, nachdem es sich 1935
klinisch als antibakterieller Wirkstoff erwiesen hatte. Entscheidend für die Aktivität ist
die p-Aminogruppe, doch durch Modifikationen der Sulfonsäure-Seitenkette konnten
viele verwandte Stoffe hergestellt werden (Abb. 33.18).

Die bakteriostatisch wirkenden Sulfonamide konkurrieren mit Paraaminobenzoesäure


(PABA) um die aktive Stelle der Dihydropteroat-Synthetase, ein Enzym, das einen
wichtigen Reaktionsschritt in der Synthese von Tetrahydrofolsäure (THFA)
katalysiert. THFA wird zur Synthese von Purinen und Pyrimidinen – und damit für die
Nukleinsäuresynthese – benötigt (Abb. 33.19). Dass viele Bakterien THFA
synthetisieren können, menschliche Zellen aber nicht (und daher auf die
Folsäurezufuhr von außen angewiesen sind), ist ausschlaggebend für die selektive
Toxizität. Bakterien, die vorgefertigte Folsäure für sich nutzen können, sind kaum
anfällig für Sulfonamide.

Sulfonamide werden oral und meist in Kombination mit Trimethoprim angewandt


(als Co-trimoxazol, s. unten). Einzelne Substanzen dieser Familie unterscheiden sich
in Bezug auf ihre Löslichkeit und ihr Penetrationsvermögen. Metabolisiert werden sie

1081
in der Leber und dann in freier Form oder als Abbauprodukte über die Nieren
ausgeschieden.

Sulfonamide sind bei Harnwegsinfektionen von


Nutzen, es besteht aber verbreitet Resistenz
Das Wirkspektrum der Sulfonamide umfasst in erster Linie Gram-negative Keime –
außer Pseudomonas –, daher werden sie zur Therapie von Harnwegsinfektionen
eingesetzt (s. Kap. 20). Allerdings darf man nicht unbedingt Empfindlichkeit
voraussetzen, da bei den Keimen verbreitet Resistenz besteht (weil plasmidkodierte
Gene eine veränderte Dihydropteroat-Synthetase kodieren). Die Affinität zu PABA
bleibt davon im Wesentlichen unbeeinflusst, doch die Affinität zu Sulfonamiden wird
deutlich schwächer. Sulfonamid-resistente Bakterien besitzen demnach zwei
unterschiedliche Enzyme: ein empfindliches (von Chromosomen kodiertes) und ein
resistentes (von Plasmiden kodiertes) Enzym.

In seltenen Fällen verursachen Sulfonamide ein


Stevens-Johnson-Syndrom
Sulfonamide sind relativ nebenwirkungsarm, doch gelegentlich kann es zu
Ausschlägen und Knochenmarkdepression (Myelosuppression) kommen.

33.9.2 Trimethoprim (und Co-trimoxazol)

Trimethoprim ist ein Strukturanalog zum


Aminohydroxypyrimidin-Anteil der Folsäure und
verhindert die Synthese von THFA
Trimethoprim gehört zu einer Gruppe pyrimidinähnlicher Moleküle mit
Strukturanalogie zum Aminohydroxypyrimidin-Anteil des Folsäuremoleküls (Abb.
33.20). Eine ähnliche Struktur und Wirkungsweise haben auch Pyrimethamin (ein
Malariamittel) und Methotrexat (ein Zytostatikum bzw. Antitumormittel).
Abb. 33.18 Strukturformeln der Sulfonamide.

1082
Die Ringstruktur der Sulfonamide weist große Ähnlichkeit mit der Struktur des
normalen Substrats (PABA) für das Enzym Dihydropteroat-Synthetase auf, das
von Sulfonamiden gehemmt wird. Die zahlreichen verfügbaren Sulfonamide
unterscheiden sich eher in ihren pharmakologischen Eigenschaften als im
Wirkspektrum. Klinisch allgemein gebräuchlich sind nur wenige. Dapson ist
wichtig bei Mycobacterium-leprae-Infektionen und Paraaminosalicylsäure (PAS)
wird gegen M. tuberculosis eingesetzt.

1083
Wie Sulfonamide verhindert auch Trimethoprim die THFA-Synthese, greift aber erst
auf einer späteren Stufe ein und hemmt die Dihydrofolatreduktase (Abb. 33.19). Da
dieses Enzym sowohl in Säugetier- wie in Bakterien- oder Protozoenzellen vorkommt,
beruht die selektive Toxizität von Trimethoprim auf seiner größeren Affinität zum
bakteriellen Enzym.
Abb. 33.19 Tetrahydrofolsäure-(THFA-)Synthese-
Hemmung.

Durch Wechselwirkung mit den Schlüsselenzymen hemmen Sulfonamide und


Trimethoprim der Reihe nach diese Reaktionsschritte.

Trimethoprim und Sulfamethoxazol werden häufig kombiniert (Co-trimoxazol)


angewandt; das hat einige Vorteile gegenüber den Einzelsubstanzen:

■ Durch Mutation gegen einen Wirkstoff resistent gewordene Bakterien dürften


kaum auch gegen den anderen resistent sein (Doppelmutation).

1084
■ Bei einigen Bakterien wirken beide Substanzen synergistisch (d.h., die
Kombination ist wirksamer als die Einzelstoffe).

Trimethoprim (oder Co-trimoxazol) kann oral verabreicht oder i.v. infundiert werden
(allein oder mit einem Sulfonamid). Es wird im Urin ausgeschieden, und zwar bei
Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz rascher als das Sulfonamid, so dass die
synergistische Wirkung von Co-trimoxazol verloren gehen kann.
Abb. 33.20 Der Folsäure-Antagonist Trimethoprim.

Aufgrund seiner Ähnlichkeit mit dem Aminohydroxypyrimidin-Anteil der


Folsäure kann Trimethoprim das Enzym Dihydrofolatreduktase ausschalten.

1085
Harnwegsinfektionen werden mit Trimethoprim oder
Co-trimoxazol (Kombination mit Sulfamethoxazol)
behandelt
Als Einzelsubstanz ist Trimethoprim gegen Gram-negative Stäbchen (außer
Pseudomonas) wirksam und wird vorwiegend zur Behandlung oder
Langzeitprophylaxe von Harnwegsinfektionen angewandt (s. Kap. 20).

Das Kombinationspräparat Co-trimoxazol ist außer gegen ein breites Spektrum


pathogener Keime im Harntrakt auch gegen S. typhi wirksam. Co-trimoxazol ist das
Mittel der Wahl für die Therapie einer Pneumocystis-Pneumonie (durch den Pilz
Pneumocystis jiroveci, früher: P. carinii). Pentamidin – ein anderes Pyrimidinderivat –
stellt hier eine Alternative dar (s. Kap. 30). Therapeutisch von Nutzen ist Co-
trimoxazol zudem bei Nokardiose (s. Kap. 30) und weichem Schanker (s. Kap. 21).

Zur Resistenz führen plasmidkodierte


Dihydrofolatreduktasen
Plasmidkodierte Dihydrofolatreduktasen haben eine schwächere Affinität zu
Trimethoprim, so dass die TFHA-Synthese trotzdem ungehindert fortschreiten kann.
Obwohl diese „Ersatzenzyme“ etwa 20000-mal unempfindlicher für Trimethoprim
sind, bleibt ihre Affinität zum normalen Substrat erhalten. Sulfonamid- und
Trimethoprim-resistente Bakterien sprechen auch nicht auf Co-trimoxazol an.

AIDS-Patienten scheinen anfälliger für


Nebenwirkungen (von Trimethoprim und Co-
trimoxazol) zu sein
Trimethoprim kann allein oder in Kombination mit Sulfamethoxazol zu Neutropenie
führen. Auch Übelkeit und Erbrechen kommen vor.

33.10 Nitroimidazole mit Einfluss auf die DNA

Metronidazol (ein Nitroimidazol) ist gegen Parasiten


und Bakterien wirksam
Metronidazol wird nach dem Eindringen in Bakterienzellen über eine Reduktion
aktiviert, deren Zwischen-/Intermediärprodukte seine antibakterielle Aktivität bewirken,
die sich vermutlich aus der Interaktion und dem Aufbrechen der Zell-DNA ergibt. Die
kurzlebigen Intermediärprodukte zerfallen zu ungiftigen, inaktiven Endprodukten. Da
nur obligat anaerobe Bakterien das zur Reduktion der Ausgangssubstanz erforderliche
niedrige Redoxpotenzial erzeugen können, ist Metronidazol nur gegen sie wirksam. Vor
einer Strahlentherapie können hypoxische Zellen mit Metronidazol sensibilisiert
werden.

1086
Metronidazol wird gewöhnlich oral oder i.v. verabreicht. Es ist gut resorbierbar und
verteilt sich gut im Gewebe und Liquor. Nach der Metabolisierung werden
Ausgangssubstanz und Metaboliten zum großen Teil im Urin ausgeschieden.

Metronidazol wurde ursprünglich zur Behandlung von


Trichomonas vaginalis eingeführt
Metronidazol ist nicht nur gegen diesen begeißelten Parasiten, sondern auch gegen
andere Protozoen (z.B. Giardia lamblia und Entamoeba histolytica) wirksam und ein
wichtiges Medikament für Anaerobierinfektionen.

Eine Metronidazol-Resistenz ist relativ selten und scheint mit einem verzögerten
Beginn seiner intrazellulären Aktivierung zusammenzuhängen. Mögliche Gründe sind
schlechtere Aufnahme in die Zelle oder verringerte Reduktase-Aktivität.

In seltenen Fällen verursacht Metronidazol ZNS-


Nebenwirkungen
Ernstere Nebenwirkungen von Metronidazol kommen nur selten vor und betreffen
meist das ZNS (einschließlich einer peripheren Neuropathie). Gefährdet sind die
Patienten vor allem bei einer Hochdosis- oder Langzeittherapie.

33.11 Polymyxine als Hemmstoffe der


Zytoplasmamembranfunktion
Sämtliche lebenden Zellen sind von einer Zytoplasmamembran umgeben, die eine Reihe
vitaler Funktionen ausübt. Aufgrund der strukturellen Unterschiede von Bakterien- und
Säugetier-Zytoplasmamembranen kann mit bestimmten Wirkstoffen eine selektive
Toxizität erreicht werden; verglichen mit den Antibiotika, die an anderen Punkten
angreifen, sind es aber sehr wenige. Als wichtigste Vertreter sind die Polymyxine bei
Gram-negativen Bakterien wirksam. Über eine Hemmung der Membranfunktionen
entfalten auch Antimykotika wie Amphotericin B oder Nystatin ihre Wirkung (s. unten).

1087
Polymyxine sind zyklische Polypeptide, die
Zellmembranstrukturen zerstören und dadurch
bakterizid wirken
Die freien Aminogruppen der Polymyxine wirken wie kationische Detergenzien und
zerstören das Phospholipidgerüst von (Bakterien-)Zellmembranen. Als Vertreter dieser
Familie sind Polymyxin B und E noch am häufigsten klinisch in Gebrauch.

Früher wurden sie systemisch angewandt, doch schlechte Verteilung im Gewebe,


Neuro- und Nephrotoxizität haben dazu beigetragen, dass sie zunehmend häufiger durch
weniger toxische Mittel ersetzt wurden.

Polymyxine werden überwiegend topisch angewandt,


zum Teil aber auch zur Darmdekontamination,
Wundreinigung und Blasenspülung benutzt
Polymyxine sind gegen Gram-negative Keime (außer z.B. Proteus-Spezies, Serratia
spp., Burkholderia cepacia) wirksam und werden meist topisch (d.h. in Form von
Salben) aufgetragen. Bei Wund- und Blasenspülungen kommen sie ebenfalls zum
Einsatz. Da Polymyxine nach oraler Gabe nicht aus dem Darm resorbiert werden, hat
man früher Polymyxin E (Colistin) zur Darmdekontamination bei neutropenischen
Patienten verwendet.

Es liegen bereits Berichte über chromosomal bedingte Veränderungen der


Membranstruktur oder der Antibiotikaaufnahme vor.

33.12 Urologika (Harnwegsantiseptika)

Nitrofurantoin und Methenamin hemmen pathogene


Harnwegskeime
Nitrofurantoin und Methenamin sind synthetische Wirkstoffe, die nach oraler Gabe
resorbiert und in ausreichend hoher Konzentration im Urin ausgeschieden werden, um
das Wachstum pathogener Keime in den Harnwegen zu hemmen. Die Wirkung von
Nitrofurantoin kann sich nur bei saurem Harn-pH entfalten. Durch Hydrolyse von
Methenamin (bei saurem pH) entstehen Ammoniak und Formaldehyd, wobei die
antibakterielle Wirkung von Formaldehyd ausgeht.

Mit Nitrofurantoin werden unkomplizierte Harnwegsinfektionen behandelt, und zur


Prävention rezidivierender Harnwegsinfektionen eignen sich beide Mittel. Von Vorteil
ist, dass empfindliche Bakterienpopulationen nur selten Resistenzen entwickeln. Das
breite Spektrum an Nebenwirkungen hat diese Substanzen aus der täglichen
Patientenbehandlung weitestgehend verdrängt.

33.13 Antituberkulotika

1088
Infektionen mit M. tuberculosis und anderen
Mykobakterien erfordern eine längere Behandlung
Mykobakteriosen (Infektionen mit M. tuberculosis und anderen Mykobakterien)
bereiten Medizinern und Pharmaindustrie enorme Schwierigkeiten hinsichtlich
geeigneter Medikamente, weil die Erreger

■ mit ihrer nahezu undurchdringlichen wächsernen Außenhülle für Antibiotika


schwer erreichbar sind;

■ intrazellulär lokalisiert und die Zellen oft noch von massenhaft verkäsendem
Material umgeben sind, so dass Antibiotika ebenfalls kaum zu ihnen vordringen;

■ extrem langsam wachsen und sich vermehren, so dass es bis zur effektiven
Hemmung (und damit Heilung) Wochen oder Monaten dauern kann. Bei
Langzeittherapie kann die regelmäßige Zufuhr des Wirkstoffs zum Problem werden,
daher sind orale Mittel höchst wünschenswert. Daraus folgt aber auch, dass
wahrscheinlich eher mit Resistenz bei den Mykobakterien bzw. mit toxischen
Nebenwirkungen bei den Patienten zu rechnen ist als bei der kurzen Stoßtherapie, mit
der andere bakterielle Infektionen angegangen werden.

■ im Zuge der AIDS-Epidemie treten zunehmend häufiger Mykobakteriosen in


den Entwicklungsländern auf, wo die Behandlungskosten unerschwinglich hoch sein
können.

Mittlerweile sind verschiedene Antituberkulotika verfügbar, mit denen meist


ausschließlich Mykobakterien behandelt werden (restriktive Anwendung, um Resistenz
bei anderen Bakterien zu vermeiden) oder die wegen ihrer Toxizität unattraktiv und
nicht zum Allgemeingebrauch geeignet sind.

Tuberkulose wird in erster Linie mit Isoniazid,


Ethambutol, Rifampicin, Pyrazinamid und Streptomycin
behandelt („First-line“-Therapie)
Auch wenn das Behandlungsschema in einzelnen Ländern unterschiedlich sein wird, hat
sich bei empfindlichen Stämmen in Deutschland ein zweimonatiger Therapiezyklus
mit Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid und Ethambutol, gefolgt von einer 4-monatigen
Konsolidierungstherapie mit Rifampicin und Isoniazid, gut bewährt. Je nach Ergebnis
der Empfindlichkeitstestung wird die Behandlung üblicherweise mit einer Dreier- oder
Viererkombination begonnen – und bei resistenten Erregern auch so weitergeführt.
Chemische Struktur und Wirkmechanismen von Rifampicin und Streptomycin sind
weiter oben beschrieben.

33.13.1 Isoniazid

Isoniazid hemmt das Wachstum von Mykobakterien


und wird mit Pyridoxin zusammen verabreicht, um
neurologische Nebenwirkungen zu vermeiden

1089
Isoniazid enthält Isonikotinsäurehydrazid, einen Wirkstoff, der Mykobakterien hemmt,
ohne andere Bakterienspezies oder Menschen in größerem Umfang zu beeinträchtigen.
Seine bakterizide Wirkung kommt durch Hemmung der Mycolinsäuresynthese
zustande, was auch seine Spezifität erklärt. Oral verabreicht, wird Isoniazid gut
resorbiert; im Allgemeinen genügt eine Dosis pro Tag (außer in schwierigeren Fällen
von Meningitis oder Miliartuberkulose). Bei Menschen sind neurologische
Komplikationen, die sich aber durch gleichzeitige Zufuhr von Pyridoxin vermeiden
lassen, sowie Hepatitis die wichtigsten toxischen Nebenwirkungen.

33.13.2 Ethambutol

Ethambutol hemmt das Wachstum von


Mykobakterien, kann aber zur Optikusneuritis
(Sehnervenentzündung) führen
Ethambutol ist ein synthetischer Wirkstoff, der Mykobakterien hemmen, aber nicht
abtöten kann. Mykobakteriostatisch wirkt es dadurch, dass es die Polymerisation von
Arabinoglykan (ein wichtiger Bestandteil der Zellwand) verhindert. Nach oraler
Zufuhr wird es gut resorbiert und im Körper (einschließlich Liquor) verteilt. Bei einer
Monotherapie mit Ethambutol entwickelt sich rasch Resistenz. Daher wird es zur
Tuberkulosebehandlung mit anderen Mitteln kombiniert. Wichtigste toxische
Nebenwirkung ist eine Optikusneuritis, daher sollte die Sehschärfe unter der
Therapie sorgfältig kontrolliert werden.

33.13.3 Pyrazinamid
Pyrazinamid ist ein synthetisches Nikotinamid-Analog. Wodurch seine bakterizide
Aktivität zustande kommt, ist nicht bekannt. Nach oraler Gabe wird es rasch aus dem
Magen-Darm-Trakt resorbiert und verteilt sich gut in Geweben und Flüssigkeiten.
Pyrazinamid wird primär in der Leber metabolisiert und über die Nieren ausgeschieden.
Da eine Monotherapie genau wie mit Ethambutol zur Resistenz führen kann, sollte
Pyrazinamid mit anderen „First-line“-Medikamenten kombiniert werden. Seine
wichtigste Nebenwirkung ist die Hepatotoxizität.

33.13.4 Resistenzentwicklung bei Mykobakterien

Tuberkulosebehandlung

Arzneimittelresistenz und Immunschwäche


erschweren die Tuberkulosebehandlung
Trotz Anwendung von Antibiotikakombinationen hat sich die Mykobakterien-
Resistenz zu einem anhaltenden und zunehmenden Problem entwickelt. Gerade bei
AIDS-Patienten steigt die Inzidenz opportunistischer Infektionen, wobei MOTT-
Keime (MOTT = mycobacteria other than tuberculosis) von Natur aus resistenter zu
sein scheinen.

1090
Leprabehandlung

Der breite Einsatz einer Dapson-Monotherapie bei


Lepra hat zur Resistenz geführt, deshalb wird es jetzt
meist mit Rifampicin kombiniert
Kennzeichnend für Infektionen mit M. leprae ist die jahrelange Erregerpersistenz
im Gewebe, die zur Vermeidung von Rückfällen sehr lange Therapiezyklen
erforderlich macht. Über viele Jahre wurde bevorzugt das chemisch mit
Sulfonamiden verwandte Dapson eingesetzt (Abb. 33.18). Es hat den Vorzug, oral
anwendbar, billig und effektiv zu sein. Doch seitdem infolge der verbreiteten
Durchführung von Dapson-Monotherapien Resistenzen aufgetreten sind, wird jetzt
üblicherweise eine Dreierkombination aus Dapson, Rifampicin und Clofazimin
(ein Phenazin) angewandt.

33.14 Antibakterielle Mittel in der Praxis


Aus den vorstehenden Abschnitten sollte klar geworden sein, dass sich zwar bestimmte
Faustregeln bezüglich der Antibiotikaresistenz von Bakterien aufstellen lassen, aber oft
empirisch behandelt werden muss, wenn keine Laborbefunde vorliegen. Durch
Empfindlichkeitstests im Labor können die Interaktionen zwischen Antibiotika und
Bakterien nur isoliert (d.h. unter ziemlich künstlichen Bedingungen) untersucht werden.
Im besten Fall bieten die Ergebnisse eine Orientierung in Bezug auf den zu erwartenden
Therapieerfolg, im schlimmsten Fall sind sie irreführend. Bei der Entscheidung über eine
Antibiotikatherapie müssen auch Patientenfaktoren wie Alter, zugrunde liegende
Erkrankung, Nieren- und Leberinsuffizienz berücksichtigt werden.

33.14.1 Empfindlichkeitstestung
Laboruntersuchungen zur Bestimmung der Antibiotikaempfindlichkeit lassen sich in
zwei Kategorien einteilen:

■ Agar-Diffusionstests und

■ Dilutions-/Verdünnungstests.

Bei Diffusionstests werden Keime auf Agar


aufgebracht und dann Antibiotika-haltige
Filterpapierscheiben aufgelegt
Nachdem die ganze Oberfläche einer Agarplatte mit dem Testkeim beimpft wurde,
legt man Antibiotika-haltige Filterpapierscheiben darauf und inkubiert die Platte über
Nacht. Am nächsten Tag wird untersucht, ob sich Hemmzonen um die Papierscheiben
gebildet haben (Abb. 33.21). Die Antibiotikamenge, mit der die Scheiben getränkt
sind, steht unter anderem zur erreichbaren Serumkonzentration in Beziehung und ist
daher verschieden bei den jeweiligen Antibiotika.

1091
Da Antibiotika zudem unterschiedlich gut in Agar diffundieren können, zeigt die
Größe der Hemmzonen (und nicht lediglich ihr Vorhandensein), wie empfindlich der
Keim ist. Zum Vergleich wird die Hemmzonengröße von Referenzkeimen (die
parallel getestet wurden oder für die Referenzlisten vorliegen) hinzugezogen, um die
Testergebnisse als „S“ (susceptible, empfindlich), „I“ (intermediate, intermediär
empfindlich) oder „R“ (resistent) einstufen zu können. „I“-Ergebnisse bedeuten, dass
unterdurchschnittlich empfindliche Keime noch auf höhere Dosen bzw. an bestimmten
Stellen konzentrierte Antibiotika ansprechen (z.B. auf Antibiotika im Blasenurin, die
über die Nieren ausgeschieden werden).

Mit Dilutionstests ist die Antibiotikaempfindlichkeit


quantitativ schätzbar
Quantitative Aussagen zur Antibiotikaempfindlichkeit von Keimen liefern
Untersuchungen zur MHK (minimale Hemmkonzentration, engl. MIC, minimal
inhibitory concentration). Mit diesem Test wird nach der niedrigsten
Antibiotikakonzentration gesucht, die das Bakterienwachstum in vitro sichtbar hemmt.
Das Testantibiotikum wird mit Kulturmedien wie Bouillon oder Agar in
Verdünnungsreihen aufbereitet und dann in Lösung mit dem Testkeim inokuliert.
Nach der Inkubation über Nacht wird die höchste Stufe der Verdünnung, ab der
makroskopisch kein Wachstum mehr erkennbar ist, als MHK festgehalten (Abb.
33.22).

1092
Abb. 33.21 Diffusionstest.

Um die Keimempfindlichkeit zu testen, werden nach Beimpfen einer Agarplatte


mit Antibiotika getränkte Filterpapierscheiben auf den Keimrasen gelegt und die
Platte über Nacht inkubiert. Dort, wo sich die Antibiotika durch Diffusion verteilt
haben, bilden sich sog. Hemmzonen, an denen sich der Grad der Empfindlichkeit
ablesen lässt. Hier zeigt ein Agar-Diffusionstest mit SF100 (eine Filterscheibe mit
Sulfonamid) eine Sulfonamid-Resistenz an (mit freundlicher Genehmgung von
D.K. Banerjee).

Dilutionstests können mit Mikrotiterplatten durchgeführt werden und bilden die


Grundlage einiger automatisierter (Empfindlichkeits-)Testsysteme. Als Alternative
bietet sich der E-Test an, bei dem ein Filterpapierstreifen mit abgestuften
Konzentrationen eines Antibiotikums imprägniert und auf die mit dem Testkeim
beimpfte Agarplatte aufgelegt wird. Hierbei entspricht die MHK der Konzentration
auf dem Streifen, ab der das Keimwachstum gehemmt wird.

MHK-Tests sind natürlich aufwendiger (hinsichtlich Zeit und Material) als


Diffusionstests, beinhalten jedoch weitaus weniger Fehlermöglichkeiten als
Agardiffusionstests. Sie können wichtige Informationen für die Behandlung
schwieriger Infektionen oder bei Therapieversagen (wenn Patienten trotz geeigneter
Antibiotika nicht ansprechen) liefern.

Von Vorteil der MHK-Bestimmung ist, dass sie erweitert werden kann, um auch die
MBK (minimale bakterizide Konzentration) zu bestimmen, d.h. die niedrigste
Antibiotikakonzentration zur Abtötung der Keime. Um festzustellen, ob ein Mittel
wirklich bakterizid wirkt und nicht nur das Bakterienwachstum hemmt, werden
Testverdünnungen noch auf ein frisches, wirkstofffreies Medium aufgebracht und für
weitere 18–24 Stunden inkubiert (Abb. 33.22). Ein Antibiotikum gilt als bakterizid,
wenn seine MBK gleich der MHK bzw. nicht mehr als viermal höher als die MHK ist.

Eine dynamische Einschätzung der Empfindlichkeit


ermöglichen „Abtötungskurven“

1093
Ein Nachteil von MHK- und MBK-Tests besteht darin, dass ihr Befund nur punktuell
(zu einem bestimmten Zeitpunkt) abgelesen werden kann. Dynamischer lässt sich die
Empfindlichkeit von Bakterien durch eine Messung über die Zeit bestimmen
(abnehmende Zahl lebender Keime in einer Population, Abb. 33.23). Wie bei MBK-
Tests kann unmöglich für jedes Isolat manuell die Abtötungskurve ermittelt werden,
sondern sinnvoll ist es nur, um nützliche Informationen bei
Behandlungsschwierigkeiten zu gewinnen.
Abb. 33.22 Dilutionstest.

Genauere Angaben zur Menge/Konzentration eines Antibiotikums, die zur


Hemmung und Abtötung einer Bakterienpopulation erforderlich ist, lassen sich aus
der Bestimmung der minimalen Hemmkonzentration (MHK) und der minimalen
bakteriziden Konzentration (MBK) ableiten. Mit der hier gezeigten
Standardmethode liegt das Ergebnis für die MHK nach 24 Stunden und für die
MBK nach 48 Stunden vor. Einfluss auf das Ergebnis des MHK-Tests haben
mehrere Variablen wie Größe des Inokulums, Kulturmedium und
Befundinterpretation.

Die Überlebensfähigkeit von Bakterien lässt sich mit einer Reihe automatisierter
Testsysteme (Turbidimetrie, elektrische Impedanzmessung) bestimmen, in denen ein
Antibiotikum als Indikator dient. Diese Geräte führen rascher als die herkömmlichen
Empfindlichkeitstests zu Ergebnissen (innerhalb von ca. 4 Stunden), funktionieren
z.Zt. allerdings noch nicht besonders gut bei anspruchsvollen Keimen (z.B. bei
Neisseria meningitidis, Anaerobiern).

Antibiotikakombinationen können synergistisch oder


antagonistisch wirken
Krankenhauspatienten werden oft mit mehr als einem Antibiotikum behandelt, daher
kann es zu Arzneimittelinteraktionen (auch mit Diuretika) kommen.
Arzneimittelkombinationen gelten als

■ synergistisch, wenn ihre Wirkung größer ist als die Summe der
Einzelwirkungen,

1094
■ antagonistisch, wenn ein Wirkstoff die Wirkung des anderen verringert.

Wie Antibiotikakombinationen wirken, kann man mit Agar-Diffusions- oder


Verdünnungstests untersuchen. Obwohl sich in vitro oft eine Synergie nachweisen
lässt (Abb. 33.24), ist sie in vivo schwieriger zu bestätigen. Co-trimoxazol ist z.B. eine
häufig verwendete Kombination (s. oben). Ein anderes Beispiel ist die Kombination
aus Penicillin (oder Ampicillin) mit Gentamicin, die in der Behandlung einer
Enterokokken-Endokarditis der Wirkung eines einzelnen Betalaktams deutlich
überlegen ist (Tab. 33.11).

Bei bestimmten Antibiotikapaaren/-kombinationen lässt sich nur in vitro ein


Antagonismus nachweisen, der sich jedoch in vivo selten bemerkbar macht.

33.14.2 Antibiotikatests/-assays
Bisher wurden pharmakokinetische Eigenschaften (Resorption, Verteilung,
Ausscheidung) der antibakteriellen Mittel zusammengefasst. Manche haben einen engen
therapeutischen Bereich, d.h., die zur erfolgreichen Behandlung nötige (therapeutische)
Konzentration unterscheidet sich nur geringfügig von der für den Patienten toxischen
Konzentration. Bei diesen Antibiotika sollten die Konzentrationen sorgfältig
kontrolliert werden, um Toxizität zu vermeiden und um sich zu vergewissern, ob
therapeutische Wirkstoffspiegel erreicht wurden.

Mittel, die weniger toxisch sind, müssen nur in bestimmten Situationen und bei
bestimmten Patienten regelmäßig überwacht werden (Tab. 33.12). Meist werden die
Serumspiegel gemessen, doch unter Umständen müssen auch Urin, Liquor und andere
Körperflüssigkeiten untersucht werden.

Antibiotikatests/-assays können mit verschiedenen Methoden durchgeführt werden, z.B.


mit der Hochleistungs-Flüssigkeitschromatografie (high performance liquid
chromatography, HPLC) oder direkter Bestimmung der biologischen Aktivität
(Bioassays).
Abb. 33.23 Abtötungskurven.

1095
Ein dynamischeres Bild von der Interaktion zwischen Antibiotikum und einer
Bakterienpopulation lässt sich aus Abtötungskurven gewinnen. Hier wurde eine
Kultur von 2 × 106 kbE/ml (koloniebildenden Einheiten pro ml) jeweils mit
Antibiotikum A und B allein sowie mit A und B in Kombination behandelt.
Verglichen mit unbehandelten Kontrollen wurde das Bakterienwachstum in der
Kultur sowohl von Antibiotikum A als auch von Antibiotikum B gehemmt, aber B
war wirksamer als A. Bei Kombination von A und B kam es zu einem
synergistischen Effekt (d.h., die Kombination war wirksamer als beide
Einzelaktivitäten zusammen) und auch das bei Einzelgaben der Antibiotika
üblicherweise nach 6–24 Stunden sichtbare erneute Wachstum wurde verhindert.

1096
Abb. 33.24 Unterschiedliche Wirkungen von
Antibiotikakombinationen.

a) Synergie-Effekt zweier antibakterieller Wirkstoffe. Hier wurden Sulfonamid-


und Trimethoprim-Scheiben aufgelegt, um ihre synergistische Wirkung bei
Escherichia coli aufzuzeigen (erkennbar an den zusammenhängenden Hemmzonen
der beiden Scheiben). b) Antagonismus. Nitrofurantoin wirkt antagonistisch zu
Nalidixinsäure. Wenn beide Scheiben weiter auseinander liegen, hemmt
Nalidixinsäure das Wachstum des Testkeims, doch wenn sie dichter zusammen
liegen, wird die Hemmung durch Nitrofurantoin abgeschwächt (antagonisiert), wie
die Verkürzung der Hemmzone zeigt.

Tab. 33.11 Gründe für Antibiotikakombinationen.

Am häufigsten werden jedoch (automatisierte) Immunmethoden angewandt, bei denen


das Antibiotikum in der Probe des Patienten als „Antigen“ mit einem markierten
„Tracking“-Antibiotikum um die Bindungsstelle an einem „Anti-Wirkstoff“-Antikörper
konkurriert. Erhöhte Antibiotikaspiegel in der Patientenprobe führen also zu einer
geringeren Bindung des „Tracking“-Antibiotikums. Solche Bioassays sind Schnelltests,
für die nur geringe Serummengen erforderlich sind, und hoch spezifisch. Natürlich setzt
das voraus, dass spezifische „Anti-Wirkstoff“-Antikörper verfügbar sind.

1097
Tab. 33.12 Antibiotikatests/-assays sind in der klinischen Praxis
besonders wichtig bei potenziell toxischen Mitteln, doch es gibt
noch andere Umstände bzw. Situationen.

33.15 Antivirale Therapie


In den letzten 15 Jahren erhielten zahlreiche neue antivirale Mittel die Zulassung für die
Behandlung von Virusinfektionen mit HIV, HBV und HCV (Hepatitis B bzw. C) und dem
Influenzavirus A und B (Abb. 33.25). Die derzeit zur Individualbehandlung verfügbaren
Mittel wirken alle eher virustatisch als virusabtötend.

Das Problem bei der Entwicklung neuer antiviraler Mittel besteht hauptsächlich in der
Schwierigkeit, nur die Virusaktivität zu hemmen, ohne unerwünschte Nebenwirkungen
an Wirtszellen hervorzurufen. Das hängt damit zusammen, dass Viren auf den
Proteinsyntheseapparat der Wirtszellen angewiesen sind. Hinzu kommt, dass bei
Virusinfektionen mit kurzer Inkubationszeit (z.B. der Atemwege durch RSV) die
frühzeitige Diagnose entscheidend für den Erfolg der Chemotherapie ist.
Virusspezifische Replikationsschritte wurden bereits identifiziert (Abb. 33.26), und es
werden zweifellos noch mehr werden, etwa durch den Nachweis virusinduzierter Enzyme.

In unterschiedlichen Patientengruppen schwankt die Prävalenz antiviraler Resistenzen;


Aciclovir-resistente HSV oder Ganciclovir-resistente CMV kommen z.B. überwiegend bei
Immunschwäche niedrigen Grades vor. Quer durch alle wichtigen Wirkstoffgruppen – ob
Nukleosid- oder Nichtnukleosid-Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI bzw. NNRTI)
oder Protease-Inhibitoren (PI) – zieht sich die Resistenz von Retroviren, bei steigender
Häufigkeit in den ressourcenreichen Ländern.
Abb. 33.25 Antivirale Wirkstoffe gibt es nur in
begrenzter Zahl und mit engem Wirkspektrum.

1098
Amantadin ist z.B. nur gegen das Influenzavirus A, aber nicht gegen B wirksam und
Aciclovir nur gegen HSV und VZV (Herpes-simplex- bzw. Varicella-Zoster-Virus),
aber nicht gegen CMV und EBV (Zytomegalie- bzw. Epstein-Barr-Virus).

Bekannt ist auch, dass sich nach mehrjähriger Behandlungsdauer oft eine Lamivudin-
Resistenz bei HBV entwickelt. Das Problem bei antiviraler Resistenz besteht darin, dass
resistente Varianten oft weniger „replikationsfit“ sind als der Wildtyp-Stamm. In vielen
Fällen hängt das Ansprechen auf antivirale Mittel auch vom Genotyp ab, z.B. bei HBV
und HCV.

1099
Manche Virusinfektionen (wie die CMV-Pneumonitis) haben eine immunpathologische
Grundlage, und in dem Fall wird ein antivirales Mittel mit einem Immunglobulinpräparat
kombiniert, z.B. einem humanen Normal- oder einem virusspezifischen Immunglobulin
(z.B. CMV-Hyperimmunglobulin). Darüber hinaus kann bei Hepatitis C (HCV-Infektion)
auch ein Immunmodulator wie pegyliertes Interferon zusammen mit dem antiviralen
Mittel Ribavirin verabreicht werden.
Abb. 33.26 Angriffspunkte antiviraler Mittel.

Resistenz kommt vor (z.B. Ganciclovir-resistente CMV- oder Aciclovir-resistente


HSV-Stämme). Durch virusspezifische Antikörper lässt sich die Virusadsorption an
Zellen verhindern. * T-20 bindet die gp41-Stelle von HIV und verhindert seine
Bindung an T-Zellen.

Palivizumab ist ein Beispiel für einen „humanisierten“ monoklonalen Antikörper, der zur
Prävention von Infektionen eingesetzt wird, da er das Fusionsprotein von RSV (respiratory
syncytial virus) angreift und eine stark neutralisierende und fusionshemmende Wirkung
hat. Er wird nur in bestimmten Situationen angewandt, z.B. um einer RSV-Infektion der
unteren Atemwege bei Säuglingen vorzubeugen, die in der 35.Schwangerschaftswoche
oder früher geboren wurden und zu Beginn der RSV-Saison noch keine sechs Monate alt
sind – damit sie nicht ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen. Auch Kinder unter
zwei Jahren mit bestimmten respiratorischen oder kardialen Störungen (z.B.
bronchopulmonaler Dysplasie) können mit Palivizumab behandelt werden.

Schließlich werden bei viralen Atemwegsinfektionen manchmal auch Antibiotika


verabreicht, um eine bakterielle Sekundärinfektion einzudämmen oder zu verhindern.
Ein Beispiel ist eine Grippe, bei der sich auf die anfängliche Schwächung durch das
Influenzavirus noch eine Staphylokokken- oder Streptokokkenpneumonie aufpfropft.

33.15.1 Aciclovir (Acycloguanosin)

Aciclovir hemmt die DNA-Polymerase von HSV und


VZV
Aciclovir wird zur Behandlung von HSV-und VZV-Infektionen angewandt.
Inzwischen haben weitere Wirkstoffe die Zulassung erhalten, darunter Valaciclovir

1100
(L-Valyl-Ester von Aciclovir) und Famciclovir. Aciclovir ist ein gutes Beispiel für ein
„Prodrug“, denn es wird erst durch Phosphorylierung aktiviert (Abb. 33.27). Nach
der Phosphorylierung durch die Herpesvirus-Thymidinkinase wird das Aciclovir-
Monophosphat von Zellkinasen in ein Triphosphat überführt, das die HSV-DNA-
Polymerase hemmt.

Da es von den mit HSV infizierten Zellen aufgenommen und phosphoryliert wird,
wirkt sich Aciclovir kaum auf die zelluläre DNA-Polymerase aus, und toxische
Nebenwirkungen wie Neutropenie und Thrombozytopenie sind gewöhnlich nicht
sehr ausgeprägt. Der Wirkstoff wird auch in die Virus-DNA eingebaut und beendet die
Kettenbildung. Da Aciclovir renal eliminiert wird, kann es in den Nieren von
Patienten mit Niereninsuffizienz ausfällen und eine akute Tubulusnekrose
verursachen. Abgesehen davon hat Aciclovir jedoch ein ausgezeichnetes
Sicherheitsprofil.

Die systemische Anwendbarkeit von Aciclovir hat die Behandlung der HSV-
Enzephalitis bzw. der HSV- und VZV-Infektionen von immungeschwächten Patienten
revolutioniert. Auch ein primärer oder Rezidive eines genitalen Herpes lassen sich
wirksam behandeln. Bei Herpes zoster (Gürtelrose) kann Aciclovir den
Heilungsprozess beschleunigen und postzosterische Schmerzen lindern. Wie das HSV
hält sich auch das VZV latent in den Ganglien und kann von dort aus jederzeit
reaktiviert werden.

Da die orale Bioverfügbarkeit nur 15–20% beträgt, wird Aciclovir unter bestimmten
Umständen anfangs intravenös zugeführt. Aufgrund der besseren Bioverfügbarkeit
von Valaciclovir und Famciclovir (verglichen mit Aciclovir) müssen weniger Dosen
pro Tag verabreicht werden.

33.15.2 Ganciclovir
(Dihydroxypropoxymethylguanin, DHPG)
Ganciclovir hat eine ähnliche Struktur wie Aciclovir, aber eine zusätzliche
Hydroxylgruppe. Sein Wirkspektrum ist breiter als das von Aciclovir, und es ist auch
gegen CMV-Infektionen wirksam. Da CMV keine Thymidinkinase induzieren, wird
Ganciclovir zuerst durch eine virusspezifische Kinase (des UL97-Gens)
monophosphoryliert und dann von Zellkinasen weiter phosphoryliert. Allerdings ergibt
sich daraus keine selektive Toxizität.
Abb. 33.27 Die Aktivität antiviraler Herpesmittel
hängt davon ab, dass die Herpesviren eine
Thymidinkinase bilden können.

1101
Daher ist Aciclovir am stärksten gegen Herpes-simplex- (HSV) und am geringsten
gegen Zytomegalieviren (VZV) wirksam.

Ganciclovir wirkt myelosuppressiv, daher ist seine Knochenmarktoxizität die


wichtigste Nebenwirkung. Ganciclovir-Triphosphat hemmt die CMV-DNA-Polymerase,
ist aber bei oraler Gabe nur eingeschränkt bioverfügbar und wird daher intravenös
verabreicht. Inzwischen wurde ein verbessertes orales Mittel (Valganciclovir)
hergestellt.

Mit Ganciclovir werden CMV-Infektionen wie Retinitis, Enzephalitis und


gastrointestinale Infektionen bei Immunschwäche behandelt. Bei den Empfängern von
Knochenmark- und Organtransplantaten wird es präventiv angewandt und das Blut
regelmäßig auf CMV kontrolliert, weil es zu einer hämatogenen Aussaat
(Dissemination) kommen könnte.

33.15.3 Foscarnet (Phosphonoformat)


Dieser Wirkstoff besetzt die Pyrophosphat-Bindungsstelle an der DNA-Polymerase von
Herpesviren und verdrängt damit Nukleotide aus der Bindung, d.h., er hemmt die
Virusreplikation. Foscarnet wird bei CMV-Infektionen angewandt und ist auch gegen
HSV und VZV wirksam. Wegen seiner Nephrotoxizität ist es aber meist nur zweite
Wahl (Second-line-Medikament).

1102
33.15.4 Nukleotid- und Nukleosid-Reverse-
Transkriptase-Inhibitoren (NRTI)
Die hier angeführten Mittel wirken alle in ähnlicher Weise und werden meist in
Verbindung mit anderen antiretroviralen Medikamenten (Nichtnukleosid-Reverse-
Transkriptase-Inhibitoren und Proteasehemmer) zur Behandlung von HIV-Infizierten
eingesetzt.

Zidovudin (Azidothymidin, AZT)


Zidovudin ist ein Analog zu Thymidin, einem Nukleosid, dessen Hydroxylgruppe
durch eine Azido-Gruppe an der Ribose ersetzt ist. Nach seiner Umwandlung in ein
Triphosphat durch Zellenzyme (Abb. 33.28) hemmt es die reverse Transkriptase von
Viren und dient ihnen zugleich als Substrat. Die Azido-Gruppe verhindert, dass sich
Phosphodiesterverbindungen bilden. Da AZT-Triphosphat – in die DNA inkorporiert
– zur Beendigung der Reaktionskette führt, hemmt es die Entstehung von Provirus-
DNA.

Zidovudin wird oral verabreicht. Ein Problem stellt seine Toxizität


(Knochenmarkdepression mit Anämie, Neutropenie, Leukozytopenie) dar; etwas
seltener treten Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Myalgie und allgemeines
Krankheitsgefühl auf. Als AZT in den frühen Zeiten der HIV-Therapie noch höher
dosiert wurde, kamen sie häufiger vor. Um Anzeichen einer Anämie oder
Myelosuppression rechtzeitig zu entdecken, sind regelmäßige Blutuntersuchungen
erforderlich.

Bekannt sind auch Fälle von Kreuzresistenz gegen andere Nukleosidanaloga.

1103
Abb. 33.28 Wirkmechanismus von Zidovudin.

Die reverse Transkriptase des HIV ist hundertfach empfindlicher für Zidovudin-
Triphosphat als die DNA-Polymerase der Wirtszellen, toxische Nebenwirkungen
sind jedoch nicht selten.

Zalcitabin (Didesoxycytidin, ddC), Didanosin


(Didesoxyinosin, ddI), Lamivudin (Thiacytidin, 3TC),
Stavudin (Dihydrodidesoxyuridin, d4T), Abacavir und
Tenofovir
Wie Zidovudin werden auch diese Nukleosidanaloga in Triphosphate umgewandelt
und damit zu Hemmern der reversen Transkriptase des HIV. Als
Wirkstoffkombinationen sind Combivir (AZT und 3TC) oder Trizivir (AZT, 3TC und
Abacavir) in Gebrauch. Bei Tenofovir handelt es sich um einen Nukleotid-Reverse-
Transkriptase-Hemmer.

Die Nebenwirkungen dieser antiretroviralen Substanzen überschneiden sich zum


Teil, doch es gibt auch spezifischere, wie etwa Pankreatitis (ddI), periphere
Neuropathie (ddC, d4T, ddI), Lipodystrophie – eine subkutane Fettgewebe-
Umverteilung aus Gesicht und Gliedmaßen zum Nacken und in Baucheingeweide

1104
(d4T) sowie Hypersensitivität (Abacavir). Berichte über Toxizität (durch Hemmung
der mitochondrialen DNA-Polymerase) und Laktatazidose liegen ebenfalls vor.

Bekannt sind auch Fälle von Kreuzresistenz gegen andere Nukleosidanaloga.

33.15.5 Nichtnukleosidische Reverse-Transkriptase-


Inhibitoren (NNRTI)

Nevirapin und Efavirenz (DMP)


In Kombination mit Nukleosidanaloga können sie als „First-line“-Medikamente
eingesetzt werden, bevor zu Protease-Inhibitoren übergewechselt wird. Sie führen zum
raschen Abfall der HIV-RNA-Last im Plasma und eignen sich besonders für
Patienten mit sehr hohen HIV-Werten, bei denen eine Behandlung mit Protease-
Inhibitoren in Erwägung gezogen wird, da sie weniger Nebenwirkungen haben. Bei
HIV-1 binden sie als nicht-kompetitive RT-Hemmer an eine hydrophobe Tasche
proximal von der Katalysestelle des Enzyms. Gegen HIV-2 sind sie unwirksam.
Häufigste Nebenwirkung von Nevirapin sind Hautausschläge, bei Efavirenz kann es
anfänglich zu lebhaften Träumen und Schlafstörungen kommen.

Eine einzelne Mutation der reversen Transkriptase erzeugt Resistenz gegen beide
Wirkstoffe und sorgt damit für den Ausschluss dieser Substanzen aus der weiteren
Behandlung.

33.15.6 Protease-Inhibitoren (PI)

Nelfinavir, Saquinavir, Indinavir, Ritonavir, Kaletra,


Amprenavir
Proteasen sind Enzyme, die Polyproteine (gag und gag-pol) nach der Translation in
Strukturproteine und Enzyme mit entscheidender Bedeutung für die Virusreplikation
aufspalten. Bei einer Protease-Hemmung können nur unreife, defekte Viruspartikel
gebildet werden. Mit Protease-Inhibitoren (PI) lässt sich die HIV-RNA-Last im
Plasma rasch und sehr wirksam senken, vor allem bei Patienten mit sehr hohen HIV-
Werten. PI werden meist mit Nukleosidanaloga kombiniert.

Dass sie metabolisiert und rasch ausgeschieden werden, macht mehrere Dosen am Tag
erforderlich. Zu den Nebenwirkungen gehören gastrointestinale Symptome,
Lipodystrophie-Syndrom (Fettverteilungsstörungen), erhöhte Triglyzeridwerte und
eine Insulinresistenz, die in Diabetes übergeht.

Dass sich Resistenzen entwickeln können, ist bekannt, und eine Reihe von Protease-
Mutationen führen zu Kreuzresistenz. Das als Protease-Inhibitor zugelassene Kaletra
(eine Kombination aus Lopinavir und Ritonavir) scheint sehr viel versprechend
hinsichtlich eines geringeren Risikos der Resistenzentstehung zu sein. T-20 ist ein
Fusionshemmer, der durch Bindung an das transmembranäre Glykoprotein gp41 dem
HIV den Zutritt zu Zellen verwehrt.

1105
Ribavirin (Tribavirin)
Dieses Guanosin-Analog wird von Zellenzymen zu einem Triphosphat umgewandelt.
Seine Wirkung beruht unter anderem darauf, dass es die Bildung eines
Guanosintriphosphat-Pools hemmt, der zur viralen Nukleinsäuresynthese benötigt
wird. Klinisch kommt Ribavirin in Aerosolform bei schweren Atemwegsinfektionen
(durch RSV) von Neugeborenen oder bei Arenavirusinfektionen (Lassafieber, s. Kap.
26) zur Anwendung. Es ist auch bei Masern wirksam.

33.15.7 Influenzavirus-Inhibitoren
Seitdem sich zu Amantadin und Rimantadin mit den Neuraminidasehemmern eine neue
Wirkstoffklasse hinzugesellt hat, wurde das Spektrum der virustatischen Aktivität auf
Influenza-A- und -B-Viren ausgedehnt.

Amantadin
Seit 1960 ist bekannt, dass Amantadin gezielt die Replikation der Influenza-A-Viren
hemmt, aber auf Typ B oder andere respiratorische Viren keinen Einfluss hat. Seine
Wirkung besteht darin, Viren am Eindringen in die Zellen und Entfernen der Hülle
(Uncoating) zu hindern. Die Infektion wird auch dadurch gestoppt, dass Amantadin
den pH-Wert der intrazellulären Vakuolen erhöht; das verhindert die Fusion von
Virushülle und Zellmembran, welche nur bei dem normalerweise niedrigen pH
stattfindet.

Standarddosen von Amantadin können – vor allem bei älteren Patienten – zu leichten
neurologischen Nebenwirkungen wie Schlaflosigkeit, Benommenheit und
Kopfschmerzen führen, was mit ein Grund ist, dass es nicht mehr so breit eingesetzt
wird. Bei Influenza-A-Grippeepidemien kann Amantadin prophylaktisch verabreicht
werden, und wenn es innerhalb von 48 Stunden nach Auftreten der ersten Symptome
eingenommen wird, verläuft die Grippe weniger schwer.

Neuraminidasehemmer (Zanamivir und Oseltamivir)


Neuraminidase ist eines der beiden Glykoproteine auf der Oberfläche von
Influenzaviren und spaltet Sialinsäure-Reste von Wirtszellen auf, um die Freisetzung
und Ausbreitung der Viren im Respirationstrakt zu ermöglichen.

Neuraminidasehemmer sind reversible kompetitive Inhibitoren der aktiven


Enzymstelle. Zanamivir, ein Sialinsäure-Analog, wird inhaliert, Oseltamivir wird oral
eingenommen und von Esterasen in die aktive Carboxylat-Form aufgespalten. Beide
Substanzen interagieren in unterschiedlicher Weise mit der Neuraminidase und sind
gegen Influenzaviren des Typs A und B wirksam.

Wenn sie früh genug verabreicht werden, verringern beide Wirkstoffe die
Virusausscheidung, verkürzen die Dauer der Erkrankung und lindern die Schwere der
Symptome, sie können aber auch als Prophylaxe angewandt werden.

1106
33.15.8 Antivirale Mittel gegen Hepatitisviren (HBV
und HCV)
Aus den unten genannten Gründen war eine Interferontherapie bei Patienten mit
chronischer HBV- oder HCV-Infektion nur begrenzt erfolgreich. Nach Absetzen der
Therapie kam es außerdem häufig zu Rückfällen.

Studien zufolge lassen sich HCV-Infektionen besser mit einer Kombination aus
pegyliertem Interferon und Ribavirin bzw. HBV-Infektionen besser mit Lamivudin und
Adefovir behandeln.

33.15.9 Entwicklung von Virustatika


In der Entwicklung neuer antiviraler Medikamente wurden folgende Richtungen
eingeschlagen:

■ Um die Virusadsorption an Zellen zu verhindern, wurden Viren mit Analoga


oder Peptiden des Zellrezeptors (z.B. HIV mit dem CD4-Molekül von T-Zellen) bzw.
Zellen mit viralen Adhäsionsproteinen (z.B. mit gp120 im Fall von HIV) beschichtet.

■ „Antisense“-Oligonukleotide zur Hemmung der Virus-mRNA; die kurzen


komplementären Nukleotidsequenzen binden an neu transkribierte Virus-RNA und
blockieren ihre Wirkung.

■ Topisch anwendbare Wirkstoffe, die Viren inaktivieren können.

33.15.10 Interferontherapie bei Infektionen


In vitro haben Interferone (IFN, s. Kap. 9) schon in Konzentrationen von einigen pg/ml
deutliche Auswirkungen auf die Virusreplikation und sind bei bestimmten experimentell
induzierten Virusinfektionen wirksam. Klinisch verlief ihr Einsatz jedoch bisher
enttäuschend. Wegen ihrer kurzen Halbwertszeit im Blut erwies es sich als schwierig,
ausreichende Wirkstoffmengen zum Infektionsherd zu befördern.

In der Behandlung chronischer Virusinfektionen (Hepatitis B und C) haben


hochdosierte Interferone ihren festen Platz. Bei Papillomavirusinfektionen sind direkt in
die Läsionen injizierte Interferone wirksam, werden aber nicht routinemäßig
verabreicht. Da Interferone (besonders IFNγ) großen Einfluss auf das Immunsystem
haben, eignen sie sich potenziell auch zur Immunmodulation.

Viele Patienten leiden an grippeartigen Symptomen


unter einer IFN-Therapie
Grippeartige Symptome wie Fieber, Muskel- und Kopfschmerzen sind
Nebenwirkungen der Interferone, selbst bei gentechnisch hergestellten. Tatsächlich
werden derartige Symptome im Rahmen von Virusinfektionen der Wirkung endogen
produzierter IFN zugeschrieben. Unter einer hochdosierten IFN-Therapie waren
darüber hinaus Leukopenie, Thrombozytopenie und ZNS-Wirkungen zu beobachten.

1107
33.16 Antimykotika
Verglichen mit antibakteriellen Mitteln ist die Zahl wirksamer Antimykotika sehr
begrenzt. Bei eukaryoten Pilzen lässt sich viel schwieriger selektive Toxizität erreichen
als bei prokaryoten Bakterien, und auch wenn sich die Aktivität der verfügbaren
Antimykotika stärker gegen Pilze als gegen Wirtszellen richtet, ist der Unterschied längst
nicht so ausgeprägt wie bei den meisten antibakteriellen Mitteln. Die Behandlung von
Pilzinfektionen wird zudem noch dadurch erschwert, dass Löslichkeit, Stabilität und
Resorption der vorhandenen Substanzen nicht ganz unproblematisch sind. Daher hat die
Suche nach neuen, besseren Wirkstoffen hohe Priorität. Auch die Resistenz gegen
Antimykotika nimmt zu.

Antimykotika können nach Angriffsziel und chemischer


Struktur unterteilt werden
Wie antibakterielle werden auch antimykotische Wirkstoffe nach ihrem Angriffspunkt
und ihrer chemischen Struktur in verschiedene Klassen eingeteilt. Schon hier zeigt sich
ein Hauptunterschied zu den Antibiotika, denn Antimykotika wirken hauptsächlich auf
Synthese oder Funktion intrazellulärer Membranen ein. Ausnahmen bilden
Flucytosin (bzw. 5-Fluorocytosin) und Griseofulvin, die in die DNA-Synthese
eingreifen. Derzeit gibt es keinen einzigen Proteinsynthesehemmer, der nur bei Pilzen
wirksam wäre (ohne Einfluss auf die entsprechenden Wirtszellen).

Azole und Echinocandine hemmen die Synthese der


Zellmembranen
Azol-Antimykotika führen zur Hemmung der Lanosterol-C14-Demethylase, eines
wichtigen Enzyms der Sterolbiosynthese. Sehr nützlich sind topische Zubereitung wie
Clotrimazol und Miconazol, Candida-Infektionen werden häufig mit Fluconazol
behandelt (Tab. 33.13). Da sich die Azol-Resistenz immer weiter ausbreitet, droht die
ganze Wirkstoffgruppe in Misskredit zu geraten. Vor kurzem wurden neue Azole (z.B.
Posaconazol, Voriconazol) auf dem Markt eingeführt. Mit den neu entwickelten
Echinocandin-Antimykotika eröffnen sich zudem potente Therapieoptionen für
Aspergillosen, Candida- und Pneumocystis-Infektionen.

Polyene hemmen die Membranfunktion


Amphotericin B und Nystatin entfalten ihre Wirkung über die Sterolbindung, so dass
sich Löcher in der Zellmembran bilden und der Zellinhalt austritt, was letztlich zum
Zelltod führt. Ihre selektive Toxizität kommt durch bevorzugte

1108
Tab. 33.13 Hauptanwendungsgebiete der Antimykotika.

1109
Bindung an Ergosterol statt an Cholesterol zustande. Amphotericin B bleibt in dieser
Gruppe trotz stark toxischer Nebenwirkungen das Mittel der Wahl zur Behandlung
schwerer systemischer Pilzinfektionen. Liposomale Präparate sind weniger toxisch.
Nystatin liegt nur zur topischen Applikation vor.

Flucytosin und Griseofulvin hemmen die


Nukleinsäuresynthese
Flucytosin (5-Fluorocytosin) hemmt die DNA-Synthese nach seiner Desaminierung zu
5-Fluorouracil. Seine selektive Toxizität kommt dadurch zustande, dass es bevorzugt
von Pilz- statt menschlichen Zellen aufgenommen wird. Flucytosin ist nur gegen Hefen
und wenige Schimmelpilze wirksam (z.B. Candida- und Cryptococcus-Spezies). Da
sich rasch Resistenz entwickelt, sollte Flucytosin mit Amphotericin B kombiniert
werden (manchmal lassen sich so Amphotericin B-Dosis und toxische Nebenwirkungen
reduzieren).

Griseofulvin scheint die Nukleinsäuresynthese zu hemmen und antimitotisch zu wirken,


vielleicht indem es die Anordnung der Mikrotubuli verhindert. Auch eine Hemmung der
Chitinsynthese könnte sich auf die Zellwandsynthese auswirken. Bei den Patienten
bindet Griseofulvin spezifisch an neu gebildetes Keratin und ist in vivo nur gegen
Dermatophyten wirksam (s. Kap. 4 und 26).

Topische Mittel gegen Pilze sind Whitfields Salbe,


Tolnaftat, Ciclopirox, Haloprogin und Naftifin
Zur topischen Anwendung bei oberflächlichen Hautmykosen stehen Whitfields Salbe
(eine Mischung aus Benzoin- und Salicylsäure) oder Tolnaftat, Ciclopirox, Haloprogin
und Naftifin in Form von Cremes zur Verfügung. Die meisten sind freiverkäuflich und
unterscheiden sich kaum.

Kein einziges Mittel entspricht dem idealen


Antimykotikum
Die wichtigsten Indikationen und Nebenwirkungen von Antimykotika sind in Tab. 33.13
zusammengestellt. Trotz mehrerer wirksamer Präparate sind Nagelbefall (Tinea
unguium) oder rezidivierender Vaginalsoor (Candidiasis) oft therapierefraktär. Zur
Behandlung systemischer Infektionen steht nur eine begrenzte Zahl von Antimykotika
zur Verfügung – und einige haben beträchtliche Nebenwirkungen.

1110
Antimykotika-Resistenz
Obwohl sie nicht so gut untersucht ist wie die Antibiotika-Resistenz, deutet vieles
darauf hin, dass ganz ähnliche Mechanismen bei den Pilzen zur Resistenz führen. Dazu
zählen unter anderem:

■ modifizierte Enzyme

■ Veränderung an Angriffspunkten

■ verminderte Durchlässigkeit

■ Efflux-/Pumpmechanismus

■ Inaktivierung/fehlgeschlagene Antimykotika-Wirkung

Einige oder alle genannten Faktoren können an der bereits für Aspergillus-, Candida-
und Cryptococcus-Spezies beschriebenen Antimykotika-Resistenz beteiligt sein, die sich
vor allem durch eine Behandlung mit Azolpräparaten entwickelt.

Dringender Bedarf an sicheren und wirksameren


Antimykotika
Wenn sich Patienten einer Chemotherapie unterziehen müssen, immunsupprimiert oder
Transplantatempfänger sind, können invasive (systemische) Mykosen eine signifikante
Morbiditäts- und Letalitätsursache sein. Parallel zur steigenden Zahl von Patienten,
die dank wirksamer antibakterieller Therapien bessere Überlebenschancen haben, nimmt
die Inzidenz systemischer Mykosen zu. Daher werden dringend neue Medikamente
benötigt, mit denen sich besonders invasive Aspergillosen bekämpfen lassen.

33.17 Gegen Parasiten wirksame Mittel

Parasiten bereiten besondere Schwierigkeiten in der


Therapie
Vor jedem Einsatz antiparasitärer Medikamente ist zu berücksichtigen, dass Infektionen
des Menschen durch eine Vielzahl von Parasiten mit zum Teil komplexen
Entwicklungszyklen und unterschiedlichen Stoffwechselwegen verursacht sein
können. Protozoenmittel sind daher oft unwirksam gegen Würmer und umgekehrt.
Hinzu kommt, dass Protozoen und Würmer als Eukaryonten dem Menschen ähnlicher
sind als Bakterien. Obwohl bestimmte antibakterielle Mittel (z.B. Metronidazol,
Tetrazykline) eine gewisse Aktivität bei Parasiten zeigen, sind Antibiotika im
Allgemeinen unwirksam gegen Parasiten.

Eine große Herausforderung stellt die Suche nach Angriffszielen dar, an denen die
Unterschiede zwischen Parasiten und Menschen groß genug sind, um eine gewisse
Arzneimittelsicherheit zu gewährleisten. Solche Angriffspunkte sind z.B.:

■ unverwechselbare Aufnahme von Malariamitteln wie Chloroquin, Mefloquin,


Primaquin

1111
■ unterschiedlicher Folsäurestoffwechsel: z.B. Pyrimethamin bei Malaria,
Sulfonamide bei Toxoplasmose, Trimethoprim bei Cyclosporidiose

■ Polyaminaufnahme: z.B. Pentamidin bei Leishmaniasis und Toxoplasmose

■ unverwechselbare Trypanothion-abhängige Reduktion: z.B.


Fluoromethylornithin bei Trypanosomen

■ unverwechselbare Neurotransmitter: z.B. Piperazin, Ivermectin, Pyrantel bei


Nematoden

■ Zytoskelettproteine (Tubuline): z.B. Benzimidazole bei Nematoden

■ intrazellulärer Kalziumspiegel: z.B. Praziquantel bei Egeln und Bandwürmern

■ oxidative Phosphorylierung: z.B. Niclosamid bei Band-würmern

Obwohl sich diese Angriffsziele bei Menschen und Parasiten unterscheiden, gilt
trotzdem, dass gerade einige der wirksameren Mittel ein erhebliches Toxizitätsrisiko
beinhalten und daher nur nach sorgfältiger Abwägung der Vor- und Nachteile
angewandt werden sollten.

Das breite Spektrum der bisher entwickelten Mittel ist in Tab. 33.14 und 33.15
zusammengefasst.

Arzneimittelresistenz wird zunehmend zum Problem


Wie bei Bakterien stellt auch die Resistenz von Parasiten gegenüber spezifischen
Therapeutika ein erhebliches Problem dar, besonders für die Behandlung der
Malaria. Die Behandlung der Malaria ruht auf vier Säulen:

■ Prophylaxe (Verhütung der Infektion)

■ Therapie (Behandlung der Infektion)

■ Radikalkur (Behandlung und Vorbeugung von Rückfällen)

■ Mücken-/Gametozyten-Bekämpfung (Verhinderung der Übertragung)

Chloroquin war lange das Mittel der Wahl zur Malariaprophylaxe und -therapie, doch
inzwischen treten weltweit resistente Plasmodium-falciparum-Stämme auf und auch
P. vivax zeigt zunehmend Resistenz. Als Alternative zu Chloroquin wurde
üblicherweise Mefloquin oder Pyrimethamin-Sulfadoxin verordnet, doch auch
gegen Folsäureantagonisten hat sich mittlerweile eine signifikante Resistenz
entwickelt. Bei schweren Malariafällen kann Chinin, das ursprüngliche Malariamittel,
die letzte Rettung bedeuten; es hat aber unter Umständen ernste Nebenwirkungen.

1112
Tab. 33.14 Wichtige therapeutische Anwendungsgebiete für
Antiprotozoenmittel.

1113
G6PDH = Glukose-6-Phosphatdehydrogenase

Aussichten auf neue Malariamittel eröffnen sich jetzt durch natürliche Wirkstoffe; am
wichtigsten sind Artemisinin-Derivate (aus Beifuß/Wermut – in der chinesischen
Medizin als Quing-hao-su bekannt). Arzneimittelresistenz bei anderen Protozoen stellt
kein so großes Problem dar, weil sie zwar weit verbreitet bei Tiernematoden
vorkommt, bei Infektionen des Menschen aber noch keine Schwierigkeiten bereitet.

Protozoen können durch modifizierte Enzyme oder Angriffsziele Resistenz entwickeln


(z.B. gegen Folsäureantagonisten und Sulfonamide). Für die Resistenz von P.
falciparum gegen Malariamittel wie Chloroquin, Mefloquin und Artemisinin scheint
zusätzlich ein aktiver Efflux (Pumpmechanismus) verantwortlich zu sein. Zur
Resistenz gegen Benzimidazole kommt es, wenn sich durch Mutation der kutikulären
Tubuline die Angriffspunkte der Antihelminthika verändern.

1114
1115
Tab. 33.15 Wichtige therapeutische Anwendungsgebiete für
Anthelminthika.
**
nicht in der Schwangerschaft
*
topische Anwendung,
NW = Nebenwirkungen

33.18 Richtiger Gebrauch und Missbrauch


In diesem Kapitel ist viel über die Interaktionen zwischen antimikrobiellen Wirkstoffen
und Mikroorganismen gesagt worden – wie selektive Toxizität entsteht und wie resistente
Keime sie abwehren. Kurz erwähnt wurden auch Verteilung, Stoffwechsel und
Ausscheidung der einzelnen Substanzen und die wichtigsten Nebenwirkungen bei den
Patienten. Auf die Auswahl geeigneter Mittel für spezifische Infektionen ist in den
„Organkapiteln“ (s. Kap. 18–30) ausführlich eingegangen worden.

Dosierungsempfehlungen werden nicht angegeben, weil sie je nach Art der Infektion,
Alter und Grunderkrankung des Patienten bei einzelnen Mitteln stark schwanken können.
Zum Teil gelten in anderen Ländern auch unterschiedliche Richtlinien. Jeder Arzt sollte
daher geeignete lokale Quellen zu Rate ziehen.

Antimikrobielle Mittel dürfen nur zur Prophylaxe oder


Therapie angewandt werden
Infolgedessen sollten wir uns zurückhalten und fragen, ob der betreffende Patient
wirklich mit antimikrobiellen Mitteln behandelt werden muss, und falls ja, welches für
ihn am besten geeignet wäre. Mit antimikrobiellen Mitteln können Eine
Antibiotikaprophylaxe ist nur unter klar umschriebenen Bedingungen zulässig und
sollte möglichst kurz dauern (z.B. 1–2 Tage). Solche Sonderfälle sind a) Kontakt mit
bestimmten ansteckenden Infektionen (z.B. bakterielle Meningitis oder Tuberkulose); b)
erhöhte Infektionsanfälligkeit (z.B. bei neutropenischen Patienten) und c)
antimikrobielle Abschirmung vor und während bestimmten Operationen.

■ Infektionen verhütet (Prophylaxe) oder

■ Infektionen behandelt werden.

1116
Abb. 33.29 „Das Beziehungs-Dreieck“.

Um sich einen Überblick über die Interaktionen von antimikrobiellen Mitteln,


Mikroorganismen und menschlichem Wirt zu verschaffen, können zu jeder Seite
dieses Beziehungsdreiecks Fragen gestellt und beantwortet werden.

* Weitere Tests erfassen die Phäno- und Genotyp-Empfindlichkeit sowie die


Viruslast

Durch Antibiotika kommt es zur Selektion resistenter


Stämme
Falls eine Antibiotikatherapie erforderlich ist, sind mehrere Faktoren zu berücksichtigen
(Abb. 33.29). Man sollte sich unbedingt klar machen, dass sich die Behandlung nicht
nur auf den Infektionserreger, sondern auch auf den Patienten und seine Normalflora
auswirken wird.

Der Einsatz antimikrobieller Mittel führt erwiesenermaßen zur Selektion resistenter


Stämme, nicht nur bei Einzelpatienten, sondern in ganzen Gruppen – und erst recht,
wenn diese Mittel falsch oder missbräuchlich angewandt werden. Nach der bisherigen
Geschichte ist zu vermuten, dass Bakterien immer neue Wege finden werden, Resistenz
zu entwickeln, was eines Tages zum kompletten Fehlen wirksamer antimikrobieller
Mittel führen kann.
Zusammenfassung
■ Infektionen sind insofern eine besondere Form von Erkrankungen, da an ihnen
zwei unterschiedliche Biosysteme beteiligt sind. Antimikrobielle Wirkstoffe sollen
das eine System (Erreger) hemmen und das andere System (Patienten) nur minimal
schädigen. Dazu müssen sie selektive Toxizität besitzen.

■ Antimikrobielle Wirkstoffe stammen oft selbst von Mikroorganismen


(natürliche Produkte derselben), werden allerdings oft chemisch modifiziert, um ihre
Wirkeigenschaften zu verbessern. Einige werden komplett synthetisch hergestellt.

1117
Während es zahlreiche antibakterielle Wirkstoffe gibt, stellt die Entwicklung
antiviraler, antimykotischer und antiparasitärer Mittel mit selektiver Toxizität eine
sehr viel größere Herausforderung dar.

■ Antibiotika werden nach Angriffsziel und chemischer Struktur in Klassen


unterteilt. Das hilft, ihre Wirkungsweise und Resistenzmechanismen besser zu
verstehen.

■ Antibakterielle Mittel haben vier mögliche Angriffspunkte: Zellwand,


Proteinsynthese, Nukleinsäure und Zellmembran der Bakterien. Die meisten
attackieren die Zellwand oder hemmen die Protein- oder Nukleinsäuresynthese. An
allen Stellen gibt es unterschiedliche molekulare Ziele (Enzyme oder Substrate), die
spezifisch gehemmt werden können.

■ Resistenzentwicklung ist die wichtigste Einschränkung für den Einsatz


antibakterieller Mittel. Sie kann zufällig nach einer Genmutation im
Bakterienchromosom auftreten, aber noch wichtiger ist die von anderen Bakterien
erworbene Resistenz (durch Resistenzgene auf Integrons, Transposons oder
Plasmiden).

■ Unter dem Einfluss mutierter oder erworbener Resistenzgene verändern sich


Angriffsziele, die Aufnahme antibakterieller Mittel oder es werden Enzyme
produziert, die den Wirkstoff zerstören (inaktivieren).

■ AIDS hat der Forschung nach antiviralen Mitteln (besonders gegen HIV)
starken Auftrieb gegeben. Wieder stellt die selektive Toxizität eine große
Herausforderung dar. Bei HIV-Infizierten erwiesen sich antiretrovirale
Wirkstoffkombinationen als viel versprechend, doch für die meisten
Viruserkrankungen gibt es keine spezifische Therapie. Wirksame Mittel stehen für
Virusinfektionen wie Hepatitis B und C, Influenza A und B, Herpes simplex und
Zytomegalie zur Verfügung.

■ Antimykotische Mittel bzw. Wirkstoffklassen gibt es nur in sehr begrenzter


Zahl. Toxizität (fast alle), schwierige Zubereitung (Polyene) und zunehmende
Resistenzentwicklung (Azole) machen die erfolgreiche Behandlung schwerer
Pilzinfektionen zu einem echten Problem.

■ Trotz der zahlreich verfügbaren Mittel gegen Parasiten sind einige zu toxisch
und andere werden durch zunehmende Resistenzentwicklung unbrauchbar. Das zeigt
sich besonders bei den derzeit verfügbaren Malariamitteln, gegen die die Parasiten
vermehrt Resistenzen entwickelt haben.

■ Bakterien können im Labor auf ihre (Antibiotika-)Empfindlichkeit getestet


werden. Die Ergebnisse gut kontrollierter Untersuchungen können wertvolle
Hilfestellungen zur Wahl der richtigen Therapie geben. Weniger verlässlich sind In-
vitro-Tests von Antimykotika. Antivirale Mittel werden nur selten unter
Laborbedingungen erprobt.

FRAGEN

1118
1 Nennen Sie die klinisch wichtigsten Klassen antibakterieller Wirkstoffe und
geben Sie für jede Klasse ein Beispiel an.

2 Welches sind die Hauptmechanismen, unter denen Resistenz gegen


antibakterielle Mittel in Erscheinung tretenkann? Führen Sie für jeden ein
Beispiel an.

3 Wieso stellt selektive Toxizität eine Herausforderung für die Entwicklung


antiviraler, antimykotischer und antiparasitärer Wirkstoffe dar?
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

Gilbert, D.N., Moellering, R.C., Sande, M.A.: The Sanford Guide to Antimicrobial
Therapy. Antimicrobial Therapy Inc, Hyde Park/Vermont 2002.

Greenwood, D.: Antimicrobial Chemotherapy. Oxford University Press, Oxford 2000.

Murray, P. et al.: Manual of Clinical Microbiology, 7th ed. American Society for
Microbiology, Washington D.C. 1999.

Sande, M.A., Gilbert, D.N., Moellering, R.C.: The Sanford Guide to HIV/AIDS
Therapy. Antimicrobial Therapy Inc, Hyde Park/Vermont 2002.

Stille, W., Brodt, H.-R., Groll, A.H., Just-Nübling, G.: Antibiotika-Therapie. Klinik
und Praxis der antiinfektiösen Behandlung. Schattauer, Stuttgart New York 2005.

1119
34 Impfungen
34.1 Impfziele 547

34.2 Anforderungen an gute Impfstoffe 548

34.3 Impfstoffe 550

34.3.1 DNA-Impfstoffe 554

34.3.2 Impfstoffe gegen Nichtproteinantigene 554

34.4 Besondere Überlegungen 555

34.4.1 Adjuvanzien 557

34.4.2 Wann impfen? 558

34.5 Impfschutz auf Bevölkerungsebene 560

34.6 Einflussfaktoren auf den Impferfolg 562

34.7 Derzeitige Impfpraxis 564

34.7.1 Allgemein gebräuchliche Impfstoffe 564

34.7.2 Neue und experimentelle Impfstoffe 571

34.7.3 Auf diese Impfstoffe wird noch gewartet 572

34.7.4 Neue Applikationsformen 573


Zur Orientierung
Impfungen sollen das adaptive Immunsystem auf bestimmte Erregerantigene
vorbereiten, damit bei Erstinfektion eine sekundäre Immunreaktion ausgelöst wird

„In der Geschichte des menschlichen Fortschritts“, schrieb der Pathologe Geoffrey Edsall,
„gab es nie eine bessere und billigere Methode der Krankheitsverhütung als durch
bestmögliche Immunisierung.“ Dass die größte Erfolgsgeschichte der Medizin
(Ausrottung der Pocken) schon begann, bevor sich Fächer wie Immunologie und
Mikrobiologie etablierten oder noch bevor die Existenz von Mikroorganismen und des
Immunsystems auch nur geahnt wurde, ist eine ziemlich ernüchternde Vorstellung.
Infolge von Edward Jenners Pionierarbeit mit Vaccinia (s. Kasten) wird heute jede
spezifische, aktiv induzierte Immunität als „Vakzination“ (Impfung) bezeichnet.

Das Prinzip ist einfach: Impfungen „primen“ das Immunsystem (bereiten es vor), damit
beim Erstkontakt mit der betreffenden Infektion durch eine rasche und effektive
Immunreaktion ein Ausbruch der Krankheit verhindert wird. Die Vakzination stellt eine
Art aktiver Verstärkung der erworbenen Immunität dar, denn sie ist nur wirksam, wenn B-
und T-Lymphozyten auf spezifische Antigene ansprechen und sich Gedächtniszellen
entwickeln. Die passive Immunisierung durch vorgefertigte Elemente (wie Antikörper)
wird in Kap. 35 besprochen.

1120
Ein wichtiger Aspekt von Impfprogrammen ist die Herdimmunität, d.h. Maßnahmen, die
Gesamtimmunität einer Bevölkerung so anzuheben, dass nicht mehr genügend
infektionsanfällige Individuen übrig bleiben, um eine Übertragung weiter
aufrechtzuerhalten. Erfolgreiche Impfprogramme beruhen daher nicht nur auf der
Entwicklung und Anwendung von Impfstoffen, sondern auch auf Kenntnissen zu den
epidemiologischen Aspekten der Krankheitsübertragung.

Trotz gestiegener Zahl der zugelassenen Impfstoffe und vieler Impferfolge bleibt die
Entwicklung wirksamer Impfstoffe gegen die drei wichtigsten tödlichen
Infektionskrankheiten (die schätzungsweise 5,2 Millionen Tote pro Jahr fordern; Tab.
34.1) noch immer eine große Herausforderung.

34.1 Impfziele

Impfungen verfolgen weit gesteckte Ziele: von der


Verhütung der Übertragung über die Prävention von
Symptomen bis zur Ausrottung der Krankheit
Das ehrgeizigste Ziel von Impfungen ist die Ausrottung einer Krankheit. Bei den
Pocken konnte es erreicht werden und bei Poliomyelitis ist es in Sichtweite. Auch bei
den meisten anderen Infektionen ließ sich mit den verfügbaren Impfstoffen ein
dramatischer Rückgang der Inzidenz erzielen (Abb. 34.1). Doch solange in
Bevölkerungsgruppen ein Infektionsherd zurückbleibt, dienen Impfungen hauptsächlich
zum individuellen Schutz vor der Infektion.

In bestimmten Fällen sind die Ziele enger gesteckt, z.B. bei Impfungen, die individuell
vor spezifischen Symptomen schützen. Zum Beispiel sind bestimmte Bakterientoxine
schädlicher als der alleinige Erreger selbst. Diphtherie- und Tetanusimpfungen werden
mit Impfstoffen gegen die von den Erregern produzierten Toxine durchgeführt.

Schließlich kann man sich auch Impfungen vorstellen, die bei Krankheiten wie Malaria
(die von Vektoren übertragen werden und ein umschriebenes infektiöses Stadium haben)
die Ausbreitung verhindern; in dem Fall handelt es sich sozusagen um eine
„altruistische“ Impfung zum Wohle der Gruppe, von der die Geimpften selbst keinen
unmittelbaren Nutzen haben.

1121
Geschichte der Mikrobiologie
Edward Jenner (1749–1823)

Der englische Arzt Edward Jenner gilt als Begründer der modernen Form der
Impfung, obwohl er die Technik keinesfalls als Erster ausprobierte. Die früher geübte
Praxis der „Variolisierung“ geht zurück ins China des 10.Jahrhunderts und kam im
frühen 18.Jahrhundert über die Türkei nach Europa: Kindern getrocknetes Material
aus abgeheilten Pockennarben (leichter Fälle) zu inokulieren lieferte einen
Vorgeschmack auf das Prinzip moderner attenuierter Virusimpfstoffe. Doch die
Methode war unberechenbar und gefährlich.

Jenners Neuerung bestand in dem Nachweis, dass sich durch absichtliche


Inokulation desKuhpocken- (Vaccinia-)Virus ein viel sichererer und zuverlässigerer
Schutz erzielen ließ. Von Melkerinnen – die häufiger mit Kuhpocken in Kontakt
kamen – war traditionell bekannt, dass sie gegen Pocken resistent waren und daher
ihren glatten Teint behielten. 1796 inokulierte Jenner den 8-jährigen James Phipps mit
Kuhpocken-Flüssigkeit aus einem Bläschen an der Hand von Sarah Nelmes, um seine
Theorie zu testen. Mit dem Ergebnis, dass der Junge bei einer anschließenden
Inokulation mit Pocken nicht erkrankte. (Anmerkung: Ein solches Experiment wäre
heutzutage undenkbar!)

Jenners 1798 veröffentlichte „Untersuchung zu Ursachen und Folgen der Variola-


Vaccinia-Erkrankung in einigen westlichen Grafschaften von England (namentlich
Gloucestershire), die unter dem Namen Kuhpocken bekannt ist“ wurde zum Klassiker
– ein lebendig und elegant geschriebenes Buch mit stichhaltigen Argumenten.
Zunächst noch mit Skepsis aufgenommen, fanden Jenners Vorstellungen bald breite
Zustimmung, und so fuhr er fort, tausende Patienten im Geräteschuppen seines Hauses
in Berkeley/Gloucester zu impfen.

Schließlich erlangte er Weltruhm. (Allerdings wurde ihm seine Mitgliedschaft in der


Royal Society aus ganz anderen Gründen angetragen: für seine Arbeit über die
Nestgewohnheiten des Kuckucks!) Sein Haus in Berkeley blieb als Museum erhalten
und dient heute der British Society of Immunology als Ort für kleinere Symposien.

1122
Edward Jenner (1749–1823)

Tab. 34.1 Die wichtigsten Erreger tödlicher Infektions-krankheiten.

34.2 Anforderungen an gute Impfstoffe

Der ideale Impfstoff sollte wirksam, sicher, stabil und


kostengünstig sein
Ein wirksamer Impfstoff muss nicht nur eine angemessene Immunreaktion, sondern
auch noch eine des richtigen Typs induzieren. Denn:

■ es ist unwahrscheinlich, dass bei intrazellulären Infektionen wie Tuberkulose


eine reine Antikörperreaktion etwas nützt; nötig wäre eine zellvermittelte Reaktion.

1123
■ es ist genauso unwahrscheinlich, dass bei Streptokokkeninfektionen eine reine
T-Zell-Reaktion etwas nützt; hier wären opsonisierende Antikörper entscheidend für
die Immunität.

■ hohe Serum-Antikörpertiter gewähren keinen Schleimhautschutz vor


Poliomyelitis, sondern die sekretorische IgA-Konzentration ist wichtiger.

■ die Aktivierung zytotoxischer T-Zellen kann bei Hepatitis schädlich sein, weil
sie die Leber schädigen kann.
Abb. 34.1 Auswirkung von Impfungen auf die
Inzidenz von verschiedenen Viruskrankheiten in den
USA.

Bei den meisten zeichnete sich ein dramatischer Abwärtstrend nach Einführung
eines Impfstoffs (Pfeile) ab [nach Mims und White 1984].

Von vorrangiger Bedeutung ist die Dauer einer


Immunreaktion
Als kurzzeitiger Schutz (z.B. für Touristen, die in ein Erkrankungsgebiet reisen wollen)
kann die primäre Antikörperreaktion auf die Impfung selbst völlig ausreichen, ohne dass
sich Gedächtniszellen bilden müssten. Dagegen ist es für den Impfschutz vor einer in
Zukunft möglichen Exposition entscheidend, ein Immungedächtnis zu induzieren.
Leichter schützen kann man sich vor Krankheiten mit langer Inkubationszeit, weil das
Immunsystem mehr Zeit zum Aufbau von Sekundärreaktionen hat.

1124
Durch periodische Krankheitsausbrüche in der Bevölkerung (z.B. jährliche Masern- und
Mumpsepidemien) wird das Immungedächtnis oft auf natürliche Weise aufgefrischt.
Seitdem immer mehr Infektionskrankheiten aussterben, kann man sich darauf aber nicht
mehr verlassen. Paradoxerweise sind Schutzimpfungen also umso wichtiger, je seltener
Infektionskrankheiten in einer Bevölkerung auftreten – ein Punkt, den Eltern oft nicht
wahrhaben wollen.

Lebendimpfstoffe induzieren im Allgemeinen eine stärkere und länger anhaltende


Immunität als Totimpfstoffe (s. unten).

Eine wichtige Überlegung ist die Impfsicherheit


Die hohen Schadensersatzansprüche für Impfschäden, die erfolgreich vor Gericht
eingeklagt werden können, waren u.a. Grund dafür, dass sich mehrere Herstellerfirmen
aus der Entwicklung und Produktion von Impfstoffen zurückgezogen haben. Dabei hat
sicherlich auch eine Rolle gespielt, dass Impfstoffe nicht so profitabel sind wie
Medikamente (s. unten). Hinzu kommt, dass Impfstoffe als einzige Wirksubstanzen
routinemäßig an Gesunde verabreicht werden. Angesichts der enormen Zahl von
Impfungen, die bisher durchgeführt wurden, ist ihre Sicherheit statistisch
ausgesprochen gut.

Dennoch gab es ernste Impfzwischenfälle wie in Lübeck 1926 (s. Kap. 15), so dass die
Impfsicherheit nun sehr streng mit intensiven Qualitätskontroll- und Tierversuchen
überprüft wird, bevor Impfstoffe an Menschen getestet werden dürfen. Einige Probleme,
die sich bei der Sicherheitskontrolle von Impfstoffen ergeben können, sind in Tab. 34.2
zusammengefasst.

Tab. 34.2 Probleme der Impfsicherheit.

Bei attenuierten Lebendimpfstoffen ist Stabilität


besonders wichtig
Alle Wirkstoffe benötigen eine gewisse Stabilität, um länger haltbar zu bleiben. Doch es
ist nicht immer leicht, die Kühlkette zwischen Fabrik und Klinik/Praxis

1125
aufrechtzuerhalten. Eine Studie in Kamerun ergab, dass nur jede sechste Dosis
Masernimpfstoff wirksam war, wenn sie einem Patienten verabreicht wurde.
Attenuierter Polio-Lebendimpfstoff ist bei 4°C nachweislich ein Jahr lang haltbar, bei
37°C aber nur wenige Tage.

Die Impfkosten dürfen für Entwicklungsländer nicht zu


hoch sein
80 US-Dollar für eine Impfung, die vor Hepatitis B – einer potenziell tödlichen
Infektion und Hauptursache des Leberzellkarzinoms – schützt, würde man für gut
angelegtes Geld halten. Doch in einem durchschnittlichen Entwicklungsland sind solche
Kosten – und sogar viele billigere Impfstoffe – völlig unerschwinglich für die
Normalbevölkerung oder die nationalen Gesundheitsdienste. Ob mit neuer Gentechnik
kostengünstigere oder teurere Impfstoffe als die derzeit gebräuchlichen produziert
werden können, wird weiter unten diskutiert.

34.3 Impfstoffe

Ein Impfstoff sollte mehrere (bzw. mindestens eines)


schützende Antigene enthalten
Die heute gebräuchlichen Impfstoffe haben alle Vor- und Nachteile. Es gibt Impfstoffe
mit

■ Mikroorganismen, deren Virulenz künstlich abgeschwächt (attenuiert) wurde;

■ Mikroorganismen, die von Natur aus weniger virulent für Menschen sind;

■ abgetöteten Mikroorganismen,

■ subzellulären Fragmenten (= immunogene Untereinheiten in Spaltimpfstoffen).

Der Pockenimpfstoff (Vaccinia) war in vielerlei Hinsicht


ideal
Die Impfung gegen Pocken klappte deshalb so gut, weil das Vaccinia-Virus – als
natürliches Tier- bzw. „heterologes“ Virus – und das Pockenvirus viele gemeinsame
Antigene haben. In Tierversuchen können avirulente Stämme bestimmter
Mikroorganismen einen Schutz vor virulenten Stämmen induzieren, und auf demselben
Prinzip beruhen auch einige Impfstoffe für Tiere. So wurden z.B. Truthahn-Herpesviren
zur Schutzimpfung von Hühnern verwendet, während Rotaviren von Affen und
Kälbern mit gewissem Erfolg bei Kindern erprobt wurden.

Erfolgreiche Virusimpfstoffe sind zum Großteil


attenuierte Lebendvakzinen
Von den derzeit gebräuchlichen attenuierten Lebendimpfstoffen gegen Viren sind einige
rein zufällig (durch Selektion von Mutanten in einem „genetischen Roulette“)

1126
entstanden. Zur Abschwächung (Attenuation) dieser Impfstoffe werden hauptsächlich
zwei Methoden angewandt:

■ Passage in einer Reihe von Zellkulturen in vitro,

■ Adaptation an niedrige Temperaturen.

Bei der oralen Poliovakzine (OPV) erfolgte die Virulenzabschwächung z.B. als Passage
durch Affennierenzellen oder Fibroblasten menschlicher Embryonen, und anhand der
Neurotoxizität bei Affen wurde dann die Virulenz überprüft (Abb. 34.2). Mit ähnlichen
Methoden wurden Masern-, Röteln-, Mumps- und Gelbfieber-Impfstoffe hergestellt
(Tab. 34.3).

Wie unvorhersehbar Zufallsmutationen sind, lässt sich anhand der drei Serotypen des
attenuierten (Sabin-)Poliovirus-Impfstoffs aufzeigen:

■ Typ 1 weist 57 unabhängige Basensubstitutionen auf.

■ Die wenigen Basensubstitutionen bei Typ 2 und 3 scheinen alle (bis auf zwei)
nicht mit dem Virulenzverlust zusammenzuhängen.

Das erklärt, warum es bei Typ 2 und 3 häufiger zum Umschlagen in virulentes Wildtyp-
Virus kommen kann, auch wenn dies mit weniger als 1 pro 1 Million Impfungen noch
immer sehr selten ist. Wenn aber in einer Bevölkerung viele Menschen ungeimpft sind,
kann das zum Problem werden – so ging die Poliomyelitis-Epidemie in Haiti und der
Dominikanischen Republik (2000/2001) offenbar von der einige Jahre früher
durchgeführten Schluckimpfung (mit OPV) eines einzelnen Kindes aus! In manchen
Ländern (wie den USA) zieht man den weniger wirksamen, inaktivierten Polio-
Impfstoff vor, um die Möglichkeit einer Reversion auszuschließen.

Interessanterweise stellte sich heraus, dass es sich bei den Mutanten in auf diese Art
hergestellten Polio- und Masernimpfstoffen um temperaturempfindliche Stämme
handelte. In anderen Fällen wurde die Temperaturempfindlichkeit bewusst zur
Selektion kälteadaptierter Viren herangezogen. Wenn sich Viren an niedrige
Temperaturen (z.B. 25°C) angepasst haben, wachsen sie gewöhnlich nur schlecht (oder
überhaupt nicht) bei Körpertemperatur. Solche Viren könnten zwar die oberen
Atemwege, nicht aber das wärmere Lungengewebe besiedeln.
Abb. 34.2 Vorgang zur Virulenzabschwächung.

1127
Um attenuierte Lebendimpfstoffe (z.B. zur Polio-Schluckimpfung) zu erzeugen,
wurden die Viren ursprünglich unter unüblichen Bedingungen angezüchtet und dann
zufällig entstandene Mutanten ausgewählt, die ihre Virulenz verloren hatten.

Ein auf diese Weise produzierter Grippe-Impfstoff erwies sich als recht viel
versprechend. Bei einem Grippe-Impfstoff mit chemisch induzierten
temperaturempfindlichen Mutanten fand allerdings leichter ein Umschlagen zum
Wildtyp statt, und dasselbe Problem trat bei einem Respiratory-syncytial-Virus(RSV)-
Impfstoff auf.

Eine vergleichbare zufällige Attenuation ließ sich bei Bakterien nicht erzielen, doch der
von Calmette und Guérin entwickelte Tuberkulose-Impfstoff mit Bacillus Calmette-
Guérin (BCG), einem nach zehnjähriger Kultur (1908–1918) auf einem Glycerin-Galle-
Kartoffel-Nährmedium attenuierten bovinen Mykobakterienstamm, zeigt, dass es
grundsätzlich möglich ist. Der BCG-Impfstoff hat sich als einzige attenuierte
Bakterienvakzine gut etabliert, und es ist seit über 70 Jahren kein einziges Mal zur
Virulenz-Reversion gekommen.

Kürzlich haben Studien ergeben, dass seit 1931 in mehreren Regionen des BCG-
Chromosoms Deletionen aufgetreten sind und dass unabhängig davon verschiedene
Stämme der Pasteur- und Danish-Vakzinen weitere Genabschnitte verloren haben (Tab.
34.4). Weltweit werden fast 90% der Neugeborenen gleich nach der Geburt zum Schutz
vor schweren disseminierten Formen wie der tuberkulösen Meningitis mit BCG geimpft.
Bei der Lungentuberkulose Erwachsener zeigt die Impfung eine variablere Wirksamkeit
(s. unten).

Eine neuere Entwicklung ist ein attenuierter Impfstoff mit einem chemisch
veränderten Salmonella-typhi-Stamm, der sich dem älteren Totimpfstoff gegen Typhus
als mindestens ebenbürtig erwiesen hat.

1128
Gentechnische oder zielgerichtete Mutationen von Viren und Bakterien lassen einiges
für die Zukunft erwarten. In der Mehrzahl handelt es sich um Deletionsmutanten, bei
denen ein Virulenzgen inaktiviert wurde. Die Palette der Beispiele reicht von einem
experimentellen Typ-2-Poliovirusstamm mit Austausch einer einzelnen Base über
Salmonellenstämme mit Enzym-Genmutation (aroA oder galE) bis zum
Pseudorabiesvirus, dem das komplette Gen für Thymidinkinase, bzw. Cholera-Erregern,
denen das Gen für die A-Toxin-Untereinheit fehlt.

Sind keine Lebendimpfstoffe verfügbar, werden


abgetötete oder inaktivierte Mikroorganismen
verwendet
Manchmal stehen keine Lebendimpfstoffe zur Verfügung, weil eine Attenuation nicht
möglich war oder weil es zu leicht wieder zum Umschlagen in den virulenten Wildtyp
kommen kann. Totimpfstoffe haben zwar den Vorteil, nicht infektiös und daher
besonders sicher zu sein, aber auch den Nachteil, wegen ihrer allgemein geringeren
Immunogenität häufiger verabreicht werden zu müssen.

1129
Tab. 34.3 Verschiedene Herstellungsmethoden für attenuierte
Lebendimpfstoffe.
BCG = Bacillus Calmette-Guérin, CMV = Zytomegalievirus,
RSV = Respiratory-syncytial-Virus

Eine Inaktivierung lässt sich mit mehreren Methoden erreichen (Tab. 34.5). Bei den
älteren Impfstoffen gegen Grippe und Poliomyelitis (Salk-Impfstoff) wurde noch
Formaldehyd verwendet, doch seit neuerem werden β-Propiolacton sowie verschiedene
Ethylenimine und Psoralene (z.B. für Tollwutimpfstoff) bevorzugt. Ultraviolettlicht gilt
als nicht voll zuverlässig, weil es virale Nukleinsäure nur selektiv schädigt, so dass sie
wieder repariert werden kann. Bei Bakterien können Formaldehyd, Phenol, Aceton oder
einfaches Erhitzen alle mit vergleichbar gutem Erfolg angewandt werden.

1130
Tab. 34.4 Seit ihrer ursprünglichen Attenuation kam es bei
verschiedenen BCG-Stämmen noch zur Deletion weiterer
Genregionen (RD).

Wenn Impfschutz nur gegen bestimmte


Erregerbestandteile nötig ist, können immunogene
Untereinheiten (sog. Spaltimpfstoffe) verabreicht
werden
Bekannte Beispiele für immunogene Untereinheiten in Spaltimpfstoffen sind die
Kapsel-Polysaccharide von Pneumokokken, Haemophilus und Meningokokken, das
mit rekombinanter DNA-Technologie herstellbare Oberflächenantigen des Hepatitis-
B-Virus sowie Fragmente oder gereinigte Oberflächenantigene von Grippeviren. Noch
im Versuchsstadium befinden sich Impfstoffe aus Proteinfilamenten (Pili), mit denen
sich Escherichia coli und Neisseria gonorrhoeae am Harntraktepithel festheften können.
Entscheidend für die Sicherheit dieser Impfstoffe ist, dass lebendes infektiöses Material
vollständig entfernt wird.

1131
Tab. 34.5 Verschiedene Inaktivierungsmethoden für Impfstoffe.

Toxoidimpfstoffe enthalten inaktivierte Bakterientoxine,


die schützende Antikörper induzieren können
Bakterientoxine, die meist mit Formaldehyd inaktiviert wurden und nicht länger toxisch
wirken, aber dennoch schützende Antikörper induzieren können, werden als Toxoide
bezeichnet. Zwei dieser Toxoidimpfstoffe, Diphtherie- und Tetanustoxoid, gehören zu
den erfolgreichsten und am häufigsten eingesetzten Impfstoffen.

In Verbindung mit Bordetella-pertussis-Totimpfstoff (gegen Keuchhusten) bilden sie die


wohl bekannteste Tripelvakzine DTP (Diphtherie, Tetanus, Pertussis). Dass die
Antikörperreaktion auf die beiden Toxoide eingeschränkt ist, wenn der Pertussis-Anteil
fehlt, spricht dafür, dass die Pertussis-Komponente sowohl als „Adjuvans“ als auch als
spezifische Vakzine wirkt.

Tetanustoxoid gilt allgemein als nützliches Trägerprotein für kleine Peptide (Haptene),
die als Impfstoffantigene eingesetzt werden könnten (s. unten). Dahinter steckt die
Vorstellung, dass die meisten Patienten schon vorher mit Tetanustoxoid immunisiert
wurden und daher tetanusspezifische T-Gedächtniszellen besitzen, die dann
peptidspezifische B-Zellen bei der Antikörperproduktion unterstützen. Mit diesem
Ansatz lässt sich zwar eine Primärreaktion induzieren, doch er eignet sich weniger gut
für Zellreaktionen, bei denen sich die T-Memory-Zellen eher an die Infektions- als an
Tetanusproteine erinnern müssten.

Unter derselben Vorstellung wurde auch der Hib-Konjugatimpfstoff (gegen H.


influenzae Typ b) entwickelt. Man verbindet Tetanus- oder Diphtherietoxoid mit

1132
Kapselpolysacchariden von H. influenzae, um dadurch die Immunogenität für Säuglinge
und Kleinkinder zu verbessern.

Vibrio cholerae ist ein weiteres toxinbildendes Bakterium, und mit Impfstoffen, die
neben der Untereinheit B des Choleratoxins auch abgetötete Keime enthielten, ließ sich
mit einigem Erfolg eine Schleimhautimmunität erzielen.

Manche Viren und Bakterien können als Vektoren für


geklonte Gene benutzt werden
Die Idee, Gene für immunogene Proteine in Vektoren wie E. coli oder Hefen zur
Expression zu bringen, ist so alt wie die rekombinante DNA-Technologie selbst.
Neueren Datums ist jedoch eine Modifikation, die den Vektor selbst samt inserierten
Genen zum Impfstoff macht. Nach Injektion des Vektor-Impfstoffs wird durch
Proliferation im Patienten eine ausreichend immunisierende Menge an Fremdantigen
freigesetzt, ohne dass die Krankheit ausbricht.

Als erster Vektor wurde 1982 das Vaccinia-Virus vorgeschlagen. Es hat den Vorteil,
sich bereits als hochwirksamer Impfstoff bewährt zu haben und ein relativ großes DNA-
Genom zu besitzen, in das mehrere Fremdgene inseriert werden können, ohne die
Virusstruktur oder -funktion zu beeinträchtigen. Allerdings hat es auch den Nachteil,
dass ein Großteil der Weltbevölkerung immun geworden sein dürfte und das Vaccinia-
Virus daher möglicherweise eliminiert wird, bevor sich eine ausreichende Menge der
Fremd-Genprodukte bilden kann. Zudem können Kuhpocken selbst in 1/100000 Fällen
zu Komplikationen führen (vor allem Enzephalitis).

Dennoch ließ sich in einem Pionierversuch an Schimpansen durch einen Vaccinia-


Vektor mit dem für das Hepatitis-B-surface-Antigen (HBsAg) kodierenden Gen ein
hervorragender Schutz vor provozierten Infektionen erzielen – ähnlich wie gegen
Virusgrippe und Herpes-simplex-Virus (HSV-Infektion). Inzwischen wird das Virus in
abgewandelter Form – als modifiziertes Vaccinia-Virus Ankara (MVA) – zur
Entwicklung neuer Impfstoffe gegen Malaria und Tuberkulose verwendet (Abb. 34.3).

Es wurden noch andere Viren als Vektoren in Betracht gezogen, darunter das
modifizierte Gelbfiebervirus, Adenoviren, HSV und VZV (Varicella-Zoster-Virus).
Erfolgreich inseriert werden konnten Gene des RSV, Epstein-Barr-Virus (EBV), Tollwut-
, Dengue- und Lassafieber-Virus.

Auch Bakterien eignen sich als Vektoren; geeignete Kandidaten sind die bereits
erwähnten attenuierten Salmonellen und BCG. Als Erreger von Darminfektionen hat
Salmonella typhi den Vorteil, dass sich durch orale Gabe (Impfdosis mit Bikarbonat,
um Inaktivierung durch Magensäure zu verhindern) eine Immunität der Darmmukosa
induzieren lässt. Avirulente Mutanten von S. typhi könnten sich daher als Impfstoff-
Vektoren für alle möglichen Darminfektionen anbieten – und gerade auf diesem Gebiet
sind die verfügbaren Impfstoffe alles andere als zufriedenstellend.

Schließlich wurde noch BCG als Vektor vorgeschlagen, der folgende Vorteile zu bieten
hat:

■ ein sehr großes Genom;

1133
■ sehr weite Verbreitung, da fast 90% der Kinder auf der ganzen Welt direkt
nach der Geburt mit BCG geimpft werden;

■ besonders verdienstvoll ist die überwiegende Induktion einer zellvermittelten


Immunität (gegen BCG und alle anderen Antigene, die mit ihm zusammen
verabreicht werden). BCG könnte daher zum idealen Antigenvektor für die große und
wichtige Gruppe persistierender intrazellulärer Erreger werden – die neben
Mycobacterium tuberculosis und M. leprae noch Brucellen, Leishmanien,
Toxoplasma, Histoplasma, Listerien, Rickettsien und Chlamydien, zahlreiche Viren
und evtl. auch Leberstadien der Malariaparasiten umfasst. Bei Gabe zu vieler Antigene
kann es jedoch zur kompetitiven Verdrängung von Antigenen kommen.

Durch Klonen und Peptidsynthese hergestellte


immunogene Peptide könnten als Impfstoffe dienen
Diese Technologien gehören inzwischen zum Standard; trotzdem wird noch immer über
geeignete Vektoren zur Expression geklonter Gene gestritten. Die erste erfolgreiche
Vakzine dieser Art war ein Impfstoff gegen die Maul- und Klauen-Seuche bei Tieren
(obwohl in Großbritannien für Notfälle derzeit nur ein inaktivierter Virus-
Adjuvansimpfstoff zu beziehen ist). Dass ein 20-Aminosäuren-Peptid eines
Kapsidproteins Meerschweinchen vor der Infektion schützt, ließ sich zuerst durch
geklonte Gene in E. coli und bald darauf auch durch chemische Synthese zeigen.

1134
Abb. 34.3 Vektor-Impfstoff.

Antigene kodierender Gene von einem oder mehreren Erregern können jetzt in ein
großes Virus (wie das modifizierte Vaccinia-Virus Ankara) inseriert werden. Nach
der Replikation werden sie im Körper des Geimpften freigesetzt.

Inzwischen stehen für ein breites Erregerspektrum synthetische Peptide zur Verfügung.
Wie das richtige Peptid ausgewählt und so immunogen wie möglich gemacht werden
kann, wird derzeit intensiv erforscht. Man versucht z.B. Peptide an größere Carrier-
Moleküle (wie Tetanustoxoid, s. oben) zu binden, wobei möglichst immer
Peptidsequenzen eingeschlossen sein sollten, die T-Zellen eigenständig stimulieren
können. Solche T-Zell-Epitope lassen sich in gewissem Umfang aus bekannten
Molekülsequenzen ermitteln. Wenn keine verfügbar sind, wird eine andere Strategie
verfolgt; man versucht, neue Sequenzen zu bilden, die neben einem oder mehreren T-
Zell-Epitopen auch ein B-Zell-Epitop umfassen (gegen das Antikörper produziert
werden sollen).

Als weitere Verfeinerung der Technik können mehrere Kopien getrennter T- und B-
Zell-Epitope zu multiplen Antigenpeptiden bzw. sog. „Oktopusmolekülen“ gekoppelt
werden – mit einer verzweigten Hülle von Lysinen und bis zu acht angehängten
Peptiden. In einer Studie führten Peptide mit jeweils vier B- und T-Zell-Epitopen zu den

1135
besten Ergebnissen. Selbst dann stellte sich oft heraus, dass zur Steigerung der
Immunogenität ein Adjuvans benötigt wird. Als schwierig kann es sich bei diesen
Ansätzen erweisen, dass

■ Patienten unterschiedlich auf Peptide reagieren und es auch genetische


„Nonresponder“ geben kann. Welche Rolle MHC-Antigene (major histocompatibility
complex antigens) dabei spielen, wird weiter unten besprochen;

■ lineare B-Zell-Epitope leichter zu replizieren sind als diskontinuierliche.

34.3.1 DNA-Impfstoffe
Die überraschende Entdeckung, dass Labortiere durch intramuskuläre Injektion der
Erreger-DNA und eines geeigneten Promoters gegen Infektionen wie Grippe und
Malaria immunisiert werden können, fand großes Interesse. Das entsprechende Antigen
befindet sich vermutlich auf Muskelzellen bzw. wird dort exprimiert. Um das sicher
nachzuweisen und das Risiko von Nebenwirkungen wie Autoimmunität oder
Erregerresistenz auszuschließen, ist aber noch viel Forschungsarbeit nötig. DNA-
Impfstoffe scheinen die zellvermittelte Immunität zu fördern, unter bestimmten
Bedingungen jedoch auch die Antikörperproduktion zu unterstützen.

Eine Impfstrategie besteht in einer vorbereitenden DNA-Immunisierung und


anschließender Auffrischung des Immungedächtnisses mit dem eigentlichen Protein
(z.B. mit dem modifizierten Vaccinia-Virus Ankara oder dem Geflügelpockenvirus als
Vektor). Bis jetzt sind DNA-Vakzinen noch nicht zum routinemäßigen Gebrauch bei
Mensch und Tier zugelassen, doch eine Reihe von Impfstoffen (gegen Grippe-,
Zytomegalie-, Herpes simplex-Viren) befinden sich in der Entwicklung. In Tiermodellen
ließ sich mit einem DNA-Impfstoff ein sehr eindrucksvoller Schutz in Grippe-
Provokationstests erzielen.

34.3.2 Impfstoffe gegen Nichtproteinantigene


Es ist viel leichter, ein Fremdantigen oder Epitop in einem Virus- oder Bakterienvektor
zur Expression zu bringen, als Vektoren für komplexe Kohlenhydrat- oder
Lipidantigene zu finden, die oft erst nach einer Kettenreaktion von
Enzymmodifikationen speziesspezifisch werden. Doch es gibt andere Möglichkeiten zur
Vorbereitung (Priming) des Immunsystems auf solche Antigene bzw. zum Aufbau einer
Immunreaktion. Eine Methode wird als Phagen-Display bezeichnet; hierbei werden
Peptid-Epitope danach ausgewählt, ob ihre Form der von einem monoklonalen
Antikörper erkannten täuschend ähnlich sieht.

Bei einem anderen Ansatz werden antiidiotypische Moleküle verwendet; das


funktioniert, weil Antikörper nicht nur Antigene, sondern auch verwandte Strukturen
mit entsprechenden Bindungsstellen (Idiotypen, s. Kap. 11) erkennen können. Daher
können mit dem ersten Antikörper neue Antikörper erzeugt werden, deren Idiotypen
zum Teil dem ursprünglichen Antigen ähnlich sind.

Ein Vorteil solcher Surrogat-Antigene besteht darin, dass sie große Proteine sind und
sich wie T-Zell-abhängige Antigene verhalten, selbst wenn das ursprüngliche Antigen
(z.B. ein Polysaccharid) T-Zell-unabhängig war. Mit dieser Strategie ließ sich bei
Mäusen – nach der Impfung gegen Streptokokken-, Hepatitis-B- und Trypanosomen-

1136
Antigene – erfolgreich eine Produktion sekundärer Antikörper als Reaktion auf
Endotoxine erzielen.

34.4 Besondere Überlegungen

Lebend- und Totimpfstoffe haben Vor- und Nachteile


Lebend- oder Totimpfstoffe sind kontroverse Themen in der Immunologie, zu denen
sich allgemeine, aber auch einige besondere Anmerkungen machen lassen, die in Tab.
34.6 zusammengestellt sind.

Die Strittigkeit lässt sich am besten anhand von Krankheiten verdeutlichen, auf deren
Genesung normalerweise eine lang anhaltende ausreichende Immunität folgt (z.B. bei
den üblichen viralen Kinderkrankheiten). Hierbei sind Impfungen mit attenuierten
Lebendvakzinen wahrscheinlich viel wirksamer, weil sie mit der Infektion selbst viele
Eigenschaften gemein haben, wie etwa:

■ Virusreplikation

■ lokalisierte Wirkung in bestimmten Körperbereichen (z.B. Darm, Lunge)

■ Induktion zytotoxischer T-Zellen; das könnte damit zusammenhängen, dass


sich mikrobielle Peptide nur mit Klasse-I-MHC-Molekülen verbinden, die in den
Zellen synthetisiert (statt wie Totimpfstoff-Antigene durch Endozytose aufgenommen)
werden.

Zumindest theoretisch ist es ein weiterer Vorteil, dass sich attenuierte Stämme auf
normalen Übertragungswegen in der Bevölkerung ausbreiten und damit auch
Ungeimpfte schützen.

Hauptnachteile attenuierter Lebendimpfstoffe sind:

■ die mögliche Reversion in den Wildtyp,

■ das Erkrankungsrisiko bei Patienten mit Immunschwäche.

Viele natürliche Infektionen (z.B. Virusgrippe) hinterlassen keine sichere Immunität


bei den Patienten – aus unterschiedlichen Gründen; besonders wichtig dürften hierbei
Antigendiversität bzw. -variation, Immunsuppression und Schutzreaktionen der Erreger
sein.

1137
Tab. 34.6 Vor- und Nachteile von Lebend- und Totimpfstoffen.
In dem Fall lässt sich der Einsatz attenuierter Lebendvakzinen kaum überzeugend
vertreten, und es könnte sein, dass Spaltimpfstoffe mit Antigenkomponenten, die eine
starke Immunität induzieren und Erreger an der schwächsten Stelle
(Polysaccharidkapsel, wichtige Adhäsionsmoleküle) treffen (z.B. in Form einer
Antigenmischung), besser funktionieren. Das Problem der Zielgerichtetheit ließe sich
dann mit anderen Mitteln lösen (z.B. Aerosol für Lungen-, Retardkapseln für
Darminfektionen).

Poliomyelitis ist derzeit die einzige Krankheit, bei der Lebend- und Totimpfstoffe
annähernd gleich gut geeignet sind (s. Kap. 22).

Viele Polysaccharidantigene scheitern an der


Stimulierung von T-Zellen und induzieren nur primäre
Immunreaktionen
Da die meisten Antigenkomplexe T- und B-Zell-Epitope enthalten, induzieren sie T-
Zellen, die mit B-Zellen zusammenarbeiten. Es kommt zur Bildung von T- und B-
Gedächtniszellen, zum Immunglobulin-Switching (von IgM zu IgG) und zur
Affinitätsreifung – alles Merkmale sekundärer Immunreaktionen, die wesentlich für die
Impfwirkung sind. T-Zell-unabhängige Polysaccharidantigene scheitern jedoch an der
Stimulierung von T-Zellen (egal, wie häufig sie verabreicht werden) und können nur
primäre Immunreaktionen hervorrufen. Solche Antigene erweisen sich besonders bei
Kindern unter zwei Jahren als unwirksam.

Die derzeitige Strategie besteht darin, Polysaccharide mit einem geeigneten Protein zu
konjugieren, das möglichst vom selben Erreger stammen sollte (die Ergebnisse werden
unten im Zusammenhang mit Pneumokokken- und Meningokokken-Impfstoffen
besprochen). Ein anderer Lösungsansatz sieht den Einsatz antiidiotypischer Antikörper
als Surrogat-Antigene vor, ist aber noch weitgehend experimentell (s. oben).

1138
Für T-Zell-Reaktionen sind MHC-Klasse-II-Moleküle
nötig
T-Zellen stimulierende Antigene können bei einzelnen Menschen ganz unterschiedlich
wirken. Das gilt besonders für kleine Peptide und lässt sich dadurch erklären, dass die
Bindung zwischen einem Peptid, dem MHC-Klasse-II-Molekül (HLA-D, human
leukocyte antigen D) einer antigenpräsentierenden Zelle und dem T-Zell-Rezeptor sehr
genau sein muss.

Da HLA-Antigene aber äußerst vielgestaltig (polymorph) sind, passiert es nicht selten,


dass ein HLA-Molekül nicht an ein bestimmtes Peptid binden kann. Wenn kein einziges
der vorhandenen MHC-Klasse-II-Moleküle (je zwei HLA-DP, -DQ und -DR) zu einem
bestimmten Peptid passt, handelt es sich um Nonresponder, d.h. Menschen, bei denen
keine T-Zell-Reaktionen zustande kommen. Eine ähnliche MHC-Restriktion kann auch
Peptide betreffen, deren Epitope eine Immunität durch zytotoxische T-Zellen induzieren
sollen und die von MHC-Klasse-I-Molekülen präsentiert werden.

Es ist nicht bekannt, wie sehr MHC-Restriktionen dazu beitragen, dass ein bestimmter
Prozentsatz in der Bevölkerung auf (fast) keine einzige Standardimpfung anspricht.
Vielleicht wurde das Problem auch überbewertet, obwohl nur kleine Peptide betroffen
waren. Man hat z.B. ein 21-Aminosäuren-Peptid von Malariaparasiten entdeckt, dessen
Sequenzen mit 11–14 Aminosäuren nur wenige (DR-Typ-)T-Zellen stimulierten,
während eine 15-Aminosäuren-Sequenz alle untersuchten DR-Typen stimulieren
konnte. Peptide, die an unterschiedliche DR-Typen binden, werden als promisk
bezeichnet. Das impliziert, dass durch Hinzufügen oder Modifizieren einiger
Aminosäuren die Bandbreite der MHC-Reaktionsfähigkeit eines Peptids vergrößert
werden könnte.

1139
Pathologische Impffolgen können durch Impfstoffe
oder Immunantworten bedingt sein
Zu pathologischen Impfreaktionen kommt es:

■ wenn attenuierte Impfstoffe mit anderen Viren kontaminiert sind, die in


denselben Zelllinien wachsen (besonders bei den häufig verwendeten Affenzellen, da
Affenviren für Menschen tödlich sein können);

■ aufgrund einer Überempfindlichkeit gegen Hühnereiweiß, da Viren für


Lebendimpfstoffe oft in Hühnerembryozellen gezüchtet wurden. Wenn bei Kindern
eine Hühnereiweißüberempfindlichkeit bekannt ist, sollte der verdünnte Impfstoff
zunächst auf der Haut getestet werden. Je nach Befund sollte die Immunisierung dann
stufenweise und niedriger dosiert als normal durchgeführt oder auf die Impfung
verzichtet werden, weil mit einer anaphylaktischen Reaktion zu rechnen ist.

Komplizierter ist die Lage, wenn der Impfstoff selbst eine pathologische
Hypersensitivitäts- oder Autoimmunreaktion hervorruft. Hypersensitivitätsreaktionen
gaben bei den älteren Maserntotimpfstoffen den Anstoß, als Ersatz eine attenuierte
Lebendvakzine zu entwickeln. Anscheinend konnte der Totimpfstoff zwar nicht-
neutralisierende Hämagglutinin-Antikörper, aber keine Antikörper gegen das
Fusions(F)-Protein induzieren, das bei der Inaktivierung zerstört wurde.

Das F-Protein sorgt dafür, dass sich Viren von einer Zelle zur anderen ausbreiten.
Infolgedessen bildeten sich bei einer Maserninfektion große Virusmengen und hohe
Titer nicht-neutralisierender Antikörper. Die Immun-(Antigen-Antikörper-)Komplexe,
die bei Maserninfektionen entstanden, verursachten eine schwere Typ-III-
Hypersensitivität, durch die sich das Krankheitsbild der Patienten noch
verschlimmerte. Eine ähnliche Reaktion war beim RSV(respiratory syncytial virus)-
Totimpfstoff zu beobachten.

Fieber und allgemeines Krankheitsgefühl nach einer Typhus-Impfung (mit abgetöteten


Keimen) beruhen auf der Endotoxinwirkung und sind durch Zytokine wie Interleukin
1 (IL-1) und Tumornekrosefaktor α (TNFα) vermittelt.

Bei Autoimmunreaktionen im Rahmen von Infektionen lässt sich die Spur manchmal
auf eine Ähnlichkeit (Mimikry) zwischen Patienten- und Erregerantigenen
zurückverfolgen. Dasselbe ist theoretisch bei Impfantigenen möglich. Auch wenn dies
mit den derzeit gebräuchlichen Impfstoffen noch nicht beobachtet wurde, ist denkbar,
dass es zur Kreuzreaktion mit Patientenmolekülen kommen könnte, wenn starke T-Zell-
Epitope an schwache Antigene (wie Polysaccharide) gekoppelt sind. Sofern ein
möglicherweise kreuzreagierender Bestandteil entdeckt wird, sollte er vor
Anwendung des Impfstoffs entfernt werden (ein solcher Fall wäre z.B. die Chagas-
Krankheit).

Am häufigsten dürfte über Impfkomplikationen wie Anfälle und Hirnschäden berichtet


worden sein, besonders nach Keuchhustenimpfung (s. Kap. 19). Ob wirklich der
Pertussis-Impfstoff dafür verantwortlich ist, wird weiter unten erörtert. In Tab. 34.7 sind
Hauptkomplikationen der anderen Impfstoffe aufgelistet.

1140
Lebendimpfstoffe dürfen nicht bei Patienten mit
Immunschwäche angewandt werden

Tab. 34.7 Auch wenn Komplikationen der neueren Impfstoffe selten


geworden sind, sollte der Arzt immer daran denken.
RSV = respiratory syncytial virus

Eine absolute Kontraindikation bei immungeschwächten Patienten ist die BCG-


Impfung bei Patienten mit schwerer T-Zell-Defizienz. Tatsächlich waren es
Ausbreitung und tödliche Infektionen durch das Vaccinia-Virus, die den New Yorker
Kinderarzt Di George auf das Thymusaplasie-Syndrom aufmerksam machten, das heute
seinen Namen trägt. Auch eine Masern-Mumps-Röteln(MMR)-Impfung ist im
Allgemeinen nicht zu empfehlen, wenn Kinder an einem T-Zell-Mangel anderer
Ursache leiden (z.B. nach Glukokortikosteroid- oder immunsuppressiver Therapie).

Lebendimpfstoffe (gegen Masern oder Gelbfieber, Polio-Schluckimpfung, BCG) sollten


außerdem nicht an Patienten verabreicht werden, deren Immunabwehr durch Krebs,
Diabetes mellitus oder Immunsuppressiva geschwächt ist. Da sich bei Patienten mit
Hypogammaglobulinämie nach einer Polio-Schluckimpfung keine Antikörper bilden,
können sie sich durch die Lebendvakzine dauerhaft infizieren.

Seitdem sich die HIV-Epidemie weltweit ausbreitet, ist eine Impfung noch schwieriger
geworden, vor allem weil sich HIV-infizierte Kinder ohne geeignetes Screening nicht
identifizieren lassen. Nach den derzeitigen Empfehlungen (Stand 2002) sollten Kinder
mit asymptomatischer HIV-Infektion die normalen Impfungen wie alle Kinder
erhalten. Bestimmte Impfungen (gegen Masern, Poliomyelitis) können trotz
symptomatischer Infektion verabreicht werden, da die Gefahr von Impfkomplikationen
geringer ist als das Risiko, an einer unbehandelten Infektion zu sterben. Nicht zu
empfehlen sind Gelbfieber- und BCG-Impfungen.

Totimpfstoffe stellen kein so großes Problem bei Immunschwäche dar. Sie sind
womöglich unwirksam, aber für den Empfänger zumindest nicht gefährlich. Außer bei
schwerer B-Zell-Defizienz sind alle Impfungen empfehlenswert, die Antikörper
induzieren (z.B. mit Kapselpolysacchariden, bei Hepatitis B); allerdings kann auch eine
passive Immunisierung erwogen werden (s. Kap. 35).

1141
Da Patienten mit eingeschränkter Milzfunktion besonders anfällig für bestimmte
Infektionen sind, sollten sie zusätzlich geschützt werden (durch Impfungen gegen
Haemophilis influenzae Typ B, Meningokokken, Pneumokokken und Grippe).

34.4.1 Adjuvanzien

Viele Zusätze zu Impfstoffen (Adjuvanzien) verstärken


die Immunreaktion
Seit 1920 ist bekannt, dass bestimmte Substanzen, wenn sie gleichzeitig mit dem
Antigen verabreicht werden, die Immunreaktion verstärken können. So stellte sich
z.B. heraus, dass die Antikörperreaktion deutlich stärker ausfiel, wenn ein Antigen mit
inkomplettem Freund-Adjuvans (einer Wasser-in-Öl-Emulsion) zugeführt wird
(Abb. 34.4).

Die ersten – sicheren, gut verträglichen und wirksamen – Zusatzstoffe waren


Aluminiumsalze, mit denen sich Antigene im Gewebe ablagern. Aluminiumhaltige
Zusätze werden derzeit für DPT-, Hepatitis B- und vereinzelt auch für Hib-Impfstoffe
bzw. für Impfstoffe gegen Lyme-Krankheit, Milzbrand und Tollwut verwendet.
Obwohl sie sicher zu sein scheinen, werden noch andere Substanzen auf ihre klinische
Anwendbarkeit als Adjuvanzien getestet.

Der Begriff „Adjuvans“ wird in leicht abgewandelter Bedeutung manchmal auch auf
Substanzen angewandt, die bei alleiniger Gabe eine gewisse Immunfunktion erfüllen
(z.B. das Tumorwachstum hemmen oder den Genesungsprozess beschleunigen)
können. Auf diese unspezifischen Immunstimulanzien wird in Kap. 35 näher
eingegangen.

1142
Abb. 34.4 Adjuvanzien beeinflussen die
Antikörperreaktion von Mäusen auf Hühnereiweiß
(Albumin).

Das Albumin wurde den Mäusen nacheinander in Kochsalzlösung (blaue


Symbole) und in inkomplettem Freund-Adjuvans (rote Symbole) injiziert.
Dargestellt sind hier die Antikörpertiter in mehreren Zeitintervallen [nach Hunter
in Vaccine 2002; 20:S7–S12].

In langjähriger Forschungsarbeit und Tierversuchen hat sich die Eignung


unterschiedlicher Materialien als Impfzusatz herausgestellt; sie sollen hier kurz
beschrieben werden, weil anzunehmen ist, dass aus ihnen die in Zukunft klinisch
anwendbaren Adjuvanzien hervorgehen werden (Tab. 34.8).

In Alaun präzipitierte Antigene können besonders


wirksame Antikörperreaktionen, aber sehr viel
schlechter eine zelluläre Immunität induzieren
Weshalb gerade Aluminiumsalze besonders wirksame Adjuvanzien sind, ist noch
nicht ganz geklärt. Sicher beruht die Wirkung zum Teil auf kleinen entzündlichen
Läsionen, aus denen sich Granulome entwickeln und das Antigen einfangen können,
so dass es langsamer freigesetzt wird und auf eine große Zahl von Makrophagen und
antigenpräsentierenden Zellen trifft.

Ursprünglich wurden z.B. Toxoid-Antigene erst während der chemischen Zubereitung


hinzugefügt, um sie in Ausflockungen der Salze zu binden. Diese Antigene werden als
alaunpräzipitiert bezeichnet. Inzwischen ist es jedoch üblich geworden, das Antigen
erst zum fertigen Aluminiumhydroxid- oder -phosphat-Gel zu geben.

1143
Als Adjuvanzien dienen auch Präparate aus kleinen
sphärischen Strukturen (Kügelchen), die das Antigen
auf der Oberfläche präsentieren
Durch einen ähnlichen Depot-Effekt dürfte auch die Adjuvanswirkung neuerer
Zubereitungen zu erklären sein. Dazu zählen z.B.

■ Liposomen (Phospholipidbläschen mit ein- oder mehrschichtiger Wand);

■ ISCOM (immunstimulierende Komplexe) oder Mizellen aus einem


Saponinderivat (QUIL A), das amphipathische Proteine einfängt;

■ nichtionische Kopolymer-Blöcke aus Polyoxyethylen und Polyoxypropylen.

Tab. 34.8 Impfzusätze (Adjuvanzien).


* routinemäßige Anwendung bei Menschen
** experimentell
*** zu toxisch für Menschen
BCG = Bacillus Calmette-Guérin, IFN = Interferon, IL = Interleukin, ISCOM
= immunstimulierende Komplexe, MDP = Muramyldipeptid, RIBI = in Trehalose-
Dimycolat der Mykobakterienzellwand emulsifiziertes Lipid-A-Derivat

Je nach Zusammensetzung und verwendetem Antigen sind alle hoch wirksam und zum
Teil schon in der Veterinärmedizin im Einsatz. Es ist noch zu früh für eine
verbindliche Aussage, ob und welches Adjuvans zukünftig zum klinischen Standard
gehören wird. Das entscheidet sich erst nach weiteren Sicherheitsprüfungen und
aufgrund des immunologischen Nutzens.

Mykobakterien und andere Bakterien können


ebenfalls wirksame Adjuvanzien sein

1144
Es ist bemerkenswert, wie gut sich Mykobakterien als Adjuvanzien eignen. Freund
verwendete sie in einer Wasser-in-Öl-Emulsion für sein berühmtes „komplettes
Freund-Adjuvans“ (CFA). CFA eignet sich besonders zur Auffrischung der
zellvermittelten Immunität – wie bei der Hypersensitivitätsreaktion vom verzögerten
Typ (DTH) auf Antigene, die normalerweise nur schwache Reaktionen induzieren.
Leider haben mehrere Zwischenfälle (versehentliche Injektion) gezeigt, dass CFA zu
toxisch für den menschlichen Gebrauch ist, weil es chronische, nicht heilende
Granulome verursacht.

Das inkomplette Freund-Adjuvans (IFA), eine Wasser-in-Öl-Emulsion ohne


Mykobakterien, scheint keine Nebenwirkungen zu haben und bei Menschen
anwendbar zu sein, allerdings hat es auch nicht annähernd eine ähnlich starke
immunogene Wirkung auf zellvermittelte Immunreaktionen wie CFA. Nach intensiver
Erforschung der Rolle, die Mykobakterien im CFA spielen, stellte sich heraus, dass
die kleinen wasserlöslichen Muramyldipeptid(MDP)-Moleküle ähnliche Vorzüge wie
Mykobakterien aufweisen, ohne so toxisch zu sein.

Auch zahlreiche andere Bakterienderivate werden auf ihre Eignung als Adjuvanzien
untersucht. Wie bereits erwähnt, scheinen abgetötete Pertussis-Erreger in der DPT-
Tripelvakzine als Adjuvans für die Diphtherie- und Tetanustoxoide zu fungieren.

Die neueste Entwicklung auf dem Gebiet ist der


Einsatz von Zytokinen als Adjuvanzien
Es wurde immer schon vermutet, dass die Wirkung von Adjuvanzien wie CFA und
MDP zum Teil über Zytokine zustande kommt, die wichtig für die Auslösung von
Entzündungsreaktionen sind. Als gereinigte, rekombinante Zytokine verfügbar
waren, bestätigte sich, dass sie tatsächlich wirksame Adjuvanzien sein können, wenn
man sie zu Impfstoffen hinzufügt. In einer Reihe experimenteller Untersuchungen
stellten sich IL-2, IL-12, IFNγ und GM-CSF (Granulozyten-Makrophagen-
koloniestimulierender Faktor) als wirksam heraus. Wie neuere Daten belegen, können
IL-15 und IL-18 die Reaktion auf DNA-Impfstoffe verstärken. IL-1 und IFNγ
erwiesen sich als besonders nützlich, wenn Patienten nur schwach auf eine Impfung
ansprechen (z.B. Hämodialyse-Patienten auf eine Hepatitis B-Impfung).

1145
Als natürliche Adjuvanzien wurden dendritische
Zellen ins Gespräch gebracht
Wenn ein Peptidantigen von antigenpräsentierenden dendritischen Zellen
aufgenommen wird, kann es eine viel bessere Immunantwort hervorrufen, als wenn es
mit einem unspezifischen Adjuvans (z.B. dem inkompletten Freund-Adjuvans)
dargeboten würde. Ein anderer Vorteil von Impfzusätzen wie dendritischen Zellen ist
die Induktion einer MHC-Klasse-I-restriktiven, durch CD8-positive T-Zellen
vermittelten Immunität (sog. cross-priming). Dieser Ansatz klappt in Tiermodellen
recht gut, ist aber im alltäglichen Gebrauch bei Menschen kaum anwendbar. Von
Nutzen kann er jedoch bei Krebspatienten sein.

34.4.2 Wann impfen?

Das Impfalter hängt von der am stärksten


gefährdeten Altersgruppe ab
Die meisten Impfungen sollen Kleinkinder vor Krankheiten schützen (Tab. 34.9) und
werden daher so früh wie möglich durchgeführt. Man sollte allerdings im Kopf
behalten, dass

■ die vorhandenen mütterlichen Antikörper die Impfwirkung manchmal


abschwächen, so dass die Impfung bis zum dritten Lebensmonat oder später
verschoben werden sollte;

■ attenuierte Lebendimpfstoffe (einschließlich Vaccinia, als es noch angewandt


wurde) bei Immunschwäche zu schweren Krankheitsbildern führen können, wenn
der Zustand nicht unmittelbar nach der Geburt diagnostiziert wurde;

■ die Impfung später erfolgen muss, wenn überwiegend Ältere gefährdet sind
(z.B. durch Pneumokokken-Pneumonie).

Nähere Einzelheiten werden bei den einzelnen Impfungen angeführt.

Können sich Impfungen auf die Entwicklung des


Immunsystems von Neugeborenen auswirken?
Einige Impfungen sind so sicher, dass sie Neugeborenen innerhalb weniger Tage nach
der Geburt verabreicht werden können. Dazu zählen Polio-Schluckimpfung und
Hepatitis A- und -B-Impfung. Einige Sorge bereitet jedoch, dass die mit den
Impfstoffen eingeführten Antigene tief greifende Auswirkungen auf das Immunsystem
haben könnten, die weiter gehen, als eine spezifische Immunität zu induzieren.
Tab. 34.9 Impfkalender (Standardimpfungen) für
Säuglinge, Kinder, Jugendliche und Erwachsene.
Empfohlenes Impfalter und Mindestabstände
zwischen den Impfungen

1146
Neuere Arbeiten aus Westafrika deuten an, dass die Masernimpfung die Morbidität
(aller anderen Krankheitsursachen) bei Kleinkindern zu verringern scheint – auch
wenn weitere Untersuchungen nötig sind, um nachzuweisen, inwieweit sich das
verallgemeinern lässt bzw. um den ursächlichen Zusammenhang zu klären.
Erwähnenswert ist auch, dass trotz der Vielzahl von Impfungen (11 oder mehr), die
Kinder heute erhalten können, die Gesamtzahl der Antigene vermutlich niedriger liegt
als im früheren Pockenimpfstoff.

34.5 Impfschutz auf Bevölkerungsebene


Betrachten wir nun die epidemiologischen Auswirkungen von Impfungen allgemein,
bevor wir einzelne Impfstoffe im Anschluss ausführlicher darstellen.

Zur Eradikation von Infektionskrankheiten ist eine


unterschiedliche Durchimpfung der Bevölkerung
erforderlich
Unter ansonsten gleichen Bedingungen lässt sich eine Infektion durch Massenimpfung
umso schwerer ausrotten, je größer die Reproduktionsrate R0 ist (d.h., je mehr

1147
Menschen sich bei einem einzelnen Infizierten anstecken werden, s. Kap. 31). Eine
Infektion, die durch zufällige Kontakte zwischen Infizierten und anfälligen Individuen
übertragbar ist (wie die viralen Kinderkrankheiten), wird verschwinden, sobald der
Prozentsatz der erfolgreich Geimpften (p) einen kritischen Wert (pc) übersteigt, ab dem
zu wenige anfällige Individuen übrig bleiben, um die Übertragung weiter zu
gewährleisten.

Da dieser Wert mit R0 in Beziehung steht (pc = 100–[100/R0]), gilt: je größer R0, desto
größer muss die Durchimpfung der Bevölkerung (pc) sein, um die Infektion
auszurotten. In Tab. 34.10 sind die pc-Werte für verschiedene virale und bakterielle
Kinderkrankheiten angeführt, die sich durch Impfungen verhüten lassen.

Die weltweite Ausrottung der Masern (mit R0 = 15–17 und pc = 92–95%) dürfte eine
weitaus schwierigere Aufgabe sein als die erfolgreiche globale Eradikation der Pocken
(R0 = 2–4). In den USA – wo vor dem Eintritt in die Grundschule zwingend die MMR-
Impfung (gegen Masern-Mumps-Röteln) vorgeschrieben ist – lag das Durchschnittsalter
der Rötelninfektion bei neun Jahren (vor der Immunisierung), verglichen mit rund fünf
Jahren bei Masern. Der R0-Wert von Röteln ist nur etwa halb so groß wie der von
Masern, so dass die Röteln mit dem US-Impfprogramm ausgerottet werden konnten.
Dagegen nimmt die Masern-Inzidenz nur langsam ab, und in Städten mit geringer
Impfakzeptanz gibt es immer wieder lokale Ausbrüche.

Zur Eradikation von Infektionskrankheiten muss das


Impfalter niedriger sein als das durchschnittliche Alter
bei Infektion
Die meisten Lebendimpfstoffe (z.B. MMR-Vakzine) sind weniger wirksam, solange
noch hohe mütterliche Antikörpertiter vorliegen. Diese fallen aber im Alter von sechs
Monaten bis einem Jahr unter die Nachweisgrenze (Abb. 34.5). In der anschließenden
Zunahme der seropositiven Kinder in einer ungeimpften Gruppe spiegelt sich die durch
spontane Infektion erworbene Immunität wider. In der Talsohle der Seropositivität im
Alter von ca. einem Jahr ist es offenbar am günstigsten zu impfen.

Die kürzlich entwickelten hochwirksamen bzw. hochpotenten Impfstoffe gegen Masern


und Mumps ermöglichen auch eine Immunisierung bereits im jüngeren Alter, wenn
noch mütterliche Antikörper vorhanden sind. Das ist besonders wichtig, wenn in
Gebieten mit hohen Übertragungsraten (in Entwicklungsländern) das Zeitfenster
zwischen Anfälligkeit und Impfalter sehr schmal ist.

Werden Kinder nicht bald nach der Geburt geimpft oder sind bereits breitere
Altersgruppen immunisiert, muss man bei der Einschätzung der kritischen Fraktion – die
zur endgültigen Beseitigung einer Infektion noch geimpft werden müsste – das
durchschnittliche Impfalter berücksichtigen. Um die Eradikation einer Infektion zu
erreichen, muss die Impfung vor dem durchschnittlichen Infektionsalter erfolgen;
Kohortenimpfungen konzentrieren sich daher auf Kleinkinder (unter Berücksichtigung
der Impfwirkung bei Säuglingen, die noch mütterliche Antikörper aufweisen).

1148
Tab. 34.10 Zur Verhütung von viralen und bakteriellen
Kinderkrankheiten erforderliche Durchimpfung der Bevölkerung
(Schätzwerte).
* in höher entwickelten Ländern
Abb. 34.5 Schutzimpfungen gegen typische
(virale und bakterielle) Kinderkrankheiten wirken sich
auf die Altersverteilung der Infektionsanfälligkeit in
einer Bevölkerung aus.

In dem tiefen Tal der Anfälligkeit (S1) junger Altersgruppen können vor Beginn der
Immunisierung Infektionen auftreten. Da sich die Übertragbarkeit durch Impfungen
verringert, verschiebt sich das Alter (S2), in dem anfällige Menschen eine spontane
Infektion durchmachen, nach oben.

Bestimmte Infektionen lassen sich durch zweistufige


Impfungen ausrotten
Dass in einigen Großstädten von Entwicklungsländern Kinder bereits mit
durchschnittlich 1–2 Jahren an Masern erkranken, macht es schwierig, solche
Infektionen vollständig auszurotten (Abb. 34.5). Um die Übertragung zu stoppen,
müssten über 97% der Säuglinge schon vor ihrem ersten Geburtstag erfolgreich
immunisiert werden. Das ist praktisch unmöglich. Als Alternative bietet sich ein

1149
zweistufiges Vorgehen an, bei dem z.B. zuerst etwa einjährige und danach Kleinkinder
von 2–3 Jahren geimpft werden:

■ Mit der ersten Stufe lässt sich die Übertragbarkeit einschränken (aber nicht
verhindern) und so das Fenster der Infektionsanfälligkeit bzw. für die Impfung
verbreitern.

■ Mit der zweiten Stufe wird versucht, eine möglichst hohe Herdimmunität zu
erreichen, um die Übertragungskette abreißen zu lassen.

Zur Ausrottung einer Infektion ist keine 100%ige


Durchimpfung erforderlich
Impfungen wirken sich direkt und indirekt aus. Ihre direkte Wirkung besteht im Schutz
aller erfolgreich Immunisierten und der rückläufigen Inzidenz neuer Fälle; die Infektion
wird daher von immer weniger Infizierten auf noch anfällige Personen übertragen.
Letztere profitieren also indirekt von den Geimpften. Solange ein ausreichend hoher
Bevölkerungsanteil geimpft ist (selbst wenn es nicht 100% sind), wird die Zahl der
Anfälligen sinken – letztlich unter den zur Aufrechterhaltung einer Infektion
erforderlichen Wert von R > 1.

Wenn das zur Unterbindung der weiteren Übertragung erforderliche Niveau mit einer
Massen-/Schutzimpfung nicht erreicht wird, verringert sich zwar die
Infektionshäufigkeit, doch das hat überraschenderweise keine Auswirkung auf die
Gesamtzahl der anfälligen Personen (Abb. 34.5). Da bei einem Immunisierungsgrad
unterhalb des Schwellenwerts eine endemische Infektion bestehen bleibt, hängt der
Anteil anfälliger Personen nur von der Erreger-Reproduktionsrate R0 ab, nicht aber
davon, ob die anderen durch Impfung oder spontane Infektion immun geworden sind.

1150
Indirekte Auswirkung von Massen-/Schutzimpfungen
Selbst wenn die Durchimpfung unterhalb des zur Eradikation nötigen Grenzwerts liegt,
werden sich Ungeimpfte wahrscheinlich seltener anstecken. Infolgedessen tritt eine
Infektion erst in einem höheren Durchschnittsalter auf als vor der Impfung (Abb.
34.5). Da Infektionen mit zunehmendem Alter mit einem höheren Krankheitsrisiko
verbunden sein können, führt ein Impfprogramm, mit dem es nicht gelingt, die
Übertragung zu verhindern (weil der Anteil der Geimpften unter dem pc-Wert bleibt),
möglicherweise zu einem völlig entstellten Bild der Komplikationen. Ob es dazu
kommt, hängt genau davon ab, wie sehr sich mit dem Alter das Risiko einer ernsten
Krankheit im Fall einer Infektion verändert (Abb. 34.6).

Unabhängig vom erreichten Grad der Durchimpfung reduziert sich die Häufigkeit der
Masernenzephalitis, während in Bevölkerungsgruppen mit niedrigen Impfraten die
Gesamtinzidenz einer schweren Röteln- oder Mumpserkrankung im späteren Alter
zunimmt.

Durch Schutzimpfung kann das Risiko ernster


Rötelnerkrankungen zunehmen
Wenn sich Mütter im ersten Schwangerschaftsdrittel mit Röteln infizieren, können ihre
Kinder geschädigt werden. Das Risiko einer Rötelnembryopathie ist daher proportional
zum altersspezifischen Fertilitätsprofil der Frauen eines Landes (Abb. 34.6a).
Angenommen, 50% aller Zweijährigen würden geimpft, ließe sich zwar die Gesamtzahl
der Rötelnfälle verringern, doch das durchschnittliche Infektionsalter würde
angehoben und sich bei Frauen in die Jahre ihrer Gebärfähigkeit verschieben.

1151
Abb. 34.6 Altersabhängiges Komplikationsrisiko
bei Infektionen.

Einfluss des Alters auf

a) das kongenitale Rötelnsyndrom,

b) Komplikationen bei Mumps,

c) das Risiko einer Masernenzephalitis.

1152
Könnte (durch Impfpflicht wie in den USA oder ein gut koordiniertes Anreiz- und
Überwachungssystem für Impfungen wie in Großbritannien) eine sehr hohe
Durchimpfung der Bevölkerung erreicht werden, ließen sich Röteln durch sukzessive
Impfung der Ein- bis Zweijährigen-Kohorten ausrotten. Wird aufgrund der
Freiwilligkeit nur eine Impfakzeptanz von 60–70% erreicht (wie in Großbritannien vor
der Impfkampagne), sollten vor allem Mädchen im jüngeren Teenageralter (d.h. vor
Beginn des potenziellen Schwangerschaftsalters) gegen Röteln geimpft werden, damit
sich die Infektion in jüngeren Jahren ausbreiten und Immunität verleihen kann.

Doch ab welchem Grad der Durchimpfung sollte die Impfstrategie geändert werden?
Nach epidemiologischen Berechnungen erscheint ein Wechsel zur Kohorten-
Schutzimpfung (MMR-Impfung für 1- bis 2-Jährige) nur unter der Voraussetzung
sinnvoll, dass über 70% der Jungen und Mädchen bis zum 2. Lebensjahr geimpft werden
können. Ergänzend zur gezielten Rötelnimpfung weiblicher Teenager hätte die MMR-
Impfung ein- bis zweijähriger Kinder aber nur geringe Auswirkungen auf die
Erkrankung, wenn die Durchimpfung der 12- bis 13-jährigen Mädchen ausreichend
wäre (80–90%). Sobald ein sehr hoher Anteil (über 90%) der Ein- bis Zweijährigen mit
MMR-Vakzine geimpft wurde, wird nach zehn Jahren oder noch später ein gewisser
Nutzen erkennbar sein.

34.6 Einflussfaktoren auf den Impferfolg

Der Erfolg von Impfungen wird durch die


Bevölkerungsdichte beeinflusst
Wie Impfprogramme – vor allem in den Entwicklungsländern – zu gestalten sind, hängt
von Unterschieden in der Bevölkerungsdichte ab. In kleinen Dörfern ländlicher Gebiete
ist die Bevölkerungsdichte (und damit verbunden die Nettogeburtenrate) oft zu niedrig,
um eine endemische Infektion wie Masern oder Keuchhusten aufrechtzuerhalten (s.
Kap. 13). Trotzdem sind Bewohner dieser Gebiete durch die Nähe zu Großstädten
gefährdet.

Als Lösung würde es sich anbieten, den Impfschutz an die Gruppengröße


anzupassen, wobei er in größeren Ballungsgebieten höher sein sollte. Unter bestimmten
Umständen lässt sich allein schon durch einen hohen Durchimpfungsgrad in urbanen
Zentren die Übertragung von Infektionen verhindern, da sie ein Infektionsreservoir für
dünner besiedelte ländliche Regionen darstellen können.

1153
Im Mittelpunkt nationaler Impfprogramme sollte
besonders in armen Ländern ein hoher Impfschutz bei
Säuglingen und Kleinkindern stehen
Die Impfprogramme in entwickelten Ländern werden durch regional unterschiedliche
Akzeptanz von Impfungen beeinflusst. In den USA entstehen durch die mangelnde
Impfbereitschaft von benachteiligten Minderheiten in Großstädten oft Nester mit
erhöhter Anfälligkeit, die ein völliges Verschwinden von Infektionen wie Masern oder
Keuchhusten verhindern. Um Schwachstellen in den jeweiligen Impfprogrammen
aufzudecken, können serologische Untersuchungen (in ländlichen und städtischen
Gebieten) sehr aufschlussreich sein.

Wie viele anfällige Personen sich mit den üblichen


(durch Impfung vermeidbaren) Kinderkrankheiten
infizieren, hängt vom Alter ab
Bei vielen der Kinderkrankheiten wie Masern, Mumps oder Röteln, die durch Impfung
zu verhindern wären, schwankt die Pro-Kopf-Ansteckungsrate altersabhängig. Bei
Röteln (Abb. 34.7) erhöht sich der Anteil (von 80 Infizierten/1000 Anfälligen/Jahr im
Alter von 0–4 Jahren) bei den 5- bis 14-Jährigen und sinkt bei Erwachsenen wieder auf
ein niedrigeres Niveau ab. Darin spiegeln sich soziale Verhaltensmuster, denn die
höheren Ansteckungsraten bei den 5- bis 14-Jährigen sind Ausdruck ihres regelmäßigen
und engen Kontakts in der Schule.

Solche altersabhängigen Schwankungen können dazu führen, dass eine


Kohortenimpfung schon ab einem niedrigeren Level durchgeführt werden muss, um
eine Übertragung zu beenden oder zu verhindern. Das liegt an dem gestiegenen
durchschnittlichen Infektionsalter durch Immunisierungen (s. oben). Ohne jemals
geimpft zu werden und sich zu infizieren, wechseln Anfällige allein durch ihr
Älterwerden aus der Gruppe mit hoher Infektionsrate (Kinder, Jugendliche) in eine
Gruppe mit niedriger Infektionsrate (Erwachsene) über.

Das Infektionsrisiko muss schwerwiegender als


mögliche Impfkomplikationen sein
Bei den meisten Impfungen besteht ein geringes Risiko schwerer Komplikationen.
Um Nutzen und Risiken eines Impfprogramms richtig beurteilen zu können, sollte die
Anzahl schwerer Erkrankungsfälle (die sich durch Schutzimpfung verhindern ließen)
immer mit der Anzahl der durch Impfung verursachten Fälle verglichen werden. Solche
Berechnungen sind nicht ganz einfach, weil sich mehrere Faktoren wechselseitig
beeinflussen, z.B.:
Abb. 34.7 Altersbezogene Veränderungen der
Infektionsrate, hier am Beispiel der Röteln.

1154
■ Wirksamkeit und Sicherheit des Impfstoffs

■ Anteil geimpfter Kinder an den jeweiligen Kohorten

■ durchschnittliches Impfalter

■ indirekte Wirkung der Schutzimpfung auf die Übertragungsrate

Mit zunehmendem Impfschutz in einer Bevölkerung verändern sich in typischer Weise


die Infektions- und Impfrisiken. Bei verbreiteten Infektionen und geringen Impfraten
sind die Infektionsrisiken stets größer (oft um ein Vielfaches) als die Impfrisiken. Wenn
Infektionen infolge der Impfung seltener geworden sind, kann das Gegenteil zutreffen.
Schließlich wird nach der Ausrottung einer Infektionskrankheit das Impfrisiko immer
höher liegen.

Neuere immunogene Impfstoffe schützen besser, sind


möglicherweise aber weniger sicher
Hinsichtlich möglicher Impfkomplikationen geben die neu entwickelten hochwirksamen
Virus-Lebendimpfstoffe Anlass zur Sorge. Mit ihnen können Kinder bereits im Alter
von sechs Monaten (wenn noch mütterliche Antikörper vorhanden sind) geimpft und die
überwiegende Mehrheit auch geschützt werden. Trotz des besseren Schutzes können
diese Impfstoffe aufgrund ihrer immunogenen Wirkung zu einer stärkeren
Immunreaktivität (bzw. geringeren Sicherheit) führen und so den Interessenskonflikt
zwischen Individuen und Gemeinwesen verschärfen.

1155
Sind Umstände denkbar, unter denen ein hochwirksamer Impfstoff verwendet werden
sollte, obwohl vermehrt Krankheiten/Impfkomplikationen auftreten könnten? Im Fall
von Mumps wird z.B. für den hochpotenten Impfstoff „Urabe Am 9“ eine Wirksamkeit
von 98% und für den niederpotenten Impfstoff „Jeryl Lynn“ eine Wirksamkeit von
etwa 94% angenommen, wobei die Komplikationsraten von Urabe höher zu liegen
scheinen. Wenn der Impfschutz in der Bevölkerung ausreicht, um die Übertragung zu
verhindern, bietet sich der niederpotente Impfstoff als vernünftige Option an. Falls aber
keine hohe Durchimpfung erreichbar ist, lässt sich die Gesamtinzidenz schwerer
Krankheitsfälle (durch Infektion und Impfung) in größerem Umfang durch den
hochpotenten Impfstoff verringern.

Epidemiologische Kenntnisse helfen Impfprogramme


zu entwerfen
Mit der Entwicklung eines sicheren, wirksamen und billigen Impfstoffs oder
Medikaments ist nur der erste Schritt, wenn auch ein entscheidender, in Richtung der
Infektionsbekämpfung in der Bevölkerung getan. Es liegt in der Natur der Sache, dass
die Beziehung zwischen Wirtspopulation und Infektionserreger nicht linear ist. Wenn
sich z.B. die Bevölkerungsdichte verdoppelt, kann die Prävalenz direkt übertragbarer
Virus- und bakterieller Infektionen um mehr als das Doppelte ansteigen.

Aus dem Teil-Impfschutz zu Beginn eines Impfprogramms können sich komplexe


Veränderungen der Infektionshäufigkeit ergeben. Oft lässt sich wegen der vielen
Variablen (die die Übertragung beeinflussen) die voraussichtliche Wirkung eines
Impfprogramms gar nicht einschätzen. Daher kann die epidemiologische Analyse der
Wirt-Erreger-Interaktionen auf bevölkerungsbiologischer Ebene entscheidend für die
Entwicklung von Impfungen sein. Ausschlaggebend ist vor allem, wie Einflussfaktoren
auf die Übertragbarkeit von Erreger (gemessen als basale Reproduktionsrate R0)
bewertet werden.

Infektionsbekämpfung mit anderen Mitteln


Auf der Suche nach neuen Impfstoffen dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, dass
einige Infektionskrankheiten ebenso gut mit anderen Mitteln bekämpft werden können.
In den entwickelten Ländern sind Malaria und Cholera eher infolge von Public-Health-
(Hygiene-)Maßnahmen als durch Impfung oder Antibiotikatherapie verschwunden
bzw. die Zahl der Tuberkulosefälle zurückgegangen.

Man könnte daraus schließen, dass sich auch tropische Krankheiten wie Schistosomiasis
oder Chagas-Krankheit eindämmen ließen, wenn der Kontakt zu Wasserschnecken oder
Insekten eingeschränkt würde. In der Praxis lässt sich eine Vektorkontrolle allerdings
nicht so leicht durchführen – und im Unterschied zu Impfungen bzw. ähnlich wie eine
medikamentöse Behandlung müsste sie mehr oder weniger ständig erfolgen.

Bei bestimmten Krankheiten ist die Ansteckungsgefahr so gering, dass sich der
Aufwand für die Entwicklung und Produktion eines erfolgreichen Impfstoffs nicht
lohnen würde bzw. die Kosten nie gerechtfertigt wären. In dem Fall stellt die passive
Immunisierung nach Exposition die bessere Alternative dar.

34.7 Derzeitige Impfpraxis

1156
34.7.1 Allgemein gebräuchliche Impfstoffe

Diphtherietoxoid wird fast überall mit Tetanustoxoid


und Aluminiumhydroxid verabreicht, meist auch
zusammen mit Pertussisvakzine
Obwohl die Antigenität des Diphtherietoxins teilweise verloren geht, wenn es durch
Formaldehyd-Inaktivierung in ein Toxoid überführt wird, bleibt es ein hoch wirksamer
Impfstoff. Überraschenderweise verringert sich durch die Diphtherie-Impfung auch
die Zahl der Träger, obwohl sie eher gegen die Krankheit als den bakteriellen
Erreger gerichtet ist. Das könnte bedeuten, dass das Toxin für das Überleben bzw. bei
der Ausbreitung des Keims eine Rolle spielt.

Diphtherietoxoid wird fast überall mit Tetanustoxoid und Aluminiumhydroxid, oft


auch zusammen mit Pertussisvakzine verabreicht (3 Injektionen ab dem 2. bis
3.Monat) und später aufgefrischt. Die Auffrischungsimpfung kann einmalig (mit 3
oder 4 Jahren) oder wiederholt erfolgen. In manchen Ländern (wie in Deutschland)
wird eine Tetanus- und Diphtherie-Boosterimpfung alle 10 Jahre empfohlen. Der
Impfschutz liegt bei 90% oder höher.

Auch Tetanustoxoid ist ein hoch wirksamer Impfstoff


und allgemein in Gebrauch
Auffrischungsimpfungen und postexpositionelle Behandlung von Patienten werden
allerdings unterschiedlich gehandhabt. In den meisten Ländern folgt auf die
Grundimmunisierung im Kleinkindalter eine Auffrischung vor Eintritt in die
Grundschule, und Wiederholungen werden im Abstand von 5–10 Jahren empfohlen.
Wenn die Auffrischung länger als fünf Jahre zurückliegt und die Wunde verschmutzt
ist, kann nach einer Exposition zusätzlich zur Auffrischung ein Antitoxin verabreicht
werden (passive Immunisierung, s. Kap. 35, siehe auch Empfehlungen der STIKO
unter www.rki.de).

Da sich die Impfreaktionen meist auf eine leichte Überempfindlichkeit nach


wiederholter Auffrischung beschränken, kann Tetanustoxoid als einer der sichersten
und wirksamsten Impfstoffe gesehen werden.

Ob eine Pertussis-Impfung zu Hirnschäden führt, ist


unklar, sie kann aber auf jeden Fall einen tödlichen
Verlauf bei Keuchhusten verhindern
In Großbritannien wurde die Keuchhusten-Schutzimpfung 1957 eingeführt. Die in den
40er Jahren entwickelte (hitze- oder formalininaktivierte) Pertussis-Vollvakzine wurde
zusammen mit Diphtherie- und Tetanustoxoid als DTP-Tripelvakzine verabreicht,
aber später nicht noch wieder aufgefrischt, da nur Kleinkinder schwer an Keuchhusten
erkranken.

An diesem Impfstoff haben sich immer wieder Auseinandersetzungen entzündet.


Durch die Impfung ging die Keuchhusteninzidenz zweifellos deutlich zurück, doch ein

1157
statistisch signifikanter Schutzeffekt machte sich erst nach mehreren Versuchsreihen
bemerkbar. Das lag zum Teil daran, dass in Impfproben einer der drei Serotypen
weggelassen wurde und dass kein standardisierter Impfstoff zum Allgemeingebrauch
verfügbar war.

Zu einer ernsteren Kontroverse führten Bedenken wegen der Nebenwirkungen.


Relativ häufig kam es nach der Impfung zu Schmerzen, Entzündung und Fieber
(vermutlich durch Endotoxin und andere Toxine), doch in den 70er Jahren in
Großbritannien veröffentlichte Studien brachten schwere Schreianfälle, Krämpfe und
Dauerschäden am Gehirn mit der Pertussis-Impfung in Verbindung (in rund 1/100000
Fällen).

Der Streit – ob tatsächlich ein Kausalzusammenhang besteht – geht weiter und hat
verständlicherweise viele Eltern alarmiert; mit der Folge, dass die Impfakzeptanz
inzwischen in einigen Gebieten auf knapp 30% abgefallen ist. Es war absehbar, dass
es zu einer schweren Keuchhustenepidemie kommen würde – und genau das war im
Winter 1978/79 der Fall, als über 100000 Kinder erkrankten und viele starben (Abb.
34.8). Das lieferte den unwiderlegbaren Beweis, dass der Impfstoff tatsächlich wirkt.
Trotzdem hat die Kontroverse wohl nicht nur den Pertussis-Impfstoff diskreditiert,
sondern in der öffentlichen Meinung dem Ansehen von Impfungen allgemein
geschadet.

Es wurde auch vorgeschlagen, die einzelnen Komponenten der DTP-Impfung getrennt


zu injizieren, doch ob sich das Risiko von Komplikationen dadurch verringert, ist
nicht erwiesen.
Abb. 34.8 Zahl der gemeldeten Keuchhustenfälle
von 1940 bis 1990.

Nach Einführung der Schutzimpfung ging ab 1958 die Anzahl ständig zurück,
obwohl in ca. 4-jährigen Intervallen immer wieder mal Epidemien auftraten.
Aufgrund der panischen Angst vor möglichen Nebenwirkungen nahm die Zahl der
Keuchhustenfälle wieder zu, bis es im Winter 1978/79 zur großen Epidemie kam.

Ein inzwischen in einigen Ländern (wie in Deutschland) zugelassener neuer


Pertussis-Impfstoff enthält mit Pertussistoxoid und filamentösem Hämagglutinin

1158
zwei Komponenten, aber keine Zellen. Dieser azelluläre Impfstoff ruft signifikant
weniger Reaktionen hervor und steigert die Impfwirkung. Im Januar 2006 wurde von
der STIKO am RKI eine neue Empfehlung zur Pertussisimpfung publiziert.

Masern sind ein möglicher Kandidat für die weltweite


Ausrottung
Seitdem 1963 in den USA ein attenuierter Lebendimpfstoff eingeführt wurde, ist die
Inzidenz der Masern (an denen zuvor jährlich über 500 Kinder starben) fast auf null
zurückgegangen. Ihre weltweite Eradikation rückt damit in den Bereich des Möglichen
(Tab. 31.6) – vorbehaltlich einer erheblich besseren Impfakzeptanz, als es derzeit in
den meisten anderen Ländern noch der Fall ist. Ein ebenfalls 1963 zugelassener
inaktivierter Impfstoff wurde wieder zurückgezogen, als sich herausstellte, dass er
nicht vor Masern schützte. Die ursprüngliche attenuierte Edmonston-B-Lebendvakzine
wurde nach und nach durch noch weiter attenuierte Stämme ersetzt, die Fieber (mit
Ausschlag) auslösen.

Bei der Masernimpfung dreht sich die Debatte hauptsächlich um das beste Impfalter.
Da mütterliche Antikörper eine vollständige Immunisierung verhindern können, sollte
mit der Masernimpfung mindestens bis zum 6.Lebensmonat gewartet werden. Doch
selbst im 9.Lebensmonat verleiht sie nur zu 80% Schutz, so dass man die Impfung in
Ländern, in denen Masern seltener auftreten, meist bis zum 1.Lebensjahr verschiebt.
In Entwicklungsländern sind Masern aber noch immer so verbreitet, dass die meisten
Kinder schon früher mit der Infektion in Kontakt kommen. Daher werden sie mit 9
Monaten zum ersten Mal und mit einem Jahr erneut geimpft, um auch die zu schützen,
die beim ersten Mal nicht so gut angesprochen haben.

Der Schutz durch die Masernimpfung scheint mindestens 21 Jahre vorzuhalten, was
aber zum Teil auch an der natürlichen Auffrischung bei Epidemien liegen könnte.
Erwachsene werden wieder anfälliger, je mehr die Masern aus der Bevölkerung
verschwinden. Wenn das so ist, sollte logischerweise eine routinemäßige Auffrischung
im Schulalter (Eintritt in die Grundschule oder Wechsel auf weiterführende Schule)
vorgesehen werden.

Die Mumpsimpfung lässt sich bequem mit Masern-


und Rötelnimpfung durchführen
Das zu Masern Gesagte gilt auch für den attenuierten Mumps-Lebendimpfstoff. Einige
Länder zweifeln an der Notwendigkeit der Mumpsimpfung, doch wenn darauf
verzichtet würde, müsste Großbritannien mit jährlich 1000 Fällen einer
Mumpsmeningitis rechnen und die USA nach einer anderen Hochrechnung mit ca. 40
Toten und 95 Taubheitsfällen pro Jahr.

Als Bestandteil der MMR-Vakzine lässt sich der Mumpsimpfstoff bequem


verabreichen. Wie wichtig die Injektion aller beider MMR-Dosen ist, wird an einer
kürzlich in Nordirland ausgebrochenen Epidemie deutlich: 55,4% der (nachweislich
an Mumps) Erkrankten waren nur einfach geimpft, während nur 0,9% die komplette
MMR-Immunisierung erhalten hatten.

1159
Obwohl es nicht nötig wäre, werden Jungen genauso
wie Mädchen gegen Röteln geimpft
Als relativ leichte Infektionskrankheit sind Röteln ein anschauliches Beispiel, dass
manchmal der Nutzen einer Impfung für den Einzelnen gegen den für die Bevölkerung
abgewogen werden muss. Bis vor kurzem herrschte in Großbritannien die
Auffassung vor, Jungen müssten nicht gegen Röteln geimpft werden und sollten daher
auch nicht dem geringsten Risiko möglicher Impfkomplikationen ausgesetzt werden.
Die Immunität der Mädchen würde zudem von den in der Gesamtbevölkerung im
Umlauf befindlichen Röteln-Wildtypen wieder aufgefrischt. Um ein angeborenes
Rötelnsyndrom (durch eine Infektion der Schwangeren und Ansteckung des Fetus) zu
verhindern, wurden lediglich heranwachsende Mädchen gegen Röteln geimpft.

Da das Rötelnvirus eine hohe Reproduktionsrate hat (s. Kap. 26), hält es sich in einer
Bevölkerung, solange nicht über 50% geschützt sind. Aus dem Grund wurden in den
USA immer Mädchen und Jungen geimpft (Immunisierung mit MMR-Vakzine im
Alter von ca. 1 Jahr), eine Herangehensweise, die kürzlich auch von Großbritannien
übernommen wurde. Es besteht jedoch die Gefahr, dass sich mit der rückläufigen
Infektionshäufigkeit das Infektionsalter in der Bevölkerung erhöht (und damit auch
die Wahrscheinlichkeit einer Röteln-Embryopathie zunimmt). Solange Röteln noch
nicht ausgerottet sind, sollte die Impfstrategie sorgfältig auf die besondere Situation
im jeweiligen Land zugeschnitten werden.

Orale und inaktivierte Poliovakzine haben beide Vor-


und Nachteile
Der merkliche Rückgang der Poliomyelitis beruht auf zwei unterschiedlichen
Impfstoffen:

■ dem 1954 von Salk entwickelten Impfstoff mit abgetöteten Viren bzw.

■ dem 1957 von Sabin entwickelten attenuierten Lebendimpfstoff.

Wirksam sind beide, und in Tab. 34.11 ist eine Gegenüberstellung ihrer Vor- und
Nachteile gezeigt.

Dem attenuierten oralen Lebendimpfstoff (OPV, Polio-Schluckimpfung) geben


viele Länder den Vorzug. Seine Hauptvorteile sind:

■ geringere Kosten

■ die Tatsache, dass er wie alle Lebendimpfstoffe an der richtigen Stelle (d.h. an
der Schleimhaut) immun macht;

■ die vorhersehbare Entwicklung einer Herdimmunität durch Ausbreitung in der


Bevölkerung; das stützt sich auf die Tatsache, dass Impfstämme z.B. in den USA
schon verbreiteter vorkommen als Wildstämme (z.B. in Kläranlagen).

Diesen Vorteilen steht die Gefahr der Reversion zum Wildtyp gegenüber; das gilt
besonders für Typ 2 und 3 des Virus, die sich – wie oben beschrieben – nicht so sehr
von Wildstämmen unterscheiden, wie eigentlich wünschenswert wäre. Das Wildtyp-

1160
Virus konnte bereits Tage nach der Impfung aus dem Stuhl isoliert werden, und
besonders bei Kontaktpersonen der Geimpften trat in mehreren Fällen eine
paralytische Poliomyelitis auf (mit einer geschätzten Häufigkeit von 1–2 Fällen pro 1
Million Impfungen). Die Polio-Schluckimpfung darf nicht bei Immunschwäche
durchgeführt werden.

Aus den genannten Erwägungen verzichten einige Länder zugunsten der inaktivierten
Poliovakzine (IPV) auf die Schluckimpfung, z.B. Deutschland, Schweden, Finnland,
Holland und Island. Hier wird argumentiert, dass IPV

■ genauso gut immunisiert wie OPV und die Poliomyelitis-Symptome nicht im


Darm auftreten,

■ in Entwicklungsländern sogar wirksamer als OPV sein könnte, da die


Ergebnisse mit OPV eher enttäuschend waren (vermutlich weil – wie für
Masernimpfstoff nachgewiesen – die Kühlkette zwischen Fabrik und Klinik nicht
sicher gewährleistet ist).

Überraschenderweise schützt eine Impfung mit OPV nicht länger als eine Impfung mit
IPV; vielleicht spiegelt sich darin der kürzer anhaltende Schleimhautschutz im
Vergleich zur systemischen Immunität wider. Ohne substanzielle Herdimmunität muss
die Durchimpfung jedoch sehr hoch sein, um mit IPV eine Eradikation der Infektion
zu erreichen.

Trotz der in hohem Maße erfolgreichen Polio-Impfung besteht eindeutig noch Raum
für Verbesserungen. Derzeit werden bei der Weiterentwicklung zwei Linien verfolgt,
nämlich bessere und billigere (orale und inaktivierte) Impfstoffe zu produzieren bzw.
beide zu kombinieren (z.B. IPV im Anschluss an OPV).

Poliomyelitis könnte als nächste Krankheit ausgerottet werden. Europa gilt seit 2002
als Poliomyelitis-frei, und die Global Polio Eradication Initiative wollte dieses Ziel
bis Ende 2005 weltweit erreichten. Im Jahr 2000 waren nur noch in 20 Ländern
Poliomyelitisfälle aufgetreten, und weltweit wurden insgesamt weniger als 3000 Fälle
diagnostiziert. Um die Welt offiziell für Poliomyelitis-frei zu erklären, darf drei Jahre
lang keine Übertragung durch Wildtypen stattfinden. Selbst nach Eradikation der
Krankheit darf nicht sofort mit dem Impfen aufgehört werden, da Patienten mit
Immunschwäche das lebende Poliovirus noch über Jahre ausscheiden können.

1161
Tab. 34.11 Inaktivierte (IPV) und attenuierte orale Poliovakzine
(OPV).

Calmettes und Guérins attenuierter


Tuberkelbazillenimpfstoff (BCG) ist seit über 70 Jahren
in Gebrauch
Trotz der langen Anwendungszeit wird noch immer heftig über den Nutzen debattiert.
Wenn man bedenkt, dass jährlich ca. 1,5 Millionen Menschen weltweit an
Tuberkulose sterben und sich die Zahl in Ländern mit AIDS-Pandemie noch weiter
erhöht, ist der Nutzen der BCG-Impfung tatsächlich eine wichtige Frage.

Für die BCG-Impfung spricht, dass in kontrollierten Versuchen, die 1950 in


Großbritannien und in den 70er Jahren in den USA an Indianern und Puertoricanern
durchgeführt wurden, eindeutig eine Schutzwirkung nachweisbar war. Auch aus
mehreren südamerikanischen und afrikanischen Ländern wurde die Schutzwirkung mit
70% oder mehr angegeben. Zudem erwies sich der BCG-Impfstoff in Uganda (und in
etwas geringerem Maße in anderen Ländern) auch bei Lepra als wirksam.

Die Impfstrategien richten sich danach, wie wahrscheinlich eine Infektion ist:

■ in Hochrisikoländern erfolgt die Impfung direkt nach der Geburt;

■ in Ländern wie Großbritannien beim Übergang zu weiterführenden Schulen


(aber nur bei Kindern mit negativem oder schwach positivem Mendel-Mantoux-
Test, s. Kap. 19).

1162
Ein Nachteil der BCG-Impfung besteht darin, dass der diagnostische Wert des
Mendel-Mantoux-Tests in Ländern, wo die Tuberkulose selten vorkommt, verloren
geht, weil es zu einer Konversion im Tuberkulintest kommen kann.

Ein Problem bei Versuchsreihen mit BCG ist eine Verschiebung im Hintergrund, da
die Verbreitung der Infektion noch von anderen Faktoren als der Impfung beeinflusst
wird (z.B. vom öffentlichen Gesundheitswesen oder einer Therapie mit
Antituberkulotika). In Ländern mit niedriger Krankheitsinzidenz wäre es inzwischen
unmöglich, zufriedenstellende klinische Versuche zur Schutzwirkung durchzuführen,
und es gibt auch keinen Schnelltest, mit dem sich die Schutzwirkung genau
vorhersagen ließe.

Wie sich herausgestellt hat, fallen die Ergebnisse des verbreitet eingesetzten
Tuberkulin-Hauttests unabhängig vom tatsächlich vorhandenen Schutz so
unterschiedlich aus, dass er sich besser als Indikator für eine stattgefundene
Exposition gegenüber Mykobakterien statt als Indikator der Immunität eignet (s. Kap.
14).

Ein anderes Problem ist, dass sich in genauso gut kontrollierten Versuchen keine oder
eine völlig unzureichende Schutzwirkung der BCG-Impfung nachweisen ließ.
Tatsächlich schien sie in zwei Versuchen (1980 in Südindien und in Südstaaten der
USA) sogar zum Anstieg der Tuberkulose-Inzidenz zu führen. Als Erklärung für
diese auffällige Diskrepanz, die man von keinem anderen Impfstoff kennt, wurden
zahlreiche Argumente angeführt: Unterschiede bei den Impfstämmen (es gibt keine
weltweit akzeptierte Standardisierung), genetische Unterschiede zwischen
Bevölkerungsgruppen, das vorherrschende Krankheitsmuster oder Anzahl und Typen
der Mykobakterien in der Umgebung könnten sich z.B. auf den Grad der Immunität in
der Bevölkerung ausgewirkt haben.

Die meisten Experten sind sich darüber einig, dass Mykobakterien aus der
Umgebung den größten Einfluss auf den BCG-Impfschutz haben dürften. In einer
kürzlich in Großbritannien (wo die BCG-Impfung schützt) und in Malawi (wo sie
nicht schützt) an jungen Erwachsenen durchgeführten Vergleichsstudie zeigte sich,
dass die Jugendlichen aus Malawi schon vorher eine stärkere T-Zellimmunität gegen
Mykobakterienantigene der Umgebung entwickelt hatten, die durch die BCG-Impfung
geringfügig verstärkt wurde. Dagegen konnte bei den meisten britischen Kindern (weil
sie immunologisch „naiv“ waren) durch die Impfung eine starke T-Zellimmunität
induziert werden.

Abgesehen von ihrem umstrittenen Einfluss bei Tuberkulose hat die BCG-Vakzine
aber potenziell einen dreifachen Nutzen:

■ als Adjuvans für andere Impfstoffe

■ als Vektor für geklonte Gene anderer Erreger

■ als unspezifisches Immunstimulans (s. Kap. 35)

Um die Unzulänglichkeiten zu überwinden, wurden über 200 neue BCG-Impfstoffe


an Tieren erprobt, doch nur wenige versprechen einen besseren Schutz. Dazu zählen
rekombinante BCG-Impfstoffe, attenuierte M.-tuberculosis-Stämme, Vorbereitungs-
und Auffrischimpfung (prime-boost) mit einem DNA-Impfstoff und einem

1163
rekombinanten Virus bzw. mit zwei rekombinanten Viren sowie Spaltimpfstoffe aus
Sekretionsproteinen.

Als erster rekombinanter Impfstoff zum menschlichen


Gebrauch wurde eine HBV-Vakzine DNA-
technologisch hergestellt
Der erste Impfstoff gegen Hepatitis-B-Virus (HBV) war in mehrfacher Hinsicht
ungewöhnlich. Es handelte sich um ein Plasma-Antigenpräparat, das aus dem Blut
von Virusträgern gewonnen und abgetötet wurde. Das im Übermaß von HBV
produzierte Oberflächenantigen (HBsAg) zirkuliert in Form nichtinfektiöser, 22 nm
im Durchmesser großer sphärischer (Kugel-)Partikel im Blut (bis zu 1013/ml Blut,
Abb. 34.9). Nachdem es gereinigt und inaktiviert, d.h. absolut von DNA befreit,
wurde, wurde es 1980 in den USA in einem kontrollierten Versuch an Homosexuellen
angewandt. Wie sich zeigte, schützte die Impfung mindestens 95% vor der Infektion,
und im darauf folgenden Jahr erhielt die Vakzine die Zulassung.

Sie hat aber auch Nachteile:

■ Als Derivat aus menschlichem Blut muss große Sorgfalt darauf verwendet
werden, dass keine lebenden HBV oder sonstigen Viren mit dem Impfstoff
übertragen werden.

■ Dass der Antikörpertiter selbst nach dreimaliger Impfdosis 1–2 Jahre später
wieder abzufallen begann, machte eine Wiederauffrischung nötig. Als protektiv wird
ein Antikörpertiter von 100 IE/l angesehen.

■ Schließlich waren die Herstellungskosten extrem hoch, und wegen der


beschränkten Verfügbarkeit blieb die Anwendung hauptsächlich medizinischem
Personal vorbehalten.

Mittlerweile wurde mit rekombinanter DNA-Technologie ein anderer Impfstoff


hergestellt – der als erster dieser Art bei Menschen zur Anwendung kommt und
dasselbe Antigen (HBsAg) enthält. Das Gen wird in einem Hefevektor geklont, um
Antigenprotein in großen Mengen zu produzieren. Dieser rekombinante Impfstoff ist
nicht nur sicherer und um etwa 50% billiger als der Plasma-Impfstoff, sondern scheint
genauso wirksam zu sein. Zur weiteren Verbesserung wurden kürzlich weitere (Prä-S-
)Gene für Entzündungsproteine in den Vektor inseriert. Es gibt auch Überlegungen,
HBV-Gene in einen attenuierten Lebendimpfstoff (-Vektor) einzufügen.
Abb. 34.9 Elektronenmikroskopische Aufnahme
der gereinigten, in Hefezellen exprimierten, 22 nm
großen Hepatitis-B-surface-Antigen(HBsAg)-Kugeln.

1164
(Mit freundlicher Genehmigung von J.R. Pattison)

Anfangs wurden nur Hochrisikogruppen (wie medizinisches Personal, das mit


Blutprodukten in Kontakt kam, i.v. Drogenabhängige und männliche Homosexuelle)
gegen HBV geimpft, doch auch in Deutschland gehört die HBV-Impfung inzwischen
zu den empfohlenen Impfungen für alle Säuglinge. Die Kinder HBsAg-positiver
Mütter erhalten gleich nach der Geburt zusätzlich eine Dosis Hepatitis-B-
Immunglobulin. Über 95% der Geimpften entwickeln eine Antikörperreaktion gegen
HBsAg, doch die restlichen 5% sprechen selbst auf eine Zweitimpfung nicht an.
Einige dieser Nonresponder könnten chronisch mit HBV infiziert sein.

HBV ist eindeutig ein Kandidat zur Eradikation


In Afrika erfolgt die HBV-Infektion typischerweise im frühen Kindesalter, so dass
die Impfung mit der üblichen Grundimmunisierung gegen andere Kinderkrankheiten
durchgeführt werden kann. Das Hauptproblem ist hier, die Kosten im erschwinglichen
Rahmen zu halten. Derzeit liegt das Minimum bei 1 US-Dollar/Dosis.

In Fernost übertragen gewöhnlich Mütter mit chronischem TrägerstatusHBV auf


ihre Neugeborenen. Hier wird die Impfung (Injektionen in der 1., 5. und
9.Lebenswoche sowie mit 1 Jahr) mit einer passiven Immunisierung (durch
Immunglobulin) kombiniert. Die ersten Ergebnisse deuten auf einen guten Schutz hin,
und es bleibt zu hoffen, dass die Zahl der chronischen Träger (zusammen mit der
Leberkarzinom-Inzidenz) kontinuierlich weiter sinkt.

Auch gegen Hepatitis A ist jetzt ein Impfstoff


verfügbar, aber nicht gegen Hepatitis C
Reisende in Länder mit endemischer Hepatitis A können sich mit einer Vakzine
impfen lassen, die von menschlichen Diploidzellen abgeleitet und mit Formaldehyd
inaktiviert wurde. Bevor dieser Impfstoff verfügbar war, bestand die Standardmethode
in einer passiven Immunisierung mit gepooltem humanem Normal-Immunglobulin,
das gut, aber nur vorübergehend schützte.

Da sich die neue Vakzine (mit inaktivierten ganzen Viren) als sehr wirksam
erwiesen hat – in Thailand konnten 94% der Kinder vor einer klinischen Hepatitis A
geschützt werden –, gilt für Länder mit einer jährlichen Hepatitis-A-Inzidenz von
20/100000 Einwohnern oder höher die Empfehlung, alle über 2-jährigen Kinder

1165
impfen. Zu hoffen ist, dass in absehbarer Zeit auch für das später entdeckte Hepatitis-
C-Virus ein wirksamer Impfstoff entwickelt wird.

Tollwut ist die einzige Krankheit, bei der eine


postexpositionelle Impfung erfolgreich ist, weil sie
eine lange Inkubationszeit hat
Mit seinem mutigen Experiment von 1885 hat Pasteur nachgewiesen, dass Menschen
auch noch nach einer Infektion mit luftgetrockneten, abgetöteten Viren aus dem
Rückenmark rabieskranker Kaninchen geschützt werden können (s. Kap. 31), und hat
damit die Tollwutimpfung berühmt gemacht.

Über ein Jahrhundert später ist diese Nervengewebe-Vakzine (neuro-tissue vaccine,


NTV) in einigen Ländern noch immer in Gebrauch. Überall sonst wurde sie durch
Viren ersetzt, die in humanen Diploidzellen oder Entenembryonen angezüchtet und
mit Propiolacton inaktiviert werden. Mit drei Impfdosen lassen sich schützende
Antikörpertiter erzielen. Bisher sind keine sicheren attenuierten Virusimpfstoffe
verfügbar, doch es ist nicht ausgeschlossen, dass es irgendwann auch möglich sein
wird, attenuierte oder gentechnische Impfstoffe zu erzeugen.

Nach einer Exposition sollte möglichst bald mit der Serie von 5–6 intramuskulären
Injektionen begonnen werden; die erste wird mit einer Einmaldosis von humanem
Hyperimmunglobulin (20 IU/kg) kombiniert und verleiht praktisch einen kompletten
Schutz. Als Prophylaxe (z.B. für Reisende in Hochrisikogebiete) sind gewöhnlich 2–3
Dosen ausreichend; bei anhaltender Gefährdung (Tierärzte und andere, die regelmäßig
Umgang mit Tieren haben) ist alle paar Jahre eine Auffrischimpfung nötig.

Die Eradikation scheint noch ein unerreichbares Ziel zu sein, doch in der Schweiz
und Nachbarländern sowie in Kanada wurden erste Versuche mit infizierten
Futterbrocken unternommen, um das attenuierte Virus gezielt bei wildlebenden Tieren
einzuführen – und zwar mit bemerkenswertem Erfolg.

Gegen einige Arbovirusinfektionen sind Impfstoffe


verfügbar, aber nicht gegen Denguefieber
Zu den von Vektoren übertragenen Arbovirusinfektionen gehören Gelbfieber,
Denguefieber, Südostasiatisches hämorrhagisches Fieber und Japanische Enzephalitis.
Da sie zu den besonders virulenten Virusinfektionen zählen (s. Kap. 28), wären gute
Impfstoffe höchst erwünscht.

Ein 1937 entwickelter attenuierter Gelbfiebervirusstamm („17 D“) ist bis heute der
hochwirksame Standardimpfstoff gegen Gelbfieber. In tropischen Regionen bewirkt
eine einzelne subkutane Dosis (mit Auffrischungen in regelmäßigen Abständen von 10
Jahren) bei Bewohnern oder häufigen Besuchern einen guten Schutz. Erforderlich ist
die Impfung auch vor Reisen in Länder, in denen die Krankheit bisher nicht
aufgetreten ist, aber Fuß fassen könnte, wenn das Gelbfiebervirus von Touristen
eingeschleppt und Moskitos oder Menschenaffen (Primaten-Wirt) infizieren würde.
Impfpflicht kann sogar für Reisende im Transitbereich eines Flughafens gelten!

1166
Auch gegen die Japanische Enzephalitis und das Rift- talfieber sind Impfstoffe
verfügbar (in allen Ländern wird eine inaktivierte, nur in China eine attenuierte
Lebendvakzine verwendet).

Da bisher aber leider keine Impfung gegen Denguefieber möglich ist, wird der
Entwicklung eines solchen Impfstoffs oberste Priorität eingeräumt. Eine Schwierigkeit
kann sich aus dem Vorhandensein von vier Serotypen ergeben, doch ein größeres
Problem ist, dass sich die Krankheit in immunpathologischer Form manifestieren
kann. Das hämorrhagische Schocksyndrom tritt in Erscheinung, wenn sich Patienten
nach einer früheren Begegnung mit einem Serotyp mit dem zweiten infiziert haben.
Obwohl der Mechanismus nicht ganz klar ist, besteht offensichtlich auch die
Möglichkeit, dass eine Impfung, die nicht gegen alle Serotypen voll wirksam ist, einen
derartigen Zustand begünstigen könnte.

Influenzaimpfstoffe sind derzeit nur partiell wirksam


Anders als bei den meisten der bisher besprochenen Infektionskrankheiten wird nach
der Genesung von einer Virusgrippe keine anhaltende Immunität bei Gesunden
induziert. Das beruht hauptsächlich auf der Fähigkeit des Influenzavirus, sich zu
verändern (durch Antigenshift und Antigendrift, s. Kap. 16 und 19), hat aber auch
etwas mit der seltsamen Neigung zur „originalen Antigenantwort“ zu tun (d.h., der
gegen den ersten Grippevirusstamm, mit dem ein Mensch in Kontakt kommt,
gebildete Antikörper dominiert bei der Reaktion auf alle anderen Stämme).

Allerdings ist Grippe eine so wichtige Morbiditäts- und Letalitätsursache (in den
USA schätzungsweise 150 Tote/1 Million), dass man in Erwartung eines besseren
Impfstoffs auch mit einer Reihe nur teilweise wirksamer Vakzinen vorlieb nehmen
muss.

Verbreitet eingesetzt werden Grippeimpfstoffe, die mit Formalin oder β-Propiolacton


inaktiviert sind und gewöhnlich zwei Subtypen des Influenza-A- und einen des
Influenza-B-Virus umfassen – mit den in der Bevölkerung vorherrschenden oder zu
erwartenden Hämagglutinin- (H)- und Neuraminidase(N-)Antigenen (Tab. 34.12).

Grippeimpfstoffe wurden vor allem Hochrisikogruppen angeboten (Pflege- und


medizinisches Hilfspersonal, älteren Menschen, Patienten mit chronischen
respiratorischen, kardialen oder renalen Erkrankungen, Anämie, Diabetes mellitus
oder Immunschwäche). Die Grippeschutzimpfung gehört in Deutschland inzwischen
zu den Standardimpfungen für alle Erwachsenen.

Hinsichtlich der Symptomabschwächung wird die Wirksamkeit mit 70% angegeben,


im Hinblick auf die völlige Prävention aber nur mit 30%. Um die Antikörpertiter
aufrechtzuerhalten, müssen die Patienten auch in den folgenden Jahren regelmäßig
geimpft werden, doch weder mit demselben noch mit einem anderen Virusstamm
gelingt es, den Antikörperspiegel noch weiter anzuheben.

In Russland wurden Versuche mit kälteadaptierten Virusstämmen durchgeführt;


diese Lebendimpfstoffe verliehen einen gewissen Schutz, doch da sich bei bis zu 30%
der Normalpatienten keine Antikörper bilden, sind sie vermutlich auch nicht
geschützt. Enttäuschend verlief auch die Anwendung hitzeempfindlicher Mutanten
(die sich eigentlich auf die oberen Atemwege beschränken sollten), weil es hierbei zur
Reversion (Wildtyp-Virulenz) kam.

1167
Tab. 34.12 Veränderte Zusammensetzung der Grippeimpfstoffe.
Als Alternative bietet sich ein rekombinanter Virusimpfstoff mit RNA-Teilen an,
die die richtigen H- und N-Antigene kodieren. Theoretisch haben rekombinante und
andere Lebendimpfstoffe den Vorteil, dass sie zytotoxische T-Gedächtniszellen
induzieren, was mit abgetöteten Viren kaum bzw. gar nicht funktioniert. Doch
kürzlich zeigte sich, dass auch in ISCOM enthaltene Virusantigene eine gute
zytotoxische T-Zell-Reaktion hervorrufen können.

Attenuierte VZV-Lebendvakzine wirkt in hohem Maße


protektiv
Windpocken (durch das Varicella-Zoster-Virus, VZV) können sich gelegentlich zu
schweren Infektionen entwickeln und sind für leukämiekranke Kinder
lebensgefährlich. Ein guter Impfstoff sollte auch einen Zoster (Gürtelrose) älterer
Menschen wirksam verhüten. Nach Passage des Oka-Stamms durch humane und
Meerschweinchen-Zelllinien konnte ein attenuierter VZV-Lebendimpfstoff
gewonnen werden, der bei 97% der Kinder messbare Antikörpertiter induziert, die bei
über 90% der gesunden Kinder über mindestens sechs Jahre erhalten bleiben.

Erheblich geringer fällt der Impfschutz bei Kindern aus, die wegen einer Leukämie
medikamentös behandelt werden müssen. Versuche mit hitzeinaktivierten VZV-
Impfpräparaten für Kinder haben gezeigt, dass sie eine Reaktivierung des Virus bei
Krebspatienten (nach hämopoetischer Stammzelltransplantation) verhindern konnten.

Pneumokokkenvakzinen müssen vor verschiedenen


Serotypen schützen
Bei Pneumokokkeninfektionen sind die großen Antigenunterschiede ein Problem.
Da sich die 84 Serotypen von Streptococcus pneumoniae aber relativ stabil in der
Bevölkerung halten, ohne sich so rasch wie Influenzaviren zu verändern, wäre es
theoretisch möglich, einen Vollimpfstoff, der sie alle enthält, herzustellen. In der
Praxis zeigt sich aber, dass zum Schutz vor den meisten Infektionen weniger als die
Hälfte ausreicht.

1168
Als Antigen dient ein Kapselpolysaccharid, das in groß angelegten Bakterienkulturen
gewonnen wird. In den derzeit verfügbaren Impfstoffen sind Polysaccharidantigene
von 23 verschiedenen Serotypen enthalten, die bei 80% der gesunden Erwachsenen
eine Antikörperreaktion induzieren können.

Für Pneumokokken- gelten dieselben Indikationen wie für die Grippeimpfung. In


Deutschland ist die Pneumokokkenimpfung für Menschen > 60 Jahre eine empfohlene
Impfung, die deutlich billiger ist als eine Pneumoniebehandlung. Eine weitere
Hochrisikogruppe sind Kinder unter zwei Jahren, die aber im Allgemeinen nur
schlecht auf die Impfung ansprechen, weil sich die Klasse der IgG-2-Antikörper, die
bei der Reaktion auf Kohlenhydratantigene dominieren, erst relativ spät entwickelt
und sich die Polysaccharide wie T-Zell-unabhängige Antigene verhalten. Durch
Bindung an einen Proteinträger lässt sich die Impfreaktion verbessern, wahrscheinlich
weil sich dann die T-Zellen beteiligen können.

Inzwischen ist ein Impfstoff verfügbar, der gereinigte Kapselpolysaccharide von


sieben S.-pneumoniae-Serotypen enthält und bei praktisch allen Immunisierten eine
Antikörperreaktion induziert. In der Entwicklung befinden sich derzeit
Konjugatimpfstoffe, die den Schutz auf 9–11 Serotypen ausweiten könnten. In
Gambia (Westafrika) wurde ein großer Feldversuch mit dreimaliger Injektion eines 9-
valenten Impfstoffs gestartet, um zu sehen, ob sich die Inzidenz einer röntgenologisch
nachweisbaren Pneumonie reduzieren lässt.

Meningokokken-Impfstoffe sind nur teilweise wirksam


und nicht für alle Serotypen verfügbar
Nach demselben Prinzip wie bei Pneumokokken-Impfstoffen wird ein
Kapselpolysaccharid als Antigen verwendet, und wieder ist die Impfreaktion
besonders bei Kleinkindern nicht optimal. Gegenwärtig sind Impfstoffe für die
Neisseria-meningitidis-Stämme A, C, Y und W-135 verfügbar.

Für alle Qumrah- und Hadsch-Pilger, die nach Mekka (Saudiarabien) reisen wollen,
besteht Impfpflicht, und manche Länder verlangen auch von heimkehrenden Pilgern,
sich gegen Meningitis impfen zu lassen. Damit soll verhindert werden, dass erneut
eine Meningitis-Epidemie unter den Pilgern ausbricht wie im Jahr 2000 (durch N.
meningitidis W-135).

Bisher ist eine wirksame Impfung gegen Gruppe-B-Stämme nicht möglich, da das
Typ-B-Polysaccharid überwiegend aus Sialinsäure besteht, die nur schwach
immunogen wirkt. Das ist insofern ein Problem, als die meisten Meningitisfälle in den
USA und Europa gerade von Gruppe-B-Stämmen hervorgerufen werden. Statt der
Kapselpolysaccharide könnten vielleicht die bei der Genomsequenzierung entdeckten
Membranproteine als Impfantigen genutzt werden.

Sowohl bei Pneumokokken- als auch bei Meningokokken-Impfungen ist ein weiteres
Problem aufgetreten: Die normale Impfreaktion wird durch andere Infektionen, selbst
durch eine leichte Malaria beeinflusst. So stellte sich bei einem nigerianischen
Versuch heraus, dass eine Malariatherapie mit Chloroquin (1 Woche vor der Impfung)
die Antikörperreaktion auf Polysaccharidantigene verbessern konnte. Das
unterstreicht, wie wünschenswert die Entwicklung eines Malaria-Impfstoffs wäre (s.
unten).

1169
Wie Pneumokokken- und Meningokokken-Impfstoffe
enthält auch der Haemophilus-influenzae-Impfstoff
Kapselpolysaccharid
Für die meisten schweren Erkrankungen ist der Serotyp b des Haemophilus
influenzae(Hib) verantwortlich. Seine Kapsel ist ein mit Phosphodiesterase vernetztes
Polymer aus Ribose und Ribitol und beinhaltet dieselben Schwierigkeiten wie andere
Polysaccharide; auf die Erstimpfung mit Polysacchariden entwickelt sich bei
Kleinkindern unter zwei Jahren nur eine geringfügige Immunogenität.

Inzwischen sind verschiedene Polysaccharid-Protein-Konjugat-Impfstoffe


verfügbar, meist mit Tetanus- oder Diphtherietoxoid, die entweder allein (2–3
subkutane Injektionen vom 2. bis 6.Lebensmonat) oder mit der DTP-Tripelvakzine
zusammen verabreicht werden. Sie scheinen gute Antikörper- oder
Gedächtniszellreaktionen zu induzieren (durch Konjugation verändern sich
Polysaccharide von T-Zell-unabhängigen in T-Zell-abhängige Antigene) und, was sehr
ermutigend klingt, zu bewirken, dass anfänglich schlecht ansprechende Kinder auf
eine spätere Auffrischung noch wie gewünscht reagieren. In einem groß angelegten
Versuch in Finnland zeigte sich eine Wirksamkeit von 94%, und bei Kleinkindern mit
komplettem Impfschutz entwickelte sich nur sehr selten eine invasive Hib-
Erkrankung.

TY21a ist ein Stamm, der zu 60–90% und für


mindestens fünf Jahre vor Typhus schützt
Fast ein Jahrhundert lang mussten sich Tropenreisende und vor allem Militärs einer
„TAB“-Impfung unterziehen. Der Impfstoff enthielt Vollbakterien (S. typhi und S.
paratyphi), die mit Hitze, Phenol, Aceton oder Alkohol abgetötet worden waren, und
musste ein- oder zweimal intramuskulär injiziert werden. Diese Impfung war nicht nur
sehr unangenehm (Schmerzen an der Injektionsstelle und allgemeines
Krankheitsgefühl aufgrund des Endotoxingehalts), sondern ihre Wirkung wurde
wiederholt in Frage gestellt. In mehreren kontrollierten Versuchen konnte bei ca. 10–
70% eine Schutzwirkung erzielt werden, die zum Teil von der Impfdosis abhing.

Daher besteht ein hoher Bedarf an neuen, besseren Typhus-Impfstoffen. Zwei


Kandidaten sind:

■ eine attenuierte Lebendvakzine

■ ein Kapselpolysaccharid

Der erste attenuierte Typhusbazillus (TY21a) entstand durch eine zufällige


chemische Mutagenese, doch gegenwärtig richtet sich die Aufmerksamkeit auf
Stämme, bei denen Enzymdefekte – Mutationen der Galaktose-Epimerase (GalE) oder
der aromatischen Aminosäurensynthese (AroA) – vorliegen.

Aufgrund der Mutation können die Bakterien nur wenige Tage überleben und
proliferieren, so dass bei oraler Gabe eine lokale Immunität der Darmschleimhaut,
aber keine systemische Erkrankung induziert wird. Alle Mutantenstämme scheinen
sicher und wirksam zu sein (bei 67% der Geimpften in Endemiegebieten bestand noch

1170
sieben Jahre nach der letzten Dosis weiterhin Impfschutz), wobei die beiden zuletzt
Genannten den zusätzlichen Vorteil haben, sich als Vektoren für die Insertion von
Genen anderer Keime zu eignen. TY21a wird entweder mit
Natriumbikarbonattabletten oder in darmlöslichen Kapseln verabreicht.

Der Polysaccharid-Impfstoff enthält gereinigtes Vi- (Virulenz)-Antigen. Eine


Einzeldosis von 25 μg bewirkte einen Impfschutz in der Größenordnung von 72%
nach 1,5 Jahren, der nach drei Jahren auf 50% abnahm.

Neuere Vibrio-cholerae-Stämme könnten besser


schützen als die ursprüngliche hitzeinaktivierte
Vakzine
Der ursprünglich durch Hitze inaktivierte Cholera-Vollimpfstoff litt unter denselben
Nachteilen wie die älteren Typhus-Impfstoffe – unangenehmen Impfreaktionen und
einem 50%igen Schutz für lediglich 6 Monate. Er wurde daher nicht zur Impfung
empfohlen und auch vor Auslandsreisen bestand keine gesetzliche Impfpflicht.

Inzwischen sind zwei neue Cholera-Impfstoffe (Lebend- und Totvakzine) zugelassen


und in einer Hand voll Ländern verfügbar. Der Totimpfstoff kann oral verabreicht
werden und scheint einen recht guten Impfschutz (> 85% nach der zweiten Dosis) zu
bewirken; Geimpfte, die älter als fünf Jahre waren, wiesen noch drei Jahre in über
60% Impfschutz auf. Interessanterweise verleiht die Impfung mit Totvakzine auch
einen gewissen Schutz vor E. coli und schützt somit zusätzlich vor einer
Reisediarrhoe.

34.7.2 Neue und experimentelle Impfstoffe

Eine neue Möglichkeit ist eine heterologe Rotaviren-


Lebendvakzine
Wie schon erwähnt, könnten Rotavirusinfektionen genau wie Pocken für eine Impfung
mit heterologer Lebendvakzine zugänglich sein. Versuchsweise als Schluckimpfung
für Säuglinge angewandte bovine und Affen-Rotavirusstämme erzielten eine
Schutzwirkung von 70–80%. Da ein zunächst zugelassener tetravalenter
Rotavirusimpfstoff (von Rhesusaffen) 1999 wieder zurückgezogen wurde, nachdem
Fälle von Darminvagination aufgetreten waren, wird jetzt in weiteren Versuchen
bovine Vakzine auf ihre Sicherheit und Wirksamkeit getestet.

Erforscht werden soll auch, inwieweit „natürlich attenuierte“ humane Stämme, die
auf Kinderstationen vorkommen, sich zur Impfung eignen. Die Aussichten, dass doch
irgendwann ein Rotavirus-Impfstoff verfügbar sein wird, stehen also recht günstig.

Mutierte Shigellenstämme oder Insertion von


Shigellenantigen in andere Vektoren könnten eine
Impfung gegen Shigellen ermöglichen

1171
Obwohl aus lebenden, zufällig attenuierten Shigellen wirksame orale Impfstoffe
gewonnen werden können, kamen sie wegen der kurz anhaltenden Schutzwirkung und
gelegentlicher Nebenwirkungen nie breiter zum Einsatz. Derzeit konzentriert sich das
Forschungsinteresse auf gezielt mutierte Stämme und auf die Einfügung von
Shigellenantigen in S. typhi oder andere Vektoren.

Verschiedene E.-coli-Impfungen werden derzeit


untersucht
Dass bisher noch keine voll wirksame Impfung gegen E. coli möglich ist, liegt an den
unterschiedlichen Oberflächenantigenen und Toxinen einzelner Serotypen.
Trotzdem ließ sich in Versuchen mit Toxoid- (auf Enterotoxin-Basis), gereinigten
Fimbrien-, abgetöteten Vollbakterien- und attenuierten Lebendimpfstoffen eine
gewisse Schutzwirkung erzielen. Mit dem bereits erwähnten Spaltimpfstoff
(Kombination aus abgetöteten V. cholerae und B-Toxin) konnte aufgrund der
Kreuzreaktion zwischen beiden Toxinen sogar ein signifikanter Schutz vor E. coli
erreicht werden.

Trotz mehrfacher Bemühungen gibt es noch immer


keinen Malaria-Impfstoff
Zu der Zeit, als dieses Buch verfasst wurde, waren schon die Ergebnisse mehrerer
klinischer Versuche mit Malariavakzine veröffentlicht worden, und es werden
sicherlich weitere folgen. An Menschen wurden Peptide, rekombinante Proteine und
DNA-modifizierte Viren („prime-boost“) als Impfstoffe getestet, die sich
hauptsächlich gegen Sporozoiten- und Leberstadien der Malaria richten. Obwohl sich
in einigen Versuchen ein statistisch signifikanter Impfschutz zeigte, war die
Wirksamkeit sehr niedrig (unter 30%) und auch nicht reproduzierbar.

Andere Angriffsziele im außergewöhnlich komplexen Entwicklungszyklus der


Malariaerreger (s. Kap. 27) könnten das Leberstadium selbst, das Merozoiten-
(Infektion der roten Blutzellen) oder das sexuelle Stadium (Gametozyten und
Gameten) sowie lösliche Moleküle sein, von denen man annimmt, dass sie die
Symptome auslösen (Abb. 34.10).

Durch die große Auswahl erhöhen sich einerseits die Erfolgsaussichten, doch bei
jedem Ansatz gibt es andere Schwierigkeiten (z.B. ausgedehnte Antigenvariation im
Blutstadium; 100%ige Wirksamkeit in prähepatischen und hepatischen Stadien
erforderlich; Impfung gegen die sexuellen Stadien verhindert nur die Übertragung und
schützt damit die Bevölkerung, aber nicht den Geimpften selbst). Jeder Ansatz hat
Befürworter, doch es wird wahrscheinlich darauf hinauslaufen, dass in einem
wirksamen Impfstoff die Antigene mehrerer oder aller Stadien enthalten sein
müssen.

Ein gewisser Schutz vor Hautleishmaniase ist durch


Impfung möglich
Untersucht wurden drei verschiedene Ansätze:

1172
■ „Leishmanisierung“: Bei dieser alten Praxis aus dem Mittleren Osten wird bei
Kindern eine verdeckte Hautstelle absichtlich mit Leishmania tropica eines milden
Falls infiziert, damit sich eine von selbst heilende Läsion („Orientbeule“) bildet und
die Kinder dadurch immun gegen eine ausgedehntere Hautleishmaniase werden. Die
Methode war auch in der früheren Sowjetunion und in Israel sehr beliebt, doch ihre
Schutzwirkung ist zu unbestimmbar und ein avirulenter Verlauf nicht garantiert.

■ Zwei- bis dreimalige i.m. Injektion abgetöteter Promastigoten (invasive


Stadien): Bei einem in Brasilien durchgeführten Versuch wurde eine bis zu 80%ige
Schutzwirkung reklamiert, die jedoch von unbestimmter Dauer war.

■ Injektion abgetöteter Promastigoten zusammen mit BCG: Hier waren die


Ergebnisse am beeindruckendsten. In einem venezolanischen Versuch konnte ein
Impfschutz von über 90% induziert werden, doch es ist noch zu früh zu sagen, wie
lange er anhalten wird. In einem Versuch im Sudan ließ sich kein Vorteil der
kombinierten Impfung gegenüber der alleinigen BCG-Impfung zum Schutz vor
viszeraler Leishmaniase nachweisen.

1173
Abb. 34.10 Impfstrategien gegen Malaria.

In der Vielfalt der Ansätze, die von Forschern untersucht werden, spiegeln sich der
komplexe Entwicklungszyklus und die ausgeprägte Immunität dieser Parasiten
wider (s. Kap. 27).

Mittlerweise wird eine völlig neue Art von Impfstoff getestet. Man verwendet dabei
ein Speichelprotein der Sandfliege (Vektor von Leishmanien), das bei geimpften
Mäusen eine starke Hypersensitivitätsreaktion vom verzögerten Typ (DTH) und einen
hohen Schutz bewirkt. Dies hätte zudem den Vorteil, dass die Impfung wiederholt
aufgefrischt würde, wenn Menschen von Sandfliegen (infiziert oder nicht) gebissen

1174
werden; weniger klar ist jedoch, ob sich die Infektion jemals komplett verhindern
lässt.

34.7.3 Auf diese Impfstoffe wird noch gewartet


Es bleibt eine lange Liste von Infektionskrankheiten übrig, für die eine Impfung
wünschenswert wäre, aber noch nicht verfügbar ist (Tab. 34.13). In einigen Fällen ist es
wohl nur noch eine Frage der Zeit, doch in anderen Fällen handelt es sich um sehr
grundlegende Schwierigkeiten.

Bei Adeno- und Rhinoviren ist es z.B. wegen der zahlreichen Serotypen (ca. 40 bzw.
110) schwer vorstellbar, voll wirksame Impfstoffe zu entwickeln. Bei Herpesviren
besteht die Gefahr, dass eine latente Infektion durch Lebendimpfstoffe reaktiviert wird,
während es bei Totimpfstoffen schwierig sein dürfte, ausreichende Virusmengen zu
erhalten (mit Ausnahme von HSV). Bei Respiratory-syncytial-Viren(RSV) stellt sich das
Problem, dass attenuierte Stämme virulent werden oder Totimpfstoffe die Krankheit
verschlimmern können.

Was die in Tab. 34.13 aufgezählten Bakterieninfektionen betrifft, so ist das Fehlen
einer wirklich überzeugenden Immunität nach einer natürlichen Infektion sehr
entmutigend; als augenfälligstes Beispiel sei die Syphilis genannt. Das Gleiche trifft für
Protozoen- und Wurminfektionen zu – auch wenn die Forschung in verschiedenen
Richtungen weitergeht und für die Veterinärmedizin bereits einige wirksame Impfstoffe
herausgekommen sind (z.B. zur Impfung von Hunden gegen Hakenwürmer oder von
Rindern gegen Lungenwürmer).

Die größten Anstrengungen der Forschung konzentrieren sich vermutlich auf eine
Impfung gegen HIV, um Verbreitung oder Progression der AIDS-Erkrankung zu
stoppen; hier ist die Entwicklung eines wirksamen Impfstoffs im wahrsten Sinne ein
Wettlauf gegen die Zeit. 2002 wurden über 30 Substanzen als potenzielle Impfstoffe in
klinischen Phase-I- bzw. Phase-II-Versuchen getestet und in einigen
Entwicklungsländern wurde bereits der Übergang zu Phase-III-(Wirksamkeits-)Studien
eingeleitet.

1175
Tab. 34.13 Wichtige Infektionskrankheiten, für die es noch keine
zufriedenstellenden Impfstoffe gibt.
* die BCG-Impfung schützt unterschiedlich gut vor Tuberkulose, scheint aber
auch einen gewissen Schutz vor Lepra zu bewirken

Die meisten Forschergruppen richten ihre Aufmerksamkeit auf gp120, ein Molekül, mit
dem sich HIV an Zellen heften und mit ihnen fusionieren kann, und in Thailand wird ein
rekombinanter gp120-Impfstoff getestet, obwohl ein Impferfolg wegen der ausgeprägten
Antigenvariation des Moleküls problematisch erscheint. Eine in Kenia erprobte Impfung
besteht aus einem DNA-Priming und anschließender Boosterung mit modifiziertem
Vaccinia-Virus (Typ Ankara), das die gag-p24/p17-Antigene aller HIV-A-Sybtypen
sowie eine Folge zytotoxischer T-Zell-Epitope enthält.

1176
Brauchen wir neue Impfstoffe zum Schutz vor
Biowaffen?
Um uns vor der Bedrohung durch Bioterroristen zu schützen, sind möglicherweise
neue (und einige der alten) Impfstoffe nötig. Impfstoffe gegen Bacillus anthracis
(Milzbrand) und Yersinia pestis (Pest) sind zwar bereits verfügbar, bleiben aber
beruflich gefährdeten Personengruppen vorbehalten. Auch Pockenimpfstoff wird
schon wieder hergestellt und hat eine Diskussion darüber entfacht, ob eine allgemeine
Schutzimpfung oder eine postexpositionelle Impfung der Infizierten und ihrer
Kontaktpersonen besser wäre.

Aber auch aus den verfügbaren Impfstoffen lässt sich ein größerer Nutzen schlagen.
Es ist besorgniserregend, dass noch immer weltweit so viele Menschen an
Krankheiten sterben, die durch Impfungen zu verhindern wären (Tab. 34.14). Daher
bleibt es das vorrangige Ziel, die bestehenden Impfmöglichkeiten allen Menschen
bereitzustellen.

34.7.4 Neue Applikationsformen


In Zukunft könnten Impfantigene auch in völlig anderer Form verabreicht werden.

Transdermale Impfung über Hautpflaster


Ein neuer Impfansatz ist die Entwicklung von Hautpflastern, die mit dem Antigen
imprägniert werden. Das Antigen wird dann von den zahlreichen epidermalen
Langerhans-Zellen aufgenommen und zu regionalen Lymphknoten weitergeleitet. Auf
diesem Weg wäre sogar eine Adsorption rekombinanter viraler Vektoren (zur
Expression von Impfantigenen) über die Hautoberfläche möglich. Besonders clever ist
die Idee, ein Impfantigen mit Choleratoxin als Adjuvans zu kombinieren, um mit
einem Hautpflaster gleich Schutz vor zwei Krankheiten zu erreichen.

Impfstoffe in Pflanzen
Ein neuer Ansatz ist auch der Anbau von Pflanzen zur Gewinnung von Impfstoffen.
Könnten die Gene von bakteriellen oder viralen Antigenen in pflanzlichem Gewebe
zur Expression gebracht werden, wäre das viel kostengünstiger als die jetzt üblichen
Fermentierungs- oder Zellkulturmethoden; transgene Pflanzen würden schon
während des Wachsens Impfantigene produzieren.

Pflanzen würden sich auch als Darreichungsform für Impfstoffe eignen: man müsste
nur von transgenen Pflanzen essen, um geimpft zu werden. Die Experimente zum
„Impfstoffanbau“ in Kartoffeln, Tomaten und Tabakpflanzen sind recht viel
versprechend. Es bleiben zwar noch einige Schwierigkeiten zu überwinden – doch
vielleicht schützen wir uns eines Tages mit dem Verzehr einer transgenen Banane vor
einer ganzen Palette von Pathogenen. Die Pflanzen müssten nur so gezüchtet werden,
dass sie gleich mehrere Gene exprimieren!

1177
Tab. 34.14 Weltweite Todesfälle durch acht Krankheiten, die sich
durch Impfung verhüten ließen.
* eingeschlossen sind 215 000 Neugeborene
Zusammenfassung
■ Impfungen dienen zur Vorbereitung des erworbenen Immunsystems auf
bestimmte Erregerantigene, damit es bei einer Erstinfektion eine sekundäre
Immunreaktion induzieren kann.

■ Es gibt attenuierte Lebendimpfstoffe und abgetötete Voll(bakterien)impfstoffe


sowie Spaltimpfstoffe mit Untereinheiten oder Antigenen, die (durch Klonen oder
chemische Synthese) künstlich erzeugt werden.

■ Lebendimpfstoffe sind im Allgemeinen wirksamer als andere, bergen aber die


Gefahr, dass es zum Umschlagen (Reversion) in Virulenz oder bei
immungeschwächten Patienten zum Ausbruch der Krankheit kommen kann.

■ Auswahl, Applikationsform, Dosierung und Risiken eines Impfstoffs müssen


bei jeder Krankheit individuell erwogen werden; dabei bleibt noch Raum für
Verbesserungen (durch die Produktion sicherer, wirksamer und erschwinglicher
Impfstoffe).

■ Wie hoch der Impfschutz/die Durchimpfung einer Bevölkerung sein muss, um


eine Infektion auszurotten, lässt sich prozentual errechnen.

■ Dass sich das Alter, in dem sich anfällige Personen infizieren, erhöhen kann,
wenn die Mehrheit der Bevölkerung geimpft ist, führt möglicherweise zu
Komplikationen.

■ Konflikte zwischen individuellem und gemeinschaftlichem (Bevölkerungs-


)Impfschutz lassen sich mithilfe epidemiologischer Kenntnisse entschärfen.

1178
■ Insgesamt sind Impfungen sehr nützlich für das öffentliche Gesundheitswesen
(Public Health); trotzdem stellen sich noch große Herausforderungen: z.B. bessere
Nutzung der verfügbaren Impfstoffe zum Wohl der gesamten Weltbevölkerung
und die Entwicklung neuer Impfstoffe für Infektionen, gegen die noch keine
Impfung möglich ist.

FRAGEN
1 * Sind Impfstoffe mit inaktivierten Erregern:

a) zur Immunisierung von Schleimhäuten geeignet

b) weniger stabil als Lebendvakzine

c) nicht zum Umschlagen in Virulenz imstande

d) sicherer als Lebendvakzine

e) immunogener als Lebendvakzine?

2 * Welche Impfung Erwachsener ist trotz Immunschwäche sicher:

a) inaktivierte Impfstoffe

b) Polio-Lebendimpfstoff

c) BCG-Impfung

d) Masernimpfung

e) Tetanus-Impfung

f) DNA-Vakzinen?

3 * Was wird mit pc bezeichnet:

a) Anteil der erfolgreich Geimpften in der Bevölkerung

b) zur Eliminierung der Infektion nötiger Impfschutz

c) Zahl der Menschen, die sich an einem Infizierten anstecken können

d) kritischer Wert, ab dem eine Infektion nicht mehr übertragen wird, weil
in der Bevölkerung zu wenig Menschen anfällig sind?

4 * Wovon hängt der Erfolg einer Impfkampagne ab:

a) von der Bevölkerungsdichte

b) ob ein Impfstoff die richtige Immunreaktion induziert

c) ob ein 100%iger Impfschutz erreicht wird

1179
d) von der Verfügbarkeit einer Lebendvakzine?
* Fragen mit mehr als einer richtigen Antwort
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

Epidemiology and prevention of vaccine-preventable diseases. The Pink Book, 7th


ed. 2002 (auch verfügbar unter www.cdc.gov/nip/publicaions/pink).

Mims, C.A., White, D.O.: Viral Pathogenesis and Immunity. Blackwell Scientific,
Oxford 1984.

Vaccination: a series of expert reviews. British Medical Bulletin 62 (2002).

Quast, U., Ley, S.: Schutzimpfungen im Dialog. Die häufigsten Fragen zum Thema
Schutzimpfungen (3., überarbeitete Auflage). Verlag im Kilian

www.rki.de

1180
35 Passive und unspezifische Immuntherapie
35.1 Passive Immunisierung durch Antikörper 575

35.1.1 Gentechnische Antikörperherstellung 577

35.2 Unspezifische zelluläre Immunstimulation 578

35.3 Ausgleich von Immundefekten 579


Zur Orientierung
Für Patienten, die sich bereits infiziert oder eine Immunschwäche haben, muss eine
Alternative zur Impfung gesucht werden

Die eindrucksvollste und erfolgreichste Immuntherapie ist die im vorhergehenden Kapitel


beschriebene Impfung. Doch es gibt Situationen, in denen ein anderer Ansatz gefragt ist,
z.B. wenn

■ Patienten bereits infiziert sind und deshalb schneller effektive Immunmechanismen


benötigen, als sich von selbst aufbauen würden,

■ das Immunsystem wegen Immunschwäche des Patienten oder besonders resistenter


Erregermerkmale nur schlecht oder gar nicht auf Infektionen oder Impfungen reagiert.

In diesem Kapitel sind solche Situationen beschrieben.

1181
35.1 Passive Immunisierung durch Antikörper

Bestimmte Krankheiten werden durch passive


Immunisierung behandelt, die unter Umständen
lebensrettend sein kann
Bevor Antibiotika in die Therapie eingeführt wurden, injizierte man Patienten bei akuten
Infektionskrankheiten oft präformierte Antikörper nach dem Grundsatz, dass sie
bereits krank seien und es für eine aktive Immunisierung zu spät wäre. Ende des
19.Jahrhunderts wurde der Nachweis, dass sich mit dem Serum geimpfter Kaninchen
Immunität gegen Tetanus und Diphtherie auch auf Mäuse übertragen ließ, tatsächlich zu
einer Art Schlüsselexperiment für die Entdeckung von Antikörpern.

Im Anschluss daran entwickelte sich die Produktion von Antisera zur passiven
Behandlung von Diphtherie, Tetanus und Pneumokokken-Pneumonie zu einem
wichtigen Industriezweig weiter, und Generationen von Pferden wurden nach
Beendigung ihrer aktiven Laufbahn noch als stille Immunserum-Reserve gehalten. Mit
der Einführung eines Antitetanusserums zu Beginn des Ersten Weltkriegs konnte die
Tetanus-Inzidenz drastisch (um das 30-fache) gesenkt werden (Abb. 35.1).

Mit dem Aufkommen von Penicillin und anderer Antibiotika hat sich das Bild stark
verändert, so dass die passive Immuntherapie heute nur noch bei ausgewählten
Krankheiten angewandt wird (Tab. 35.1). Das Serum kann von Mensch oder Tier
stammen und spezifisch oder unspezifisch sein.
Abb. 35.1 Tetanus-Inzidenz von 1914 bis 1917.

In den ersten Monaten des Ersten Weltkriegs konnte die Tetanus-Inzidenz durch
passive Immunisierung drastisch gesenkt werden. Gezeigt ist die Verlaufskurve der

1182
Tetanus-Inzidenz bei verwundeten Soldaten in britischen Krankenhäusern für den
Zeitraum 1914–1916 (Zahlenangaben in Tausend). Als im Oktober 1914 das
Antitetanusserum eingeführt wurde, sank die Häufigkeit abrupt ab.

Tab. 35.1 Spezifische passive Immuntherapie mit Antikörpern.

Ein Antiserum tierischen Ursprungs kann zur


Serumkrankheit führen
Auf Pferde- oder Kaninchen-Antisera wird inzwischen weitgehend verzichtet, weil die
Antikörper natürlich ein Fremdantigen darstellen und weil aufgrund der
Immunreaktion Komplikationen auftreten können. Dazu gehört zum einen, dass sie
allmählich immer schneller eliminiert werden (so dass der klinische Nutzen abnimmt),
zum anderen kann sich aber als besonders schwere Nebenwirkung eine Serumkrankheit
(durch Ablagerung von Immunkomplexen in Niere und Haut, s. Kap. 17) oder sogar
eine Anaphylaxie entwickeln.

Diese Komplikationen sind vermeidbar, wenn stattdessen Humanserum von Geimpften


oder Rekonvaleszenten verwendet wird, um den Ausbruch einer Infektion nach
Exposition (z.B. Tollwut) zu verhindern oder die Symptome abzumildern (z.B.
Windpocken bei Kindern mit Immunschwäche).

Theoretisch sind monoklonale Antikörper mit genau


definierter Spezifität die beste Form der
Antikörpertherapie

1183
In der Praxis kann aber eine Mischung verschiedener monoklonaler Antikörper
erforderlich sein, z.B. wenn einzelne Antigene nur in geringen Mengen exprimiert
werden oder wenn zur vollen Entfaltung der Wirkung eine Bindung an mehrere Epitope
nötig ist.

Wir haben oben schon die Herstellung monoklonaler Antikörper in Mäusen beschrieben,
doch ihre starke immunogene Wirkung auf Menschen stellt insofern eine schwere
Komplikation dar, als humane Antimausantikörper (HAMA) gebildet werden, die zur
beschleunigten Entfernung der monoklonalen Antikörper aus dem Blut und
möglicherweise zu Hypersensitivitätsreaktionen führen. HAMA verhindern außerdem,
dass Maus-Antikörper ihr Ziel erreichen, und blockieren in einigen Fällen deren
Antigenbindung. Hier bieten sich Ansatzpunkte, um mit der rekombinanten DNA-
Technologie die xenogenen (fremden) Anteile monoklonaler Antikörper zu entfernen
und durch humane Ig-Strukturen zu ersetzen.

Ein sehr raffinierter Ansatz besteht darin, alle sechs complementarity-defining regions
(CDR) eines hochaffinen monoklonalen Ratten-Antikörpers auf ein komplett humanes
Ig-Gerüst zu verpflanzen, ohne dass sie dabei ihre spezifische Reaktivität verlieren
(Abb. 35.2). Das ist allerdings gar nicht so einfach. Daher bleibt es weiterhin ein sehr
verlockendes Ziel, humane B-Zellen zu fusionieren, vor allem wenn man bedenkt, dass
sich mit solchen Hybridomen nicht nur die Immunogenität stark reduzieren ließe,
sondern auch bei Antikörpern derselben Spezies subtile Unterschiede berücksichtigt
werden könnten – wie die polymorphen Haupthistokompatibilitäts(MHC)-Moleküle und
tumorassoziierten Antigene anderer Menschen.

1184
Abb. 35.2 „Humanisierter“ monoklonaler Ratten-
Antikörper.

Erzeugung durch Verpflanzung aller sechs Ratten-CDR (complementarity-defining


regions) auf ein humanes Immunglobulin-(Ig)-Gerüst.

Dagegen richten sich xenogene Immunreaktionen eher gegen die (immun)dominanten


Strukturen, die den meisten Menschen eigen sind. Trotz der Schwierigkeiten, gut
geeignete Fusionspartner zu finden, hat sich bereits eine Vielzahl humaner
monoklonaler Antikörper etabliert.

Ein völlig anderer Ansatz ist die Produktion transgener Mäusestämme. Dazu bringt
man unrearrangierte humane Ig-Leichtketten-Loci (H und k) von Megabasengröße in
Mäuse ein, deren endogene murine Ig-Gene vorher inaktiviert wurden. Durch
Immunisierung dieser Mäuse lassen sich humane Antikörper hoher Affinität (10−10 bis
10−11 M) gewinnen, die mithilfe von Hybridom- oder rekombinanten Techniken isoliert
werden können. Mit solchen transgenen Mäusen sind bereits sehr wirksame
antiinflammatorische (Anti-IL-8) und (gegen den Epidermal-Growth-Factor-Rezeptor
gerichtete) Antitumormittel hergestellt worden.

Doch die Sache hat noch immer den Haken, dass selbst humane Antikörper
antiidiotypische Reaktionen hervorrufen können; dies lässt sich möglicherweise durch

1185
aufeinander folgende Injektionen gentechnisch erzeugter Antikörper mit verschiedenen
Idiotypen umgehen.

Derzeit werden viele humane Antikörper auf ihren klinischen Nutzen untersucht;
genannt seien Anti-RhD-IgG zur Verhütung der Rhesusunverträglichkeit bei
Neugeborenen oder hochwirksame monoklonale Antikörper zum Schutz vor
VZV(Varicella-Zoster-Virus)-, CMV(Zytomegalievirus)- und Gruppe-B-Streptokokken-
Infektionen bzw. gegen Lipopolysaccharid-Endotoxine Gram-negativer Bakterien.

35.1.1 Gentechnische Antikörperherstellung


Es gibt andere Möglichkeiten, den mit der Produktion humaner monoklonaler
Antikörper verbundenen Problemen aus dem Weg zu gehen und dabei alle Tricks der
modernen Molekularbiologie auszureizen. Die „Humanisierung“ von Ratten-
Antikörpern wurde bereits erwähnt, doch inzwischen hat sich eine wichtige neue
Strategie, die auf der Bakteriophagen-Expression und Auswahl (Selektion) beruht,
einen vorderen Platz erobert.

Im Wesentlichen geht es darum, mRNA – vorzugsweise durch „Priming“ humaner B-


Zellen – in cDNA zu überführen und Antikörper-Gene (bzw. Genfragmente) mithilfe
der Polymerasekettenreaktion (PCR) zu expandieren. Danach werden einzelne
Konstrukte angefertigt, bei denen sich Leicht- und Schwerketten-Gene zufällig als Fab-
oder scFv-Fragmente (sc = single chain) mit dem Proteingen der Bakteriophagenhülle
zu Tandems kombinieren dürfen (Abb. 35.3). In dieser „kombinatorischen
Bibliothek“ ist ein riesiges Repertoire an Antikörperfragmenten verschlüsselt
(enkodiert), die als Fusionsproteine mit einem filamentösen Hüllprotein auf der
Bakteriophagenoberfläche exprimiert werden.

1186
Abb. 35.3 Selektionsverfahren zur gentechnischen
Antikörperherstellung.

Pools von Genen, die Ig-Domänen enkodieren und von IgG-RNA abgeleitet sind,
werden zufällig kombiniert und als Fab- oder Einzelketten-Fragmente (scFv) auf der
Bakteriophagenoberfläche exprimiert. Es können auch Bibliotheken aufgebaut
werden, die einzelne Domänen einer variablen Schwerketten-Region (VH) – meist
von Mensch oder Lama – exprimieren. Mithilfe von Festkörper-(solid-phase-
)Antigenen können aus diesen extrem großen Bibliotheken Phagenklone ausgewählt
werden, die Gene für Antikörperfragmente mit hoher Affinität enthalten. Um
Antikörperfragmente in ausreichenden Mengen zu produzieren, können geeignete
Ig-Gene geklont und in passenden Vektoren zur Expression gebracht werden.

Die enorm vielen Phagen, die bei einer Escherichia-coli-Infektion entstehen, können nun
mit einem Festkörper- (solid-phase-)Antigen aufgefangen werden, um genau die
auszuwählen, an deren Oberfläche die Antikörper mit der höchsten Affinität sitzen
(Abb. 35.3). Weil in den ausgewählten Phagen bereits die Genkodierung dieser
hochaffinen Antikörper vorliegt, können sie leicht geklont werden, um eine massenhafte
Expression von Antikörperfragmenten zu erreichen.

Dieses Selektionsverfahren bietet einen enormen Vorteil gegenüber anderen


Suchverfahren (Screenings), weil die Zahl der Phagen, die untersucht werden können,
um einige log-Stufen höher liegt. Obwohl es sich um eine „Retorten-Methode“
handelt, ist die Erzeugung spezifischer Antikörper hier eng an die Affinitätsreifung der
Immunantwort in vivo angelehnt, weil das Antigen entscheidend für die Auswahl der
Reaktionspartner mit der höchsten Affinität ist.

Um die Affinität der erzeugten Antikörper noch zu steigern, können mit dem Antigen
Mutanten ausgewählt werden, die durch zufällige Mutagenese (oder noch effektiver an
„Mutations-Hotspots“ durch gezielten Austausch gleich an der richtigen Stelle)
entstanden sind und eine noch höhere Affinität besitzen. Auch dies imitiert die zufällige
Mutation und Antigenselektion bei der natürlichen Immunantwort. Es wurden Phagen-

1187
Bibliotheken geschaffen, die gerade einmal die Domänen der variablen Region einer
einzigen Schwerkette exprimieren – mit erstaunlich hoher Affinität, manchmal im
unteren Nano-Molekülbereich.

Gene zur massenhaften Expression monoklonaler Antikörper können nicht nur in


der Milch laktierender Tiere gentechnisch erzeugt werden, sondern auch Pflanzen lassen
sich zu diesem Zweck nutzen. So genannte „Pflanzenantikörper“ (engl. plantibodies, ein
Wortspiel, das nicht auf Deutsch übertragbar ist) wurden in Bananen, Kartoffeln und
Tabakspflanzen gezüchtet. Die Vorstellung, dass vielleicht eines Tages ein High-Tech-
Landwirt auf seinen Feldern Anti-Tetanustoxoid, Anti-Meningokokken-Polysaccharide
usw. anpflanzen wird, bietet reichlich Stoff für Science-fiction!

Antikörper in gepooltem Normalserum können vor


Infektionen schützen
Bei den gängigen Infektionskrankheiten ist anzunehmen, dass die meisten Menschen
Antikörper gegen deren Erreger im Serum haben. Einen eindeutigen Beweis dafür
liefert das Ausbleiben rezidivierender Infektionen bei Patienten mit
Hypogammaglobulinämie, denen regelmäßig IgG aus gepooltem Normalserum injiziert
wird; in gleicher Weise können Kinder mit Immundefekten vor Masern geschützt
werden (Tab. 35.2).

Das Immunglobulin wird aus Plasmakonzentraten von 1000–6000 gesunden


Blutspendern gewonnen, die zuvor auf Hepatitis B und C sowie auf HIV untersucht
wurden. Seitdem die Zubereitungsmethoden verbessert wurden, verabreicht man IgG-
Injektionen in den meisten Fällen intravenös statt wie früher üblich intramuskulär. Die
Dosierung beträgt bei dieser Art von Therapie monatlich 100–400 mg IgG/kg
Körpergewicht.

Bei Gesunden lässt sich das Risiko einer Hepatitis-A-Infektion in einem Endemiegebiet
allein schon durch einmalige Injektion von 5 ml IgG drastisch senken. Auch die
Leihimmunität, die Neugeborene durch diaplazentaren IgG-Transfer und später beim
Stillen durch IgA im Kolostrum (das nicht resorbiert wird, sondern im Darm bleibt) von
ihren Müttern erhalten, ist ein weiterer Beweis für die schützende Wirkung selbst relativ
kleiner Antikörpermengen.

1188
Tab. 35.2 Indikationen für eine normale Immunglobulintherapie.
CMV = Zytomegalievirus

35.2 Unspezifische zelluläre Immunstimulation

Zytokine und andere molekulare Mediatoren können


das Immunsystem stimulieren
Schon vor über einem Jahrhundert führte William Coley den Nachweis, dass
Rohextrakte von Bakterien eine Remission und manchmal sogar Heilung von
Krebserkrankungen induzieren können. Das zeigt, in welchem Maße sich das
Immunsystem durch unspezifische Reize überstimulieren lässt – mit potenziell
günstigen Auswirkungen. Noch bis vor kurzem stammten die meisten Substanzen von
Bakterien ab, doch derzeit richtet sich das Interesse verstärkt auf die Einsetzbarkeit von
Zytokinen und anderen molekularen Mediatoren. Dem liegt die Vorstellung zugrunde,
dass sich die Wirkung der älteren Roh-/Reinextrakte möglicherweise aus der
Zytokininduktion erklärt (Tab. 35.3).

Am häufigsten wurde diese Immunstimulation in der Tumortherapie angewandt, doch


auch Infektionskrankheiten sprechen teilweise gut auf eine Zytokinbehandlung an (Tab.
35.4). Gegen eine Reihe von Virusinfektionen sind Interferone (IFN) – besonders IFNα
– wirksam, wenn auch nicht in dem Maße, wie angesichts der wichtigen Rolle, die sie
normalerweise bei der Hemmung der Virusreplikation spielen, zu erwarten gewesen
wäre. Kürzlich hat sich herausgestellt, dass viele chronische Granulomatosen (CGD)
von IFNγ günstig beeinflusst werden; allerdings ist der Wirkmechanismus noch nicht
geklärt. Doch die unerwünschten Nebenwirkungen einer hochdosierten Therapie mit
Interleukinen, Interferonen oder Tumornekrosefaktor α (TNFα) schränken ihren
routinemäßigen Einsatz ein (Tab. 35.5).

1189
Tab. 35.3 Unspezifische Immunstimulanzien.

Zwischen Immunstimulation und Ernährung liegt eine


interessante „Grauzone“
Seit Jahren wird behauptet, der Transferfaktor (TF), ein dialysiertes Extrakt peripherer
Leukozyten von Normalpatienten, könne die T-Zell-Reaktionen bei immun nicht
ansprechenden Empfängern wiederherstellen, und in dem Zusammenhang wird auch
über dramatische Heilungen berichtet (z.B. einer chronischen mukokutanen
Candidiasis). Ob die Wiederherstellung der Immunreaktivität antigenspezifisch ist oder
nicht, war lange Thema großer Auseinandersetzungen. Mangels einer genaueren
molekularen Charakterisierung wird TF nicht länger als orthodoxe Behandlungsform
angesehen.

1190
Tab. 35.4 Potenziell therapeutisch nutzbare Zytokine.

Tab. 35.5 Häufige Nebenwirkungen einer Zytokintherapie.


IL = Interleukin, TNFα= Tumornekrosefaktor α

Ebenso unorthodox sind auch Pflanzenstoffe (z.B. Saponine, Ginseng, TCM-


Heilkräuter), die aber zunehmend Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Sie scheinen die
Widerstandskraft gegen Infektionen stärken zu können und wirken in einigen Fällen als
Adjuvanzien, wenn sie mit Impfungen kombiniert werden.

1191
35.3 Ausgleich von Immundefekten

Am einfachsten lassen sich Antikörperdefekte


behandeln
Dieses Thema ist ausführlicher in Kap. 30 erörtert und soll hier nur kurz
zusammengefasst werden:

■ Antikörperdefekte sind am einfachsten zu behandeln, weil Immunglobuline


übertragbar sind und eine vernünftig lange Halbwertszeit haben (IgG z.B. ca. 3
Wochen).

■ Weniger erfolgreich ist die Behandlung von T-Zell-Defekten, auch wenn in


einigen Fällen eine Transplantation von Thymusgewebe oder Knochenmark versucht
wurde (Tab. 35.6).

■ Am schwierigsten lassen sich Phagozytendefekte beheben; in der Praxis


bleiben daher Antibiotika die Grundpfeiler der Therapie, obwohl die Zukunft in
Genersatztherapien liegen könnte.

Kürzlich konnten Gendefekte auch bei einer Reihe schwerer Immundefizienzsyndrome


(z.B. Hyper-IgM-Syndrom, CGD und Agammaglobulinämie des Typs Bruton) als
Ursache nachgewiesen werden.

Tab. 35.6 Behandlung von Immundefekten im Überblick.


ADA = Adenosindesaminase, CGD = chronische Granulomatose, PNP =
Purin-Nukleosid-Phosphorylase, SCID = schwerer kombinierter Immundefekt
Zusammenfassung
■ Der Transfer von normal gepooltem IgG ist die gebräuchlichste Form einer
passiven Immuntherapie und dient zur Behandlung der meisten Fälle eines
Antikörpermangels.

■ Für bestimmte definierte Immunstörungen können spezifische Antikörper


angewandt werden. Um diese Antikörper zu gewinnen, können sie als monoklonale
Mausoder Human-Antikörper produziert, als Ratten-CDR (complementarity-
determining regions) auf ein Human-Ig-Gerüst verpflanzt oder als Fab-,
Einzelketten-Fv(scFv)- oder Schwerketten-variable-Region-Domänen-Fragmente
aus den Genexpressions-Bibliotheken von Bakteriophagen ausgewählt werden, die
Antikörperfragmente als Oberflächenprotein tragen.

1192
■ In vitro können gentechnisch hergestellte Antikörper in konventionellen
Vektoren oder in vivo in der Milch von laktierenden Tieren oder in Pflanzen
massenhaft zur Expression gebracht werden.

■ Die unspezifische Stimulation der T-Zell-vermittelten Immunität befindet sich


noch im experimentellen Stadium, doch Zytokine erscheinen viel versprechend
(besonders IFN bei Virusinfektionen).

FRAGEN
1 *Was könnte man als „passive“g Immunisierung beschreiben:

a) den diaplazentaren Übertritt von mütterlichem IgG,

b) die Injektion eines Immunogens,

c) die Injektion von humanem Rekonvaleszenten-Immunglobulin,

d) die Injektion monoklonaler humaner Antikörper,

e) die Injektion bakterieller Lipopolysaccharide?

2 *Die Injektion von Pferdeserum-Antitetanustoxoid bewirkt:

a) einen Schutz vor Diphtherietoxin,

b) eine aktive Immunisierung gegen Tetanustoxin,

c) eine kurzzeitige Neutralisierung von Tetanustoxin,

d) in einigen Fällen Überempfindlichkeitsreaktionen (Serumkrankheit)?

3 *Spezifische Antikörper konnen gentechnisch zur Expression gebracht werden:

a) als scFv auf der Oberfläche von Bakteriophagen,

b) als Fc-Fragment auf der Oberfläche von Bakteriophagen,

c) als VH auf der Oberfläche von Bakteriophagen,

d) von Schwer- und Leichtketten-Immunglobulin-Genen mit fehlender


Signalsequenz in E. coli,

e) in Mäusen mit Agammaglobulinämie, denen B- und T-Zellen fehlen?

4 Interferon α ist:

a) zur Behandlung von Streptokokkeninfektionen geeignet,

b) tödlich fur Candida albicans,

c) ein potenziell wertvoller Bestandteil der Hepatitis-B-Therapie,

1193
d) ein Hemmstoff für die Proliferation extrazellulärer Viren?
(* mehr als eine richtige Antwort)
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

Allison, A.C.: Immunopotentiation. In: Brostoff, J., Scadding, G.K., Male, D., Roitt,
I.M. (eds.): Clinical Immunology. Gower Medical Publishing, London 1991.

Coley, W.B.: The therapeutic value of the mixed toxins of erysipelas and Bacillus
prodigiosus in the treatment of inoperable malignant tumours. Am J Med Sci 112
(1986) 251.

Parker, M.T., Collier, L.H. (eds.): Topley and Wilson’s Principles of Bacteriology,
Virology and Immunity, Vol. 1, 9th ed. Edward Arnold, London 1997.

1194
36 Nosokomiale Infektionen, Sterilisation und
Desinfektion
36.1 Häufige nosokomiale Infektionen 583

36.2 Hauptursachen nosokomialer Infektionen 584

36.3 Infektionsquellen und Übertragungswege im Krankenhaus 585

36.4 Wirtsfaktoren und nosokomiale Infektionen 586

36.5 Folgen nosokomialer Infektionen 587

36.6 Prävention nosokomialer Infektionen 588

36.6.1 Infektionsquellen beseitigen 588

36.6.2 Infektionskette abbrechen 589

36.6.3 Widerstandskraft der Patienten stärken 591

36.7 Epidemiologische Untersuchung nosokomialer Infektionen 594

36.7.1 Überwachung (Surveillance) 594

36.7.2 Untersuchung von Epidemien 594

36.7.3 Schritte zum Aufspüren der Infektion 595

36.7.4 Epidemiologische Typisierungs- methoden 595

36.7.5 Molekulare Typisierung 597

36.7.6 Untersuchung von Virusinfektionen 600

36.7.7 Prävention 600

36.8 Sterilisation und Desinfektion 600

36.8.1 Definitionen 600

36.8.2 Sterilisation oder Desinfektion? 601

36.8.3 Sterilisationsverfahren 602

36.8.4 Kontrolle von Sterilisation und Desinfektion 604

1195
Zur Orientierung
Jede im Krankenhaus erworbene Infektion wird als nosokomiale Infektion
bezeichnet

Dass im Krankenhaus eine große Zahl kranker Menschen unter einem Dach versammelt
ist, hat Vorteile, aber auch einige Nachteile, z.B. dass sich Infektionen leichter zwischen
den Patienten übertragen. Als nosokomiale oder Hospitalinfektion wird jede während
eines Krankenhausaufenthalts erworbene Infektion bezeichnet (im Zeitraum von 48
Stunden nach der Einweisung bis 48 Stunden nach der Entlassung).

Obwohl die meisten Infektionen noch im Krankenhaus symptomatisch werden, treten sie
in einigen Fällen erst nach der Entlassung in Erscheinung (ca. 50% der postoperativen
Wundinfektionen). Dass Patienten aus Kostengründen früher entlassen werden, kann mit
dazu beitragen, dass Infektionen nicht rechtzeitig diagnostiziert werden, während sich
andererseits bei einem kürzeren Aufenthalt vor der Operation das Risiko verringert, sich
einen Hospitalkeim einzufangen (s. unten).

Nosokomiale Infektionen können aus

■ einer exogenen Quelle (Kreuzinfektion durch Keime von anderen Patienten oder aus
der Umgebung) oder

■ einer endogenen Quelle (Autoinfektion des Patienten von einer anderen Körperstelle
aus) stammen (Abb. 36.1).

Hat die Inkubationszeit schon vor der Einweisung ins Krankenhaus begonnen, spricht
man nicht von nosokomialer Infektion. Trotzdem können sich Infektionen, die Patienten
aus ihrer häuslichen Umgebung mitbringen, zu nosokomialen Infektionen für die anderen
Patienten und das Krankenhauspersonal ausweiten.

Viele nosokomiale Infektionen sind vermeidbar


1850 wies Semmelweis darauf hin, dass viele nosokomiale Infektionen vermeidbar seien,
als er die unpopuläre Behauptung aufstellte, das Puerperalfieber („Kindbettfieber“ nach
der Geburt, s. Kap. 23) werde von Ärzten übertragen, die nach einer Autopsie nicht die
Hände waschen, bevor sie zur Entbindungsstation überwechselten. Mit einer einfachen
Maßnahme wie dem Händewaschen vor und nach einer körperlichen Untersuchung ließ
sich die Sterblichkeit von 8,3 auf 2,3% senken.

Intensive Studien in den USA kamen in den 70er Jahren zu dem Ergebnis, dass 35? aller
im Krankenhaus erworbenen Infektionen zu verhüten wären. Nach neueren US-
amerikanischen Schätzungen verursachen nosokomiale Infektionen nicht nur Kosten in
Höhe von jährlich rund 4,5 Milliarden Dollar, sondern tragen auch zu mindestens 88000
Todesfällen/Jahr bei.

36.1 Häufige nosokomiale Infektionen

Am häufigsten werden Harnwegsinfektionen im


Krankenhaus erworben

1196
Zu den häufigsten nosokomialen Infektionen gehören:

■ chirurgische Wundinfektionen (z.B. nach Operationen)

■ Atemwegsinfektionen

■ Harnwegsinfektionen

■ Bakteriämien
Abb. 36.1 Nosokomiale Infektionen.

Im Krankenhaus erworbene (nosokomiale) Infektionen können aus einer endogenen


(Autoinfektion von einer anderen Körperstelle aus) oder einer exogenen Quelle
(Krankenhauspersonal, andere Patienten, aus der Umgebung) stammen. Auch die
Art der pathogenen Keime hängt von ihrer Umgebung ab; im feuchten Milieu
siedeln bevorzugt Gram-negative Stäbchen (wie Escherichia coli, Klebsiella,
Pseudomonas), während durch Luft oder Staub übertragbare Keime resistent gegen
Austrocknung sind (z.B. Streptokokken, Staphylokokken, Mykobakterien,
Acinetobacter).

In Abb. 36.2 ist ihre Häufigkeitsverteilung zu sehen. Jede Infektion kann aus einer
exogenen oder endogenen Quelle stammen, doch selbst die Keime einer körpereigenen
(Auto-)Infektionsquelle können sich Patienten erst während des Krankenhausaufenthalts
zugezogen haben. Eine Bakteriämie kann unterschiedliche Ursachen haben:

■ primär – durch direkte Einbringung von Keimen ins Blut, z.B. über
kontaminierte Infusionslösungen

■ sekundär – durch Streuung aus einem vorhandenen Infektionsherd, z.B. im


Urogenitaltrakt
Abb. 36.2 Häufigkeitsverteilung nosokomialer
Infektionen.

1197
Diese kann leichte Schwankungen in unterschiedlichen Patientengruppen aufweisen,
doch insgesamt sind Harnwegsinfektionen die häufigsten Infektionen bei
Krankenhauspatienten. Andere Infektionen können ebenfalls ausbruchsartig im
Krankenhaus auftreten, wie z.B. Gastroenteritis und Hepatitis.

36.2 Hauptursachen nosokomialer Infektionen

Zu den häufigsten Ursachen gehören Staphylokokken


und Escherichia coli
Im Grunde kommt fast jeder Mikroorganismus als Auslöser einer nosokomialen
Infektion in Frage, wobei Protozoeninfektionen eher die Ausnahme sind. Das Muster
nosokomialer Infektionen hat sich im Laufe der Jahre geändert und spiegelt die
Fortschritte wider, die in der Medizin und bei der Entwicklung neuer antimikrobieller
Mittel erzielt wurden. Vor der Anwendung von Antibiotika waren meist Gram-positive
Bakterien die Ursache (vor allem Streptococcus pyogenes und Staphylococcus aureus),
doch mit der Einführung von Penicillin und anderen staphylokokkenwirksamen
Antibiotika sind Gram-negative Erreger (wie Escherichia coli und Pseudomonas
aeruginosa) wichtiger geworden.

Durch die Entwicklung noch stärker wirksamer Mittel und Breitspektrumantibiotika


sowie durch vermehrte Anwendung invasiver Diagnose- und Therapiemethoden steigt
seit neuerem auch die Inzidenz:

■ antibiotikaresistenter Gram-positiver Bakterien (wie koagulasenegative


Staphylokokken, Enterokokken und Methicillin-resistente S. aureus [MRSA]),

■ multiresistenter Gram-negativer Bakterien (inklusive solcher mit erweitertem


Spektrum Betalaktamase-bildender Keime [ESBL]),

■ von Candida.

1198
Viele dieser Keime gelten als „opportunistisch“, denn sie können nur bei
Immunschwäche oder nach Einschleppung durch invasive Techniken zur Erkrankung
führen, wirken bei gesunder, intakter Abwehr aber nicht pathogen.

Derzeit ist E. coli für insgesamt mehr nosokomiale Infektionen verantwortlich als jede
andere Spezies, dicht gefolgt von Staphylokokken an zweiter Stelle (Tab. 36.1).

Viren verursachen möglicherweise mehr nosokomiale


Infektionen als angenommen
Viren können Patienten und Krankenhauspersonal infizieren:

■ Über die Atemwege gelangen besonders Influenza- und Parainfluenzaviren,


Respiratory-syncytial-Viren (RSV) und das Varicella-Zoster-Virus (VZV) in den Körper,
aber manchmal auch Erreger einer Gastroenteritis.

■ VZV und Herpes-simplex-Virus (HSV) können z.B. über infektiöse Bläschen


übertragen werden (Kontaktinfektion).

■ Der Kontakt mit kontaminierten Ausscheidungen kann zur Infektion mit Noroviren
(früher als Norwalk-like-Viren [NLV] bzw. small round structured virus [sRSV]
bezeichnet) oder mit Rotaviren führen.

■ Durch Blutkontakt (Ausscheidungen, Nadelstichverletzung oder Schleimhautspritzer)


werden HBV (Hepatitis-B-Virus), HIV und HTLV (human T cell lymphotropic virus)
übertragen. Auch wenn Blut und Blutprodukte – wie es in manchen Ländern noch der
Fall ist – vor Transfusionen nicht routinemäßig untersucht werden oder wenn
Blutspender – in sehr seltenen Fällen – im Frühstadium (Inkubationszeit) durch das
Screening-Raster fallen, ist eine Ansteckung mit diesen Viren möglich. Dass Infizierte
in der Periode des diagnostischen Fensters nicht erfasst werden, könnte selbst beim
Einsatz von Virusgenomnachweismethoden passieren.

1199
Tab. 36.1 Rangordnung von Hospitalkeimen nach ihrer Bedeutung
für verschiedene Infektionen.
Die Risiken für eine Virusinfektion im Krankenhaus sind im Überblick in Tab. 36.2
dargestellt.

1200
36.3 Infektionsquellen und Übertragungswege im
Krankenhaus

Infektionsquellen können Menschen und kontaminierte


Gegenstände sein
Wie oben erwähnt können Hospitalinfektionen aus folgenden Quellen stammen (Abb.
36.1):

■ von Menschen (andere Patienten, Krankenhauspersonal, Besucher) oder

■ aus der Umgebung (kontaminierte Ausscheidungen, Nahrungsmittel, Luft und


Wasser)

Wenn die Kontamination durch ein Keimreservoir in der Umgebung bedingt ist, z.B.
wenn verunreinigte antiseptische Lösungen in sterile Behälter gelangen und verteilt
werden (Abb. 36.3), muss neben der Quelle auch das Keimreservoir beseitigt werden.

Als Infektionsquellen kommen Menschen in Frage, die:

■ selbst infiziert sind,

■ eine Infektion inkubieren,

■ klinisch gesunde Träger sind.

Wie lange ihre Infektiosität anhält, ist bei einzelnen Krankheiten unterschiedlich (s.
Kap. 31). Manche Infektionen sind schon während der Inkubationszeit ansteckend,
andere erst im frühen klinischen Stadium; wieder andere münden nach der klinischen
Heilung in einen längeren Trägerstatus, z.B. Typhus (Abb. 36.4). Obwohl sie selbst
klinisch gesund bleiben, können Träger virulenter Stämme wie S. aureus oder S.
pyogenes zur Quelle einer nosokomialen Infektion werden.

Ein lang anhaltender Trägerstatus wird unter Umständen erst bemerkt, wenn plötzlich
eine Ausbruchsituation entsteht oder wenn sich bei einem besonderen Erreger die Spur
von einzelnen Infizierten zum Träger – z.B. einer Pflegekraft mit chronischer Hepatitis
B – zurückverfolgen lässt.

Hospitalkeime verbreiten sich durch Luft, als


Kontaktinfektion oder über Vehikel
Die Ausbreitungswege von Hospitalkeimen sind dieselben wie bei anderen Infektionen,
d.h. aerogen, durch direkten Kontakt oder über ein Vehikel. Beispiele für jede
Übertragungsart sind in Abb. 36.3 dargestellt. Obwohl theoretisch auch von Vektoren
übertragene Infektionen denkbar sind, kommen sie im Krankenhaus ausgesprochen
selten vor, genauso wie sexuell übertragbare Infektionen.

Wichtig ist daran zu denken, dass bestimmte Keime auf mehreren Wegen verbreitet
werden können. S. pyogenes kann sich z.B. mit Tröpfchen oder Staub in der Luft unter
den Patienten ausbreiten, wird aber auch durch direkten Kontakt mit infizierten

1201
Läsionen (z.B. an der Hand einer Krankenschwester) übertragen. Auch das VZV kann
eingeatmet oder durch direkten Kontakt (mit Windpockenbläschen eines anderen
Patienten oder einer Pflegekraft) übertragen werden.

Tab. 36.2 Viren sind möglicherweise wichtigere Ursachen


nosokomialer Infektionen, als man sich gemeinhin klar macht.
stärker in pädiatrischen Altersgruppen;
** seit Beginn der Impfprogramme rückläufig;
1
außer bei Bluttransfusion und Organtransplantation;
2
bei Nadelstichverletzung oder andere unabsichtliche Gefährdung;
3
durch Blut oder Blutprodukte

1202
36.4 Wirtsfaktoren und nosokomiale Infektionen

Grunderkrankung, bestimmte Behandlungsformen und


invasive Eingriffe schwächen die Abwehrkräfte
In der Infektionsabwehr spielen Wirtsfaktoren eine wichtige Rolle. Das gilt besonders in
Krankenhäusern, weil die natürlichen Abwehrkräfte bei einem großen Teil der
stationären Patienten beeinträchtigt sind. Die Ausbreitung von Erregern auf neue
Patienten kann ein Reaktionsspektrum hervorrufen, das von der Besiedlung über eine
subklinische Infektion bis hin zur manifesten, möglicherweise tödlichen Krankheit
reicht. Wie stark die Reaktion auf die Infektion ausfällt, hängt von der unterschiedlichen
Ausprägung der Abwehrschwäche bei den Betroffenen ab.

Besonders anfällig sind sehr junge Patienten, deren Immunsystem noch unreif ist.
Auch ältere Patienten haben häufiger ein höheres Infektionsrisiko, weil
Grundkrankheiten, schlechtere Durchblutung und Bettlägerigkeit eine Stase (z.B.
Sekretstau in der Lunge) und damit eine Infektion begünstigen. Grundkrankheiten
bzw. deren Behandlung (z.B. mit Zytostatika oder Steroiden) können in allen
Altersgruppen zu Infektionen prädisponieren (Abb. 36.5).

Durch invasive Maßnahmen werden leicht Keime in zuvor geschützte Gewebe


eingeschleppt (Abb. 36.6). Welche Wirts-/Patientenfaktoren bei nosokomialen
Infektionen berücksichtigt werden sollten, zeigt Tab. 36.3. Auf Infektionen
immungeschwächter Patienten wird in Kap. 30 näher eingegangen.

Zu Wundinfektionen prädisponierende Faktoren


Typisch für eine Wundinfektion oder Wundsepsis sind Entzündung, Eiter und Exsudat,
aus denen z.B. Keime wie S. aureus isoliert werden können. In intensiven
Untersuchungen zu postoperativen Wundinfektionen konnten mehrere Einflussfaktoren
ermittelt werden:

1203
Abb. 36.3 Nosokomiale Infektionen verbreiten sich
auf demselben Weg wie Infektionen in der
Bevölkerung.

Manchmal sind Reservoir und Infektionsquelle (ein Mensch oder anorganisches


Material) identisch, z.B. eine Krankenschwester mit infizierter Hautläsion. Falls
Reservoir und Infektionsquelle getrennt sind (z.B. mit kontaminiertem destilliertem
Wasser zubereitete Arzneimittel), müssen beide saniert werden, damit sich eine
Infektion nicht weiter ausbreitet; sonst würde das Reservoir ständig neue Quellen
kontaminieren.

HBV = Hepatitis-B-Virus, i.v. = intravenös, RSV = Respiratory-syncytial-Virus

■ Durch längeren Krankenhausaufenthalt vor einem chirurgischen Eingriff


erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Patienten antibiotikaresistente Hospitalkeime
erwerben.

■ Art der Operation und die Dauer des Eingriffs spielen ebenfalls eine Rolle
(Tab. 36.4, Abb. 36.7; s. auch Kap. 26).

■ Nässende oder offene Wunden sind stärker durch eine Sekundärinfektion


gefährdet.

1204
Aufgrund dieser Studien können präventive Maßnahmen für Patienten und
Operationen mit besonders hohem Infektionsrisiko ergriffen werden
(Antibiotikaprophylaxe und spezielle Belüftungssysteme in orthopädischen
Operationssälen, s. unten).

36.5 Folgen nosokomialer Infektionen

Nosokomiale Infektionen wirken sich auf die Patienten


und die Gesellschaft aus
Nosokomiale Infektionen können schwerwiegende Folgen haben:

■ schwere Krankheit oder Tod des Patienten;

■ längerer Krankenhausaufenthalt, der Geld kostet und für die Patienten und ihre
Familien einen Einkommensverlust und sonstige Härten bedeuten kann;

■ zusätzlich kann eine antimikrobielle Therapie notwendig sein, die teuer ist und
ein höheres Toxizitätsrisiko für den Patienten bedeutet; zudem wird ein
Selektionsdruck auf Hospitalkeime erzeugt, aus dem sich neue Resistenzen entwickeln
können;

■ infizierte Patienten können andere Menschen (im Krankenhaus oder im


gesellschaftlichen Umfeld) anstecken.

1205
Abb. 36.4 Erreger können in unterschiedlichen
Infektionsphasen disseminieren.

Da einige schon in der Inkubationszeit übertragen werden, merken die Infizierten


nicht einmal, dass sie krank und ansteckend sind. Manche Menschen bleiben noch
lange nach der klinischen Gesundung Träger (z.B. Träger von Salmonella typhi oder

1206
des Hepatitis-B-Virus). Opportunistische Erreger gehen oft aus der Normalflora
hervor und können daher lange ohne spürbare Nebenwirkungen vorhanden sein.

36.6 Prävention nosokomialer Infektionen

Zur Verhütung nosokomialer Infektionen werden drei


Strategien angewandt
Aus den oben skizzierten Gründen kommt der Prävention nosokomialer Infektionen
oberste Priorität zu. Die drei Hauptstrategien sind:

■ Ausschluss von Keimen/Infektionsquellen in der Umgebung

■ Durchbrechen der Infektionskette (d.h., dass sich weitere anfällige Patienten an


der Quelle anstecken)

■ Stärkung der Widerstandskräfte des Patienten

36.6.1 Infektionsquellen beseitigen

Unbelebte Infektionsquellen lassen sich ausräumen,


doch eine Kontamination durch Menschen ist nur
schwer vermeidbar
Eine unbelebte Infektionsquelle auszuschalten ist nicht nur erstrebenswert, sondern
auch weitgehend erreichbar (z.B. durch sterile Instrumente und Verbandmaterialien,
sterile Medikamente und Infusionslösungen, saubere Leinentücher und hygienisch
zubereitete Nahrungsmittel sowie durch ausschließliche Verwendung getesteter
Blutkonserven und Blutprodukte).

Doch in vielen Fällen geht die Infektion von Menschen aus oder von Gegenständen,
die sie berührt haben – was einen Ausschluss sehr viel schwieriger macht. In der
Klinik ist darauf zu achten, dass möglichst kein chronischer Träger im
Behandlungsteam mit Patienten in Kontakt kommt.

1207
Abb. 36.5 Varizelleninfektion bei einem Patienten
mit chronisch-myeloischer Leukämie.

Dunkelroter konfluierender (Windpocken-)Ausschlag am Stamm (mit freundlicher


Genehmigung von G.D.W. McKendrick).

Es dürfte allerdings schwer fallen, solche Träger zu ermitteln und diese auf andere
Positionen zu versetzen.

Vor der Einstellung sollten Krankenhausbeschäftigte einer gründlichen


Gesundheitsprüfung unterzogen werden und sich in regelmäßigen Abständen
untersuchen lassen (Tab. 36.5). In Großbritannien können alle Schüler bzw. Studenten,
die sich auf einen Gesundheitsberuf vorbereiten, das Angebot einer Hepatitis-B-
Impfung in Anspruch nehmen; risikoträchtige Maßnahmen dürfen sie nur
durchführen, wenn sie geimpft sind. Wer seinen Impfstatus nicht kennt oder auf die
Impfung nicht angesprochen hat, darf erst nach Ausschluss einer akuten HBV-
Infektion bzw. Nachweis eines schützenden HBs-Antikörpertiters solche Maßnahmen
vornehmen.

Ein Infektionsrisiko (z.B. bei blutigen Eingriffen) kann sowohl von Hepatitis-B-
Trägern im Personal (Gefahr für Patienten) als auch von Patienten ausgehen (Gefahr
für ungeschütztes Personal). In jedem Krankenhaus gibt es Behandlungsvorschriften
für Beschäftigte, die sich versehentlich durch kontaminiertes Blut infiziert haben
könnten (z.B. mit HBV, HCV und HIV). Als Prophylaxe wird meist eine aktive
und/oder passive HBV-Immunisierung und bei einer möglichen HIV-Infektion eine
Kurztherapie mit antiretroviralen Mitteln durchgeführt.
Abb. 36.6 Infiziertes Spitz-Holter-Ventil bei einem
Kind mit Hydrozephalus.

1208
(Mit freundlicher Genehmigung von J.A. Innes).

1209
Tab. 36.3 Nicht alle Krankenhauspatienten sind in gleichem Maße
infektionsgefährdet.
Das Klinikpersonal sollte generell dazu angehalten werden, Anzeichen einer Infektion
zu melden (z.B. infizierte Schnittwunde, Durchfallattacke). Freiwillige Impfungen
können in manchen Fällen verbindlich vorgeschrieben werden (Impfpflicht). In Tab.
36.5 sind ausgewählte Infektionskrankheiten aufgeführt, bei denen das Personal besser
vom Dienst befreit werden sollte.

Klinisch gesunde Träger virulenter Staphylokokkenstämme lassen sich ohne ein


bakteriologisches Screening kaum entdecken, doch das wird nicht routinemäßig
möglich sein. Hinzu kommt, dass auch medizinisches Personal mit opportunistischen
Keimen wie koagulasenegativen Staphylokokken oder Enterobakterien in der
Normalflora zu einer ständigen Infektionsquelle werden kann, die sich nicht ohne
weiteres nachweisen bzw. ausschließen lässt.

1210
36.6.2 Infektionskette abbrechen
Um die Infektionskette abreißen zu lassen, müssen zwei Elemente berücksichtigt
werden: Strukturen und Menschen. Bau und Ausstattung eines Krankenhauses können
bei der Prävention von Infektionen, die sich aerogen ausbreiten, und bei der
Einhaltung aseptischer Kautelen eine Rolle spielen – was aber nichts hilft, wenn das
Personal die gebotenen Möglichkeiten nicht richtig nutzt oder sich nicht selbst aktiv
bemüht, die Verbreitung von Infektionen zu verhindern.

Tab. 36.4 Risikofaktoren für postoperative Infektionen.

1211
Durch Luft übertragbare Infektionen

Belüftungssysteme und Luftströme können ihren Teil


zur Streuung von Keimen beitragen
Stationen mit separaten Zimmern scheinen einen gewissen Schutz vor Erregern zu
bieten, die sich über die Luft verbreiten, und noch besser sind Räume mit
kontrollierbarer Belüftung. Das verhindert aber nicht, dass vom Personal (mit der
Kleidung) Keime hineingetragen werden, was offenbar eine wichtigere
Infektionsquelle ist als die Übertragung durch die Luft, wie einige Studien vermuten
lassen.
Abb. 36.7 Gangrän.

Nach einer Operation hat sich eine großflächige Ulzeration gebildet, mit
gangränösem Hautgewebe und einer offenen Stelle im Wundbereich und
umgebender Cellulitis (mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood).

Es steht außer Zweifel, dass Legionella-Infektionen durch Luft übertragen werden,


und daher sollten die Klimaanlagen im ganzen Krankenhaus so gewartet werden,
dass sich die Keime nicht vermehren (s. Kap. 19). Nosokomiale Aspergillosen
werden auf Sporen zurückgeführt, die in der Klinikluft vorkommen und sich
besonders bei Bauarbeiten im Klinikbereich verbreiten.

Belüftungsanlagen von Operationssälen müssen richtig installiert und gewartet


werden, damit keine kontaminierte Luft von außen eindringen kann oder durch die
Luftströmung Keime vom OP-Team zum Operationssitus gelangen. Ultrasaubere
Luft ist Luft, die durch Hochleistungsfilter geleitet wird, um Bakterien und andere
Schwebepartikel zu entfernen; das hat nachweislich dazu beigetragen, die Zahl
postoperativer Wundinfektionen nach längeren orthopädischen Eingriffen zu
reduzieren.

1212
Durch Patientenisolation lässt sich die aerogene
Übertragung signifikant verringern
Patienten werden entweder isoliert,

■ weil sie besonders anfällig sind (Schutzisolation zur besseren Abschirmung


vor pathogenen Keimen), oder

■ weil sie infiziert sind (Absonderung zum Schutz der anderen Patienten).

Durch die Isolierung kann auch eine Übertragung auf anderem Wege verhindert
werden, denn der eingeschränkte Zugang zu diesen Patienten erinnert das Personal
eher daran, wie wichtig Kontakte für die Ausbreitung von Infektionen sind.

Zur Schutzisolierung kann der Patient in ein Einzelzimmer auf der Station verlegt
oder in eine Isolierzimmer eingeschlossen werden. Überdruck (positive pressure
ventilation) sorgt dafür, dass die Luft aus dem „reinen“ Patientenbereich
(Zimmer/Isolator) herausgeleitet wird. Jeder aus dem Behandlungsteam sollte beim
Betreten des Raums oder bei Pflege- bzw. ärztlichen Maßnahmen einen sterilen
Kittel, Handschuhe und Mundmaske tragen, um keine eigenen oder Keime von
anderen Patienten zu übertragen.

Tab. 36.5 Arbeitsbeschränkungen für medizinisches Personal mit


Infektionskrankheiten.
Um ansteckende Patienten abzusondern, sollten sie im Idealfall in einem anderen
Gebäude untergebracht werden (so entstanden übrigens früher die Sanatorien für
Tuberkulosekranke). Im Allgemeinen beschränken sich die Möglichkeiten aber auf
eine Isolierstation oder ein Nebenzimmer abseits der Hauptabteilungen von
Krankenhäusern. Um zu verhindern, dass Keime übertragen werden, sollte Luft von
der Station ins Patientenzimmer geleitet werden. Ohne entsprechende technische

1213
Ausstattung (Doppeltüren, Luftschleuse) lassen sich die richtigen Luftströme aber
nur schwer verwirklichen.

Aseptisches Verhalten fördern


In Krankenhäusern spielt Sauberkeit eine entscheidende Rolle, doch es hängt auch von
der Einrichtung ab, wie leicht sie rein gehalten werden bzw. wie gut sich das
Personal an hygienische Bestimmungen halten kann.

Bakteriologisch gründliches Händewaschen gehört


zu den wichtigsten Maßnahmen gegen nosokomiale
Infektionen
Mit den Händen kann das Personal Keime aus unterschiedlichen Quellen auf
Patienten übertragen – z.B. von septischen Läsionen, klinisch gesunden
Körperstellen anderer Patienten (Träger), durch kontaminierte Instrumente und
Träger im Team selbst (Tab. 36.6 und Abb. 36.8).

Daher sollten

■ vor jeder Maßnahme, bei der Schutzhandschuhe oder Werkzeuge nötig sind,

■ nach Kontakt mit infizierten oder mit multiresistenten Bakterien besiedelten


Patienten,

■ nach dem Berühren von infektiösem Material

unbedingt die Hände gewaschen werden.

Obwohl Wasser und Seife in vielen Situationen ausreichen, werden stattdessen


bevorzugt schnell trocknende Gele und Lösungen auf alkoholischer Basis
verwendet, die handlicher sind und anscheinend auch stärker antibakteriell wirken.
In den USA haben die Centers for Disease Control (CDC) den Gebrauch für alle
Krankenhäuser verbindlich angeordnet. Wichtig ist auch das Abtrocknen nach dem
Händewaschen. Vor Operationen ist eine längere und gründlichere Händereinigung
erforderlich.

Wasserhähne, Seifenspender und andere Waschgelegenheiten (etwa zur Reinigung


von Bettpfannen) sind inzwischen technisch in hohem Maße perfektioniert. Doch
das Verhalten von Menschen lässt sich nur sehr begrenzt von Technik und Design
beeinflussen; und die Compliance in Bezug auf banale Prozeduren wie das
Händewaschen ist oft enttäuschend schlecht. Hygienisch richtiges Verhalten sollte
unbedingt regelmäßig geübt und positiv verstärkt werden.

36.6.3 Widerstandskraft der Patienten stärken

1214
Die Widerstandskraft von Patienten kann durch
Auffrischungsimpfungen und Ausschalten von
Risikofaktoren verbessert werden

Tab. 36.6 Kontamination der Hände bei Pflegemaßnahmen mit


Hautkontakt.
* Zur Kontrolle wurden vor jeder Prozedur die Hände gewaschen (keine
Klebsiellen nachweisbar)

Obwohl alle Anstrengungen unternommen werden sollten, um nosokomiale


Infektionen zu bekämpfen (Infektionsquelle ausschalten, Ansteckung von anfälligen
Patienten verhindern), ist keine dieser Strategien absolut sicher. Und sie können
Patienten nicht vor endogenen Infektionen schützen. Damit der Zeiger an der Waage
doch zugunsten des Patienten ausschlägt, sollte seine Widerstandskraft durch
Auffrischen der spezifischen Immunität und Ausschaltung persönlicher
Risikofaktoren gestärkt werden. Dabei ist auf folgende Aspekte zu achten:
Abb. 36.8 Abdruck einer Hand, die mit ca. 1000
Klebsiella aerogenes inokuliert wurde.

1215
Gram-negative Stäbchenbakterien gehören normalerweise nicht zur residenten
Hautflora (außer in Feuchtbereichen), können aber leicht mit den Händen auf
anfällige Patienten übertragen werden.

■ aktive oder passive Immunisierung zur Auffrischung der Immunität,

■ Antibiotikaprophylaxe (bei Bedarf),

■ Pflege von Instrumenten, die den natürlichen Schutzschild der Haut


durchbrechen (Harnkatheter, Venenkanülen),

■ Risiken, die zu einer postoperativen Infektion prädisponieren.

Auffrischung der spezifischen Immunität (Impfschutz)

Eine passive Immunisierung schützt kurzfristig


Die Auffrischung des Impfschutzes durch aktive oder passive Immunisierung ist in
Kap. 34 und 35 beschrieben. Bei Patienten mit Immunschwäche kann jedoch das
Ausbleiben der Antikörperreaktion zum Problem werden. Eine passive
Immunisierung verleiht Patienten, die nur aufgrund einer zytotoxischen Therapie
neutropenisch geworden sind, für kurze Zeit Schutz (z.B. vor Windpocken), bis sich
ihre weißen Blutzellen nach erfolgreicher Behandlung wieder erholen. Seitdem
wirksame Hepatitis-B-Impfstoffe verfügbar sind, ist allen gefährdeten

1216
Dialysepatienten eine aktive Immunisierung zu empfehlen. Weitere Impfungen zum
Schutz von Krankenhauspatienten sind in Tab. 36.7 zusammengefasst.

Tab. 36.7 Auffrischung der spezifischen Immunität.

Geeignete Antibiotikaprophylaxe

Trotz klar definierter Indikationen werden Antibiotika


oft missbräuchlich verwendet
Darauf wird in Kap. 33 näher eingegangen. Begründet ist eine
Antibiotikaprophylaxe bei Einsatzgebieten in der septischen Chirurgie oder wenn
eine Infektion fatale Folgen hätte (Herz- und Nervenoperationen,
Transplantationen). Dennoch werden Antibiotika vielfach missbräuchlich
verwendet:

■ zu häufig und zu lange; dadurch steigt der Selektionsdruck und es treten neue
Resistenzen auf;

■ Wahl der falschen Mittel.

Mit einer Antibiotikatherapie (im Unterschied zur -prophylaxe) von Trägern


pathogener Keime wie S. aureus oder S. pyogenes unter den Patienten oder
Teammitgliedern kann man einer endogenen Infektion erfolgreich verbeugen oder
eine bereits ausgebrochene Infektion bekämpfen. Auch Antibiotikasalben mit
Bacitracin, Neomycin und Fucidin kommen zur Anwendung, doch es lässt sich nicht
leugnen, dass zunehmende Resistenzentwicklung zum Problem wird.

Als wirksam hat sich Mupirocin erwiesen, ein Fermentierungsprodukt von


Pseudomonas fluorescens. Da es mit keiner anderen gebräuchlichen
Antibiotikaklasse verwandt ist, besteht weniger Anlass zur Sorge, dass es zur
Entwicklung resistenter Stämme mit Kreuzresistenz gegenüber anderen Mitteln

1217
kommen könnte. Die Aktivität von Mupirocin richtet sich besonders gegen Gram-
positive Kokken. In den vergangenen Jahren hat es eine wichtige Rolle in der
MRSA-Eradikation (Methicillin-resistente S. aureus) bei chronischen Trägern
gespielt, doch inzwischen sind auch bei diesem Mittel Resistenzen unterschiedlichen
Schweregrades aufgetreten.

Durch Darmdekontaminationsverfahren – besonders


die selektive Darmdekontamination – sollen potenziell
pathogene Darmkeime ausgeräumt werden
Eine Zeit lang wurden bei neutropenischen Patienten Darmdekontamination
angewandt, um den Anteil Gram-negativer Aerobier an der Darmflora zu verringern.
Auch bei Patienten auf der Intensivstation (z.B. nach Lebertransplantation) wurde
eine selektive Darmdekontamination (SDD) durchgeführt, d.h. oral (oder über eine
nasogastrale Sonde) eine hochkonzentrierte Antibiotikamischung verabreicht, um das
Reservoir potenziell pathogener Darmkeime zu reduzieren. Über Nutzen und
Sicherheit der SDD wird noch immer kontrovers diskutiert.

Katheterpflege

Um das Risiko einer endogenen Infektion zu


verringern, müssen Katheter in situ gut gepflegt
werden
Liegende Katheter gut zu pflegen ist eine wichtige Maßnahme, um z.B. bei
Venenkathetern die Infektionsgefahr durch Hautkeime zu verringern oder bei
Harnkathetern zu verhindern, dass aufsteigende Keime aus der Urethralflora zur
Blaseninfektion führen. Richtlinien zur Pflege von Harn-/Blasenkathetern finden
sich in Kap. 20.

1218
Bakteriämie und Candida-Sepsis sind bei
stationären Patienten oft infusionsbedingt
Im Rahmen von Infusionen gehen Bakteriämien und Candida-Sepsis meist vom
Katheter aus. Entzündungen an der Einstichstelle werden häufig von Bakterien aus
der Hautflora des Patienten verursacht, wobei es sich aber auch um resistentere
Keime handeln kann, die erst während des Klinikaufenthalts die patienteneigene
Flora verdrängt haben. Auslöser der Infektion sind überwiegend koagulasenegative
Staphylokokken, doch auch S. aureus, Gram-negative Stäbchenbakterien oder
Candida können beteiligt sein. Durch geeignete Gegenmaßnahmen ließen sich diese
Infektionen vermeiden. Infektionsquellen und Prävention sind in Abb. 36.9
dargestellt.

Risikominderung bzw. Prävention postoperativer


Infektionen

Postoperative Infektionen lassen sich durch


Risikominderung verhindern
Um die Gefahr postoperativer Infektionen zu reduzieren, sollte man die
Risikofaktoren kennen und wissen, wie sie umgangen werden können, z.B. durch

1219
Abb. 36.9 (Gefäß-)Katheterentzündungen –
Infektionsquellen und Möglichkeiten zur Prävention

■ Verkürzung des präoperativen Klinikaufenthalts auf das absolute Minimum;

■ Behandlung interkurrenter Infektionen möglichst noch vor der Operation (z.B.


einer oberen Harnwegsinfektion vor der Prostataresektion);

■ eine Operationsdauer, die so kurz wie möglich, aber trotzdem noch mit einer
guten Operationstechnik vereinbar ist,

■ ein umfassendes Débridement abgestorbenen und nekrotischen Gewebes; das


ist neben einer ausreichenden Drainage und (Wiederherstellung) einer guten
Durchblutung wichtig, um den natürlichen Abwehrkräften des Körpers optimale
Bedingungen zu schaffen;

■ Verhinderung von Druckgeschwüren und Stasen (z.B. Sekretstau) durch gute


Pflege und Physiotherapie, damit sich keine Atemwegs- oder Harnwegsinfektion
entwickelt.

1220
36.7 Epidemiologische Untersuchung nosokomialer
Infektionen
Viele der in Kap. 31 genannten epidemiologischen Grundsätze sind auch auf nosokomiale
Infektionen anwendbar. Bei den im Krankenhaus ausbrechenden Infektionen handelt es
sich um Epidemien, die entdeckt werden, weil ihre Inzidenz über der normalen
Häufigkeit in der jeweiligen Institution liegt. Epidemiologische Untersuchungen dienen
dazu, das Ausmaß, die Infektionsquelle und Übertragungswege zu ermitteln,
Risikogruppen zu definieren und wirksame Gegenmaßnahmen festzulegen.

Wie allgemein bei Infektionskrankheiten können statistische Methoden (z.B.


Risikokalkulation) und mathematische Modelle das Gerüst liefern, das Analysen und
prädiktive Aussagen zu diesen Infektionen ermöglicht. Trotzdem sind für alltägliche
Untersuchungen noch immer altbewährte mikrobiologische Ansätze erforderlich.

An nosokomialen Infektionen können alle großen Erregergruppen (Prionen bis


Arthropoden) beteiligt sein. Ein besonderes Problem nosokomialer Infektionen besteht
aber darin, dass im Unterschied zum normalen Umfeld häufig antibiotikaresistente
Bakterien übertragen werden, deren Auftauchen/Verbreitung von den Bedingungen im
Krankenhaus begünstigt wird. Bei der epidemiologischen Untersuchung nosokomialer
Infektionen liegt ein Schwerpunkt auf der Typisierung, um den Auslöser identifizieren zu
können. Die molekulare Epidemiologie leistet daher einen wichtigen Beitrag beim
Aufspüren und Bekämpfen solcher Infektionen.

In vielen Krankenhäusern fällt die Untersuchung nosokomialer Infektionen in den


Zuständigkeitsbereich eines Krankenhaushygienikers unter der Leitung eines
Hygienearztes oder Mikrobiologen, in dem aber auch mindestens eine Hygieneschwester
vertreten sein sollte. Die Krankenhaushygiene hat die Aufgabe:

■ nosokomiale Infektionen zu überwachen,

■ Richtlinien und Maßnahmen zur Verhinderung von Infektionen festzulegen (z.B. zur
Katheterpflege, Antibiotikatherapie, Desinfektion; Verfahrensweise bei möglicher
Infektion nach einer Nadelstichverletzung oder durch Blutspritzer),

■ Quelle und Übertragungswege bereits ausgebrochener Infektionen aufzuspüren.

1221
36.7.1 Überwachung (Surveillance)

Durch regelmäßige Überwachung werden


Veränderungen der Zahl oder Art nosokomialer
Infektionen schon früh erkannt
Obwohl nosokomiale Infektionen seit vielen Jahren bekannt sind, gibt es erst seit Ende
der 50er Jahre genauere Aufzeichnungen. Von nationalen und internationalen
Statistiken werden seitdem Prävalenz und Bedeutung der nosokomialen Infektionen
unterstrichen. Infolge der regelmäßigen Überwachung lernen
Krankenhaushygieniker die Situation ihres Hauses besser kennen und können so
frühzeitig bemerken, ob sich zahlenmäßig oder in der Art der Infektionen etwas
verändert hat. Zur Überwachung können folgende Quellen herangezogen werden:

■ Mikrobiologische Laborberichte sind zur regelmäßigen Kontrolle geeignet:


z.B. auf Hepatitis-B-surface-Antigen und HCV-Antikörper bei
Hämodialysepatienten (da weltweit Ausbrüche von HBV- und HCV-Infektionen auf
renalen Stationen berichtet wurden). Anhand der Laborberichte ist es auch möglich,
auf Keime wie S. aureus, S. pyogenes, M. tuberculosis, Salmonellen und Shigellen
zu achten, die als Sentinelorganismen oder Alarmzeichen gelten.

■ Rundgänge auf den Stationen: Bei der direkten Inspektion können neue Fälle
einer Infektion erkannt oder bereits identifizierte Fälle nachkontrolliert werden. Um
sich einen Überblick (z.B. über Wundinfektionen nach bestimmten Eingriffen) zu
verschaffen, können dies auch die Stationen übernehmen.

■ Autopsieberichte, Gesundheits-/Krankenakten des Personals und


Abmeldeformulare von Patienten, die entlassen wurden.

36.7.2 Untersuchung von Epidemien


Wenn sich Fälle häufen (Epidemie) bzw. wenn bei der Routinekontrolle eine gestiegene
Inzidenz auffällt, sollte die verantwortliche Krankenhaushygiene eine Untersuchung der
Infektion veranlassen. Es gibt keine allgemein gültige Regel, wie sich die Ursache einer
Epidemie feststellen lässt, aber im Prinzip beinhaltet jede Untersuchung
epidemiologische und mikrobiologische Elemente.

1222
Zur Beschreibung einer Epidemie in
epidemiologischen Begriffen müssen relevante
Informationen eingeholt werden
■ Wie viele Patienten sind infiziert?

■ Wann wurden sie aufgenommen?

■ Wann hat sich die Infektion bei ihnen entwickelt?

■ Befinden sich alle auf derselben Station?

■ Wurden alle vom selben medizinischen oder chirurgischen Team behandelt?

■ Wurde bei allen die gleiche Behandlung durchgeführt?

Der Auslöser einer Epidemie muss bei allen


betroffenen Patienten isoliert und/oder entdeckt
werden
Dem mikrobiologischen Labor fällt die Aufgabe zu, den Auslöser zu isolieren und bei
allen Patienten, die von der Epidemie erfasst wurden (bzw. mit nicht unterscheidbaren
Keimen infiziert sind, s. unten), nachzuweisen. Die Erregeridentifizierung kann
Aufschluss über die mögliche Infektionsquelle geben:

■ Bei respiratorischen und intestinalen Viren geht die Infektion von einem
Patienten oder dem medizinischen Personal aus.

■ Hepatitis spricht für eine Übertragung durch kontaminierte Blutprodukte oder


subkutane Injektionen.

■ Eine Häufung von Wundinfektionen durch S. aureus könnte mit einer


Kontaktinfektion durch ein Mitglied des OP- oder Stationsteams zusammenhängen.

■ Ein Salmonellen-Ausbruch hat seinen Ursprung am ehesten in der Küche.

■ Legionellen- oder Pseudomonas-Infektionen sind oft Ausdruck von


Kontamination der Umwelt (vor allem Wasserkontamination).

Wertvolle Hinweise lassen sich auch aus der Örtlichkeit einer Epidemie ziehen, z.B.,
ob sie auf der internistischen, chirurgischen, Kinder- oder Intensivstation aufgetreten
ist. (Die Intensivstation galt früher als Epizentrum nosokomialer Infektionen.)

1223
36.7.3 Schritte zum Aufspüren der Infektion
Sobald das Problem klinisch erkannt ist, sollten Proben von den Patienten und – bei
entsprechenden Hinweisen – auch vom medizinischen Personal gewonnen werden (s.
Kap. 32). Wenn eine Umweltkontamination als Infektionsquelle in Betracht kommt,
sollten auch von Flächen, Materialien, Geräten oder Wasser Proben genommen werden.
Dieser Schritt ist wichtig, weil eine Untersuchung (mit einem nichtinfektiösen DNA-
Marker als experimentellem Infektionserreger) gezeigt hat, dass sich Keime über die
Hände des Personals rasch auf alle möglichen Oberflächen (Computer, Akten, Telefone,
Klingeln, Türgriffe, Wärmeregler, Monitore) ausbreiten. Nach Sammlung der Proben
übernimmt das mikrobiologische Labor die Aufgabe, die betreffenden Erreger zu
identifizieren und zu typisieren.

Während die Untersuchung im Gang ist, sollten weitere Maßnahmen ergriffen werden,
um die Infektion einzudämmen und eine Ansteckung anderer Patienten zu verhindern.
Daher sollten infizierte Patienten isoliert und entsprechend behandelt werden. Wenn
sich Mitglieder des Teams infiziert haben oder wenn sich herausstellt, dass sie Träger
sind, sollten sie vom Dienst suspendiert werden, bis die Infektion auskuriert ist.

Am Ende der Untersuchung müssen sämtliche Verfahrensweisen noch einmal


daraufhin geprüft werden, ob sie geeignet sind, den erneuten Ausbruch einer ähnlichen
Epidemie zu verhindern (oder es wenigstens zu versuchen).

36.7.4 Epidemiologische Typisierungsmethoden


Da Bakterien die häufigste Ursache nosokomialer Infektionen sind, ist ihre zunehmende
Antibiotikaresistenz besonders besorgniserregend. In den USA wies ein statistischer
Jahresbericht (1999) 52? Methicillin-resistente S. aureus (MRSA) und 25? Vancomycin-
resistente Enterokokken (VRE) unter den auf Intensivstationen isolierten Keimen aus.
Vergleichbare Daten aus Großbritannien (1998) geben den Anteil von MRSA mit 34?
und von VRE mit 24? an, was einer Zunahme von 3,8? bei S. aureus und von 6,3? bei E.
faecium seit 1993 entspricht. In Deutschland wurde in 2004 eine Rate von 15–20?
MRSA berichtet (mit deutlichen regionalen Unterschieden), VRE spielen bisher eine
untergeordnete Rolle.

Am häufigsten werden nosokomiale Infektionen durch coliforme Bakterien ausgelöst


(überwiegend E. coli in rund einem Drittel der Fälle). Bei der Suche nach der Ursache
hat man es also unverhältnismäßig oft mit Bakterien zu tun, obwohl viele
Molekulartechniken auch zur Untersuchung von Virusinfektionen eingesetzt werden.

1224
Zu epidemiologischen Zwecken werden eine Reihe
phäno- und genotypischer Merkmale als
„genetischer Fingerabdruck“ von Bakterien
verwendet
Um die Ausbreitung nosokomialer Infektionen epidemiologisch zu untersuchen, ist es
– wie bei Epidemien in der normalen Umgebung – erforderlich, verschiedene Isolate
der infektiösen Keime zu identifizieren und herauszufinden, ob es dieselben oder
unterschiedliche sind. Manchmal lässt sich nur sagen, dass zwei Erreger nicht
voneinander unterscheidbar sind (was aber nicht heißt, dass sie identisch sein müssen).

Im Fall von Bakterien, die regelmäßig in der Normalflora oder in der Umgebung
vorkommen, ist wichtig, den Epidemie-Stamm von anderen derselben Spezies
abzugrenzen, die nicht an der Infektion beteiligt sind, aber trotzdem im Laufe der
Untersuchung nachweisbar sein können. Im Wesentlichen dient die Typisierung zum
Erkennen von Anzeichen einer klonalen Ausbreitung bestimmter Erreger.

Von Nutzen können in dem Zusammenhang Typisierungsmethoden sein, die


ausreichend

■ diskriminatorisch (Unterschiede zwischen Stämmen derselben Spezies


aufzeigen) und

■ reproduzierbar sind (derselbe Stamm muss unter unterschiedlichen


Bedingungen und an unterschiedlichen Orten wiederholt mit demselben Ergebnis
getestet werden können) bzw.

■ einen hohen Typisierungsgrad erreichen (allen Stämmen einen Typ zuordnen


können).

Die meisten Diagnoselaboratorien testen routinemäßig nur die


Antibiotikaempfindlichkeit und führen eine einfache Biotypisierung durch, während
spezialisierte Typisierungsmethoden Referenzlaboratorien vorbehalten bleiben. Das
hat zwar den Vorteil einer besseren Qualitätssicherung, bedeutet aber auch, dass sich
die Befundmitteilung unweigerlich verzögert, so dass man erst spät erfährt, ob ein
einzelner Stamm für die nosokomiale Infektion verantwortlich ist.

Antibiotikaempfindlichkeitsmuster und einfache


Biotypisierung
Diese Tests können gut im diagnostischen Labor durchgeführt werden (s. Kap. 32)
und nützliche erste Hinweise auf nicht unterscheidbare Isolate geben. Zur
Diskrimination sind sie jedoch schlecht geeignet, da viele Antibiotika-
empfindlichkeitsmuster weit verbreitet sind und verschiedene Stämme zum Teil
dasselbe Muster zeigen. Umgekehrt können Bakterien während einer Epidemie auch
Plasmide mit Antibiotikaresistenzmarkern hinzugewinnen oder verlieren.

1225
Bei der Biotypisierung wird untersucht, ob Keime auf
verschiedenen Substraten wachsen oder
unterschiedliche Enzyme produzieren können
Im Idealfall sollten zur Biotypisierung andere biochemische Tests angewandt
werden als zur Erregeridentifizierung. Identifizierungstests werden ausgewählt, um
ähnliche Keime in Gruppen zusammenzufassen, während Biotyptests eine Spezies in
unterschiedliche Stämme aufteilen können. Diagnostische Laboratorien verwenden
zur Biotypisierung jedoch oft Multitest-(Identifikations-)Systeme im Kleinformat
(Abb. 36.10).

Spezialisierte Typisierungstechniken

Serotypisierung mit bestimmten Antisera zur


Unterscheidung von Bakterienstämmen
Mit dieser klassischen Technik können Stämme anhand ihrer Antigenstruktur
unterschieden werden, die durch unterschiedliche Reaktionen mit spezifischen
Antiseren erkennbar wird. Salmonellen lassen sich aufgrund von (somatischen) O-
und (Geißel-)H-Antigenen in Serotypen unterteilen (die manchmal fälschlicherweise
auch als Spezies bezeichnet werden, s. Kap. 22). Die Typisierung von S.
pneumoniae, Neisseria meningitidis und Klebsiella aerogenes kann anhand der
(Kapsel-)K-Antigene und die Typisierung von S. pyogenes anhand von M- und T-
ZellWand-Proteinen erfolgen.

1226
Abb. 36.10 Biotypisierung von Bacillus-cereus-
Isolaten nach Ausbruch einer Infektion auf der
Intensivstation.

Biotypisierungssysteme bauen darauf auf, dass sich Stämme einer Spezies durch
ihre Metabolisierung und ihr Wachstum auf verschiedenen Substraten
unterscheiden können. Kommerziell erhältliche Multitestsysteme sind in erster
Linie zur Identifizierung gedacht, werden aber auch zur Biotypisierung
verwendet. Auf jedem Streifen reihen sich unterschiedliche biochemische Tests
hintereinander. Nach Inokulation aller Vertiefungen mit dem Isolat und
anschließender Inkubation lässt sich an einem Farbumschlag ein positives
Ergebnis ablesen (mit freundlicher Genehmigung von S. Dancer).

Bisher wurden hauptsächlich polyklonale Antiseren verwendet, doch inzwischen


sind monoklonale Reagenzien verfügbar. Da die Serotypisierung den Aufbau und
die Unterhaltung von Antiserumbanken voraussetzt, was zeitaufwendig und
kostspielig ist, bleibt sie überwiegend Referenzlaboratorien vorbehalten.

Phagentypisierung bei S. aureus, S. epidermidis und


Salmonella typhi
Bei dieser Methode wird verglichen, welche Lysemuster sich unter der Einwirkung
einer Standardreihe von Phagensuspensionen im Keimrasen der auf Agarplatten
angezüchteten Isolate bilden (Abb. 36.11). In der Vergangenheit war es eine
wichtige Methode zur Typisierung von S. aureus, S. epidermidis und Salmonella
typhi, die aber auch auf andere Spezies (z.B. Pseudomonas aeruginosa) angewandt
wurde.

Wie die Serotypisierung wird auch die Phagentypisierung meist in


Referenzlaboratorien statt im Routinelabor von Kliniken durchgeführt, da sie die
Herstellung, Vorratshaltung und Kontrolle von Standard-Phagensuspensionen

1227
erfordert. Die Centers for Disease Control (CDC) in den USA haben die
Phagentypisierung aufgegeben zugunsten molekularer Techniken wie der Pulsed-
field-Gelelektrophorese (PFGP, s. unten).

Bakteriocin-Typisierung von P. aeruginosa und


Shigella sonnei
Bacteriocine sind kleine Stoffwechselprodukte einiger Bakterien, die für andere
Stämme derselben oder eng verwandter Spezies letal sein können. Anhand des
Musters der Wachstumshemmung, das die von einem Teststamm produzierten
Bakteriocine bei einem Satz von Indikatorstämmen induzieren, lässt sich der
Teststamm einem bestimmten Typ zuordnen (Abb. 36.12).
Abb. 36.11 Phagentypisierung von Staphylokokken.

Nach der Aussaat auf einer Agarplatte werden verschiedene Phagensuspensionen


auf den Testkeim getropft und die Platte dann inkubiert. Bei einer lytischen
Wirkung von Phagen bilden sich klare Zonen im Bakterienrasen. Die mit
demselben Phagensatz an verschiedenen Isolaten von S. aureus (z.B. bei
epidemischen Wundinfektionen) gewonnenen Lysemuster können anschließend
verglichen werden.

Die Methode kann bei allen Bakterien angewandt werden, die Bakteriocine
produzieren. Am erfolgreichsten war sie bei P. aeruginosa (Pyocin-Typisierung –
von der früheren Bezeichnung P. pyocyanus abgeleitet) und bei Shigella sonnei
(Colicin-Typisierung – eine Bezeichnung, die sich auf die genetische Ähnlichkeit
mit E. coli und die Empfindlichkeit gegenüber den von dieser Spezies gebildeten
Bakteriocinen [= Colicine] bezieht).

36.7.5 Molekulare Typisierung

1228
Molekulare Typisierungsmethoden charakterisieren
die DNA von Keimen
Auch wenn die oben genannten Methoden sehr nützlich zur epidemiologischen
Analyse nosokomialer Infektionserreger waren, beruhen sie im Grunde alle auf
unterschiedlichen Phänotyp-Merkmalen von Isolaten. Das eigentliche
Identitätsmolekül von (Bakterien-)Zellen stellt aber das Chromosom dar, und daher
geht der Trend in den letzten Jahren in Richtung einer Genotyp-Charakterisierung, die
oft als molekulare Epidemiologie bezeichnet wird.

Plasmidprofile – die „erste Generation“ der


molekularen Epidemiologie
Einen Plasmidvergleich bei den isolierten Keimen anzustellen ist nur sinnvoll, wenn
eine Spezies verschiedene Plasmide aufweist, und hat zudem den Nachteil, dass in
Wirklichkeit die Plasmide und nicht die Keime, in denen sie sich befinden,
charakterisiert werden. Durch Konjugation verschiedener Gram-negativer
Bakterienspezies können am Ende alle dieselben Plasmide haben. Diese Methode hat
andererseits den Vorteil, dass sich die z.B. Ausbreitung von Antibiotikaresistenz-
Plasmiden unter Hospitalkeimen nachverfolgen lässt (Abb. 36.13).
Abb. 36.12 Bakteriocin-Typisierung.

Das Testisolat wird bandförmig auf einer Agarplatte angezüchtet und bildet dabei
Bakteriocine, die in den Agar diffundieren. Nach Inkubation über Nacht wird am
nächsten Tag der mit bloßem Auge (makroskopisch) erkennbare Bewuchs entfernt
und die Platte mit Chloroform behandelt, um übrig gebliebene Keime abzutöten
(Bakteriocine sind resistent gegen Chloroform). Danach werden im rechten
Winkel zum ersten Band Streifen von Indikatorstämmen ausgelegt und die
Agarplatte ein zweites Mal inkubiert. Anhand der Wachstumshemmung eines
Indikators lässt sich der getestete Stamm dann typisieren.

1229
Abb. 36.13 Verbreitung eines einzelnen Resistenz-
Plasmids auf unterschiedliche Stämme und Spezies
in einem Krankenhaus.

Im ersten Jahr waren nur sehr wenige Gentamicin-resistente Enterobakterien


aufgetreten. Doch in den ersten vier Monaten des zweiten Jahres brach eine
Epidemie mit Gentamicin-resistenten Klebsiella pneumoniae aus, die alle zum
selben Biotyp gehörten. Obwohl die Infektion eingedämmt werden konnte, fand
sich in den darauf folgenden Monaten dasselbe Plasmid – das ein Aminoglykosid-
modifizierendes Enzym kodiert – auch noch bei weiteren Klebsiella-Biotypen und

1230
anderen Gram-negativen Spezies ([O’Brien, T.E. et al. 1980] in: Antimicrob
Agents Chemother 17:537).

Restriktionsenzyme und DNA-Sonden – die „zweite


Generation“ der molekularen Epidemiologie
Nachdem Restriktionsenzyme die gesamte zelluläre DNA von Isolaten verdaut haben,
bleibt ein Muster mit unterschiedlich großen Fragmenten zurück, die aufgetrennt
und durch eine Agarose-Gelelektrophorese-Restriktionsenzym-Analyse (REA)
miteinander verglichen werden können. Da alle Bakterienzellen eine chromosomale
DNA besitzen, könnten sie theoretisch auf diese Weise analysiert werden.

Doch die DNA-Sequenzen, die von den meisten Restriktionsenzymen (Eco-RI, Hind-
III usw.) erkannt werden, sind zu Hunderten in einem typischen
Bakterienchromosom vertreten. Daher stellt ein akkurater Vergleich der
Elektrophorese-Muster Hunderter Restriktionsfragmente, die sich oft zu Clustern
ähnlicher Größe zusammenlegen und auch ortsständige Plasmid-DNA einschließen
können, eine ziemlich große Herausforderung dar.

Das Prinzip, dass komplementäre DNA-Sequenzen miteinander hybridisieren, macht


man sich (z.B. bei dem nach seinem Erfinder Ed Southern benannten Southern-Blot)
zunutze, um spezifische, markierte DNA-Sonden an komplementäre Zielsequenzen –
die sich an verschiedenen Stellen des Chromosoms befinden – anzulegen, damit sie
mit den REA-Mustern von Isolaten hybridisieren.

Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert der Northern-Blot, mit dem RNA-
Sequenzen charakterisiert werden. In dem Zusammenhang sind Antibiotika-
Resistenzgene und verschiedene Sequenz-Repeats (z.B. Transposons) besonders gut
als Ziel geeignet. Bei der Hybridisierung kommt es zu unterschiedlich großen
Restriktionsfragmenten – allgemein als
Restriktionsfragmentlängenpolymorphismus (RFLP) bezeichnet –, deren Muster
der Lage der hybridisierten Sequenzen auf dem Chromosom entspricht und Hinweise
auf die chromosomale Verwandtschaft von Isolaten gibt (Abb. 36.14a).

So befinden sich z.B. an verschiedenen Stellen im Chromosom der meisten


medizinisch wichtigen Bakterien Genkopien der ribosomalen RNA (5S-, 16S- und
23S-rRNA). Solche in hohem Maße konservierte Sequenzen (d.h. fast identische
Sequenzen bei unterschiedlichen Spezies) ermöglichen eine RFLP-Analyse mit einer
gemeinsamen Sonde für alle (d.h. eine Ribotypisierung). Aufgrund konservierter
Zielsequenzen lassen sich Stämme einer Spezies jedoch nur schlecht unterscheiden
(geringe Diskriminationsfähigkeit).

Der Erfolg von RFLP-Analysen ist in erster Linie auf Sonden für
Insertionssequenzen zurückzuführen, die ausreichend viele unterschiedliche
Chromosomenlokalisationen abdecken, um epidemiologisch relevante Beziehungen
widerzuspiegeln. Ein Beispiel für die erfolgreiche Anwendung der Methode sind
IS6110-Sonden zur RFLP-Analyse von Mycobacterium tuberculosis.

Auch wenn sie der alleinigen Anwendung der REA überlegen ist, gilt die RFLP-
Analyse epidemiologisch nur als mäßig diskriminatorisch.

1231
PFGE und PCR – die „dritte Generation“ der
molekularen Epidemiologie
Anstelle von Restriktionsenzymen, die sie häufig zerschneiden, können zum Verdau
der chromosomalen DNA auch Enzyme verwendet werden, die weniger
Erkennungsstellen im Bakterienchromosom haben (z.B. Not-I, Sfi-I, Spe-I und Xba-I
bei den meisten Gram-negativen Bakterien oder Asc-I, Rsr-II, Sgr-AI und Sma-I bei
den meisten Gram-positiven Bakterien). Die entstehenden DNA-Fragmente sind viel
zu groß, um mit der herkömmlichen Agarose-Gelelektrophorese aufgetrennt zu
werden, lassen sich aber auflösen, wenn ein elektrophoretischer Strom mit zeitlich
unterschiedlicher Dauer in unterschiedliche Richtungen „pulsiert“ („Pulsed-Field“-
Gelelektrophorese, PFGE).

Diese Methode hat sich als sehr nützliches Instrument für die Epidemiologie erwiesen.
Mit der PFGE werden Makrorestriktionsmuster erzeugt, die eine Art „globales“
chromosomales Monitoring ermöglichen, denn aus Veränderungen der
Restriktionsfragmentgröße kann auf genetische Abläufe geschlossen werden, die sich
auf den Abstand zwischen Sequenzen der seltenen Restriktionsstellen auswirken (Abb.
36.14b).

Bis jetzt besteht der größte Nachteil der PFGE-Analyse im zusätzlichen Zeit- und
Arbeitsaufwand für die Herstellung unzerbrochener Chromosomenmoleküle, die für
reproduzierbare Makrorestriktionsfragmentmuster benötigt werden. Im Großen und
Ganzen hat aber der Gesamterfolg der PFGE-Analyse dazu geführt, dass sie zum
Goldstandard für die epidemiologische Untersuchung klinisch bedeutsamer
Erreger/Keime geworden ist.

Da sich die Polymerasekettenreaktion (PCR, s. Kap. 32) ökonomisch und schnell


anwenden lässt und kein größeres technisches Wissen voraussetzt, haben sich der
epidemiologischen Analyse eine Reihe von Anwendungen auf der Basis von
Amplifikationen erschlossen.

Einer der ersten und am häufigsten angewandten Ansätze dieser Art ist die zufällige (=
randomly) Amplifikation polymorpher DNA (RAPD), die auch als willkürlich
angestoßene (= arbitrarily primed) AP-PCR bezeichnet wird. Die Methode stützt sich
darauf, dass die Stringenz (d.h. Spezifität), mit der sich PCR-Primer an DNA-Matrizen
binden, durch eine Lockerung der Bedingungen beeinflusst werden kann. Die PCR-
Primer dürfen sich nach Belieben an Chromosomensequenzen variabler Homologie
binden, danach werden die entstandenen Produkte einer vergleichenden Analyse (mit
Agarose-Gelelektrophorese) unterzogen. Wenn es sich bei einer Gruppe klinischer
Isolate um einen einzelnen zwischen den Patienten übertragenen Stamm handelt, wäre
zu erwarten, dass sie denselben Grad an Zufälligkeit (randomness) zeigen, der zu
identischen PCR-Produkten führen würde (Abb. 36.14c).

Mehrere Studien haben jedoch ergeben, dass diese Methode besonders anfällig für
Artefakte und eine Intra- sowie Inter-Labortest-Variabilität ist. Dennoch liefert
die insgesamt einfach zu handhabende PCR noch immer den Antrieb zur
Neuentwicklung und technischen Verfeinerung epidemiologischer
Untersuchungsmethoden, deren Darstellung den Rahmen dieses Buches jedoch
sprengen würde.

1232
DNA-Sequenzanalyse – die „vierte Generation“ der
molekularen Epidemiologie
Da das Chromosom das eigentlich Identitätsmolekül einer Zelle ist, wären die
tatsächlichen Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Isolaten bei einer nosokomialen
Infektion wohl auch am besten durch einen Vergleich der Chromosomensequenzen zu
klären. Obwohl dieser epidemiologische Ansatz noch in den Kinderschuhen steckt,
beruht das, was man als „vierte Generation“ der molekularen Epidemiologie ansehen
könnte, auf der Analyse von Nukleotidsequenzen.

1233
Abb. 36.14 „Zweite und dritte Generation“ der
molekularen Epidemiologie.

1234
a) Restriktionsfragmentlängenpolymorphismus(RFLP)-Analyse mit DNA-
Sonden. Dargestellt sind drei Hospitalkeime (A und B sind epidemiologisch
verwandt, C nicht), die mit der RFLP-Analyse und anschließend mit einer
spezifischen DNA-Sonde untersucht wurden.

b) Je zwei Bakterienisolate von drei Klinikpatienten wurden mit der Pulsed-Field-


Gelelektrophorese (PFGE) untersucht. Die Isolate der ersten beiden Patienten
sind epidemiologisch eng verwandt (auch wenn die von Patient 2 leichte
Abweichungen zeigen), die des dritten Patienten aber nicht.

c) Bei der RAPD/AP-PCR-Methode entstehen aus der zufälligen Bindung von


PCR-Primern an Chromosomensequenzen PCR-Produkte, deren Muster
erwartungsgemäß bei epidemiologisch verwandten Isolaten ähnlich aussehen.

RAPD = randomly amplified polymorphic DNA, AP-PCR = arbitrarily primed


PCR

Probleme bereiten noch die Auswahl epidemiologisch relevanter Sequenzen, die


Analysemethode, die Datenausgabe und die Befundinterpretation, doch ihre Lösung
wird durch die derzeitigen Fortschritte in der Entschlüsselung von Bakteriengenomen
deutlich erleichtert.

Molekulartechniken für den epidemiologischen


Fingerabdruck haben viele Vorteile
Obwohl Molekulartechniken ein bestimmtes Fachwissen und eine Ausstattung
voraussetzen, die kaum routinemäßig verfügbar sein dürften, bieten sie mehrere
Vorteile: Sie können sehr genau und rasch durchgeführt werden, machen den Umgang
mit infektiösen Keimen überflüssig und eignen sich zur Typisierung sämtlicher
relevanter Bakterienisolate.

36.7.6 Untersuchung von Virusinfektionen


Nosokomiale Virusinfektionen werden üblicherweise auf dem Luftweg, über
kontaminierte Ausscheidungen oder durch Blutkontakt übertragen, wie bereits am
Beispiel von RSV-, Norovirusinfektionen und Hepatitis B beschrieben wurde. Sie
werden meist erst untersucht, wenn in Proben symptomatischer Patienten ein Virus
nachweisbar ist. Je nach klinischer Situation werden dann auch Proben von
asymptomatischen Patienten gesammelt, sobald die Entscheidung getroffen wurde, dass
sie mit in die Kohorte aufgenommen werden sollen, um auch von ihnen Isolate zu
gewinnen. Im Allgemeinen reicht es bei einer Häufung von Gastroenteritisfällen, den
Erreger als Virus zu identifizieren, da die Behandlung bei allen viralen Ursachen
gleich ist.

Kommt es jedoch zu einer Häufung von Atemwegsinfektionen, ist neben der


Erregeridentifizierung die Virustypisierung wichtig. Bevor Neuraminidasehemmer als
neue Klasse der Influenzamittel eingeführt wurden, sprach bei Virusgrippe nur das
Influenza-A-Virus auf eine Behandlung bzw. Prophylaxe mit Amantadin oder
Rimantadin an. Zudem müssen die im Umlauf befindlichen Influenzaviren auch deshalb
identifiziert werden, damit die Vakzine zur saisonalen Grippeimpfung darauf
abgestimmt werden kann.

1235
Molekulare Nachweis- und Typisierungsmethoden wie die Sequenzierung sind in der
Regel eher für epidemiologische Zwecke als unmittelbar zur Behandlung von Patienten
nötig. Doch unter Umständen (z.B. bei Patienten mit akuter Hepatitis B nach einer
Operation) muss durch gründlichere Untersuchung der Übertragungsweg ermittelt
werden. Das kann die Kontrolle von Blutprodukten ebenso beinhalten wie die
Untersuchung des Personals, das risikogefährdete Eingriffe durchgeführt hat, die
Untersuchung anderer Patienten, die auf der OP-Liste standen, der Sexualpartner oder
sonstiger Risikofaktoren (kontaminierte Injektionsnadeln).

Sobald die potenzielle Quelle entdeckt wurde, müssen serologische Untersuchungen


klären, ob es sich um eine aktuelle, kurz zurückliegende oder früher durchgemachte
HBV-Infektion handelt. Mit Genomnachweismethoden und Sequenzierung lässt sich
anhand von Blutproben des akut infizierten Patienten sowie seiner möglichen
Ansteckungsquelle(n) bestätigen, ob die Übertragung tatsächlich so stattgefunden hat.

36.7.7 Prävention

Nachdem allen Spuren nachgegangen wurde,


können Maßnahmen zur Prävention ergriffen werden
Wenn der Auslöser einer Epidemie richtig typisiert wurde und man seine
Eigenschaften sowie die Übertragungsweise kennt, können präventive Maßnahmen
eingeleitet werden. Was im Einzelnen dazugehört, hängt zum Großteil vom jeweiligen
Erreger ab – doch alle sollten eine grundlegende Verbesserung der Hygiene
bezwecken, angefangen vom gründlichen Händewaschen über Sauberkeit im
Allgemeinen bis zur besseren Sterilisation von Instrumenten.

Hygiene ist ein entscheidender Faktor – schätzungsweise 20–40? der nosokomialen


Infektionen (besonders durch S. aureus und coliforme Bakterien) werden durch das
Personal im Krankenhaus übertragen und verbreiten sich dann unter den Patienten.
Das kann bei häufiger vorkommenden Keimen wie P. aeruginosa (in der Umgebung)
oder Legionellen (in Wasserleitungen) sogar bedeuten, dass zur Prävention eine
radikale Gebäudesanierung fällig wird.

1236
36.8 Sterilisation und Desinfektion
Es ist klar, dass die Prävention nosokomialer Infektionen zum Teil auch davon abhängt,
dass saubere und bei Bedarf sterile Geräte, Instrumente und Verbände verfügbar sind und
dass die Möglichkeit zur Isolierung (Isolierstation) und zur sicheren Entsorgung von
infiziertem Material besteht. Wenn Mikrobiologen über Sterilisation und Desinfektion
sprechen, meinen sie oft die Herstellung steriler Kulturmedien und andere
Labortätigkeiten, doch an dieser Stelle sollte betont werden, dass das Sterilitätskonzept für
(fast) alle medizinischen Gebiete in der Praxis eine zentrale Rolle spielt.

Wer nachvollziehen kann, weshalb Sterilisation und Desinfektion vernünftig sind, wird im
medizinischen Alltag überlegten Gebrauch von sterilen Instrumenten/Hilfsmitteln
(Injektionsnadeln bis Prothesen) und Techniken (Operation bis Händewaschen) machen.

36.8.1 Definitionen

Durch Sterilisation werden alle lebenden Keime


abgetötet oder beseitigt
Ein steriler Gegenstand ist frei von lebenden Mikroorganismen – wobei lebend in
dem Zusammenhang bedeutet, vermehrungsfähig zu sein. Bei der Sterilisation werden
physikalische oder chemische Mittel eingesetzt, um Keime von einem Objekt zu
entfernen oder in situ zu zerstören; dabei bleiben manchmal toxische Abbauprodukte
(Pyrogene) auf dem Objekt zurück.

Durch Desinfektion werden die meisten, aber nicht


alle lebenden Keime beseitigt oder abgetötet
Zur Desinfektion verwendet man:

■ chemische Mittel (Desinfizienzien), die Keime, aber nicht alle Viren und
Sporen vernichten;

■ physikalische Mittel wie kochendes Wasser oder niedrigen Dampfdruck, um


die Keimlast (d.h. die Menge lebender Keime) zu verringern.

Durch Antiseptika kann die Keimzahl auf der


Hautoberfläche verringert werden
Antiseptika bilden eine besondere Gruppe von Desinfizienzien, da sie unterschiedlich
auf transiente Flora (die sie zerstören) und die normale Hautflora in Poren und
Haarfollikeln (die sie unberührt lassen) wirken (Abb. 36.15). Haut kann nicht
sterilisiert werden (außer bei Verbrennung), aber gründliches Waschen mit
antiseptischer Seife verringert die Keimzahl (und damit die Gefahr einer
Kontaktinfektion, s. oben) doch beträchtlich. Innerhalb weniger Stunden kann die
Hautoberfläche aber wieder neu von residenten Bakterien aus den Haarfollikeln und
Schweißdrüsenausführungsgängen besiedelt werden.
Abb. 36.15 Transiente und residente Hautflora.

1237
Auf der normalen Haut siedeln sowohl an der Oberfläche als auch tief in
Hautporen und Ausführungsgängen der Schweiß- und Talgdrüsen Bakterien. Aber
auch Bakterien aus einer kontaminierten Quelle können über die Haut auf anfällige
Patienten übertragen werden (bei Berührung). Durch gründliches Händewaschen
mit Wasser und Seife werden transiente und zum Teil auch residente Keime von
der Hautoberfläche entfernt – mehr noch durch Bürsten der Hände mit
Desinfizienzien. Dennoch ist die Hautoberfläche innerhalb von Stunden wieder
neu mit Normalflora aus tiefen Hautporen besiedelt.

Durch Pasteurisieren können Keime in


hitzeempfindlichen Produkten zerstört werden

1238
In verpackten Flüssigkeiten wie Milch oder Fruchtsäften lässt sich die Gesamtzahl
lebender Mikroorganismen durch Pasteurisierung verringern, ohne dass Geruch und
Geschmack beeinträchtigt würden. Auch wenn es Sporen nichts anhaben kann, hilft
Pasteurisieren gegen intrazelluläre Erreger wie Brucellen, Mykobakterien und viele
Viren. Seit Beginn der Geschichtsschreibung gab es immer wieder neue Versuche von
Menschen, mit unterschiedlichen Techniken Nahrungsmittel haltbar zu machen (z.B.
durch Trocknen oder Salzen) und die Vermehrung von Keimen zu verhindern.

36.8.2 Sterilisation oder Desinfektion?


Sterilisation und Desinfektion sind kostspielige Verfahren; daher ist es wichtig, sich für
die richtige – und schonendste – Methode zu entscheiden (um Materialschäden zu
vermeiden). In die Wahl der Methode fließen eine Reihe von Überlegungen ein.
Wodurch die Keime abgetötet werden (d.h. der genaue Zerstörungsmechanismus), ist
bei jeder Sterilisierungstechnik unterschiedlich, doch im Endeffekt läuft es immer auf
dasselbe hinaus – dass wichtige Zellbestandteile (Nukleinsäuren oder Proteine)
inaktiviert werden.

Saubere Gegenstände sind leichter zu sterilisieren als


(physikalisch) verschmutzte
Das liegt daran, dass organisches Material Mikroorganismen schützt, weil es das
Eindringen von Strahlen oder Chemikalien verhindert bzw. bestimmte chemische
Stoffe inaktivieren kann. Mit anderen Worten: Eine möglichst geringe Biolast ist
unabdingbare Voraussetzung für eine kostengünstige Sterilisation.

Der Anteil der abgetöteten Keime (Zerstörungsrate)


hängt von Konzentration und Einwirkungsdauer des
Mittels ab
Wie viele Keime die Sterilisation überleben werden, lässt sich in eine Gleichung
fassen: N = 1/C × T (dabei entspricht N der Zahl der überlebenden Keime, C der
Konzentration und T der Einwirkungsdauer des Sterilisationsmittels). Wird die Zahl
der überlebenden Bakterien in einer Population nach der Sterilisierung als
Logarithmus gegen die Zeitachse aufgetragen, definiert der Abfall der Kurve die
Todesrate (Abb. 36.16). Dass solche Kurven s-förmig sein oder eine Schulter haben
können, ist Ausdruck leicht unterschiedlicher Reaktionen einzelner Zellen – manche
sind leichter abzutöten als andere.

Im Fall von Bakterien hängt die Form der Zerstörungskurve von ihrem
physiologischen Zustand ab; junge Bakterienzellen in der Vermehrungs-
/Replikationsphase sind in der Regel anfälliger als Zellen in der Ruhe- oder
Rückbildungsphase und als Sporen. Anhand von Kurven, wie der in Abb. 36.16
gezeigten, kann man vorhersagen, unter welchen Bedingungen sich Sterilität erreichen
ließe. Solche experimentellen Aussagen stützen sich aber meist auf Reinkulturen im
Labor (bei denen oft Bakteriensporen als Modelle dienen), während die Biolasten im
wirklichen Leben oft gemischt sind. Für Vorhersagen in Bezug auf gemischte
Keimpopulationen können die Daten völlig ungeeignet sein.

1239
Abb. 36.16 Zerstörungskurve einer Population.

Theoretisch besteht eine lineare Beziehung zwischen dem Logarithmus (log-Zahl)


lebender Keime und der Zeitdauer, über die eine Bakterienpopulation tödlicher
Hitze ausgesetzt wird. In der Praxis verläuft die Kurve aber oft s-förmig. Der D-
Wert entspricht der Zeit, die es dauert, die Population bei einer bestimmten
Temperatur um 90? zu dezimieren. Als Bioindikatoren für eine effektive
Hitzesterilisation werden Filterpapierstreifen mit einer standardisierten Zahl von
Bacillus-stearothermophilus-Sporen in Autoklaven gelegt und anschließend
inkubiert, um zu sehen, ob sich noch lebende Keime entwickeln. Üblicherweise
reicht eine Autoklavierung über 15 Minuten bei 121°C aus, um B.
stearothermophilus mit einem Sicherheitsbereich abzutöten.

36.8.3 Sterilisationsverfahren

1240
Zur Sterilisation verwendet man:

■ Hitze

■ Bestrahlung (mit Gammastrahlen oder UV-Licht)

■ Filtration

■ flüssige oder gasförmige Chemikalien

Techniken wie Einfrieren und Auftauen, Lyse, Trocknung, Beschallung (mit


Ultraschall) und elektrische Stromstöße sind von zweifelhafter Wirksamkeit, werden
aber alle nicht im Krankenhaus angewandt.

Eine UV-Bestrahlung wirkt nicht sterilisierend, sondern wird in Kliniken hauptsächlich


zur Hemmung des Bakterienwachstums im Wasser von Geräten (z.B. Autoanalysatoren)
oder in der Luft (z.B. Schutzhauben in virologischen Laboratorien) eingesetzt. Mögliche
Hornhaut- (Kornea) und Hautschäden schließen eine breitere Anwendung der UV-
Bestrahlung von vornherein aus.

Es sei daran erinnert, dass die Erreger der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD), der
bovinen spongiformen Enzephalopathie (BSE) und von Scrapie äußerst resistent und
weder durch Formalin, UV-Bestrahlung, ionisierende Strahlen noch durch regelmäßige
Autoklavierung komplett inaktivierbar sind. Zur Sterilisierung müssen sie 10 Minuten
bei Atmosphärendruck in 1N NaOH gekocht und anschließend längere Zeit bei einer
höheren Temperatur als normal (134°C über 18 Minuten) autoklaviert werden. Diese
Methode ist natürlich nicht für lebende Gewebe oder Materialien geeignet, die bei so
hoher Temperatur geschädigt würden.

1241
Hitze
Hitze stellt eine Art Energietransfer dar und wird als Sterilisierungsmethode
bevorzugt, weil sie leicht handhab- und kontrollierbar, kostengünstig und effizient ist.

Heißluftsterilisation: trockene Hitze zur Oxidation von


Zellbestandteilen
Beispiele für die Sterilisation durch trockene Hitze (Heißluftsterilisation) sind
Einäscherung und Bunsenbrenner im Labor. Glaswaren können in einem
Heißluftofen bei 160–180°C über eine Stunde sterilisiert werden.

Dampfsterilisation: am wirksamsten ist gesättigter


Wasserdampf (feuchte Hitze) unter Überdruck
Das wird meist in Autoklaven erreicht. Unter Dampfdruck kann die Hitze leichter in
das zu sterilisierende Material eindringen (z.B. Verbände), und zwischen
Temperatur und Dampfdruck besteht eine direkte Beziehung. Da seine Temperatur
weit über 100°C beträgt, führt Dampf unter Druck zur verstärkten Zerstörung von
Bakterien.

Um die sterilisierende Wirkung noch zu verbessern, kann in Autoklaven ein


Vakuum erzeugt werden. Bei der anschließenden Einleitung von Dampf unter
hohem Druck werden schnell alle Teile von der Hitze durchdrungen, so dass die
Temperatur in den zu sterilisierenden Gegenständen vorhersehbar ansteigt.

Die Länge der Autoklavierung richtet sich nach der vorgeschriebenen Zeit
(abgeleitet aus der Zerstörungskurve hitzeresistenter Keime wie Clostridien) plus
einer Sicherheitsspanne. Üblicherweise reicht ein 15-minütiger Zyklus bei 121°C
aus, um C.-botulinum-Sporen mit angemessenem Sicherheitsbereich zu zerstören.
Doch bestimmte Bakteriensporen, vor allem von Bodenkeimen, überstehen selbst
diese Temperatur noch.

Der Sicherheitsbereich wird bei einer großen Keimzahl kleiner, weil in einer
größeren Population mit höherer Wahrscheinlichkeit mehr hitzeresistente Exemplare
vorkommen. Daher sollten Instrumente vor der Sterilisation möglichst immer erst
gereinigt werden.

Mit der feuchten Hitze in Autoklaven können chirurgische Instrumente,


Verbandmaterialien und hitzeresistente Produkte sterilisiert werden.
Hitzeempfindliche Instrumente wie Endoskope werden mit kühlerem Dampf
(niedrigere Temperatur, subatmosphärischer Druck) und Formaldehyd sterilisiert.

Für diese Sterilisationsmethoden werden passende Druckbehälter benötigt, daher


werden sie üblicherweise im zentralen Sterilisationsbereich des Krankenhauses
durchgeführt.

1242
Zur raschen Desinfektion können Instrumente notfalls
für ein paar Minuten in kochendes Wasser getaucht
werden
Beim Auskochen in Wasser reichen wenige Minuten aus, um vegetative
Bakterienformen und viele (aber nicht alle) Sporen abzutöten. Der sporizide Effekt
kann durch Zugabe von 2? Natriumcarbonat zum Wasser verstärkt werden.

Zur Pasteurisierung ist 30-minütiges Erhitzen bei 62,8–


65,6°C erforderlich
Diese Methode wurde von Pasteur erfunden, um Wein durch Erhitzen auf 50–60°C
vor dem Verfall zu schützen. Heute werden Flüssigkeiten wie Milch pasteurisiert,
um die Keimzahl zu senken. Das hilft, wenn nur eine geringe Zahl von Bakterien
vorhanden ist, und verlängert die Haltbarkeit der Milch. Die Milch (oder eine andere
Flüssigkeit) wird 30 Minuten lang auf 62,8–65,6°C oder 15 Sekunden lang
„ultrahoch“ auf 71,7°C erhitzt. Danach sollte sie kühl (Temperaturen unter 10°C)
aufbewahrt werden, um erneutes Bakterienwachstum zu vermindern.

Bestrahlung

Gammastrahlen werden zur Sterilisierung großer


Posten kleinvolumiger Teile verwendet
Industriell wird Gammabestrahlung zur Kaltsterilisation von Nadeln, Spritzen,
Venenkanülen, Kathetern und Handschuhen eingesetzt. Mit Gammastrahlen können
auch Impfstoffe sterilisiert oder Schimmelbildung auf Lebensmitteln verhindert
werden. Die Anschaffungskosten für die Anlage sind hoch; eine 100?ig wirksame
Bestrahlung mit anhaltender Wirkung wird ermöglicht. Die Artikel werden in Folie
eingeschweißt (in ihrer Endverpackung) kalt sterilisiert, ohne sie zu erhitzen.

Die Gammabestrahlung muss in einem geeigneten Gebäude stattfinden, das weiter


vom Krankenhaus entfernt und auch außerhalb der Klinikverwaltung liegen sollte.
Da sich durch die Bestrahlung die Qualität einiger Materialien verschlechtern kann,
eignet sie sich nicht zur wiederholten Sterilisierung der Ausrüstung. Die
Wirkung beruht auf der Bildung freier Radikale, die DNA-Bindungen aufbrechen
können. Um auch Sporen (die nur einen geringeren Wassergehalt haben) zu
vernichten, müssen höhere Gammastrahlendosen als bei vegetativen Formen
angewandt werden.

Auf die Kaltsterilisation mit UV-Strahlen ist weiter oben schon eingegangen
worden.

Filtration

1243
Durch Filterung können partikel- und pyrogenfreie
Flüssigkeiten gewonnen werden
Hitzesterilisierte Lösungen enthalten oft Pyrogene (hitzestabile Abbauprodukte von
Bakterien), die Fieber verursachen können und daher unerwünschte Inhaltsstoffe
sind, z.B. in Infusionslösungen. Wasser oder Wein durch Filtration zu klären, d.h.
Verunreinigungen von einem Produkt zu trennen, hat eine lange Geschichte.
Moderne Filter bestehen aus Nitrozellulose und funktionieren als physikalische
Form der Sterilisation mit elektrostatischer Anziehung und unterschiedlich großen
Poren, die Keime oder andere Partikel zurückhalten. Filtrierte Flüssigkeiten sind
praktisch frei von Teilchen. In einigen Teilen der Welt wird auch das Trinkwasser so
aufbereitet.

Filtrationstechniken werden aber auch angewendet, um in größeren


Flüssigkeitsmengen Keime nachzuweisen, die nur in geringer Anzahl vorhanden
sind (wie z.B. Legionellen im Wasser von Kühltürmen). Sie dienen daher auch zur
quantitativen Bestimmung des Bakteriengehalts.

Chemikalien

Gase wie Äthylenoxid und Formaldehyd entfalten


ihre keimtötende Wirkung durch die Zerstörung von
Proteinen und Nukleinsäuren
Seit dem Erfolg der Gammabestrahlung (s. oben) besteht kein so großer Bedarf mehr
an einer Gassterilisation mit Chemikalien, doch zwei alkylierende Gase
(Äthylenoxid und Formaldehyd) sind noch immer in Gebrauch:

■ Mit Äthylenoxid werden in manchen Klinikzentren Artikel zum


Einmalgebrauch sterilisiert (z.B. Herzklappen). Es ist jedoch toxisch und kann
explodieren.

■ Formaldehyd ist nicht explosiv, hat aber einen äußerst unangenehmen Geruch
und reizt die Schleimhäute. Es wurde zur Raumdesinfektion (z.B. auf der
Isolierstation) und im Labor zur Desinfektion benutzter Schutzkabinen verwendet.
Entscheidend für die Wirkung ist eine relativ hohe Luftfeuchtigkeit.

Hitzeempfindliche Teile können mit flüssigem


Glutaraldehyd desinfiziert werden
Glutaraldehyd ist ungiftiger als Formaldehyd und kann in Lösung stabilisiert
werden, so dass es in gebrauchsfertiger Konzentration wochenlang wirksam bleibt.
Es wird zur Desinfektion hitzeempfindlicher Gegenstände (Endoskope) oder zur
Flächendesinfektion verwendet, ist aber nicht zur Sterilisierung geeignet.

Von den verfügbaren antimikrobiellen Substanzen


wirken nur wenige sterilisierend

1244
Einige (z.B. Derivate aus Kiefernöl und Terpentin) sind schon seit Urzeiten bekannt,
und Chlorkalk oder flüssige Kohlenteerpräparate waren längst in Gebrauch, bevor
sich die Keimtheorie von Krankheiten durchsetzte. Die meisten dieser Substanzen
gehören zu den Desinfektionsmitteln oder Antiseptika, doch zur Sterilisierung
eignen sich nur sehr wenige. Ihre Wirksamkeit wird beeinflusst von:

■ der physikalischen Beschaffenheit (z.B. poröse oder rissige Oberfläche)

■ Luftfeuchtigkeit

■ Temperatur und pH-Wert

■ Konzentration/Verdünnung

■ Wasserhärte

■ Biolast auf den zu desinfizierenden Gegenständen

■ Art und Zustandsform der Keime

■ Fähigkeit zu Inaktivierung chemischer Mittel (die manche Keime haben)

Dass die genannten Faktoren unter bestimmten Umständen nur schwer kontrollierbar
sind, ist einleuchtend. Die wichtigsten chemischen Substanzgruppen sind in Tab.
36.8 angeführt. Sie wirken durch eine chemische Schädigung von Proteinen,
Nukleinsäuren oder Zellmembranlipiden der Erreger. Manchmal setzt sich die
Wirkung von Desinfektionsmitteln auch aus unterschiedlichen
Schädigungsmechanismen zusammen.

1245
36.8.4 Kontrolle von Sterilisation und Desinfektion

Im Allgemeinen sollte eher der Prozess als das


Endprodukt kontrolliert werden
Das bedeutet, dass es besser ist, den technischen Vorgang (Sterilisation oder
Desinfektion) regelmäßig zu überprüfen, solange er noch im Gange ist, als erst zum
Schluss durch Keimisolierung herausfinden zu wollen, ob er gescheitert ist. Der
Versuch, überlebende Keime ausfindig zu machen, ist mit der sprichwörtlichen Suche
nach der Stecknadel im Heuhaufen vergleichbar. Es ist bekannt, dass sich Bakterien
nach einiger Zeit und auf Spezialnährböden von einer Schädigung erholen können,
doch es wird selten möglich sein, Stichproben für spätere Tests zurückzuhalten.

1246
Tab. 36.8 Desinfektionsmittel im Krankenhaus.

1247
Außerdem fragt sich, wie viele Proben in dem Fall untersucht werden müssten.
Untersucht man zu wenige, wird das ungenügende Produkt wahrscheinlich nicht
entdeckt, sind es zu viele, wird sich der allein zur Qualitätskontrolle verbrauchte
Anteil ökonomisch bemerkbar machen.

Die üblichen Verlaufskontrollen beinhalten eine physikalische oder chemische


technische Prüfung (z.B., ob Autoklaven in der vorgegebenen Zeit die erwünschte
Temperatur erreichen). Auch wenn sich daraus nicht schließen lässt, dass nach der
Sterilisation keine lebensfähigen Keime mehr zurückbleiben, ist das Ergebnis sicher
eher zu erwarten, wenn der Prozess selbst zufriedenstellend verläuft. Da solche
Kontrollen aber oft – bewusst oder unbewusst – unterschiedlich streng durchgeführt
werden, kann die Testempfindlichkeit zu hoch oder zu niedrig sein.

Desinfektionsmittel können durch mikrobiologische


Gebrauchstests überwacht werden
Bei diesen Tests werden von einer Desinfektionslösung mehrere Proben entnommen
(um eine Verunreinigung des Desinfektionsmittels zu vermeiden) und behandelt, d.h.
mit einer Bakteriensuspension beschickt und kultiviert. Solche Tests werden aber
selten in der Klinik selbst durchgeführt; dort hält man sich beim Gebrauch von
Desinfektionsmitteln weitgehend an die Herstellerempfehlungen
Zusammenfassung
■ Im Krankenhaus erworbene Infektionen werden als Hospital- oder nosokomiale
Infektionen bezeichnet.

■ Nosokomiale Infektionen haben oft schwerwiegende Folgen für Patienten, für


Beschäftigte im Krankenhaus und für die Gesellschaft allgemein. Jeder
Mikroorganismus kommt zwar als Auslöser in Frage, doch die Mehrheit der
Infektionen wird nur durch eine kleine Gruppe von Keimen ausgelöst.

■ Da die Bedingungen im Krankenhaus das Überleben resistenter Stämme


begünstigen, werden Infektionen oft von Keimen mit eingeschränkter Antibiotika-
Empfindlichkeit hervorgerufen.

■ Die häufigsten nosokomialen Infektionen sind obere Harn- und


Atemwegsinfektionen, postoperative Wundinfektionen und Bakteriämie (Sepsis).

■ Die wichtigsten Bakterien sind Gram-positive Kokken (Staphylo- und


Streptokokken) und Gram-negative Stäbchen (z.B. E. coli, Pseudomonas). Viele
Keime sind gegen mehrere Antibiotika resistent (Multidrug-Resistenz). Unter den
Pilzen ist Candida als signifikante Ursache zu nennen. Viren verursachen
möglicherweise mehr nosokomiale Infektionen, als man bisher gedacht hat.

■ Pathogene Keime können aus der Normalflora eines Patienten (endogene


Infektion) oder von anderen Menschen sowie aus einer unbelebten Quelle
stammen (exogene oder Kreuzinfektion). Ausbreitung über die Luft oder
Kontaktinfektionen sind die wichtigsten Übertragungswege.

■ Entscheidend für die Infektionsanfälligkeit sind wirts-/patienteneigene


Faktoren.

1248
■ Um Ausbrüche (Epidemien) einer Infektion rechtzeitig zu erkennen, sollte eine
fortlaufende Überwachung gewährleistet sein, und bei der Untersuchung ist
epidemiologisches und mikrobiologisches Fachwissen gefragt.
Molekularbiologische Methoden (um einen genetischen „Fingerabdruck“ der
ursächlichen Keime zu erstellen) werden technisch immer weiter verfeinert.

■ Zur besseren Versorgung der Patienten und zur Kosteneinsparung ist die
Prävention nosokomialer Infektionen (Ausschluss von
Keimreservoir/Infektionsquellen, Unterbrechung der Übertragungskette, Stärkung
der Widerstandskräfte) unverzichtbar.

■ Wichtige Maßnahmen zur Bekämpfung und Prävention nosokomialer


Infektionen sind Sterilisation und Desinfektion, die aber auf vielen Gebieten der
medizinischen Praxis im Mittelpunkt stehen sollten.

FRAGEN
Als Chirurg werden Sie von der Stationsschwester zu einem Patienten gerufen, der
Fieber bekommen hat, nachdem drei Tage vorher eine Kolonresektion (wegen
Kolonkarzinom) durchgeführt worden war. Der Eingriff verlief glatt, und bisher
hatte sich der Zustand des Patienten recht gut entwickelt. Die medizinische
Anamnese vor der Einweisung ins Krankenhaus war unauffällig. Der Patient ist
Raucher. Bei der Untersuchung beträgt seine Temperatur 37,8°C, er zeigt eine
leichte Ruhedyspnoe und über der Lungenbasis sind beidseitig einzelne
Rasselgeräusche auskultierbar. Die Bauchwunde ist mit einem Verband abgedeckt,
den Sie ungern entfernen würden.

1 Was sind die häufigsten Ursachen postoperativer Infektionen und


welche Schritte können unternommen werden, um das Problem zu verringern?

2 Welche weiterführenden Untersuchungen würden Sie anordnen?

3 Wie würden Sie den Patienten behandeln?


Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur

Bennett, J.V., Brachman, P.S. (eds.): Hospital Infections, 4th ed. Lippincott-Raven,
Philadelphia 1998.

Herwaldt, L.A., Decker, M.D. (eds.): A Practical Handbook for Hospital


Epidemiologists. Slack, Thorofare/NJ 1998.

Kappstein, I.: Nosokomiale Infektionen. Prävention, Labor-Diagnostik,


Antimikrobielle Therapie. W. Zuckschwerdt Verlag, München Bern Wien New
York 2002.

Mayhall, C.G. (ed.): Hospital Epidemiology and Infection Control. William &
Wilkins, Baltimore 1999.

1249
Wenzel, R.P. (ed.): Prevention and Control of Nosocomial Infections, 3rd ed.
William & Wilkins, Baltimore 1997.

Wenzel, R.P., Brewer, T.F., Butzler, J.P.: Guide to Infection Control in the Hospital.
Decker, Hamilton/Ontario 2002.

1250
Pathogene im Überblick
Eine alphabetische Auflistung aller Organismen (einschließlich der Pathogene im
Überblick) finden Sie im Index.

Viren

Adenoviren

1251
Arenaviren
Zu ihren Vertretern zählen die Erreger des Lassa-Fiebers und LCM-Viren (Erreger der
lymphozytären Choriomeningitis).

1252
Bunyaviren

1253
Coronaviren

1254
Filoviren
Zu ihnen gehören das Ebola- und Marburg-Virus.

1255
Flaviviren
Ihre Vertreter verursachen die folgenden Erkrankungen: Dengue-Fieber, Japanische
Enzephalitis, Gelbfieber, durch Zecken übertragene Enzephalitis, West-Nil und
Hepatitis C.

1256
Hepatitis B

1257
Hepatitis D (Delta)

Hepatitis E

1258
Herpesviren

1259
Zu ihren Vertretern zählen Herpes-simplex-Virus (HSV), Varicella-Zoster-Virus (VSV),
Zytomegalievirus (CMV), Epstein-Barr-Virus (EBV), humanes Herpes-Virus (HHV) 6, 7 und

8.

1260
Noroviren

1261
Orthomyxoviren
Influenzaviren

1262
Papovaviren

1263
Zu ihnen gehören die Papillomaviren, JC- und BK-Viren.

1264
Paramyxoviren
Zu ihren Vertretern zählen die Erreger von Masern, Mumps, das Respiratory Syncytial Virus
(RSV), das Parainfluenzavirus, das humanpathogene Metapneumovirus, Nipah-Virus und
Hendra-Virus.

1265
Parvovirus

1266
Picornaviren

1267
Zu ihren Vertretern zählen die Enteroviren, Coxsachieviren, Echoviren, Polioviren und
Hepatits-A-Virus.

1268
Poxviren

1269
Reoviren
Zu ihnen zählen die Rotaviren und das Colorado-Zeckenfiebervirus.

1270
Retroviren
Sie schließen HIV-1, HIV-2, HTLV-1 und HTLV-2 ein.

1271
Rhabdoviren
Rabiesvirus

1272
Togaviren
Zu ihren Vertretern zählen Rubella-, Chikungunya-, O’nyong-nyong-, Ross River-, Eastern-
und Western Enzephalitis-Viren.

1273
Humane Erkrankungen mit Prionen

1274
Bakterien

Gram-positive Kokken

Gattung Staphylokokken
Zu dieser Gattung gehören mindestens 16 verschiedene Arten, von denen drei von großer
medizinischer Bedeutung sind: S.aureus, S. epidermidis, S. saprophyticus.

Tab. 1 Wesentliche Unterscheidungsmerkmale der


medizinisch bedeutenden Staphylokokken. 1 Die
koagulasenegativen Arten S. epidermidis und S. saprophyticus sowie die weniger
häufig isolierten koagulasenegativen Arten (S. capitis und S. haemolyticus) werden
oft nur als „koagulasenegative Staphylokokken” ohne weitere Identifikation
bezeichnet.
2 übliches Resultat, jedoch nicht für alle Stämme.
3 hilfreich für die Unterscheidung zwischen S. epidermidis und S. saprophyticus.

1275
Staphylococcus aureus

1276
Staphylococcus epidermidis

1277
Staphylococcus saprophyticus

1278
Gattung Streptokokken
Bei den Streptokokken handelt es sich um eine große Gruppe Gram-positiver Kokken,
die weitverbreitet in Mensch und Tier vorkommen und Teil der normalen Flora bilden.
Einige Arten rufen jedoch schwere Infektionen hervor. Der Zelldurchmesser des
einzelnen Organismus beträgt 0,5–1 μm. Da sich die Kokken nur in einer Ebene teilen,
kommt es zur Paar- und Kettenbildung.

Die medizinisch bedeutenden Streptokokken können leicht voneinander unterschieden


werden, entweder durch Hämolyse auf Blutagar (komplette Hämolyse, β-Hämolyse;
partielle Hämolyse, α-Hämolyse; keine Hämolyse, γ-Hämolyse) oder durch die Präsenz
oder Abwesenheit eines gruppenspezifischen Kohlenhydrat-Antigens (Lancefield-
Gruppen A bis V).

1279
β-hämolysierende Streptokokken

Streptococcus pyogenes (Gruppe-A-Streptokokken)

1280
Streptococcus agalactiae (Gruppe B-
Streptokokken)

Weitere β-hämolysierende Streptokokken von


medizinischer Bedeutung
Streptokokken der Lancefield-Gruppen C und G rufen manchmal eine Pharyngitis
hervor. Die Streptokokken der Gruppe D werden der Gattung Enterococcus
zugeordnet (siehe unten).

Streptokokken der Milleri-Gruppe


Hier handelt es sich um mikroaerophile Streptokokken, die häufig kleine Kolonien
bilden und Antigene der Lancefield-Gruppen A, C, F oder G tragen. Sie verursachen
Abszesse (speziell in Leber und Gehirn).

α-hämolysierende Streptokokken

1281
Streptococcus pneumoniae

Orale Streptokokken
Es gibt mehrere andere Arten von α-Streptokokken, die in der Vergangenheit unter
dem Begriff „Viridans-Streptokokken” oder vergrünende Streptokokken
zusammengefasst wurden. Diese und einige der nicht-hämolytischen Streptokokken
sind neu klassifiziert worden. Die meisten Arten leben als Kommensalen im Mund. S.
mutans steht in sehr engem Zusammenhang mit Karies. Mehrere Arten können eine
bakterielle Endokarditis hervorrufen.

Die meisten Stämme sind Penicillin-empfindlich; jedoch ist auch eine mäßige bis hohe
Resistenz beobachtet worden. Mäßig resistente Isolate können mit Penicillin und
zusammen mit einem Aminoglykosid behandelt werden, während stark resistente
Stämme ein breites Spektrum an Cephalosporin oder Vancomycin erfordern. In
Kulturen aus dem Respirationstrakt ist es wichtig, diese Streptokokken von S.
pneumoniae zu unterscheiden.

Gattung Enterococcus (fäkale Streptokokken)

1282
Sie wurden früher der Gattung Streptococcus zugeordnet, mit der sie viele Merkmale
gemeinsam haben; gegenwärtig gibt es 16 Arten von Enterokokken. E. faecalis und E.
faecium sind die klinisch bedeutendsten und werden gemeinsam besprochen.

Gram-positive Stäbchenbakterien

Gattung Corynebacterium
Zu dieser Gattung zählen viele Arten. Sie ist in der Natur weit verbreitet und mit den
Arten Mycobacterium und Nocardia ist sie Teil eines Spektrums, welches ähnliche
Mykolsäure enthaltende Zellwandstrukturen aufweist. Eine wichtige pathogene Species
ist C. diphtheriae. Diese und andere Pathogene der Gattung sind von kommensalen
Corynebakterien zu unterscheiden.

Corynebacterium diphtheriae

1283
1284
Weitere Corynebakterien
C. ulcerans wurde bei Diphtherie-ähnlichen Erkrankungen gefunden. Es produziert
zwei Toxine, von denen eins durch Diphtherie-Antitoxin neutralisiert wird. Das andere
ähnelt dem durch C. pseudotuberculosis gebildeten Toxin. C. jeikeium wird
zunehmend aus Blutkulturen und Wunden immunsupprimierter Patienten isoliert.
Normalerweise wird es aufgrund seiner relativen Resistenz gegen Antibiotika
nachgewiesen (sensibel gegen Glykopeptide wie Vancomycin und Teicoplanin). C.
pseudotuberculosis ist ein bedeutendes Pathogen für Pferde und Schafe. C. xerosis und
C. pseudodiphtheriticum sind Hautbewohner und noch viele andere coryneforme
Bakterien besiedeln die Haut. Diese und andere verwandte Gattungen wie
Brevibakterium und Rhodococcus sind lipophil. Für optimales Wachstum benötigen
sie Lipide.

Gattung Bacillus
Zu dieser Gattung zählen mehr als 50 Arten, von denen die meisten Bodenorganismen
sind. Zwei Arten sind von besonderer medizinischer Bedeutung: B. anthracis und B.
cereus.

Bacillus anthracis

1285
1286
Bacillus cereus

Gattung Listeria
Früher waren diese Organismen der Gattung Corynebacterium zugeteilt. Sie haben auch
verwandte Antigene mit Enterokokken und Lactobazillen. L. monocytogenes ist die Art
mit besonderer medizinischer Bedeutung.

Listeria monocytogenes

1287
Gattung Clostridium
Zu dieser Gattung zählen viele Arten Gram-positiver, anaerober, Sporen bildender
Stäbchenbakterien; einige wenige sind Sauerstoff-tolerant. Sie kommen weit verbreitet
im Boden sowie im Darm von Mensch und Tier vor. Die Sporen sind gegen
Umwelteinflüsse resistent. Die mit dieser Gattung verknüpften wesentlichen
Erkrankungen sind Gangrän, Tetanus, Botulismus, Nahrungsmittelvergiftung und
pseudomembranöse Kolitis. Bei jeder dieser Erkrankungen spielt die Produktion von
starken Exotoxinen eine bedeutende Rolle für die Pathologie. Bei mehreren Arten
werden die Toxin kodierenden Gene von Plasmiden oder Bakteriophagen getragen.

Clostridium perfringens

1288
Clostridium tetani

1289
1290
Clostridium botulinum

1291
Clostridium difficile

Gattung Mycobacterium
Mykobakterien kommen weit verbreitet in der Umwelt und bei Tieren vor. Die
wesentlichen Humanpathogene sind M. tuberculosis und M. leprae, aber das
Bewusstsein über die Bedeutung anderer Arten (z.B. M. avium-Komplex) wächst mit
der Erkenntnis ihrer Rolle als Pathogene bei AIDS-Kranken und anderen
abwehrgeschwächten Patienten.

1292
1293
Gattung Actinomyces
Die Actinomyzeten sind Bakterien, keine pilzähnlichen Organismen, wofür sie in der
Vergangenheit aufgrund ihrer Myzelbildung gehalten wurden. Die chemische Struktur
ihrer Zellwand ist mit der der Corynebakterien und Mykobakterien verwandt. Ihre
Differenzierung von Pilzen ist wichtig, denn Infektionen mit Aktinomyzeten sollten auf
antibakterielle Mittel ansprechen, wohingegen durch Pilze hervorgerufene ähnliche
klinische Erscheinungsbilder gegen antibakteriell-wirkende Substanzen resistent sind.
Zur Gattung Actinomyces zählen viele Vertreter, von denen einige für den Menschen als
Produzenten antimikrobieller Substanzen wichtig sind. Wenige sind für Mensch und
Tier pathogen. A. israelii verursacht die Aktinomykose.

Gattung Nocardia

1294
Gram-negative Stäbchenbakterien

Enterobacteriaceae
Es sind die zahlenmäßig häufigsten fakultativ anaeroben Bakterien im menschlichen
Darm, die annähernd 109/g der Fäzes ausmachen. Nur Gram-negative Anaerobier (z.B.
Bacteroides) sind ihnen zahlenmäßig etwa zehnmal überlegen. Gattungen der Familie
Enterobacteriaceae besitzen gemeinsame Merkmale, die sie von anderen Familien
unterscheiden; durch biochemische Tests können sie voneinander unterschieden werden.

Gattung Escherichia

Escherichia coli

1295
1296
Gattung Proteus
Zu dieser Gattung zählen mehrere Arten. Zwei, P. mirabilis und P. vulgaris, besitzen
medizinische Bedeutung.

Gattung Klebsiella und verwandte Enterobakterien,


Serratia und Enterobacter
Anders als E. coli werden die Arten der Gattung Klebsiella, Serratia und Enterobacter
seltener mit Infektionen in Verbindung gebracht, außer als Opportunisten bei
abwehrgeschwächten Patienten.

1297
Gattung Salmonella
Im Gegensatz zu anderen Mitgliedern der Familie der Enterobacteriaceae sind
Salmonella und Shigella keine normalen Bewohner des menschlichen Darmtrakts (außer
bei postinfektiösen Trägern). Beide Gattungen sind für Durchfallerkrankungen
verantwortlich. Diese können sehr schwer sein; nach einer Salmonelleninfektion kann
auch eine Bakteriämie entstehen (am häufigsten assoziiert mit S. typhi, S. paratyphi and
S. cholerae-suis).

DNA-Hybridisierungsstudien haben nur zwei Salmonella-Arten identifiziert. Praktisch


ist nur S. enterica, Subspezies enterica, für die Humanmedizin von Bedeutung.
Basierend auf der serologischen Identifikation werden die Salmonellenarten zu O-
(somatisch) und H-Gruppen (flagellar) zusammengefasst. In der Gruppe S. enterica
(bedeutendste Salmonellengruppe für Infektionen beim Menschen) lassen sich sechs
Untergruppen unterscheiden (A, B, C1, C2, D und E). Nach der Kauffmann-White
Klassifikation unter Berücksichtigung der neuen taxonomischen Einteilung lautet die
korrekte Bezeichnung für Salmonella-Isolate wie folgt:

• statt S. enteritidis: S. enterica, Subspecies enterica, Serovar Enteritidis.

1298
• statt S. typhi: S. enterica, Subspecies enterica, Serovar Typhi

Oftmals findet jedoch die alte Bezeichnung weiterhin Anwendung.

Aufgrund der Infektion wird zwischen den Typhus bzw. Paratyphus hervorrufenden
typhösen Salmonellen S. typhi, S. paratyphi, S. schottmuelleri (früher S. paratyphi B)
und S. hirschfeldii (früher S. paratyphi C) und anderen Durchfallerkrankungen
verursachenden enterischen Salmonellen (z.B. S. Enteriditis) unterschieden.

Kaufmann-White-Klassifizierung

Kaufmann-White-Klassifizierung

1299
1300
Gattung Shigella
Vier Arten sind für den Menschen als Verursacher der Bakterienruhr von Bedeutung: S.
dysenteriae, S. boydii, S. flexneri und S. sonnei (in abnehmender Folge der Schwere der
Symptome).

Gattung Pseudomonas und verwandte Organismen


Burkholderia, Stenotrophomonas und Acinetobacter
Von den zahlreichen Arten sind wenige Humanpathogene, einige tierpathogen, andere
bedeutende Pflanzenpathogene. Die Organismen kommen weit verbreitet vor, sie
können das Umfeld im Krankenhaus kontaminieren und opportunistische Infektionen
hervorrufen. Die für den Menschen bedeutendsten Arten sind:

• P. aeruginosa, ein bedeutender Opportunist für anfällige Patienten;

• Burkholderia pseudomallei, Verursacher der Melioidose, eine Erkrankung mit


begrenzter geografischer Verbreitung;

• Burkholderia cepacia, ist gewöhnlich mit nosokomialen Infektionen und mit


Infektionen des Respirationstraktes bei Mukoviszidose-Patienten assoziiert;

1301
• Stenotrophomonas maltophilia, ein opportunistischer Keim, der auch mit
nosokomialen Infektionen in Zusammenhang gebracht wird;

• Acinetobacter baumannii (und andere Arten), opportunistische Pathogene, die


eine Vielfalt an Infektionen hervorrufen (z.B. Wunden, Atemwege, Harnwege); sie
sind häufig Antibiotika-resistent.

Pseudomonas aeruginosa

1302
Gekrümmte Gram-negative Stäbchen
Verschiedene Gattungen gekrümmter Gram-negativer Stäbchen enthalten Arten, die für
den Menschen pathogen sind. Die drei wichtigsten Gattungen sind Vibrio, Campylobacter
und Helicobacter.

1303
Gattung Vibrio
Die wichtigste Art ist V. cholerae.

Gattung Campylobacter

1304
Einst als Vibrionen klassifizierte gekrümmte, Gram-negative Stäbchen. Primär sind es
Tierpathogene, doch verschiedene Arten können auch beim Menschen Infektionen
hervorrufen. C. jejuni ist hauptsächlich für die bakterielle Gastroenteritis in den
entwickelten Ländern verantwortlich. In weitaus geringerer Häufigkeit wird die
Gastroenteritis von E. coli verursacht. Die durch diese Organismen provozierten
Infektionen präsentieren sich mit einem im Wesentlichen identischen klinischen Bild.
Im Labor werden sie im Allgemeinen nicht voneinander unterschieden.

Campylobacter jejuni

1305
Helicobacter pylori

Gram-negative, nicht Sporen bildende Anaerobier


Historisch betrachtet wurden sämtliche kurzen, Gram-negativen, anaeroben Stäbchen
oder kokkoiden Stäbchen als Gattung Bacteroides und längere Stäbchen mit spitz
zulaufendem Ende als Gattung Fusobacterium klassifiziert. Jüngste Anwendungen
neuer Techniken zur Untersuchung von Bacteroides führten zur Definition zweier
zusätzlicher Gattungen: Porphyromonas und Prevotella. Somit beschränkt sich die
Gattung Bacteroides jetzt auf Arten, die in der normalen Darmflora vorkommen. Zu
Prevotella zählen saccharolytisch wirkende Organismen, die im Mundbereich und im
Urogenitaltrakt vorkommen. Hierzu gehört P. melaninogenica (früher B.
melaninogenicus), welche einen charakteristischen schwarz-braunen Farbstoff bilden.
Zur Gattung Porphyromonas zählen asaccharolytische, pigmentierte Arten. Diese sind
Teil der Mundflora (P. gingivalis) und können bei endogenen Infektionen der
Mundhöhle beteiligt sein. Wenn auch andere Erreger viel häufiger vorkommen (z.B. bei
Gingivitis und anderen endogenen oralen Infektionen) als B. fragilis, so ist er der
bedeutendste Infektionen hervorrufende, nicht Sporen bildende Anaerobier.

1306
Bacteroides fragilis

1307
Gram-negative Kokken

Gattung Neisseria
Zu dieser Gattung zählen verschiedene mehr oder weniger anspruchsvolle Arten, von
denen zwei, N. gonorrhoeae und N. meningitidis, bedeutende Humanpathogene sind.

1308
Gattung Moraxella
Moraxella catarrhalis, früher als Branhamella catarrhalis klassifiziert, sind Gram-
negative Kokken, die morphologisch Neisseria ähneln, jedoch weniger anspruchsvolle
Wachstumsbedingungen benötigen. Früher galten sie als Kommensale im
Respirationstrakt und wurden mit einer Vielfalt an Infektionen assoziiert. Hierzu zählen
Bronchitis, Bronchopneumonie, Sinusitis und Otitis media. Die Mehrheit der Stämme
bildet Beta-Laktamase. Durch die Zerstörung von zur Behandlung eingesetztem
Penicillin oder Ampicillin schützen sie möglicherweise stärkere Pathogene, speziell im
Respirationstrakt.

Gattung Haemophilus
Zu dieser Gattung gehören viele Arten; H. influenzae und H. ducreyi haben
medizinische Bedeutung.

1309
Haemophilus influenzae

Haemophilus ducreyi
Haemophilus ducreyi ist der Erreger des „weichen Schankers“, einer venerischen
Infektion. Es handelt sich um schlanke, Gram-negative Stäbchen, die paarweise oder
kettenförmig auftreten. Die direkte mikroskopische Untersuchung eines
Schankerabstrichs kann diagnostisch aufschlussreich sein. Die Organismen sind sehr
anfällig gegen Dehydration; deshalb Beimpfung von Platten in der Klinik.

1310
Angereichertes Nährmedium erforderlich (wie für H. influenzae, jedoch mit Zusatz
von Antibiotika, um das Wachstum anderer Organismen des Genitaltrakts zu
hemmen).

Gattung Bordetella
Es gibt drei Arten, von denen eine, B. pertussis, medizinische Bedeutung hat.

1311
Gattung Brucella
Von den verschiedenen Arten der Gattung Brucella steht jede in einem
charakteristischen Zusammenhang mit einer Tierart. Vier Arten – für B. abortus ist das
Rind der Hauptwirt, für B. suis das Schwein, für B. canis der Hund und für B. melitensis
die Ziege – sind die häufigsten Erreger zoonotischer Infektionen beim Menschen.

1312
Francisella tularensis

1313
Pasteurella multocida

1314
Gattung Yersinia
Mitglied der Familie der Enterobacteriaceae. Diese Gattung ist sehr artenreich, doch nur
wenige Arten werden als wichtige Humanpathogene betrachtet.

Yersinia pestis

1315
Yersinia enterocolitica

1316
Gattung Legionella
Diese Gattung ist eine der neueren Entdeckungen in der Geschichte der Mikrobiologie.
Sie wurde erstmals mit Techniken der Virusisolation (z.B. Wachstum in Embryonen
enthaltenden Hühnereiern) nachgewiesen. Es handelt sich um frei lebende Organismen,
die sich auch in Wasser vermehren können, sich jedoch nur schwierig auf
herkömmlichen Nährböden kultivieren lassen. L. pneumophila ist das Pathogen von
größter medizinischer Bedeutung.

Legionella pneumophila

1317
Gardnerella vaginalis

1318
Spirochäten
Drei Gattungen haben medizinische Bedeutung: Treponema, Leptospira und Borrelia.

Gattung Treponema
Regelmäßig gewundene Spirochäten mit größeren Amplituden als Leptospira.
Verschiedene Arten und Unterarten sind bedeutende Humanpathogene; andere gehören
zur normalen Flora, speziell zur Mundflora. T. pallidum und die Subspezies pertenue
sowie T. carateum sind die wichtigsten Arten.

1319
Gattung Leptospira
Die Gattung wird in zwei Arten unterteilt: L. interrogans und L. biflexa; erstere verhält
sich parasitär; zu letzterer gehören frei lebende Arten. Innerhalb der Art L. interrogans
gibt es unterschiedliche Serogruppen und Serovare, die für Krankheiten bei Mensch und
Tier verantwortlich sind.

Leptospira interrogans

1320
Gattung Borrelia
Für den Menschen sind zwei Arten der Gattung Borrelia bedeutend: B. burgorferi
verursacht die Lyme-Krankheit; B. recurrentis ist der Erreger des Rückfallfiebers.

1321
Weitere Bakterien

Mykoplasmen

1322
Rickettsiae

1323
Chlamydiae

1324
Pilze

Oberflächliche Mykosen

Dermatophyten
Dieser allgemeine Begriff steht für Arten, die die äußeren Schichten der Haut
besiedeln. Unter den vielen Spezies sind Epidermophyton, Microsporum und
Trichophyton die wichtigsten.

Sporothrix schenckii

1325
Tiefe Mykosen

Aspergillus
Von den drei häufigsten Spezies, A. fumigatus, A. flavus und A. niger, ist A. fumigatus
die wichtigste.

Blastomyces dermatitidis

1326
Candida albicans

Coccidioides immitis

1327
Cryptococcus neoformans

Histoplasma capsulatum

1328
Pneumocystis jiroveci (früher carinii)

Protozoen

Cryptosporidium parvum

1329
Cyclospora cayetanensis

Entamoeba histolytica

1330
Naegleria fowleri

Giardia lamblia

1331
Gattung Leishmania
Von den verschiedenen Arten, die zu dieser Gattung gehören, sind L. brasiliensis, L.
donovani und L. tropica Erreger wesentlicher Erkrankungen.

1332
Gattung Plasmodium
Vier Arten dieser Gattung, P. falciparum, P. malariae, P. ovale und P. vivax, sind
Krankheitserreger. P. falciparum und P. vivax kommen am häufigsten vor.

Toxoplasma gondii

1333
Trichomonas vaginalis

Gattung Trypanosoma
Zu dieser Gattung zählen drei Arten, die als Krankheitserreger bekannt sind: T.
gambiense, T. rhodesiense (afrikanische Trypanosomiasis) und T. cruzi (amerikanische
Trypanosomiasis).

1334
Microsporidia (zahlreiche Arten)

Isospora belli

1335
Helminthen

Zestoden – Bandwürmer

Diphyllobothrium latum

(Echinococcus granulosus

1336
Hymenolepis nana

Gattung Taenia
Zwei Arten dieser Gattung infizieren den Menschen: T. saginata und T. solium.

1337
Trematoden – Saugwürmer

Clonorchis sinensis

Paragonimus westermanii

1338
Gattung Schistosoma
Mehrere Arten dieser Gattung können den Menschen infizieren. Die drei
bedeutendsten sind S. haematobium, S. japonicum und S. mansoni.

1339
Nematoden – Rundwürmer

Ascaris lumbricoides

Enterobius vermicularis (Kindermadenwurm)

1340
Filarien – Fadenwürmer (Untergruppe der
Nematoden)
Es handelt sich um eine große Gruppe von Würmern, deren wichtigste Arten im
Lymphgewebe (Wuchereria bancrofti, Brugia malayi) oder der Haut (Onchocerca
volvulus) leben.

1341
Hakenwürmer
Allgemeiner Begriff für intestinale blutsaugende Würmer. Die zwei bedeutenden
Arten sind: Ancylostoma duodenale und Necator americanus.

Strongyloides stercoralis

1342
Toxocara canis

Trichinella spiralis

1343
Trichuris trichiura

1344
Antworten

0 Eine zeitgemäße Einführung in die Mikrobiologie


1. Viren, Bakterien, Pilze, Protozoen, Würmer, Arthropoden (Prionen sind keine
Organismen im herkömmlichen Sinn).

2. Akute respiratorische Infektionen, AIDS, Durchfallerkrankungen, Tuberkulose,


Malaria.

3. Hanta-Virus, humanes Herpesvirus 8, Hepatitis E–G, Escherichia coli O157,


Borrelia burgdorferi, Helicobacter, Toxinproduzierende Staphylococcus aureus.

4. Vermehrtes Reisen, neue Methoden der Lebensmittelproduktion, Lieferung


und Gebrauch; neue landwirtschaftliche Praktiken; verändertes Sexualverhalten;
medizinische Interventionen; übermäßige Anwendung von Antibiotika; soziale,
wirtschaftliche, politische und möglicherweise klimatische Veränderungen.

1 Mikroorganismen als Parasiten


1. Prokaryonten besitzen keinen eindeutigen Kern, die DNA existiert in einem
einzelnen, ringförmigen Chromosom und kommt auch in Plasmiden vor,
Transkription und Translation erfolgen gleichzeitig. Eukaryonten haben einen
eindeutigen, Membran-umhüllten Kern, DNA ist in mehreren Chromosomen
enthalten, für die Translation wird mRNA benötigt, sie findet an den Ribosomen im
Zytoplasma statt. Das Zytoplasma ist reich an Organellen.

2. Gewöhnlich sind Mikroparasiten mikroskopisch klein, können intrazellulär


leben, replizieren sich in der Wirtszelle und vermehren sich rasch nach einer
einmaligen Infektion. Makroparasiten sind in der Regel größer (> 1 mm), leben
außerhalb von Zellen. Die meisten können sich nicht im Wirtsorganismus
replizieren, weshalb für ihre Vermehrung wiederholte Infektionen notwendig sind.

3. Nutzung des genetischen Apparates des Wirts, Nutzung interzellulärer


Nährstoffquellen, Schutz vor einigen Abwehrmechanismen des Wirts.

4. Visuell (Form, Größe, Färbung), biochemisch (Atmung, Produktion von


Enzymen, Toxinen), immunologisch (Reaktion auf Antikörper), molekular (DNA-
Analyse, Sondenhybridisierungen).

2 Bakterien
1. B – Lipopolysaccharid

2. C – Staphyloccoccus

3. E – alle 30 Minuten

4. E – alle

5. D– Mutation

1345
6. B – Transposons

3 Viren
1. B – Influenzavirus

2. C – Vacciniavirus

3. A – Sialinsäure

4. D– HTLV

4 Pilze
1. C – Candida

2. D– abgestorbene Haut

5 Protozoen
1. B – Malaria

2. D– Toxoplasma

3. D– Giardia

6 Helminthen und Arthropoden


1. D– Taenia solium

2. C – Wuchereria bancrofti

3. B – Für die Transmission wird eine Wasserschnecke benötigt

4. E – alle

7 Prionen
1. D– Stich eines kontaminierten Insektenvektors

2. E – keiner der genannten Reaktionen

3. B – Behandlung mit Natriumhydroxid und Natriumhypochlorit

8 Wirt-Parasiten-Beziehung
1. E – alle

2. C – im Dickdarm

1346
3. D– sie rufen immer eine Erkrankung hervor

4. E – alle

9 Das angeborene Immunsystem


1. D– Speichelamylase

2. A – Monozyten

B – Kupffer-Zellen

D– Medulläre Makrophagen in Lymphknoten

3. A – Erzeugen reaktive Sauerstoff-Zwischenprodukte

C – Enthalten mikrobizide, zytoplasmatische Granula

D– Sind auf Phagozytose spezialisierte Zellen

4. C – Opsonisiert Bakterien

5. A – Reagieren auf Interferon

B – Enthalten Perforine

C – Enthalten Granzyme

6. A – C-reaktives Potein

B – Mannose bindendes Protein

C – Lysozym

E – Komplement

10 Erworbene Immunreaktion
1. B – C3bBb

E – C42

2. E – C3

3. A – Synthetisieren und scheiden Antikörper aus

C – Leiten sich von B-Zellen ab

E – Besitzen einen hohen RNA-Gehalt

4. A – Antikörper ähnlicher Spezifität wie die Oberflächendeterminanten der


elterlichen B-Zelle

1347
5. B – MHC

E – Peptide (aus dem intrazellulären Abbau von Proteinen)

6. B – Zytotoxischen T-Zellen

11 Zelluläre Grundlagen erworbener


Immunreaktionen
1. A – Toleranz

2. A – Durch Bindung an spezifische Rezeptoren

3. D– IL-4

4. B – Antigen-spezifisches IgG

C – Antigenneutralisation

5. T – Zellen

12 Wechselwirkungen zwischen Erreger und Wirt


1. (a) Nachweis mit Antikörpertests oder durch prospektive
Populationsstudien, dass Diabetes nur bei Personen auftrat, die mit dem Virus
infiziert waren.

(b) Isolation oder Nachweis von „genetischen Fingerabdrücken“


(Nukleinsäuresequenzen, Antigene) des Virus im Pankreas von Diabetikern, aber
nicht bei Nicht-Diabetikern.

Anmerkung: es könnte schwierig sein zu beweisen, ob:

(1) das Virus eher eine der Ursachen oder die Ursache des Diabetes darstellt,

(2) das Virus nahezu jeden infiziert, aber Diabetes nur in gelegentlichen Fällen
verursacht,

(3) die Erkrankung erst 10–20 Jahre nach der Infektion auftritt.

2. Die Tollwut wird mit dem Speichel direkt von Tier zu Tier übertragen, ohne
eine notwendige Infektion des Menschen.

3. Die Schritte sind in Tab. 12.1 dargestellt. Anheftung/Eintritt, Multiplikation


und Abstoßung sind die wichtigsten.

4. (a) Beseitigung des Gens aus dem Virusgenom mithilfe von


Molekulartechniken und Überprüfung, ob das Virus dann weniger virulent ist.

(b) Produktion von Antikörpern gegen das/die Genprodukt(e) und Beobachtung,


ob die passive Gabe von Antikörpern die Virulenz reduziert.

1348
(c) Versuch, beteiligte Zytokine und andere Komponenten des Immunsystems zu
ersetzen. Dies wird weniger erfolgreich sein.

5. Mikroorganismen, die sich schrittweise im Körper verbreiten, benötigen dazu


mindestens eine Woche (Abb. 12.3).

6. Weil Mikroben Strategien entwickelt haben, mit der phagozytischen Funktion


zu interferieren, zum Beispiel durch Inhibition der Phagozytose oder durch
Beeinträchtigung der phagolysosomalen Fusion.

13 Ein- und Austrittspforten, Übertragungswege


1. Respiratorisch, fäkal-oral, sexuell, als Zoonose.

2. Weil die Infektion nicht von Körperoberflächen abgegeben wird (siehe Abb.
13.1) oder nicht in ausreichender Zahl vorhanden ist, um weitere Personen zu
infizieren. In vielen Fällen ist eine Infektion des Menschen für die Erhaltung und
Verbreitung der Mikroben nicht nötig.

3. Nein. Gewisse Infektionen werden über den Urin verbreitet (Leptospirose oder
Lassa-Fieber, von Tier zu Mensch). Für eine effektive Übertragung des Erregers von
Mensch zu Mensch müsste der Erreger sehr infektiös und resistent gegen
Austrockung sein.

4. Ja. Allgemeine Erkältungskrankheiten können über Hände und Taschentücher


verbreitet werden.

5. Die Infektionswege:

■ pränatal (Plazenta): Blutzellen und Gefäßendothelium von Mutter und Fetus,


zusätzlich Trophoblasten in der Plazenta

■ perinatal: Blutzellen und Schleimhautzellen von Zervix und Vagina der


Mutter, weiterhin Epithelzellen der Konjunktiva und der Atemwege des Kindes

■ postnatal: mütterliche Blutzellen und Epithelzellen der Brustdrüsen und -gänge

■ Keimbahn: Eizelle und Spermium.

6. Wenn sich Rezeptoren auf Epithelzellen des respiratorischen Trakts befinden,


an welche die Mikroben binden können, ist eine Infektion dieser Zellen möglich.
Gonokokken können z.B. Zellen der Konjunktiva infizieren.

14 Aktivierung der Immunabwehr


1. A – Reaktive Sauerstoffzwischenprodukte

C – Zytotoxische Lipidperoxide

E – Stickstoffmonoxid

2. B – Inhibition der Virenzusammensetzung

1349
C – Inhibition der viralen RNA-Translation

3. A – Opsonisierung des Parasiten für darauf folgende Phagozytose

D– Blockierung des Eintritts des Mikroorganismus in die Wirtszelle

E – Induktion Antikörper-abhängiger zellulärer Zytotoxizität

4. A – Antigenspezifische T-Zellen

B – Produktion von Zytokinen wie IFN

15 Ausbreitung und Replikation


1. (a) Die Ausbreitung in die Speicheldrüsen erfolgt hämatogen nach Passage
des Gefäßendothels (Mumps) oder über periphere Nerven (Tollwutvirus).

(b) Die Ausbreitung in die Leber erfolgt hämatogen nach Passage der Kupffer-
Zellen oder des Gefäßendothels, in Sinusoiden.

2. Ja. Im Fall von:

(a) Herpes-simplex- und Varizella-Zoster-Viren (Basis für Reaktivierung und


erneute Virusausschüttung)

(b) Tollwutvirus (Ausbreitung in die Speicheldrüsen über Nerven, Übertragung


durch den Speichel von Tieren).

3. (a) Polioviren. Das bedeutet Exposition gegenüber zirkulierenden


Antikörpern.

(b) Herpesviren. Das heißt Schutz vor zirkulierenden Antikörpern und mögliche
Übertragung der Infektion in Organe durch wandernde Leukozyten.

4. Da sie sich sehr langsam replizieren (Replikationszeit in Tagen gemessen).

5. Sichelzell-Gen und Anfälligkeit gegen Malaria.

16 Überlebensstrategien von Parasiten und


persistierende Infektionen
1. Nein. Häufiger mit kurzen Aminosäuresequenzen.

2. Weil die Oberfläche das Hauptziel der Wirtsabwehr ist, wird sich diese
wahrscheinlich eher einer Veränderungsstrategie unterziehen, um z. B. sich dem
Immunsystem zu entziehen.

3. (a) – Nein

(b) – Nein

1350
4. Wenn antivirale Lymphozyten und Antikörper erhöhten Zugang zu
epidermalen Zellen hatten, d.h. während lokaler Entzündungen.

17 Pathologische Folgen von Infektionen


1. Exotoxine werden von Bakterien sezerniert. Endotoxine sind biologisch
hochaktive Zellwandbestandteile Gramnegativer Bakterien.

2. Der septische Schock ist ein lebensbedrohliches Krankheitsbild, bei dem


Bestandteile von Mikroorganismen in die Blutbahn eingeschwemmt werden. Die
dadurch ausgelöste Überreaktion des Immunsystems mit massiver Freisetzung von
Zytokinen verursacht die vielfältigen Symptome des Schocks. Eine frühzeitige
antibakterielle Behandlung und die Sanierung infektiöser Herde sind essenziell.

3. Immunkomplexe sind Antigen-Antikörper-Verbindungen, die, wenn sie nicht


aus dem Plasma eliminiert werden, zu pathologischen Ablagerungen führen können.

4. Viele, z.B. Exantheme bei Röteln, Masern, Scharlach, Syphilis.

5. HPV, HTLV, HBV, HCV, HSV-2, EBV.

18 Infektionen der oberen Atemwege


1. Diagnose

Akute Otitis media.

2. Die häufigsten Pathogene

Haemophilus influenzae und Streptococcus pneumoniae sind die häufigsten


Pathogene bei dieser Erkrankung. Moraxella catarrhalis, β-hamolysierende
Streptokokken der Gruppe A und Staphylococcus aureus sind seltener beteiligt. Die
akute Otits media ist oft Folge einer Infektion der oberen Atemwege. Eine Stauung
in den Eustach’schen Tuben führt zu einem Flüssigkeitsstau im Mittelohr und
sekundärer bakterieller Infektion. Der sich innerhalb der anatomischen Grenzen des
Mittelohrs aufbauende Druck verursacht Schmerzen und kann zur Perforation des
Trommelfells mit eitrigem Ausfluss führen.

3. Behandlung

Die Behandlung sollte mit Antibiotika erfolgen, gewöhnlich oral, es sei denn, das
Kind erbricht. Wahlweise kann Amoxicillin allein oder in Kombination mit einem
Beta-Laktamase-Inhibitor, wie Clavulansäure, verabreicht werden, um den
zunehmenden Anteil von Beta-Laktamase-produzierenden H. influenzae zu
erreichen. Alternativen bieten oral verabreichte aktive Cephalosporine der zweiten
und dritten Generation. Bei erwachsenen Patienten mit einer Penicillinallergie
empfiehlt sich die Behandlung mit Fluorochinolonen, bei Kindern mit neuen
Makroliden mit erhöhter Aktivität gegen H. influenzae.

4. Mögliche Komplikationen

1351
Zu den Komplikationen zählen die akute Mastoiditis, die jedoch seit dem Beginn der
Antibiotikatherapie selten vorkommt, und wiederkehrende Infektionen, die zu
chronischer exsudativer Otitis media (Seromukotympanon) führen, einem weit
häufigeren Problem.

19 Untere Atemwegsinfektionen
1. Differentialdiagnose

In diesem Fall wird der Eindruck einer atypischen Pneumonie vermittelt. Die
Ursachen sind:

■ durch Chlamydien hervorgerufene Infektionen, wie Chlamydophila


pneumoniae (auch als TWAR-Chlamydien bezeichnet) und Chlamydophila
psittaci

■ Mycoplasma pneumoniae

■ Legionella pneumophila.

■ Coxiella burnetii (Q-Fieber)

2. Weitere Fragen, die für die Diagnosestellung relevant sind

■ Welchen Beruf üben Sie aus?

■ Waren Sie in letzter Zeit viel auf Reisen?

■ Besitzen Sie Haustiere und welchen Hobbys gehen Sie nach?

Diese Fragen sind immer wichtig für die Anamnese, können jedoch im Hinblick auf
C. psittaci (Kontakt mit infizierten Vögeln), L. pneumoniae (Air-condition-Systeme)
und C. burnetii (Q-Fieber, Kontakt mit infizierten Schafen/Vieh), besonders relevant
werden.

3. Weitere Untersuchungen

Serologie

■ Nachweis von Mycoplasma pneumoniae

Partikelagglutinationstest (IgM und IgG) und Komplementbindungsreaktion


(KBR) mit gepaarten und Rekonvaleszenzseren, welche im Abstand von 10–14
Tagen gesammelt wurden, oder Test akuter Serumproben, die wenigstens 10 Tage
nach Ausbruch der Erkrankung entnommen wurden. Im Hämatologielabor sollte
auch die Anwesenheit von Kälteagglutininen getestet werden.

■ Nachweis von Chlamydien

Mikroimmunofluoreszenz für typspezifisches IgM/IgG oder ELISA, KBR mit


gepaarten akuten und Rekonvaleszenzseren, die im Abstand von 10–14 Tagen
entnommen wurden, oder Test akuter Serumproben, die wenigstens 10 Tage nach

1352
Ausbruch der Erkrankung entnommen wurden. Die KBR nutzt das
gruppenspezifische Chlamydien-Antigen.

■ Nachweis von L. pneumoniae

Urinprobe für eine Legionella-Antigenprobe, um festzustellen, dass der Nachweis


von Antikörpern weniger sensitiv ist.

■ Nachweis von C. burnetii.

KBR mit gepaarten akuten und Rekonvaleszenzseren, welche im Abstand von 10–
14 Tagen gesammelt wur- den, oder Test akuter Serumproben die wenigstens 10
Tage nach Ausbruch der Erkrankung entnommen wurden. Phase-1-Antikörper
wird bei Infektionen mit chronischem Q-Fieber nachgewiesen. Phase-2-Antikörper
wird bei akuten und chronischen Infektionen mit Q-Fieber festgestellt. Abhängig
von entsprechenden Laboratoriumseinrichtungen kann die Kultivierung von
Chlamydien, Mykoplasma und Legionella versucht werden.

4. Diagnose

Eine Infektion mit Mycoplasma pneumoniae: vierfacher Titer-Anstieg in der KBR,


positiver Titer im Agglutinationstest nach Verdünnung des Serums von 1:1024,
positive Kälteagglutinine.

5. Behandlung

Das Antibiotikum der Wahl ist Erythromycin oder Tetrazyklin.

20 Harnwegsinfektionen
1. Bedeutung der Bakterienzahl

Die Urinprobe des Patienten enthält eine Bakterienzahl von > 105 pro ml Urin. Es
handelt sich um eine signifikante Bakteriurie.

2. Warum wird Urin in der Schwangerschaft auf eine Infektion untersucht?

Schwangere Frauen haben ein erhöhtes Risiko einer Infektion des Urogenitaltrakts,
da sich die Harnleiter unter der Wirkung von Progesteron erweitern. Dadurch
entsteht eine gewisse Stase, welche einer aufsteigenden Infektion von der Blase her
Vorschub leistet. Da die Patientin während der Fühphase der Infektion
asymptomatisch sein kann, ist die Untersuchung des Urins auf eine vorliegende
Infektion nötig.

Für schwangere Frauen mit einer positiven Urinkultur ist das Risiko einer
Pyelonephritis größer. Eine Infektion des Urogenitaltrakts und eine Pyelonephritis
können eine Septikämie hervorrufen, welche wiederum zu vorzeitigen Wehen führen
kann. Deshalb sind sofortige Identifikation und Behandlung von Infektionen des
Urogenitaltrakts in der Schwangerschaft notwendig.

3. Die drei wahrscheinlichsten Ursachen einer Infektion bei dieser Patientin

1353
Unter den koliformen Keimen ist Escherichia coli mit Abstand der häufigste
Erreger, gefolgt von Proteus mirabilis. Andere Gram-negative Stäbchen wie
Klebsiella oder Pseudomonas kommen seltener vor, es sei denn, die Patientin litt an
wiederholten Infektionen oder hatte kürzlich einen instrumentalen Eingriff im
Urogenitaltrakt.

4. Geeignete antimikrobielle Substanzen zur Behandlung dieser Infektion in


der Schwangerschaft

Ampicillin ist ein geeignetes, in erster Linie angewendetes Antibiotikum für


Regionen mit geringer Prävalenz resistenter Escherichia coli.

Eine hohe Prävalenz von resistenten Keimen kann die Behandlung mit oralen Gaben
von Cephalosporin erforderlich machen. Bei Unwohlsein der Patientin und daher
erforderlichen parenteral verabreichten Antibiotika kann Cephalosporin injiziert
werden.

21 Sexuell übertragbare Krankheiten


1. Wahrscheinliche Diagnose

Durch Pneumocystis carinii verursachte Pneumonie (PCP) bei HIV-infizierten


Personen.

2. Weitere Untersuchungen

■ arterielle Blutgasanalyse

■ induziertes Sputum oder Bonchoskopie und bronchoalveolare Lavage für eine


PCP-Untersuchung

■ HIV-1- und HIV-2-Antikörper-Screening-Test: Dieser ist positiv, daher wird


ein weiterer bestätigender Test durchgeführt, der die Gegenwart von Antikörpern
gegen HIV 1 nachweist. Zusätzlich werden Pneumocystis-Zysten zytologisch
nachgewiesen.

3. Behandlung

Die Diagnose sollte einfühlend mit dem Patienten diskutiert und eine weitere
Serumprobe genommen werden, um die Diagnose zu bestätigen. Eine Zweitprobe
sollte immer noch einmal getestet werden, um sicherzustellen, dass keine Irrtümer
während der Probenentnahme, Markierung der Probe, des Versendens oder der
Handhabung im Labor aufgetreten sind. Das Labor sollte das Serum der
Originalprobe getestet und einen Test mit der Restprobe aus dem geronnenes Blut
enthaltenden Originalteströhrchen wiederholt haben.

Die Behandlung von PCP sollte schon nach erstem Verdacht begonnen werden und
besteht in in der Gabe von Sauerstoff und Cotrimoxazol, in schweren Fällen plus
Methylprednisolon. Wenn ein Patient eine Allergie gegen Schwefel-enthaltende
Medikamente wie Cotrimoxazol hat oder entwickelt, sollte eine intravenöse
Pentamidin-Behandlung eingeleitet werden. Der Kliniker richtet sich sowohl nach
den Krankheitsanzeichen als auch nach den Resultaten der Blutgasanalyse.

1354
4. Prognose und Nachkontrolle

Bei dieser Patientin liegt eine AIDS-definierende Diagnose (d.h. PCP) vor. Die
Prognose ihrer Überlebensdauer ist variabel. Eine grundlegende Zählung von CD4
und ein p24-Antigen-Test würden durchgeführt, sowie ein Screening auf Syphyilis
und virale Hepatitis.

Eine regelmäßige PCP-Prophylaxe mit Cotrimoxazol sollte eingeführt und


regelmäßig kontrolliert werden. Die Patientin sollte klinisch überwacht und eine
CD4-Zählung in regelmäßigen Intervallen wiederholt werden. Es sollte auch
diskutiert werden, wann die antiretrovirale Behandlung beginnen sollte.

Andere Kernfragen beinhalten eine Diskussion mit ihrem Partner über einen HIV-
Test, geschützten Geschlechtsverkehr und Familienplanung in Anbetracht schon
vorhandener oder zukünftiger Kinder. Eine Gesundheitsberatung bezüglich weiterer
Aspekte und Folgen im Rahmen ihrer Diagnose sollte arrangiert werden.

22 Gastrointestinale Infektionen (a)


1. Wahrscheinliche Diagnose und Differentialdiagnosen

Die wahrscheinlichste Diagnose ist eine akute Hepatits-B-Infektion. Die


Differentialdiagnosen beziehen Hepatitis A, Hepatitis C, Delta-Hepatitis (als
Hepatitis-B-Coinfektion/Superinfektion), Zytomegaloievirusinfektion (CMV) und
die Epstein-Barr-Virus-Infektion (EBV) mit ein.

2. Untersuchungen

■ Sammeln einer koagulierten Blutprobe für Tests auf Hepatitis-B-


Oberflächenantigen (HBsAg) und Marker einer HBV-Infektion (siehe unten).

■ HBsAg-Test: ELISA oder ähnliche Tests.

■ Anti-HB-Core-IgM.

■ Anti-HB-Core (Gesamt-IgM und -IgG).

■ HBeAg.

Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind wie folgt:

■ der HBsAg positiv (bestätigt durch spezifische Neutralisierung mit einem


HBsAg-Antikörper enthaltenden Immunserum)

■ anti-HBc-IgM positiv

■ anti-HBc gesamt (totales IgM und IgG) positiv.

■ HBeAg positiv.

Diese Resultate entsprechen einer akuten HBV-Infektion. Bei negativer HBsAg-


Probe wird ein Test auf HAV-IgM und HCV-Antikörper durchgeführt. HCV-
Antikörper wären in diesem frühen Stadium nicht mit ELISA nachweisbar, da die

1355
Anti-HCV-Serokonversion nach einer akuten HCV-Infektion für mehrere Monate
verzögert sein kann. Bei klinischer Indikation wird der Test üblicherweise zwei
Monate später wiederholt.

3. Behandlung

■ Wiederholung der HBV-Serologie nach 1, 3 und 6 Monaten, um zu sehen, ob


die Infektion immunologisch beherrscht ist. Wenn HBsAg nach 6 Monaten noch
nachweisbar ist, dann ist dieser Patient ein Hepatitis- B-Carrier (-Träger). Er sollte
regelmäßig nachkontrolliert werden, da diese Patienten eine chronische
HBVInfektion (d.h. chronische aktive Hepatitis, chronische persistente Hepatitis,
heptazelluläres Karzinom) entwickeln können. Es kommt auch vor, dass einige
Patienten von HBeAg-positiv nach anti-HBe-positiv wechseln, andere verlieren ihr
HBsAg und werden anti-HBs-positiv.

■ Dem Patienten ist anzuraten, Alkohol und körperliche Anstrengung zu


vermeiden.

■ Dieser Patient trägt auch das Risiko anderer infektiöser Erkrankungen aufgrund
seines intravenösen Drogenmissbrauchs. Dies sollte mit ihm im allgemeinen
Rahmen einer Gesundheitsberatung diskutiert werden.

4. Kontrolle der Infektion

Eine HBV-Infektion ist nach dem IfSG meldepflichtig. Sexualpartner oder Personen,
mit denen dieser Mann Injektionsnadeln ausgetauscht hat, sollten kontrolliert,
beraten und dringend auf serologische Marker einer abgelaufenen Hepatitis-B
getestet werden. Wenn eine durchgemachte HBV-Infektion nicht nachweisbar ist,
sollte diesen Personen eine Hepatitis-B-Immunisierung zusammen mit einer
Injektion von Hepatitis-B-Hyperimmunglobulin (HBIG) angeboten werden, um eine
HBV-Infektion abzuschwächen, zu modifizieren oder zu verhüten.

22 Gastrointestinale Infektionen (b)


1. Sofortige Behandlung

■ Einweisung in einen Isolierraum auf Station.

■ Blutentnahme zur Untersuchung von Harnstoff und Elektrolyten.

■ Orale Rehydration, es sei denn, dass die Patientin erbricht. In diesem Fall ist
intravenöse Flüssigkeitszufuhr notwendig.

■ Untersuchung einer Stuhlprobe auf Bakterien und Viren.

2. Wahrscheinlichkeit einer durch Viren verursachten Diarrhoe

Die virale Gastroenteritis lässt sich in eine sporadische infantile und in eine
epidemische virale Gastroenteritis unterteilen. Eine Rotavirusinfektion ist die
häufigste Ursache der sporadischen infantilen Gastroenteritis.
Adenovirusinfektionen sind die zweithäufigste Ursache.

3. Diagnose einer Virusinfektion

1356
■ Die Elektronenmikroskopie (Verwendung von Phosphor-Wolfram-Säure als
Kontrastmittel) erlaubt den Nachweis einer Vielfalt von Viren, für die es
gewöhnlich keine spezifischen Tests zum Nachweis des viralen Antigens oder
Antikörper gibt. Unter Routinebedingungen ist diese Methode jedoch nicht
praktikabel.

■ Für den Nachweis einer Rotavirusinfektion gibt es spezifische


Partikelagglutinationstests und Antigen-ELISAs. Diese werden zwar weit
verbreitet angewendet, können aber einige Rotavirusinfektionen verfehlen.

■ In spezialisierten Laboratorien stehen für einige weitere Viren, die mit


Gastroenteritis assoziiert werden, folgende Tests zur Verfügung: ELISAs,
Radioimmunoassays (RIAs) oder Nukleinsäurenachweismethoden.

Im Elektronenmikroskop werden radähnliche, im Durchmesser 65 nm große


Teilchen, für eine Rotavirusinfektion typische Strukturen, diagnostiziert.

4. Natürlicher Verlauf der Infektion

Wenn das Kind dehydriert ist, wird eine Therapie zum Flüssigkeitsersatz notwendig.
Eine spezifische Behandlung für jede durch Viren verursachte Diarrhoe gibt es nicht,
und die Ausscheidung von Rotaviren sollte innerhalb einer Woche zurückgehen.
Flüssigkeiten auf Laktosebasis sollten vermieden werden, da der Verlust der distalen
Darmzotten durch die virale Infektion zu einem Disaccharidasemangel und damit zu
Laktoseintoleranz/Malabsorption führt.

Wichtigste Maßnahmen zur Prävention nosokomialer Infektionen bestehen in der


Isolation des Kindes, weiterhin in der Aufrechterhaltung hoher Hygienestandards,
insbesondere Händewaschen des Personals nach Kontakt mit dem Kind.

23 Intrauterine und perinatale Infektionen


1. (a) Wahrscheinliche Diagnose und mögliche Pathogene

Das Baby ist septikämisch. Es ist am wahrscheinlichsten, dass die für die Septikämie
des Neugeborenen verantwortlichen Pathogene Organismen sind, die über den
Genitaltrakt der Mutter erworben werden. Streptokokken der Gruppe B kommen am
häufigsten vor, aber auch Escherichia coli und Listeria monocytogenes sind
bedeutende Pathogene für diese Altersgruppe.

1. (b) Untersuchung

Sepsis-Parameter müssen untersucht werden. Hierzu gehören insbesondere eine


Blutkultur und eine Liquorpunktion. Ein tiefer Ohrenabstrich und ein Magenaspirat
können für die Identifikation des verantwortlichen Pathogens nützlich sein. Auch ein
Vaginalabstrich der Mutter sollte abgenommen werden.

Eine antimikrobielle Therapie sollte bereits vor den Ergebnissen der Kulturen
begonnen werden. Es gibt mehrere Behandlungsansätze, übliche Kombinationen
sind Cefotaxim und Ampicillin, oder Ampicillin und Gentamicin. Die Anwendung
von Aminoglykosiden erfordert eine sorgfältige Überwachung der Prä- und

1357
Postdosis-Serumkonzentrationen, um die Toxizität zu minimieren. Sobald der
Erreger identifiziert ist, kann die Antibiotikabehandlung gezielt erfolgen.

Streptokokken der Gruppe B wurden aus der Blutkultur des Neugeborenen isoliert
und es wurde mit intravenös verabreichtem Benzylpenicillin und Gentamicin
behandelt.

1. (c) Risikofaktoren in der mütterlichen Anamnese

■ Frühzeitiger Blasensprung – Ja.

■ Pyrexie der Mutter – Nein.

■ Lange und schwere Geburt – Ja.

2. Eine Rötelninfektion der Mutter in den ersten 16 Wochen einer


Schwangerschaft führt fast immer zu einer Schädigung der Frucht, weil sich in
dieser Zeit Herz, Hirn, Ohren und Augen ausbilden.

3. B – HTLV-1

4. C – Röteln

24 ZNS-Infektionen
1. Dringende Untersuchungen

Computergesteuerte Tomographie (CT) vom Kopf des Patienten mit folgender


Lumbalpunktur, wenn das CT keinen erhöhten intrakranialen Druck zeigt.

2. Diagnose

Es ist wichtig, Folgendes auszuschließen:

■ eine subarachnoidale Hämorrhagie

■ eine subdurale Hämorrhagie (beide sind unwahrscheinlich in Abwesenheit von


Erythrozyten und bei xanthochromer Erscheinung im CSF)

■ eine raumgreifende kraniale Läsion inklusive eines zerebralen Abszesses

■ metabolische Ursachen von Krämpfen und Meningitis.

Die Darstellung und Resultate entsprechen eher einem enzephalitischen Prozess.


Zu den häufigsten Erregern einer viralen Enzephalitis zählen das Herpes-simplex-
Virus (HSV), Mumps und Enteroviren. Bei einer genaueren klinischen
Untersuchung wurden Ulzerationen an den Genitalien festgestellt.

3. Behandlung und Management

Es liegen ausreichende Hinweise auf eine HSV-Infektion als Ursache der


Enzephalitis vor. Deshalb sollte umgehend eine intravenöse Behandlung mit
Aciclovir gemeinsam mit weiteren symptomatischen Maßnahmen eingeleitet

1358
werden. Um einem Rückfall vorzubeugen, muss der Patient mindestens zwei
Wochen lang mit Aciclovir behandelt werden. Die Beobachtung diffuser langsamer
Amplituden auf dem Elektroenzephalogramm (EEG) wäre eine weitere Hilfe für die
Diagnose. Ein Genitalabstrich sollte für die Virusisolation entnommen und Liquor
kultiviert werden (auch wenn die Isolation von HSV aus Liquor äußerst
ungewöhnlich ist). Der Virus-Nukleinsäurenachweis mittels PCR ist heute die
diagnostische Methode der Wahl bei V.a. HSV-Enzephalitis.

25 Augeninfektionen
1. Choroidoretinitis-assoziierte Infektionen

Zytomegalievirus (CMV), Toxoplasma gondii, Toxocara (canis oder catis),


Mycobacterium tuberculosis, oder akute Nekrose der Retina, für die ein
Zusammenhang mit dem Varicella-Zoster-Virus angenommen wird.

2. Wie würden Sie die Diagnose stellen?

Die Diagnosestellung erfolgt fast immer klinisch und wird mit der Unterstützung
eines Ophthalmologen durchgeführt. Bei einem solchen Patienten kann sich die
Differenzierung zwischen Toxoplasma und CMV manchmal als schwierig erweisen.
Die durch CMV verursachte Retinitis präsentiert mitunter ein klassisches
Erscheinungsbild, welches an Ketchup und Hüttenkäse erinnert!

Serologische Untersuchungen können für die Diagnose einer Toxoplasmainfektion


hilfreich sein. Zusätzlich wird in einigen Zentren Glaskörperflüssigkeit des
betroffenen Auges entnommen. Der Nachweis von CMV-DNA in einer solchen
Probe kann mit einer PCR (evtl. nested, d.h. in zwei Schritten mit einem Set innerer
Primer, zur Erhöhung der Sensitivität) durchgeführt werden.

3. Behandlung der CMV-Retinitis

Die Therapie beginnt mit der intravenösen Verabreichung von Ganciclovir.


Aufgrund der myelosuppressiven Wirkung des Medikaments müssen während der
Behandlungsdauer Hämoglobin, die Anzahl der weißen Blutkörperchen und die
Blutplättchenzahl überwacht werden. Wird eine Suppression des Knochenmarks
beobachtet, bietet Foscarnet (nephrotoxisch!) eine Alternative. Am besten ist ein
permanenter intravenöser Zugang, da der Patient neben den ophthalmologischen
Kontrollen zum Nachweis und zur Verhütung einer Reaktivierung eine
Erhaltungstherapie mit einem dieser Medikamente benötigt.

26 Infektionen von Weichteilen und Knochen


(a)

1. Differentialdiagnosen

Infektiöse Mononukleose, gewöhnliche Streptokokkenangina, CMV-Infektion,


Angina Plaut-Vincenti

2. Diagnostik

1359
■ Laborwerte: Blutbild mit Leukozytose und 40–90% mononukleären Zellen
sowie Reizformen der Lymphozyten bei infektiöser Mononukleose

■ spezifische Antikörperbestimmung im Serum

3. Interpretation

Frische EBV-Infektion

4. Komplikationen

Arzneimittelexanthem bei Gabe von Aminopenicillinen, Milzschwellung, selten


Milzruptur

5. Körperliche Schonung

(b)

1. Wahrscheinliche Diagnose

Die wahrscheinliche Diagnose ist eine akute Osteomyelitis. Diese kann bei Kindern
dieses Alters durch ein vorangegangenes leichtes Trauma verursacht worden sein.
Die Diagnose kann schwierig sein, besonders dann, wenn Symptome wie z.B.
Erbrechen einen großen Teil der Erkrankung ausmachen.

2. Untersuchungen

Folgende Untersuchungen sollten durchgeführt werden:

■ komplettes Blutbild

■ Blutkulturen

■ Röntgen der betroffenen Bereiche

Bei akuter Osteomyelitis hinken radiographische Veränderungen dem klinischen


Bild gewöhnlich hinterher. In solchen Fällen ist Staphylococcus aureus das häufigste
Pathogen.

3. Behandlung

Solange die Resultate aus Kulturen noch ausstehen, sollte die Therapie mit
intravenösen Gaben von einem S.-aureus-wirksamen Cephalosporin und
Clindamycin (oder mit anderer äquivalenter Anti-Staphylokokken-Behandlung)
begonnen werden. Ferner können intravenös Flüssigkeit und nasogastrische
Aspiration eingeleitet werden.

Durch Schienung wird die Gliedmaße immobilisiert, Traktion reduziert den


Schmerz. Falls angebracht, kommen auch Schmerzmittel und fiebersenkende Mittel
zur Anwendung. Wenn die Temperatur des Patienten nicht sinkt, wird die operative
Drainage von Eiter notwendig. Jede gewonnene Eiterprobe sollte in ein
mikrobiologisches Labor zwecks Kultivierung eingeschickt werden.

(c)

1360
1. Differentialdiagnose

■ Roseola infantum (auch Exanthem subitum genannt) durch das humane


Herpesvirus 6 (HHV 6) hervorgerufen.

■ Enterovirale Infektionen (d.h. durch Echoviren, Coxsackieviren).

■ Parvo- bzw. Erythrovirus B19 ist unwahrscheinlich, da sich hierbei das


klassische Bild mit roten, geschlagen aussehenden Wangen und feinem Ausschlag
präsentiert.

■ Masern und Röteln sind aufgrund des klinischen Bildes und einer aktuellen
Immunisierung der Patientin unwahrscheinlich.

2. Untersuchungen

■ Entnahme eines Halsabstrichs und einer Stuhlprobe für die Isolierung von
Viren, insbesondere der Enteroviren.

■ Serumprobe für folgende Tests: HHV-6-IgM, Erythrovirus-B19-IgM, Masern-


spezifisches IgM, Röteln-spezifisches IgM und Enterovirus-spezifisches IgM.

Ihr Fieber ließ im Verlauf von 3 Tagen nach und HHV-6-spezifisches IgM wurde in
Serumproben nachgewiesen.

27 Von Vektoren übertragene Infektionen


1. (a) Differentialdiagnose

Malaria, virales hämorrhagisches Fieber und Typhus. Bei Patienten, die häufig in
Gebiete wie Sierra Leone (Westafrika) reisen und dieses klinische Bild 3 Wochen
nach der Rückkehr entwickeln, muss das Risiko eines vorliegenden
hämorrhagischen Fiebers in Betracht gezogen werden. Dies ist wichtig, da diese
Patienten in eine Kategorie des Verdachts auf minimales, moderates, oder starkes
Erkrankungsrisiko eingeordnet werden. In Abhängigkeit von der Risikobewertung
wird der Patient auf eine entsprechende Isolierstation eingewiesen. Dieser Patient
wurde mit einem mittleren Risiko eingestuft und die Einweisung in eine
Hochsicherheits-Isolierstation veranlasst, wo er untersucht und behandelt werden
konnte. Alle Individuen, die mit ihm in engen Kontakt kommen, gelten ebenfalls als
Risikopersonen und sollten nur unter Vorsichtsmaßnahmen kontaktiert werden.

1. (b) Sofortige Untersuchungen

Nach der Einweisung des Patienten auf die Isolierstation mit besonderen
Sicherheitsvorkehrungen, auf der sich auch ein eigenes Blutlabor befindet, sollten
folgende Untersuchungen durchgeführt werden: ein komplettes Blutbild inklusive
Zählung der Differenzialzellen, Blutausstrich, Dicker Tropfen, Blutharnstoff,
Elektrolyte und Glukose, ein Elektrokardiogramm (EKG), eine Mittelstrahlurinprobe
(MSU), Entnahme von Stuhlund Blutkulturen.

In diesem Fall zeigte das Blutprofil eine hämolytische Anämie, Leukopenie und
einen leicht erniedrigten Blutplättchengehalt. Der Blutausstrich stellte normal große,

1361
mehrfach infizierte Erythrozyten dar, von denen etwa 10% schwach gefärbte
Ringformen aufwiesen (Malaria-Trophozoiten). Damit wurde eine Malaria tropica
durch Plasmodium falciparum diagnostiziert.

Eine Serumprobe sollte auch auf Arboviren serologisch untersucht werden, da


Individuen aus endemischen Gebieten gleichzeitig an zwei Infektionen erkrankt sein
können.

1. (c) Behandlung

Die Behandlung umfasst die symptomatische Pflege und eine Therapie mit
intravenös verabreichtem Chinin. Hämatologie und biochemische Parameter sollten
überwacht werden, besonders der Grad der Parasitämie hinsichtlich der Reaktion auf
die Behandlung, sowie Blutglukose und renale Funktion.

Bei diesem Patienten, der sich ohne Zwischenvorkommnisse erholte, wurde eine
Chloroquin-resistente Malaria tropica festgestellt.

2. D– Lyme-Krankheit

3. A – Lymphatische Filariose

4. E – Die Parasiten entwickeln sich zuerst in der Leber.

28 Multisystemische Zoonosen
1. D – Brucellose

29 Fieber unbekannter Ursache (FUO)


1. Wahrscheinliche Diagnose und weitere wichtige Untersuchungen

Vermutlich leidet diese Patientin an einer infektiösen Endokarditis. Sie hat eine
künstliche Aortenklappe, was die Diagnose sehr wahrscheinlich macht, besonders
bei bestehendem Fieber und Herzgeräuschen. Unter diesen Umständen sind
Blutkulturen zwecks Identifizierung des verantwortlichen Pathogens wichtig.
Mindestens drei Blutkulturen sollten zu verschiedenen Zeitpunkten angelegt werden,
um größtmögliche Chancen für eine Isolation der Organismen zu gewährleisten.

Ein Echokardiogramm wird empfohlen, welches am empfindlichsten ist, wenn es


transösophageal durchgeführt wird. Die Präsenz von Wucherungen in der
echokardigraphischen Darstellung ist diagnostisch, jedoch schließt seine
Abwesenheit die Diagnose nicht aus.

2. Häufigstes Pathogen

Streptokokken, meist vom Viridans-Typ und Bestandteil der normalen Mundflora,


sind die häufigsten Erreger der Endokarditis. Mit der wachsenden Zahl
herzchirurgischer Eingriffe für Klappenersatz haben beide Staphylokokkenarten,
Staphylococcus aureus und Koagulase-negative Staphylokokken (KNS), an
Bedeutung gewonnen. KNS sind speziell mit der Endokarditis der
Herzklappenprothese assoziiert. Noch viele andere Organismen werden in

1362
ursächlichen Zusammenhang mit Endokarditis gebracht. Zu ihnen zählen einige
anspruchsvolle Gram-negative Stäbchen und, eher ungewöhnlich, Pilze.

Die Mehrzahl der Endokarditisfälle wurde früher auf eine rheumatische Erkrankung
der Herzklappen als Folge rheumatischen Fiebers zurückgeführt. Die mit
Herzklappenprothesen assoziierten Fälle nehmen zu und Staphylokokken sind die
wichtigsten Organismen dieser Patientengruppe. Eine Infektion kann während des
chirurgischen Eingriffs erworben werden, ist in den ersten postoperativen Monaten
präsent und manifestiert sich gewöhnlich innerhalb weniger Wochen. Wie in
vorliegendem Fall kann sie auch später auftreten. Hier handelt es sich um die
Besiedelung einer Herzklappe im Rahmen einer Bakteriämie. In dieser
Patientengruppe können die klassischen Zeichen einer Endokarditis fehlen, ihre
Präsentation aber viel akuter sein.

Die Blutkulturen dieser Patientin zeigten in allen drei Testreihen Staphylococcus


aureus.

3. Wichtige Komponenten der Behandlung

Wesentlich ist, dass schon zu einem frühen Zeitpunkt ein Internist, ein Chirurg und
ein Mikrobiologe involviert sind. Die chirurgische Entfernung einer infizierten
Herzklappe ist meist notwendig. Derartige Entscheidungen werden am besten
innerhalb eines multidisziplinäres Teams getroffen.

4. Mögliche Komplikationen

Die häufigsten Komplikationen sind Abszesse innerhalb der Herzklappe und des
Endokards. Durch Embolisierung infizierten Gewebes linker Herzklappen kann es
zu zerebralen, renalen oder, eher selten, zu Knochenabszessen kommen.

5. Richtlinien zur Risikominderung der Erkrankung

Es existieren Richtlinien von verschiedenen Fachgesellschaften über die Anwendung


von antimikrobieller Prophylaxe vor zahnärztlicher Behandlung und anderen
Eingriffen.

Obwohl nur geringe Beweise vorliegen, dass die Mehrheit der Endokarditisfälle auf
zahnärztliche Behandlung zurückgehen, kamen in Großbritannien Fälle vor Gericht,
als ein Zahnarzt versäumte, bei Patienten mit einem Risiko für Endokarditis
prophylaktische Maßnahmen anzuwenden.

30 Infektionen bei Immunschwäche


1. Häufigste Diagnose und diagnostische Tests

Eine Infektion mit Cryptococcus neoformans (Mykose) ist die häufigste Diagnose.
Das Serum kann unmittelbar auf Kryptokokken-Antigen getestet und Tuschefärbung
mit Liquorsediment durchgeführt werden. Mit dem Latexteilchen-Agglutinationstest
ist ein schneller Nachweis von Kryptokokken-Antigen in Liquor und Serum
möglich.

2. Andere bestätigende Untersuchungen

1363
Kulturen von C. neoformans zusammen mit antimykotischen Empfindlichkeitstests.
Kryptokokken-Antigen wurde in Serum und Liquor nachgewiesen, und bekapselte
Hefezellen waren im Liquor sichtbar.

3. Behandlung

■ Abhängig vom klinischen Bild schließt die Behandlung Antiemetika,


Analgetika und intravenöse Verabreichungen von Amphotericin B (mit oder ohne
5-Flucytosin) und Fluconazol ein.

■ Fortsetzung der Erhaltungstherapie mit Fluconazol, um Rezidive nach der


Genesung zu vermeiden.

■ Es ist zu bedenken, dass für diesen Patienten gegenwärtig zwei AIDS-


definierte Diagnosen vorliegen, was prognostische Implikationen mit sich bringt.

■ Monatliche Wiederholung der Kryptokokken-Antigentests über 6 Monate,


gleichfalls, wenn der Patient symptomatisch ist. Lumbalpunktionen können nach 1
und 6 Monaten wiederholt werden, um die Genesung zu überwachen.

31 Strategien zur Infektionskontrolle – eine


Einführung
1. Hohe Spezifität, geringe Toxizität, lang andauernde Wirkung, kurze
Behandlungszeit bei Impfstoffen. Geringe Spezifität, u.U. hohe Toxizität, längere
Behandlungsdauer bei antimikrobiellen Chemotherapeutika.

2. D– Pandemie

3. A – die maximale Reproduktionsrate eines infektiösen Organismus

4. C – Masern werden durch eingeatmete Tröpfchen übertragen.

5. B – Masern

6. E – Alle

32 Diagnose von Infektionen und Beurteilung der


Abwehrlage
1. Steril: Liquor, tiefe Atemwege, Gewebe kommensale Besiedlung: Haut,
Rachen, Darm

2. a) Urin

b) Liquor

c) Blutkultur

d) Blut

1364
3. Antikörper werden im Serum bestimmt. Zur Interpretation der Testergebnisse
bzw. zur Bestimmung des Infektionszeitpunktes ist die Untersuchung von zwei im
Abstand von 10–14 Tagen entnommenen Serumproben erforderlich.

4. a) kulturelles Ergebnis nach > 18 h

b) Mikroskopie und Antigennachweis mittels Latexagglutination innerhalb von 30


min

c) Identifizierung und Empfindlichkeitsbestimmung nach > 36h

33 Antimikrobielle Wirkstoffe und Chemotherapie


1. Hauptklassen der Antibiotika

Die Hauptklassen antibiotischer Substanzen (mit Beispielen) sind:

■ Inhibitoren der Zellwandsynthese (Penicilline, Cephalosporine, Glykopeptide)

■ Inhibitoren der Proteinsynthese (Aminoglykoside, Tetrazykline,


Chloramphenicol, Makrolide, Lincosamide, Streptogramine, Oxazolidinone,
Fusidinsäure)

■ Inhibitoren der Nukleinsäuresynthese (Fluorochinolone, Rifampicin,


Sulfonamide, Trimethoprim, Cotrimoxazol)

■ Inhibitoren der zytoplasmatischen Membranfunktion (Polymyxine)

2. Resistenzmechanismen gegen Antibiotika

■ Die Angriffsstelle ist möglicherweise verändert (veränderte Zellwand,


Methicillinresistenz).

■ Der Zugang zur Zielstruktur kann sich aufgrund veränderter Aufnahme oder
erhöhter Abgabe (Tetrazyklin-Efflux) geändert haben.

■ Es könnten Enzyme produziert werden, die antibakterielle Agenzien


modifizieren oder zerstören (Beta-Laktamasen, Aminoglykoside modifizierende
Enzyme).

3. Selektive Toxizität

Wie ihr menschlicher Wirt sind auch Pilze und Parasiten Eukaryonten. Deshalb sind
selektive Angriffsstellen schwieriger zu lokalisieren und zu beeinflussen. Viren
stellen ein ähnliches Problem dar, da sie keine eigene zelluläre Struktur besitzen.
Um eine Zelle befallen und sich zu vermehren zu können, müssen sie die
Ressourcen (Enzyme etc.) der Wirtszelle benutzen.

34 Impfungen
1. C – Unfähig, erneut virulent zu werden (Reversion nicht möglich)

1365
D– Sicherer als Lebendvakzine

2. A – Inaktivierte Vakzine

E – Tetanusimpfung

F – DNA-Vakzine

3. B – Zur Eliminierung der Infektion nötiger Impfschutz

D– Kritischer Wert, ab dem eine Infektion nicht mehr übertragen wird, weil in der
Bevölkerung zu wenig Menschen anfällig sind

4. A – Bevölkerungsdichte

B – Fähigkeit der Vakzine, eine angemessene Immunreaktion zu induzieren

35 Passive und unspezifische Immuntherapie


1. A – den diaplazentaren Übertritt von mütterlichem IgG

C – die Injektion von humanem Rekonvaleszenten-Immunglobulin

2. C – eine kurzzeitige Neutralisierung von Tetanustoxin

D– in einigen Fällen Überempfindlichkeitsreaktionen (Serumkrankheit)

3. A – als scFv auf der Oberfläche von Bakteriophagen

C – als VH auf der Oberfläche von Bakteriophagen

4. C – ein potenziell wertvoller Bestandteil der Hepatitis-BTherapie

36 Nosokomiale Infektionen, Sterilisation und


Desinfektion
1. Häufige Ursachen postoperativer Infektionen und Schritte zur
Reduzierung dieser Probleme

Die häufigste Ursache einer postoperativen Pyrexie ist eine Wundinfektion. Auch
Infektionen des Respirationstraktes und der Harnwege führen zu fieberhaften
Erkrankungen. Infektionen im Brustkorb treten besonders häufig nach abdominalen
Operationen auf, da Schmerzen das (Ab-)Husten beschwerlich machen.
Harnwegsinfektionen sind oft Folge der Katheterisierung. Zu den nichtinfektiösen
Ursachen postoperativer Pyrexie zählt die tiefe Venenthrombose.

Wundinfektionen nach chirurgischen Eingriffen werden durch eine


Antibiotikaprophylaxe wesentlich reduziert. Sie sollte gegen die häufigsten
Pathogene, die im Rahmen einer bestimmten Operation auftreten können, effektiv
sein.

2. Untersuchungen

1366
Es ist wichtig, den Wundverband zu entfernen, so dass die Wunde untersucht und
ein Abstrich entnommen werden kann. Ebenso sollten eine Sputum- und eine
Urinkultur angelegt werden. Liegt ein klinischer Beweis einer Infektion des
Respirationstraktes vor, ist eine Röntgenaufnahme des Thorax erforderlich.

Die Wunde des hier beschriebenen Patienten ist gerötet und sondert am unteren
Rand kleine Mengen Eiter ab. Staphylococcus aureus lässt sich aus einem
Wundabstrich kultivieren.

3. Behandlung

Anfangs wird der Patient mit einem S.-aureus-wirksamen Cephalosporin behandelt.


Die Ergebnisse eines antimikrobiellen Empfindlichkeitstests liegen am folgenden
Tag aus dem Labor vor. Der Erreger erweist sich als resistent gegenüber Beta-
Laktam-Antibiotika und wird daher als Methicillin-resistenter Staphylococcus-
aureus-oder MRSA-Stamm bezeichnet.

Der Patient muss isoliert untergebracht werden. Das Personal muss auf das Risiko,
den Erreger an den Händen tragen und übertragen zu können, hingewiesen werden.
S. aureus kommt an zahlreichen Körperregionen vor: der Nase, den Haaren, unter
den Achseln, an Handgelenken und Händen und im Bereich des Perineums. Bei
diesem Patienten müssen Abstriche aus der Nase entnommen werden.

Die Trägerrate ist in Krankenhäusern höher als unter der Bevölkerung. Es kann zu
einem MRSA-Ausbruch auf der Krankenstation kommen, denn der Erreger überlebt
in trockener Umgebung.

In diesem Fall sind Haut und Nase des Patienten die wahrscheinlichste Quelle für
MRSA. Um die Wahrscheinlichkeit einer Verbreitung von MRSA zu reduzieren,
sollten folgende Maßnahmen befolgt werden:

■ Isolierung des Patienten

■ Sorgfältige Wundverbandtechnik

■ Gründliches Händewaschen des Personals, das mit dem Patienten zu tun hat.

Zusätzlich sollte der Patient mit einem MRSA-wirksamen Antibiotikum behandelt


werden. Bei Verwendung von Vancomycin muß die Serumkonzentration überwacht
werden

(Mims et al.. Medizinische Mikrobiologie – Infektiologie, 2.A.. Elsevier GmbH, Urban &
Fischer Verlag 40).

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