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978-3-437-41272-1
Zuschriften und Kritik an:
Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag, Lektorat Medizinstudium, Karlstraße 45, 80333
München medizinstudium@elsevier.de
Titel der Originalausgabe:
Medical Microbiology. Third Edition by
Mims/Dockrell/Goering/Roitt/Wakelin/Zuckerman. ISBN 0-7234-3259-7 MOSBY
An imprint of Elsevier Limited.
© 2004, Elsevier Science Limited. All rights reserved.
The right of C. Mims, H. Dockrell, R. Goering, I. Roitt, D. Wakelin and M. Zuckerman to
be identified as authors of this work has been asserted by them in accordance with the
Copyright, Designs and Patents Act 1988.
Diese Ausgabe wird mit Lizenz von Elsevier Science Limited herausgegeben und wurde
im Auftrag der Elsevier GmbH, München, übersetzt. Für die korrekte Übersetzung ist
allein die Elsevier GmbH, München, verantwortlich und nicht Elsevier Science Limited.
Wichtiger Hinweis für den Benutzer
2
Die Erkenntnisse in der Medizin unterliegen laufendem Wandel durch Forschung und
klinische Erfahrungen. Herausgeber und Autoren dieses Werkes haben große Sorgfalt
darauf verwendet, dass die in diesem Werk gemachten therapeutischen Angaben
(insbesondere hinsichtlich Indikation, Dosierung und unerwünschter, Wirkungen) dem
derzeitigen Wissensstand entsprechen. Das entbindet den Nutzer dieses Werkes aber nicht
von der Verpflichtung, anhand der Beipackzettel zu verschreibender Präparate zu
überprüfen, ob die dort gemachten Angaben von denen in diesem Buch abweichen, und
seine Verordnung in eigener Verantwortung zu treffen.
Wie allgemein üblich wurden Warenzeichen bzw. Namen (z.B. bei Pharmapräparaten)
nicht besonders gekennzeichnet.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter
http://dnb.ddb.deabrufbar.
Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2006
© Elsevier GmbH, München
Der Urban & Fischer Verlag ist ein Imprint der Elsevier GmbH.
07 08 09 10 5 4 3 2 1
Copyright in Bezug auf das verwendete Bildmaterial: Elsevier Science Limited, falls nicht
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Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,
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elektronischen Systemen.
Um den Textfluss nicht zu stören, wurde bei Patienten und Berufsbezeichnungen die
grammatikalisch maskuline Form gewählt. Selbstverständlich sind in diesen Fällen immer
Frauen und Männer gemeint.
Planung und Lektorat: Dipl.-Biol. Susanne Szczepanek, Inga Dopatka
Redaktion: Dr. Eva-Maria Jacob, Silke Chavez
Herstellung: Peter Sutterlitte
Satz: Kösel, Krugzell
Druck und Bindung: Neografia a.s., Bratislava, Slovakia
Umschlaggestaltung: SpieszDesign, Neu-Ulm
Titelfotografie: © picture-alliance/dpa/Hans-Ulrich Osterwalder
Gedruckt auf Nopacoat Edition 90 g, 1,1faches Volumen
ISBN 3-437-41272-8
ISBN 978-3-437-41272-1
Aktuelle Informationen finden Sie im Internet unter www.elsevier.de und
www.elsevier.com
3
Vorspann
Eine zeitgemäße Einführung in die Mikrobiologie
Teil 1 Mikroorganismen – die Vielfalt
1 Mikroorganismen als Parasiten
2 Bakterien
3 Viren
4 Pilze
5 Protozoen
6 Helminthen und Arthropoden
7 Prionen
8 Parasiten-Wirt-Beziehung
Teil 2 Das Immunsystem
9 Das angeborene Immunsystem
10 Erworbene Immunreaktionen
11 Zelluläre Grundlagen erworbener
Immunreaktionen
Teil 3 Infektionen und Infektionsabwehr
12 Wechselwirkungen zwischen Erreger und Wirt
13 Ein- und Austrittspforten, Übertragungswege
14 Aktivierung der Immunabwehr
15 Ausbreitung und Replikation
16 Überlebensstrategien von Parasiten und
persistierende Infektionen
17 Pathologische Folgen von Infektionen
Teil 4 Infektionen der einzelnen Organsysteme
Klinik (Krankheitsbilder)
Da mindestens 150 verschiedene infektiöse Erkrankungen zu beschreiben sind, ist eine
systematische Einteilung unverzichtbar. In Kapitel 18–26 werden Infektionen nach den
Körper-/Organsystemen klassifiziert, die klinisch als Erste betroffen sind. So lösen
Rhinoviren z.B. vor allem Infektionen der oberen Atemwege (Schnupfen) aus. Bei einer
bakteriellen Dysenterie oder Amöbenruhr handelt sich um eine gastrointestinale Infektion.
Für andere Infektionen ist typisch, dass sie bevorzugt bestimmte Körperbereiche
schädigen, obwohl sie sich auch auf andere ausweiten können. Entsprechend dem
primären Ort der Infektion wird daher die Tuberkulose in Kap. 19 (Infektionen der
unteren Atemwege) und Typhus in Kap. 22 (gastrointestinale Infektionen) berücksichtigt.
Wenn Erreger in derselben Weise (d.h. unter bestimmten Umständen oder bei besonderen
Aktivitäten) übertragen werden, können sie auch unter dem Aspekt zusammengefasst
werden, selbst wenn mehrere Organsysteme betroffen sein sollten. Syphilis und AIDS
werden daher in Kap. 21 (sexuell übertragbare Krankheiten) und Röteln in Kap. 23 (prä-
und perinatale Infektionen) behandelt.
4
Der Organsystem-bezogene Ansatz ist insofern sinnvoll, als er Infektionen durch
unterschiedliche Erreger aufgrund der klinischen Syndrome, die sie hervorrufen, mit
einschließt. Doch wie bei jedem Klassifikationssystem gibt es auch hier Grauzonen und
Überschneidungen. Zur Klärung von mehrdeutigen Fällen dürfte die Übersicht über die
wichtigsten Infektionserreger im Anhang beitragen.
In Kapitel 27 und 28 geht es um Infektionen, die sich nicht ohne weiteres zuordnen
lassen. Dazu gehören Multisysteminfektionen (die ganz offensichtlich nicht in einzelne
Bereiche einzuordnen sind); sie können oft auch auf mehr als einen Wirt übertragen
werden, z.B.:
■ durch Vektoren (meist Arthropoden) von Mensch zu Mensch; ihre Verbreitung hängt
von günstigen klimatischen und ökologischen Bedingungen und ausreichend
vorhandenen Vektoren ab (s. Kap. 27);
■ direkt von Wirbeltieren auf Menschen; in dem Fall spricht man von Zoonosen (s. Kap.
28). Ihr Vorkommen kann stark beschränkt (Rocky Mountain Spotted Fever) oder weit
verbreitet sein (Q-Fieber, Leptospirose).
Schließlich ergeben sich aufgrund der Klinik noch zwei weitere Eingruppierungen:
Infektionen, die
■ mit Fieber unbekannter Ursache (s. Kap. 29) und
■ Immunschwäche (s. Kap. 30) einhergehen.
Letztere Kategorie wird zunehmend wichtiger, weil bei zahlreichen Patienten die
Abwehrkräfte durch Krankheit (zystische Fibrose, Diabetes mellitus), Infektion (AIDS),
immunsuppressive Therapie (nach Transplantationen) oder wegen anderer Ursachen (z.B.
Verbrennung, Katheterisierung) geschwächt sind.
5
25 Augeninfektionen
26 Infektionen von Weichteilen und Knochen
27 Von Vektoren übertragene Infektionen
28 Multisystemische Zoonosen
29 Fieber unbekannter Ursache (FUO)
30 Infektionen bei Immunschwäche
Teil 5 Diagnostik, Prävention, Hygiene
31 Strategien zur Infektionskontrolle – eine
Einführung
32 Diagnose von Infektionen und Beurteilungder
Abwehrlage
33 Antimikrobielle Wirkstoffe und Chemotherapie
34 Impfungen
35 Passive und unspezifische Immuntherapie
36 Nosokomiale Infektionen, Sterilisation und
Desinfektion
Anhang
Pathogene im Überblick
Antworten
Register
6
Vorspann
Mit Beiträgen von
Roy M. Anderson FRS, Linacre Professor and Head of Department
Director of Wellcome Trust Centre for Epidemiology of Infectious Disease
Department of Zoology ,University of Oxford
Oxford, UK
Gillian Urwin MSc MB BS MRCPath
Consultant Microbiologist, Department of Microbiology
Essex Rivers Healthcare NHS Trust
Colchester, UK
John Playfair MB BChir PhD DSc
Emeritus Professor
Department of Immunology
University College and Middlesex School of Medicine
London, UK, Rosamund Williams PhD FRCPath
Division of Emerging and other Communicable Diseases, Surveillance and Control
World Health Organization
Geneva, Switzerland
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Das Lehrbuch Medizinische Mikrobiologie • Infektiologie von Cedric Mims et al.
erarbeitet die komplexen Inhalte des Fachgebietes mit einer vollkommen anderen
Herangehensweise als die klassischen Lehrbücher der medizinischen Mikrobiologie: Im
Vordergrund dieses Buches steht der Konflikt zwischen Wirt und Parasit. Die
verschiedenartigen Prozesse im Verlauf einer Infektion werden auf immunologischer und
mikrobiologischer Ebene anschaulich dargestellt und diskutiert. Das Verständnis von
Pathogenese und Ätiologie von Infektionskrankheiten ist den Autoren hierbei besonders
wichtig. Die einzelnen Kapitel sind deshalb nicht – wie in den meisten deutschen
Lehrbüchern – erregerbezogen aufgebaut, sondern nach Organsystemen und spezifischen
Krankheitssymptomen gruppiert.
Am Ende jedes Kapitels finden sich fallbezogene Fragen zum Kapitel, und der Kasten
„Zusammenfassung“ bietet eine Zusammenfassung der wichtigsten Informationen.
Eingestreut in die Kapitel sind die Kästen „Geschichte der Mikrobiologie“. Diese
betrachten zum Beispiel historische oder epidemiologische Aspekte des behandelten
Themas. In Anhang des Buches sind die Antworten auf die Fragen zu finden sowie ein
Übersicht über alle Pathogene.
Die deutsche Ausgabe wurde durch einige länderspezifische Angaben modifiziert,
beispielsweise wurden die Impfempfehlungen der STIKO am RKI aufgenommen. Ebenso
finden die derzeit in Deutschland gültigen Empfehlungen zur antimikrobiellen Therapie
Berücksichtigung.
Allein mithilfe antimikrobieller Chemotherapeutika können Infektionskrankheiten
weltweit nicht eradiziert werden. Gründe dafür sind unter anderem zunehmende
Resistenzentwicklung und auch ressourcenbedingter Mangel an Medikamenten, zum
Beispiel in den Entwicklungsländern. Das Wissen um klinisch-infektiologische
Zusammenhänge ist ein wichtiger Pfeiler in jeder medizinischen Disziplin und
gewährleistet sinnvolle diagnostische und therapeutische Maßnahmen. Das vorliegende
Buch soll sowohl für Studenten der klinischen Semester als auch für infektiologisch
interessierte Ärzte Unterstützung im Verständnis infektiologischer Krankheitsbilder
bieten.
Leipzig 2006
Grit Ackermann
7
Vorwort der englischen Ausgabe
The third edition of Medical Microbiology keeps to the pattern of earlier editions,
focusing on the conflict between host and parasite. It has been extensively updated, with
improved layout and illustrations, but the basic principles and the central role of
immunology have not changed. It continues to be clinically oriented.
This time we are privileged to have Richard Goering as a major author, and as a result the
book is now more closely adapted to the curriculum and needs of American students. We
also welcome Hazel Dockrell (immunology) and Mark Zuckerman (virology) as principal
authors. Rosamund Williams and John Playfair, who played such a major part in earlier
editions, have relinquished their roles as main authors, and we gratefully acknowledge
their contributions.
Medical school curricula are changing, and often microbiology is no longer taught as a
separate discipline but is integrated with pathology, immunology and clinical studies.
Organ-based infectious disease themes are becoming popular. There is nevertheless a need
for a foundation text such as this one. The system-based treatment is retained and for
ready reference details about each microbe are included in a ‘Pathogen Parade’ at the end
of the book.
The number of fully sequenced microbes increases inexorably, and we are beginning to
understand how a given gene product contributes to disease and pathogenicity. Wherever
possible we have referred to the molecular basis for microbial pathogenicity and disease.
Each chapter ends with Key Facts and Questions (mostly case-based, in USMLE format),
and chapters now have a ‘Lessons in Microbiology’ drawer to flesh out the subject with
historical, epidemiological, or other aspects of the subject.
We believe Medical Microbiology continues to give students a readable, exciting and
informative insight into the causation, diagnosis, prevention and treatment of infectious
diseases.
Cedric Mims, Hazel M. Dockrell, Richard V. Goering, Ivan Roitt, Derek Wakelin, Mark
Zuckerman 2004
Danksagungen
We wish to express our appreciation of the generosity of many colleagues throughout the
world who supplied illustrative material, particularly W. Edmund Farrar, Martin J. Wood,
John A. Innes, Hugh Tubbs, James S. Bingham, Ralph Muller, John R. Baker, John
Oxford and Dilip K. Banerjee. We would also like to thank the library of The Wellcome
Institute for the History of Medicine for providing portrait photographs for the historical
profiles.
8
Eine zeitgemäße Einführung in die Mikrobiologie
0.1 Mikroorganismen und Parasiten 1
Der Begriff „Mikroorganismen“ bleibt meist Viren und Bakterien vorbehalten, wird also
restriktiv verwendet. Auch wenn gelegentlich Pilze und Protozoen („Parasiten“)
eingeschlossen werden, sind sie im Allgemeinen Gegenstand anderer Disziplinen
(Mykologie und Parasitologie).
Unbestritten gehören Viren und Bakterien zu der zahlenmäßig größten und wichtigsten
Gruppe von Pathogenen. Dass man sie als „Mikroorganismen“ von anderen Erregern
(Pilzen, Protozoen, Helminthen und Arthropoden als „Parasiten“) abgrenzt, ist im
Grunde eine willkürliche Festlegung, nicht zuletzt, weil sich das Kriterium der
mikroskopischen Sichtbarkeit nicht streng anwenden lässt (Abb. 0.1).
Immerhin war Trichinella spiralis, die erste „Mikrobe“, die mit einem spezifischen
Krankheitsbild in Verbindung gebracht wurde, ein Parasit. Die Larvenstadien dieses
Nematoden sind mit bloßem Auge gerade noch erkennbar (zur sicheren Identifizierung
ist ein Mikroskop erforderlich). T. spiralis wurde 1835 entdeckt und um 1860 erstmals
als Ursache der Trichinose (Trichinellosis) benannt.
9
Abb. 0.1 Relative Größe von Erregern, die in diesem
Buch besprochen werden.
10
Reaktionen des Wirts kommen durch ein komplexes
Zusammenspiel von Wirt und Parasit zustande
Wirtsreaktionen lassen sich als Krankheitszeichen, Symptome oder Mechanismen der
Immunabwehr begreifen, sind aber besser als Folge eines komplexen Zusammenspiels
zweier Organismen – Wirt und Parasit – zu behandeln. Diese Sichtweise ist notwendig
für das Verständnis der Pathogenese von Infektionen.
Unser Ansatz (Auswahl und Darstellung der Erreger im Kontext von Erkrankungen, die
sie verursachen) liefert ein aufschlussreiches und interessantes Bild von den
dynamischen Beziehungen in der Mikrobiologie. Für dieses Vorgehen gibt es mehrere
Gründe:
■ Die Reaktion des Wirtsorganismus auf eine Infektion wird jetzt stärker als
koordiniertes, fein abgestimmtes Zusammenspiel unter Mitwirkung angeborener
und erworbener Abwehrmechanismen gesehen. Diese Abwehr erfolgt unabhängig von
der Art und den spezifischen Eigenschaften des beteiligten Pathogens.
11
■ Zunehmende Bedeutung tropischer Infektionen in der Klinik. Viele Touristen
kommen in tropischen Ländern mit einem ganz anderen Erregerspektrum in Kontakt
(pro Woche reisen über eine Million Menschen zwischen den Industrie- und
Entwicklungsländern). Um Erreger zu identifizieren bzw. Kliniker zu beraten, sind
Mikrobiologen gefragt. Gesundheitliche Probleme in den unterentwickelten Ländern
rücken allmählich stärker ins Bewusstsein.
Daher erscheint uns eine Ausweitung der Mikrobiologie notwendig; aufbauend auf ihren
früheren Konzepten sollte sie sich jetzt den Problemen der Gegenwart und Zukunft
stellen.
Die Entwicklung antimikrobieller Wirk- und Impfstoffe bedeutete eine Revolution für
die Behandlung dieser Krankheiten. Daraus erwuchs auch die Hoffnung, dass viele
Erkrankungen, mit denen sich die Menschheit über Jahrhunderte geplagt hatte, ausgerottet
werden könnten. In den hochentwickelten Ländern verlernten die Menschen, sich vor
Infektionen zu fürchten, und glaubten, sie würden noch zu ihren Lebzeiten völlig
verschwinden.
Bis zu einem gewissen Ausmaß ließ sich diese Erwartung umsetzen; die meisten
Kinderkrankheiten wurden durch Impfungen seltener und bakterielle Infektionen waren
durch Antibiotika einfach in den Griff zu bekommen. Ermutigt durch die Ausrottung der
Pocken in den 70er Jahren und den Erfolg der Polioschluckimpfung, kündigten die
Vereinten Nationen 1978 an, bis zum Jahr 2000 „Gesundheit für alle“ mit ihren
Programmen erreichen zu wollen. Diese optimistische Sicht muss jedoch revidiert werden.
■ erhöhte sich die Zahl der Todesfälle durch Infektionen von 36/100000 im Jahre
1980 auf 59/100000 im Jahre 1996;
■ erreichte die Zahl der AIDS-Toten 1995 ihren Gipfel mit 50000;
12
■ tragen 4 Millionen Menschen das Hepatitis-C-Virus (HCV) in sich; 15%
erkranken an einer lebensbedrohlichen Leberzirrhose;
1998 starben in Asien und im pazifischen Raum eine Million Menschen an Tbc, und die
Zahl der Neuerkrankungen entspricht einem Anteil von 40% im Weltmaßstab. HIV-
Infektion bzw. AIDS nehmen rapide zu. Für eine verbreitete Arzneimittelresistenz bei
Malaria sprechen die 19,5 Millionen Infizierten im Jahre 1998. Am stärksten gefährdet
sind Kinder unter fünf Jahren. Während es 1999 in den Industrieländern 475000
Todesfälle in dieser Altersgruppe gab, starben in den Entwicklungsländern zwölf
Millionen Kinder, 60% an einer Infektion. Die weltweit wichtigsten
Infektionskrankheiten zeigt Abb. 0.2.
Abb. 0.2 Tödliche Infektionen – die weltweit
führenden Todesursachen (Angaben von 1997).
13
Neu auftretende oder wiederkehrende Infektionen
In den vergangenen 30 Jahren traten einige bekannte Erkrankungen wie Tbc, Malaria,
Hepatitis, Cholera oder Dengue-Fieber als bedeutende Infektionen wieder auf. Im
gleichen Zeitraum wurden auch mehr als dreißig neue Infektionserreger identifiziert
(Tab. 0.1), von denen das HI-Virus der wichtigste ist. Für viele neue Erkrankungen gibt
es noch keine wirksame Therapie.
14
(Mims et al.. Medizinische Mikrobiologie – Infektiologie, 2.A.. Elsevier GmbH, Urban &
Fischer Verlag).
Die wirtschaftlichen Folgen sind enorm. So beliefen sich die kumulativen Kosten für
die AIDS-Epidemie bis zum Jahr 2000 auf schätzungsweise 550 Milliarden Dollar. Zur
Eindämmung der Cholera in Lateinamerika wurden bis 1994 ca. 200 Milliarden Dollar
aufgewendet, für die Bekämpfung der Malaria in Afrika bis 1997 ca. 2,2 Milliarden
Dollar. Durch eine erfolgreiche Ausrottung (Eradikation) von Infektionskrankheiten
lassen sich hohe Kosten einsparen (bei Pocken auf 20 Milliarden Dollar geschätzt).
Hinzu kommen zwei weitere Risikofaktoren: (1) Drohender Bioterrorismus und die
mögliche Ausbreitung seltener Infektionen (z.B. Anthrax) oder das Wiederauftreten
bereits eradizierter Krankheiten (z.B. Pocken). (2) Klimaveränderungen (höhere
Temperaturen, veränderte Niederschläge) tragen dazu bei, dass durch die Vermehrung
der Überträger (Vektoren) von Infektionserregern die Inzidenz von Infektionen
zunimmt.
Für beide Szenarios gilt: Auch in absehbarer Zukunft bleibt die Mikrobiologie ein
außerordentlich wichtiges medizinisches Fach.
15
0.4 Herangehensweise des Buches
Aus den oben genannten Gründen soll dieses Buch zwei Funktionen erfüllen:
■ Die für Infektionen verantwortlichen Keime sind umfassend in die Besprechung der
Infektionskrankheiten eingeschlossen.
■ Ein rein klinisch-labordiagnostischer Ansatz der Mikrobiologie wird durch eine andere
Herangehensweise ersetzt, bei der stärker der biologische Kontext für klinische bzw.
Laboruntersuchungen berücksichtigt wird.
Die Mikrobiologie soll aus dem Blickwinkel der inneren Auseinandersetzung, wie sie in
allen Beziehungen zwischen Wirtsorganismen und Pathogenen stattfindet, betrachtet
werden. Zunächst werden die Infektionserreger und die angeborenen bzw. erworbenen
Abwehrmechanismen des Wirtsorganismus beschrieben. Die Folgen des Konflikts werden
dann im Einzelnen für jedes Körpersystem genauer dargestellt.
Keime oder Symptome werden nicht in einer starren Reihenfolge beschrieben, sondern in
der Umgebung, wo Infektionserreger im menschlichen Körper Krankheiten verursachen,
z.B. Atem-, Darm- und Urogenitaltrakt, Blut- und Nervensystem. Die Mikroorganismen,
die in diese Organsysteme gelangen und Infektionen etablieren, werden hinsichtlich der
jeweiligen Wirtsantwort untersucht. Schließlich wird sowohl auf Ebene der einzelnen
Patienten als auch bezogen auf Gruppen betrachtet, wie sich solche Prozesse begrenzen
(kontrollieren) oder verhindern lassen.
Auf diese Weise wird dem Leser eine dynamische Sicht der Wirtsorganismus-Pathogen-
Interaktionen vermittelt, aus der sich ein kreativeres Verständnis von Infektion und
Krankheit entwickeln kann.
16
Zusammenfassung
■ Eine umfassende Darstellung der Infektionserreger des Menschen (Viren bis
Helminthen) sollte auch die biologischen Grundlagen von Infektion, Krankheit, Wirt-
Pathogen-Interaktionen, Krankheitsbekämpfung und Epidemiologie beinhalten.
FRAGEN
1 Welche Pathogen-Gruppen sind die Hauptursachen für Infektionen des
Menschen?
Mims, C.A., Nash, A., Stephen, J.: Pathogenesis of Infectious Disease. 5th ed. Academic
Press, London 2001.
17
1 Mikroorganismen als Parasiten
1.1 Vielfalt der Ereger 9
Alle anderen Mikroorganismen verfügen über einen zellulären Aufbau. Sie sind
einzellig (die Mehrheit der Mikroorganismen) oder mehrzellig aufgebaut, und jede
Zelle wird außen von einer Zellmembran begrenzt. Im Zellinnern befindet sich das
genetische Material (DNA), im Zytoplasma ein Syntheseapparat.
18
Bakterien sind Prokaryonten, die anderen
Organismen Eukaryonten
Zwischen Prokaryonten und Eukaryonten – den beiden Hauptgruppen zellulärer
Organismen – bestehen beträchtliche Unterschiede (Abb. 1.1).
Bei Prokaryonten
Bei Eukaryonten
■ muss für die Transkription zuerst Messenger-RNA (mRNA) gebildet und diese
anschließend aus dem Kern ins Zytoplasma transportiert werden;
19
Abb. 1.1 Prokaryonten und Eukaryonten:
schematische Darstellung der wichtigsten
Zellstrukturen.
20
Diese Zellschichten spielen eine wichtige Rolle, denn zum einen schützen sie
Bakterien vor Immunabwehrmechanismen und vor Chemotherapeutika, zum anderen
können durch sie bestimmte pathologische Reaktionen stimuliert werden. Ihnen
verdanken Bakterien auch immunogene Eigenschaften (Antigenität).
Mikro- und Makroparasiten lassen sich nicht immer klar abgrenzen. Manchmal bleibt
auch die Tochtergeneration von Makroparasiten im Wirtsorganismus zurück, und
gerade bei immunsupprimierten Patienten kann die Infektion zahlenmäßig überhand
nehmen. Beispiele sind die Rundwürmer (Trichinella), einige Fadenwürmer
(Strongyloides stercoralis) und Krätzemilben (Sarcoptes scabiei).
21
1.2 Intra- und extrazelluläre Lebensform
Zugrunde liegt allen Wirt-Pathogen-Beziehungen, dass der eine Organismus (das
Pathogen) von den günstigen Umgebungsbedingungen profitiert, die der andere (der Wirt)
ihm bietet. Auch wenn Art und Grad dieser „Ausbeutung“ variieren können, bleibt das
Pathogen primär auf die Versorgung durch seinen Wirt angewiesen. Dabei kann es sich
um die Bereitstellung von Stoffwechselprodukten (Nährstoffe) oder – wie im Fall der
Viren – des Syntheseapparats der Wirtszellen handeln.
Das Problem, gezielt auf intrazelluläre Erreger einzuwirken und nicht die empfindlichen
Zellen zu treffen, stellt sich auch beim Einsatz von Medikamenten. Eine selektive
Wirkung mit Antibiotika zu erreichen und die Wirtszelle intakt zu lassen hat sich als
schwieriges Unterfangen herausgestellt.
Noch problematischer ist, dass gerade die für Immun- und Entzündungsreaktionen
zuständigen Zellen oft durch intrazelluläre Erreger befallen sind, so dass die
Wirtsabwehr empfindlich geschwächt wird. Eine Vielzahl von Viren, Bakterien oder
Protozoen siedelt sich z.B. in Makrophagen an, während sich andere Viren
(einschließlich HIV) eher auf Lymphozyten spezialisiert haben.
Die intrazelluläre Lebensform bietet Pathogenen viele Vorteile: Sie gewährt ihnen
Zugang zur Nährstoffversorgung und der genetischen Ausstattung ihres Wirts und
ermöglicht ihnen andererseits, sich der Immunüberwachung (Surveillance) und
antimikrobiellen Abwehrmechanismen zu entziehen. Allerdings kann sich kein einziger
Organismus immer nur intrazellulär aufhalten. Um sich erfolgreich vermehren zu
können, muss eine Übertragung (Transmission) der Erreger zwischen den Wirtszellen
22
stattfinden – und das bedeutet unvermeidlich, dass sie für gewisse Zeit einer
extrazellulären Umgebung ausgesetzt sind.
Was den Wirt betrifft, so bietet sich ihm die Möglichkeit, in der extrazellulären Phase
in die Entwicklung einzugreifen und die Infektion durch Abwehrmechanismen wie
Phagozytose, Antikörper und Komplementfaktoren unter Kontrolle zu bringen.
Transmission kann aber auch den Untergang der ursprünglich infizierten Zelle bedeuten
und so zur Gewebeschädigung oder generalisierten Erkrankung des Wirts beitragen.
23
Protozoen, Pilzen, Helminthen und Arthropoden werden
nach dem binomischen System eingeteilt
Erreger lassen sich mit verschiedenen Methoden identifizieren, durch einfache
Betrachtung bis hin zur molekularen Untersuchung. Bei der Unterteilung der
Hauptgruppen wurde unterschiedlich vorgegangen: In der Klassifikation von Protozoen,
Pilzen, Helminthen und Arthropoden bildet „Spezies“ die taxonomische Grundeinheit –
definitionsgemäß als Gruppe von Organismen zu verstehen, die einander in ihren
morphologischen, physiologischen, biochemischen, serologischen und anderen
Eigenschaften in hohem Maße ähnlich sind.
Auf „Spezies“ bezieht sich auch die binomische Klassifikation (Systematik), die für
Eukaryonten und bestimmte Prokaryonten herangezogen wird. Spezies gruppieren sich
zu Gattungen (Genus), wenn sie in wesentlichen Merkmalen übereinstimmen. Zur
genauen Identifikation wird daher jeder Organismus mit „Gattung“ und „Spezies“
bezeichnet (z.B. Homo sapiens oder Escherichia coli). Verwandte Gattungen werden
wiederum zu größeren Kategorien zusammengefasst.
24
Abb. 1.2 Strukturelle und biologische Eigenschaften,
die zur Klassifikation von Bakterien herangezogen
werden; hier am Beispiel der Gram-positiven
Bakterien.
25
Identifizierung und Klassifizierung können auch durch genetische Untersuchungen
erfolgen. Angewandt werden z.B.:
Für die Einteilung wird primär die serologische Reaktivität des Virusmaterials
berücksichtigt. Das Influenzavirus mit seinen drei Typen (A, B, C) könnte man z.B.
einer Gattung gleichsetzen. Bei der Identifizierung hilft ein stabiles, bei allen drei Typen
jeweils unterschiedliches Nukleoprotein-Antigen. Neuraminidase- und Hämagglutinin-
Antigene sind instabil und bei allen drei Typen verschieden. Durch Charakterisierung
dieser Antigene gelingt es in Isolaten, eine bestimmte Variante zu identifizieren (s. Kap.
19). Ein weiteres Beispiel findet sich bei Adenoviren, deren Antigene mit einem
Kapsidbestandteil assoziiert sind und eine Zuordnung zu Gruppen, Typen und noch
feinere Unterteilungen ermöglichen.
26
Man sollte möglichst viel über das (allgemein) biologische Verhalten von Erregern
wissen, um sinnvolle/nützliche Aussagen zu den Auswirkungen von Infektionen machen
zu können. Aus dem Grund finden sich in den nachfolgenden Kapiteln neben einer
Übersicht über die Klassifikation der wichtigsten Erreger auch kurze Angaben zu ihrer
Struktur (makro- und mikroskopisch), Lebensform, Molekularbiologie, Biochemie,
Replikation und Reproduktion.
27
Zusammenfassung
■ Infektionserreger lassen sich sieben Kategorien zuordnen: Prionen, Viren,
Bakterien, Pilzen, Protozoen, Helminthen und Arthropoden.
FRAGEN
1 Nennen Sie die Hauptunterschiede zwischen Prokaryonten und Eukaryonten.
3 Zählen Sie drei Vorteile auf, die eine intrazelluläre Lebensform Erregern bietet.
Collier, L.H. (ed.): Topley and Wilson’s Microbiology and Microbial Infections. 9th
ed. Edward Arnold, London 1998.
28
2 Bakterien
2.1 Struktur 15
2.2 Ernährung 17
2.4 Genexpression 19
2.4.1 Transkription 19
2.4.2 Translation 20
2.6.1 Mutation 25
2.9 Hauptgruppen 33
Zur Orientierung
Obwohl es eine riesige Anzahl frei lebender Bakterien gibt, verursachen vergleichsweise
wenige Spezies Infektionen. Die meisten dieser Mikroorganismen sind mittlerweile gut
bekannt und erforscht. Trotzdem werden fortlaufend neue Erreger entdeckt, oder es stellt
sich heraus, dass bisher für unbedeutend gehaltene Infektionen doch bedeutsamer sind, als
man annahm. Ein gutes Beispiel sind Infektionen durch Legionellen, den Erregern der
Legionärskrankheit.
Bakterien sind einzellige Prokaryonten, deren DNA sich auf einem langen ringförmigen
Molekül in einem nicht abgegrenzten Kernäquivalent befindet. Viele Bakterien haben
Geißeln und zeigen dadurch ein typisches Bewegungsmuster. Bakterien sind von einer
komplex gebauten Zellwand (Hülle) und oft auch von einer dicken Kapsel umgeben. Sie
vermehren sich meist in recht hohen Teilungsraten und verfügen über ein breites
metabolisches Spektrum (sowohl aerober als auch anaerober Stoffwechsel).
2.1 Struktur
29
Bakterien sind Prokaryonten mit typischer Zellstruktur
Bei Bakterien trägt ein längliches, zweisträngiges (ds, double-stranded), ringförmiges
DNA-Molekül die genetische Information (Abb. 2.1). Wie bei Eukaryonten (s. Kap. 1)
könnte es als „Chromosom“ bezeichnet werden, doch es fehlen Introns. Stattdessen
besteht die DNA aus einer kontinuierlichen Kodierungsgensequenz. Da sich das
Chromosom weder in einem erkennbaren Kern befindet noch eine Kernmembran
vorhanden ist, wird die Region mit stärkerer DNA-Wicklung (coiling) als Nukleoid
bezeichnet. Genetische Information (DNA) kann in Bakterienzellen auch auf sog.
Plasmiden vorkommen, kleinen ringförmigen extrachromosomalen Molekülen.
30
Abb. 2.1 Schematische Darstellung eines Bakteriums.
Auch Gram-negative Bakterien haben eine hydrophile Außenschicht, die aber wegen
des Lipidanteils zugleich hydrophobe Eigenschaften besitzt. Damit trotzdem für die
Ernährung wichtige hydrophile Zucker- und Aminosäuremoleküle ins Zellinnere
gelangen, bilden bestimmte Proteine (sog. Porine) Kanäle bzw. Poren.
Lipopolysaccharide (LPS) verleihen der Bakterienmembran sowohl antigene („O-
Antigene“ durch Kohlenstoffketten) als auch toxische Wirkeigenschaften („Endotoxin“
durch den Anteil an Lipid A; s. Kap. 17).
31
Bei Mykobakterien sind Peptidoglykan- und Lipoproteinschicht chemisch anders
miteinander verbunden. Ihre Außenhülle wirkt durch eine Vielzahl komplexer Lipide
(Mycolsäure) wachsartig. Das verändert zum einen ihre Anfärbbarkeit (sog. säurefeste
Bakterien) und macht sie zum anderen resistent gegen Austrocknung und andere
Umgebungseinflüsse. Darüber hinaus entfalten Bestandteile der Mykobakterien-
Zellwand eine ausgeprägte Adjuvanswirkung (d.h., sie steigern die Immunogenität bzw.
Reaktivität).
Abb. 2.2 Wandaufbau bzw. Hüllstrukturen Gram-
positiver und Gram-negativer Bakterien
Zusätzlich zur Zellwand kann eine Kapsel aus hochmolekularen Polysacchariden (bzw.
Aminosäuren beim Gasbranderreger Bacillus anthracis) vorhanden sein. Ihre durch die
Kapsel schleimige Oberfläche schützt Bakterien vor der Phagozytose durch Wirtszellen
und ist ein entscheidender Virulenzfaktor. So können nur wenige bekapselte
Streptococcus pneumoniae-Bakterien eine tödlich verlaufende Infektion verursachen,
während kapsellose Mutanten dieser Spezies nicht pathogen wirken.
32
auf einen Pol der Zelle (polar), stehen in Büscheln (lophotrich) oder sind über die
gesamte Oberfläche verteilt (peritrich).
Bakterien haben nicht nur andere Geißeln als Eukaryonten, sondern beziehen ihre
Bewegungsenergie auch aus anderen Quellen (ATP[Adenosintriphosphat]-unabhängig).
Diese Beweglichkeit befähigt sie zur Chemotaxis (positive und negative Reaktionen auf
chemische Reize). Bestimmte Proteinbausteine (Flagelline), die als Geißelantigen (sog.
H-Antigen) wirken, sind für Schutzmaßnahmen des Wirtes wie Antikörperreaktionen
ein wichtiges Angriffsziel.
Eine möglichst große Anzahl von Pili kann dazu beitragen, dass Bakterien leichter der
Phagozytose entgehen, schwächen also die Widerstandskraft des Wirts gegen bakterielle
Infektionen. Trotz ihrer Immunogenität können sich Pili-Antigene so verändern, dass
das Immunsystem sie nicht erkennt. Wie man bei Gonokokken herausfand, vollzieht
sich die „Antigenvariation“ offenbar durch eine Rekombination von Genen, die für
konstante und variable Regionen der Pili-Moleküle kodieren.
2.2 Ernährung
33
Obwohl er weniger effizient ist, kann ein anaerober Stoffwechsel nützlich sein, wenn
Sauerstoff fehlt und geeignete Substrate zur Verfügung stehen – wie meistens im
Wirtsorganismus. Für die Zellatmung kann ein obligater oder fakultativer
Sauerstoffbedarf bestehen. Manche Organismen können ihren Stoffwechsel sogar bei
Bedarf von aerob auf anaerob umstellen. Bakterien, die auf Gärungsprozesse
angewiesen sind, dient oft Pyruvat als wichtiges Zwischenprodukt, aus dem sie durch
nachfolgende Fermentierung zusätzliche Energie gewinnen.
Während manche Spezies durch ihre enorme Synthesekapazität nur einen minimalen
Bedarf an Nährstoffen aus der Umgebung haben, sind andere auf ein größeres
Nährstoffangebot angewiesen. E.coli wächst z.B. selbst in Medien, die nicht viel mehr
als Glukose und anorganische Salze enthalten. Streptokokken dagegen benötigen sehr
reichhaltige Nährlösungen mit vielfältigen organischen Bestandteilen.
34
2.3 Wachstum und Teilung
Wachstums- und Teilungsrate hängen bei Bakterien weitgehend vom Nährstoffangebot
der Umgebung ab. In nährstoffreichen Kulturmedien im Labor teilt sich eine einzelne,
ausgewachsene E.-coli-Zelle schon nach 20–30 Minuten in identische „Tochterzellen“,
während es in nährstoffarmen Milieus sehr viel langsamer vor sich geht (1–2 Stunden).
Manche Bakterien (z.B. Mycobacterium tuberculosis) wachsen dagegen selbst unter
besten Bedingungen viel langsamer heran und teilen sich erst nach 24 Stunden.
In einer neuen Umgebung vermehren sich Bakterien nach einem bestimmten Muster
(Abb. 2.3). Nach der anfänglichen Anpassungs- (Latenz- oder lag-) Phase verdoppelt
sich die Population rasch durch Zellteilung in konstanten Raten (Generationszeit). Diese
Phase wird als logarithmische (log-) oder Exponentialphase bezeichnet. Sobald das
Nährstoffangebot knapper wird und sich toxische Produkte anhäufen, verlangsamt sich
das Zellwachstum (stationäre Phase) und kommt zum Stillstand, möglicherweise gefolgt
von einer Phase des Zelluntergangs bzw. Absterbens.
35
Abb. 2.3 Wachstumskurve von Bakterien (KbE,
Kolonie-bildende Einheiten).
Bei E. coli dauert die Replikation des Genoms etwa 40 Minuten. Das heißt, dass diese
Bakterien, wenn sie sich innerhalb von 20–30 Minuten vermehren und teilen, bereits
eine neue „Replikationsrunde“ starten müssen, ehe die vorhergehende abgeschlossen ist.
Unter diesen Umständen hat die auf die Tochterzellen vererbte DNA schon mit ihrer
eigenen Replikation begonnen.
36
Auftrennung des Genoms (Segregation) und
Septumbildung vor der Zellteilung
Die Teilung (oder Septierung) einer Zelle vollzieht sich in folgenden Schritten:
Das Zellseptum entsteht dadurch, dass die Peptidoglykanschicht (sowie die Außenhülle
bei Gram-negativen Bakterien) in eine Einstülpung der Zytoplasmamembran
hineinwächst. Zwischen Septierung, DNA-Replikation und (Genom-)Segregation
besteht zwar keine feste Verbindung, aber sie sind doch so gut aufeinander abgestimmt,
dass nur verschwindend wenige Tochterzellen keine richtige Entsprechung der
genomischen DNA haben.
37
2.4 Genexpression
Genexpression beschreibt die Prozesse, die zur Bildung funktionsfähiger Protein- oder
RNA-Moleküle notwendig sind und somit die in Genen enthaltenen Informationen
entschlüsseln (dekodieren).
2.4.1 Transkription
Für ein RNA-Transkript wird die DNA durch eine DNA-abhängige Polymerase kopiert.
Bei dieser Polymerisierungsreaktion kommt es zur Inkorporation von Ribonukleotiden,
die sich dann mit passenden Basen der DNA-Matrize zu Paaren ergänzen.
In Bakterien können ganze Sets von Genen einfach dadurch an- oder abgeschaltet
werden, indem sich die Expression eines bestimmten Sigmafaktors (von mehreren
unterschiedlichen vorhandenen) ändert. Das ist ein besonders wichtiger
Kontrollmechanismus für die Expression von Genen, die an der Sporenbildung Gram-
positiver Bakterien beteiligt sind.
38
Solche Terminationsabschnitte sind dadurch gekennzeichnet, dass sich an eine
spiegelbildliche mRNA-Sequenz eine Abfolge von Uracil-Resten anschließt. Diese
können infolge der Ribonukleotid-Basenpaarung eine Haarnadelstruktur ausbilden und
die RNA-Polymerase-Aktivität beeinträchtigen. Außerdem wird die Transkription in
bestimmten Fällen auch durch eine Wechselwirkung zwischen RNA-Polymerase und
dem Transkriptions-Terminations-Protein (Rho-Protein) beendet.
39
Abb. 2.4 Einzelgene und Operone.
In der DNA von Bakterien sind Gene als getrennte Einheiten (Einzelgene) oder als
Operone (Multigene) vorhanden. Von Promotoren aus in mono- bzw.
polycistronische mRNA-Moleküle umgeschrieben (Transkription), wird die
mRNA schließlich in Protein übersetzt (Translation).
2.4.2 Translation
Durch die Nukleotidsequenz auf den mRNA-Transkripten wird genau festgelegt, welche
Aminosäurensequenz ein bestimmtes Protein (Polypeptid) hat. Um ein Protein
produzieren zu können, müssen Ribosomen und tRNA-Moleküle diese Information
entschlüsseln; dieser Prozess wird als Translation („Übersetzung“) bezeichnet. Jedes
Basentriplett (Satz von drei Basen) einer mRNA-Sequenz entspricht dem Codon einer
spezifischen Aminosäure.
40
Den Startkomplex bilden mRNA, Ribosomen und ein tRNA-Start-Molekül, welches
die Aminosäure Methionin enthält. Ribosomen binden an spezifische mRNA-
Sequenzen (Shine-Dalgarmo-Sequenzen) und beginnen am Startercodon (AUG) mit
der Translation. Am Startcodon findet eine Hybridisierung mit einer spezifischen
komplementären Sequenz (dem Anticodon) des tRNA-Start-Moleküls statt.
Die Polypeptidkette verlängert sich durch die Bewegung des Ribosoms entlang dem
mRNA-Molekül und die Rekrutierierung immer neuer tRNA-Moleküle (beladen mit
unterschiedlichen Aminosäuren), die nachfolgende Tripletts erkennen können. Durch
eine Kondensierungsreaktion der Ribosomen werden neu hinzukommende
Aminosäuren (auf der tRNA) der wachsenden Polypetidkette angefügt. Erst wenn das
Ribosom auf eines von drei möglichen Stoppcodons (UGA, UAA oder UAG) trifft,
endet die Translation.
41
vermutlich kälter als 25°C und arm an Nährstoffen. Doch die Umgebungsbedingungen
verändern sich schlagartig, sobald die Enterobakterien in den menschlichen Darm
gelangen: Bei einer Temperatur um 37°C und reichlicher Versorgung mit Kohlenstoff
und Stickstoff stehen ihnen dort nur wenig Sauerstoff und freies Eisen (essentieller
Nährstoff) zur Verfügung. An solche Veränderungen können sich Bakterien jedoch
ohne weiteres anpassen, indem sie einige der für Stoffwechsel oder Virulenz
zuständigen Gene einfach an- bzw. abschalten.
Studien zur Pathogenese von Mikroorganismen verzeichnen derzeit auf dem Gebiet
der Virulenzgenexpression die raschesten Fortschritte. Diese Analysen bieten wichtige
Einblicke in die Vorgänge, wie sich Bakterien an wechselnde Bedingungen anpassen,
wenn sie eine Infektion initiiert haben, und sich in unterschiedlichen Geweben des
Wirts ausbreiten.
Den größten Einfluss auf die Bindung der RNA-Polymerase und die Transkription
haben Regulatorproteine. Diese beeinflussen die Transkription, indem sie sich
spezifisch an die DNA binden, die an die Promotorregion angrenzt, oder sich mit der
Promotorregion überlappen. Dadurch werden die Bindung der RNA-Polymerase sowie
die Transkription beeinflusst. Diese DNA-Bindungsstellen der Regulatorproteine
werden als Operator bzw. Operatorregionen bezeichnet. Unterschieden werden zwei
Klassen von Regulatorproteinen (Abb. 2.5):
42
Dies bezeichnet man als katabole Repression, denn die Transkription des lac-
Operons ist abhängig von einer positiven Regulation (Steuerung) durch das cAMP-
abhängige katabole Aktivatorprotein (CAP). CAP wird erst durch gebundenes cAMP
aktiviert.
Wenn Bakterien mit Glukose wachsen, ist der cAMP-Spiegel im Zytoplasma sehr
niedrig. Daher wird CAP auch nicht aktiviert, kann folglich weder an seine DNA-
Bindungsstelle nahe der lac- Promotorregion binden noch den Beginn der
Transkription durch RNA-Polymerase unterstützen. Bei Glukosemangel erhöht sich
dagegen die cAMP-Konzentration, so dass aktivierte cAMP-CAP-Komplexe gebildet
werden. Durch ihre Bindung an entsprechende DNA-Stellen verstärken sie die
Bindung der RNA-Polymerase und fördern die Transkription.
CAP ist ein Beispiel für ein allgemeines Regulatorprotein, das bei vielen Genen (bei
über 100 bei E. coli) die Expression kontrollieren kann. Mehrere Gene, die von
demselben Regulator kontrolliert werden, stellen zusammen ein Regulon dar (Abb.
2.5).
Neben dem Einfluss von CAP unterliegt das lac- Operon auch einer negativen
Regulation durch das Laktose-Repressorprotein Lac I (Abb. 2.6). Das Lac-I-Gen,
welches Lac I verschlüsselt, befindet sich unmittelbar strangaufwärts des Laktose-
Operons und wird von einem anderen Promotor transkribiert. Beim Fehlen von
Laktose bindet sich Lac I spezifisch an die Operatorregion des lac-Promotors und
blockiert so die Transkription.
Das lac- Operon verdeutlicht, wie fein die Genregulation in Bakterien eingestellt ist –
angeschaltet wird das Operon nur, wenn Laktose als Kohlenstoffquelle für das
Bakterienwachstum verfügbar ist. Solange Glukose, das bevorzugte Nährsubstrat der
Bakterien, verfügbar ist, bleibt es dagegen ausgeschaltet.
Abb. 2.5 Aktivierung, Repression, Regulone.
43
Ihre strikt geregelte Genexpression
ermöglicht Bakterien, sich durch das An-
und Abschalten von Genen besser an ein
verändertes Nahrungsangebot oder
wechselnde Umgebungsbedingungen
anzupassen. Die von ein und demselben
Regulatorprotein kontrollierten Gene
und Operone bilden zusammen ein
Regulon.
44
Abb. 2.6 Kontrolle des lac-Operons.
Wächst C. diphtheriae dagegen in einem Milieu mit sehr niedriger Konzentration von
freiem Eisen (wie z.B. in menschlichen Sekreten), ist DtxR nicht imstande, Eisen zu
binden, was letztendlich zur Toxinbildung führt.
45
Viele Virulenzgene unterliegen einer positiven
Regulation durch Zwei-Komponenten-Regulatoren
Zwei-Komponenten-Regulatoren setzen sich meist aus zwei Proteinen zusammen:
■ das andere kann als DNA-bindendes Protein die Transkription aktivieren (in
manchen Fällen auch unterdrücken).
Bei Bordetella pertussis (Keuchhustenerreger; s. Kap. 19) kontrolliert ein (vom bvg-
Lokus enkodierter) Zwei-Komponenten-Regulator die Expression einer Vielzahl von
Virulenzgenen. BvgS, eine Histidinkinase in der Zytoplasmamembran, spürt als
„Sensor-Protein“ Reize aus der Umgebung auf (Temperatur, Mg-Ionen, Nikotinsäure)
und passt die Autophosphorylase-Aktivität daran an. Auf positiv regulierende Signale,
wie einen Temperaturanstieg, reagiert BvgS mit Autophosphorylation und
phosphoryliert (d.h. aktiviert) dann das DNA-bindende Protein BvgA. Dieses Protein
(BvgA) bindet an die Operatorregionen des Pertussistoxin-Operons und anderer
Virulenz-assoziierter Gene und veranlasst deren Transkription.
Von dem umfassenden Regulationssystem, das eine Vielzahl der Virulenzgene von
Staphylococcus aureus beeinflusst, ist der Zwei-Komponenten-Regulator agr
(accessory gene regulator) am besten untersucht. Agr übt insofern eine komplexe
Kontrolle aus, als die erst später im bakteriellen Lebenszyklus (postexponentielle
Phase) sezernierten Exotoxine positiv, Virulenzfaktoren an der Zelloberfläche aber
negativ von ihm reguliert werden.
46
(extrachromosomal) unabhängig replizierende
Nukleinsäuremoleküle
Plasmide sind ringförmige dsDNA-Einheiten, die sich unabhängig selbst replizieren. Sie
können ziemlich groß (60–120 kb) bis winzig klein sein (1,5–15 kb). Plasmide
replizieren sich ähnlich wie genomische DNA, mit einigen Unterschieden: Nicht alle
Plasmide replizieren sich in beiden Richtungen – einige gabeln sich nur einmal auf,
andere replizieren sich als sog. „rolling circle“.
Je nach Bakterienzelle schwankt die Anzahl der Plasmide (Kopienzahl) zwischen 1 und
1000 pro Zelle. Die Anzahl der Kopien hängt von der Replikationsrate der Plasmide ab.
Im Allgemeinen scheint es von größeren Plasmiden eher weniger Kopien als von
kleineren zu geben. Manche Plasmide haben ein breites Wirtsspektrum und können
sich in mehreren Bakterienspezies replizieren, während für andere das Wirtsspektrum
sehr beschränkt sein kann.
Plasmide enthalten neben Replikationsgenen in einigen Fällen auch Gene, die ihren
eigenen Transfer zwischen Bakterien vermitteln (tra-Gene). Zusätzlich tragen Plasmide
oft eine Reihe von Genen (bis zu 100 bei großen Plasmiden), die ihre bakterielle
Wirtszelle mit phänotypischen Vorteilen ausstatten.
47
48
Plasmide können Virulenzgene tragen
Auf Plasmiden können Toxine und andere die Virulenz steigernde Proteine enkodiert
sein:
■ Bei S. aureus sind in Plasmidgenen sowohl ein Enterotoxin als auch mehrere
andere für die Virulenz des Erregers verantwortliche Enzyme (Hämolysin,
Fibrinolysin) enkodiert.
Wie in Abb. 2.8 für DNA-Phagen gezeigt, injiziert das Virus, nachdem es sich an ein
Bakterium geheftet und sich seiner schützenden Proteinhülle entledigt hat, seine DNA in
die Bakterienzelle. Virulente Bakteriophagen stacheln sozusagen eine molekulare
„Meuterei“ an, um das „Kommando“ über die Nukleinsäure und Proteine der
Bakterienzelle zu übernehmen und neue Virus-DNA und -Proteine produzieren zu
können. Wenn die Bakterienzelle schließlich wegen der vielen neu angesammelten
Viruspartikel platzt (Bakteriolyse), werden diese Virionen in die Umgebung freigesetzt
– und der Zyklus beginnt wieder von vorn.
49
DNA (nun als Prophage bezeichnet) ruhend in ihr Chromosom integriert, wo sie sich
repliziert.
Abb. 2.8 Lebenszyklus von Bakteriophagen.
Infolge der Etablierung der Prophagen können sich jedoch neue Zellmerkmale
ausprägen (sog. Phagokonversion), so dass unter bestimmten Umständen die
bakterielle Virulenz zunimmt (das Diphtherietoxin-Gen befindet sich z.B. auf einem
Prophagen). Die Latenzphase endet, sobald z.B. durch einen Umgebungsreiz der
Bakteriophagen-Repressor inaktiviert wird, der normalerweise den lysogenen Zustand
aufrechterhält. Während dieses Induktionsprozesses wird die virale DNA aus dem
Chromosom herausgelöst und beginnt aktiv zu replizieren. Durch die entstehenden
Virionen kommt es zur Zelllyse und Freisetzung von Viruspartikeln.
Somit führt jede Infektion mit Bakteriophagen – egal, ob mit virulenten oder
temperenten Phagen – letztlich doch zum Tod der Wirtszelle. Angesichts der
zunehmenden Mehrfachresistenz von Mikroorganismen ist erneut das Interesse am
Einsatz von Bakteriophagen als „natürlichen“ antimikrobiellen Mitteln entfacht worden.
Dass sich die „Bakteriophagen-Therapie“ trotzdem bisher nicht in der klinischen Praxis
50
als Routinemaßnahme durchgesetzt hat, hängt mit diversen Schwierigkeiten zusammen
wie unklarer Dosierung, Form der Applikation, Qualitätskontrolle etc.
■ Mutation oder
■ Rekombination.
In diesen Fällen Fall können bei Tochterzellen phänotypische Abweichungen von den
Elternzellen auftreten. Das ist für die Virulenz und Arzneimittelresistenz von erheblicher
Bedeutung.
2.6.1 Mutation
– stumme Mutation, bei der sich die Aminosäuresequenz eines Proteins nicht
ändert, weil verschiedene Codons dieselbe Aminosäure spezifizieren.
51
meistens schädlich für den Organismus ist, können einige Mutationen durch die
Produktion unterschiedlicher Proteine einen selektiven Vorteil verschaffen.
Falls eine Schädigung schon über die Aufgabelung der DNA hinausgegangen ist,
kommen Postreplikations- oder rekombinante Reparaturprozesse zum Zuge; dabei
wird aus mehreren Kopien der parentalen und Tochterstrang-Sequenz durch
„Ausschneiden und Einfügen“ eine fehlerfreie DNA konstruiert.
Abb. 2.9 DNA-Reparaturmechanismen.
52
Am Modell der bakteriellen DNA-Reparatur werden
ähnliche, komplexere Vorgänge im Menschen besser
verständlich
DNA-Reparaturmechanismen scheinen als Schutz vor Umweltschäden zu dienen und
allen lebenden Organismen eigen zu sein. Ihre Untersuchung in bakteriologischen
Studien hat zu einem besseren Verständnis der auch für höhere Lebewesen
zutreffenden allgemeinen Grundlagen geführt, die sich auch auf Fragen der
Krebsentwicklung und Altersprozesse anwenden lassen. Inzwischen kann als gesichert
gelten, dass mehrere Erkrankungen des Menschen mit DNA-Reparaturvorgängen in
Verbindung stehen, darunter z.B.:
53
■ Xeroderma pigmentosum (extreme Überempfindlichkeit gegen Sonnenlicht)
mit erhöhtem Risiko für Hauttumoren wie Basalzellkarzinom,
Plattenepithelkarzinom oder Melanom;
■ Transformation
■ Transduktion
■ Konjugation
Transformation
In der kompetenten Zelle angelangt, muss diese chromosomale DNA erst mit einem
homologen Segment des Empfänger-Chromosoms rekombiniert werden, um
erhalten zu bleiben und vererbt werden zu können. Bei einer völlig fremden DNA
würde die Rekombination wegen fehlender Homologie verhindert und die DNA
54
abgebaut werden. Plasmid-DNA kann allerdings nach der Transformation auch ohne
vorherige Rekombination exprimiert werden. In molekulargenetischen Analysen von
Bakterien erwies sich Transformation als sehr nützliches Werkzeug (Abb. 2.7).
Den meisten Bakterien fehlt die natürliche Kompetenz, durch DNA transformiert zu
werden. Diese Kompetenz kann künstlich induziert werden, indem Bakterienzellen
z.B. mit zweiwertigen Kationen vorbehandelt und dann einem Hitze- (42 °C) oder
Elektroschock (sog. Elektroporation) ausgesetzt werden.
55
Abb. 2.10 Verschiedene Möglichkeiten von
Genübertragung zwischen Bakterien.
56
Transduktion
Konjugation
57
Gelegentlich werden konjugative Plasmide wie das Fertilitätsplasmid (F-Plasmid
oder F-Faktor) von E. coli in das Bakteriengenom integriert und werden dann als
Episomen bezeichnet. Beim konjugativen Transfer eines integrierten F-Episom
können manchmal Abschnitte der angrenzenden genomischen DNA mit in den
Duplikations-Transfer-Prozess einbezogen sein und ebenfalls vom Spender zum
Empfänger übertragen werden.
Transposition
58
noch eine kurze, direkte Sequenzwiederholung (d.h. in derselben Reihenfolge und
Richtung) an, da während der Transposition auch ein Teilabschnitt der Zielsequenz
dupliziert wird.
Noch weitgehend ungeklärt ist die Auswahl des Ziels. Anscheinend werden
bevorzugt A-T-reiche DNA-Regionen angesteuert. Manche IS sind hochselektiv,
andere erscheinen eher wahllos. Da Transpositionen nicht auf den für eine homologe
Rekombination (zwischen eng verwandten DNA-Molekülen) typischen
enzymatischen Prozessen beruhen, spricht man von Ziel-gerichteter Rekombination.
Einfache Transposons enthalten nur Gene, die für die Transposition und andere
Funktionen (z.B. Antibiotikaresistenz) wichtig sind. Mit kurzen, gegenläufigen
Sequenzwiederholungen (indirekte Repeats) an beiden Enden sind sie nur als Einheit
beweglich bzw. übertragbar.
59
Die Leichtigkeit, mit der sich Transposons in DNA-Sequenzen hinein- oder
herausbewegen, lässt folgende Übertragungsmöglichkeiten zu:
Nach der Transposition auf ein konjugatives Plasmid mit breitem Wirtsspektrum
kann sich sehr rasch Resistenz unter Bakterien ausbreiten. Jede Transposition wirkt
sich schädlich aus, wenn sie dazu führt, dass sich IS oder Transposons in ein
Funktionsgen inserieren und es dadurch ausschalten. Mit dieser „transpositionellen
Mutagenese“ ließen sich – ohne die schädlichen Nebenwirkungen der allgemeiner
angreifenden chemischen Mutagene – in molekularbiologischen Laborversuchen
gezielt bestimmte Mutationen erzeugen.
Diese Regionen können ziemlich groß sein (bis zu 100 Kilobasen, kb), neigen aber
zu Instabilität (spontaner Verlust möglich). Aus den DNA-Sequenz-Unterschieden
(G- und C-Anteil) zwischen solchen mobilen Elementen und ihren Wirtsgenomen
werden Schlüsse gezogen bezüglich Herkunft und Transfer von nichtverwandten
Bakterienspezies.
In der Spore befindet sich eine neue Bakterienzelle, umgeben von einer komplexen
Hülle mit mehreren Schichten. Endosporen und normale Bakterienzellen unterscheiden
sich in der Zusammensetzung, und man nimmt an, dass Endosporen vor allem aufgrund
ihrer Dipicolinsäure und ihres hohen Kalziumgehalts äußerst resistent gegen Hitze
und Chemikalien sind.
Ihre Widerstandsfähigkeit lässt Sporen Jahre überleben und sie können sich rasch
erholen, sobald sich die Lebensbedingungen verbessert haben. Wenn das passiert,
entwickelt sich aus der Spore eine neue Bakterie mit vegetativer Lebensform. Besonders
in Böden gibt es reichlich Endosporen; und Gefahr geht dort vor allem von Clostridium-
60
und Bacillus-Sporen aus (Abb. 2.11). Werden Wunden infiziert, entstehen aus den
Sporen wegen der günstigen Bedingungen Bakterien, durch die es zu Tetanus und
Gasbrand kommen kann.
Abb. 2.11 Clostridium tetani mit endständigen
(terminalen) Sporen.
61
2.8 Das Genom medizinisch wichtiger Bakterien
Mit den Fortschritten der Gentechnologie (DNA-Sequenzierung) lässt sich bei immer
mehr pathogenen Bakterien das Genom vollständig entschlüsseln (s. Kasten). Die ständig
wachsende Datenbank stellt eine wertvolle Ressource und ein enormes Potenzial für das
Verständnis und die Behandlung von Infektionskrankheiten dar. Obwohl die praktische
Nutzung genomischer Informationen noch in den Kinderschuhen steckt, hat sich schon
mehrfach gezeigt, wie hilfreich es ist, die DNA-Sequenz klinisch wichtiger
Mikroorganismen zu kennen.
Zur weiteren Information
Repräsentative Auswahl pathogener Bakterien, deren Genom vollständig oder
weitgehend entschlüsselt ist
62
Sequenzierung des gesamten Genoms ergeben sich genauere Informationen; man
könnte diese Gene gezielt identifizieren und sich einen Überblick verschaffen, ob die
Resistenz durch die Interaktion mehrerer beteiligter Genloci zustande kommt. Die
Methicillin-Resistenz von S. aureus wird z.B. durch eine ganze Reihe von Genen
(mecA, femA, femB, murE usw.) an unterschiedlichen Stellen des Chromosoms
beeinflusst.
Größe der 16S-, 23S- und 5S-rRNA-Gene sowie der ITS-Region (internally
transcribed spacer) in Nukleotid-Basenpaaren (bp) angegeben. Gezeigt werden die
Regionen (Sequenzabschnitte), die für die Identifizierung oder Epidemiologie einer
Bakterienspezies von Nutzen sein könnten.
63
DNA-Mikroarrays ermöglichen eine
„Parallelverarbeitung“ von Genominformationen
Traditionell erforschten Molekularbiologen jeweils nur ein Gen pro Versuch. Obwohl
dies wertvolle Informationen erbringt, ist es eine sehr zeitaufwändige Form der
Untersuchung. Sie lässt auch keinen schnellen Zugriff auf Ergebnisse der (Genom-
)Sequenzanalysen und darin enthaltene Informationen (zu Chromosomenstruktur oder
Zusammenspiel mehrerer Gene) zu.
Wie Abb. 2.13a verdeutlicht, lassen sich bei der DNA-Mikroarray-Methode gyrA-
Amplicons verschiedener Bakterienisolate auf ein und demselben Chip unterbringen.
Dann werden zwei fluoreszenzmarkierte gyrA-Sonden (rot für den Wildtyp, grün für die
Mutante) unter so stringenten Bedingungen auf den DNA-Chip angewandt, dass es nur
bei 100%iger Homologie zur Hybridisierung kommt. So lässt sich schnell und
zuverlässig an einer größeren Anzahl von Isolaten gleichzeitig herausfinden, ob eine
Mutation vorliegt.
Abb. 2.13 DNA-Mikroarrays.
64
(a) Entdeckung von Mutationen und (b) Analyse der Genexpression.
Nach der Markierung mit fluoreszierenden Farbstoffen (Rot oder Grün) lässt man die
cDNA von Typ A und B mit komplementären Sequenzen auf dem Chip hybridisieren.
Rot fluoreszierende Flecken weisen auf Gene mit Expression in Umgebung A hin, grün
fluoreszierende entsprechen in Umgebung B aktiven Genen, und gelbe (Mischung aus
Rot und Grün) Flecken bedeuten, dass die Genexpression unter beiden
Umgebungsbedingungen stattfindet.
2.9 Hauptgruppen
Eine ausführliche Darstellung der wichtigsten Bakteriengruppen findet sich im Anhang
(Pathogene im Überblick).
Zusammenfassung
65
■ Bakterien sind Prokaryonten. Ihre DNA befindet sich nicht in einem Kern und
ihr Zytoplasma ist relativ arm an Organellen.
■ Die Zellwand spielt eine Schlüsselrolle für den Stoffwechsel, die Virulenz und
Immunogenität von Bakterien. Anhand ihrer unterschiedlichen Anfärbbarkeit werden
Bakterien in eine Gram-positive und Gram-negative Hauptgruppe unterteilt. Mit
Geißeln ausgestattete Bakterien sind beweglich.
■ Bakterien sind Aerobier oder Anaerobier und nutzen eine Vielzahl von
Substraten für ihren Stoffwechsel.
FRAGEN
1 Typisch für die Zellwand Gram-negativer Bakterien ist
a) Kapsel
b) Lipopolysaccharid
c) Peptidoglykan
d) Plasmamembran
e) Murein?
2 Zu den Gram-positiven Bakterien zählen
a) Salmonellen
b) Campylobacter
c) Staphylokokken
d) Neisseria
e) Shigellen?
3 Wie schnell kann sich Escherichia coli teilen?
a) 24-stündlich
b) 12-stündlich
c) 6-stündlich
66
d) stündlich
e) halbstündlich
4 Antimikrobielle Mittel töten Bakterien ab, indem sie
a) die DNA-Glättung (Unwinding) vor der Teilung hemmen
b) die RNA-Polymerase hemmen
c) die Zellwandsynthese hemmen
d) die Proteinsynthese hemmen
e) alle vier?
5 Am Transfer genetischer Informationen zwischen Bakterien nicht beteiligt ist
a) Transduktion
b) Transformation
c) Konjugation
d) Mutation
e) Transposition?
6 Gelegentlich auch als „springende Gene“ bezeichnet werden
a) Plasmide
b) Transposons
c) Bakteriophagen
d) Operons
e) Zweikomponenten-Regulatoren?
67
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Collier, L., Balows, A., Sussman, M. (eds.): Topley and Wilson’s Microbiology and
Microbial Infections. 9th ed. Edward Arnold, London 1998.
68
3 Viren
3.1 Struktur 35
3.3 Virusreplikation 37
Bei Menschen verursachen sie einige der häufigsten und schwersten Erkrankungen.
Manche Viren können Krebs auslösen, indem sie ihr genetisches Material in das
menschliche Genom einfügen. Als generell schwierige Angriffsziele für
Chemotherapeutika lassen sich viele Viren jedoch durch Impfungen wirksam
kontrollieren.
69
3.1 Struktur
■ Ihr genetisches Material in Form einer einzel- (ss) oder doppelsträngigen (ds),
linearen oder ringförmigen RNA oder DNA befindet sich in einer Kapsel
70
(Viruskapsid), die sich aus unterschiedlich vielen Proteinmolekülen (Kapsomere)
zusammensetzt.
■ In vielen Fällen besteht ein Viruspartikel oder Virion lediglich aus einem
Nukleokapsid. In anderen Fällen ist es noch von einer Außenhülle („Envelope“)
umgeben (Abb. 3.2). Dabei handelt es sich im Allgemeinen um eine von der
Wirtszelle stammende Doppelschicht aus Lipiden, in die Virusproteine und
Glykoproteine eingelagert sind.
71
Für die Adhärenz bzw. Adsorption an eine Wirtszelle sorgen zunächst einmal
allgemeine intermolekulare Kräfte. Hinzu kommen wechselseitige Beziehungen
zwischen Nukleokapsid (bei hüllenlosen Viren) oder Virushülle (bei Viren mit
Envelope) und Membranmolekülen der Wirtszelle. In vielen Fällen wirkt ein bestimmtes
Molekül der Wirtszelle als Rezeptor, mit dem eine spezifische Interaktion stattfindet. So
verbindet sich z.B. das Hämagglutinin des Influenzavirus mit einem Glykoprotein
(Sialinsäure) auf Schleimhautzellen und roten Blutkörperchen (weitere Beispiele Tab.
3.1). Nachdem es den Rezeptor besetzt hat, dringt das Virus in die Wirtszelle ein.
Abb. 3.3 Infektion der Wirtszelle und Virusreplikation,
Verlaufsstadien.
72
Abb. 3.4 Eintrittspforten für Viren in den Körper.
73
3.3 Virusreplikation
Bei so vielen Unterschieden ist nicht weiter verwunderlich, dass auch die Replikation
innerhalb der Wirtszellen ganz unterschiedlich abläuft. DNA-Viren können ihre DNA
direkt mithilfe der RNA-Polymerase des Wirts in mRNA umschreiben. Bei RNA-Viren
funktioniert diese Art der Transkription nicht, weil die Wirtspolymerasen nicht mit RNA
arbeiten. RNA-Viren müssen daher selbst Polymerasen bilden, wenn sie eine
Transkription benötigen. Ihre Polymerase kann im Nukleokapsid enthalten sein oder
nach der Infektion synthetisiert werden.
■ Ein „Minusstrang“ muss mit der viralen Polymerase erst zum Plusstrang
umgeschrieben werden, damit er dann als mRNA fungieren kann.
■ Ganz anders sieht der Weg aus, den Retroviren einschlagen: Ihr ssRNA-
Plusstrang wird mit einem Nukleokapsid-Enzym (reverse Transkriptase) in einen
ssDNA-Minusstrang umgewandelt, um dsDNA zu bilden; nachdem sie in den Zellkern
eingedrungen ist, fügt sie sich in das Genom des Wirts ein. Diese integrierte virale
DNA wird dann von einer Wirtspolymerase in mRNA umgeschrieben.
75
Wenn das Virusgenom aus einem einzigen Nukleinsäuremolekül besteht, entsteht bei
der Translation ein großes, multifunktionales Protein (Polyprotein), das enzymatisch
weiter in eine Reihe unterschiedlicher Proteine aufgespalten wird. Verteilt sich das
Virusgenom auf eine größere Zahl von Molekülen, werden mehrere mRNAs produziert
und jede in ein eigenständiges Protein übertragen. Anschließend können diese Proteine –
ebenfalls mit Wirtsenzymen – noch glykosyliert werden.
Abb. 3.5 Transkription genomischer Virus-RNA in
mRNA vor ihrer Translation in Proteine.
76
Viren müssen auch ihre Nukleinsäure replizieren
Außer den Molekülen für neu gebildete Kapside müssen Viren ihr genetisches Material
(Nukleinsäure) replizieren, das in den Kapsiden verpackt wird. In RNA-Viren mit
einzelnem Plusstrang, z.B. Polioviren, wird aus der viralen mRNA eine Polymerase
translatiert, die Minusstrang-RNA erzeugt. Dieser Minusstrang wird wiederholt in
Plusstränge „umgeschrieben“. Mit jedem weiteren Transkriptionszyklus entstehen große
Mengen weiterer Plusstränge, die unter Verwendung von (früher von der mRNA
translatierten) Strukturproteinen in die neuen Viruspartikel verpackt werden (Abb. 3.7).
77
Nach einem ähnlichen Muster erfolgt die Nukleinsäurereplikation doppelsträngiger
RNA-Viren (z.B. Rotaviren). Sie bilden ebenfalls RNA-Plusstränge, die in
Untereinheiten der Viruspartikel als Matrize dienen, um durch Synthese neuer
Minusstränge wieder die Doppelsträngigkeit herzustellen.
Abb. 3.7 Replikation der genomischen RNA von RNA-
Viren auf verschiedenen Wegen.
mRNA = Messenger-RNA
78
kann im Zytoplasma oder im Nukleus der Wirtszelle stattfinden. Viren mit Hülle
durchlaufen noch ein weiteres Stadium, bevor sie freigesetzt werden. An bestimmten
Stellen der Wirtszelle werden Hüll- und Glykoproteine (entstanden nach Translation aus
viraler mRNA) eingelagert, meist in die Plasmamembran der Wirtszelle. Dort gehen die
neuen Nukleokapside eine besondere Bindung mit der Membran ein (via Glykoproteine)
und stoßen durch die Membran hindurch („Budding“; Abb. 3.8).
Das neue Virus bekommt so eine äußere Hülle aus der Wirtszellmembran mit allen
viralen Molekülen. Dabei können auch noch Enzyme wie die Neuraminidase des
Influenzavirus mithelfen (Einzelheiten zum Influenzavirus s. Kap. 19). Damit das neue
Virus voll infektiös werden kann, müssen Enzyme (z.B. Zellproteasen) des Wirts die
anfangs sehr großen Hüllproteine aufspalten. Bei Herpesviren gelingt die Akquisition
der Membran durch die Entstehung der Nukleokapside von der inneren Kernmembran
aus und damit den Erwerb einer Hülle. Da umhüllte Viren auch freigesetzt werden, ohne
zum Zelltod zu führen, können infizierte Zellen lange Zeit Viruspartikel streuen.
Durch die Insertion von Virusmolekülen in die Zellmembran verändert sich die
Antigenität der Wirtszelle. Insofern ist die Expression von Virusantigenen ein
Hauptfaktor für die Entwicklung einer Immunreaktion.
79
Abb. 3.8 Freisetzung des Influenzavirus durch die
Wirtszellmembran als Beispiel für das Ausknospen
(Budding) eines RNA-Virus mit Hülle (Envelope).
80
3.4 Auswirkungen einer Virusinfektion
Bei latenten Infektionen jedoch verharrt das Virus in einer Ruhephase. Sein genetisches
Material bleibt währenddessen
Die Replikation erfolgt erst, wenn die Latenz durch einen Triggerreiz beendet wird.
Welche Reize das im Einzelnen sind, ist noch nicht völlig geklärt. Bei Herpes-simplex-
Viren kann Stress zur Aktivierung der Infektion führen (erkennbar an den typischen
Bläschen). Bei HIV-Infektion könnte eine antigene Stimulation infizierter Zellen der
Auslöser für eine Aktivierung sein.
Maligne Tumoren können durch DNA- und RNA-Viren induziert werden. Zu dieser
Gruppe gehören z.B. humanes T-Zell-Leukämievirus Typ 1 und 2 (HTLV-1 und -2; s.
unten), Epstein-Barr-Virus (EBV), verschiedene Papillomaviren (z.B. HPV 16 und 18)
sowie das Hepatitis-B-Virus (HBV; s. Kap. 17). Obwohl sie am Ende dasselbe bewirken,
variieren die transformierenden Mechanismen der beteiligten Viren. In jedem Fall ist die
normale Zellteilung außer Kontrolle geraten und die Reaktion auf äußere
81
(fördernde/hemmende) Einflüsse auf das Wachstum gestört. Diese Veränderungen
bringt die Inkorporation der viralen Nukleinsäure ins Genom der Wirtszelle mit sich.
Mehr als 20 retrovirale Onkogene sind inzwischen bekannt (Tab. 3.2). Als
krebserzeugende humanpathogene Viren haben aus der Gruppe der Retroviren nur
HTLV-1 und -2 größere Bedeutung. Paradoxerweise besitzen sie weder ein virales
Onkogen noch aktivieren sie unmittelbar ein zelluläres Onkogen (s. unten). Allerdings
sind mehrere Retroviren bekannt dafür, dass sie Tumoren bei Tieren verursachen.
82
Tab. 3.2 Beispiele für retrovirale Onkogene: Genprodukte, als
Träger der Onkogene bekannte Viren und assoziierte
Tierkrankheiten.
Myeloblastenleukämie Karzinom Osteosarkom
ALV/FeLV/MuLV = Geflügel- (avian), Katzen- (feline) und Mäuse- (murine)
Leukämievirus; GTP = Guanosintriphosphat
Aus dem, was wir bisher über die Genprodukte viraler Onkogene wissen, lässt sich
ableiten, dass zelluläre Onkogene (Protoonkogene) vermutlich eine wichtige Rolle für
die Steuerung des Wachstums der Wirtszellen spielen. Vielleicht kodieren sie für
Wachstumsfaktoren, Rezeptormoleküle an der Zelloberfläche, an die sich spezifische
Wachstumsfaktoren binden, für Komponenten des intrazellulären Signalsystems oder
für DNA-bindende Proteine, die als Transkriptionsfaktoren dienen.
Das Rous-Sarcoma-Virus-Onkogen src fügt sich direkt neben dem Gen, das die viralen
Hüllproteine kodiert, in das Virusgenom ein (Abb. 3.9). Im Unterschied zu anderen stark
transformierenden Viren besitzt das Rous-Sarcoma-Virus alle drei für die Replikation
83
erforderlichen Gene (gag, pol und env). Bei den anderen als „defekt“ transformierend
bezeichneten Viren führt die Inkorporation eines Onkogens zur Deletion von
genetischem Material in Regionen, die für die Gene pol und/oder env kodieren. Das
verhindert die Replikation und gelingt nur mithilfe genetisch kompletter Helferviren.
Onkogene können von Zelle zu Zelle in einem Wirt oder auch auf einen anderen
Organismus übertragen werden. Das geschieht bei der vertikalen Transmission (z.B.
Mutter zu Kind) in Form einer Viruspassage durch Gameten, über die Plazenta oder
über die Muttermilch. Die Übertragung kann aber auch als horizontale Transmission
ablaufen, z.B. durch Speichel oder Urin (s. Kap. 13).
Andere transformierende Viren sind defekt – sie haben zwar das Onkogen, aber
nicht alle Gene zur vollständigen Replikation. Die fehlenden Gene können ihnen
Helferviren bereitstellen.
84
■ virale DNA in der Nähe eines zellulären Onkogens inseriert wird.
Ersteres kann auf einer Mutation der Onkogensequenz innerhalb des viralen Genoms
beruhen. Bekanntlich sind zelluläre Onkogene nach einem einzelnen Basenaustausch
imstande, normale Zellen zu transformieren. Letzteres könnte eine veränderte
Expression des zellulären Onkogens infolge einer Störung der normalen
Steuerungseinflüsse widerspiegeln.
Die Expression kann sich unabhängig davon, ob ein virales Onkogen oder
nichtonkogene virale DNA eingefügt wurde, verändern. Sie kann sich auch nach
Kontakt mit unterschiedlichen Kanzerogenen einstellen. Produkte (Proteine) zellulärer
Onkogene werden normalerweise in Versuchsreihen dazu verwendet, die
Zellproliferation detailliert zu kontrollieren. Virale Onkogenprodukte oder eine
Überexpression zellulärer Onkogenprodukte führen dagegen zu Kurzschlüssen und
überlasten das komplexe Kontrollsystem. Die Folge ist eine unkontrollierte/nicht
steuerbare Zellteilung.
■ Anzahl (ss, ds) der Stränge und Polarität (Plus- oder Minusstrang) der Nukleinsäure
■ Replikationsart
85
Tab. 3.3 Übersicht über die Hauptgruppen der Viren
(Mims et al.. Medizinische Mikrobiologie – Infektiologie, 2.A.. Elsevier GmbH, Urban &
Fischer Verlag).
<vbk:978-3-437-41272-1#t003003> MW = Molekulargewicht, HSV = Herpes-
simplex-Virus, VZV = Varicella-Zoster-Virus, CMV = Zytomegalievirus, EBV =
Epstein-Barr-Virus, HHV = humane Herpesviren (Typ 6, 7 bzw. 8), SARS = schweres
akutes respiratorisches Syndrom, SRSV = schmale, runde, strukturierte Viren
* ss = einzelsträngig, ds = doppelsträngig
** Das Nukleokapsid von Herpesviren ist 100 nm groß, doch die Größe der Hülle
(Envelope) schwankt, daher kann das gesamte Virus einen Durchmesser bis zu 200 nm
haben
*** Die RNA von Retroviren enthält 2 identische Moleküle mit einem
Molekulargewicht von 3,5 × 10−6.
86
Zusammenfassung
■ Viren besitzen zwar RNA oder DNA, sind aber absolut auf Wirtszellen
angewiesen, um ihre genetische Information zu neuen Viruspartikel zu verarbeiten.
■ Entscheidend für den Kontakt und das Eindringen in die Wirtszelle ist die
Außenfläche des Virus (Kapsid oder Hülle/Envelope); sie bestimmt auch die
Überlebensfähigkeit von Viren unter Außenbedingungen.
■ An der komplizierten Replikation viraler RNA oder DNA sind Wirts- und/oder
virale Enzyme beteiligt.
■ Durch Zelllyse oder Knospung (Budding) aus der Zellmembran des Wirts
werden neue Viruspartikel freigesetzt.
■ Einige Viren führen zur Transformation (Entartung) der Wirtszelle, indem sie
in die normale Zellsteuerung eingreifen. So entstehen Krebszellen. Auslöser kann die
Aktivität viraler oder zellulärer Onkogene sein.
FRAGEN
1 Welches der genannten Viren ist ein RNA-Virus:
a) Papillomavirus,
b) Influenzavirus,
c) Hepatitis-B-Virus,
d) Epstein-Barr-Virus,
e) Herpes-simplex-Virus?
2 Welches der genannten Viren ist ein DNA-Virus:
a) Poliovirus,
b) Rötelnvirus,
c) Vacciniavirus,
d) Masernvirus,
e) HIV Typ 1?
3 Welchen Zellrezeptor benutzt das Influenzavirus:
a) Sialinsäure,
b) Acetylcholin,
c) CD4,
d) Glykophorin A,
e) C3d-Rezeptor?
4 Welche der genannten Viren können maligne Tumoren verursachen:
a) HIV,
b) Herpes-simplex-Virus,
87
c) Hepatitis-A-Virus,
d) HTLV (human T cell lymphotropic virus),
e) Rotaviren?
88
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Cann, A.J.: Principles of Molecular Virology. 2nd ed. Academic Press, London 1997.
Collier, L.H. (ed.): Topley and Wilson’s Microbiology and Microbial Infections. 9th ed.
Edward Arnold, London 1998.
89
4 Pilze
Zur Orientierung
Pilze sind Eukaryonten, unterscheiden sich aber deutlich von Pflanzen und Tieren.
Typisches Merkmal dieser multinukleären Organismen oder Mehrzeller ist ihre dicke,
chitinhaltige Zellwand. Pilze können filamentäre (Hyphen), aber auch viele andere
Wachstumsformen aufweisen. Bekannteste Exemplare sind die einzelligen Hefepilze und
Speisepilze. Als frei lebende Organismen kommen Pilze ubiquitär vor. Kommerziell
haben sie für die Erzeugung von Backwaren, Bier oder Pharmazeutika enorme Bedeutung.
Obwohl Pilze zur Normalflora des Körpers gehören, sind manche auch Auslöser häufiger
Lokalinfektionen der Haut und Haare. Einige Pilze können schwere Erkrankungen
verursachen und werden meist aus der äußeren Umgebung aufgenommen. Dringen
pathogene Pilze in den Körper ein, können sie Enzyme freisetzen, um das Gewebe von
außen zu „verdauen“ oder ihm direkt Nährstoffe zu entziehen. Die Wissenschaft des
Studiums der Pilze ist die Mykologie.
Typisch für die einzelligen hefeartigen Sprosspilze (z.B. Cryptococcus) ist ihre
Vermehrung durch Zellteilung. Es können sich auch „Knospen“ bilden, die mit der
„Mutterzelle“ verbunden bleiben und sich nicht ablösen (Pseudohyphen). Dimorphe
Pilze (z.B. Histoplasma) verändern bei einem Temperaturwechsel ihre Form: aus den
Hyphen bei Außen-/Umgebungstemperatur werden im Körper Hefezellen. Mit einer
wichtigen Ausnahme: bei Candida verhält es sich umgekehrt, denn hier bilden sich
Pilzfäden erst im Körper.
90
Man unterscheidet drei Arten von Pilzinfektionen (Mykosen):
■ systemische oder tiefe Mykosen (Befall innerer Organe); dazu zählen auch die
opportunistischen Pilzinfektionen immungeschwächter Patienten.
Anders als bei den gewöhnlich mild verlaufenden ersten beiden Formen kann bei einer
systemischen Mykose Lebensgefahr bestehen. Während sich oberflächliche Mykosen
durch direkten Hautkontakt verbreiten, entwickeln sich systemische Mykosen oft infolge
einer opportunistischen Pilzinfektion bei Patienten mit Immunschwäche (s. Kap. 30).
Viele Pilze aus der Umgebung werden pathogen, weil sie (z.B. nach Inhalation der
Sporen oder über offene Wunden als Eintrittspforte) auch im Körpermilieu überleben
können. Andere (z.B. Candida) bleiben als Bestandteil der Normalflora so lange
unschädlich, wie die Abwehrkräfte nicht geschwächt sind.
Noch bis vor kurzem wurde Pneumocystis jiroveci (früher P. carinii), ein Haupterreger
opportunistischer Infektionen bei AIDS-Patienten, als Protozoon eingestuft. Mittlerweile
gilt er als atypischer Pilz, der sich an Lungenzellen (Pneumozyten) heftet und eine
tödliche, pneumonieartige Krankheit verursachen kann.
91
Abb. 4.1 Einteilung pathogener Pilze anhand ihres
Wachstums und der Infektionen, die sie hervorrufen
92
Tab. 4.1 Übersicht über humanpathogene Pilze und wichtige
Mykosen
(Mims et al.. Medizinische Mikrobiologie – Infektiologie, 2.A.. Elsevier GmbH, Urban &
Fischer Verlag).
<vbk:978-3-437-41272-1#t004001> H = Hefe-/Sprosspilz, F = Fadenpilz, N/A
= Unterteilung in Hefe-/Spross- und Fadenpilze nicht anwendbar
* Wachstum im Körper
** Coccidioides haben eine ungewöhnliche Wachstumsform mit sprosspilzartigen
Endosporen in einer Sphärula (Kugel),
*** bildet auch Pseudohyphen aus
93
Zusammenfassung
■ Pilze unterscheiden sich von Pflanzen und Tieren, haben eine dicke Zellwand
aus Chitin und wachsen als Faden- (Hyphen) oder einzellige Hefe-/Sprosspilze.
■ Pilze, die Krankheiten auslösen, können aus der Umgebung stammen oder zur
Normalflora gehören.
FRAGEN
1 Welcher Pilz ist Bestandteil der Normalflora, kann aber auch zum
Krankheitserreger werden
a) Histoplasma
b) Blastomyces
c) Candida
d) Aspergillus
e) Cryptococcus?
2 Oberflächliche Mykosen betreffen
a) Epidermis
b) Nägel
c) Vagina
d) abgestorbene Haut
e) Dermis?
94
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Hay, R.J.: Medical Mycology. In: Collier, L.H. et al. (eds.): Topley and Wilson’s
Microbiology and Microbial Infections. 9th ed. Edward Arnold, London 1998.
Kwon-Chung, K.J., Bennett, J.E.: Medical Mycology. Lea & Febiger, Philadelphia
1992.
Sternberg, S.: The emerging fungal threat. Science 266 (1995) 1632.
95
5 Protozoen
Zur Orientierung
Protozoen sind Einzeller mit einer Größe von 2–100 μm. Viele kommen frei lebend vor,
und einige Vertreter sind wichtige Parasiten des Menschen. Verschiedene frei lebende
Spezies verursachen opportunistische Infektionen, andere führen nur bei Patienten mit
Immunschwäche zu schweren Erkrankungen. Obwohl Protozoen besonders in den Tropen
und Subtropen verbreitet sind, können Infektionen auch in gemäßigten Breiten auftreten.
Wie bei Malaria können Protozoen zwar selbst die Krankheitsursache (Zerstörung der
roten Blutkörperchen) sein, doch häufiger sind Immunreaktionen des Wirts der eigentliche
Pathomechanismus. In den meisten Fällen besteht keine unmittelbare Lebensgefahr (außer
für immungeschwächte Patienten). An Malaria versterben jedoch jährlich 1,5 Millionen
Menschen, vor allem kleine Kinder.
Intrazelluläre Parasiten nehmen Nährstoffe direkt von ihren Wirtszellen oder aus dem
Zytoplasma auf. Extrazelluläre Parasiten ernähren sich entweder direkt oder fressen
Wirtszellen, um sich so Nährstoffe einzuverleiben. Im menschlichen Körper
reproduzieren sich Protozoen gewöhnlich asexuell, durch einfache Zellteilung oder
wiederholte Teilungen in Wachstumsstadien (Trophozoiten). Eine sexuelle
Reproduktion erfolgt nicht – bzw. nur im Stadium der Insekten- oder Vektorphase.
Kryptosporidien bilden insofern eine Ausnahme, als sie sich im Menschen sowohl
sexuell als auch asexuell vermehren. Durch asexuelle Reproduktion kann sich die
Anzahl der Erreger rasch vermehren, erst recht bei geschwächter Abwehr des Wirts. Aus
dem Grund ist ein Protozoenbefall besonders für Kleinkinder in hohem Maße pathogen
(z.B. Toxoplasmen bei Neugeborenen).
Seit dem epidemischen Auftreten von AIDS sind verstärkt Protozoen in den Mittelpunkt
des Interesses gerückt, die früher nicht als humanpathogen bekannt waren, aber bei
Immunschwäche opportunistische Infektionen auslösen. Dazu zählen
Cryptosporidium, Isospora, Blastocystis und einige Mikrosporidien. Auch neue
Parasiten werden immer wieder entdeckt, so z.B. 1994 Cyclospora cayetanensis (wird
durch Nahrungsmittel übertragen und verursacht Diarrhöen).
96
Extrazelluläre Spezies verhindern die immunologische Erkennung ihrer
Plasmamembran. Für extrazelluläre Protozoen bildet die Plasmamembran die Kontakt-
/Grenzfläche zum Wirt. Deshalb haben sie verschiedene Strategien entwickelt, um sich
der Immunüberwachung zu entziehen:
Abb. 5.1 Auftreten von Protozoen im Körper.
97
wird auf sexuellem Wege übertragen und Trypanosomen durch Insekten (Vektoren). Bei
den intrazellulären Spezies sind die von Insekten übertragenen Plasmodien und
Leishmanien am wichtigsten. Andere (Toxoplasmen) können verschluckt oder
intrauterin von der Mutter auf das Kind übertragen werden (Tab. 5.1)
98
Zusammenfassung
■ Protozoen sind einzellige Organismen, die frei lebend und als Parasiten
vorkommen. Beide Formen können für Menschen pathogen sein.
■ Inner- und außerhalb von Zellen können sich Protozoen in vielfältiger Weise
der Wirtsabwehr entziehen.
99
FRAGEN
1 Die wichtigste parasitäre Infektion ist
a) Leishmaniasis
b) Malaria
c) Kryptosporidiose
d) Amöbiasis
e) Trypanosomiasis?
2 Welche Parasiten befallen nicht den Darmtrakt des Menschen?
a) Giardia
b) Entamoeba
c) Cyclospora
d) Toxoplasma
e) Cryptosporidium
3 Ein extrazellulärer Parasit ist
a) Cryptosporidium
b) Leishmania
c) Toxoplasma
d) Giardia
e) Plasmodium?
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Cox, F.E.G., Wakelin, D.: Parasitology. In: Collier, L.H. et al. (eds.): Topley and
Wilson’s Microbiology and Microbial Infections. 9th ed. Edward Arnold, London
1998.
Despommier, D.D. et al.: Parasitic Diseases. 4th ed. Apple Trees Production, New
York 2000.
Mehlhorn, H., Eichenlaub, D., Löscher, T., Peters, W.: Diagnostik und Therapie der
Parasitosen des Menschen. 2. Auflage, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart Jena New
York 1995.
100
6 Helminthen und Arthropoden
6.1 Helminthen 53
6.1.1 Lebenszyklen 54
Bei Plattwürmern ist der abgeflachte Körper mit muskulären Saugnäpfen und/oder
Haken ausgestattet, mit denen sie sich am Wirt festhalten können. Nematoden mit ihrem
langen zylindrischen Körper besitzen meist kein spezielles Anheftungsorgan.
Arthropoden (Gliederfüßer) sind nicht nur die zahlenmäßig größte, sondern vermutlich
auch erfolgreichste Einzelgruppe von Tieren. Bei Menschen spielen Insekten, Zecken und
Milben die größte Rolle als Krankheitserreger. Sie sind gut an das Leben mit Menschen
angepasst und ernähren sich von Blut oder Gewebeflüssigkeit.
Mit den Ernährungsgewohnheiten hängt auch zusammen, dass Arthropoden ein breites
Spektrum mikrobieller Infektionserreger übertragen können. Andere dienen als
Zwischenwirt und – sobald sie verzehrt werden – als Überträger von Helminthen. Wieder
andere stellen durch ihre gefährlichen Bisse oder Stiche selbst eine Bedrohung dar.
6.1 Helminthen
101
Dass Infestationen mit Helminthen in tropischen und subtropischen Regionen häufiger
vorkommen, unterstreicht den Einfluss der klimatischen Bedingungen auf das
Überleben infektiöser Entwicklungsstadien; es zeigt aber auch, dass bestimmte
sozioökonomische Verhältnisse fäkal-orale Kontakte begünstigen, wie sich Zubereitung
der Nahrung und Essgewohnheiten auswirken und dass geeignete Vektoren verfügbar
sein müssen. Überall sind am häufigsten Kinder betroffen sowie Menschen, die eng mit
Haustieren zusammenleben oder besondere Vorlieben beim Essen haben.
Abb. 6.1 Wie Helminthen in den Körper gelangen.
Die meisten Helminthen vermehren sich nicht im Wirt. In einfachster Form (wie bei
vielen Darmwürmern) führt ihre sexuelle Fortpflanzung zur Produktion von Wurmeiern,
die im Kot des Wirts ausgeschieden werden. Andere reifen trotz einer Anhäufung
reproduktiver Stadien nicht voll in einem Wirt heran. Manche Bandwurmlarven können
sich asexuell in Menschen vermehren. Bei den Nematoden bildet Strongyloides insofern
eine Ausnahme, als im Darm nicht nur die Eier abgelegt werden, sondern auch
infektiöse Larven schlüpfen und erneut in den Körper eindringen – man spricht in dem
102
Fall von einer „Autoinfektion“. Ein ähnliches Phänomen zeigt sich beim
Schweinebandwurm (Taenia solium).
6.1.1 Lebenszyklen
Bei den Nematoden sind beide Geschlechter getrennt. Die meisten Spezies setzen nur
befruchtete Eier frei, einige geben jedoch frühe Larvenstadien im Körper des Wirtes
ab. Ei bzw. Larve können sich entweder direkt (in einem Wirt) oder indirekt (mit
Stadien in einem Zwischenwirt) zum adulten Wurm entwickeln. Aus praktischen
Erwägungen beschränken wir uns angesichts der weit verzweigten Klassifikation der
103
Nematoden hier auf zwei Gruppen, die spezifisch den Menschen als Wirt benötigen.
Sie reifen entweder
Menschen können sich auch mit Larven infizieren, die in anderen Wirten herangereift
sind (z.B. der Hundebandwurm Toxocara canis und Ancylostoma spp.).
104
Tab. 6.1 Übersicht über die wichtigsten Cestoden
* seltene Infektionen
105
6.2 Gliederfüßer (Arthropoden)
Arthropoden können entweder direkt (durch ihr Ernährungsmuster) oder indirekt (als
Überträger von Infektionen) Krankheiten hervorrufen.
106
Arthropoden ernähren sich von Blut und
Gewebeflüssigkeit des Menschen
Moskitos, Mücken, Bremsen, Wanzen, Flöhe und Zecken sind blutsaugende Insekten.
Auch Milben ernähren sich so – bekanntestes Beispiel sind vermutlich die Erreger der
Erntekrätze (Larven der Erntemilbe, Trombicula autumnalis). Der Kontakt zwischen
Menschen und Arthropoden kann vorübergehend oder aber dauerhaft bestehen.
Temporäre Ektoparasiten wie die Moskitos saugen nur minutenlang Blut, Zecken
dagegen viel länger. Mit Kopf und Körper versehene Läuse wie Pediculus humanus
(Kleiderlaus) und Phthirus pubis (Filzlaus) halten sich fast ihr ganzes Leben auf
Menschen auf (stationäre Ektoparasiten), saugen Blut und vermehren sich auf der
Haut oder in der Kleidung. Auch Sarcoptes scabiei (Krätzemilbe) lebt ständig auf
Menschen, frisst sich durch die oberen Hautschichten und legt in den Gängen, die sie
dabei gräbt, ihre Eier ab. Das kann es zu einer schweren Infektion führen, die besonders
bei Menschen mit eingeschränkter Immunlage starke Entzündungsreaktionen hervorruft
(s. Kap. 26).
107
Tab. 6.4 Übersicht über von Arthropoden übertragene Infektionen
des Menschen
108
Zusammenfassung
■ Helminthen sind mehrzellige Würmer, die in vielen Körperorganen
vorkommen können, aber am häufigsten den Gastrointestinaltrakt befallen.
■ Für Menschen sind Arthropoden insofern von Bedeutung, als sie Blut saugen
oder sich von Körpergeweben ernähren (Insekten, Zecken, Milben). Dabei können
sie andere Infektionserreger (vor allem Bakterien und Protozoen) übertragen.
FRAGEN
1 Welcher Bandwurm wird beim Verzehr von infiziertem Schweinefleisch
erworben?
a) Taenia saginata
b) Hymenolepis nana
c) Echinococcus granulosus
d) Taenia solium
e) Diphyllobothrium latum
2 Welcher Rundwurm kommt nicht im Darmtrakt vor?
a) Enterobius vermicularis
b) Ascaris lumbricoides
c) Wuchereria bancrofti
d) Trichuris trichiura
e) Strongyloides stercoralis
3 Im Lebenszyklus von Schistosomen
a) findet eine direkte Übertragung statt
b) sind Wasserschnecken an der Übertragung beteiligt
c) dienen Insekten als Vektoren
d) leben adulte Würmer im Darm
e) infizieren sich Menschen durch Verschlucken der Eier?
4 Von Arthropoden auf Menschen übertragen werden
a) Bakterien
b) Viren
c) Helminthen
d) Protozoen
e) alle?
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
109
Cox, F.E.G., Wakelin, D.: Parasitology. In: Collier, L.H. et al. (eds.): Topley and
Wilson’s Microbiology and Microbial Infections. 9th ed. Edward Arnold, London
1998.
Despommier, D.D. et al.: Parasitic Diseases. 4th ed. Apple Trees Productions, New
York 2000.
Mehlhorn, H., Eichenlaub, D., Löscher, T., Peters, W.: Diagnostik und Therapie der
Parasitosen des Menschen. 2. Auflage, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart Jena New
York 1995.
110
7 Prionen
7.1 „Prion-Protein“ – Pathogenese 59
Als erste Prionen-Erkrankung des Menschen wurde Kuru bei einigen Stämmen in
Neuguinea identifiziert, die aus rituellen Gründen menschliches Gewebe verzehrten.
Neueren Datums ist die Entdeckung, dass die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-
Krankheit (nvCJD) offenbar mit dem Konsum von BSE(bovine spongioforme
Enzepaholpathie)-infiziertem Rindfleisch zusammenhängt.
111
typischen intrazellulären Fibrillen des erkrankten Gewebes. PrPSc stammt von einem
zellulären Prion-Protein (PrPc) ab, das natürlich vorkommt und vor allem auf
Nervenzellen exprimiert wird; kodiert wird es von einer einzelnen Genkopie mit
unbekannter Funktion. Mäuse, deren PrPc-Gen gespalten wurde, erkrankten nicht an
Scrapie, zeigten aber keine groben Auffälligkeiten.
Trotz ähnlicher Sequenz unterscheiden sich Struktur und Protease-Resistenz der beiden
Proteine: PrPSc ist kugelförmig (globulär) und resistent gegenüber Proteasen, PrPc linear
und empfänglich für Enzyme. Auch wenn noch nicht alle Einzelheiten bekannt sind,
scheint die Verbindung zwischen PrPSc und PrPc darin zu bestehen, dass letzteres –
hauptsächlich über eine Konformationsänderung der α-Helices zu β-Faltblättern – in
die abnormale Form überführt wird. Befallene Zellen beginnen daraufhin, mehr PrPc zu
bilden und wiederholt umzuwandeln, bis sich das angehäufte PrPSc zu Amyloidfibrillen
und Plaques zusammenlagert (Abb. 7.1). Durch Replikation kann es zu einem starken
Titeranstieg kommen – pro Gramm Hirngewebe wurden bis zu 108–109 infektiöse
Partikel gefunden.
Dass das Zusammenwirken von PrPSc mit PrPc entscheidend für den Ablauf ist, ließ sich
mit ausgedehnten Experimenten an Schafen und Mäusen belegen. Aus diesen Versuchen
ergaben sich wichtige Schlussfolgerungen:
■ Mäuse ohne das PrPc-Gen erkranken bei Injektion von Prionen nicht.
112
(1) Von normalen Zellen wird PrPc als lineares Zellmembranprotein exprimiert.
(2) Ist globuläres PrPSc als freies Glykoprotein vorhanden, kann es mit PrPc
interagieren.
(3) PrPc löst sich von der Zellmembran und wird in PrPSc umgewandelt.
(4) Weil die Zellen vermehrt PrPc produzieren, beginnt der Zyklus ständig von
neuem.
(5) In Plaques angehäuftes PrPSc wird in die Zellen aufgenommen.
In der Entwicklung von Scrapie bei Schafen zeigen sich starke genetische Einflüsse;
manche Zuchtrassen erweisen sich als erheblich widerstandsfähiger als andere.
Ähnliches ließ sich auch bei Mäusen beobachten. Bei Menschen ist Homozygotie (Valin
oder Methionin) am Codon 129 des Prion-Protein-Gens ausschlaggebend für ihre
Anfälligkeit gegenüber der sporadischen, iatrogenen oder neuen Variante der CJD. Dass
auch Prionen Veränderungen unterliegen, zeigt die Beschreibung unterschiedlicher
„Stämme“. Durch die Kombination – Variationen bei Wirt und Prionen – sind Auftreten
und Schwere der Erkrankung breit gefächert.
113
Da PrPSc von Molekülen abstammt, die von normalen Zellen exprimiert werden, erhöht
sich die Wahrscheinlichkeit, dass Prionen auch infolge von PrPc-Spontanmutationen im
Körper auftauchen. Tatsächlich könnten die sporadische Form der CJD und zwei weitere
Prionen-Erkrankungen des Menschen (Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom und die
letale familiäre Insomnie) auf diese Weise entstanden sein.
Außer Fällen, in denen sich Prionen durch Mutation entwickelt haben, setzen
Übertragung und Ausbreitung der Erkrankung aber einen Kontakt mit infektiösem
Material voraus. Dabei kann es sich sowohl um kontaminierte Nahrung, Medizinprodukte
(Blut, Hormonextrakte, Transplantate) und Instrumente (Ansteckung bei chirurgischen
Eingriffen) als auch um eine Mutter-Kind-Übertragung in der Schwangerschaft handeln
(obwohl die Krankheit bei keinem von hunderten Neugeborenen Kuru-kranker Mütter
ausbrach). An Kuru (s. Kap. 24) erkrankten Menschen, die im Rahmen von
Begräbnisritualen das Hirngewebe Verstorbener aßen.
Die neue Variante der CJD wird vermutlich durch kontaminiertes Rindfleisch übertragen.
In beiden Fällen überstehen die Prionen unbeschadet die Verdauung und gelangen dann
über die Darmschleimhaut in Zellen des Lymphsystems. Von dort können sie in
Nervengewebe gelangen und ins ZNS eindringen.
114
Abb. 7.2 Ausbreitung des Scrapie-Erregers zwischen
verschiedenen Spezies.
Fast alle waren auf Labortiere (Nagetiere und Primaten) übertragbar. (* Hier wurde
die Infektion auf Scrapie-verseuchtes Material von Schafen im Futtermittel
zurückgeführt. Die meisten Erreger wiesen Mutationen am Codon 129
(Aminosäurerest) des Prion-Proteins auf; darin sieht man die Ursache für die
Überführung des normalen Proteins in die pathogene Form.)
115
■ Von Prionen verursacht werden Erkrankungen wie Kuru, Creutzfeldt-Jakob-
Krankheit (CJD), die neue Variante der CJD und BSE (bovine spongiforme
Enzephalitis).
FRAGEN
1 Die Übertragung von Prionen erfolgt nicht durch
a) kontaminierte chirurgische Instrumente
b) kontaminierte Blutprodukte
c) infizierte Nahrung
d) Insektenstich/-biss (Vektor)
e) vertikale Transmission (Mutter-Fetus)?
2 Bei einer Infektion mit Prionen kommt es zu
a) IgM-Antikörper-Reaktionen
b) IgG-Antikörper-Reaktionen
c) Hypersensitivitätsreaktion vom verzögerten Typ
d) fokaler (herdförmiger) Entzündung
e) keiner der genannten Reaktionen?
3 Prionen lassen sich zerstören durch
a) Bedampfen mit Formaldehyd
b) Natriumhydroxid und Natriumhypochlorit
c) Detergenzien
d) Bestrahlung
e) Erhitzen (Kochen)?
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Collinge, J., Palmer, M.S. et al.: Prion Diseases. Oxford University Press, Oxford
1997.
Prusiner, S. (ed.): Prion Biology and Diseases. Cold Spring Harbor Laboratory Press
1999.
116
8 Parasiten-Wirt-Beziehung
8.1 Normalflora 63
8.2.1 Kommensalismus 67
8.2.3 Parasitismus 67
8.3.1 Vorteile 68
8.3.2 Nachteile 69
8.1 Normalflora
117
Keime kommen überall dort vor, wo Körperteile nach außen exponiert sind oder mit der
Umgebung kommunizieren, d.h. auf der Haut, in Mund und Nase, Darm- und
Urogenitaltrakt. Innere Organe und Gewebe im Körperinneren sind normalerweise
keimfrei (steril). Wie sich die wichtigsten Keime auf einzelne Körperbereiche verteilen,
zeigt Abb. 8.1.
118
Abb. 8.1 Keime der Normalflora und ihre Verteilung
auf einzelne Körperbereiche.
Behaarte Kopfhaut und Nagelränder können von einer Reihe Pilzen, darunter z.B.
Candida, befallen sein. Pilzinfektionen betreffen viel seltener trockene Hautstellen als
feuchte Falten (Intertrigo).
119
Nase und Mund können dicht mit Bakterien besiedelt
sein
Bakterien auf der Schleimhaut von Mund und Nase sind meist Anaerobier. Hier haben
sich am häufigsten Streptokokken, Staphylokokken, coryneforme Bakterien und Gram-
negative Kokken angesiedelt. Einige der bei Gesunden vertretenen Aerobier sind
potentiell pathogen (z.B. S. aureus, Streptococcus pneumoniae, Streptococcus pyogenes,
Neisseria meningitidis), genauso wie Candida spp.
Die Mundschleimhaut kann eine ähnlich hohe Keimdichte wie der Dickdarm aufweisen
(bis zu 1011 pro Gramm Feuchtgewicht).
120
Abb. 8.2 Die Normalflora im Verdauungstrakt des
Menschen.
121
Im Vergleich zur schwach besiedelten Urethra (bei
Männern und Frauen) bieten sich in der Vagina gute
Wachstumsbedingungen für Bakterien und Pilze
Die Urethra ist eher dünn besiedelt, auch wenn bei beiden Geschlechtern S. epidermidis,
Enterococcus faecalis und coryneforme Bakterien vorkommen können. In der vaginalen
Flora treten altersabhängige Veränderungen der Zusammensetzung auf:
Bei einem Anstieg des vaginalen pH-Werts kann es zu einer Überwucherung mit
verschiedenen Pilzarten (darunter auch Candida) kommen, die nicht mehr richtig von
Bakterien in Schach gehalten werden können. Das Protozoon Trichomonas vaginalis
kann auch bei gesunden Frauen vereinzelt vorhanden sein.
Die Normalflora verhindert auf unterschiedliche Weise eine Besiedlung des Körpers
mit potenziellen Krankheitserregern:
122
Mit organischen Säuren, die sie freisetzen, unterstützen Darmbakterien den
Stoffwechsel ihres Wirts. Darüber hinaus produzieren sie in so ausreichender Menge
Vitamin B und K, so dass eventuelle Ernährungsmängel ausgeglichen werden können.
Zudem trägt die antigene Stimulation durch die Darmflora mit dazu bei, dass sich das
Immunsystem normal entwickelt.
123
Evolution immer größer, komplexer und besser gesteuert wurden. Mit ihrer komplexen
Bauweise bieten Vögel und Säugetiere (einschließlich des Menschen) eine so
abwechslungsreiche Umgebung, dass sie am stärksten besiedelt sind.
Wie das Beispiel der Normalflora zeigt, müssen Beziehungen zwischen Wirt und
Mikroorganismus nicht zwangsläufig zur Erkrankung führen. Vielmehr hängt es von
mehreren Einflussfaktoren ab, ob sich Keime in einer solchen Verbindung und der
gegebenen Situation als harmlos oder pathogen erweisen. Um die mikrobiologischen
Grundlagen von Infektionskrankheiten besser zu verstehen, sollten potenziell pathogene
Keime auch im Zusammenhang mit symbiotischen Verbindungen (wie Kommensalismus
oder Mutualismus) zwischen Spezies gesehen werden, die sich normalerweise weder
schädlich noch nachteilig auswirken.
124
Abb. 8.3 Formen symbiotischer Verbindungen.
Die meisten Spezies sind eigenständig oder nur vorübergehend auf andere
angewiesen, um ihren Nahrungsbedarf zu decken (z.B. Raubtiere und Beutetiere).
Bei engeren Verbindungen, sog. Symbiosen, lassen sich drei Hauptkategorien
(Kommensalismus, Parasitismus und Mutualismus) unterscheiden, die sich teilweise
überschneiden und nicht strikt voneinander abzugrenzen sind.
Aufgrund des jeweiligen Vorteils, den einer oder beide Partner aus ihrer Symbiose
ziehen, lassen sich grob drei Hauptkategorien definieren – Kommensalismus,
Mutualismus und Parasitismus. Keine beschränkt sich auf eine einzelne taxonomische
Gruppe. Je nach ihren Lebensbedingungen könnten manche Organismen sogar allen drei
Kategorien zugeordnet werden (Abb. 8.4).
8.2.1 Kommensalismus
125
Wie bei allen Tieren sind Haut, Mundbereich und Verdauungstrakt des Menschen
reichlich mit einer kommensalen Flora besiedelt. In der Mehrzahl sind es Bakterien
mit einer zum Teil sehr spezifischen Wirtsbeziehung (durch besondere
Adhärenzfaktoren und Milieuanforderungen). Wenn sich die Umgebungsbedingungen
ändern, können auch solche normalerweise harmlosen Mikroorganismen schädlich für
den Wirt werden (z.B. Bacteroides spp., E. coli, S. aureus). Umgekehrt helfen
Kommensalen ihrem Wirt, weil sie:
Abb. 8.4 Beispiele für Kommensalismus,
Parasitismus und Mutualismus.
Die ersten beiden Beispiele zeigen, wie schwer sich Organismen als absolut
harmlos, schädlich oder nützlich einstufen lassen.
126
■ eine Besiedlung mit pathogenen Bakterienspezies verhindern –
Kolonisationsresistenz (z.B. die Darmflora) bzw.
8.2.3 Parasitismus
Parasiten zwangsläufig für schädlich zu halten ist eine Sichtweise, die stark von der
Klinik in der Human- bzw. Veterinärmedizin und den Ergebnissen von
Laborversuchen gefärbt ist. In Wirklichkeit unterhalten Parasiten oft völlig
unschädliche Beziehungen zu ihren natürlichen Wirten und entwickeln sich unter
normalen Umständen (d.h. bei guter Gesundheit des Wirts) nicht zu Pathogenen. Zum
Beispiel koexistiert das Tollwutvirus friedlich mit wilden Säugetieren und wird erst in
Menschen zum tödlichen Krankheitserreger. Diesen Zustand einer ausbalancierten
Pathogenität erklärt man sich als Folge eines länger einwirkenden Selektionsdrucks.
Darin könnte sich z.B. widerspiegeln, dass in der Wirtspopulation eine Selektion
hinsichtlich einer genetisch determinierten erhöhten Resistenz und bei den Parasiten
hinsichtlich einer verringerten Pathogenität stattgefunden hat (wie es z.B. bei der
Kaninchen-Myxomatose der Fall war). Alternativ könnte es sich um eine evolutionäre
127
Regel handeln, nach der eine unausgeglichene (unbalancierte) Pathogenität lediglich
bei Etablierung eines Mikroorganismus in einem unnatürlichen (bzw. fremden)
Wirtsorganismus auftritt.
Parasitismus lässt sich also auch nicht klarer als die beiden anderen Symbiose-
Kategorien definieren, es sei denn in Verbindung mit eindeutigen oder
hochpathogenen Erregern. Unter einem breiteren Blickwinkel ist die Auffassung,
Parasiten seien notwendigerweise schädlich, nicht beizubehalten. Die Gründe werden
unten genauer erläutert.
8.3.1 Vorteile
128
Bei Retroviren geht die Abhängigkeit noch einen Schritt weiter, indem sie ihre eigene
genetische Information in die Wirts-DNA einfügen, um selbst noch den
Transkriptionsprozess vom Wirt zu nutzen. Viren verkörpern somit die ultimative
parasitäre Form, und das unterscheidet ihre Wirtsbeziehung qualitativ von der aller
anderen Parasiten.
Den fundamentalen Unterschied zwischen Viren und anderen Parasiten erklärt ihre
vom zellulären Aufbau der Pro- und Eukaryonten abweichende Struktur. Nicht-virale
Parasiten haben neben einem eigenen Gen- und Zellapparat noch Multienzymsysteme,
die ihren Stoffwechsel unabhängig machen und sie zur Synthese von
Makromolekülen befähigen. Inwieweit sie zur Deckung ihres Nährstoffbedarfs auf den
Wirt angewiesen sind, schwankt für einzelne Gruppen beträchtlich, ohne ein
erkennbares festes Muster. Es lässt sich auch nicht folgern, dass kleinere Parasiten
stärker abhängig wären als größere; immerhin müssen Bandwürmer, die zu den
größten Parasiten zählen, ihren Nahrungsbedarf komplett über Verdauungsvorgänge
ihres Wirts decken.
Natürlich zehren alle Parasiten von ihrem Wirt, doch während sich einige nur
Makromoleküle vom Wirt (Proteine, Polysaccharide) holen, die sie mit eigenen
Enzymsystemen verdauen, sind andere Parasiten auch auf die Verdauung ihres Wirts
angewiesen, weil sie nur niedermolekulare Stoffe (Aminosäuren, Monosaccharide)
aufnehmen können. Die Abhängigkeit vom Wirt kann so weit gehen, dass manchen
Parasiten Wachstumsfaktoren bereitgestellt werden, die sie nicht selbst synthetisieren
können. Um sich mit Sauerstoff zu versorgen, verlassen sich Endoparasiten auf das
Atmungs- und Transportsystem des Wirts, obwohl sie zum Teil fakultativ oder obligat
anaerob sind.
129
Die Parasitenentwicklung kann vom Wirt kontrolliert
werden
Um den Vorzug der parasitären Lebensform auch reproduktiv auszunutzen, ist es
wichtig für Parasiten, ihre Entwicklung auf die Verfügbarkeit eines geeigneten Wirts
abzustimmen. Tatsächlich haben sie typischerweise die Fähigkeit verloren, ihre eigene
Entwicklung in Gang zu bringen oder zu steuern, und müssen sich deshalb teilweise
oder ganz vom Wirt kontrolliert entwickeln. In einfachster Form beschränkt sich die
Kontrolle des Wirts darauf, die zur Bindung bzw. Aufnahme von Parasiten in Zellen
erforderlichen Oberflächenmoleküle bereitzustellen. Viele Parasiten (Viren bis
Protozoen) dringen erst, nachdem sie die Moleküle erkannt haben, in Wirtszellen ein
und nehmen diese Signale als Trigger auf, um mit ihrem Replikations- oder
Reproduktionszyklus zu beginnen.
Andere Parasiten, in erster Linie Eukaryonten, brauchen noch stärkere und verfeinerte
Signale, oft auch Signalkomplexe, zur Initiierung und Steuerung ihres
Entwicklungszyklus. Ein determinierender Faktor für spezifische Wirt-Parasit-
Beziehungen ist die Komplexität der Signale. Kann ein bestimmtes Signal für die
Parasitenentwicklung nur von einer Wirtsspezies gegeben werden, ist die
Wirtsspezifität besonders hoch. Wenn das erforderliche Signal von mehreren Spezies
ausgehen kann, ist die Wirtsspezifität dagegen niedriger.
Abb. 8.5 Wie DNA- und RNA-Viren in Zellen
eindringen und diese infizieren.
130
Virusprotein und Virus-RNA werden dann zu neuen Partikeln zusammengefügt
und freigesetzt.
8.3.2 Nachteile
Der offensichtlichste Nachteil für Parasiten ergibt sich aus der Tatsache, dass der Wirt
ihre Entwicklung kontrolliert. Keine Entwicklung ohne geeigneten Wirt heißt auch,
dass viele Parasiten absterben, wenn sie den passenden Wirt nicht finden. Damit sie
draußen länger überleben können und die Chancen für erfolgreiche Wirtskontakte
steigen, haben Parasiten ein paar Anpassungen vorgenommen: Formen wie
Viruspartikel, Endosporen (Bakterien), Zysten (Protozoen) und Wurmeier. Demselben
Zweck dient die Produktion zahlreicher Nachkommen. Letztlich erschöpfen sich die
Überlebenskräfte der Parasiten aber doch, falls ihre Suche nach einem Wirt fortwährend
scheitert. Die Anpassung an Wirtssignale erfolgt daher zu Lasten der Reproduktion (d.h.
Verlust vieler potenzieller Parasiten).
Viele Bakterien und ähnliche Parasiten von Menschen und Säugetieren sind
ursprünglich durch zufällige Kontakte entstanden. Andere, die zuvor andere Spezies
besiedelten, mussten sich umstellen und sich an andere Wirte anpassen. Ein gutes
Beispiel ist die Übertragung von Parasiten durch blutsaugende Arthropoden, deren
Parasiten auf diese Weise leicht Zugang zum Gewebe anderer Tiere bekommen.
131
Viele Bakterien entwickelten sich zu Parasiten, die in
Wirtszellen leben
Bevor sie durch zufällige Kontakte zu Parasiten wurden, mussten Bakterien außerhalb
der Wirtszellen auf die Vorzüge verzichten, die sich im Zellinneren boten. Die
Entwicklung zur intrazellulären Form könnte einfach mit der passiven Aufnahme
durch Phagozyten begonnen haben. Das setzte zwar weitere Modifikationen voraus,
doch ihr Überleben in Wirtszellen hing davon ab, dass die Bakterien mithilfe bestimmter
Oberflächenmerkmale oder Stoffwechseleigenschaften eine Verdauung bzw. Zerstörung
durch die Wirtszellen verhindern konnten. Wie erfolgreich die intrazelluläre Lebensform
gewesen sein muss, lässt sich nicht nur an der großen Zahl der Bakterien, die sie
übernahmen, sondern auch an der weit reichenden biologischen Anpassung mancher
Bakterien an ihre Wirtszellen bemessen. Am Ende entstanden vielleicht auch die
Mitochondrien der Eukaryonten durch eine derartige Integration; viele sehen darin ein
Produkt heterotropher, symbiotischer Purpurbakterien (Abb. 8.6).
Abb. 8.6 Entwicklung von Mitochondrien.
132
besteht eindeutig eine Verbindung zwischen parasitären Formen und der Entwicklung
höherer Lebewesen (als potenziellen Wirten). Ob das auch für die Viren zutrifft, ist
fraglich; es kommt darauf ab, ob man Viren als primär oder sekundär einfache
Strukturen ansieht.
Haben sich Viren aus zellulären Vorstufen entwickelt (also erst nachträglich/sekundär
vereinfacht), sind sie erst lange nach den Pro- und Eukaryonten zu Parasiten geworden.
Möglicherweise sind Viren als primitive, nichtzelluläre Strukturen aber bereits sehr früh
mit der Entwicklung zellulären Lebens parasitär geworden – etwa weil veränderte
Umweltbedingungen ab einem bestimmten Zeitpunkt keine unabhängige Existenz mehr
zuließen. Als Drittes könnten Viren nie etwas anderes als nukleäre Fragmente
(Bruchstücke vom Zellkern anderer Organismen) – und demnach immer rein parasitär –
gewesen sein. Für neuere Viren scheinen in der Tat alle drei Entstehungswege in
Betracht zu kommen.
■ Protozoen wie die frei lebenden Amöben Naegleria sp. können eine schwere,
manchmal tödliche verlaufende opportunistische Infektion auslösen, wenn sie in den
Körper eines Menschen eindringen.
133
8.4.1 Anpassung an Entzündungs- und
Immunreaktionen des Wirtes
Parasiten müssen sich an das Leben in anderen Tieren anpassen; es sind ähnliche
Mechanismen wie für die Anpassung an bestimmte Umgebungsbedingungen
erforderlich. Die Umgebung von Parasiten ist nur eine von vielen, an die sich
Organismen im Laufe der Evolution anpassen mussten (vergleichbar dem Leben im
Erdreich, in Süß-oder Salzwasser, in verrottendem Material usw.). Man sollte sich
allerdings immer den Hauptunterschied zwischen parasitären und anderen
Lebensformen klar machen. Die Umgebung, in der Parasiten leben, wie der Körper des
Wirts, verhält sich nicht passiv, sondern kann im Gegenteil sogar sehr aktiv auf
vorhandene Parasiten reagieren.
Dass ihr Körper eine hohe Anziehungskraft als Umgebung für Parasiten ausübt, setzt
Wirtstiere ständig unter Druck (Infektionsgefahr). Dieser Druck verstärkt sich noch,
Diese Vorgänge stellen jedoch nicht die Schwerpunkte der klinischen Mikrobiologie
dar, die sich mit den Auswirkungen von Infektionen im Sinne der Erkrankung
beschäftigt. Diese Erkenntnisse sind jedoch wichtig für das Verständis
mikrobiologisch-infektiologischer Zusammenhänge, weil sie Erklärungen für die
Auseinandersetzung liefern, die sich ständig zwischen Wirt und Parasit abspielt – der
eine möchte die Infektion eindämmen oder Keime zerstören, der andere sich dem
entziehen oder die Wirtsabwehr unterdrücken. Verständlich wird so auch, weshalb
ständig neue Infektionskrankheiten auftauchen oder alte zurückkehren können.
Parasiten sehen sich nicht nur damit konfrontiert, in einer anfänglich neuen Umgebung
zu überleben, sondern auch dann zu überleben, wenn sich die bekannte Umgebung in
einer Weise verändert, die schädlich für sie werden könnte. Entzündungs- und
Immunreaktionen sind für den Wirt die wichtigsten Mittel, um Infektionen bzw.
Erreger in Schach zu halten, die seine natürlichen Schranken überwunden haben und
im Körper überleben können. Diese hervorragenden Abwehrmechanismen hindern
Parasiten, ungestört zu überleben und zwingen sie, eigene Strategien zu entwickeln,
134
um schädliche Umgebungseinflüsse zu parieren. Erfolgreiche Parasiten schaffen es, in
der einen oder anderen Weise mit Wirtsreaktionen fertig zu werden oder ihnen zu
entgehen (Tab. 8.1).
135
Veränderungen der Parasiten stellen ihre Wirte vor
neue Probleme
Aus dem oben Gesagten geht hervor, dass es keine statische Beziehung zwischen Wirt
und Parasit geben kann und es daher nicht gerechtfertigt ist, von unveränderlich
pathogenen oder harmlosen Parasiten auszugehen. Eher findet ein Wettbewerb
zwischen den Beteiligten statt, jeder versucht, bei Veränderungen des Kontrahenten
mit eigenen Modifikationen gleichzuziehen. Schon die kleinste Veränderung kann das
Gleichgewicht in der Beziehung komplett verschieben (z.B. in Richtung einer
stärkeren oder schwächeren Pathogenität).
Einige bakterielle Enzyme, die von Genen auf Plasmiden (zytoplasmatische DNA)
kodiert werden, können die Antibiotikawirkung hemmen oder abschwächen. Da
Plasmide zwischen Bakterienspezies übertragen werden können, erwerben auch
Spezies oder Stämme, die zuvor noch auf ein bestimmtes Antibiotikum
ansprachen, die Fähigkeit, diese Enzyme zu produzieren. Somit geht ihre Resistenz
direkt von resistenten Bakterien auf sie über. Unter einer Antibiotikatherapie findet
eine gezielte Auslese neu resistenter Formen statt, da ausschließlich empfindliche
Keime abgetötet werden.
136
gleichzeitig fand beim Virus selbst eine Selektion nach abnehmender Pathogenität statt
(s. Kap. 12).
Bei Menschen gibt es keine Beispiele, die dem genau entsprechen. Doch im Laufe der
Evolution müssen sich Populationen angesichts lebensbedrohlicher Infektionen
unverzüglich verändert haben, um überleben zu können. Ein gutes Beispiel ist der
Selektionsdruck durch den Erreger der Malaria tropica (Plasmodium falciparum),
welcher für die Persistenz zahlreicher Hämoglobinopathie-Allele (z.B.
Sichelzellhämoglobin, HbSC) verantwortlich ist. Obwohl solche Anomalien in
gewissem Maße schädlich sind, überdaueren sie, weil sie mit einer Resistenz gegen
Malaria verbunden sind. In Gebieten mit besonders schweren Malaria-Infektionen hat
sich die Häufigkeit in Richtung bestimmter HLA-Antigene verschoben.
137
Tab. 8.2 Infektionskrankheiten im sich wandelnden menschlichen
Umfeld
138
Zusammenfassung
■ Außen (Haut) und innen ist der menschliche Körper von zahlreichen nützlichen
Keimen besiedelt (sog. Normalflora). Sie verursachen keine Krankheit und
schützen ihn vor pathogenen Keimen.
■ Zur Normalflora unterhält der Körper in der Regel eine nützliche symbiotische
Beziehung, während parasitäre Symbiosen schädlich für ihn sind. Im weitesten
Sinne sind alle pathogenen (Mikro-)Organismen parasitär.
139
FRAGEN
1 In der Normalflora vertreten sind
a) Candida
b) Streptokokken
c) Staphylokokken
d) Bacteroides
e) alle diese Keime?
2 Bakterien der Normalflora finden sich in besonders großer Zahl
a) im Mund
b) auf der Haut
c) im Dickdarm
d) in der Vagina
e) in der Nase?
3 Auf Parasiten trifft nicht zu, dass
a) der Wirt ihnen ihre Umgebung bietet
b) der Wirt ihren metabolischen Bedarf deckt
c) der Wirt ihre Entwicklung kontrolliert
d) sie immer Krankheiten auslösen
e) sie sich durch Anpassung der Immunabwehr des Wirts entziehen
können?
4 Für das veränderte Infektionsmuster in der modernen Gesellschaft
relevant sind
a) häufiges Reisen
b) vermehrte Haustierhaltung
c) Einsatz von Antibiotika
d) Klimaanlagen
e) alle genannten Gründe?
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Köhler, W., Eggers, H.J., Fleischer, B., Marre, R., Pfister, H., Pulverer, G. (Hrsg.)
Medizinische Mikrobiologie, 8. Auflage. Urban & Fischer Verlag, München Jena
2001.
Mims, C.A., Nash, A., Stephen, J.: Pathogenesis of Infectious Disease. 5th ed.
Academic Press, New York 2001
140
9 Das angeborene Immunsystem
9.1 Angeborene und erworbene Immunität 77
9.3.1 Phagozyten 78
9.3.3 Komplementaktivierung 84
9.3.4 Akute-Phase-Proteine 89
Der Hauptunterschied zum angeborenen Immunsystem ergibt sich durch ein spezifisches
Gedächtnis; d.h., die Erinnerung an eine Infektion prägt sich dem erworbenen
Immunsystem ein, so dass es bei einer erneuten Infektion mit demselben Erreger sehr viel
schneller und effizienter agieren kann. Allerdings bleibt anzumerken, dass beide
Immunsysteme eng (synergistisch) zusammenarbeiten und dass sich durch ständige
Anpassung der erworbenen auch die Wirksamkeit der angeborenen Immunreaktionen
verbessert.
141
Gedächtnis ausgestattet. Nach durchgemachter Maserninfektion bezieht sich also das
Gedächtnis ausschließlich auf das Masernvirus, nicht aber z.B. auf das Rötelnvirus.
Abb. 9.1 Angeborene und erworbene Immunität.
Zunächst treffen Keime auf Elemente des angeborenen Immunsystems. Reicht deren
Abwehr aus, wird eine Erkrankung verhindert (1), falls nicht, kann die Krankheit
ausbrechen (2). Dann wird das erworbene Immunsystem aktiv (3), leitet die Genesung
(4) ein und baut ein spezifisches immunologisches Gedächtnis (5) auf. Weil der
Betreffende immun geworden ist, führt eine Reinfektion mit demselben Erreger
danach in der Regel nicht mehr zur Erkrankung (6).
142
Tab. 9.1 Angeborenes (unspezifisches) und erworbenes
(spezifisches) Immunsystem im Vergleich.
Auch der von inneren Schleimhautflächen abgesonderte Mukus (Schleim) bildet eine
schützende Barriere, weil er die Adhärenz von Bakterien an Epithelzellen und damit ihr
Eindringen in den Körper verhindert. Bakterien und andere Partikel, die sich in dem
klebrigen Schleim fangen, können dann auf mechanischem Wege (Zilienbewegung,
Husten, Niesen) entfernt werden. Einen mechanischen Schutz für oberflächliche
Epithelschichten bieten auch Tränen, Speichel und Urin mit ihrer Spülwirkung. Zudem
enthalten viele Körperflüssigkeiten keimtötende (mikrobizide) Wirkstoffe, z.B. der
143
Magensaft Salzsäure, die Samenflüssigkeit Spermin und Zink, die Brustmilch
Laktoperoxidase und Tränen, Nasensekret oder Speichel Lysozym.
Abb. 9.2 Äußere Abwehr.
Das Phänomen des mikrobiellen Antagonismus hängt mit der Normalflora des Körpers
zusammen. Das Wachstum pathogener Bakterien und Pilze wird an vielen Stellen der
Körperoberfläche durch kommensale Keime unterdrückt. Dafür gibt es mehrere
Gründe: Da kommensale Keime zuerst da waren und bevorzugt Epithelschichten besetzt
haben, sind sie 1) physisch im Vorteil; 2) konkurrieren sie um essenzielle Nährstoffe
und 3) produzieren sie Hemmstoffe wie Säuren oder Colicine. Letztere sind eine Klasse
von Bakteriocinen, die Bakterien abtöten, indem sie an deren negativ geladene
Oberflächenrezeptoren binden und spannungsabhängige Membrankanäle bilden, die das
Spannungspotenzial der Zellen zerstören.
144
9.3 Abwehr gegen eingedrungene Erreger
Trotz dieser wirksamen Barrieren gelingt es Mikroorganismen, in den Körper
einzudringen. In diesem Fall kommen zwei wichtige Abwehrstrategien ins Spiel:
9.3.1 Phagozyten
Phagozyten bestehen hauptsächlich aus zwei Zellfamilien, die ursprünglich von dem
russischen Zoologen Elie Metchnikoff (s. Kasten) beschrieben wurden, nämlich
Vereinfacht lässt sich sagen, dass Polymorphkernige vor allem pyogene (Eiter bildende)
Bakterien abwehren, die Stärke der Makrophagen dagegen in der Bekämpfung von
Erregern innerhalb der Wirtszellen liegt.
145
Abb. 9.3 Phagozyten.
Der scharfsichtige russische Zoologe gilt zu Recht als geistiger Vater des Konzepts
der zellvermittelten Immunität (Abwehr mikrobieller Infektionen durch
spezialisierte Zellen). Fasziniert von beweglichen Zellen in den durchsichtigen
Seestern-Larven, machte Metchnikoff eine entscheidende Beobachtung: Ein
Rosendorn, der in die Larven gestochen wurde, war wenige Stunden später von
diesen beweglichen Zellen umringt. Auf Säugetiere ausdehnt ergaben seine
Untersuchungen, dass Leukozyten Mikroorganismen aufnehmen können. Diesen
Vorgang bezeichnete er als Phagozytose (wörtlich: von Zellen gefressen).
Als sich herausstellte, dass der Vorgang noch effektiver war, wenn sich Tiere gerade
von einer Infektion erholten, folgerte er, Phagozytose sei bei Infektionen das
wichtigste Prinzip der Abwehr. Für Metchnikoff gab es zwei Arten zirkulierender
Phagozyten: Mikrophagen, wie er die polymorphkernigen Leukozyten nannte, und
die größeren Makrophagen.
146
Elie Metchnikoff (1845–1916), Abdruck mit Genehmigung der Wellcome
Institute Library, London
Abb. 9.4 Mononukleäres Phagozytensystem.
147
Abb. 9.5 Zelluläre Verteilung mononukleärer
Phagozyten.
Rechts eine Maus, die fünf Minuten nach der Injektion feiner Kohlenstaubpartikel
getötet wurde. Der Kohlenstaub hat sich in Organen angereichert, die besonders
viele mononukleäre Phagozyten aufweisen: Lunge (L), Leber (V), Milz (S) und
Bezirke der Darmwand (G). Links eine Maus mit normalen Organfarben (mit
freundlicher Genehmigung von P.M. Lydyard).
148
Im Allgemeinen handelt es sich um langlebige Zellen, die ihre (Stoffwechsel-)Energie
aus Mitochondrien beziehen. Neben Bestandteilen des rauen endoplasmatischen
Retikulums (Abb. 9.7) weisen sie ein ganzes Arsenal sekretorischer Proteine auf, die
von den jeweiligen Zellen gebildet werden.
149
Abb. 9.7 Monozyt mit „Hufeisenkern“ (N), 8000 x
vergr.
150
a) Wenn sie pathogenassoziierte molekulare Muster (PAMP) wie z.B.
Lipopolysaccharide erkannt haben, docken Phagozyten mit ihren
Oberflächenrezeptoren an Mikroorganismen an (blau im Bild).
151
PAMP-Erkennung bewirkt die Aktivierung von
Phagozyten
Sobald sie über ihre Rezeptoren das Signal erhalten, dass sich Mikroorganismen
angeheftet haben, können Phagozyten mit der Aufnahme beginnen. In dieser
(Ingestions-) Phase wird ein kontraktiles Aktin-Myosin-System aktiv; es streckt
Zytoplasma-„Arme“ um das Partikel herum aus, bis es komplett in einer Vakuole
(Phagosom) eingeschlossen ist (Abb. 9.9 und 9.10). Kurz danach entleeren die
zytoplasmatischen Granula – nach Verschmelzung mit dem Phagosom – ihren Inhalt
rund um den eingeschlossenen Keim.
152
Myeloperoxidase aus Halogenid-Ionen erzeugte Halogenierungssystem kann
Bakterien und Viren äußerst wirksam abtöten.
■ Stickoxid – verdrängt nicht nur Eisen, sondern wirkt zusammen mit seinem
Derivat Peroxynitrit-Radikal auch direkt mikrobizid.
153
Abb. 9.11 Antimikrobielle Mechanismen in
phagozytären Vakuolen (Phagolysosomen).
154
Ein weiterer Abfall des pH-Werts sorgt dafür, dass abgetötete oder absterbende
Mikroorganismen von sauren hydrolytischen Enzymen weitgehend zersetzt und die
Abbauprodukte nach außen freigesetzt werden.
9.3.3 Komplementaktivierung
Wie Blutgerinnung, Fibrinolyse und Kininbildung stellt auch das Komplementsystem
ein wichtiges kaskadenartiges Enzymsystem dar. Kennzeichnend für solche Systeme
ist ihre schnelle und sich rasch ausbreitende Antwort auf einen Triggerreiz. Bei dieser
Kaskade katalysiert jedes Reaktionsprodukt schon das nächste Enzym. Besonders
reichlich ist C3 vertreten (alle Komplementfaktoren werden mit C bezeichnet und
fortlaufend nummeriert); es steht im Mittelpunkt des Komplementsystems und seine
Aufspaltung bildet das „Herzstück“ aller komplementvermittelten Phänomene.
155
Mikroorganismen gebildeten C3b-Moleküle binden sich kovalent an deren Oberfläche
und wirken dort als Opsonine (machen entsprechend überzogene Partikel anfälliger
für die Aufnahme durch Phagozyten; s. unten).
Abb. 9.12 Komplementaktivierung durch
Mikroorganismen.
Das beim spontanen Zerfall von C3 entstehende C3b bildet mit Faktor B einen
Komplex (C3bB), der durch Faktor D gespalten die C3-Konvertase
ergibt. Sie kann C3 weiter aufspalten. Die stark von Faktor H und I beeinflusste
C3-Konvertase kann sich an der Oberfläche von Mikroorganismen in Anwesenheit
von Properdin stabilisieren. Auf einen enzymatisch aktiven Komplex weist der
Querstrich hin; iC3b = inaktives C3b.
156
Als nächster Komplementfaktor wird C5 von C3b – und C3-Konvertase – beeinflusst,
mit der Folge, dass sich ein kleines C5a-Fragment abspaltet, das zusammen mit C3a
eine Degranulation der Mastzellen bewirkt. Dabei werden Mediatoren, die die
Gefäßpermeabilität steigern, und chemotaktische Faktoren für Polymorphkernige
freigesetzt. Wie dieser Degranulationsprozess abläuft und welche Produkte dabei
entstehen, ist in Abb. 9.14 und Tab. 9.2 dargestellt. Basophile sind im Blut
zirkulierende Äquivalente zu Gewebemastzellen (Abb. 9.15 bis 9.17).
157
Abb. 9.13 Die akute Entzündungsreaktion ist eine
defensive Abwehrstrategie, ausgelöst duch
bakterielle Aktivierung der alternativen
Komplementkaskade.
158
Abb. 9.14 Nach der Stimulierung (Triggerung) von
Mastzellen kommt es auf zwei Wegen zur
Mediatorfreisetzung.
159
Tab. 9.2 Mediatorsubstanzen, die nach der Triggerung von
Mastzellen freigesetzt werden (Mastzellmediatoren).
Chemotaxis bezieht sich auf die gezielte Wanderung der Granulozyten gegen
einen (Mediator-)Konzentrationsgradienten, Chemokinesis bezeichnet dagegen
eine ungerichtete Motilitätssteigerung dieser Zellen.
ECF/NCF = Eosinophilen- bzw. Neutrophilen-chemotaktischer Faktor
160
Abb. 9.15 Histologisches Bild einer Mastzelle aus
menschlichem (Darm-)Bindegewebe.
Die Anhäufung von Neutrophilen wird zusammen mit der durch hydrostatische und
osmotische Druckveränderungen bedingten Erythem- (Dilatation der Kapillargefäße)
und Ödembildung (Exsudation von Plasmaproteinen und Flüssigkeit) unter dem
Begriff akute Entzündungsreaktion zusammengefasst. Auf diese Weise werden
Phagozyten höchst effizient zu ihren (komplementüberzogenen) Zielen gelenkt.
161
Abb. 9.16 Elektronenmikroskopische Aufnahmen
peritonealer Mastzellen (Ratte).
162
Es wurde bereits erwähnt, dass als nächster Komplementfaktor nach der C3-
Aktivierung C5 gespalten wird. Das größere C5b-Fragment bleibt mit der Membran
verbunden und danach lagern sich C6, C7 und C8 daran an. An diesem Komplex kann
C9 als terminaler Komplementfaktor eine entscheidende Konformationsänderung
herbeiführen. Hat sich das C9-Molekül entfaltet, wird es in die Lipiddoppelschicht
eingefügt und polymerisiert, so dass ein ringförmiger Membranangriffskomplex
(MAC) entsteht (Abb. 9.19 und 9.20).
Abb. 9.17 Basophilen-Morphologie.
a) Im Blutausstrich typischer
Basophiler mit tiefblau-violetten Granula
(Wright-Färbung, 1500 × vergr.)
163
Abb. 9.18 Rolle der Makrophagen (Mp) bei einer
akuten Entzündung.
164
(1) Durch Rekrutierung eines weiteren C3b-Moleküls entsteht aus dem
aktiven Enzymkomplex eine C5-Konvertase, die C5a von C5 abspaltet;
der C5b-Rest bleibt an der Membran.
(2) Sobald sich C5b fest an die Membran gebunden hat, bildet sich durch
Anlagerung von C6 und C7 ein stabiler Komplex (C5b67), aus dem nach
Interaktion mit C8 schließlich C5b678 entsteht.
(4) Da das Gebilde die Membran durchbricht, kann ein freier Austausch
gelöster Stoffe stattfinden, was zur Zelllyse führt.
165
Abb. 9.20 Elektronenmikroskopische Aufnahme
eines Membranangriffskomplexes (MAC).
9.3.4 Akute-Phase-Proteine
Unter dem Begriff Akute-Phase-Proteine werden bestimmte Proteine zusammengefasst,
deren Plasmakonzentration sich erhöht, sobald bei einer Infektion oder
Gewebeschädigung frühe „Alarmstoffe“ freigesetzt werden, z.B. Zytokine wie
Interleukin 1 und 6 (IL-1, IL-6) oder Tumornekrosefaktor (TNF). Bei vielen Akute-
Phase-Proteinen wie dem Mannose-bindenden und dem C-reaktiven Protein (CRP)
kommt es entzündlich bedingt zu einem deutlichen Anstieg (Abb. 9.21). Wie die
professionellen Phagozyten benutzen auch diese beiden Proteine molekulare Muster
erkennende (PAMP-)Rezeptoren, um sich an entsprechende Pathogene zu binden und
eine effektive Abwehr sicherzustellen (Abb. 9.22).
Bei anderen Akute-Phase-Proteinen zeigt sich hingegen nur ein mäßiger, in der Regel
nicht mehr als fünffacher Konzentrationsanstieg (Tab. 9.3). Vermutlich üben sie eine
Abwehrfunktion aus.
166
9.3.5 Andere extrazelluläre Faktoren gegen
Mikroorganismen
Viele der mikrobiziden Stoffe, die innerhalb von Phagolysosomen wirksam werden,
kommen auch in anderen Körperflüssigkeiten in Konzentrationen vor, durch die
Infektionskeime direkt gehemmt werden können. So kann z.B. in Tränen oder im
Speichel genügend Lysozym vorhanden sein, um die Proteoglykanschicht empfindlicher
Bakterien zu schädigen. In ähnlicher Weise kann Bakterien durch Eisenkomplexbildung,
wenn die Laktoferrin-Konzentration im Blut ausreicht, ein wichtiger Wachstumsfaktor
entzogen werden.
Abb. 9.21 Akute-Phase-Proteine
Das Mannose-bindende Protein reagiert nicht nur mit Mannose, sondern auch mit
anderen Zuckern; daher kann es sich an eine Vielzahl Gram-negativer und Gram-
positiver Bakterien, Hefepilze, Viren und Parasiten binden, um das
Komplementsystem und Phagozyten zu aktivieren.
167
Abb. 9.22 PRRs und PAMPs.
168
Tab. 9.3 Produktion von Akute-Phase-Proteinen als Reaktion auf
eine Infektion
modif. nach Stadnyk, A.W. & Gauldie, J.: The acute phase protein response
during parasitic infection. Immunology Today, 1991, 7: A7–A12
169
Virusinfizierte Zellen induzieren die Produktion von IFN, das freigesetzt und an
IFN-Rezeptoren anderer Zellen gebunden wird. Dort bewirkt es die Produktion
antiviraler Proteine, die aktiv eine Virusinfektion anderer Zellen verhindern.
In Experimenten zeigte sich, dass IFN in vivo hoch wirksam ist. Wurde Mäusen ein
Antiserum gegen murines IFN injiziert, starben sie schon durch eine 100fach
geringere Viruslast als Mäuse der Kontrollgruppe. Anzumerken bleibt, dass IFN aber
ganz offensichtlich wichtiger für die Erholung als für die Prävention von Infektionen
ist.
170
9.3.6 Extrazelluläre Abtötung
Die Aktivierung der NK-Zellen führt zur Entleerung des Granulainhalts in den
extrazellulären Raum zwischen Ziel- und Effektorzelle.
Ersatzweise können auch andere Mechanismen den Caspaseweg starten: z.B. indem
sich der Fas-Ligand der NK an Fas der Zielzelle bindet oder der Tumornekrosefaktor
(TNF) aus den Granula der NK Oberflächenrezeptoren der Zielzelle besetzt. TNF sah
man zunächst als Produkt aktivierter Makrophagen an, von denen bekannt war, dass
sie andere Zellen, besonders Tumorzellen, abtöten können.
Aktivierte Makrophagen können sich aber noch auf andere Art zytotoxisch auswirken,
nämlich die Zelloberfläche direkt schädigen, und zwar durch einen Strom reaktiver
Sauerstoff-Zwischenprodukte, die durch den oben beschriebenen Sauerstoffüberschuss
(oxygen burst) an der Zellmembran von Makrophagen entstehen (Abb. 9.11).
171
Abb. 9.24 Elektronenmikroskopische Aufnahme
einer NK-Zelle, die gerade eine Tumorzelle (TC)
abtötet.
172
Nach Rezeptorbindung der NK an die infizierte Zelle kommt es zur Exozytose
ihrer Granula. Dabei werden zytolytische Mediatorsubstanzen in den
interzellulären Spalt freigesetzt. Nach einer kalziumabhängigen
Konformationsänderung können sich Perforine in die Zellmembran inserieren und
durch Polymerisation transmembranäre Poren bilden. Durch sie hindurch kann
Granzym B in die Zielzelle gelangen und ihren programmierten Zelltod
(Apoptose) induzieren. Zur Unterstützung steht ein zytolytisches System bereit,
das über die Bindung des Fas-Rezeptors an seinen Liganden (FasL) ebenfalls die
Apoptose bewirken kann. Auch der Tumornekrosefaktor TNFα kann zum Zelltod
führen.
Abb. 9.26 Extrazelluläre Abtötung von (Wurm-
)Parasiten durch eosinophile Granulozyten, die dazu
den Inhalt ihrer Granula freisetzen.
173
a) Morphologisches Bild: Im angereicherten Blutausstrich sind der
segmentierte (gelappte) Kern und die kräftig gefärbten Zytoplasma-Granula
eines Eosinophilen erkennbar. Leishman-Färbung, 1800 × vergr. (mit
freundlicher Genehmigung von P. Lydyard).
174
Phagozyten und zirkulierende lösliche Faktoren. Falls eine dieser Funktionen
geschwächt ist (erblich oder erworben), kann der Körper von normalerweise nicht
pathogenen Erregern besiedelt werden („opportunistische Infektion“).
■ Durch ihre Wirkung auf Mastzellen veranlassen C3a und C5a eine Freisetzung
weiterer Mediatorsubstanzen wie Histamin, LTB4 und TNFα (mit Einfluss auf
Kapillarpermeabilität, Adhäsion und Chemotaxis). Die von ihnen aktivierten
Neutrophilen können sich mit ihren C3b-Rezeptoren an C3b auf der Oberfläche
von Mikroorganismen binden und sie dann aufnehmen.
■ Dass vor allem große Parasiten vielfach scheitern, in potenziellen Wirten Fuß
zu fassen, könnte auch an der extrazellulären „Killerfunktion“ C3b-gebundener
Eosinophiler liegen.
175
■ Vermutlich trifft die Aussage zu, dass die meisten Mikroorganismen durch
Phagozytose beseitigt werden und dass die „Fresszellen“, die sie aufnehmen und
abtöten, durch aufeinander abgestimmte Reaktionen des angeborenen
Immunsystems mobilisiert und aktiviert werden. Ein Schlüsselelement ist die
akute Entzündungsreaktion (Abb. 9.27). Doch nicht alle Erreger sind anfällig
für eine Phagozytose oder ihre Zerstörung durch Komplement oder Lysozym. Das
leitet uns zur erworbenen Immunität über, die im nächsten Kapitel (s. Kap. 10)
genauer untersucht wird.
FRAGEN
1 Nicht nach außen geschützt werden Körperoberflächen durch
a) Haut
b) Schleim
c) Magensäure
d) Speichelamylase
e) Darmflora?
2* Das mononukleäre Phagozytensystem umfasst
a) Monozyten
b) Kupffer-Zellen
c) Hautkeratinozyten
d) Makrophagen im Mark von Lymphknoten
e) Endothelzellen?
176
3* Polymorphkernige Neutrophile (PMN)
a) erzeugen reaktive Sauerstoffzwischenprodukte
b) ähneln sehr stark Mastzellen
c) enthalten im Zytoplasma mikrobizide Granula
d) sind professionelle Phagozyten
e) haben Granula, die sich mit Eosin anfärben?
4 C3b
a) ist ein chemotaktischer Faktor
b) ist ein Anaphylatoxin
c) opsonisiert Bakterien
d) kann Bakterien unmittelbar schädigen
e) ist Vorläufer von C3?
5* Natürliche Killerzellen (NK-Zellen)
a) sprechen auf Interferon an
b) enthalten Perforine
c) enthalten Granzyme
d) töten Zielzellen nur durch Beschädigung der äußeren Zellmembran ab
e) sind vergleichbar mit kleinen Lymphozyten?
6* Antibakterielle Wirkung entfalten
a) C-reaktives Protein
b) Mannose-bindendes Protein
c) Lysozym
d) Interferone
e) Komplementfaktoren?
Bei den mit * gekennzeichneten Fragen ist mehr als eine Antwort richtig.
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Aderem, A., Underhill, D.M.: Mechanisms of phagocytosis in macrophages. Ann
Rev Immunol 17 (1999) 593–623.
Alt, F., Marrack, P. et al. (eds.): Curr Opin Immunol (zweimonatlich erscheinende
Zeitschrift; befasst sich in Ausgabe 1 jedes Bandes mit dem Thema „Angeborene
Immunität“).
Neth, O., Jack, D.I., Dodds, A.W. et al.: Mannose-binding lectin binds to a range of
clinically relevant microorganisms and promotes complement deposition. Infect
Immun 68 (2000) 688–693.
Roitt, I.M., Brostoff, J., Male, D.: Immunology. 6th ed. Elsevier Science, London
2002.
Ryan, J.C., Naper, C., Hayashi, S., Daws, M.R.: Physiologic functions of activating
natural killer (NK) complex-encoded receptors on NK cells. Immunol Rev 181
(2001) 126–137.
177
10 Erworbene Immunreaktionen
10.1 Rolle der Antikörper 95
10.1.2 Phagozytenaktivierung 97
■ Andere Bakterien aktivieren zwar Komplement auf dem alternativen Weg, aber das
geschieht im Bereich ihrer Geißel(n), so dass der Membranangriffskomplex weit
entfernt vom Körper des Bakteriums entsteht und ihnen somit keinen Schaden zufügt.
■ Mikroorganismen in Makrophagen sorgen mit allen Tricks dafür, dass sich deren
normalerweise vorhandenen mikrobiziden Mechanismen nicht entfalten (s. Kap. 16).
■ Manche virusinfizierte Zellen erweisen sich als resistent gegen die zytotoxischen
natürlichen Killerzellen; andere Viren können sich ungestört von Zelle zu Zelle
verbreiten, weil sie die Interferonproduktion nur schwach stimulieren.
■ Von Bakterien produzierte Toxine können für Phagozyten tödlich sein, falls es nicht
gelingt, sie zu neutralisieren.
178
Erworbene Immunreaktionen bekämpfen Erreger, die das angeborene
Immunsystem überwunden haben
Um auf sämtliche Erreger individuell reagieren zu können, bräuchte der Körper eine Art
maßgeschneiderte Immunabwehr. Im Idealfall sollten sich diese spezifische Abwehr und
die keimabtötenden Mechanismen des angeborenen Immunsystems unmittelbar ergänzen.
Wir werden in diesem Kapitel sehen, wie dieses Ziel im Laufe der Evolution durch
Einfügen spezifischer (Antigen-) Erkennungs- bzw. Bindungsstellen auf
Antikörpermolekülen und bestimmten Lymphozyten erreicht wurde. In den Körper
eingedrungene Keime bewirken eine erregerspezifische Immunreaktion der
Lymphozyten. Hinzu kommt, dass diese Reaktion mit der Zeit – oft in erheblichem
Umfang – stärker wird. Daher spricht man von einer „erworbenen“ oder „adaptiven“
Immunantwort. Wie wir wissen, produziert der Körper Millionen unterschiedlicher
Antikörper; ihre Vielfalt müsste theoretisch ausreichen, jedes bereits vorhandene oder
neu auftauchende Pathogen zu erkennen.
179
Ihre einheitliche Grundstruktur bilden je zwei identische leichte (L-) und schwere
(H-) Polypeptidketten, die über Disulfidbrücken verbunden sind (schwarze
Balken). Jede Kette setzt sich aus einzelnen ringförmigen Domänen zusammen.
Antikörper haben unterschiedliche VL- und VH-Domänen (d.h. hypervariable
Regionen der L- und H-Ketten). Die Hypervariabilität beschränkt sich auf jeweils
drei Schlingen der VL- und VH-Domänen und zeichnet die Antigenbindungsstellen
(rot markiert) aus. Die übrigen Domänen (CL, CH1 usw.) sind relativ konstant in
der Aminosäurenstruktur. Bei Pepsinspaltung des humanen IgG entstehen F(ab’)2,
ein zweiwertiges (divalentes) antigenbindendes Fragment, und pFc’, ein Fragment
aus zwei terminalen CH3-Domänen. Papainspaltung führt zu zwei einwertigen
(univalenten) antigenbindenden Fragmenten: Fab und ein Fc-Anteil mit den
Schwerkettendomänen CH2 und CH3. Die J-Kette (von joining = verbindend)
katalysiert die Polymerisation der Immunglobulin-Grundeinheit zu IgM und IgA.
Als sekretorische Komponente (secretory piece) wird der Abschnitt des
Transportmoleküls (das IgA aus Mukosazellen ins Lumen verfrachtet) bezeichnet,
der mit dem IgA verbunden bleibt.
180
Abb. 10.2 Antikörper-Adaptermolekül.
181
Tab. 10.1 Biologische Eigenschaften der wichtigsten
Immunglobuline (Ig-Klassen) des Menschen
* Dimer, trägt bei Sekretion nach außen die sekretorische Komponente; IgA-
Dimer und IgM haben J-Ketten
Nachdem der aktivierte erste Komplementfaktor jeweils ein kleines Peptid von den
nächsten Faktoren (C4 und C2) abgespalten hat, bilden die restlichen Fragmente den
Komplex . Er verhält sich enzymatisch wie eine C3-Konvertase und übt eine
ähnliche Funktion wie (die C3-Konvertase bei alternativer
Komplementaktivierung) aus. Auch die Abfolge der Reaktionsschritte im Anschluss
an die C3-Spaltung lässt sich nicht von der des alternativen Wegs unterscheiden.
Anaphylatoxine wie C3a und C5a entstehen, und C3b bindet sich an die Oberfläche
des Antigen-Antikörper-Komplexes (Abb. 10.4, Abb. 9.13). Nacheinander arrangieren
sich die später gebildeten Komplementfaktoren zu einem Membranangriffskomplex
(MAC, Abb. 9.19), der, wenn er gezielt auf ihre verletzliche Stelle trifft, mithelfen
kann, Mikroorganismen abzutöten.
Der klassische Weg kann auch aktiviert werden, wenn sich Akute-Phase-Proteine
(wie C-reaktives Protein und Mannose-bindendes Protein, s. unten) an Kohlenhydrate
der Bakterienoberfläche binden.
182
Akute Entzündungsreaktion durch Antikörperbindung
an Mastzellen
Immunglobulin E (IgE) ist ein spezialisierter Antikörper mit hoher Affinität seiner
konstanten Region für Oberflächenrezeptoren auf Mastzellen. Sobald sich ein
(mikrobielles) Antigen an diese zellgebundenen Antikörper heftet, wird eine
Querverbindung zwischen den Oberflächenrezeptoren hergestellt und das Signal ins
Zellinnere weitergeleitet. Auf das Signal hin setzen die Mastzellen dann
Mediatorsubstanzen frei, mit denen die Gefäßpermeabilität gesteigert und
chemotaktisch Polymorphkernige angelockt werden können (Abb. 10.5).
10.1.2 Phagozytenaktivierung
183
Abb. 10.3 Klassischer Weg der
Komplementaktivierung
184
Elektronenmikroskopische Aufnahme C3-beschichteter Salmonellengeißeln nach
Inkubation mit Antiflagellen-Antikörper und Komplement. Das elektronendichte
Material an den Seiten der Geißeln (etwa 30 nm dick) dürfte C3b sein. Interpretiert
wird es als Komplementbindung/-fixierung durch Antikörper: Biologische
Membranen, an denen sich Komplement „fixiert“ hat, sind mit einer dicken
Schicht von C3b-Makromolekülen überzogen. 700000 × vergr. (mit freundlicher
Genehmigung von A. Feinstein und E. Munn)
Abb. 10.5 Mastzelldegranulation.
185
Abb. 10.6 Binden sich Antigene über mehr als
einen Antikörper an Phagozyten, entstehen
Querverbindungen zwischen den
Oberflächenrezeptoren.
186
Abb. 10.7 Aufgrund ihrer Größe können Antikörper
Interaktionen zwischen (a) Virus und Zelle, (b)
Nährstoff und Bakterium oder (c) Toxin und
Zellrezeptor unterbinden.
187
abläuft, ist der Oberflächenrezeptor von T-Zellen darauf spezialisiert, einen MHC-
Peptid-Komplex zu binden. Dieses Peptid stammt von einem intrazellulären Erreger
und signalisiert somit über das „Zelle“-Signal des MHC-Moleküls hinaus, dass die Zelle
einen Erreger in sich trägt. Wenn er über seinen TCR beide Hälften eines MHC-Peptid-
Komplexes erkennt, muss sich ein T-Lymphozyt an eine infizierte Zelle des Typs
binden, den die MHC-Klasse vorschreibt (Tab. 10.2). Die Aktivierung von T-
Lymphozyten entsprechend ihren jeweiligen Besonderheiten löst dann bestimmte
Effektormechanismen aus, um mit intrazellulären Mikroorganismen umzugehen (s.
unten).
Abb. 10.8 MHC-Klasse-I- und MHC-Klasse-II-
Moleküle.
188
Amino- zum Carboxyl-Ende
gerichtet) dargestellt, die α-
Helices als spiralförmige
Bänder. Zwischen den nach
innen gewandten Flächen der
beiden α-Helices und der
Oberseite des β-Faltblatts
öffnet sich ein Spalt, in den
das Peptid eingebunden
werden kann (aus: Bjorkman
et al., Nature 1987; 329:512).
189
T-Lymphozyten hemmen die intrazelluläre Replikation
von Viren
Virusinfizierte Zellen exprimieren auf ihrer Oberfläche Komplexe, die aus einem
MHC-Klasse-I-Molekül und einem Viruspeptid bestehen. Über spezifische
Rezeptoren auf zytotoxischen T-Zellen (Tc) werden solche Komplexe erkannt und
möglichst nahe an virusinfizierte Ziele herangeführt (Abb. 10.11). Die Abtötung der
Zielzellen erfolgt dann über ähnliche extrazelluläre Mechanismen, wie in Kapitel 9
beschrieben. Da Viruspeptide bereits in einem sehr frühen Infektionsstadium auf der
Zelloberfläche auftauchen, können infizierte Zellen durch Tc-Zellen bereits abgetötet
werden, bevor sich die Gelegenheit zu einer stärkeren Virusreplikation ergibt: So
können die Wirtszellen eine wichtige Schlacht gewinnen.
Eine ähnliche Funktion wie die zytotoxischen T-Zellen üben auch natürliche
Killerzellen (NK-Zellen) aus. Doch ihre Chancen, sich fest an infizierte Zellen zu
heften, stehen sehr viel schlechter als bei den Tc-Zellen, weil ihnen spezifische
Rezeptoren fehlen, mit denen sie sich an bestimmte Viruspeptid-MHC-Klasse-I-
Komplexe binden könnten. Interessant ist jedoch, dass sowohl Tc- als auch NK-Zellen
Interferone (vor allem IFNγ) freisetzen und sich NK-Zellen dadurch deutlich besser
behaupten können. Somit stellen Interferone ein nützliches integratives System dar.
Hinzu kommt, dass sie auch Nachbarzellen resistent gegen die Replikation von
Viruspartikeln machen für den Fall, dass über interzelluläre Transportmechanismen
Viren hineingelangen würden (Abb. 10.12).
Abb. 10.10 T-Helferzellen (TH1) triggern die
Zerstörung (Abtötung) intrazellulärer Parasiten.
190
Sobald sich TH1-Zellen über den TCR an infizierte Makrophagen (Mp) binden,
werden T-Lymphozyten zur Freisetzung von IFNγ aktiviert. Das bringt wiederum
Makrophagen dazu, ihre mikrobiziden Mechanismen einzuschalten, um
intrazelluläre Parasiten abzutöten.
191
Mit Antikörpern beschichtete Parasiten werden von
Abwehrzellen attackiert
Bei Parasiten, die deutlich größer als Phagozyten sind, ist eine Phagozytose schon rein
physikalisch ausgeschlossen. Dennoch können Abwehrzellen solche Parasiten von
extrazellulär angreifen, z.B. mithilfe der Antikörper-abhängigen zellulären
Zytotoxizität (antibody-dependent cellular cytotoxicity, ADCC). Dabei binden sich
Effektorzellen über Oberflächenrezeptoren an Zielzellen, die mit Antikörpermolekülen
beschichtet sind (Abb. 10.13). Durch Aktivierung der Effektorzellen werden für
Parasiten schädliche Substanzen freigesetzt. Beteiligt sind daran hauptsächlich folgende
Zellen:
■ Makrophagen
■ Eosinophile
■ NK-Zellen
Abb. 10.11 Zytotoxische T-Lymphozyten werden
aktiviert, sobald spezifische Rezeptoren auf ihrer
Oberfläche infizierte Zellen erkennen und sich an
MHC-Klasse-I-Moleküle, welche assoziiert zu
Peptidfragmenten aus dem Abbau eines
intrazellulären Virusproteins sind, binden.
192
Abb. 10.12 Zytotoxische T-Zellen (Tc) erkennen
infizierte Zellen an spezifischen MHC-Klasse-I-Peptid-
Komplexen (aus abgebautem Virusprotein) auf der
Oberfläche und töten sie ab, bevor sich das Virus
vermehrt.
Dasselbe können – wenn auch mit weit geringerer Effizienz – NK-Zellen bewirken.
Unter dem Einfluss von Interferonen (die Tc- und TH1-Zellen produzieren) kann
sich die NK-Aktivität jedoch verstärken. Die lokale Interferonproduktion verhindert
auch, dass sich benachbarte Zellen (über interzelluläre Transportmechanismen) mit
Viren infizieren.
193
Abb. 10.13 Antikörper-abhängige zelluläre
Zytotoxizität (ADCC).
Die erste Linie der Abwehr soll verhindern, dass sich Mikroorganismen an die
Schleimhaut heften; denn Adhärenz ist eine Grundvoraussetzung für das Eindringen in
den Körper. Das wird zum einen durch die Schleimbildung, eine angeborene Funktion,
verhindert. Zusätzlich wird in Lymphfollikeln, die mehr (wie in Adenoiden, Tonsillen und
Peyer-Plaques) oder weniger stark (wie in Lamina propria, Lunge, Urogenitaltrakt)
organisiert sein können, ein spezielles Immunglobulin, IgA, synthetisiert. Diese
Zellansammlungen bilden zusammen das mukosaassoziierte Lymphgewebe (MALT).
IgA wird von einem Carrier-Molekül aktiv ins Lumen transportiert. Auf
Schleimhautoberflächen findet es sich in hoher Konzentration, wo es einen Carrier-
Abschnitt, die sog. sekretorische Komponente, trägt (Abb. 10.1). Mit solchen IgA-
Molekülen beschichtet, können sich Erreger nur schlecht auf Schleimhäuten halten, aber
noch immer von ortsständigen Makrophagen eingefangen werden, die
Oberflächenrezeptoren für IgA haben.
194
Abb. 10.14 Körpereigene Abwehr an
Schleimhäuten.
195
Man vermutet, dass Wurmantigene, die in submukosale Schichten eindringen, T- und B-
Zellen aktivieren und eine Degranulation sensibilisierter Mastzellen bewirken. Letzteres
führt zu einer akuten Schleimhautentzündung, durch die es mit ziemlicher Sicherheit
zum Übertritt von Antikörpern, Komplement und vielleicht auch von Effektoren der
ADCC ins Darmlumen kommt. Im Darmlumen könnten Antikörper, Komplement und
ADCC-Effektoren dann eine metabolische Schädigung der Parasiten verursachen. In der
Zwischenzeit bewirken entsprechend sensibilisierte T-Helferzellen eine Freisetzung
löslicher Faktoren (Zytokine), zu denen auch ein Mediator gehört, der Zellen im
Bürstensaum der Darmzotten (Mikrovilli) stimulieren kann. Muzine aus diesen
Schleimzellen legen sich um bereits vorgeschädigte Parasiten im Lumen, damit sie
leichter aus dem Körper ausgestoßen werden (Abb. 10.15).
196
Abb. 10.15 Austreibung von Rundwürmern
(Nematoden) aus dem Darm.
197
Zusammenfassung
■ Mit den erworbenen Immunreaktionen verfügt der Körper über eine Reihe
wirksamer Abwehrmechanismen, die weit über die angeborene Immunabwehr
hinausreichen. Die durch Lymphozyten vermittelte erworbene Immunität macht
auch die unspezifische Abwehr gegen einzelne Erreger viel effizienter.
■ Eine Übersicht über die erworbene Immunabwehr zeigt, dass die humorale
Immunreaktion durch Antikörper der B-Zellen vermittelt wird; sie neutralisieren
Bakterientoxine und lösen zusammen mit Komplement, Mastzellen und
polymorphkernigen Leukozyten eine akute Entzündung aus (Abb. 10.16). Dieser
Typ von Immunreaktion ist besonders wirksam gegen extrazelluläre Erreger, und
welchen „Quantensprung“ die Antikörperproduktion bedeutet, verdeutlicht Abb.
10.17 anhand der Entfernung von Bakterien aus dem Blut. Schleimhäute werden
durch IgE-vermittelte akute Entzündungsreaktion und sekretorisches IgA vor einer
Infektion mit extrazellulären Erregern geschützt.
■ Die Immunreaktion, die der Erstkontakt mit einem Antigen auslöst, hinterlässt
Spuren im immunologischen Gedächtnis. Bei erneutem Kontakt mit demselben
Antigen fällt die Immunantwort daher viel stärker aus und entwickelt sich auch viel
schneller als beim ersten Mal (zelluläre Grundlagen s. Kap. 11). Das Gedächtnis
bzw. die Erinnerung nach Erstkontakt mit einem Antigen bildet auch die Grundlage
198
von Impfungen, bei denen der Erstkontakt mit einer nicht-virulenten Form des
Erregers oder mit antigenen Komponenten stattfindet.
Aktivierte Endothelzellen lassen eine Exsudation löslicher Proteine aus dem Blut zu.
Zusätzlich helfen von ihnen exprimierte Moleküle, polymorphkernige Leukozyten
stärker an die Wand der Kapillargefäße zu binden und anschließend zur infizierten
Stelle hindurchzutreten. Mp = Makrophage.
199
Abb. 10.17 Die Phagozytose von unmarkierten
Bakterien (angeborene Immunität) verläuft ziemlich
langsam, wird aber um ein Vielfaches beschleunigt,
sobald sie (aufgrund der erworbenen Immunität)
opsonisiert, d.h. mit Antikörpern und C3b beschichtet
werden.
200
Abb. 10.18 Angeborene und erworbene
Immunmechanismen stellen die gemeinsame
Grundlage der humoralen und zellvermittelten
Immunität dar.
201
FRAGEN
1* Komplementfaktor C3 wird gespalten durch
a) C3b
b) C3bBb
c) Faktor B
d) C1
e) C42?
2 Bei welchem Komplementfaktor treffen sich der klassische und alternative
Weg der Komplementaktivierung?
a) C4
b) C4b
c) Faktor D
d) C5
e) C3
3* Plasmazellen
a) synthetisieren und sezernieren Antikörper
b) stammen von T-Zellen ab
c) stammen von B-Zellen ab
d) sezernieren große Mengen γ-Interferon
e) haben einen hohen RNA-Gehalt?
4 Sezerniert eine Plasmazelle
a) Antikörper mit ähnlicher Spezifität wie die auf der Oberfläche
parentaler B-Zellen
b) Antikörper mit zwei Antigenspezifitäten
c) das Antigen, das sie bindet
d) viele verschiedene Antikörper
e) Lysozym?
5* Oberflächenrezeptoren der T-Zellen binden Antigene und teilweise
auch
a) Zytokine
b) MHC
c) ADCC
d) Antikörper
e) Peptide (von intrazellulär verarbeiteten Proteinen)?
6 Zellen mit einem MHC-Klasse-I-Peptid-Komplex werden zum Ziel von
a) B-Zellen
b) zytotoxischen T-Zellen (Tc)
c) TH1-Zellen
d) TH2-Zellen
e) interdigitierenden dendritischen Zellen?
* Bei diesen Fragen ist mehr als eine Antwort richtig.
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Alt, F., Marrack, P. (eds.): Curr Opin Immunol [erscheint 2-monatlich, jede 4. Auflage
eines Bandes befasst sich mit „Immunität gegen Infektionen“].
Delves, P.J., Roitt, I.M. (eds.): Encyclopedia of Immunology. 2th ed. Academic Press,
London 1998 [mit Beiträgen zu IgG, IgA, IgM, IgD, IgE; Ig-Funktion und Domänen].
202
Griffiths, G.M.: The cell biology of CTL killing. Curr Opin Immunol 7 (1995) 343–
348.
Roitt, I.M., Delves, P.J.: Roitt’s Essential Immunology. 10th ed. Blackwell Science,
Oxford 2001.
203
11 Zelluläre Grundlagen erworbener Immunreaktionen
11.1 B- und T-Zell-Rezeptoren 111
Für den Austausch zwischen Lymph- und restlichem Körpergewebe sorgt ein Pool
zirkulierender Lymphozyten im Blut; sie wandern über die Lymphknoten zur Milz und
zu anderen Geweben, bevor sie über große Lymphbahnen wie den Ductus thoracicus ins
Blut zurückkehren (Abb. 11.4). Durch den regen Lymphozyten-Verkehr zwischen
Gewebe, Blut und Lymphknoten können entsprechend sensibilisierte Zellen Antigene
aufsuchen bzw. sich zu Stellen hinbewegen, an denen Immunreaktionen ablaufen.
204
Abb. 11.1 Lymphozyten und Plasmazellen.
(1) Kleine B- und T-Lymphozyten haben einen runden Zellkern, der im Verhältnis zum
Zytoplasma sehr groß ist. (2) Bei den großen granulären Lymphozyten ist der
eingebuchtete Zellkern in Relation zum Zytoplasma (mit azurophilen Granula) kleiner.
Morphologisch sehen weniger als 5% der T-Helfer- und 30–50% der zytotoxischen T-
Zellen (Tc), γδ-T-Zellen und NK-Zellen so aus. (3) Antikörper von B-Zellen – nach
ihrer Differenzierung zu Plasmazellen – zeigen eine kräftige intrazytoplasmatische
Färbung (hier grün-fluoreszierend ein Antikörper gegen humanes IgM und rhodamin-rot
ein Antikörper gegen humanes IgG). Bemerkenswert ist, dass Plasmazellen jeweils nur
eine Klasse von
Antikörpern bilden,
wie der
Farbunterschied
zeigt. (1) und (2)
Giemsa-Färbung
(mit Genehmigung
von A. Stevens und
J. Lowe); (3) aus A.
Zucker-Franklin et
al., Atlas of Blood
Cells: Function and
Pathology, 2nd ed.
Lea & Febinger,
Philadelphia 1988.
Abb. 11.2
Lymphat
isches
Gewebe.
205
Abb. 11.3 Anatomie von Lymphknoten und Milz.
(a) Schnitt durch ganzen Lymphknoten (schematisch). Die Rinde ist im Wesentlichen
eine Region der B-Zellen; in den Keimzentren von Sekundärfollikeln findet die weitere
Differenzierung zu Plasmazellen (bilden Antikörper) und Gedächtniszellen statt. (b)
Milzschema mit B- und T-Zell-Bereichen [Roitt/Delves 2001].
Abb. 11.4 Mit dem Blutkreislauf bewegen sich
Lymphozyten zu den Lymphknoten hin.
206
Sie gelangen über spezialisierte Endothelzellen postkapillärer Venolen (HEV) in und
über efferente Lymphgefäße aus dem Lymphknoten hinaus. Nach der Passage weiterer
Lymphknoten gelangen sie schließlich zum Ductus thoracicus, der beim Menschen in
die linke Vena subclavia mündet. Lymphozyten durchqueren die Milz von den
Randzonen (weiße Milzpulpa) aus; über die Sinusoide (rote Milzpulpa) wandern sie
weiter und verlassen die Milz dann wieder über die Milzvene [Roitt/Brostoff/Male
2002].
207
Abb. 11.5 Zirkulation von Lymphozyten zwischen
lymphatischen Geweben.
208
11.1 B- und T-Zell-Rezeptoren
209
Tab. 11.1 Oberflächenmarker auf B- und T-Zellen.
IL = Interleukin, MHC = major histocompatibility complex, TCR = T-Zell-
Rezeptor, Fc = Dimer der Immunglobulin-Schwerketten, außer VH- und CH1-
Domänen des Fab-Fragments; Abb. 10.1)
Dieses Problem wurde durch die Evolution vorbildlich gelöst. Auf Eindringlinge reagieren
nämlich nur B-Lymphozyten, deren Oberflächenrezeptoren eine perfekte Ergänzung
(Komplementarität) zur Form der Antigene bilden. Sobald B-Zellen durch die
Antigenbindung aktiviert werden, beginnen sie unter dem Einfluss löslicher
Wachstumsfaktoren (Zytokine, s. unten) zu proliferieren. So entsteht aus einer Zelle durch
Klonierung eine große Zellpopulation (Abb. 11.7). Dieser Vorgang spielt sich
überwiegend in einer Struktur lymphatischer Gewebe ab, die als Keimzentrum bekannt ist
(Abb. 11.3).
Im Fall der B-Zellen entwickeln sich klonale Lymphozyten zum großen Teil zu
Plasmazellen weiter, die Antikörper synthetisieren und sezernieren (Abb. 11.1). Da sie
von einer parentalen Zelle abstammen, die sich bereits auf die Produktion eines einzigen
210
spezifischen Antikörpers konzentriert hatte, ist ihr Endprodukt identisch mit dem
Molekül auf der Oberfläche der ursprünglichen Antigen-erkennenden Zelle. Oder
zumindest annähernd identisch, denn nach einer somatischen Mutation in den
Keimzentren (wo die Antikörper synthetisiert werden) könnten sich feine Abstufungen der
Bindungsfähigkeit ergeben.
Ein ähnlicher Selektions- und Klonierungsprozess läuft auch bei den T-Zellen ab. Hierbei
werden in großer Zahl Effektorzellen mit derselben Antigenspezifität wie bei der
parentalen Zelle produziert. Manche Effektorzellen setzen Zytokine frei, andere wirken
zytotoxisch und stehen daher im Dienste der zellvermittelten Immunität. Ein Unterschied
zwischen T- und B-Zellen besteht darin, dass Rezeptoren der T-Zellen keiner weiteren
Selektion (infolge einer somatischen Mutation) unterliegen.
Von entscheidender Bedeutung ist, dass sich sowohl bei B- wie bei T-Zellen eine Fraktion
der klonal verbreiteten Zellpopulation zu ruhenden Gedächtniszellen weiterentwickelt
(Abb. 11.7). Dadurch können mikrobielle Antigene bei Zweitinfektionen von mehr Zellen
erkannt werden als in der „jungfräulichen“ Population vor der Erstinfektion.
211
Abb. 11.6 Im Laufe der Differenzierung
immunkompetenter B-Lymphozyten kommt es zur
Expression eines einzigen IgM-Monomers auf der
Oberfläche (sIgMm).
Die variable Region wird zum größten Teil von etwa 50 VH-Keimbahngenen kodiert,
mit ca. 25 Minigenen für das D-Segment und 6 für die J-Region. Während der
Zelldifferenzierung können die VH-, D- und J-Segmente auf einem Chromosom
zufällig fusionieren; dabei entstehen Lymphozyten mit einem breiten Spektrum
individuell variabler Schwerketten-Domänen. Variable Leichtketten-Domänen
entstehen über eine zufällige Rekombination von VL und J. Schließlich kodieren die
Gene der variablen und konstanten Region nach ihrer Rekombination ein einziges
(Antikörper-)Molekül, das auf reifen B-Zellen als sIgM-Antigen-Rezeptor (s =
212
surface) exprimiert wird. Bei seiner Aktivierung beginnt die Antikörperproduktion:
Wenn sich das transmembranäre Segment, von dem das IgM-Molekül normalerweise
an der Oberfläche gehalten wird, in der RNA-Phase aufspleißt, wird IgM in löslicher
Form sezerniert. Durch eine Genumschaltung in der konstanten Schwerketten-Region
können anschließend noch andere Immunglobulinklassen (IgG, IgA usw.) gebildet
werden. Vereinfachte Darstellung.
Abb. 11.7 Nach Erstkontakt mit einem Antigen bilden
sich bei B- und T-Zellen große Populationen von
Effektor- und Gedächtniszellen.
213
11.3 Rolle der Gedächtniszellen
Auf diesem Prinzip beruht auch der Erfolg von Impfungen (Abb. 11.8). Für Impfstoffe
werden Erreger bzw. Antigene modifiziert, bis sie nicht länger krank machen oder
schädlich sind, aber trotzdem weitgehend ihre antigenen Eigenschaften beibehalten. Als
Primärreaktion auf die Impfung entsteht ein Pool von Gedächtniszellen, die dazu
beitragen, dass der Zweitkontakt mit dem Antigen (z.B. bei einer natürlichen bzw.
spontanen Infektion) eine völlig ausreichende Sekundärreaktion auslöst.
Das Immungedächtnis der Zellen ist meist langlebig und erstreckt sich über viele
Jahre. Dafür kann es verschiedene Gründe geben. Das langlebige Gedächtnis von Zellen
könnte angeboren sein oder infolge einer milden Proliferation (bei späteren Kontakten
mit einem Antigenreservoir im Körper oder subklinischer Infektion) aufrechterhalten
werden. Daneben besteht auch die Möglichkeit, dass T-Zellen durch das Zytokin IL-15
oder B-Zellen durch antiidiotypische Antikörper (Anti-Antikörper, die als Reaktion auf
die Bindung eines ersten Antikörpers gebildet werden und Memory-B-Zellen
stimulieren könnten, indem sie ihre Oberflächenrezeptoren „reizen“) stimuliert werden.
214
Abb. 11.8 Primäre und sekundäre Immunantwort.
Nach Zweitkontakt mit einem Antigen erfolgt die Antikörperreaktion schneller und
intensiver. Deshalb bewirkt eine Impfung – als Erstkontakt mit einem Antigen in
abgeschwächter Form (hier am Beispiel des chemisch modifizierten Tetanustoxins
dargestellt) – eine sehr viel effizientere Sekundärreaktion bei erneutem
Antigenkontakt, etwa im Rahmen einer natürlichen (spontanen) Infektion.
Wie bereits erwähnt, sprechen T-Zellen nach dem Priming viel rascher auf Antigene an
als naive Zellen, wobei Makrophagen als antigenpräsentierende Zellen dienen können.
T-unabhängige Antigene (beide Typen) teilen ein gemeinsames Merkmal: Sie rufen eher
eine Reaktion mit IgM-Antikörpern niedriger Affinität als mit IgG-Antikörpern hervor
und induzieren nur selten die Bildung von Gedächtniszellen.
215
Für die Antikörperproduktion wird häufig die Hilfe von
T-Zellen benötigt
Die meisten Antigene können B-Zellen nur stimulieren, wenn sie dabei Unterstützung
von T-Helferzellen (TH-Zellen) bekommen. Das läuft dann folgendermaßen ab:
216
Abb. 11.9 Migration und Reifung interdigitierender
dendritischer Zellen (IDC).
217
Abb. 11.10 Aktivierung von B-Zellen durch T-
unabhängige Antigene.
218
11.5 Zytokine
Bei der
Immunantwort
fördern Zytokine
als lösliche
Faktoren die
Kommunikation
zwischen den
Zellen
Sobald der TCR
prozessiertes Antigen in
Verbindung mit MHC-
Klasse-II-Molekülen erkannt
hat, arbeiten APC, T-Helfer-
und B-Zellen eng zusammen
(Abb. 11.11). Um sich
gegenseitig beeinflussen zu
können, setzen sie lösliche
Faktoren, sog. Zytokine, frei
(Tab. 11.2). Zytokine
reagieren auf
komplementäre
Oberflächenrezeptoren der
Zielzellen. Bei aktivierten T-
Zellen führt z.B. die
Derepression (Aufhebung
der Hemmung) des Gens,
das den IL-2-Rezeptor (IL-
2R) kodiert, dazu, dass auf
der Lymphozytenoberfläche
das IL-2R-Molekül
exprimiert wird. Zudem
beginnt eine Subpopulation
der Th-Zellen, IL-2 zu
synthetisieren. Auf T-Zellen
wirkt IL-2 wie ein
Wachstumsfaktor, denn es
verbindet sich mit IL-2R und
fördert so ihre Proliferation
(Abb. 11.7).
219
Bekannte Zytokine und ihre Wirkungen.
KM = Knochenmark; G-CSF = Granulozyten-Kolonie-stimulierender Faktor;
GM-CSF = Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierender Faktor; M-CSF =
Makrophagen- Kolonie-stimulierender Faktor; IFN = Interferon, IL = Interleukin,
NK = natürliche Killerzellen, PMN = polymorphkernige Lymphozyten, TGF =
transforming growth factor, TNFα= Tumornekrosefaktor α
220
Anhand der Zytokinproduktion lassen sich T-
Helferzellen in Gruppen einteilen
T-Helferzell-Klone lassen sich phänotypisch nach ihrem Zytokinsekretionsmuster zwei
verschiedenen Gruppen zuordnen (Tab. 11.3). Das ist biologisch insofern sinnvoll, als
von Th1-Zellen produzierte Zytokine wie IFNγ vermutlich speziell gegen
intrazelluläre Infektionen (mit Viren oder Mikroorganismen, die in Makrophagen
wachsen) wirksam sind, während sich Zytokine der Th2-Zellen – als gute Hilfe für B-
Zellen – offenbar besonders zur Abwehr von Parasiten eignen, die anfällig für IL-4
(Ausschaltung von IgE), IL-5 (Eosinophilie) und eine IL-3/4-stimulierte Proliferation
von Mastzellen sind.
Erst bei der Immunreaktion und zum Teil geprägt von der Art des Antigens/Stimulus
entscheidet sich, zu welchem Pol des Th1-/Th2-Zytokinmusters sich ein Phänotyp hin
entwickelt. Beide Untergruppen können sich wechselseitig antagonistisch
beeinflussen, da IL-4 die Aktivität der Th1-Zellen herunterreguliert und IFNγ die
Aktivität der Th2-Zellen unterdrückt.
Aufmerksamkeit wurde auch einer dritten Untergruppe (Th3) gewidmet. Denn diese
auch als Tr1 (T-regulatory-1) bezeichneten Zellen produzieren einen Wachstumsfaktor
(TGFβ) und IL-10, die immunsuppressiv wirken und für den Erhalt der Selbsttoleranz
eine Rolle spielen könnten (Abb. 11.14, weiter unten).
221
Abb. 11.12 zeigt, wie weit das Zytokin-Netz reicht und wie viele unterschiedliche
Zellen es mit einbezieht. Dass an einer Immunreaktion beteiligte Zellen an der
anatomisch günstigsten Stelle zusammengezogen werden, liegt an der großen Zahl von
Zytokinen mit relativ niedrigem Molekulargewicht, die wegen ihrer chemischen
Anziehungskraft auch als Chemokine bezeichnet werden. Ihre Wirkung entfaltet sich
über Oberflächenrezeptoren der Zielzellen. Dazu gehören z.B. IL-8 (wirkt besonders
anziehend auf Neutrophile), MCF-1 (Makrophagen-chemotaktischer Faktor) und
RANTES (lockt T-, NK- und dendritische Zellen, Monozyten, Eosinophile und
Basophile zum Ort der Entzündung hin).
Abb. 11.12 Zytokinvermittelte zelluläre
Interaktionen.
G-CSF/GM-CSF/M-CSF = Granulozyten-/Granulozyten-Makrophagen-
/Makrophagen-Kolonie-stimulierender Faktor, H2O2 = Wasserstoffperoxid, LS =
lymphoide Stammzelle, MS = myeloide Stammzelle, NK = natürliche Killerzellen,
NO = Stickoxid, PC = Plasmazelle, PMN = polymorphkerniger Lymphozyt, SC =
Stammzelle, Tc = zytotoxische T-Zelle, TGFβ = transforming growth factor beta,
TNF = Tumornekrosefaktor
222
11.6 Steuerung/Regulationsmechanismen
Eine sehr wichtige Rolle spielt bei Immunreaktionen die Antigenkonzentration (Titer).
Natürlich bedeutet es einen entscheidenden evolutionären Vorteil, wenn in einem
(Körper-)System die Immunabwehr ein- und ausgeschaltet werden kann, sobald ein
Antigen auftaucht bzw. wieder verschwindet. Insofern dürfte es nicht weiter
überraschen, dass sich über Selektionsprozesse ein antigengesteuertes Abwehrsystem
entwickelt hat, bei dem Immunantworten direkt von der Antigenwirkung auf
Lymphozytenrezeptoren beeinflusst werden. Nach Katabolisierung (Abbau durch
Stoffwechsel) und Beseitigung des Antigens (Klärung durch Immunreaktion)
verschwindet auch die Stimulation des Immunsystems.
223
Abb. 11.13 Steuerung der Immunantwort.
Auf ähnliche Weise wird auch die Hilfe der T-Zellen bei zellvermittelten
Immunreaktionen reguliert. Zur besseren Verständlichkeit wurde hier weggelassen,
dass antiidiotypische T-Helferzellen (Th) auch B-Zellen rekrutieren und idiotypische
T-Helferzellen antiidiotypische T-Suppressorzellen (Ts) direkt aktivieren können.
APC = antigenpräsentierende Zelle
11.7 Toleranzmechanismen
224
autoreaktive B-Zellen unfähig (hilflos) wären, auf Thymus-abhängige Antigene zu
reagieren, wenn die entsprechenden T-Helferzellen die Moleküle tolerieren würden, sei
es aufgrund klonaler Deletion oder Suppression durch Tr1-Zellen (Abb. 11.14).
Das Immunsystem spricht auch nicht auf körpereigene Anteile an, wenn es sie nicht
bemerkt oder erkennen kann. Das geschieht z.B., wenn sich die Genausstattung über
einen langen Zeitraum verändert hat und die Gene für autoreaktive Rezeptoren verloren
gegangen sind. Doch selbst wenn autoreaktive T-Zellen vorhanden sein sollten, werden
sie nicht aktiviert, solange Autoantigene (sAg) anatomisch isoliert oder nicht in
ausreichender Konzentration (prozessiert und als Komplex mit MHC-Klasse-II-
Molekülen) vorliegen bzw. keine MHC-Klasse-II-Moleküle auf der Zelloberfläche
exprimiert werden. Da die meisten Zellen MHC-Klasse-I-Moleküle exprimieren,
erscheint es logisch, dass zytotoxische T-Zellen (Tc), die auf Zellen mit prozessierten
intrazellulären Komponenten reagieren könnten, entweder beseitigt, hilflos oder
unterdrückt wurden.
Abb. 11.14 Mechanismen der Selbst-Toleranz.
225
Th3/Tr1-Zellen. Tote, nicht mehr reagierende oder unterdrückte Zellen sind hier
grau dargestellt [modif. nach Roitt/Delves 2001]. APC = antigenpräsentierende
Zellen
Zusammenfassung
■ Lymphozyten exprimieren entweder Antikörper oder einen T-Zell-Rezeptor
(TCR) mit einer einzigen Antigenspezifität.
■ Durch Antigenbindung an den komplementären Antikörper oder TCR werden
Lymphozyten dazu aktiviert, sich mittels Zellklonierung zu vermehren
(proliferieren). Sie differenzieren sich dann zu Zellen, die Antikörper bilden, oder zu
Effektorzellen der zellvermittelten Immunität; daneben entsteht ein großer Pool von
Gedächtniszellen.
■ Werden aus diesem Pool beim Zweitkontakt mit einem Antigen
Gedächtniszellen stimuliert, kann das Immunsystem umfassender und schneller als
beim Erstkontakt reagieren. Deshalb dienen Impfungen mit Antigen in
abgeschwächter Form als Vorbereitung auf erneuten Antigenkontakt (z.B. bei einer
natürlichen/spontanen Infektion), damit die Immunreaktion der Geimpften sofort
effektiv ausfällt.
■ Viele Antigene benötigen Hilfe von T-Zellen, um B-Zellen aktivieren zu
können. Die Interaktionen zwischen den Zellen vermittelt eine Vielzahl löslicher
Faktoren (Zytokine).
■ Antigenkonzentration, Antikörper-Feedback, T-Zell-Suppression und Apoptose
schränken eine ungebremste klonale Vermehrung der Lymphozyten ein.
■ Verschiedene Toleranzmechanismen verhindern eine Autoreaktivität
(Immunabwehr gegen körpereigene Bestandteile).
FRAGEN
1 Heiβt das immunologische Nichtansprechen auf Autoantigene:
a) Toleranz
b) Tolerogen
c) Gedächtnis
d) erworbene Immunität
e) ADCC?
226
2 Zytokine wirken immer:
a) durch spezifische Rezeptorbindung
b) über weite Strecken
c) antagonistisch mit anderen Zytokinen
d) synergistisch mit anderen Zytokinen?
3 Mit welchem typischen Produkt unterstutzen CD4-positive Th2-Zellen, nicht
aber Th1-Zellen die Antikorperproduktion:
a) IFNγ
b) Lymphotoxin (TNFβ)
c) GM-CSF
d) IL-4
e) IL-1?
4 *Negatives Feedback auf adaptive Immunreaktionen der B-Zellen wird
vermittelt durch:
a) antigenspezifisches IgM
b) antigenspezifisches IgG
c) Antigenneutralisation
d) Fcγ-Rezeptoren der Makrophagen
e) F(ab‘)2 anti-μ?
5 Vor intrazellulären Erregern schützen
a) T-Zellen
b) Antikörper
c) C3B
d) C1
e) der Membranangriffskomplex?
* mehr als eine richtige Antwort
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Alt, F., Marrack, P. (eds.): Curr Opin Immunol [erscheint 2-monatlich, jede 1., 2. und
3. Auflage eines Bandes mit kritischem Review].
Janeway, Travers, Walport, Shlomchik. Immunologie. 5. Aufl. Spektrum
Akademischer Verlag GmbH 2002.
Playfair, J.H.L.: Immunology at a Glance. 7th ed. Blackwell Science, Oxford 2001.
Roitt, I.M., Delves, P.J.: Roitt’s Essential Immunology. 10th ed. Blackwell Science,
Oxford 2001.
Roitt, I.M., Brostzoff, J., Male, D.K. (eds.): Immunology. 6th ed. Elsevier Science,
London 2002.
227
12 Wechselwirkungen zwischen Erreger und Wirt
12.1 Wirt-Parasit-Beziehungen 125
Wenn es die Möglichkeit gibt, die Abwehr zu umgehen, haben Mikroorganismen sie
höchstwahrscheinlich bereits herausgefunden und daraus ihren Vorteil gezogen. Ihrer
Fähigkeit zur Anpassung und Weiterentwicklung, indem sie jede Schwachstelle der
Wirtsabwehr für sich nutzen, verdanken Infektionserreger zum großen Teil ihr
erfolgreiches Durchsetzungsvermögen (Tab. 12.2, Abb. 12.1 und 12.2). Umgekehrt
musste der Wirt als Reaktion darauf seine Abwehr langsam verbessern und weiter
ausbauen. Daher sind seine Abwehrmechanismen so breit gefächert angelegt, dass sie sich
zum Teil überlappen und in der Wirkung verdoppeln.
12.1 Wirt-Parasit-Beziehungen
228
Entscheidend ist, wie schnell die (spezifischen)
Abwehrkräfte mobilisiert werden
Jede Infektion ist ein Wettlauf (Abb. 12.1) zwischen Erreger (d.h. der Fähigkeit, sich zu
vermehren, zu verbreiten und krank zu machen) und Wirt (der Fähigkeit, die Infektion
zu bekämpfen und zu beenden). Für schnell wachsende Mikroorganismen kann es einen
entscheidenden Vorteil bedeuten, wenn die Wirtsantwort erst mit 24-stündiger
Verzögerung in Gang kommt. Vom Wirt aus betrachtet kann der Schaden dann bereits
so groß sein, dass er krank wird. Vom Standpunkt des Erregers aus ist der Zeitgewinn
wertvoll, weil er sich so in größerer Menge weiterverbreiten kann oder ein bis zwei
Tage mehr Zeit im Körper des Wirts hat. Solche Mikroorganismen setzen sich durch
und werden im Laufe der Evolution schnell selektiert.
Manche Mikroorganismen beschränken sich auf die Körperoberfläche und breiten sich
höchstens lokal aus, ohne in tiefere Schichten einzudringen. Dazu gehören z.B. Grippe-
und Warzenviren, Mykoplasmen und Hautpilze. Oft verlaufen solche Infektionen in
milder Form. Wenn jedoch starke Toxine gebildet werden, die ihre Wirkung lokal
(Cholera) oder an entfernteren Stellen (Diphtherie) entfalten, kann es zu einer schweren
Erkrankung kommen.
229
Tab. 12.1 Infektionserreger müssen bestimmte obligatorische
Schritte vollziehen, um sich erfolgreich durchzusetzen.
*
Der letzte Schritt, Schädigung des Wirts, ist nicht unbedingt nötig; doch ein
gewisser Schädigungsgrad kann für die Weiterverbreitung förderlich sein.
Voraussetzung für die Übertragung auf neue Wirte ist z. B. die Absonderung
infektiöser Sekrete bei Erkältung oder Durchfall bzw. ein juckender Bläschen- oder
Pustelausschlag.
230
Tab.
12.2
231
Wirtsabwehr und Ausweichstrategien der Erreger: mechanische
und andere Schutzbarrieren.
Abb. 12.1 Jede Infektion ist ein Wettlauf. Wird die
spezifische (erworbene) Immunabwehr zu spät
mobilisiert, drohen Erkrankung oder Tod des Wirts.
232
Vier Infektionsarten lassen sich unterscheiden
Es gibt vier Arten von Infektionen durch Mikroorganismen (Abb. 12.3). Die Erreger
können
Ein gut untersuchtes, klassisches Beispiel für die Entwicklung einer Erkrankung in
einer sehr infektionsanfälligen Population ist die Myxomatose. Das Myxomvirus wird
mechanisch über Moskitostiche verbreitet. Normalerweise infizieren sich
südamerikanische Kaninchen (Sylvilagus brasiliensis) in der Form, dass sich zwar an
der Einstichstelle eine virushaltige Hautbeule entwickelt, die Tiere aber ansonsten
asymptomatisch bleiben. Bei europäischen Kaninchen (Oryctolagus cuniculus)
verursacht dasselbe Virus jedoch eine Erkrankung, die rasch tödlich ausgeht.
■ Neue, weniger tödliche Stämme ersetzten das ursprüngliche Virus: Weil diese
Kaninchen länger lebten, konnte ihr Virus mit größerer Wahrscheinlichkeit
übertragen werden.
233
Australischen Kaninchen droht nun neue Gefahr durch ein Calicivirus aus Europa,
dass sich durch Kontaktinfektion ausbreitet und eine tödliche hämorrhagische
Krankheit hervorruft.
Abb. 12.2 Myxomatose.
Sie ist das bestuntersuchte Beispiel für die Infektion mit einem Erreger, dessen
anfangs hohe Letalität in der Wirtspopulation sich allmählich abschwächt, bis sich
der Zustand einer ausbalancierten Pathogenität einstellt. Nachdem sich Vibrio
cholerae in dieser Richtung entwickelt, wird vielleicht auch HIV den Weg
einschlagen.
234
Abb. 12.3 Vier Arten einer Infektion durch
Mikroorganismen
235
Kochs Postulate zur Identifizierung von
Mikroorganismen als Verursacher spezifischer
Erkrankungen
1890 postulierte Robert Koch (s. Kasten) Kriterien, in denen er notwendige
Voraussetzungen für den Nachweis der eindeutigen Krankheitsursache sah. Der
betreffende Erreger muss
In den frühen Tagen der Mikrobiologie sorgten Kochs Postulate für willkommene
Klarheit. Erst kurz nach Kochs klassischen Studien zu Anthrax (1876) und Tuberkulose
(1882) ging man daran, Krankheitsursachen im Sinne der Keimtheorie zu erforschen,
und Methoden zur Isolierung, Kultivierung und Identifizierung von Mikroorganismen
wurden gerade erst entwickelt.
Als es Robert Koch 1876 in Berlin gelang, den Milzbranderreger (Bacillus anthracis)
zu isolieren, war er der Erste, der eine spezifische Krankheitsursache aufzeigen
konnte. 1882 entdeckte er den Tuberkulose-Erreger (Mycobacterium tuberculosis).
Auf einer Expedition nach Ägypten und Indien unter seiner Leitung erforschte er 1883
auch den Erreger der Cholera (Vibrio cholerae).
Koch gilt als Begründer der Keimtheorie, der zufolge einzelne Mikroorganismen-
Spezies bestimmte Krankheiten hervorrufen. Als Grundregeln formulierte er 1890
seine Postulate (s. Text). Um den strengen Anforderungen dieser Postulate zu
genügen, waren neue Kulturtechniken erforderlich. Daher war Koch der Erste, der
236
Bakterien-Kolonien – auf Kartoffelscheiben und später, mit seinem Schüler Petri
zusammen, auf festen Gelatine-Nährböden – züchtete.
Koch selbst konnte Cholera bei Tieren jedoch nicht reproduzieren. Außerdem ließen
sich nicht alle Mikroorganismen kultivieren, so dass seine Grundregeln entsprechend
modifiziert werden mussten. Trotzdem brachte Kochs Theorie Ordnung und Klarheit
in die Medizin, denn zu seiner Zeit galten Krankheiten noch als Strafe Gottes oder des
Teufels und wurden auf Miasmen, Nebel oder ungünstige Konstellationen der Sterne
und Planeten zurückgeführt.
Es regte sich jedoch auch Widerstand gegen Kochs Ideen. Der bekannte Münchner
Arzt Max von Pettenkofer hielt die neue Theorie für widerlegt, als er eine
Kulturlösung mit V. cholerae trank und nur eine leichte Diarrhoe bekam.
Der enorme technologische Fortschritt und unser besseres Verständnis von Infektionen
mögen den Versuch, lange Listen mit strengen Kriterien aufzustellen, überholt
erscheinen lassen. Heute können wir aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse nutzen, um
die Ursachen von Krankheiten zu erkennen. Wir wissen, dass manche Krankheiten erst
Jahre nach der Infektion ausbrechen (subakut-sklerosierende Panenzephalitis,
Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung; s. Kap. 24). Dank molekulargenetischer Technik können
zuvor nicht kultivierbare Erreger identifiziert werden. Die Polymerasekettenreaktion
237
half bei Patienten mit Whipple-Krankheit (einer seltenen, multisystemischen
Erkrankung), kleine mRNA-Mengen aus dem Darm zu amplifizieren und zu
sequenzieren. Entdeckt wurde dabeidie 16S-mRNA eines vorher unbekannten und nicht
anzüchtbaren Bakteriums (Tropheryma whippelii). Trotzdem bleiben im Hinblick auf
Krankheiten mit möglicher oder wahrscheinlicher mikrobieller Ätiologie Grauzonen,
besonders wenn mehr als ein Mikroorganismus beteiligt ist. Kofaktoren oder
genetische und immunologische Eigenheiten des Wirts könnten eine wichtige Rolle
spielen. Beispiele sind:
■ Bei manchen Infektionen verhält sich die ins Wirtsgenom integrierte Virus-
DNA wie genetisches Merkmal und wird vertikal übertragen (z.B. Mammatumorviren
bei Mäusen).
238
12.3 Unterschiedliches biologisches Ansprechen
239
Zusammenfassung
■ Mit der Abwehr des Wirts (s. Kap. 9 und 10) konfrontiert, haben Erreger (s.
Kap. 1–7) Mechanismen entwickelt, um sie zu umgehen. Umgekehrt haben Wirte
daraufhin, wenn auch langsam, ihre Abwehr ebenfalls angepasst.
■ Zwischen Mikroorganismen und Wirten besteht ein uralter Konflikt, und jede
Infektion ist Folge dieses Konflikts (nähere Einzelheiten s. Kap. 9–17,
Diagnosemethoden s. Kap. 32, Infektionskrankheiten geordnet nach Organsystemen
s. Kap. 18–30).
■ Schnelligkeit zahlt sich aus. Jede Infektion ist ein Wettlauf zwischen
Vermehrung und Ausbreitung der Erreger und Mobilisierung der Wirtsabwehr.
■ Es gibt vier Arten von Infektionen, je nachdem, ob die Wirtsabwehr intakt oder
geschwächt ist.
FRAGEN
1 Wie lieβe sich nachweisen, dass Diabetes mellitus durch ein Virus verursacht
wird?
240
2 Fast jeder Infizierte stirbt an Rabies/Tollwut, wie überdauert diese Infektion
dann in freier Natur?
4 Wie könnte man zeigen, dass für die Infektion eines Wirts die Hemmung seiner
Immunreaktionen oder der Zytokinwirkung durch Genprodukte eines Virus (z.B.
des Myxomatosevirus) entscheidend war?
5 Wenn jede Infektion ein Wettrennen ist, was verhindert dann bei allen
Mikroorganismen eine vollständige Infektion innerhalb weniger Tage?
Burnet, F.M., White, D.O.: The Natural History of Infectious Disease, 4th ed.
Cambridge University Press, Cambridge 1972.
Falkow, W.: Koch’s postulates applied to microbial pathogenicity. Rev Infect Dis 10
(1988) S274.
Mims, C.A., Nash, A. Stephen, J.: Mims’ Pathogenesis of Infectious Disease, 5th ed.
Academic Press, London 2001.
Smith, G.A.: Virus strategies for evasion of the host response to infection. Trends
Microbiol 2 (1994) 81–88.
241
13 Ein- und Austrittspforten, Übertragungswege
13.1 Eintrittspforten 134
242
Zur Orientierung
Mikroorganismen müssen sich auf der Oberfläche des Wirtes anheften oder in ihn
eindringen können
Säugetiere haben als Wirte ihre Körperfläche anzubieten (Abb. 13.1). An diesen Flächen
müssen Mikroorganismen Halt finden bzw. eindringen können, um sich auf oder in ihrem
Wirt festzusetzen. Die mit Haut oder Fell bedeckte Außenfläche des Körpers dient zum
Schutz und zur (Wärme-)Isolation; es ist eine trockene, nahezu undurchlässige
Hornschicht. An anderen Stellen findet jedoch ein engerer Austausch mit der Umwelt
statt: bei der Nahrungsaufnahme, dem Gasaustausch oder der Ausscheidung von Urin und
Sexualprodukten.
Deshalb sind Verdauungs-, Respirations- und Urogenitaltrakt innen mit ein- oder
mehrschichtigen Lagen lebender Zellen ausgekleidet. Im Auge ersetzt eine durchsichtige
Schicht (Augenbindehaut, Konjunktiva) aus lebenden Zellen die Haut. Überall sorgen gut
entwickelte natürliche Reinigungs- und Spülmechanismen dafür, dass Mikroorganismen
das Eindringen in den Körper erschwert wird. Erfolgreich behaupten können sich daher
nur Mikroorganismen, die über wirksame Mittel zur Adhäsion oder zum Durchdringung
dieser Flächen verfügen.
Rezeptormoleküle
Mikroorganismen können sich oft mit spezifischen Molekülen an Rezeptoren in Haut-
(Viren, Bakterien) oder Gewebezellen (Viren) ihres Wirts binden. Diese (manchmal auch
unterschiedlichen) Rezeptormoleküle sind natürlich nicht zum Nutzen eines Virus oder
sonstigen Erregers gedacht, sondern erfüllen spezifische Funktionen im Leben der Zellen.
Ist das Rezeptormolekül nur auf bestimmten Zellen vorhanden (was ganz selten
vorkommt), sind allein sie anfällig für Infektionen – z.B. das CD4-Molekül für HIV oder
der C3d-Rezeptor (CR2) für das Epstein-Barr-Virus. In dem Fall werden Tropismus des
Virus und das charakteristische Infektionsmuster vom Rezeptormolekül vorgegeben.
Rezeptoren sind daher entscheidend für die Infektionsanfälligkeit von Zellen, an der
Oberfläche wie auch im Körperinneren. Nach der Rezeptorbindung an empfindliche
Zellen beginnen Mikroorganismen, sich oberflächlich zu vermehren (Mykoplasmen,
Bordetella pertussis) oder in die Zellen einzudringen und sie zu infizieren (Viren,
Chlamydien; s. Kap. 15).
13.1 Eintrittspforten
13.1.1 Haut
243
Über die Haut eindringende Erreger können sowohl
Haut- als auch andere Infektionen hervorrufen
Welche Mikroorganismen über die Haut in den Körper gelangen oder Infektionen
auslösen, zeigt Tab. 13.1 Keime, die nicht zur normalen Hautflora (s. Kap. 8) gehören,
werden von Fettsäuren (Haut-pH um 5,5) und vermutlich auch von Talg- und
sonstigen Drüsensekreten schnell unschädlich gemacht. Von Keratinozyten gebildete
Peptide z.B. hindern A-Streptokokken am Eindringen. Auch Substanzen, die von der
normalen Hautflora produziert werden, schützen vor Infektionen. Gelangen
Hautbakterien in Haarfollikel oder Talgdrüsen, können sie Gerstenkörner und
Furunkel verursachen. Staphylokokken in den Milchgängen sind mögliche Ursache
einer Mastitis.
Abb. 13.1 Für Infektion und Verbreitung der
Erreger wichtige Körperflächen.
244
Tab. 13.1 Infektionen, die von der Haut ausgehen.
Die abgestorbenen Keratinstrukturen der Haut (Hornhaut bzw. Stratum corneum,
Haare, Nägel) werden von Pilzen (Dermatophyten) infiziert. Solange die Parasiten
schneller in die Tiefe wachsen, als sich die Keratinschicht abstößt (schuppt), bleibt die
Infektion bestehen. Besonders bei den langsam nachwachsenden Nägeln verläuft eine
Mykose oft chronisch.
245
Stiche oder Bisse von Arthropoden
Beißende oder stechende Arthropoden wie Moskitos, Zecken, Flöhe und Sandfliegen
(s. Kap. 27) penetrieren die Haut bei einer Blutmahlzeit, hierbei bringen sie den
Erreger oder Parasiten in den Körper. Als Überträger spielen Arthropoden eine
wichtige Rolle im Lebenszyklus vieler Mikroorganismen. Rein mechanisch werden
Erreger aus dem Mundbereich der Arthropoden übertragen. In den meisten Fällen
vermehren sich die Erreger jedoch in ihren Zwischenwirten, ohne ihnen größeren
Schaden zuzufügen; dieses friedliche Zusammenleben von Arthropoden und
Mikroorganismen ist das Ergebnis einer seit Millionen Jahren stattfindenden
Anpassung. Nach einer gewissen Inkubationszeit erscheinen die Erreger im Speichel
oder Kot der Arthropoden und werden beim Blutsaugen übertragen. Stechmücken z.B.
injizieren ihren Speichel (wirkt als Antikoagulans) ins Wirtsgewebe, während
Kleiderläuse Kot mit Rickettsia rickettsii ausscheiden, der durch Kratzen an der
befallenen Stelle in die Bisswunde gelangt.
Augenbindehaut
Als spezialisierten Hautbereich könnte man die Augenbindehaut (Konjunktiva)
ansehen. Sie wird durch ständiges Spülen mit Tränenflüssigkeit und den
Scheibenwischer-Effekt des alle paar Sekunden erfolgenden Lidschlusses rein
gehalten. Daher müssen Mikroorganismen wie Chlamydien oder Gonokokken schon
über besonders gute Haftmechanismen verfügen, um normale Konjunktiven
infizieren zu können (s. Kap. 25). Bei Störungen der lokalen Abwehr (verringerte
Tränenproduktion, Bindehaut- oder Lidschädigung) können sich aber auch weniger
spezialisierte Mikroorganismen etablieren. Infektiöses Material wird oft mit
verunreinigten Fingern in die Augen gerieben (z.B. Trachom).
13.1.2 Respirationstrakt
Reinigungsmechanismen
Die ideale Strategie besteht darin, sich fest an die (Zell-) Oberfläche der mukoziliaren
Schutzschicht zu heften. Mit spezifischen Molekülen (oft als Adhäsine bezeichnet)
246
können sich Mikroorganismen an Rezeptoren empfindlicher Zellen binden (Abb.
13.2). Beispiele für solche Infektionen sind in Tab. 13.2 angeführt.
247
Abb. 13.2 Flimmerepithel mit Influenzaviren.
248
Tab. 13.3 Atemwegsinfektionen mit gestörter Zilienfunktion.
13.1.3 Gastrointestinaltrakt
249
elektronenmikroskopische Aufnahme, Dünnschnitt, 10000 × vergr. (mit
freundlicher Genehmigung von E.T. Nelson).
Manchmal geht es bei Infektionen aber nicht nur um die lumenseitige Adhäsion an
Zellen des Darmepithels. Shigella flexneri kann z.B. nur über die Basalmembran in
Zellen gelangen. Am Anfang steht ihre Aufnahme durch M-Zellen, danach dringen die
Bakterien in örtliche Makrophagen ein und rufen eine lokale Entzündungsreaktion
hervor. Durch herbeiströmende Polymorphkernige wird die Epithelschranke
stellenweise durchbrochen. Jetzt können auch Bakterien aus dem Darmlumen in
großem Maßstab von basal in die Darmepithelzellen eindringen. Diese Bakterien
nutzen also die Entzündungsreaktion ihres Wirts dazu aus, sich Zugang zu den Zellen
zu verschaffen.
250
Tab. 13.4 Mikrobielle Adhäsionsmechanismen im Darmtrakt
*
ICAM = interzelluläres Adhäsionsmolekül; wichtig für Entzündung und
„soziales“ Leben der Zellen; wirkt auf Zellen in vitro als Rezeptormolekül für das
Poliovirus
**
oft an Pili oder Fimbrien (E. coli besitzt z. B. bis zu 200 Pili mit Adhäsinen)
***
Shigellen und andere pathogene Bakterien heften sich an Epithelzellen und
lassen sich von ihnen aufnehmen
Abb. 13.4 Vibrio choleraean M-Zellen der
Ileumschleimhaut (Mensch)
251
Haftwerkzeuge
Manchmal benutzen parasitäre Protozoen und Würmer auch grobmechanische
Mittel, um sich festzuhalten oder einzudringen. Giardia lamblia kann sich z.B. nicht
nur mit spezifischen Adhäsionsmolekülen an die Mikrovilli von Epithelzellen heften,
dies funktioniert auch über eine Saugscheibe. Hakenwürmer haben eine große
Mundkapsel mit hakenförmigen Zähnen oder Schneideplatten, um sich an der
Dünndarmmukosa festzuhalten. Andere Würmer (z.B. Ascaris) versteifen sich gegen
die Peristaltik, während Bandwürmer fest am Schleimbelag der Darmwand haften.
Vordere Haken und Saugorgane spielen dagegen bei diesem größten Wurm nur eine
untergeordnete Rolle. Einige Würmer bohren sich im adulten Stadium (Trichinella,
Trichuris) aktiv in die Schleimhaut oder durch die Darmwand, um in tiefere Gewebe
einzudringen (z.B. Trichinella-Embryos (setzen weibliche Würmer frei), oder aus
verschluckten Wurmeiern geschlüpfte Echinococcus-Larven).
Alle Mikroorganismen mit enteralem Infektionsweg müssen sich zunächst gegen die
Magensäure behaupten. Eine Sonderform der Abwehr hat Helicobacter pylori
entwickelt (s. Kasten). Dass sich Tuberkelbakterien gegen Säure resistent erweisen,
begünstigt die Entstehung einer Darmtuberkulose. Doch die meisten Bakterien
reagieren empfindlich auf Säure und ziehen ein leicht alkalisches Milieu vor.
So zeigte sich z.B. in einem Versuch mit freiwilligen Probanden (die Probanden
tranken unterschiedliche Konzentrationen von V. cholerae in 60 ml
Kochsalzlösung), dass die Cholera-Anfälligkeit um das 10000fache anstieg, wenn
ihnen zusätzlich 2 g Natriumbikarbonat verabreicht wurden. Die Probanden
erkrankten, sobald sie eine Mindestdosis von 108 Bakterien ohne bzw. 104 Bakterien
252
mit Natriumbikarbonat einnahmen. Ähnliche Versuche wurden mit Salmonella typhi
durchgeführt; auch hier verringerte sich die minimale infektiöse Dosis von 1000–
10000 Bakterien wieder signifikant bei Zugabe von Natriumbikarbonat.
Wenn Erreger wie Shigellen, S. typhi, Hepatitis-A- (HAV) und andere Enteroviren in
das (Dünn-)Darmepithel eingedrungen sind, hängt ihre Pathogenität letztlich davon
ab, ob sie
253
Geschichte der Mikrobiologie
Magensäure neutralisieren – die Überlebensstrategie vonHelicobacter pylori
Helicobacter pylori wurde vor ca. 20 Jahren entdeckt. Den Nachweis, dass es sich
um einen humanpathogenen Keim handelt, erbrachten zwei mutige australische
Ärzte aus Perth in einem Selbstversuch: durch einen bakterienhaltigen Trunk
bekamen sie eine Gastritis.
Die Infektion breitet sich oral oder fäkal-oral aus. Noch vor 150 Jahren war fast
jedes Kind infiziert. Als sich die hygienischen Verhältnisse besserten, verschob
sich in vielen Ländern der Krankheitsbeginn nach hinten, so dass heute mehr als
die Hälfte der über 50-Jährigen infiziert sind.
H. pylori heftet sich nach oraler Aufnahme über spezielle Adhäsine an die
Magenwand an. Für die meisten Mikroorganismen (z.B. Vibrio cholerae) ist der
niedrige pH-Wert im Magen rasch tödlich – nicht so für H. pylori. Um sich zu
schützen, setzt er große Mengen Urease frei; sie bewirkt, dass sich winzige
Ammoniakwölkchen aus Harnstoff bilden, die sich in der unmittelbaren
Umgebung von H. pylori befinden. Sobald sie sich festgesetzt haben, rufen die
Bakterien eine Entzündung mit Dyspepsie hervor, gelegentlich auch ein Duodenal-
oder Magenulkus. Solche Geschwüre sollten antibiotisch und nicht nur mit
Antazida behandelt werden. 90% der Duodenalulzera sind durch H. pylori, der
Rest durch NSAID oder Acetylsalicylsäure bedingt. Ohne tiefer ins Gewebe
einzudringen, halten sich die Bakterien jahrelang im Magen auf und verursachen
eine asymptomatische chronische Gastritis. Aus noch unbekannten Gründen
entwickelt sich bei einigen Patienten ein Magenkarzinom. H. pylori war das dritte
Bakterium, dessen Genom komplett entschlüsselt werden konnte. Noch nicht
geklärt ist die Rolle der Helicobacter-Toxine, von denen mehrere beschrieben sind.
■ Toxin produzieren,
■ Zellen schädigen,
254
Resorption mikrobieller Exotoxine, Endotoxine und
Proteine
Mikrobielle Exo- und Endotoxine sowie Proteine können in geringerem Umfang vom
Darm resorbiert werden. Beschleunigt erfolgt die Proteinaufnahme im Allgemeinen
bei Durchfall, aber auch bei Säuglingen, die Antikörper aus der Milch beziehen
müssen. Neben Makromolekülen können auch kleinere Partikel (von der Größe eines
Virus) aus dem Darmlumen aufgenommen werden. Das geschieht bevorzugt an
Stellen, wo sich Peyer-Plaques, isolierte Ansammlungen von Lymphgewebe,
befinden. Sie liegen direkt unter dem Darmepithel, das in diesem Bereich hoch
spezialisiert ist und aus sog. M-Zellen besteht (Abb. 13.4). M-Zellen sind über
zytoplasmatische Ausläufer eng mit Immunzellen verbunden, denen sie
aufgenommene Partikel und Fremdproteine zuführen.
13.1.4 Urogenitaltrakt
Vagina
Das Fehlen spezieller Reinigungsmechanismen macht die Vagina besonders anfällig
für Infektionen, wenn wiederholt ein (manchmal pathogen) kontaminierter
Fremdkörper wie der Penis in sie eingeführt wird. Auf dieser Grundlage entstehen z.B.
sexuell übertragene Krankheiten (s. Kap. 21). Deshalb ist sie von Natur aus mit
zusätzlichen Abwehrmechanismen ausgestattet. Während der reproduktiven
Lebensphase wird Glykogen unter dem Einfluss zirkulierender Östrogene in das
Vaginalepithel eingelagert und von Laktobacillen in der Vaginalflora zu Milchsäure
abgebaut. Aufgrund dessen liegt der pH-Wert in der Scheide bei 5,0. Normalerweise
verhindert dies eine Besiedlung mit anderen Keimen als Laktobacillen, bestimmten
Stäbchen und Corynebakterien. Im Vaginalsekret können pro ml bis zu 108 dieser
kommensalen Bakterien enthalten sein.
Andere Mikroorganismen können die Vagina nur besiedeln oder tiefer ins Gewebe
eindringen, wenn sie über besondere Mittel verfügen, um sich an der Vaginal- oder
Zervixschleimhaut halten bzw. beim Koitus aus winzigen Läsionen (Genitalwarzen,
Syphilis) oder einer Abwehrschwäche (Tampon, Östrogenungleichgewicht) ihren
Vorteil ziehen zu können.
255
Die Harnblase ist mehr als ein passiver Auffangbehälter und verfügt in ihrer Wand
über Abwehrmechanismen, die bisher noch kaum verstanden sind. Neben der
Schutzschicht aus Schleimhaut kann sie Entzündungsreaktionen sowie sekretorische
Antikörper und Immunzellen produzieren.
Invasionsmechanismen
Der Harntrakt wird fast immer von außen, über die Harnröhre aufsteigend, infiziert.
Deshalb lautet das erste und oberste Gebot für eindringende Keime, sich nicht mit dem
Urin wieder ausschwemmen zu lassen. Daher entwickelten Bakterien wie z.B.
Gonokokken (Abb. 13.5) besondere Haftmechanismen. Über ein bestimmtes
bakterielles (Pilus-)Peptid – das an ein Kohlenhydratpolymer bindet – werden
Urethralzellen dazu gebracht, das Bakterium aufzunehmen (Phagozytose bzw. auf
Parasiten gerichtete Endozytose). Dasselbe geschieht auch mit Chlamydien.
Hinsichtlich urogenitaler Infektionen erweist sich die Vorhaut als Handicap. Nach
Abschwellen des Penis bleiben oft im feuchten Bereich unter der Vorhaut sexuell
übertragbare Pathogene zurück. Bei unbeschnittenen Männern kommen sexuell
übertragene Erkrankungen häufiger vor als nach Zirkumzision.
Darmbakterien, vor allem E. coli, gelangen häufiger in den Harntrakt und verursachen
eine Zystitis. Eine wichtige Rolle spielt dabei die geschlechtsspezifische Anatomie
(Abb. 13.6). Mit einer Urethralänge von 20 cm (bei erschlafftem Penis) steigen
Infektionen beim Mann nicht so leicht zur Harnblase auf. Harnwegsinfektionen des
Mannes kommen entsprechend nur selten vor, z.B. aufgrund einer Katheterisierung
oder eingeschränkter Spülwirkung des Urins (s. Kap. 20). Anders bei Frauen: ihre
Urethra ist nicht nur kürzer (5 cm), sondern auch viel näher am After (Abb. 13.6),
einem ständigen Bakterienreservoir, lokalisiert.
Von einer Harnwegsinfektion sind Frauen 14-mal häufiger betroffen als Männer, und
mindestens 20% der Frauen leiden zu irgendeinem Zeitpunkt im Leben an Symptomen
einer Harnwegsinfektion. Oft besiedeln die Bakterien zunächst den
Schleimhautbereich rund um die Harnröhre, vielleicht weil sie sich speziell an diese
Zellen heften können. Begünstigt wird die Invasion durch die mechanische
Verformung, der die Urethra und ihre Umgebung beim Koitus unterliegen; dadurch
kann es zur Urethritis und Zystitis kommen. Eine Bakteriurie ist bei sexuell aktiven
Frauen 10-mal häufiger als bei Nonnen.
256
Abwehrmechanismen
Für eine natürliche Reinigung sorgt die spülende Wirkung des Speichels (von dem
etwa 1 l/Tag produziert wird, das entspricht 400-mal schlucken), unterstützt von Kau-
und anderen Bewegungen der Zunge, Wangen und Lippen. Andererseits wird
Sekret/Material aus dem Nasen-Rachen-Raum (Nasopharynx) beim Schlucken mit
dem Zungenrücken fest gegen die Pharynxwand gedrückt, so dass Mikroorganismen
an dieser Stelle möglicherweise eine Eintrittspforte finden. Zusätzliche
Abwehrmechanismen sind sekretorische IgA-Antikörper, antimikrobielle Stoffe wie
Lysozym, die normale Mund-/Rachenflora und die Aktivität der Leukozyten in
Schleimhaut und Speichel.
Abb. 13.5 Gonokokken-Adhärenz an humanem
Harnröhrenepithel
257
Invasionsmechanismen
Sich an Schleimhäuten oder Zahnflächen halten zu können ist sowohl für eindringende
wie für residente Keime (der Normalflora) obligatorisch. Verschiedene
Streptokokkenarten in der Mundhöhle heften sich z.B. über Lipoteichonsäuremoleküle
ihrer Pili an das Wangen- und Zungenepithel (resident: Streptococcus salivarius),
Zähne (resident: Streptococcus mutans) oder Pharynxepithel (nicht resident:
Streptococcus pyogenes).
Wenn die Widerstandskraft der Schleimhaut herabgesetzt ist, können kommensale und
andere Bakterien leichter eindringen. Das ist z.B. bei Zahnfleischentzündung
(begünstigt durch Vitamin-C-Mangel) oder Candida-Infektion bzw. Mundsoor
(begünstigt durch Breitspektrum-Antibiotikatherapie, weil sie das Gleichgewicht in
der Normalflora verändert) der Fall. Sobald 3–4 Stunden lang weniger Speichel fließt
(z.B. zwischen den Mahlzeiten), vervierfacht sich die Zahl der Bakterien im Speichel
(s. Kap. 18). Bei dehydrierten Patienten ist der Speichelfluss stark vermindert, so dass
ihr Mund schnell von Bakterien überwuchert wird. Wie an allen anderen
Körperflächen führen Veränderungen in der Wirtsabwehr schnell dazu, dass sich die
Grenze zwischen harmloser Normalflora und beginnender Gewebeinvasion verschiebt.
258
13.2 Austrittspforten und Übertragung
259
13.2.1 Übertragung
Umgebungsstabilität
Mikroorganismen verbreiten sich schneller in der Umgebung, wenn sie unempfindlich
auf Trockenheit reagieren (Tab. 13.7). Sind sie gegen thermische Inaktivierung
resistent, bleiben sie in der Außenumgebung auch längere Zeit infektiös. Dank
spezieller Entwicklungsformen (Clostridien-Sporen, Amöben-Zysten) können sich
manche Mikroorganismen Hitze, Trockenheit und chemischer Schädigung besser
widersetzen. Das zeigt, wie wichtig Umweltresistenz für sie ist. Lebende
Mikroorganismen sind thermostabiler, wenn sie getrocknet sind. Gefriertrocknen
macht sie sehr unempfindlich für Umgebungstemperaturen. Dass Sporen und Zysten
dehydriert sind, trägt viel zu ihrer Umweltresistenz bei. Empfindliche
Mikroorganismen sind dagegen zur Verbreitung auf engen Kontakt, Vektoren oder
kontaminierte Nahrung und Wasser angewiesen.
Bestimmte Aktivitäten des infizierten Wirts steigern die Effizienz der Übertragung
bzw. Weiterverbreitung. Husten- und Niesreflex nutzen nicht nur dem Wirt (weil sie
Fremdstoffe aus den Atemwegen befördern), sondern auch Mikroorganismen. Daher
260
findet eine Selektion von Stämmen statt, die eine vermehrte Sekretion bewirken bzw.
das respiratorische Epithel reizen (d.h. verstärkt Husten und Niesen provozieren) und
sich deshalb entsprechend besser verbreiten.
Ähnliches gilt für die gesteigerte Darmaktivität: Diarrhoe. Auch wenn sie schneller
aus dem Körper geleitet werden (durch Mittel gegen Durchfall dauert eine
Darminfektion oft länger), ist Diarrhoe aus Sicht der Keime eine höchst wirkungsvolle
Methode, die Umgebung zu kontaminieren und sich bzw. die Infektion auf neue Wirte
auszubreiten.
261
262
13.3 Übertragung von Mensch zu Mensch
Mikroorganismen können von Menschen, Wirbeltieren und stechenden/beißenden
Arthropoden übertragen werden. Am effektivsten erfolgt sie durch direkte Ansteckung
von Mensch zu Mensch. Die weltweit häufigsten Infektionen breiten sich inhalativ
(aerogen), fäkal-oral oder venerisch (durch Geschlechtsverkehr) aus. Eine eigene
Untereinheit bilden direkt durch Wirbeltiere (Zoonosen) oder über Vektoren (beißende
und stechende Arthropoden) übertragene Infektionen. Infektionen, die von einer anderen
Spezies erworben wurden, breiten sich nicht oder nur schlecht zwischen Menschen aus. In
Abb. 13.7 sind die unterschiedlichen Übertragungswege bzw. -arten dargestellt.
263
Lunge ausgestoßen. Auch beim Sprechen gelangen Partikel aus dem Mund (nicht sehr
viele, aber immerhin sind vor allem Konsonanten wie f, p, t und s als Quelle zu
berücksichtigen). Sicher ist es kein Zufall, dass viele Flüche im Englischen mit diesen
Buchstaben anfangen; der Beschimpfte wird also womöglich noch mit (infektiösem)
Speichel kontaminiert.
Der Bereich, in dem sich inhalierte Tröpfchen niederschlagen, hängt von ihrer Größe
ab. Große Tropfen fallen schon nach 4 m Flugstrecke wieder zu Boden, andere lagern
sich z.B. auf der Nasenschleimhaut (Durchmesser von 10 mm) ab. Die kleinsten
Tröpfchen (Durchmesser von 1–4 mm) können für unbestimmte Zeit in der Luft
hängen bleiben und gelangen mit dem normalen Luftstrom über die Nase in die
unteren Luftwege.
Welcher Teil des Respirationstrakts betroffen ist, hängt von der anfänglichen
Lokalisation, aber auch von den jeweiligen Rezeptoren (Tab. 13.2) und der lokalen
Temperatur ab. Rhinoviren können zwar in großer Zahl in den unteren
Respirationstrakt vordringen, aber sich nicht so gut vermehren wie in der
Nasenschleimhaut, weil sie – ebenso wie z.B. der Lepraerreger – kühlere
Temperaturen bevorzugen.
264
Mikroorganismen und Parasiten, die auf diesem Weg übertragen werden, spiegelt sich
auch seine Anziehungskraft für die Erreger wider.
Abb. 13.7 Übertragungswege/-arten und
Möglichkeiten zur Kontrolle.
265
Abb. 13.8 Nach einem heftigen Niesen verteilen
sich Tröpfchen im Raum. Die meisten der rund 20000
Partikel fliegen aus dem Mund
Darminfektionen in entwickelten Ländern werden jetzt eher durch Nahrung oder über
die Hände als durch Wasser und Fliegen übertragen. Obwohl in Großbritannien nach
Reisen in Entwicklungsländer jährlich Dutzende Fälle von Typhus auftreten, ist die
Infektion nicht auf andere übertragbar.
266
Urogenitale Infektionen werden oft auf sexuellem
Weg übertragen
Auch wenn Harnwegsinfekte häufiger vorkommen, breiten sie sich meist nicht über
Urin aus. Lebensmittel, Trinkwasser und Lebensraum können mit Urin kontaminiert
sein. Infektionen, die durch Urin übertragen werden, sind in Tab. 13.8 aufgelistet.
Für die Ansteckung an STD sind soziale und sexuelle Aktivitäten bestimmend.
Dramatisch haben sich der Anstieg der Weltbevölkerung und eine veränderte
Lebensweise auf die Epidemiologie der STD ausgewirkt. Mit wachsender
Bevölkerungsdichte und zunehmender Mobilität vergrößert sich die Zahl der
Sexualpartner; die Menschen sehen Sexualität nicht mehr als „Sünde“ und wissen,
dass sich Geschlechtskrankheiten behandeln und Schwangerschaften verhüten lassen.
Auch die Pille hat zur Verbreitung von STD beigetragen, weil seltener mechanische
Verhütungsmittel verwendet wurden. Dabei können Kondome verlässlich vor
Infektionen mit HSV, HIV, Chlamydien und Gonokokken schützen (s. Kap. 21).
267
Tab. 13.8 Infektionen durch Urin
STD breiten sich viel langsamer und weniger effektiv als respiratorische oder enterale
Infektionen aus. Während das Influenzavirus in überfüllten Räumen innerhalb einer
Stunde zahlreiche Menschen oder das Rotavirus an einem Vormittag ganze Gruppen
im Kindergarten anstecken kann, werden STD nur beim sexuellen Kontakt, d.h.
individuell, übertragen. Daher ist für die Ausbreitung Promiskuität entscheidend,
denn in einer stabilen Partnerschaft infizieren sich selbst bei häufigem Sex nur die
Partner gegenseitig. Erst die zunehmende Promiskuität in der Gesellschaft und eine
Vielzahl von Sexualpartnern bei Einzelpersonen (z.B. Prostituierte) führen zum
dramatischen Anstieg der STD-Inzidenz.
268
Abb. 13.9 Sexuelle Übertragung von Infektionen
[aus: R.R. Wilcox, The rectum as viewed by the venereologist. Br J Ven Dis 57
(1981) 1–6].
Perinatale Ansteckung
Für Neugeborene kann auch der weibliche Genitalbereich zur Infektionsquelle werden
(s. Kap. 23). Wenn während der Passage durch den Geburtskanal Mikroorganismen
auf die Augenbindehaut des Kindes gelangen (Schmierinfektion) oder inhaliert
werden, können sie zu Konjunktivitis, Pneumonie oder bakterieller Meningitis
führen.
269
Oropharyngeale Infektionen verbreiten sich oft durch
Speichel
Häufig dient Speichel als Vehikel zur Übertragung von Infektionen. Im Speichel
können Streptokokken und Tuberkelbakterien (bei oberen und unteren
Atemwegsinfektionen) oder Viren, die Speicheldrüsen infizieren, vorkommen und
übertragen werden. Über Speichel verbreiten sich Paramyxoviren, HSV, CMV und
HHV-6 (humanes Herpesvirus Typ 6). Auf diesem Weg stecken sich meist kleine
Kinder an, die ihre Finger in den Mund stecken und alles, was sie anfassen,
regelmäßig mit Speichel kontaminieren. Auch das Epstein-Barr-Virus (EBV) wird
durch Speichel übertragen; allerdings weniger effektiv, weil es nur in einzelnen Zellen
oder in kleinerer Menge vorhanden ist. In den entwickelten Ländern machen viele
Menschen keine Kinderkrankheiten mehr durch, sondern infizieren sich erst als
Jugendliche oder Erwachsene – beim ausgedehnten Speichelaustausch (im Mittel 4,2
ml/h) verbunden mit Zungenküssen (s. Kap. 18). Auch Tierspeichel kann eine
Infektionsquelle sein (Tab. 13.9).
Sehr viel häufiger als durch Streuung in die Umgebung werden Mikroorganismen wie
fakultativ pathogene Staphylokokken und humane Papillomaviren (HPV) aber durch
Kontaktinfektion oder über kontaminierte Finger übertragen.
270
Tab. 13.9 Durch Speichel übertragene Infektionen des Menschen
271
13.3.6 Übertragung durch Milch
Milch wird in Hautdrüsen gebildet. Während in Frauenmilch nur selten Erreger (HIV,
CMV und HTLV-1) vorkommen, kann die Milch von Kühen, Ziegen oder Schafen eine
wichtige Infektionsquelle darstellen (Tab. 13.11). Bakterien gelangen manchmal erst
nach dem Melken in die Milch.
272
Von den Eltern findet eine vertikale Übertragung auf
den Nachwuchs statt
Wenn eine Infektion über Sperma, Eizelle, Plazenta (Tab. 13.12), Milch oder Blut
direkt von den Eltern auf die Nachkommen übertragen wird, spricht man von
vertikaler Übertragung – wie ein Familienstammbaum gleicht sie einem
Flussdiagramm von oben nach unten (Abb. 13.10).
Streng genommen handelt es sich um Infektionen, die sich auch ohne horizontale
Übertragung in einer Spezies selbst unterhalten, solange sie die Lebensfähigkeit des
Wirtes nicht beeinträchtigen. Von Retroviren weiß man, dass sie sich vertikal selbst
erhalten können (z.B. das Mammatumorvirus in Milch, Sperma und Eizellen von
Mäusen). Abgesehen von HTLV-1, bei dem die Übertragung durch Milch offenbar
eine größere Rolle spielt, scheint das bei Menschen weniger bedeutsam zu sein.
Allerdings finden sich im menschlichen Genom normalerweise zahlreiche retrovirale
DNA-Sequenzen. Auch wenn sie für die Bildung infektiöser Viruspartikel zu
unvollständig sind, müssen sie als erstaunlich durchsetzungsfähige Parasiten des
Menschen betrachtet werden. Sie verhalten sich wahrscheinlich unschädlich und
überleben deshalb, kontrolliert, konserviert und repliziert als Teil unserer genetischen
Ausstattung.
Abb. 13.10
Vertikale
und horizontale
Übertragung
von
Infektionen.
Menschenansammlungen meist horizontal aus. Für kleine isolierte Gruppen ist die
vertikale Übertragung bedeutsamer (s. Kap. 17).CMV = Zytomegalievirus, HTLV
= human T cell lymphotropic virus (humanes T-Zell-Leukämievirus).
273
Tab. 13.12 Diaplazentare Übertragung von Infektionen
274
13.4.1 Vektoren
Zu diesen drei Gruppen gehören die mit Abstand wichtigsten Krankheitsvektoren. Als
Überträger kommen viele Spezies in Frage und das Erregerspektrum, das sie
übertragen, ist entsprechend breit (Abb. 13.11). In der Vergangenheit waren Insekten
wie Flöhe (Pest) und Läuse (Typhus) für einige der schlimmsten Epidemien
verantwortlich. Eine der weltweit wichtigsten Infektionskrankheiten, die Malaria, wird
von der Anophelesmücke übertragen. Entscheidend für die Verteilung und
Epidemiologie von Infektionen ist, dass Vektoren klimatisch günstige Bedingungen
zum Brüten vorfinden und Mikroorganismen in ihrem Körper die volle Entwicklung
durchlaufen lassen. Einige Infektionskrankheiten (z.B. Malaria, Schlafkrankheit,
Gelbfieber) bleiben daher auf tropische oder subtropische Regionen beschränkt,
während andere (wie Pest oder Typhus) weiter verbreitet vorkommen.
275
Passive Träger (Carrier)
Insekten können Pathogene, die sich einfach nur passiv an ihren Mundwerkzeugen, am
Körper oder im Darmschlauch befinden, auf Nahrungsmittel oder einen menschlichen
Wirt übertragen, sobald sie Nahrung aufnehmen bzw. Speichel oder Kot ausscheiden.
Auf diese Weise können von der gemeinen Stubenfliege oder Küchenschaben
Krankheiten übertragen werden.
Biologische Übertragung
Sehr viel häufiger dienen blutsaugende Arthropoden jedoch als obligater
Zwischenwirt, in dem sich die Pathogene vermehren und entwickeln. Fast alle
wichtigen Infektionen (Abb. 13.11) werden auf diesem Weg übertragen. Nach einiger
Zeit werden die Krankheitserreger dann – ebenfalls beim Blutsaugen – wieder in den
menschlichen Körper eingebracht: durch direkte Injektion von Speichel (Malaria,
Gelbfieber) oder durch Kontamination mit Kot bzw. regurgitiertem Blut des Vektors
(Typhus, Pest).
276
Abb. 13.12 Weibliche Anophelesmücke beim
Blutsaugen
Häufig sind Infektionen durch Meerestiere bedingt, die Nährstoffe aus dem
Wasser filtern und aus der Nähe von Abwassereinleitungen stammen.
Sonst unterhalten Pathogene und wirbellose Tiere aber oft eine engere Beziehung.
Denn viele Parasiten (besonders Würmer) müssen erst eine (Teil-)Entwicklung in
wirbellosen Zwischenwirten durchlaufen, ehe sie Menschen infizieren können (z.B.
277
nach Verzehr des Zwischenwirts). Für solche Infektionen spielen daher die
Essgewohnheiten eine wichtige Rolle.
Epidemiologisch besteht bei Zoonosen ein Zusammenhang mit Häufigkeit und Art des
Kontakts zwischen Tieren und Menschen. Einige hängen von lokalen
Essgewohnheiten ab und beschränken sich daher geografisch auf bestimmte
Regionen. Bei bevorzugt rohem Verzehr von Fisch (oder Amphibien) können z.B.
Parasiten (vor allem Bandwürmer und Nematoden) mit aufgenommen werden. Andere
Zoonosen treten berufsbedingt auf, z.B. Toxoplasmose oder Q-Fieber bei Metzgern
(durch rohe Fleisch-/Tierprodukte) oder Brucellose und Dermatomykose bei
Landwirten (durch ständigen Kontakt zu Nutzvieh). Menschen in urbanen Gebieten
infizieren sich dagegen eher durch den Verzehr tierischer Nahrungsmittel oder im
Kontakt mit Hunden, Katzen und anderen Haustieren.
Dort, wo Hunde zum Schafehüten eingesetzt werden und von infizierten Kadavern
fressen, können sich Menschen durch Bandwurmeier im Hundekot eine
278
Echinokokkose zuziehen. Diese Infektion war – und ist es zum Teil noch immer –
besonders in Ländern mit überwiegend ländlicher Struktur wichtig.
279
Tab. 13.14 Direkt von Wirbeltieren (Vögel und Säugetiere) auf
Menschen übertragbare Infektionen
280
Abb. 13.14 Bester Freund des Menschen? Zoonosen
durch Hunde und Katzen.
■ Infektionen des Menschen gehen oft von Tieren aus und werden direkt
(Zoonosen) oder indirekt (über blutsaugende Arthropoden) übertragen. Dabei
richtet sich die Inzidenz nach den Kontaktmöglichkeiten zu infizierten Tieren oder
Arthropoden.
FRAGEN
281
1 Geben Sie in der richtigen Reihenfolge an, auf welchem Weg sich
Infektionen am schnellsten innerhalb von Menschengruppen ausbreiten –
sexuell, fäkal-oral, aerogen/inhalativ, als Zoonose?
3 Halten Sie Urin für ein geeignetes Mittel zur Übertragung von
Infektionen? Bitte begründen Sie Ihre Antwort.
Cohen, M.S., Sparling, P.F.: Mucosal infection with Neisseria gonorrhoeae. J. Clin
Investig 89 (1992) 1699–1705.
Falkow, S.: Bacterial entry into eukaryotic cells. Cell 65 (1991) 1099–1102.
Mims, C.A.: The transmission of infection. Rev Med Microbiol 6 (1995) 217–227.
Mims, C.A., Nash, A. Stephen, J.: Mims’ Pathogenesis of Infectious Disease, 5th ed.
Academic Press, London 2001.
Simonsen, I., Kane, A., Lloyd, J. et al.: Unsafe injections in the developing world
and transmission of blood-borne pathogens: a review. Bull WHO 77 (1999) 789–
800.
282
14 Aktivierung der Immunabwehr
14.1 Komplementsystem 155
283
Zur Orientierung
Auf die Barrierefunktion von Haut, Schleimhäuten und Hautanhangsgebilden (Zilien,
Flimmerepithel) wurde bereits hingewiesen (s. Kap. 9). Wenden wir uns nun den dahinter
stehenden Abwehrmechanismen zu – Komplementsystem, Phagozyten und zytotoxischen
Zellen sowie verschiedenen zelltoxischen Molekülen –, die ins Spiel kommen, sobald
Mikroorganismen diese Schranken durchbrochen haben. Auch wenn sie nicht über die
beeindruckende Spezifität und Gedächtnisfunktion der auf Lymphozyten basierenden
erworbenen Immunmechanismen verfügen, sind diese natürlichen Abwehrkräfte
lebenswichtig, besonders wenn sie – wie für wirbellose Tiere – den einzigen Schutz vor
Infektionen darstellen (adaptive Immunreaktionen entwickelten sich erst bei den
Vertebraten).
In der Lunge findet sich besonders reichlich das antimikrobielle Protein Lysozym. Die
Bronchiallavage gentechnisch erzeugter Mäuse enthielt zwei- bis viermal mehr Lysozym
als bei Kontrollmäusen. Diese transgenen Mäuse konnten nachweislich besser mit
Infektionen durch Streptokokken der Gruppe B fertig werden und waren auch gegen
Pseudomonas aeruginosa resistenter (Abb. 14.1).
284
14.1 Komplementsystem
(a) Verglichen mit Kontrollmäusen des Wildtyps bilden transgene Mäuse 18fach
mehr Lysozym. (b) Nach intratrachealer Inokulation mit Pseudomonas aeruginosa
wurde die Lunge transgener Mäuse deutlich schneller von den Erregern befreit als
die von Mäusen des Wildtyps [Akinbi et al., J Immunol 165 (2000) 5760].
Allerdings sei betont, dass nur der alternative Weg der Komplementaktivierung bzw. der
Weg über Mannan-bindende Lektine zu diesem natürlichen Frühabwehrsystem
gehören. Erst nach Antikörperreaktionen kommt es auch zur Komplementaktivierung
auf klassischem Weg. Dass der alternative Weg entwicklungsgeschichtlich älter ist,
dürfte insofern kaum überraschen.
285
Als Reaktion auf Zytokine bilden Leberzellen das
antibakterielle C-reaktive Protein
Von den Akute-Phase-Proteinen, die bei den meisten Entzündungsreaktionen gebildet
werden, ist das C-reaktive Protein (CRP) wegen seiner – wenn auch nur begrenzten –
antibakteriellen Wirkung besonders interessant. Als pentameres β-Globulin ähnelt CRP
(Molekulargewicht von 130000) einer Miniaturausgabe des IgM (MG von 900000).
Durch chemische Reaktion mit dem Zellwand-Phosphorylcholin mancher
Streptokokken kann es Komplement aktivieren und die Phagozytose induzieren. CRP
wird von Leberzellen als Reaktion auf Zytokine – besonders Interleukin 6 (IL-6, s. Kap.
11) – gebildet. Da seine Konzentration innerhalb von 24 Stunden auf das 1000fache
ansteigen kann, ist die Reaktionszeit viel kürzer als bei Antikörperreaktionen (s. Kap. 9).
Aus dem Grund zieht man zur Verlaufskontrolle entzündlicher (z.B. rheumatischer)
Erkrankungen oft die CRP-Werte heran.
286
14.2.1 Kollektine
Kollektine sind Proteine, die sich an Oberflächenmoleküle (Kohlenhydrate) von
Bakterien und Viren binden. Das lockt verstärkt Zellen an und bewirkt die alternative
Komplement- sowie Makrophagenaktivierung. Das Kollektin Surfactant-Protein A
spielt eine wichtige Rolle in der angeborenen Abwehr der Lunge, z.B. in der Abwehr
von Infektionen durch Streptokokken der Gruppe B. Mäuse, denen dieses Kollektin
fehlte, waren viel anfälliger für Infektionen, und verglichen mit Kontrollmäusen ohne
Surfactant-Protein-A-Mangel kam es zu einer stärkeren pulmonalen Infiltration und
Aussaat in die Milz.
14.3 Fieber
Bei Infektionen kommt es – in aller Regel – zu einem Anstieg der Körpertemperatur (s.
Kap. 29). Als mögliche Ursache entdeckt man in vielen Fällen freigesetzte Zytokine (IL-1
oder IL-6), die für Immunität wie für Krankheit eine wichtige Rolle spielen (s. Kap. 11).
Das lässt aber unbeantwortet, ob die Temperaturerhöhung selbst schon von Vorteil sein
könnte.
Tatsächlich sieht man es als Schutzstrategie an, dass Säugetiere und Mikroorganismen
auf unterschiedliche Belastungen (einschließlich Hitze) mit der Bildung von Stress- oder
Hitzeschock-Proteinen reagieren. Andererseits ist zu erwarten, dass auch bestimmte
Immunmechanismen des Wirts bei erhöhter Temperatur noch wirksamer werden;
Beispiele sind Komplementaktivierung, Lymphozytenproliferation und Proteinsynthese
(Antikörper und Zytokine).
287
14.4 Natürliche Killerzellen
288
Abb. 14.2 Um die Bakterien abzutöten, müssen bei
vielen intrazellulären Infektionen (z.B. mit Listerien)
Makrophagen aktiviert werden; dazu ist IFNγ nötig.
14.5 Phagozytose
289
Je nachdem, ob Zellen bei der Phagozytose Sauerstoff verbrauchen oder nicht, wird
traditionell zwischen oxidativer und nicht-oxidativer Form unterschieden. Da PMN
keine Mitochondrien haben und anaerob atmen, kommt es während der Phagozytose
unter Bildung bakterizider O2-Zwischenprodukte (reactive oxygen intermediates, ROI)
zu einem explosionsartigen Anstieg des Sauerstoffverbrauchs (sog. respiratory burst,
Abb. 14.4).
Abb. 14.3 Elektronenmikroskopische Aufnahme
und schematische Darstellung eines Neutrophilen
nach Phagozytose vonCandida albicans. 7000×
vergr.
290
mit CGD können drei verschiedene Gendefekte eines Enzymsystems in der PMN-
Membran haben, an dem NADPH-Oxidase (Nikotinamid-Adenin-Dinukleotid-
Phosphat-Oxidase) beteiligt ist.
Normalerweise sorgt das Enzymsystem für eine progressive Reduktion von Sauerstoff
aus der Luft zu Wasser. Bei dieser Reaktion werden Intermediärprodukte (ROI) wie
Superoxid, Wasserstoffperoxid und freie Hydroxylradikale gebildet, die für
Mikroorganismen hoch toxisch sein können (Tab. 14.1).
Da Staphylokokken und bestimmte andere Bakterien und Pilze bei einer CGD nicht
abgetötet werden, können sie chronisch tiefe Abszesse verursachen. Mit Katalase-
negativen Bakterien (z.B. Pneumokokken) werden diese Patienten dagegen besser fertig,
denn aus dem in ausreichender Menge gebildeten (und nicht abgebauten)
Wasserstoffperoxid entsteht in Verbindung mit der Zell-Myeloperoxidase hochgiftige
Hypochlorsäure. PMN-Defekte bei CGD-Patienten lassen sich in vitro leicht daran
erkennen, dass sie den gelben Farbstoff Nitroblautetrazolium nicht zu dem blauen
Bestandteil reduzieren können (NBT-Test, s. Kap. 32).
Abb. 14.4 Die wichtigsten am Respiratory Burst
beteiligten Moleküle.
291
Tab. 14.1 Mikroorganismen, die durch Sauerstoff- (und Stickstoff-
)Reaktionsprodukte abgetötet werden können.
Besonders reichlich mit zytotoxischen Granula ausgestattet sind Eosinophile, die auch
als Phagozyten fungieren (Tab. 14.2). Wegen ihres stark kationischen (d.h. basischen)
Inhalts zeigen diese Granula ein charakteristisches azidophiles Färbemuster. Bisher
sind fünf Eosinophilen-kationische Proteine bekannt, die – zumindest in vitro –
292
besonders für parasitäre Würmer toxisch zu sein scheinen. Aufgrund des enormen
Größenunterschieds zwischen Würmern und Eosinophilen beschränkt sich die
Schädigung aber auf die Außenfläche der Parasiten. Die für Wurminfektionen typische
Eosinophilie spiegelt vermutlich den Versuch wider, so große und nahezu
unzerstörbare Parasiten zu überwältigen. Produktion und Aktivierung der
Eosinophilen werden von T-Zellen und Makrophagen gesteuert, dabei dienen
Zytokine wie Interleukin 5 (IL-5) und Tumornekrosefaktor (TNF) als Mediatoren.
293
Tab. 14.3 Polymorphkernige Leukozyten (PMN) und Makrophagen
im Vergleich.
CGD = chronische Granulomatose, GM-CSF = Granulozyten-Makrophagen-
Kolonie- stimulierender Faktor, IFN = Interferon, IL = Interleukin, LPS =
Lipopolysaccharide, NO = Stickstoffmonoxid, TNFα= Tumornekrosefaktor α
294
14.6 Zytokine
Zytokine sind bei Infektionen aus zwei völlig gegensätzlichen Gründen wichtig. Für ihre
schädliche Wirkung liefert der septische Schock durch TNF ein gutes Beispiel (s. Kap.
12). Ihr unmittelbarer oder häufiger indirekter Nutzen besteht darin, dass sie andere
antimikrobielle Prozesse in Gang setzen.
14.6.1 Interferone
Die bekanntesten Zytokine mit antimikrobieller Wirkung sind wohl die Interferone
(IFN; Tab. 14.4). Ihr Name leitet sich von dem 1957 geführten Nachweis her, dass
virusinfizierte Zellen ein Molekül ausscheiden, das die Virusreplikation in unbeteiligten
Zellen stört bzw. mit ihr „interferiert“. Alle drei Interferonarten – IFNα, IFNβ, IFNγ –
binden an spezifische Zellrezeptoren (einer für IFNα und IFNβ, ein zweiter für IFNγ)
und können bei den meisten Zellen einen antiviralen Zustand herbeiführen, indem sie
mindestens zwei Enzyme produzieren: eine Proteinkinase und eine 2′,5′-
Oligoadenylatsynthetase. Beide Enzyme verursachen eine Hemmung der (Virus-
)RNA-Translation, d.h. der Proteinsynthese (Abb. 14.5).
295
Obwohl sie eher für ihre antivirale Aktivität bekannt sind, konnte kürzlich gezeigt
werden, dass Interferone von einem breiteren Erregerspektrum induziert werden bzw.
daran wirksam sind (Rickettsien, Mykobakterien und mehrere Protozoenarten). Die
Rolle von IFNγ wird weiter unten im Zusammenhang mit den T-Zellen besprochen.
Einige intrazelluläre Erreger (wie Leishmanien) verbessern ihre Überlebenschancen,
indem sie den IFNγ-Einfluss auf die MHC-Expression abwehren.
296
eIF-2 = eukaryotischer
Initiationsfaktor 2
297
Abb. 14.6 Unterschiedliche Interferon-(IFN-
)Wirkungen und Immunität gegen Viren.
Für die stark wirksamen Moleküle scheinen Regeln wie „genug ist genug“ und „zu
viel ist gefährlich“ zu gelten. Paradox ist das positive Feedback mit negativen Folgen
bei HIV-Infizierten, d.h., der Anstieg der TNF-Konzentration begünstigt die HIV-
Replikation in T-Zellen. Auf Zytokine der T-Zellen (wie IFNγ) und ihre Rolle für die
Immunität wird unten eingegangen.
298
14.7.1 Geschwindigkeit, Ausmaß, Dauer
Bis eine primäre Antikörperreaktion in ausreichendem Umfang ausgeprägt wird,
kann es gefährlich lange dauern. Das liegt an den Interaktionen der beteiligten Zellen
und der notwendigen Proliferation einer kleinen Anzahl spezifischer Vorläuferzellen
(Lymphozyten). Als es noch kein Penicillin gab, war die Lobärpneumonie ein
klassisches Beispiel für das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Bakterienvermehrung und
Antikörperproduktion, das eine Seite (nach ca. 1 Woche) in sehr dramatischer Weise für
sich entschied.
Heutzutage stehen die Chancen für die Patienten dank Impfungen und Antibiotika viel
besser. Tierversuche mit speziell gezüchteten Mäusen lassen vermuten, dass eine
größere Anzahl von Genen kontrolliert, wie rasch und stark Antikörperreaktionen
auftreten, und das gilt zweifellos auch für Menschen.
Allgemein ausgedrückt hält eine Antikörperreaktion so lange an, wie noch Antigen
vorhanden ist, auch wenn sich nach längerer Dauer eine gewisse Abschwächung
bemerkbar machen kann. Vermutlich stellt dies einen Versuch dar, die
immunpathologischen Auswirkungen zu begrenzen (s. Kap. 17). Lebenslange
Immunität nach Virusinfektionen kann auf regelmäßig wiederkehrendem
Antigenkontakt beruhen (z.B. mit dem Masern- oder Mumpsvirus, das noch immer in
der Bevölkerung umgeht), aber manchmal persistieren Antikörper (z.B. bei Gelbfieber)
jahrzehntelang, ohne dass eine Auffrischung stattgefunden hätte. Diese Persistenz des
immunologischen Gedächtnisses könnte mit der unspezifischen Stimulation der
Gedächtnis-B- und T-Zellen zusammenhängen, wenn Zytokine auf andere Antigene
ansprechen. Dieser Vorgang wird als Aktivierung von „Bystander“-Zellen bezeichnet.
14.7.2 Affinität
Dass Antikörper nützlicher sind, wenn sie Antigene mit höherer Affinität binden,
erscheint einleuchtend und wurde auch experimentell (passive
Immunität/Schutzwirkung) bestätigt. Die Bindungsaffinität wird sowohl vom
ursprünglichen Antikörper-Genpool als auch durch somatische Mutationen einzelner
B-Lymphozyten festgelegt. Genetisch wird sie offenbar unabhängig von der Antikörper-
Gesamtmenge kontrolliert. Bei einigen Menschen fand man eine relativ niedrige
Antikörperaffinität für den Tetanustoxoidimpfstoff, besonders wenn IgG4-Reaktionen
überwogen, und aus Versuchen mit Mäusen ergaben sich eindeutige Hinweise, dass eine
mangelnde Affinität der Antikörperreaktionen zu Immunkomplexkrankheiten
prädisponierte.
299
14.7.3 Antikörperklassen und -subklassen
(Isotypen)
Für die meisten funktionellen Unterschiede von Antikörpern sind ihre Fc-Abschnitte
verantwortlich (s. Kap. 10). Indem es von einem Fc-Abschnitt zum anderen umschaltet
(während die Fab-Region konstant bleibt), kann das Immunsystem ausprobieren, wie
effektiv verschiedene Mechanismen gegen eingedrungene Mikroorganismen sind. Diese
Flexibilität ist aber nicht unbegrenzt möglich. Von T-Zellen unabhängige Antigene
(bestimmte Polysaccharide) induzieren z.B. nur IgM-Antikörper. Für das Umschalten
auf IgG, IgA oder IgE sind jedoch T-Zellen erforderlich.
IgG-Reaktionen gegen Polysaccharide gehen hauptsächlich von IgG2 aus und IgG-
Reaktionen gegen Proteine hauptsächlich von IgG1. Die mangelhafte Bildung von IgG2
bei Kindern unter zwei Jahren erklärt die ausbleibende Antikörperreaktion auf Bakterien
mit Polysaccharidkapsel (z.B. Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae). Um
Impfstoffe, die andere IgG-Subklassen induzieren, herzustellen, werden beträchtliche
Anstrengungen unternommen. Bei den Antikörpern gegen Viren überwiegen IgG1 und
IgG3, bei den Antikörpern gegen Helminthen IgG4 und IgE. Der einzige Antikörpertyp,
der im proteasereichen Milieu des Darms funktionieren kann, ist IgA, das entsprechend
hauptsächlich von Antigenen, die den Verdauungstrakt erreichen, induziert wird. Bei
dieser Isotypen-Präferenz spielen auch T-Zellen und Zytokine eine wichtige Rolle.
300
Moleküle (Abb. 14.7). Daher werden bewegliche Mikroorganismen schon rein
physikalisch eingeschränkt, sobald sich ein Antikörper an sie heftet.
301
Abb. 14.8 Bakterienagglutination.
14.7.6 Lyse
Ein anderes bequemes Antikörper-Nachweisverfahren ist die Lyse von Bakterien bei
Zugabe von Komplement. Lyse schützt aber wahrscheinlich nur vor einem schmalen
Erregerspektrum (Neisserien- und einigen Virusinfektionen; s. Kap. 17).
14.7.7 Opsonisierung
Direkte (Bindung der CH2- und CH3-Regionen von Immunglobulinen an Fc-
Rezeptoren) oder indirekte Opsonisierung (durch C3b-Rezeptor-Bindung nach
Komplementaktivierung) ist überhaupt die wichtigste Antikörperfunktion. Den
schlagenden Beweis liefert die große Ähnlichkeit der Symptome bei Patienten mit
Antikörper-oder Komplementdefekten (bis zu und einschließlich Faktor C3) bzw.
Phagozytendefekten (s. Kap. 30). Die Phagozytoserate kann sich schätzungsweise auf
das 1000fache steigern, wenn sich Antikörper und Komplement in ihrer Wirkung
ergänzen (Abb. 14.9).
Ein gutes Beispiel ist erneut die Lobärpneumonie: Gegen die Bakterienkapsel
(Streptococcus pneumoniae) gerichtete IgG-Antikörper ermöglichen Neutrophilen die
Phagozytose, so dass sich die durch Flüssigkeit, Fibrin und Fresszellen angeschoppte
Lunge quasi über Nacht wieder zum normalen Atemapparat zurückbilden kann.
Wie erfolgreich die Opsonisierung ist, hängt davon ab, ob aufgenommene Erreger von
den Phagozyten endgültig ausgeschaltet werden können. Das ist jedoch nicht der Fall,
wenn Mikroorganismen die normale intrazellulären Vorgänge, die zu ihrer Zerstörung
führen würden, hemmen oder umgehen können (typisches Beispiel: Mykobakterien; s.
Kap. 16).
302
Abb. 14.9 Phagozytose.
Tatsächlich weiß man in den meisten Fällen nicht genau, wie Antikörper vor Infektionen
schützen. Dass z.B. enorm viel IgA (fast die Hälfte der Antikörperproduktion im
gesamten Körper) enteral gebildet wird, spricht für eine vitale Schutzfunktion der
Darmschleimhaut; trotzdem kommt ein IgA-Mangel relativ häufig vor, ohne ernste
Folgen zu haben.
Tab. 14.5 zeigt einige gängige Beispiele für Infektionen, die normalerweise von
Antikörpern kontrolliert werden. Es sei erneut betont, dass das bloße Vorhandensein von
Antikörpern keinesfalls schon Schutz bedeutet. Zum einen können Antikörper gegen
pathogenetisch unbedeutende bzw. nicht krank machende Antigene gerichtet sein und
zum anderen entwickeln sich viele Infektionen (vor allem intrazelluläre wie
Tuberkulose, Typhus, Herpes) unabhängig von Antikörpern. Die Bedeutung von
Antikörpern lässt sich am besten aus Antikörpermangelsyndromen herleiten (s. Kap.
30).
303
T-Zellen bilden die zweite Hauptkomponente bei erworbenen Immunreaktionen (s. Kap.
10 und 11). Einige produzieren Zytokine, die Makrophagen aktivieren oder bei der
Antikörperproduktion mithelfen (Tab. 14.6), andere wirken direkt zytotoxisch auf
infizierte Zielzellen. In beiden Fällen müssen die T-Zellen bestimmte Peptid-MHC-
Molekül-Kombination wahrnehmen und sie mit ihrem T-Zell-Rezeptor erkennen. Einige
Beispiele zur Bedeutung der antikörper- und zellvermittelten Immunität bei systemischen
Infektionen sind in Tab. 14.5 angegeben.
304
Tab. 14.6 Therapeutischer Einsatz von Zytokinen bei Infektionen des
Menschen.
GM-CSF/M-CSF = Granulozyten-Makrophagen- bzw. Makrophagen-Kolonie-
stimulierender Faktor, HBV/HCV = Hepatitis-B-/-C-Virus, IFN = Interferon, IL =
Interleukin
Ein anderes gutes Beispiel für die schützende Wirkung von IFNγ und die TH1-
Immunität sind Tiermodelle der Leishmaniose: Einige Mäuse-Stämme (C57BL/6-
Mäuse) sind resistent gegen Leishmaniasis und können die Infektion gut – durch eine
305
TH1-Zytokin-Reaktion – kontrollieren. BALB/c-Mäuse konnten dagegen kein IFNγ
bilden und das Parasitenwachstum nicht kontrollieren (Tab. 14.7).
Sehr anschaulich wird die Schutzwirkung von IFNγ (aktiviert über spezifische
Rezeptorbindung Makrophagen und die Bildung antibakterieller Moleküle), wenn man
die Folgen bedenkt, die eine ausbleibende IFNγ-Synthese oder -Rezeptor-Bindung
haben kann. Mäuse, deren IFNγ-Gen ausgeschaltet („knocked-out“) wurde, sind stark
anfällig für intrazelluläre Infektionserreger. Kürzlich gelang es, Genmutationen des
IFNγ-Rezeptors bei Menschen zu identifizieren, die dadurch besonders anfällig für
Mykobakterien- oder disseminierte Infektionen nach BCG-Impfung werden (Abb.
14.10).
Von den anfälligen Kindern (voll grüne Symbole) starben zwei an einer atypischen
Mykobakterieninfektion (durchgestrichene Symbole). Die halben grünen Symbole
geben den Trägerstatus der übrigen Familienmitglieder wieder. Sämtliche erkrankten
Kinder waren homozygot für eine Punktmutation des IFNγ-Rezeptor-Gens
(Genlokus a auf Chromosom 6q22–q23). Infolge des eingefügten Stoppkodons
wurde ein nichtfunktionelles, defektes Protein gebildet [Newport et al., N Engl J
Med 335 (1996) 1941–1949).
306
Weist ein positiver Hauttest (Überempfindlichkeit des
verzögerten Typs, DTH) auf Immunität hin?
Bei Menschen wird meist ein Hauttest (auf Überempfindlichkeit vom verzögerten Typ
bzw. delayed-type hypersensitivity, DTH) durchgeführt, um ihre T-Zell-Immunität zu
ermitteln; 2–3 Tage nach intradermaler Antigeninjektion kann eine Schwellung
(Induration) an der Einstichstelle gemessen werden. Solche Tests dienen als
Screening-Untersuchung auf eine Anergie der T-Zellen (z.B. mit Candidin, da die
meisten Menschen schon mit Candida in Kontakt gekommen sind).
307
Abb. 14.11 Beziehung zwischen IFNγ-Produktion
und Überempfindlichkeitsreaktion vom verzögerten
Typ.
Die Abtötung der Erreger erfolgt aber relativ unspezifisch. Anscheinend sind daran
„Lecks“ in Zielzellen beteiligt, die beim Einfügen von Perforin entstehen. Perforin ist
ein 66-kD-Molekül, das eine strukturelle und funktionelle Ähnlichkeit mit dem
terminalen Komplementfaktor C9 aufweist, einem 80-kD-Protein (Abb. 14.12).
Andere Stoffe, darunter Granzyme und Zytokine wie TNFα, könnten sich ebenfalls
direkt oder indirekt auswirken. Der Tod von Zielzellen könnte durch Induktion einer
Diese Mechanismen scheinen vor allem gegen virusinfizierte Zellen zu greifen, doch
in einigen Fällen könnten auch mit intrazellulären Parasiten wie Mykobakterien (z.B.
308
M. leprae in Schwann-Zellen) oder sogar Protozoen (z.B. Theileria parva in
Lymphozyten) infizierte Zellen anfällig sein. Zytotoxische T-Zellen sind meist CD8-
positiv und erkennen MHC-Klasse-I-Restriktionspeptid-Epitope, doch es gibt auch
zytotoxische CD4-positive und γδ-T-Zellen.
Überraschend war kürzlich die Entdeckung, dass CD8-positive T-Zellen auch gegen
bakterielle Erreger aktiviert werden, wenn sie bei Infektionen wie der Tuberkulose
in Phagosomen zurückbleiben, statt ins Zytoplasma überzugehen. Das könnte durch
einen als „cross-priming“ bezeichneten Vorgang zustande kommen, bei dem
dendritische Zellen das aufgenommene bakterielle Antigen nicht nur zu MHC-Klasse-
II-, sondern auch zu MHC-Klasse-I-Molekülen verarbeiten und präsentieren.
Intrazelluläre Erreger müssen bei der Lyse infizierter Zellen nicht unbedingt abgetötet
werden, doch sobald sie ihr Versteck verlassen, droht ihnen Phagozytose mit
anschließender Zerstörung durch noch stärker aktivierte Makrophagen (Abb. 14.13).
Abb. 14.12 Lyse durch zytotoxische Zellen und
Komplement im Vergleich.
309
Abb. 14.13 Bei der Immunität gegen intrazelluläre
Erreger spielen T-Zellen verschiedene Rollen:
Dass nicht alle CD8-positiven T-Zellen zytotoxisch wirken können, ist eine weitere
interessante Entdeckung neueren Datums. Beim Menschen exprimieren mehr CD8-
positive T-Zellen die Protease Granzym A (in Granula) als das präformierte
Effektormolekül Perforin. Bei einer HIV-Infektion bilden zwei Drittel der CD8-
positiven T-Zellen Granzyme und nur ein Drittel Perforin. Das könnte erklären,
weshalb HIV-infizierte Zellen einer Zerstörung durch antigenspezifische CD8-positive
T-Zellen entgehen.
Eine Übersicht über zytotoxische Moleküle von Zellen des angeborenen und
erworbenen Immunsystems zeigt Tab. 14.8.
310
14.9 Erholung von einer Infektion
Nach gängiger Vorstellung sind Patienten mit einer Infektion für eine befristete Dauer von
Tagen bis Monaten krank und erholen sich dann wieder. Manchmal sind sie danach
immun gegen diese Erkrankung. Unter diesen Umständen waren mit ziemlicher Sicherheit
adaptive Immunmechanismen (Lymphozyten) am Werk, denn:
1 Das Auftreten von Symptomen impliziert, dass die Parasiten von rasch wirksamen
natürlichen Abwehrmechanismen nicht beseitigt werden konnten.
2 Eine Dauer von Tagen bis Wochen benötigen die adaptiven Immunmechanismen bis
zur Entwicklung ihrer vollen Wirkstärke.
In Frühstadien einer Infektion kann sich die erworbene Immunität jedoch noch etwas
holprig und ineffektiv ausnehmen. Lymphozyten sind darauf programmiert,
Antigenepitope an der Form zu erkennen; daher können sie weder zwischen virulenten
und harmlosen Parasiten unterscheiden noch „wissen“, welche Immunantwort am
effektivsten sein wird. Für die Genesung von einer individuellen Infektion dürften die
meisten Reaktionen unerheblich sein, und der Nachweis von Antikörpern, Zytokinen oder
zytotoxischen Zellen beweist noch nicht den Nutzen. Oft führt ein Mechanismus zur
Erholung (bei Masern z.B. zytotoxische Zellen und Interferon), während ein anderer
gegen eine Reinfektion resistent macht (bei Masern schützen Antikörper vor dem erneuten
Ausbruch).
Welche der zahlreichen beobachtbaren Reaktionen auf eine Infektion (namentlich mit
Protozoen oder Würmern) als nützlich, schädlich oder neutral anzusehen ist, ist noch
umstritten. Die Unterscheidung lässt sich wohl erst nach wiederholten Untersuchungen
anhand von Patientenbeobachtungen und Korrelationen treffen. Weiterhelfen könnten
auch Studien zu aufgetretenen Mangelsyndromen und Tierexperimente, sofern gute
Modelle verfügbar sind.
Gründe für eine ausbleibende Erholung von einer Infektion zu benennen kann schwierig
sein. Wenn es sich um eine Infektion handelt, von der sich die meisten Menschen erholen
(z.B. Masern) oder an der sie gar nicht erkranken (z.B. Pneumocystis), sollte eine
Immunschwäche (Immundefizienz) in Betracht gezogen werden (s. Kap. 30). Schnell
tödlich gehen für normale Menschen oft Infektionen aus, denen ihr Immunsystem vorher
noch nicht ausgesetzt war (wie das Lassafieber), da sie normalerweise nur bei Tieren
überdauern und sich nur zufällig auf Menschen übertragen (s. Zoonosen, Kap. 28). Wenn
eine Infektion normal verläuft und erst verzögert abklingt, ohne dass die Erreger beseitigt
oder ihren Wirt töten würden, sind sie als erfolgreich anzusehen. Dieser Erfolg beruht auf
einer ihrer Überlebensstrategien, die in Kap. 16 thematisiert werden.
311
Tab. 14.8 Wichtige zytotoxische Moleküle gegen Infektionserreger.
312
Zusammenfassung
■ Vor Infektionserregern, die äußere Barrieren wie Haut oder Schleimhäute
überwinden können, schützt eine Reihe von Abwehrmechanismen (angeborene
Immunität).
■ Diese Abwehr tritt früher und schneller auf den Plan, ist aber auch
unspezifischer als die erworbene Immunität, deren Abwehr sich auf Lymphozyten
stützt.
■ Wichtige frühe Abwehrmechanismen sind Akute-Phase-Reaktionen,
Komplementsystem, Interferone, Phagozyten und natürliche Killerzellen. Zusammen
bilden sie die erste Linie der Abwehr, die in den ersten Stunden oder Tagen der
Infektion wirksam wird.
■ Für die Erholung von einer Infektion ist in vielen Fällen die durch Antikörper
und T-Zellen vermittelte erworbene Immunität verantwortlich. Allerdings dauert es
Tage bis Wochen, bis sich die Wirkung voll entfaltet.
■ Bei geläufigen Virusinfektionen kommt es manchmal durch die zellvermittelte
Immunität zur Genesung, während Antikörper Schutz vor einer erneuten Erkrankung
verleihen.
■ Die ausbleibende Erholung kann durch eine geschwächte Immunlage des Wirts
oder eine erfolgreiche Vermeidungsstrategie des Erregers bedingt sein.
313
FRAGEN
1 *Makrophagen können Parasiten zerstören durch
a) reaktive Sauerstoff-Intermediärprodukte
b) major basic protein
c) zytotoxische Lipidperoxide
d) Antikörper
e) Stickoxid?
2 *Interferone sind gegen Viren wirksam durch
a) Schädigung der Wirtszelle
b) Hemmung der Entstehung neuer Viruspartikel (assembly)
c) Hemmung der viralen RNA-Translation
d) Verhütung der Virusinvasion?
3 *Antikörper können den Schutz vor Infektionen (Immunität) verstärken durch
a) Opsonisierung (als Vorbereitung auf die Phagozytoseder Parasiten)
b) direkte Lyse von Parasiten
c) direkte Induktion der Phagozytenaktivierung
d) Hemmung der Invasion in Wirtszellen
e) Induktion der antikörperabhängigen Zytotoxizität?
4 *Voraussetzung für die Immunitat gegen intrazellulare Erreger wie M.
tuberculosis sind
a) antigenspezifische T-Zellen
b) Zytokinproduktion (IFNγ)
c) Mediatorsubstanzen der Eosinophilen
d) IgE-Antikörper?
* Fragen mit mehr als einer richtigen Antwort.
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Alt, F., Marrack, P. (eds.): Curr. Opin. Immunol. [erscheint zweimonatlich, Ausgabe 4
jedes Bandes befasst sich mit „Immunität gegen Infektionen“].
Roitt, I.M., Brostoff, J., Male, D.: Immunology, 6th ed. Elsevier Science, London 2002.
314
15 Ausbreitung und Replikation
15.1 Kennzeichen oberflächlicher und systemischer Infektionen 171
Auf diese Weise können Erreger innerhalb weniger Tage größere Körperflächen infizieren
und sich nach außen weiterverbreiten – für eine primäre Immunreaktion bleibt nicht genug
Zeit. Deshalb sind unspezifische (nichtadaptive) Mittel wie Interferone und natürliche
Killerzellen wichtig für die Infektionskontrolle.
Andere Mikroorganismen breiten sich dagegen über die Lymphe oder das Blut
systemisch, d.h. im ganzen Körper, aus. Oft kommt es zu einer komplexen oder
schrittweisen Invasion unterschiedlicher Gewebe, ehe sie ihr eigentliches Ziel erreichen,
sich vermehren und nach außen weiterverbreiten (z.B. Masern oder Typhus). Abb. 15.1
zeigt die Ausbreitung bei oberflächlicher und systemischer Infektion im Vergleich.
315
Ob Infektionen oberflächlich oder systemisch
verlaufen, hängt von mehreren Faktoren ab
Was verhindert ein tieferes Eindringen oberflächlicher Infektionen? Warum setzen sich
die Erreger systemischer Infektionen in voller Breitseite den Abwehrkräften im
Körperinneren aus und verlassen den relativ sicheren „Hafen“ der Körperoberfläche?
Wichtige Fragen. Was bringt z.B. Meningokokken dazu, statt harmlos weiter die
Nasenschleimhaut zu besiedeln, in tiefere Gewebe und ins Blut einzudringen, um die
Hirnhäute zu erreichen und eine Meningitis zu verursachen (s. Kap. 24)?
316
Abb. 15.1 Oberflächliche und systemische
Infektionen.
317
Bei systemischer Infektion kommt es stufenweise zur
Invasion unterschiedlicher Körpergewebe
In Abb. 15.3 sind die Stufen dieser Invasion für Infektionen wie Masern (Abb. 15.4)
oder Typhus (Abb. 15.5) dargestellt. Auch wenn es für die Ausbreitung und
Übertragung einer Infektion (Masern) wichtig sein kann, wo sich die Erreger schließlich
vervielfältigen, ist dieser Aspekt völlig nebensächlich, wenn nach der Vermehrung in
Hirnhäuten oder Rückenmark keine Aussaat der Erreger nach außen erfolgt (z.B. bei
Meningokokkenmeningitis oder paralytischer Poliomyelitis).
318
Wesentlich für oberflächliche Infektionen ist eine
schnelle Replikation der Erreger
Von zentraler Bedeutung für Infektionen ist die Replikationsrate der Erreger, bei einer
Verdopplungszeit, die zwischen 20 Minuten und mehreren Tagen variieren kann (Tab.
15.1). Wegen des flüchtigen Charakters oberflächlicher Infektionen müssen sich diese
Erreger rasch vermehren, während andere, die sich nur alle paar Tage teilen (z.B.
Mycobacterium tuberculosis), höchstwahrscheinlich zu Krankheiten mit längerer
Inkubationszeit und lang-samerem Verlauf führen. In vitro vermehren sich
Mikroorganismen fast immer schneller als in vivo – wie bei intakter Wirtsabwehr zu
erwarten.
Wenn die Abwehr des Wirts richtig funktioniert, werden Mikroorganismen von
Phagozyten aufgenommen und zerstört oder sie finden nur ein sehr begrenztes
Nährstoffangebot vor. Deshalb steigt ihre Zahl (netto) viel langsamer als in Kulturen im
Labor, wo sie sich nicht nur unbehelligt von Abwehrattacken entwickeln können,
sondern wo auch alle Anstrengungen unternommen werden, sie optimal mit
Nährstoffen, empfänglichen Zellen usw. zu versorgen.
319
Abb. 15.3 Ausbreitung einer Infektion im Körper.
Neben Blutgefäßen, Leber und Milz kommen als mögliche Quellen einer
sekundären Parasitämie auch Knochenmark und Muskeln in Frage.
320
1
Die Erreger von Denguefieber, Malaria und Typhus vermehren sich in
Blutzellen oder im Gefäßendothel.
2
Das Poliovirus geht aus dem Blut ins Gehirn über (ohne sich von dort
weiterzuverbreiten), während das Tollwutvirus nach Invasion des Gehirns
entlang von peripheren Nerven weiterwandert.
321
Abb. 15.4 Pathogenese der Masern.
322
Abb. 15.5 Pathogenese der Typhusinfektion.
In jeder Phase kann die Entwicklung einer Infektion angehalten werden. Doch sobald
sich Erreger lokal oder in Lymphknoten vervielfältigt haben und der Phagozytose
323
entgangen sind, erreichen sie schließlich den Blutstrom. Ein roter Streifen
(entzündetes Lymphgefäß) und druckempfindliche, geschwollene lokale Lymphknoten
sind z.B. nach kleinen Hautverletzungen die klassischen Zeichen einer Streptokokken-
Invasion. Die meisten Bakterien verursachen solche Entzündungen, wenn sie auf
diesem Weg in den Körper eindringen. In Frühstadien führt das zu einem verstärkten
Lymphfluss, doch wenn sich die Entzündung ausbreitet und das Lymphknotengewebe
selbst geschädigt ist, kann der Lymphfluss schwächer werden bzw. versiegen.
Abb. 15.6 Invasion und Verbreitung auf dem
Lymph- und Blutweg.
Viren oder andere intrazelluläre Organismen dringen dagegen oft unbemerkt (stumm)
in Blut und Lymphe ein und verursachen einen asymptomatischen Verlauf in der
Inkubationszeit; das wird noch begünstigt, wenn sie Monozyten und Lymphozyten
ohne vorhergehende Schädigung infizieren.
324
finden sie nicht nur Schutz vor der Wirtsabwehr, sondern werden auch im ganzen
Körper verbreitet. Viren wie das Epstein-Barr- (EBV) und das Rötelnvirus sowie
intrazelluläre Bakterien (Listerien, Brucellen), die z.B. Lymphozyten oder Monozyten
befallen, lassen sich, wenn sie nicht beschädigt oder zerstört werden, von ihren
Trägerzellen schützen und transportieren. Bei Malaria sind Erythrozyten betroffen,
und manche Viren können Thrombozyten infizieren.
Mit ihrem Eintritt ins Blut sind Mikroorganismen den Makrophagen des
retikuloendothelialen Systems ausgesetzt (s. Kap. 9). Oft werden sie in den Sinus
phagozytiert und zerstört, weil das Blut dort langsamer fließt. Doch bestimmte Erreger
(wie Salmonella typhi, Leishmania donovani, Gelbfiebervirus) überleben und
vermehren sich in diesen Zellen. Danach können sie
325
Tab. 15.2 Im Blut zirkulierende Mikroorganismen, die über kleine
Blutgefäße in bestimmte Organe eindringen.
*
in der Leber Sinusoide, sonst Kapillargefäße bzw. Venulen
■ einer Zufallsverteilung der Erreger auf Organe überall im Körper, die sich
aber nicht alle zur Besiedlung und Replikation eignen,
Nachdem sie sich niedergelassen haben und in ein Organ eingedrungen sind,
vermehren sich die Erreger und breiten sich von der Außenfläche, sofern das jeweilige
Organ eine besitzt, weiter in die Umgebung aus (Abb. 15.3). Manche Erreger kehren
aber auch direkt oder über die Lymphe ins Blut zurück.
326
15.2.3 Ausbreitung über periphere Nerven
Das Übergreifen einer Infektion auf das ZNS ist auch über den Riechnerv (N.
olfactorius), dessen Axone in der Riechschleimhaut enden, möglich. Diesen eher
ungewöhnlichen Weg wählen z.B. bestimmte frei lebende Amöben (Naegleria spp. im
Bodenschlamm von Frischwasserbecken), die eine Meningitis bei Schwimmern
hervorrufen können (s. Kap. 24). Viren und Bakterien aus dem Nasen-Rachen-Raum
(Meningokokken, Polioviren) breiten sich im Allgemeinen auf dem Blutweg ins ZNS
aus.
327
Abb. 15.7 Zugangswege zur mikrobiellen Invasion
des ZNS.
Die Pathogenitätsfaktoren werden (fast) alle genetisch kontrolliert (seitens des Wirts
oder Erregers). Schon seit langem war bekannt, dass die Infektionsanfälligkeit eines
Wirts oder die Pathogenität von Mikroorganismen genetischen Einflüssen (durch
Mutationen) unterliegen. In den vergangenen 15 Jahren konnten mit
molekulargenetischen Methoden mehrere genetische Einflussfaktoren aufgedeckt
werden, und seitdem gelingt es zunehmend häufiger, daran beteiligte spezifische
Genprodukte zu identifizieren. Verbessert hat sich auch das Verständnis für die
Wirkungsweise der Genprodukte, obwohl es schwieriger war, hier Fortschritte zu
erzielen.
328
Ob Mikroorganismen eine Infektion oder Erkrankung
verursachen können, hängt auch von der
genetischen Ausstattung des Wirts ab
Humanpathogene lassen sich relativ grob danach unterscheiden, ob sie ausschließlich
Menschen bzw. nahe verwandte Primaten infizieren (z.B. Masern, Trachom, Typhus,
Hepatitis B, HPV) oder ein breites Wirtsspektrum haben (Tollwut, Milzbrand). Auch
die Infektionsanfälligkeit innerhalb einer Wirtsspezies wird genetisch beeinflusst.
Die besten Beispiele findet man bei Tieren, doch es gibt auch ein paar Erkrankungen
beim Menschen (s. unten).
Das neue Hämoglobinmolekül (HbS) wird bei Reduktion unlöslich und in der
Erythrozytenhülle ausgefällt; deshalb verformt sich die Zelle sichelartig. Da
Homozygote zwei dieser Gene besitzen und ihre fragilen roten Blutzellen schon unter
normalen Bedingungen sichelförmig werden, tritt bei ihnen eine Sichelzellanämie in
Erscheinung. Nur ein Sichelzellgen ist weniger schädlich und macht Heterozygote
resistent gegen schwere Malariaformen (durch Plasmodium falciparum). Das führt zu
einer Selektion in Malaria-Endemiegebieten. Wenn das Gen nicht einen gewissen
Vorteil bieten würde, wäre es nach 10–20 Generationen aus den Bevölkerungen
verschwunden.
329
Infektionsanfälligkeit macht sich oft auf Ebene der
Immunreaktionen bemerkbar
Bei zu schwachen Immunreaktionen auf bestimmte Infektionen erhöht sich die
Anfälligkeit für diese Krankheiten, während überschießende Immunreaktionen zu
Immunkrankheiten führen können (s. Kap. 17). Von besonderer Bedeutung sind Gene
auf dem Chromosom 6, die MHC-Klasse-II-Antigene (HLA-DP, -DQ, -DR) kodieren
und spezifische Immunantworten kontrollieren (s. Kap. 10 und 11). Stark von MHC-
Klasse-II-Antigenen beeinflusst ist z.B. die Anfälligkeit für Lepra (s. Kap. 26): Das
HLA-DR3-Antigen macht Menschen stärker anfällig für die Form der Lepra
tuberculoides, das HLA-DQ1-Antigen für Lepra lepromatosa.
Dass die Anfälligkeit für Tuberkulose genetisch bestimmt ist, belegten Studien an
eineiigen Zwillingen (s. Kasten). Die heutige europäische Bevölkerung ist ziemlich
resistent, nachdem große Lungentuberkulose-Epidemien im 17., 18. und 19.
Jahrhundert zur Verringerung genetisch empfindlicherer Individuen führten. 1850
betrug die Mortalität in Boston, New York, London, Paris und Berlin noch über
500/100000 Einwohner, doch mit Verbesserung der Lebensbedingungen fielen die
Raten auf 180/100000 im Jahre 1900 und sind seither noch weiter zurückgegangen.
Geschichte der Mikrobiologie
Infektionsanfälligkeit – eine genetische Veranlagung
1926 wurde 249 Säuglingen in Lübeck versehentlich eine Impfung mit Lebend-
(virulenten Tuberkelbakterien) statt abgeschwächtem (attenuiertem) Impfstoff
verabreicht. 76 von ihnen starben. Die Überlebenden hatten jedoch nur kleinere
Läsionen entwickelt und waren 12 Jahre später gesund und munter. Da allen
Säuglingen dieselbe Dosis injiziert worden war, scheinen die unterschiedlichen
Impfergebnisse überwiegend genetisch bedingt zu sein.
Bei einer Impfung gegen Gelbfieber im Jahr 1942 wurden über 45000 Angehörigen
der US-Streitkräfte versehentlich mit HBV (Hepatitis-B-Virus) infiziert, weil das
Humanserum durch den Stabilisator kontaminiert war. In 914 Fällen entwickelten
sich klinische Zeichen einer Hepatitis: 580 zeigten eine milde Verlaufsform, 301
eine mäßig stark ausgeprägte und 33 eine schwere Form der Erkrankung. Trotz
gleicher Impfstoffchargen schwankte die Inkubationszeit zwischen 10 und 20
Wochen. Da serologische Tests damals nicht verfügbar waren, blieb die Zahl
subklinischer Infektionen unbekannt. In diesem Fall dürften physiologische und
genetische Einflüsse bei der Anfälligkeit mitgespielt haben.
330
In einer Studie zeigte sich, dass eineiige Zwillinge in 87% der Fälle beide an
Tuberkulose erkrankten, zweieiige Zwillinge jedoch nur in 26%. Darüber hinaus
stimmte bei eineiigen Zwillingen auch das (klinische) Krankheitsbild überein.
Stattdessen zeichnet sich vor allem in Afrika und auf den Pazifikinseln ein starker
Anstieg der Tuberkuloseanfälligkeit in zuvor nicht exponierten Bevölkerungsgruppen
ab. 1886 starben 9000/100000 Indianer im Qu-Appelle-Valley-Reservat in der
kanadischen Provinz Saskatchewanan einer systemischen Tuberkulose, die sich im
ganzen Körper ausbreitete und Drüsen, Knochen, Gelenke und Hirnhäute infizierte.
331
Tab. 15.4 Molekulare Grundlagen der Erregerpathogenität
(Beispiele)
*
Shigellen gelangen über M-Zellen der Peyer-Plaques in die Darmwand und
dringen von basolateral in Kolonepithelzellen ein. Wie bei anderen bakteriellen
Infektionen hängt es von der koordinierten Expression mehrerer Gene ab, wie
invasiv sie sind.
332
15.4 Sonstige Einflüsse
Einfluss auf die Infektionsanfälligkeit haben aber noch andere Faktoren (Tab. 15.5). In
den meisten Fällen weiß man allerdings nicht, ob unterschiedliches Ausbreitungs- und
Replikationsverhalten der Mikroorganismen oder unterschiedliche Immun- und
Entzündungsreaktionen des Wirts mit hineinspielen (Immunschwäche und andere
Mangelsyndrome s. Kap. 33).
Hinzu kommt, dass Gehirn (bzw. ZNS), endokrines und Immunsystem oft dieselben
Botenstoffe benutzen (second messenger wie Zytokine, Peptidhormone,
Neurotransmitter): Nervenzellen besitzen z.B. Interferon- und Interleukin-Rezeptoren
(für IL-1, IL-2, IL-3, IL-6), T-Lymphozyten können Prolaktin und Wachstumshormone
bilden. Nachdem sich diese immun-neuroendokrinen Nebenerscheinungen inzwischen
auf molekularer Ebene bestätigt haben, bieten sie eine anerkannte Grundlage für den
Einfluss des Gehirns auf Immunität und Infektionen.
333
Tab. 15.5 Einflussfaktoren auf die Infektionsanfälligkeit.
CMI = zellvermittelte Immunität, EBV = Epstein-Barr-Virus, RSV =
respiratory syncytial virus
Zusammenfassung
■ Oberflächlich verlaufende Infektionen (wie Erkältung, Shigellendysenterie)
haben eine kürzere Inkubationszeit als systemische Infektionen (z.B. Masern,
Typhus) und die (erworbenen) Immun-/Abwehrreaktionen des Wirts fallen weniger
deutlich aus.
■ Erreger mit langsamer Wachstumsrate (z.B. M. tuberculosis) rufen meist auch
langsam fortschreitende Krankheiten hervor.
■ Erreger breiten sich hauptsächlich auf dem Lymph- und Blutweg im Körper
aus. Ihr Schicksal hängt davon ab, ob sie frei oder in Blutzellen im Blut zirkulieren.
■ Die Infektion konzentriert sich auf Leber und Milz, wenn retikuloendotheliale
Zellen in diesen Organen die Erreger in sich aufnehmen. Spezifische Lokalisationen
im Gefäßbett anderer Organe (z.B. Mumpsvirus in Speicheldrüsen, Meningokokken
in den Hirnhäuten) werden dagegen noch nicht verstanden.
■ Dass sich Viren entlang von Nerven/Axonen in beiden Richtungen ausbreiten
können, ist für die Pathogenese wiederkehrender Virusinfektionen (Herpes simplex,
Zoster) und z.B. Tollwut wichtig.
■ Pathogenität und Virulenz sind stark von genetischen Faktoren des Wirts (z.B.
Tuberkulose eineiiger Zwillinge) sowie wie des Erregers (z.B. Sichelzellmerkmal
bei Malaria) beeinflusst.
334
FRAGEN
1 Auf welchen Wegen gelangen Mikroorganismen
(a) in die Speicheldrüsen,
(b) in die Leber?
2 Lohnt sich aus Sicht der Erreger eine ZNS-Invasion in jedem Fall?
3 Nennen Sie Beispiele für Mikroorganismen, die sich
(a) frei im Plasma bewegen und
(b) mit Blutzellen zirkulieren. Welche Auswirkungen hat das für sie?
4 Warum können Tuberkulose- und Leprabazillen kein flüchtiges
Infektionsmuster hervorrufen?
5 Nennen Sie ein Beispiel für eine einzelne menschliche Genvariante, durch die
sich die Infektionsanfälligkeit entscheidend verändert.
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Alonzo de Velasco, E., Verheul, A.F., Verhoef, J., Snippe, H.: Streptococcus
pneumoniae: virulence factors, pathogenesis and vaccines. Microbiol Rev 59 (1995)
591–603.
Griffin, J.W., Watson, D.F.: Axonal transport in neurologic disease. Ann Neurol 23
(1988) 3–13.
Mims, C.A., Nash, A. Stephen, J.: Mims’ Pathogenesis of Infectious Disease, 5th ed.
Academic Press, London 2001.
Savino, W., Dardenne, M.: Immune-neuroendocrine interactions. Immunol Today 16
(1995) 318–322.
Townsend, G.C., Scheld, W.M.: In vitro models of the blood-brain barrier to study
meningitis. Trends Microbiol 3 (1995) 441–445.
335
16 Überlebensstrategien von Parasiten und
persistierende Infektionen
16.1 Vermeidungsstrategien 181
Bisher haben wir uns auf die – angeborenen und erworbenen – Abwehrmöglichkeiten des
Wirts konzentriert, mit denen er Parasiten fern halten oder sie vernichten kann. Doch so
stark die Abwehr auch sein mag, ist sie offenbar nicht hundertprozentig wirksam, da sich
Infektionen immer wieder klinisch manifestieren. Tatsächlich haben die hier
beschriebenen Erreger verbreiteter Infektionen meist eine passende Reaktion auf die
Wirtsabwehr gefunden, weil ihr Überleben als Parasiten des Menschen davon abhing.
Gerade weil sie Strategien entwickelt haben, um der Wirtsabwehr zu entgehen oder sie
aktiv zu behindern, gelingt es ihnen, Menschen zu infizieren und medizinische Probleme
zu verursachen.
336
16.1 Vermeidungsstrategien
337
Abb. 16.1 Um ihrer Phagozytose zu entgehen,
greifen Erreger auf unterschiedliche Mittel zurück.
338
werden. Das ruft ein weiteres Bündel zytotoxischer und sonstiger
Immunmechanismen auf den Plan.
In beiden Fällen verhalten sich die Lymphozyten wie hoch spezialisierte, sehr
wachsame Zellen des Immunsystems – im Unterschied zu den Makrophagen mit eher
alltäglichen Aktivitäten (Routinearbeiten).
339
Abb. 16.2 Eine Komplementschädigung von Erregern
lässt sich auf drei Arten verhindern:
340
■ Nur zeitweilig (intermittierend) ausgeschieden werden Herpes-simplex-Virus
(HSV), Polyomaviren, Typhus- und Tuberkelbakterien oder Malariaparasiten.
■ Viren wie Röteln-, humanes Papillomavirus, HBV oder EBV können Zellen
über längere Zeit infizieren, ohne sich nachteilig auf deren Lebensfähigkeit
auszuwirken.
Auch Viruslatenz ist eine Art von Persistenz. Sie beruht auf der engen molekularen
Beziehung zwischen Virus und infizierter Zelle. Ohne Antigen oder infektiöses Material
zu produzieren, hält sich das Virusgenom fortwährend in der Wirtszelle auf; das ändert
sich nur sehr selten bei Reaktivierung des Virus (mit Ausbruch/Manifestierung der
vorher latenten Infektion).
■ Antigentarnung
■ Antigenvariation
■ Immunsuppression
341
Antigentarnung
Antigene können sich nur vor den Komponenten des Immunsystems verbergen, indem
sie sich verstecken, sich nur in bestimmten Organen oder Körperkompartimenten
aufhalten oder sich tarnen. Geeignete Verstecke finden sie z.B. in Wirtszellen (obwohl
dort MHC-Moleküle als Informanten dienen und Erregerpeptide zur Zelloberfläche
transportieren, damit sie erkannt werden) oder an besonderen Stellen, zu denen
normalerweise keine Lymphozyten kommen.
Möglich sind auch andere Strategien. Manche Viren (wie HIV in Makrophagen,
Coronaviren) stellen ihre Proteine heimlich aus: nicht an der Zelloberfläche, sondern
an den Wänden intrazellulärer Vakuolen, in die sie hineinknospen (budding).
Adenoviren gehen aktiv gegen die Präsentation ihrer Antigene vor: E19, eines ihrer
Proteine, verbindet sich mit MHC-Klasse-I-Molekülen, damit sie nicht an die
Zelloberfläche gelangen, und verhindert so, dass infizierte Zellen von zytotoxischen
T-Zellen erkannt werden können.
Erreger können sich auch selbst solche abgeschiedenen Plätze schaffen. Ein gutes
Beispiel sind Hydatidenzysten, die sich um anwachsende Kolonien des
342
Hundebandwurms (Echinococcus granulosus) in Leber, Lunge oder Gehirn bilden
können (Abb. 16.5). In ihnen überleben die Würmer selbst dann, wenn der
Antikörpertiter im Blut ihres Wirts ausreichend ist.
Abb. 16.3 Virusinfektion nach außen gewandter
Zelloberflächen.
Der exklusivste Platz überhaupt dürfte die Wirts-DNA sein – diesen besetzen
Retroviren. Unverzichtbarer Bestandteil im Replikationszyklus von Retroviren ist
die Transkription ihrer RNA in DNA (durch reverse Transkriptase), die dann in die
DNA der Wirtszellen integriert wird (s. Kap. 21). Solange keine Zellschädigung
eintritt und keine Expression von Virusprodukten an der Zelloberfläche stattfindet,
wo sie von der Immunabwehr erkannt würden, genießen Retroviren den Schutz
343
völliger Anonymität. Deshalb ist die vollständige Heilung bzw. Virusvernichtung
bei HIV-Patienten besonders schwierig.
Noch geschützter etabliert sich eine Infektion in Eizellen oder Spermien. Auf diese
Weise enthalten alle embryonalen Zellen das Virusgenom, und es überträgt sich von
einer auf die nächste Generation, als wäre es das eigene Erbgut. Glücklicherweise
geschieht das nicht mit HIV oder humanen T-Zell-Leukämieviren (HTLV-1 und -2).
Allerdings fallen endogene Retroviren darunter, deren DNA-Sequenzen häufig im
menschlichen Genom vorkommen, aber nicht als Antigene exprimiert werden. Sie
sind Teil unseres Erbmaterials geworden. Sicher stellt das den äußersten, letztlich
auch logischen Entwicklungsschritt des Parasitismus im Grenzbereich zwischen
Infektion und Vererbung dar.
344
Abb. 16.4 Replikation des humanen
Papillomavirus in der Epidermis – einer
abgeschiedenen Stelle?
345
Abb. 16.5 Hydatidenzysten.
346
Beispiele sind in Tab. 16.1 aufgeführt. Ein besonders gutes Beispiel sind die
komplett mit einer Außenschicht aus Blutgruppen-Glykolipiden (der Blutgruppe
ihres Wirts), MHC-Antigenen und Immunglobulinen aus dem Plasma umhüllten
Saugwürmer, die Schistosomen. Dieser Überzug macht sie quasi unsichtbar, auch
für Lymphozyten. Aus unbekannten Gründen beschränkt sich diese Strategie aber im
Wesentlichen auf Würmer.
Abb. 16.6 Molekulares Mimikry unterdrückt
wahrscheinlich nicht die Immunantwort auf Erreger,
sondern macht Wirtszellen und -gewebe anfällig für
Immunschäden.
347
Tab. 16.1 Beispiele für Mimikry oder die Aufnahme von
Wirtsantigenen durch Parasiten.
*
bei manchen Spezies auch Kreuzreaktion mit Erythrozyten; Grundlage für den
Nachweis heterophiler Antikörper (Paul-Bunnell-Reaktion)
**
möglicherweise Grundlage der Spondylitis ankylosans
***
Grundlage des Syphilis-Antikörpertests (Wassermann-Reaktion)
****
Grundlage des Kälte(hämagglutinin)-Antikörpertests
HLA = human leukocyte antigen, Ig = Immunglobulin
16.2.2 Toleranzentwicklung
348
■ Störung antikörper- und zellvermittelter (bzw. TH1- und TH2-
)Immunreaktionen
Frühembryonale Infektion
Bis sich das Immunsystem entwickelt hat, werden alle vorhandenen Antigene als
körpereigen betrachtet. Daher könnten Infektionen in dieser Zeit zur Immuntoleranz
führen. Im Fall einer intrauterinen Infektion mit Zytomegalie (CMV), Röteln oder
Syphilis lassen sich unter Umständen fetale IgM-Antikörper im Nabelschnurblut
nachweisen. Doch die zellvermittelten Immunreaktionen sind stärker beeinträchtigt.
Da sich bei Kindern mit kongenitaler CMV- oder Rötelninfektion keine
lymphoproliferativen Reaktionen auf CMV- oder Rötelnvirus-Antigene entwickeln,
dauert es Jahre, bis das Virus vollständig aus dem Körper entfernt ist (s. Kap. 23).
Abb. 16.7 Erreger wie Staphylokokken,
Streptokokken,Herpes-simplex- (HSV), Varicella-
Zoster- (VZV)undZytomegalievirus (CMV)ziehen
gewissen Nutzen aus Fc-Rezeptoren.
349
Wenn mikrobielle Antigene oder Antigen-Antikörper-Komplexe in größeren Mengen
im Körper kreisen, erzeugt das möglicherweise Immuntoleranz gegen die betreffenden
Antigene. Bei disseminierten Formen der Kokzidioidomykose und Kryptokokkose
sowie bei viszeraler und diffuser Hautleishmaniose, die alle mit großen
Antigenmengen im Blut einhergehen, kann es zur Anergie kommen, d.h.
herabgesetzter Ansprechbarkeit der zellvermittelten Immunreaktion auf eingedrungene
Erreger bei normaler Antikörperaktivität.
Ob sich das so abspielt, lässt sich zwar nicht beweisen, doch es ist durchaus denkbar,
dass z.B. die höhere Anfälligkeit der Afrikaner für Tuberkulose genetisch bedingt
sein könnte: durch eine schwache zellvermittelte Immunreaktion auf
Schlüsselantigene von M. tuberculosis. Europäer erweisen sich als resistenter, weil
über hunderte von Jahren die genetisch anfälligen Individuen weniger wurden. Im 19.
Jahrhundert starben schätzungsweise 30% der Erwachsenen in Europa an
Tuberkulose.
16.3 Antigenvariation
Mikrobielle Antigene können noch auf andere Weise Verwirrung stiften – durch
wiederholte Veränderung ihrer äußeren Erscheinung. So verhält es sich z.B. mit
afrikanischen Trypanosomenstämmen (Erreger der Schlafkrankheit), aber auch mit einem
breiteren Spektrum von Viren, Bakterien und Protozoen. Im Verlauf einer Infektion kann
eine Antigenvariation sowohl
350
■ bei ein und demselben Individuum als auch
Ob sich die Antigenvariation als Ausweichstrategie in Bezug auf die Immunabwehr des
Wirts eignet, hängt davon ab, ob sie Antigene betrifft, deren Erkennung solche
Schutzreaktionen auslöst. Häufig verändern sich Antigene bei der Ausbreitung von
Erregern in Wirtsgruppen. Eine besonders wichtige Rolle spielt die Antigenvariation
offenbar bei langlebigen Wirten wie dem Menschen, da sich wiederholte Reinfektionen
in der Lebenszeit eines Menschen günstig auf das Überleben der Erreger auswirken.
Häufiger ist Antigenvariation auch bei Infektionen der Atemwege oder des Darmepithels
mit Inkubationszeiten von weniger als einer Woche anzutreffen; so bleibt den Erregern
genügend Zeit zur Infektion, Vermehrung und Ausscheidung, bevor eine signifikante
sekundäre Immunantwort zustande kommt. Wegen der längeren Inkubationszeit bei
systemischen Infektionen (z.B. Masern, Mumps, Typhus) können sich sekundäre
Immunreaktionen eher formieren und die Infektionen einer bestimmten Antigenvariante
unter ihre Kontrolle bringen. Demzufolge ist Antigenvariation kein entscheidendes
Kennzeichen systemischer Infektionen.
Auf molekularer Ebene findet die Antigenvariation hauptsächlich auf drei Arten statt,
durch:
■ Mutation
■ Rekombination
■ Genswitch (-umschaltung)
351
Bekannt für Mutationen: das Influenzavirus
Abb. 16.8 Erregerstrategie der Antigenvariation.
Antigene können sich entweder bei dem ursprünglich Infizierten verändern – und
damit erneutes Erregerwachstum ermöglichen (z.B. Trypanosomen) – oder während
der Infektionsausbreitung in einer Wirtspopulation – und damit zur Reinfektion
eines früher Infizierten führen (z.B. Influenzavirus).
Ein ähnlicher Antigendrift zeigt sich bei (humanen) Rhino- und Enteroviren, die sich
rasch entwickeln. Mit Antigendrift lässt sich vermutlich auch die Fülle antigener
Subtypen der Staphylo-, Strepto- und Pneumokokken erklären. Bei Polio-Epidemien
traten Mutationen in Raten von durchschnittlich zwei Basensubstitutionen pro Woche
auf, und einige bezogen sogar die Hauptantigenstellen des Virus mit ein. Einen
Antigendrift macht auch HIV (s. Kap. 21) durch, nur betrifft das jeweils den Infizierten.
Das könnte erklären, weshalb es für das Immunsystem so schwierig ist, diese Infektion
unter Kontrolle zu bekommen. Wenn sich Mutationen auf Epitope auswirken, die von
zytotoxischen T-Zellen (Tc) erkannt werden, entstehen Escape-Mutanten.
352
Gen-Switch bei afrikanischen Trypanosomen
Die dramatischste Form der Antigenvariation ist das zuerst für afrikanische
Trypanosomen (Trypanosoma gambiense und T. rhodesiense, s. Kap. 27)
nachgewiesene Umschalten (switching) zwischen Genen. Diese Mikroorganismen
tragen Gene für etwa tausend unterschiedliche Oberflächenmoleküle (sog.
variantenspezifische Glykoproteine), die fast ihre gesamte Oberfläche einnehmen und
immundominant sind. Zwischen diesen Genen können Trypanosomen einfach
umschalten, ähnlich wie B-Zellen zwischen konstanten Genen der Schwerketten von
Immunglobulinen.
16.4 Immunsuppression
Eine HIV-Infektion ist wohl eines der bekanntesten Beispiele hierfür, allerdings ist das
HIV keinesfalls der einzige Erreger, der das Immunsystem in der Weise schwächt, dass
es durch Zerstörung von CD4-T-Zellen zu einem fatalen Funktionsausfall der T-Zellen
kommt (Tab. 16.2). Wie sich das abspielt, ist noch nicht vollständig geklärt, doch häufig
scheint eine Invasion des Immunsystems im Sinne einer „Flucht nach vorn“ der Erreger
beteiligt zu sein.
353
Natürlich wäre es besser für die Erreger, wenn nur die Immunreaktionen auf ihre
eigenen statt auf alle möglichen anderen Antigene unterdrückt würden. Das geschieht
aber nur selten. Trotzdem haben sie genügend Zeit, sich zu vermehren, im Körper
auszubreiten und in die Umgebung ausgeschieden zu werden, solange eine generelle
Immunsuppression nur vorübergehend währt. Das ist genau das, was sich bei vielen
Virusinfektionen abspielt. Eine anhaltende allgemeine Immunschwäche wäre insofern
abträglich für Erreger, als die erhöhte Anfälligkeit für andere Infektionen ihre
Wirtsspezies unnötig schädigen würde.
■ B-Zellen (EBV)
Darüber hinaus setzen die Erreger oft immunsuppressive Substanzen frei. Von HIV
wird z.B. ein Polypeptid (gp41) gebildet, das wie ein „immunologisches Anästhetikum“
wirkt und die Funktion der T-Zellen vorübergehend ausschalten kann. Andere
Erregersubstanzen (z.B. von Pocken-, Herpesviren, T. cruzi) behindern die
Komplementaktivierung oder schränken die Wirkung immunologisch wichtiger
Zytokine ein (wie IL-2, Interferone oder Tumornekrosefaktor [TNF]).
354
Tab. 16.2 Immundepression (eingeschränkte Immunreaktion auf
Infektionen).
*
Das virale BCRF1-Gen kodiert auch ein IL-10-ähnliches Molekül, das eher die
Antikörper als die protektive zellvermittelte Immunreaktion verstärkt.
**
Bei einer Maserninfektion kann der Tuberkulin-Hauttest vorübergehend
negativ ausfallen. Masern hemmen auch die für die (protektive) TH-1-
Immunreaktion nötige IL-12-Produktion der Makrophagen.
AK = Antikörper, CMI = zellvermittelte Immunität, APC =
antigenpräsentierende Zellen
355
Bestimmte Bakterientoxine wirken immunmodulierend
In besonders dramatischer Form können sich Immunstörungen durch Staphylokokken
zeigen. Viele Staphylokokkenstämme setzen Exotoxine frei (Enterotoxin,
Epidermolyse- und Toxic-Shock-Syndrom-Toxin), die krank machen. Auf den ersten
Blick schienen diese Toxine den Staphylokokken keinen Vorteil zu bringen, doch
inzwischen gelten sie als stark wirksame Immunmodulatoren.
Als die stärksten der bisher bekannten T-Zell-Mitogene sind sie bereits in minimalen
(pikomolaren) Konzentrationen wirksam. In ihrer Funktion als „Superantigene“
verbinden sie sich mit MHC-Klasse-II-Molekülen auf antigenpräsentierenden Zellen
und bewirken eine polyklonale Aktivierung von T-Zellen (Abb. 16.9). Bei einem relativ
großen Anteil (2–20%) der T-Zellen kommt es daraufhin zur Teilung und Freisetzung
von Zytokinen. Auf ein reguläres Antigen würden dagegen nur 0,001–0,01% der T-
Zellen reagieren.
Die Toxine werden von Plasmiden kodiert. Es drängt sich förmlich der Verdacht auf,
dass sich Parasiten die Fähigkeit zur Toxinproduktion angeeignet haben, um
Immunreaktionen zu durchkreuzen, d.h. zur Unterstützung im Kampf gegen die
Wirtsabwehr. Wie zur Bestätigung dieser Vermutung fand man heraus, dass
Streptokokken und Mykoplasmen ähnliche Stoffe produzieren.
Bei vielen anderen Infektionen verläuft die polyklonale Aktivierung nicht ganz so
dramatisch. Neben der polyklonalen Aktivierung von T-Zellen gibt es auch die von B-
Zellen (z.B. bei EBV- oder HIV-Infektion). Man könnte sie als Ablenkungsmanöver der
Erreger begreifen oder – wie im Fall von EBV – als Versuch, sich einen Vorrat an B-
Zellen zuzulegen, in denen das Virus wachsen kann. Eine Folge ist die Bildung einer
Palette irrelevanter, manchmal auch autoimmuner Antikörper (z.B. heterophile
Antikörper bei EBV-Infektion).
356
Abb. 16.9 Immunstörung durch T- oder B-Zell-
Mitogene (von Erregern gebildete polyklonale
Aktivatoren).
EBV produziert ein Äquivalent zu IL-10, welches eher eine humorale statt die stärker
protektive zellvermittelte Immunantwort, wie sie IL-12 induzieren kann, begünstigt.
Auch dass virulente Stämme von Mycobacterium tuberculosis infizierte Makrophagen
zur Bildung von IL-10 veranlassen, wirkt sich günstig für sie aus. Hinzu kommt, dass M.
tuberculosis genau wie andere intrazelluläre Erreger (Leishmania major, Histoplasma
capsulatum) die IL-12-Produktion infizierter Makrophagen hemmt, so dass die T-Zellen
nicht wie sonst durch IL-12 zur IFNγ-Produktion aktiviert werden. Auf diese Weise
entfernt sich die Immunantwort immer weiter vom schützenden Muster der TH1-
Reaktion.
357
Wegen der verringerten Expression von MHC-Klasse-I-Molekülen auf Zellen, die mit
Adeno- oder Herpesviren infiziert sind, können sie von zytotoxischen T-Zellen nicht
erkannt werden. Andere Viren (Rota-, Adenoviren) sorgen für eine eingeschränkte
Produktion bzw. Wirkung der Interferone.
Nicht jede Strategie, die einem Erreger nützt, muss auch für alle anderen gut sein. Wenn
z.B. eine virusinfizierte Zelle sich der Apoptose unterzieht, kann das eine nützliche
Verteidigungsstrategie sein, solange die Virusreplikation noch nicht vollendet ist.
Bestimmte Viren (HSV, EBV, HIV) kodieren daher Proteine, die eine Apoptose der
Zellen verhindern und eine lang anhaltende Infektion ermöglichen.
Ein weiteres Beispiel ist die von Pseudomonaden gebildete Elastase. Durch sie werden
die Komplementfaktoren C3b und C5a inaktiviert und daher die Abwehrfunktionen des
Komplementsystems (Opsonisierung und andere) gehemmt.
358
16.5 Persistierende Infektionen
Die molekularen Grundlagen der Viruspersistenz sind noch nicht geklärt. Beteiligt sind
spezielle Schritte, mit denen sich Viren an das Latenzstadium anpassen – im Fall von
HSV und VZV findet nur eine sehr begrenzte Transkription viraler RNA in infizierten
Neuronen statt („Latenz-assoziierte Transkription“). Das Virusgenom wird nicht in
die Wirts-DNA integriert, ist nicht linear, sondern kreisförmig (zirkulär) und liegt in
freier episomaler Form vor.
■ Manchmal gehen sie mit chronischen Krankheiten einher, wie im Fall der
chronischen Virushepatitis (HBV), der subakut-sklerosierenden Panenzephalitis (nach
Masern) und bei AIDS.
16.5.1 Reaktivierung
359
Klinisch ist eine Reaktivierung besonders bei
Immunsupprimierten von Bedeutung
Zur Reaktivierung einer Infektion kann es bei Patienten mit Immunschwäche
kommen. Das ist klinisch besonders wichtig für Patienten, die infolge einer
chronischen Krankheit oder Infektion (AIDS), aufgrund von Tumoren (Leukämie,
Lymphome) oder nach Transplantation – also medizinisch induziert –
immunsupprimiert sind (Tab. 16.4).
Das zweite Ereignis (Stadium B) bezieht sich auf die Verbreitung und Replikation
eines reaktivierten Virus. Das HSV muss am sensorischen Axon entlang zu einer Stelle
der Haut oder Schleimhaut wandern, das Unterhautgewebe und das Epithel infizieren
und sich ausbreiten. Schließlich bildet sich ein prall mit Viren gefülltes Bläschen (über
1 Million infektiöser Einheiten pro Milliliter Flüssigkeit). Das dauert mindestens 3–4
Tage.
Stadium B ist weniger mysteriös als Stadium A und unterliegt der Kontrolle des
Immunsystems. Deshalb können Herpesbläschen mit einer schwachen lymphozytären
Reaktion auf HSV-Antigene oder Herpes zoster bei älteren Menschen mit einer
schwächeren zellvermittelten Immunreaktion (speziell auf VZV-Antigene) verbunden
sein.
Möglicherweise kommt Stadium A häufiger vor als Stadium B, weil der Prozess im
Stadium B von der Immunabwehr aufgehalten werden kann, ehe sich eine Läsion
(Herpesbläschen) bildet. Vermutlich verlaufen 10–20% der Episoden einer
Herpesreaktivierung ohne sichtbare Läsionen – mit einem Brennen, Kitzeln oder
360
Jucken der Stelle ohne sichtbare Herpesbläschen. Auch bei Herpes zoster können sich
Virusreaktivierung und -replikation in den sensorischen Neuronen auf Prodromi
beschränken, während die Abwehrkräfte ein Auftreten von Hautläsionen verhindern.
361
Abb. 16.10 Verlaufsmuster akuter und
persistierender Infektionen.
Manchmal (z.B. bei CMV, Tuberkulose) sind Persistenz der infektiösen Form und
echte Latenz nicht deutlich zu unterscheiden.HTLV-1 = humanes T-Zell-
Leukämievirus 1, PML = progressive multifokale Leukenzephalopathie, SSPE =
subakut sklerosierende Panenzephalitis
362
Geschichte der Mikrobiologie
Erregerpersistenz als Überlebensstrategie
Normalerweise sind Masern keine persistierende Infektion. Das Virus kann nicht
lange außerhalb des Körpers überleben, es infiziert nur Menschen und hat keine
Ausweichmöglichkeit (z.B. Tierreservoire, auf die es sich zurückziehen könnte).
Gäbe es nicht ständig neu zu infizierende Menschen, wäre das Masernvirus bald
ausgestorben. Daher müssen jeweils einige Menschen zu jeder Zeit infiziert sein.
Untersuchungen an Inselbevölkerungen haben ergeben, dass mindestens 500000
Menschen notwendig sind, um die Masern zu erhalten (ohne Neuinfektion von
außen). In der Steinzeit (Paläolithikum), als die Menschen noch in kleinen isolierten
Gruppen lebten, kann es Masern in der heutigen Form nicht gegeben haben.
363
Abb. 16.11 Persistenz als Überlebenstrategie von
Infektionserregern.
364
Tab. 16.4 Reaktivierung persistierender Infektionen.
*
von dort aus findet keine Weiterverbreitung statt
**
früher: P. carinii
PML = progressive multifokale Leukenzephalopathie
365
Abb. 16.12 Die zwei Stadien der Reaktivierung einer
latenten Virusinfektion.
CMV = Zytomegalievirus
Mit Reaktivierung einer EBV- oder CMV-Infektion erscheint das Virus im Speichel
(EBV) oder Blut (CMV), bleibt aber im Allgemeinen asymptomatisch. Nur bei
immungeschwächten Menschen kann der Prozess bis zu einem klinischen
Krankheitsbild fortschreiten: Hepatitis oder Pneumonie im Fall von CMV, seltener
Haarzell-Leukoplakie durch EBV (s. Kap. 30).
Zusammenfassung
■ Erfolgreiche Parasiten haben sich Strategien zur Vermeidung von
Immunreaktionen des Wirts angeeignet. So können sie lange genug im Körper
bleiben, um eine Infektion zu etablieren. Einige halten sich zeitlich unbegrenzt im
Körper auf.
– Antigentarnung bzw. Verstecken vor dem Wirt (im Innern der Wirtszellen,
Infektion privilegierter/abgeschiedener Stellen);
FRAGEN
366
1 Könnte molekulares Mimikry lediglich ein biologischer Zufall sein?
Falls ja, wäre dies eher bei kurzen (4–5) oder langen (7–8)
Aminosäuresequenzen zu erwarten?
Lower, R., Lower, J., Kurth, R.: The viruses in all of us: characteristics and
biological significance of human retrovirus sequences. Proc Natl Acad Sci USA 93
(1996) 5177–5184.
Maizels, R.M., Bundy, D.A.P., Selkirk, M.E. et al.: Immunologic modulation and
evasion by helminth parasites in human populations. Nature 365 (1993) 797–805.
367
17 Pathologische Folgen von Infektionen
17.1 Direkt von Erregern verursachte Symptome 197
Symptome, die bald nach einer Infektion auftreten, sind meist unmittelbar auf den
Erreger oder seine Sekrete zurückzuführen. So kann ein intrazelluläres Virus den
Stoffwechsel der Zelle beeinträchtigen oder sie durch Lyse zerstören. Akute Symptome
einer bakteriellen Infektion werden dagegen meist durch freigesetzte Toxine oder
pathophysiologische Abläufe bei einer Entzündung ausgelöst.
Oft führt aber die Aktivierung von gewöhnlich protektiven Immunmechanismen auch
zu krankhaften Veränderungen. Daran beteiligt sind meist angeborenes und erworbenes
Immunsystem, gelegentlich auch nur eins von beiden (Abb. 17.1). Eine
Gewebeschädigung infolge adaptiver Immunreaktionen bezeichnet man als
„immunpathologisch“. Immunpathologische Veränderungen kommen besonders häufig
vor, wenn infektiöse Erkrankungen chronisch geworden sind (persistieren). Die
immunologischen Grundlagen einer Gewebeschädigung sind in Kap. 11 beschrieben.
Bestimmte Viren können Zellen auf Dauer maligne verändern. Beispiele sind unter
anderem HTLV-1 und -2, (Lymphome, Leukämien), das Epstein-Barr-Virus
(Nasopharynxkarzinom und Burkitt-Lymphom), humane Papillomaviren
368
(Zervixkarzinom) und das Hepatitis-B-Virus (hepatozelluläres Karzinom).
Möglicherweise sind weitere Kofaktoren beteiligt.
Die meisten Exotoxine sind Proteine und werden oft nicht von der bakteriellen DNA,
sondern von Genen auf Plasmiden (z.B. Escherichia coli) oder Bakteriophagen (z.B.
Botulismus, Diphtherie, Scharlach) kodiert. Manchmal bestehen sie aus zwei oder mehr
Untereinheiten, von denen eine für die Zellbindung und das Eindringen sorgt, während
die andere bestimmte Zellfunktionen einschalten oder hemmen kann.
Abb. 17.1 Allgemeines Schema pathologischer
Infektionsfolgen.
369
Infektiöse Parasiten können unmittelbarer Auslöser der Krankheit sein (oben) oder
sie indirekt durch eine Überaktivierung diverser Immunreaktionen verursachen (in
Bildmitte angeborene, unten erworbene Immunmechanismen).
Auch wenn viele Toxine für die Wirtszellen tödlich sein können, sind sie in niedriger
Konzentration wichtig, um Immunzellen oder Phagozyten funktionell einzuschränken.
Streptolysin-Konzentrationen knapp unter dem für Zellen tödlichen Grenzwert hemmen
z.B. die Leukozyten-Chemotaxis, und Entero- oder Epidermolyse-Toxine der
Staphylokokken wirken selbst in niedrigsten Konzentrationen (Nano- bis
Pikogrammbereich) noch immunmodulierend.
370
Tab. 17.1 Infizierte Gewebe können von Erregern direkt geschädigt
oder zerstört werden; das trifft besonders häufig auf zytopathische
Viren zu.
371
Tab. 17.2 Wichtige Exotoxine und Krankheit.
*
bei Truthähnen und Schweinen durch Erdnüsse im Futter, die mit A. fumigatus
kontaminiert waren; bei Menschen bisher noch nicht nachgewiesen
SSS = Scalded Skin Syndrome (Syndrom der verbrühten Haut), TSS = Toxic
Shock Syndrome, TSST-1 = Toxic-Shock-Syndrom-Toxin
372
Scharlach (durch Streptokokken-Erythrotoxin) bekommt, während
Streptokokkeninfektionen unbegrenzt häufig wiederkehren können.
Ein interessanter Nebenaspekt der Toxine mit zwei Untereinheiten besteht darin, dass
sich ihre Spezifität für bestimmte Zellarten ändern kann, wenn sich die Spezifität des
für die Adhäsion zuständigen Teils umwandelt. Ein Beispiel ist Ricin: Die Untereinheit
A dieses pflanzlichen Toxins kann durch Bindung an einen monoklonalen Antikörper zu
einem Zellgift für spezifische Tumorzellen werden.
373
über, wo sie während der Translation von mRNA durch die Ribosomen verhindert,
dass von der Transfer-RNA Aminosäuren an die Polypeptidkette übertragen werden.
Durch die von der Untereinheit A katalysierte Bindung von Adenosindiphosphat-
Ribose an das Elongationsprotein (ADP-Ribosylierung) wird die Proteinsynthese
nachhaltig blockiert.
17.1.2 Diarrhoe
■ mit dem der Wirt möglichst rasch infektiöse Erreger loszuwerden versucht,
374
■ mit dem sich Erreger auf andere Wirte ausbreiten.
Abb. 17.2 Wirkungsweise einiger Exotoxine.
Diarrhoen sind zwar kennzeichnend für ein breites Infektionsspektrum, doch in den
wenigsten Fällen versteht man den genauen Zusammenhang. Während sie häufig
durch Toxine (Cholera, Shigellen) ausgelöst werden, sind möglicherweise auch
Erregerinvasion und Schäden der Epithelzellen ausschlaggebend. In einigen Fällen
liefern Enterozytenverluste oder Veränderungen im Elektronentransport eine plausible
pathophysiologische Erklärung.
375
Viele Keime, die eine Diarrhoe verursachen, nimmt man mit der Nahrung auf. Der
Begriff Lebensmittelvergiftung sollte jedoch nur den Fällen vorbehalten bleiben, in
denen von Anfang an Toxine in der Nahrung waren und nicht erst im Darm gebildet
wurden. Wie nicht anders zu erwarten, treten die Symptome einer
Lebensmittelvergiftung früh – d.h. innerhalb weniger Stunden nach Exposition – statt
erst Tage danach auf (Tab. 17.3).
376
kommt es immer wieder vor, dass sie überaktiv nicht nur eingedrungene Parasiten,
sondern auch harmloses Wirtsgewebe schädigen. Als Ausdruck der natürlichen
Immunität ist eine Entzündung in gewissem Ausmaß normal, doch sie kann auch
stärker ausfallen und das Gewebe schädigen. Dabei spielen Komplement,
polymorphkernige Leukozyten (PMN) und Tumornekrosefaktor (TNF) eine wichtige
Rolle.
■ einem Lipidanteil (Lipid A), der in die Zellwand eingebaut wird und
größtenteils für die toxische Wirkung verantwortlich ist,
■ Fieber
Wie schon in Kap. 14 erwähnt, kann Fieber dem Wirt und/oder Parasiten nützen. Fieber
wird derzeit hauptsächlich auf zwei Zytokine – Interleukin 1 (IL-1) und
Tumornekrosefaktor (TNF) – mit Einfluss auf den Hypothalamus zurückgeführt. Beide
werden von Makrophagen als Reaktion auf LPS (und entsprechende Substanzen anderer
Erreger, s. unten) gebildet.
377
Das bekannteste Beispiel eines Endotoxin- (oder septischen) Schocks ist die Septikämie
durch Gram-negative Bakterien wie E. coli oder Neisseria meningitidis. Allerdings
setzen auch andere Mikroorganismen Stoffe frei, die wenigstens teilweise wie LPS
wirken, indem sie die TNFα- und/oder IL-1-Produktion stimulieren (Tab. 17.4), obwohl
sie strukturell nur entfernt verwandt sind.
Ein septischer Schock ist ein komplexes Phänomen, an dem auch andere bakterielle
Substanzen (z.B. Peptidoglykane) beteiligt sein könnten. Bei Streptokokken sind z.B.
pyrogene (erythrogene) Exotoxine verantwortlich.
Die Mitwirkung von Zytokinen an der Pathogenese des Schocks ist keineswegs nur rein
akademisch, sondern auch für die Behandlung von Belang. So könnte man mit
Antagonisten (z.B. monoklonalen Antikörpern oder Inhibitoren) einer kleineren Anzahl
von Zytokinen behandeln statt mit Antikörpern gegen die Toxine selbst, die große
antigene Unterschiede aufweisen (ausführlicher dazu s. Kap. 33).
378
Von den Zytokinen scheint derzeit TNF am engsten mit
einer Erkrankung verbunden zu sein
Bei Patienten mit Meningokokkensepsis oder mit Malaria (durch Plasmodium
falciparum) sind erhöhte TNFα-Serumkonzentrationen nachweislich mit der Schwere
der Erkrankung korreliert. Tierversuche deuten aber darauf hin, dass TNFα in dem Fall
seine volle Wirkung nur durch synergistische Effekte mit anderen Zytokinen (IL-1 oder
γ-Interferon/IFNγ) entfalten kann.
Unabhängig voneinander können sich die TNFα-Spiegel im Blut und Liquor bei
Meningokokkeninfektionen verändern (bei Septikämie Anstieg im Blut, bei Meningitis
im Liquor). Daher kann die Bildung und/oder Wirkung von TNFα anscheinend auf ein
bestimmtes Körperkompartiment beschränkt bleiben.
379
Tab. 17.4 Wichtige Endotoxine und funktionell ähnliche Stoffe.
IL = Interleukin, TNF = Tumornekrosefaktor, TSST-1 = Toxic-Shock-Syndrom-
Toxin
380
17.3 Pathologische Folgen von Immunreaktionen
17.3.1 Typ-I-Hypersensitivitätsreaktionen
Mit hohen IgE-Konzentrationen verbunden ist auch ein Wurmbefall mit Askariden. In
diesem Fall kommt es hauptsächlich zu respiratorischen Symptomen mit
Eosinophileninfiltraten und Asthmaanfällen (bei der Passage des Parasiten durch die
Lunge). Kennzeichen von Helmintheninfektionen ist der juckende Ausschlag, wenn
Würmer z.B. in der Haut absterben. Es könnte sich auch um eine Typ-I-Reaktion
handeln, wie z.B. bei der „Schwimmerkrätze“ durch Kontaktinfektion mit Tier- oder
Vogel-Schistosomen.
381
Weshalb allergische Reaktionen typisch für Wurminfektionen sind, ist nicht wirklich
geklärt; es könnte aber mit bestimmten Antigenmerkmalen zusammenhängen. Zudem
wird vermutet, dass IgE eine Rolle beim Schutz vor Würmern haben könnte. Das
wäre zu wünschen, denn in jeder anderen Hinsicht scheint diese Antikörperklasse nur
überflüssig zu sein.
17.3.2 Typ-II-Hypersensitivitätsreaktionen
382
Tab. 17.5 Durch Mikroorganismen bedingte
Überempfindlichkeitsreaktionen.
PMN = polymorphkernige Leukozyten
383
Bei Malaria im Blutstadium heften sich die Antigene
an Wirtszellen
Es konnte nachgewiesen werden, dass die hämolytische Anämie im Blutstadium der
Malaria nicht – wie zunächst vermutet – durch Autoantikörper bedingt ist, sondern
durch Antikörper gegen ein Parasitenantigen, das von roten Blutkörperchen
aufgenommen wurde. In einigen Fällen könnte sich ein Antigen-Antikörper-Komplex
an die Zellen binden. Eine ähnliche Reaktion („Schwarzwasserfieber“) kann nach
einer Malariabehandlung mit Chinin auftreten.
17.3.3 Typ-III-Hypersensitivitätsreaktionen
384
Nephropathie bei der malignen Malaria tropica (durch Plasmodium falciparum) nach
ausgeheilter Infektion bessert.
385
Ein anderes bekanntes Beispiel ist die Serumkrankheit
Wenn sich nach wiederholter Injektion von Fremdprotein frei zirkulierende
Immunkomplexe in Nieren (Abb. 17.5), Haut oder Gelenken ablagern, kommt es zur
Serumkrankheit. Das passierte häufiger, als es noch keine Antibiotika gab und
infektiöse Erkrankungen noch passiv mit Serum behandelt wurden (s. Kap. 35). Die
Serumkrankheit kann aber auch als Komplikation einer monoklonalen
Antikörpertherapie (meist murine AK) auftreten. Dass dieser Behandlungsansatz bei
vielen Störungen zunehmend attraktiver wird, ist einer der Gründe, weshalb vermehrt
Anstrengungen unternommen werden, um weitgehend humane monoklonale
Antikörpermoleküle zu produzieren.
Abb. 17.4 Arthus-Reaktion.
Ins Gewebe eingedrungene Antigene (z.B. Pilzpartikel in der Lunge) bilden mit
Antikörpern, auf die sie dort treffen, Immunkomplexe. Diese bewirken eine
Komplementaktivierung und Chemotaxis polymorphkerniger Leukozyten (PMN).
Durch die entzündliche Reaktion infolge der Degranulation (Freisetzung des
Granulainhalts aus Leukozyten und Gewebsmastzellen) wird die von lysosomalen
Enzymen der PMN verursachte Schädigung noch weiter verstärkt.
386
Abb. 17.5 Glomerulonephritis aufgrund einer
Gewebeschädigung durch Immunkomplexe.
17.3.4 Typ-IV-Hypersensitivität
Für Verwirrung sorgt der unterschiedliche Gebrauch von Begriffen zur Beschreibung
bzw. Unterteilung der Typ-IV-Reaktionen. Einige beziehen sich auf konkrete
pathologische Veränderungen, andere auf Befunde diagnostischer Hauttests, aber
keiner gibt genau den Ablauf wieder, wie zellvermittelte Immunität vor Infektionen
schützen kann (Tab. 17.6).
387
Zellvermittelte Immunreaktionen auf (Erreger-)Antigene sind für die
Granulombildung verantwortlich, die bei Tuberkulose, tuberkulöser Lepra,
Lymphogranuloma inguinale und Toxokariasis eine wichtige Rolle spielt. In gewisser
Weise paradox wirkt sich die verzweigte Beteiligung der Zytokine an Typ-IV-
Reaktionen aus. Dass manche Granulome zur Nekrose (z.B. Verkäsung bei
Tuberkulose) neigen und andere nicht (z.B. bei Lepra, Sarkoidose), lässt sich durch
die unterschiedlichen Muster der beteiligten Zytokine erklären. Besonders hoch ist die
Gefahr einer Nekrose bei TNF (oft zusammen mit mikrobiellen Bestandteilen) –
wegen seiner Wirkung auf das Gefäßendothel (die möglicherweise auch seine
Antitumoraktivität erklärt).
388
Ein überraschender Effekt von Mangelernährung ist die rückläufige Inzidenz und
Schwere bestimmter Erkrankungen (z.B. Typhus, Malaria). Das könnte mit einer
verringerten Immunpathologie zusammenhängen, obwohl bei den meisten
Erkrankungen (z.B. Masern, Meningokokkeninfektion, Tuberkulose) eher das
Gegenteil zutrifft. Unterernährung scheint ein wichtiger prädisponierender Faktor für
viele schwere verbreitete Infektionen in tropischen Ländern zu sein.
17.4 Hautausschlag
Über die geografische Verbreitung von HTLV-2, das bei Haarzell-Leukämie isoliert
werden kann, weiß man weniger. HTLV-1 wirkt nicht kanzerogen, indem es ein
zelluläres Onkogen aktiviert, sondern weil sein tat-Gen-Produkt die Transkription von
Wirtsgenen verstärkt, die für die Zellteilung wichtig sind. Detaillierter werden diese
Infektionen in Kap. 26 beschrieben.
389
EBV (Epstein-Barr-Virus) ist mit dem
Nasopharynxkarzinom assoziiert
EBV ist eng mit der Entwicklung eines Nasopharynxkarzinoms (NPC) verbunden (s.
Kap. 18), das vor allem in Südchina und anderen Teilen Asiens sehr verbreitet (12–30
Fälle pro 100000 Einwohner pro Jahr) und in Teilen Nordafrikas etwas weniger häufig
ist; in anderen Teilen der Erde kommt es nur selten vor. Die Gründe für die geografisch
beschränkte Verteilung sind nicht bekannt.
390
Tab. 17.7 Bei Ausschlägen handelt es sich vielfach um
Immunreaktionen der Haut.
391
Tab. 17.8 Veränderungen an Zellen in Kultur aufgrund ihrer
malignen Transformation durch Tumorviren.
cAMP-Produktion
cAMP = zyklisches Adenosinmonophosphat
Bei Patienten mit hohem NPC-Risiko kommt es ein Jahr oder noch früher vor dem
Auftreten erster klinischer Symptome zu einem IgA-Titer-Anstieg gegen EBV-Kapsid-
Antigen.
Vermutlich ist die Einwirkung von EBV auf B-Zellen der Auslöser für die
Tumorentstehung; es veranlasst sie zur Proliferation und erhöht damit die
Wahrscheinlichkeit, dass zelluläre Onkogene aktiviert werden. Das zelluläre c-myc-
Onkogen wird nach Translokation vom Chromosom 8 zum Chromosom 14 am
Genlokus der Immunglobulin-Schwerkette exprimiert. Infolgedessen könnten B-Zellen
am Eintritt ins Ruhestadium gehindert werden. Da auch die Steuerung der Adhäsions-
und HLA (human leukocyte antigen)-Moleküle behindert wird (Downregulation),
können sich die EBV-infizierten Zellen, die normalerweise der Immunkontrolle
unterliegen, zu Tumorzellen entwickeln. Welche Rolle andere chromosomale
Veränderungen in Burkitt-Lymphom-Zellen bei der Tumorentwicklung spielen, ist
unklar.
392
Dass EBV-Infektionen weltweit verbreitet sind, während das Burkitt-Lymphom (wie das
Nasopharynxkarzinom)nur geografisch eng begrenzt vorkommt, weist wieder auf die
Beteiligung lokaler Kofaktoren, vielleicht chemischer oder infektiöser Kokarzinogene,
hin.
393
Bestimmte HPV-Infektionen sind mit dem
Zervixkarzinom assoziiert
Zwischen Zervixkarzinomen und einer Infektion mit einigen der 77 Genotypen humaner
Papillomaviren (HPV, s. Kap. 3, 21 und 26) besteht eindeutig ein Zusammenhang; das
trifft für über 80% der Zervixkarzinome zu. Mit bestimmten HPV-Typen sind Penis-,
Vulva- und Rektumkarzinome assoziiert. Besonders hoch ist das Risiko durch HPV-
Typ 16 und 18. HPV-Typ 6 und 11 verursachen zwar auch zervikale Läsionen, doch das
Risiko einer malignen Progression ist in dem Fall niedriger.
HPV könnten auch für die Genese von Hautkrebs bei immunsupprimierten Patienten
(z.B. Nierentransplantierten) eine Rolle spielen, die recht häufig Hautwarzen
bekommen. Allerdings gibt es keine Anhaltspunkte, dass der Hautkrebs von Gesunden
mit einer HPV-Infektion verbunden ist.
Das verbreitetere Vorkommen des HCC in bestimmten Teilen der Welt (z.B.
Westafrika) könnte mit Kokarzinogenen (z.B. Aflatoxinen) zusammenhängen.
Allerdings verursacht das eng verwandte Hepadnavirus bei Waldmurmeltieren auch
394
ohne Kokarzinogene ein Leberzellkarzinom (s. Kasten). Möglicherweise ist das HBV-
assoziierte HCC des Menschen ein Folgezustand der kontinuierlichen
Hepatozytenregeneration, wie sie bei chronischen HBV-Trägern auftritt.
■ Nach experimenteller Inokulation von Polyomavirus (poly- für viele, -oma für
Tumor) – einem Mäuse-Papovavirus – und SV40 (simian vacuolating virus 40) –
einem Affen-Papovavirus – entwickeln sich bei Hamstern Tumoren. Die Virus-DNA
ist in die Tumorzellen integriert, und es werden T-Zell-Antigene exprimiert. Sind
diese Viren bzw. ihre humanen Entsprechungen (BK- und JC-Virus) mit
Krebserkrankungen des Menschen verbunden?
Vor rund 30 Jahren ereignete sich ein Zwischenfall bei einer Polio-Impfung, als
tausende Kinder unabsichtlich mit dem SV40-Virus inokuliert wurden, das einige
Impfchargen enthielten. Es war offenbar nicht gelungen, durch das
Inaktivierungsverfahren mit Formalin das in Affennierenzellen, in denen der Polio-
Impfstoff angezüchtet wurde, enthaltene SV40-Virus abzutöten. Trotzdem ließ sich bei
den infizierten Kindern kein Anstieg der Tumorinzidenz beobachten.
Nichtsdestoweniger mehren sich die Hinweise, dass Virusinfektionen (durch JC, BK
und SV40) mit bestimmten Hirntumoren, Lymphomen und anderen Tumoren assoziiert
sind.
395
Auf die Verbindung zwischen Helicobacter pylori und Malignome im Bereich des
Magens und des Duodenums wird in Kap. 22 eingegangen. Wie es dazu kommt, ist bisher
nicht geklärt.
Geschichte der Mikrobiologie
Die vielen Gesichter der Hepatitis B
Erstens: 90% der mit dem Hepatitis-B-Virus (HBV) infizierten Säuglinge und 23% der
im Alter von 1–3 Jahren infizierten Kinder wurden HBV-Träger; bei denen, die sich erst
als junge Erwachsene (Studenten) infizierten, betrug der Anteil jedoch nur 3%.
Zweitens: Von 3454 HbsAg-Trägern hatten 184 ein Leberzellkarzinom, unter den 19253
Nichtträgern waren dagegen nur 10 Fälle. Alle Arten von Malignomen der Leber sind zu
80% auf eine Hepatitis B zurückzuführen.
Weltweit tragen etwa 350 Millionen Menschen das HBV in sich, und da bis zu 2
Millionen Menschen pro Jahr an einem Malignom der Leber sterben, ist HBV nach
Tabak das zweitwichtigste Karzinogen des Menschen.
Die Karzinogenese ist noch unklar. Bei fast allen Malignomformen (des Menschen) ist
das Virus in Chromosomen integriert, nur zeigt sich bei den Integrationsstellen und der
Anzahl der Kopien eine große Variationsbreite.
396
Zusammenfassung
■ Infektionserreger können auf unterschiedliche Weise Gewebeschäden oder
Krankheiten verursachen.
■ Zellen können direkt durch Erreger (z.B. zytotoxische Viren) oder freigesetzte
Toxine (z.B. Staphylokokken- oder Tetanustoxin) zerstört bzw. funktionell
ausgeschaltet werden. Es kann aber auch zur Hyperaktivität der normalen
Abwehrkräfte (z.B. auf LPS) oder zu überschießenden bzw. verlängerten
Immunreaktionen kommen.
■ Wenn die Wirkungen der Erreger auf das Abwehrsystem durch Antikörper
oder T-Zellen vermittelt sind, werden sie als Überempfindlichkeits-
/Hypersensitivitätsreaktionen bzw. „Immunpathologie“ bezeichnet.
■ Manche Viren sind nachweislich an der Tumorentstehung beteiligt, da ihr
Genom in den Krebszellen gefunden wurde. Dass sich die Verteilung mancher dieser
Tumoren auf bestimmte geografische Regionen beschränkt, kommt möglicherweise
unter dem Einfluss lokaler Kokarzinogene zustande.
FRAGEN
1 Wie unterscheiden sich Exotoxine und Endotoxine?
2 Was ist ein septischer Schock und wie lässt er sich verhindern?
3 Was ist ein Immunkomplex und wie kann er Krankheiten verursachen?
4 Welche Hautausschläge sind immunologisch bedingt?
5 Welche Viren stehen im Verdacht, Malignome auszulösen?
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Bosch, F.X., Manos, M.M., Munoz, N. et al.: Prevalence of human papillomavirus in
cervical cancer; a worldwide perspective. J. Natl. Cancer Inst. 87 (1995) 796–802.
Collier, L.H. (ed.): Topley and Wilson’s Microbiology and Microbial Infections, 9th ed.
Vol. 1: Virology, Ch. 12: Oncogenicity, pp. 211–234. Edward Arnold, London 1998.
Hacker, J., Blum-Oehler, G., Muhldorfer, I., Tschape, H.: Pathogenicity islands of
virulent bacteria: structure, function, and impact on microbial evolution. Mol. Microbiol.
23 (1997) 1089–1097.
Mims, C.A., Nash, A., Stephen, J.: Mims’ Pathogenesis of Infectious Disease, 5th ed.
Academic Press, London 2001.
Rees, A.J., Andres, G.A., Peters, D.K. (eds.): Symposium on pathogenetic mechanisms
in nephritis. Kidney Int. 35 (1989) 921–1033.
Sriskandan, S., Cohen, J.: The pathogenesis of septic shock. J. Infect. 30 (1995) 201–
206.
Stephen, J.: Pathogenesis of infectious diarrhoea: a mini-review. Canadian J.
Gastroenterol. 15 (2001) 669–683.
397
18 Infektionen der oberen Atemwege
18.1 Die gewöhnliche Erkältung (Katarrh) 216
In der Luft, die wir einatmen, schweben Millionen Teilchen, darunter auch
Mikroorganismen. Die meisten von ihnen sind völlig harmlos, nur in der Nähe von
Infizierten kann eine größere Erregermenge in der Atemluft enthalten sein. Daher sind
wirksame Reinigungsfunktionen im oberen und unteren Respirationstrakt (s. Kap. 9 und
13) ein wichtiger Bestandteil der körpereigenen Abwehr und schützen vor Infektionen.
Kommt es trotzdem zur Infektion, ist zu klären, warum die natürlichen
Abwehrmechanismen versagt haben. In den oberen Atemwegen sind das mukoziliare
System im Nasen-Rachen-Raum (Nasopharynx) und die Spülwirkung des Speichels im
Mund-Rachen-Raum (Oropharynx) besonders wichtig.
398
Wie auf anderen Körperoberflächen (s. Kap. 8) leben auch in den oberen Atemwegen
zahlreiche Mikroorganismen (Tab. 18.1), die Nase, Mund, Rachen und Zähne besiedeln,
unschädlich sind und sich gut an die örtlichen Verhältnisse angepasst haben. Wie
„wohlerzogene“ Gäste dringen sie normalerweise weder in tieferes Gewebe ein noch
führen sie zur Erkrankung. Allerdings können ortsansässige (residente) Keime hier wie in
anderen Körperbereichen problematisch werden, wenn die Immunlage des Wirts
geschwächt ist.
399
Tab. 18.1 Normalflora des Respirationstrakts
*
außer den Keimen im Gewebe sind alle anderen im Mund-Nasen-Rachen-
Raum oder auf den Zähnen vertreten
**
im Mund; dort können auch Entamoeba gingivalis, Trichomonas tenax,
Mikrokokken und Actinomyces spp. vorhanden sein
***
bei den meisten Menschen finden sich alle außer M. tuberculosis
****
früher: P. carinii
400
18.1 Die gewöhnliche Erkältung (Katarrh)
Die meisten dieser Viren können sich über bestimmte Oberflächenmoleküle fest an
Wirtszellen – bzw. davon abstehende Zilien und Mikrovilli – heften. Infolgedessen
werden sie nicht von Sekreten weggespült, sondern können zuvor noch gesunde
Menschen infizieren. Nachfolgende Virusgenerationen breiten sich von den zuerst
infizierten Zellen auf Nachbarzellen aus und gelangen mit den Sekreten immer wieder
an neue Schleimhautstellen. Nach ein paar Tagen kommt es infolge der Schädigung von
Epithelzellen und der Sekretabsonderung (mit darin enthaltenen Entzündungsmediatoren
wie Bradykinin) zu den typischen Erkältungssymptomen (Abb. 18.2).
Die Isolierung der Viren ist oft mühsam und sehr schwierig. Sie wird im Interesse der
öffentlichen Gesundheit – meist von Referenzlaboratorien – durchgeführt, wenn eine
Pandemie durch einen neuen Influenzavirusstamm droht. Zur Typisierung von
Influenzaviren wenden die Referenzlaboratorien inzwischen molekulare Nachweis- und
Sequenzierungsmethoden an, um so auch überwachen zu können, ob die für Impfstoffe
ausgewählten Stämme gut mit den im Umlauf befindlichen Stämmen übereinstimmen.
401
Akute Infektionen des Rachenraumes sindzu rund 70%
viral bedingt
Die Auslöser einer akuten Pharyngitis sind in Tab. 18.5 aufgeführt. Erkältungs- und
andere respiratorische Viren treffen im Mund-Rachen-Raum zwangsläufig auf den
Abwehrring aus submukosalem Lymphgewebe (Abb. 18.1). Bei einer Hals-
/Rachenentzündung (Pharyngitis) handelt es sich entweder um eine Infektion der
darüber liegenden Mukosaschicht oder um eine entzündliche Immunreaktion des
lymphatischen Gewebes.
Häufig sind Adenoviren die Ursache; wenn sie außer dem Pharynx auch die
Konjunktiven infizieren, entwickelt sich ein Pharyngokonjunktivalfieber. Während sich
Epstein-Barr- (EBV) und Zytomegalieviren (CMV) direkt im Pharynx vermehren (Abb.
18.3), vermehren sich Herpes-simplex- (HSV) und bestimmte Coxsackie-A-Viren in der
Mundschleimhaut und rufen schmerzhafte lokale Läsionen oder Ulzera hervor.
Enteroviren können darüber hinaus Bläschen an Händen, Füßen und Mund verursachen
(Hand-Fuß-Mund-Krankheit; Abb. 18.4).
Abb. 18.1 Der Respirationstrakt bildet ein
Kontinuum.
** Abstand zwischen schwarzer Linie und blauer Kurve entspricht der Stärke der
Symptome (Rhinitis, Laryngitis etc.)
402
Tab. 18.2 Zwei Arten von Atemwegsinfektionen.
CMV = Zytomegalievirus; EBV = Epstein-Barr-Virus
403
18.2.1 Zytomegalievirus(CMV)-Infektion
404
Tab. 18.4 Erkältungsviren und ihre Anheftungsmechanismen
*
ein Typ ist, verglichen mit anderen, kaum oder gar nicht durch Antikörper
neutralisierbar
**
ICAM-1 (interzelluläres Adhäsionsmolekül) wird auch von vielen normalen
Zellen exprimiert; gehört zur Superfamilie der Immunglobuline (auf Chromosom
19 kodiert)
***
Coxsackie-Virus A9 bindet an Vitronektin, ein Integrin(protein); Typ 1 und 8
binden an das Very-late-activating-Antigen 2 (ein Integrin), Typ 6, 7, 12, 21 an
den Decay-accelerating-Faktor (CD55) auf Zellen.
405
Abb. 18.2 Pathogenese der Erkältung (zur
Vereinfachung nur einschichtiges Epithel dargestellt)
Für Kinder ist Urin eine zusätzliche Infektionsquelle, und bei infizierten Schwangeren
kann sich das Virus auf dem Blutweg auf Plazenta und Fetus ausbreiten. CMV kann
auch im Sperma und Zervikalsekret enthalten sein – und demnach durch
Sexualkontakte übertragen werden. Ob die geringen CMV-Mengen, die oft in der
Muttermilch vorhanden sind, für eine Ansteckung ausreichen würden, erscheint
zumindest fraglich. CMV kann auch bei einer Bluttransfusion oder
Organtransplantation übertragen werden.
406
Infizierte Zellen können zwar vielkernig sein oder intranukleäre Einschlusskörper
aufweisen, doch die Infektion verursacht nur geringe pathologische Veränderungen
und verläuft im Allgemeinen asymptomatisch. Bei jungen Erwachsenen kann es zu
einer Art Drüsenfieber kommen, allerdings ohne die bei den meisten EBV-Infizierten
(außer Kindern unter 14 Jahren) vorhandenen heterophilen Antikörper, begleitet von
Fieber und Mattigkeit sowie anormalen Lymphozyten und Mononukleose im
Blutausstrich. Da CMV die T-Zell-Reaktionen hemmt, ist auch die Immunantwort auf
andere Antigene vorübergehend eingeschränkt.
407
Tonsillen und Uvula geschwollen und weiß belegt; Petechien am weichen Gaumen
(mit freundlicher Genehmigung von J.A. Innes).
Abb. 18.4 Gaumen- und Zungenulzera bei Hand-
Fuß-Mund-Krankheit durch das Coxsackie-A-Virus.
408
CMV ist mit einem Durchmesser von 150–200 nm das größte humane Herpesvirus
und hat einen dichten zentralen DNA-Kern (mit freundlicher Genehmigung von
D.K. Banerjee).
Seinen Erfolg als Humanpathogen verdankt CMV seiner Fähigkeit, sich der
Immunabwehr zu entziehen. Für zytotoxische T-Zellen stellt es z.B. ein ungeeignetes
Ziel dar, weil es verhindert, dass MHC-Klasse-I-Moleküle zur Zelloberfläche
transportiert werden (s. Kap. 10), und auf infizierten Zellen Fc-Rezeptoren induziert
(s. Kap. 16).
409
Die Primärinfektion verläuft gewöhnlich asymptomatisch und lässt sich daher
klinisch kaum diagnostizieren. Falls doch Beschwerden bei immunkompetenten
Patienten auftreten, wird der Nachweis von CMV-IgM zur Diagnose herangezogen.
Um die Diagnose einer CMV-Pneumonie zu stellen, kann der Nachweis von CMV-
Antigen oder CMV-DNA anhand der bronchoalveolären Flüssigkeit geführt werden.
Biopsiematerial aus der Lunge kann vielkernige Zellen oder Zellen mit deutlich
sichtbaren intranukleäre Einschlusskörpern aufweisen.
410
Behandlung einer CMV-Retinitis und -Pneumonie
Während sie mit Ganciclovir oder Foscarnet oft effektiv behandelt werden können,
erweist sich Aciclovir als unwirksam. Da die CMV-Pneumonie als eine
immunpathologische Erkrankung gilt, wird den Patienten zusätzlich zu antiviralen
Mitteln noch CMV-spezifisches oder normales (humanes) Immunglobulin
verabreicht, um so möglichst die gegen Pneumozyten, die das Antigen exprimieren,
gerichtete Reaktion zu unterdrücken.
18.2.2 Epstein-Barr-Virus(EBV)-Infektion
411
Bei Kindern verläuft die Infektion meist milder oder subklinisch.
Infizierte B-Zellen lösen eine Immunantwort der T-Lymphozyten aus, die ihnen
zahlenmäßig weit überlegen sind (etwa 50:1) und als atypische Lymphozyten im
peripheren Blut erscheinen (Abb. 18.7). Viele Krankheitszeichen sind dieser
Auseinandersetzung zwischen spezifisch aktivierten T-Zellen und infizierten B-Zellen
zuzuschreiben. Da die Immunreaktion bei spontan infizierten Säuglingen und
Kleinkindern noch schwach ausfällt, tritt die Erkrankung bei ihnen klinisch nicht in
Erscheinung. Ältere Kinder fühlen sich jedoch unwohl und besonders bei
Jugendlichen oder jungen Erwachsenen kommt es 4–7 Wochen nach der Erstinfektion
zu einer infektiösen Mononukleose.
412
Werden infolge einer EBV-Infektion Autoantikörper gebildet, handelt es sich meist
um IgM-Antikörper gegen Erythrozyten (Kältehämagglutinine). In rund 1% der Fälle
entwickelt sich eine autoimmunhämolytische Anämie, die erst im Laufe von ein, zwei
Monaten nachlässt.
413
Klinisch lässt sich die infektiöse Mononukleose anhand der typischen Symptome und
des Rachenbefunds diagnostizieren. Zur Labordiagnostik gehören:
414
Mit EBV assoziierte Tumoren
415
auf Chromosom 14 vor (Genlokus der Schwerketten von Immunglobulinen; s. Kap.
17).
■ Corynebacterium diphtheriae
■ Neisseria gonorrhoeae.
416
Abb. 18.9 : Tonsillitis durch β-hämolysierende
Streptokokken der Gruppe A (Streptococcus
pyogenes).
Stark gerötete Mandeln mit weißlich gelbem Belag (mit freundlicher Genehmigung
von J.A. Innes).
Alle genannten Bakterien halten sich gut auf Schleimhautoberflächen und dringen
manchmal ins lokale Gewebe ein.
■ Otitis media, Sinusitis, Mastoiditis (s. unten): bei lokaler Ausbreitung von S.
pyogenes
417
später ganz rot. Der Ausschlag beginnt als Rötung/Erythem im Gesicht und breitet
sich über den ganzen Körper aus – ausgespart bleiben nur Handteller und
Fußsohlen. Im geröteten Gesicht bildet sich zirkumoral ein blasses
„Scharlachdreieck“. Innerhalb einer Woche blasst der Ausschlag ab, danach
schält sich die Haut (starke Desquamation). Die Hautläsionen selbst sind nicht
besonders schlimm, aber Ausdruck einer Infektion durch potenziell schädliche
Streptokokken. Vor der Antibiotika-Ära kam es bei systemischer Ausbreitung der
Erreger zu Zellulitis und Septikämie.
418
Abb. 18.10 Scharlach.
a) 2–3 Wochen nach dem punktförmigen Hauterythem schält sich die Haut; b)
die anfangs belegte Zunge wird zur „Erdbeer-“ oder „Himbeerzunge“ und wirkt
mit den hervortretenden Papillen wie roh (mit freundlicher Genehmigung von
W.E. Farrar).
18.2.4 Diagnose
Zur Identifizierung von Bakterien wird eine Kultur der Rachenabstriche angelegt (s.
Kap. 32). Besonders wichtig ist die Diagnose einer S.-pyogenes-Infektion, zum einen
wegen der oben genannten Komplikationen, zum anderen aber auch, weil sie noch
immer auf Penicillin anspricht (im Unterschied zu S. pneumoniae). Ein
Latexantigentest würde zwar eine rasche Diagnose direkt aus dem Rachenabstrich
419
ermöglichen, ist aber noch nicht allgemein verbreitet; daher bleiben Bakterienkulturen
weiterhin Standard. Streptokokken entwickeln zunehmend eine Resistenz gegen
Erythromycin und Tetracyclin.
18.3 Parotitis
Nach der ersten Replikation im Epithel der oberen Atemwege oder des Auges breitet
sich das Virus systemisch im Körper aus. Es durchläuft eine längere Wachstumsperiode
in Zellen des Lymphgewebes (Lymphozyten und Monozyten) sowie
retikuloendothelialen Zellen und kehrt nach etwa 7–10 Tagen zurück ins Blut. Es siedelt
sich in Speichel- und anderen Drüsen an, kann aber auch ZNS, Hoden, Pankreas oder
Ovar befallen (Abb. 18.11). Durch Degeneration infizierter Zellen in den
Drüsenausführungsgängen entwickelt sich eine Entzündung (mit
Lymphozyteninfiltraten, oft auch Ödembildung), die schließlich nach einer
Inkubationszeit von 18–21 Tagen in das Mumps-Krankheitsbild übergeht.
420
Abb. 18.11 Mumps-Pathogenese.
Aus der Entwicklung der Infektion lassen sich Krankheitsbild, Ausbreitung und
Komplikationen besser verstehen; über die Abläufe in der ersten Infektionswoche
weiß man aber noch wenig.
Nach einer Prodromalphase von 1–2 Tagen mit allgemeinem Krankheitsgefühl und
Appetitverlust schwillt die Glandula parotis an und wird schmerz- und
druckempfindlich. Manchmal ist auch die Glandula submandibularis beteiligt (Abb.
18.12). Diese klassischen Mumpssymptome sind allerdings nur in 30–40% der Fälle
vorhanden.
Da auch andere Körpergewebe betroffen sein können, führt z.B. die Entzündung von
Hoden oder Pankreas zur Orchitis bzw. Pankreatitis (Tab. 18.7). Nachdem antikörper-
und zellvermittelte Immunreaktionen in Erscheinung getreten sind, erholen sich die
meisten Patienten innerhalb einer Woche und sind danach ihr Leben lang immun gegen
eine erneute Mumpsinfektion.
421
Mumps wird anhand der Parotitis diagnostiziert
Die Labordiagnostik umfasst:
Als in Großbritannien über Fälle von Autismus und Darmerkrankungen nach der
Impfung berichtet wurde, wurde der Impfstoff kontrovers diskutiert. Doch in einer
Reihe epidemiologischer Studien wurde der vermutete Zusammenhang nicht bestätigt.
422
Tab. 18.7 Mumps-Pathogenese: klinische Folgen der
Gewebeinvasion durch das Virus
Zum Spektrum der sekundären Invasoren zählen dieselben Bakterien wie bei oberen
Atemwegsinfektionen (neben S. pneumoniae und H. influenzae gelegentlich Anaerobier
wie Bacteroides fragilis). Wichtigste Komplikation ist ein Hirnabszess (s. Kap. 24).
Kommt es aufgrund einer allergischen Schleimhautschwellung zur Verlegung der
Ohrtrompete (Tuba auditoria [Eustachii]) oder der Nebenhöhlenöffnungen – und damit
zur Störung der mukoziliaren Clearance –, trägt die lokale Anhäufung entzündlich-
bakterieller Produkte noch weiter zur Schwellung und Verlegung bei.
423
18.4.1 Akute Mittelohrentzündung (Otitis media)
An eine akute Otitis media sollte bei Kindern auch gedacht werden, wenn
unspezifische Allgemeinsymptome wie unerklärliches Fieber, Durchfall oder
Erbrechen auftreten. Im Spätstadium ist bei der Ohrspiegelung eine Gefäßdilatation
und Vorwölbung des Trommelfells zu sehen (Abb. 18.13). Trotz Therapie staut sich
oft wochen- oder monatelang klebrige Flüssigkeit im Mittelohr, die bei Säuglingen
und Kleinkindern zu Hörschäden und Lernschwierigkeiten beitragen kann.
Wenn eine akute Entzündung nicht ausreichend behandelt wird, droht eine chronische
Infektion, bei der sich über das perforierte Trommelfell chronisch Sekret/Eiter
entleert und das Hörvermögen stark eingeschränkt ist (chronisch suppurative/purulente
Otitis media).
Abb. 18.13 Vorgewölbtes Trommelfell bei akuter
Mittelohrentzündung (Otitis media acuta).
424
Staphylococcus aureus, Candida albicans und
Gram-negative, opportunistische Bakterien sind die
häufigsten Auslöser
Auch Infektionen des äußeren Ohres können Reizungen und Schmerzen hervorrufen
und müssen von einer Otitis media abgegrenzt werden. Im Unterschied zum Mittelohr
hat der äußere Gehörgang eine ähnliche Flora wie die Haut (Staphylokokken,
Corynebakterien und in geringerem Umfang Propionibakterien). Daher finden sich bei
einer Otitis externa nur selten die typischen Erreger einer Otitis media. Die feucht-
warme Umgebung begünstigt das Wachstum von S. aureus, Candida albicans oder
Gram-negativen opportunistischen Bakterien wie Proteus spp. und Pseudomonas
aeruginosa.
Polymyxin oder andere Antibiotika enthaltende Ohrentropfen eignen sich meist zur
Behandlung.
425
Die akute Epiglottitis ist ein Notfall und erfordert
sofortige Intubation und Antibiotikatherapie!
Kennzeichnend für eine akute Epiglottitis sind Atemschwierigkeiten infolge der
Atemwegsobstruktion. Solange die Atemwege noch nicht (durch Intubation)
stabilisiert wurden, darf die Untersuchung nur mit äußerster Vorsicht erfolgen, weil ein
vollständiger Verschluss provoziert würde, wenn die geschwollene Epiglottis in die
ödematöse Luftröhre gerät.
Die Behandlung muss unverzüglich mit Antibiotika, die gegen H. influenzae wirksam
sind (z.B. Cefotaxim), beginnen. Durch Erregerisolierung aus dem Blut und evtl. aus
einem Abstrich der Epiglottis lässt sich die klinische Diagnose sichern. Seit der
Einführung des H.-influenzae-Typ-B-Impfstoffs (Hib-Impfung) hat sich die Häufigkeit
der akuten Epiglottitis und anderer H.-influenzae-Infektionen deutlich verringert.
Bei einer Atemwegsobstruktion durch Diphtherie (s. unten) kann die Uvula beteiligt
sein, wenn sich die typische Pseudomembranbildung und lokale Schwellung vom
Pharynx bis dorthin erstreckt.
18.6 Mundhöhleninfektionen
Täglich sondern Speicheldrüsen etwa einen Liter Speichel ab, der den Mund
(mechanisch) spült. Im Speichel sind aber auch sekretorische Antikörper,
polymorphkernige Leukozyten, abgeschilferte Schleimhautzellen und antibakterielle
Substanzen wie Lysozym und Laktoperoxidase enthalten. Wenn der Speichelfluss (z.B.
zwischen den Mahlzeiten) nur für ein paar Stunden nachlässt, vervierfacht sich die Zahl
der Bakterien im Speichel. Bei dehydrierten oder schwer kranken Patienten (Typhus,
Pneumonie) kann die bakterielle Überwucherung zu Mundfäule führen.
426
18.6.1 Orale Candidiasis
Ein anderes Beispiel für den fließenden Übergang zwischen harmloser Koexistenz
residenter Keime und Gewebeinvasion zeigt sich bei Vitamin-C-Mangel: Er
verringert die Resistenz der Schleimhaut und ermöglicht so eine Zahnfleischinfektion
(Gingivitis) durch Keime der Normalflora.
Abb. 18.14 Orale Candidiasis.
18.6.2 Karies
427
Bei 80–90% der Menschen in den USA und
Westeuropa ist die Mundhöhle mit Streptococcus
mutans, dem Auslöser der Zahnkaries, besiedelt
Speziell an das Leben im Zahnbereich angepasste Mikroorganismen bilden einen Film
auf der Zahnoberfläche (sog. Plaque). In dieser komplexen Masse sind 109 Bakterien
pro Gramm in eine Polysaccharid-Grundsubstanz eingebettet (Abb. 18.15). Roter
Farbstoff wie Erythrocin kann (im Mund gekaut) den Zahnfilm sichtbar machen. Auch
wenn sich Plaque durch gründliches Zähneputzen weitgehend beseitigen lässt, bildet
sie sich innerhalb weniger Stunden wieder neu.
Zuerst werden die gereinigten Zähne von Glykoproteinen aus dem Speichel
überzogen, an die sich dann Streptokokken (besonders S. mutans und S. sobrinus)
heften und vermehren. In den USA und Westeuropa ist z.B. bei 80–90% der
Menschen die Mundhöhle mit S. mutans besiedelt. Zwischen den Streptokokken bildet
sich eine Grundsubstanz aus Glucanen (von S. mutans aus Zucker synthetisierte
klebrige, hochmolekulare Polysaccharide). Auch andere Bakterien, darunter anaerobe
filamentöse Fusobakterien und Aktinomyzeten, sind in der Plaque vorhanden. Werden
die Zähne mehrere Tage lang nicht geputzt, verdickt sich die Plaque und dehnt sich
immer weiter aus.
428
Abb. 18.15 Zahn eines Kindes mit tief reichender
Plaquebildung.
18.6.3 Parodontalerkrankungen
Wenn sich die Spalten bei Parodontalerkrankung vergrößern und entzünden, bilden
sich Taschen (mit Zunahme der polymorphkernigen Leukozyten und serösem
Exsudat). Das entzündete Zahnfleisch blutet leicht. Später weicht es zurück. Die
Bakterienvermehrung führt zu Mundgeruch (Halitosis). Schließlich sind auch noch
die Haltestrukturen betroffen, durch Resorption der Zahnbänder und Knochenschwund
lockern sich die Zähne. Parodontopathien mit Gingivitis sind nahezu universell
verbreitet, wenn auch von unterschiedlicher Schwere, und Hauptursache des
Zahnausfalls bei Erwachsenen.
429
18.7 Laryngitis und Tracheitis
Bei Erwachsenen äußert sich eine Infektion von Larynx (Laryngitis) oder Trachea
(Tracheitis) durch Heiserkeit und brennende Retrosternalschmerzen beim Ein- und
Ausatmen. Wegen der starren Knorpelspangen in der Wand und der Enge von Larynx
oder Trachea kann es bei Kindern leicht zur Obstruktion kommen. Ein Anschwellen der
Schleimhaut kann zu Krupphusten führen, einem trockenen Husten mit inspiratorischem
Stridor („Pfeifen“). Bei Atemschwierigkeiten kann eine stationäre Behandlung
erforderlich sein.
Streptokokken der Gruppe A, H. influenzae und S. aureus sind seltener Ursache einer
Laryngitis und Tracheitis.
18.8 Diphtherie
Die schwerste Form der Erkrankung ist eine nasopharyngeale Diphtherie. Wenn der
Kehlkopf beteiligt ist, kann es zu einer lebensgefährlichen Atemwegsobstruktion
kommen. Wenn sich die Infektion auf den vorderen Nasenbereich beschränkt, verläuft
die Diphtherie milder, weil das Toxin an der Stelle schlechter resorbiert wird und eine
430
laufende Nase (Sekret) das stärkste Symptom sein kann. Doch diese Patienten sind hoch
ansteckend.
Typische „Pseudomembran“ und lokale Entzündung bei einem Kind mit Diphtherie
(mit freundlicher Genehmigung von Norman Begg).
431
Abb. 18.17 Wirkmechanismen des Diphtherietoxins.
Die Produktion des Toxins ist auf Genen von temperenten Bakteriophagen
verschlüsselt. Diese werden während der lysogenen Phase ins Bakterienchromosom
integriert. Diphtherietoxin wird als einzelnes Polypeptid (Molekulargewicht von
62000 und 535 Aminosäuren) synthetisiert und besteht aus:
Das A-Fragment entsteht nur, wenn das Toxin nach der Aufnahme in Zellen durch
Proteasen gespalten und seine Disulfidbrücken reduziert wurden. Es kann den
Elongationsfaktor 2 (EF-2) durch Adenosindiphosphat(ADP)-Ribosylierung
inaktivieren, d.h. die Proteinsynthese hemmen (Abb. 18.17). Da an der
prokaryotischen und mitochondrialen Proteinsynthese ein anderer EF beteiligt ist, sind
sie nicht betroffen. Ein einzelnes Bakterium kann bis zu 5000 Toxinmoleküle pro
Stunde produzieren. Das toxische A-Fragment ist so stabil, dass ein einzelnes Molekül
432
ausreicht, um die infizierte Zelle abzutöten. Aus unbekannten Gründen sind besonders
Myokard- und periphere Nervenzellen empfindlich gegenüber Diphtherietoxin.
433
Zusammenfassung
■ Da der Respirationstrakt von der Nase bis zu den Alveolen ein Kontinuum
darstellt, können Erreger gleich in mehreren Abschnitten Krankheiten auslösen.
■ Einige Atemwegsinfektionen (Grippe/Influenza, Diphtherie,
Keuchhusten/Pertussis) bleiben auf das Oberflächenepithel beschränkt, während sich
andere (z.B. durch Masern-, Röteln-, Mumpsvirus, CMV, EBV) im ganzen Körper
ausbreiten.
■ „Professionelle“ Erreger (wie Erkältungs-, Influenzaviren, Mumpsvirus, CMV,
EBV, M. tuberculosis) können den gesunden Respirationstrakt infizieren, während
eine Erkrankung durch „sekundäre“ Infektionsauslöser (z.B. Staphylococcus aureus,
Pneumocystis jiroveci, Pseudomonaden) erst nach Schwächung der Wirtsabwehr
möglich wird.
■ Erkrankungen der Zähne und benachbarter Strukturen (Karies, Parodontitis)
sind häufig bakteriell bedingt.
■ Diphtherie ist eine lebensgefährliche Erkrankung durch ein biochemisch
definiertes Bakterientoxin, lässt sich aber durch eine Schutzimpfung verhindern.
FRAGEN
In der Ambulanz der Intensivstation wird ein 18 Monate altes Mädchen vorgestellt,
das in den frühen Morgenstunden schreiend und mit Fieber aufgewacht war und sich
von den Eltern nicht beruhigen lieβ. Seit drei Tagen hatte es eine Erkältung mit
Schnupfen. Bei der Untersuchung des erhitzten, reizbaren Mädchens sind beide
Trommelfelle hellrot und vorgewölbt.
1 Wie lautet die Diagnose?
2 Welche Erreger kommen am ehesten als Auslöser in Betracht?
3 Wie würden Sie das Kind behandeln?
4 Mit welchen Komplikationen ist zu rechnen?
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Adam, D., Doerr, H.W., Link, H., Lode, H.: Die Infektiologie. Springer Verlag, 2004.
Efstratiou, A., George, R.C.: Microbiology and epidemiology of diphtheria. Rev. Med.
Microbiol. 7 (1996) 31–42.
Fischetti, V.A.: Streptococcal M protein: molecular design and biological behavior.
Clin. Microb. Rev. 2 (1989) 285–314.
Henderson, F.W., Collier, A.M., Sanyal, M.A. et al.: A longitudinal study of
respiratory viruses and bacteria in the etiology of acute otitis media with effusion. N.
Engl. J. Med. 366 (1982) 1377–1383.
McMillan, J.A., Sandstrom, C., Weiner, L.B. et al.: Viral and bacterial organisms
associated with acute pharyngitis in a school-aged population. J. Paediatr. 109 (1986)
747–752.
Shaw, J.H.: Causes and control of dental caries. N. Engl. J. Med. 317 (1987) 996.
434
19 Untere Atemwegsinfektionen
19.1 Akute Infektionen 233
435
Untere Atemwegsinfektionen lassen sich in akut und
chronisch verlaufende unterteilen
Zu den akuten Infektionen gehören vier wichtige Syndrome:
■ Akute Bronchitis
■ Akute Bronchiolitis
■ Pneumonie
Eine Sonderstellung nimmt die Grippe (Influenza) ein, die in schweren Fällen in eine
Bronchitis oder Pneumonie übergehen kann. Als ernste und akute Infektion des unteren
Respirationstrakts wird auch Keuchhusten in diesem Abschnitt behandelt.
19.1.1 Keuchhusten
436
Bei einer B.-pertussis-Infektion werden verschiedene
Toxine gebildet
Einige dieser Toxine rufen Entzündungen hervor, andere schädigen das
Flimmerepithel.
■ Pertussistoxin besteht ähnlich wie Diphtherie- und andere Toxine (s. Kap. 17
und 18) aus zwei Untereinheiten. Aktiver Bestandteil (A-Einheit) ist eine
Adenosindiphosphat(ADP)-Ribosyltransferase; sie katalysiert den Transfer von
ADP-Ribose aus Nicotinamid-Adenin-Dinucleotiden (NAD) auf Zellproteine des
Wirts. Das hat funktionelle Folgen, weil die Signalübertragung zu den befallenen
Zellen unterbrochen wird. Das Toxin wirkt vermutlich zusätzlich direkt auf die
Zelloberfläche.
Im Frühstadium von Keuchhusten ist das klinische Bild unspezifisch, so dass die
richtige Diagnose oft erst aufgrund der Hustenattacken im Stadium convulsivum
gestellt werden kann. Auf geeigneten Kulturmedien oder „Hustenplatten“ (s. Kap. 32
und Anhang) kann B. pertussis aus Rachenabstrichen isoliert werden. Es handelt sich
jedoch um einen anspruchsvollen Erreger, der außerhalb der Wirtsumgebung nicht gut
überleben kann.
437
Abb. 19.1 Bei Keuchhusten zeigt die Thorax-
Röntgenaufnahme eine fleckige Verschattung der
Lunge mit Kollaps des rechten Mittellappens.
Obwohl die Behandlung oft erst im konvulsiven Stadium begonnen wird (wenn sich
anhand der Hustenanfälle die richtige Diagnose stellen lässt), scheint sie die Schwere
und Krankheitsdauer günstig zu beeinflussen. Sowohl die Gefahr, dass die Infektion
auf den Hals übergreift (und damit die Infektiosität der Patienten steigt), als auch das
Risiko einer Sekundärinfektion werden durch die Behandlung verringert.
Um die Ausbreitung der Infektion einzudämmen, empfiehlt sich für alle, die engen
Kontakt zu akut Erkrankten hatten, eine Erythromycin-Prophylaxe.
438
Viele Jahre wurde eine Vollbakterienvakzine (Suspension abgetöteter B.-pertussis-
Zellen) verwendet und meist als Kombinationsimpfung mit einer „Tripelvakzine“
(DPTImpfstoff, enthält auch noch gereinigte Diphtherie- und Tetanustoxoide)
durchgeführt. Im Allgemeinen ist die Effektivität der Pertussisimpfung hoch, jedoch
variabel. Außerdem machte man sich in den letzten Jahren vermehrt Sorgen um die
Nebenwirkungen:
■ Bis zu 20% der Säuglinge können mit leichten Beschwerden wie Fieber,
allgemeinem Krankheitsgefühl und Schmerzen an der Injektionsstelle reagieren.
■ Bei etwa 0,5% der Geimpften können Krämpfe mit der Verabreichung des
Impfstoffes assoziiert sein.
Als die Zahl der Impfungen aus Angst vor möglichen Nebenwirkungen spürbar
zurückging, stieg die Keuchhusten-Inzidenz in der Folgezeit merklich an (s. Kap.
31). Mittlerweile wird konzentriert an der Entwicklung von Komponentenimpfstoffen
gearbeitet, die nur noch die protektiven Antigene enthalten. Schwierig war nur, diese
Antigene zu identifizieren; Kombinationen aus inaktiviertem Pertussis-Toxin und
filamentösem Hämagglutinin erscheinen vielversprechend und sind in Deutschland,
Japan und einigen anderen Ländern bereits als Impfstoff im Einsatz.
439
Infektion ist nur ein Faktor bei chronischer Bronchitis
Als chronische Bronchitis wird ein Zustand mit Husten und starker Schleimsekretion
im Bronchialbaum bezeichnet, der sich keiner spezifischen Krankheit (wie
Bronchiektasie, Asthma oder Tuberkulose) zuschreiben lässt. Bei diesem Syndrom
scheint eine Infektion nur ein Faktor von vielen zu sein (z.B. neben Rauchen und der
Inhalation von Feinstaub oder Dämpfen am Arbeitsplatz).
Obwohl bakterielle Infektionen nicht die unmittelbaren Auslöser sind, können sie
erheblich zur Fortdauer der Erkrankung beitragen und die typischen akuten
Exazerbationen bewirken. Aus dem Sputum werden am häufigsten S. pneumoniae und
unbekapselte Stämme von H. influenzae isoliert, doch es ist schwierig, allein daraus
ihre pathogene Bedeutung zu beurteilen. Da sie auch in der normalen Rachenflora
vorkommen, könnte es sich um eine zufällige Kontamination des Auswurfs handeln.
Staphylococcus aureus und Mycoplasma pneumoniae sind selten für Infektion und
Exazerbation verantwortlich. Viren sind meist Ursache einer akuten Infektion.
Im Fall von akuten Exazerbationen kann eine Antibiotikatherapie sinnvoll sein, auch
wenn sich die Wirksamkeit schwer beurteilen lässt.
19.1.4 Bronchiolitis
19.1.5 Respiratory-Syncytial-Virus-(RSV)-Infektionen
440
Die durch Tröpfchen und in gewissem Umfang auch über die Hände übertragbaren
RSV-Infektionen brechen regelmäßig im Winter (Abb. 19.3) aus und können sich in
Krankenhäusern und in der Bevölkerung rasch ausbreiten. Im zweiten Lebensjahr hat
sich bereits fast jeder infiziert. Einer von 100 Säuglingen mit RSV-Bronchiolitis oder -
Pneumonie muss ins Krankenhaus eingeliefert werden.
RSV-Infektionen älterer (Klein-) Kinder und Erwachsener bleiben auf die oberen
Atemwege beschränkt und rufen nur schwächere Erkältungssymptome hervor. Relativ
häufig entwickelt sich eine Otitis media. Bakterielle Sekundärinfektionen sind selten.
441
Abb. 19.2 Phagozytose opsonierter
Mycoplasmapneumoniae-Zellen (Pfeile) durch
einen Alveolarmakrophagen (Strichdicke 2 μm).
442
In den Quartalsberichten aus England und Wales sind deutlich die saisonalen
Schwankungen bei RSV-Infektionen erkennbar [nach einer Grafik des
Communicable Disease Surveillance Centre].
Ribavirin ist ein antivirales Mittel, das gelegentlich erfolgreich in Aerosolform bei
schweren Verlaufsformen eingesetzt wurde. Ein Impfstoff steht bislang noch nicht zur
Verfügung.
443
19.1.6 Pulmonalerkrankung durch Hantaviren
Im Südwesten der USA traten 1993 mehrere Fälle einer schweren
Pulmonalerkrankung auf, nachdem sich Menschen mit dem Sin-Nombre-Virus (einem
Hantavirus wilder Nagetiere) infiziert hatten. Die Invasion des Kapillarendothels führte
zum Übertritt von Flüssigkeit in die Lunge. Nach offiziellen Zahlen starben an dieser
Virusinfektion mindestens 26 Menschen.
Abb. 19.4 Immunfluoreszenzmethode.
Präparat mit RSV-infizierten (grün leuchtenden) Zellen aus dem Nasopharynx (mit
freundlicher Genehmigung von H. Stern).
19.1.7 Pneumonie
Die Pneumonie galt lange Zeit als „Freund des alten Mannes“. In Europa und den USA
ist sie die häufigste Infektions-assoziierte Todesursache. Als Auslöser kommt ein
breites Erregerspektrum in Frage, doch die Symptome sind kaum voneinander zu
unterscheiden. Daher stellt weniger die klinische Diagnose der Pneumonie (außer
vielleicht bei Kindern, hier ist es etwas schwieriger) als vielmehr die
Erregeridentifizierung durch geeignete Labormethoden (s. Anhang) die eigentliche
Herausforderung dar. Ohne Erregeridentifizierung wird aber möglicherweise nicht die
optimale Therapie gewählt.
444
Gesunde sind nur anfällig für eine Infektion mit Pathogenen, die sich über bestimmte
Adhäsine am Atemwegsepithel festheften können. Menschen mit eingeschränkter
Immunlage (z.B. aufgrund einer Immunschwäche/-suppression, einer viralen
Vorschädigung oder einer zystischen Fibrose) können sich jedoch auch mit
opportunistischen Erregern infizieren, die normalerweise nicht krank machen (z.B.
Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie von AIDS-Patienten).
445
Ein breites Erregerspektrum kann Pneumonien
auslösen
Ein wichtiger Faktor ist das Alter (Tab. 19.1):
446
Thoraxröntgenaufnahmen zeigen bei viralen Pneumonien häufiger eine
charakteristische interstitielle Beteiligung (Abb. 19.5c) als bei bakteriellen
Infektionen. Aus Gründen der größeren Klarheit werden hier beide getrennt
beschrieben. RSV-Infektionen wurden bereits besprochen und die speziell bei
immungeschwächten Patienten mit Pneumonie assoziierten opportunistischen Erreger
wie P. jiroveci sind in Kap. 30 beschrieben.
Bakterielle Pneumonie
447
Abb. 19.5 Vier Arten von Pneumonie.
448
Abb. 19.6 Potenziell können viele Erreger eine
Pneumonie des Erwachsenen verursachen.
449
Tab. 19.2 Häufigste Pneumonie-Ursachen in der (Normal-)
Bevölkerung, Studienergebnisse aus drei Ländern.
*
da bei einigen Patienten mehr als ein Erreger isoliert werden konnte, ergeben sich bei der
Addition über 100%
■ Kurzatmigkeit
Bei manchen Infektionen beschränken sich die Symptome im Wesentlichen auf den
Brustbereich. Doch die von L. pneumophila verursachte Legionärskrankheit wirkt
sich systemisch aus, so dass es zu geistiger Verwirrtheit (Desorientiertheit), Diarrhoe
und Anzeichen einer Nierenoder Leberfunktionsstörung kommen kann. In der Regel
450
ist die Unterscheidung zwischen Lokal- und Allgemeinsymptomen aber nicht so
zuverlässig, dass sie ausreichen würde, die richtige Diagnose zu stellen.
Ehe sich Veränderungen im Röntgenbild zeigen, können bereits bei der körperlichen
Untersuchung auffällige Rasseloder Knistergeräusche zu hören und
Verdichtungszeichen erkennbar sein.
451
Gängige Labormethoden für Sputumproben von
Pneumonie-Patienten sind Gram-Färbung und Kultur
Nach Gram-Färbung (s. Kap. 32) des Sputums lässt sich innerhalb weniger Minuten
eine (Verdachts-) Diagnose stellen, wenn in dem Film eine
Leukozytenvermehrung (als Form der Wirtsreaktion) und der mutmaßliche Erreger
erkennbar sind (typisch für S. pneumoniae z.B. Gram-positive Diplokokken; Abb.
19.7). Sind nur Keime, aber keine polymorphkernigen Leukozyten zu sehen, spricht
das eher für eine Kontamination der Probe als für eine Infektion. Wichtig ist aber,
daran zu denken, dass eine adäquate Leukozyten-Reaktion bei immungeschwächten
Patienten nicht mehr möglich ist. Und nicht zu vergessen: mit Ausnahme von L.
pneumophila sind atypische Pneumonie-Erreger in Gram-gefärbten Ausstrichen
(Abb. 19.8) nicht erkennbar.
Abb. 19.7 Sputumausstrich.
Die Gram-Färbung ermöglicht eine rasche Diagnose, wenn wie hier zahlreiche,
für Pneumokokkenpneumonie typische Gram-positive Diplokokken und
polymorphkernige Leukozyten erkennbar sind. Doch viele wichtige Pneumonie-
Erreger werden durch die Gram-Färbung nicht angefärbt.
Mit Erfolg wurden auch Schnellverfahren (ohne Anzüchtung) zur Diagnose einer
Pneumokokkenpneumonie erprobt. Durch Agglutination mit Antikörper-
beschichteten Latexpartikeln (s. Kap. 32) kann Pneumokokkenantigen sowohl in
Sputum- als auch in Urinproben nachgewiesen werden, da es auch im Urin
ausgeschieden wird. Das Ergebnis liegt innerhalb einer Stunde nach der
Probengewinnung vor. Doch die Antibiotika-Empfindlichkeit kann erst nach der
Erregerisolierung getestet werden.
452
Abb. 19.8 Legionella pneumophila.
Schwieriger ist die Wahl der Therapie, wenn kein Sputum produziert oder kein
Erreger darin festgestellt wird. Es ist daher wichtig, eine ausführliche Anamnese zu
erheben und bei Bedarf auf invasive diagnostische Methoden zurückzugreifen, um
die Ursache herauszufinden.
453
Tab. 19.3 Serologische Diagnose einer atypischen Pneumonie.
ELISA = enzyme-linked immunosorbent assay
454
455
Verringerung der Expositionsgefahr oder eine
Pneumokokken-Schutzimpfung nach Splenektomie
und bei Sichelzellkrankheit dienen als Maßnahmen
zur Prävention
Respiratorische Infektionen werden normalerweise durch Tröpfchen in der Luft
übertragen, so dass ihre Ausbreitung praktisch nicht verhindert werden kann. Etwas
geringer ist die Infektionsgefahr, wenn größere Menschenansammlungen gemieden
und Räume gut belüftet werden. Andere Infektionsquellen, z.B. Kontakt mit kranken
Tieren (Q-Fieber) oder Vögeln (Psittakose), lassen sich oft besser umgehen. Nach
ausgiebiger Untersuchung der Legionellen-Kontamination von Klimaanlagen und
Warmwasserleitungen sind jetzt in vielen Ländern Vorschriften für die technischen
Versorgungsunternehmen in Kraft.
Viruspneumonie
456
Tab. 19.5 Viruspneumonie
Selbst wenn Viren dieser Gruppe nicht direkte Auslöser einer Pneumonie sind,
können sie die Abwehrkräfte im Respirationstrakt so weit schädigen, dass eine
457
bakterielle (Sekundär-) Pneumonie begünstigt wird. Manchmal breiten sich Viren
nicht weiter in den Luftwegen aus, sondern bleiben im interstitiellen Gewebe und
verursachen eine interstitielle Pneumonie. Ein Beispiel ist das Zytomegalievirus,
das bei Patienten, die unter einer immunsuppressiven Therapie stehen (z.B. nach
Knochenmarktransplantation), eine CMV-Pneumonie hervorruft.
Parainfluenzavirusinfektion
Neben RSV sind Parainfluenzaviren die wahrscheinlichste Ursache von unteren
Atemwegsinfektionen, Krupp und Pneumonie bei Kindern.
Adenovirusinfektion
458
nachzuweisen waren. Bei Soldaten wurde eine Schluckimpfung (dünndarmlösliche
Kapseln mit Typ 4 und 7) erprobt, diese konnte sich allerdings nicht etablieren.
Metapneumovirus(hMPV)-Infektion
Das 2001 in Holland entdeckte „human metapneumovirus“ (hMPV) ist eng mit RSV
verwandt und befällt die Atemwege. Infektionen scheinen vor allem in den
Wintermonaten aufzutreten. Das Krankheitsspektrum reicht von leichten Beschwerden
bis hin zu Bronchiolitis und Pneumonie mit Fieber, Schnupfen, Husten,
Halsentzündung und Keuchatmung. Betroffen sind vor allem Säuglinge und
Kleinkinder, und einige Berichte lassen darauf schließen, dass die meisten Kinder
unter fünf Jahren bereits eine hMPV-Infektion durchgemacht haben. Da hMPV aber
auch bei älteren Kindern und Erwachsenen nachzuweisen ist, können offenbar auch
Reinfektionen vorkommen.
Influenzavirusinfektion
459
Das einzelsträngige RNA-Genom ist in Segmente unterteilt, deren Umsortierung bei
der Replikation zu Viren mit neuer H-N-Antigen-Kombination führen kann. Daher
können Zellen von mehreren Virusstämmen gleichzeitig infiziert sein.
Abb. 19.9 a) Influenza-A-Viruspartikel; b)
Detailvergrößerung der Oberflächen-Spikes aus
Hämagglutinin (H) und Neuraminidase (N).
Ein Viruspartikel hat ca. 500 H-Spikes (für seine Bindung an Wirtszellen) und
rund 100 N-Spikes (für die Ablösung von der Zelloberfläche). Mit der Fusion
von Virushülle und Plasmamembran beginnt die Infektion der Zellen, danach
löst sich das Virus von der Oberfläche. Eng mit bestimmten RNA-Abschnitten
verbundene Nukleo- und Polymeraseproteine bilden Ribonukleoprotein (RNP).
Vom Ende her betrachtet sieht das N-Tetramer wie ein Propeller aus. Die
Detailansicht (b) zeigt je ein H-Trimer und N-Tetramer, deren dreidimensionale
Struktur aus röntgenkristallographischen Untersuchungen bekannt ist. c)
Elektronenmikroskopisches Schnittbild von Influenzaviruspartikeln; 300000 ×
vergr. (mit freundlicher Genehmigung von D. Hockley)
460
Bei ihrer Ausbreitung innerhalb einer Wirtsspezies
verändern sich Influenzaviren genetisch
Man unterscheidet zwei Arten genetischer Veränderungen:
461
Tab. 19.6 Pandemische humane Influenzaviren
*
Antigen-Shift bei Influenza-A-Viren an neuen N- und H-Antigen-
Kombinationen erkennbar
**
Aminosäuren- und Basensequenzanalyse lassen vermuten, dass es sich
bei H3N2 um eine Rekombination von H3N8 (Enten) mit H2N2 handeln könnte
Die meisten der bekannten 13 H- und 9 N-Typen kommen bei Vögeln vor. Von den
117 möglichen H-N-Kombinationen wurden 71 bei Vögeln gefunden, besonders bei
Enten. Manchmal führen sie zu schweren Epidemien bei Hühnern und Truthähnen.
Influenza-A-Viren können auch Schweine, Pferde, Robben und andere Säugetiere
infizieren, was angesichts ihrer Fähigkeit zu N-H-Umstellungen die „Mischgefäß-
Hypothese“ erklären kann: Da in einigen Ländern z.B. Bauern und Schweine im
selben Raum leben, besteht die Möglichkeit, dass sich Influenzaviren mischen und
neue Stämme auftauchen.
462
Die Übertragung von Influenzaviren erfolgt durch
Tröpfcheninfektion (Inhalation)
Grippe tritt auf der ganzen Welt auf, aber fast ausnahmslos in den kälteren
Monaten des Jahres (außer in den Tropen). Das liegt zum großen Teil daran, dass
sich Menschen bei kaltem Wetter bevorzugt in geschlossenen Räumen aufhalten, wo
die eingeschränkte Frischluftzufuhr die gegenseitige Ansteckung begünstigt,
vielleicht aber auch an einer schwächeren Immunlage in kälteren Monaten. Wie
aktiveine Grippevirusinfektion ist, lässt sich nicht nur an der steigenden Zahl von
Patienten ablesen, die einen Arzt aufsuchen, sondern auch an der erhöhten Letalität
akuter Atemwegserkrankungen (wie Pneumonien), gerade bei älteren Menschen
(Abb. 19.11).
Abb. 19.11 Das Auftreten einer Grippewelle
spiegelt sich in einem allgemeinen Anstieg der
Todesfälle infolge akuter Atemwegserkrankungen
wider.
Parallel zu den Meldungen über Neuerkrankungen an Grippe steigt die Zahl der
Todesfälle, die sich auf Grippe, Pneumonie und Bronchitis zurückführen lassen.
Hier wurden Angaben aus England und Wales für die Monate Oktober bis Mai
(1971–1983) dargestellt. Spitzenwerte sind durch die Ausbreitung verschiedener
Influenza-A- (H3N2 und H1N1) und Influenza-B-Virusstämme (durch Pfeile
markiert) in der Bevölkerung zu erklären [nach Daten des Office of Population,
Censuses and Surveys].
463
Etwa 1–3 Tage nach der Infektion verursachen aus den geschädigten Zellen und
infiltrierenden Leukozyten freigesetzte Zytokine dann Symptome wie Schüttelfrost,
Krankheitsgefühl, Fieber und Muskelschmerzen. Hinzu kommen Lokalsymptome
wie Schnupfen und Husten. Den meisten Erkrankten geht es innerhalb einer Woche
wieder besser. Direkte Zellschädigung und damit verbundene entzündliche Reaktion
können aber schwer genug sein, um eine Bronchitis oder eine interstitielle
Pneumonie zu verursachen.
Bei Menschen, die das 60. Lebensjahr überschritten haben, und Patienten mit
geschwächten Abwehrkräften infolge einer chronischen Herz-Kreislauf- oder
Nierenkrankheit ist die Letalität sekundär bakterieller Pneumonien erhöht. Auch
Schwangere sind anfälliger.
464
Am ersten oder zweiten Tag nach Ausbruch der Grippe kann eine Rachenspülung
durchgeführt werden, um das Virus nach Inokulation in Eier oder bestimmte
Zellkulturen zu isolieren. Das dauert jedoch einige Tage und ist eher für die
Gesundheitsbehörden wichtig (bei Infektionen mit neuen Virusstämmen) als
diagnostisch wegweisend bei einzelnen Patienten.
■ in Ei angezüchtete Viren, die gereinigt, mit Formalin inaktiviert und mit Äther
extrahiert, oder
SARS-assoziierte Coronavirusinfektion
Im November 2002 meldete die Volksrepublik China aus der Provinz Guangdong
Fälle einer akuten schweren Atemwegserkrankung ohne erkennbare Ursache. Der
Erreger breitete sich vor allem in Teilen Süd- und Südostasiens aus, erreichte aber
auch Kanada (Toronto) und vereinzelt noch 30 andere Länder. Die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnte im März 2003 weltweit vor dem
schweren akuten Atemwegssyndrom (SARS, severe acute respiratory syndrome).
Leitsymptome waren hohes Fieber (> 38°C), Husten, Atemstörungen oder Atemnot
und Anzeichen einer Pneumonie im Thoraxröntgen. Besonders hoch war die
Ansteckungsgefahr bei engem Kontakt zu SARS-Patienten; daher breitete sich die
Infektion hauptsächlich unter Familienmitgliedern und Pflegekräften im Krankenhaus
aus. Die Inkubationszeit betrug im Durchschnitt 2–7 (maximal 10) Tage.
465
Als neues Mitglied der Coronavirusfamilie konnte das SARS-assoziierte Coronavirus
(SARS-CoV) aus Zellkulturen isoliert und elektronenmikroskopisch sowie mit
molekularen Methoden identifiziert werden. Zu den Diagnoseverfahren gehören PCR
und serologische Untersuchungen. Die rasche Identifizierung des SARS-assoziierten
Coronavirus und die Infektionsbekämpfung in einem zuvor nie gekannten Ausmaß
(Gesichtsmasken, systematische Fieberkontrollen in der Bevölkerung und an
Flughäfen, unverzügliche Isolierung bei den ersten Krankheitszeichen) setzten in
Verbindung mit internationalen wissenschaftlichen Netzwerken und der sofortigen
Datenverfügbarkeit globale Maßstäbe für die Untersuchung neu auftretender
Krankheiten.
Bereits im Juli 2003, knapp vier Monate nachdem sich das Virus über den
internationalen Luftverkehr auf andere Länder auszubreiten begann, konnte die WHO
melden, dass alle bekannten Übertragungsketten (von Mensch zu Mensch) des SARS-
Virus abgerissen waren. Am stärksten betroffen waren das chinesische Festland
(5327 Erkrankungsfälle und 348 Tote) und Hongkong (1755 Erkrankungsfälle und
298 Tote).
466
Masernpneumonie
In den entwickelten Ländern ist eine sekundäre bakterielle Pneumonie heute eine
Seltenheit. Doch bei Kindern in den Entwicklungsländern ist sie noch immer eine
häufige Komplikation. Masern gehören weiterhin zu den Haupttodesursachen im
Kindesalter. Schwäche der Immunabwehr, unzureichende Impfprogramme,
Unterernährung (vor allem Vitamin-A-Mangel) und schlechte medizinische
Versorgung bei Komplikationen tragen dazu bei, dass sich das Wirt-Parasiten-
Gleichgewicht deutlich zugunsten des Virus verschiebt.
Zur stationären Aufnahme von Masernkranken führt fast immer eine Pneumonie,
doch auch eine Otitis media entwickelt sich recht häufig. Bei Kindern mit schwer
beeinträchtigter zellvermittelter Immunabwehr kann sich das Virus ungehemmt
vermehren, bis als seltene, aber meist tödliche Komplikation eine
Riesenzellpneumonie auftritt (Abb. 19.12). Auf weitere Komplikationen wird in
Kap. 26, speziell auf neurologische Komplikationen in Kap. 24 eingegangen.
467
Abb. 19.12 Masernpneumonie.
Die Diagnose lässt sich im Allgemeinen klinisch stellen. Doch wenn die Masern-
Inzidenz sehr niedrig ist, können spezifische IgM-Reaktionen, Virusisolierung und
Virus-RNA-Nachweis hilfreich sein.
Bevor in den sechziger Jahren der Impfstoff entwickelt wurde, erkrankten jährlich
weltweit 135 Millionen Menschen an Masern und 7–8 Millionen starben daran. Eine
Maserninfektion kann noch immer tödlich verlaufen, doch 1996 war die jährliche
Zahl der Todesfälle zumindest auf eine Million gesunken.
468
Abb. 19.13 Eulenaugenzelle (Einschlusskörperchen)
als typisches Zeichen einer
CMV(Zytomegalievirus)-Infektion.
CMV-Infektion
469
19.2 Chronische Infektionen
19.2.1 Tuberkulose
Ausgelöst wird die Infektion durch Inhalation von M. tuberculosis in Form von
Aerosol oder Feinstaub. Die Übertragung auf dem Luftweg ist sehr wirkungsvoll, da
Infizierte beim Husten enorm viele Mykobakterien in die Umgebung ausstoßen, wo
sie sich dank ihrer wächsernen Außenschicht (s. Kap. 2) gut halten können. Geschützt
vor Austrocknung können sie lange Zeit in Luft oder Hausstaub ausharren.
Vier bis sechs Wochen nach der Infektion kann man die CMI-Reaktion nachweisen,
wenn ein gereinigtes Proteinderivat (purified protein derivative, PPD) von M.
tuberculosis in die Haut eingebracht wird. Bei einem positiven Befund zeigen sich 48–
72 Stunden später eine lokale Verhärtung und Rötung der Stelle.
470
Es kann aber sein, dass schon Erreger durchgeschlüpft waren und Infektionsherde an
anderen Stellen gebildet haben. Von sensibilisierten T-Zellen freigesetzte Lymphokine
können Makrophagen verstärkt zur Vernichtung von Mykobakterien aktivieren. Der
Körper reagiert, indem er die Erreger in „Tuberkeln“ einkapselt, kleinen
Granulomen, die aus Epitheloid- und Riesenzellen bestehen (Abb. 19.14). In
Verbindung mit vergrößerten Lymphknoten wird diese Lungenläsion oft auch als
Ghon- oder Primärkomplex bezeichnet. Nach einer gewissen Zeit wird das Material
in den Granulomen nekrotisch, es wirkt nun wie Käse („käsig“).
Tuberkel können spontan abheilen, fibrosieren oder verkalken und in dieser Form
lebenslang persistieren, auch wenn die Menschen völlig gesund erscheinen. Im
Thoraxröntgenbild sind röntgendichte Knötchen zu sehen (Abb. 19.15). Doch bei
471
einem kleinen Prozentsatz der Patienten, vor allem immun geschwächten, führt die
Primärinfektion nicht dazu, dass die Mykobakterien in Tuberkeln eingekapselt
werden, sondern dass sie in die Blutbahnen eindringen und eine disseminierte
Erkrankung verursachen (Miliartuberkulose, Abb. 19.16).
472
Tuberkulose verdeutlicht die Doppelrolle der
Immunreaktionen auf Infektionen
Infektionen können einerseits durch zellvermittelte Immunreaktionen (CMI)
kontrolliert werden bzw. disseminieren oder reaktiviert werden, wenn die Kontrolle
nicht ausreicht. Andererseits sind Pathologie und Symptomatik fast ausnahmslos
Folge der CMI, da M. tuberculosis selbst keine oder nur eine geringe Schädigung
bewirkt (auch nicht indirekt über Toxine).
Mykobakterien können sich fast überall im Körper ansiedeln und verursachen sehr
variable klinischen Zeichen: z.B. Müdigkeit, Gewichtsverlust, Schwäche und Fieber
473
bei Tuberkulose. Die Lungeninfektion äußert sich durch einen typischen, chronisch
produktiven Husten, und wegen der Gewebezerstörung kann das Sputum blutig
gefärbt sein. Wenn die Nekrose in Blutgefäße einbricht und sie zerreißen, kann es zu
einer Blutung (Hämorrhagie) mit tödlichem Ausgang kommen.
Obwohl die Zahl der Lungentuberkulosefälle in den höher entwickelten Ländern seit
Beginn des 20.Jahrhunderts zurückging (erst recht, seitdem neue Chemotherapeutika
diese Entwicklung beschleunigten), ist die Inzidenz der extrapulmonalen Tuberkulose
über viele Jahre konstant geblieben; daher gibt es in diesen Ländern einen höheren
Tuberkulose-Anteil als in Entwicklungsländern.
474
Da Mykobakterien von Natur aus gegen die meisten Antibiotika resistent sind, müssen
spezifische Substanzen eingesetzt werden (s. Kap. 33). Wesentlich für die Behandlung
ist:
Die Zahl der Stämme, die inzwischen gegen die gebräuchlichsten (first-line)
Antituberkulotika resistent geworden sind, nimmt zu. Das hat die Gesundheitsämter
zu einer sorgfältigeren Überwachung der Behandlung (z.B. mit DOTS, directly
observed treatment, short-course) veranlasst und die Forschung zur Suche nach neuen
Wirkstoffen animiert.
475
Abb. 19.16 Miliartuberkulose.
Bei hoher Tuberkuloseprävalenz hat sich die Impfung mit attenuiertem BCG-
Lebendimpfstoff (Bacillus Calmette-Guérin) als sehr wirksam erwiesen. Nach der
Immunisierung fallen Hauttests positiv aus. Die Impfung verhindert nicht die
Infektion, sondern hilft dem Körper, schneller auf die Proliferation der Erreger zu
reagieren und sie einzudämmen. In Gegenden mit niedriger Tuberkuloseprävalenz ist
die Impfung weitgehend durch eine Chemoprophylaxe ersetzt worden. In Deutschland
gehört die BCG-Impfung nicht mehr zu den durch die STIKO empfohlenen
Impfungen.
Für alle, die engeren Kontakt zu einem Tuberkulosekranken hatten, empfiehlt sich
eine Prophylaxe mit Isoniazid über ein Jahr. Sie wird auch für Menschen befürwortet,
deren Hauttest nach einer kürzlich aufgetretenen Konversion positiv ausfällt. In dem
Fall handelt es sich eher um die frühe Behandlung einer subklinischen Infektion als
um eine Prophylaxe.
476
Abb. 19.17 Lungentuberkulose.
Aspergillus fumigatus
477
Pilze dringen zwar nicht ins Lungengewebe ein, doch ein größeres Aspergillom
kann zu Atemstörungen führen.
Die Behandlung einer invasiven Aspergillose gestaltet sich sehr schwierig, zum
einen aufgrund der nur in beschränkter Zahl verfügbaren und hochtoxischen
Antimykotika mit Aspergillus-Wirksamkeit (s. Kap. 33) und zum anderen wegen
fehlender Immunabwehr.
Abb. 19.18 Aspergillus fumigatus.
478
19.2.3 Zystische Fibrose (Mukoviszidose)
Mit einer Inzidenz von ca. 1/2500 Lebendgeburten ist die zystische Fibrose
(Mukoviszidose) die häufigste angeborene (und tödlich verlaufende)
Stoffwechselstörung in der weißen Bevölkerung. Kennzeichnend sind
Pankreasinsuffizienz, abnorme Elektrolytkonzentrationen im Schweiß und hochvisköses
Bronchialsekret. Letzteres staut sich in der Lunge und prädisponiert zu Infektionen.
■ In den letzten Jahren ist mit Burkholderia cepacia ein weiterer Gram-negativer
Erreger mit besonderen Antibiotika-Resistenzen zum Problem geworden.
Bei Kindern unter fünf Jahren sind P.-aeruginosa-Infektionen selten, doch mit 15–20
Jahren ist die Lunge fast aller Mukoviszidose-Patienten mit dem Keim besiedelt,
dessen intrinsische Resistenz gegen die meist verabreichten staphylokokkenwirksamen
Mittel die Vermehrung offenbar noch begünstigt.
479
Typisch sind stark mukoide Kolonien, wie hier links im Bild zu sehen (rechts zum
Vergleich die normale Kolonieform).
480
Abb. 19.20 Pseudomonas aeruginosa verursacht
bei Patienten mit zystischer Fibrose eine chronische,
aber nur selten die Grenzen der
Bronchialschleimhaut überschreitende Infektion.
Man nimmt an, dass die Erreger in Mikrokolonien wachsen und in ein
Kalzium(Ca2+)-abhängiges, mukoides Alginatgel eingebettet sind, das DNA und
tracheobronchiales Muzin enthält. Das klebrige Gel haftet an der
Bronchialschleimhaut und schützt die Erreger vor den Abwehrkräften des Wirts,
zudem bildet es eine physikalisch-chemische (Elektrolyt-) Schranke für
Antibiotika. Für die Gewebeschädigung dürften zum großen Teil bakterielle
Proteasen (deren verzögerte Freisetzung zu Schleimhautläsionen und
Hypersekretion von Muzin führt), immunpathologische Auswirkungen (verstärkt
durch Größe, Antigenität und Persistenz der Alginatmatrix) und die indirekte
Wirkung von Immunkomplexen mit Pseudomonas-aeruginosa- Antigenen (P)
verantwortlich sein. Aber auch Phagozyten-Proteasen können das Gewebe
schädigen. Zeitweilige Exazerbationen lassen sich damit erklären, dass diese
Proteasen Fc aus Immunkomplexen abspalten und die weitere
Phagozytenstimulierung hemmen [nach Govan & Glass 1990].
481
Obwohl eine spezifische antibakterielle Chemotherapie die Infektionssymptome
abmildern und die Lebensqualität verbessern kann, ist eine Eradikation von P.
aeruginosa und B. cepacia fast unmöglich; diese Infektionen führen daher meist zum
Tode. Für manche Patienten kann eine Herz-Lungen-Transplantation eine Erfolg
versprechende Alternative sein.
19.2.4 Lungenabszess
Bei einem Lungenabszess fühlen sich die Patienten schon mindestens zwei Wochen
vor Auftreten der ersten Symptome krank. Das in großen Mengen produzierte Sputum
kann faulig riechen. Dieser Geruch spricht für eine anaerobe Infektion und lässt oft
schon die richtige Diagnose vermuten. Gesichert wird die Diagnose durch Thorax-
Röntgenaufnahmen (Abb. 19.5d). Die Ursache abzuklären helfen mikrobiologische
Untersuchungen.
482
Abb. 19.21 Eiter aus einem Lungenabszess.
Pleuraergüsse lassen sich auf Röntgenbildern nachweisen, doch ein Empyem kann –
gerade bei Patienten mit ausgedehnter Pneumonie – schwierig abzugrenzen sein.
Material zur mikrobiologischen Untersuchung wird durch Aspiration von
Pleuraflüssigkeit gewonnen. Häufig sind Staphylococcus aureus, Gram-negative
Stäbchenbakterien und Anaerobier an Pleuraergüssen und -empyemen beteiligt.
483
19.3 Parasitäre Infektionen
484
(mit freundlicher Genehmigung von H. Zaiman)
Zusammenfassung
■ Obwohl der Respirationstrakt von der Nase bis zu den Alveolen ein Kontinuum
bildet, ist es besser, zwischen „oberen“ und „unteren“ Atemwegsinfektionen zu
unterscheiden.
■ Die Bronchiolitis tritt als akute, schwere RSV-Infektion bei Kleinkindern auf.
Die Erkrankung kann in der häuslichen Umgebung oder im Krankenhaus
ausbrechen. Zugrunde liegt ihr eine Immunpathologie. Man sollte eine spezifische
Therapie (Ribavirin) in Betracht ziehen. Ein Impfstoff steht nicht zur Verfügung.
■ Eine Pneumonie kann durch eine Reihe von Pathogenen verursacht werden.
Einen wichtigen Einfluss haben Alter, Vorerkrankungen oder andere
Grundkrankheiten des Patienten, berufliche und geografische Faktoren. Für eine
optimale Therapie ist die richtige mikrobiologische Diagnose entscheidend. Die
Pneumonie ist noch immer mit einer signifikanten Sterblichkeit behaftet.
■ Bordetella pertussis kann das Flimmerepithel der Atemwege besiedeln und mit
Keuchhusten eine spezifisch humanpathogene Infektion verursachen. Wichtig für
seine Virulenz sind Pertussis- und andere Toxine. Keuchhusten wird klinisch
485
diagnostiziert, verdächtig sind die typischen Hustenattacken (Paroxysmen). An
vorderster Stelle steht die supportive Behandlung, Antibiotika spielen nur eine
untergeordnete Rolle. Keuchhusten lässt sich durch Impfung zuverlässig verhindern,
und neue sichere Impfstoffe mit weniger Nebenwirkungen stehen bereits zur
Verfügung.
■ Die Tuberkulose ist eine der Haupttodesursachen und tritt immer häufiger in
Verbindung mit AIDS auf. Die Infektion verläuft meist chronisch. Bei
Primärinfektion mit Mycobacterium tuberculosis entwickelt sich eine lokal
begrenzte pulmonale Läsion, die Reaktivierung der Infektion aufgrund
eingeschränkter Immunfunktionen führt dann zur Sekundärerkrankung. Die
klinische Diagnose wird durch den Nachweis säurefester Mykobakterien im Sputum
gesichert. Wirksame Medikamente sind verfügbar, müssen aber ausreichend lange
verabreicht werden (als Zyklen einer Kombinationstherapie).
FRAGEN
Ein 30-jähriger Mann gibt bei der Anamnese an, dass er seit 10 Tagen unter
Müdigkeit, Kopfschmerzen, Fieber und trockenem Husten leidet. Er raucht etwa 20
Zigaretten am Tag. Die medizinische Anamnese ist unauffällig und auch bei der
körperlichen Untersuchung sind keine Besonderheiten feststellbar. Die
Untersuchungsbefunde sind: Fieber (38°C), Dyspnoe und Hautausschlag (Erythema
multiforme). Die Auskultation der Lunge ist unauffällig bis auf vereinzelte
Krepitationen. Laborwerte: Hämoglobin 10 g/dl, Leukozyten 6 × 109/l, BSG
486
(Blutsenkungsgeschwindigkeit) 45 mm/h; Harnstoff und Elektrolyte normal;
Thoraxröntgen: fleckige Verschattung.
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488
20 Harnwegsinfektionen
20.1 Infektionsweg und Ätiologie 257
Der Harntrakt ist mit am häufigsten von bakteriellen Infektionen betroffen, vor allem bei
Frauen. 20–30% der Frauen haben irgendwann in ihrem Leben eine rezidivierende
Harnwegsinfektion. Männer erkranken seltener, meist erst ab dem 50.Lebensjahr. Obwohl
die meisten Infektionen akut auftreten und rasch wieder abklingen, tragen sie in
erheblichem Maße zur Morbidität der Bevölkerung bei. Schwere Infektionen führen zum
Funktionsverlust der Nieren mit gravierenden Langzeitfolgen. Bei Frauen wird zwischen
Zystitis, Urethritis und Vaginitis unterschieden, doch da der Urogenitaltrakt eine Einheit
darstellt, überlappen sich die Symptome häufig.
489
Der Gram-negative Erreger Escherichia coli ist der
häufigste Erreger aufsteigender Harnwegsinfektionen
Beteiligt sind aber auch andere Enterobacteriaceae (Abb. 20.1). Dass Harnsteine oft
mit Proteus mirabilis einhergehen, könnte an der stark harnalkalisierenden Urease
liegen, die der Keim produziert und die Harnstoff (Urea) in Ammoniak umwandelt. Bei
nosokomialen Harnwegsinfekten sind gehäuft Klebsiella-, Enterobacter- und Serratia-
Spezies oder Pseudomonas aeruginosa anzutreffen, deren Resistenz gegenüber
bestimmten Antibiotika eine Selektion bei hospitalisierten Patienten begünstigt (s. Kap.
36).
Bei hämatogener Ausbreitung von den Nieren zu den Harnwegen finden sich unter
anderem auch Salmonellen, Staphylococcus aureus oder Mycobacterium tuberculosis
(Erreger der Nierentuberkulose).
490
■ Auch andere Viren (darunter das Mumpsvirus und HIV) können die Nieren
infizieren.
491
■ Das Protozoon Trichomonas vaginalis kann bei Männern und Frauen eine
Urethritis auslösen, verursacht aber viel häufiger vaginale Infektionen (s. Kap. 21).
20.2 Pathogenese
Männer, die nicht beschnitten sind, leiden häufiger an Harnwegsinfekten. Hier besteht
eine Assoziation mit der Kolonisation mit fäkalen Mikroorganismen auf der Innenseite
des Präputiums und in der Urethra.
492
Hauptursachen einer unvollständigen
Blasenentleerung: Schwangerschaft,
Prostatahyperplasie, Nierensteine, Tumoren und
Strikturen
Wenn mehr als 2–3 ml Restharn in der Harnblase zurückbleiben, steigt das
Infektionsrisiko. Wird eine Obstruktion von einer Superinfektion überlagert, können
Keime, die bis zur Niere aufsteigen, eine rasche Zerstörung von renalem Gewebe
bewirken.
Ein vesikoureteraler Reflux (Rückstau des Urins aus der Harnblase in die Ureteren,
manchmal auch bis ins Pyelon oder Nierenparenchym) tritt häufiger bei Kindern mit
Fehlbildungen der Harnwege auf; er prädisponiert zu aufsteigenden chronischen
Infektionen und damit einhergehend zu Schädigungen des Nierenparenchyms. Bei
Kindern kann es auch ohne anatomische Fehlbildungen zu einem Reflux im Rahmen
einer Harnwegsinfektion kommen.
Zwar unterscheidet sich die Prävalenz von Harnwegsinfekten bei Diabetikern und
Nicht-Diabetikern nicht signifikant, der Infekt nimmt aber bei Diabetikern häufiger
einen schwereren Verlauf. Oft chronifizieren diese Infektionen, wenn eine neurogene
Blasenstörung im Rahmen einer diabetischen Neuropathie vorliegt. Häufig kann bei
Diabetikern postmortal eine Pyelonephritis nachgewiesen werden.
493
Abb. 20.2 Eigenschaften von Bakterien und
Wirtsfaktoren, die eine Harnwegsinfektion
begünstigen.
494
Abb. 20.3 Harnkatheter.
Zur Besiedlung bzw. Schädigung der Niere durch E. coli scheinen noch weitere
Merkmale beizutragen, z.B.:
■ Durch die Produktion von Hämolysinen kann E. coli die Nieren schädigen;
viele Hämolysine wirken eher unspezifisch (als membranschädigende Toxine).
495
Die Urease-Produktion durch Proteus spp. begünstigt das Entstehen einer Pyelonephritis
bzw. einer Urolithiasis.
Abb. 20.4 An einer Urothelzelle haftende Bakterien
(Patient mit akuter Zystitis; Exfoliativzytologie).
Welche Rolle die humorale Immunität des Wirtsorganismus bei der Abwehr von
urogenitalen Infektionen spielt, ist bisher kaum verstanden. Nach Niereninfektionen
lassen sich IgG- und sekretorische IgA-Antikörper im Urin nachweisen, doch ob diese
Antikörper möglicherweise vor weiteren Infektionen schützen, ist unklar. Infektionen
des unteren Harntrakts rufen meist nur eine geringe bzw. kaum nachweisbare
Seroreaktion hervor, was zeigt, dass es sich um oberflächliche Infektionen handelt;
Blasen- und Urethralschleimhaut sind bei Harnwegsinfekten selten verletzt.
496
20.3 Klinik und Komplikationen
■ erhöhte Miktionsfrequenz.
Allerdings verlaufen die Infektionen bei älteren Menschen oder liegendem Katheter
oft asymptomatisch.
Bei einer Pyurie bzw. Bakteriurie erscheint der Urin makroskopisch trüb. Häufig
findet sich begleitend eine Hämaturie (mikroskopisch oder makroskopisch). Zur
Bestätigung der Diagnose müssen Urinproben im Labor untersucht werden. Patienten
mit genitalen Infektionen wie Vaginalsoor oder Chlamydien-Urethritis können
ähnliche Symptome aufweisen (s. Kap. 21).
Eine Pyurie ohne positive Urinkultur kann durch Chlamydien oder Tuberkulose
bedingt sein. Sie wird aber auch unter einer laufenden Antibiotikatherapie gesehen,
denn die Bakterien sind evtl. bereits durch die Antibiotikatherapie gehemmt oder
abgetötet, ehe die Entzündungsreaktion abklingt.
497
Oft kommt es zu rezidivierenden Harnwegsinfektionen. Dabei handelt es sich
entweder um
498
Histologisch starke Entzündungsreaktion und Mikroabszesse (M) in der Niere
(Hämatoxylin- und Eosin-Färbung; mit freundlicher Genehmigung von M.J.
Woods).
■ wenn eine Instrumentierung des Harntrakts vorgesehen ist und die Bakteriurie
in eine Bakteriämie übergehen könnte;
499
20.4 Laboruntersuchung und Befunde
Methoden für die Bearbeitung von Urinproben im Labor sind im Anhang
zusammengefasst.
Eine Bakteriurie gilt als signifikant, wenn eine richtig gewonnene Probe des
Mittelstrahlurins (MSU) mehr als 105 Keime/ml enthält. Üblicherweise findet man bei
Infektionen nur eine Bakterienspezies im Urin. Kontaminierter Urin enthält dagegen
weniger als 104 Keime/ml und oft mehrere Bakterienspezies (Abb. 20.6). Bei Werten
zwischen 104 und 105 Keimen/ml fällt die Unterscheidung zwischen Kontamination und
Infektion zum Teil schwer. Entscheidend sind sorgfältige Gewinnung und schneller
Transport der Urinproben zum Labor (s. unten und Kap. 32).
Wichtig: Die Kriterien einer „signifikanten Bakteriurie“ treffen nicht für Urinproben zu,
die aus einem (Nephrostomie-) Katheter oder durch suprapubische Blasenpunktion
entnommen wurden. In solchen Proben gilt jede Keimzahl als signifikant, weil die
Probe nicht durch periurethrale Keime kontaminiert ist.
500
Abb. 20.6 Signifikante Bakteriurie.
Proben aus dem Urinstrahl sind selten steril, weil so gewonnener Urin durch
periurethrale Keime kontaminiert sein kann. Selbst bei sorgfältiger Gewinnung
können Urinproben von Gesunden bis zu 103 Keime/ml enthalten. Werte von 105/ml
gelten als verlässlicher Indikator für eine Infektion. Aus unterschiedlichen Gründen
können aber bereits auch niedrigere Werte signifikant sein (z.B. bei akuter Dysurie,
Ureterobstruktion usw.).
Es liegt auf der Hand, dass sich Mittelstrahlurinproben auch bei Säuglingen und
Kleinkindern schwierig gewinnen lassen. Ersatzweise bietet sich „Beutelurin“ (bei
Mädchen ist der Plastikbeutel am Damm, bei Jungen am Penis anzubringen) an, doch
solche Proben sind oft stark mit Fäkalkeimen kontaminiert. Das Problem lässt sich
durch eine suprapubische Blasenpunktion umgehen (Abb. 20.7).
Urinproben sollten möglichst unverzüglich zum Labor transportiert werden. Urin ist
ein gutes Medium für viele Mikroorganismen, in dem sie wachsen und sich vermehren.
Wenn eine längere Zeitspanne zwischen Probengewinnung und Untersuchung vergeht,
werden die Werte leicht verfälscht (s. Kap. 32).
501
Abb. 20.7 Suprapubische Blasenpunktion zur
Aspiration von Urinproben direkt aus der Harnblase.
502
■ Bei S. haematobium: nur die letzten Milliliter einer Morgenurinprobe nach
körperlicher Anstrengung sammeln.
20.4.1 Laboruntersuchung
Urinproben werden erst makroskopisch und mikroskopisch untersucht, danach wird eine
Kultur angelegt (quantitative und semiquantitative Methoden s. Kap. 32).
Erythrozyten oder Leukozyten im Urin sprechen ebenfalls nicht unbedingt für eine
Harnwegsinfektion. Eine Hämaturie kann auftreten bei
■ Nierenverletzung/-trauma
■ Konkrementen (Steinen)
■ Gerinnungsstörungen
■ Thrombozytopenie.
Leukozyten sind bei Gesunden nur in geringer Zahl im Urin vorhanden (≤ 10/ml). Werte
über 10/ml gelten als auffälliger Befund, müssen aber nicht gleichbedeutend mit
Bakteriurie sein. Einen wichtigen Befund stellt eine sterile Pyurie dar als Zeichen einer
■ laufenden Antibiotikatherapie
503
Der Laborbefund einer signifikanten Bakteriurie muss
quantifiziert werden
(Kulturmedien und Anzüchtung der Keime s. Anhang) Mit konventionellen
Methoden ist nach 18–24 Stunden mit einem Ergebnis zu rechnen, doch es gibt auch
Schnelltests (aufgrund von Biolumineszenz, Turbidimetrie, Leukozyten-
Esterase/Nitrat-Reduktase etc.). Manche Labors testen gleich die
Antibiotikaempfindlichkeit, sobald eine abnorme Zahl von Leukozyten oder Bakterien
unter dem Mikroskop erkennbar ist. In diesem Fall können innerhalb von 24 Stunden
die Ergebnisse beider Tests (Kultur und Antibiotikaresistenz) vorliegen.
20.5 Behandlung
504
Tab. 20.1 Orale Antibiotika zur Behandlung von
Harnwegsinfektionen
Bei unkompliziertem, ambulant erworbenem Harnwegsinfekt kann „blind“ mit einer
ungezielten Antibiotikatherapie begonnen werden, zumindest bis das Laborergebnis
vorliegt. Das setzt voraus, dass man die in Frage kommenden Erreger und ihre
Sensibilität gegenüber einzelnen Antibiotika kennt. Frühestens zwei Tage nach
Abschluss der Therapie sollte durch erneute Kulturen überprüft werden, ob alle Keime
erfasst wurden. Zusätzlich zur Antibiotikatherapie sollten Patienten viel trinken, um das
Herausspülen der Keime zu unterstützen.
505
Komplizierte Harnwegsinfektionen (Pyelonephritis)
werden parenteral mit Antibiotika behandelt
Bei bekannter Erregerempfindlichkeit muss eine systemische Behandlung mit
antibakteriellen Medikamenten (Tab. 20.2) so lange fortgesetzt werden, bis alle
Symptome abgeklungen sind. Danach kann auf eine orale Verabreichung umgestellt
werden. Gewöhnlich wird die Therapie mindestens zehn Tage lang durchgeführt, doch
es kann auch länger bis zur Beseitigung der Infektion dauern.
20.6 Prävention
Infektionen sind bei katheterisierten Patienten relativ häufig, lassen sich aber durch
sorgfältige Katheterpflege reduzieren (Tab. 20.2 und s. Kap. 36). Eine Katheterisierung
sollte generell möglichst vermieden oder die Liegedauer auf ein Minimum reduziert
werden.
506
Tab. 20.2 Therapie von Harnwegsinfektionen
507
Tab. 20.3 Richtlinien zur Katheterpflege
Zusammenfassung
■ Harnwegsinfekte gehören zu den häufigsten bakteriellen Infektionen,
besonders bei Frauen.
■ In den meisten Fällen handelt es sich um akute Episoden ohne Nachwirkungen.
■ Harnwegsinfektionen sind meist endogen, durch aufgestiegene Keime aus dem
Periurethralbereich erworben. Vorherrschend ist E. coli. Als Auslöser kommen auch
andere Gram-negative Keime in Frage, besonders bei hospitalisierten Patienten.
Viren sind nur selten Ursache von Harnwegsinfekten.
■ Prädisponierend sind spezielle anatomische Gegebenheiten durch (strukturelle
oder mechanische) Wirtsfaktoren oder eine Katheterisierung.
■ Eine wichtige Rolle bei Harnwegsinfektionen könnten Bakterienadhärenz und
Kapsel-Polysaccharide spielen. Spezifische Toxine scheinen nicht beteiligt zu sein,
vielleicht aber Hämolysine (Zytotoxine).
■ Untere Harnwegsinfekte verstärken meist akut die Miktionshäufigkeit und
verursachen Dysurie. Bei Schwangeren und Kindern verläuft ein Harnwegsinfekt oft
asymptomatisch. Bei einer größeren Zahl von Patienten kommt es zu Rezidiven.
■ Die Symptomatik einer Pyelonephritis bzw. oberen Harnwegsinfektion ist
schwerer: Fieber und Lendenschmerzen; Rezidive können zu Nierenschäden führen.
■ Zur Bestätigung einer bakteriellen Diagnose sind quantitative
Untersuchungsmethoden erforderlich. Pyurie weist auf eine Infektion hin.
■ Eine Kurzzeit-Therapie mit oralen Antibiotika hilft bei unterer
Harnwegsinfektion; eine Pyelonephritis muss länger und oft parenteral behandelt
werden.
508
■ Nosokomiale Harnwegsinfektionen werden häufig durch Gram-negative Keime
mit Mehrfachresistenz hervorgerufen. Die Behandlung richtet sich nach der
(getesteten) Erregerempfindlichkeit.
FRAGEN
Eine 22-jährige, im 8. Monat schwangere Lehrerin leidet seit ca. 48 Stunden an
Dysurie und unteren Abdominal-schmerzen. Es ist ihre erste Schwangerschaft, die
bisher unauffällig verlief. Bei der Untersuchung durch die Ärztin ist sie fieberfrei und
der Uterus normal groß (termingerecht). Leichte Druckempfindlichkeit des
Unterbauchs, Nierenlager frei. Ein Urin-Streifentest weist Proteine, aber weder
Glukose noch Blut nach. Die Urinprobe wird zum Labor gesandt. In der Urinkultur
wachsen mehr als 105 koliforme Keime pro ml.
1 Was besagt die Bakterienzahl in der Urinprobe der Patientin?
2 Warum wird Urin in der Schwangerschaft routinemäßig auf Infektionszeichen
untersucht?
3 Nennen Sie in absteigender Reihenfolge die drei wahrscheinlichsten Ursachen
für die Infektion dieser Patientin.
4 Welche Antibiotika eignen sich zur Therapie der Schwangeren?
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Am. J. Med. 2002; 113 (Suppl. 1): 1–84.
Bergan, T. (ed.): Urinary Tract Infections. Karger, Basel 1997.
Mobley, H., Warren, J. (eds.): Urinary Tract Infections: Molecular Pathogenesis and
Clinical Management. Blackwell, Oxford 1996.
Unyime, O.N., Weinman, E., Lamm, D.L.: Urology for Primary Care Physicians.
Saunders, Philadelphia 1999.
Vogel, F., Bodmann, K.-F.: Empfehlungen zur kalkulierten parenteralen
Initialtherapie bakterieller Erkrankungen bei Erwachsenen. Chemotherapie Journal
2004; 13(2):46–105, s. Internetseiten der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie
e.V. unter www.p-e-g.de.
509
21 Sexuell übertragbare Krankheiten
21.1 STD und Sexualverhalten 269
510
Sexuell übertragene Infektionen führen meist zu Krankheiten
Unter bestimmten Umständen äußern sich sexuell übertragene Infektionen primär nicht
durch offensichtliche Krankheitssymptome (z.B. Frühstadium der HIV-Infektion,
symptomlose Gonorrhoe der Frau). Das ist besonders problematisch, weil sexuell
übertragene Krankheiten (STD), wenn sie asymptomatisch verlaufen oder nicht
angegeben werden, im Allgemeinen auch unbehandelt bleiben, so dass es weiterhin zu
Ansteckung und zur Ausbreitung der Erkrankung kommt.
STDs spielen auf der ganzen Welt medizinisch eine wichtige Rolle, dabei stellen HIV-
Infektion und AIDS die größte globale Bedrohung dar. Betroffen waren 2003 ca. 42
Millionen Erwachsene. Zusätzlich zur HIV-Infektion kommt es weltweit zu einer
alarmierenden Häufung von Neuerkrankungen an weiteren STDs (hunderte Millionen pro
Jahr).
■ verändertes Sexualverhalten,
Die beiden letzten Faktoren dürften sich ändern lassen. Es gibt bereits Anzeichen dafür,
dass manche STDs unter männlichen Homosexuellen seltener übertragen werden, seitdem
sich das Sexualverhalten dieser Gruppe geändert hat, und gegen bestimmte Infektionen
(z.B. Herpes simplex, Gonorrhoe, HIV) könnten demnächst Impfstoffe zur Verfügung
stehen.
Das Aufkommen von HIV-Infektion bzw. AIDS stellt alle anderen STDs in den
Schatten, da diese neue, mit hoher Letalität verbundene Infektionskrankheit eine enorme
Belastung bedeutet. In den (ressourcen-)reichen Ländern wurden HIV-1-RNA-
Plasmawerte und die absoluten oder relativen CD4-Zahlen zum wichtigsten Mittel, um die
Krankheitsprogression und das Ansprechen der antiretroviralen Therapie bei HIV-
Infizierten zu überwachen.
In Tab. 21.1 sind die „Top Ten“ der STDs aufgelistet, in Tab. 21.2 die selteneren. Mit
welchen Strategien sich Mikroorganismen den Abwehrkräften des Wirts widersetzen,
zeigt Tab. 21.3.
511
Tab. 21.1 Die zehn wichtigsten sexuell übertragbaren Krankheiten
(„Top Ten“ der STDs).
512
Tab. 21.3 Strategien sexuell übertragbarer Erreger gegen
Abwehrkräfte des Wirts.
NK = natürliche Killerzellen
513
21.1 STD und Sexualverhalten
Wie sexuell übertragbare Infektionserreger in den Körper gelangen, ausgeschieden und
übertragen werden, ist in den Grundzügen in Kap. 13 beschrieben.
Eine Geschlechtskrankheit tritt nicht notwendigerweise einzeln auf, sondern man sollte
stets an die Möglichkeit einer Mehrfachinfektion denken. Syphilis kann z.B. mit
Gonorrhoe einhergehen. Ein Genitalherpes wird anscheinend durch eine akute
Gonorrhoe reaktiviert.
514
21.2 Syphilis
Anders als viele andere pathogene Bakterien kann T. pallidum trotz starker
Immunreaktionen jahrelang im Körper überdauern. Man nimmt an, dass sich
unversehrte Treponemen mit einer lipidreichen Hülle vor der Erkennung und
Eliminierung durch die Wirtsabwehr schützen, ohne dass diese Schicht antigen wirken
515
würde. Daher findet eine Antigen-(Antikörper-)Reaktion erst statt, wenn sie bei
absterbenden oder abgetöteten Mikroorganismen bloß liegen. Die Schädigung des
Gewebes beruht demnach weitgehend auf der Wirtsreaktion.
Abb. 21.1
Treponemen-Erkrankungen
a) Typischer Schanker am Penis, der Primäraffekt bei Syphilis. Frambösie (b) und
Pinta (c) sind in tropischen und subtropischen Ländern endemisch verbreitet und
durch direkten Kontakt übertragbar. Mit freundlicher Genehmigung von R.D.
Catterall (a) und P.J. Cooper und G. Griffin (b, c)
Trotz langjähriger Bemühungen kann T. pallidum noch immer nicht auf künstlichen
Kulturmedien im Labor angezüchtet werden. Daher lassen sich mögliche
Virulenzfaktoren auf molekularer Ebene kaum untersuchen. Dennoch konnten
bestimmte Gene in Escherichia coli geklont und wichtige Proteine charakterisiert
werden.
■ als klinisch stumme Infektion, die erst im Alter von zwei Jahren erkennbar
wird (Gesichts- und Zahndeformierungen).
516
Tab. 21.5 Pathogenese der Syphilis (Lues).
LK = Lymphknoten
*
Schanker: aus der anfänglichen Papel wird ein schmerzloses Geschwür, das
unbehandelt innerhalb von 2 Monaten abheilt
**
bei Dunkelfeldmikroskopie lebende Treponemen in der (Läsions-)Flüssigkeit
erkennbar; Patienten hochinfektiös
517
21.2.1 Labordiagnose
Da sich T. pallidum in vitro nicht anzüchten lässt, steht und fällt die Labordiagnose mit
mikroskopischen und serologischen Untersuchungen.
Mikroskopische Untersuchungen
Exsudat aus dem Primäraffekt (Schanker, Ulcus molle) sollte entweder
Serologische Untersuchungen
Die Diagnose der Syphilis stützt sich vor allem auf serologische Tests. Unterschieden
werden spezifische oder unspezifische Nachweismethoden für Antikörper im
Patientenserum.
Bei unspezifischen Tests kann sich 4–6 Wochen nach der Infektion (oder 1–2
Wochen nach Auftreten des Primäraffekts) ein positives Ergebnis zeigen. Da sie im
Tertiärstadium oder nach erfolgreicher antibiotischer Behandlung einer Primär- oder
Sekundärsyphilis nicht länger positiv ausfallen, eignen sie sich als Screening-Tests.
Trotzdem sind sie unspezifisch, d.h. ein positives Ergebnis kann auch durch eine
andere Erkrankung zustande kommen (biologisch falsch-positiv, Tab. 21.6). Alle
positiven Testergebnisse müssen daher durch einen spezifischen Test bestätigt
werden. Allerdings kann die Behandlung (vor allem im Primär- oder
Sekundärstadium der Syphilis) zu einer „Seroreversion“ führen, so dass sich diese
Tests zumindest als Indikator für die therapeutische Wirksamkeit eignen.
518
Tab. 21.6 Lues-/Syphilisserologie und mögliche andere
Erkrankungen als Ursache falsch-positiver Ergebnisse in
Syphilistests.
FTA-Abs = Fluoreszenz-Treponemen-Antikörper-Absorptionstest, TPHA (T.
pallidum Hämagglutinationsassay) PRP = rapid plasma reagin test, VDRL =
Venereal-Disease-Research-Laboratory-Test
Mit spezifischen Tests lässt sich überprüfen, ob ein positives Ergebnis eines
unspezifischen Tests wirklich auf Syphilis beruht. Da sie früh positiv ausfallen,
können spezifische Tests auch zur Diagnosebestätigung herangezogen werden,
wenn das klinische Bild stark für Syphilis spricht. Auch im weiteren Verlauf bleiben
sie – oft jahrelang – positiv und können bei Patienten im Spät-(Tertiär-) Stadium als
einziger Test positiv ausfallen. Weil sie trotz erfolgreicher Antibiotikatherapie
weiterhin positiv bleiben, eignen sie sich jedoch nicht zur Beurteilung des
Ansprechens der Therapie. Möglich sind auch falsch-positive Reaktionen (Tab.
21.6).
Abb. 21.2 Fluoreszenz-Treponemen-Antikörper-
Absorption als Syphilistest.
519
Durch den fluoreszierenden Farbstoff wird die Antikörperbindung an Bakterien
im Patientenserum erkennbar.
520
21.2.2 Behandlung
Ob sich ein Sekundär- oder Tertiärstadium verhindern lässt, hängt von einer
frühzeitigen Diagnose und richtigen Behandlung der Syphilis ab. Darüber hinaus
müssen alle Kontaktpersonen mit behandelt werden. Da Patienten mehr als eine
Geschlechtskrankheit haben können, sollten sie bei jeder anderen STD auch auf
Syphilis untersucht werden.
21.3 Gonorrhoe
521
begünstigt (Abb. 21.3). Durch eine IgA-Protease schützen sich die Erreger vor
sekretorischen Antikörpern.
Normalerweise beschränkt sich die Infektion auf den Genitaltrakt, doch in einigen
Fällen konnten Bakterien isoliert werden, die sich auf dem Blutweg in andere
Körperregionen ausgebreitet hatten, weil sie offensichtlich resistent gegen die
bakterizide Wirkung des Serums waren.
522
Bei Frauen verläuft die Gonorrhoe vielfach ohne
Beschwerden, kann aber später zu Infertilität führen
In den ersten 2–7 Tagen der Infektion können sich typische Symptome entwickeln:
■ beim Mann Ausfluss aus der Harnröhre (Abb. 21.4) und Schmerzen bei der
Miktion (Dysurie),
Mindestens 50% der infizierten Frauen haben leichte bis gar keine Beschwerden.
Deshalb suchen sie keinen Arzt auf, bleiben unbehandelt und können für andere weiter
ansteckend sein. Bei Männern ist aber eher ein symptomatischer Verlauf die Regel.
Unter Umständen bemerken Frauen erst Komplikationen wie
■ chronische Unterleibsschmerzen
Die Ophthalmia neonatorum äußert sich durch klebrige Augenabsonderung (Abb. 23.5).
Im Rachen können Gonokokken zu einer Halsentzündung führen (s. Kap. 18), bei
Infektion der Rektalschleimhaut kann es zu purulentem Ausfluss kommen.
523
Abb. 21.4 Gonokokkenurethritis.
Entzündete Glans penis mit typisch purulentem Ausfluss aus der Harnröhrenöffnung
(mit freundlicher Genehmigung von J. Clay).
Lokale Komplikationen treten bei Männern nur selten auf (Abb. 21.5). Invasive
Formen einer Gonokokkeninfektion betreffen viel häufiger Frauen als Männer. Hier
würde eine sofortige Behandlung helfen, die Infektion einzudämmen. Dass die Infektion
bei Frauen üblicherweise asymptomatisch verläuft (d.h. nicht erkannt und nicht
behandelt wird), ist ein wichtiger Faktor für Komplikationen. In 10–20% der Fälle steigt
die Infektion bei (unbehandelten) Frauen auf und verursacht eine Beckenentzündung
(pelvic inflammatory disease, PID) und/oder eine Schädigung der Tuben.
Eine disseminierte Infektion kommt bei 1–3% der Frauen vor, bei Männern sehr viel
seltener (s. oben und Abb. 21.6). Das hängt nicht nur vom Gonokokkenstamm (s. oben),
sondern auch von Wirtsfaktoren ab; 5% der Patienten mit disseminierter Infektion hatten
z.B. einen Komplementfaktor-Mangel (C5–C8).
Abb. 21.5 Lokale und systemische Komplikationen
einer Gonokokkeninfektion.
524
Erythem und Schwellung am Knöchel und Unterschenkel. Mit freundlicher
Genehmigung von J.S. Bingham (a) und T.F. Sellers jr. (b).
Bei Frauen und asymptomatischen Männern ist zur Abklärung eine Anzüchtung von
Probenmaterial wichtig; Proben sollten auch von anderen Stellen als der Harnröhre
entnommen werden. Auch Proben von symptomatischen männlichen Patienten sollten
kultiviert werden:
■ zur Erregeridentifizierung,
525
Abb. 21.6 Lokale und systemische Ausbreitung der
Gonokokkeninfektion und Komplikationen.
526
(Antibiotika der Wahl s. Tab. 21.1)
21.4 Chlamydieninfektionen
■ die Serotypen A–C eine schwere Augeninfektion, das Trachom (s. Kap. 25),
527
■ die Serotypen D–K eine genitale Infektion in Verbindung mit Augen- und
Atemwegsinfektionen (Tab. 21.8),
Die Serotypen D–K von C. trachomatis sind weltweit, die LGV-Serotypen nur
eingeschränkt verbreitet.
528
Abb. 21.7 Lebenszyklus von Chlamydien
529
Allein aufgrund des klinischen Bildes lassen sich Chlamydien nicht eindeutig als
Ursache einer Urethritis oder Zervizitis feststellen oder andere Erreger ausschließen. Als
traditionelle Labormethoden bieten sich Zellkultur und direkter Antigennachweis an.
Bei den meisten Patienten bilden sich zwar Antikörper nach der Infektion, doch für die
Diagnose sind serologische Untersuchungen nicht zuverlässig genug. Als obligat
intrazelluläre Parasiten müssen Chlamydien aus Zellkulturen isoliert werden. In
Flüssigkeit gelöste Proben werden nach Zentrifugation auf eine einschichtige Zellkultur
aufgebracht, die mit Cyclohexidin vorbehandelt wird, um die Aufnahme der
Chlamydien zu verbessern. Nach 48–72 Stunden bilden sich die typischen
Einschlusskörperchen, die Glykogen enthalten und sich deshalb mit Jod färben lassen
(Abb. 21.8) oder durch Immunfluoreszenz sichtbar werden.
Verglichen mit Zellkulturen ist die Methode hochspezifisch, aber für eine
asymptomatische Infektion oft nicht sensitiv genug. Chlamydienantigene in Proben
können auch mit ELISA (enzyme-linked immunosorbent assay) entdeckt werden; auch
dieser Test ist bei asymptomatischen Patienten leider nur eingeschränkt empfindlich
(sensitiv).
530
Mit den verschiedenen verfügbaren DNA-Sonden und Amplifikationstests lässt sich C.
trachomatis direkt in Proben (von Zervix, Urethra, Urin etc.) eines Infizierten
nachweisen. Wie bereits erwähnt, ermöglichen kommerziell erhältliche Kits einen
raschen (innerhalb von 2–4 Std.) und spezifischen DNA-Nachweis für N. gonorrhoe und
Chlamydien. Das kann wichtig sein, weil Patienten oft mit beiden Erregern infiziert
sind. Als Erregernachweis kommen zunehmend häufiger die schnellen und spezifischen
molekularen Testmethoden zum Einsatz.
Abb. 21.8 Chlamydien-Einschlusskörperchen
färben sich mit Jod dunkelbraun an.
531
Abb. 21.9 Direkter Immunfluoreszenz-
Antikörpertest zum Nachweis von C. trachomatis.
532
21.5.1 Lymphogranuloma venereum (LGV)
Kulturmethoden für Chlamydien sind zwar verfügbar (s. oben), doch für die
Erregerisolierung werden nur niedrige Erfolgsraten (24–30%) angegeben. Die
Diagnose wurde anhand des klassischen Frei-Antigen-Tests gestellt, bei dem LGV-
Antigen in die Haut injiziert wird. In frühen Krankheitsstadien ist es allerdings ein
unzuverlässiger Test, der weder ausreichend sensitiv noch spezifisch ist (weil Frei-
Antigen nur art-, aber nicht typspezifisch ist). Wie oben erwähnt, sind auch
Nukleinsäure-(DNA-)Tests verfügbar. Empfohlen wird die Behandlung mit
Tetracyclin und Doxycyclin (Tab. 21.1). Schwangere und Kinder unter 9 Jahren
sollten mit einem Makrolid, z.B. Erythromycin, behandelt werden.
Abb. 21.10 Lymphogranuloma venereum.
533
Beidseitige Vergrößerung der Leistenlymphknoten (mit freundlicher
Genehmigung von J.S. Bingham).
Trotz endemischen Vorkommens in bestimmten Gebieten der USA treten die meisten
Fälle unabhängig voneinander auf. In Afrika und Asien ist weicher Schanker die
häufigste Ursache genitaler Geschwüre. Epidemiologische Angaben sind wichtig, weil
die Diagnose gewöhnlich klinisch gestellt wird; der Erreger lässt sich nämlich sehr
schlecht im Labor anzüchten. Ein Ulcus molle kann mit Granuloma inguinale
verwechselt werden (s. unten).
534
Mehrere unregelmäßige Ulzera auf der Vorhaut (mit freundlicher Genehmigung von
L. Parish).
Die Aspirate sollten bei 33°C in 5–10% Kohlendioxid auf einem angereicherten
Spezialkulturmedium (GC-Agar mit 1–2% Hämoglobin, 5% fetalem Rinderserum,
IsoVitale X und Vancomycin [3 μg/ml] zur Unterdrückung der Gram-positiven
Begleitflora) angezüchtet werden. H. ducreyi verträgt keine Hitze und wächst nur
langsam. Daher kann es 2–9 Tage dauern, bis sich Kolonien bilden. Zur Behandlung
wird im Allgemeinen ein Makrolidantibiotikum (z.B. Erythromycin oder Azithromycin)
oder Ceftriaxon empfohlen (Tab. 21.1).
535
21.5.3 Granuloma inguinale (Donovanosis)
Erreger des Granuloma inguinale ist ein Gram-negatives Stäbchen, das traditionell
als Calymmatobacterium granulomatis bezeichnet wurde (Tab. 21.2). Seit neuestem
wird es aufgrund seiner Genomanalyse den Klebsiellen zugeordnet, doch in der
Literatur ist weiterhin die Bezeichnung C. granulomatis gebräuchlich. Die
Vermehrung der Bakterien findet in mononukleären Zellen statt, aus denen sie durch
Zytolyse freigesetzt werden.
536
Infektionen mit M. genitalium und U. urealyticum werden genauso wie
Chlamydieninfektionen mit Tetracyclin oder Erythromycin behandelt. Ureaplasmen
sind teilweise Tetracyclin-resistent, M. hominis ist fast immer Erythromycin-resistent.
21.7.1 Candida-Infektion
Empfohlen wird die Behandlung mit einem Antimykotikum (oral mit Fluconazol oder
topisch mit einer Nystatin-Mischung), trotzdem kommt es bei einer kleineren Gruppe
von Frauen häufig zu Rezidiven. Rund 10% der Partner von Frauen mit
vulvovaginaler Candida-Infektion können an einer Balanitis leiden, während eine
Urethritis bei Männern selten und auch nur vereinzelt mit Symptomen verbunden ist.
21.7.2 Trichomonadeninfektion
537
a) lichtmikroskopisches Bild, b) Kultur.
■ fischiger Amingeruch
Begleitend zu der erheblichen Zunahme von G. vaginalis in der Vaginalflora ist ein
Anstieg obligat anaerober Bakterien wie Bacteroides zu beobachten (Tab. 21.2). G.
vaginalis ist nicht nur im Rahmen einer Vaginose regelmäßig anzutreffen, sondern
auch bei 20–40% der gesunden Frauen. Dass G. vaginalis bei den männlichen
Partnern von Patientinnen mit Vaginose in der Urethra vorkommt, spricht für eine
sexuelle Übertragung. Bei postpartalem Fieber ließ sich G. vaginalis aus Blutkulturen
der Patientinnen isolieren.
538
Abb. 21.13 Bewegliche Trophozoiten im (vaginalen)
Ausfluss bei Trichomonadeninfektion (T. vaginalis).
Die Pathogenese der bakteriellen Vaginose ist noch immer unklar. Begünstigt wird
sie aber offenbar durch Veränderungen des normalen sauren pH-Werts in der Scheide
oder wenn das Gleichgewicht der Vaginalflora gestört ist. Ob diese oder noch
unbekannte Faktoren sexuell übertragbar sind, ist nicht geklärt.
539
Abb. 21.14 Clue cells bei bakterieller Vaginose.
Trotz seiner biologischen und antigenen Unterschiede zum ursprünglichen HSV-1 sind
spezielle Labortechniken erforderlich, um die beiden Stämme zu unterscheiden. Es
besteht nur eine geringe Kreuzimmunität zwischen HSV-1 und -2. Mittlerweile sind
oral-genitale Sexualpraktiken so verbreitet, dass sich die topografischen Unterschiede
zwischen beiden Stämmen (ursprünglich traten sie an unterschiedlichen Stellen auf)
verwischt haben. Jetzt können HSV-1 und HSV-2 sowohl aus dem Oral- als auch aus
dem Genitalbereich gewonnen werden.
540
Bis zur Heilung der Läsionen kann es zwei Wochen dauern. Danach besteht die
Infektion jedoch in latenter Form weiter, weil das Virus an sensorischen Nerven entlang
zu Ganglioneuronen der Hinterwurzel aufsteigt (s. Kap. 24). Von dort aus kann die
Infektion jederzeit reaktiviert werden: Das HSV wandert an den Nerven entlang wieder
zur selben Stelle und verursacht wiederkehrende Läsionen („Herpesbläschen“).
Bei Erwachsenen kann als seltene Komplikation eine aseptische Meningitis oder
Enzephalitis auftreten. Wird HSV unter der Geburt von der Mutter auf das Kind
übertragen, kann eine disseminierte Herpesinfektion oder eine Neugeborenen-
Enzephalitis die Folge sein.
541
Abb. 21.15 Genitaler Herpes.
Bläschen am Penis (a) bzw. in der Perianal- und Vulvaregion (b). Am Frenulum und
den kleinen Schamlippen sind die typischen Erosionen aufgeplatzter Herpesbläschen
sichtbar (mit freundlicher Genehmigung von J.S. Bingham).
Für eine Behandlung von frühen oder schweren Läsionen sind eine Reihe antiviraler
Mittel (Aciclovir, Valaciclovir und Famciclovir) zur oralen Therapie verfügbar. Nur bei
542
systemischen Komplikationen muss Aciclovir intravenös verabreicht werden. Als
Behandlungsoption für die wiederkehrenden lästigen Schübe bieten sich zwei
Alternativen an: entweder sofortige Gabe eines antiviralen Mittels bei den ersten
Prodromi oder eine niedrig dosierte Therapie mit Aciclovir (Valaciclovir bzw.
Famciclovir) über 6–12 Monate.
21.9 Human-Papillomavirus-(HPV)-Infektion
Es werden über 70 verschiedene Human-Papillomaviren(HPV) unterschieden, die Haut
oder Schleimhäute infizieren können. Die DNA jedes HPV-Typs lässt sich mit weniger als
50% der anderen Typen hybridisieren. Bei den HPV-Typen handelt es sich offensichtlich
um sehr alte virale „Begleiter“ des Menschen, die schon eine lange Entwicklung hinter
sich gebracht und sich an bestimmte Körperregionen angepasst haben.
21.10 HIV-Infektion
Das HIV (human immunodeficiency virus) ist ein Retrovirus (Tab. 21.9). Retroviren (lat.
retro = rückwärts) werden so bezeichnet, weil das pol- Gen ihrer Einzelstrang-RNA für
eine reverse Transkriptase kodiert.
543
a) Am Penis meist multiple Warzen, die am Schaft flach und keratinisiert sein
können. b) Warzen im Perianalbereich reichen oft in den Analkanal hinein. c) Im
Vulva-Perinealbereich können sich die Warzen drastisch vergrößern und in die
Vagina wuchern (mit freundlicher Genehmigung von J.S. Bingham).
Die Patienten wiesen eine eingeschränkte Immunabwehr auf, die durch Haut-Anergie-
Tests und Verminderung der T-Helferzellen festgestellt wurde. Dieses Immundefizienz-
Syndrom, das in Patienten ohne erkennbare Ursache auftrat, wurde als erworbenes
Immunschwäche-Syndrom (acquired immune deficiency syndrome, AIDS)
bezeichnet. Eine international anerkannte Definition wurde kurz darauf verabschiedet.
Nachfolgend kam es zu Epidemien in San Francisco, New York und anderen Städten in
den USA. Epidemien in Großbritannien und Europa folgten einige Jahre später.
Mindestens sechs Gene sind an der Steuerung der HIV-Replikation beteiligt. Nach
Integration des Provirus wird der Replikationszyklus oft angehalten, so dass es zu einer
latenten Infektion der Zellen kommt. Transaktivierende Faktoren wie die tat- und rev-
Gene können jedoch die Produktion von Virus-RNA und Virusproteinen steigern, wenn
latent infizierte Zellen
544
(mit freundlicher Genehmigung von A. Goodman).
545
Molekularbiologisch (hinsichtlich der Aminosäuresequenzen) ist HIV-1 ganz
offensichtlich eng mit dem in Westafrika aufgetretenen HIV-2 verwandt;
möglicherweise stammen beide von nahe verwandten Primatenviren ab. HIV-1 wird in
drei Gruppen unterteilt: M (main), N (new) und O (outlier). Die Hauptgruppe (M)
umfasst zehn Subtypen (A–J), die N- und O-Gruppe konzentrieren sich auf das
westliche Zentralafrika.
HIV-1 war möglicherweise schon seit vielen Jahren bei Menschen in Zentralafrika
vorhanden, begann sich aber erst Ende der 70er Jahre rasch auszubreiten (Abb. 21.21).
Vielleicht hatten sich seine biologischen Eigenschaften verändert, weil es häufiger
übertragen wurde (infolge großer sozioökonomischer Umwälzungen oder aufgrund der
Migration von Menschen aus Zentral- nach Ostafrika). Dabei spielten weibliche
Prostituierte und männliche Söldner oder Arbeitsuchende, die von einem Land ins
andere reisten, eine wichtige Rolle. Schon bald tauchte die Krankheit in Haiti und den
USA auf, danach folgten Europa, Australien und Asien.
In den späten 80er Jahren tauchte HIV auch in asiatischen Ländern auf, zuerst in
Thailand. Dass sich die Infektion bis 1995 explosionsartig ausbreitete, lag an der
heterosexuellen Übertragung von HIV in Asien. Hohe Infektionsraten wiesen vor allem
Prostituierte und i.v. Drogenabhängige auf.
Weltweit waren Ende 2002 mehr als 42 Millionen Menschen (Erwachsene und Kinder)
mit HIVinfiziert:
■ 29,4 Millionen in Afrika südlich der Sahara
■ 7,2 Millionen in Asien und im Pazifikraum
■ 1,2 Millionen in Osteuropa und Zentralasien
■ 1 Million in Nordamerika
■ 650000 in Westeuropa
Fünf Millionen neu Infizierte kamen allein 2002 hinzu, und an den Infektionsfolgen
starben im selben Jahr 3,1 Millionen Menschen. Während dieser Zeit wuchs sich die
Infektion zu einer Epidemie aus, und mit schätzungsweise 1 bzw. 4 Millionen
Infizierten in China und Indien erwartete man dort besonders hohe
Durchseuchungsraten. Nach einigen Hochrechnungen werden sich zwischen 2002 und
2010 zusätzlich 45 Millionen Menschen in 126 Ländern infiziert haben, hauptsächlich in
Ländern mit niedrigem oder mittlerem Pro-Kopf-Einkommen, von denen sich mehr als
40% in Asien und der Pazifikregion befinden.
Abb. 21.18 Struktur und Genkartierung des HIV.
546
Im RNA-Transkript werden die nicht zusammenhängenden Segmente der rev- und
tat-Gene zusammengefügt. Gelegentlich können in der Virushülle Wirtsproteine wie
MHC-Moleküle vorhanden sein (MHC = major histocompatibility complex, p =
Protein, gp = Glykoprotein). Auf dem Höhepunkt der Infektion werden täglich etwa
109 HIV-1-Partikel produziert. Das bedeutet in Verbindung mit der ungenauen
Wiedergabe der reversen Transkriptase, dass ständig neue Virusvarianten entstehen.
Von Mutationen sind vor allem die env- und nef- Gene betroffen. Bei jedem
Patienten finden sich mehrere Virusvarianten und darunter zunehmend häufiger
Mutanten, die arzneimittel- und immunresistent sind.
Auf das Fortschreiten der Erkrankung wirkt sich auch aus, dass es Virusgruppen mit
Tropismus für Makrophagen und T-Zellen gibt und solche, die ein Synzytium
induzieren oder nicht. Durch Genanalysen wurden die HIV-1-Stämme in drei
Gruppen unterteilt – M ist eine Gruppe mit mindestens 10 Subtypen (A–J) in
unterschiedlicher geografischer Verbreitung, zu der die meisten HIV-1-Isolate
gehören, sowie N und O (Afrikaner). Nicht klar ist, wie stark die Kreuzimmunität
zwischen diesen Stämmen ausgeprägt ist.
547
HIV infiziert vor allem Zellen mit CD4-Rezeptoren an der
Oberfläche, benötigt aber zusätzlich Chemokin-
Korezeptoren
Zu den Zellen mit CD4-Rezeptoren gehören T-Helferzellen, Monozyten, dendritische
und Mikrogliazellen (Abb. 21.22 und 21.23). Das CD4-Molekül wirkt als hochaffine
Bindungsstelle für das Glykoprotein gp120 der Virushülle. Doch zu einer produktiven
Replikation mit Zerstörung der Zelle kommt es erst, wenn die T-Helferzelle aktiviert
ist. Die Aktivierung von T-Helferzellen wird nicht nur verstärkt, wenn sie versuchen,
auf HIV-Antigene zu reagieren, sondern auch bei bakteriellen Sekundärinfektionen von
HIV-Patienten.
Um in die Zellen zu gelangen, bindet sich HIV-1 mit seinem Glykoprotein gp120 an den
CD4- und zusätzlich an einen Chemokinrezeptor der Zelloberfläche. Wichtig für die
Infektion ist besonders der CCR5-β-Chemokinrezeptor; Menschen mit Deletionen des
CCR5-Gens sind resistent gegenüber der Infektion mit HIV. Eine fortschreitende
Erkrankung scheint mit HIV-Varianten assoziiert zu sein, die den CXCR4-α-
Chemokinrezeptor benutzen. Also beeinflussen Chemokin(ko)rezeptoren die
Anfälligkeit für eine HIV-Infektion und durch opportunistische Infektionen kommen sie
offenbar vermehrt zur Expression.
548
Abb. 21.19 Replikationszyklus des HIV.
549
Anhand der Lymphozytenproliferation ist die zellvermittelte Immunreaktion auf HIV-
Antigene messbar – auch sie wird immer schwächer, während die Immunreaktionen auf
andere Antigene normal ausfallen. Vielleicht erzeugt das Virus anfangs eine spezifische
Immunsuppression zu seinem eigenen Schutz. Schließlich scheitert der Patient auch bei
der Neubildung von T-Zellen als Ersatz für die Verluste, so dass deren Zahl noch
rascher sinkt.
Sobald sich das Vollbild von AIDS entwickelt, fallen die Immunreaktionen auf HIV-
und andere Antigene noch schwächer aus: Das Immunsystem hat die Kontrolle verloren.
Da Messungen der HIV-1-RNA-Last im Plasma einen Voraussagewert bezüglich der
klinischen Folgen haben, werden sie herangezogen, um das klinische Krankheitsstadium
zu bestimmen und die Krankheitsprogression sowie das Ansprechen der antiretroviralen
Therapie zu beurteilen.
550
■ direkte Zerstörung von T-Helferzellen oder Induktion des programmierten
Zelltods (Apoptose) durch das HIV;
Die Immunreaktionen des Wirts werden außerdem durch die hohe Rate, mit der sich
neue Viruspartikel entwickeln, und die fehlende Korrekturfunktion der reversen
Transkriptase behindert. HIV existiert als Quasispezies, d.h. mit anderen Worten, die
Infektion beruht auf mehreren heterogenen Stämmen. Manche HIV-Varianten sind
Immune-escape-Varianten, also resistent gegen zirkulierende Tc-Zellen, andere sind
hoch pathogen.
Abb. 21.21 Anfängliche Ausbreitung der
(inzwischen weltweit verbreiteten) HIV-Infektion.
HIV-1 könnte bereits seit vielen Jahren in Zentralafrika vorhanden gewesen sein, ehe
es sich in den späten 70er Jahren mit der zunehmenden Migration und aufgrund
sozioökonomischer Umwälzungen auszubreiten begann. Außerhalb von Afrika sind
vor allem Männer infiziert.
551
HIV-2 scheint nicht so leicht übertragbar zu sein wie HIV-1, vielleicht weil die
Viruslast geringer ist und die Progression zu AIDS langsamer vorangeht. In Westafrika
tritt die HIV-2-Infektion endemisch auf, hat sich aber auch schon auf Portugal und
Indien (Teilgebiete) ausgebreitet.
21.10.1 Übertragungswege
Bisher waren in höher entwickelten Ländern vor allem homosexuelle Männer von
einer HIV-Infektion und AIDS bedroht, besonders der passive Partner beim
Analverkehr. Obwohl die Infektion primär von Mann zu Mann und vom Mann auf die
Frau übertragen wird (Abb. 21.24), lässt sie sich nicht gut mit anderen
Geschlechtskrankheiten (STD) vergleichen. In Afrika und Asien wird die HIV-
Infektion dagegen nachweislich häufiger von Frauen auf Männer übertragen. In zufällig
ausgewählten Stichproben waren bis zu 40% der Bevölkerung in zentral- und
ostafrikanischen Dörfern mit HIV infiziert, meist Jugendliche bzw. junge Erwachsene.
Abb. 21.22 Elektronenmikroskopisches Bild einer
HIV-infizierten T-Helferzelle
552
Obwohl sich HIV in erster Linie an CD4-Rezeptoren bindet, wird die Infektion
durch seine Bindung an Chemokinrezeptoren der Wirtszellen (hier nicht gezeigt)
noch verstärkt. Gendefekte an Chemokinrezeptoren könnten eine Erklärung dafür
sein, dass sich manche Prostituierte in Afrika trotz wiederholter HIV-Kontakte nicht
infizierten.
TH = T-Helferzelle
Abb. 21.24 Hauptübertragungswege der HIV-
Infektion.
553
Obwohl die heterosexuelle Übertragung bisher nur in Entwicklungsländern
hinreichend belegt ist, gibt es Anzeichen dafür, dass dieser Weg auch in
entwickelten Ländern zunehmend wichtiger wird.
HIV kann von einer infizierten Mutter auf ihr Kind (vertikal) übertragen werden. 55–
85% der Neugeborenen sind jedoch nicht infiziert (der obere Wert scheint mit einem
Verzicht auf das Stillen verbunden zu sein). Insgesamt kommt es bei 20% der
Schwangerschaften intrauterin oder unter der Geburt zur HIV-Infektion des Kindes.
Peri- und postnatal liegt die Rate bei 11–16%, wenn das Kind bis 24 Monate nach der
Geburt gestillt wurde. In den entwickelten Ländern konnte das Übertragungsrisiko
durch ein vorgeburtliches HIV-Screening, eine antiretrovirale Medikation während der
Schwangerschaft, durch Kaiserschnitt-Entbindung, Verzicht auf das Stillen und eine
antiretrovirale Therapie der Neugeborenen verringert werden. In den
Entwicklungsländern ließe sich schon durch einmalige Gabe eines antiretroviralen
554
Medikaments an Mutter und Kind die HIV-Übertragung nachweislich um 47%
reduzieren!
Ende 2002 waren 3,2 Millionen Kinder unter 15 Jahren mit HIV infiziert oder an AIDS
erkrankt, davon hatten sich 800000 erst in diesem Jahr neu infiziert.
Da die Infektion in Afrika gewöhnlich erst nach Erreichen der sexuellen Reife ausbricht,
ist eine Übertragung durch Arthropoden kaum wahrscheinlich. Seltener kommt es vor,
dass Hämophile (durch verseuchte Blutprodukte) mit HIV infiziert werden. Wie bei
anderen hämatogen übertragbaren Virusinfektionen stellt die Verwendung
kontaminierter Nadeln (bei i.v. Drogenabhängigen, aber auch beim Tätowieren,
Piercing, bei der Akupunktur) eine Infektionsquelle dar. Schließlich können sich auch
Menschen (z.B. Arzt- und Pflegepersonal) infizieren, die beruflich mit HIV-Patienten
zu tun haben (versehentliche Nadelstiche, spritzende Schleimhautverletzung).
Das Infektionsrisiko liegt bei ca. 1/400 und hängt von weiteren Faktoren
(Verletzungstiefe, Menge des kontaminierten Blutes) ab. Handschuhe und Schutzbrille
sollten daher zu den allgemeinen Vorsichtsmaßnahmen gehören, um die
Ansteckungsgefahr zu vermindern.
21.10.2 Krankheitsverlauf
Auf die akute Infektion mit rascher, ausgedehnter Dissemination des HIV folgt das
chronische, asymptomatische Stadium der Infektion. Wenn mit Nachlassen der
Immunantwort die Virusreplikation zurückgeht, fühlen sich die Betroffenen im
Allgemeinen recht gut. Wie lange dieses Stadium anhält, hängt von mehreren Faktoren
ab (HIV-Phänotyp, Immunlage des Wirts, antiretrovirale Therapie). Doch es sind
weiterhin infizierte Zellen vorhanden.
Abb. 21.25
555
Klinik und Verlauf der unbehandelten HIV-Infektion (CMV, Zytomegalievirus;
ZNS, Zentrales Nervensystem; HSV, Herpes-simplex-Virus; PML = progressive
multifokale Leukoenzephalopathie).
556
Progression zum Vollbild AIDS
In Frühstadien der HIV-Infektion führt die Invasion des ZNS zu einer
selbstlimitierenden aseptischen Meningoenzephalitis als dem häufigsten
neurologischen Krankheitsbild. Bei AIDS-Kranken tritt dann eine progrediente,
HIV-assoziierte Enzephalopathie auf, die durch zahlreiche kleine Knötchen
gekennzeichnet ist. Dabei handelt es sich um entzündlich veränderte Zellen, offenbar
hauptsächlich Mikrogliazellen oder infiltrierende Makrophagen. Diese Zellen
exprimieren CD4-Antigen. Man vermutet, dass das HI-Virus von infizierten
Monozyten zum Gehirn transportiert wird.
Doch das Bild wird dadurch komplizierter, dass andere persistierende Infektionen
reaktiviert werden und sich pathologisch auf das Gehirn auswirken können, z.B.
Infektionen durch HSV (Herpes), VZV (Varicella-Zoster-Virus), Toxoplasma gondii,
JC-Virus (progressive multifokale Leukoenzephalopathie, PML) und Cryptococcus
neoformans. Das HIV übt zwar eine umfassende Kontrolle über seine eigene
Replikation aus (Abb. 21.19), doch sie wird auch von den Reaktionen auf andere
Infektionen beeinflusst, die zum Teil wie antigene Reize (Stimuli) oder sogar direkt
wie transaktivierende Faktoren wirken.
Dass sich bei einigen Patienten, vor allem in Afrika, ein Wasting-Syndrom
(auszehrende Krankheit) entwickelt, könnte an einer unerkannten Darminfektion oder
einem Parasitenbefall liegen, möglicherweise ist es aber auch dem direkten Einfluss
von HIV auf die Darmwand zuzuschreiben.
Vor dem Aufkommen der antiretroviralen Therapien lag die 5-Jahres-Letalität nach
einer New Yorker Studie bei 80% und die durchschnittliche Überlebenszeit nach der
Einlieferung ins Krankenhaus belief sich auf 242 Tage.
557
21.10.3 Behandlung
Eine Studie zur Monotherapie mit AZT, einem NRTI, konnte vorzeitig beendet
werden, nachdem sich ein signifikanter klinischer Nutzen für Patienten mit
Symptomen herausgestellt hatte. Für asymptomatisch Erkrankte brachte eine
Monotherapie der Concorde-Studie zufolge keinen größeren Nutzen, während die
1996 vorgelegte Delta-Studie einen erheblichen Vorteil durch eine Behandlung mit
zwei NRTI nachwies.
558
Abb. 21.26 Opportunistische Infektionen und
Tumoren bei HIV-Infektion.
Mit freundlicher Genehmigung von H.P. Holley (a), W.E. Farrar (b und f), E. Sahn
(c), J.A. Innes (d), C.J. Ellis (e).
559
Ein guter Indikator für die Virusreplikation ist die HIV-1-RNA-Last im Plasma. An
einem Anstieg der Viruslast lässt sich ein Therapieversagen ablesen. Man schätzt, dass
die HAART bei jährlich 50% der Patienten nicht anschlägt. Zur klinischen Betreuung
von Infizierten gehören daher auch antiretrovirale Resistenztestung und Überwachung
der Medikation. Ein Test sollte z.B. durchgeführt werden, wenn sich die HIV-1-Last
im Plasma trotz der antiretroviralen Therapie nicht verringert.
560
Tab. 21.10 Opportunistische Infektionen und Tumore bei AIDS.
*
Auch pyogene Bakterien (z. B. Haemophilus, Streptokokken, Pneumokokken)
verursachen Septikämie, Pneumonie, Meningitis, Osteomyelitis, Arthritis,
Abszesse usw.;multiple oder rekurrierende Infektionen, vor allem bei Kindern
**
mit HHV-8 assoziiert, einem unabhängig übertragenen Herpesvirus, das bei
AIDS 300 ×häufiger als bei anderen Immundefizienzsyndromen vorkommt
CMV = Zytomegalievirus, EBV = Epstein-Barr-Virus, HSV = Herpes-simplex-
Virus, PML = progressive multifokale Leukoenzephalopathie, ZNS = zentrales
Nervensystem
561
Die Behandlung von AIDS-Kranken schließt neben
dem Einsatz antiretroviraler Medikamente die
Prophylaxe opportunistischer Infektionen mit ein
Je nach Zahl der CD4-positiven T-Zellen wird eine Prophylaxe gegen
opportunistische Infektionen (mit Pneumocystis jiroveci und Cryptococcus
neoformans) durchgeführt. Wenn opportunistische Infektionen festgestellt wurden,
müssen sie mit geeigneten Mitteln behandelt werden. Zum Einsatz kommen z.B. Co-
trimoxazol oder Pentamidin (mit/ohne Steroide) gegen P. jiroveci, Ganciclovir gegen
CMV, Fluconazol oder Amphotericin B gegen C. neoformans.
21.10.4 Labortests
Die Virusreplikation findet in der Inkubationszeit statt. In dieser Phase kann neben
dem Virusgenom für kurze Zeit auch das p24-Virus-Antigen nachweisbar sein, aber
noch keine Antikörperreaktion des Wirts. Bei den diagnostischen Tests auf HIV-1 und
HIV-2 können verschiedene Nachweismethoden unterschieden werden:
Antikörpernachweis, Antigen-Antikörper-Nachweis, Antigennachweis und
Genomnachweis. Letzterer wird als qualitativer HIV-1-Provirus-DNA- oder als
quantitativer HIV-1-RNA-Nachweis geführt. Zusätzlich werden immer häufiger
antiretrovirale Resistenztests ins Standardrepertoire aufgenommen.
Zunächst wird ein HIV-1- und HIV-2-Antikörper- oder ein kombinierter Antigen-
Antikörper-Test (auf p24-Antigen, s. Kap. 32) durchgeführt. Letzterer hilft die Phase
des diagnostischen Fensters zu verkürzen. Bei positiven Testbefunden muss zur
Bestätigung ein alternatives HIV-Testformat auf eine zweite Originalprobe angewandt
werden (die nicht aufgetrennt im Labor vorrätig zu halten ist). Damit soll sichergestellt
werden, dass kein Laborfehler bei der Separation passiert ist. Mit einem Immunoblot
(auf Nitrozellulose-Streifen geschichtete Antigene) kann die Differenzierung des HIV-
Typs erfolgen. Ein positives Testergebnis wird noch durch eine weitere Blutprobe
bestätigt, um eine Verwechslung bei der Beschriftung der ursprünglich entnommenen
Probe auszuschließen.
Ist es schwierig oder unmöglich, die Diagnose zu stellen – z.B. Ansprechen auf die
Probe, ohne eindeutiges Testergebnis; Serokonversionskrankheit, so dass alle
Screeningtests negativ ausfallen –, kann anhand von Plasma- oder Vollblutproben ein
HIV-1-RNA- oder Provirus-DNA-Test durchgeführt werden.
562
Unabhängig davon, ob HIV-Infizierte eine antiretrovirale Therapie erhalten oder nicht,
wird regelmäßig die Viruslast (HIV-1-RNA) im Plasma gemessen. Zur quantitativen
Bestimmung stehen unterschiedliche Testmethoden zur Verfügung, die kommerziell
erhältlich sind. Den wichtigsten Verfahren liegen Reverse-Transkriptase-Polymerase-
Kettenreaktion (RT-PCR), Branched-DNA-Signalamplifikation und RNA-
Transkriptions-Isothermalen-Amplifikation zugrunde.
Probleme kann die Diagnose einer HIV-Infektion bei Neugeborenen bereiten. Die
vorhandenen IgG-Antikörper könnten von der Mutter stammen. Tests, die
virusspezifische IgM- und IgA-Antikörper nachweisen könnten und damit eine
intrauterine Infektion (s. Kap. 23) bestätigen würden, sind kommerziell noch nicht
erhältlich. In Referenzlaboren gehören sie jedoch zum Portfolio und werden auch im
Haus durchgeführt. Um den HIV-Status von Säuglingen zu ermitteln, werden in
unterschiedlichen Zeitabständen (bis 12 oder 24 Monate nach der Geburt) Blutproben
auf p24-Antigen, HIV-1-RNA und/oder HIV-1-Provirus-DNA und auf HIV-
Antikörper getestet.
Zur Prävention der HIV-Infektion bemüht man sich aber vor allem um
Erziehungsprogramme für die breite Öffentlichkeit. Das betrifft die Anleitung zu
einem veränderten Sexualverhalten (weniger Promiskuität) ebenso wie die
Anwendung von Barriere-Kontrazeptiva (Kondome).
563
Wie wichtig es ist, die Übertragungsraten zu verringern, wird in Kap. 31 diskutiert.
Die größte Gefahr für die Zukunft geht in den entwickelten Ländern von der
zunehmend häufiger werdenden heterosexuellen Übertragung aus – nach
demselben Muster wie in Afrika und Asien. Leider sind noch nicht alle
Einflussfaktoren bei der heterosexuellen Übertragung bekannt, doch klar ist, wie sie
sich verhüten lässt: durch Benutzen von Kondomen und geringere Promiskuität.
Bisher hat es sich als schwierig erwiesen, mithilfe öffentlicher Gesundheitsprogramme
und über die Medien auch in der heterosexuellen Bevölkerung eine Veränderung des
Sexualverhaltens zu bewirken. Eine Verhaltensänderungen unter Heterosexuellen
würde sicher zu einem deutlichen Rückgang sämtlicher STD führen.
21.10.6 Impfung
Die Gefahr, dass Antikörper induziert werden, die die Infektiosität verstärken, hat man
erkannt. Eine Verstärkung durch Antikörper spielt z.B. beim hämorrhagischen
Schocksyndrom (Dengue-Virus) eine wichtige Rolle. Diese Antikörper neutralisieren
das Virus nicht, sondern kombinieren sich mit ihm zu einem Komplex, der sich an den
Fc-Rezeptor von Monozyten bindet, aufgenommen wird und sie so infiziert. Anders
ausgedrückt: Diese Antikörper schützen nicht, sondern sie befördern das Virus direkt
in anfällige Zellen hinein. Andererseits lässt die Tatsache, dass es schon eine
erfolgreiche Impfung gegen Katzenleukose (feline Leukämie durch ein felines
Retrovirus) und einen ähnlichen Impfschutz für Affen gibt, darauf hoffen, dass
irgendwann ein HIV-Impfstoff entwickelt wird.
564
21.11 Opportunistische Infektionen
565
während der Menstruation) begünstigt. Für die Übertragung von Hepatitis B zwischen
männlichen Homosexuellen ist wie bei der HIV-Übertragung Analverkehr (besonders
für den passiven Partner) als höchster Risikofaktor anzusehen. Hepatitis D wird ähnlich
wie Hepatitis B übertragen. Nur selten wird eine Hepatitis C sexuell übertragen
(weniger als 5% der langjährigen Sexualpartner infizieren sich).
21.12 Arthropodenbefall
Ihre Eier („Nissen“) sieht man an den Schamhaaren. Mit der Handlupe oder unter dem
Mikroskop sind auch die 2 mm langen, typischen Läuse erkennbar, die oft an
Haarwurzeln sitzen. Läuse sind keine Seltenheit (über 10000 Fälle/Jahr in
Großbritannien). Zur Behandlung wird auf die befallenen Stellen 1%ige Permethrin-
Creme aufgetragen.
■ Bis auf Hepatitis A und B gibt es keine Impfung; doch für viele dieser
Infektionen gibt es eine wirksame Chemotherapie.
566
■ Die Übertragungshäufigkeit hängt u. a. vom Verhalten ab, das sich bekanntlich
bei Menschen schlecht beeinflussen lässt.
■ Lange Intervalle zwischen dem Beginn der Infektiosität und Ausbruch der
Krankheit erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung.
FRAGEN
Eine 24-jährige Kunstkritikerin mit Fieber, trockenem Husten und Kurzatmigkeit seit
ca. 10 Tagen hat das Gefühl, ihr Zustand habe sich verschlechtert. Sie wirkt sehr
besorgt, doch aus der medizinischen Anamnese oder körperlichen Untersuchung
ergeben sich keine auffälligen Befunde. Um eine atypische Pneumonie abzuklären,
wird ihr Blut abgenommen und vom Arzt Amoxycillin und Erythromycin
verschrieben. Fünf Tage später gehtes ihr noch viel schlechter, und ihr Arzt veranlasst
die Krankenhauseinweisung. Blutuntersuchung (Ergebnis der Probe vom 10.
Krankheitstag): Hämoglobin 13 g/dl, Leukozyten 2,3 × 109/l, Mykoplasmen-
Latexagglutinationstest <8, Chlamydienantikörper-KBR < 40, Titer:Influenza-A- und -
B-Virus < 40, Adenoviren < 40, Mycoplasma pneumoniae < 40, Coxiella burnetii < 40.
Später gesteht die Patientin, dass sie viel Gewicht verloren hat und nachts stark
schwitzt. Sorgen bereitet ihr vor allem, dass sie vor vier Jahren monatelang intimen
Kontakt zu einem Freund hatte, der später als HIV-1-seropositiv diagnostiziert wurde.
4 Der Zustand der Patientin bessert sich in den nächsten zwei Wochen. Wie sieht
die Prognose aus? Wie würden Sie die Nachsorge gestalten?
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Hansfield, H.: Color Atlas and Synopsis of Sexually Transmitted Diseases. McGraw-
Hill, New York 2001.
Hirsch, M.S., Brun-Vezinet, F., D’Aquila, R.T. et al.: Antiretroviral drug resistance
testing in adult HIV-1 infection: recommendations of an International AIDS Society-
USA Panel. JAMA 283 (18) (2000) 2417–2426.
Ho, D.D., Neumann, A.U., Perelson, A.S. et al.: Rapid turnover of plasma virions and
CD4 lymphocytes in HIV-1 infection. Nature 373 (1995) 123–126.
567
Köhler, W., Eggers, H.J., Fleischer, B., Marre, R., Pfister, H., Pulverer, G (Hrsg.).
Medizinische Mikrobiologie. Urban & Fischer Verlag, München, Jena.
Lawn, S.D., Butera, S.T., Folks, T.M.: Contributions of immune activation to the
pathogenesis and transmission in human immunodeficiency virus type 1 infection.
Clin Microbiol Rev 14 (2001) 753–777.
Mellors, J.W., Rinaldo, C.R., Gupta, P. et al.: Prognosis of HIV-1 infection predicted
by the quantity of virus in plasma. Science 272 (1996) 1167–1170.
Shafer, R.W.: Genotypic testing for human immunodeficiency virus type 1 infection
drug resistance. Clin Microbiol Rev 15 (2002) 247–277.
UNAIDS: http://www.unaids.org
568
22 Gastrointestinale Infektionen
22.1 Viral und bakteriell verursachte Durchfallerkrankungen 298
569
Zur Orientierung
Krankheiten durch oral aufgenommene Pathogene können auf den Darm
beschränkt bleiben oder auf andere Körperregionen übergreifen
Eine Infektion setzt voraus, dass eine ausreichende Keimmenge aufgenommen wird oder
dass die Erreger dank bestimmter Eigenschaften der Abwehr im oberen Verdauungstrakt
entgehen und in den Dünndarm gelangen (Abb. 22.1; s. auch Kap. 13). Dort können sie
sich vermehren und/oder Toxine bilden und so eine lokal begrenzte Infektion auslösen.
Sie können aber auch tiefer in die Darmmukosa eindringen und sich über das Lymph-
oder Blutsystem im Körper ausbreiten (Abb. 22.2). Die schädlichen Folgen, die
gastrointestinale Infektionen haben können, sind in Tab. 22.3 zusammengefasst.
Eine echte Lebensmittelvergiftung tritt dagegen auf, wenn mit der Nahrung chemische
Giftstoffe (wie Schwermetalle) oder Bakterientoxine (z.B. von Clostridium botulinum
oder Staphylococcus aureus) aufgenommen wurden. Die Bakterien vermehren sich und
produzieren Toxine innerhalb der kontaminierten Nahrungsmittel. Durch die Zubereitung
können zwar toxinbildende Bakterien, nicht aber ihre Toxine zerstört werden, die wenige
Stunden nach dem Konsum Wirkung zeigen. Bei einer Nahrungsmittel-assoziierten
Infektion dient die Nahrung nur als Vehikel (z.B. für Campylobacter pylori) oder
begünstigt die Keimvermehrung (z.B. von Salmonellen).
570
Tab. 22.1 Wie in der Umgangssprache werden gastrointestinale
Infektionen auch klinisch oft unterschiedlich bezeichnet.
571
Tab. 22.2 Wichtige bakterielle und virale Krankheits-erreger im
Verdauungstrakt.
EHEC = enterohämorrhagische E. coli (bilden Verotoxin), ETEC =
enterotoxigene E. coli, SRSV = kleine Viren rundlicher Struktur (small round
structured viruses)
572
Abb. 22.1 Täglich verschlucken wir jede Menge
Mikroorganismen.
Die körpereigene Abwehr bewirkt, dass nicht allzu viele die Darmpassage überstehen
und eine Infektion auslösen.
573
Abb. 22.2 Gastrointestinale Infektionen lassen sich in
zwei Gruppen unterteilen, je nachdem, ob sie auf den
Verdauungstrakt beschränkt bleiben oder auf andere
Bereiche übergreifen.
Um sich auf neue Wirte auszubreiten, müssen die Erreger in großer Menge mit dem
Stuhl ausgeschieden werden und lange genug in der Umgebung überleben können, bis
sich ein anderer Wirt direkt oder indirekt (über kontaminierte Nahrung oder Wasser)
infiziert.
574
Tab. 22.3 Lokale oder weiter entfernte Schädigungsfolgen
gastrointestinaler Infektionen
Dass Durchfallerkrankungen vielfach gar nicht diagnostiziert werden, liegt zum Teil an
ihrem milden und spontan sistierenden Verlauf (was einen Arztbesuch überflüssig
macht), zum Teil aber auch an unzureichenden Labor- und medizinischen
Einrichtungen, besonders in den Entwicklungsländern.
Im Allgemeinen kann man allein anhand des klinischen Bildes die verschiedenen
Infektionserreger nicht unterscheiden. Nützliche Hinweise ergeben sich aber oft aus der
Anamnese (Ernährung, Reisen) sowie durch makro- und mikroskopische Untersuchung
575
des Stuhls auf Blut und Schleim/Eiter. Die exakte Diagnose lässt sich nur mit
Laboruntersuchungen stellen. Sie ist wichtig, wenn bei gehäuftem Auftreten
(Epidemien) epidemiologische Untersuchungen und geeignete Kontrollmaßnahmen
durchgeführt werden sollen.
576
Enterotoxische E. coli (ETEC) besitzen Fimbrien-
Adhäsine
Mit ihren Fimbrien-Adhäsinen können sich ETEC an spezifische
Membranrezeptoren der Dünndarmzellen binden (Tab. 22.4 und Abb. 22.4). Ihre
Plasmidgene produzieren stark wirksame Enterotoxine, die als hitze- bzw.
thermolabil (LT) oder thermostabil (ST) eingestuft werden:
Abb. 22.3 Elektronenmikroskopisches Bild
enteropathogener E. coli (EPEC).
577
Tab. 22.4 Eigenschaften von E.-coli-Stämmen, die gastrointestinale
Infektionen auslösen.
578
* in Kursivschrift Spezialtests (LT = thermolabiles, ST = thermostabiles
Enterotoxin)
Abb. 22.4 Elektronenmikroskopisches Bild der Pili
enterotoxischer E. coli – zur Adhärenz an
Schleimhautepithel
579
Enteroinvasive E. coli (EIEC) heften sich bevorzugt an
Dickdarmmukosa
Sie benutzen dazu Plasmidgene und werden durch Endozytose in die Zellen
aufgenommen. Im Zellinneren vermehren sie sich nach Lyse der Endozytosevesikel
und breiten sich in benachbarte Zellen aus. Die Zerstörung, Entzündung, Nekrose
und Ulzeration des Gewebes, die sie verursachen, hat Blut und Schleim im Stuhl zur
Folge (Tab. 22.4 und 22.5).
580
Da E. coli zur normalen Darmflora gehören, müssen die für Diarrhoe
verantwortlichen Stämme durch spezifische Tests identifiziert werden (Tab. 22.4).
Dass häufiger Kinder betroffen sind oder Infektionen oft mit Reisen
zusammenhängen, sollte bei der Laboruntersuchung von Stuhlproben berücksichtigt
werden. Wichtig ist, dass neben einer Routine-Stuhluntersuchung Spezialtests
nötig sind, um spezifisch mit Diarrhoe assoziierte E.-coli-Typen zu identifizieren.
Solche Tests werden bei unkomplizierter Diarrhoe gewöhnlich nicht durchgeführt,
da diese in der Regel selbstlimitierend verläuft. Aus Sorge vor einer EHEC-Infektion
(blutige Durchfälle) führen die meisten Laboratorien in den entwickelten Ländern
ein Screening auf E. coli O157:H7 durch.
Abb. 22.5 Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS)
infolge der Verotoxinbildung bei EHEC-Infektion.
581
Salmonellen
Alle Salmonellen außer S. typhi und S. paratyphi findet man sowohl bei Tieren als
auch bei Menschen. Wegen des großen Tierreservoirs kann die Infektion durch
kontaminierte Nahrungsmittel (vor allem Geflügel und Molkereiprodukte) leicht
auf Menschen übertragen werden (Abb. 22.6). Eine Übertragung durch Wasser ist
selten. Da Salmonellen auch von Mensch zu Mensch übertragbar sind, können sich
z.B. mehrere Familienmitglieder anstecken, nachdem sich einer durch kontaminierte
Speisen infiziert hat.
582
Bis auf Salmonella typhi sind Salmonellen auch bei Tieren weit verbreitet, die
daher eine ständige Infektionsquelle für Menschen darstellen. Da Infizierte und
Träger sie in großer Zahl im Stuhl ausscheiden, gelangen Salmonellen laufend
zurück in die Nahrungskette.
583
Abb. 22.7 Salmonellen-Passage durch den Körper.
Die meisten Infektionen bleiben auf den Darmtrakt beschränkt, ohne dass die
Salmonellen weiter als zur Mukosa vordringen. cAMP = zyklisches
Adenosinmonophosphat
584
In den allermeisten Fällen führen Salmonellen zu einer akuten, selbstlimitierenden
Diarrhoe, auch wenn die Symptome bei Kleinkindern und älteren Menschen stärker
sein können. Häufig kommt begleitend zur Enterokolitis Erbrechen vor, während
Fieber meist auf eine invasive Verlaufsform hindeutet (Tab. 22.5). Systemische
Infektionen durch S. typhi und S. paratyphi, die sich vom Verdauungstrakt in den
Körper ausbreiten, werden weiter unten besprochen.
585
möglicherweise einen Ersatz von Flüssigkeit und Elektrolyten. Solange nichts für
einen invasiven oder septischen Verlauf spricht, ist von einer Antibiotikatherapie
abzuraten, da sie weder die Symptome lindert noch die Krankheitsdauer verkürzt,
sondern sogar noch zu einer längeren Ausscheidung von Salmonellen im Stuhl
beitragen kann. Es deutet auch einiges darauf hin, dass die symptomatische
Behandlung mit Antidiarrhoeika dieselbe unerwünschte Wirkung hat.
■ hygienische Nahrungszubereitung
Campylobacter
586
(mit freundlicher Genehmigung von I. Farrell).
Wie Salmonellen hat auch Campylobacter ein großes Tierreservoir (Rinder, Schafe,
Nager, Geflügel, andere Vögel). Die Infektion erfolgt über kontaminierte
Nahrungsmittel (meist Geflügel), Milch oder Wasser. Nach neueren Studien
besteht offenbar eine Assoziation zum Konsum aus Milchflaschen, an deren Deckel
wild lebende Vögel mit dem Schnabel gehackt hatten. Auch Haustiere wie Hunde
oder Katzen können sich infizieren und besonders für Kleinkinder eine
Infektionsquelle darstellen. Eine Ansteckung auf fäkal-oralem Weg zwischen
Menschen kommt ähnlich selten vor wie eine Übertragung durch
Lebensmittelverkäufer.
587
Klinisch besteht eine große Ähnlichkeit zwischen
Campylobacter-, Salmonellen- und
Shigelleninfektionen
Die makroskopisch und histopathologisch erkennbaren Ulzerationen und blutig-
entzündeten Schleimhautstellen in Jejunum, Ileum und Kolon (Abb. 22.9) sind mit
einer Bakterieninvasion vereinbar, doch es wurden auch Zytotoxine von C. jejuni
nachgewiesen. Gerade bei Neugeborenen und körperlich geschwächten
Erwachsenen sind Invasion und Bakteriämie keine Seltenheit.
588
Schwere Campylobacter-Diarrhoen mit
Erythromycin behandeln
Erythromycin ist Mittel der Wahl, falls die Schwere der Symptome eine
Antibiotikatherapie erforderlich macht. Invasive Infektionen müssen unter
Umständen zusätzlich mit Chinolonen, Tetracyclin oder Aminoglykosiden behandelt
werden. Die für Salmonellen beschriebenen präventiven Maßnahmen gelten auch
für Campylobacter. Ein Screening bei Lebensmittelverkäufern ist allerdings nicht
notwendig, da eine Kontamination von Nahrungsmitteln auf diesem Weg eher
ungewöhnlich ist.
589
1990 verbreitete sich in Lateinamerika die siebte Cholera-Pandemie. Endemisch tritt
die Cholera auch weiterhin in Südostasien sowie in Teilen Afrikas und Südamerikas
auf. Anders als Salmonellen oder Campylobacter kommt V. choleraefrei lebend in
Süßwasser vor, infiziert aber ausschließlich Menschen. Man vermutet in
symptomlosen menschlichen Trägern das Hauptreservoir.
Die Krankheit breitet sich über kontaminierte Nahrung aus; auch Muscheln aus
Süßwasserzuchten oder Flussmündungen könnten eine Rolle spielen. Eine direkte
Übertragung von Mensch zu Mensch ist aber eher untypisch. Cholera tritt überall
dort häufig auf, wo die Versorgung mit sauberem Trinkwasser nicht oder nur
sporadisch gewährleistet ist bzw. Abwässer nicht richtig entsorgt werden.
Vereinzelte Fälle gibt es auch in entwickelten Ländern hin und wieder (in den USA
z.B. an der Golfküste von Louisiana oder in Texas), doch die hohen
Hygienestandards verhindern im Allgemeinen eine Weiterverbreitung.
1992 tauchte in Südindien ein neuer Nicht-O1-Stamm (O139) auf, der sich rasch
ausbreitete. Da er Menschen, die gegen O1 immun sind, infizieren und Epidemien
verursachen kann, erklärte man ihn zum achten pandemischen Cholerastamm. V.
cholerae O139 scheint von einem El-Tor-O1-Biovar abzustammen, das durch
horizontalen Gentransfer ein neues O-(Kapsel-) Antigen eines Nicht-O1-Stamms
erworben hat. In einer Region, in der große Teile der Bevölkerung immun gegen
O1-Stämme sind, bedeutete das einen selektiven Vorteil für den „Empfänger“-
Stamm.
590
Der Serotyp O1 kann in Biovare mit unterschiedlichen epidemiologischen
Eigenschaften unterteilt werden. Beim Ausbruch von Masseninfektionen wird zu
Untersuchungszwecken noch eine weitere Unterteilung in Serosubgruppen und
Phagentypen vorgenommen. Obwohl V. cholerae der wichtigste Erreger ist,
können auch andere Vertreter der Gattung gastrointestinale und sonstige
Infektionen hervorrufen.
Die klinischen Kennzeichen der Cholera sind in Tab. 22.5 zusammengefasst. Der
stark wässrige, nicht blutige Durchfall wird aufgrund seines Aussehens als
„Reiswasserstuhl“ bezeichnet (Abb. 22.13) und kann zu einem Flüssigkeitsverlust
von 1 Liter/Stunde führen. Durch den Flüssigkeitsverlust und die damit verbundenen
Elektrolytstörungen kommt es zu ausgeprägter Dehydrierung, metabolischer
Azidose (Bikarbonatverlust), Hypokaliämie (Kaliumverlust) und zum
hypovolämischen Schock bis hin zum Herzversagen. Unbehandelt ist Cholera in 40–
60% der Fälle tödlich, doch durch raschen Ersatz von Flüssigkeit und Elektrolyten
lässt sich die Letalität unter 1% senken.
591
Um sporadische oder importierte Fälle von Cholera
und Träger des Erregers zu erkennen, sind
Stuhlkulturen nötig
In Ländern mit Cholera-Prävalenz stützt sich die Diagnose auf klinische Zeichen
und wird selten laborchemisch überprüft. Man sollte daran denken, dass eine ETEC-
Infektion ähnlich schwer wie Cholera verlaufen kann – und dass in beiden Fällen der
Ersatz von Flüssigkeit und Elektrolyten vorrangig ist. Die Kulturmethoden sind im
Anhang aufgeführt.
Abb. 22.12 Zentraler Pathomechanismus bei
Cholera ist die Bildung eines Enterotoxins.
592
(mit freundlicher Genehmigung von A.M. Geddes)
Shigellen (Shigellose)
593
Je nach Erregerspezies können Shigelleninfektionen
mild oder schwer verlaufen
Die Shigellose ist auch als Bakteriendysenterie – im Unterschied zur
Amöbendysenterie (s. unten) – bekannt, weil ihre schwere Verlaufsform durch eine
entzündliche Invasion der Dickdarmmukosa gekennzeichnet ist. Aufgrund der
Entzündung sind die Durchfälle mit eitrigem Schleim und Blut durchsetzt. Je nach
auslösender Spezies und Gesundheitszustand des Wirts kommt es zu milden bis
schweren Symptomen. Es gibt vier Spezies:
Shigellosen sind in erster Linie pädiatrische Erkrankungen. Wenn sie mit einer
starken Mangelernährung einhergehen, können Komplikationen wie das
Proteinmangelsyndrom Kwashiorkor begünstigt werden.
594
Histologisch Epithelläsionen, die von Pseudomembranen bedeckt sind, und
interstitielle Infiltration im Kolon sichtbar. Die Nebenzellen haben Muzin
abgesondert, die Becherzellen sind leer; Kolloid-Eisenfärbung.
595
häufigsten mit Nahrungsmitteln übertragen, während Cholera bevorzugt durch
verseuchtes Wasser und Shigellosen im direkten Kontakt auf fäkal-oralem Weg
übertragen werden. Nachfolgend werden weitere Bakterien beschrieben, die
nahrungsassoziierte Infektionen oder eine Lebensmittelvergiftung hervorrufen können.
Yersinia enterocolitica gehört zur Familie der Enterobacteriaceae und löst speziell
bei Kindern und vor allem in kälteren Regionen nahrungsmittelassoziierte
Infektionen aus. Die Gründe für dieses geografische Verteilungsmuster sind nicht
bekannt, doch der Keim wächst z.B. bevorzugt bei Temperaturen von 22–25°C. Y.
enterocolitica findet sich bei tierischen Wirten wie Nagetieren, Kaninchen,
Schweinen, Schafen, Rindern, Pferden und Haustieren (nach einigen Fallberichten
erfolgte eine Übertragung durch Hunde). Yersinien überstehen selbst tiefe
Temperaturen (4°C) und vermehren sich im Kühlschrank, wenn auch langsamer.
Eine Infektion kann durch verseuchte Milch und andere Lebensmitteln
hervorgerufen werden.
Der Pathomechanismus ist unbekannt. Klinisch zeigt sich eine Invasion des
terminalen Ileums mit Nekrose der Peyer-Plaques und einer Entzündung
mesenterialer Lymphknoten (Abb. 22.15). Das Krankheitsbild (Enterokolitis mit
mesenterialer Lymphadenitis) lässt sich besonders bei Kindern leicht mit einer
akuten Appendizitis verwechseln. Die klinischen Zeichen sind in Tab. 22.5
zusammengefasst, die Labordiagnostik wird im Anhang erläutert. Wie bei V.
parahaemolyticus sollte man auf den Yersinien-Verdacht hinweisen, damit die
Proben im Labor entsprechend aufbereitet werden.
596
C. perfringens kann unter folgenden Bedingungen mit Durchfallerkrankungen
assoziiert sein (Pathogenese Abb. 22.16):
Abb. 22.15 Yersinia-enterocolitica -Infektion des
Ileums; oberflächliche Schleimhautnekrose mit
Ulzerationen
597
Abb. 22.16 Clostridium perfringens ruft zwei Formen
nahrungsassoziierter Infektionen hervor.
598
Üblicherweise ist die Infektion durch ein Enterotoxin vermittelt (links). Wenn
beim Kochen von Fleisch- oder Geflügelgerichten zwar die lebenden Bakterien,
nicht aber die Sporen zerstört werden, keimen die Sporen beim Abkühlen der
Nahrung. Wird das Essen beim Aufwärmen nicht ausreichend erhitzt (wie es oft
bei Fertiggerichten aus Großküchen der Fall ist), werden große Keimmengen
aufgenommen. Die seltenere Infektion durch β-Toxinbildende Stämme (rechts)
führt zu einer schwer nekrotisierenden Erkrankung.
Von dieser Form (nach Verzehr von kontaminiertem Fleisch) sind Menschen
betroffen, die nicht an eine proteinreiche Ernährung gewöhnt sind und bei denen
das Toxin aufgrund eines Trypsinmangels nicht im Dünndarm abgebaut werden
kann. Traditionell trat diese Form der Erkrankung bei Eingeborenen in Neuguinea
nach orgiastischen Schweinefleisch-Festen auf, kam aber auch bei
Kriegsgefangenen nach der Freilassung vor.
Die klinischen Zeichen der üblichen Verlaufsform sind in Tab. 22.5 aufgeführt. Im
Anhang ist die Labordiagnostik bei Verdacht auf C.-perfringens-Infektion
beschrieben. Der anaerobe Keim lässt sich gut auf Routinelabor-Nährböden
anzüchten. Mithilfe der Latexagglutination kann die Enterotoxinbildung
nachgewiesen werden.
Viele Lebensmittel können mit Sporen und vegetativen Formen von Bacillus cereus
kontaminiert sein. Die Infektionen äußern sich entweder:
Wie Abb. 22.17 zeigt, sind zwei verschiedene Toxine beteiligt. In Tab. 22.5 sind
die klinischen Infektionsmerkmale aufgelistet. Zur Diagnosesicherung sind
Spezialnährboden erforderlich (s. Anhang). Solange keine Kultur von verdächtigen
Nahrungsmitteln angelegt wurde, lässt sich bei Erbrechen nur schwer B. cereus als
Ursache ermitteln.
Wie bei C. perfringens sollten Gerichte ausreichend gekocht und möglichst bald
verzehrt werden, um eine B. cereus-Infektion zu verhindern. Eine
Antibiotikatherapie ist nicht indiziert.
599
Als Komplikation einer Breitspektrum-
Antibiotikatherapie kann eine Diarrhoe durch C.
difficile auftreten
Alle bisher beschriebenen Infektionen hingen mit der Ingestion von Keimen oder
Toxinen zusammen. Diarrhoen können allerdings auch infolge einer Störung der
normalen Darmflora auftreten. Schon früh erkannte man, dass Antibiotika nicht nur
gegen Erreger wirksam sind, sondern auch die Normalflora schädigen können. Ist die
Darmflora z.B. nach oraler Gabe von Tetracyclinen gestört, siedeln sich manchmal
statt der üblichen fakultativ anaeroben Gram-negativen Keime Staphylococcus aureus
(verursacht Enterokolitis) oder Hefepilze wie Candida an.
Kurz nach der Zulassung von Clindamycin zum therapeutischen Einsatz stellte sich
heraus, dass es zu schweren Diarrhoen führt, bei denen sich charakteristische fibrinöse
Pseudomembranen auf der Mukosa bilden (pseudomembranöse Kolitis, s. Abb.
22.18). Clindamycin ist allerdings nicht selbst Ursache der Kolitis, sondern begünstigt
eine Überwucherung der normalen Darmflora mit C. difficile. Bei Kindern kommt
dieser Keim oft im Darm vor, bei Erwachsenen tritt er seltener auf; unter
Krankenhauspatienten kann er durch eine Kreuzinfektion erworben werden.
600
Abb. 22.17 Bacillus cereus kann zwei Formen
nahrungsassoziierter Infektionen hervorrufen. An
beiden sind Toxine beteiligt.
Wie andere Clostridien produziert auch C. difficileExotoxine, von denen zwei als
Zytotoxin bzw. als Enterotoxin charakterisiert wurden; beide scheinen in der
Pathogenese der pseudomembranösen Enterokolitis eine Rolle zu spielen.
Obwohl anfangs nur eine Verbindung mit Clindamycin bestand, hat sich gezeigt, dass
eine C.-difficile- Diarrhoe auch nach Therapien mit anderen Breitspektrumantibiotika
auftreten kann; daher die Bezeichnung Antibiotika-assoziierte Diarrhoe bzw. Kolitis.
601
Die Infektion verläuft oft so schwer, dass eine Behandlung mit Metronidazol (gegen
Anaerobier wirksam) oder oralem Vancomycin erforderlich wird. Da aber unter
verlängerter oraler Vancomycin-Therapie – vermutlich aus der Darmflora stammende
– Vancomycin-resistente Enterokokken isoliert wurden, wird empfohlen, auf eine
orale Gabe von Vancomycin möglichst zu verzichten (s. Kap. 33).
Abb. 22.18 Antibiotika-assoziierte Kolitis durch
Clostridium difficile.
602
Abb. 22.19 In den Entwicklungsländern sind
Durchfallerkrankungen eine Hauptursache von
Krankheit und Tod im Kindesalter.
Hier ist der prozentuale Anteil der unterschiedlichen Erreger dargestellt. Es fällt
auf, dass in rund 20% der Fälle die Infektionsursache unklar bleibt; doch
vermutlich sind vielfach Viren dafür verantwortlich (nach Daten der WHO).
Rotaviren
Diese morphologisch unverwechselbaren Viren (Abb. 22.20) haben ein Genom aus 11
getrennten Abschnitten doppelsträngiger RNA. Rotaviren infizieren meist junge
Säugetiere (Menschen genauso wie Kätzchen, Welpen, Kälber, Fohlen und
Täubchen), doch zu Kreuzinfektionen zwischen verschiedenen Spezies kommt es
vermutlich nur gelegentlich. Beim Menschen sind mindestens zwei Serotypen
bekannt.
603
Rotaviren beeinträchtigen den Darmtransport und
lösen so Diarrhoen aus
Die Inkubationszeit beträgt 1–2 Tage. Nach der Virusvermehrung im
Dünndarmepithel kommt es zu akutem, oft schwallartigem Erbrechen und zu
Durchfall, der 4–7 Tage anhalten kann. Durch die Virusreplikation werden die
Transportmechanismen im Darm behindert und der Wasser-, Salz- und
Glukoseverlust führt dann zur Diarrhoe (Abb. 22.21).
Abb. 22.20 Rotaviren.
Der klar umschriebene äußere Rand und strahlenförmig um den inneren Kern
(Core) angeordnete Kapseln verleihen den Viruspartikeln (Durchmesser 65 nm)
ihr typisches „Speichenrad“-Aussehen (daher: Rotaviren) (mit freundlicher
Genehmigung von J.E. Banatvala).
604
Abb. 22.21 Entstehungsmechanismus einer
Rotavirusdiarrhoe; bei anderen Virusinfektionen
dürften unterschiedliche Mechanismen beteiligt
sein.
605
Am häufigsten sind Kleinkinder unter zwei Jahren betroffen, und Infektionen
treten bevorzugt in der kalten Jahreszeit auf. In den ersten sechs Lebensmonaten
verleihen IgA-Antikörper im Kolostrum noch Immunität. Oft kommt es in
Kinderkrippen zu Infektionsausbrüchen. Da sich bei fast allen älteren Kindern
Antikörper gebildet haben, sind sie weniger anfällig. Sporadische Fälle können aber
auch bei Erwachsenen vorkommen.
606
Patienten erholen sich innerhalb von 24–48 Stunden wieder. Bei massenhaften
Ausbrüchen oder für epidemiologische Studien ist die Labordiagnostik wichtig –
gewöhnlich elektronenmikroskopisch oder mit Immuntechniken (ELISA). Mit den
Genom-Nachweismethoden hat sich die Sensitivität verbessert. Viren dieser Gruppe
verursachen oft durch Nahrungsmittel aus Gewässern bedingte Diarrhoen (z.B. mit
Fäkalien verseuchte Muscheln).
Obwohl epidemieartige Gastroenteritisfälle oft eine virale Ätiologie haben, lässt sich
kaum genau sagen, welche Rolle ein bestimmtes, im Stuhl nachgewiesenes Virus
dabei spielt. Denn im Gastrointestinaltrakt replizieren sich viele Viren, die keine
akute Durchfallerkrankung auslösen.
22.2 Lebensmittelvergiftung
In diesem Abschnitt bleibt der Begriff „Lebensmittelvergiftung“ ausschließlich
Erkrankungen vorbehalten, die durch bakterielle Toxine in kontaminierten
Lebensmitteln verursacht werden (s. oben). Diese Definition erfüllt das emetogene B.-
cereus- Toxin ebenso wie Erkrankungen durch Staphylococcus-aureus-Enterotoxin und
Clostridium-botulinum-Toxin, die mit der Nahrung aufgenommen werden.
607
kontaminierten Speisen lässt sich oft kein einziger lebender Keim mehr entdecken,
wohl aber das Enterotoxin (Nachweis durch Latexagglutinationstest).
22.2.2 Botulismus
Die Toxine werden entweder mit der Nahrung aufgenommen (meist Konserven oder
wieder Aufgewärmtes) oder im Darm gebildet (nach Ingestion des Erregers). Nach
der Resorption über die Darmschleimhaut gelangen sie mit dem Blut zu ihrem
eigentlichen Wirkort, den Synapsen peripherer Nerven. Dort bewirken sie eine
Blockade der Nervenleitung (Neurotransmission, s. Kap. 17).
■ Lebensmittelbotulismus
■ Säuglingsbotulismus
■ Wundbotulismus
608
Beim Lebensmittelbotulismus entsteht das Toxin in keimverseuchter Nahrung und
wird dann aufgenommen. Beim Säuglings- und Wundbotulismus werden dagegen
die Keime aufgenommen bzw. in Wunden eingebracht, ehe sie sich vermehren und in
vivo Toxine bilden. Beim Säuglingsbotulismus konnte eine Verbindung zu Sporen
von C. botulinum in Honig nachgewiesen werden, mit dem die Kinder gefüttert
wurden.
Alle drei Formen zeigen das gleiche klinische Bild und sind durch eine schlaffe
Parese gekennzeichnet; die progressive Muskelschwäche kann bis zum Atemstillstand
führen. Daher ist unbedingt eine Intensivbehandlung erforderlich. Bis zur völligen
Genesung kann es Monate dauern. Auch wenn die Letalität durch eine verbesserte
supportive Behandlung von ca. 70 auf 10% gesenkt werden konnte, bleibt diese
Erkrankung trotz ihrer Seltenheit lebensgefährlich. Besorgnis erregend ist auch, dass
Botulinustoxin – bekanntlich eines der stärksten Gifte für Menschen – als biologischer
Kampfstoff eingesetzt werden kann.
Eine Kontamination von Lebensmitteln mit C.-botulinum- Sporen lässt sich nicht
verhindern. Daher hängt die Krankheitsprävention davon ab, ob es gelingt, das
Keimen der Sporen in Nahrungsmitteln zu verhindern, z.B. durch:
■ sauren pH-Wert,
609
Magen- und Duodenalulzera sind meist mit
Helicobacter pylori assoziiert
Inzwischen ist gut belegt, dass über 90% der Duodenalund 70–80% der
Magengeschwüre mit dem Gram-negativen spiralförmigen Bakterium H. pylori
assoziiert sind (Abb. 22.22). Bei der gastroösophagealen Refluxkrankheit (GERD) oder
einer nichtulzerösen Dyspepsie (mit persistierenden oder rezidivierenden
Oberbauchschmerzen ohne strukturelle Veränderungen) scheint H. pylori dagegen keine
Rolle zu spielen. Die Diagnose lässt sich gewöhnlich histologisch anhand von
Biopsieproben stellen, doch den schnellsten Nachweis ermöglicht der nichtinvasive
Urease-Atemtest (H. pylori produziert große Mengen Urease). H. pylori ist nur sehr
aufwendig im Labor anzüchtbar.
Auch wenn die Pathomechanismen noch weiter erforscht werden müssen, sind offenbar
eine Reihe von Virulenzfaktoren (Zytotoxin, säurehemmendes Protein, Adhäsine,
Urease für das Überleben im sauren Milieu) und andere, die Magenschleimhaut
angreifende Faktoren beteiligt. Um eine Remission und Heilung der Ulzera zu erreichen,
ist eine H.-pylori -Eradikation nötig; sie wird als Kombinationstherapie mit einem
Protonenpumpenhemmer und zwei Antibiotika durchgeführt (z.B. Clarithromycin und
Amoxicillin, s. Kap. 33).
Allerdings legen Studien nahe, dass H. pylori in Wirklichkeit sogar vor manchen
Ösophagus- und Magentumoren schützen könnte. Seitdem ist eine lebhafte Diskussion
im Gange, ob der Keim auch bei asymptomatischen Patienten eliminiert werden sollte.
Die komplexe Beziehung zwischen H. pylori und Erkrankungen des Magens sollte daher
erst noch weiter erhellt werden.
610
Abb. 22.22 Helicobacter-pylori -Gastritis.
Dagegen benötigen Wurmeier oder die Larven von Wurmparasiten – mit zwei
großen Ausnahmen (Madenwurm und Zwergbandwurm) – eine Entwicklungsphase
außerhalb des Wirts, um infektiös zu werden. Hier verläuft die Übertragung auf
verschiedenen Wegen:
611
Abb. 22.23 Darmparasiten.
■ Manche Wurmlarven bohren sich durch die Haut und wandern schließlich in
den Darm.
Die Symptomatik reicht von leichten Darminfektionen über akute oder chronische
(entzündlich bedingte) Durchfälle bis zu lebensbedrohlichen Erkrankungen bei
Ausbreitung der Parasiten auf andere Körperorgane. Die meisten Infektionen fallen
jedoch unter die erste Kategorie, so dass Darmparasiten in vielen Teilen der Welt als
Normal-zustand hingenommen werden.
612
22.4.1 Protozoeninfektionen
Von Bedeutung sind besonders drei Arten:
■ Entamoeba histolytica
■ Giardia lamblia
■ Cryptosporidium parvum
613
der ovalen Zyste (G. lamblia) sind zwei der vier Kerne sichtbar (Eisen-Hämatoxylin-
Färbung).
Mit freundlicher Genehmigung von D.K. Banerjee (a, b) bzw. R. Muller und J.R.
Baker (c, d).
Entamoeba histolytica
Die Übertragung erfolgt durch kontaminierte Nahrung oder Wasser (über infizierte
Händler oder bei schlechten sanitären Verhältnissen). Möglich ist auch eine
Infektion durch bestimmte sexuelle (anale) Praktiken. Nachdem sie unversehrt in
den Magen gelangt sind, lösen sich die äußeren Hüllen verschluckter Zysten ab. Im
Dünndarm entwickeln sich aus jeder Zyste acht Protozoen, die sich an Epithelzellen
heften und sie nach Phagozytose zytolytisch schädigen. Da die Protozoen in die
Mukosa eindringen und sich von Wirtszellen (auch roten Blutkörperchen) ernähren
können, kommt es zur Amöbenkolitis.
614
E.-histolytica-Infektionen verlaufen als leichte
Diarrhoe oder schwere Dysenterie (Amöbenruhr)
E. dispar verursacht keine Symptome. Bei einer Schleimhautinvasion durch E.
histolytica können sich im Kolon kleine, oberflächlich ulzerierte Stellen oder tiefe,
konfluierende Ulzera bilden, die die gesamte Darmmukosa einbeziehen (Abb.
22.25). Während oberflächliche Ulzerationen nur zu einer leichten Diarrhoe führen,
kommt es bei einer tiefen Invasion zu Schleim, Eiter und Blut im Stuhl
(Amöbendysenterie, -ruhr). Amöben- und bakterielle Dysenterien unterscheiden
sich (Tab. 22.7).
Abb. 22.25 Amöbenkolitis (Sigmoidoskopie).
Unter dem eitrigen Exsudat sind tiefe Ulzera erkennbar (mit freundlicher
Genehmigung von R.H. Gilman).
615
Tab. 22.7 Kennzeichen einer bakteriellen und Amöben-dysenterie
(-ruhr).
616
Abb. 22.26 Pathogene und apathogene Protozoen
lassen sich anhand bestimmter Merkmale (Größe
und Anzahl der Kerne in Zysten) unterscheiden.
Giardia lamblia
Giardia lamblia war der erste Darmparasit, der unter dem Mikroskop betrachtet
wurde. Entdeckt hat ihn Anton van Leeuwenhoek, als er 1681 eigene Stuhlproben
untersuchte, um sein neu entwickeltes Mikroskop auszuprobieren. Giardia lamblia ist
weltweit verbreitet und derzeit in den USA der am häufigsten diagnostizierte
Darmparasit.
Die Infektion erfolgt durch Verschlucken der Zysten (meist kontaminiertes Wasser).
Mit 10–25 Zysten ist die minimale Infektionsdosis sehr gering. Die meisten
Lambliasis-Epidemien gingen von der (kontaminierten) öffentlichen
Wasserversorgung aus, doch bei kleineren Ausbrüchen ließen sich die Spuren bis
zum Trinken von Flussoder Bachwasser zurückverfolgen, das wild lebende Tiere
kontaminiert hatten.
Unter Säugetieren ist die Gattung Giardia weit verbreitet und es deutet einiges
darauf hin, dass es zur Kreuzinfektion zwischen bestimmten Wirten (wie Biber)
und Menschen kommen kann. Das mag in vielen Fällen reiner Zufall sein, doch
Fallberichte liefern auch konkrete Hinweise. Nach neueren Befunden könnte
Giardia sexuell übertragbar sein.
617
Abb. 22.27 An der Dünndarmmukosa haftende
Giardia-lamblia -Trophozoiten (Eisen-Hämatoxylin-
Färbung).
■ nach 7–10 Tagen von selbst aufhören (selbstlimitierender Verlauf ist die Regel)
Man hält sie für eine entzündliche Reaktion auf die Epithelzellschädigung und die
Störung der normalen Resorptionsvorgänge. Typisch ist die weiche Konsistenz der
übel riechenden, oft fettigen Stühle.
618
In Frage kommen Metronidazol und Tinidazol, eine wiederholte Behandlung kann
erforderlich sein. Zur Prävention empfehlen sich die üblichen öffentlichen
Hygieneund sanitären Vorkehrungen; zusätzlich sollte eine als Infektionsquelle
verdächtige Trinkwasserversorgung verbessert werden (Kläranlagen, Chlorzusatz).
Vorsicht ist auch beim Trinken natürlichen Quellwassers geboten, das ebenfalls
verseucht sein könnte.
Cryptosporidium parvum
Wahrscheinlich findet bei Mensch und Tier am häufigsten eine Übertragung durch
kontaminiertes Wasser statt. 1993 kam es in Milwaukee (USA) zu einer
Masseninfektion mit C. parvum, in deren Verlauf rund 403000 Menschen an
wässriger Diarrhoe erkrankten. Die Infektionsquelle dürften Rinder gewesen sein
und die Übertragung erfolgte über die öffentliche Wasserversorgung.
619
C.-parvum-Diarrhoen verlaufen mittelschwer bis
schwer
Eine C.-parvum-Infektion kann unter dem Bild einer mäßigen bis schweren profusen
Diarrhoe in Erscheinung treten, die bei normaler Immunlage nach einer Dauer von
15–40 Tagen selbstlimitierend verläuft, bei Patienten mit Immunschwäche aber
chronisch werden kann. AIDS-Patienten leiden häufiger an einer Kryptosporidiose.
Bei Werten unter 100/mm3 CD4-positiven T-Zellen kann die anhaltende Diarrhoe
irreversibel und lebensbedrohlich werden.
Abb. 22.28 Stuhlprobe mit Oozysten von
Cryptosporidium parvum.
620
Cyclospora, Isospora und Mikrosporidien
1994 wurde Cyclospora cayetanensis identifiziert; mittlerweile sieht man darin einen
Auslöser von Reisediarrhoen. Der Erreger kann mit Obst importiert werden; in den
USA kam es 1997 z.B. durch Himbeeren aus Guatemala zum Ausbruch der Infektion.
Auch Vögel können eine wichtige Infektionsquelle sein. Bei immunsupprimierten
Patienten ist die Diarrhoe schwerer und länger anhaltend. Ein wirksames Mittel ist Co-
trimoxazol (Trimethoprim-Sulfamethoxazol).
Isospora belli ist wie Cyclospora cayetanensis und Cryptosporidium parvum ein
(Kokzidien-) Parasit, der seine Entwicklungsphasen in Schleimhautepithelzellen
durchläuft. Besonders schwere Symptome – Gewichtsverlust oder sogar Tod – durch
die persistierende Diarrhoe treten bei AIDS-Patienten auf.
Als seltene Gruppe können auch Mikrosporidien bei AIDS- und anderen
immunsupprimierten Patienten Diarrhoen verursachen. Häufig ist Enterozoon bieneusi
der Auslöser, aber auch Encephalitozoon intestinalis kommt vor. Die Übertragung
erfolgt scheinbar auf direktem Weg. Mit Erfolg wurden Albendazol und Metronidazol
zur Behandlung eingesetzt.
„Unbedeutendere“ Darmprotozoen
Der menschliche Darm beherbergt eine Vielzahl von Protozoen. Die meistens dürften
völlig harmlos sein (Abb. 22.23), einige wie z.B. Balantidium coli, Blastocystis
hominis, Dientamoeba fragilis oder Sarcocystis hominis spielen jedoch eine fragliche
Rolle im Hinblick auf Erkrankungen.
22.4.2 Wurminfektionen
Mit Ausnahme von Trichuris trichiura (im Dickdarm) besiedeln alle Würmer den
Dünndarm.
621
Wurminfektionen durch Umweltbestandteile kommen meist in wärmeren
Entwicklungsländern vor. Etwa ein Viertel der Erdbevölkerung trägt Darmwürmer in
sich, wobei die am häufigsten betroffene Gruppe Kinder sind. Dass Fäkalien
unzureichend beseitigt werden, die Wasserversorgung oft kontaminiert ist und
Fäkalien als Düngemittel verwendet werden, begünstigt die Übertragung ebenso wie
niedrige Hygienestandards (s. unten). Riesige Mengen von Eiern werden von den
weiblichen Würmern abgesetzt (Zehntausende beim Peitschenwurm und beim
Hakenwurm, Hunderttausende beim Spulwurm).
Ascaris -Larven durchdringen die Darmwand und werden vom Blut in die Leber
und zur Lunge transportiert. Von dort steigen sie in Bronchien und Luftröhre hoch,
werden wieder verschluckt und landen erneut im Dünndarm. Die adulten Würmer
halten sich frei im Darmlumen auf und ernähren sich vom Darminhalt. Trichuris -
Larven bleiben dagegen im Kolon und dringen in die Epithelschicht ein, um dort
voll auszureifen.
622
Aus den dünnschaligen Eiern adulter Hakenwürmer
schlüpfen kurz nach der Ausscheidung im Stuhl
Larven
In Abb. 22.29c ist ein dünnschaliges Hakenwurmei zu sehen. Erst wenn sie sich
lange genug von Bakterien ernährt haben und infektiös geworden sind, bewegen sich
die Larven von Ancylostoma duodenale und Necator americanus aus den
Stuhlmassen heraus. Der Infektionsweg beginnt an ungeschützten Hautstellen, mit
denen die Larven in Berührung kommen (oder – wie im Fall von A. duodenale –
zusätzlich durch Verschlucken). Nachdem sie sich durch die Haut gebohrt haben,
gelangen die Larven im Blut zur Lunge, steigen in der Trachea hoch und werden
wieder verschluckt.
Die adulten Hakenwürmer halten sich mit ihren großen Mundwerkzeugen an der
Darmmukosa fest und beißen Gewebestückchen ab, damit die Kapillargefäße
einreißen und sie Blut saugen können.
Abb. 22.29 Im Stuhl ausgeschiedene Eier und
Larven von Nematoden.
623
Aus den Eiern adulter Strongyloides-Weibchen
schlüpfen im Dünndarm Larven
Trotz seiner Ähnlichkeit mit Hakenwürmern weist der Zwergfadenwurm ein paar
wichtige Unterschiede im Lebenszyklus auf. Bei den adulten Strongyloides- Formen
handelt es sich um parthenogenetische Weibchen. Sie legen ihre Eier in der
Darmschleimhaut ab. Nachdem sie im Dünndarm geschlüpft sind, werden die
Wurmlarven mit dem Stuhl ausgeschieden (Abb. 22.29d). Außerhalb ihres Wirts
können sie sich – nach dem Muster der Hakenwürmer – unmittelbar zu infektiösen
Stadien entwickeln, die gleich wieder durch die Haut eindringen oder erst auf dem
Umweg über eine komplett frei lebende Generation infektiös werden.
Unter bestimmten Umständen (vor allem bei Immunschwäche des Wirts) kann es
zur erneuten Invasion der Strongyloides-Larven kommen, ohne dass sie aus dem
Körper ausgeschieden wurden. Aus dieser Autoinfektion kann eine „disseminierte
Strongyloidose“ als besonders schweres Krankheitsbild hervorgehen.
Klinik
Wurminfektionen verursachen bei den meisten Menschen eher leichte chronische
Symptome wie Darmbeschwerden und selten schwere Diarrhoen oder akute
Symptome. Wurminfektionen können aber auch Überempfindlichkeitsreaktionen
hervorrufen und dazu führen, dass Impfungen schlechter anschlagen. Jedem
Wurmparasiten lassen sich typische Symptome zuordnen.
624
Chronische Diarrhoe bei mäßiger bis schwerer
Trichuris-Infektion
Wie bei allen Wurminfektionen sind Kinder die am stärksten betroffene
Bevölkerungsgruppe. Obwohl ihnen gewöhnlich kaum eine klinische Bedeutung
beigemessen wird, können mäßige bis schwere Trichuris- Infektionen nach neueren
Forschungsergebnissen zu chronischen Durchfällen bei Kindern führen (Abb.
22.30). Unterernährung und Wachstumsverzögerung sind die sichtbaren Folgen.
Gelegentlich kommt es bei schweren Infektionen zum Rektumprolaps.
625
Abb. 22.30 Wurmbefall bei einem gesunden Kind
(Trichuriasis).
Labordiagnostik
Alle genannten Wurminfektionen lassen sich anhand von Larven oder Eiern in
frischen Stuhlproben diagnostizieren (direkte Ausstrichpräparate oder
Konzentrierungsmethoden). Immunologische Nachweisverfahren für Darmwürmer
befinden sich erst noch in einer frühen Entwicklungsphase. Ascaris-, Hakenwurm- und
Strongyloides-Infektionen sind meist mit einer starken Bluteosinophilie verbunden,
die zwar nicht als diagnostisch beweisend, aber doch als hoch verdächtig für
Wurminfektionen gelten kann.
626
Eier in perianalen Hautfalten sprechen für einen
Fadenwurmbefall
Manchmal sind adulte Enterobius-Würmer im Stuhl zu sehen, doch ihre Eier werden
direkt auf der Perianalhaut abgelegt und tauchen daher nur selten in Stuhlproben auf
(Abb. 22.32). Wird der Bereich mit einem Klebestreifen abgewischt
(„Tesafilmtest“), können die hängen gebliebenen Eier unter dem Mikroskop
betrachtet werden.
Abb. 22.31 Füllungsdefekt bei Ascaris -Befall des
Dünndarms
627
Abb. 22.32 Enterobius -Ei auf der Perianalhaut.
Im Sinne der Prävention ist eine Verbesserung der hygienischen und sanitären
Verhältnisse mit adäquater Entsorgung der Fäkalien anzustreben.
Andere Darmwürmer
628
■ Der Fischbandwurm (Diphyllobothrium latum) ist geografisch weit verbreitet,
befällt aber nur Menschen, die rohen oder nicht ausreichend gegarten Fisch
verzehren (der infektiöse Larvenstadien enthält). Diagnostisch beweisend sind Eier
im Stuhl, die bei dieser Wurmart einen Deckel am Ende haben (Abb. 22.34a).
a) Nach Anfärbung mit Tinte zeigen sich die zahlreichen Seitenäste reifer
Proglottiden. b) Ei mit Sechshakenlarve (mit freundlicher Genehmigung von R.
Muller & J.R. Baker).
Abb. 22.34 Bandwurmeier.
629
a) Diphyllobothrium latum und b) Hymenolepis nana (mit freundlicher
Genehmigung von R. Muller & J.R. Baker).
Doch selbst als die Auslöser (Salmonella typhi bei Typhus, Rickettsien bei Fleckfieber)
noch nicht isoliert waren, wurde bereits betont, dass „die Darmläsionen bei Typhus
genauso wenig mit den pathologischen Folgen des Fleckfiebers zu verwechseln sind wie
ein Masernexanthem mit dem Pockenausschlag“. Typhus/Paratyphus wird nicht nur von
S. typhi, sondern noch durch drei andere Spezies verursacht:
630
S. typhi, S. paratyphi A, S. paratyphi B (auch S.
schottmuelleri) und S. paratyphi C (auch S.
hirschfeldii)
Diese Salmonellenspezies sind ausschließlich humanpathogen und verfügen über
kein Tierreservoir. Daher breitet sich die Infektion – meist über kontaminierte
Nahrung oder Wasser – von Mensch zu Mensch aus. Nach einer Infektion können die
Betroffenen oft monate- oder jahrelang Erreger in sich tragen und damit zur ständigen
Infektionsquelle für andere werden. Als langjährige Trägerin löste z.B. eine New
Yorker Köchin („Typhus-Mary“) Anfang des 20.Jahrhunderts mindestens 10
Masseninfektionen aus.
Nach ihrer Vermehrung, z.B. in den Kupffer-Zellen der Leber, kehren sie vom
retikuloendothelialen System zurück ins Blut und erreichen auf diesem Weg andere
Organe (z.B. die Nieren). Da Salmonellen sehr resistent gegen Galle sind, können sie
die Gallenblase entweder hämatogen oder über das Gallenwegssystem von der Leber
aus infizieren. So kommt S. typhi dann ein zweites Mal – allerdings in viel größeren
Mengen – in den Dünndarm. Die starke Entzündungsreaktion der Peyer-Plaques,
die das verursacht, führt zu Ulzerationen mit drohender Perforation des Dünndarms.
Jetzt sind die Patienten akut krank und können einen makulopapulösen Ausschlag
bekommen. Die typischen rosa Flecken am Oberbauch, die bei Druck abblassen (Abb.
22.36), fehlen jedoch bei der Hälfte der Patienten. Als flüchtige Erscheinung sind sie
innerhalb von Stunden oder Tagen wieder verschwunden. Ohne Behandlung dauern
auch unkomplizierte Infektionen mindestens 4–6 Wochen.
631
Abb. 22.35 Typhus abdominalis.
632
Abb. 22.36 Rosa Hautflecken bei Typhus.
Als noch keine Antibiotika verfügbar waren, starben 12–16% der Patienten in der
dritten oder vierten Krankheitswoche an Komplikationen. Nach anfänglicher
Genesung kam es auch häufig zu Rückfällen.
633
Die meisten Patienten scheiden noch Wochen nach ihrer Genesung weiter S. typhi im
Stuhl aus. 1–3% werden zu chronischen Trägern (definiert als Stuhl- oder
Urinausscheidung von S. typhi über ein Jahr nach der Infektion). Chronische Träger
sind überwiegend Frauen, ältere Menschen und Patienten mit Gallen- oder
Harnblasenerkrankungen (z.B. Gallensteine oder Schistosomiasis).
Die Impfung erfolgt als einmalige Injektion einer Typhim-Vi-Dosis (Vakzine mit
Polysaccharid-Kapselantigen) oder oral (abgeschwächter Lebendimpfstoff mit Ty21a-
634
Stamm). Reisenden in Entwicklungsländer ist die Impfung zu empfehlen. Ein
kompletter Impfschutz besteht aber nur bei 50–80% der Geimpften.
22.5.2 Listeriose
■ Schwangere (mit Ansteckungsgefahr für das Kind im Uterus oder unter der
Geburt),
In den meisten Fällen tritt die Erkrankung als Meningitis in Erscheinung (s. Kap. 24).
22.5.3 Virushepatitis
Ikterus ist die klinische Bezeichnung für die gelbliche Verfärbung von Haut, Skleren
und Schleimhäuten. Die „Gelbsucht“ beruht auf einer Leberzellschädigung, die dazu
führt, dass Bilirubin aus der Leber nicht mehr in die Galle übergeht und sich die
Bilirubinkonzentration in Körperflüssigkeiten erhöht.
635
Infektion – zu einer bleibenden Schädigung führen (Leberzirrhose). Eine zirrhotisch
veränderte Leber ist klein und geschrumpft, die Funktion ist beeinträchtigt.
Als Hepatitisviren werden mindestens sechs verschiedene Viren bezeichnet, die sich
klinisch meist nicht unterscheiden lassen (Tab. 22.8). Hepatitis A und Hepatitis E
werden fäkal-oral übertragen; beide Infektionen heilen aus, ohne in einen Trägerstatus
überzugehen. Dagegen können Patienten mit Hepatitis B, D (Deltavirus) und C zu
chronischen Trägern werden. Diese Infektionen werden alle ähnlich übertragen –
durch mit Blut kontaminierte Instrumente oder auf sexuellem Weg (letzteres bei
Hepatitis B weitaus häufiger als bei C).
Es gibt zwar Berichte über Erreger, die man den Non-A-non-B-Hepatitiden zuordnen
könnte, doch es deutet nichts darauf hin, dass diese GB-, Hepatitis-G- und TT-Viren
die Leber direkt infizieren. Vielmehr scheint es sich bei der Leberentzündung nur um
eine Begleiterscheinung zu handeln. Auf Viren, die im Rahmen anderer Syndrome
eine Hepatitis verursachen, wird in anderen Kapiteln eingegangen.
636
Hepatitis A
Auslöser ist ein einzelsträngiges, hüllenloses RNA-Virus, das als Hepatitis-A-Virus
(HAV) bezeichnet und neuerdings als eigene Gattung (Hepatovirus) der Familie der
Picornaviridae zugeordnet wird. Von dem weltweit endemischen Virus gibt es nur
einen Serotyp.
Während sich bis zu 90% der Kinder in Entwicklungsländern bereits mit 5 Jahren
infiziert haben, sind in höher entwickelten Ländern bis zu 20% der jüngeren
Erwachsenen betroffen. Früher lag der Anteil über 20%, ging aber infolge besserer
sanitärer Verhältnisse und der geringeren Bevölkerungsdichte zurück.
Abb. 22.38 Durch kontaminierte Muscheln können
sich Menschen mit dem Hepatitis-A-Virus (HAV)
infizieren.
637
was sich in der verhältnismäßig langen Inkubationszeit noch abspielt. Jedenfalls
scheinen die Leberzellen direkt von den Viren geschädigt zu werden.
Hepatitis E
AK = Antikörper
638
Es wird im Stuhl ausgeschieden und verbreitet sich fäkal-oral. In höher entwickelten
Ländern kommt Hepatitis E kaum vor. In Indien wird der Erreger durch verseuchtes
Wasser übertragen und könnte in den Entwicklungsländern für 50% der
sporadischen Hepatitisfälle verantwortlich sein. Da HEV bei zahlreichen Tierarten
identifiziert wurde, vermutet man, dass sie ein Infektionsreservoir bilden; somit
könnte Hepatitis E ein weiteres Beispiel für eine Zoonose sein.
106–107 infektiöse Danepartikel (a) und bis zu 1012 HBsAg-Partikel (b) enthalten
sein. c) Dane- und HBsAg-Partikel im elektronenmikroskopischen Bild (mit
freundlicher Genehmigung von J.D. Almeida).
Hepatitis B
Auslöser ist das Hepatitis-B-Virus (HBV), ein Hepadnavirus (abgeleitet von
Hepatitis-DNA, s. Anhang und Kasten) mit teilweise doppelsträngigem, ringförmigem
DNA-Genom und drei wichtigen Antigenen (HBsAg, HBcAg, HBeAg; Abb. 22.40
und Tab. 22.9). Als lösliches Sekretionsprodukt aus dem Viruskern kommt HBeAg
auf der Oberfläche von Hepatozyten zur Expression und wird zum Angriffsziel für das
Immunsystem des Wirts. Obwohl die Infektion mit einem bestimmten HBV-Stamm zu
einer Immunität gegen alle weiteren Stämme führt, kann doch eine Antigenvariation
auftreten.
Die vier serologischen Subtypen (adw, adr, ayw und ayr) wurden inzwischen durch
eine genetische Klassifikation (in die Genotypen A–F) ersetzt. Vom Genotyp hängen
das klinische Bild der Infektion und das Ansprechen auf die antivirale Therapie ab.
Auch für epidemiologische Studien ist die Genotypisierung nützlich.
639
HBsAg (Oberflächenantigen von HBV) ist in Blut und
anderen Körperflüssigkeiten nachweisbar
HBV kann auf unterschiedlichen Wegen übertragen werden:
■ sexuell,
■ vertikal als intrauterine, peri- oder postnatale Infektion (von der Mutter auf das
Kind, s. Kap. 23),
640
Ländern, wo die Infektion bereits bei Säuglingen und Kindern auftritt (vermutlich
weil viele Mütter HBV-Trägerinnen sind).
641
Geschichte der Mikrobiologie
Hepatitis A
Hepadnaviren
a) bis zur Genesung, b) bei einem HBV-Träger (nach Farrar, W.E., Wood, M.J.,
Innes, J.A. et al.: Infectious Diseases, 2nd ed. Mosby International, London
1992).
642
■ Ein deutlicher Alterseffekt macht sich bemerkbar. Wie eine Studie in Taiwan
zeigte, wurden perinatal infizierte Säuglinge in 90–95% zu Trägern (zum
Vergleich: Trägerrate von 23% nach einer Infektion als Kleinkind mit 1–3 Jahren
bzw. von 3% nach einer Infektion im Studentenalter).
643
Adefovir sowie andere Substanzen. Früher wurde bei ausgewählten Patienten eine
Immunmodulation mit Interferon-α2b versucht, doch nur 30% zeigten eine
anhaltende Besserung. Hinzu kommt, dass eine Interferontherapie erhebliche
Nebenwirkungen hat.
Hepatitis-B-Impfung
Ursprünglich (1981) bestand der Impfstoff aus gereinigtem HBsAg und wurde nach
chemischer Vorbehandlung (um eine Viruskontamination zu vermeiden) aus dem
Plasma von Trägern zubereitet. Der aktuelle Impfstoff enthält dagegen gentechnisch
in Hefe- oder Säugetierzellen erzeugtes HBsAg. Über 90% der gesunden
Erwachsenen gewähren drei Injektionen in einem Zeitraum von sechs Monaten
einen guten Impfschutz.
Eine Impfung ist allen zu empfehlen, die Blut oder Blutprodukte erhalten (bei
Mehrfachtransfusionen oder Dialysepatienten), dem gesamten medizinischen
Personal, den Sexualpartnern akut oder chronisch mit HBV Infizierter und
intravenös Drogenabhängigen. Problematisch ist, dass sich in bis zu 10% der
Normalbevölkerung trotz wiederholter Immunisierung keine schützenden HBs-
Antikörper bilden. Das könnte an genetisch determinierten Immundefekten oder an
der Induktion von Suppressorzellen liegen.
644
Hepatitis C
Darüber hinaus kann HCV auch bei invasiven Maßnahmen von HCV-Trägern auf
Patienten übertragen werden, z.B. durch direkten Blutkontakt bei intraoperativen
Nadelstichverletzungen oder während eines kardiothorakalen Eingriffs. Im
Unterschied zu HBV wird HCV allerdings nur selten vertikal (von Müttern auf
Kinder) oder sexuell übertragen. Es scheint noch andere Möglichkeiten zu geben, da
der Übertragungsweg bei bis zu 40% der Infizierten unbekannt ist.
645
Bei der Hälfte der Patienten entwickelt sich eine
chronischaktive Hepatitis
Die Inkubationszeit beträgt 2–4 Monate, im Mittel 7 Wochen. In der Regel kommt
es zu einer subklinischen Infektion und in etwa 10% zu einem sehr milden Verlauf.
Oft ist das HCV erst in der Erholungsphase nach der Akutkrankheit im Blut
nachzuweisen, so dass Träger eine Infektionsquelle darstellen. In den USA haben
scheinbar gesunde Menschen in bis zu 2% der Fälle HCV-Antikörper und folglich
ca. 2,7 Millionen eine aktive Infektion. Bei rund der Hälfte der Patienten entwickelt
sich eine chronischaktive Hepatitis; in 20% geht sie in eine Zirrhose über. Bei
einer Zirrhose erhöht sich das Risiko für ein hepatozelluläres Karzinom auf
jährlich 1–4%.
646
Hepatitis D
Das Krankheitsbild der kombinierten HBV/HDV-Infektion ist schwerer als das bei
einer reinen Hepatitis-B-Infektion. Möglicherweise wird durch eine HDV-
Superinfektion auch der Übergang zu einer chronischen HBV-assoziierten
Lebererkrankung bei HBV-Trägern beschleunigt. In Großbritannien und den USA
ist die Infektion selten, in den Mittelmeerländern sowie Teilen von Südamerika und
Afrika jedoch recht häufig anzutreffen. Weltweit sind schätzungsweise 5% der
HBV-Träger zusätzlich mit HDV infiziert.
Die Diagnose wird durch serologischen Nachweis von Deltaantigen oder HDV-IgM
bzw. -IgG gestellt. Auch HBsAg ist vorhanden. Einen spezifischen HDV-Impfstoff
gibt es nicht, doch eine Hepatitis-B-Impfung schützt auch vor Hepatitis D.
647
Abb. 22.42 Struktur des Hepatitis-D-Virus im Serum.
648
Aus verschluckten Eiern des Hundebandwurms Echinococcus granulosus können
sich im menschlichen Körper Larven entwickeln, die im Darm schlüpfen und sich zu
anderen Stellen hinbewegen. In der Leber bilden sich häufig große Hydatidenzysten,
die im Ultraschall als große Hohlräume (Kavernen) erkennbar sind. Außer einer
Druckschädigung des Gewebes können nach einer Zystenruptur weitere kleinere
Zysten entstehen und zu anaphylaktischen Reaktionen führen. Die Zysten müssen
chirurgisch entfernt oder medikamentös mit Benzimidazol behandelt werden.
Über Eier, die fleischfressende Wildtiere ausscheiden, kann eine Infektion mit
Echinococcus multilocularis erworben werden. In dem Fall bildet sich in der Leber
statt Zysten ein verzweigtes, karzinomartiges Geschwür, das nur mit Chemotherapie
behandelbar ist.
Ein ähnlicher Prozess läuft bei Infektionen mit Schistosoma haematobium in der
Harnblasenwand ab.
Leberabszesse
649
Ein Amöbenabszess der Leber enthält keinen Eiter
E. histolytica kann sich aus dem Verdauungstrakt hinausbewegen und eine
extraintestinale Erkrankung auslösen, unter anderem in der Leber (s. oben). Streng
genommen trifft die Bezeichnung Amöbenabszess nicht zu, weil die Leberläsion aus
nekrotischem Gewebe statt aus Eiter besteht.
22.5.5 Gallenwegsinfektionen
650
Abb. 22.44 Multiple pyogene Leberabszesse durch
Pseudomonas aeruginosa.
651
Aminopenicillin plus β-Laktamase-Inhibitor (s. Kap. 33). Bei sekundärer Peritonitis
muss die Initialtherapie in erster Linie gegen Gram-negative Erreger und obligate
Anaerobier wirksam sein (z.B. Carbapeneme). Gleichzeitig sollte alles unternommen
werden, um die Ursache zu beseitigen.
Abb. 22.45 Tuberkulöse Peritonitis.
652
EIEC) unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Pathomechanismen; manche sind
invasiv, andere bilden Toxine.
■ Durch Wasser oder Nahrung, die mit S. typhi oder S. paratyphi kontaminiert
sind, kann es zu einer systemischen Infektion kommen (Typhus abdominalis oder
„enterisches Fieber“). Nach Invasion der Darmschleimhaut werden die Erreger
von Makrophagen aufgenommen, ohne Schaden zu nehmen. Über die Lymphe
gelangen sie ins Blut und streuen hämatogen in verschiedene Organe
(Multisystemerkrankung). Die richtige Diagnose hängt von der Erregerkultur ab.
Zur Behandlung ist eine erregerspezifische Antibiotikatherapie nötig; die Impfung
ermöglicht eine gezielte Prävention.
653
Nahrung aufgenommen werden. Als wichtige Wurmparasiten werden Ascaris,
Trichuris und Hakenwürmer auf kompliziertere Weise übertragen, da ihre Ei- oder
Larvenstadien obligat eine bestimmte Entwicklungsphase außerhalb des
menschlichen Wirts durchlaufen müssen.
FRAGEN
Ein 24-jähriger Astrologe kommt zum Arzt, weil er sich in den letzten Wochen
ständig müde und unwohl fühlt. Er war drogenabhängig und hatte sich den Stoff
intravenös injiziert. Ihm sei eine Dunkelfärbung des Urins aufgefallen, er leide
außerdem an Übelkeit, Appetitverlust und rechtsseitigen Abdominalbeschwerden.
Ein Freund fand ihn „gelb“ aussehend.
Bei der Inspektion fällt seine Tätowierung auf. Die Skleren sind gelb verfärbt.
Palpatorisch erweist sich das Abdomen im rechten oberen Quadranten als
tastempfindlich, die Leber ist vergrößert, hart und glatt. Einige Ergebnisse der
Laboruntersuchung (einschließlich der Leberfunktionswerte): AST 1200 IU/l, ALT
1000 IU/l, ALP 100 IU/l, Bilirubin 60 mmol/l.
Ein 11 Monate altes Mädchen wird wegen zweitägigen Fiebers mit Erbrechen und
reichlich wässrigen Durchfällen stationär in der Kinderabteilung aufgenommen. Die
Geburt verlief normal (voll ausgetragen und Entbindung zum Termin). Von den
beiden Geschwistern hatte eines bis vor vier Tagen eine leichte
Durchfallerkrankung, die jetzt abgeklungen war.
654
Bei der Untersuchung fühlt sich die Kleine sichtlich unwohl. Sie ist leicht dehydriert
und hat Fieber (38°C). Das Abdomen ist weich zu tasten, auch sonst zeigen sich
keine auffälligen Befunde.
Blaser, M.J., Ravdin, J.I., Guerrant, R.L. et al.: Infections of the Gastrointestinal
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655
23 Intrauterine und perinatale Infektionen
23.1 Infektionen in der Schwangerschaft 335
23.3 Perinatale Infektionen (max. 3 Tage vor und 3 Tage nach der Geburt) 341
Diaplazentare Infektionen können den Fetus in hohem Maße gefährden. Selbst wenn er
überlebt, können sich unter der Einwirkung bestimmter Pathogene (z.B. Röteln, CMV-,
Toxoplasma gondii- und Treponema pallidum-Infektion) Fehlbildungen entwickeln. Aus
dem Vaginalbereich aufsteigende Bakterien (z.B. Streptokokken der Gruppe B) können
zu Neugeborenensepsis, -meningitis und zum Tod führen. Wenn der Geburtskanal mit
Neisseria gonorrhoeae oder Chlamydia trachomatis infiziert ist, kann es durch
Inokulation der Augen zu einer Neugeborenenkonjunktivitis kommen. Eine genitale
Herpes-simplex-Virus-Infektion der Mutter kann eine schwere Erkrankung des
Neugeborenen verursachen.
Abort, Frühgeburt oder niedriges Geburtsgewicht können durch eine mütterliche HIV-
Infektion bedingt sein. Bis zu 40% der Neugeborenen HIV-positiver Mütter sind in
Entwicklungsländern oder bei nicht diagnostizierter Infektion der Mutter infiziert; ein
Drittel stecken sich bereits in utero und zwei Drittel perinatal an (über mütterliches Blut
656
oder Muttermilch). Mit mütterlichem Blut können auch Hepatitis B und C übertragen
werden, während Muttermilch u.a. eine Infektionsquelle für T-Zell-Leukämieviren
(HTLV-1 und -2) darstellt.
■ das Fehlen oder eine geringe Dichte von MHC-Antigenen auf den
Plazentazellen,
Eine schwere oder generalisierte Immunsuppression der Mutter wäre unerwünscht, weil
sie die Infektionsanfälligkeit in fataler Weise steigern würde. Bekannt ist, dass
bestimmte Infektionen in der Schwangerschaft schwerer verlaufen (Tab. 23.1) und dass
latent persistierende Infektionen reaktiviert werden können (Tab. 23.2). Auch die
hormonellen Veränderungen im Laufe der Schwangerschaft tragen zur verstärkten
Anfälligkeit bei. Komplizierend kommt unter Umständen eine Mangelernährung
hinzu; sie kann die Immunabwehr schwächen, die metabolischen Reserven verringern
und die Intaktheit der Epithelflächen schädigen.
657
Schwache Immunabwehr des Fetus
Feten sind außerordentlich infektionsanfällig, weil
■ erst in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft größere Mengen von IgM- und
IgA-Antikörpern gebildet werden,
658
23.2 Konnatale Infektionen
Wichtige Auslöser fetaler Infektionen sind in Tab. 23.3 genannt. Fehlbildungen (fetale
Malformationen) können Viren bewirken, die ähnliche Wirkungen wie teratogene
Medikamente oder Strahlen aufweisen (Tab. 23.4). Da Feten auf verschiedene Erreger
immer gleich (z.B. mit Hepatosplenomegalie, Enzephalitis, Augenfehlern, niedrigem
Geburtsgewicht) reagieren, lässt sich die genaue Diagnose nur selten anhand der
klinischen Zeichen stellen. Infektionen wie Herpes (HSV), Röteln, Zytomegalie (CMV)
oder Syphilis können gelegentlich tödlich für den Fetus sein. In der Regel handelt es
sich um eine Primärinfektion der Schwangeren, so dass ihre Inzidenz vom Anteil
nichtimmuner Frauen im gebärfähigen Alter bestimmt wird.
659
HBV oder HIV infiziert sind, eine Treponemeninfektion oder Kontakt zu Infizierten
hatten (wobei Syphilis am wichtigsten ist) oder die nicht gegen Röteln immun sind.
Aus Routine-Screeningprogrammen ergeben sich Folgen für den klinischen Umgang mit
Mutter und Kind. Wird bei der Schwangeren z.B. eine HIV-Infektion diagnostiziert,
versucht man, eine vertikale Übertragung zu verhindern. Neben der antiretroviralen
Therapie für die Mutter (und direkt nach der Geburt für das Kind) dienen eine
Empfehlung zur Schnittentbindung und zum Verzicht auf das Stillen dazu. In
Nachuntersuchungen mit empfindlichen Tests wird über wenigstens 12 Monate verfolgt,
ob sich das Kind wirklich nicht infiziert hat.
660
1
Schutz des Neugeborenen mit Hepatitis-B-Impfstoff und spezifischem
Immunglobulin
Frauen, die noch nicht gegen Röteln immun sind, sollten direkt nach der Geburt des
Kindes eine Schutzimpfung erhalten. Wenn Schwangere mit Treponemen Kontakt
hatten, empfiehlt sich eine Antibiotikatherapie; ihre Kinder müssen im ersten
Lebensjahr engmaschig (serologisch) auf eine aktive Infektion kontrolliert werden. Eine
konnatale Syphilis kann Folge einer unbehandelten Infektion der Mutter sein.
661
Ob Virusinfektionen wie Mumps, Grippe oder Poliomyelitis eine Fetopathie
verursachen können, ist nicht hinreichend belegt. Doch eine Parvovirusinfektion (s.
Kap. 26) führt gelegentlich zur Schädigung des Fetus bzw. in der Frühschwangerschaft
in 5–10% zum Fruchttod. Da das Virus Vorstufen der roten Blutstammzellen infiziert,
entwickelt sich bei den betroffenen Feten ein Hydrops fetalis (d.h. eine hochgradige
Anämie mit Blässe, Aszites und Hepatosplenomegalie). Zur Behandlung wird eine
intrauterine Blutaustauschtransfusion durchgeführt.
23.2.1 Röteln
662
Zeigen sich schon bei der Geburt Symptome der Infektion, beträgt die
Säuglingssterblichkeit 15% (meist durch Hypogammaglobulinämie).
663
Abb. 23.2 Katarakt als Zeichen konnataler Röteln.
Als noch keine wirksamen Impfstoffe zur Verfügung standen (bis Ende der 60er
Jahre), waren Röteln eine der Hauptursachen für angeborene Herzfehler, Taubheit,
Blindheit und geistige Retardierung. Das Rötelnvirus ist nicht ausgerottet, sondern
breitet sich weiter in der Bevölkerung aus; daher kann es in Ländern mit niedrigen
Impfraten auch weiterhin Fetopathien verursachen.
23.2.2 CMV-Infektion
664
Mütter mit schwacher Immunreaktion (T-Zell-
Proliferation) auf CMV-Antigene stecken mit größerer
Wahrscheinlichkeit ihre Feten an
Bei einer Primärinfektion der Schwangeren infizieren sich etwa 40% der Feten mit
CMV, und 5% weisen zum Zeitpunkt der Geburt Symptome auf. Es ist nicht bekannt,
ob die Anfälligkeit in bestimmten Phasen der fetalen Entwicklung besonders hoch ist.
Auch infolge der schwangerschaftsbedingten Reaktivierung einer früher
durchgemachten CMV-Infektion kann sich der Fetus infizieren, doch in dem Fall
kommt es zu keiner Schädigung. In den USA sind 1–2% der Neugeborenen mit CMV
infiziert, bei jedem Zehnten zeigen sich Symptome (bis zu 1 Million
Infektionsdosen/ml Urin). Vermutlich wird die Inzidenz konnataler CMV-Infektionen
weltweit zu niedrig eingeschätzt.
Geschichte der Mikrobiologie
Röteln und der Fetus
Als McAllister Gregg seine Ergebnisse 1941 veröffentlichte, lieferte er den ersten
eindeutigen Nachweis, dass angeborene Fehlbildungen durch einen
Umweltfaktor beeinflusst sein konnten. Ein auffälliges Merkmal der Infektion war,
dass die Mütter keine oder nur leichte Symptome zeigten, während es bei den Feten
zu furchtbaren Fehlbildungen kam. Wir wissen heute, dass andere Viren (vor allem
CMV), aber auch chemische Stoffe wie Thalidomid oder ein Folsäuremangel
dieselbe Wirkung haben können.
Bei späteren Studien stellte sich heraus, dass eine Rötelnembryopathie auch zu
Taubheit und Hirnschäden bei den infizierten Kindern führen kann. Follow-up-
Untersuchungen bis 1991, als die überlebenden Kinder 50 Jahre alt wurden, ergaben,
dass noch weitere Abweichungen hinzugekommen waren, darunter Diabetes ab dem
25.Lebensjahr und bestimmte Gefäßanomalien.
Erst 1962 konnte das Rötelnvirus isoliert und in Zellkulturen angezüchtet werden.
Eine Rötelnepidemie in den USA ließ 1964/65 ca. 20000 Säuglinge mit einem
konnatalen Rötelnsyndrom zurück. Seit Ende der 60er Jahre steht eine wirksame
Lebendvakzine zur Verfügung; seitdem sieht man konnatale Röteln nur noch bei
unzureichendem Impfschutz.
665
Fehlbildungen dieser wichtigen Organe durch Störung der programmierten
Zellteilung spielt auch eine Vaskulitis eine Rolle.
Obwohl Schäden vom Fetus oft gut repariert werden können, lässt sich die
frühembryonale Entwicklungshemmung vitaler Organe in späteren Stadien nicht
mehr kompensieren. Aus der antimitotischen Wirkung des Rötelnvirus erklärt sich
auch die verringerte Gesamtzahl der Körperzellen; daher sind konnatal mit Röteln
infizierte Neugeborene kleiner. In infizierten Organen wie Augenlinsen und Gehirn
kann sich das Rötelnvirus über ein Jahr lang halten, bis es durch Einsetzen
entsprechender zellvermittelter Immunreaktionen beseitigt wird.
23.2.3 Syphilis
Infolge des serologischen Routine-Screenings auf Syphilis in Entbindungskliniken und
der Penicillinbehandlung (s. Kap. 21) ist eine konnatale Syphilis inzwischen selten
geworden und kommt nur in den Entwicklungsländern noch häufiger vor.
Klinische Zeichen bei infizierten Neugeborenen sind Rhinitis (Schnupfen), Haut- und
Schleimhautläsionen, Hepatosplenomegalie, Lymphadenopathie sowie Knochen-,
Knorpel- (Sattelnase) und Zahnveränderungen. Obwohl die Frühzeichen einer Syphilis
oft durch die Schwangerschaft maskiert werden, lässt sich eine Treponemeninfektion
der Mutter serologisch feststellen, außerdem sind im Fetalblut Treponemen-IgM-
Antikörper nachweisbar. Wird die Mutter bis zum 4. Schwangerschaftsmonat
behandelt, lässt sich eine fetale Infektion verhindern.
23.2.4 Toxoplasmose
666
Chorioretinitis, Hepatosplenomegalie und Gelbsucht; später können Hydrozephalus,
geistige Retardierung und Sehfehler (s. Kap. 25) hinzukommen. Oft sind bei der
Geburt noch keine auffälligen Veränderungen erkennbar, doch innerhalb weniger
Jahre entwickeln sich Symptome wie die Chorioretinitis (Abb. 25.5).
Abb. 23.3 Neugeborenes mit Mikrozephalie,
schwerer psychomotorischer Retardierung und
Hepatosplenomegalie aufgrund einer CMV-
Infektion.
Die Inzidenz fetaler Schäden (Abort, Totgeburt, Erkrankung des Neugeborenen) hängt
vom Zeitpunkt der Infektion ab und erhöht sich von 14% bei mütterlicher Infektion
im ersten Schwangerschaftsdrittel auf 59% bei Infektion im letzten Trimenon.
23.2.5 HIV-Infektion
667
Da die Ansteckung meist erst in der Spätschwangerschaft oder unter der Geburt
erfolgt, lassen sich die Infektionsraten reduzieren, wenn die Viruslast durch eine
antiretrovirale Therapie im letzten Drittel der Schwangerschaft (oder während der
Entbindung) verringert, eine elektive Schnittentbindung durchgeführt und auf das
Stillen verzichtet wird.
IgG-Antikörper im Blut der Neugeborenen können von der Mutter stammen und sind
oft ein Jahr lang nachweisbar. Die Labordiagnose stützt sich daher auf den Nachweis
proviraler HIV-1-DNA oder HIV-1-RNA mithilfe der Polymerasekettenreaktion
(PCR), allerdings können diese Tests erst Monate nach der Geburt positiv ausfallen;
zusätzlich wird der Nachweis von p24-Antigen und HIV-Antikörpern geführt.
23.2.6 Listeriose
auf Menschen übertragen werden. In den USA werden jährlich ca. 1700 neue
Listeriosefälle gemeldet, und bei rund einem Drittel handelt es sich um Neugeborene
bzw. Säuglinge. Eine Übertragung auf fäkalem Weg kommt nur selten vor und betrifft
meist die Kontaktpersonen von Infizierten.
668
23.3 Perinatale Infektionen (max. 3 Tage vor und 3
Tage nach der Geburt)
Wenn sich die Mutter erst in der Spätschwangerschaft infiziert, sind Virusinfektionen
(wie Röteln, CMV) im Allgemeinen weniger schädlich für das Kind. Bis zur 20. SSW
(Schwangerschaftswoche) kann eine Primärinfektion mit dem Varicella-Zoster-Virus
(VZV) zu Gliedmaßendeformitäten und anderen schweren Schäden des Neugeborenen
führen. In dem Zusammenhang wird viel zu selten eine HSV-Infektion diagnostiziert,
die erheblich zur neonatalen Morbidität und Mortalität beitragen kann.
■ Escherichia coli,
■ Klebsiellen,
■ Proteus,
■ Bacteroides,
■ Staphylokokken und
■ Mycoplasma hominis.
Werden die Infektionen erst kurz nach der Geburt erworben, bricht die Erkrankung
später aus.
669
Abb. 23.4 Infektionswege bei Feten und
Neugeborenen.
670
CMV = Zytomegalievirus, HIV = human immunodeficiency virus, HTLV = human T-
cell lymphotropic virus
In Ländern mit hohen Trägerraten ist das mütterliche Blut eine Hauptquelle für eine
HBV-Infektion während oder unmittelbar nach der Geburt. Mehr als 90% der
Neugeborenen von Müttern mit Hepatitis-B-Trägerstatus infizieren sich und werden
ebenfalls zu Trägern. Das lässt sich durch Verabreichung des Hepatitis-B-Impfstoffes
und des spezifischen Immunglobulins an Neugeborene verhindern. Hepatitis C wird
im Allgemeinen nicht auf diesem Weg übertragen; daher infizieren sich weniger als
5% der Kinder von Müttern mit Trägerstatus.
671
23.3.2 Auswirkungen auf die Mutter
672
Abb. 23.5 Gonokokkenkonjunktivitis (Ophthalmia
neonatorum) mit ersten Symptomen am 2. bis 5. Tag
nach der Geburt.
Entzündung und Ödem sind meist stärker ausgeprägt als bei einer
Chlamydieninfektion (mit freundlicher Genehmigung von J.S. Bingham).
■ als Erreger kamen unter anderem auch Anaerobier aus der Darmflora der
Mutter wie Clostridium perfringens, Bacteroides, E. coli und Streptokokken der
Gruppe B infrage.
Bis in die 30er Jahre des 20.Jahrhunderts war die Puerperalsepsis mit einer
Sterblichkeit von bis zu 10% belastet, ist aber in höher entwickelten Ländern ähnlich
selten geworden wie ein septischer Abort. Prädisponierend wirken neben einem
vorzeitigen Blasensprung der Einsatz von Instrumenten und verbleibende Reste von
Fruchtblase oder Plazenta im Uterus. Zur Abklärung sollten bei postnatalem Fieber
(Pyrexie) und übel riechendem Ausfluss hoch in der Vagina Abstriche entnommen
und Blutkulturen angelegt werden.
■ Herpes-simplex-Virus, das bei der Pflege des Neugeborenen z.B. aus offenen
oder geschlossenen Herpesbläschen von Erwachsenen übertragen werden kann;
673
■ Staphylokokken, die über Nasensekrete oder die Finger erwachsener Träger
ins Auge des Neugeborenen eingebracht werden. Sie können eine
Staphylokokkenkonjunktivitis oder „Augenverklebung“ (s. Kap. 25) und eine
Hautsepsis verursachen; manchmal kommt es durch ein spezifisches
epidermolytisches Staphylokokkentoxin zum Syndrom der „verbrühten Haut“
(staphylococcal scalded skin syndrome; Abb. 23.6).
Abb. 23.6 Syndrom der „verbrühten Haut“
(staphylococcal scalded skin syndrome) mit
großflächigen Epidermisverlusten durch aufgeplatzte
Blasen.
In den ersten ein bis zwei Lebenswochen wird die Nase des Neugeborenen von
Staphylococcus aureus besiedelt. Dieser Keim kann einen Brustdrüsenabszess bei der
Mutter hervorrufen, wenn er beim Stillen in die Brustwarze eindringt.
All diese Infektionen lassen sich vermeiden, wenn das Krankenhauspersonal auf
peinliche Sauberkeit (Händewaschen und aseptische Techniken) achtet. Bei mangelnder
Hygiene kann sich der Nabelstumpf mit Clostridium tetani infizieren. Das passiert vor
allem in den Entwicklungsländern noch häufiger. Wenn die Nabelschnur z.B. mit einem
sporenverseuchten Instrument durchtrennt wurde, erkrankt das Neugeborene an Tetanus
(Abb. 23.7). Das lässt sich durch Impfen der Mütter mit Tetanustoxoid verhindern.
674
In den Entwicklungsländern ist die Gastroenteritis ein
Hauptproblem bei Neugeborenen und im
Säuglingsalter
Die Wasserund Elektrolytverluste durch eine Diarrhoe haben besonders nachteilige
Folgen bei Kindern mit einem niedrigen Geburtsgewicht. Auslöser sind meist E.-coli-
Stämme und Salmonellen, seltener Rotaviren (s. Kap. 22). Einen gewissen Schutz
verleiht das Stillen; doch bis auf die spezifischen Antikörper sind die Schutzfaktoren
der Muttermilch noch nicht besonders gut untersucht.
Abb. 23.7 Tetanus mit Risus sardonicus.
■ Der infizierte Fetus kann absterben oder überleben und mit einer Infektion (mit
HIV, Toxoplasmose) oder typischen Fehlbildungen (durch Röteln, Syphilis)
geboren werden.
■ Eine Infektion des Kindes während oder kurz nach der Geburt kann sich als
lokal begrenzte (Gonokokken-, Chlamydienkonjunktivitis), gelegentlich aber auch
675
als schwere, lebensbedrohliche, systemische Erkrankung (wie E.-coli-Meningitis,
Herpes-simplex-Virus- oder Gruppe-B-Streptokokken-Infektion) manifestieren.
FRAGEN
1 Ein Kinderarzt wird von der Hebamme auf die Entbindungsstation
gerufen. Sie sorgt sich um ein Kind, das vor 12 Stunden als erstes Kind der
Mutter geboren wurde. Nach lang anhaltenden Wehen und wegen der
schwierigen Geburt war schließlich eine Zangenentbindung erforderlich. Der
Blasensprung fand 12 Stunden vor der Geburt statt. In der Austreibungsphase
bekam die Mutter Fieber von 38,5°C, das auch nach der Entbindung anhielt.
Der Apgar-Wert des Neugeborenen betrug nach einer Minute 1, nach fünf
Minuten 9. Bei der Untersuchung wirkte der Junge blass und lethargisch.
Auskultation und Palpation ergaben ein schwaches systolisches Geräusch,
Krepitationen über beiden Lungenflügeln und unter dem Rippenbogen tastbare
Leber. Das Kind kam auf die Intensivstation.
676
3 Welche der folgenden Erreger werden über die Muttermilch übertragen:
a) Herpes simplex,
b) HTLV-1,
d) Epstein-Barr-Virus,
e) E. coli?
a) Syphilis,
b) HIV,
c) Röteln,
d) Listeriose,
e) Toxoplasmose?
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Demmler, G.: Congenital cytomegalovirus infection and disease. Adv Pediatr Inf Dis
11 (1996) 134–162.
Köhler, W., Eggers, H.J., Fleischer, B., Marre, R., Pfister, H., Pulverer, G (Hrsg.).
Medizinische Mikrobiologie. Urban & Fischer Verlag, München, Jena 2001.
Kovar, I.Z.: Neonatal and pediatric infections. Curr Opin Infect Dis 3 (1990) 479–
500.
Sever, J.L., Ellenberg, J.H., Ley, A.C.X et al.: Toxoplasmosis; maternal and
pediatric findings in 23.000 pregnancies. Pediatrics 82 (1988) 181–192.
677
24 ZNS-Infektionen
24.1 ZNS-Invasion 345
678
Die Schädelknochen und der Wirbelkanal schützen Gehirn und Rückenmark nicht nur vor
mechanischem Druck oder Verformung, sondern verhindern durch ihre
Schrankenfunktion die Ausbreitung von Infektionen. Eintrittspforten für Erreger sind
hauptsächlich Blutgefäße und Nerven, die Schädel- und Wirbelknochen durchqueren
Wir besprechen hier zunächst die bevorzugten Zugangswege von Erregern zum ZNS (s.
Kap. 13) und die Reaktion des Körpers auf die Invasion, während am Ende eine
ausführlichere Darstellung von Krankheiten folgt.
24.1 ZNS-Invasion
Die Blut-Hirn-Schranke besteht aus einem festen Verband von Endothelzellen, die von
Gliafortsätzen umgeben sind, während fest verbundene Plexus-choroideus-Epithelzellen
mit dem gefensterten Endothel am Plexus choroideus die Blut-Liquor-Schranke bilden.
Diese Barrieren können überwunden werden, wenn Erreger
■ weiße Blutzellen infizieren, die die Erreger mit sich überall hintragen.
Bei den Virusinfektionen finden sich für sämtliche Infektionswege Beispiele. Das
Poliovirus dringt z.B. über die Blut-Hirn-Schranke ins ZNS ein. Nach seiner oralen
Aufnahme führt eine komplexe Abfolge von Schritten schließlich zur ZNS-Invasion
(Abb. 24.2). Das Poliovirus kann auch in Zellen des Gefäßendothels Station machen,
dann die Blut-Liquor-Schranke überwinden und die Hirnhäute (Meningen) infizieren.
Abb. 24.1 Strukturen der Blut-Hirn- und Blut-Liquor-
Schranke.
679
680
Abb. 24.2 Zeitlicher Ablauf und an einer ZNS-
Invasion durch dasPoliovirusbeteiligte Faktoren.
Dasselbe trifft für das Mumpsvirus oder für Bakterien (wie Haemophilus influenzae,
Meningo- oder Pneumokokken) zu, die frei zirkulieren können. Hat die Infektion
Meningen und Liquor erreicht, kann sie sich über die Pia mater auf das Hirngewebe
ausbreiten. So kann bei einer Poliomyelitis der Enzephalitis und Paralyse oft eine
meningitische Phase vorausgehen.
Insgesamt kommt es aber nur selten zur ZNS-Invasion, weil die meisten Erreger bereits
beim Übertritt vom Blut ins ZNS an den natürlichen Barrieren scheitern. Werden
Viren direkt ins Hirngewebe eingebracht, wachsen und vermehren sich viele, bis sie den
Schwellenwert zur Auslösung von Krankheiten überschreiten, doch Viren aus dem
Kreislauf schaffen es im Allgemeinen nicht bis ins ZNS. Daher kommt es nur bei einem
kleinen Prozentsatz der mit Polio, Masern, Mumps oder Röteln Infizierten zu einer
681
ZNS-Beteiligung. Von welchen Faktoren eine erfolgreiche ZNS-Invasion abhängt, ist
nicht bekannt.
682
Tab. 24.1 Liquorveränderungen bei ZNS-Infektionen.
* aseptisch, weil Liquor cerebrospinalis in normalen Bakterienkulturen steril ist
** niedrig (< 45 mg/dl) bei Tuberkulose, Pilzinfektionen (Mykosen) oder
Leptospirose
Abb. 24.3 Bakterielle Meningitis.
683
In empfindlichen, nach außen abgeschlossenen Geweben wie der Leptomeninx, in
Gehirn und Rückenmark können Entzündung und Ödembildung lebensbedrohliche
Ausmaße annehmen, obwohl sie völlig belanglos wären, wenn sie in Skelettmuskeln,
Haut oder Leber auftreten würden.
Oft dauert es nach der klinischen Besserung noch Wochen, bis alle Zellinfiltrate entfernt
sind und sich das histologische Erscheinungsbild normalisiert hat.
■ Bei Tollwut (s. unten) ist die ZNS-Invasion aus zwei Gründen notwendig; zum
einen kann sich das Virus durch eine absteigende Infektion vom ZNS über periphere
Nerven zu den Speicheldrüsen des infizierten Tieres ausbreiten und mit Speichel
übertragen werden, zum anderen bewirkt der Befall des limbischen Systems eine
Verhaltensänderung, die infizierte Tiere enthemmt, aggressiver und bissiger macht.
Das erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung der Infektion (durch einen Biss).
Man könnte in der Invasion des limbischen Systems eine abgefeimte Strategie des
Tollwutvirus sehen, um seine eigene Übertragung und sein Überleben zu sichern.
684
24.3 Meningitis
Meningokokkenmeningitis
685
Tab. 24.2 Hauptursachen einer nichtviralen Meningitis, spezifische
Behandlung und Vorbeugung.
* sofortiger Therapiebeginn, Antibiotikaempfindlichkeit von Isolaten im Labor
testen lassen
** in Gebieten mit hoher Prävalenz penicillinresistenter Pneumokokken
empfiehlt sich eine Therapie mit Ceftriaxon, bis das Ergebnis der
Antibiotikaempfindlichkeitstestung vorliegt
BCG = Bacillus Calmette-Guérin
686
Menschen mit spezifischen komplementabhängigen Antikörpern gegen
Kapselantigene sind vor einer Bakterieninvasion geschützt. Verstärkt anfällig für
eine Bakteriämie (z.B. durch N. gonorrhoeae; s. Kap. 21) sind Patienten mit einem
Komplementmangel (C5–9). Am häufigsten infizieren sich Kleinkinder – nach
Verlust der Leihimmunität durch mütterliche Antikörper – oder Jugendliche beim
ersten Kontakt mit einem neuen infektiösen Serotyp, gegen den sich noch keine
spezifische Immunität entwickeln konnte.
Bei rund 35% der Patienten entwickelt sich eine fulminante Sepsis mit
Komplikationen wie Gerinnungsstörung (disseminierte intravasale Koagulopathie),
Endotoxinämie, Schock und Nierenversagen. In besonders schweren Fällen kommt
es zur akuten Addison-Krise mit Einblutungen ins Gehirn und in die Nebennieren
(sog. Waterhouse-Friderichsen-Syndrom). Ohne Behandlung ist eine
Meningokokkenmeningitis zu 100% tödlich, doch auch mit Behandlung bleibt die
Letalität noch hoch (bis zu 10%). Hinzu kommen bei Überlebenden schwere
Folgeschäden wie ein dauerhafter Hörverlust (Tab. 24.5).
687
Tab. 24.4 Kapselpolysaccharide als wichtige Virulenzfaktoren in
der Pathogenese einer bakteriellen Meningitis.
688
Bei einer akuten Meningitis ist die labordiagnostische Sicherung der bakteriellen
Ursache eine Grundvoraussetzung für die richtige Antibiotikatherapie und (bei
Kontaktpersonen) -prophylaxe. Eine Stunde nach Abgabe einer Liquorprobe im
Labor sollte das vorläufige Ergebnis der mikroskopischen Untersuchung
(Leukozytenzahl, Gram-Färbung) vorliegen und 24 Stunden später sollten die
Ergebnisse der Liquor- und Blutkulturen nachgeliefert werden (s. Kap. 32). Eine
serologische Untersuchung ist diagnostisch nicht weiterführend, weil bei einer
akuten Infektion noch keine Antikörperreaktion nachweisbar ist.
Haemophilus-Meningitis
■ Typ b besitzt eine Kapsel und ist häufiger in den Atemwegen von Säuglingen
und Kleinkindern anzutreffen (wo dann auch die Infektion lokalisiert ist, s. Kap.
18); nur in seltenen Fällen kommt es zur Keimeinschwemmung ins Blut mit
Hirnhautentzündung.
689
unabhängigen Antikörper werden erst im 2. oder 3.Lebensjahr der Kinder gebildet.
Neben der Kapsel besitzt H. influenzae noch weitere Virulenzfaktoren (Tab. 24.3).
Die Diagnostik ist im Grunde dieselbe wie bei einer Meningokokkenmeningitis (s.
oben; Labordiagnose s. Kap. 32). Wichtig zu wissen ist, dass die Keime (erst recht in
geringer Zahl) in Gram-gefärbten Liquor-Ausstrichpräparaten oft nur schwer
erkennbar sind.
Pneumokokkenmeningitis
690
Streptococcus pneumoniae ist besonders bei
Kindern und älteren Menschen häufiger Auslöser
einer bakteriellen Meningitis
Seitdem Streptococcus pneumoniae vor mehr als 100 Jahren zum ersten Mal isoliert
wurde, hat man ihn intensiv erforscht, nicht nur als Erreger, sondern auch als frühes
Studienobjekt für bakterielle Veränderungen (Transformationen). Trotzdem weiß
man wenig mehr über seine Virulenzfaktoren, als dass er eine Polysaccharidkapsel
(Tab. 24.3 und 24.4) besitzt. Er bleibt eine führende Ursache der Morbidität und
Mortalität (Atemwegsinfektionen durch Pneumokokken s. Kap. 19).
Von den US Centers for Disease Control wird für alle Kinder vom 2. bis
23.Lebensmonat (d.h. im Rahmen der üblichen
Vorsorgeuntersuchungen/Schutzimpfungen) oder für ältere Kinder (zwischen 24 und
59 Monaten) mit erhöhtem Risiko für Pneumokokkeninfektionen (aufgrund von
Sichelzellanämie, HIV-Infektion, chronischer Immunkrankheit bzw. -schwäche)
eine Impfung empfohlen. Verfügbar ist ein wirksamer hepta-(7-)valenter
proteinkonjugierter Impfstoff, für Kinder über 5 Jahren auch der ältere 23-valente
Polysaccharidimpfstoff.
Listeria-monocytogenes-Meningitis
691
monocytogenes kann aber auch intrauterine und Neugeboreneninfektionen
hervorrufen (s. Kap. 23). Zur Behandlung empfiehlt sich eine Kombination von
Ampicillin mit Gentamicin.
Neugeborenenmeningitis
Weil ihr Immunsystem noch nicht ausgereift ist, haben Neugeborene (vor allem die
mit niedrigem Geburtsgewicht) ein erhöhtes Meningitisrisiko. Die Unreife des
Immunsystems äußert sich z.B. in Problemen der humoralen und zellulären
Immunität, der Phagozytosefähigkeit und der unwirksamen Komplementaktivierung
auf alternativem Weg. Seitdem medizinische Fortschritte der letzten Jahre dazu
beigetragen haben, dass mehr Frühgeborene überleben, wird das besonders deutlich.
692
Tab. 24.6 Streptokokken der Gruppe B – wichtige Ursache der
Neugeborenenmeningitis.
Tuberkulöse Meningitis
Bei einer tuberkulösen Meningitis befindet sich der Infektionsherd immer an anderer
Stelle im Körper, doch bei rund 25% der Patienten gibt es weder klinische noch
anamnestische Hinweise auf eine solche Infektion. In über 50% geht die Meningitis
mit einer akuten Miliartuberkulose einher (Abb. 24.5). In Gebieten mit hoher
Tuberkuloseprävalenz erkranken am häufigsten Kinder unter 4 Jahren an Meningitis,
693
während dort, wo die Tuberkulose eher seltener ist, die meisten Meningitisfälle bei
Erwachsenen auftreten.
24.3.2 Pilzmeningitis
Wenn Cryptococcus neoformans oder Coccidioides immitis von einem Primärherd in der
Lunge ins Blut eingeschwemmt werden, können sie auch eine Meningitis verursachen.
C. neoformans weist einen ausgeprägten ZNS-Tropismus auf und ist Hauptauslöser
einer metastatischen Meningitis durch Pilze. Von C. neoformans gibt es zwei Formen
mit jeweils zwei Serotypen.
An einer Cryptococcus-neoformans-Meningitis
erkranken meist Patienten mit geschwächter
zellvermittelter Immunität
Daher kommt sie bei AIDS-Kranken oder Patienten unter immunsuppressiver
Therapie vor. Die Meningitis beginnt gewöhnlich schleichend über Tage bis Wochen.
Die in Liquor-Tuschepräparaten erkennbaren Hefepilze mit Kapseln (Abb. 24.6)
lassen sich anzüchten (s. Kap. 32). Ein anderes nützliches Diagnoseinstrument ist der
Antigennachweis, der sich auch zur Kontrolle des Therapieerfolgs (sinkender
Antigentiter im Liquor) eignet. Als antimykotische Kombinationstherapie werden
Amphotericin B, Fluconazol und Flucytosin empfohlen, da Amphotericin allein
schlecht liquorgängig ist.
Abb. 24.5 Zusammenhang zwischen akuter
Miliartuberkulose und Meningitis.
694
* Invasion ins Blut führt zur Miliartuberkulose (von latein. milium = Hirsekorn)
mit Tuberkeln, die wie Hirsekörner aussehen und in der Lunge, aber auch an
anderen Stellen im Körper vorkommen können.
695
(Mit freundlicher Genehmigung von A.E. Prevost)
24.3.3 Protozoenmeningitis
In wärmeren Ländern können sich in stehenden Gewässern Amöben (Naegleria- oder
Acanthamoeba-Spezies) vermehren, bevorzugt im Bodenschlamm von Seen oder
Swimming-Pools. Wenn sie eingeatmet werden, können sie über Riechbahn und
Siebplatte (Lamina cribrosa) bis zu den Hirnhäuten gelangen. Von Naegleria wird eine
primäre Amöbenmeningoenzephalitis mit raschem Beginn und hoher Sterblichkeit
verursacht, während eine Acanthamoeba-Infektion eher chronisch verläuft und zu
einer granulomatösen Amöbenenzephalitis führt.
24.3.4 Virusmeningitis
696
Tab. 24.7 Ursachen einer Virusmeningitis.
Da eine Infektion mit humanen Enteroviren (Echoviren, Coxsackie Gruppe A und B,
drei Poliovirus-Gruppen) meist asymptomatisch verläuft, muss es ätiologisch nichts
weiter bedeuten, wenn sich eines der Viren aus dem Rachenabstrich oder der
Stuhlprobe eines Kindes mit leichter Meningitis isolieren lässt. Enteroviren sind
allerdings die häufigste Ursache einer saisonal auftretenden aseptischen Meningitis.
Im Unterschied zur bakteriellen Meningitis heilt eine Virusmeningitis trotz geringer
Behandlungsalternativen (verfügbar sind lediglich ein paar antivirale Medikamente)
nach benignem Verlauf in der Regel vollständig aus.
697
24.4 Enzephalitis
Dagegen wird eine Herpesenzephalitis bei älteren Kindern und Erwachsenen meist
durch HSV-1 ausgelöst. In der Mehrzahl handelt es sich um eine Reaktivierung des
Virus in den Trigeminusganglien (s. Kap. 15), von wo aus die Infektion zurück ins
Gehirn (Temporallappen) wandert. Nur die wenigsten Fälle beruhen auf einer
Primärinfektion. Rund 30% der HSE-Patienten sind unter 20, rund 50% über 50 Jahre
alt.
Auch auf Haut oder Schleimhäuten können sich Herpesbläschen zeigen. Diagnostisch
wegweisend ist eine verstärkte Temporallappen-Zeichnung im CT oder MRT (Abb.
24.8). Mithilfe der PCR sollte man einen HSV-DNA-Nachweis an einer Liquorprobe
durchführen. Auch ein Elektroenzephalogramm (EEG) kann sinnvoll sein. Durch eine
rechtzeitig begonnene intravenöse Dauerinfusion von Aciclovir lässt sich die
Sterblichkeit (bis zu 70% der unbehandelten Patienten!) deutlich senken.
698
)Enzephalitis um eine intrauterine Primärinfektion (s. Kap. 21) oder um eine
Reaktivierung handeln, die z.B. als Komplikation bei Immunschwäche (wie AIDS)
auftritt. Berichtet wurde auch über eine HHV-6-Enzephalitis bei immunsupprimierten
Patienten.
699
Tab. 24.8 Ursachen einer Enzephalitis.
FSME = Frühjahrs-Sommer-Meningoenzephalitis, HTLV = human T-cell
lymphotropic virus
700
Das B-Virus ist ein „simian“-(Affen-)Herpesvirus von Makaken. Den Tieren selbst tut
es nichts, führt jedoch bei Menschen, die von einem infizierten Affen gebissen wurden,
unter Umständen zu einer schweren, tödlichen Enzephalitis. Die Bisswunde muss sofort
gereinigt werden, und eine sofortige antivirale Prophylaxe wird empfohlen.
24.4.1 Enterovirusinfektionen
Heute gibt es wirksame Impfstoffe. Seitdem Struktur (Abb. 24.9) und Replikation des
Virus besser bekannt sind und der Versuch unternommen wurde, die Erkrankung bis
zum Jahre 2002 auszurotten, hat die Poliomyelitis-Inzidenz ihren historisch
niedrigsten Stand erreicht. Die Kinderlähmung lässt sich durch Schutzimpfungen
sicher verhüten (s. Kap. 31) und ist infolge der in den 50er Jahren gestarteten
Impfprogramme in den entwickelten Ländern praktisch verschwunden (Abb. 24.10).
Mit der weltweiten Initiative zur Ausrottung der Polio – Global Polio Eradication
Initiative – konnte die Zahl der Endemiegebiete im Zeitraum von 2000/2001 um die
Hälfte auf 10 Länder verringert werden. 2002 blieben folgende Endemiegebiete übrig:
Indien, Pakistan, Nigeria, Afghanistan, Niger, Somalia, Ägypten, Angola, Äthiopien
und Sudan (in abnehmender Reihenfolge der Ansteckungsraten). Die Zahl der
Neuerkrankungen sank von 2979 im Jahr 2000 auf 537 im Jahr 2001, d.h. um über
80%. Verglichen mit 1988, als noch über 350000 Kinder in 125 Ländern
Kinderlähmung hatten, ein höchst eindrucksvoller Rückgang! Im Jahr 2001 erhielten
mehr als 575 Millionen Kinder unter 5 Jahren in 94 Ländern die Impfung.
701
Abb. 24.7 Pathogenese einer viralen
Enzephalomyelitis.
702
Abb. 24.8 Herpes-simplex-Enzephalitis (HSE).
703
Bei den Untereinheiten der Kapsid-/Hüllproteine handelt es sich um Virusprotein 1
(VP-1, blau), VP-2 (grün) und VP-3 (grau). Mit freundlicher Genehmigung von
A.J. Olson (Forschungsinstitut der Scripps-Klinik in La Jolla, Kalifornien).
Abb. 24.10 Inzidenz der Kinderlähmung
(paralytische Poliomyelitis) in den USA im Zeitraum
1951–1985.
Da die drei Antigen- bzw. Serotypen des Poliovirus eine geringe Kreuzreaktivität
aufweisen, sind zum Schutz jeweils typspezifische Antikörper nötig. In mindestens
75% waren die Lähmungen durch Typ 1 bedingt.
704
24.4.2 Paramyxovirusinfektionen
Nach der Schlachtung von über 1 Million infizierten bzw. exponierten Schweinen in
den betroffenen sowie angrenzenden Gebieten Malaysias brach die Epidemie ab. Das
Reservoir bilden vermutlich Inselflughunde (Pteropus hypomelanus), denn in Urin
und Speichel dieser Fledermausart war das Virus nachzuweisen. Die Schweine hatten
Obst gefressen, das mit Sekreten der Flughunde kontaminiert war, und sich daran
infiziert.
24.4.3 Tollwutvirusenzephalitis
Letztlich ist Tollwut tödlich, auch wenn der Krankheitsverlauf speziesabhängig enorm
schwanken kann. Bei einem Hund, der 10 Tage, nachdem er einen Menschen gebissen
hat, weiterhin gesund wirkt, ist Tollwut ziemlich unwahrscheinlich. Doch das Virus
kann sich schon im Speichel befinden, bevor bei dem infizierten Tier klinische
Zeichen auftreten.
705
Bisse. Weltweit erkranken 35000 Menschen pro Jahr an Tollwut, meist nach einem
Hundebiss. Auf dem kontinentalen Festland erhält sich die Infektion in Säugetieren
(nicht Menschen) selbst aufrecht. Inseln wie Australien, Großbritannien, Japan,
Hawaii, die meisten Karibikinseln und Skandinavien sind tollwutfrei, weil der Import
von Hunden und Katzen streng kontrolliert wird; doch es zeichnen sich
Veränderungen ab.
Nachdem in den 40er/50er Jahren die meisten Fälle durch Hunde verursacht waren, ist
in den USA die Tollwut-Inzidenz bei Menschen rückläufig. Jetzt sind häufiger wild
lebende Tiere (Stinktiere, Waschbären und Fledermäuse) oder auch Hunde in anderen
Ländern die Infektionsquelle. Von Florida aus breitete sich die Waschbären-Tollwut
ab 1950 langsam nordwärts aus. Als 1980 in Virginia, Maryland und Columbia ein
explosionsartiger Anstieg zu beobachten war, lag es offenbar daran, dass Waschbären
aus infizierten Gebieten importiert worden waren.
Solange das Virus an den Axonen motorischer oder sensorischer Nerven entlang
hochsteigt, ist keine Antikörper- oder zellvermittelte Immunantwort nachweisbar,
wahrscheinlich weil das Antigen in infizierten Muskelzellen noch sequestriert bleibt.
Daher kann in der Inkubationszeit eine passive Immunisierung mit Immunglobulin
erfolgen.
Hat es das Gehirn erreicht, breitet sich das Virus von Zelle zu Zelle aus, bis ein großer
Teil der Neurone infiziert ist. Doch selbst elektronenmikroskopisch sind kaum
zytopathische Auswirkungen und so gut wie keine Zellinfiltration erkennbar. Statt
einer sichtbaren Schädigung infizierter Zellen fällt ihr weitgehender Funktionsausfall
auf. Sobald das Virus ins limbische System eingedrungen ist, kann sich bei infizierten
Tieren ein verändertes Verhalten bemerkbar machen.
706
Klinische Zeichen von Tollwut sind Muskelspasmen,
Krämpfe (Konvulsionen) und Wasserscheu
(Hydrophobie)
Nach Hals- und Kopfschmerzen, Fieber und Beschwerden an der Bissstelle werden die
Patienten zunehmend erregt und bekommen Muskelspasmen und Krämpfe. Dass sich
auch die Schluck-/Schlingmuskeln beim Versuch, Wasser zu trinken, verkrampfen und
sich die Symptome manchmal schon beim Anblick von Wasser verstärken, erklärt die
frühere Bezeichnung der Tollwut als „Wasserscheu“ (Hydrophobie).
Tollwut ist tödlich; die meisten Patienten sterben an einem Herz- oder
Atemstillstand. Oft ist die Lähmung Leitsymptom der Erkrankung. Ein oder zwei
Patienten überlebten nach der Behandlung auf der Intensivstation mit schweren
neurologischen Schäden.
707
■ bei nachgewiesenem Risiko aktive Immunisierung mit abgetötetem
Tollwutvirusimpfstoff (s. Kap. 34). Durch möglichst frühzeitige Impfung lässt sich
Tollwut mit größerer Wahrscheinlichkeit verhindern.
708
24.4.5 Neu aufgetauchte Enzephalitisursache, das
Westnilvirus
1999 starben bei einer Epidemie in New York 7 von 62 an Virusenzephalitis
erkrankten Patienten. Von der Meningoenzephalitis waren nur selten jüngere
Altersgruppen, sondern hauptsächlich die über 50-Jährigen betroffen. Ursprünglich
dachte man an das St.-Louis-Encephalitis-Virus (SLE), doch eine genauere klinische,
epidemiologische und virologische Charakterisierung ergab, dass es sich um eine
Westnilvirusinfektion handeln musste. Bei einer vorausgegangenen Virusepidemie
waren Wild- und andere Vögel gestorben, die als Reservoir des SLE normalerweise
nicht von ihm getötet würden.
Wie das SLE gehört das Westnilvirus zur Serogruppe der Japanischen Enzephalitis der
Flaviviren. Obwohl man es aus Afrika und dem Mittleren Osten kannte, war das
Westnilvirus zuvor im Westen noch nicht aufgetreten. Es infiziert primär Vögel und
Culex-Mücken, während Menschen und Pferde nur Zufallswirte werden. Seit 1999 hat
sich das Virus erfolgreich mit den Zugvögeln ausgebreitet und ist nun fast überall in den
USA anzutreffen. Berichten zufolge wurde es durch Organe von einem Spender, der vor
seinem Tod an einer Westnilvirämie litt, auch auf vier Transplantatempfänger
übertragen.
Die Diagnose kann durch Nachweis der Virus-RNA oder eine IgM-Reaktion von
Serum- und/oder Liquorproben gestellt werden. Behandelt wird rein supportiv; einen
Impfstoff gibt es nicht. Zur Prävention dienen Mückenbekämpfungsprogramme.
709
Bei einigen Patienten entwickelt sich nach einer HTLV-1-Infektion das
Krankheitsbild der „tropischen spastischen Paraparese“. Das Rückenmark ist auf jeden
Fall beteiligt, doch über die Pathogenese weiß man noch wenig.
Ein analoger Zustand mit entzündlicher Demyelinisierung peripherer Nerven ist das
Guillain-Barré-Syndrom, das mit verschiedenen Virusinfektionen und
nichtinfektiösen Impfstoffen in Verbindung gebracht wird. Als 1976 die meisten
Erwachsenen in den USA mit inaktivierter Influenzavirusvakzine gegen Grippe
geimpft wurden, kam es in einer kleinen, aber hoch signifikanten Zahl von Fällen zu
einem Guillain-Barré-Syndrom.
Auch das Röteln- und das Masernvirus dringen ins ZNS sein, doch sie wachsen so
langsam und oft unvollständig, dass sie von der Immunabwehr des Wirts zumindest
teilweise unter Kontrolle gehalten werden können (s. Kap. 11). Klinisch treten erst
nach bis zu 10-jähriger Inkubationszeit erste Krankheitszeichen in Erscheinung.
710
24.6 Spongiforme Enzephalopathien durch Scrapie-
artige Partikel
■ Trotz ihrer virusähnlichen Größe sind es keine echten Viren, da sie weder
DNA noch RNA enthalten. Eng mit den infektiösen Partikeln verbunden ist ein
Prionprotein, das vom Wirt kodiert wird, im infizierten Gehirn aber leicht abgewandelt
ist; das anormale Protein häuft sich in Nervenzellen an. Durch Umwandlung des
wirtskodierten Prionproteins in die anormale Form findet die Replikation statt.
■ Die Partikel zeigen sich erstaunlich resistent gegen Hitze, Chemikalien und
Bestrahlung und lassen sich weder durch Kochen noch durch jahrelanges Einlegen in
Formalin komplett zerstören.
■ In vitro lassen sich die Partikel nicht anzüchten, und da es weder Antikörper-
noch andere Immunreaktionen auf die Infektion gibt, kann die Diagnose nur anhand
der Klinik und der typischen pathologischen Hirnveränderungen gestellt werden.
Unter dem Mikroskop sind Vakuolen erkennbar, die dem Hirngewebe zwar ein
schwammartiges (spongiformes) Aussehen verleihen, aber keine oder nur eine
geringe entzündliche Reaktion hervorrufen. Die infektiösen Partikel bleiben auf das
ZNS und Lymphgewebe beschränkt.
Bei Tieren scheint die Infektion von Ziegen oder Schafen mit Scrapie ausgegangen zu
sein (Abb. 7.2). „Scrapie“ gibt es in Europa seit 200 oder 300 Jahren; es wurde so
bezeichnet, weil sich die befallenen Tiere an Pfosten „schaben“, um ihren Juckreiz zu
lindern.
24.6.1 Creutzfeldt-Jakob-Krankheit
711
Die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit ist eine chronische
Enzephalopathie des Menschen und mit Demenz
verbunden
Bei schätzungsweise jedem 10000. Menschen lassen sich zum Zeitpunkt des Todes
Anzeichen der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) nachweisen. Der natürliche
Übertragungsweg ist nicht bekannt, die CJK scheint nicht von Schafen übertragen zu
werden. Zwischen Menschen kann eine Übertragung stattfinden über:
■ Hornhauttransplantate,
Bei einigen Fällen in den letzten Jahren vermutete man eine Verbindung zum
„Rinderwahn“, der bovinen spongiformen Enzephalopathie (BSE, nach dem
Verzehr kontaminierter Lebensmittel). Weil sie rascher ausbrach als die CJK teilweise
bei Jugendlichen im Teenageralter und sich noch in anderen Punkten von der CJK
unterscheidet, wird diese Form als „neue Variante“ (nvCJK) bezeichnet.
Die CJK kann auch als erbliche Krankheit und offensichtlich unabhängig vom
Kontakt mit kontaminiertem Material vorkommen. Etwa 10% der CJK-Fälle traten
familiär gehäuft auf; die Betroffenen wiesen Mutationen des Prionprotein kodierenden
Gens auf. Dadurch kann das anormale Prionprotein leichter in die pathogene Form
überführt werden. Das geschieht offensichtlich spontan. Hierbei findet eher eine
vertikale als eine horizontale Übertragung der CJK statt (s. Kap. 13), so dass die
Grenze zwischen Infektion und Vererbung verschwimmt. Vielleicht beruhen sogar die
meisten CJK-Fälle auf einer somatischen Mutation des Prionprotein-Gens.
712
zwischen Menschen, denn kurukranke Mütter gebaren und stillten Hunderte von
Kindern, ohne dass bei einem einzigen Zeichen der Krankheit auftraten.
Die Inkubationszeit von Kuru betrug 4–20 Jahre. Seitdem der Kannibalismus
aufgegeben wurde, ist bei den nach 1957 Geborenen kein Fall von Kuru mehr
aufgetreten. In manchen Dörfern war Kuru die Haupttodesursache und an zweiter
Stelle stand (Vergeltungs-)Mord, weil man die tödliche Erkrankung einem
Hexenzauber zuschrieb. Ursprünglich wurde Kuru vermutlich von Missionaren
eingeschleppt; einer könnte an CJK gestorben sein und die Eingeborenen über den
kannibalistischen Leichenschmaus angesteckt haben.
Bei der familiären Insomnie führt der Verlust des Schlafvermögens innerhalb von ein,
zwei Jahren zum Tod.
Nach anfänglichem Fieber folgen Symptome wie Krampfanfälle und Koma, die
unbehandelt rasch zum Tod führen. Solange noch keine Resistenz aufgetreten ist,
können die Patienten mit Chloroquin behandelt werden, sonst muss Chinin (zunächst
intravenös) verabreicht werden. Bei erfolgreicher Behandlung ist das Koma vollständig
reversibel, ohne dass Schäden zurückbleiben.
713
Nach einer Toxocara-Infektion können sich Hirn- und
Netzhautgranulome bilden
Menschen können sich mit Katzen- (Toxocara cati) und Hunde-Rundwürmern
(Toxocara canis) infizieren, vor allem Kinder, die beim Spielen Toxocara-Eier aus dem
Kot von Welpen oder Kätzchen aufnehmen können (s. Kap. 6). Auch wenn die
Übertragung direkt (von Hund oder Katze) erfolgen kann, benötigten die Parasiten
ursprünglich wahrscheinlich Nagetiere als Zwischenwirte, die von Hunden oder Katzen
gefressen werden müssen, ehe sich der Lebenszyklus der Wurmparasiten vollendet.
Nach der Eiaufnahme schlüpfen im Darm (von Mensch oder Nagetier) Larven, die in
Leber, Lunge, Augen (s. Kap. 25), Gehirn, Nieren und Muskeln einwandern.
Granulome, die sich um die Larven herum bilden, können eine Epilepsie auslösen
(wenn sie im Gehirn lokalisiert sind) oder als tumorartige Geschwulst im Auge zur
Netzhautablösung und Erblindung führen. Oft besteht eine starke Eosinophilie. In den
meisten Fällen verläuft die Infektion jedoch asymptomatisch.
Das Serum Infizierter kann mit einem Fluoreszenztest auf Antikörper gegen
Toxocara-Antigen untersucht werden. Eine regelmäßige Entwurmung von Hunden und
Katzen trägt mit dazu bei, die Krankheit zu verhindern, und Kinderspielplätze sollten
nicht mit Hundekot verschmutzt sein. Zur Behandlung können neben Mebendazol auch
Entzündungshemmer (antiinflammatorische Mittel) erforderlich sein.
714
in ihrem Muskelgewebe Zystenstadien; dieses Schweinefleisch kann zur
Infektionsquelle für weitere Menschen werden. Gelegentlich kommt es zur Reinfektion
von Menschen durch Eier aus dem Dünndarm, vermutlich nach der Aufnahme von
kontaminierter Nahrung oder Wasser oder wenn sie direkt ausschlüpfen.
Nachdem sie durch die Darmwand ausgewandert sind, entwickeln sich die Parasiten
meist im Gehirn (Abb. 24.13) oder im Auge zu Zysten weiter, die eine Epilepsie oder
Enzephalopathie verursachen können. Die Diagnose erfolgt durch den Nachweis
spezifischer Antikörper im Serum oder Liquor bzw. durch die Darstellung von Zysten
im CT, MRT oder Röntgenbild. Behandelt wird mit Albendazol und Praziquantel;
manchmal sind Entzündungshemmer erforderlich.
Abb. 24.12 Echinokokkose.
24.8 Hirnabszesse
715
Bei Hirnabszessen liegen meist prädisponierende
Faktoren vor
Seitdem es Antibiotika gibt, sind Hirnabszesse selten geworden. Sie entwickeln sich
gewöhnlich nach Operation oder Trauma, bei einer chronischen Osteomyelitis
benachbarter Knochen, septischer Embolie oder chronischer Anoxie. Auch Kinder mit
angeborenen zyanotischen Herzfehlern, bei denen im Blut zirkulierende Bakterien in der
Lunge nicht ausgefiltert werden, können einen Hirnabszess haben.
Hirnabszesse werden anhand der Klinik oder mit bildgebenden Verfahren (kraniales
CT oder MRT) diagnostiziert. Bei Verdacht auf einen Hirnabszess ist eine
Lumbalpunktion kontraindiziert; wird sie trotzdem durchgeführt, sind im Liquor
vermehrt Zellen und Proteine nachweisbar (Tab. 24.1). Bei einem gut abgekapselten
Abszess erfolgt die Behandlung durch chirurgische Drainage und unter antibiotischer
Abdeckung über mindestens einen Monat. Andere Infektionen, die sich als chronische
Meningitis oder Hirnabszess manifestieren können, sind in Tab. 24.9 aufgezählt.
Abb. 24.13 Zerebrale Zystizerkose.
716
24.9 Tetanus und Botulismus
Verschiedene Bakterien dringen selbst nicht ins ZNS ein, setzen aber Toxine frei, die sich
auf das Nervensystem auswirken können (s. Kap. 17). Im Fall von Clostridium tetani oder
Clostridium botulinum sind klinisch die neurologischen Symptome am wichtigsten.
717
24.9.1 Tetanus
Das Toxin wird axonal an peripheren Nerven entlang und möglicherweise auch auf
dem Blutweg zum ZNS transportiert. Dort bindet es an Neurone und blockiert die
Freisetzung hemmender Transmitter an Spinalnervensynapsen. Dadurch kommt es
zur Übererregbarkeit motorischer Neurone. Über sympathische Axone kann das Toxin
aber auch zur Übererregbarkeit von Sympathikusnerven führen.
Je nach Schwere der Infektion und Qualität der Behandlung kann die Letalität bis zu
50% betragen. Die Diagnose wird anhand der Klinik gestellt. Aus Wunden lassen sich
nur selten Keime isolieren. Für die Toxinbildung bzw. Krankheitsmanifestation reicht
schon eine geringe Zahl von Bakterien aus.
Tetanus kann durch eine Immunisierung mit Toxoidimpfstoff verhindert werden; die
Wirkung hält bis zu 10 Jahre nach der letzten Injektion an. Daher zählt Tetanus zu den
Krankheiten, die sich durch Schutzimpfung verhindern lassen. Eine Besonderheit
besteht darin, dass die Ansteckung nicht durch andere Menschen, sondern durch
718
Umgebungseinflüsse erfolgt (Kontakt mit C.-tetani-Sporen im Boden). Wunden
sollten gereinigt, nekrotisches Gewebe und Fremdkörper entfernt und eine
Auffrischungsimpfung mit Tetanustoxoid durchgeführt werden. Bei besonders stark
verschmutzten Wunden sollte man den Patienten zusätzlich Tetanus-Immunglobulin
verabreichen.
24.9.2 Botulismus
Clostridium-botulinum-Sporen kommen verbreitet im Boden vor und können Gemüse,
Fleisch und Fisch kontaminieren. Werden Gerichte unsteril in Konservendosen gefüllt
oder zu Hause hergestellt, können Sporen in der anaeroben Umgebung überleben und
auskeimen. Dabei bildet sich das Toxin.
719
Toxin A, B, C) verabreicht. Die Letalität liegt bei erfolgreicher Beatmungstherapie
unter 20%.
■ Manchmal ist das ZNS auch bei Wurminfektionen beteiligt (z.B. Toxokariasis,
Hydatidose, Zystizerkose).
FRAGEN
Eine 45-jährige Bankmanagerin wird als Notfall ins Krankenhaus eingeliefert,
nachdem sie auf der Straße zusammengebrochen war. Sie kann selbst nicht sagen,
was passiert ist. Ein Passant hatte gesehen, dass sie nach dem Verlassen eines
Geschäfts plötzlich ohnmächtig wurde und einen Krampfanfall hatte. Die Polizei
benachrichtigte den Ehemann. Diesem war aufgefallen, dass sie seit ein paar Tagen
über Kopfschmerzen geklagt und sich irgendwie komisch verhalten hatte.
Anamnestisch war bei ihr weder eine Krampfneigung bekannt, noch stand sie unter
einer Medikation. Bei der Untersuchung wirkt sie benommen und verwirrt. Sie hat
720
Fieber von 38°C. Neurologische Herdsymptome liegen nicht vor, nur die Reflexe
sind leicht übersteigert, die sonstigen Befunde normal. Bei der Fundoskopie zeigt
sich kein Papillenödem, Rachen- und Ohrenspiegelung ergeben keinen auffälligen
Befund. Die Laborwerte großes Blutbild, Harnstoff, Elektrolyte (mit
Glukosespiegel) liegen alle im Normalbereich.
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paramyxovirus. Science 288 (2000) 1432–1435.
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721
25 Augeninfektionen
25.1 Konjunktivitis 365
Lidinfektionen sind meist durch Staphylococcus aureus bedingt. Bei Mitbeteiligung des
Lidrandes kommt es zur Blepharitis und bei einer Liddrüsen- oder Follikelentzündung
kann sich ein Gerstenkorn (Hordeolum) bilden.
Die Bindehaut wird noch auf anderen Wegen (hämatogen oder über Nervenstrukturen)
befallen. Manchmal dringen Infektionen in tiefere Augenschichten ein, besonders
Protozoen- oder Wurminfektionen.
722
25.1 Konjunktivitis
Ein breites Erregerspektrum von Viren oder Bakterien kann eine Bindehautentzündung
bzw. Konjunktivitis verursachen (Tab. 25.1). Bestimmte Infektionen betreffen vorwiegend
Kinder und diese heilen rasch ab, andere können dagegen schwerer verlaufen. Zu
schweren Augenschäden kann eine Keratokonjunktivitis durch Adeno-, Herpes-simplex-
(HSV) oder Varicella-Zoster-Viren (VZV) führen. Eine akute hämorrhagische
Konjunktivitis ist oft Folge einer Enterovirus-70- oder Coxsackievirus-A24-Infektion.
25.1.1 Chlamydieninfektion
723
Abb. 25.1 Häufigste Form der
Neugeborenenkonjunktivitis ist eine
Chlamydieninfektion.
Neugeborene können sich beim Durchqueren des infizierten Geburtskanals z.B. eine
Konjunktivitis oder eine Lungeninfektion zuziehen (s. Kap. 23). In dieser Situation ist
meist eine systemische Behandlung mit Erythromycin erforderlich.
724
Chlamydieninfektionen werden antibiotisch
behandelt und lassen sich durch Gesichtswäsche
verhindern
Laborchemisch kann eine Chlamydieninfektion (s. Anhang) anhand des Sekrets oder
Zellabstrichs von der Bindehaut diagnostiziert werden. Die Therapie erfolgt durch
topisch oder oral anzuwendende Antibiotika (wie Azithromycin, Doxycyclin usw.).
a) Skizzierung der Pathogenese. Durch Vernarbung der Hornhaut (b) bildet sich
ein länger anhaltendes Trachomkorn im Auge. In Zellabstrichen aus einem
Trachom (c) sind nach Giemsa-Färbung intrazelluläre C.-trachomatis-
725
Einschlusskörperchen erkennbar. Mit freundlicher Genehmigung von R.C. Barnes
(b) und G. Ridgway (c).
Wenn sich Neugeborene bei der Passage durch den infizierten Geburtskanal mit
Neisseria gonorrhoeae infiziert haben, kann sich am ersten oder zweiten Lebenstag
eine schwere eitrige Augenerkrankung (Ophthalmia neonatorum) einstellen, die
dringend mit Ceftriaxon behandelt werden muss, weil inzwischen verbreitet eine
Penicillinresistenz in Gonokokken auftritt. Staphylococcus aureus kann sowohl bei
Neugeborenen wie bei Erwachsenen Infektionen hervorrufen. Bei einer
Augeninfektion von Säuglingen kann der Keim aus dem Körper des Kindes stammen
oder von einem infizierten Erwachsenen übertragen worden sein.
726
Abb. 25.3 Eitrige Absonderung bei bakterieller
Konjunktivitis (meist bei einer Infektion mit
Streptococcus pneumoniae, Haemophilus
influenzae oder Staphylococcus aureus).
727
Das Erregerspektrum von Augenkrankheiten tieferer Gewebeschichten ist breiter als bei
Bindehautentzündungen (Tab. 25.2).
Abb. 25.4 Herpes-simplex-Virus(HSV)-Keratitis.
Dendritische Ulzera wie hier sind häufig bei rekurrierenden HSV-Infektionen auf der
Hornhaut sichtbar (mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood).
25.2.1 Toxoplasmose
■ nach intrauteriner Infektion sämtliche Gewebe, und vor allem das ZNS,
befallen sind,
728
Augenschäden treten hauptsächlich im Fall einer angeborenen Toxoplasmose auf.
Infizierte Schwangere können ihr Kind intrauterin anstecken, da die schnell
beweglichen Larven die Plazentaschranke überwinden können. Wenn sich im
Netzhautgewebe des Fetus Zysten bilden, bewirkt ihre kontinuierliche Proliferation
Läsionen, die ständig weiter voranschreiten, gerade wegen der noch unterentwickelten
Immunität. Ist neben der Retina auch die Choroidea (Aderhaut) betroffen, kann die
Chorioretinitis letztlich zur Erblindung führen (Abb. 25.5). Erkranken können ein oder
beide Augen.
729
25.2.2 Parasitäre Wurminfektionen
Toxocara canis ist ein natürlicher Darmparasit von Hunden, dessen Eier in die
Umgebung ausgeschieden werden und die wegen ihrer dicken Hülle sehr
widerstandsfähig sind. Werden sie von Menschen aufgenommen, beginnen die
geschlüpften Larven ihre übliche Wanderung durchs Gewebe, können sie aber nicht
vollenden. In ihrem eigentlichen Wirt, dem Hund, führt die Migration dazu, dass die
Larven wieder in den Dünndarm zurückgelangen und dort zu adulten Rundwürmern
heranreifen.
Abb. 25.5 Angeborene Toxoplasmose.
Auf dem Foto ist nach abgeheilter Chorioretinitis eine Narbe auf dem
Augenhintergrund zu sehen (mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood).
Bei Menschen können die Larven so gut wie in jedes Organ eindringen, oft z.B. ins
ZNS oder Auge (Abb. 25.6), und eine heftige eosinophile Entzündungsreaktion
auslösen. In der Retina lokalisierte Läsionen können eine Netzhautablösung
verursachen. Die Fehldiagnose als Retinoblastom hat schon zur Enukleation solcher
Augenläsionen geführt. Empfohlen wird eine Behandlung mit Antihelmintika (wie
Albendazol oder Mebendazol).
730
Abb. 25.6 Granulom am hinteren Augenpol bei
einer Toxocara-canis-Infektion.
■ Iridozyklitis,
■ Chorioretinitis,
■ Optikusatrophie.
Die Krankheit wird als Flussblindheit bezeichnet, weil sich Kriebelmücken in Flüssen
entwickeln und daher vor allem Menschen erkranken, die am Ufer von Flüssen leben.
In Endemiegebieten können bis zu 40% der erwachsenen Bevölkerung nach der
Infektion erblinden. Doch die Bekämpfung der Vektoren und die Behandlung der
731
Patienten mit Ivermectin haben dazu beigetragen, die Zahl der Neuerkrankungen in
vielen afrikanischen Ländern drastisch zu verringern. Flussblindheit ist aber eine
irreversible Erkrankung.
Abb. 25.7 Onchozerkose.
■ Jede Augeninfektion kann ernste Folgen haben, da das Sehvermögen von einer
intakten und transparenten Hornhaut (Kornea) abhängt.
■ Relativ wenige Keime dringen in die Netzhaut ein (Retina) und diese
gefährden das Sehvermögen.
FRAGEN
Ein 42-jähriger homosexueller AIDS-Patient klagt über verschwommenes Sehen und
eine Einschränkung seines Gesichtsfelds. Ihm sind auch „Mouches volantes“
aufgefallen, die er als „schwarze Flecken“ vor den Augen beschreibt. Bei der letzten
732
Untersuchung hatte er sehr niedrige CD4-Zellzahlen (20/mm3) und wurde ins
Krankenhaus eingeliefert, um seine Pneumonie (durch Pneumocystis jiroveci
[früher: P. carinii]) und ein Kaposi-Sarkom behandeln zu lassen. Die bei der
Fundoskopie sichtbaren weißen Flecken und Einblutungen im Augenhintergrund
sprechen für eine Retinitis. Bei der Gesichtsfelduntersuchung zeigt sich ein
einzelnes Skotom( blinder Fleck) im infratemporalen Teil der Netzhaut.
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733
26 Infektionen von Weichteilen und Knochen
26.1 Bakterielle Infektionen von Haut, Weichteil- und Muskelgewebe 373
734
26.9 Hautläsionen bei anderen Infektionen 401
735
Zur Orientierung
Schutzfunktion der Haut–Gesunde, unversehrte Haut wehrt eine Erregerinvasion
gut ab und schützt darunter liegendes Gewebe
Eine kleinere Zahl von Erregern kann Muskel- und Gelenkerkrankungen oder
Störungen des blutbildenden Systems (Hämopoese) verursachen. Hier erfolgt im
Allgemeinen eine Invasion vom Blutweg aus, doch aus welchem Grund bestimmte
Gewebe befallen werden, ist vielfach ungeklärt. Keime aus dem Blutkreislauf siedeln sich
bevorzugt in wachsenden bzw. vorgeschädigten Knochen (akute Osteomyelitis) oder
Gelenken an; wir wissen allerdings nicht, warum Coxsackieviren oder Trichinella spiralis
bevorzugt in Muskelgewebe eindringen. Andererseits hängt es mit spezifischen
Zelladhäsionsstellen zusammen, dass Viren bestimmte Zielzellen infizieren oder
Plasmodien in Erythrozyten einwandern.
Hautinfektionen
Zusätzlich zu ihrer mechanischen Barrierefunktion ist die Haut von einer Normalflora aus
unterschiedlichen Keimen besiedelt. In relativ trockenen Hautarealen wie den
Unterarmen oder am Rücken handelt es sich um eine eher spärliche Besiedlung, bei der
grampositive Bakterien und Hefepilze überwiegen. In feuchteren Bereichen wie Leiste
oder Achselhöhle finden sich mehr und unterschiedlichere Keime, darunter auch Gram-
negative Bakterien. Wie die Normalflora an anderen Körperstellen spielt auch die
Hautflora eine wichtige Rolle als Schutz vor einer Invasion fremder Keime.
Bei näherer Betrachtung der Hautstruktur wird verständlich, weshalb sie und die
darunter befindlichen Gewebe für unterschiedliche Infektionen anfällig sind (Abb. 26.1).
Wenn Keime die Hornschicht (Stratum corneum) überwinden, wird die körpereigene
736
Abwehr mobilisiert: Von Langerhans-Zellen in der Epidermis werden Zytokine gebildet,
die Neutrophile zur Invasionsstelle hinlocken, und der alternative Weg des
Komplementsystems wird aktiviert.
737
In Abb. 26.2 ist der pathogenetische Ablauf einer mukokutanen Schädigung nach
Bakterien-, Pilz- oder Virusinfektionen dargestellt. Die Haut kann mikroskopisch kleine
Risse oder tiefe und großflächige Verletzungen aufweisen (Schnittwunden nach
Unfällen, Brandblasen nach Verbrennung, Operationsschnitte). Hospitalisierte
Patienten sind noch durch andere Vorschäden (Dekubitus,
Venenkatheterinsertionsstelle) anfällig für Hautinfektionen (s. Kap. 36). Infektionen bei
Immunschwäche, z.B. Patienten mit Brandverletzungen, werden in Kap. 30 näher
besprochen.
Abb. 26.2 Pathogenese mukokutaner Läsionen.
Hier befassen wir uns mit Primärinfektionen der Haut und des Unterhautgewebes
sowie mit mukokutanen Schäden nach bestimmten systemischen Virusinfektionen.
Systemische bakterielle und Pilzinfektionen als Ursache einer Haut- oder
Schleimhautschädigung sind in Tab. 26.2 zusammengefasst.
738
Ihre Einteilung richtet sich nach den beteiligten Haut- und Weichteilschichten; bei
manchen Infektionen können verschiedene Bestandteile des Bindegewebes
eingeschlossen sein:
Die häufigsten Auslöser solcher bakteriellen oder Pilzinfektionen sind in Tab. 26.3
aufgeführt. Zu beachten ist, dass derselbe Erreger (z.B. Streptococcus pyogenes) je nach
betroffener Haut-/Unterhautschicht oft unterschiedliche Infektionen verursachen kann.
739
Tab. 26.2 Hautsymptome bei systemischen Infektionen durch
Bakterien oder Pilze.
Ein Furunkel beginnt 2–4 Tage nach der Inokulation als oberflächliche Entzündung
in und um einen Haarfollikel (Follikulitis, Abb. 26.3). An dieser Stelle kann sich der
Keim einigermaßen sicher vor der Wirtsabwehr rasch vermehren und lokal ausbreiten.
Das provoziert eine stark entzündliche Reaktion mit dem Zustrom von Neutrophilen
und einer Abkapselung der Stelle durch Fibrinablagerungen.
Typisch für Abszesse ist gelber Eiter von cremiger Konsistenz, der reichlich
vorhanden ist und aus Zellmassen der Erreger und nekrotischen weißen
Blutkörperchen besteht. Unter langsamer Ausbreitung einer Abszedierung kommt es
schließlich zur Erosion der darüber befindlichen Haut, bis sich ein „Eiterstippchen“
bildet und sich der Abszess entleert. Fließt Eiter nach innen ab, kann die Streuung von
Staphylokokken in innere Körperstrukturen zu schweren Infektionen (Peritonitis,
Empyem oder Meningitis) führen.
740
Hier ist die oberflächliche Infektion von Haarfollikeln am Unterschenkel gezeigt.
Die Furunkel enthalten cremig-gelben Eiter und Bakterienmassen. Am häufigsten
ist Staphylococcus aureus die Ursache (mit freundlicher Genehmigung von A. du
Vivier).
741
(MRSA, s. Kap. 33) kommen z.B. Vancomycin oder Linezolid zum Einsatz. Eine
Behandlung mit diesen Substanzen führt jedoch bei Trägern von Stapyholokken nicht
unbedingt zur Eradikation der Erreger.
Nachdem sich große, mit klarer Flüssigkeit gefüllte Blasen entwickelt haben, kommt
es innerhalb von ein, zwei Tagen zum Verlust der darüber befindlichen Hautareale
(Abb. 26.4); darunter kommt wieder normale Haut zum Vorschein. Obwohl sie gereizt
wirken können und sich unwohl fühlen, sind die Säuglinge selten ernstlich krank.
Allerdings ist die Gefahr eines großen Flüssigkeitsverlustes über die geschädigte
Haut zu berücksichtigen; daher kann unter Umständen ein Flüssigkeitsersatz nötig
sein.
Auslöser sind Exotoxine von S. aureus, vor allem TSST-1, das sich wie ein
Superantigen verhält (stimuliert T-ZellProliferation und Zytokinfreisetzung, s. Kap.
16). Während die Prävalenz des TSS in den USA derzeit auf 6000 Fälle pro Jahr
geschätzt wird, haben über 90% der Erwachsenen Antikörper gegen TSST-1. Zur
Behandlung des toxischen Schocksyndroms werden der Infektionsherd eröffnet (und
ausgeleitet), ein Flüssigkeitsersatz und eine Antibiotikatherapie mit
staphylokokkenwirksamen Mitteln durchgeführt.
742
Abb. 26.4 „Syndrom der verbrühten Haut“ durch
Staphylococcus-aureus-Stämme, die ein
spezifisches Toxin produzieren.
Das Toxin zerstört interzelluläre Verbindungen in der Haut, so dass sich die Haut
großflächig ablöst (Desquamation). Man könnte das Erscheinungsbild mit einer
Verbrennung verwechseln (mit freundlicher Genehmigung von A. du Vivier).
Abb. 26.5 Toxisches Schocksyndrom.
743
26.1.2 Streptokokkeninfektionen der Haut
S. pyogenes kann auch ein Erysipel verursachen, eine tiefere akute Infektion der
Dermis. Bei rund 5% der Patienten mit Erysipel schreitet die Infektion bis zur
Bakteriämie fort, die unbehandelt mit einer hohen Sterblichkeit behaftet ist. Wie schon
erwähnt, kann auch S. aureus eine Impetigo auslösen, bei der sich gelegentlich so
starke Blasen entwickeln (Impetigo bullosa), dass sie einem lokalen Scalded-skin-
Syndrom ähnlich sieht (s. oben).
744
Abb. 26.6 An Streptokokkeninfektionen der Haut
beteiligte Faktoren.
Lysogene Stämme von S. pyogenes bilden pyrogene Exotoxine, die früher als
erythrogene Toxine bezeichnet wurden. Wie oben für das TSST-1 von S. aureus
beschrieben, haben solche Toxine als Superantigene einen starken Einfluss auf das
Immunsystem. Sie wirken sich auch auf die Hautgefäße aus und verursachen ein
diffuses Erythem (Scharlach), z.B. bei einer Streptokokken-Pharyngitis. Auch S.
pyogenes kann ein toxisches Schocksyndrom hervorrufen, bei dem offenbar ein
Zusammenhang mit der Bildung des pyrogenen Exotoxins SpeA besteht.
745
Bestimmte M-Typen (z.B. M49) von S. pyogenes sind
mit akuter Glomerulonephritis assoziiert
Eine akute Glomerulonephritis (AGN) tritt häufiger nach Haut- als nach
Racheninfektionen auf (s. Kap. 18) und ist durch die Ablagerung von
Immunkomplexen in der glomerulären Basalmembran gekennzeichnet. Welche
kausale Rolle Streptokokken dabei spielen, ist noch immer unklar (s. Kap. 17). Rund
2–3 Wochen nach Primärinfektion mit einem nephritogenen Stamm entwickelt sich
bei 10–15% der Patienten eine AGN. In den meisten Fällen heilt sie vollständig aus,
und auch Rezidive bei nachfolgenden Streptokokkeninfektionen kommen eher selten
vor. Rheumatisches Fieber (s. Kap. 18) ist sehr selten Folge einer Hautinfektion mit S.
pyogenes.
Abb. 26.7 Hautflechte (Impetigo).
Die typischen gelb verkrusteten Läsionen bleiben auf die Epidermis beschränkt.
Ursache ist meist Streptococcus pyogenes, zum Teil auch eine Mischinfektion mit
Staphylococcus aureus (mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood).
746
aureus (Abb. 26.9). Bakterielle Kulturen aus einem Erysipel bleiben meist negativ,
während Kulturen mit der Flüssigkeit aus Randbezirken der Läsion gelegentlich zum
Erfolg führen.
Abb. 26.8 Erysipel.
747
Abb. 26.9 Eiter mit Gram-positiven Kokken.
Penicillin ist das Mittel der Wahl; für Patienten mit Penicillinallergie kommt
Erythromycin oder ein orales Cephalosporin in Betracht. Die Resistenz von
Streptokokken nimmt allerdings zu, und auch bei Mischinfektionen mit S. aureus sind
die Mittel nicht gut wirksam. In schweren Fällen kann eine stationäre Aufnahme
erforderlich sein.
Eine Impetigo lässt sich verhindern, wenn man die zur Infektion beitragenden
Wirtsfaktoren stärker berücksichtigt und soweit möglich verbessert (Abb. 26.6). Da
eine AGN bei nachfolgenden Streptokokkeninfektionen nur selten rezidiviert, ist keine
Langzeitprophylaxe mit Penicillin indiziert (anders als beim rheumatischen Fieber, s.
Kap. 18).
748
Auf der Hautoberfläche können auch große Blasen und Verschorfung zu sehen
sein (mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood).
Nur in 25–35% der Zellulitis-Fälle lässt sich der verantwortliche Erreger isolieren.
Daher sollte die Therapie am Anfang gegen Streptokokken und Staphylokokken
wirksam sein. Zur Sicherung der klinischen Diagnose können Kulturen anlegt werden,
z.B. von:
■ Hautbiopsien oder
■ Blutproben.
749
In geschädigtem oder devitalisiertem Gewebe kann
sich eine Anaerobier-Zellulitis entwickeln
Solche Gewebeschäden sind meist durch Wunden (chirurgisch oder traumatisch)
bedingt oder in ischämischen Bereichen der Extremitäten anzutreffen. Besonders
anfällig für eine Anaerobier-Zellulitis sind z.B. die Füße von Diabetikern (Abb.
26.11).
Welcher Erreger ursächlich ist, hängt von den Umständen ab; Infektionen im unteren
Körperbereich werden häufiger von Fäkalkeimen ausgelöst, während sich Bisswunden
eher mit Keimen aus der Mundhöhle infizieren. Übel riechende Absonderungen,
deutliche Schwellung und Gasbildung im Gewebe sind typisch für eine Anaerobier-
Zellulitis. Meist werden verschiedene Erreger aus solchen Wunden isoliert. Eine
Ausbreitung der Infektion lässt sich nur durch rigorose Behandlung verhindern;
deshalb sind Antibiotika und chirurgisches Débridement erforderlich. Eine häufige
Folge ist eine Osteomyelitis (s. unten).
Abb. 26.11 Schwere, progrediente Zellulitis am Fuß.
750
Eine nekrotisierende Fasziitis ist eine Mischinfektion
durch obligat und fakultativ anaerobe Keime und
endet oft tödlich
Trotz offensichtlicher Ähnlichkeit mit einer synergistischen bakteriellen Gangrän
verläuft die nekrotisierende Fasziitis noch akuter und hoch toxisch. Durch
großflächige Nekrose und Unterminierung des umgebenden Gewebes wirkt die
Infektion in tieferen Schichten viel zerstörerischer als auf der Haut (Abb. 26.12).
Sie kann zwar von unterschiedlichen Keimen verursacht werden, doch für die
Laienpresse stand die nekrotisierende Fasziitis vorrangig mit S. pyogenes in
Verbindung und es war oft von „fleischfressenden Bakterien“ die Rede. Der Zustand
der Patienten verschlechtert sich rapide, und viele sterben an einer nekrotisierenden
Fasziitis. Die Therapie besteht im Wesentlichen in der radikalen Exzision des
nekrotischen Fasziengewebes plus einer lokalen und systemische Antibiotikatherapie.
Abb. 26.12 Nekrotisierende Fasziitis der
Bauchdecke.
Vom ursprünglichen Herd breitet sich die Infektion rasch aus und kann zu einer
ausgedehnten, tiefen Nekrose führen. Sie macht ein vollständiges Débridement mit
intensiver Antibiotikatherapie erforderlich. Trotzdem verläuft die Erkrankung oft
tödlich (mit freundlicher Genehmigung von W.M. Rambo).
751
Von den Clostridien-Spezies, die eine Gasgangrän oder eine Muskelnekrose
verursachen können, ist Clostridium perfringens der häufigste Auslöser. Da Keime
und Sporen im Boden sowie in Fäkalien von Tieren und Menschen vorkommen,
können Gewebeverletzungen aus diesen Quellen kontaminiert werden. Die Infektion
entwickelt sich in schlecht durchbluteten (anaeroben) Körperbereichen, daher ist sie
meist im Gesäß- und Dammbereich lokalisiert und betrifft besonders Patienten mit
einer ischämischen Vaskulopathie oder peripheren Arteriosklerose.
Die Schädigung beruht zum großen Teil auf einer von C. perfringens gebildeten
Lecithinase (auch als Alphatoxin bekannt), die Zellmembranlipide hydrolysiert und
so zur Zytolyse und zum Zelltod führt (Abb. 26.14). Durch abgestorbenes und
untergehendes Gewebe wird die Blutversorgung noch weiter eingeschränkt, so dass
sich die Keime vermehren, noch mehr Toxin bilden und weitere Gewebeschäden
verursachen können. Andere extrazelluläre Enzyme könnten die Ausbreitung der
Clostridien fördern. Sobald das Toxin ins Blut übergeht, bewirkt es eine massive
Hämolyse, führt zu Nierenversagen und schließlich zum Tod.
752
Abb. 26.13 Gasgangrän durch Clostridium
perfringens.
Das von Clostridium perfringens produzierte Alphatoxin ist eine Lecithinase. Wird
der Keim auf einem dotterhaltigen (Eigelb, Lecithin) Medium angezüchtet, lässt
sich an der Verdichtung um die Wachstumslinien die Enzymaktivität ablesen
753
(rechts). Wird die Platte vor der Keiminokulation mit Anti-Alphatoxin beschichtet,
hemmt das die Toxinwirkung (links). Anhand dieses Tests können Clostridien
identifiziert werden.
Unter dem Einfluss von P. acnes entstehen Fettsäuren und Peptide aus dem Talg, die
zusammen mit den von Bakterien und polymorphkernigen Leukozyten freigesetzten
Enzymen und anderen Substanzen entzündlich wirken (Abb. 26.15). Komedonen
(„Mitesser“) sind Pfröpfe aus Keratin und Talg/Fett, vermischt mit Bakterien, und
sehen durch die obere Melaninschicht schwarz aus (Abb. 26.16).
754
Abb. 26.15 Typisches Aknebild.
755
26.2 Mykobakterielle Hautkrankheiten
26.2.1 Lepra
In Großbritannien und den USA ist Lepra heute sehr selten geworden. Ende des
20.Jahrhunderts waren weltweit schätzungsweise 1–2 Millionen Menschen an Lepra
erkrankt; die meisten Fälle konzentrierten sich auf Südostasien, Afrika und
Südamerika. Jährlich kommen etwa 500000 bis 800000 Neuerkrankungen hinzu.
756
Abb. 26.16 Vermuteter Pathomechanismus der
Akne.
757
Die Übertragung (durch direkten Kontakt oder als Tröpfcheninfektion) steht aber
unmittelbar mit beengten Wohnverhältnissen und schlechten hygienischen
Bedingungen in Verbindung. Während aus den Hautläsionen nur geringe
Erregermengen freigesetzt werden, können die Nasensekrete von Patienten mit Lepra
lepromatosa stark mit M. leprae angereichert sein. Vielleicht spielen Arthropoden als
Vektoren eine Rolle. Da Lepra nicht hochkontagiös ist, ist längerer Kontakt zu einer
Infektionsquelle nötig, um sich anzustecken.
Kinder, die unter demselben Dach mit einem Leprakranken leben, sind offenbar am
stärksten gefährdet. Es mutet wie eine Ironie des Schicksals an, dass man Leprakranke
wegen ihrer sichtbaren Läsionen aus der Gemeinschaft ausschloss und in
Leprakolonien unterbrachte, aber die viel ansteckenderen Tuberkulosekranken nicht
verbannte.
M. leprae wächst intrazellulär, vor allem in Histiozyten und Endothelzellen der Haut
und den Schwann-Zellen peripherer Nerven. Entscheidend für den Krankheitstyp ist
die Immunreaktion.
758
Da bei tuberkuloider Lepra (TT) eine wirksame zellvermittelte Immunantwort der
Patienten zustande kommt, können die Erreger von Makrophagen zerstört und die
Infektion aufgehalten werden. Dagegen gelingt es Patienten mit lepromatöser
Lepra (LL) nicht mehr, eine zellvermittelte Immunreaktion aufzubauen, so dass
sich die Keime ungehindert vermehren können. In ihren Haut- und Nasensekreten
sind zahlreiche säurefeste Stäbchen nachzuweisen, und sie sind viel ansteckender
als Patienten mit tuberkuloider Lepra. Zwischen diesen beiden Extremen befinden
sich Grenzfälle wie Borderline-lepromatöse (BL), Borderline-Borderline(BB)- und
Borderline-Tuberkuloid(BT)-Reaktionen.
759
Abb. 26.18 Für Lepra tuberculoides typischer
trocken-erhabener Fleck im Gesicht.
Bei Lepra lepromatosa ist die Haut in viel stärkerem Maße beteiligt und die
Bakterienzahl in den befallenen Gebieten sehr hoch. Mit fortschreitender Erkrankung
fallen die Augenbrauen aus, und infolge der Verdickung und Vergrößerung von Nase,
Ohren und Wangen kommt es zur Facies leontina, dem typischen Löwengesicht
(Abb. 26.19). Das Nasenseptum wird zunehmend zerstört und in der
Nasenschleimhaut steigt die Keimmenge deutlich an (Abb. 26.20).
Als Entsprechung zur Miliartuberkulose (s. Kap.19) geht diese Krankheitsform mit
einer schwachen zellvermittelten Immunreaktion und zahlreichen extrazellulären
Keimen in den Läsionen einher. Die groben Entstellungen im Spätstadium der Lepra
beruhen in erster Linie auf der Zerstörung der nasomaxillären Gesichtsstrukturen und
in zweiter Linie auf den pathologischen Veränderungen peripherer Nerven, die zu
wiederholten Verletzungen der Hände und Füße und zu Superinfektionen mit anderen
Keimen prädisponieren.
Ob sich bei einem Patienten die tuberkuloide oder lepromatöse Form der Lepra
entwickelt, ist zum Teil genetisch determiniert. Aus Zwischenformen kann sich die
Lepra in die eine oder andere Richtung weiter entwickeln.
760
Abb. 26.19 Großflächige Hautbeteiligung bei der
Lepra lepromatosa führt zum typischen
Löwengesicht (Facies leontina).
In Zellabstrichen aus der Nase und Biopsien aus Hautläsionen lassen sich nach
Anfärbung (nach Ziehl-Neelsen oder mit Auramin) die säurefesten Stäbchen
nachweisen (s. Anhang). Bei der lepromatösen Form sind viele, bei der tuberkuloiden
Form nur wenige oder gar keine Keime sichtbar; trotzdem kann die Diagnose anhand
der typischen Granulome gestellt werden (Abb. 26.21). Es sei noch einmal daran
erinnert, dass sich der Erreger im Unterschied zu M. tuberculosis nicht in vitro
anzüchten lässt.
Behandlung
761
säurefeste Ziehl-Neelsen-Färbung eines
Nasenabstrichs zeigt.
762
■ bei lepromatöser Lepra eine Dreierkombination aus Dapson, Rifampin und
Clofazimin: mindestens zwei Jahre oder lebenslang oder bis keine säurefesten
Stäbchen mehr in Zellabstrichen und Hautbiopsien nachweisbar sind;
Eine Hauttuberkulose ist äußerst selten. Zur Infektion führt entweder die direkte
Implantation von M. tuberculosis in Hautverletzungen (Lupus vulgaris) oder das
Übergreifen von einem infizierten Lymphknoten auf die Haut (Skrofuloderm).
763
Mykosen); subkutane Mykosen entwickeln sich in den Schichten der Dermis. Hinzu
kommt, dass sich auch systemische (durch Inhalation erworbene) Pilzinfektionen auf der
Haut manifestieren können (Tab. 26.2).
764
Abb. 26.22 „Schwimmbad-“ oder
„Aquariumgranulom“ aufgrund einer
Mycobacterium-marinum-Infektion, die sich z.B. beim
Reinigen eines Aquariums ereignen kann.
Pityriasis versicolor
765
Unter dem Mikroskop zeigen sich die typisch runden Formen der Hefepilze in
Zellabstrichen (Abb. 26.23). Zur topischen Behandlung ist ein azolhaltiges
Antimykotikum (s. unten) oder eine Selensulfid-Lotion (2%) geeignet.
Von der Infektionsquelle hängen sowohl die Übertragung auf Menschen als auch zu
einem gewissen Grad die Verbreitung innerhalb von Menschengruppen ab (Abb.
26.24), obwohl sich die Muster seit der Zunahme von Migrationen ändern. Durch
Immigranten aus Lateinamerika hat z.B. Trichophyton tonsurans in den USA
Microsporum audouinii als Hauptursache der Tinea capitis abgelöst. Doch auch
letzterer ist wieder im Steigen begriffen (spricht sehr schlecht auf die Behandlung
an).
766
Abb. 26.23 Nach der Anfärbung infizierter
Hautschuppen werden die dickwandigen
Sporenhaufen von Malassezia furfur und die kurzen,
angewinkelten Pilzfäden sichtbar.
767
(Mit freundlicher Genehmigung von Y. Clayton und G. Midgley)
Abb. 26.24 Aus drei Dermatophyten-Gattungen
kommen wichtige Krankheitserreger: Microsporum,
Trichophyton und Epidermophyton.
768
In jeder gibt es anthropophile, zoophile und geophile Arten. Wie der natürliche
Wirt variiert auch die Verteilung der anthropophilen Spezies. Wichtigste
geophile Spezies ist Microsporum gypseum.
Übertragen wird die Infektion durch Arthrosporen, d.h. von Hyphen (Pilzfäden)
gebildete vegetative Formen mit dicker Zellwand (Abb. 26.25), die Monate
unbeschadet überstehen können. Bei anthropophilen und zoophilen Spezies werden
Arthrosporen mit Hautschuppen und ausgefallenen Haaren des Primärwirts in die
Umgebung verstreut.
769
In Form solcher dickwandigen Sporen breitet sich die Infektion aus. Bis sie
einen neuen Wirt infizieren, können sie Wochen oder Monate in der
Außenumgebung überstehen (mit freundlicher Genehmigung von A.E. Prevost).
Abb. 26.26 Tinea ist eine Dermatophyteninfektion
von Haut, Haaren und Nägeln.
770
sog. Dermatophytid. Eine infolge der Infektion rissige oder wunde Haut ist sehr
anfällig für eine Superinfektion mit anderen Erregern, z.B. mit Gram-negativen
Bakterien in feuchteren Körperzonen.
771
Ein Nagel- oder Haarbefall sollte mit oralen Antimykotika behandelt werden. Zur
topischen Anwendung stehen verschiedene Mittel zur Verfügung (→ Kap. 33),
darunter Antimykotika wie Miconazol und keratolytische Salben (z.B. Whitfields
Mischung aus Salizyl- und Benzoesäure). Am häufigsten wird Griseofulvin oral
verabreicht. Bei einer Infektion der Kopfhaut spricht die Therapie nach 6–12
Wochen an, bei Fingernagelinfektionen kann es bis zu 6 Monaten und bei
Fußnagelinfektion ein Jahr oder noch länger dauern. Da die Rezidivrate bei
Nagelinfektionen sehr hoch ist, raten viele Ärzte von der Behandlung ab, solange
weder Schmerzen noch eine stärkere Hautbeteiligung vorliegen.
Abb. 26.28 Dermatophyteninfektion.
772
Abb. 26.29 Arthrosporen von Dermatophyten
können sich a) im Haarschaft (Endothrix) oder
seltener b) außen am Haarschaft (Ektothrix) bilden.
773
Abb. 26.30 a) Makroskopisches (Kolonie-
)Wachstum und b) im mikroskopischen Präparat
erkennbare Makrokonidien von Microsporum
gypseum.
Candidainfektionen
774
verletzte und intertriginöse Hautstellen (Hautflächen, die sich berühren, sind oft
feucht und reiben aufeinander), werden rasch von Candida überwuchert (Abb.
26.31). Da auch Mund- und Vaginalschleimhaut von Candida besiedelt werden,
bildet sich hier Soor bei einer Überwucherung (s. Kap. 21).
Allerdings muss die Wirtsresistenz schon wesentlich verringert sein (z.B. bei
Neutropenie), damit Candida in tiefere Subkutangewebe eindringen kann. Eine
disseminierte Candidose entwickelt sich weniger aus einer Hautinfektion als durch
die Instrumentierung infizierter Areale (s. Kap. 30).
Hier fanden die Pilze auf den sich berührenden Hautflächen günstige
Wachstumsbedingungen (Feuchtigkeit) vor (mit freundlicher Genehmigung von A.
du Vivier/St. Mary’s Hospital).
775
Sporotrichose–eine noduläre Mykose durch
Sporothrix schenckii
Sporothrix schenckii ist ein saprophytärer Pilz, der verbreitet im Boden, auf Rosen-
und Berberitzenbüschen, auf Baumrinden und Sphagnum-Moosen vorkommt. Ein
berufliches Risiko tragen Bauern, Gärtner und Floristen, die sich die Infektion durch
eine Verletzung (z.B. an Dornen) zuziehen können.
Etwa 1 Woche bis 6 Monate nach der Inokulation bildet sich an der Verletzungsstelle
eine kleine Papel oder ein subkutanes Knötchen, bis sich schließlich eine
Knötchenreihe an den ableitenden Lymphgefäßen entlang zieht (Abb. 26.32). Durch
Anzüchtung von Proben aus der Lymphflüssigkeit oder aspiriertem Material auf
Sabouraud-Agar lässt sich die Diagnose stellen. Bei Erkrankung der Hautlymphgefäße
ist die orale Gabe von Kaliumjodid wirksam.
776
Systemische Mykosen mit Hautsymptomen
(Blastomykose, Kokzidioidomykose und
Kryptokokkose)
In Mittel- und Nordamerika sowie in Afrika kommt endemisch eine Blastomykose
durch Blastomyces dermatitidis vor, deren Leitsymptom Hautläsionen sind. Die
Infektion wird durch Pilzsporen übertragen und breitet sich nach der Inhalation von
der Primärstelle in der Lunge weiter aus. Als systemische Erkrankung kann die
Blastomykose bei immunologisch völlig normal wirkenden Menschen auftreten (Abb.
26.33). Auch Hunde und Pferde können daran erkranken.
Die meisten dieser Parasiten verlassen sie umgehend wieder, doch einige bleiben in der
Haut oder werden eingekapselt. Umgekehrt werden nur wenige über die Haut aus dem
Körper ausgeschieden. Die (pathologischen) Hautreaktionen auf Parasiten können
schwach bis stark beeinträchtigend sein. Es folgt eine kurze Beschreibung von
Parasiteninfektionen, die zu schweren Störungen führen.
Abb. 26.33 Typische Hautläsion bei Blastomykose.
Die Infektion wird über die Atemwege übertragen und befällt daher zunächst die
Lunge. Doch die extrapulmonalen Infektionsherde bei chronischer Blastomykose
777
befinden sich am häufigsten auf der Haut (mit freundlicher Genehmigung von K.A.
Riley).
■ Bei den nur in der Neuen Welt (Mittel- und Südamerika) auftretenden
mukokutanen Leishmaniosen sind die Parasiten in der Haut lokalisiert oder in Haut-
Schleimhaut-Übergangsbereiche (Mund und Nase) eingedrungen und verursachen
chronische, entstellende Erkrankungen (ausführlicher zu Leishmaniosen s. Kap. 27).
778
Die Onchozerkose ist auch als „Flussblindheit“ bekannt. Adulte Formen von
Onchocerca volvulus (Knäuelfilarie) überleben jahrelang in subkutanen Knötchen. Die
lebend von den Weibchen freigesetzten Mikrofilarien wandern aus den Knötchen
heraus, halten sich aber überwiegend in den Dermisschichten auf. Wenn sie ins Auge
eindringen, können sie ein Blindheit verursachen (s. Kap. 25).
Abb. 26.34 Larva migrans (creeping eruption).
779
26.4.1 Arthropodeninfektionen
Infolge der Aktivitäten und des Fressverhaltens der Larven kann es zu starken
Schmerzen und zum Teil großflächigen Läsionen kommen. Menschen können von
mehreren Spezies dieser Fliegen(larven) befallen sein; Fallberichte gibt es aus vielen
Ländern, auch wenn die Infektionen vor allem in tropischen und subtropischen
Regionen auftreten.
Wieder aufgelebt ist das Interesse an Maden, die zur Entfernung von nekrotischem
Gewebe aus Wunden eingesetzt werden könnten und deren Sekrete eine bakterielle
Kontamination verhindern.
Bei einer schweren Pedikulose, d.h. einem Befall von Kopf und Körper mit Pediculus
humanus, können sich im Schorf der entzündeten Stellen Pilzinfektionen entwickeln.
Durch gute Körperhygiene lässt sich ein Läusebefall (Infestation) verhindern.
Angewandt werden insektizide Cremes, Lotionen, Shampoos und Puder, die
Malathion oder Carbaryl enthalten.
780
Krätzemilben haben noch intimeren Kontakt zu ihrem menschlichen Wirt als Läuse,
weil sie ihr ganzes Leben in seiner Haut zubringen. Sie graben Gänge, in denen die
Weibchen Eier ablegen, bis sich der infizierte Bereich schließlich großräumig um den
ursprünglichen Herd (meist an den Händen oder Handgelenken; Abb. 26.35 und s.
Kap. 21) herum ausdehnt.
Typisch für Skabies ist ein juckender Ausschlag, der sich durch Kratzen sekundär
infizieren kann. Menschen mit Immunschwäche oder die sich nicht selbst versorgen
können, leiden oft an besonders schweren Infektionen. Unter diesen Umständen kann
es zu einer starken Verdickung und Verkrustung der Haut kommen (Scabies
norvegica oder Boeck-Skabies). Empfohlen wird eine Behandlung mit Malathion
oder Gammabenzenhexachlorid; auf unversehrte Haut kann auch Benzylbenzoat
aufgetragen werden.
Abb. 26.35 Typischer Hautgang von Krätzemilben
bei Skabies.
■ die Virusinfektion lokal bleibt, d.h. sich auf den Ort der Primärinfektion an der
Hautoberfläche beschränkt, oder ob
■ sich die Virusinfektion systemisch ausbreitet und erst danach Haut- und
Schleimhautsymptome hervorruft (Tab. 26.4).
781
Bei vielen Infektionskrankheiten zeigt sich ein typisches Verteilungsmuster des
Ausschlags, doch bis auf die Gürtelrose (Zoster) sind die Gründe dafür unklar.
Hautausschläge sind eine Besonderheit des Menschen und kommen bei Infektionen von
Tieren nur selten vor. Das liegt an der „Nacktheit“ der menschlichen Haut, die dadurch
sehr störanfällig und empfindlich wird, so dass sich entzündliche bzw. Immunreaktionen
deutlich abzeichnen. Die Betroffenen leiden oft nicht unter dem Hautausschlag, der jedoch
dem Arzt eine wichtige Hilfestellung für die Diagnose geben kann. So gut haben es
Tierärzte nicht, denn die Haut der meisten Säugetiere ist mit Fell bedeckt; Hautläsionen
treten daher meist an unbehaarten Stellen wie Euter, Skrotum, Ohren, Vorhaut, Zitzen,
Nase oder Pfoten auf, wo die Haut ähnlich dick und empfindlich wie bei Menschen ist und
Gefäßreaktionen zeigt.
26.5.1 Papillomavirus-(HPV-)Infektionen
782
sich Menschen infizieren können, verfügen über < 50% Homologie auf DNA-Ebene.
Nicht alle Typen kommen gleich häufig vor. Humane Papillomaviren sind
speziesspezifisch und unterscheiden sich von den Papillomaviren von Tieren. Ihre
Anpassung an die menschliche Haut und Schleimhaut ist so gelungen, dass sie zu
uralten „Gefährten“ unserer Gattung wurden; daher machen sie nicht richtig krank
oder führen meist nur zu leichten Beschwerden. Einige haben sich auf bestimmte
Körperregionen spezialisiert:
Infizierte Zellen werden zur Teilung stimuliert, bis sie schließlich 1–6 Monate nach
Beginn der Infektion als Ausstülpung in Form eines Papilloms oder einer Warze an
der Körperoberfläche sichtbar werden (Abb. 26.36). Besonders deutlich proliferieren
die Stachelzellen, und in oberflächlicheren Lagen bestehen Zellvakuolen. Warzen
können folgendermaßen aussehen:
■ oben abgeflacht,
■ flach nach innen wachsend (durch Druck von außen, z.B. Plantarwarzen),
■ blumenkohlartig (Genitalwarzen),
■ flächig-dysplastisch (Zervixdysplasie).
783
Basalzellschicht und infiziert eher zufällig die eine oder andere Stammzelle. Daher
bleibt sie in dieser Schicht, während sich die epidermalen Zellen differenzieren und
nach außen abgestoßen werden. So kommt es, dass Patienten mit Immunschwäche
(z.B. nach einer Transplantation) plötzlich ganze Büschel von Warzen aufweisen, weil
das Virus aus der Latenz in der Haut reaktiviert wurde.
Abb. 26.36 Gemeine Warzen (Verruca vulgaris)
bzw. Papillome in der Hand.
784
Verblüffend sind die vielfältigen Warzenmittel, die schon zur Behandlung eingesetzt
wurden; einige „wirken“ zweifellos deshalb, weil Warzen am Ende auch ohne
Behandlung wieder verschwinden. Gelegentlich erwiesen sich posthypnotische
Suggestionen als erfolgreich. Derzeit werden keratolytische Mittel wie Salizylsäure
eingesetzt oder Warzen durch Kryotherapie zerstört (Kältekauterisierung mit
Trockeneis bzw. festem Kohlendioxid oder mit flüssigem Stickstoff). Am gängigsten
und wirksamsten ist die Behandlung mit flüssigem Stickstoff.
785
Abb. 26.37 Einzeln stehende Dellwarze (Molluscum
contagiosum) mit „Nabel“.
26.5.2 Herpes-simplex-Virus(HSV)-Infektion
786
Abb. 26.38 Primärinfektion mit dem Herpes-
simplex-Virus (HSV).
Auf flachen Geschwüren am Gaumen und Zahnfleisch hat sich ein weißes Exsudat
gebildet (mit freundlicher Genehmigung von J.A. Innes).
■ im Auge; Konjunktivitis und Keratitis sind die Folge, oft auch Herpesbläschen
auf den Augenlidern (s. Kap. 25);
787
■ akut nekrotisierende Enzephalitis nach Primärinfektion oder Reaktivierung (s.
Kap. 24);
■ Sonnenlicht,
■ Stress,
■ Trauma/Verletzung,
■ Menstruation,
■ Immunschwäche.
Nadelstiche, Schmerzen, Brennen und Jucken der befallenen Stellen sind schon vor
dem Auftreten der Herpesbläschen zu spüren. Diese Prodromi hängen mit der
Virusaktivität in sensorischen Neuronen zusammen. Die Bläschen (ein „kalter“, d.h.
nichtentzündlicher Ausschlag) bilden sich meist in den Haut-Schleimhaut-
Übergangszonen von Nase oder Mund (Abb. 26.41).
788
Abb. 26.39 Pathogenese von Herpes und
Gürtelrose.
789
HSV kann aus der Bläschenflüssigkeit isoliert werden;
behandelt wird mit Aciclovir
HSV lässt sich leicht aus Speichel, Tränen- und Bläschenflüssigkeit isolieren. Im
Labor von Krankenhäusern werden meist Proben eingereicht, die aus genitalen
Läsionen stammen. Das Virus verhält sich ausgesprochen zytopathisch, wenn man es
auf Zellkulturen aus menschlichem embryonalem Lungengewebe isoliert. Die
Immunfluoreszenz erlaubt eine Typisierung, und in bestimmten klinischen
Situationen kann es differenzialdiagnostisch (HSV-Typ1 und 2) wichtig sein, einen
DNA-Nachweis zu führen, der sensitiver als eine Virusanzüchtung ist.
Aciclovir hat die Behandlung von HSV-Infektionen revolutioniert (s. Kap. 33); es
kann topisch oder systemisch angewandt werden, und bei relativ geringer Toxizität
wirkt es spezifisch auf virusinfizierte Zellen. Wiederholte Herpesepisoden lassen sich
erfolgreich mit niedrig dosiertem Aciclovir behandeln (2 × täglich für 6–12 Monate).
Danach sollte die Behandlung ausgesetzt werden, um zu prüfen, wie häufig sich
Herpesausbrüche wiederholen.
Als weitere Therapieoptionen bieten sich Valaciclovir oder Famciclovir an. Bei
schweren HSV-Infektionen (Herpes-Enzephalitis, disseminierte Infektion
Immungeschwächter) muss Aciclovir intravenös verabreicht werden. Wenn eine
Aciclovir-Resistenz aufgetreten ist, kommen Ganciclovir, Foscarnet oder Cidofovir als
Alternative in Betracht.
26.5.3 Varicella-Zoster-Virus(VZV)-Infektionen
790
Abb. 26.40 Eczema herpeticatum durch HSV-
Infektion des Säuglings.
791
Abb. 26.41 Herpesrezidiv an der Haut-Schleimhaut-
Grenze der Oberlippe.
Aus unbekannten Gründen sind besonders die Haut am Stamm und im Gesicht sowie
die Kopfhaut befallen. An den Stellen treten die Viren aus den kleinen Blutgefäßen
aus und infizieren erst das Subepithel und danach das Epithel. In den Läsionen sind
mehrkernige Riesenzellen mit intranukleären Einschlusskörperchen vorhanden.
Von der Oberfläche im Oropharynx und in den Atemwegen werden die Viren nach
außen ausgeschieden, so dass sich ca. zwei Wochen nach der Primärinfektion auch
andere anstecken können. In der Haut dauert es noch ein oder zwei Tage länger; genau
in diesem Stadium erscheinen die für Windpocken typischen Bläschen, die zur
klinischen Diagnose führen (Abb. 26.42). Die Inkubationszeit beträgt durchschnittlich
4 Tage (10–23 Tage).
Bis kurz vor Auftreten des Ausschlags (1–2 Tage) geht es den Patienten gut, und
selbst dann stellen sich nur leichtes Fieber und allgemeines Krankheitsgefühl ein. Der
Krankheitsverlauf ist mild und bleibt oft vollkommen unbemerkt. Windpocken treten
zuerst am Stamm auf und breiten sich auf Gesicht und Kopfhaut aus, seltener auch auf
Arme und Beine, und stehen häufig gruppiert. Nach einigen Tagen sind in den
Gruppen mehrere Stadien gleichzeitig vertreten, bevor sich Bläschen (Pusteln)
entwickeln, die aufbrechen und verkrusten. Es sind tiefere Läsionen als bei Herpes
und sie vernarben auch häufiger. Besonders schmerzhaft können Mundbläschen sein.
792
Abb. 26.42 Windpockenausschlag mit Flecken,
Papeln und Bläschen im Frühstadium.
■ interstitielle Pneumonie bei rund 20% der Erwachsenen, die zwar oft
subklinisch verläuft, sich aber durch Röntgen nachweisen lässt; auch eine sekundäre
bakterielle Pneumonie kann vorkommen;
Eine Primärinfektion in der Schwangerschaft kann sich auf den Fetus auswirken (s.
Kap. 23), im Verlauf sorgen mütterliche Antikörper dafür, dass die Infektion im
Allgemeinen ohne schwere Folgen bleibt. Wenn sich Mütter im ersten oder zweiten
Trimenon der Schwangerschaft infiziert haben, kommt es in 1–2% der Fälle zu einem
angeborenen Varizellensyndrom bei den Kindern (mit Symptomen wie vernarbte
Haut, hypoplastische Gliedmaßen, Augen- oder Gehirnstigmata).
Hat sich die Mutter erst ein paar Tage vor oder nach der Geburt infiziert und das Kind
angesteckt, wird es nicht durch mütterliche Antikörper geschützt und kann schwer
erkranken. Eine Säuglingsinfektion lässt sich durch passive Immunisierung mit
Varicella-Zoster-Immunglobulin verhüten oder abmildern.
793
kann in den zugehörigen Dermatomen eine Gürtelrose (Zoster) auftreten. Dass
häufiger die Dermatome am Oberkörper betroffen sind, liegt an der bevorzugten
Lokalisation der Primärinfektion, der Windpocken, am Stamm. Da es sich bei der
Reaktivierung um ein lokales Ereignis in einem einzelnen Dorsalwurzelganglion
handelt, bleibt die Gürtelrose auf eine Seite beschränkt. Der Zoster hat also seinen
Ursprung im Körperinneren und wird nicht durch Ansteckung bei anderen (an
Windpocken oder Gürtelrose Erkrankten) erworben.
Virus an peripheren Nerven entlang gewandert ist und sich in der Haut vermehrt hat.
Der Ausschlag kann mit Fieber und Unwohlsein einhergehen. Manchmal wird die
Virusreaktivierung vom Immunsystem unter Kontrolle gebracht, bevor sich der
Hautausschlag bildet; in dem Fall treten nur die sensiblen Erscheinungen auf.
Zu Zoster prädisponieren:
■ höheres Alter; auch wenn er sehr selten schon in der Kindheit auftritt, nimmt
die Inzidenz des Herpes zoster mit steigendem Alter zu (von 3/1000 pro Jahr bei den
50- bis 59-Jährigen auf 10/1000 pro Jahr bei den 80- bis 89-Jährigen).
Wie aufgrund der Pathogenese nicht anders zu erwarten, lässt sich in den befallenen
Hautarealen das Verteilungsmuster des ursprünglichen Varizellenausschlags erkennen
(Abb. 26.39). Daher ist meist der Stamm betroffen. Besonders unangenehme
794
Symptome kann ein ophthalmologischer Zoster mit Beteiligung von Oberlid, Stirn
und Kopfhaut bereiten oder sogar das Sehvermögen beeinträchtigen.
Labordiagnostik
Die klinische Diagnose einer VZV-Infektion kann durch verschiedene Tests gestützt
werden, wie Immunfluoreszenztest von Zellabstrichen aus Hautläsionen mithilfe
VZV-spezifischer monoklonaler Antikörper, molekularem Nachweis von VZV-DNA
und VZV-Isolierung aus Zellkulturen (der zytopathische Effekt kann u. U. erst nach
einigen Wochen erkennbar sein). Elektronenmikroskopisch sind in der
Bläschenflüssigkeit Herpesviruspartikel zu sehen; man kann sie allerdings nicht von
anderen Herpesviren unterscheiden (besonders nicht von HSV, das ebenfalls Bläschen
verursacht).
Eine durchgemachte Infektion kann durch den Nachweis von VZV-IgG mittels
ELISA oder anderer Methoden bestätigt werden. Ein positives VZV-IgM-Ergebnis
kann auch hilfreich sein, wenn die Diagnose aus klinischen Gründen nachträglich
gestellt werden muss, nachdem die Hautläsionen bereits abgeheilt sind.
795
Hochrisikogruppen mit Aciclovir-Infusionen behandelt werden. Als passive
Immunisierung gegen Windpocken sollten alle, die für Komplikationen anfällig sind
(z.B. immungeschwächte Patienten), nach einer Exposition VZV-Ig erhalten, das
einen hohen Titer humaner VZV-Antikörper enthält.
Das in mitotisch aktiven Zellen wachsende Erythrovirus B9 kann bei Kindern eine
febrile Erkrankung mit sehr typischem, makulopapulösem Gesichtsausschlag auslösen,
die als Erythema infectiosum oder Ringelröteln bezeichnet wird. Dass sie auch
„Fünfte Krankheit“ (fifth disease) genannt wird, liegt an dem Umstand, dass sie als
fünfte von sechs allgemein verbreiteten exanthematischen Infektionskrankheiten von
den Ärzten im 19.Jahrhundert entdeckt wurde.
796
Erythrovirus-B19-Infektionen verlaufen meist ohne
Symptome und werden durch Tröpfchen übertragen
Fast die Hälfte der Bevölkerung weist Antikörper gegen Erythrovirus B9 auf. Das
Virus befällt blutbildende Zellen des Knochenmarks. Normalerweise bewirkt es nicht
viel mehr als einen vorübergehenden, kaum nachweisbaren Abfall des
Hämoglobinspiegels, doch für alle Patienten mit chronischer Anämie kann dies ernste
Folgen haben. Bei Kindern mit Sichelzellanämie kann die Erythropoesestörung z.B.
eine aplastische Krise auslösen, bei Erwachsenen kann die Virusinfektion zu
Arthralgie führen.
797
Abb. 26.44 Bläschen am Fuß bei der Hand-Fuß-
Mund-Krankheit.
798
HHV-7 konnte aus CD4-positiven T-Zellen isoliert werden. Infektionen treten im
Säuglings- und Kleinkindalter auf, später als HHV-6-Infektionen. Es bleibt zwar
dauerhaft im Speichel, doch noch immer ist nicht klar, ob HHV-7 als
Krankheitsursache wichtig ist. Einzelne Berichte brachten HHV-7 mit dem Exanthema
subitum in Verbindung.
Abb. 26.45 Makulopapulöser Ausschlag bei
Roseola infantum oder Exanthema subitum.
Die Diagnose wird klinisch gestellt. Seitdem hoch wirksame antiretrovirale Mittel
verfügbar sind, ist die Inzidenz des AIDS-assoziierten KS zurückgegangen. In
retrospektiven Studien zeigte sich, dass sich bei Behandlung mit Ganciclovir und
Foscarnet auch die Zahl von KS-Läsionen verkleinerte.
26.6 Pocken
799
Pocken (oder Blattern, Variola) waren in den vergangenen dreitausend Jahren eine der
schlimmsten Geißeln der Menschheit. Auslöser war eine Pockenvirusinfektion, die sich
über Hautläsionen (Kontaktinfektion) und über die Atemwege unter Menschen
ausbreitete. Abhängig vom jeweiligen Virusstamm gingen schwere Erkrankungen mit
generalisiertem Ausschlag (Abb. 26.46) in bis zu 40% der Fälle tödlich aus.
In den USA traten noch bis in die 40er Jahre vereinzelte Fälle auf, und 1974 waren von
den weltweit 28000 Fällen die meisten auf Asien konzentriert. Doch der letzte Fall
wurde im Oktober 1977 aus Somalia gemeldet. Die Gesamtkosten für die WHO beliefen
sich auf 150 Millionen US-Dollar.
■ In der Genesungsphase wurde das Virus aus dem Körper beseitigt, ohne dass
sich ein Trägerstatus entwickelte.
800
Für ihre Kampagne zur Ausrottung der Pocken verwendete die WHO solche
Bildkarten zur Pockenerkennung. Nach einer Infektion der oberen Atemwege befällt
das Virus die Haut, repliziert sich dort und führt zu einem großflächigen, Bläschen-
/Pustel-ausschlag, der später vernarbt (Pocken-/Blatternnarben, besonders im
Gesicht). Die Sterblichkeit betrug je nach Virusstamm und Alter des Patienten bis zu
40% (mit freundlicher Genehmigung der WHO).
In Afrika bereiteten die „Affenpocken“ einige Jahre lang Sorgen; dabei erkrankten
Affen an einem ähnlichen Virus, wenn sie sich bei infizierten Affen ansteckten („simian
disease“ durch Kontaktinfektion). Eine Übertragung von Mensch zu Mensch fand
allerdings kaum statt. 2003 hatten sich jedoch über 80 Menschen in den USA mit
Affenpocken infiziert, vermutlich durch Kontakte zu Präriehunden. In einigen Ländern
wurden aus Angst vor terroristischen Anschlägen mit Pockenviren planmäßige
Vorkehrungen gegen die potenzielle Gefahr getroffen, die unter anderem eine
Bevorratung ausreichender Impfstoffmengen enthalten.
26.7 Masern
Masern weisen einige Besonderheiten auf:
801
■ Die Infizierten fühlen sich fast alle unwohl und werden richtig krank. Das
unterscheidet Masern von den meisten anderen Virusinfektionen, die zu einem nicht
unbeträchtlichen Teil asymptomatisch oder subklinisch bleiben.
■ Das Krankheitsbild ist so typisch, dass die Diagnose eigentlich immer klinisch gestellt
werden kann und nicht erst durch Laboruntersuchungen gesichert werden muss. Anhand
der Beschreibung des arabischen Arztes Rhazes vor mehr als tausend Jahren können wir
Masern noch immer erkennen.
■ Masern sind hochinfektiös und bei entsprechendem Kontakt ziehen sich fast alle
anfälligen Kinder Masern zu. Bis vor kurzem galten Masern als unvermeidlich, als eine
übliche Kinderkrankheit, und mehr als 99% der Menschen haben Masern durchgemacht.
Bald treten erste klinische Zeichen in den Atemwegen mit ihrem ein- oder höchstens
zweilagigen Epithel auf. Noch bis zu 10 Tage nach der Infektion fühlt sich der Patient
recht wohl, dann entwickelt sich eine Art Erkältung mit laufender Nase, Fieber und
Husten. Als weiteres Symptom kann eine Konjunktivitis hinzukommen. Aufgrund
der großen Virusmengen, die mit den Atemwegssekreten ausgeschieden werden, sind
802
die Patienten jetzt hoch kontagiös. Wenn bekannt ist, dass kurz vorher eine Exposition
stattfand, kann sich allein schon aus den Prodromi die Verdachtsdiagnose ergeben.
Es dauert dann noch ein oder zwei Tage, bis die Infektionsherde zu Haut- und
Schleimhautläsionen führen. Auf der Innenseite der Wangen erscheinen Koplik-
Flecken (Abb. 26.47), und kurz danach zeigt sich der unverwechselbare
makulopapulöse Ausschlag (Abb. 26.48), der vom Gesicht aus über den Körper bis
zu den Extremitäten herunterreicht. Jetzt ist die Diagnose eindeutig.
803
Das Masernexanthem ist durch eine zellvermittelte
Immunreaktion bedingt
Trotz Antikörperbildung wird die Virusvermehrung in der Lunge und anderswo erst
durch eine zellvermittelte Immunreaktion eingedämmt; die ungehemmte
Virusvermehrung würde sonst zu einer Riesenzellpneumonie führen (s. Kap. 19). Die
zellvermittelte Immunreaktion (CMI) ist auch für das Masernexanthem
verantwortlich, das bei schweren Immundefekten nicht vorkommt. Auf der anderen
Seite verläuft die Masernkrankheit bei Kindern mit Agammaglobulinämie völlig
normal; sie werden immun oder können durch Impfung geschützt werden. In
unkomplizierten Fällen genesen die Kinder rasch wieder.
Abb. 26.47 Koplik-Flecken.
Wie bei anderen akuten Infektionen können auch bei Masern vorübergehend Defekte
der Immunantwort gegen nicht verwandte Antigene auftreten. So kann z.B. bei
Menschen, die als Tuberkulin-positiv bekannt sind, zeitgleich mit dem
Masernexanthem ein Tuberkulintest negativ ausfallen (keine Hautreaktion). Das
normalisiert sich nach einem Monat wieder. Als die Masern 1953 nach langer Zeit
wieder nach Südgrönland zurückkehrten (als Epidemie auf
„unberührtem/jungfräulichem Boden“) und sowohl Erwachsene als auch Kinder
erkrankten, war eine erhöhte Letalität bei allen festzustellen, die sich vorher mit
Tuberkulose infiziert hatten.
804
Abb. 26.48 Masernexanthem.
■ eine subakut sklerosierende Panenzephalitis (SSPE), die sich sehr selten 1–10
Jahre nach scheinbarer Genesung von einer akuten Infektion entwickeln kann.
805
■ schlechte medizinische Versorgung, so dass kaum Antibiotika zur Behandlung
von Sekundärinfektionen zur Verfügung stehen;
Seit 1963 ist ein attenuierter Lebendimpfstoff verfügbar, der sicher und lang
wirksam ist. Meist wird eine Kombinationsimpfung (mit Masern-Mumps-
Röteln/MMR-Impfstoff, s. Kap. 34) verabreicht. Bevor es den Impfstoff gab, starben
weltweit jährlich 7–8 Millionen Kinder an Masern. Bis 1996 sank die Zahl auf 1
806
Million, und wenn dieselben Impfprogramme wie in Amerika und Europa auch in den
Entwicklungsländern angewandt würden, könnten Masern nach Schätzungen der
WHO bis 2010 ausgerottet sein.
26.8 Röteln
Nach stummer Invasion an einer unbekannten Stelle des Atemtrakts wächst das
Rötelnvirus eine Zeit lang in lokalem Lymphgewebe heran, ehe es sich auf die Milz und
Lymphknoten im ganzen Körper ausbreitet. Eine Woche nach Infektionsbeginn führt die
weitere Vermehrung in diesen Geweben zur Virämie mit Absiedlung des Virus in den
Respirationstrakt und die Haut, manchmal auch in Plazenta, Gelenke und Nieren. Die
Rötelnpathogenese ist in Abb. 26.49 skizziert und die klinischen Auswirkungen auf
unterschiedliche Körpergewebe sind in Tab. 26.6 zusammengestellt.
Nach einer Inkubationszeit von 14–21 Tagen folgt eine schwach ausgeprägte
Krankheit mit Fieber, Unwohlsein und unregelmäßig makulopapulösem Ausschlag
über etwa drei Tage. Die Lymphknoten hinter dem Ohr sind oft vergrößert, doch
ansonsten verläuft die Infektion meist subklinisch.
807
Röteln werden serologisch diagnostiziert; es gibt keine
rötelnspezifische Behandlung, aber eine
Schutzimpfung
Auch wenn sich Röteln manchmal klinisch diagnostizieren lassen, sollte die Diagnose
durch Laboruntersuchungen gesichert werden, z.B. mit dem Nachweis rötelnspezifischer
IgM-Antikörper (s. Kap. 32). Eine Virusisolierung aus Rachenabstrichen ist nur selten
indiziert und erfordert spezialisierte Zelllinien; zum Wachstumsnachweis sind indirekte
Methoden nötig. Die Rötelnvirus-RNA kann in Proben von verschiedenen Stellen
entdeckt werden.
Antivirale Mittel gegen Röteln gibt es nicht, wohl aber einen attenuierten
Lebendimpfstoff, der sicher und wirksam ist; er wird meist als MMR-Vakzine in
Kombination mit Masern- und Mumpsimpfstoff verabreicht (zur Prävention
angeborener Röteln s. Kap. 23).
808
26.9 Hautläsionen bei anderen Infektionen
26.10 Kawasaki-Syndrom
Betroffen sind zwar häufiger Kinder asiatischer Herkunft, doch die Erkrankung ist
weltweit verbreitet. Obwohl es keine Anzeichen für eine Übertragung von Mensch zu
Mensch gibt, vermutet man einen infektiösen Ursprung, z.B. durch Superantigene wie
die Toxine von S. aureus oder S. pyogenes (s. Kap. 16). Wird rechtzeitig mit einer
hochdosierten intravenösen Immunglobulin-Behandlung begonnen, lässt sich die
Aneurysmenbildung verhindern.
809
Eine virale Myokarditis bei Säuglingen wird am häufigsten von Coxsackieviren der
Gruppe B verursacht; sie kann plötzlich auftreten und tödlich enden.
Derzeit werden antivirale Mittel wie Pleconaril auf ihren therapeutischen Nutzen bei
Coxsackievirusinfektionen untersucht. Einen Impfstoff gegen
Coxsackievirusinfektionen gibt es nicht.
810
26.11.2 Chronic-Fatigue-Syndrom
■ starke Müdigkeit
Treten die beiden zuerst genannten Symptome bei zuvor gesunden Menschen ohne
psychosomatische Vorgeschichte auf, spricht das für ein Chronic-Fatigue-Syndrom.
Als Ursache werden Viren vermutet. Wiederholt standen Coxsackieviren der Gruppe
B im Verdacht, nachdem Antikörpertests und der Nachweis eines virusspezifischen
Proteins im Patientenserum darauf hindeuteten. Doch diese Befunde haben sich nicht
ausreichend bestätigen lassen, so dass weiterhin Unklarheit herrscht.
811
26.12 Parasiteninfektionen von Muskeln
Nur relativ wenige Protozoen- oder Wurmparasiten dringen ins Muskelgewebe ein und
verursachen ernste Erkrankungen. Wir beschreiben hier drei Beispiele für häufiger
vorkommende Infektionen, um die Bandbreite der Mikroorganismen und Krankheitsbilder
zu veranschaulichen.
26.12.1 Trypanosoma-cruzi-Infektion
26.12.2 Taenia-solium-Infektion
812
Larvenstadien von Taenia solium dringen in
Körpergewebe ein
Bandwürmer sind zwar Darmparasiten, doch die Larvenstadien einzelner Spezies
befallen auch tiefer gelegene Gewebe. Am wichtigsten sind:
Menschen können sich mit T. solium infizieren, wenn sie Schweinefleisch essen, das
nicht richtig gar gekocht wurde und Larven (Zystizerkarien) enthält. Die Larven
befinden sich als kleine, blasenartige Strukturen im Muskelgewebe, gelangen bei der
Verdauung in den Darm und reifen dort zu adulten Bandwürmern heran, die mehrere
Meter lang sein können. T. solium ist insofern ungewöhnlich, als die Eier direkt im
menschlichen Darm schlüpfen können, nachdem sie mit verunreinigtem Wasser
aufgenommen oder direkt von adulten Würmern freigesetzt wurden. Die geschlüpften
Larven bohren sich durch die Darmwand und werden im Blut zu unterschiedlichen
inneren Organen transportiert. Sie entwickeln sich unter anderem im ZNS und in
Muskeln.
26.12.3 Trichinella-spiralis-Infektion
Aus nicht ausreichend gekochtem Fleisch kommen bei der Verdauung im Dünndarm
die Larven frei und entwickeln sich rasch zu adulten Würmern. Fadenwürmer leben in
der Darmschleimhaut und jedes Weibchen setzt über 1000 frische Larven direkt im
Darmgewebe ab. Von dort werden sie dann mit Blut oder Lymphe im Körper verteilt,
bis die Larven schließlich in quergestreiftes Muskelgewebe eindringen und zu
infektiösen Stadien heranreifen; die Muskelzellen werden zu einer Art Amme für die
Parasiten umfunktioniert (Abb. 28.10).
813
Abb. 26.50 Auf dem Röntgenbild sind in den
Unterarmen zahlreiche verkalkte Zysten von Taenia
solium erkennbar.
Die Symptome führen zur Diagnose, aber meist erst nachdem die Muskeln infiziert
sind. Entsprechend schwierig ist die Behandlung. Man kann es mit Mebendazol
versuchen, unter Umständen sind auch Kortikosteroide erforderlich.
26.12.4 Sarcocystis
814
26.13.1 Reaktive Arthritis, Arthralgie und septische
Arthritis
815
Tab. 26.7 Arthralgie und Arthritis im Rahmen von
Infektionskrankheiten.
816
Als Symptome treten Fieber, Gelenkschmerzen, eingeschränkter Bewegungsumfang
und Schwellung auf, oft auch ein Gelenkerguss. Aus der Synovialflüssigkeit oder
Sedimenten nach dem Zentrifugieren können Bakterien isoliert werden; häufigster
Erreger ist S. aureus. Manchmal ist offensichtlich, woher die Bakterien im Blut
stammen (z.B. aus einer septischen Hautläsion), doch die Quelle ist nicht immer
erkennbar.
26.13.2 Osteomyelitis
Eine Tuberkulose kann sich auch auf Wirbelsäule, Hüfte, Knie, Hand- und
Fußknochen erstrecken; in höher entwickelten Ländern sind vor allem Zuwanderer
vom indischen Subkontinent betroffen. Ohne weitere Störung des Allgemeinbefindens
sind die befallenen Stellen oft schmerzhaft, und ein tuberkulöser Abszess kann durch
Druck auf das Rückenmark eine Paraplegie verursachen.
817
Abb. 26.51 Akute Staphylokokkeninfektion
(Osteomyelitis) des Femurs bei einer 24-jährigen
Frau.
818
26.14 Infektionen des blutbildenden Systems
Eine kleinere Zahl von Erregern zielt direkt auf Knochenmarkzellen ab (humane Parvo-
bzw. Erythroviren) oder führt zur malignen Transformation von Lymphozyten (z.B.
HTLV-1, human T-cell lymphotropic virus). Die unterschiedlichen
Einflussmöglichkeiten sind in Tab. 26.8 aufgelistet. HTLV-1 und HTLV-2 sind schon in
Kap. 21 und 24 erwähnt, sollen aber hier näher beschrieben werden.
26.14.1 HTLV-1-Infektion
819
Überempfindlichkeitsreaktion (vom verzögerten Typ) im Tuberkulintest. Beschrieben
ist auch eine Polymyositis.
26.14.2 HTLV-2-Infektion
HTLV-2 konnte 1982 zum ersten Mal bei einem Patienten mit (T-Zell-)Haarzell-
Leukämie isoliert werden, obwohl es nicht die eigentliche Ursache dieser Erkrankung
ist. Es ist eng mit HTLV-1 verwandt und wird auf ähnlichem Weg übertragen. HTLV-2-
Infektionen betreffen offenbar vor allem i.v. Drogenabhängige und Indianerstämme in
Nord-, Mittel- und Südamerika. Neben einer Reihe neurologischer Störungen wurde
über einzelne Fälle von Myelopathie berichtet.
820
Tab. 26.8 Blutzellen oder Hämopoese beeinflussende Erreger
* auch kutane Form möglich (Verruga peruana); 1885 wies Daniel Carrion, ein
peruanischer Medizinstudent, den gemeinsamen bakteriellen Ursprung nach, als er
nach einem Selbstversuch (Inokulation von infiziertem Blut aus Hautläsion der
kutanen Form) Oroya-Fieber bekam
** viele andere Viren, die Immunzellen infizieren (z. B. CMV, Masernvirus),
unterdrücken die Immunreaktionen weniger drastisch
Zusammenfassung
■ Intakte Haut bildet eine Barriere von unschätzbarem Wert zum Schutz des
Körpers gegen eine Invasion von außen.
821
■ Erreger können lokale Hautinfektionen verursachen oder von der Haut aus zu
weiter entfernten Stellen streuen.
■ Pathogene, die auf anderem Weg in den Körper gelangt sind, können sich nach
einer disseminierten (systemischen) Infektion direkt in der Haut niederschlagen oder
toxische bzw. immunpathologische Hauterscheinungen auslösen.
FRAGEN
Eine 19-jährige Philosophiestudentin konsultiert den Collegearzt, weil sie sich seit drei
Wochen (seit Beginn des dritten Trimesters) ständig müde fühlt. Sie hatte Fieber und
Schweißausbrüche, Halsschmerzen und leichte Bauchbeschwerden.
822
Ein vierjähriger Junge wird mit Armschmerzen in die Klinik eingeliefert. Er war vor
fünf Tagen vom Klettergerüst gefallen und hatte sich den rechten Unterarm
aufgeschürft. In den letzten 24 Stunden hat sich sein Zustand verschlechtert (Fieber,
Erbrechen und Bauchschmerzen). Bei der Untersuchung wirkt er sehr krank,
ausgetrocknet und fiebrig. Sein rechter Unterarm ist an der Verletzungsstelle äußerst
berührungsempfindlich. Das Abdomen ist gespannt, aber nicht bretthart und zeigt auch
keine Abwehrspannung. Der Thorax ist ohne Befund.
Bei einem zweijährigen Mädchen entwickelt sich ein feiner erythematöser Ausschlag
mit plötzlichem hohem Fieber. Es ist regelmäßig geimpft worden. Der Kinderarzt
macht einen Hausbesuch. Bei der Untersuchung fühlt sich die Kleine sichtlich unwohl.
Außer Fieber und Ausschlag sind keine auffälligen Befunde zu erheben.
2 Die Diagnose bleibt eine rein klinische Diagnose, doch im Krankenhaus könnte
das Mädchen noch weiter untersucht werden. Welche Untersuchungen würden
Sie in dem Fall durchführen
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
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Köhler, W., Eggers, H.J., Fleischer, B., Marre, R., Pfister, H., Pulverer, G (Hrsg.):
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Trent, J.T., Federman, D., Kirsner, R.S.: Common viral and fungal skin infections.
Ostomy Wound Manage 47 (2001) 28–34.
824
27 Von Vektoren übertragene Infektionen
27.1 Arbovirusinfektionen 410
825
Zur Orientierung
Blutsaugende Insekten (Arthropoden) übertragen eine Reihe wichtiger Erkrankungen des
Menschen, von Virus- bis hin zu Wurminfektionen. Während sie sich vom Blut ernähren,
injizieren Vektoren gleichzeitig Erreger in den menschlichen Körper. Krankheiten
übertragen hauptsächlich zwei Klassen von Arthropoden: sechsbeinige Insekten und
achtbeinige Zecken oder Milben. Solche Infektionen kommen weltweit vor, aber
schwerpunktmäßig in wärmeren Ländern. Eine wichtige Tropenerkrankung durch
Vektoren ist auch die Schistosomiasis, sie wird von Wasserschnecken übertragen.
826
Vektoren als Ansatzpunkt zur Infektionsbekämpfung
Für den Wirt hat diese Art der Übertragung manchmal den Vorteil, dass gegen
bestimmte Parasitenstadien eine gezielte Impfung möglich ist. Auch hier kann
Malaria wieder als Beispiel dienen, denn in Tierversuchen erwiesen sich Impfstoffe
gegen Sporozoiten, Gametozyten und Gameten als wirksam und verhinderten die
Übertragung. Gelingt es, die Übertragung zu unterbrechen, besteht eine mathematisch
errechenbare Wahrscheinlichkeit, dass die Krankheit aussterben wird.
27.1 Arbovirusinfektionen
Ein, zwei Wochen später sind die Arthropoden infektiös geworden und können jetzt
beim Blutsaugen Arboviren auf andere Wirbeltiere übertragen. Bestimmte Arboviren,
die Zecken infizieren, können direkt von adulten Zecken auf Eier (vertikale
Übertragung) übergehen, so dass die neuen Generationen von Zecken ohne den Umweg
über Vertebraten-Zwischenwirte infiziert werden können.
827
Das Entwicklungsstadium im Menschen kann für manche Arboviren (z.B. urbane
Form des Gelbfiebers, Dengue-Fieber) lebenswichtig sein, weil sie keine anderen
Vertebraten-Wirte haben, oder eine Art Zufall bzw. Sackgasse sein, wenn sie in ihrem
natürlichen Zyklus nicht unbedingt Menschen als Zwischenwirte benötigen (z.B.
Pferdeenzephalitis).
27.1.1 Gelbfieber
■ von Mensch zu Mensch durch Aedes-aegypti- Mücken; auf diese Weise wird
das „urbane“ Gelbfieber aufrechterhalten;
Die beste Prävention für alle Expositionsgefährdeten besteht in der Impfung mit
attenuiertem „17D“-Gelbfieber-Lebendimpfstoff. Der Impfschutz hält mindestens
828
10 Jahre an, und zur Ein- oder Durchreise durch endemische Gebiete ist eine Impfung
erforderlich. Eine gesetzliche Impfpflicht besteht auch für Reisende, die aus
Endemiegebieten in Länder wollen, in denen es noch keine Krankheitsfälle, aber die
„richtigen“ Mücken gibt (z.B. aus tropischen afrikanischen Ländern nach Indien). Wie
bei allen Infektionen, die Arthropoden übertragen, sind Bekämpfung der Vektoren
(Insektizide, Suche nach Brutstätten) und Schutzmaßnahmen (Repellenzien,
Moskitonetze) zur Verringerung der Expositionsgefahr wichtig.
27.1.2 Denguefieber
Aufgrund der größeren Zahl infizierter Monozyten werden vermehrt Zytokine in den
Blutkreislauf freigesetzt (s. Kap. 17), die zu Gefäßschäden, Schock und Blutungen,
besonders im Gastrointestinaltrakt und in der Haut, führen. Obwohl sich bei vielen
Virusinfektionen ähnliche „Verstärker“-Antikörper bilden, sind sie bisher nur für ihre
pathogene Rolle beim hämorrhagischen Dengue-Fieber bekannt.
829
Dass ein Impfstoff den gefährlichen Typ von Antikörpern induzieren könnte, stellt
eine reale Gefahr dar.
27.1.3 Arbovirus-Enzephalitis
Bei Laborangestellten wurden Impfstoffe gegen Arboviren erprobt, die bei Pferden
zur Erkrankung führen, d.h. gegen West- und Ostamerikanische (WEE bzw. EEE =
Western bzw. Eastern equine encephalitis) sowie gegen Venezolanische
Pferdeenzephalitis (VEE); in Japan und Indien ist ein Impfstoff gegen die Japanische
Enzephalitis verfügbar. Die Labordiagnose wird in spezialisierten Zentren
durchgeführt − durch Virusisolierung (eher selten) oder Nachweis eines Titeranstiegs
virusspezifischer Antikörper (üblicher Weg).
Nach 1999 brachen in den USA mehrfach Infektionen mit dem West-Nil-Virus aus.
Davor hatte es noch keine Fallberichte aus westlichen Ländern gegeben. Das Virus
wird (von infizierten Vögeln) durch Culex-Mücken übertragen und kann schwere
Erkrankungen verursachen. Bis Dezember 2002 meldeten die Centers for Disease
Control in den USA landesweit 3775 Erkrankungs- und 216 Todesfälle. Die Infektion
wird klinisch und serologisch diagnostiziert (Fieber >38°C, neurologische Symptome,
erhöhte Zellzahl und Eiweiß im Liquor, evtl. Muskelschwäche).
Abb. 27.1 Pathogenese des hämorrhagischen
Dengue-Fieber-Schocksyndroms.
830
Von den vier Serotypen des Dengue-Virus sind hier Typ 1 und 2 als Beispiele
angeführt. Gegen Typ 1 gerichtete Antikörper verhindern trotz Bindung an das
Dengue-Virus keine Infektion mit Typ 2.
831
Arbovirusinfektionen verlaufen meist subklinisch oder in milder Form, können
gelegentlich aber auch als schwere hämorrhagische Erkrankung in Erscheinung
treten. In Tab. 27.2 sind einige bekanntere Infektionen aufgeführt. Die Labordiagnose
(in Speziallabors) ergibt sich durch Virusisolierung oder Virusgenomnachweis bzw.
einen Antikörperanstieg.
27.2 Rickettsiosen
Rickettsien sind eine Gruppe Gram-negativer, aerober Stäbchen (s. Kap. 2 und Anhang)
der Gattungen Rickettsia, Coxiella, Ehrlichia und Orientia. Da traditionell auch
Bartonella spp. den Rickettsien zugeordnet wurden, sind sie hier berücksichtigt, obwohl
sich inzwischen durch Genomanalysen Unterschiede zu den Rickettsien ergeben haben.
Bis auf Bartonella spp. handelt es sich um obligat intrazelluläre Parasiten. Sie haben
alle ein Reservoir in Arthropoden oder anderen Tieren (Abb. 27.2) und werden von
Arthropoden auf Menschen übertragen. Nur Coxiella-Infektionen kommen anscheinend
durch Einatmen der Erreger aus Umgebungsquellen zustande. Eine Ansteckung von
Mensch zu Mensch findet nicht statt.
832
weiterverbreitet. Wahrscheinlich waren Rickettsien ursprünglich nur Parasiten
blutsaugender oder anderer Arthropoden, die sich durch vertikale Übertragung erhielten
und keine Zwischenwirte für ihr Überleben benötigten. Sie könnten dann eher zufällig
von Arthropoden auf Vertebraten übertragen worden sein. Auf Arthropoden scheint sich
die Infektion nicht nachteilig auszuwirken.
Rickettsia prowazeki dürfte ein relativ neuer Parasit von Kleiderläusen sein, denn
befallene Läuse sterben 1–3 Wochen nach der Infektion ab. Wie bei vielen anderen von
Arthropoden übertragenen Infektionen findet keine direkte Ansteckung unter Menschen
statt.
Außer beim Q-Fieber (durch Coxiella burneti) sind Fieber, Kopfschmerzen und
Ausschlag die typischen Symptome. Diagnostisch richtungsweisend können
anamnestische Hinweise auf Kontakte zu Vektoren oder Tierreservoiren der
Rickettsien sein (Camping, Arbeit oder Militäreinsätze in Endemiegebieten).
833
Die Labordiagnose stützt sich auf serologische
Untersuchungen
Spezifische Rickettsien-Tests beruhen auf der Komplementbindungsreaktion (KBR).
Am häufigsten wird jedoch ein indirekter Immunfluoreszenztest auf Antikörper
durchgeführt. Als positives Testergebnis gilt ein vierfach erhöhter Antikörpertiter.
Dass sich bei den Infizierten auch Antikörper gegen Rickettsien bilden, die mit dem
O-Antigen (Polysaccharid) verschiedener Proteus -Stämme kreuzreagieren, lässt sich
durch den Weil-Felix-(Agglutinations-)Test nachweisen.
834
Rickettsien sind Tetrazyklin-empfindlich
Als Alternative bietet sich Chloramphenicol an.
Rickettsien vermehren sich an der Zeckenbissstelle, breiten sich dann von der Haut ins
Blut aus und infizieren das Gefäßendothel von Lunge, Milz, Gehirn und Haut. Nach
ca. 1-wöchiger Inkubationszeit entwickeln sich Fieber, starke Kopf- und
Muskelschmerzen sowie oft auch Atemwegssymptome. Einige Tage später erscheint
ein generalisierter makulopapulöser Ausschlag mit Petechien oder Purpura (Abb.
27.3). Neben einer Splenomegalie kommt es häufiger zu einer Nervenbeteiligung,
später treten Gerinnungsstörungen auf (disseminierte intravasale Koagulation, DIC),
die zum Schock und zum Tod führen können. Tödlich enden meist zu spät
diagnostizierte Fälle. Am höchsten ist die Sterblichkeit der 40- bis 60-Jährigen.
835
Abb. 27.2 Typischer Ablauf von Rickettsien-
Infektionen.
Eine direkte Ansteckung kommt bei Menschen nicht vor. Atypisch ist nur das Q-
Fieber (Näheres im Text). Ungewöhnlich am Fleckfieber (Typhus exanthematicus)
ist, dass infizierte Arthropoden absterben, nachdem sie es von Mensch zu Mensch
übertragen haben, und dass sich keine Wunden bilden. ZNS = zentrales
Nervensystem
836
27.2.2 Mittelmeer-Fleckfieber (Boutonneuse-Fieber)
27.2.3 Rickettsien-Pocken
Das epidemische Fleckfieber ist eine klassische Begleiterscheinung von Armut und
Krieg, da sich die Menschen unter solchen Bedingungen seltener waschen (weder
Körper noch Kleidung). In den Jahren von 1918 bis 1922 gab es in Osteuropa und in
der Sowjetunion rund 30 Millionen Fälle. Noch immer tritt die Krankheit in Afrika,
Mittel- und Südamerika auf, seltener in den USA. Da keine direkte Übertragung von
Mensch zu Mensch stattfindet, gelingt es im Allgemeinen, Epidemien durch
Entlausungskampagnen zu beenden.
837
Kopfschmerzen und grippeartige Symptome. 5–9 Tage danach erscheint ein
generalisierter makulopapulöser Ausschlag, und gelegentlich kommt noch eine
schwere Meningoenzephalitis mit Delirium und Koma hinzu. In unbehandelten Fällen
kann die Letalität von 20% bei ansonsten gesunden Patienten auf 60% bei älteren oder
geschwächten Patienten ansteigen, wenn Komplikationen wie ein peripherer
Gefäßverschluss oder eine sekundäre bakterielle Pneumonie auftreten.
Die Rekonvaleszenz kann Monate dauern. Bei manchen Patienten werden die
Rickettsien trotz klinischer Genesung nicht vollständig aus dem Körper entfernt,
sondern bleiben in den Lymphknoten zurück. Noch 50 Jahre später kann eine
Reaktivierung der Infektion zur Brill-Zinsser-Krankheit führen und die Patienten
erneut zur Infektionsquelle für alle möglichen Läuse werden lassen.
27.2.6 Tsutsugamushi-Fieber
Auslöser des Tsutsugamushi-Fiebers (engl. scrub typhus, „Buschfieber“) ist Orientia
tsutsugamushi. Auf Menschen wird es von Milben(Trombicula) übertragen. Dieses
Fieber tritt nur in fernöstlichen Ländern auf, vereinzelt hatten sich auch amerikanische
Soldaten im Vietnamkrieg infiziert. Die Rickettsien sichern ihren Fortbestand in Milben
durch infizierte Eier (transovariellen Transfer) und werden beim Blutsaugen auf
Menschen oder Nagetiere übertragen.
838
*** andere Rickettsien übertragen in Afrika, Indien und Australien ein ähnliches
Zeckenbiss-Fieber
* extrazelluläre Vermehrung; im I. Weltkrieg infizierten sich 1 Million Soldaten
** in Fort Chaffe, Arkansas, isoliert; befällt Lymphozyten, Monozyten und
Neutrophile
839
Abb. 27.3 Generalisierter makulopapulöser
Ausschlag mit petechialen Blutungen bei Rocky
Mountain spotted fever.
An der Bissstelle bildet sich eine Wunde und etwa fünf Tage danach erscheint ein
fleckförmiger Ausschlag.
27.3.1 Rückfallfieber
Wie andere Infektionen durch Läuse (z.B. Fleckfieber) breitet sich die Krankheit
besonders gut unter Bedingungen aus, unter denen sich Menschen nur selten waschen
840
oder ihre Kleidung wechseln können (Krieg, Naturkatastrophen). Bei der letzten
großen Epidemie während des II.Weltkriegs starben in Nordafrika und Europa 50000
Menschen an Rückfallfieber.
Abb. 27.4 Übertragungswege des Rückfallfiebers.
841
Abb. 27.5 Verlaufsphasen des Rückfallfiebers.
Sobald sich agglutinierende und lysierende Antikörper gebildet haben, werden die
Borrelien aus dem Körper entfernt. Unter dem Druck dieser Immunantwort taucht
rasch ein neuer Antigentyp auf, der sich ungehindert vermehren und eine neue
Fieberepisode auslösen kann.
Eine Direktübertragung zwischen Menschen kommt nicht vor. Die Letalität liegt
beim endemischen (Zeckenbiss-)Rückfallfieber unter 5%, kann aber bei der
epidemischen Form (durch Läuse) auf fast 40% ansteigen.
842
Rückfallfieber wird mit Labormethoden diagnostiziert
und mit Tetrazyklinen behandelt
Borrelien können im Labor angezüchtet werden und nach Giemsa-Färbung in
Blutausstrichen, die während der Fieberphase entnommen wurden, sichtbar sein (Abb.
27.6). Angesichts der häufigen Antigenvariation sind die verfügbaren Antikörpertests
(Komplementbindungsreaktion) meist nicht besonders hilfreich.
Abb. 27.6 Stark gewundene schraubenförmige
Spirochäte (Borrelia recurrentis) im Blut eines
Patienten mit Rückfallfieber.
Zur Behandlung und zur Prävention von Rezidiven wird Tetrazyklin eingesetzt. Die
beste Vorbeugung besteht aber darin, möglichst jeden Kontakt mit Vektoren zu
vermeiden.
843
27.3.2 Lyme-Krankheit
844
Abb. 27.7 Übertragungsweg der Lyme-Krankheit.
845
Abb. 27.8 Erythema chronicum migrans am Bein
eines Patienten mit Lyme-Krankheit.
846
27.4 Protozoeninfektionen
27.4.1 Malaria
Durch häufiger gewordene Fernreisen treten jetzt auch in den entwickelten Ländern
regelmäßig neue Fälle auf. Wenn Ärzte bei der Diagnose nicht regelmäßig auch an
Malaria denken, hat das Unterbleiben der lebenswichtigen Behandlung unter
Umständen tödliche Folgen. Malaria kann auch über Blut (Transfusion, versehentliche
Nadelstichverletzung) oder sehr selten von der Mutter auf den Fetus übertragen
werden.
847
Tab. 27.4 Malariaparasiten des Menschen.
848
Abb. 27.9 Malaria – Entwicklungszyklus der
Parasiten in Menschen und Mücken.
849
der Leber zurück, von denen Rezidive ausgehen können. In Blutzellen reifen die
Merozoiten zu Ringformen (7), Trophozoiten (8) und Schizonten (9) heran. Der
Entwicklungszyklus endet damit, dass Merozoiten zurück in den Blutkreislauf
gelangen (10). Diese Phase kann Monate oder sogar Jahre dauern. Einige
Merozoiten gehen allerdings in ein sexuelles Stadium über, so dass sich in den
roten Blutkörperchen männliche und weibliche Gametozyten (11) entwickeln, die
beim Blutsaugen von Anopheles-Mücken aufgenommen werden können. Im Darm
der Insekten werfen die männlichen Gametozyten ihre Geißel ab (12) und werden
zu Mikrogameten, die weibliche Gameten befruchten und Zygoten bilden (13).
Nach Invasion der Darmmukosa (14) werden die Zygoten zu Oozysten (15), aus
denen wieder tausende Sporozoiten (16) entstehen. Die Sporozoiten wandern aus
dem Darm der Mücken (17) in die Speicheldrüsen ein (18) – und damit schließt
sich der Kreis. Ein neuer Infektionszyklus kann beginnen.
Abb. 27.10 Verschiedene Stadien von
Malariaparasiten.
Als Leitsymptom entwickelt sich Fieber; nach dem Aufplatzen der Blutschizonten
wird es hauptsächlich durch Zytokine wie Interleukin 1 (IL-1) und
Tumornekrosefaktor (TNF) ausgelöst. Aufgrund des synchronen Entwicklungszyklus
der Malariaparasiten in Erythrozyten zeigt sich ein typisches Fiebermuster mit
Schwankungen (Abb. 27.11): je nach Erreger in einem 48-Stunden- (Malaria tertiana
am 1. und 3. Tag) oder 72-Stunden-Rhythmus (Malaria quartana am 1. und 4. Tag).
850
Schweißausbruch. Recht häufig kommen Kopf- und Muskelschmerzen mit Erbrechen
vor. Übergelagerte unregelmäßige (nicht synchrone) Zyklen können bei einer
Falciparum-Malaria auch zu täglichen abendlichen Fieberattacken führen. In dem Fall
wird möglicherweise irrtümlich eine Grippe oder andere fieberhafte Erkrankung
diagnostiziert. Oft sind Milz und Leber vergrößert, und eine Anämie ist fast schon die
Regel.
Mit Komplikationen verläuft eine Falciparum-Malaria vor allem bei Kindern (im
Alter von 6 Monaten bis 5 Jahren) und Schwangeren (besonders Erstgebärenden),
doch im Grunde kann es jeden treffen, der nicht immun ist (z.B. Touristen). Am
gefährlichsten ist die zerebrale Malaria mit stärker werdenden Kopfschmerzen,
Nackensteife, Krämpfen und Koma. Als Ursache kommen infizierte Erythrozyten in
851
Hirnkapillargefäßen, gesteigerte Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke oder
überschießende Zytokinbildung (z.B. von TNF) in Betracht. Nach erfolgreicher
Behandlung bleiben meist nur minimale oder keine Einschränkungen der
Hirnfunktionen zurück. Doch bei 5–10% der Kinder können sich neurologische oder
psychische Folgen bemerkbar machen.
Dass es fast regelmäßig zu einer schweren Anämie kommt, liegt zum Teil an der
Zerstörung roter Blutkörperchen und zum Teil an der Dyserythropoese des
Knochenmarks. Von den sonstigen Komplikationen tragen vermutlich vor allem
Hypoglykämie und Laktatazidose zur Sterblichkeit bei. Auch eine Immunkomplex-
Glomerulonephritis kommt häufiger vor, und ein fortschreitendes nephrotisches
Syndrom entwickelt sich bevorzugt bei Malaria quartana (P. malariae).
852
Diagnostiziert wird Malaria anhand von befallenen
Zellen in Blutausstrichen
Dünne Blutausstriche und ein Dicker Tropfen (dicker getrockneter Blutstropfen)
werden mikroskopisch auf das Vorhandensein von Plasmodien und ihren
Entwicklungsformen untersucht. Da spätere Stadien (Schizonten) in tieferen Geweben
sequestiert sein können, lassen sich oft nur enttäuschend wenig oder keine Parasiten
mehr im peripheren Blut nachweisen. Wenn bei Patienten mit Fieber und Anämie,
Splenomegalie oder Hirnzeichen eine Malaria im Bereich des Möglichen liegt, sollten
sie am besten gleich so behandelt werden, als ob sie Malaria hätten.
Abb. 27.12 Immunität gegen Malaria.
853
IFN = Interferon, IL = Interleukin, TNF = Tumornekrosefaktor, ROI bzw. RNI =
reaktive Sauerstoff- (oxygen) bzw. Stickstoff-Zwischenprodukte (nitrogen
intermediates), ECP = eosinophil-kationisches Protein
Allerdings muss das Vorhandensein von Parasiten im Blut bei Patienten aus
Endemiegebieten nicht unbedingt heißen, dass Malaria die Krankheitsursache ist, da
es eine asymptomatische Parasitämie sein kann. Ein Antikörpernachweis (mit
Immunfluoreszenztest oder ELISA) bestätigt eine Infektion, und wenn IgM-
Antikörper überwiegen, spricht das für eine erst kurz zurückliegende Malariaepisode.
Der Antikörpernachweis spielt für die Akutdiagnostik der Malaria jedoch keine Rolle.
27.4.2 Trypanosomiasis
■ des (Insekten-)Vektors
854
Afrikanische Trypanosomiasis
Bei einem ZNS-Befall (stärker bei der ostafrikanischen Form durch T. b. rhodesiense
als bei der westafrikanischen Form durch T. b. gambiense) kommt es zu zunehmenden
Kopfschmerzen, psychischen Veränderungen („stille Trauer“), unersättlichem Hunger
und Gewichtsverlust, bevor die Patienten ins Koma fallen („Schlafkrankheit“, Abb.
27.13b) und sterben. Anders als Malaria heilt eine Trypanosomiasis zum Teil mit
schweren neurologischen Restzuständen und geistigen Defiziten aus.
855
Die Afrikanische Trypanosomiasis wird durch
(mikroskopischen) Parasitennachweis diagnostiziert
und mit unterschiedlichen Mitteln behandelt
T. brucei kann in Lymphknotenbiopsien oder in späteren Stadien auch im Liquor
(CSF) nachgewiesen werden. Gestützt wird die Diagnose durch eine bis zu 16fach
erhöhte IgM-Konzentration im Serum.
856
Abb. 27.14 Lymphozyteninfiltration eines
Hirnblutgefäßes als Zeichen einer Trypanosoma-
brucei-Infektion.
Chagas-Krankheit
Haupttodesursache ist eine Myokarditis, die auf einer Zerstörung des Herzmuskels
(durch den Parasitenbefall) mit progredienter Schwäche und Ventrikeldilatation
beruht (Abb. 27.15). Dabei spielen vermutlich auch autoimmune Einflüsse durch
857
kreuzreagierende Antigene eine Rolle. Ähnliche Vorgänge in Nervenzellen des
Verdauungstrakts führen zur Weitstellung mit aufgehobener Peristaltik; zwei übliche
Erscheinungsformen sind daher Megaösophagus und Megakolon.
In Verdachtsfällen lässt man „saubere“ Raubwanzen auf Patienten Blut saugen. Ein,
zwei Monate später wird ihr Darminhalt untersucht oder nach Homogenisierung
Mäusen injiziert, bei denen bereits ein einziger Erreger zur manifesten Infektion
führt. In späteren Stadien kann die Diagnose auch anhand von Muskelbiopsien
gestellt werden. Nachweisverfahren mit der Polymerasekettenreaktion (PCR)
befinden sich in Entwicklung.
27.4.3 Leishmaniose
858
Leishmanien werden von Sandfliegen übertragen und
rufen verschiedene Formen einer Leishmaniose
hervor
Leishmanien verursachen in Ländern der Alten und Neuen Welt Erkrankungen (Tab.
27.5). In Ländern der Neuen Welt bilden Hunde ein wichtiges Infektionsreservoir.
Alle Leishmaniosen werden von Sandfliegen übertragen.
859
Eine viszerale Leishmaniose (oder Kala-Azar) entwickelt sich meist schleichend mit
Fieber und Gewichtsverlust; Monate oder Jahre später kommt es zu einer Hepato- und
vor allem Splenomegalie. Unbehandelt sterben die Patienten an Leberversagen. Nach
der Behandlung können Hautsymptome auftreten, in denen eine große Parasitenmenge
enthalten ist. Man spricht dann von einer „Post-Kala-Azar-Hautleishmaniose“.
860
Abb. 27.17 Hautläsion im Nacken bei einer
Leishmania brasiliensis-Infektion.
Abgesehen von einfachen Hautläsionen, die von selbst heilen, ist bei Leishmaniosen
eine Langzeittherapie mit antimonhaltigen Mitteln (Natriumstiboglukonat,
Megluminantimonat) erforderlich; bei Nichtansprechen können Pentamidin oder
Amphotericin B zum Erfolg führen. Als Schutz vor Sandfliegen sind imprägnierte
Moskitonetze geeignet, und über eine Kontrolle von Hunden lässt sich das andere
Tierreservoir beseitigen. Zumindest bei der Hautleishmaniose stehen die Aussichten
für eine Impfung nicht schlecht.
27.5 Helmintheninfektionen
861
27.5.1 Schistosomiasis
Frei im Wasser schwimmende Zerkarien (1) dringen in ungeschützte Haut ein (2).
Dabei verlieren sie ihren Schwanz und werden zu Schistosomulae (3). Diese
wandern auf dem Blutweg und über Lunge und Leber in Blasen- (Schistosoma
haematobium) oder Darmvenen ein (S. mansoni, S. japonicum), in denen sie
heranreifen (4) und innerhalb von 6–12 Wochen speziestypische Eier produzieren
(5). Die Eier wandern durch die Wand ins Blasen- oder Darmlumen und werden
mit Urin oder Stuhl ausgeschieden (6). In Süßwasser werden die ausgeschiedenen
Eier von Wasserschnecken als Zwischenwirten (7) aufgenommen und entwickeln
862
sich zu Sporozysten (8). Mit der Freisetzung von Zerkarien (1) schließt sich dann
der Kreis.
Der Kreis schließt sich, sobald sich die von den Weibchen gelegten Eier aus der
Blasen- oder Darmwand herausbewegen und den Körper verlassen.
Ernstere Auswirkungen haben entzündliche Reaktionen auf Eier, die sich in anderen
Organen festgesetzt haben. Das gilt in erster Linie für die Leber, doch auch Lunge
oder ZNS können betroffen sein. Solche Reaktionen treten zwar nicht bei allen
Patienten auf, können aber zu schweren Erkrankungen führen (s. Kap. 22).
863
Auch wenn abgetötete Parasiten (nach Antihelmintikatherapie) über die
Mesenterialgefäße wieder zurück in die Leber gelangen, können stark entzündliche
Reaktionen ausgelöst werden.
27.5.2 Filariose
864
von Wohlbachia-Bakterien (Symbionten von Fadenwürmern, die in den Filarien
leben) ausgelöst werden könnten.
Abb. 27.19 Adulter Wuchereria-Fadenwurm in
einem Lymphknoten.
865
Abb. 27.20 Bein-Elephantiasis durch Brugia malayi.
Ein Merkmal von Filariosen in Endemiegebieten ist, dass nicht bei allen Infizierten
Symptome auftreten. Trotz Mikrofilarien im Blut zeigen viele Patienten einen
asymptomatischen Verlauf, und nur vergleichsweise wenige Patienten haben
sichtbare pathologische Veränderungen (Abb. 27.21). Bei manchen Patienten
entwickeln sich Lungensymptome („tropische pulmonale Eosinophilie“, s. Kap. 19).
866
Abb. 27.21 Verlauf in symptomatischen Fällen einer
lymphatischen Filariose.
Die Übertragung von Filariosen lässt sich kaum verhindern, man kann aber durch
Kontrolle der Vektoren und Schutz vor Insektenstichen wenigstens das Risiko
verringern.
Zusammenfassung
■ Viele wichtige Infektionen (mit Arboviren, Rickettsien, Borrelien, Protozoen
und Helminthen) werden durch Vektoren (Insekten, Zecken oder
Wasserschnecken) übertragen.
867
■ Aufgrund der Verbreitung von Vektoren sind viele Infektionen auf tropische
Länder beschränkt. Mit der globalen Erwärmung könnten sich die
Verbreitungsmuster ändern und Krankheiten im größeren Maßstab übertragbar
werden.
■ Die Bekämpfung von Vektoren ist schwierig, kann aber zur Ausrottung dieser
Krankheiten führen.
■ Bis auf wenige Ausnahmen (Gelbfieber) sind keine Impfstoffe für diese
Gruppe von Krankheiten verfügbar.
FRAGEN
1 Ein 42-jähriger Geschäftsmann wird mit Fieber, Halsentzündung,
Schüttelfrost, Kopf- und Muskelschmerzen, Übelkeit und Erbrechen ins
Krankenhaus eingeliefert. Er war zwei Wochen vorher von einer
dreimonatigen Reise nach Westafrika zurückgekehrt und hatte eine
Malariaprophylaxe durchgeführt. Bei der Untersuchung hat er 38°C Fieber,
eine leichte Pharyngitis, regelmäßige Pulsfrequenz (100/min) und Blutdruck
von 110/70 mmHg. Einziger auffälliger Befund ist eine Splenomegalie mit
tastempfindlicher, leicht vergrößerter Leber.
2 Besteht für Urlauber in den USA die Gefahr, nach einem Zeckenbiss an
a) West-Nil-Enzephalitis,
b) Ostamerikanischer Pferdeenzephalitis,
c) Rückfallfieber,
d) Lyme-Krankheit,
e) St.-Louis-Enzephalitis zu erkranken?
a) lymphatische Filariose,
b) Leishmaniose,
c) Chagas-Krankheit,
d) epidemisches Fleckfieber/Flecktyphus,
868
e) Westamerikanische Pferdeenzephalitis?
869
28 Multisystemische Zoonosen
28.1 Arenavirusinfektionen 429
870
Zur Orientierung
Einige multisystemische Infektionen des Menschen beruhen auf Tierkrankheiten
(Zoonosen)
Nicht immer ist bei diesen Infektionen ihr zoonotischer Ursprung eindeutig erkennbar.
Die in diesem Kapitel berücksichtigte Tularämie kann z.B. durch direkten Kontakt mit
einem Tierreservoir oder durch Vektoren übertragen werden. Auch die Pest ist hier
abgehandelt, weil sie durch Rattenflöhe von infizierten Ratten übertragen wird, eine
Kontaktinfektion zwischen Menschen ist jedoch ebenfalls möglich.
28.1 Arenavirusinfektionen
Wenn sich Menschen über diese Quelle anstecken, können sich bei ihnen schwere und
oft sogar tödliche Erkrankungen entwickeln. In Tab. 28.1 sind von Arenaviren
verursachte Erkrankungen aufgeführt. Wie bei den meisten Zoonosen findet keine oder
zumindest keine sehr erfolgreiche Übertragung von Arenavirusinfektionen zwischen
Menschen statt. Es gab jedoch Fälle, in denen sich Ärzte und medizinisches Personal
durch direkten Kontakt mit Blut oder Sekreten von Patienten mit Lassafieber infiziert
haben. Die Inkubation dauert gewöhnlich 5–10 Tage.
871
Abb. 28.1 Elektronenmikroskopisches Bild vom
„Budding“ (Ausknospen) eines LCM-Virus an der
Oberfläche einer infizierten Zelle (LCM =
lymphozytäre Choriomeningitis).
Typisch für Arenaviren sind sandartige Granula (mit freundlicher Genehmigung von
K. Mannweiler und F. Lehmann-Grübe).
872
Arenavirusinfektionen werden serologisch, durch
Virusisolierung oder Genomnachweis diagnostiziert
In Speziallaboratorien kann die Labordiagnose mit spezifischen Antikörpertests, durch
Virusgenomnachweis oder Virusisolierung gestellt werden. Zur Prävention sollte die
Expositionsgefahr möglichst verringert werden. Wie wirksam solche Maßnahmen sein
können, zeigt sich am Beispiel des Bolivianischen hämorrhagischen Fiebers; es trat
nicht mehr auf, als Mäuse in Fallen gefangen wurden (s. Kasten 1). Durch frühzeitige
Anwendung von Ribavirin kann man Lassafieber erfolgreich behandeln.
Wird das Virus über Blut und andere Körperflüssigkeiten stationärer Patienten auf das
Klinikpersonal übertragen, führt es zu einer viel schwereren Verlaufsform mit hoher
Sterblichkeit. Die mit Blutungen, (Kapillar-)Gefäßschäden, Hämokonzentration und
Kollaps gekennzeichnete Krankheit wurde 1969 bei Amerikanern festgestellt, die in
dem Dorf Lassa lebten. Man geht aber davon aus, dass die Infektion nur selten durch
Tröpfchen zwischen Menschen übertragen wird.
873
28.2 Koreanisches hämorrhagisches Fieber
1962 brach in der kleinen bolivianischen Stadt San Joaquin eine schwere, tödliche
Infektionskrankheit aus. Die Patienten bekamen Fieber, Muskelschmerzen und ein
Enanthem, gefolgt von Sickerblutungen aus Kapillargefäßen (capillary leakage),
hämorrhagischem Schock und neurologischen Symptomen. Die Letalität bei dieser als
„Bolivianisches hämorrhagisches Fieber“ bezeichneten Infektionskrankheit lag bei
15%.
Trotz ausgiebiger Untersuchungen ließen sich keine Arthropoden als Vektor ermitteln,
es deutete aber einiges darauf hin, dass Mäuse bei der Epidemie eine Rolle spielen
könnten. Aufgrund dessen stellte man in der geplagten Stadt mehrere hundert
Mausefallen auf. Das zeigte eine dramatische Wirkung auf die Inzidenz der
Krankheit; mit dem Mäusefangen konnte die Epidemie gestoppt werden. Davon
unabhängig konnte aus dem Gewebe einer vor Ort gefangenen Maus (Calomys
callosus) ein Virus isoliert werden, das eine harmlose lebenslange Infektion
verursachte und fortlaufend im Urin und Kot der Maus ausgeschieden wurde.
Dieses „Machupo-Virus“ – wie man es nannte – gehört wie das Lassafieber- und das
LCM-Virus zu den Arenaviren. Mit dem LCM-Virus (führt zu lymphozytärer
Choriomeningitis) sind Hamster und Mäuse und mit dem Lassafieber-Virus eine
afrikanische Rattenart infiziert. Für die natürlichen Tierwirte ist eine persistierende
Infektion harmlos, doch wenn sich Menschen an den Tieren angesteckt haben,
entwickelt sich bei ihnen oft eine schwere Krankheit.
Aus dem Auftreten des Bolivianischen hämorrhagischen Fiebers lässt sich eine
wichtige ökologische Lehre ziehen. Aufgrund der hohen Malaria-Inzidenz in San
Joaquin wurde zur Bekämpfung der Moskitos großflächig DDT
(Dichlordiphenyltrichlorethan) versprüht. Das DDT häufte sich unter anderem im
Gewebe von Geckos (kleine Eidechsen, die Insekten fressen) an. Katzen, die diese
Geckos fingen, starben an einer tödlichen DDT-Konzentration in der Leber. Mit der
Ausdünnung des Katzenbestands konnten mehr Mäuse in menschliche
Wohnsiedlungen eindringen. Die räumliche Nähe infizierter Mäuse zu Menschen bzw.
Lebensmitteln führte schließlich zum Ausbruch der Epidemie (Abb. 28.2).
874
Abb. 28.2 Bolivianisches hämorrhagisches Fieber –
eine wichtige ökologische Lektion.
DDT = Dichlordiphenytrichlorethan
875
Die Infektionsquelle der beiden hämorrhagischen
Fiebersyndrome ist unbekannt
In Zentral- und Ostafrika traten nach einer Marburg- oder Ebola-Virusinfektion Fälle
von hämorrhagischem Fieber auf. Auslöser sind lange, fadenförmige, einzelsträngige
RNA-Viren (Filoviridae). Bei den Patienten entwickeln sich Fieber, Blutungen,
Ausschläge und Gerinnungsstörungen (disseminierte intravasale Koagulation, s. Kap.
17). Es gibt weder eine spezifische Behandlung noch einen Impfstoff für diese
Virusinfektionen. Bei beiden Viren sind weder das Reservoir noch der natürliche
Erhaltungszyklus bekannt.
Eine ähnliche Krankheit trat 1976 im Südsudan und im Flussgebiet des Ebola in Zaire
(heutige Demokratische Republik Kongo) auf. Von den insgesamt 602 Erkrankten
starben 397. In örtlichen Krankenhäusern kam es durch kontaminierte Spritzbestecke
und Nadeln zur Übertragung zwischen Menschen. 1989 wurden versehentlich Affen, die
mit einem ähnlichen Virus infiziert waren, von den Philippinen in die USA importiert.
Einige der Affen starben; doch bei keinem der mindestens vier Menschen, die sich
infiziert hatten, brach die Krankheit aus.
1995 forderte eine große Epidemie in Kikwit (Zaire) 244 Todesopfer unter den
insgesamt 315 Infizierten. Weitere Ausbrüche wurden im Februar und Juli 1996 aus
Gabun sowie im Jahr 2000 aus Norduganda gemeldet. Ohne Berücksichtigung dieser
neueren Epidemien starben über 1000 der ca. 1500 infizierten Patienten.
28.4 Q-Fieber
876
■ C. burneti entfaltet seine Wirkung eher in der Lunge als auf dem
Gefäßendothel an anderen Körperstellen; daher entwickelt sich gewöhnlich kein
Ausschlag.
Inhalierte Keime vermehren sich in den Endästen der Bronchien in der Lunge. Etwa drei
Wochen später treten Fieber, starke Kopfschmerzen und oft auch Atembeschwerden
oder eine atypische Pneumonie bei den Patienten auf. Wenn die Rickettsieninfektion
auf die Leber übergreift, entwickelt sich meist eine Hepatitis. Innerhalb von zwei
Wochen erholen sich die meisten Patienten wieder völlig. Falls die Erkrankung
chronisch wird, kann es zu einer Herzbeteiligung (Endokarditis) mit Thrombozytopenie
und Purpura kommen. Unbehandelt kann diese Form des Q-Fiebers zum Tode führen.
877
Glutaminsäure-Gehalt vor der Phagozytose schützt. Seine Sporen können jahrelang im
Boden überstehen.
An Milzbrand erkranken Pflanzenfresser wie Schafe, Ziegen, Rinder und Pferde, die die
Bakterien in ihrem Kot, Urin oder Speichel ausscheiden. Menschen sind relativ resistent.
Die Verbreitung der Krankheit beschränkt sich größtenteils auf die
Entwicklungsländer (Teile von Asien, Afrika, Mittlerer Osten). Menschen infizieren
sich durch direkten Kontakt mit kranken Tieren oder über sporenhaltige
Tierprodukte mit Milzbrand. Die Sporen von B. anthracis können über Haut- oder
Schleimhautwunden in den Körper eindringen, in seltenen Fällen auch über die
Atemwege.
In höher entwickelten Ländern sind nur noch gelegentlich Tiere befallen; auch
Menschen infizieren sich eher selten, und wenn, dann meist über importierte Waren
(Tierfelle, Wolle, Ziegenhaare und Borsten, Knochen oder Knochenmehl in Düngern).
Von Terroristen wurden Milzbrandsporen bereits als biologische Waffen eingesetzt.
Übliche Eintrittspforte für den Milzbranderreger ist die Haut. Je mehr toxisches
Material sich anhäuft, desto eher bilden sich Ödeme und Schwellungen. Innerhalb von
12–36 Stunden entwickelt sich ein Knötchen. Während der Ulzeration (geschwürige
Veränderung) der Papel wird ihr Zentrum schwarz und nekrotisch. Der Karbunkel (auch
als Pustula maligna bezeichnet, obwohl er keinen Eiter enthält), der dabei entsteht, ist
schmerzlos und oft ringförmig von Bläschen umstanden (Abb. 28.3).
Die Bakterien breiten sich auf die Lymphgefäße aus und treten in etwa 10% der Fälle
ins Blut über, so dass es zur Septikämie kommt. Fortgesetzte Vermehrung und
Toxinbildung bewirken eine allgemeine Toxizität und Ödembildung, die letztlich tödlich
sind.
878
a) Typischer schwarzer Karbunkel mit einem Ring von Bläschen. b) Acht Tage
später hat sich der Karbunkel über die mit Bläschen bedeckte Fläche hinaus
vergrößert, während die ödematöse Schwellung zurückgegangen ist (mit
freundlicher Genehmigung von F.J. Nye).
Milzbrand lässt sich erfolgreich behandeln, wenn frühzeitig und hoch dosiert Penicillin
verabreicht wird. Bei einer Penicillinallergie kann stattdessen Erythromycin oder
879
Tetracyclin gegeben werden. Unbehandelt ist Hautmilzbrand in 10–20% der Fälle
tödlich.
28.6 Pest
Der RattenflohXeopsylla cheopsis überträgt die Infektion zwischen Ratten und von
Ratten auf Menschen. Yersinia pestis bringt Blut im Darm der Flöhe zum Gerinnen und
verlegt nach reichlicher Vermehrung in den Blutgerinnseln schließlich die Lichtung, so
dass Flöhe infiziertes Material hochwürgen müssen, wenn sie Blut saugen wollen.
Sobald infizierte Ratten erkranken, werden sie von ihren Flöhen verlassen und diese
können einen Menschen stechen. Auf diese Weise infizieren sie Menschen mit der
„Bubonenpest“, die im Allgemeinen nicht von Mensch zu Mensch übertragen wird.
Wenn sich die Bakterien aber massenhaft in der Lunge repliziert haben, kann es zur
Bronchopneumonie mit großen Bakterienmengen im Sputum kommen, so dass sie sich
in dem Fall auch als Tröpfcheninfektion auf andere Menschen ausbreiten. Die
„Lungenpest“ bricht sehr plötzlich aus.
Abb. 28.4 Epidemiologie der Pest.
880
Endemische Infektionen sind bei Nagetieren in Indien, Südostasien, Südafrika,
Südamerika, Mexiko und im Westen der USA verbreitet. In diesen Teilen der Welt
treten immer wieder sporadische Fälle von Pest auf, z.B. wenn sich Jäger in den USA an
infizierten Präriehunden anstecken, oder auch sonst überall in der Landbevölkerung.
881
Häufige Komplikationen sind disseminierte intravasale Koagulation (DIC), Pneumonie
und Meningitis. Unbehandelt hat die Bubonenpest eine Letalität von 50%, die
Lungenpest ist sogar fast zu 100% tödlich. Nach der Erholung von der Krankheit besteht
Immunität und alle Bakterien sind aus dem Körper entfernt.
■ Bekämpfung von Nagetieren (vor allem Ratten) nach der Landung von
Schiffen oder Flugzeugen in pestfreien Ländern
Über tausende Jahre war Yersinia pestis bei Nagetieren im Fernen Osten endemisch,
und gelegentlich brachen auch in Europa und anderswo Epidemien aus. Im Januar
1348 brachten drei mit Gewürzen beladene Schiffe aus dem Osten die Pest an Bord
nach Italien mit, in den Hafen von Genua. Aus unbekannten Gründen wurde die
Krankheit als „Schwarzer Tod“ bezeichnet.
Sie breitete sich rasch über Europa aus und erreichte London im Dezember 1348.
Nach mittelalterlicher Vorstellung waren die Schnelligkeit und Heftigkeit, mit der sich
die Krankheit (im Winter in Form der Lungenpest) von Mensch zu Mensch
ausbreitete, das schrecklichste Merkmal. Besonders in den wärmeren Sommermonaten
war auch die Bubonenpest wichtig, da in jedem Haushalt mindestens eine
Rattenfamilie und auf jeder Ratte mindestens drei Flöhe lebten.
Die Pest wurde Erdbeben oder planetaren Bewegungen zugeschrieben, man vermutete
in ihr eine Verschwörung von Juden oder Arabern (während der großen
Pestepidemie fanden in Europa über 350 Massaker an Juden statt), doch am häufigsten
sah man sie als Strafe Gottes für menschliche Sünden. Man konnte sich infizieren,
ohne je ein Pestopfer berührt zu haben, und vielen schien es, als läge so etwas wie eine
882
ungesunde Ausdünstung oder ein Gift in der Luft. Ärzte trugen seltsam anmutende
Masken, und infizierte Häuser wurden stigmatisiert und gemeinsam mit ihren
Bewohnern hinter Zäunen abgeschottet. Trotzdem war es unmöglich, alle Kranken zu
isolieren. Der Tod traf Reiche und Arme.
In England starben in zweieinhalb Jahren rund 35% der damaligen Bevölkerung (über
eine Million der insgesamt vier Millionen Einwohner Englands). Aus unklaren
Gründen war die Mortalität im Klerus besonders hoch, denn von den Geistlichen
starben fast 50%. In ganz Europa forderte die Pest mindestens 25 Millionen
Menschenleben und war eine Katastrophe für die Menschheit mit lang anhaltenden
Folgen für die Wirtschafts- und Sozialstruktur.
28.7 Yersinia-enterocolitica-Infektion
883
Yersinia enterocolitica ist Auslöser von Durchfallerkrankungen (s. Kap. 22) und wird
hier nur erwähnt, weil Nagetiere, Kaninchen, Schweine und andere Nutztiere sein
Reservoir bilden.
28.8 Tularämie
Nicht selten kommt es nach der Einschwemmung ins Blut zu einer Lungen-, Magen-
Darm- und Leberbeteiligung, wobei sich granulomatöse Knötchen um die infizierten
retikuloendothelialen Zellen bilden oder auch Ausschlag auftreten kann. Unbehandelt
liegt die Letalität der Tularämie bei 5–15%. Durch Schmierinfektion (mit den Fingern)
können sich Bindehaut oder Mundschleimhaut infizieren und entsprechende Augen-
bzw. Mundsymptome hervorgerufen werden. Seltener führt eine Tröpfcheninfektion zu
einer Erkrankung mit Fieber und respiratorischen Symptomen.
884
nicht allzu oft versucht. Stattdessen werden verbreitet Antikörpernachweismethoden
angewandt.
Mit Streptomycin ist ein wirksames Mittel zur Behandlung verfügbar und für
Personengruppen mit Berufsrisiko (z.B. Pelzjäger) steht eine attenuierte
Lebendvakzine bereit. Zur Sicherheit sollten beim Abhäuten oder Ausweiden von
Tieren Handschuhe getragen werden; man sollte sich außerdem auch vor Zeckenbissen
schützen.
28.9 Pasteurella-multocida-Infektion
28.10 Leptospirose
885
pathogene Art. Dass die Enden von L. interrogans wie ein Fragezeichen gebogen sind,
erklärt den Namen dieser Spezies.
Menschen infizieren sich, wenn sie kontaminiertes Wasser oder Nahrung aufnehmen
bzw. damit in Berührung kommen. Dank ihrer Motilität können die Bakterien in Haut-
oder Schleimhautwunden eindringen, so dass sich Menschen beim Baden, Arbeiten oder
Spielen in verseuchtem Wasser infizieren können. Gefährdet sind vor allem Bergleute,
Bauern, Arbeiter in Kläranlagen und Wassersportler. Aus England und Wales werden
jährlich rund 60 Fälle und aus den USA jährlich ca. 100 Fälle gemeldet. Auch wenn
Leptospiren im menschlichen Urin ausgeschieden werden, kommt es nur sehr selten zu
einer Ansteckung unter Menschen. Immunität wird jeweils nur gegen einen bestimmten
Serotyp erworben.
886
Tab. 28.2 Wichtige serologische Untergruppen von Leptospira
interrogans und Krankheiten, die sie verursachen.
Penicillin und Tetrazykline haben sich als wirksam erwiesen, wenn sie ein oder zwei
Tage nach Auftreten der Symptome verabreicht wurden. Durch Doxycyclin-Gabe nach
einer möglichen Exposition lässt sich ein Ausbruch der Krankheit verhindern.
■ Nagetier-/Rattenbekämpfung
■ Schutzkleidung
887
Abb. 28.6 Konjunktivalblutungen bei einem
ikterischen Patienten mit Leptospirose.
■ Rattenbekämpfung und
888
28.12 Brucellose
Brucellen sind zwar in erster Linie tierpathogen, doch Menschen können sich an
infizierten Tieren oder Tierprodukten anstecken (Abb. 28.7).
■ B. suis infiziert Schweine in den USA (und ist dort wichtigste Ursache einer
Brucellose), in Südamerika und Südostasien. Bei Menschen verursacht es eine
schwere Erkrankung mit destruierenden Läsionen.
■ B. canis infiziert Hunde, kommt sehr selten vor und verursacht bei Menschen
nur leichte Erkrankungen.
Da Brucellen bei Kühen und Ziegen auch die Plazenta und Brustdrüsen befallen,
können sie zu einem infektiösen Abort führen und über längere Zeit in der Milch
ausgeschieden werden. Die Keime sind auch in vaginalem Ausfluss, Kot und Urin der
Tiere enthalten.
Bei Menschen tritt eine Brucellose in Form von undulierendem Fieber (Maltafieber) auf,
wenn die Bakterien über Hautabschürfungen, aus dem Verdauungstrakt oder – am
häufigsten – über die Atemwege in den Körper gelangen. Besonders häufig sind daher
Landwirte, Veterinäre und Schlachthofarbeiter betroffen. Seltener sind unpasteurisierte
Kuhmilch (Großbritannien, USA), Ziegenmilch bzw. -käse (Mittelmeerländer) die
Infektionsquelle. Zwischen Menschen findet keine Übertragung statt. Trotz weltweiter
Verbreitung kommt die Infektion in den entwickelten Ländern nur höchst selten vor.
Abb. 28.7 Übertragungsweg der Brucellose.
889
Menschen infizieren sich durch Tierkontakte oder beim Verzehr infizierter
Tierprodukte.
In den meisten Fällen verläuft die Infektion subklinisch. Nach 1- bis 3-wöchiger
Inkubation entwickelt sich die akute Brucellose schleichend mit Symptomen wie
Abgeschlagenheit (Krankheitsgefühl), Fieber, Schweißausbrüchen, Schmerzen und
Schwäche. Nur bei einer Minderheit der Patienten tritt ein undulierendes (wellenförmig
ansteigendes und abfallendes) Fieber auf.
890
(Kühe, Säue, Ziegen) können auf die Infektion mit Abort reagieren. Das ist bei Frauen
nicht der Fall, weil ihnen der Zuckerbaustein Erythritol fehlt, der das
Bakterienwachstum in der Plazenta stimuliert.
Die meisten Patienten erholen sich nach ein paar Wochen oder Monaten wieder, doch
nach mehr als einjähriger Krankheitsdauer kann sich eine chronische Brucellose mit
Müdigkeit, Schmerzen, Angstzuständen, Depression und gelegentlichem Fieber
entwickeln. Rückfälle oder Remissionen sind möglich. Bei chronischer Brucellose
lassen sich keine Bakterien mehr isolieren, daher ist die Diagnose oft schwierig zu
stellen. Auch wenn sich im Allgemeinen hohe Titer in der Agglutinationsreaktion
zeigen, spielen Antikörper bei den intrazellulären Parasiten eine unwichtigere Rolle als
die zellvermittelte Immunität.
Abb. 28.8 Im Computertomogramm ist die
Hepatosplenomegalie bei Brucella-melitensis-
Infektion erkennbar.
891
Brucellen sprechen auf Tetrazykline und Streptomycin an; auch Cotrimoxazol kommt
zum Einsatz. Aufgrund der intrazellulären Lokalisation sind bei diesen Bakterien
längere Therapiezyklen nötig (über 3 Monate).
Beim Pasteurisieren von Milch werden die Brucellen zerstört. In den USA und
Großbritannien geht die Zahl der Brucellose-Fälle seit der Durchführung groß
angelegter Eradikations- und Kontrollprogramme allmählich zurück (aus den USA
werden derzeit ca. 100 Fälle/Jahr gemeldet). Wer Kontakt zu infizierten Tieren haben
könnte (Landwirte, Tierärzte, Schlachter), sollte Schutzkleidung und Schutzbrille tragen.
Für Menschen steht noch kein Impfstoff zur Verfügung, der zufrieden stellend wirksam
wäre. Nach unabsichtlicher Eigeninjektion der Lebendvakzine S19 für Tiere trat bei
Tierärzten eine leichte Form der Erkrankung auf.
28.13 Wurmbefall/Helmintheninfektionen
■ Strongyloides stercoralis.
28.13.1 Echinokokkose
892
In adulter Form sind Echinokokken winzige
Hundebandwürmer und in Larvenform verursachen
sie Hydatidenzysten bei Menschen
Die adulten Würmer leben als winzige (3–5 mm lange) Bandwürmer im Darm des
Hundes. Im Hundekot ausgeschiedene Wurmeier können in der Umwelt lange Zeit
unbeschadet überleben. Wenn sie (von Schafen oder unabsichtlich von Menschen)
verschluckt werden, schlüpfen daraus im Dünndarm Larven, die über die Schleimhaut
in Blutgefäße eindringen und sich meist im Kapillarbett der Leber, aber auch in der
Körperhöhle, in Lunge, Gehirn, Augen, Rückenmark oder Röhrenknochen einnisten.
Dort wachsen sie allmählich zu großen, dickwandigen, mit Flüssigkeit gefüllten
Hydatidenzysten heran, die sich weitgehend durch mechanischen Druck pathologisch
auswirken (Abb. 28.9).
893
Abb. 28.9 Hydatidenzysten.
Mit Praziquantel steht zwar ein Mittel zur medikamentösen Behandlung bereit, doch
die chirurgische Entfernung der Zysten (soweit möglich) führt zu besseren
Behandlungsergebnissen. Damit keine Flüssigkeit heraussickert, müssen die Zysten
äußerst vorsichtig entfernt werden. Sonst könnten bei empfindlichen Patienten
allergische Reaktionen ausgelöst werden. Aufgrund der großen Anzahl von Larven
(durch asexuelle Vermehrung) in der Zystenflüssigkeit bestünde zudem die Gefahr,
dass die Infektion zu anderen Stellen streut.
894
Leberbeteiligung kommt es zu Gelbsucht und Gewichtsverlust; dieser Zustand ist
gewöhnlich inoperabel.
28.13.2 Trichinellose
Menschen infizieren sich beim Verzehr von nicht ausreichend gegartem Fleisch
(Schwein oder Wildtiere), wenn sich Zysten mit infektiösen Larven darin befinden. Im
Dünndarm reifen die Larven rasch zu adulten Würmern heran, die in die Schleimhaut
eindringen und dadurch eine akute Enteritis verursachen.
895
Abb. 28.10 Entzündliche Reaktion um eine Zyste mit
eingerollter Trichinella spiralis-Larve.
28.13.3 Strongyloidose
896
Adulte Würmer und Larven in der Dünndarmmukosa haben die Zotten zerstört.
Eine Übertragung der Infektion findet am häufigsten zwischen Menschen statt, doch
zwei Strongyloides-Spezies können sich auch in Tieren entwickeln, z.B. in Hunden (S.
stercoralis) und afrikanischen Menschenaffen (S. fulleborni). Fäkale Larven können
direkt in ihr infektiöses Stadium übergehen und ihren Wirt erneut infizieren, wenn sie
in die perianale Haut oder Schleimhaut eindringen; das setzt einen Prozess der
Autoinfektion in Gang.
Da fast sämtliche Organe mit Larven befallen sein können, entwickelt sich ein
schweres, manchmal tödliches Krankheitsbild. Diese Patienten können mit
Erbrechen, Bauchschmerzen, Durchfall (führt zu Malabsorption und Dehydrierung),
Eosinophilie, Pneumonitis und anderen „allergischen“ Symptomen auf die
Wurminfektion reagieren. Eine disseminierte Strongyloidose stellt sich manchmal erst
Jahre nach der Erstinfektion ein. Es gilt als erwiesen, dass es über 30 Jahre dauern
kann, bis die Immunabwehr des Patienten gegen die ständig wieder aufflackernde
geringgradige Autoinfektion schließlich nachlässt. Vor diesem Hintergrund sollte ein
HTLV-1-Antikörpertest durchgeführt werden, da beide Infektionen zusammenhängen
können.
897
Strongyloides-Infektionen werden mikroskopisch
diagnostiziert und mit Anthelminthika behandelt
Die Labordiagnose stützt sich auf mikroskopisch sichtbare Larven im Stuhl; zur
Behandlung werden PageAnthelminthika wie Thiobendazol oder Levamisol
eingesetzt.
Zusammenfassung
■ Die in diesem Kapitel beschriebenen multisystemischen Infektionen sind
Zoonosen, die sich in natürlichen (Wirbeltier-)Reservoiren aufrechterhalten.
■ In der Geschichte traten immer dann große Epidemien (z.B. Pest) auf, wenn
sich das Tierreservoir in räumlicher Nähe zu dicht bevölkerten
Menschenansiedlungen befand.
FRAGEN
Ein 39-jähriger Seemann war in Fernost und danach in Afrika gewesen. Seit einem
Monat fühlt er sich unwohl mit Fieber, Kopfschmerzen, Müdigkeit und
Schweißausbrüchen. Auf hoher See hatte er außer 38°C Fieber keine anderen
nennenswerten Beschwerden.
Bei der Untersuchung hat er Fieber (39°C), im linken oberen Quadranten ist sein
Abdomen druckempfindlich und die Milz etwa einen Fingerbreit vergrößert.
898
Leberfunktion und Thoraxröntgen normal; nach 48 Stunden kein
Bakterienwachstum in der Blutkultur; im Morgenurin Mycobacterium tuberculosis
nicht nachweisbar.
a) Q-Fieber
b) Milzbrand (Anthrax)
c) Trichinellose
d) Brucellose
e) Leptospirose
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Hugh-Jones, M.E.: Outline of Zoonotic Diseases. Iowa State University Press, Ames
2002.
Krauss, H., Weber, A., Appel, M., Enders, B., Graevenitz, A. von, Isenberg, H.D.,
Schiefer, H.G., Slenczka, W., Zahner, H.: Zoonosen. Von Tier zu Mensch
übertragbare Infektionskrankheiten. 2004. 3., vollständig überarb. und erw. Aufl.,
Deutscher Ärzte-Verlag.
Palmer, S.R., Soulsby, E.J.L., Simpson, D.I.H. (eds.): Zoonoses. Oxford University
Press, Oxford 1998.
899
29 Fieber unbekannter Ursache (FUO)
29.1 Definition von FUO 443
■ Bei kontinuierlichem Fieber ist die Temperatur über 24 Stunden erhöht und
schwankt im Tagesverlauf um weniger als 1°C (z.B. typisch für Typhus).
■ Bei intermittierendem Fieber ist die Temperatur auch über 24 Stunden erhöht, zeigt
aber im Tagesverlauf Schwankungen um mehr als 1°C (typisch für pyogene Infektionen,
Abszesse und Tuberkulose).
900
29.1 Definition von FUO
Patienten geben bei Arztbesuchen häufig Fieber als Beschwerde an. Die Fieberursache ist
meist sofort ersichtlich oder stellt sich innerhalb weniger Tage heraus. Oft normalisiert
sich die erhöhte Temperatur auch spontan wieder. Wenn Patienten aber wiederholt
Fieber (über 38,3°C) haben, das trotz intensiver einwöchiger Untersuchungen mehr als
drei Wochen anhält, lautet die vorläufige Diagnose „Fieber unbekannter Ursache“ (fever
of unknown origin, FUO). Dies ist die klassische Definition von FUO. Seitdem es aber
dank der modernen Medizin gelingt, immer mehr Patienten mit schweren
Grunderkrankungen am Leben zu erhalten, ist eine weitere FUO-Definition für Patienten
aus besonderen Risikogruppen formuliert worden (Tab. 29.1).
Die meisten dieser Infektionen sind an anderer Stelle dieses Buches näher beschrieben.
Die bakterielle Endokarditis wird weiter unten besprochen.
■ schwerkranken Neugeborenen
901
■ älteren Menschen
■ Urämie
■ Kortikosteroidtherapie
Fieber kann durch exogene Pyrogene (Bakterien und deren Toxine) oder durch
wirtseigene endogene Pyrogene ausgelöst werden und schützend wirken. IL =
Interleukin, PG = Prostaglandin, TNF = Tumornekrosefaktor
In dem Fall muss nach anderen Zeichen einer Infektion gesucht werden. In diesem
Kapitel geht es aber ausschließlich um Patienten mit Fieber.
Untersuchungsschritte
902
Da es für ein FUO viele verschiedene infektiöse und andere Ursachen geben kann, ist es
praktisch ausgeschlossen, bei jedem Patienten gleich mit spezifischen Untersuchungen
zu beginnen. Stattdessen kann das diagnostische Vorgehen in einzelne Schritte oder
Stufen unterteilt werden, um auf jeder Stufe die wahrscheinlichste Ursache einzukreisen
oder auszuschließen und dann gezielt weiter zu untersuchen (Tab. 29.3).
Wenn sich aus der Anamnese diagnostisch wichtige Hinweise ergeben, kann gezielt
weitergeforscht werden. Da ein FUO in den meisten Fällen durch eine Infektion bedingt
ist, sollten geeignete Proben entnommen und sorgfältig untersucht werden; auf dieser
Stufe kann auch ein Hauttest sinnvoll sein. Blutproben sind vor allem wichtig für:
■ Blutkulturen
903
können, ob sich der Antikörpertiter (nach einigen Wochen der Infektion) erhöht hat.
Serologische Tests eignen sich besonders zur Diagnose einer CMV- (Zytomegalie)
oder EBV(Epstein-Barr-Virus)-Infektion, einer Toxoplasmose, Psittakose oder
Rickettsiose. Vorsicht ist bei positiver Luesserologie (Syphilis) geboten, denn es
könnte sich um ein falsch-positives Ergebnis aufgrund einer anderen Infektion handeln
(s. Kap. 21).
Oft ist es nötig, wiederholt Proben (Blut, Urin, andere Körperflüssigkeiten) zu gewinnen
und das Labor anzuweisen, gezielt nach seltenen und schwierig nachzuweisenden
Keimen zu suchen (z.B. nach ernährungsabhängigen Streptokokken als Auslöser einer
Endokarditis, s. unten). Alle Proben sollten möglichst vor Beginn der
Antibiotikatherapie gesammelt werden.
904
Dank technischer Fortschritte bei bildgebenden Verfahren verfügt der Arzt nun über ein
breites Spektrum nichtinvasiver Diagnosemethoden (wie Ultraschall, CT, MRT usw.).
Während radiologische Verfahren wie Thoraxröntgen (Abb. 29.3) bei Patienten mit
FUO zur Routineuntersuchung gehören, werden Gallium- oder Technetium-Szintigrafie
im Hinblick auf bestimmte Verdachtsdiagnosen angewendet (Abb. 29.4).
905
Abb. 29.2 Ursachen für ein Fieber unbekannter
Ursache (FUO).
Stufe 4: Therapieversuche
Bei Verdacht auf eine nicht-infektiöse Ursache kann ein Therapieversuch mit
Kortikosteroiden (Prednison, Dexamethason) oder Prostaglandinhemmern
(Acetylsalicylsäure, Indometacin) indiziert sein. Beim klassischen FUO gibt es kaum
Indikationen für eine empirische Antibiotika- oder zytotoxische Chemotherapie.
Allerdings ist bei Patienten, die bereits in der Vorgeschichte an Tuberkulose erkrankt
waren, auch ohne mikrobiologische Verdachtszeichen ein Versuch mit
Antituberkulotika vertretbar. Da Infektionen von neutropenischen oder AIDS-
Patienten sehr rasch voranschreiten können, ist auch in ihrem Fall ein therapeutischer
„Blindversuch“ (d.h. eine ungezielte Therapie) gerechtfertigt (s. unten).
906
29.4 FUO-Behandlung
Untersuchung und Behandlung von FUO-Patienten erfordern neben einer gewissen
Ausdauer auch Sachkenntnis und Aufgeschlossenheit, um die Diagnose aufzuspüren.
Angesichts der großen Bandbreite möglicher infektiöser Ursachen ist die richtige
Diagnose Grundbedingung für die Wahl einer geeigneten Therapie. Sobald die Ursache
feststeht, kann mit der gezielten, spezifischen Behandlung begonnen werden (wenn es
sie gibt).
907
Tab. 29.2 Auswahl möglicher infektiöser Ursachen von Fieber
unbekannter Ursache.
908
Tab. 29.3 Stufenplan der diagnostischen Schritte zur Abklärung
eines FUO.
■ nosokomiales FUO
■ neutropenisches FUO
■ HIV-assoziiertes FUO
Ein klassisches FUO kann Wochen oder Monate bestehen, ohne diagnostiziert zu
werden, während es bei einem FUO hospitalisierter oder neutropenischer Patienten eine
Frage von Stunden oder Tagen ist. In Tab. 29.4 sind die wichtigsten infektiösen
Ursachen eines FUO bei diesen Patientengruppen aufgeführt.
Die diagnostische Vorgehensweise orientiert sich an den oben genannten Stufen, setzt
aber bei den jeweiligen Patienten besondere Schwerpunkte. Bei hospitalisierten
Patienten richtet sich das Vorgehen nach
909
■ besonders in Gefäßen vorhandenen Fremdkörpern (z.B. liegender Katheter);
910
von rheumatischem Fieber) oder ein Klappenersatz durchgeführt worden. Allerdings
werden manche Patienten erst durch die Infektion auf einen vorhandenen Herzfehler
aufmerksam.
Da sich Gallium in vielen entzündeten und tumorösen Geweben anreichert, kann sie
als nichtinvasive Untersuchungsmethode bei Patienten mit FUO nützlich sein: a)
deutlich erkennbare retroperitoneale Lymphadenopathie bei Morbus Hodgkin, b)
intraabdomineller Abszess.
Bei einer Endokarditis handelt es sich um eine endogene Infektion. Sobald die Erreger
ins Blut gelangen, setzen sie sich an den Herzklappen fest – potenziell könnte jede
Bakteriämie zu Endokarditis führen. Am häufigsten breiten sich Streptokokken der
Mundflora auf dem Blutweg aus (z.B. durch zahnärztliche Eingriffe, kräftiges
Zähneputzen oder den Gebrauch von Zahnseide), um sich dann an geschädigte
911
Herzklappen zu heften. Man nimmt an, dass sich auf geschädigten Herzklappen Fibrin-
Thrombozyten-Auflagerungen (Vegetationen) gebildet haben, die den Boden für die
Erreger bereiten.
912
Die Adhärenz der Keime an den Herzklappen wird vermutlich durch ihre Fähigkeit,
Dextrane zu bilden, sowie durch Adhäsine und Fibronektin-bindende Proteine
begünstigt. An Stellen wie den Herzklappen sind die Keime geschützt vor der
Wirtsabwehr, vermehren sich und bewirken dadurch eine weitere Ablagerung von
Fibrin und Thrombozyten. So können die Vegetationen mehrere Zentimeter dick
werden. Das scheint ein ziemlich langsamer Vorgang zu sein; entsprechend lange dauert
es vom Beginn der Bakteriämie bis zum Auftreten von Symptomen – durchschnittlich
fünf Wochen (Abb. 29.5).
Die Patienten haben fast immer Fieber und Herzgeräusche, klagen aber oft auch über
unspezifische Symptome wie Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Abgeschlagenheit,
Schüttelfrost, Übelkeit und Erbrechen oder nächtliches Schwitzen. Dieselben
Beschwerden treten bei vielen der in Tab. 29.2 genannten FUO-Ursachen auf. Peripher
können sich Erscheinungen wie Splinter-Hämorrhagien oder Osler-Knötchen
bemerkbar machen (Abb. 29.6). Typisch für Immunkomplexablagerungen in der Niere
ist eine Mikrohämaturie (s. Kap. 17).
913
Abb. 29.5 Im Blut zirkulierende Bakterien setzen
sich an den Herzklappen fest und führen durch ihre
Vermehrung zur Gewebezerstörung an den Klappen.
Damit verbunden ist die Bildung von Vegetationen, die sich auf die normale
Klappenfunktion auswirken und sie schwer beeinträchtigen können. Die beiden
histologischen Schnitte zeigen, wie das Mitralklappensegel praktisch völlig von
Staphylokokken zerstört wurde. a) Gram-Färbung, b) van-Gieson-Eosin-Färbung.
914
Tab. 29.5 Hauptursachen einer Endokarditis in unterschiedlichen
Patientengruppen.
915
Sie kommen infolge der Wirtsreaktion auf die Infektion zustande und sind Ausdruck
einer Immunkomplexvaskulitis, einer herdförmigen Thrombozytenaggregation und
erhöhten Gefäßpermeabilität. a und b) Splinter-Hämorrhagien im Nagelbett und
Hautpetechien (aus unterschiedlichen Blickwinkeln gezeigt); c) Osler-Knötchen –
druckempfindliche Papeln an den Handinnenflächen und Fingerspitzen (mit
freundlicher Genehmigung von H. Tubbs).
Bevor es Antibiotika gab, verlief eine infektiöse Endokarditis immer tödlich (100%),
doch auch heute noch liegt die Letalität trotz wirksamer Antibiotika bei 20–50%.
916
Das Therapieschema einer antibiotischen Behandlung
richtet sich nach dem auslösenden Erreger
Für penicillinempfindliche Streptokokken ist hochdosiertes Penicillin die Therapie der
Wahl. Patienten mit bekannter Penicillinallergie können mit Ceftriaxon oder
Vancomycin behandelt werden. Um weniger gut ansprechende oder gegen Penicillin
tolerante Keime zu entdecken, sollten MHK (minimale Hemmkonzentration) und MBK
(minimale bakterizide Konzentration) getestet werden (s. Kap. 33). (Definition:
Penicillin-tolerante Keime werden im Wachstum gehemmt, aber nicht abgetötet, z.B. bei
MBK ≥ 32 × MHK.) Tolerante Keime sollten wie die immer relativ Penicillin-
resistenten Enterokokken mit einer Kombination aus Penicillin (Ampicillin bei
Enterokokken) und einem Aminoglykosid behandelt werden, die sich in ihrer Wirkung
verstärken, d.h. synergistisch gegen Streptokokken und Enterokokken wirken (s. Kap.
33).
Obwohl Patienten mit klassischem FUO meist eine lange Vorgeschichte hinter sich
haben (wochen- oder monatelanges Fieber), kann es vorkommen, dass sich die Ursache
mancher Arten von Fieber nicht sofort mit Routineuntersuchungen im Labor feststellen
lässt. Für diese Patientengruppen wurden neue Definitionen (nosokomiales,
neutropenisches, HIV-assoziiertes FUO) vorgeschlagen. Die Liste möglicher Erreger
wird bei diesen Patienten immer länger.
917
Für den Kliniker ist es bei jeder Abklärung von FUO vorrangiges Ziel, die Ursache
aufzudecken, damit aus Fieber unbekannter Ursache ein Fieber mit bekannter Ursache
wird und eine entsprechende Behandlung einsetzen kann.
Zusammenfassung
■ Fieber ist die Antwort des Körpers auf exogene und endogene Pyrogene. Es ist
ein häufiges Symptom und kann auch schützend wirken.
■ Die gestiegene Zahl von Patienten mit Immunschwäche hat dazu geführt, dass
neben dem klassischen FUO noch andere FUO-Definitionen für bestimmte Gruppen
eingeführt wurden (z.B. nosokomiales, neutropenisches und HIV-assoziiertes FUO).
■ Die Liste der infektiösen Ursachen ist lang, daher muss auf der ersten Stufe der
diagnostischen Abklärung (Anamnese, körperliche Untersuchung, Screening-Tests)
nach wichtigen Hinweisen für weiterführende Untersuchungen geforscht werden.
■ Eine infektiöse Endokarditis ist zwar selten, aber ein klassisches Beispiel für
FUO. Sie wird gewöhnlich von Gram-positiven Kokken verursacht (wobei die
Spezies von prädisponierenden Faktoren des Patienten abhängt) und führt
unbehandelt zum Tode.
FRAGEN
Eine 60-jährige Frau kommt in die Klinik, weil sie sich seit 7Tagen krank fühlt,
keinen Appetit hat und an Übelkeit leidet. Vor zehn Jahren war sie wegen eines
Aneurysma dissecans im Bereich der Aorta ascendens (Aortenwurzel) ins
Krankenhaus eingeliefert worden. Die Korrekturoperation mit Aortenklappenersatz
verlief damals erfolgreich. Bisher ging es ihr relativ gut, obwohl sie eine schlechte
Compliance zeigt und es daher schwierig war, ihre Antikoagulanzientherapie richtig
einzustellen. Bei der Untersuchung hat sie Fieber (38°C), ist gerötet und fühlt sich
unwohl. Ihre Pulsfrequenz liegt bei 100/min, der Blutdruck beträgt 80/60 mmHg. Die
Auskultation ergibt ein Klicken an der prothetischen Klappe und ein systolisches
Herzgeräusch. Thorax und Abdomen sind ansonsten unauffällig. Blutbild:
Hämoglobin 8,3 g/dl (normochrom-normozytär im Blutausstrich), Leukozyten 14,6 ×
109/l mit 60% Neutrophilen, Thrombozytenzahl 192 × 109/l.
918
1 Wie lautet die Verdachtsdiagnose und welche weiterführenden
Untersuchungen sind entscheidend?
Akpede, G.O., Akenzua, G.I.: Aetiology and management of children with acute fever
of unknown origin. Paediatr Drugs 3 (2001) 169–193.
Arnow, P.M., Flaherty, J.P.: Fever of unknown origin. Lancet 350 (1997) 575–580.
Bayer, A.S., Bolger, A.E., Taubert, K.A. et al.: Diagnosis and management of
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920
30 Infektionen bei Immunschwäche
30.1 Immunschwäche 453
921
Zur Orientierung
Der menschliche Körper verfügt über ein komplexes System von Schutzmechanismen, die
eine Infektion verhindern. Daran ist neben dem erworbenen (zellulären und humoralen)
Immunsystem auch die angeborene Abwehr (z.B. Haut, Schleimhäute) beteiligt. Beide
sind in Kap. 9 und 10 ausführlich beschrieben. Bisher wurden häufige und schwerere
Infektionen von Patienten mit weitgehend intakten Schutzfunktionen beschrieben. Unter
diesen Voraussetzungen müssen Parasiten all ihre Schliche und Kniffe aufbieten, um zu
überleben und in den Körper des Wirts einzudringen, denn der gesunde Wirt kann sich
gegen ihre Invasion wehren. In diesem Kapitel geht es um Infektionen, bei denen sich das
Kräfteverhältnis in der Wirt-Parasiten-Beziehung stark zugunsten des Parasiten
verschoben hat, mit anderen Worten: es geht um Infektionen bei Immunschwäche des
Wirts.
30.1 Immunschwäche
Bei Menschen mit Immunschwäche weist die natürliche Abwehr gegen eine
Erregerinvasion eine oder mehrere Lücken auf. Das macht sie viel anfälliger für schwere
oder sogar lebensgefährliche Infektionen. Etwa die Hälfte aller schweren
Krebserkrankungen können mit der modernen Medizin wirksam behandelt werden, die
(Organ-)Transplantationstechnik wurde perfektioniert und dank technologischer
Entwicklungen können Patienten mit sonst tödlichen Erkrankungen heute länger und
besser überleben. Ein unerwünschter Nebeneffekt dieser Fortschritte ist aber, dass
zunehmend mehr Menschen immunsupprimiert und daher anfälliger für Infektionen
sind. Zudem steigt die Zahl der HIV-Infizierten und AIDS-Kranken weiter an.
922
Kongenitale Defekte des Phagozytensystems tragen zu einer erhöhten
Infektionsanfälligkeit bei; am bekanntesten dürfte in dem Zusammenhang die
chronische Granulomatose sein (Abb. 30.1), bei der aufgrund einer vererbten
Cytochrom-b245-Synthesestörung keine reaktiven Sauerstoff-Zwischenprodukte während
der Phagozytose gebildet werden können.
923
Tab. 30.2 Zu (vorübergehender) Immunsuppression füh-rende
Infektionen
Abb. 30.1 Chronische Granulomatose.
924
(Knochenmark, Thymus) oder der Zelldifferenzierung
resultieren
Die wichtigsten angeborenen Störungen des adaptiven Immunsystems sind in Abb.
30.2 dargestellt. Tritt ein Defekt im stromalen Differenzierungsmilieu der Lymphozyten
auf, werden entweder keine B-Zellen (Agammaglobinämie Typ Bruton) oder keine T-
Zellen (Di-George-Syndrom) gebildet.
925
Abb. 30.2 Die wichtigsten Primärdefekte der
zellulären Immunität.
Als häufigste Form eines kongenitalen Antikörpermangels ist die CVI (common
variable immunodeficiency) typisch für wiederkehrende pyogene Infektionen und
vermutlich ein heterogenes Merkmal. Auch wenn die Zahl unreifer B-Zellen im
Knochenmark noch normal zu sein scheint, sind sie im peripheren Blut nur noch in
Unterzahl oder in manchen Fällen gar nicht mehr vertreten. In einigen Fällen können
sich vorhandene B-Zellen nicht zu Plasmazellen weiterentwickeln und in anderen Fällen
können sie keine Antikörper sezernieren.
926
Dass mit dem Nachlassen der mütterlichen Leihimmunität die Serum-IgG-
Konzentration abfällt und dadurch ein Immunglobulinmangel bei Säuglingen auftritt, ist
eine natürliche Erscheinung, kann aber bei unreifen Frühgeborenen zu einem ernsten
Problem werden.
927
■ abnehmenden Immunglobulinkonzentrationen (sekretorisches und mukosales
IgA),
■ verringerter IgG-Affinität,
Dass Infektionen oft selbst immunsuppressiv wirken (Tab. 30.2), zeigt sich bei keiner
so deutlich wie bei der HIV-Infektion, die zu AIDS führen kann (s. Kap. 21).
Neoplastische Erkrankungen des lymphatischen Systems induzieren oft einen Zustand
mit reduzierter Reaktionsbereitschaft des Immunsystems, und eine Splenektomie (aus
welchen Gründen auch immer) führt zur Schwächung der humoralen Immunität.
Daher kann die Immunschwäche von Patienten, die wegen einer neoplastischen
Erkrankung behandelt werden, sowohl durch die Krankheit als auch durch die Therapie
bedingt sein.
928
Abb. 30.4 Thymushistologie – normales und
unterernährtes Kind (mit Protein-Energie-
Mangelernährung, PEM).
929
Chandra).C = Rinde (Cortex), CT = Bindegewebe (Connective Tissue), H = Hassall-
Körperchen, L = Läppchen, M = Mark (Medulla)
930
30.2 Infektionen bei eingeschränkter angeborener
Immunabwehr durch physikalische Einflüsse
Während sich eine Infektion bei Verbrennungen, die weniger als 30% der gesamten
Körperfläche ausmachen, mit modernen antibakteriellen Mitteln zur topischen
Anwendung verhindern lässt, werden großflächigere Verbrennungen immer von
Keimen besiedelt. Nicht-invasive Infektionen beschränken sich auf das nekrotische
(abgestorbene) Hautgewebe über tiefen Brandwunden (d.h. auf die Brandblasen).
Typisch ist, dass sich Brandblasen rasch vom darunter liegenden Gewebe abheben,
sobald stark eitriges Exsudat aus der Brandwunde austritt. Die systemischen
Symptome sind meist nur schwach ausgeprägt.
931
Die wichtigsten Erreger in Brandwunden sind aerobe
und fakultativ anaerobe Bakterien sowie Pilze
Die wichtigsten Bakterienpathogene in Brandwunden sind:
■ Staphylococcus aureus
■ Enterokokken
■ Opsoninmangel im Serum.
Hinzu kommt noch eine Kombination von Virulenzfaktoren (unter anderem Elastase,
Protease und ein Exotoxin), die P. aeruginosa zu einem besonders verheerend
wirkenden Gram-negativen Erreger von Infektionen bei Verbrennungspatienten
macht. Die Behandlung ist schwierig, weil P. aeruginosa von Natur aus schon gegen
viele antibakterielle Mittel resistent ist. Empfohlen wird eine Kombinationstherapie
mit einem Aminoglykosid (meist Gentamicin oder Tobramycin) und einem
Betalaktam-Antibiotikum (z.B. Ceftazidim oder Imipenem), doch die Zunahme von
mulitresistenten Stämmen wird berichtet.
932
(Mit freundlicher Genehmigung von H. Tubbs)
Bei Anzeichen für eine invasive Infektion sollte ein staphylokokkenwirksames Mittel
wie Cefazolin eingesetzt werden; gegen methicillinresistente S.-aureus-Stämme
(MRSA) ist ein Glykopeptid oder Linezolid geeignet. Es sollte jede Anstrengung
unternommen werden, um eine Ausbreitung auf andere Patienten zu verhindern.
Obwohl Staphylokokken auch durch Aerosole übertragen werden können, spielen
Kontaktinfektionen eine größere Rolle.
933
gesundes Gewebe gekennzeichnet. Wenn der Patient nicht sofort behandelt wird, stirbt
er innerhalb von Stunden an einem schweren toxischen Syndrom.
Wundinfektionen können sehr schwerwiegende Folgen haben: Wenn die Keime ins
Blut übergehen, können sie sich an anderen Stellen ansiedeln, z.B. an den
Herzklappen (führt zu Endokarditis, s. Kap. 29) oder in Knochen (führt zu
Osteomyelitis, s. Kap. 26), und dadurch die Patienten noch weiter schwächen.
934
Über Hautverletzungen durch Katheter, die in Venen oder zur Peritonealdialyse
eingeführt werden, haben Keime (aus der Hautflora des Patienten oder von den
Händen des Pflegepersonals) leichten Zugang zu tieferem Gewebe. Neben
Staphylokokken – den häufigsten Erregern – können auch Corynebakterien, Gram-
negative Stäbchen und Candida spp. beteiligt sein.
Die Infektion mit S. epidermidis beginnt schleichender als mit hoch virulenten S.
aureus. Erschwert wird die Diagnose dadurch, dass sich ein infektiöser Stamm nur
schwer von Vertretern der Normalflora abgrenzen lässt. Auch die Behandlung ist
schwierig; weil viele Stämme von S. epidermidis gegen Antibiotika resistent sind,
muss oft ein Glykopeptid (Vancomycin oder Teicoplanin) mit Rifampicin eingesetzt
werden (s. Kap. 33). Falls möglich, sollten Fremdkörper wie (Kunststoff-)Katheter
entfernt werden.
935
Tab. 30.3 Prozentualer Anteil von Staphylococcus epider-midis an
Infektionen von Patienten mit liegendem Katheter oder
Kunststoffprothesen (nach Gemmell und McCartney 1990).
Häufigster Erreger ist wiederum S. epidermidis, der sich bereits intraoperativ Zugang
verschaffen oder infolge einer Bakteriämie (z.B. ausgehend von der Infektion eines
venösen Dauerkatheters) angeschwemmt werden kann. (Zur Endokarditis künstlicher
Herzklappen s. Kap. 29.)
Nach Gelenkersatz ist zwar eine Prothesenlockerung die häufigste Komplikation, doch
gleich dahinter folgen an zweiter Stelle Infektionen, die viel wahrscheinlicher zu
einem dauerhaften Misserfolg des Eingriffs führen. Die Schwierigkeiten bei der
Behandlung sind oben skizziert. Aus verständlichen Gründen scheut man sich eher,
eine Endoprothese zu entfernen, doch manchmal ist dies die einzige Möglichkeit,
eine Infektion radikal zu sanieren.
936
häufiger bei Krankenhauspatienten anzutreffen, die sich wegen maligner Erkrankungen
oder einer Organtransplantation einer Chemotherapie unterziehen müssen. Bei diesen
Patienten sind Infektionen noch immer eine Hauptursache der Morbidität und Letalität
(Tab. 30.4). Zunehmend häufiger handelt es sich um iatrogene Infektionen durch
opportunistische Hospitalkeime.
937
Tab. 30.4 Opportunistische Erreger bzw. Infektionen bei
neutropenischen Patienten und Transplantatempfängern.
CMV = Zytomegalievirus, EBV = Epstein-Barr-Virus, HBV = Hepatitis-B-
Virus, HCV = Hepatitis-C-Virus, HHV = humanes Herpesvirus, HSV = Herpes-
simplex-Virus, VZV = Varicella-Zoster-Virus
Von der Dauer der neutropenischen Phase hängt ab, für welche Infektionen die
Patienten anfällig sind bzw. wie häufig diese Infektion wiederkehrt: Mykosen sind
z.B. viel häufiger bei Patienten, deren Neutropenie über 21 Tage bestehen bleibt. Auch
938
wenn bisher überwiegend Gramnegative Darmkeime wie Escherichia coli und P.
aeruginosa Ursache einer Septikämie bei neutropenischen Patienten waren, gewinnen
Gram-positive Erreger wie Staphylokokken, Streptokokken und Enterokokken
zunehmend an Bedeutung. Eine Kathetersepsis (s. oben) wird oft durch S. epidermidis
ausgelöst.
Dass auch Pilzinfektionen (Mykosen) zunehmen, liegt zum Teil daran, dass dank
moderner antibakterieller Mittel und Granulozytentransfusion immer mehr Patienten
die frühe neutropenische Phase überleben. Als wichtige Komplikation nach einer
Knochenmarktransplantation können schwere CMV-Infektionen sowohl mit
Abstoßungsreaktionen (graft-versus-host) als auch mit immunsuppressiver Therapie
assoziiert sein.
■ Infektionsgefährdung (Exposition)
939
AIDS-Patienten sind oft von mehreren Erregern gleichzeitig infiziert, die sich trotz
einer längeren, aggressiven Chemotherapie mit geeigneten Mitteln nicht vollständig
beseitigen lassen. Dabei handelt es sich überwiegend um intrazelluläre Keime, die nur
durch eine intakte zellvermittelte Immunabwehr wirksam bekämpft werden könnten.
Während sich die Immunschwäche von HIV-Infizierten mit der Entwicklung zum
Vollbild von AIDS (s. Kap. 21) verstärkt, können durch die Reaktivierung von
Erregern, die bisher von der zellvermittelten Immunität unter Kontrolle gehalten
wurden, disseminierte Infektionen hervorgerufen werden, die bei immunologisch
Gesunden nicht vorkommen.
Viele der Pathogene, die zu Infektionen bei Immungeschwächten führen (Tab. 30.4),
sind an anderer Stelle in diesem Buch beschrieben, unten werden einige der
opportunistischen Erreger ausführlicher dargestellt.
940
Abb. 30.7 Diese Zeittafel gibt einen Überblick über
Zeitpunkt und Häufigkeitsgipfel von Infektionen, die
nach einer Nierentransplantation auftreten können.
941
Während bestimmte Infektionen (z.B. Hepatitis B, Wundinfektionen) nur
unmittelbar nach der Transplantation und für begrenzte Zeit ein Risiko für die
Patienten darstellen, entwickeln sich andere erst nach wochenlanger
Immunsuppression. Doch die meisten Infektionen bedeuten eine ständige
Gefährdung – über den ganzen Zeitraum der Immunsuppression. Zu beachten ist,
dass Pneumocystis jiroveci(früher: P. carinii) jetzt als Pilz eingestuft wird.
(Flussdiagramm nach Reese und Douglas 1986) CMV = Zytomegalievirus, EBV =
Epstein-Barr-Virus, HSV = Herpes-simplex-Virus, VZV = Varicella-Zoster-Virus
Je nachdem, welche Art von Immunschwäche zugrunde liegt, kann eine Candida-
Infektion in unterschiedlicher Weise in Erscheinung treten.
942
antimykotische Therapie nur bei hoch verdächtigen Anzeichen früh genug
eingeleitet, denn die disseminierte Erkrankung verläuft meist tödlich.
943
Amphotericin B und Flucytosin (s. Kap. 33), und zur Verlaufskontrolle kann die
sinkende Antigenkonzentration im Liquor herangezogen werden. Die Prognose hängt
weitgehend von der Grundkrankheit des Patienten ab (bei schwerer Immunschwäche
steigt die Letalität auf fast 50% an). Trotz intensiver Therapie lässt sich der Erreger
bei AIDS-Kranken kaum ausrotten.
Abb. 30.9 Candida-Ösophagitis.
944
Abb. 30.10 Candida-Endophthalmitis.
945
Die Rolle von Aspergillen (Schimmelpilzen) bei Lungenkrankheiten ist in Kap. 19
dargestellt. Inzwischen häufen sich jedoch Berichte über eine invasive Form der
Aspergillose bei Patienten mit Immunschwäche – meist aufgrund einer starken
Neutropenie oder einer hochdosierten Kortikosteroidtherapie (Abb. 30.13).
Wie Histoplasmen leben auch Aspergillen im Boden, kommen allerdings weltweit vor.
Sie breiten sich über die Luft aus und die Lunge ist in der Regel der Eintrittsort des
Erregers. Bei rund 25% der Patienten mit Immunschwäche streuen Herde aus der
Lunge zu anderen Stellen, besonders ins ZNS (Abb. 30.14) und ins Herz. Weil es sich
um einen ubiquitären Schimmelpilz handelt, hängt die Diagnose vom Nachweis einer
Gewebeinvasion ab; dazu ist meist eine Lungenbiopsie erforderlich.
Eine invasive Aspergillose bei Patienten mit Immunschwäche geht meist tödlich aus,
die Prognose scheint sich jedoch zu verbessern, wenn die Krankheit frühzeitig
diagnostiziert und behandelt wird; Mittel der Wahl ist Amphotericin (s. Kap. 33), und
nach Möglichkeit sollte die Kortikosteroid- und zytotoxische Medikation reduziert
werden. Berichten zufolge scheint auch eine Verbindung zwischen kurz vorher
durchgeführten Bauarbeiten und einem gehäuften Auftreten von nosokomialen
(Hospital-)Infektionen zu bestehen (s. Kap. 36).
946
Die Familie der Aktinomyzeten ist mit Mykobakterien verwandt, ähnelt mit ihren
verzweigten Fäden/Geflechten aber auch Pilzen. Pathogen wirken die beiden
Gattungen Actinomyces und Nocardia (Aktinomykose s. Kap. 22). Bei Patienten mit
Immunschwäche (besonders nach Nierentransplantation) sind N.-asteroides-
Infektionen beschrieben. Primärsitz ist meist die Lunge, doch die Infektion kann auch
auf Haut, Nieren oder ZNS übergreifen (Abb. 30.16). Wie bei Aspergillosen sind auch
nosokomiale Fälle von Nokardiose aufgetreten.
Abb. 30.11 Muster zur Entscheidungsfindung als
Flussdiagramm.
947
Mittel der Wahl sind Sulfonamide oder Cotrimoxazol, doch die Behandlung kann
sich als schwierig erweisen; auch Therapieschemata mit Tetrazyklinen,
Aminoglykosiden oder Imipenem sind beschrieben.
948
Menschen verläuft die starke Diarrhoe, die sie verursachen, selbstlimitierend (s. Kap.
22), während AIDS-Patienten unter schweren chronischen Durchfällen leiden. Eine
wirksame Behandlung ist schwierig; derzeit gilt Spiramycin als Mittel der Wahl (s.
Kap. 33).
Abb. 30.13 Pulmonale Aspergillose.
Das Thoraxröntgenbild zeigt eine invasive Aspergillose in der rechten Lunge eines
Patienten mit akuter Myeloblastenleukämie (mit freundlicher Genehmigung von C.
Kibbler).
949
Abb. 30.14 Zerebrale Aspergillose.
Isospora belli (Abb. 30.19) ist ein ähnlicher Parasit wie Kryptosporidien und
verursacht auch schwere Diarrhoen bei AIDS-Patienten. Im Unterschied zu einer
Kryptosporidiose spricht diese Infektion aber auf Cotrimoxazol an.
950
Abb. 30.15 Dunkel gefärbte Pneumocystis-jiroveci-
Zysten in der Gewebeprobe (offene Lungenbiopsie)
eines AIDS-Patienten mit Pneumonie.
951
Abb. 30.16 Pulmonale Nokardiose.
30.4.4 Virusinfektionen
952
Abb. 30.17 Sputum mit Nocardia asteroides.
Spender und Empfänger werden z.B. auf CMV-IgG untersucht. Unter den
Bedingungen einer Transplantation kann eine CMV-Infektion ein breites
Krankheitsspektrum hervorrufen (Pneumonitis, Ösophagitis, Kolitis, Hepatitis,
Enzephalitis u. a.). Bei einem CMV-IgG-positiven Spender bestünde die
Möglichkeit, dass sich der CMV-IgG-negative Empfänger über eine Organ- oder
Knochenmarkspende infiziert. Transplantationszentren versuchen dies möglichst zu
vermeiden, da das Risiko einer Primärinfektion mit CMV in den ersten Monaten nach
der Transplantation sehr hoch ist (genauso wie Morbidität und Letalität).
Daher müssen die Blutproben nach einer Transplantation regelmäßig auf CMV-DNA
oder CMV-Antigen kontrolliert werden, um die Infektion rechtzeitig zu entdecken
und so früh wie möglich antiviral behandeln zu können. Manche Zentren beginnen
gleich nach der Transplantation mit der antiviralen Therapie, um den Ausbruch einer
CMV-Infektion so lange hinauszuzögern, bis der Empfänger nicht mehr so stark
immunsupprimiert ist.
Nach Knochenmarkspenden erhalten die Empfänger oft noch längere Zeit danach eine
Prophylaxe gegen HSV, um eine Reaktivierung zu verhindern. HSV-Infektionen
können rezidivieren, und die Episoden treten im Allgemeinen unmittelbar nach der
Transplantation auf.
953
Läsionen an Lippen, im Ösophagus und an anderen Stellen des Verdauungstrakts
auftreten und zu Pneumonie, Hepatitis oder Enzephalitis führen.
Abb. 30.18 Kryptosporidiose mit zahlreichen
Erregern im Bürstensaumepithel des Darms.
Wird eine VZV-Infektion reaktiviert, kann sich innerhalb weniger Monate nach der
Transplantation im Versorgungsgebiet (Dermatom) des betroffenen Nervs ein Herpes
zoster entwickeln. Manchmal können mehrere Dermatome befallen sein oder Herde an
anderen Stellen auftreten (Dissemination).
954
Hier eine Epithelzelle mit einem einzelnen Isospora-belli-Exemplar und
chronischer Entzündungsreaktion der Lamina propria (mit freundlicher
Genehmigung von I. Chesner).
Zu den Risikofaktoren für die Entwicklung einer PTLD gehören eine primäre EBV-
Infektion von Organempfängern, ein inkompatibler CMV-Status von Spender und
Empfänger, eine CMV-Erkrankung sowie Intensität und Art der immunsuppressiven
Therapie. Verglichen mit Empfängern, die schon früher mit EBV in Kontakt
gekommen sind, haben EBV-anfällige Empfänger ein 10- bis 76-fach erhöhtes Risiko,
an einer PTLD zu erkranken.
Allerdings liegen bisher noch kaum Informationen über die Wirksamkeit spezifischer
Therapieprotokolle vor, da randomisierte plazebokontrollierte Versuche fehlen.
Einige Forschergruppen untersuchten, ob sich Lymphome bei
955
Transplantationspatienten durch adoptiven Transfer EBV-spezifischer zytotoxischer
T-Lymphozyten behandeln lassen.
956
Polyomaviren können Ursache einer
hämorrhagischen Zystitis und einer progressiven
multifokalen Leukoenzephalopathie sein
Polyomaviren (BK- oder JC-Viren) gelangen über die Atemwege in den Körper und
können sich als latente Infektion in der Niere halten. Im Urin von
Knochenmarkempfängern sind sie oft nachweisbar (s. Kap. 20), bleiben aber meist
asymptomatisch. Eine BK-Virämie kann jedoch mit hämorrhagischer Zystitis
assoziiert sein. Nach Reaktivierung und Dissemination einer JC-Virus-Infektion
kann sich bei AIDS-Patienten eine progressive multifokale Leukoenzephalopathie
entwickeln. Sie ist aber seltener geworden, seitdem die Möglichkeit einer
hochwirksamen antiretroviralen Therapie (HAART) besteht.
Zusammenfassung
■ Menschen, deren Immunität (normale Abwehr von Infektionen) herabgesetzt
ist, haben Immundefekte bzw. gelten als immungeschwächt. Eine Immunschwäche
kann primär oder sekundär sein und das angeborene oder das erworbene
Immunsystem betreffen.
■ Patienten mit Immunschwäche können sich nicht nur mit allen Erregern
infizieren, die auch für Immunkompetente infektiös sind, sondern zusätzlich noch
mit opportunistischen Erregern. Der Typ der Infektion hängt mit der Art der
Immunschwäche zusammen.
FRAGEN
Ein 24-jähriger HIV-Infizierter kommt zum Arzt, weil er seit sechs Wochen an
Kopfschmerzen leidet, die ständig wiederkehren und sich verschlimmern. Seit 1987
weiβ er, dass er HIV-1-seropositiv ist, doch bisher ging es ihm gut (CD4-positive
Zellen: 80/mm3).
957
Bei der Untersuchung sind keine neurologischen Herdsymptome erkennbar, auch der
Augenhintergrund (Fundoskopie) ist normal. Der Patient hat allerdings Mundsoor
(orale Candidiasis). Eine kraniale CT ergibt keinen Befund. Eine Lumbalpunktion
liefert folgende Ergebnisse: Liquor klar, Leukozytenzahl von 150/mm3 (vorwiegend
Lymphozyten), Glukose im Liquor 2,2 mmol/l, Blutglukose 3,8 mmol/l,
Proteinkonzentration 0,4 g/dl.
Brostoff, J., Scadding, G.K., Male, D., Roitt, I.M.: Clinical Immunology. Mosby
International, London 1991.
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www.archetypum.net
958
31 Strategien zur Infektionskontrolle – eine Einführung
31.1 Epidemiologische Überlegungen 473
31.1.3 Einfluss des Verhaltens auf die Ausbreitung von Infektionen 476
Ein großer Verdienst der angewandten medizinischen Forschung war die erfolgreiche
Bekämpfung zahlreicher Infektionskrankheiten; die Pocken sind ausgerottet und andere
Infektionen können inzwischen in vielen Teilen der Welt wirksam bekämpft werden.
Diese Kontrollierbarkeit wurde hauptsächlich auf drei Wegen erreicht:
Solche Untersuchungen setzen zum einen Kenntnisse über Infektionserreger und die
unterschiedlichen Beziehungen zu ihren Wirten voraus, erfordern zum anderen aber auch
eine Datensammlung und -analyse mithilfe mathematischer Modelle, um sich eine
Vorstellung von Übertragungs- und Kontrollmöglichkeiten machen zu können. Wo die
Kausalbeziehung zwischen Krankheitsbild und Erreger oder der Übertragungsweg noch
unbekannt sind, können epidemiologische Forschungen dazu beitragen, das fehlende
Glied zu finden und geeignete Strategien zur Infektionskontrolle festzulegen.
959
31.1 Epidemiologische Überlegungen
Auch Inkubationszeit (vom Zeitpunkt der Infektion bis zur Erkrankung), Latenzphase
(vom Zeitpunkt der Infektion bis zur Infektiosität) und Generationszeit (Summe aus
Inkubationszeit und Latenzphase) sind nützliche Unterscheidungskriterien (Abb.
31.2). Bei einigen Infektionen (z.B. mit Herpesvirus) kann es zu einer
intermittierenden Infektiosität oder zu einer großen Schwankungsbreite während der
Inkubationszeit (z.B. HIV-Infektion) kommen. In Tab. 31.2 sind die durchschnittliche
Dauer der Latenzphase und der Inkubationszeit für einige häufigere
Infektionskrankheiten angegeben.
960
Tab. 31.1 Strategien zur Bekämpfung von Infektions-krankheiten.
961
bestimmt werden; hierbei entspricht R0 der durchschnittlichen Zahl von Nachkommen,
die ein geschlechtsreifes Weibchen im Laufe seines Lebens produziert.
Abb. 31.1 Flussschema einer direkt übertragbaren
Infektion in einer Population (Gruppen von
anfälligen, infizierten und immun gewordenen
Individuen).
Während durch Reproduktion (mit der Rate a) wieder neue anfällige Individuen
hinzukommen, scheiden andere durch Tod (Rate b) aus. In der infektiösen Gruppe
wird „b“ noch durch die krankheitsbezogene Todesrate α ergänzt. Aus einer
Mischung infektiöser und anfälliger Individuen könnten neue Infektionen
hervorgehen.
Diese Definitionen gelten aber nur für Infektionen unter idealen Bedingungen, d.h.,
wenn die gesamte Wirtspopulation anfällig wäre; doch das ist selten der Fall. Die
Infektionsanfälligkeit hängt von individuellen Faktoren ab (wie Geschlecht, Alter,
Genetik, Ernährungs- und Immunstatus, vorhergegangene Exposition), so dass die
Ausbreitung von Infektionen immer gewissen Einschränkungen unterliegt. Daher ist
die Größe der effektiven Reproduktionsrate (R) ein realistischerer Wert.
Sobald sich eine Infektion in einer Bevölkerung etabliert hat (hohe Durchseuchung)
und sich eine Gruppenimmunität entwickelt, nimmt der Anteil anfälliger Individuen
ab. Auch wenn immer wieder saisonal oder in längeren Zeitabständen Schwankungen
auftreten können, stellt sich schließlich eine Art Gleichgewicht ein (endemische
Infektion). Vor Einführung der Masern-Schutzimpfung wurde der regelmäßige 2-
Jahres-Rhythmus der Maserninzidenz z.B. von einer saisonalen Häufung überlagert
(Abb. 31.3).
Bei einem Gleichgewichtszustand halten sich immun gewordene und – durch Geburt
oder Zuwanderung – neu hinzugekommene anfällige Individuen in einer Bevölkerung
genau die Waage; daher beträgt die effektive Reproduktionsrate R = 1. Könnte R
durch gezielte Interventionen verringert werden (R < 1), würde sich die Infektion nicht
selbst erhalten können und aussterben. Nach diesem Grundprinzip werden
Impfkampagnen durchgeführt (s. unten). Bei R > 1 breitet sich die Infektion dagegen
weiter aus.
962
31.1.2 Aussagewert der Reproduktionsraten
Zu beachten ist, dass die infektiöse und die symptomatische Phase einer Krankheit
nicht notwendigerweise synchron sein müssen. Die Generationszeit entspricht der
Gesamtdauer von Latenz- und infektiöser Phase (s. Text).
963
Abb. 31.3 Jährliche Meldungen von Masernfällen
in einer städtischen Bevölkerung (für den Zeitraum
von 1960 bis 1985).
964
Tab. 31.2 Inkubationszeit, Latenz- und infektiöse Phase
verschiedener Virus- und bakteriellen Infektionen.
In Tab. 31.3 ist für einige häufige Infektionskrankheiten das geschätzte
Durchschnittsalter A (ungeimpfte Bevölkerungsgruppen) angegeben. Die
Übertragbarkeit von Infektionen (bzw. ihre „erfolgreiche“ Ausbreitung) kann sehr
stark schwanken; in Entwicklungsländern ist das Durchschnittsalter (A) bei
Infektionen viel niedriger als in den USA oder Großbritannien.
965
Abb. 31.4 Altersbezogenes serologisches Profil der
spezifischen Antikörper, die sich gegen Antigene
einer direkt übertragbaren Virusinfektion
(„Kinderkrankheit“) bilden können.
Das Durchschnittsalter bei Infektion beträgt 5 Jahre. Zwischen dem Rückgang der
mütterlichen Antikörper und dem Anstieg der Seroprävalenz nach einer Infektion
öffnet sich ein Fenster erhöhter Anfälligkeit (Suszeptibilität).
966
Tab. 31.3 Durchschnittsalter bei Infektion (A) – bezogen auf
Infektionskrankheiten in unterschiedlichen Ländern vor der
Einführung von Schutzimpfungen in größerem Maßstab.
967
Bei sexuell übertragbaren Krankheiten hängt R0 von
der durchschnittlichen Anzahl neuer Sexualpartner ab
Besonders große Bedeutung hat das Verhalten bei sexuell übertragbaren Krankheiten
wie Gonorrhoe oder HIV-Infektion. Da sich die Betroffenen in unterschiedlicher
Häufigkeit neue Sexualpartner suchen (Abb. 31.5), hängt R0 in hohem Maße von der
sexuellen Aktivität ab. Wer viele Sexualpartner hat, kann sich eher infizieren oder
andere anstecken. Das spielt eine Schlüsselrolle für die Aufrechterhaltung von
Infektionen in der Gruppe der sexuell aktiven Menschen. Daher richten sich
Behandlung und Aufklärung über Safer-Sex-Praktiken (Sexualerziehung) vornehmlich
an promiskuitive Menschen.
968
Abb. 31.5 Zahl der Sexualpartner und
Häufigkeitsverteilung in unterschiedlichen Zeiträumen
(von einem Monat bis lebenslange Beziehung).
969
31.1.5 Veränderte Inzidenz von Infektionen
Diese Intervalle werden von den Interaktionen zwischen Erreger und Wirt bestimmt,
die zu ständigen Fluktuationen von R (< 1 oder > 1) führen. Zu Beginn eines
Epidemiezyklus breiten sich die Erreger ziemlich schnell aus. Doch bei
Ausschöpfung des Infektionsreservoirs der Anfälligen fällt R unter 1 und die Inzidenz
der Infektion geht langsam zurück. Das setzt sich so lange fort, bis neue Geburten den
Pool der Infektionsanfälligen wieder auffüllen und ihr Anteil schließlich so stark
ansteigt, dass die nächste Epidemie ausgelöst wird.
Durch Schutzimpfungen erhöht sich das durchschnittliche Alter zur Zeit der Infektion.
Welche Auswirkungen das hat, wird in Kap. 34 näher besprochen, doch eine Folge ist
unter anderem ein längerer Abstand zwischen Epidemien (Tab. 31.4). Daher verändert
sich durch Schutzimpfungen nicht nur die Inzidenz von Infektionen, sondern sie
beeinflussen auch die Altersverteilung der Fälle und das Fluktuationsmuster.
970
Geschichte der Mikrobiologie (1)
Epidemiologie als Wissenschaft
Die Epidemiologie untersucht das Auftreten, die Verbreitung und die Bekämpfung
von Infektionen. Sie stützt sich dabei auf eine ausführliche Sammlung statistischer
Informationen und kann auf unterschiedlichen Ebenen durchgeführt werden, von der
rein deskriptiven bis zur analytischen und experimentellen Untersuchung, wobei
mathematische Modelle eine zunehmend bedeutendere Rolle spielen.
Wie jede Wissenschaft hat auch die Epidemiologie ihren eigenen „Jargon“ und
besondere Fachbegriffe
Als Infektion wird das Vorhandensein eines Erregers bei Einzelpersonen oder in einer
Bevölkerung(sgruppe) bezeichnet. Der Begriff Krankheit wird nur für eine Infektion
mit erkennbar klinischen Auswirkungen verwendet, egal, ob leichte oder schwere
Symptome. Das Zeitintervall zwischen Exposition und Ausbruch der Infektion ist die
Inkubationszeit. Wer sich infiziert hat und andere Menschen anstecken kann, ist
infektiös. Da die Infektiosität trotz Abklingen der Krankheitszeichen weiter bestehen
kann, gelten die Betreffenden als Überträger oder Carrier.
Ein Carrier-Status kann auch bestehen, ohne dass jemals Symptome aufgetreten
wären. Obwohl die Übertragung (Ansteckung) auf unterschiedlichen Wegen
stattfinden kann, setzt sie immer voraus, dass infektiöse und anfällige Personen direkt
oder indirekt miteinander in Kontakt kommen (s. Kap. 13). Eine Infektion kann immun
und damit oft resistent gegen zukünftige Infektionen machen.
Auf die Infektions- oder Krankheitsfälle in einer Population bezieht sich die
Prävalenz, wobei Punktprävalenz die Fallzahl zu einem bestimmten Zeitpunkt und
Periodenprävalenz die Fallzahl in einem bestimmten Zeitraum bedeutet.
Seroprävalenz gibt die Zahl der Personen an, bei denen Antikörper gegen eine
bestimmte Infektion nachweisbar sind. Bei den Betreffenden hat in dem Moment, wo
solche Antikörper auftauchen, eine Serokonversion stattgefunden. Als Inzidenz
bezeichnet man die Zahl der Neuerkrankungen in einer Bevölkerung über einen
definierten Zeitraum.
971
„longitudinale“ Trends genannt). Bei säkularenTrends entwickeln sich
Veränderungen langsam über viele Jahre, während sich periodischeTrends
kurzfristiger (innerhalb von Monaten oder wenigen Jahren) abzeichnen. Jährlich oder
monatlich können Veränderungen als saisonaleTrends auftreten, in denen sich Klima-
(Jahreszeiten) oder Verhaltenseinflüsse widerspiegeln, und akute (aktuelle) Trends
ergeben sich während einer Epidemie.
Als dritte Form der analytischen Epidemiologie befasst sich die epidemiologische
(Feld-)Forschung mit auftretenden Epidemien. In dem Bemühen, geeignete
Maßnahmen zur Behandlung bzw. Bekämpfung zu ergreifen, sammelt sie alle
relevanten Daten, um Infektionserreger und Übertragungswege erkennen zu können.
972
Krankheitsüberwachung – Surveillance
973
Tab. 31.4 Zeitintervalle zwischen Epidemien in unterschiedlichen
Ländern am Beispiel einiger häufiger Infektionskrankheiten.
Zur deskriptiven Epidemiologie gehören auch Fragestellungen, die beim gehäuften
Auftreten einer Krankheit mithelfen, den Erreger und die Infektionsquelle zu entdecken.
Es ist wichtig, eine Falldefinition zu haben, die neben den Krankheitssymptomen auch
nähere Einzelheiten zu den Betroffenen und zum zeitlichen Ablauf beinhaltet. Nach
Auswertung dieser Daten sollte man sagen können, wo und wie es zum Ausbruch der
Krankheit kam, wer zu den Risikopersonen zählt und durch welche Behandlung sich
weitere Infektionen verhindern lassen (s. Kasten 3).
Dass Epidemien einer bekannten oder neuen Krankheit manchmal rein zufällig aufgrund
klinischer Beobachtungen entdeckt werden, zeigt sich exemplarisch an AIDS: 1981
wurde es entdeckt, als sich Pneumocystis carinii-(heute Pneumocystis jiroveci-
)Infektionen und Kaposi-Sarkome bei männlichen Homosexuellen häuften.
Ein systematischerer Ansatz stützt sich auf ein behördliches Meldesystem oder Register,
mit dem routinemäßig die Episoden einer Reihe meldepflichtiger Krankheiten erfasst
werden. Solche Überwachungssysteme unterstehen auf nationaler Ebene der Verwaltung
durch Regierung oder Gesundheitsämter, während international die WHO für die
Registrierung von Krankheiten wie Cholera, Gelbfieber oder Pest zuständig ist. Mit dem
Grundstock an Daten, den eine regelmäßige Überwachung liefert, lässt sich leichter
ermitteln, ob die Zahl der Erkrankungsfälle „deutlich höher als üblicherweise zu
erwarten“ liegt (und somit die Definition einer Epidemie erfüllt).
Geschichte der Mikrobiologie (3)
Die Legionärskrankheit – eine Fallstudie
Hintergrund
Nachdem Kriegsveteranen der Pennsylvania American Legion vom 21. bis 24. Juli 1976
in einem Hotel in Philadelphia eine Versammlung abgehalten hatten, häuften sich
Anfang August Meldungen über eine schwere Pneumonie unbekannter Ursache unter
den Teilnehmern. Trotz antibiotischer Behandlung kam es zu Todesfällen.
Falldefinition
Von den 182 Patienten, auf die diese Definition zutraf, hatten 149 an der Veteranen-
Versammlung teilgenommen, neun weitere waren im fraglichen Zeitraum auf anderen
974
Kongressen im selben Hotel gewesen. Zudem hatten sich 39 Patienten mit dem gleichen
Krankheitsbild zur betreffenden Zeit nicht im Hotel, wohl aber im selben Straßenblock
aufgehalten.
Epidemie
Ende Juli traten die ersten Erkrankungen auf und erreichten zwischen dem 25. und 27.
Juli ihren Höhepunkt (Häufigkeitsgipfel). In 78% der Fälle handelte es sich um Männer,
die meisten waren über 50 Jahre alt. Die Inkubationszeit betrug etwa 2–10 Tage. Ein
erheblicher Prozentsatz der Patienten hatte sich in der Lobby aufgehalten oder draußen
vor dem Hotel gestanden, um sich die Parade anzusehen. Eine gegenseitige Ansteckung
hatte nicht stattgefunden.
Schlussfolgerungen
Alle Anzeichen deuteten darauf hin, dass der Infektionserreger als Aerosol verbreitet
wurde und höchstwahrscheinlich in der Lobby oder direkt vor dem Hotel eingeatmet
wurde. Man dachte an eine bakterielle Infektion (erhöhte Neutrophilenzahl im Sputum),
doch Keime ließen sich nicht nachweisen. Schließlich wurde ein bisher unbekanntes
Bakterium isoliert und kurz danach als Legionella identifiziert (s. Kap. 19.2.7). Eine
Behandlung mit Erythromycin erwies sich als wirksam.
Aus den biologischen Merkmalen von Legionella war abzuleiten, dass Infektionen durch
Desinfektion und Hitzebehandlung von Wasserleitungen und Klimaanlagen verhindert
bzw. bekämpft werden können.
Sobald sich eine Häufung (Epidemie) von Infektionskrankheiten bestätigt hat, kann man
durch eine Erregeridentifizierung mit herkömmlichen diagnostischen Methoden (s. Kap.
13) sicherstellen, dass die richtige Antibiotikatherapie oder Impfung durchgeführt wird.
Louis Pasteur (s. Kasten 4) wies nach, dass Impfungen mit abgetöteten oder
abgeschwächten Bakterien (z.B. Anthrax- oder Rabies-Erregern) eine aktive
Immunisierung gegen Milzbrand oder Tollwut induzierten; und Paul Ehrlich kam durch
seine Arbeit mit histologischen Farbstoffen zu der Überzeugung, dass bestimmte
chemische Stoffe (Medikamente) gegen Krankheiten wirksam sein könnten, weil sie
sich gezielt (spezifisch) an bestimmte Bakterienstrukturen binden und sie schädigen (s.
Kap. 33). Beide Wissenschaftler führten also das Konzept eines selektiven oder
spezifischen Angriffs gegen infektiöse Keime als Mittel zur Krankheitsbekämpfung ein.
975
Tab. 31.5 Chemotherapie (Antibiotikatherapie) und Impfung im
Vergleich.
976
Geschichte der Mikrobiologie (4)
Louis Pasteur (1822–1895)
Pasteur begann zu einer Zeit zu forschen, als nach der allgemein gültigen Erklärung
Keime noch spontan in verrottendem Material erzeugt wurden. Mit seinen
Experimenten konnte er jedoch beweisen, dass sterile organische Infusionen weder
verwesen noch gären, wenn sie nicht aus der Luft kontaminiert werden. Demnach
konnten Mikroorganismen nicht spontan entstehen, sondern mussten von bereits
vorher vorhandenen abstammen. Diese Entdeckung leistete zu vielen Gebieten der
Grundlagen- und angewandten Wissenschaft ihren Beitrag. Möglicherweise am
wichtigsten war Pasteurs Beitrag für die Arbeit von Lister, der mit seinem Werk über
Antisepsis die Operationsfächer revolutionierte.
Den Rest seines Lebens verbrachte Pasteur in seinem Geburtsland Frankreich als
Nationalheld mit weltweitem Renommé. Sein Name ist nicht nur unsterblich mit dem
von ihm entwickelten Sterilisierungsvorgang – der Pasteurisierung – verbunden,
sondern auch mit dem Institut Pasteur in Paris, das zu den international führenden
mikrobiologischen Zentren weltweit zählt.
977
Louis Pasteur (1822–1895)
■ Zellwand
■ Ribosomen
■ Nukleinsäuresynthese
978
Viele Wirkstoffe sind entweder Produkte von Mikroorganismen oder deren Derivate.
Man vermutet dahinter einen Selbsterhaltungsmechanismus, der verhindern könnte,
dass Mikroorganismen (von der eigenen oder fremden Spezies) überwuchert werden.
979
Einmal ausgelöst, halten Antigen-Antikörper-Reaktionen nicht nur für gewisse Zeit
an, sondern danach wird sich das Immunsystem immer erinnern, dass es bereits
Bekanntschaft mit dem betreffenden Antigen gemacht hat. Nach einer Impfung wird der
Körper daher umso aktiver auf Antigene reagieren, die ihm bei einer Infektion
wiederbegegnen. Im Unterschied zur medikamentösen Therapie verleiht eine Impfung
meist einen länger anhaltenden Schutz und muss nicht ständig erneuert werden.
Mit ihrer relativ komplexen Molekülstruktur können Antibiotika selbst zum Angriffsziel
von Immunreaktionen werden. Vergleichsweise häufig tritt gegen Medikamente wie
Penicillin eine Überempfindlichkeit auf (5–10% der Bevölkerung), die schlimme
Folgen haben kann.
Auch Impfstoffe können unerwünschte Wirkungen haben und bei bestimmten Menschen
immunvermittelte Nebenwirkungen hervorrufen, die zu bleibenden Schäden führen,
besonders wenn das Gehirn betroffen ist. Das im Allgemeinen sehr geringe
Nebenwirkungsrisiko von Impfstoffen oder Antibiotika sollte man aber immer gegen die
viel schwereren und wahrscheinlicheren Folgen der Infektionen abwägen, gegen die sie
gerichtet sind.
980
Da sich Viren vielfach in und mit der Hilfe von
Wirtszellen entwickeln, lassen sie sich besonders
schwierig medikamentös bekämpfen
Doch auch Viren haben Stellen, an denen sie empfindlich getroffen werden können: die
zur Virusreplikation nötigen Enzyme. Herausragende Beispiele für eine
maßgeschneiderte Chemotherapie sind Aciclovir (gegen Herpesviren wirksam, greift an
der DNA-Polymerase an) und Zidovudin bzw. AZT (gegen HIV wirksam, greift an der
reversen Transkriptase an). Stattdessen lassen sich Virusinfektionen zum Teil recht
erfolgreich durch Impfungen eindämmen. Die HIV-Infektion gehört zu den
Virusinfektionen, die das vordringliche Ziel für Neuentwicklungen von Impfstoffen
bleiben.
Eine passive Immunisierung durch Antikörper kann z.B. wie ein Arzneimittel zur
Behandlung akuter Infektionen eingesetzt werden; oder Medikamente wie Pyrimethamin
und Chloroquin werden – fast als wären sie kurz wirkende Impfstoffe – zur
Malariaprophylaxe verwendet. Doch in den meisten Fällen besteht ein deutlicher
Unterschied zwischen ein- oder zweimaliger Impfung (mit jahrelanger Schutzwirkung)
und täglicher oder zweimal täglicher Gabe einer Arzneimitteldosis.
Verständlich, dass Patienten und Ärzte eine Impfung vorziehen, während der
Pharmaindustrie natürlich Medikamente lieber sind. So erklärt sich, weshalb die
981
Industrie die Arzneimittelforschung vorantreibt, ohne extra ermutigt werden zu müssen
– und im Gegensatz dazu für die Entwicklung von Impfstoffen erst ein äußerer Anreiz
durch zweckgebundene Mittel geschaffen werden muss. Auf dem Gebiet hat sich die
WHO große Verdienste erworben.
982
Tab. 31.6 Faktoren, die eine weltweite Ausrottung von
Infektionskrankheiten begünstigen.
■ Welche Krankheit ließe sich mit angemessenem Aufwand ausrotten?
Es wird unvermeidlich immer Krankheiten geben, die sich mit diesem Raster nicht
erfassen lassen und bei denen wir es wohl oder übel hinnehmen müssen, dass sie uns
vielleicht für immer begleiten.
Zusammenfassung
■ Die Epidemiologie trägt zum Verständnis von Infektionen bzw. Krankheiten
bei, die in der Bevölkerung bzw. in bestimmten Gruppen auftreten, und sie kann die
Behandlung und Bekämpfung dieser Infektionen/Krankheiten unterstützen.
■ Parasiten reproduzieren sich mit einer typischen Grundrate (R0), von der ihre
Ausbreitung in voll anfälligen Populationen abhängt. Aus unterschiedlichen
Einschränkungen von R0 ergibt sich die tatsächliche (effektive) Reproduktionsrate
(R).
■ Wenn die Größen von R0 und R bekannt sind, lassen sich Vorhersagen über die
Ausbreitung von Epidemien, wirksame Gegenmaßnahmen und den Nutzen von
Impfprogrammen treffen.
983
■ Nachweis und Diagnose sind wesentliche Voraussetzungen, um
Infektionskrankheiten erkennen und behandeln bzw. bekämpfen zu können.
FRAGEN
1 Welche Vor- und Nachteile hat eine Arzneimittel-/Chemotherapie gegenüber
einer Impfung?
2 Bezeichnet man eine Infektion, die plötzlich auftritt und sich dann weltweit
ausbreitet, als
a) Epidemie
b) Endemie
c) Hyperendemie
d) Pandemie
e) Hypoendemie?
3 Steht der Begriff Basisreproduktionsrate (R0) für:
a) die maximale Reproduktionsrate eines Erregers
b) die in Wirklichkeit und realen Wirten erreichbare Reproduktion
c) die Anzahl der Folgegenerationen, die ein Erreger produziert, bevor
sich die Krankheit klinisch manifestiert
d) die für das Auftreten von Symptomen erforderliche Reproduktionsrate
e) die Reproduktionsrate eines Erregers nach Impfung?
984
4 Ein wichtiger Faktor für epidemiologische Unterschiede zwischen Masern und
HIV-Infektion ist, dass:
a) es gegen HIV keine Impfung gibt
b) sich Erwachsene nie mit Masern infizieren
c) Masern durch Tröpfcheninfektion übertragen werden
d) beide Infektionen durch unterschiedliche Viren verursacht werden
e) HIV Lymphozyten infiziert?
5 Welche Kinderkrankheit hat das kürzeste Zeitintervall zwischen Epidemien:
a) Röteln
b) Masern
c) Mumps
d) Keuchhusten (Pertussis)
e) Poliomyelitis?
6 Womit wird Louis Pasteur in Verbindung gebracht:
a) Anthrax-/Milzbrandimpfung
b) Biergärung
c) Seidenraupenkrankheit
d) Tollwut-/Rabiesimpfung
e) mit allen vier?
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Anderson, R.M., May, R.M.: Infectious Diseases of Humans: Dynamics and Control.
Blackwell Scientific, Oxford 1992.
Scott, M.E., Smith, G.: Parasitic and Infectious Diseases: Epidemiology and Ecology.
Academic Press, New York 1994.
985
32 Diagnose von Infektionen und Beurteilungder
Abwehrlage
32.1 Klinische Mikrobiologie – Laboruntersuchungen 485
986
■ genaue Informationen zu erhalten, ob in Probenmaterial Mikroorganismen enthalten
sind, die am Krankheitsprozess eines Patienten beteiligt sein könnten;
Doch die klassische Diagnosemethode ist ein (vierfacher oder noch höherer)
Antikörper-Titeranstieg in gepaarten Serumproben, die in der Akutphase der
Infektion (5–7 Tage nach Auftreten der Symptome) und in der Rekonvaleszenzphase
(nach 3–4 Wochen) gewonnen werden. Solche Tests sind aber nur bedingt hilfreich,
da sie erst eine verzögerte oder retrospektive Diagnose ermöglichen.
987
32.2 Richtige Aufbereitung der Proben
■ Proben von Stellen mit kommensaler Flora (Tab. 32.1; s. auch Kap. 8).
Damit Proben(material) richtig behandelt und die Ergebnisse richtig interpretiert werden
können, ist eine gründliche Kenntnis der Keime wichtig, die sich normalerweise aus
Proben von unsterilen Stellen isolieren lassen bzw. die Proben von sterilen Stellen
kontaminieren können. Dass Proben von eigentlich sterilen Stellen (z.B. Blasenurin,
Sekret aus dem unteren Respirationstrakt) manchmal erst nach der Passage von
Öffnungen mit Normalflora aufgefangen werden und daher kontaminiert sein können,
muss bei der Befundinterpretation dieser Kulturen berücksichtigt werden.
Im Idealfall würden auf dem Lieferschein zu jeder Probe, die ins Labor kommt,
ausreichende Informationen über den Patienten stehen, so dass sich der Mikrobiologe
vorab ein Bild über die verdächtigen Keime machen und sein Vorgehen individuell
zugeschnitten planen könnte. Doch in der Praxis lässt sich dieser Ansatz wegen äußerer
Zwänge (Kosten, Zeitaufwand) kaum verwirklichen. Daher werden Proben (je nach Art,
z.B. Urin, Blut, Stuhl) unterschiedlich aufbereitet, wobei der Mikrobiologe sein
Augenmerk auf bekanntermaßen mit dieser Probenart verbundene, leicht anzüchtbare
Keime richtet.
Tab. 32.1 Die Entnahmestellen von Proben sind wichtig für die
Ergebnisinterpretation.
988
Nur wenn entsprechende Hinweise (wie vermutete Ätiologie) mitgegeben werden, wird
das Labor gezielt nach anspruchsvolleren oder selteneren Keimen suchen und – sofern
von Belang – deren Antibiotikaempfindlichkeit testen. Das weitere Vorgehen bei der
Aufbereitung von Probenmaterial ist unten skizziert und im Anhang ausführlicher
beschrieben.
989
Einige Tests können direkt am Probenmaterial durchgeführt werden und liefern noch
am selben Tag Ergebnisse. Bis sich in Kulturen Kolonien bilden und eine
Keimidentifizierung ermöglichen, dauert es aber mindestens 18 Stunden. Eine
weitere Inkubation ist zur (Antibiotika-)Empfindlichkeitstestung nötig. Eine andere
Möglichkeit bietet der Nachweis spezifischer Antikörper im Serum. CSF = Liquor
cerebrospinalis
990
32.3 Labordiagnose von Infektionen – ohne kulturelle
Verfahren
Mit anderen (Nichtkultur-)Methoden sind Erreger nicht erst nach ihrer Vermehrung
nachweisbar. Einige liefern rasche Ergebnisse (z.B. Mikroskopie und Antigennachweis
in Proben innerhalb von 2 Stunden). Innerhalb von Stunden – und damit schneller als
bei Kulturen – führt auch der Einsatz von DNA-Sonden oder die DNA-Amplifikation
mithilfe der Polymerasekettenreaktion (PCR) zum Ergebnis.
32.3.1 Mikroskopie
991
Die mikroskopische Untersuchung von Proben ist ein
erster wichtiger Schritt
In der Mikrobiologie spielt das Mikroskop eine wesentliche Rolle. Obwohl sie
beträchtliche Unterschiede in ihrer jeweiligen Größe zeigen (s. Kap. 1), sind
Mikroorganismen im Einzelnen viel zu klein, um mit bloßem Auge erkannt zu
werden. Daher zählt das Mikroskop zur Grundausstattung eines Mikrobiologen. In
Abb. 32.2 sind unterschiedliche Formen der Mikroskopie zusammengefasst. Durch
Vergrößerung der Objekte verbessert sich das Auflösungsvermögen des bloßen Auges
mit dem Lichtmikroskop von etwa 100000 nm (0,1 mm) auf 200 nm und mit dem
Elektronenmikroskop sogar auf 0,1–1,0 nm.
Lichtmikroskopie
■ Hautpilzen
992
Abb. 32.2 Anwendungsmöglichkeiten für die
Mikroskopie in der Mikrobiologie.
993
Der violette Farbstoff (Kristall-/Gentianaviolett kombiniert mit Jod als Fixierer)
bindet an die Zellwand. Gram-positive Bakterienzellen behalten die Färbung und
bleiben auch nach der Spülung mit Aceton violett. Dagegen verlieren Gram-
negative Bakterienzellen ihre violette Färbung und erscheinen farblos, bis sie
nach Gegenfärbung mit Neutralrot oder Safranin rosa aussehen. Nach der Gram-
Färbung von Ausstrichpräparaten lassen sich auch verschiedene
Bakterienformen erkennen. Hier gezeigte Beispiele sind: a) Gram-positive
Kettenkokken (Streptokokken), b) Gram-positive Stäbchen (Listerien), c) Gram-
negative Stäbchen (Escherichia coli), d) Gram-negative Kokken (Neisserien).
Dieser Unterschied hängt mit der Zellwandstruktur beider Gruppen zusammen (s.
Kap. 2).
994
Fuchsin-gefärbte Mykobakterien widerstehen einer Behandlung mit Säure oder
Alkohol – während sich andere Bakterien entfärben würden – und werden daher als
„säurefest“ (bzw. „alkoholfest“) bezeichnet. Statt Fuchsin benutzen viele
Laboratorien Auramin, einen Fluoreszenzfarbstoff mit starker Affinität zur
wächsernen Zellwand von Mykobakterien, um die Keime dann
fluoreszenzmikroskopisch nachzuweisen (Abb. 32.4).
Abb. 32.4 Fluoreszenzmikroskopische Betrachtung
von Mykobakterien.
995
a) Nach der Anfärbung (Albert-Färbung) von Corynebakterien erscheinen die
Polymetaphosphat-(Volutin-)Speichergranula als dunkle Flecken in den
blaugrünen Zellen. b) Nach der Anfärbung mit Sudanschwarz sind die
Lipidspeichergranula von Bacillus cereus als schwarze Punkte in den roten
Zellen sichtbar.
996
Wenn Licht einer bestimmten Wellenlänge auf ein fluoreszierendes Objekt fällt,
wird es mit anderer Wellenlänge reflektiert. Biologische Substanzen können von
Natur aus fluoreszieren oder mit Fluoreszenzfarbstoffen gefärbt (fluorochromiert)
unter UV-Licht statt normalem Licht mit dem Mikroskop betrachtet werden (Abb.
32.4).
Elektronenmikroskopie
997
Abb. 32.6 Spirochäten unter dem
Dunkelfeldmikroskop.
Spirochäten und Leptospiren sind viel dünner als die meisten anderen Bakterien
(Durchmesser ca. 0,1 μm, verglichen z.B. mit 1 μm bei Escherichia coli),
erscheinen aber hell leuchtend vor dunklem Hintergrund größer.
Abb. 32.7 Fluoreszenztest zur Identifizierung von
mikrobiellen (oder Gewebs-)Antigenen bzw.
Antikörpern.
998
ungebundener Antikörper zeigt sich fluoreszenzmikroskopisch, ob und wo
Antigen-Antikörper-Komplexe übrig geblieben sind. Im indirekten
Immunfluoreszenztest erfolgt der Antigennachweis durch Behandlung mit
einem unmarkierten Antikörper und anschließender Fluoreszenzmarkierung
durch ein Antiimmunglobulin (Anti-Ig) zur Signalverstärkung. War der erste
Antikörper ein humaner Antikörper, wird der markierte Antikörper ein Anti-
Human-Ig sein.
999
■ Nachweis über spezifische Antigen-Antikörper-Interaktionen,
Der Nachweis mikrobieller Gene mit DNA-Sonden wird weiter unten besprochen.
1000
Tab. 32.3 Nachweismethoden für Bakterienprodukte.
1001
Latexagglutination: sichtbare Verklumpung durch die
Reaktion spezifischer Antikörper-beschichteter
Latexpartikel mit Bakterien oder deren Produkten
Als häufige Auslöser einer bakteriellen Meningitis können z.B. Streptococcus
pneumoniae, Haemophilus influenzae und Neisseriae meningitidis (Typ A und C) im
Liquor nachgewiesen werden, wenn man Liquorproben mit Latexpartikeln mischt, die
mit spezifischen Antikörpern beschichtet sind. Falls die Latexpartikel Klumpen
bilden, ist ein Bakterienantigen (oder -produkt) in der Probe vorhanden (Abb. 32.9).
Latextests liefern zwar innerhalb von Minuten nach Einreichen der Proben das
Ergebnis, doch ihre Sensitivität ist nur unwesentlich höher als die der Gram-Färbung
und aufgrund von Kreuzreaktionen können auch falsch-positive Ergebnisse
vorkommen. Trotzdem können sie diagnostisch nützlich sein, wenn Patienten bereits
mit Antibiotika vorbehandelt wurden, ein Erreger im Liquor morphologisch nicht
eindeutig erkennbar oder nicht anzüchtbar ist.
Abb. 32.9 Latextest.
1002
■ Bei Verwendung enzymmarkierter Antikörper wird der Test als „enzyme-
linked immunosorbent assay“ (ELISA) bezeichnet.
Früher wurden Antikörper für Immunoassays eher mit Radioisotopen als mit Enzymen
oder Fluoreszenz markiert.
Gensonden werden mit Radioisotopen oder mit Indikatoren markiert, die unter
bestimmten Bedingungen eine Farbreaktion zeigen (z.B. Biotin-Streptavidin). Zum
Nachweis spezifischer Nukleinsäure-Zielsequenzen wurden unterschiedliche DNA-
und RNA-Sonden entwickelt und angewandt (Abb. 32.13).
Im Handel sind derzeit Sonden zum Schnellnachweis (innerhalb von 2–4 Stunden)
einer Vielzahl pathogener Mikroorganismen (in klinischen Proben oder Kulturen)
erhältlich, z.B. für Chlamydien, Streptokokken der Gruppe A, Neisseria gonorrhoeae,
Mykobakterien, Pilze und humane Papillomaviren.
1003
Obwohl sie eine wichtige Ergänzung des diagnostischen Arsenals darstellen, sind
Gensonden unter Umständen nicht sensitiv genug, z.B. wenn nur eine kleine Anzahl
von Mikroorganismen vorhanden ist (d.h. nur wenige Genkopien zur Verfügung
stehen). Unter solchen Bedingungen kann sich die Genamplifikation mit
Polymerasekettenreaktion (PCR, s. unten) und anschließender Hybridisierung mit
Oligonukleotidsonden als mögliche Lösung anbieten. Hinzu kommt, dass sich
mikrobielle Antigene auch direkt mit der PCR nachweisen lassen, was besonders bei
langsam wachsenden oder nur schwer im Labor anzüchtbaren Mikroorganismen sehr
hilfreich sein kann.
Abb. 32.10 Das Prinzip der Ligandenbindung in
Immunoassays.
Eine ligandenbindende Substanz kann in löslicher Form oder (wie hier) in fester
Bindung an ein Hilfsmittel vorliegen. Letzteres hat den Vorteil, dass sich
gebundenes mühelos von freiem Substrat (Analysat) trennen lässt. Um nach einer
Exposition den Anteil der besetzten Ligandenbindungsstellen zu bestimmen,
werden kompetitive oder nicht-kompetitive Immunoassays mit (hier in Orange)
markierten Reagenzien verwendet.
1004
Abb. 32.11 Festphasen-Enzymimmunoassay
(ELISA).
1005
Abb. 32.12 Herstellung monoklonaler Antikörper.
Nach Immunisierung mit einem Antigen, das z.B. die beiden Epitope X und Y
trägt, entwickeln sich in Mäusen Milzzellen, die Anti-X- und Anti-Y-
Serumantikörper produzieren. Die Milz wird dann entfernt, um die einzelnen B-
Zellen in Polyethylenglykol mit immortalisierten (d.h. sich ständig teilenden) B-
Tumorzellen zu verschmelzen, die im Hinblick auf ihren Purinmangel ausgesucht
wurden, aber oft auch kein Immunglobulin zur Bildung von Hybridomzellen
sezernieren können. Die fusionierten Zellen werden auf Platten mit kleinen
Vertiefungen in ein HAT-Medium (Hypoxanthin, Aminopterin, Thymidin)
eingebettet, und zwar in so starker Verdünnung, dass jede Mulde im Schnitt
1006
weniger als eine Hybridomzelle aufnimmt. Als Hybridom bezeichnet man das
Ergebnis der Fusion zwischen einer antikörperbildenden Zelle und einer
Tumorzelle; durch diese beiden Zellen hat jedes Hybridom zum einen die
Fähigkeit, eine einzige Art von Antikörpern zu bilden, und zum anderen
unsterblich zu sein (d.h. ständig weiter zu proliferieren). So werden unendlich
viele Klone einer bestimmten Antikörperspezifität bereitgestellt. Diese
monoklonalen Antikörper lassen sich mit Enzymen oder fluoreszierenden
Molekülen markieren und bei Bindung an spezifische Antigene (z.B.
Viruspartikel) entsprechend darstellen.
1007
Abb. 32.13 Hybridisierung von Nukleinsäure – die
wichtigsten Methoden.
Denaturierte (d.h. einzelsträngige) DNA kann direkt auf einer festen Unterlage (z.B.
einer Nitrozellulosemembran) immobilisiert und mit einer spezifischen
einzelsträngigen DNA-Sonde hybridisiert werden, deren Sequenz markiert ist, um
sie anschließend wieder zu erkennen („Dot-Blot“-Methode). Alternativ können
verschieden große DNA-Fragmente durch Agarose-Gelelektrophorese aufgetrennt
und denaturiert werden, bevor man sie zur Hybridisierung und zum Nachweis mit
der Sonde auf die Membran überträgt („Southern Blot“-Methode). Wird das ganze
Verfahren mit elektrophoretisch aufgetrennten RNA-Molekülen durchgeführt,
spricht man von „Northern Blot“-Methode.
Abb. 32.14 Polymerasekettenreaktion (PCR).
1008
Stränge nummeriert, um sie in darauf folgenden Zyklen wiederfinden zu können.)
Die nach den ersten Zyklen gebildeten (überschriebenen) Kopien sind identisch mit
der Sequenz, die amplifiziert werden sollte.
Abb. 32.15 Nachweis von Herpes-simplex-Virus-
(HSV-) DNA im Liquor eines Patienten mit Enzephalitis.
1009
Die überwiegende Mehrheit der medizinisch bedeutsamen Bakterien und Pilze lässt sich
zwar im Labor anzüchten, doch es gibt kein universelles Kulturmedium, das für alle
gleichermaßen geeignet wäre, und noch immer können einige Spezies (z.B.
Mycobacterium leprae und Treponema pallidum) nur in Versuchstieren angezüchtet
werden. Bakterien wie Rickettsien und Chlamydien wachsen zwar nicht auf künstlichen
Medien, aber in Zellkulturen (s. unten).
Viele Kulturmedien sind so beschaffen, dass sie nicht nur das erwünschte
Keimwachstum fördern, sondern auf andere hemmend wirken, d.h. „Selektivmedien“
sind. Im Anhang werden für die Labordiagnostik wichtige Kulturmedien sowie ihr
Einsatz zur Aufbereitung klinischer Proben beschrieben.
In Proben von Körperstellen, die mit kommensaler Normalflora besiedelt sind, kann
eine Keimmischung enthalten sein, aus der gezielt nach einem Pathogen gesucht werden
muss. Deshalb werden die Proben auf Platten sorgsam ausgewählter Nähr- und
Selektivmedien inokuliert, um Einzelkolonien in Reinkultur zu erhalten. Die weitere
Nachbereitung in Frischkulturen dient zur Erregeridentifizierung und Antibiotika-
Empfindlichkeitstestung (s. unten). Mit konventionellen (nichtmolekularen) Methoden
kann die Prozedur 48 Stunden oder noch länger dauern (Abb. 32.1).
1010
Viele Bakterien, die medizinisch eine Rolle spielen, werden traditionell anhand
bestimmter Zelleigenschaften (Abb. 32.17) vorläufig beurteilt, z.B. durch
1011
Abb. 32.16 Kolonien von Bakterien.
Nach ihrer Implantation auf einen festen Nährboden beginnt eine Bakterienzelle sich
zu vermehren und eine Kolonie aus Millionen Zellen zu bilden. Das typische
Kolonie-/Wachstumsmuster unterschiedlicher Spezies liefert einen ersten Hinweis
auf ihre Identität. a) Goldfarbene Kolonien von Staphylococcus aureus. b) Durch
Anzüchten auf bluthaltigen Kulturmedien lassen sich zusätzliche
Bakterieneigenschaften nachweisen (z.B. Lyse roter Blutzellen), wie hier die von
Streptococcus pyogenes verursachte β-Hämolyse (komplette Hämolyse) auf
Pferdeblutagar. c) Durch Zugabe bestimmter Mittel kann das Wachstum anderer
Spezies gehemmt und ein Kulturmedium folglich „selektiv“ gemacht werden; wegen
der im MacConkey-Agar enthaltenen Gallensalze können darauf z.B. nur
gallensalztolerante Mikroorganismen wachsen. Darüber hinaus enthält er Laktose
und einen pH-Indikator, so dass bei Laktose vergärenden (fermentierenden)
Bakterien ein Farbumschlag nach Hellrosa erfolgt. d) Nicht-laktosefermentierende
Spezies wie Salmonellen oder Shigellen bilden dagegen gelbliche Kolonien.
1012
Zu den zahlreichen Methoden der (Antibiotika-)Empfindlichkeitstestung gehören unter
anderem Verdünnungsreihen und automatisierte Verfahren. Am häufigsten kommen
jedoch mit unterschiedlichen Antibiotika getränkte Filterpapierscheiben zum Einsatz,
die auf einen Keimrasen (nach Aussaat des Testkeims auf einer Agarplatte) gelegt
werden – so genannte Disk-(Filterscheiben-)Diffusion. Während die Keime über Nacht
bebrütet werden, wachsen und sich vermehren, diffundieren die Antibiotika aus der
Filterscheibe heraus und hemmen das Keimwachstum rund um die Scheibe.
Daher ist im Anschluss an die Bakterienisolierung aus Proben eine weitere Inkubation
über Nacht erforderlich, ehe das Ergebnis der Empfindlichkeitstestung (Antibiogramm)
vorliegt. Diese Methode wird aus wirtschaftlichen Gründen am häufigsten angewandt.
Die Ergebnisse des Agardiffusionstestes müssen jedoch aus verschiedenen Gründen als
minderwertig beurteilt werden. Die nach DIN (Deutsches Institut für Normung)
empfohlene Methode zur Empfindlichkeitstestung der meisten Bakterien ist die
Bouillon-Mikrodilution. Ausführlicher sind Methoden der Empfindlichkeitstestung in
Kap. 33 beschrieben.
1013
Bakterien von medizinischer Bedeutung wurden traditionell anhand einiger typischer
Merkmale vorläufig eingestuft (s. Text). Anhand biochemischer und serologischer
Tests ist dann eine weitere Charakterisierung möglich.
Abb. 32.18 Pilze unter dem Mikroskop.
1014
PCR, s. oben) identifiziert werden, doch die Diagnose wird auch oft durch den
Nachweis von Virusantigenen oder spezifischer Antikörper im Patientenserum
gestellt (s. unten).
Abb. 32.19 Auch wenn sich einige Parasiten im
Labor anzüchten lassen, werden sie meist anhand
ihres mikroskopischen Erscheinungsbilds in Proben
identifiziert.
1015
■ Erregeridentifizierung (s. oben)
Nach vorhergehender Impfung kann es schwierig, wenn nicht sogar unmöglich sein,
die Ergebnisse bestimmter serologischer Untersuchungen richtig zu interpretieren, weil
die nachweisbaren Antikörper sowohl impf- als auch infektionsbedingt sein könnten
(z.B. Widal-Test zur serologischen Diagnose von Typhus abdominalis, s. Kap. 22).
1016
die gewöhnlich ausgefällt werden. Noch ausgeprägter sind Präzipitationsreaktionen,
wenn Antigene und Antikörper durch Agar-Gele aufeinander zu diffundieren (Abb.
32.20).
1017
Abb. 32.20 Doppeldiffusion und Immunpräzipitation
in Agar-Gel.
Soll Serum auf Antikörper untersucht werden, wird es mit einem bekannten Antigen
vermischt und nachträglich Komplement hinzugefügt. Sind Antikörper vorhanden,
bilden sich Antigen-Antikörper-Komplexe, die einen Teil oder das gesamte
Komplement verbrauchen. Um den Komplementverbrauch zu messen, werden
Indikator-Erythrozyten ergänzt, die mit einer Antikörpermenge unterhalb der
Agglutinationsschwelle beschichtet sind; übrig gebliebene Komplementreste werden
1018
eine Lyse dieser Indikatorzellen bewirken. Alternativ lässt sich ein Standard-
Antiserum als Suchtest für Antigene in Serumproben verwenden.
1019
Manche Viren (z.B. Grippe-/Influenzaviren) haben Hämagglutinine in ihrer
Außenhülle, die zur Hämagglutination führen, wenn Viruspartikel und
Erythrozyten vermischt werden. Spezifische Antikörper können die
Hämagglutination jedoch verhindern (hemmen). Dieser Test eignet sich daher zum
Nachweis von Influenzavirus-Antikörpern im Patientenserum.
1020
Im Fall zytopathischer Viren kann die Verhinderung ihres zytopathischen Effekts
durch das Patientenserum als Antikörpernachweis dienen. Sie werden als
„neutralisierende Antikörper“ bezeichnet. Auf wichtige Anwendungsbereiche
dieser Methode wird in den jeweiligen klinischen Kapiteln (s. Kap. 18–30) näher
eingegangen.
Abb. 32.23 Zur serologischen Diagnose einer Reihe
von Infektionen stehen KBR-Tests
(Komplementbindungsreaktion) zur Verfügung.
1021
Streptolysin-O-Toxin führt zur Lyse von roten Blutzellen. Beim ASO-Test wird
Serum so lange verdünnt, bis die enthaltenen Antikörper nicht mehr verhindern
können, dass es durch eine Standard-Toxinkonzentration zur Lyse kommt. Das
beinhaltet auch negative und positive Kontrollen (rechts).
1022
Die Aktivität einzelner Komplementfaktoren lässt sich
1023
Zur Beurteilung der Phagozytoseaktivität wird der
Nitroblautetrazolium(NBT)-Test angewandt
Mit dem Nitroblautetrazolium(NBT)-Test lässt sich untersuchen, inwieweit Neutrophile
zur Phagozytose befähigt sind und gleichzeitig molekularen Sauerstoff reduzieren
können. Wird der gelbe NBT-Farbstoff zu Blutproben hinzugefügt, bildet er Komplexe
mit Heparin oder Fibrinogen, die von Neutrophilen phagozytiert werden (nach
Aktivierung durch ein exogenes Endotoxin). Die von den stimulierten Neutrophilen
aufgenommenen Farbstoffkomplexe ersetzen Sauerstoff, der normalerweise als Substrat
für den Reduktionsprozess dient, an dessen Ende das unlösliche blaue Formazan entsteht
(Abb. 32.26).
32.7.1 Lymphozyten
1024
a) Im Normalfall werden bei der Phagozytose reaktive Sauerstoff-
Zwischenprodukte (reactive oxygen intermediates, ROI) in Monozyten und
Polymorphkernigen aktiviert und das gelbe NBT in blauviolettes Formazan
überführt. b) Patienten mit chronischer Granulomatose (CGD) bilden jedoch keine
ROI, so dass der Farbstoff gelb bleibt (mit freundlicher Genehmigung von A.R.
Hayward).
Abb. 32.27 Immunfluoreszenztechnik zur
Darstellung von Differenzierungsmolekülen auf
Lymphozyten.
1025
Um ihre Oberflächenmoleküle zu entdecken, lässt man die Zellen einer Probe nach
dem Anfärben mit spezifisch fluoreszierenden Reagenzien einzeln hinter einem
Laserstrahl her strömen. Bei jeder Zelle werden Größe (Lichtstreuung nach vorn)
und Granulation (90°-Lichtstreuung) sowie Rot- und Grünfluoreszenz gemessen,
um unterschiedliche Oberflächenmarker zu erkennen. Die dreidimensionalen
Grafiken zeigen neben einer ganzen Lymphozytenpopulation (links) auch CD8-
positive Zellen, die durch Zellseparierung gewonnen und mit anti-CD8 gefärbt
wurden (rechts).
1026
Abb. 32.29 Verzögerte Hypersensitivität vom
Tuberkulintyp.
1027
Abb. 32.30 Beurteilung der Lymphozytenstimulation
nach Inkorporation von radioaktiv markiertem
Thymidin.
Hohe Werte weisen auf eine Zellproliferation hin und bestätigen damit die
Antigenempfindlichkeit der Lymphozyten
1028
Abb. 32.31 Messung der zytotoxischen Aktivität
humaner Lymphozyten.
■ Urin
■ Stuhl
■ Genitalabstrichen
■ Augenabstrichen
■ Liquor
■ Eiter
1029
■ Blut
FRAGEN
1 Nennen Sie jeweils drei Körperstellen, die normalerweise steril bzw. von
kommensaler Normalflora besiedelt sind.
2 Welche Proben würden Sie entnehmen, um folgende Diagnosen zu sichern:
a) Harnwegsinfektion
b) Meningitis
c) Osteomyelitis
d) Malaria?
3 In welchem Probenmaterial lassen sich Antikörper nachweisen? Was ist in
Bezug auf den Zeitpunkt der Probenentnahme wichtig?
4 Wann ist frühestens mit dem Ergebnis der Laboruntersuchung zu rechnen:
a) bei signifikanter Bakteriurie (Mittelstrahlurinprobe) eines Patienten mit
Dysurie
b) bei mikroskopischen Anzeichen für eine Infektion im Liquor eines
jungen Patienten mit Nackensteife
c) bei Testung der Antibiotikaempfindlichkeit von Staphylococcus aureus
(nach Isolierung aus der Blutkultureines Fieberpatienten)?
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
1030
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1031
33 Antimikrobielle Wirkstoffe und Chemotherapie
33.1 Selektive Toxizität 508
1032
33.13 Antituberkulotika 531
1033
Zur Orientierung
Die wechselseitigen Beziehungen zwischen Wirt, Erreger und Wirkstoffen kann man sich
als Dreieck vorstellen, bei dem sich jede Veränderung einer Seite unvermeidlich auf die
beiden anderen auswirkt (Abb. 33.1). In diesem Kapitel werden zwei Seiten dieses
Dreiecks näher beleuchtet:
1034
Am anderen Ende des Spektrums befinden sich die Viren, die durch ihre obligat
intrazelluläre Lebensweise schwierig anzugreifen sind – ein wirksames Mittel gegen
Viren muss in Wirtszellen eindringen können, darf aber nur virusspezifische Ziele
hemmen bzw. schädigen. Wünschenswerte Eigenschaften eines idealen antimikrobiellen
Mittels sind in Tab. 33.1 zusammengestellt.
Die heute klinisch gebräuchlichen antimikrobiellen Wirkstoffe leiten sich zwar meist von
natürlichen Fermentierungs- bzw. Gärungsprodukten her, sind aber mehrheitlich
semisynthetisch, d.h. chemisch verändert worden, um ihre antibakteriellen oder
pharmakologischen Eigenschaften zu verbessern. Einige Wirkstoffe (wie Sulfonamide
oder Chinolone) sind vollsynthetisch. Daher sollte man besser von „antimikrobiellen“
oder „antibakteriellen“ Mitteln statt von „Antibiotika“ sprechen. Obwohl sich auch Mittel
gegen Pilze und Parasiten unter antimikrobiellen Wirkstoffen subsumieren lassen, sind in
dem Fall „Antimykotika“ bzw. „Antihelminthika“ gebräuchlichere Bezeichnungen.
1035
Neue Wirkstoffe wurden oft durch reinen Zufall entdeckt, wenn pharmazeutische Firmen
mit massenhaften Boden-Screening-Programmen nach Mikroorganismen mit
antibiotischer Wirkung suchten. Doch mit umfassenderen Kenntnissen über die
Wirksamkeit vorhandener Substanzen konnten diese Prozesse rationalisiert werden, so
dass jetzt entweder gezielt nach neuen natürlichen Produkten mit einem bestimmten
Angriffsziel gesucht wird oder entsprechende Wirkstoffe synthetisiert werden. Seit
kurzem gibt es auch Ansätze dazu, das Genom nach neuen (noch unerforschten)
Angriffszielen zu untersuchen. Die einzelnen Schritte zu einem rationalen
Entwicklungsprogramm für antimikrobielle Wirkstoffe sind in Tab. 33.2
zusammengefasst.
■ Angriffspunkt oder
■ chemischer Struktur
klassifiziert werden.
Von ähnlich überragender Bedeutung wie Pasteur für die (Immun-)Mikrobiologie ist
Paul Ehrlich als „Vater der Immunchemie“. Er leistete außerordentliche
wissenschaftliche Beiträge zu allen Gebieten der Medizin. Ehrlich äußerte als Erster
1890 die Vermutung, Fremdantigene könnten von „Seitenketten“ an Zellen erkannt
werden; doch es dauerte noch 70 Jahre, bis seine brillante Idee bestätigt wurde.
Das Konzept der selektiven Toxizität begann sich abzuzeichnen, als Ehrlich sich mit
der Behandlung von Trypanosomeninfektionen befasste, wie folgendes Zitat zeigt:
1036
„Aber meine Herren, es sollte klar sein, dass sich diese Aufgabe im Allgemeinen viel
schwieriger bewerkstelligen lässt als eine Serumtherapie. Im Unterschied zu
Antikörpern können diese Chemotherapeutika schädlich für den Körper sein. Will man
ein solches Mittel einem Kranken geben, muss hinsichtlich seiner Toxizität für Erreger
und den Wirtorganismus ein Unterschied bestehen. Wir müssen uns immer der
Tatsache bewusst sein, dass sich diese Mittel genauso auf andere Körperbereiche wie
auf die Parasiten auswirken können.“
Wie Pasteur begriff auch Ehrlich den ganzen Körper als Kontinuum – bis zu den
Zellen und der dreidimensionalen Struktur der Moleküle – und betonte sein Leben
lang die Bedeutung, die molekulare Interaktionen als Grundlage sämtlicher
biologischen Funktionen hätten. Dies kommt in seinem berühmten Leitsatz „Corpora
non agunt nisi fixata“ (oder „Nur wenn sich Dinge berühren, interagieren sie“) zum
Ausdruck.
1908 erhielt Paul Ehrlich den Nobelpreis. Weil er Jude war, wurde sein Name unter
dem Naziregime systematisch aus allen Aufzeichnungen getilgt. Mit allen Ehren
rehabilitiert wurde er, als anlässlich des 7. Internationalen Immunologie-Kongresses in
Berlin 1989 sein früheres Labor (Paul-Ehrlich-Institut) wiedererrichtet wurde.
1037
Eine geläufige Einteilung antibakterieller Mittel erfolgt nach ihrem Wirkort oder
Angriffsziel. Mit dieser Klassifizierung lässt sich zwar nicht genau vorhersagen, welcher
Stoff bei welchen Bakterien wirksam sein wird, doch sie trägt zu einem besseren
Verständnis der molekularen Grundlagen der antibakteriellen Wirkung bei und kann
zudem viele Syntheseprozesse in Bakterien aufklären. Die fünf Hauptangriffspunkte
für antibakterielle Mittel sind:
■ Zellwandsynthese
■ Proteinsynthese
■ Nukleinsäuresynthese
■ Stoffwechselwege
■ Zellmembranfunktionen
Da sich Bakterienzellen in Bezug auf diese Angriffsziele mehr oder weniger stark von
den Wirtszellen unterscheiden, geht ihre Hemmung nicht mit gleichzeitiger Hemmung
der (Säugetier-)Wirtszellen einher (selektive Toxizität antibakterieller Mittel).
1038
Antibakterielle Wirkstoffe haben unterschiedliche
chemische Strukturen
Die chemische Struktur allein ist zu unterschiedlich, um für die Einteilung von
Wirkstoffen von praktischem Nutzen zu sein. Doch in Verbindung mit dem
Angriffspunkt ermöglicht die chemische Struktur eine sinnvolle vorläufige Zuordnung
zu spezifischen Wirkstoffklassen oder -familien, die weiter unten besprochen werden.
Ähnlich ist es mit Bakterien; einige sind von Natur aus resistent und andere erwerben
Resistenz. Mit anderen Worten: Manche Spezies sind natürlich (angeboren) resistent
gegen bestimmte Antibiotikaklassen, weil ihnen das Angriffsziel fehlt oder der Wirkstoff
nicht zu ihnen durchdringt. Mit ihrer Außenhülle um die Peptidoglykan-Zellwand sind
Gram-negative Stäbchen nicht so durchlässig für Makromoleküle wie Gram-positive
1039
Bakterien. Doch auch bestimmte Stämme von Natur aus empfindlichen Bakterien können
Resistenzen entwickeln oder erwerben.
Durch solche spontanen Mutanten haben manche Erreger bei einer Antibiotikatherapie
einen selektiven Vorteil gegenüber empfindlichen Erregern, die sie überleben oder
überwuchern können (Abb. 33.3a). Auch ein Übergreifen resistenter Keime auf andere
Körperbereiche desselben Patienten oder eine Disseminierung durch Kreuzinfektion
mit anderen Patienten ist möglich. Chromosomale Mutationen kommen relativ
selten vor (d.h. meist nur in 1 von 106–108 Keimen) und machen im Allgemeinen nur
gegen eine einzelne Antibiotikaklasse resistent (d.h., sie bewirken eine
„Kreuzresistenz“ gegen strukturell verwandte Substanzen).
1040
Die „infektiöse Resistenz“ wurde von japanischen Forschern zunächst bei der
Untersuchung von Darmbakterien beschrieben, ist aber inzwischen als verbreitetes
Phänomen im ganzen Bakterienreich bekannt. Einige „promiskuitive“ Plasmide
überschreiten Speziesschranken, so dass dasselbe Resistenzgen bei völlig
unterschiedlichen Bakterien anzutreffen sein kann. So kommt TEM-1, die am
häufigsten von Plasmiden übertragene Betalaktamase Gram-negativer Bakterien, z.B.
nicht nur verbreitet bei E. coli und anderen Enterobakterien vor, sondern ist auch für
die Penicillinresistenz von Neisseria gonorrhoeae bzw. die Ampicillinresistenz von H.
influenzae verantwortlich.
1041
Abb. 33.2 Zeitschema zur chronologischen
Entwicklung der Antibiotikaresistenz bei Gram-
positiven Kokken.
1042
Abb. 33.3 Verschiedene Arten des
„Resistenzerwerbs“.
1043
Resistenz kann auch über Transposons und andere
bewegliche Elemente erworben werden
Resistenzgene können sich auch auf Transposons befinden. Von diesen
„springenden“ Genen in einem Replikationsprozess erzeugte Kopien können in ein
Bakterienchromosom oder in Plasmide integriert werden (s. Kap. 2). Im Chromosom
finden die Gene zwar eine stabilere Lage, können sich aber nicht schneller verbreiten
als sich die Bakterienzelle teilt. Wenn sich Kopien von Transposons vom Chromosom
zu Plasmiden bewegen, erfolgt eine sehr viel raschere Disseminierung. Um die
Streuung von Resistenzgenen noch mehr zu beschleunigen, kann auch eine
Übertragung zwischen Plasmiden (z.B. von stationären auf bewegliche/übertragbare)
stattfinden (Abb. 33.3c).
Wie in Abb. 33.4a gezeigt, wird im Integron an einer spezifischen Stelle ein
Rekombinationsenzym (Integrase) vom int-Gen kodiert, das die Insertion – und
genauso Exzision – von Antibiotika-Resistenzgen-Kassetten an der Anheftungsstelle
(att) des Integrons ermöglicht. Solche Kassetten bestehen aus dem Resistenzgen und
zusätzlichen Sequenzen mit einer „attachment region“. Nach der klassischen Art von
Operonen wird die Transkription der inserierten Gene von einem starken Integron-
Promoter kontrolliert.
33.4.2 Resistenzmechanismen
Resistenzmechanismen lassen sich grob in drei Hauptarten unterteilen, die im
Folgenden und in Tab. 33.3 zusammengefasst sind, auf die aber weiter unten im
Zusammenhang mit einzelnen Antibiotika (sofern sie eine Rolle spielen) noch näher
eingegangen wird. Bei allen Resistenzen gegen antibakterielle Mittel, die bisher
aufgeklärt werden konnten, scheint eine Synthese neuer oder veränderter Proteine der
entscheidende Faktor zu sein. Wie oben erwähnt, können sich diese proteinkodierenden
Gene auf Plasmiden oder im Chromosom befinden.
Verändertes Angriffsziel
1044
Das Angriffsziel kann in einer Art und Weise verändert sein, dass die antibakterielle
Substanz nur noch mit geringerer Affinität an den Angriffspunkt bzw. Wirkort
gebunden wird. Der Metabolismus funktioniert unverändert. Alternativ kann ein
zusätzlicher Angriffspunkt (z.B. ein zusätzliches Enzym) synthetisiert werden.
Abb. 33.4 Grundstruktur eines Integrons (a) und
Beziehungsebenen zwischen Integronen und
anderen DNA-Elementen (b).
1045
Inaktivierung antibakterieller Wirkstoffe durch
enzymatische Modifikation/Zerstörung
Es gibt viele Beispiele derartiger Enzyme, doch die wichtigsten sind:
■ Betalaktamasen
■ Aminoglykosid-modifizierende Enzyme
■ Chloramphenicol-Acetyltransferasen
33.5 Antibiotikaklassen
Nachfolgend geht es um antibakterielle Wirkstoffe, die aufgrund ihres
Angriffspunkts/Wirkorts und ihrer chemischen Struktur zu unterschiedlichen Gruppen
(Klassen) zusammengefasst werden können. Bei der Darstellung wird versucht, auf alle
Fragen, die sich aus Tab. 33.4 ergeben, eine Antwort zu geben und dabei die Beziehungen
zwischen Antibiotika und Bakterien sowie zwischen Antibiotika und Patienten zu
berücksichtigen (d.h. zwei Seiten des in Abb. 33.1 gezeigten Dreiecks).
1046
Tab. 33.4 Was muss ich über ein antibakterielles Mittel wissen?
1047
33.6 Zellwand-Synthesehemmer
Peptidoglykane sind ein lebenswichtiger Bestandteil der Bakterienzellwand (s. Kap. 2).
Dass sie nur bei Bakterien vorkommen, macht sie zum idealen Angriffsziel im Sinne der
selektiven Toxizität. Die Synthese beginnt mit Peptidoglykan-Vorstufen (Präkursoren) im
Zytoplasma; Untereinheiten werden durch die Zytoplasmamembran hindurchtransportiert
und schließlich in das wachsende Peptidoglykanmolekül der Zellwand eingebaut. Für
Inhibitoren bieten sich in den jeweiligen Stadien verschiedene Angriffspunkte (Abb.
33.5).
33.6.1 Betalaktame
1048
Abb. 33.5 Peptidoglykan-Synthese.
1049
Neben den mehrheitlich intramuskulär oder intravenös zu injizierenden Betalaktamen
gibt es einige oral zu verabreichende Wirkstoffe. Da die Blut-Hirn-Schranke bei
Hirnhautentzündung durchlässiger wird, lassen sich bei Meningitis meist
therapeutische Wirkstoffkonzentrationen im Liquor erzielen. Gegen intrazelluläre
Erreger sind Betalaktame im Allgemeinen unwirksam.
1050
Neuentwicklungen stehen andere Vertreter (besonders Carbapeneme und
Monobactame) im Mittelpunkt des Interesses.
Es ist wichtig, daran zu denken, dass Betalaktame unwirksam sind, wenn Bakterien
keine Zellwand (z.B. Mykoplasmen) oder eine nahezu undurchlässige Zellwand haben
(wie Mykobakterien) oder wenn es sich um intrazelluläre Erreger handelt (Brucellen,
Legionellen und Chlamydien).
Betalaktam-Resistenz
Das zusätzliche PBP wird von einem Gen (mecA) kodiert, das zwar im Chromosom
sämtlicher Zellen einer resistenten Bakterienpopulation vorhanden ist, aber offenbar
nur bei einem bestimmten Prozentsatz transkribiert wird. Dieses Phänomen ist als
„heterogene Resistenz“ bekannt. Um die Expression zu verstärken und diese
Resistenz nachzuweisen, werden im Labor Spezialkulturen angewandt. Methicillin-
resistente Staphylokokken sind auch gegen alle anderen Betalaktam-Antibiotika
resistent. Die meisten Stämme bilden auch Betalaktamasen (s. unten).
1051
weisen oft eine Kreuzresistenz gegen nicht verwandte Antibiotika auf, die ebenfalls
Porine als Zugang benutzen.
1052
Abb. 33.7 Rolle der PBP.
1053
katalysieren, bevor sie in die Zellwand eingebaut werden. Betalaktame können in
Bakterienzellen eindringen (z.B. durch Poren in der Außenhülle Gram-negativer
Bakterien) und an die PBP binden, so dass die Quervernetzung der
Wandbausteine nicht mehr katalysiert wird; stattdessen häufen sich die
Wandbausteine in der Bakterienzelle an und bewirken die Freisetzung
autolytischer Enzyme, die zur Zytolyse führen. Im periplasmatischen Raum
Gram-negativer Bakterien (b) können Betalaktame durch Betalaktamasen
inaktiviert werden, bevor sie ihr Ziel-PBP erreichen; daher ist die Zelle vor der
Antibiotikawirkung geschützt. Alternativ scheitert die Bindung von
Betalaktamen, weil PBP-Mutanten vorliegen, so dass die Peptidoglykansynthese
doch abgeschlossen werden kann. Bei Gram-positiven Bakterien (a) können
Betalaktam-Antibiotika entweder extrazellulär von Betalaktamasen zerstört oder
– wie bei Gram-negativen Bakterien – durch PBP-Mutanten unwirksam werden.
Nebenwirkungen
1054
Tab. 33.5 Repräsentative Auswahl von
Betalaktamen.
1055
Abb. 33.8 Betalaktamase-Hemmer und
Kombinationspräparate.
Clavulansäure ist ein Produkt von Streptomyces clavuligerus, das viele der
üblichen Betalaktamasen (z.B. TEM-Enzyme) hemmt bzw. es Amoxicillin
ermöglicht, die bakterielle Produktion dieser Enzyme zu verhindern. Als
Präparat mit beiden Wirkstoffen wird am häufigsten Augmentan eingesetzt.
Verfügbar sind auch Kombinationen mit Ticarcillin und Clavulansäure sowie mit
Piperacillin und Tazobactam.
33.6.2 Glykopeptide
Glykopeptide wirken bakterizid und greifen in die Zellwandsynthese ein, indem sie
das terminale D-Alanin-D-Alanin-Ende der Pentapeptidketten besetzen, die ein
struktureller Bestandteil der wachsenden Bakterienzellwand sind (Abb. 33.5). Durch
diese Bindung wird die Transglykosylierungsreaktion gehemmt und verhindert, dass
neue Untereinheiten in die wachsende Zellwand eingebaut werden. Da Glykopeptide
auf einer früheren Stufe der Zellwandsynthese eingreifen als Betalaktame, ist es nicht
sinnvoll, Infektionen kombiniert mit beiden Mitteln zu behandeln.
1056
Bei systemischen Infektionen müssen Vancomycin
und Teicoplanin als Injektion verabreicht werden
Vancomycin und Teicoplanin werden nicht aus dem Gastrointestinaltrakt resorbiert
und sind normalerweise auch nicht liquorgängig. Doch bei Meningitis können meist
bakterizide Wirkstoffkonzentrationen erreicht werden, weil die Blut-Hirn-Schranke
dann durchlässiger ist. Glykopeptide werden über die Nieren ausgeschieden.
Glykopeptid-Resistenz
1057
Am besten wird die Resistenzentwicklung durch VanA
verstanden
Die Glykopeptid-Resistenz vom Typ VanA wurde besonders ausgiebig untersucht und
ist dadurch gekennzeichnet, dass sich eine High-Level-Resistenz gegen Vancomycin
und Teicoplanin induzieren lässt. VanA ist mit transponierbaren
Durch VanB wird eine High-Level-Resistenz gegen Vancomycin, nicht aber gegen
Teicoplanin induziert (allerdings kann nach vorausgegangener Exposition mit
Vancomycin auch eine Teicoplanin-Resistenz entstehen). Die chromosomal oder
plasmidvermittelte VanB-Resistenz ist mit einem sehr großen (34 kb) Transposon
verbunden, mit Tn1549.
VanD ist ans Chromosom gebunden (daher nicht übertragbar) und bewirkt eine
konstitutive Resistenz gegen hohe Vancomycin- und niedrige Teicoplanin-
Konzentrationen.
1058
beteiligt zu sein, die sich auf die Zusammensetzung der Zellwand auswirken (z.B. die
Wanddicke verstärken).
Leider lässt sich eine hochgradige Glykopeptid-Resistenz auch schon bei S. aureus
beobachten. Sie scheint auf einem (offensichtlich von Vancomycin-resistenten
Enterokokken erworbenen) VanA-Gen zu beruhen, das sich auf einem
Staphylokokken-Plasmid befindet.
Nebenwirkungen
33.7 Proteinsynthesehemmer
Obwohl die Proteinsynthese von Eu- und Prokaryonten im Wesentlichen in ähnlichen
Schritten abläuft, lässt sich durch Ausnutzen der Unterschiede (z.B. 70S- statt 80S-
Ribosom) eine selektive Toxizität erreichen. Die Translation der Messenger-RNA
(mRNA) in ihre entsprechende Peptidkette ist ein komplexer Prozess, den man mit einer
Reihe antibakterieller Mittel hemmen kann, auch wenn die Wirkmechanismen noch nicht
in allen Einzelheiten aufgeklärt sind (Abb. 33.9).
1059
33.7.1 Aminoglykoside
1060
Die äußerst komplexen Abläufe hierbei sind noch immer nicht ganz aufgeklärt.
Hier können unterschiedliche Wirkstoffgruppen über spezifische Reaktionen mit
Proteinen ihre hemmende Wirkung auf die Synthese entfalten. Unterschieden
werden sie nach Gruppen, die auf die 30S-Untereinheit (z.B. Aminoglykoside und
Tetrazykline) bzw. auf die 50S-Untereinheit des Ribosoms (z.B. Chloramphenicol,
Lincosamide, Erythromycin und Fusidinsäure) einwirken.fmet-tRNA =
Formylmethionin-Transfer-RNA
1061
Streptomycin bleibt inzwischen fast ausschließlich der Therapie mykobakterieller
Infektionen vorbehalten. Neomycin wird nicht systemisch angewandt, kann aber oral
z.B. bei neutropenischen Patienten zur Darmdekontamination eingesetzt werden.
T
Tab. 33.7 Chemische Gruppenstruktur der Aminoglykoside.
*
-micine stammen von Micromonospora-Spezies ab
**
mycine stammen von Streptomyces-Spezies ab
1062
Aminoglykosid-Antibiotika unwirksam machen (inaktivieren). Das Resistenzspektrum
eines Erregers hängt von der Art des Enzyms ab.
33.7.2 Tetrazykline
1063
Tetrazykline sind bakteriostatische Mittel, die sich
mehr durch ihre pharmakologischen Eigenschaften
als durch ihr Wirkspektrum unterscheiden
An den großen ringförmigen Strukturen der Tetrazykline bietet sich an mehreren
Stellen die Möglichkeit für chemische Substitutionen (Abb. 33.11).
Tetrazykline hemmen die Proteinsynthese, indem sie sich an die kleine ribosomale
Untereinheit binden und auf diese Weise verhindern, dass die Aminoacyl-Transfer-
RNA die Akzeptorstellen des Ribosoms besetzen kann (Abb. 33.9). Dieser Vorgang
kann sich zwar an Ribosomen sowohl eukaryoter wie prokaryoter Zellen abspielen,
doch die selektive Wirkung der Tetrazykline kommt durch ihre stärkere Aufnahme in
Prokaryonten zustande.
1064
Aminohexosen sind glykosidisch mit einem zentralen 2-Desoxystreptamin-
Kerngerüst verbunden. An den Hydroxyl- und Aminogruppen können
Aminoglykoside durch Phosphorylierung, Adenylierung oder Acetylierung
inaktiviert werden, wenn resistente Stämme die entsprechenden katalysierenden
Enzyme produzieren.
1065
In der Schwangerschaft und bei Kindern unter acht
Jahren sollten Tetrazykline nicht angewandt werden
Da sie die normale Darmflora schädigen, können Tetrazykline gastrointestinale
Störungen mit Diarrhoen auslösen und eine Überwucherung durch resistente oder
pathogene Bakterien (wie S. aureus) und Pilze (z.B. Candida) begünstigen.
1066
Abb. 33.11 An den vier Ringen der Tetrazyklin-
Moleküle gibt es fünf verschiedene Stellen für eine
Substitution.
33.7.3 Chloramphenicol
1067
Chloramphenicol wird nach oraler Gabe gut resorbiert, kann aber Patienten, die per
os nichts zu sich nehmen können, i.v. injiziert werden. Topische Präparate sind
ebenfalls erhältlich. Chloramphenicol verteilt sich gut im Körper und dringt in
Wirtszellen ein. Durch Konjugation mit Glukuronsäure wird es in der Leber abgebaut
und dann in mikrobiologisch inaktiver Form über die Nieren ausgeschieden.
1068
Einige Bakterien entwickeln Resistenz gegen Chloramphenicol, indem sie ein
Enzym (Chloramphenicol-Acetyltransferase) bilden, das die Bindung weiterer
Acetylgruppen an das Chloramphenicol-Molekül katalysiert. Die in zwei Schritten
ablaufende Reaktion führt zur inaktiven acetylierten Form von Chloramphenicol.
Chloramphenicol ist auch für Neugeborene toxisch und kann vor allem bei
Frühgeborenen, deren Leberenzymsystem noch unterentwickelt ist, zu einem „Gray-
Baby-Syndrom“ führen. Daher müssen die Chloramphenicol-Serumkonzentrationen
bei Neugeborenen engmaschig überwacht werden.
Makrolide
1069
Erythromycin ist das Makrolid mit den breitesten
Einsatzmöglichkeiten und verhindert die Freisetzung
von Transfer-RNA aus Peptidbindungen
Makrolide sind große, ringförmige Moleküle mit einem makrozyklischen Lacton-
Ring (Abb. 33.13), die alle bakteriostatisch wirken. Noch ist Erythromycin das
bekannteste und am breitesten anwendbare Makrolid, doch neuere Mittel (wie
Azithromycin und Clarithromycin) mit verbesserter Pharmakokinetik und
Wirksamkeit könnten es bei bestimmten Indikationen bald ersetzen. Spiramycin, ein
weiteres Makrolid, wird fast ausschließlich zur Behandlung der Kryptosporidiose
und zur Prävention der kongenitalen Toxoplasmose eingesetzt.
Abb. 33.13 Makrolide sind antibakterielle
Wirkstoffe, deren relativ große Molekülstruktur aus
14-, 15- oder 16-gliedrigen Ringen besteht.
Erythromycin ist das älteste Mittel und wird sehr breit angewandt, doch die
Entwicklung neuer Mittel mit verbesserter Wirksamkeit und geringeren
Nebenwirkungen geht weiter.
Erythromycin bindet an die 23S-ribosomale RNA (rRNA), die sich in der 50S-
Untereinheit des Ribosoms befindet, und blockiert dadurch den
1070
Translokationsschritt der Proteinsynthese; daher wird nach Bildung der
Peptidbindungen keine Transfer-RNA freigesetzt (Abb. 33.9).
Erythromycin wird meist oral verabreicht, kann aber bei Bedarf auch i.v. injiziert
werden. Es verteilt sich gut im Körper und kann in Säugetierzellen auch bis zu
intrazellulären Erregern vordringen. In der Leber gebildete Wirkstoffkonzentrate
werden in die Galle ausgeschieden und ein kleinerer Teil der Dosis kann im Urin
nachweisbar sein.
Für die Resistenzentwicklung sind in erster Linie plasmidkodierte Gene (mef oder
erm), ein Effluxmechanismus oder eine Veränderung an der 23S-rRNA-
Bindungsstelle (durch Methylierung von zwei RNA-Adeninnukleotiden)
verantwortlich. Das Enzym Methylase kann entweder induzierbar oder konstitutiv
exprimiert sein. Resistenz wird zwar eher durch Erythromycin als durch
Lincosamide erzeugt, doch da resistente Stämme auch gegen Lincomycin und
Clindamycin resistent sind, spricht man von „MLS-(Makrolid-Lincosamid-
Streptogramin)-Resistenz“.
Wie leicht eine Resistenz induzierbar ist, hängt jeweils von der Bakterienspezies ab;
resistente Stämme kommen aber besonders bei Gram-positiven Kokken (Staphylo-
und Streptokokken) vor. Im Unterschied zur Methylierung wirkt sich der gesteigerte
Efflux nur auf Makrolide aus, ohne auch gegen Lincosamide oder Streptogramine
resistent zu machen.
1071
Erythromycin ist relativ nebenwirkungsarm (kaum
toxisch)
Bei einer beträchtlichen Zahl von Patienten treten nach oraler Einnahme von
Erythromycin Übelkeit und Erbrechen auf. Einige Präparate können zu Gelbsucht
führen.
Lincosamide
Clindamycin wird meist oral verabreicht, kann aber auch (i.v. oder i.m.) injiziert
werden und dringt gut in Knochengewebe ein. Es ist aber nicht liquorgängig, nicht
einmal bei einer Hirnhautentzündung. Clindamycin wird in polymorphkernigen
Leukozyten und Makrophagen zur Leber transportiert und dort metabolisiert. Die
Abbauprodukte zeigen unterschiedliche antibakterielle Wirksamkeit, und manchmal
kann die Aktivität noch bis zu fünf Tage nach einer Clindamycin-Dosis im Stuhl
nachwirken.
1072
Viele Antibiotika können zu einer pseudomembranösen Kolitis führen (zur
Pathogenese dieser Komplikation s. Kap. 22), die mit Metronidazol oder
Vancomycin (oral) behandelt wird.
Streptogramine
Derzeit ist ein Kombinationspräparat aus Streptogramin A (Dalfopristin) und
Streptogramin B (Quinupristin) verfügbar (Abb. 33.14). Für sich genommen wirken
beide nur bakteriostatisch, doch kombiniert wirken sie synergistisch und bakterizid.
Beide Komponenten binden an die 23S-RNA der großen (50S-)Untereinheit von
Ribosomen (wobei Dalfopristin die Bindung von Quinupristin erleichtert).
Dalfopristin hemmt die Proteinsynthese auf einer früheren Stufe als Quinupristin
(Abb. 33.9), und gemeinsam verhindern sie die Verlängerung (Elongation und
Extension) der Peptidketten.
Eine Streptogramin-Resistenz ist noch selten, kann sich aber durch Veränderungen
an der Quinupristin-Bindungsstelle (MLS-Resistenz, s. oben), durch enzymatische
Inaktivierung oder Efflux entwickeln.
1073
Abb. 33.14 Strukturformel der Streptogramine.
1074
33.7.5 Oxazolidinone
Oxazolidinone sind eine neue Klasse synthetischer bakteriostatischer Wirkstoffe (Abb.
33.15). Derzeit ist nur Linezolid verfügbar, das gegen ein breites Spektrum Gram-
positiver Bakterien (auch multiresistenter Stämme) wirksam ist. Linezolid hemmt die
Proteinsynthese, bevor sie beginnen kann (Abb. 33.9), da es an die 23S-rRNA der 50S-
Untereinheit von Ribosomen bindet und so die Bildung eines funktionell aktiven 70S-
Komplexes verhindert.
Aufgrund der besonderen Wirkungsweise von Linezolid entwickelt sich selten eine
Resistenz (durch Mutation verändertes Angriffsziel), und wenn doch, dann meist bei
Enterococcus faecium. Linezolid wird oral oder intravenös verabreicht und in der Leber
metabolisiert.
33.7.6 Fusidinsäure
Fusidinsäure kann oral oder intravenös zugeführt werden und ist gut resorbierbar. Es
verteilt sich gut in Knochen und Gewebe, ist aber nicht liquorgängig. Topische
Darreichungsformen sind zwar verfügbar, sollten aber restriktiv verwendet werden,
da sich rasch Resistenzen entwickeln können (s. unten). Fusidinsäure wird in der
Leber metabolisiert und in die Galle ausgeschieden.
Abb. 33.15 Strukturformel der Oxazolidinone.
1075
Mitteln kombiniert werden, um Resistenzentwicklung
zu vermeiden
Fusidinsäure ist gegen Gram-positive Kokken wirksam und kommt hauptsächlich
gegen Staphylokokken zum Einsatz, die Betalaktam-resistent sind, oder falls die
Patienten auf andere Mittel allergisch reagieren. Man sollte Fusidinsäure nur
zusammen mit einer anderen Staphylokokken-wirksamen Mittel anwenden, um zu
verhindern, dass resistente Mutanten mit verändertem EF-G auftreten, wie es in
Staphylokokkenpopulationen unter dem Einfluss von Fusidinsäure sehr rasch
geschehen kann.
33.8 Nukleinsäuresynthesehemmer
Die Nukleinsäuresynthese kann durch antibakterielle Wirkstoffe in dreierlei Weise
gehemmt werden (Tab. 33.9).
33.8.1 Chinolone
1076
Die DNA-Gyrase sorgt bei der Replikation des Bakterienchromosoms dafür, dass es
vor der Replikationsgabel des DNA-Strangs nicht zur Überspiralisierung der DNA-
Stränge kommt (supercoils). Ähnlich wirkt die Topoisomerase IV, die nach der
Replikation die neu gebildeten DNA-Tochterstränge auftrennt (Abb. 33.17). Die
richtige räumliche Beziehung der DNA-Stränge wird nach der Replikation durch die
Topoisomerasen wiederhergestellt.
Beide Enzyme stellen also gemeinsam sicher, dass das DNA-Molekül die richtige
Konformation für eine effiziente Replikation hat und in die Zelle hineingepackt
werden kann. Chinolone hemmen diese Enzyme nur bei Bakterien, ohne sich auf
entsprechende Vorgänge in Säugetierzellen auszuwirken.
■ als Mutationen, durch die sich Zielenzyme so verändern, dass es sich auf die
Chinolon-Bindung auswirkt;
1077
Wegen ihrer Sicherheit und Verträglichkeit sind
Chinolone eine Alternative zu Betalaktam-Antibiotika
in der Behandlung verschiedener Infektionen
Da sie gut aus dem Gastrointestinaltrakt resorbiert werden, können Chinolone
vorwiegend oral zugeführt werden, um ausreichende Serumspiegel und eine gute
Verteilung in den Körperkompartimenten zu erreichen. Eliminiert werden sie
hauptsächlich über den Urin und zu einem geringen Teil mit dem Stuhl.
1078
Abb. 33.16 Chinolone bilden eine große Gruppe
synthetischer antibakterieller Wirkstoffe; hier einige
Strukturformeln.
1079
Staphylokokken-Wirksamkeit sind sie jedoch bei Streptokokken- und
Enterokokkeninfektionen nur bedingt einsetzbar (Tab. 33.10).
33.8.2 Rifamycine
Rifampicin wird oral zugeführt, ist gut resorbierbar und verteilt sich sehr gut im
Körper. Es kann die Blut-Hirn-Schranke passieren und hohe Konzentrationen im
Speichel erreichen. Zudem scheint es eine besondere Affinität zu Kunststoffen zu
besitzen, was sich bei infizierten Prothesen als nützlich für die Behandlung erweisen
kann.
Rifampicin wird in der Leber metabolisiert und in die Galle ausgeschieden. Unter der
Behandlung können sich Urin, Schweiß und Speichel der Patienten durch die rote
Substanz orange verfärben. Das mag für die Patienten unangenehm sein, ist aber
harmlos und ein Zeichen ihrer guten Compliance.
1080
entstehen können, sollte die Behandlung nicht länger als höchstens 48 Stunden dauern
(s. Kap. 24).
Zur Resistenz führen chromosomale Mutationen, die eine Veränderung der RNA-
Polymerase bewirken; mit ihrer geringeren Bindungsaffinität zu Rifampicin kann sie
der hemmenden Wirkung entgehen. Durch die zunehmende Prävalenz resistenter M.
tuberculosis wird die Anwendbarkeit von Rifampicin als Antituberkulotikum
zukünftig in Frage gestellt sein.
33.9.1 Sulfonamide
1081
in der Leber und dann in freier Form oder als Abbauprodukte über die Nieren
ausgeschieden.
1082
Die Ringstruktur der Sulfonamide weist große Ähnlichkeit mit der Struktur des
normalen Substrats (PABA) für das Enzym Dihydropteroat-Synthetase auf, das
von Sulfonamiden gehemmt wird. Die zahlreichen verfügbaren Sulfonamide
unterscheiden sich eher in ihren pharmakologischen Eigenschaften als im
Wirkspektrum. Klinisch allgemein gebräuchlich sind nur wenige. Dapson ist
wichtig bei Mycobacterium-leprae-Infektionen und Paraaminosalicylsäure (PAS)
wird gegen M. tuberculosis eingesetzt.
1083
Wie Sulfonamide verhindert auch Trimethoprim die THFA-Synthese, greift aber erst
auf einer späteren Stufe ein und hemmt die Dihydrofolatreduktase (Abb. 33.19). Da
dieses Enzym sowohl in Säugetier- wie in Bakterien- oder Protozoenzellen vorkommt,
beruht die selektive Toxizität von Trimethoprim auf seiner größeren Affinität zum
bakteriellen Enzym.
Abb. 33.19 Tetrahydrofolsäure-(THFA-)Synthese-
Hemmung.
1084
■ Bei einigen Bakterien wirken beide Substanzen synergistisch (d.h., die
Kombination ist wirksamer als die Einzelstoffe).
Trimethoprim (oder Co-trimoxazol) kann oral verabreicht oder i.v. infundiert werden
(allein oder mit einem Sulfonamid). Es wird im Urin ausgeschieden, und zwar bei
Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz rascher als das Sulfonamid, so dass die
synergistische Wirkung von Co-trimoxazol verloren gehen kann.
Abb. 33.20 Der Folsäure-Antagonist Trimethoprim.
1085
Harnwegsinfektionen werden mit Trimethoprim oder
Co-trimoxazol (Kombination mit Sulfamethoxazol)
behandelt
Als Einzelsubstanz ist Trimethoprim gegen Gram-negative Stäbchen (außer
Pseudomonas) wirksam und wird vorwiegend zur Behandlung oder
Langzeitprophylaxe von Harnwegsinfektionen angewandt (s. Kap. 20).
1086
Metronidazol wird gewöhnlich oral oder i.v. verabreicht. Es ist gut resorbierbar und
verteilt sich gut im Gewebe und Liquor. Nach der Metabolisierung werden
Ausgangssubstanz und Metaboliten zum großen Teil im Urin ausgeschieden.
Eine Metronidazol-Resistenz ist relativ selten und scheint mit einem verzögerten
Beginn seiner intrazellulären Aktivierung zusammenzuhängen. Mögliche Gründe sind
schlechtere Aufnahme in die Zelle oder verringerte Reduktase-Aktivität.
1087
Polymyxine sind zyklische Polypeptide, die
Zellmembranstrukturen zerstören und dadurch
bakterizid wirken
Die freien Aminogruppen der Polymyxine wirken wie kationische Detergenzien und
zerstören das Phospholipidgerüst von (Bakterien-)Zellmembranen. Als Vertreter dieser
Familie sind Polymyxin B und E noch am häufigsten klinisch in Gebrauch.
33.13 Antituberkulotika
1088
Infektionen mit M. tuberculosis und anderen
Mykobakterien erfordern eine längere Behandlung
Mykobakteriosen (Infektionen mit M. tuberculosis und anderen Mykobakterien)
bereiten Medizinern und Pharmaindustrie enorme Schwierigkeiten hinsichtlich
geeigneter Medikamente, weil die Erreger
■ intrazellulär lokalisiert und die Zellen oft noch von massenhaft verkäsendem
Material umgeben sind, so dass Antibiotika ebenfalls kaum zu ihnen vordringen;
■ extrem langsam wachsen und sich vermehren, so dass es bis zur effektiven
Hemmung (und damit Heilung) Wochen oder Monaten dauern kann. Bei
Langzeittherapie kann die regelmäßige Zufuhr des Wirkstoffs zum Problem werden,
daher sind orale Mittel höchst wünschenswert. Daraus folgt aber auch, dass
wahrscheinlich eher mit Resistenz bei den Mykobakterien bzw. mit toxischen
Nebenwirkungen bei den Patienten zu rechnen ist als bei der kurzen Stoßtherapie, mit
der andere bakterielle Infektionen angegangen werden.
33.13.1 Isoniazid
1089
Isoniazid enthält Isonikotinsäurehydrazid, einen Wirkstoff, der Mykobakterien hemmt,
ohne andere Bakterienspezies oder Menschen in größerem Umfang zu beeinträchtigen.
Seine bakterizide Wirkung kommt durch Hemmung der Mycolinsäuresynthese
zustande, was auch seine Spezifität erklärt. Oral verabreicht, wird Isoniazid gut
resorbiert; im Allgemeinen genügt eine Dosis pro Tag (außer in schwierigeren Fällen
von Meningitis oder Miliartuberkulose). Bei Menschen sind neurologische
Komplikationen, die sich aber durch gleichzeitige Zufuhr von Pyridoxin vermeiden
lassen, sowie Hepatitis die wichtigsten toxischen Nebenwirkungen.
33.13.2 Ethambutol
33.13.3 Pyrazinamid
Pyrazinamid ist ein synthetisches Nikotinamid-Analog. Wodurch seine bakterizide
Aktivität zustande kommt, ist nicht bekannt. Nach oraler Gabe wird es rasch aus dem
Magen-Darm-Trakt resorbiert und verteilt sich gut in Geweben und Flüssigkeiten.
Pyrazinamid wird primär in der Leber metabolisiert und über die Nieren ausgeschieden.
Da eine Monotherapie genau wie mit Ethambutol zur Resistenz führen kann, sollte
Pyrazinamid mit anderen „First-line“-Medikamenten kombiniert werden. Seine
wichtigste Nebenwirkung ist die Hepatotoxizität.
Tuberkulosebehandlung
1090
Leprabehandlung
33.14.1 Empfindlichkeitstestung
Laboruntersuchungen zur Bestimmung der Antibiotikaempfindlichkeit lassen sich in
zwei Kategorien einteilen:
■ Agar-Diffusionstests und
■ Dilutions-/Verdünnungstests.
1091
Da Antibiotika zudem unterschiedlich gut in Agar diffundieren können, zeigt die
Größe der Hemmzonen (und nicht lediglich ihr Vorhandensein), wie empfindlich der
Keim ist. Zum Vergleich wird die Hemmzonengröße von Referenzkeimen (die
parallel getestet wurden oder für die Referenzlisten vorliegen) hinzugezogen, um die
Testergebnisse als „S“ (susceptible, empfindlich), „I“ (intermediate, intermediär
empfindlich) oder „R“ (resistent) einstufen zu können. „I“-Ergebnisse bedeuten, dass
unterdurchschnittlich empfindliche Keime noch auf höhere Dosen bzw. an bestimmten
Stellen konzentrierte Antibiotika ansprechen (z.B. auf Antibiotika im Blasenurin, die
über die Nieren ausgeschieden werden).
1092
Abb. 33.21 Diffusionstest.
Von Vorteil der MHK-Bestimmung ist, dass sie erweitert werden kann, um auch die
MBK (minimale bakterizide Konzentration) zu bestimmen, d.h. die niedrigste
Antibiotikakonzentration zur Abtötung der Keime. Um festzustellen, ob ein Mittel
wirklich bakterizid wirkt und nicht nur das Bakterienwachstum hemmt, werden
Testverdünnungen noch auf ein frisches, wirkstofffreies Medium aufgebracht und für
weitere 18–24 Stunden inkubiert (Abb. 33.22). Ein Antibiotikum gilt als bakterizid,
wenn seine MBK gleich der MHK bzw. nicht mehr als viermal höher als die MHK ist.
1093
Ein Nachteil von MHK- und MBK-Tests besteht darin, dass ihr Befund nur punktuell
(zu einem bestimmten Zeitpunkt) abgelesen werden kann. Dynamischer lässt sich die
Empfindlichkeit von Bakterien durch eine Messung über die Zeit bestimmen
(abnehmende Zahl lebender Keime in einer Population, Abb. 33.23). Wie bei MBK-
Tests kann unmöglich für jedes Isolat manuell die Abtötungskurve ermittelt werden,
sondern sinnvoll ist es nur, um nützliche Informationen bei
Behandlungsschwierigkeiten zu gewinnen.
Abb. 33.22 Dilutionstest.
Die Überlebensfähigkeit von Bakterien lässt sich mit einer Reihe automatisierter
Testsysteme (Turbidimetrie, elektrische Impedanzmessung) bestimmen, in denen ein
Antibiotikum als Indikator dient. Diese Geräte führen rascher als die herkömmlichen
Empfindlichkeitstests zu Ergebnissen (innerhalb von ca. 4 Stunden), funktionieren
z.Zt. allerdings noch nicht besonders gut bei anspruchsvollen Keimen (z.B. bei
Neisseria meningitidis, Anaerobiern).
■ synergistisch, wenn ihre Wirkung größer ist als die Summe der
Einzelwirkungen,
1094
■ antagonistisch, wenn ein Wirkstoff die Wirkung des anderen verringert.
33.14.2 Antibiotikatests/-assays
Bisher wurden pharmakokinetische Eigenschaften (Resorption, Verteilung,
Ausscheidung) der antibakteriellen Mittel zusammengefasst. Manche haben einen engen
therapeutischen Bereich, d.h., die zur erfolgreichen Behandlung nötige (therapeutische)
Konzentration unterscheidet sich nur geringfügig von der für den Patienten toxischen
Konzentration. Bei diesen Antibiotika sollten die Konzentrationen sorgfältig
kontrolliert werden, um Toxizität zu vermeiden und um sich zu vergewissern, ob
therapeutische Wirkstoffspiegel erreicht wurden.
Mittel, die weniger toxisch sind, müssen nur in bestimmten Situationen und bei
bestimmten Patienten regelmäßig überwacht werden (Tab. 33.12). Meist werden die
Serumspiegel gemessen, doch unter Umständen müssen auch Urin, Liquor und andere
Körperflüssigkeiten untersucht werden.
1095
Ein dynamischeres Bild von der Interaktion zwischen Antibiotikum und einer
Bakterienpopulation lässt sich aus Abtötungskurven gewinnen. Hier wurde eine
Kultur von 2 × 106 kbE/ml (koloniebildenden Einheiten pro ml) jeweils mit
Antibiotikum A und B allein sowie mit A und B in Kombination behandelt.
Verglichen mit unbehandelten Kontrollen wurde das Bakterienwachstum in der
Kultur sowohl von Antibiotikum A als auch von Antibiotikum B gehemmt, aber B
war wirksamer als A. Bei Kombination von A und B kam es zu einem
synergistischen Effekt (d.h., die Kombination war wirksamer als beide
Einzelaktivitäten zusammen) und auch das bei Einzelgaben der Antibiotika
üblicherweise nach 6–24 Stunden sichtbare erneute Wachstum wurde verhindert.
1096
Abb. 33.24 Unterschiedliche Wirkungen von
Antibiotikakombinationen.
1097
Tab. 33.12 Antibiotikatests/-assays sind in der klinischen Praxis
besonders wichtig bei potenziell toxischen Mitteln, doch es gibt
noch andere Umstände bzw. Situationen.
Das Problem bei der Entwicklung neuer antiviraler Mittel besteht hauptsächlich in der
Schwierigkeit, nur die Virusaktivität zu hemmen, ohne unerwünschte Nebenwirkungen
an Wirtszellen hervorzurufen. Das hängt damit zusammen, dass Viren auf den
Proteinsyntheseapparat der Wirtszellen angewiesen sind. Hinzu kommt, dass bei
Virusinfektionen mit kurzer Inkubationszeit (z.B. der Atemwege durch RSV) die
frühzeitige Diagnose entscheidend für den Erfolg der Chemotherapie ist.
Virusspezifische Replikationsschritte wurden bereits identifiziert (Abb. 33.26), und es
werden zweifellos noch mehr werden, etwa durch den Nachweis virusinduzierter Enzyme.
1098
Amantadin ist z.B. nur gegen das Influenzavirus A, aber nicht gegen B wirksam und
Aciclovir nur gegen HSV und VZV (Herpes-simplex- bzw. Varicella-Zoster-Virus),
aber nicht gegen CMV und EBV (Zytomegalie- bzw. Epstein-Barr-Virus).
Bekannt ist auch, dass sich nach mehrjähriger Behandlungsdauer oft eine Lamivudin-
Resistenz bei HBV entwickelt. Das Problem bei antiviraler Resistenz besteht darin, dass
resistente Varianten oft weniger „replikationsfit“ sind als der Wildtyp-Stamm. In vielen
Fällen hängt das Ansprechen auf antivirale Mittel auch vom Genotyp ab, z.B. bei HBV
und HCV.
1099
Manche Virusinfektionen (wie die CMV-Pneumonitis) haben eine immunpathologische
Grundlage, und in dem Fall wird ein antivirales Mittel mit einem Immunglobulinpräparat
kombiniert, z.B. einem humanen Normal- oder einem virusspezifischen Immunglobulin
(z.B. CMV-Hyperimmunglobulin). Darüber hinaus kann bei Hepatitis C (HCV-Infektion)
auch ein Immunmodulator wie pegyliertes Interferon zusammen mit dem antiviralen
Mittel Ribavirin verabreicht werden.
Abb. 33.26 Angriffspunkte antiviraler Mittel.
Palivizumab ist ein Beispiel für einen „humanisierten“ monoklonalen Antikörper, der zur
Prävention von Infektionen eingesetzt wird, da er das Fusionsprotein von RSV (respiratory
syncytial virus) angreift und eine stark neutralisierende und fusionshemmende Wirkung
hat. Er wird nur in bestimmten Situationen angewandt, z.B. um einer RSV-Infektion der
unteren Atemwege bei Säuglingen vorzubeugen, die in der 35.Schwangerschaftswoche
oder früher geboren wurden und zu Beginn der RSV-Saison noch keine sechs Monate alt
sind – damit sie nicht ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen. Auch Kinder unter
zwei Jahren mit bestimmten respiratorischen oder kardialen Störungen (z.B.
bronchopulmonaler Dysplasie) können mit Palivizumab behandelt werden.
1100
(L-Valyl-Ester von Aciclovir) und Famciclovir. Aciclovir ist ein gutes Beispiel für ein
„Prodrug“, denn es wird erst durch Phosphorylierung aktiviert (Abb. 33.27). Nach
der Phosphorylierung durch die Herpesvirus-Thymidinkinase wird das Aciclovir-
Monophosphat von Zellkinasen in ein Triphosphat überführt, das die HSV-DNA-
Polymerase hemmt.
Da es von den mit HSV infizierten Zellen aufgenommen und phosphoryliert wird,
wirkt sich Aciclovir kaum auf die zelluläre DNA-Polymerase aus, und toxische
Nebenwirkungen wie Neutropenie und Thrombozytopenie sind gewöhnlich nicht
sehr ausgeprägt. Der Wirkstoff wird auch in die Virus-DNA eingebaut und beendet die
Kettenbildung. Da Aciclovir renal eliminiert wird, kann es in den Nieren von
Patienten mit Niereninsuffizienz ausfällen und eine akute Tubulusnekrose
verursachen. Abgesehen davon hat Aciclovir jedoch ein ausgezeichnetes
Sicherheitsprofil.
Die systemische Anwendbarkeit von Aciclovir hat die Behandlung der HSV-
Enzephalitis bzw. der HSV- und VZV-Infektionen von immungeschwächten Patienten
revolutioniert. Auch ein primärer oder Rezidive eines genitalen Herpes lassen sich
wirksam behandeln. Bei Herpes zoster (Gürtelrose) kann Aciclovir den
Heilungsprozess beschleunigen und postzosterische Schmerzen lindern. Wie das HSV
hält sich auch das VZV latent in den Ganglien und kann von dort aus jederzeit
reaktiviert werden.
Da die orale Bioverfügbarkeit nur 15–20% beträgt, wird Aciclovir unter bestimmten
Umständen anfangs intravenös zugeführt. Aufgrund der besseren Bioverfügbarkeit
von Valaciclovir und Famciclovir (verglichen mit Aciclovir) müssen weniger Dosen
pro Tag verabreicht werden.
33.15.2 Ganciclovir
(Dihydroxypropoxymethylguanin, DHPG)
Ganciclovir hat eine ähnliche Struktur wie Aciclovir, aber eine zusätzliche
Hydroxylgruppe. Sein Wirkspektrum ist breiter als das von Aciclovir, und es ist auch
gegen CMV-Infektionen wirksam. Da CMV keine Thymidinkinase induzieren, wird
Ganciclovir zuerst durch eine virusspezifische Kinase (des UL97-Gens)
monophosphoryliert und dann von Zellkinasen weiter phosphoryliert. Allerdings ergibt
sich daraus keine selektive Toxizität.
Abb. 33.27 Die Aktivität antiviraler Herpesmittel
hängt davon ab, dass die Herpesviren eine
Thymidinkinase bilden können.
1101
Daher ist Aciclovir am stärksten gegen Herpes-simplex- (HSV) und am geringsten
gegen Zytomegalieviren (VZV) wirksam.
1102
33.15.4 Nukleotid- und Nukleosid-Reverse-
Transkriptase-Inhibitoren (NRTI)
Die hier angeführten Mittel wirken alle in ähnlicher Weise und werden meist in
Verbindung mit anderen antiretroviralen Medikamenten (Nichtnukleosid-Reverse-
Transkriptase-Inhibitoren und Proteasehemmer) zur Behandlung von HIV-Infizierten
eingesetzt.
1103
Abb. 33.28 Wirkmechanismus von Zidovudin.
Die reverse Transkriptase des HIV ist hundertfach empfindlicher für Zidovudin-
Triphosphat als die DNA-Polymerase der Wirtszellen, toxische Nebenwirkungen
sind jedoch nicht selten.
1104
(d4T) sowie Hypersensitivität (Abacavir). Berichte über Toxizität (durch Hemmung
der mitochondrialen DNA-Polymerase) und Laktatazidose liegen ebenfalls vor.
Eine einzelne Mutation der reversen Transkriptase erzeugt Resistenz gegen beide
Wirkstoffe und sorgt damit für den Ausschluss dieser Substanzen aus der weiteren
Behandlung.
Dass sie metabolisiert und rasch ausgeschieden werden, macht mehrere Dosen am Tag
erforderlich. Zu den Nebenwirkungen gehören gastrointestinale Symptome,
Lipodystrophie-Syndrom (Fettverteilungsstörungen), erhöhte Triglyzeridwerte und
eine Insulinresistenz, die in Diabetes übergeht.
Dass sich Resistenzen entwickeln können, ist bekannt, und eine Reihe von Protease-
Mutationen führen zu Kreuzresistenz. Das als Protease-Inhibitor zugelassene Kaletra
(eine Kombination aus Lopinavir und Ritonavir) scheint sehr viel versprechend
hinsichtlich eines geringeren Risikos der Resistenzentstehung zu sein. T-20 ist ein
Fusionshemmer, der durch Bindung an das transmembranäre Glykoprotein gp41 dem
HIV den Zutritt zu Zellen verwehrt.
1105
Ribavirin (Tribavirin)
Dieses Guanosin-Analog wird von Zellenzymen zu einem Triphosphat umgewandelt.
Seine Wirkung beruht unter anderem darauf, dass es die Bildung eines
Guanosintriphosphat-Pools hemmt, der zur viralen Nukleinsäuresynthese benötigt
wird. Klinisch kommt Ribavirin in Aerosolform bei schweren Atemwegsinfektionen
(durch RSV) von Neugeborenen oder bei Arenavirusinfektionen (Lassafieber, s. Kap.
26) zur Anwendung. Es ist auch bei Masern wirksam.
33.15.7 Influenzavirus-Inhibitoren
Seitdem sich zu Amantadin und Rimantadin mit den Neuraminidasehemmern eine neue
Wirkstoffklasse hinzugesellt hat, wurde das Spektrum der virustatischen Aktivität auf
Influenza-A- und -B-Viren ausgedehnt.
Amantadin
Seit 1960 ist bekannt, dass Amantadin gezielt die Replikation der Influenza-A-Viren
hemmt, aber auf Typ B oder andere respiratorische Viren keinen Einfluss hat. Seine
Wirkung besteht darin, Viren am Eindringen in die Zellen und Entfernen der Hülle
(Uncoating) zu hindern. Die Infektion wird auch dadurch gestoppt, dass Amantadin
den pH-Wert der intrazellulären Vakuolen erhöht; das verhindert die Fusion von
Virushülle und Zellmembran, welche nur bei dem normalerweise niedrigen pH
stattfindet.
Standarddosen von Amantadin können – vor allem bei älteren Patienten – zu leichten
neurologischen Nebenwirkungen wie Schlaflosigkeit, Benommenheit und
Kopfschmerzen führen, was mit ein Grund ist, dass es nicht mehr so breit eingesetzt
wird. Bei Influenza-A-Grippeepidemien kann Amantadin prophylaktisch verabreicht
werden, und wenn es innerhalb von 48 Stunden nach Auftreten der ersten Symptome
eingenommen wird, verläuft die Grippe weniger schwer.
Wenn sie früh genug verabreicht werden, verringern beide Wirkstoffe die
Virusausscheidung, verkürzen die Dauer der Erkrankung und lindern die Schwere der
Symptome, sie können aber auch als Prophylaxe angewandt werden.
1106
33.15.8 Antivirale Mittel gegen Hepatitisviren (HBV
und HCV)
Aus den unten genannten Gründen war eine Interferontherapie bei Patienten mit
chronischer HBV- oder HCV-Infektion nur begrenzt erfolgreich. Nach Absetzen der
Therapie kam es außerdem häufig zu Rückfällen.
Studien zufolge lassen sich HCV-Infektionen besser mit einer Kombination aus
pegyliertem Interferon und Ribavirin bzw. HBV-Infektionen besser mit Lamivudin und
Adefovir behandeln.
1107
33.16 Antimykotika
Verglichen mit antibakteriellen Mitteln ist die Zahl wirksamer Antimykotika sehr
begrenzt. Bei eukaryoten Pilzen lässt sich viel schwieriger selektive Toxizität erreichen
als bei prokaryoten Bakterien, und auch wenn sich die Aktivität der verfügbaren
Antimykotika stärker gegen Pilze als gegen Wirtszellen richtet, ist der Unterschied längst
nicht so ausgeprägt wie bei den meisten antibakteriellen Mitteln. Die Behandlung von
Pilzinfektionen wird zudem noch dadurch erschwert, dass Löslichkeit, Stabilität und
Resorption der vorhandenen Substanzen nicht ganz unproblematisch sind. Daher hat die
Suche nach neuen, besseren Wirkstoffen hohe Priorität. Auch die Resistenz gegen
Antimykotika nimmt zu.
1108
Tab. 33.13 Hauptanwendungsgebiete der Antimykotika.
1109
Bindung an Ergosterol statt an Cholesterol zustande. Amphotericin B bleibt in dieser
Gruppe trotz stark toxischer Nebenwirkungen das Mittel der Wahl zur Behandlung
schwerer systemischer Pilzinfektionen. Liposomale Präparate sind weniger toxisch.
Nystatin liegt nur zur topischen Applikation vor.
1110
Antimykotika-Resistenz
Obwohl sie nicht so gut untersucht ist wie die Antibiotika-Resistenz, deutet vieles
darauf hin, dass ganz ähnliche Mechanismen bei den Pilzen zur Resistenz führen. Dazu
zählen unter anderem:
■ modifizierte Enzyme
■ Veränderung an Angriffspunkten
■ verminderte Durchlässigkeit
■ Efflux-/Pumpmechanismus
■ Inaktivierung/fehlgeschlagene Antimykotika-Wirkung
Einige oder alle genannten Faktoren können an der bereits für Aspergillus-, Candida-
und Cryptococcus-Spezies beschriebenen Antimykotika-Resistenz beteiligt sein, die sich
vor allem durch eine Behandlung mit Azolpräparaten entwickelt.
Eine große Herausforderung stellt die Suche nach Angriffszielen dar, an denen die
Unterschiede zwischen Parasiten und Menschen groß genug sind, um eine gewisse
Arzneimittelsicherheit zu gewährleisten. Solche Angriffspunkte sind z.B.:
1111
■ unterschiedlicher Folsäurestoffwechsel: z.B. Pyrimethamin bei Malaria,
Sulfonamide bei Toxoplasmose, Trimethoprim bei Cyclosporidiose
Obwohl sich diese Angriffsziele bei Menschen und Parasiten unterscheiden, gilt
trotzdem, dass gerade einige der wirksameren Mittel ein erhebliches Toxizitätsrisiko
beinhalten und daher nur nach sorgfältiger Abwägung der Vor- und Nachteile
angewandt werden sollten.
Das breite Spektrum der bisher entwickelten Mittel ist in Tab. 33.14 und 33.15
zusammengefasst.
Chloroquin war lange das Mittel der Wahl zur Malariaprophylaxe und -therapie, doch
inzwischen treten weltweit resistente Plasmodium-falciparum-Stämme auf und auch
P. vivax zeigt zunehmend Resistenz. Als Alternative zu Chloroquin wurde
üblicherweise Mefloquin oder Pyrimethamin-Sulfadoxin verordnet, doch auch
gegen Folsäureantagonisten hat sich mittlerweile eine signifikante Resistenz
entwickelt. Bei schweren Malariafällen kann Chinin, das ursprüngliche Malariamittel,
die letzte Rettung bedeuten; es hat aber unter Umständen ernste Nebenwirkungen.
1112
Tab. 33.14 Wichtige therapeutische Anwendungsgebiete für
Antiprotozoenmittel.
1113
G6PDH = Glukose-6-Phosphatdehydrogenase
Aussichten auf neue Malariamittel eröffnen sich jetzt durch natürliche Wirkstoffe; am
wichtigsten sind Artemisinin-Derivate (aus Beifuß/Wermut – in der chinesischen
Medizin als Quing-hao-su bekannt). Arzneimittelresistenz bei anderen Protozoen stellt
kein so großes Problem dar, weil sie zwar weit verbreitet bei Tiernematoden
vorkommt, bei Infektionen des Menschen aber noch keine Schwierigkeiten bereitet.
1114
1115
Tab. 33.15 Wichtige therapeutische Anwendungsgebiete für
Anthelminthika.
**
nicht in der Schwangerschaft
*
topische Anwendung,
NW = Nebenwirkungen
Dosierungsempfehlungen werden nicht angegeben, weil sie je nach Art der Infektion,
Alter und Grunderkrankung des Patienten bei einzelnen Mitteln stark schwanken können.
Zum Teil gelten in anderen Ländern auch unterschiedliche Richtlinien. Jeder Arzt sollte
daher geeignete lokale Quellen zu Rate ziehen.
1116
Abb. 33.29 „Das Beziehungs-Dreieck“.
1117
Während es zahlreiche antibakterielle Wirkstoffe gibt, stellt die Entwicklung
antiviraler, antimykotischer und antiparasitärer Mittel mit selektiver Toxizität eine
sehr viel größere Herausforderung dar.
■ AIDS hat der Forschung nach antiviralen Mitteln (besonders gegen HIV)
starken Auftrieb gegeben. Wieder stellt die selektive Toxizität eine große
Herausforderung dar. Bei HIV-Infizierten erwiesen sich antiretrovirale
Wirkstoffkombinationen als viel versprechend, doch für die meisten
Viruserkrankungen gibt es keine spezifische Therapie. Wirksame Mittel stehen für
Virusinfektionen wie Hepatitis B und C, Influenza A und B, Herpes simplex und
Zytomegalie zur Verfügung.
■ Trotz der zahlreich verfügbaren Mittel gegen Parasiten sind einige zu toxisch
und andere werden durch zunehmende Resistenzentwicklung unbrauchbar. Das zeigt
sich besonders bei den derzeit verfügbaren Malariamitteln, gegen die die Parasiten
vermehrt Resistenzen entwickelt haben.
FRAGEN
1118
1 Nennen Sie die klinisch wichtigsten Klassen antibakterieller Wirkstoffe und
geben Sie für jede Klasse ein Beispiel an.
Gilbert, D.N., Moellering, R.C., Sande, M.A.: The Sanford Guide to Antimicrobial
Therapy. Antimicrobial Therapy Inc, Hyde Park/Vermont 2002.
Murray, P. et al.: Manual of Clinical Microbiology, 7th ed. American Society for
Microbiology, Washington D.C. 1999.
Sande, M.A., Gilbert, D.N., Moellering, R.C.: The Sanford Guide to HIV/AIDS
Therapy. Antimicrobial Therapy Inc, Hyde Park/Vermont 2002.
Stille, W., Brodt, H.-R., Groll, A.H., Just-Nübling, G.: Antibiotika-Therapie. Klinik
und Praxis der antiinfektiösen Behandlung. Schattauer, Stuttgart New York 2005.
1119
34 Impfungen
34.1 Impfziele 547
„In der Geschichte des menschlichen Fortschritts“, schrieb der Pathologe Geoffrey Edsall,
„gab es nie eine bessere und billigere Methode der Krankheitsverhütung als durch
bestmögliche Immunisierung.“ Dass die größte Erfolgsgeschichte der Medizin
(Ausrottung der Pocken) schon begann, bevor sich Fächer wie Immunologie und
Mikrobiologie etablierten oder noch bevor die Existenz von Mikroorganismen und des
Immunsystems auch nur geahnt wurde, ist eine ziemlich ernüchternde Vorstellung.
Infolge von Edward Jenners Pionierarbeit mit Vaccinia (s. Kasten) wird heute jede
spezifische, aktiv induzierte Immunität als „Vakzination“ (Impfung) bezeichnet.
Das Prinzip ist einfach: Impfungen „primen“ das Immunsystem (bereiten es vor), damit
beim Erstkontakt mit der betreffenden Infektion durch eine rasche und effektive
Immunreaktion ein Ausbruch der Krankheit verhindert wird. Die Vakzination stellt eine
Art aktiver Verstärkung der erworbenen Immunität dar, denn sie ist nur wirksam, wenn B-
und T-Lymphozyten auf spezifische Antigene ansprechen und sich Gedächtniszellen
entwickeln. Die passive Immunisierung durch vorgefertigte Elemente (wie Antikörper)
wird in Kap. 35 besprochen.
1120
Ein wichtiger Aspekt von Impfprogrammen ist die Herdimmunität, d.h. Maßnahmen, die
Gesamtimmunität einer Bevölkerung so anzuheben, dass nicht mehr genügend
infektionsanfällige Individuen übrig bleiben, um eine Übertragung weiter
aufrechtzuerhalten. Erfolgreiche Impfprogramme beruhen daher nicht nur auf der
Entwicklung und Anwendung von Impfstoffen, sondern auch auf Kenntnissen zu den
epidemiologischen Aspekten der Krankheitsübertragung.
Trotz gestiegener Zahl der zugelassenen Impfstoffe und vieler Impferfolge bleibt die
Entwicklung wirksamer Impfstoffe gegen die drei wichtigsten tödlichen
Infektionskrankheiten (die schätzungsweise 5,2 Millionen Tote pro Jahr fordern; Tab.
34.1) noch immer eine große Herausforderung.
34.1 Impfziele
In bestimmten Fällen sind die Ziele enger gesteckt, z.B. bei Impfungen, die individuell
vor spezifischen Symptomen schützen. Zum Beispiel sind bestimmte Bakterientoxine
schädlicher als der alleinige Erreger selbst. Diphtherie- und Tetanusimpfungen werden
mit Impfstoffen gegen die von den Erregern produzierten Toxine durchgeführt.
Schließlich kann man sich auch Impfungen vorstellen, die bei Krankheiten wie Malaria
(die von Vektoren übertragen werden und ein umschriebenes infektiöses Stadium haben)
die Ausbreitung verhindern; in dem Fall handelt es sich sozusagen um eine
„altruistische“ Impfung zum Wohle der Gruppe, von der die Geimpften selbst keinen
unmittelbaren Nutzen haben.
1121
Geschichte der Mikrobiologie
Edward Jenner (1749–1823)
Der englische Arzt Edward Jenner gilt als Begründer der modernen Form der
Impfung, obwohl er die Technik keinesfalls als Erster ausprobierte. Die früher geübte
Praxis der „Variolisierung“ geht zurück ins China des 10.Jahrhunderts und kam im
frühen 18.Jahrhundert über die Türkei nach Europa: Kindern getrocknetes Material
aus abgeheilten Pockennarben (leichter Fälle) zu inokulieren lieferte einen
Vorgeschmack auf das Prinzip moderner attenuierter Virusimpfstoffe. Doch die
Methode war unberechenbar und gefährlich.
1122
Edward Jenner (1749–1823)
1123
■ es ist genauso unwahrscheinlich, dass bei Streptokokkeninfektionen eine reine
T-Zell-Reaktion etwas nützt; hier wären opsonisierende Antikörper entscheidend für
die Immunität.
■ die Aktivierung zytotoxischer T-Zellen kann bei Hepatitis schädlich sein, weil
sie die Leber schädigen kann.
Abb. 34.1 Auswirkung von Impfungen auf die
Inzidenz von verschiedenen Viruskrankheiten in den
USA.
Bei den meisten zeichnete sich ein dramatischer Abwärtstrend nach Einführung
eines Impfstoffs (Pfeile) ab [nach Mims und White 1984].
1124
Durch periodische Krankheitsausbrüche in der Bevölkerung (z.B. jährliche Masern- und
Mumpsepidemien) wird das Immungedächtnis oft auf natürliche Weise aufgefrischt.
Seitdem immer mehr Infektionskrankheiten aussterben, kann man sich darauf aber nicht
mehr verlassen. Paradoxerweise sind Schutzimpfungen also umso wichtiger, je seltener
Infektionskrankheiten in einer Bevölkerung auftreten – ein Punkt, den Eltern oft nicht
wahrhaben wollen.
Dennoch gab es ernste Impfzwischenfälle wie in Lübeck 1926 (s. Kap. 15), so dass die
Impfsicherheit nun sehr streng mit intensiven Qualitätskontroll- und Tierversuchen
überprüft wird, bevor Impfstoffe an Menschen getestet werden dürfen. Einige Probleme,
die sich bei der Sicherheitskontrolle von Impfstoffen ergeben können, sind in Tab. 34.2
zusammengefasst.
1125
aufrechtzuerhalten. Eine Studie in Kamerun ergab, dass nur jede sechste Dosis
Masernimpfstoff wirksam war, wenn sie einem Patienten verabreicht wurde.
Attenuierter Polio-Lebendimpfstoff ist bei 4°C nachweislich ein Jahr lang haltbar, bei
37°C aber nur wenige Tage.
34.3 Impfstoffe
■ Mikroorganismen, die von Natur aus weniger virulent für Menschen sind;
■ abgetöteten Mikroorganismen,
1126
entstanden. Zur Abschwächung (Attenuation) dieser Impfstoffe werden hauptsächlich
zwei Methoden angewandt:
Bei der oralen Poliovakzine (OPV) erfolgte die Virulenzabschwächung z.B. als Passage
durch Affennierenzellen oder Fibroblasten menschlicher Embryonen, und anhand der
Neurotoxizität bei Affen wurde dann die Virulenz überprüft (Abb. 34.2). Mit ähnlichen
Methoden wurden Masern-, Röteln-, Mumps- und Gelbfieber-Impfstoffe hergestellt
(Tab. 34.3).
Wie unvorhersehbar Zufallsmutationen sind, lässt sich anhand der drei Serotypen des
attenuierten (Sabin-)Poliovirus-Impfstoffs aufzeigen:
■ Die wenigen Basensubstitutionen bei Typ 2 und 3 scheinen alle (bis auf zwei)
nicht mit dem Virulenzverlust zusammenzuhängen.
Das erklärt, warum es bei Typ 2 und 3 häufiger zum Umschlagen in virulentes Wildtyp-
Virus kommen kann, auch wenn dies mit weniger als 1 pro 1 Million Impfungen noch
immer sehr selten ist. Wenn aber in einer Bevölkerung viele Menschen ungeimpft sind,
kann das zum Problem werden – so ging die Poliomyelitis-Epidemie in Haiti und der
Dominikanischen Republik (2000/2001) offenbar von der einige Jahre früher
durchgeführten Schluckimpfung (mit OPV) eines einzelnen Kindes aus! In manchen
Ländern (wie den USA) zieht man den weniger wirksamen, inaktivierten Polio-
Impfstoff vor, um die Möglichkeit einer Reversion auszuschließen.
Interessanterweise stellte sich heraus, dass es sich bei den Mutanten in auf diese Art
hergestellten Polio- und Masernimpfstoffen um temperaturempfindliche Stämme
handelte. In anderen Fällen wurde die Temperaturempfindlichkeit bewusst zur
Selektion kälteadaptierter Viren herangezogen. Wenn sich Viren an niedrige
Temperaturen (z.B. 25°C) angepasst haben, wachsen sie gewöhnlich nur schlecht (oder
überhaupt nicht) bei Körpertemperatur. Solche Viren könnten zwar die oberen
Atemwege, nicht aber das wärmere Lungengewebe besiedeln.
Abb. 34.2 Vorgang zur Virulenzabschwächung.
1127
Um attenuierte Lebendimpfstoffe (z.B. zur Polio-Schluckimpfung) zu erzeugen,
wurden die Viren ursprünglich unter unüblichen Bedingungen angezüchtet und dann
zufällig entstandene Mutanten ausgewählt, die ihre Virulenz verloren hatten.
Ein auf diese Weise produzierter Grippe-Impfstoff erwies sich als recht viel
versprechend. Bei einem Grippe-Impfstoff mit chemisch induzierten
temperaturempfindlichen Mutanten fand allerdings leichter ein Umschlagen zum
Wildtyp statt, und dasselbe Problem trat bei einem Respiratory-syncytial-Virus(RSV)-
Impfstoff auf.
Eine vergleichbare zufällige Attenuation ließ sich bei Bakterien nicht erzielen, doch der
von Calmette und Guérin entwickelte Tuberkulose-Impfstoff mit Bacillus Calmette-
Guérin (BCG), einem nach zehnjähriger Kultur (1908–1918) auf einem Glycerin-Galle-
Kartoffel-Nährmedium attenuierten bovinen Mykobakterienstamm, zeigt, dass es
grundsätzlich möglich ist. Der BCG-Impfstoff hat sich als einzige attenuierte
Bakterienvakzine gut etabliert, und es ist seit über 70 Jahren kein einziges Mal zur
Virulenz-Reversion gekommen.
Kürzlich haben Studien ergeben, dass seit 1931 in mehreren Regionen des BCG-
Chromosoms Deletionen aufgetreten sind und dass unabhängig davon verschiedene
Stämme der Pasteur- und Danish-Vakzinen weitere Genabschnitte verloren haben (Tab.
34.4). Weltweit werden fast 90% der Neugeborenen gleich nach der Geburt zum Schutz
vor schweren disseminierten Formen wie der tuberkulösen Meningitis mit BCG geimpft.
Bei der Lungentuberkulose Erwachsener zeigt die Impfung eine variablere Wirksamkeit
(s. unten).
Eine neuere Entwicklung ist ein attenuierter Impfstoff mit einem chemisch
veränderten Salmonella-typhi-Stamm, der sich dem älteren Totimpfstoff gegen Typhus
als mindestens ebenbürtig erwiesen hat.
1128
Gentechnische oder zielgerichtete Mutationen von Viren und Bakterien lassen einiges
für die Zukunft erwarten. In der Mehrzahl handelt es sich um Deletionsmutanten, bei
denen ein Virulenzgen inaktiviert wurde. Die Palette der Beispiele reicht von einem
experimentellen Typ-2-Poliovirusstamm mit Austausch einer einzelnen Base über
Salmonellenstämme mit Enzym-Genmutation (aroA oder galE) bis zum
Pseudorabiesvirus, dem das komplette Gen für Thymidinkinase, bzw. Cholera-Erregern,
denen das Gen für die A-Toxin-Untereinheit fehlt.
1129
Tab. 34.3 Verschiedene Herstellungsmethoden für attenuierte
Lebendimpfstoffe.
BCG = Bacillus Calmette-Guérin, CMV = Zytomegalievirus,
RSV = Respiratory-syncytial-Virus
Eine Inaktivierung lässt sich mit mehreren Methoden erreichen (Tab. 34.5). Bei den
älteren Impfstoffen gegen Grippe und Poliomyelitis (Salk-Impfstoff) wurde noch
Formaldehyd verwendet, doch seit neuerem werden β-Propiolacton sowie verschiedene
Ethylenimine und Psoralene (z.B. für Tollwutimpfstoff) bevorzugt. Ultraviolettlicht gilt
als nicht voll zuverlässig, weil es virale Nukleinsäure nur selektiv schädigt, so dass sie
wieder repariert werden kann. Bei Bakterien können Formaldehyd, Phenol, Aceton oder
einfaches Erhitzen alle mit vergleichbar gutem Erfolg angewandt werden.
1130
Tab. 34.4 Seit ihrer ursprünglichen Attenuation kam es bei
verschiedenen BCG-Stämmen noch zur Deletion weiterer
Genregionen (RD).
1131
Tab. 34.5 Verschiedene Inaktivierungsmethoden für Impfstoffe.
Tetanustoxoid gilt allgemein als nützliches Trägerprotein für kleine Peptide (Haptene),
die als Impfstoffantigene eingesetzt werden könnten (s. unten). Dahinter steckt die
Vorstellung, dass die meisten Patienten schon vorher mit Tetanustoxoid immunisiert
wurden und daher tetanusspezifische T-Gedächtniszellen besitzen, die dann
peptidspezifische B-Zellen bei der Antikörperproduktion unterstützen. Mit diesem
Ansatz lässt sich zwar eine Primärreaktion induzieren, doch er eignet sich weniger gut
für Zellreaktionen, bei denen sich die T-Memory-Zellen eher an die Infektions- als an
Tetanusproteine erinnern müssten.
1132
Kapselpolysacchariden von H. influenzae, um dadurch die Immunogenität für Säuglinge
und Kleinkinder zu verbessern.
Vibrio cholerae ist ein weiteres toxinbildendes Bakterium, und mit Impfstoffen, die
neben der Untereinheit B des Choleratoxins auch abgetötete Keime enthielten, ließ sich
mit einigem Erfolg eine Schleimhautimmunität erzielen.
Als erster Vektor wurde 1982 das Vaccinia-Virus vorgeschlagen. Es hat den Vorteil,
sich bereits als hochwirksamer Impfstoff bewährt zu haben und ein relativ großes DNA-
Genom zu besitzen, in das mehrere Fremdgene inseriert werden können, ohne die
Virusstruktur oder -funktion zu beeinträchtigen. Allerdings hat es auch den Nachteil,
dass ein Großteil der Weltbevölkerung immun geworden sein dürfte und das Vaccinia-
Virus daher möglicherweise eliminiert wird, bevor sich eine ausreichende Menge der
Fremd-Genprodukte bilden kann. Zudem können Kuhpocken selbst in 1/100000 Fällen
zu Komplikationen führen (vor allem Enzephalitis).
Es wurden noch andere Viren als Vektoren in Betracht gezogen, darunter das
modifizierte Gelbfiebervirus, Adenoviren, HSV und VZV (Varicella-Zoster-Virus).
Erfolgreich inseriert werden konnten Gene des RSV, Epstein-Barr-Virus (EBV), Tollwut-
, Dengue- und Lassafieber-Virus.
Auch Bakterien eignen sich als Vektoren; geeignete Kandidaten sind die bereits
erwähnten attenuierten Salmonellen und BCG. Als Erreger von Darminfektionen hat
Salmonella typhi den Vorteil, dass sich durch orale Gabe (Impfdosis mit Bikarbonat,
um Inaktivierung durch Magensäure zu verhindern) eine Immunität der Darmmukosa
induzieren lässt. Avirulente Mutanten von S. typhi könnten sich daher als Impfstoff-
Vektoren für alle möglichen Darminfektionen anbieten – und gerade auf diesem Gebiet
sind die verfügbaren Impfstoffe alles andere als zufriedenstellend.
Schließlich wurde noch BCG als Vektor vorgeschlagen, der folgende Vorteile zu bieten
hat:
1133
■ sehr weite Verbreitung, da fast 90% der Kinder auf der ganzen Welt direkt
nach der Geburt mit BCG geimpft werden;
1134
Abb. 34.3 Vektor-Impfstoff.
Antigene kodierender Gene von einem oder mehreren Erregern können jetzt in ein
großes Virus (wie das modifizierte Vaccinia-Virus Ankara) inseriert werden. Nach
der Replikation werden sie im Körper des Geimpften freigesetzt.
Inzwischen stehen für ein breites Erregerspektrum synthetische Peptide zur Verfügung.
Wie das richtige Peptid ausgewählt und so immunogen wie möglich gemacht werden
kann, wird derzeit intensiv erforscht. Man versucht z.B. Peptide an größere Carrier-
Moleküle (wie Tetanustoxoid, s. oben) zu binden, wobei möglichst immer
Peptidsequenzen eingeschlossen sein sollten, die T-Zellen eigenständig stimulieren
können. Solche T-Zell-Epitope lassen sich in gewissem Umfang aus bekannten
Molekülsequenzen ermitteln. Wenn keine verfügbar sind, wird eine andere Strategie
verfolgt; man versucht, neue Sequenzen zu bilden, die neben einem oder mehreren T-
Zell-Epitopen auch ein B-Zell-Epitop umfassen (gegen das Antikörper produziert
werden sollen).
Als weitere Verfeinerung der Technik können mehrere Kopien getrennter T- und B-
Zell-Epitope zu multiplen Antigenpeptiden bzw. sog. „Oktopusmolekülen“ gekoppelt
werden – mit einer verzweigten Hülle von Lysinen und bis zu acht angehängten
Peptiden. In einer Studie führten Peptide mit jeweils vier B- und T-Zell-Epitopen zu den
1135
besten Ergebnissen. Selbst dann stellte sich oft heraus, dass zur Steigerung der
Immunogenität ein Adjuvans benötigt wird. Als schwierig kann es sich bei diesen
Ansätzen erweisen, dass
34.3.1 DNA-Impfstoffe
Die überraschende Entdeckung, dass Labortiere durch intramuskuläre Injektion der
Erreger-DNA und eines geeigneten Promoters gegen Infektionen wie Grippe und
Malaria immunisiert werden können, fand großes Interesse. Das entsprechende Antigen
befindet sich vermutlich auf Muskelzellen bzw. wird dort exprimiert. Um das sicher
nachzuweisen und das Risiko von Nebenwirkungen wie Autoimmunität oder
Erregerresistenz auszuschließen, ist aber noch viel Forschungsarbeit nötig. DNA-
Impfstoffe scheinen die zellvermittelte Immunität zu fördern, unter bestimmten
Bedingungen jedoch auch die Antikörperproduktion zu unterstützen.
Ein Vorteil solcher Surrogat-Antigene besteht darin, dass sie große Proteine sind und
sich wie T-Zell-abhängige Antigene verhalten, selbst wenn das ursprüngliche Antigen
(z.B. ein Polysaccharid) T-Zell-unabhängig war. Mit dieser Strategie ließ sich bei
Mäusen – nach der Impfung gegen Streptokokken-, Hepatitis-B- und Trypanosomen-
1136
Antigene – erfolgreich eine Produktion sekundärer Antikörper als Reaktion auf
Endotoxine erzielen.
Die Strittigkeit lässt sich am besten anhand von Krankheiten verdeutlichen, auf deren
Genesung normalerweise eine lang anhaltende ausreichende Immunität folgt (z.B. bei
den üblichen viralen Kinderkrankheiten). Hierbei sind Impfungen mit attenuierten
Lebendvakzinen wahrscheinlich viel wirksamer, weil sie mit der Infektion selbst viele
Eigenschaften gemein haben, wie etwa:
■ Virusreplikation
Zumindest theoretisch ist es ein weiterer Vorteil, dass sich attenuierte Stämme auf
normalen Übertragungswegen in der Bevölkerung ausbreiten und damit auch
Ungeimpfte schützen.
1137
Tab. 34.6 Vor- und Nachteile von Lebend- und Totimpfstoffen.
In dem Fall lässt sich der Einsatz attenuierter Lebendvakzinen kaum überzeugend
vertreten, und es könnte sein, dass Spaltimpfstoffe mit Antigenkomponenten, die eine
starke Immunität induzieren und Erreger an der schwächsten Stelle
(Polysaccharidkapsel, wichtige Adhäsionsmoleküle) treffen (z.B. in Form einer
Antigenmischung), besser funktionieren. Das Problem der Zielgerichtetheit ließe sich
dann mit anderen Mitteln lösen (z.B. Aerosol für Lungen-, Retardkapseln für
Darminfektionen).
Poliomyelitis ist derzeit die einzige Krankheit, bei der Lebend- und Totimpfstoffe
annähernd gleich gut geeignet sind (s. Kap. 22).
Die derzeitige Strategie besteht darin, Polysaccharide mit einem geeigneten Protein zu
konjugieren, das möglichst vom selben Erreger stammen sollte (die Ergebnisse werden
unten im Zusammenhang mit Pneumokokken- und Meningokokken-Impfstoffen
besprochen). Ein anderer Lösungsansatz sieht den Einsatz antiidiotypischer Antikörper
als Surrogat-Antigene vor, ist aber noch weitgehend experimentell (s. oben).
1138
Für T-Zell-Reaktionen sind MHC-Klasse-II-Moleküle
nötig
T-Zellen stimulierende Antigene können bei einzelnen Menschen ganz unterschiedlich
wirken. Das gilt besonders für kleine Peptide und lässt sich dadurch erklären, dass die
Bindung zwischen einem Peptid, dem MHC-Klasse-II-Molekül (HLA-D, human
leukocyte antigen D) einer antigenpräsentierenden Zelle und dem T-Zell-Rezeptor sehr
genau sein muss.
Es ist nicht bekannt, wie sehr MHC-Restriktionen dazu beitragen, dass ein bestimmter
Prozentsatz in der Bevölkerung auf (fast) keine einzige Standardimpfung anspricht.
Vielleicht wurde das Problem auch überbewertet, obwohl nur kleine Peptide betroffen
waren. Man hat z.B. ein 21-Aminosäuren-Peptid von Malariaparasiten entdeckt, dessen
Sequenzen mit 11–14 Aminosäuren nur wenige (DR-Typ-)T-Zellen stimulierten,
während eine 15-Aminosäuren-Sequenz alle untersuchten DR-Typen stimulieren
konnte. Peptide, die an unterschiedliche DR-Typen binden, werden als promisk
bezeichnet. Das impliziert, dass durch Hinzufügen oder Modifizieren einiger
Aminosäuren die Bandbreite der MHC-Reaktionsfähigkeit eines Peptids vergrößert
werden könnte.
1139
Pathologische Impffolgen können durch Impfstoffe
oder Immunantworten bedingt sein
Zu pathologischen Impfreaktionen kommt es:
Komplizierter ist die Lage, wenn der Impfstoff selbst eine pathologische
Hypersensitivitäts- oder Autoimmunreaktion hervorruft. Hypersensitivitätsreaktionen
gaben bei den älteren Maserntotimpfstoffen den Anstoß, als Ersatz eine attenuierte
Lebendvakzine zu entwickeln. Anscheinend konnte der Totimpfstoff zwar nicht-
neutralisierende Hämagglutinin-Antikörper, aber keine Antikörper gegen das
Fusions(F)-Protein induzieren, das bei der Inaktivierung zerstört wurde.
Das F-Protein sorgt dafür, dass sich Viren von einer Zelle zur anderen ausbreiten.
Infolgedessen bildeten sich bei einer Maserninfektion große Virusmengen und hohe
Titer nicht-neutralisierender Antikörper. Die Immun-(Antigen-Antikörper-)Komplexe,
die bei Maserninfektionen entstanden, verursachten eine schwere Typ-III-
Hypersensitivität, durch die sich das Krankheitsbild der Patienten noch
verschlimmerte. Eine ähnliche Reaktion war beim RSV(respiratory syncytial virus)-
Totimpfstoff zu beobachten.
Bei Autoimmunreaktionen im Rahmen von Infektionen lässt sich die Spur manchmal
auf eine Ähnlichkeit (Mimikry) zwischen Patienten- und Erregerantigenen
zurückverfolgen. Dasselbe ist theoretisch bei Impfantigenen möglich. Auch wenn dies
mit den derzeit gebräuchlichen Impfstoffen noch nicht beobachtet wurde, ist denkbar,
dass es zur Kreuzreaktion mit Patientenmolekülen kommen könnte, wenn starke T-Zell-
Epitope an schwache Antigene (wie Polysaccharide) gekoppelt sind. Sofern ein
möglicherweise kreuzreagierender Bestandteil entdeckt wird, sollte er vor
Anwendung des Impfstoffs entfernt werden (ein solcher Fall wäre z.B. die Chagas-
Krankheit).
1140
Lebendimpfstoffe dürfen nicht bei Patienten mit
Immunschwäche angewandt werden
Seitdem sich die HIV-Epidemie weltweit ausbreitet, ist eine Impfung noch schwieriger
geworden, vor allem weil sich HIV-infizierte Kinder ohne geeignetes Screening nicht
identifizieren lassen. Nach den derzeitigen Empfehlungen (Stand 2002) sollten Kinder
mit asymptomatischer HIV-Infektion die normalen Impfungen wie alle Kinder
erhalten. Bestimmte Impfungen (gegen Masern, Poliomyelitis) können trotz
symptomatischer Infektion verabreicht werden, da die Gefahr von Impfkomplikationen
geringer ist als das Risiko, an einer unbehandelten Infektion zu sterben. Nicht zu
empfehlen sind Gelbfieber- und BCG-Impfungen.
Totimpfstoffe stellen kein so großes Problem bei Immunschwäche dar. Sie sind
womöglich unwirksam, aber für den Empfänger zumindest nicht gefährlich. Außer bei
schwerer B-Zell-Defizienz sind alle Impfungen empfehlenswert, die Antikörper
induzieren (z.B. mit Kapselpolysacchariden, bei Hepatitis B); allerdings kann auch eine
passive Immunisierung erwogen werden (s. Kap. 35).
1141
Da Patienten mit eingeschränkter Milzfunktion besonders anfällig für bestimmte
Infektionen sind, sollten sie zusätzlich geschützt werden (durch Impfungen gegen
Haemophilis influenzae Typ B, Meningokokken, Pneumokokken und Grippe).
34.4.1 Adjuvanzien
Der Begriff „Adjuvans“ wird in leicht abgewandelter Bedeutung manchmal auch auf
Substanzen angewandt, die bei alleiniger Gabe eine gewisse Immunfunktion erfüllen
(z.B. das Tumorwachstum hemmen oder den Genesungsprozess beschleunigen)
können. Auf diese unspezifischen Immunstimulanzien wird in Kap. 35 näher
eingegangen.
1142
Abb. 34.4 Adjuvanzien beeinflussen die
Antikörperreaktion von Mäusen auf Hühnereiweiß
(Albumin).
1143
Als Adjuvanzien dienen auch Präparate aus kleinen
sphärischen Strukturen (Kügelchen), die das Antigen
auf der Oberfläche präsentieren
Durch einen ähnlichen Depot-Effekt dürfte auch die Adjuvanswirkung neuerer
Zubereitungen zu erklären sein. Dazu zählen z.B.
Je nach Zusammensetzung und verwendetem Antigen sind alle hoch wirksam und zum
Teil schon in der Veterinärmedizin im Einsatz. Es ist noch zu früh für eine
verbindliche Aussage, ob und welches Adjuvans zukünftig zum klinischen Standard
gehören wird. Das entscheidet sich erst nach weiteren Sicherheitsprüfungen und
aufgrund des immunologischen Nutzens.
1144
Es ist bemerkenswert, wie gut sich Mykobakterien als Adjuvanzien eignen. Freund
verwendete sie in einer Wasser-in-Öl-Emulsion für sein berühmtes „komplettes
Freund-Adjuvans“ (CFA). CFA eignet sich besonders zur Auffrischung der
zellvermittelten Immunität – wie bei der Hypersensitivitätsreaktion vom verzögerten
Typ (DTH) auf Antigene, die normalerweise nur schwache Reaktionen induzieren.
Leider haben mehrere Zwischenfälle (versehentliche Injektion) gezeigt, dass CFA zu
toxisch für den menschlichen Gebrauch ist, weil es chronische, nicht heilende
Granulome verursacht.
Auch zahlreiche andere Bakterienderivate werden auf ihre Eignung als Adjuvanzien
untersucht. Wie bereits erwähnt, scheinen abgetötete Pertussis-Erreger in der DPT-
Tripelvakzine als Adjuvans für die Diphtherie- und Tetanustoxoide zu fungieren.
1145
Als natürliche Adjuvanzien wurden dendritische
Zellen ins Gespräch gebracht
Wenn ein Peptidantigen von antigenpräsentierenden dendritischen Zellen
aufgenommen wird, kann es eine viel bessere Immunantwort hervorrufen, als wenn es
mit einem unspezifischen Adjuvans (z.B. dem inkompletten Freund-Adjuvans)
dargeboten würde. Ein anderer Vorteil von Impfzusätzen wie dendritischen Zellen ist
die Induktion einer MHC-Klasse-I-restriktiven, durch CD8-positive T-Zellen
vermittelten Immunität (sog. cross-priming). Dieser Ansatz klappt in Tiermodellen
recht gut, ist aber im alltäglichen Gebrauch bei Menschen kaum anwendbar. Von
Nutzen kann er jedoch bei Krebspatienten sein.
■ die Impfung später erfolgen muss, wenn überwiegend Ältere gefährdet sind
(z.B. durch Pneumokokken-Pneumonie).
1146
Neuere Arbeiten aus Westafrika deuten an, dass die Masernimpfung die Morbidität
(aller anderen Krankheitsursachen) bei Kleinkindern zu verringern scheint – auch
wenn weitere Untersuchungen nötig sind, um nachzuweisen, inwieweit sich das
verallgemeinern lässt bzw. um den ursächlichen Zusammenhang zu klären.
Erwähnenswert ist auch, dass trotz der Vielzahl von Impfungen (11 oder mehr), die
Kinder heute erhalten können, die Gesamtzahl der Antigene vermutlich niedriger liegt
als im früheren Pockenimpfstoff.
1147
Menschen sich bei einem einzelnen Infizierten anstecken werden, s. Kap. 31). Eine
Infektion, die durch zufällige Kontakte zwischen Infizierten und anfälligen Individuen
übertragbar ist (wie die viralen Kinderkrankheiten), wird verschwinden, sobald der
Prozentsatz der erfolgreich Geimpften (p) einen kritischen Wert (pc) übersteigt, ab dem
zu wenige anfällige Individuen übrig bleiben, um die Übertragung weiter zu
gewährleisten.
Da dieser Wert mit R0 in Beziehung steht (pc = 100–[100/R0]), gilt: je größer R0, desto
größer muss die Durchimpfung der Bevölkerung (pc) sein, um die Infektion
auszurotten. In Tab. 34.10 sind die pc-Werte für verschiedene virale und bakterielle
Kinderkrankheiten angeführt, die sich durch Impfungen verhüten lassen.
Die weltweite Ausrottung der Masern (mit R0 = 15–17 und pc = 92–95%) dürfte eine
weitaus schwierigere Aufgabe sein als die erfolgreiche globale Eradikation der Pocken
(R0 = 2–4). In den USA – wo vor dem Eintritt in die Grundschule zwingend die MMR-
Impfung (gegen Masern-Mumps-Röteln) vorgeschrieben ist – lag das Durchschnittsalter
der Rötelninfektion bei neun Jahren (vor der Immunisierung), verglichen mit rund fünf
Jahren bei Masern. Der R0-Wert von Röteln ist nur etwa halb so groß wie der von
Masern, so dass die Röteln mit dem US-Impfprogramm ausgerottet werden konnten.
Dagegen nimmt die Masern-Inzidenz nur langsam ab, und in Städten mit geringer
Impfakzeptanz gibt es immer wieder lokale Ausbrüche.
Werden Kinder nicht bald nach der Geburt geimpft oder sind bereits breitere
Altersgruppen immunisiert, muss man bei der Einschätzung der kritischen Fraktion – die
zur endgültigen Beseitigung einer Infektion noch geimpft werden müsste – das
durchschnittliche Impfalter berücksichtigen. Um die Eradikation einer Infektion zu
erreichen, muss die Impfung vor dem durchschnittlichen Infektionsalter erfolgen;
Kohortenimpfungen konzentrieren sich daher auf Kleinkinder (unter Berücksichtigung
der Impfwirkung bei Säuglingen, die noch mütterliche Antikörper aufweisen).
1148
Tab. 34.10 Zur Verhütung von viralen und bakteriellen
Kinderkrankheiten erforderliche Durchimpfung der Bevölkerung
(Schätzwerte).
* in höher entwickelten Ländern
Abb. 34.5 Schutzimpfungen gegen typische
(virale und bakterielle) Kinderkrankheiten wirken sich
auf die Altersverteilung der Infektionsanfälligkeit in
einer Bevölkerung aus.
In dem tiefen Tal der Anfälligkeit (S1) junger Altersgruppen können vor Beginn der
Immunisierung Infektionen auftreten. Da sich die Übertragbarkeit durch Impfungen
verringert, verschiebt sich das Alter (S2), in dem anfällige Menschen eine spontane
Infektion durchmachen, nach oben.
1149
zweistufiges Vorgehen an, bei dem z.B. zuerst etwa einjährige und danach Kleinkinder
von 2–3 Jahren geimpft werden:
■ Mit der ersten Stufe lässt sich die Übertragbarkeit einschränken (aber nicht
verhindern) und so das Fenster der Infektionsanfälligkeit bzw. für die Impfung
verbreitern.
■ Mit der zweiten Stufe wird versucht, eine möglichst hohe Herdimmunität zu
erreichen, um die Übertragungskette abreißen zu lassen.
Wenn das zur Unterbindung der weiteren Übertragung erforderliche Niveau mit einer
Massen-/Schutzimpfung nicht erreicht wird, verringert sich zwar die
Infektionshäufigkeit, doch das hat überraschenderweise keine Auswirkung auf die
Gesamtzahl der anfälligen Personen (Abb. 34.5). Da bei einem Immunisierungsgrad
unterhalb des Schwellenwerts eine endemische Infektion bestehen bleibt, hängt der
Anteil anfälliger Personen nur von der Erreger-Reproduktionsrate R0 ab, nicht aber
davon, ob die anderen durch Impfung oder spontane Infektion immun geworden sind.
1150
Indirekte Auswirkung von Massen-/Schutzimpfungen
Selbst wenn die Durchimpfung unterhalb des zur Eradikation nötigen Grenzwerts liegt,
werden sich Ungeimpfte wahrscheinlich seltener anstecken. Infolgedessen tritt eine
Infektion erst in einem höheren Durchschnittsalter auf als vor der Impfung (Abb.
34.5). Da Infektionen mit zunehmendem Alter mit einem höheren Krankheitsrisiko
verbunden sein können, führt ein Impfprogramm, mit dem es nicht gelingt, die
Übertragung zu verhindern (weil der Anteil der Geimpften unter dem pc-Wert bleibt),
möglicherweise zu einem völlig entstellten Bild der Komplikationen. Ob es dazu
kommt, hängt genau davon ab, wie sehr sich mit dem Alter das Risiko einer ernsten
Krankheit im Fall einer Infektion verändert (Abb. 34.6).
Unabhängig vom erreichten Grad der Durchimpfung reduziert sich die Häufigkeit der
Masernenzephalitis, während in Bevölkerungsgruppen mit niedrigen Impfraten die
Gesamtinzidenz einer schweren Röteln- oder Mumpserkrankung im späteren Alter
zunimmt.
1151
Abb. 34.6 Altersabhängiges Komplikationsrisiko
bei Infektionen.
1152
Könnte (durch Impfpflicht wie in den USA oder ein gut koordiniertes Anreiz- und
Überwachungssystem für Impfungen wie in Großbritannien) eine sehr hohe
Durchimpfung der Bevölkerung erreicht werden, ließen sich Röteln durch sukzessive
Impfung der Ein- bis Zweijährigen-Kohorten ausrotten. Wird aufgrund der
Freiwilligkeit nur eine Impfakzeptanz von 60–70% erreicht (wie in Großbritannien vor
der Impfkampagne), sollten vor allem Mädchen im jüngeren Teenageralter (d.h. vor
Beginn des potenziellen Schwangerschaftsalters) gegen Röteln geimpft werden, damit
sich die Infektion in jüngeren Jahren ausbreiten und Immunität verleihen kann.
Doch ab welchem Grad der Durchimpfung sollte die Impfstrategie geändert werden?
Nach epidemiologischen Berechnungen erscheint ein Wechsel zur Kohorten-
Schutzimpfung (MMR-Impfung für 1- bis 2-Jährige) nur unter der Voraussetzung
sinnvoll, dass über 70% der Jungen und Mädchen bis zum 2. Lebensjahr geimpft werden
können. Ergänzend zur gezielten Rötelnimpfung weiblicher Teenager hätte die MMR-
Impfung ein- bis zweijähriger Kinder aber nur geringe Auswirkungen auf die
Erkrankung, wenn die Durchimpfung der 12- bis 13-jährigen Mädchen ausreichend
wäre (80–90%). Sobald ein sehr hoher Anteil (über 90%) der Ein- bis Zweijährigen mit
MMR-Vakzine geimpft wurde, wird nach zehn Jahren oder noch später ein gewisser
Nutzen erkennbar sein.
1153
Im Mittelpunkt nationaler Impfprogramme sollte
besonders in armen Ländern ein hoher Impfschutz bei
Säuglingen und Kleinkindern stehen
Die Impfprogramme in entwickelten Ländern werden durch regional unterschiedliche
Akzeptanz von Impfungen beeinflusst. In den USA entstehen durch die mangelnde
Impfbereitschaft von benachteiligten Minderheiten in Großstädten oft Nester mit
erhöhter Anfälligkeit, die ein völliges Verschwinden von Infektionen wie Masern oder
Keuchhusten verhindern. Um Schwachstellen in den jeweiligen Impfprogrammen
aufzudecken, können serologische Untersuchungen (in ländlichen und städtischen
Gebieten) sehr aufschlussreich sein.
1154
■ Wirksamkeit und Sicherheit des Impfstoffs
■ durchschnittliches Impfalter
1155
Sind Umstände denkbar, unter denen ein hochwirksamer Impfstoff verwendet werden
sollte, obwohl vermehrt Krankheiten/Impfkomplikationen auftreten könnten? Im Fall
von Mumps wird z.B. für den hochpotenten Impfstoff „Urabe Am 9“ eine Wirksamkeit
von 98% und für den niederpotenten Impfstoff „Jeryl Lynn“ eine Wirksamkeit von
etwa 94% angenommen, wobei die Komplikationsraten von Urabe höher zu liegen
scheinen. Wenn der Impfschutz in der Bevölkerung ausreicht, um die Übertragung zu
verhindern, bietet sich der niederpotente Impfstoff als vernünftige Option an. Falls aber
keine hohe Durchimpfung erreichbar ist, lässt sich die Gesamtinzidenz schwerer
Krankheitsfälle (durch Infektion und Impfung) in größerem Umfang durch den
hochpotenten Impfstoff verringern.
Man könnte daraus schließen, dass sich auch tropische Krankheiten wie Schistosomiasis
oder Chagas-Krankheit eindämmen ließen, wenn der Kontakt zu Wasserschnecken oder
Insekten eingeschränkt würde. In der Praxis lässt sich eine Vektorkontrolle allerdings
nicht so leicht durchführen – und im Unterschied zu Impfungen bzw. ähnlich wie eine
medikamentöse Behandlung müsste sie mehr oder weniger ständig erfolgen.
Bei bestimmten Krankheiten ist die Ansteckungsgefahr so gering, dass sich der
Aufwand für die Entwicklung und Produktion eines erfolgreichen Impfstoffs nicht
lohnen würde bzw. die Kosten nie gerechtfertigt wären. In dem Fall stellt die passive
Immunisierung nach Exposition die bessere Alternative dar.
1156
34.7.1 Allgemein gebräuchliche Impfstoffe
1157
statistisch signifikanter Schutzeffekt machte sich erst nach mehreren Versuchsreihen
bemerkbar. Das lag zum Teil daran, dass in Impfproben einer der drei Serotypen
weggelassen wurde und dass kein standardisierter Impfstoff zum Allgemeingebrauch
verfügbar war.
Der Streit – ob tatsächlich ein Kausalzusammenhang besteht – geht weiter und hat
verständlicherweise viele Eltern alarmiert; mit der Folge, dass die Impfakzeptanz
inzwischen in einigen Gebieten auf knapp 30% abgefallen ist. Es war absehbar, dass
es zu einer schweren Keuchhustenepidemie kommen würde – und genau das war im
Winter 1978/79 der Fall, als über 100000 Kinder erkrankten und viele starben (Abb.
34.8). Das lieferte den unwiderlegbaren Beweis, dass der Impfstoff tatsächlich wirkt.
Trotzdem hat die Kontroverse wohl nicht nur den Pertussis-Impfstoff diskreditiert,
sondern in der öffentlichen Meinung dem Ansehen von Impfungen allgemein
geschadet.
Nach Einführung der Schutzimpfung ging ab 1958 die Anzahl ständig zurück,
obwohl in ca. 4-jährigen Intervallen immer wieder mal Epidemien auftraten.
Aufgrund der panischen Angst vor möglichen Nebenwirkungen nahm die Zahl der
Keuchhustenfälle wieder zu, bis es im Winter 1978/79 zur großen Epidemie kam.
1158
zwei Komponenten, aber keine Zellen. Dieser azelluläre Impfstoff ruft signifikant
weniger Reaktionen hervor und steigert die Impfwirkung. Im Januar 2006 wurde von
der STIKO am RKI eine neue Empfehlung zur Pertussisimpfung publiziert.
Bei der Masernimpfung dreht sich die Debatte hauptsächlich um das beste Impfalter.
Da mütterliche Antikörper eine vollständige Immunisierung verhindern können, sollte
mit der Masernimpfung mindestens bis zum 6.Lebensmonat gewartet werden. Doch
selbst im 9.Lebensmonat verleiht sie nur zu 80% Schutz, so dass man die Impfung in
Ländern, in denen Masern seltener auftreten, meist bis zum 1.Lebensjahr verschiebt.
In Entwicklungsländern sind Masern aber noch immer so verbreitet, dass die meisten
Kinder schon früher mit der Infektion in Kontakt kommen. Daher werden sie mit 9
Monaten zum ersten Mal und mit einem Jahr erneut geimpft, um auch die zu schützen,
die beim ersten Mal nicht so gut angesprochen haben.
Der Schutz durch die Masernimpfung scheint mindestens 21 Jahre vorzuhalten, was
aber zum Teil auch an der natürlichen Auffrischung bei Epidemien liegen könnte.
Erwachsene werden wieder anfälliger, je mehr die Masern aus der Bevölkerung
verschwinden. Wenn das so ist, sollte logischerweise eine routinemäßige Auffrischung
im Schulalter (Eintritt in die Grundschule oder Wechsel auf weiterführende Schule)
vorgesehen werden.
1159
Obwohl es nicht nötig wäre, werden Jungen genauso
wie Mädchen gegen Röteln geimpft
Als relativ leichte Infektionskrankheit sind Röteln ein anschauliches Beispiel, dass
manchmal der Nutzen einer Impfung für den Einzelnen gegen den für die Bevölkerung
abgewogen werden muss. Bis vor kurzem herrschte in Großbritannien die
Auffassung vor, Jungen müssten nicht gegen Röteln geimpft werden und sollten daher
auch nicht dem geringsten Risiko möglicher Impfkomplikationen ausgesetzt werden.
Die Immunität der Mädchen würde zudem von den in der Gesamtbevölkerung im
Umlauf befindlichen Röteln-Wildtypen wieder aufgefrischt. Um ein angeborenes
Rötelnsyndrom (durch eine Infektion der Schwangeren und Ansteckung des Fetus) zu
verhindern, wurden lediglich heranwachsende Mädchen gegen Röteln geimpft.
Da das Rötelnvirus eine hohe Reproduktionsrate hat (s. Kap. 26), hält es sich in einer
Bevölkerung, solange nicht über 50% geschützt sind. Aus dem Grund wurden in den
USA immer Mädchen und Jungen geimpft (Immunisierung mit MMR-Vakzine im
Alter von ca. 1 Jahr), eine Herangehensweise, die kürzlich auch von Großbritannien
übernommen wurde. Es besteht jedoch die Gefahr, dass sich mit der rückläufigen
Infektionshäufigkeit das Infektionsalter in der Bevölkerung erhöht (und damit auch
die Wahrscheinlichkeit einer Röteln-Embryopathie zunimmt). Solange Röteln noch
nicht ausgerottet sind, sollte die Impfstrategie sorgfältig auf die besondere Situation
im jeweiligen Land zugeschnitten werden.
■ dem 1954 von Salk entwickelten Impfstoff mit abgetöteten Viren bzw.
Wirksam sind beide, und in Tab. 34.11 ist eine Gegenüberstellung ihrer Vor- und
Nachteile gezeigt.
■ geringere Kosten
■ die Tatsache, dass er wie alle Lebendimpfstoffe an der richtigen Stelle (d.h. an
der Schleimhaut) immun macht;
Diesen Vorteilen steht die Gefahr der Reversion zum Wildtyp gegenüber; das gilt
besonders für Typ 2 und 3 des Virus, die sich – wie oben beschrieben – nicht so sehr
von Wildstämmen unterscheiden, wie eigentlich wünschenswert wäre. Das Wildtyp-
1160
Virus konnte bereits Tage nach der Impfung aus dem Stuhl isoliert werden, und
besonders bei Kontaktpersonen der Geimpften trat in mehreren Fällen eine
paralytische Poliomyelitis auf (mit einer geschätzten Häufigkeit von 1–2 Fällen pro 1
Million Impfungen). Die Polio-Schluckimpfung darf nicht bei Immunschwäche
durchgeführt werden.
Aus den genannten Erwägungen verzichten einige Länder zugunsten der inaktivierten
Poliovakzine (IPV) auf die Schluckimpfung, z.B. Deutschland, Schweden, Finnland,
Holland und Island. Hier wird argumentiert, dass IPV
Überraschenderweise schützt eine Impfung mit OPV nicht länger als eine Impfung mit
IPV; vielleicht spiegelt sich darin der kürzer anhaltende Schleimhautschutz im
Vergleich zur systemischen Immunität wider. Ohne substanzielle Herdimmunität muss
die Durchimpfung jedoch sehr hoch sein, um mit IPV eine Eradikation der Infektion
zu erreichen.
Trotz der in hohem Maße erfolgreichen Polio-Impfung besteht eindeutig noch Raum
für Verbesserungen. Derzeit werden bei der Weiterentwicklung zwei Linien verfolgt,
nämlich bessere und billigere (orale und inaktivierte) Impfstoffe zu produzieren bzw.
beide zu kombinieren (z.B. IPV im Anschluss an OPV).
Poliomyelitis könnte als nächste Krankheit ausgerottet werden. Europa gilt seit 2002
als Poliomyelitis-frei, und die Global Polio Eradication Initiative wollte dieses Ziel
bis Ende 2005 weltweit erreichten. Im Jahr 2000 waren nur noch in 20 Ländern
Poliomyelitisfälle aufgetreten, und weltweit wurden insgesamt weniger als 3000 Fälle
diagnostiziert. Um die Welt offiziell für Poliomyelitis-frei zu erklären, darf drei Jahre
lang keine Übertragung durch Wildtypen stattfinden. Selbst nach Eradikation der
Krankheit darf nicht sofort mit dem Impfen aufgehört werden, da Patienten mit
Immunschwäche das lebende Poliovirus noch über Jahre ausscheiden können.
1161
Tab. 34.11 Inaktivierte (IPV) und attenuierte orale Poliovakzine
(OPV).
Die Impfstrategien richten sich danach, wie wahrscheinlich eine Infektion ist:
1162
Ein Nachteil der BCG-Impfung besteht darin, dass der diagnostische Wert des
Mendel-Mantoux-Tests in Ländern, wo die Tuberkulose selten vorkommt, verloren
geht, weil es zu einer Konversion im Tuberkulintest kommen kann.
Ein Problem bei Versuchsreihen mit BCG ist eine Verschiebung im Hintergrund, da
die Verbreitung der Infektion noch von anderen Faktoren als der Impfung beeinflusst
wird (z.B. vom öffentlichen Gesundheitswesen oder einer Therapie mit
Antituberkulotika). In Ländern mit niedriger Krankheitsinzidenz wäre es inzwischen
unmöglich, zufriedenstellende klinische Versuche zur Schutzwirkung durchzuführen,
und es gibt auch keinen Schnelltest, mit dem sich die Schutzwirkung genau
vorhersagen ließe.
Wie sich herausgestellt hat, fallen die Ergebnisse des verbreitet eingesetzten
Tuberkulin-Hauttests unabhängig vom tatsächlich vorhandenen Schutz so
unterschiedlich aus, dass er sich besser als Indikator für eine stattgefundene
Exposition gegenüber Mykobakterien statt als Indikator der Immunität eignet (s. Kap.
14).
Ein anderes Problem ist, dass sich in genauso gut kontrollierten Versuchen keine oder
eine völlig unzureichende Schutzwirkung der BCG-Impfung nachweisen ließ.
Tatsächlich schien sie in zwei Versuchen (1980 in Südindien und in Südstaaten der
USA) sogar zum Anstieg der Tuberkulose-Inzidenz zu führen. Als Erklärung für
diese auffällige Diskrepanz, die man von keinem anderen Impfstoff kennt, wurden
zahlreiche Argumente angeführt: Unterschiede bei den Impfstämmen (es gibt keine
weltweit akzeptierte Standardisierung), genetische Unterschiede zwischen
Bevölkerungsgruppen, das vorherrschende Krankheitsmuster oder Anzahl und Typen
der Mykobakterien in der Umgebung könnten sich z.B. auf den Grad der Immunität in
der Bevölkerung ausgewirkt haben.
Die meisten Experten sind sich darüber einig, dass Mykobakterien aus der
Umgebung den größten Einfluss auf den BCG-Impfschutz haben dürften. In einer
kürzlich in Großbritannien (wo die BCG-Impfung schützt) und in Malawi (wo sie
nicht schützt) an jungen Erwachsenen durchgeführten Vergleichsstudie zeigte sich,
dass die Jugendlichen aus Malawi schon vorher eine stärkere T-Zellimmunität gegen
Mykobakterienantigene der Umgebung entwickelt hatten, die durch die BCG-Impfung
geringfügig verstärkt wurde. Dagegen konnte bei den meisten britischen Kindern (weil
sie immunologisch „naiv“ waren) durch die Impfung eine starke T-Zellimmunität
induziert werden.
Abgesehen von ihrem umstrittenen Einfluss bei Tuberkulose hat die BCG-Vakzine
aber potenziell einen dreifachen Nutzen:
1163
rekombinanten Virus bzw. mit zwei rekombinanten Viren sowie Spaltimpfstoffe aus
Sekretionsproteinen.
■ Als Derivat aus menschlichem Blut muss große Sorgfalt darauf verwendet
werden, dass keine lebenden HBV oder sonstigen Viren mit dem Impfstoff
übertragen werden.
■ Dass der Antikörpertiter selbst nach dreimaliger Impfdosis 1–2 Jahre später
wieder abzufallen begann, machte eine Wiederauffrischung nötig. Als protektiv wird
ein Antikörpertiter von 100 IE/l angesehen.
1164
(Mit freundlicher Genehmigung von J.R. Pattison)
Da sich die neue Vakzine (mit inaktivierten ganzen Viren) als sehr wirksam
erwiesen hat – in Thailand konnten 94% der Kinder vor einer klinischen Hepatitis A
geschützt werden –, gilt für Länder mit einer jährlichen Hepatitis-A-Inzidenz von
20/100000 Einwohnern oder höher die Empfehlung, alle über 2-jährigen Kinder
1165
impfen. Zu hoffen ist, dass in absehbarer Zeit auch für das später entdeckte Hepatitis-
C-Virus ein wirksamer Impfstoff entwickelt wird.
Nach einer Exposition sollte möglichst bald mit der Serie von 5–6 intramuskulären
Injektionen begonnen werden; die erste wird mit einer Einmaldosis von humanem
Hyperimmunglobulin (20 IU/kg) kombiniert und verleiht praktisch einen kompletten
Schutz. Als Prophylaxe (z.B. für Reisende in Hochrisikogebiete) sind gewöhnlich 2–3
Dosen ausreichend; bei anhaltender Gefährdung (Tierärzte und andere, die regelmäßig
Umgang mit Tieren haben) ist alle paar Jahre eine Auffrischimpfung nötig.
Die Eradikation scheint noch ein unerreichbares Ziel zu sein, doch in der Schweiz
und Nachbarländern sowie in Kanada wurden erste Versuche mit infizierten
Futterbrocken unternommen, um das attenuierte Virus gezielt bei wildlebenden Tieren
einzuführen – und zwar mit bemerkenswertem Erfolg.
Ein 1937 entwickelter attenuierter Gelbfiebervirusstamm („17 D“) ist bis heute der
hochwirksame Standardimpfstoff gegen Gelbfieber. In tropischen Regionen bewirkt
eine einzelne subkutane Dosis (mit Auffrischungen in regelmäßigen Abständen von 10
Jahren) bei Bewohnern oder häufigen Besuchern einen guten Schutz. Erforderlich ist
die Impfung auch vor Reisen in Länder, in denen die Krankheit bisher nicht
aufgetreten ist, aber Fuß fassen könnte, wenn das Gelbfiebervirus von Touristen
eingeschleppt und Moskitos oder Menschenaffen (Primaten-Wirt) infizieren würde.
Impfpflicht kann sogar für Reisende im Transitbereich eines Flughafens gelten!
1166
Auch gegen die Japanische Enzephalitis und das Rift- talfieber sind Impfstoffe
verfügbar (in allen Ländern wird eine inaktivierte, nur in China eine attenuierte
Lebendvakzine verwendet).
Da bisher aber leider keine Impfung gegen Denguefieber möglich ist, wird der
Entwicklung eines solchen Impfstoffs oberste Priorität eingeräumt. Eine Schwierigkeit
kann sich aus dem Vorhandensein von vier Serotypen ergeben, doch ein größeres
Problem ist, dass sich die Krankheit in immunpathologischer Form manifestieren
kann. Das hämorrhagische Schocksyndrom tritt in Erscheinung, wenn sich Patienten
nach einer früheren Begegnung mit einem Serotyp mit dem zweiten infiziert haben.
Obwohl der Mechanismus nicht ganz klar ist, besteht offensichtlich auch die
Möglichkeit, dass eine Impfung, die nicht gegen alle Serotypen voll wirksam ist, einen
derartigen Zustand begünstigen könnte.
Allerdings ist Grippe eine so wichtige Morbiditäts- und Letalitätsursache (in den
USA schätzungsweise 150 Tote/1 Million), dass man in Erwartung eines besseren
Impfstoffs auch mit einer Reihe nur teilweise wirksamer Vakzinen vorlieb nehmen
muss.
1167
Tab. 34.12 Veränderte Zusammensetzung der Grippeimpfstoffe.
Als Alternative bietet sich ein rekombinanter Virusimpfstoff mit RNA-Teilen an,
die die richtigen H- und N-Antigene kodieren. Theoretisch haben rekombinante und
andere Lebendimpfstoffe den Vorteil, dass sie zytotoxische T-Gedächtniszellen
induzieren, was mit abgetöteten Viren kaum bzw. gar nicht funktioniert. Doch
kürzlich zeigte sich, dass auch in ISCOM enthaltene Virusantigene eine gute
zytotoxische T-Zell-Reaktion hervorrufen können.
Erheblich geringer fällt der Impfschutz bei Kindern aus, die wegen einer Leukämie
medikamentös behandelt werden müssen. Versuche mit hitzeinaktivierten VZV-
Impfpräparaten für Kinder haben gezeigt, dass sie eine Reaktivierung des Virus bei
Krebspatienten (nach hämopoetischer Stammzelltransplantation) verhindern konnten.
1168
Als Antigen dient ein Kapselpolysaccharid, das in groß angelegten Bakterienkulturen
gewonnen wird. In den derzeit verfügbaren Impfstoffen sind Polysaccharidantigene
von 23 verschiedenen Serotypen enthalten, die bei 80% der gesunden Erwachsenen
eine Antikörperreaktion induzieren können.
Für alle Qumrah- und Hadsch-Pilger, die nach Mekka (Saudiarabien) reisen wollen,
besteht Impfpflicht, und manche Länder verlangen auch von heimkehrenden Pilgern,
sich gegen Meningitis impfen zu lassen. Damit soll verhindert werden, dass erneut
eine Meningitis-Epidemie unter den Pilgern ausbricht wie im Jahr 2000 (durch N.
meningitidis W-135).
Bisher ist eine wirksame Impfung gegen Gruppe-B-Stämme nicht möglich, da das
Typ-B-Polysaccharid überwiegend aus Sialinsäure besteht, die nur schwach
immunogen wirkt. Das ist insofern ein Problem, als die meisten Meningitisfälle in den
USA und Europa gerade von Gruppe-B-Stämmen hervorgerufen werden. Statt der
Kapselpolysaccharide könnten vielleicht die bei der Genomsequenzierung entdeckten
Membranproteine als Impfantigen genutzt werden.
Sowohl bei Pneumokokken- als auch bei Meningokokken-Impfungen ist ein weiteres
Problem aufgetreten: Die normale Impfreaktion wird durch andere Infektionen, selbst
durch eine leichte Malaria beeinflusst. So stellte sich bei einem nigerianischen
Versuch heraus, dass eine Malariatherapie mit Chloroquin (1 Woche vor der Impfung)
die Antikörperreaktion auf Polysaccharidantigene verbessern konnte. Das
unterstreicht, wie wünschenswert die Entwicklung eines Malaria-Impfstoffs wäre (s.
unten).
1169
Wie Pneumokokken- und Meningokokken-Impfstoffe
enthält auch der Haemophilus-influenzae-Impfstoff
Kapselpolysaccharid
Für die meisten schweren Erkrankungen ist der Serotyp b des Haemophilus
influenzae(Hib) verantwortlich. Seine Kapsel ist ein mit Phosphodiesterase vernetztes
Polymer aus Ribose und Ribitol und beinhaltet dieselben Schwierigkeiten wie andere
Polysaccharide; auf die Erstimpfung mit Polysacchariden entwickelt sich bei
Kleinkindern unter zwei Jahren nur eine geringfügige Immunogenität.
■ ein Kapselpolysaccharid
Aufgrund der Mutation können die Bakterien nur wenige Tage überleben und
proliferieren, so dass bei oraler Gabe eine lokale Immunität der Darmschleimhaut,
aber keine systemische Erkrankung induziert wird. Alle Mutantenstämme scheinen
sicher und wirksam zu sein (bei 67% der Geimpften in Endemiegebieten bestand noch
1170
sieben Jahre nach der letzten Dosis weiterhin Impfschutz), wobei die beiden zuletzt
Genannten den zusätzlichen Vorteil haben, sich als Vektoren für die Insertion von
Genen anderer Keime zu eignen. TY21a wird entweder mit
Natriumbikarbonattabletten oder in darmlöslichen Kapseln verabreicht.
Erforscht werden soll auch, inwieweit „natürlich attenuierte“ humane Stämme, die
auf Kinderstationen vorkommen, sich zur Impfung eignen. Die Aussichten, dass doch
irgendwann ein Rotavirus-Impfstoff verfügbar sein wird, stehen also recht günstig.
1171
Obwohl aus lebenden, zufällig attenuierten Shigellen wirksame orale Impfstoffe
gewonnen werden können, kamen sie wegen der kurz anhaltenden Schutzwirkung und
gelegentlicher Nebenwirkungen nie breiter zum Einsatz. Derzeit konzentriert sich das
Forschungsinteresse auf gezielt mutierte Stämme und auf die Einfügung von
Shigellenantigen in S. typhi oder andere Vektoren.
Durch die große Auswahl erhöhen sich einerseits die Erfolgsaussichten, doch bei
jedem Ansatz gibt es andere Schwierigkeiten (z.B. ausgedehnte Antigenvariation im
Blutstadium; 100%ige Wirksamkeit in prähepatischen und hepatischen Stadien
erforderlich; Impfung gegen die sexuellen Stadien verhindert nur die Übertragung und
schützt damit die Bevölkerung, aber nicht den Geimpften selbst). Jeder Ansatz hat
Befürworter, doch es wird wahrscheinlich darauf hinauslaufen, dass in einem
wirksamen Impfstoff die Antigene mehrerer oder aller Stadien enthalten sein
müssen.
1172
■ „Leishmanisierung“: Bei dieser alten Praxis aus dem Mittleren Osten wird bei
Kindern eine verdeckte Hautstelle absichtlich mit Leishmania tropica eines milden
Falls infiziert, damit sich eine von selbst heilende Läsion („Orientbeule“) bildet und
die Kinder dadurch immun gegen eine ausgedehntere Hautleishmaniase werden. Die
Methode war auch in der früheren Sowjetunion und in Israel sehr beliebt, doch ihre
Schutzwirkung ist zu unbestimmbar und ein avirulenter Verlauf nicht garantiert.
1173
Abb. 34.10 Impfstrategien gegen Malaria.
In der Vielfalt der Ansätze, die von Forschern untersucht werden, spiegeln sich der
komplexe Entwicklungszyklus und die ausgeprägte Immunität dieser Parasiten
wider (s. Kap. 27).
Mittlerweise wird eine völlig neue Art von Impfstoff getestet. Man verwendet dabei
ein Speichelprotein der Sandfliege (Vektor von Leishmanien), das bei geimpften
Mäusen eine starke Hypersensitivitätsreaktion vom verzögerten Typ (DTH) und einen
hohen Schutz bewirkt. Dies hätte zudem den Vorteil, dass die Impfung wiederholt
aufgefrischt würde, wenn Menschen von Sandfliegen (infiziert oder nicht) gebissen
1174
werden; weniger klar ist jedoch, ob sich die Infektion jemals komplett verhindern
lässt.
Bei Adeno- und Rhinoviren ist es z.B. wegen der zahlreichen Serotypen (ca. 40 bzw.
110) schwer vorstellbar, voll wirksame Impfstoffe zu entwickeln. Bei Herpesviren
besteht die Gefahr, dass eine latente Infektion durch Lebendimpfstoffe reaktiviert wird,
während es bei Totimpfstoffen schwierig sein dürfte, ausreichende Virusmengen zu
erhalten (mit Ausnahme von HSV). Bei Respiratory-syncytial-Viren(RSV) stellt sich das
Problem, dass attenuierte Stämme virulent werden oder Totimpfstoffe die Krankheit
verschlimmern können.
Was die in Tab. 34.13 aufgezählten Bakterieninfektionen betrifft, so ist das Fehlen
einer wirklich überzeugenden Immunität nach einer natürlichen Infektion sehr
entmutigend; als augenfälligstes Beispiel sei die Syphilis genannt. Das Gleiche trifft für
Protozoen- und Wurminfektionen zu – auch wenn die Forschung in verschiedenen
Richtungen weitergeht und für die Veterinärmedizin bereits einige wirksame Impfstoffe
herausgekommen sind (z.B. zur Impfung von Hunden gegen Hakenwürmer oder von
Rindern gegen Lungenwürmer).
Die größten Anstrengungen der Forschung konzentrieren sich vermutlich auf eine
Impfung gegen HIV, um Verbreitung oder Progression der AIDS-Erkrankung zu
stoppen; hier ist die Entwicklung eines wirksamen Impfstoffs im wahrsten Sinne ein
Wettlauf gegen die Zeit. 2002 wurden über 30 Substanzen als potenzielle Impfstoffe in
klinischen Phase-I- bzw. Phase-II-Versuchen getestet und in einigen
Entwicklungsländern wurde bereits der Übergang zu Phase-III-(Wirksamkeits-)Studien
eingeleitet.
1175
Tab. 34.13 Wichtige Infektionskrankheiten, für die es noch keine
zufriedenstellenden Impfstoffe gibt.
* die BCG-Impfung schützt unterschiedlich gut vor Tuberkulose, scheint aber
auch einen gewissen Schutz vor Lepra zu bewirken
Die meisten Forschergruppen richten ihre Aufmerksamkeit auf gp120, ein Molekül, mit
dem sich HIV an Zellen heften und mit ihnen fusionieren kann, und in Thailand wird ein
rekombinanter gp120-Impfstoff getestet, obwohl ein Impferfolg wegen der ausgeprägten
Antigenvariation des Moleküls problematisch erscheint. Eine in Kenia erprobte Impfung
besteht aus einem DNA-Priming und anschließender Boosterung mit modifiziertem
Vaccinia-Virus (Typ Ankara), das die gag-p24/p17-Antigene aller HIV-A-Sybtypen
sowie eine Folge zytotoxischer T-Zell-Epitope enthält.
1176
Brauchen wir neue Impfstoffe zum Schutz vor
Biowaffen?
Um uns vor der Bedrohung durch Bioterroristen zu schützen, sind möglicherweise
neue (und einige der alten) Impfstoffe nötig. Impfstoffe gegen Bacillus anthracis
(Milzbrand) und Yersinia pestis (Pest) sind zwar bereits verfügbar, bleiben aber
beruflich gefährdeten Personengruppen vorbehalten. Auch Pockenimpfstoff wird
schon wieder hergestellt und hat eine Diskussion darüber entfacht, ob eine allgemeine
Schutzimpfung oder eine postexpositionelle Impfung der Infizierten und ihrer
Kontaktpersonen besser wäre.
Aber auch aus den verfügbaren Impfstoffen lässt sich ein größerer Nutzen schlagen.
Es ist besorgniserregend, dass noch immer weltweit so viele Menschen an
Krankheiten sterben, die durch Impfungen zu verhindern wären (Tab. 34.14). Daher
bleibt es das vorrangige Ziel, die bestehenden Impfmöglichkeiten allen Menschen
bereitzustellen.
Impfstoffe in Pflanzen
Ein neuer Ansatz ist auch der Anbau von Pflanzen zur Gewinnung von Impfstoffen.
Könnten die Gene von bakteriellen oder viralen Antigenen in pflanzlichem Gewebe
zur Expression gebracht werden, wäre das viel kostengünstiger als die jetzt üblichen
Fermentierungs- oder Zellkulturmethoden; transgene Pflanzen würden schon
während des Wachsens Impfantigene produzieren.
Pflanzen würden sich auch als Darreichungsform für Impfstoffe eignen: man müsste
nur von transgenen Pflanzen essen, um geimpft zu werden. Die Experimente zum
„Impfstoffanbau“ in Kartoffeln, Tomaten und Tabakpflanzen sind recht viel
versprechend. Es bleiben zwar noch einige Schwierigkeiten zu überwinden – doch
vielleicht schützen wir uns eines Tages mit dem Verzehr einer transgenen Banane vor
einer ganzen Palette von Pathogenen. Die Pflanzen müssten nur so gezüchtet werden,
dass sie gleich mehrere Gene exprimieren!
1177
Tab. 34.14 Weltweite Todesfälle durch acht Krankheiten, die sich
durch Impfung verhüten ließen.
* eingeschlossen sind 215 000 Neugeborene
Zusammenfassung
■ Impfungen dienen zur Vorbereitung des erworbenen Immunsystems auf
bestimmte Erregerantigene, damit es bei einer Erstinfektion eine sekundäre
Immunreaktion induzieren kann.
■ Dass sich das Alter, in dem sich anfällige Personen infizieren, erhöhen kann,
wenn die Mehrheit der Bevölkerung geimpft ist, führt möglicherweise zu
Komplikationen.
1178
■ Insgesamt sind Impfungen sehr nützlich für das öffentliche Gesundheitswesen
(Public Health); trotzdem stellen sich noch große Herausforderungen: z.B. bessere
Nutzung der verfügbaren Impfstoffe zum Wohl der gesamten Weltbevölkerung
und die Entwicklung neuer Impfstoffe für Infektionen, gegen die noch keine
Impfung möglich ist.
FRAGEN
1 * Sind Impfstoffe mit inaktivierten Erregern:
a) inaktivierte Impfstoffe
b) Polio-Lebendimpfstoff
c) BCG-Impfung
d) Masernimpfung
e) Tetanus-Impfung
f) DNA-Vakzinen?
d) kritischer Wert, ab dem eine Infektion nicht mehr übertragen wird, weil
in der Bevölkerung zu wenig Menschen anfällig sind?
1179
d) von der Verfügbarkeit einer Lebendvakzine?
* Fragen mit mehr als einer richtigen Antwort
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Mims, C.A., White, D.O.: Viral Pathogenesis and Immunity. Blackwell Scientific,
Oxford 1984.
Quast, U., Ley, S.: Schutzimpfungen im Dialog. Die häufigsten Fragen zum Thema
Schutzimpfungen (3., überarbeitete Auflage). Verlag im Kilian
www.rki.de
1180
35 Passive und unspezifische Immuntherapie
35.1 Passive Immunisierung durch Antikörper 575
1181
35.1 Passive Immunisierung durch Antikörper
Im Anschluss daran entwickelte sich die Produktion von Antisera zur passiven
Behandlung von Diphtherie, Tetanus und Pneumokokken-Pneumonie zu einem
wichtigen Industriezweig weiter, und Generationen von Pferden wurden nach
Beendigung ihrer aktiven Laufbahn noch als stille Immunserum-Reserve gehalten. Mit
der Einführung eines Antitetanusserums zu Beginn des Ersten Weltkriegs konnte die
Tetanus-Inzidenz drastisch (um das 30-fache) gesenkt werden (Abb. 35.1).
Mit dem Aufkommen von Penicillin und anderer Antibiotika hat sich das Bild stark
verändert, so dass die passive Immuntherapie heute nur noch bei ausgewählten
Krankheiten angewandt wird (Tab. 35.1). Das Serum kann von Mensch oder Tier
stammen und spezifisch oder unspezifisch sein.
Abb. 35.1 Tetanus-Inzidenz von 1914 bis 1917.
In den ersten Monaten des Ersten Weltkriegs konnte die Tetanus-Inzidenz durch
passive Immunisierung drastisch gesenkt werden. Gezeigt ist die Verlaufskurve der
1182
Tetanus-Inzidenz bei verwundeten Soldaten in britischen Krankenhäusern für den
Zeitraum 1914–1916 (Zahlenangaben in Tausend). Als im Oktober 1914 das
Antitetanusserum eingeführt wurde, sank die Häufigkeit abrupt ab.
1183
In der Praxis kann aber eine Mischung verschiedener monoklonaler Antikörper
erforderlich sein, z.B. wenn einzelne Antigene nur in geringen Mengen exprimiert
werden oder wenn zur vollen Entfaltung der Wirkung eine Bindung an mehrere Epitope
nötig ist.
Wir haben oben schon die Herstellung monoklonaler Antikörper in Mäusen beschrieben,
doch ihre starke immunogene Wirkung auf Menschen stellt insofern eine schwere
Komplikation dar, als humane Antimausantikörper (HAMA) gebildet werden, die zur
beschleunigten Entfernung der monoklonalen Antikörper aus dem Blut und
möglicherweise zu Hypersensitivitätsreaktionen führen. HAMA verhindern außerdem,
dass Maus-Antikörper ihr Ziel erreichen, und blockieren in einigen Fällen deren
Antigenbindung. Hier bieten sich Ansatzpunkte, um mit der rekombinanten DNA-
Technologie die xenogenen (fremden) Anteile monoklonaler Antikörper zu entfernen
und durch humane Ig-Strukturen zu ersetzen.
Ein sehr raffinierter Ansatz besteht darin, alle sechs complementarity-defining regions
(CDR) eines hochaffinen monoklonalen Ratten-Antikörpers auf ein komplett humanes
Ig-Gerüst zu verpflanzen, ohne dass sie dabei ihre spezifische Reaktivität verlieren
(Abb. 35.2). Das ist allerdings gar nicht so einfach. Daher bleibt es weiterhin ein sehr
verlockendes Ziel, humane B-Zellen zu fusionieren, vor allem wenn man bedenkt, dass
sich mit solchen Hybridomen nicht nur die Immunogenität stark reduzieren ließe,
sondern auch bei Antikörpern derselben Spezies subtile Unterschiede berücksichtigt
werden könnten – wie die polymorphen Haupthistokompatibilitäts(MHC)-Moleküle und
tumorassoziierten Antigene anderer Menschen.
1184
Abb. 35.2 „Humanisierter“ monoklonaler Ratten-
Antikörper.
Ein völlig anderer Ansatz ist die Produktion transgener Mäusestämme. Dazu bringt
man unrearrangierte humane Ig-Leichtketten-Loci (H und k) von Megabasengröße in
Mäuse ein, deren endogene murine Ig-Gene vorher inaktiviert wurden. Durch
Immunisierung dieser Mäuse lassen sich humane Antikörper hoher Affinität (10−10 bis
10−11 M) gewinnen, die mithilfe von Hybridom- oder rekombinanten Techniken isoliert
werden können. Mit solchen transgenen Mäusen sind bereits sehr wirksame
antiinflammatorische (Anti-IL-8) und (gegen den Epidermal-Growth-Factor-Rezeptor
gerichtete) Antitumormittel hergestellt worden.
Doch die Sache hat noch immer den Haken, dass selbst humane Antikörper
antiidiotypische Reaktionen hervorrufen können; dies lässt sich möglicherweise durch
1185
aufeinander folgende Injektionen gentechnisch erzeugter Antikörper mit verschiedenen
Idiotypen umgehen.
Derzeit werden viele humane Antikörper auf ihren klinischen Nutzen untersucht;
genannt seien Anti-RhD-IgG zur Verhütung der Rhesusunverträglichkeit bei
Neugeborenen oder hochwirksame monoklonale Antikörper zum Schutz vor
VZV(Varicella-Zoster-Virus)-, CMV(Zytomegalievirus)- und Gruppe-B-Streptokokken-
Infektionen bzw. gegen Lipopolysaccharid-Endotoxine Gram-negativer Bakterien.
1186
Abb. 35.3 Selektionsverfahren zur gentechnischen
Antikörperherstellung.
Pools von Genen, die Ig-Domänen enkodieren und von IgG-RNA abgeleitet sind,
werden zufällig kombiniert und als Fab- oder Einzelketten-Fragmente (scFv) auf der
Bakteriophagenoberfläche exprimiert. Es können auch Bibliotheken aufgebaut
werden, die einzelne Domänen einer variablen Schwerketten-Region (VH) – meist
von Mensch oder Lama – exprimieren. Mithilfe von Festkörper-(solid-phase-
)Antigenen können aus diesen extrem großen Bibliotheken Phagenklone ausgewählt
werden, die Gene für Antikörperfragmente mit hoher Affinität enthalten. Um
Antikörperfragmente in ausreichenden Mengen zu produzieren, können geeignete
Ig-Gene geklont und in passenden Vektoren zur Expression gebracht werden.
Die enorm vielen Phagen, die bei einer Escherichia-coli-Infektion entstehen, können nun
mit einem Festkörper- (solid-phase-)Antigen aufgefangen werden, um genau die
auszuwählen, an deren Oberfläche die Antikörper mit der höchsten Affinität sitzen
(Abb. 35.3). Weil in den ausgewählten Phagen bereits die Genkodierung dieser
hochaffinen Antikörper vorliegt, können sie leicht geklont werden, um eine massenhafte
Expression von Antikörperfragmenten zu erreichen.
Um die Affinität der erzeugten Antikörper noch zu steigern, können mit dem Antigen
Mutanten ausgewählt werden, die durch zufällige Mutagenese (oder noch effektiver an
„Mutations-Hotspots“ durch gezielten Austausch gleich an der richtigen Stelle)
entstanden sind und eine noch höhere Affinität besitzen. Auch dies imitiert die zufällige
Mutation und Antigenselektion bei der natürlichen Immunantwort. Es wurden Phagen-
1187
Bibliotheken geschaffen, die gerade einmal die Domänen der variablen Region einer
einzigen Schwerkette exprimieren – mit erstaunlich hoher Affinität, manchmal im
unteren Nano-Molekülbereich.
Bei Gesunden lässt sich das Risiko einer Hepatitis-A-Infektion in einem Endemiegebiet
allein schon durch einmalige Injektion von 5 ml IgG drastisch senken. Auch die
Leihimmunität, die Neugeborene durch diaplazentaren IgG-Transfer und später beim
Stillen durch IgA im Kolostrum (das nicht resorbiert wird, sondern im Darm bleibt) von
ihren Müttern erhalten, ist ein weiterer Beweis für die schützende Wirkung selbst relativ
kleiner Antikörpermengen.
1188
Tab. 35.2 Indikationen für eine normale Immunglobulintherapie.
CMV = Zytomegalievirus
1189
Tab. 35.3 Unspezifische Immunstimulanzien.
1190
Tab. 35.4 Potenziell therapeutisch nutzbare Zytokine.
1191
35.3 Ausgleich von Immundefekten
1192
■ In vitro können gentechnisch hergestellte Antikörper in konventionellen
Vektoren oder in vivo in der Milch von laktierenden Tieren oder in Pflanzen
massenhaft zur Expression gebracht werden.
FRAGEN
1 *Was könnte man als „passive“g Immunisierung beschreiben:
4 Interferon α ist:
1193
d) ein Hemmstoff für die Proliferation extrazellulärer Viren?
(* mehr als eine richtige Antwort)
Zur weiteren Information
Weiterführende Literatur
Allison, A.C.: Immunopotentiation. In: Brostoff, J., Scadding, G.K., Male, D., Roitt,
I.M. (eds.): Clinical Immunology. Gower Medical Publishing, London 1991.
Coley, W.B.: The therapeutic value of the mixed toxins of erysipelas and Bacillus
prodigiosus in the treatment of inoperable malignant tumours. Am J Med Sci 112
(1986) 251.
Parker, M.T., Collier, L.H. (eds.): Topley and Wilson’s Principles of Bacteriology,
Virology and Immunity, Vol. 1, 9th ed. Edward Arnold, London 1997.
1194
36 Nosokomiale Infektionen, Sterilisation und
Desinfektion
36.1 Häufige nosokomiale Infektionen 583
1195
Zur Orientierung
Jede im Krankenhaus erworbene Infektion wird als nosokomiale Infektion
bezeichnet
Dass im Krankenhaus eine große Zahl kranker Menschen unter einem Dach versammelt
ist, hat Vorteile, aber auch einige Nachteile, z.B. dass sich Infektionen leichter zwischen
den Patienten übertragen. Als nosokomiale oder Hospitalinfektion wird jede während
eines Krankenhausaufenthalts erworbene Infektion bezeichnet (im Zeitraum von 48
Stunden nach der Einweisung bis 48 Stunden nach der Entlassung).
Obwohl die meisten Infektionen noch im Krankenhaus symptomatisch werden, treten sie
in einigen Fällen erst nach der Entlassung in Erscheinung (ca. 50% der postoperativen
Wundinfektionen). Dass Patienten aus Kostengründen früher entlassen werden, kann mit
dazu beitragen, dass Infektionen nicht rechtzeitig diagnostiziert werden, während sich
andererseits bei einem kürzeren Aufenthalt vor der Operation das Risiko verringert, sich
einen Hospitalkeim einzufangen (s. unten).
■ einer exogenen Quelle (Kreuzinfektion durch Keime von anderen Patienten oder aus
der Umgebung) oder
■ einer endogenen Quelle (Autoinfektion des Patienten von einer anderen Körperstelle
aus) stammen (Abb. 36.1).
Hat die Inkubationszeit schon vor der Einweisung ins Krankenhaus begonnen, spricht
man nicht von nosokomialer Infektion. Trotzdem können sich Infektionen, die Patienten
aus ihrer häuslichen Umgebung mitbringen, zu nosokomialen Infektionen für die anderen
Patienten und das Krankenhauspersonal ausweiten.
Intensive Studien in den USA kamen in den 70er Jahren zu dem Ergebnis, dass 35? aller
im Krankenhaus erworbenen Infektionen zu verhüten wären. Nach neueren US-
amerikanischen Schätzungen verursachen nosokomiale Infektionen nicht nur Kosten in
Höhe von jährlich rund 4,5 Milliarden Dollar, sondern tragen auch zu mindestens 88000
Todesfällen/Jahr bei.
1196
Zu den häufigsten nosokomialen Infektionen gehören:
■ Atemwegsinfektionen
■ Harnwegsinfektionen
■ Bakteriämien
Abb. 36.1 Nosokomiale Infektionen.
In Abb. 36.2 ist ihre Häufigkeitsverteilung zu sehen. Jede Infektion kann aus einer
exogenen oder endogenen Quelle stammen, doch selbst die Keime einer körpereigenen
(Auto-)Infektionsquelle können sich Patienten erst während des Krankenhausaufenthalts
zugezogen haben. Eine Bakteriämie kann unterschiedliche Ursachen haben:
■ primär – durch direkte Einbringung von Keimen ins Blut, z.B. über
kontaminierte Infusionslösungen
1197
Diese kann leichte Schwankungen in unterschiedlichen Patientengruppen aufweisen,
doch insgesamt sind Harnwegsinfektionen die häufigsten Infektionen bei
Krankenhauspatienten. Andere Infektionen können ebenfalls ausbruchsartig im
Krankenhaus auftreten, wie z.B. Gastroenteritis und Hepatitis.
■ von Candida.
1198
Viele dieser Keime gelten als „opportunistisch“, denn sie können nur bei
Immunschwäche oder nach Einschleppung durch invasive Techniken zur Erkrankung
führen, wirken bei gesunder, intakter Abwehr aber nicht pathogen.
Derzeit ist E. coli für insgesamt mehr nosokomiale Infektionen verantwortlich als jede
andere Spezies, dicht gefolgt von Staphylokokken an zweiter Stelle (Tab. 36.1).
■ Der Kontakt mit kontaminierten Ausscheidungen kann zur Infektion mit Noroviren
(früher als Norwalk-like-Viren [NLV] bzw. small round structured virus [sRSV]
bezeichnet) oder mit Rotaviren führen.
1199
Tab. 36.1 Rangordnung von Hospitalkeimen nach ihrer Bedeutung
für verschiedene Infektionen.
Die Risiken für eine Virusinfektion im Krankenhaus sind im Überblick in Tab. 36.2
dargestellt.
1200
36.3 Infektionsquellen und Übertragungswege im
Krankenhaus
Wenn die Kontamination durch ein Keimreservoir in der Umgebung bedingt ist, z.B.
wenn verunreinigte antiseptische Lösungen in sterile Behälter gelangen und verteilt
werden (Abb. 36.3), muss neben der Quelle auch das Keimreservoir beseitigt werden.
Wie lange ihre Infektiosität anhält, ist bei einzelnen Krankheiten unterschiedlich (s.
Kap. 31). Manche Infektionen sind schon während der Inkubationszeit ansteckend,
andere erst im frühen klinischen Stadium; wieder andere münden nach der klinischen
Heilung in einen längeren Trägerstatus, z.B. Typhus (Abb. 36.4). Obwohl sie selbst
klinisch gesund bleiben, können Träger virulenter Stämme wie S. aureus oder S.
pyogenes zur Quelle einer nosokomialen Infektion werden.
Ein lang anhaltender Trägerstatus wird unter Umständen erst bemerkt, wenn plötzlich
eine Ausbruchsituation entsteht oder wenn sich bei einem besonderen Erreger die Spur
von einzelnen Infizierten zum Träger – z.B. einer Pflegekraft mit chronischer Hepatitis
B – zurückverfolgen lässt.
Wichtig ist daran zu denken, dass bestimmte Keime auf mehreren Wegen verbreitet
werden können. S. pyogenes kann sich z.B. mit Tröpfchen oder Staub in der Luft unter
den Patienten ausbreiten, wird aber auch durch direkten Kontakt mit infizierten
1201
Läsionen (z.B. an der Hand einer Krankenschwester) übertragen. Auch das VZV kann
eingeatmet oder durch direkten Kontakt (mit Windpockenbläschen eines anderen
Patienten oder einer Pflegekraft) übertragen werden.
1202
36.4 Wirtsfaktoren und nosokomiale Infektionen
Besonders anfällig sind sehr junge Patienten, deren Immunsystem noch unreif ist.
Auch ältere Patienten haben häufiger ein höheres Infektionsrisiko, weil
Grundkrankheiten, schlechtere Durchblutung und Bettlägerigkeit eine Stase (z.B.
Sekretstau in der Lunge) und damit eine Infektion begünstigen. Grundkrankheiten
bzw. deren Behandlung (z.B. mit Zytostatika oder Steroiden) können in allen
Altersgruppen zu Infektionen prädisponieren (Abb. 36.5).
1203
Abb. 36.3 Nosokomiale Infektionen verbreiten sich
auf demselben Weg wie Infektionen in der
Bevölkerung.
■ Art der Operation und die Dauer des Eingriffs spielen ebenfalls eine Rolle
(Tab. 36.4, Abb. 36.7; s. auch Kap. 26).
1204
Aufgrund dieser Studien können präventive Maßnahmen für Patienten und
Operationen mit besonders hohem Infektionsrisiko ergriffen werden
(Antibiotikaprophylaxe und spezielle Belüftungssysteme in orthopädischen
Operationssälen, s. unten).
■ längerer Krankenhausaufenthalt, der Geld kostet und für die Patienten und ihre
Familien einen Einkommensverlust und sonstige Härten bedeuten kann;
■ zusätzlich kann eine antimikrobielle Therapie notwendig sein, die teuer ist und
ein höheres Toxizitätsrisiko für den Patienten bedeutet; zudem wird ein
Selektionsdruck auf Hospitalkeime erzeugt, aus dem sich neue Resistenzen entwickeln
können;
1205
Abb. 36.4 Erreger können in unterschiedlichen
Infektionsphasen disseminieren.
1206
des Hepatitis-B-Virus). Opportunistische Erreger gehen oft aus der Normalflora
hervor und können daher lange ohne spürbare Nebenwirkungen vorhanden sein.
Doch in vielen Fällen geht die Infektion von Menschen aus oder von Gegenständen,
die sie berührt haben – was einen Ausschluss sehr viel schwieriger macht. In der
Klinik ist darauf zu achten, dass möglichst kein chronischer Träger im
Behandlungsteam mit Patienten in Kontakt kommt.
1207
Abb. 36.5 Varizelleninfektion bei einem Patienten
mit chronisch-myeloischer Leukämie.
Es dürfte allerdings schwer fallen, solche Träger zu ermitteln und diese auf andere
Positionen zu versetzen.
Ein Infektionsrisiko (z.B. bei blutigen Eingriffen) kann sowohl von Hepatitis-B-
Trägern im Personal (Gefahr für Patienten) als auch von Patienten ausgehen (Gefahr
für ungeschütztes Personal). In jedem Krankenhaus gibt es Behandlungsvorschriften
für Beschäftigte, die sich versehentlich durch kontaminiertes Blut infiziert haben
könnten (z.B. mit HBV, HCV und HIV). Als Prophylaxe wird meist eine aktive
und/oder passive HBV-Immunisierung und bei einer möglichen HIV-Infektion eine
Kurztherapie mit antiretroviralen Mitteln durchgeführt.
Abb. 36.6 Infiziertes Spitz-Holter-Ventil bei einem
Kind mit Hydrozephalus.
1208
(Mit freundlicher Genehmigung von J.A. Innes).
1209
Tab. 36.3 Nicht alle Krankenhauspatienten sind in gleichem Maße
infektionsgefährdet.
Das Klinikpersonal sollte generell dazu angehalten werden, Anzeichen einer Infektion
zu melden (z.B. infizierte Schnittwunde, Durchfallattacke). Freiwillige Impfungen
können in manchen Fällen verbindlich vorgeschrieben werden (Impfpflicht). In Tab.
36.5 sind ausgewählte Infektionskrankheiten aufgeführt, bei denen das Personal besser
vom Dienst befreit werden sollte.
1210
36.6.2 Infektionskette abbrechen
Um die Infektionskette abreißen zu lassen, müssen zwei Elemente berücksichtigt
werden: Strukturen und Menschen. Bau und Ausstattung eines Krankenhauses können
bei der Prävention von Infektionen, die sich aerogen ausbreiten, und bei der
Einhaltung aseptischer Kautelen eine Rolle spielen – was aber nichts hilft, wenn das
Personal die gebotenen Möglichkeiten nicht richtig nutzt oder sich nicht selbst aktiv
bemüht, die Verbreitung von Infektionen zu verhindern.
1211
Durch Luft übertragbare Infektionen
Nach einer Operation hat sich eine großflächige Ulzeration gebildet, mit
gangränösem Hautgewebe und einer offenen Stelle im Wundbereich und
umgebender Cellulitis (mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood).
1212
Durch Patientenisolation lässt sich die aerogene
Übertragung signifikant verringern
Patienten werden entweder isoliert,
■ weil sie infiziert sind (Absonderung zum Schutz der anderen Patienten).
Durch die Isolierung kann auch eine Übertragung auf anderem Wege verhindert
werden, denn der eingeschränkte Zugang zu diesen Patienten erinnert das Personal
eher daran, wie wichtig Kontakte für die Ausbreitung von Infektionen sind.
Zur Schutzisolierung kann der Patient in ein Einzelzimmer auf der Station verlegt
oder in eine Isolierzimmer eingeschlossen werden. Überdruck (positive pressure
ventilation) sorgt dafür, dass die Luft aus dem „reinen“ Patientenbereich
(Zimmer/Isolator) herausgeleitet wird. Jeder aus dem Behandlungsteam sollte beim
Betreten des Raums oder bei Pflege- bzw. ärztlichen Maßnahmen einen sterilen
Kittel, Handschuhe und Mundmaske tragen, um keine eigenen oder Keime von
anderen Patienten zu übertragen.
1213
Ausstattung (Doppeltüren, Luftschleuse) lassen sich die richtigen Luftströme aber
nur schwer verwirklichen.
Daher sollten
■ vor jeder Maßnahme, bei der Schutzhandschuhe oder Werkzeuge nötig sind,
1214
Die Widerstandskraft von Patienten kann durch
Auffrischungsimpfungen und Ausschalten von
Risikofaktoren verbessert werden
1215
Gram-negative Stäbchenbakterien gehören normalerweise nicht zur residenten
Hautflora (außer in Feuchtbereichen), können aber leicht mit den Händen auf
anfällige Patienten übertragen werden.
1216
Dialysepatienten eine aktive Immunisierung zu empfehlen. Weitere Impfungen zum
Schutz von Krankenhauspatienten sind in Tab. 36.7 zusammengefasst.
Geeignete Antibiotikaprophylaxe
■ zu häufig und zu lange; dadurch steigt der Selektionsdruck und es treten neue
Resistenzen auf;
1217
kommen könnte. Die Aktivität von Mupirocin richtet sich besonders gegen Gram-
positive Kokken. In den vergangenen Jahren hat es eine wichtige Rolle in der
MRSA-Eradikation (Methicillin-resistente S. aureus) bei chronischen Trägern
gespielt, doch inzwischen sind auch bei diesem Mittel Resistenzen unterschiedlichen
Schweregrades aufgetreten.
Katheterpflege
1218
Bakteriämie und Candida-Sepsis sind bei
stationären Patienten oft infusionsbedingt
Im Rahmen von Infusionen gehen Bakteriämien und Candida-Sepsis meist vom
Katheter aus. Entzündungen an der Einstichstelle werden häufig von Bakterien aus
der Hautflora des Patienten verursacht, wobei es sich aber auch um resistentere
Keime handeln kann, die erst während des Klinikaufenthalts die patienteneigene
Flora verdrängt haben. Auslöser der Infektion sind überwiegend koagulasenegative
Staphylokokken, doch auch S. aureus, Gram-negative Stäbchenbakterien oder
Candida können beteiligt sein. Durch geeignete Gegenmaßnahmen ließen sich diese
Infektionen vermeiden. Infektionsquellen und Prävention sind in Abb. 36.9
dargestellt.
1219
Abb. 36.9 (Gefäß-)Katheterentzündungen –
Infektionsquellen und Möglichkeiten zur Prävention
■ eine Operationsdauer, die so kurz wie möglich, aber trotzdem noch mit einer
guten Operationstechnik vereinbar ist,
1220
36.7 Epidemiologische Untersuchung nosokomialer
Infektionen
Viele der in Kap. 31 genannten epidemiologischen Grundsätze sind auch auf nosokomiale
Infektionen anwendbar. Bei den im Krankenhaus ausbrechenden Infektionen handelt es
sich um Epidemien, die entdeckt werden, weil ihre Inzidenz über der normalen
Häufigkeit in der jeweiligen Institution liegt. Epidemiologische Untersuchungen dienen
dazu, das Ausmaß, die Infektionsquelle und Übertragungswege zu ermitteln,
Risikogruppen zu definieren und wirksame Gegenmaßnahmen festzulegen.
■ Richtlinien und Maßnahmen zur Verhinderung von Infektionen festzulegen (z.B. zur
Katheterpflege, Antibiotikatherapie, Desinfektion; Verfahrensweise bei möglicher
Infektion nach einer Nadelstichverletzung oder durch Blutspritzer),
1221
36.7.1 Überwachung (Surveillance)
■ Rundgänge auf den Stationen: Bei der direkten Inspektion können neue Fälle
einer Infektion erkannt oder bereits identifizierte Fälle nachkontrolliert werden. Um
sich einen Überblick (z.B. über Wundinfektionen nach bestimmten Eingriffen) zu
verschaffen, können dies auch die Stationen übernehmen.
1222
Zur Beschreibung einer Epidemie in
epidemiologischen Begriffen müssen relevante
Informationen eingeholt werden
■ Wie viele Patienten sind infiziert?
■ Bei respiratorischen und intestinalen Viren geht die Infektion von einem
Patienten oder dem medizinischen Personal aus.
Wertvolle Hinweise lassen sich auch aus der Örtlichkeit einer Epidemie ziehen, z.B.,
ob sie auf der internistischen, chirurgischen, Kinder- oder Intensivstation aufgetreten
ist. (Die Intensivstation galt früher als Epizentrum nosokomialer Infektionen.)
1223
36.7.3 Schritte zum Aufspüren der Infektion
Sobald das Problem klinisch erkannt ist, sollten Proben von den Patienten und – bei
entsprechenden Hinweisen – auch vom medizinischen Personal gewonnen werden (s.
Kap. 32). Wenn eine Umweltkontamination als Infektionsquelle in Betracht kommt,
sollten auch von Flächen, Materialien, Geräten oder Wasser Proben genommen werden.
Dieser Schritt ist wichtig, weil eine Untersuchung (mit einem nichtinfektiösen DNA-
Marker als experimentellem Infektionserreger) gezeigt hat, dass sich Keime über die
Hände des Personals rasch auf alle möglichen Oberflächen (Computer, Akten, Telefone,
Klingeln, Türgriffe, Wärmeregler, Monitore) ausbreiten. Nach Sammlung der Proben
übernimmt das mikrobiologische Labor die Aufgabe, die betreffenden Erreger zu
identifizieren und zu typisieren.
Während die Untersuchung im Gang ist, sollten weitere Maßnahmen ergriffen werden,
um die Infektion einzudämmen und eine Ansteckung anderer Patienten zu verhindern.
Daher sollten infizierte Patienten isoliert und entsprechend behandelt werden. Wenn
sich Mitglieder des Teams infiziert haben oder wenn sich herausstellt, dass sie Träger
sind, sollten sie vom Dienst suspendiert werden, bis die Infektion auskuriert ist.
1224
Zu epidemiologischen Zwecken werden eine Reihe
phäno- und genotypischer Merkmale als
„genetischer Fingerabdruck“ von Bakterien
verwendet
Um die Ausbreitung nosokomialer Infektionen epidemiologisch zu untersuchen, ist es
– wie bei Epidemien in der normalen Umgebung – erforderlich, verschiedene Isolate
der infektiösen Keime zu identifizieren und herauszufinden, ob es dieselben oder
unterschiedliche sind. Manchmal lässt sich nur sagen, dass zwei Erreger nicht
voneinander unterscheidbar sind (was aber nicht heißt, dass sie identisch sein müssen).
Im Fall von Bakterien, die regelmäßig in der Normalflora oder in der Umgebung
vorkommen, ist wichtig, den Epidemie-Stamm von anderen derselben Spezies
abzugrenzen, die nicht an der Infektion beteiligt sind, aber trotzdem im Laufe der
Untersuchung nachweisbar sein können. Im Wesentlichen dient die Typisierung zum
Erkennen von Anzeichen einer klonalen Ausbreitung bestimmter Erreger.
1225
Bei der Biotypisierung wird untersucht, ob Keime auf
verschiedenen Substraten wachsen oder
unterschiedliche Enzyme produzieren können
Im Idealfall sollten zur Biotypisierung andere biochemische Tests angewandt
werden als zur Erregeridentifizierung. Identifizierungstests werden ausgewählt, um
ähnliche Keime in Gruppen zusammenzufassen, während Biotyptests eine Spezies in
unterschiedliche Stämme aufteilen können. Diagnostische Laboratorien verwenden
zur Biotypisierung jedoch oft Multitest-(Identifikations-)Systeme im Kleinformat
(Abb. 36.10).
Spezialisierte Typisierungstechniken
1226
Abb. 36.10 Biotypisierung von Bacillus-cereus-
Isolaten nach Ausbruch einer Infektion auf der
Intensivstation.
Biotypisierungssysteme bauen darauf auf, dass sich Stämme einer Spezies durch
ihre Metabolisierung und ihr Wachstum auf verschiedenen Substraten
unterscheiden können. Kommerziell erhältliche Multitestsysteme sind in erster
Linie zur Identifizierung gedacht, werden aber auch zur Biotypisierung
verwendet. Auf jedem Streifen reihen sich unterschiedliche biochemische Tests
hintereinander. Nach Inokulation aller Vertiefungen mit dem Isolat und
anschließender Inkubation lässt sich an einem Farbumschlag ein positives
Ergebnis ablesen (mit freundlicher Genehmigung von S. Dancer).
1227
erfordert. Die Centers for Disease Control (CDC) in den USA haben die
Phagentypisierung aufgegeben zugunsten molekularer Techniken wie der Pulsed-
field-Gelelektrophorese (PFGP, s. unten).
Die Methode kann bei allen Bakterien angewandt werden, die Bakteriocine
produzieren. Am erfolgreichsten war sie bei P. aeruginosa (Pyocin-Typisierung –
von der früheren Bezeichnung P. pyocyanus abgeleitet) und bei Shigella sonnei
(Colicin-Typisierung – eine Bezeichnung, die sich auf die genetische Ähnlichkeit
mit E. coli und die Empfindlichkeit gegenüber den von dieser Spezies gebildeten
Bakteriocinen [= Colicine] bezieht).
1228
Molekulare Typisierungsmethoden charakterisieren
die DNA von Keimen
Auch wenn die oben genannten Methoden sehr nützlich zur epidemiologischen
Analyse nosokomialer Infektionserreger waren, beruhen sie im Grunde alle auf
unterschiedlichen Phänotyp-Merkmalen von Isolaten. Das eigentliche
Identitätsmolekül von (Bakterien-)Zellen stellt aber das Chromosom dar, und daher
geht der Trend in den letzten Jahren in Richtung einer Genotyp-Charakterisierung, die
oft als molekulare Epidemiologie bezeichnet wird.
Das Testisolat wird bandförmig auf einer Agarplatte angezüchtet und bildet dabei
Bakteriocine, die in den Agar diffundieren. Nach Inkubation über Nacht wird am
nächsten Tag der mit bloßem Auge (makroskopisch) erkennbare Bewuchs entfernt
und die Platte mit Chloroform behandelt, um übrig gebliebene Keime abzutöten
(Bakteriocine sind resistent gegen Chloroform). Danach werden im rechten
Winkel zum ersten Band Streifen von Indikatorstämmen ausgelegt und die
Agarplatte ein zweites Mal inkubiert. Anhand der Wachstumshemmung eines
Indikators lässt sich der getestete Stamm dann typisieren.
1229
Abb. 36.13 Verbreitung eines einzelnen Resistenz-
Plasmids auf unterschiedliche Stämme und Spezies
in einem Krankenhaus.
1230
anderen Gram-negativen Spezies ([O’Brien, T.E. et al. 1980] in: Antimicrob
Agents Chemother 17:537).
Doch die DNA-Sequenzen, die von den meisten Restriktionsenzymen (Eco-RI, Hind-
III usw.) erkannt werden, sind zu Hunderten in einem typischen
Bakterienchromosom vertreten. Daher stellt ein akkurater Vergleich der
Elektrophorese-Muster Hunderter Restriktionsfragmente, die sich oft zu Clustern
ähnlicher Größe zusammenlegen und auch ortsständige Plasmid-DNA einschließen
können, eine ziemlich große Herausforderung dar.
Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert der Northern-Blot, mit dem RNA-
Sequenzen charakterisiert werden. In dem Zusammenhang sind Antibiotika-
Resistenzgene und verschiedene Sequenz-Repeats (z.B. Transposons) besonders gut
als Ziel geeignet. Bei der Hybridisierung kommt es zu unterschiedlich großen
Restriktionsfragmenten – allgemein als
Restriktionsfragmentlängenpolymorphismus (RFLP) bezeichnet –, deren Muster
der Lage der hybridisierten Sequenzen auf dem Chromosom entspricht und Hinweise
auf die chromosomale Verwandtschaft von Isolaten gibt (Abb. 36.14a).
Der Erfolg von RFLP-Analysen ist in erster Linie auf Sonden für
Insertionssequenzen zurückzuführen, die ausreichend viele unterschiedliche
Chromosomenlokalisationen abdecken, um epidemiologisch relevante Beziehungen
widerzuspiegeln. Ein Beispiel für die erfolgreiche Anwendung der Methode sind
IS6110-Sonden zur RFLP-Analyse von Mycobacterium tuberculosis.
Auch wenn sie der alleinigen Anwendung der REA überlegen ist, gilt die RFLP-
Analyse epidemiologisch nur als mäßig diskriminatorisch.
1231
PFGE und PCR – die „dritte Generation“ der
molekularen Epidemiologie
Anstelle von Restriktionsenzymen, die sie häufig zerschneiden, können zum Verdau
der chromosomalen DNA auch Enzyme verwendet werden, die weniger
Erkennungsstellen im Bakterienchromosom haben (z.B. Not-I, Sfi-I, Spe-I und Xba-I
bei den meisten Gram-negativen Bakterien oder Asc-I, Rsr-II, Sgr-AI und Sma-I bei
den meisten Gram-positiven Bakterien). Die entstehenden DNA-Fragmente sind viel
zu groß, um mit der herkömmlichen Agarose-Gelelektrophorese aufgetrennt zu
werden, lassen sich aber auflösen, wenn ein elektrophoretischer Strom mit zeitlich
unterschiedlicher Dauer in unterschiedliche Richtungen „pulsiert“ („Pulsed-Field“-
Gelelektrophorese, PFGE).
Diese Methode hat sich als sehr nützliches Instrument für die Epidemiologie erwiesen.
Mit der PFGE werden Makrorestriktionsmuster erzeugt, die eine Art „globales“
chromosomales Monitoring ermöglichen, denn aus Veränderungen der
Restriktionsfragmentgröße kann auf genetische Abläufe geschlossen werden, die sich
auf den Abstand zwischen Sequenzen der seltenen Restriktionsstellen auswirken (Abb.
36.14b).
Bis jetzt besteht der größte Nachteil der PFGE-Analyse im zusätzlichen Zeit- und
Arbeitsaufwand für die Herstellung unzerbrochener Chromosomenmoleküle, die für
reproduzierbare Makrorestriktionsfragmentmuster benötigt werden. Im Großen und
Ganzen hat aber der Gesamterfolg der PFGE-Analyse dazu geführt, dass sie zum
Goldstandard für die epidemiologische Untersuchung klinisch bedeutsamer
Erreger/Keime geworden ist.
Einer der ersten und am häufigsten angewandten Ansätze dieser Art ist die zufällige (=
randomly) Amplifikation polymorpher DNA (RAPD), die auch als willkürlich
angestoßene (= arbitrarily primed) AP-PCR bezeichnet wird. Die Methode stützt sich
darauf, dass die Stringenz (d.h. Spezifität), mit der sich PCR-Primer an DNA-Matrizen
binden, durch eine Lockerung der Bedingungen beeinflusst werden kann. Die PCR-
Primer dürfen sich nach Belieben an Chromosomensequenzen variabler Homologie
binden, danach werden die entstandenen Produkte einer vergleichenden Analyse (mit
Agarose-Gelelektrophorese) unterzogen. Wenn es sich bei einer Gruppe klinischer
Isolate um einen einzelnen zwischen den Patienten übertragenen Stamm handelt, wäre
zu erwarten, dass sie denselben Grad an Zufälligkeit (randomness) zeigen, der zu
identischen PCR-Produkten führen würde (Abb. 36.14c).
Mehrere Studien haben jedoch ergeben, dass diese Methode besonders anfällig für
Artefakte und eine Intra- sowie Inter-Labortest-Variabilität ist. Dennoch liefert
die insgesamt einfach zu handhabende PCR noch immer den Antrieb zur
Neuentwicklung und technischen Verfeinerung epidemiologischer
Untersuchungsmethoden, deren Darstellung den Rahmen dieses Buches jedoch
sprengen würde.
1232
DNA-Sequenzanalyse – die „vierte Generation“ der
molekularen Epidemiologie
Da das Chromosom das eigentlich Identitätsmolekül einer Zelle ist, wären die
tatsächlichen Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Isolaten bei einer nosokomialen
Infektion wohl auch am besten durch einen Vergleich der Chromosomensequenzen zu
klären. Obwohl dieser epidemiologische Ansatz noch in den Kinderschuhen steckt,
beruht das, was man als „vierte Generation“ der molekularen Epidemiologie ansehen
könnte, auf der Analyse von Nukleotidsequenzen.
1233
Abb. 36.14 „Zweite und dritte Generation“ der
molekularen Epidemiologie.
1234
a) Restriktionsfragmentlängenpolymorphismus(RFLP)-Analyse mit DNA-
Sonden. Dargestellt sind drei Hospitalkeime (A und B sind epidemiologisch
verwandt, C nicht), die mit der RFLP-Analyse und anschließend mit einer
spezifischen DNA-Sonde untersucht wurden.
1235
Molekulare Nachweis- und Typisierungsmethoden wie die Sequenzierung sind in der
Regel eher für epidemiologische Zwecke als unmittelbar zur Behandlung von Patienten
nötig. Doch unter Umständen (z.B. bei Patienten mit akuter Hepatitis B nach einer
Operation) muss durch gründlichere Untersuchung der Übertragungsweg ermittelt
werden. Das kann die Kontrolle von Blutprodukten ebenso beinhalten wie die
Untersuchung des Personals, das risikogefährdete Eingriffe durchgeführt hat, die
Untersuchung anderer Patienten, die auf der OP-Liste standen, der Sexualpartner oder
sonstiger Risikofaktoren (kontaminierte Injektionsnadeln).
36.7.7 Prävention
1236
36.8 Sterilisation und Desinfektion
Es ist klar, dass die Prävention nosokomialer Infektionen zum Teil auch davon abhängt,
dass saubere und bei Bedarf sterile Geräte, Instrumente und Verbände verfügbar sind und
dass die Möglichkeit zur Isolierung (Isolierstation) und zur sicheren Entsorgung von
infiziertem Material besteht. Wenn Mikrobiologen über Sterilisation und Desinfektion
sprechen, meinen sie oft die Herstellung steriler Kulturmedien und andere
Labortätigkeiten, doch an dieser Stelle sollte betont werden, dass das Sterilitätskonzept für
(fast) alle medizinischen Gebiete in der Praxis eine zentrale Rolle spielt.
Wer nachvollziehen kann, weshalb Sterilisation und Desinfektion vernünftig sind, wird im
medizinischen Alltag überlegten Gebrauch von sterilen Instrumenten/Hilfsmitteln
(Injektionsnadeln bis Prothesen) und Techniken (Operation bis Händewaschen) machen.
36.8.1 Definitionen
■ chemische Mittel (Desinfizienzien), die Keime, aber nicht alle Viren und
Sporen vernichten;
1237
Auf der normalen Haut siedeln sowohl an der Oberfläche als auch tief in
Hautporen und Ausführungsgängen der Schweiß- und Talgdrüsen Bakterien. Aber
auch Bakterien aus einer kontaminierten Quelle können über die Haut auf anfällige
Patienten übertragen werden (bei Berührung). Durch gründliches Händewaschen
mit Wasser und Seife werden transiente und zum Teil auch residente Keime von
der Hautoberfläche entfernt – mehr noch durch Bürsten der Hände mit
Desinfizienzien. Dennoch ist die Hautoberfläche innerhalb von Stunden wieder
neu mit Normalflora aus tiefen Hautporen besiedelt.
1238
In verpackten Flüssigkeiten wie Milch oder Fruchtsäften lässt sich die Gesamtzahl
lebender Mikroorganismen durch Pasteurisierung verringern, ohne dass Geruch und
Geschmack beeinträchtigt würden. Auch wenn es Sporen nichts anhaben kann, hilft
Pasteurisieren gegen intrazelluläre Erreger wie Brucellen, Mykobakterien und viele
Viren. Seit Beginn der Geschichtsschreibung gab es immer wieder neue Versuche von
Menschen, mit unterschiedlichen Techniken Nahrungsmittel haltbar zu machen (z.B.
durch Trocknen oder Salzen) und die Vermehrung von Keimen zu verhindern.
Im Fall von Bakterien hängt die Form der Zerstörungskurve von ihrem
physiologischen Zustand ab; junge Bakterienzellen in der Vermehrungs-
/Replikationsphase sind in der Regel anfälliger als Zellen in der Ruhe- oder
Rückbildungsphase und als Sporen. Anhand von Kurven, wie der in Abb. 36.16
gezeigten, kann man vorhersagen, unter welchen Bedingungen sich Sterilität erreichen
ließe. Solche experimentellen Aussagen stützen sich aber meist auf Reinkulturen im
Labor (bei denen oft Bakteriensporen als Modelle dienen), während die Biolasten im
wirklichen Leben oft gemischt sind. Für Vorhersagen in Bezug auf gemischte
Keimpopulationen können die Daten völlig ungeeignet sein.
1239
Abb. 36.16 Zerstörungskurve einer Population.
36.8.3 Sterilisationsverfahren
1240
Zur Sterilisation verwendet man:
■ Hitze
■ Filtration
Es sei daran erinnert, dass die Erreger der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD), der
bovinen spongiformen Enzephalopathie (BSE) und von Scrapie äußerst resistent und
weder durch Formalin, UV-Bestrahlung, ionisierende Strahlen noch durch regelmäßige
Autoklavierung komplett inaktivierbar sind. Zur Sterilisierung müssen sie 10 Minuten
bei Atmosphärendruck in 1N NaOH gekocht und anschließend längere Zeit bei einer
höheren Temperatur als normal (134°C über 18 Minuten) autoklaviert werden. Diese
Methode ist natürlich nicht für lebende Gewebe oder Materialien geeignet, die bei so
hoher Temperatur geschädigt würden.
1241
Hitze
Hitze stellt eine Art Energietransfer dar und wird als Sterilisierungsmethode
bevorzugt, weil sie leicht handhab- und kontrollierbar, kostengünstig und effizient ist.
Die Länge der Autoklavierung richtet sich nach der vorgeschriebenen Zeit
(abgeleitet aus der Zerstörungskurve hitzeresistenter Keime wie Clostridien) plus
einer Sicherheitsspanne. Üblicherweise reicht ein 15-minütiger Zyklus bei 121°C
aus, um C.-botulinum-Sporen mit angemessenem Sicherheitsbereich zu zerstören.
Doch bestimmte Bakteriensporen, vor allem von Bodenkeimen, überstehen selbst
diese Temperatur noch.
Der Sicherheitsbereich wird bei einer großen Keimzahl kleiner, weil in einer
größeren Population mit höherer Wahrscheinlichkeit mehr hitzeresistente Exemplare
vorkommen. Daher sollten Instrumente vor der Sterilisation möglichst immer erst
gereinigt werden.
1242
Zur raschen Desinfektion können Instrumente notfalls
für ein paar Minuten in kochendes Wasser getaucht
werden
Beim Auskochen in Wasser reichen wenige Minuten aus, um vegetative
Bakterienformen und viele (aber nicht alle) Sporen abzutöten. Der sporizide Effekt
kann durch Zugabe von 2? Natriumcarbonat zum Wasser verstärkt werden.
Bestrahlung
Auf die Kaltsterilisation mit UV-Strahlen ist weiter oben schon eingegangen
worden.
Filtration
1243
Durch Filterung können partikel- und pyrogenfreie
Flüssigkeiten gewonnen werden
Hitzesterilisierte Lösungen enthalten oft Pyrogene (hitzestabile Abbauprodukte von
Bakterien), die Fieber verursachen können und daher unerwünschte Inhaltsstoffe
sind, z.B. in Infusionslösungen. Wasser oder Wein durch Filtration zu klären, d.h.
Verunreinigungen von einem Produkt zu trennen, hat eine lange Geschichte.
Moderne Filter bestehen aus Nitrozellulose und funktionieren als physikalische
Form der Sterilisation mit elektrostatischer Anziehung und unterschiedlich großen
Poren, die Keime oder andere Partikel zurückhalten. Filtrierte Flüssigkeiten sind
praktisch frei von Teilchen. In einigen Teilen der Welt wird auch das Trinkwasser so
aufbereitet.
Chemikalien
■ Formaldehyd ist nicht explosiv, hat aber einen äußerst unangenehmen Geruch
und reizt die Schleimhäute. Es wurde zur Raumdesinfektion (z.B. auf der
Isolierstation) und im Labor zur Desinfektion benutzter Schutzkabinen verwendet.
Entscheidend für die Wirkung ist eine relativ hohe Luftfeuchtigkeit.
1244
Einige (z.B. Derivate aus Kiefernöl und Terpentin) sind schon seit Urzeiten bekannt,
und Chlorkalk oder flüssige Kohlenteerpräparate waren längst in Gebrauch, bevor
sich die Keimtheorie von Krankheiten durchsetzte. Die meisten dieser Substanzen
gehören zu den Desinfektionsmitteln oder Antiseptika, doch zur Sterilisierung
eignen sich nur sehr wenige. Ihre Wirksamkeit wird beeinflusst von:
■ Luftfeuchtigkeit
■ Konzentration/Verdünnung
■ Wasserhärte
Dass die genannten Faktoren unter bestimmten Umständen nur schwer kontrollierbar
sind, ist einleuchtend. Die wichtigsten chemischen Substanzgruppen sind in Tab.
36.8 angeführt. Sie wirken durch eine chemische Schädigung von Proteinen,
Nukleinsäuren oder Zellmembranlipiden der Erreger. Manchmal setzt sich die
Wirkung von Desinfektionsmitteln auch aus unterschiedlichen
Schädigungsmechanismen zusammen.
1245
36.8.4 Kontrolle von Sterilisation und Desinfektion
1246
Tab. 36.8 Desinfektionsmittel im Krankenhaus.
1247
Außerdem fragt sich, wie viele Proben in dem Fall untersucht werden müssten.
Untersucht man zu wenige, wird das ungenügende Produkt wahrscheinlich nicht
entdeckt, sind es zu viele, wird sich der allein zur Qualitätskontrolle verbrauchte
Anteil ökonomisch bemerkbar machen.
1248
■ Um Ausbrüche (Epidemien) einer Infektion rechtzeitig zu erkennen, sollte eine
fortlaufende Überwachung gewährleistet sein, und bei der Untersuchung ist
epidemiologisches und mikrobiologisches Fachwissen gefragt.
Molekularbiologische Methoden (um einen genetischen „Fingerabdruck“ der
ursächlichen Keime zu erstellen) werden technisch immer weiter verfeinert.
■ Zur besseren Versorgung der Patienten und zur Kosteneinsparung ist die
Prävention nosokomialer Infektionen (Ausschluss von
Keimreservoir/Infektionsquellen, Unterbrechung der Übertragungskette, Stärkung
der Widerstandskräfte) unverzichtbar.
FRAGEN
Als Chirurg werden Sie von der Stationsschwester zu einem Patienten gerufen, der
Fieber bekommen hat, nachdem drei Tage vorher eine Kolonresektion (wegen
Kolonkarzinom) durchgeführt worden war. Der Eingriff verlief glatt, und bisher
hatte sich der Zustand des Patienten recht gut entwickelt. Die medizinische
Anamnese vor der Einweisung ins Krankenhaus war unauffällig. Der Patient ist
Raucher. Bei der Untersuchung beträgt seine Temperatur 37,8°C, er zeigt eine
leichte Ruhedyspnoe und über der Lungenbasis sind beidseitig einzelne
Rasselgeräusche auskultierbar. Die Bauchwunde ist mit einem Verband abgedeckt,
den Sie ungern entfernen würden.
Bennett, J.V., Brachman, P.S. (eds.): Hospital Infections, 4th ed. Lippincott-Raven,
Philadelphia 1998.
Mayhall, C.G. (ed.): Hospital Epidemiology and Infection Control. William &
Wilkins, Baltimore 1999.
1249
Wenzel, R.P. (ed.): Prevention and Control of Nosocomial Infections, 3rd ed.
William & Wilkins, Baltimore 1997.
Wenzel, R.P., Brewer, T.F., Butzler, J.P.: Guide to Infection Control in the Hospital.
Decker, Hamilton/Ontario 2002.
1250
Pathogene im Überblick
Eine alphabetische Auflistung aller Organismen (einschließlich der Pathogene im
Überblick) finden Sie im Index.
Viren
Adenoviren
1251
Arenaviren
Zu ihren Vertretern zählen die Erreger des Lassa-Fiebers und LCM-Viren (Erreger der
lymphozytären Choriomeningitis).
1252
Bunyaviren
1253
Coronaviren
1254
Filoviren
Zu ihnen gehören das Ebola- und Marburg-Virus.
1255
Flaviviren
Ihre Vertreter verursachen die folgenden Erkrankungen: Dengue-Fieber, Japanische
Enzephalitis, Gelbfieber, durch Zecken übertragene Enzephalitis, West-Nil und
Hepatitis C.
1256
Hepatitis B
1257
Hepatitis D (Delta)
Hepatitis E
1258
Herpesviren
1259
Zu ihren Vertretern zählen Herpes-simplex-Virus (HSV), Varicella-Zoster-Virus (VSV),
Zytomegalievirus (CMV), Epstein-Barr-Virus (EBV), humanes Herpes-Virus (HHV) 6, 7 und
8.
1260
Noroviren
1261
Orthomyxoviren
Influenzaviren
1262
Papovaviren
1263
Zu ihnen gehören die Papillomaviren, JC- und BK-Viren.
1264
Paramyxoviren
Zu ihren Vertretern zählen die Erreger von Masern, Mumps, das Respiratory Syncytial Virus
(RSV), das Parainfluenzavirus, das humanpathogene Metapneumovirus, Nipah-Virus und
Hendra-Virus.
1265
Parvovirus
1266
Picornaviren
1267
Zu ihren Vertretern zählen die Enteroviren, Coxsachieviren, Echoviren, Polioviren und
Hepatits-A-Virus.
1268
Poxviren
1269
Reoviren
Zu ihnen zählen die Rotaviren und das Colorado-Zeckenfiebervirus.
1270
Retroviren
Sie schließen HIV-1, HIV-2, HTLV-1 und HTLV-2 ein.
1271
Rhabdoviren
Rabiesvirus
1272
Togaviren
Zu ihren Vertretern zählen Rubella-, Chikungunya-, O’nyong-nyong-, Ross River-, Eastern-
und Western Enzephalitis-Viren.
1273
Humane Erkrankungen mit Prionen
1274
Bakterien
Gram-positive Kokken
Gattung Staphylokokken
Zu dieser Gattung gehören mindestens 16 verschiedene Arten, von denen drei von großer
medizinischer Bedeutung sind: S.aureus, S. epidermidis, S. saprophyticus.
1275
Staphylococcus aureus
1276
Staphylococcus epidermidis
1277
Staphylococcus saprophyticus
1278
Gattung Streptokokken
Bei den Streptokokken handelt es sich um eine große Gruppe Gram-positiver Kokken,
die weitverbreitet in Mensch und Tier vorkommen und Teil der normalen Flora bilden.
Einige Arten rufen jedoch schwere Infektionen hervor. Der Zelldurchmesser des
einzelnen Organismus beträgt 0,5–1 μm. Da sich die Kokken nur in einer Ebene teilen,
kommt es zur Paar- und Kettenbildung.
1279
β-hämolysierende Streptokokken
1280
Streptococcus agalactiae (Gruppe B-
Streptokokken)
α-hämolysierende Streptokokken
1281
Streptococcus pneumoniae
Orale Streptokokken
Es gibt mehrere andere Arten von α-Streptokokken, die in der Vergangenheit unter
dem Begriff „Viridans-Streptokokken” oder vergrünende Streptokokken
zusammengefasst wurden. Diese und einige der nicht-hämolytischen Streptokokken
sind neu klassifiziert worden. Die meisten Arten leben als Kommensalen im Mund. S.
mutans steht in sehr engem Zusammenhang mit Karies. Mehrere Arten können eine
bakterielle Endokarditis hervorrufen.
Die meisten Stämme sind Penicillin-empfindlich; jedoch ist auch eine mäßige bis hohe
Resistenz beobachtet worden. Mäßig resistente Isolate können mit Penicillin und
zusammen mit einem Aminoglykosid behandelt werden, während stark resistente
Stämme ein breites Spektrum an Cephalosporin oder Vancomycin erfordern. In
Kulturen aus dem Respirationstrakt ist es wichtig, diese Streptokokken von S.
pneumoniae zu unterscheiden.
1282
Sie wurden früher der Gattung Streptococcus zugeordnet, mit der sie viele Merkmale
gemeinsam haben; gegenwärtig gibt es 16 Arten von Enterokokken. E. faecalis und E.
faecium sind die klinisch bedeutendsten und werden gemeinsam besprochen.
Gram-positive Stäbchenbakterien
Gattung Corynebacterium
Zu dieser Gattung zählen viele Arten. Sie ist in der Natur weit verbreitet und mit den
Arten Mycobacterium und Nocardia ist sie Teil eines Spektrums, welches ähnliche
Mykolsäure enthaltende Zellwandstrukturen aufweist. Eine wichtige pathogene Species
ist C. diphtheriae. Diese und andere Pathogene der Gattung sind von kommensalen
Corynebakterien zu unterscheiden.
Corynebacterium diphtheriae
1283
1284
Weitere Corynebakterien
C. ulcerans wurde bei Diphtherie-ähnlichen Erkrankungen gefunden. Es produziert
zwei Toxine, von denen eins durch Diphtherie-Antitoxin neutralisiert wird. Das andere
ähnelt dem durch C. pseudotuberculosis gebildeten Toxin. C. jeikeium wird
zunehmend aus Blutkulturen und Wunden immunsupprimierter Patienten isoliert.
Normalerweise wird es aufgrund seiner relativen Resistenz gegen Antibiotika
nachgewiesen (sensibel gegen Glykopeptide wie Vancomycin und Teicoplanin). C.
pseudotuberculosis ist ein bedeutendes Pathogen für Pferde und Schafe. C. xerosis und
C. pseudodiphtheriticum sind Hautbewohner und noch viele andere coryneforme
Bakterien besiedeln die Haut. Diese und andere verwandte Gattungen wie
Brevibakterium und Rhodococcus sind lipophil. Für optimales Wachstum benötigen
sie Lipide.
Gattung Bacillus
Zu dieser Gattung zählen mehr als 50 Arten, von denen die meisten Bodenorganismen
sind. Zwei Arten sind von besonderer medizinischer Bedeutung: B. anthracis und B.
cereus.
Bacillus anthracis
1285
1286
Bacillus cereus
Gattung Listeria
Früher waren diese Organismen der Gattung Corynebacterium zugeteilt. Sie haben auch
verwandte Antigene mit Enterokokken und Lactobazillen. L. monocytogenes ist die Art
mit besonderer medizinischer Bedeutung.
Listeria monocytogenes
1287
Gattung Clostridium
Zu dieser Gattung zählen viele Arten Gram-positiver, anaerober, Sporen bildender
Stäbchenbakterien; einige wenige sind Sauerstoff-tolerant. Sie kommen weit verbreitet
im Boden sowie im Darm von Mensch und Tier vor. Die Sporen sind gegen
Umwelteinflüsse resistent. Die mit dieser Gattung verknüpften wesentlichen
Erkrankungen sind Gangrän, Tetanus, Botulismus, Nahrungsmittelvergiftung und
pseudomembranöse Kolitis. Bei jeder dieser Erkrankungen spielt die Produktion von
starken Exotoxinen eine bedeutende Rolle für die Pathologie. Bei mehreren Arten
werden die Toxin kodierenden Gene von Plasmiden oder Bakteriophagen getragen.
Clostridium perfringens
1288
Clostridium tetani
1289
1290
Clostridium botulinum
1291
Clostridium difficile
Gattung Mycobacterium
Mykobakterien kommen weit verbreitet in der Umwelt und bei Tieren vor. Die
wesentlichen Humanpathogene sind M. tuberculosis und M. leprae, aber das
Bewusstsein über die Bedeutung anderer Arten (z.B. M. avium-Komplex) wächst mit
der Erkenntnis ihrer Rolle als Pathogene bei AIDS-Kranken und anderen
abwehrgeschwächten Patienten.
1292
1293
Gattung Actinomyces
Die Actinomyzeten sind Bakterien, keine pilzähnlichen Organismen, wofür sie in der
Vergangenheit aufgrund ihrer Myzelbildung gehalten wurden. Die chemische Struktur
ihrer Zellwand ist mit der der Corynebakterien und Mykobakterien verwandt. Ihre
Differenzierung von Pilzen ist wichtig, denn Infektionen mit Aktinomyzeten sollten auf
antibakterielle Mittel ansprechen, wohingegen durch Pilze hervorgerufene ähnliche
klinische Erscheinungsbilder gegen antibakteriell-wirkende Substanzen resistent sind.
Zur Gattung Actinomyces zählen viele Vertreter, von denen einige für den Menschen als
Produzenten antimikrobieller Substanzen wichtig sind. Wenige sind für Mensch und
Tier pathogen. A. israelii verursacht die Aktinomykose.
Gattung Nocardia
1294
Gram-negative Stäbchenbakterien
Enterobacteriaceae
Es sind die zahlenmäßig häufigsten fakultativ anaeroben Bakterien im menschlichen
Darm, die annähernd 109/g der Fäzes ausmachen. Nur Gram-negative Anaerobier (z.B.
Bacteroides) sind ihnen zahlenmäßig etwa zehnmal überlegen. Gattungen der Familie
Enterobacteriaceae besitzen gemeinsame Merkmale, die sie von anderen Familien
unterscheiden; durch biochemische Tests können sie voneinander unterschieden werden.
Gattung Escherichia
Escherichia coli
1295
1296
Gattung Proteus
Zu dieser Gattung zählen mehrere Arten. Zwei, P. mirabilis und P. vulgaris, besitzen
medizinische Bedeutung.
1297
Gattung Salmonella
Im Gegensatz zu anderen Mitgliedern der Familie der Enterobacteriaceae sind
Salmonella und Shigella keine normalen Bewohner des menschlichen Darmtrakts (außer
bei postinfektiösen Trägern). Beide Gattungen sind für Durchfallerkrankungen
verantwortlich. Diese können sehr schwer sein; nach einer Salmonelleninfektion kann
auch eine Bakteriämie entstehen (am häufigsten assoziiert mit S. typhi, S. paratyphi and
S. cholerae-suis).
1298
• statt S. typhi: S. enterica, Subspecies enterica, Serovar Typhi
Aufgrund der Infektion wird zwischen den Typhus bzw. Paratyphus hervorrufenden
typhösen Salmonellen S. typhi, S. paratyphi, S. schottmuelleri (früher S. paratyphi B)
und S. hirschfeldii (früher S. paratyphi C) und anderen Durchfallerkrankungen
verursachenden enterischen Salmonellen (z.B. S. Enteriditis) unterschieden.
Kaufmann-White-Klassifizierung
Kaufmann-White-Klassifizierung
1299
1300
Gattung Shigella
Vier Arten sind für den Menschen als Verursacher der Bakterienruhr von Bedeutung: S.
dysenteriae, S. boydii, S. flexneri und S. sonnei (in abnehmender Folge der Schwere der
Symptome).
1301
• Stenotrophomonas maltophilia, ein opportunistischer Keim, der auch mit
nosokomialen Infektionen in Zusammenhang gebracht wird;
Pseudomonas aeruginosa
1302
Gekrümmte Gram-negative Stäbchen
Verschiedene Gattungen gekrümmter Gram-negativer Stäbchen enthalten Arten, die für
den Menschen pathogen sind. Die drei wichtigsten Gattungen sind Vibrio, Campylobacter
und Helicobacter.
1303
Gattung Vibrio
Die wichtigste Art ist V. cholerae.
Gattung Campylobacter
1304
Einst als Vibrionen klassifizierte gekrümmte, Gram-negative Stäbchen. Primär sind es
Tierpathogene, doch verschiedene Arten können auch beim Menschen Infektionen
hervorrufen. C. jejuni ist hauptsächlich für die bakterielle Gastroenteritis in den
entwickelten Ländern verantwortlich. In weitaus geringerer Häufigkeit wird die
Gastroenteritis von E. coli verursacht. Die durch diese Organismen provozierten
Infektionen präsentieren sich mit einem im Wesentlichen identischen klinischen Bild.
Im Labor werden sie im Allgemeinen nicht voneinander unterschieden.
Campylobacter jejuni
1305
Helicobacter pylori
1306
Bacteroides fragilis
1307
Gram-negative Kokken
Gattung Neisseria
Zu dieser Gattung zählen verschiedene mehr oder weniger anspruchsvolle Arten, von
denen zwei, N. gonorrhoeae und N. meningitidis, bedeutende Humanpathogene sind.
1308
Gattung Moraxella
Moraxella catarrhalis, früher als Branhamella catarrhalis klassifiziert, sind Gram-
negative Kokken, die morphologisch Neisseria ähneln, jedoch weniger anspruchsvolle
Wachstumsbedingungen benötigen. Früher galten sie als Kommensale im
Respirationstrakt und wurden mit einer Vielfalt an Infektionen assoziiert. Hierzu zählen
Bronchitis, Bronchopneumonie, Sinusitis und Otitis media. Die Mehrheit der Stämme
bildet Beta-Laktamase. Durch die Zerstörung von zur Behandlung eingesetztem
Penicillin oder Ampicillin schützen sie möglicherweise stärkere Pathogene, speziell im
Respirationstrakt.
Gattung Haemophilus
Zu dieser Gattung gehören viele Arten; H. influenzae und H. ducreyi haben
medizinische Bedeutung.
1309
Haemophilus influenzae
Haemophilus ducreyi
Haemophilus ducreyi ist der Erreger des „weichen Schankers“, einer venerischen
Infektion. Es handelt sich um schlanke, Gram-negative Stäbchen, die paarweise oder
kettenförmig auftreten. Die direkte mikroskopische Untersuchung eines
Schankerabstrichs kann diagnostisch aufschlussreich sein. Die Organismen sind sehr
anfällig gegen Dehydration; deshalb Beimpfung von Platten in der Klinik.
1310
Angereichertes Nährmedium erforderlich (wie für H. influenzae, jedoch mit Zusatz
von Antibiotika, um das Wachstum anderer Organismen des Genitaltrakts zu
hemmen).
Gattung Bordetella
Es gibt drei Arten, von denen eine, B. pertussis, medizinische Bedeutung hat.
1311
Gattung Brucella
Von den verschiedenen Arten der Gattung Brucella steht jede in einem
charakteristischen Zusammenhang mit einer Tierart. Vier Arten – für B. abortus ist das
Rind der Hauptwirt, für B. suis das Schwein, für B. canis der Hund und für B. melitensis
die Ziege – sind die häufigsten Erreger zoonotischer Infektionen beim Menschen.
1312
Francisella tularensis
1313
Pasteurella multocida
1314
Gattung Yersinia
Mitglied der Familie der Enterobacteriaceae. Diese Gattung ist sehr artenreich, doch nur
wenige Arten werden als wichtige Humanpathogene betrachtet.
Yersinia pestis
1315
Yersinia enterocolitica
1316
Gattung Legionella
Diese Gattung ist eine der neueren Entdeckungen in der Geschichte der Mikrobiologie.
Sie wurde erstmals mit Techniken der Virusisolation (z.B. Wachstum in Embryonen
enthaltenden Hühnereiern) nachgewiesen. Es handelt sich um frei lebende Organismen,
die sich auch in Wasser vermehren können, sich jedoch nur schwierig auf
herkömmlichen Nährböden kultivieren lassen. L. pneumophila ist das Pathogen von
größter medizinischer Bedeutung.
Legionella pneumophila
1317
Gardnerella vaginalis
1318
Spirochäten
Drei Gattungen haben medizinische Bedeutung: Treponema, Leptospira und Borrelia.
Gattung Treponema
Regelmäßig gewundene Spirochäten mit größeren Amplituden als Leptospira.
Verschiedene Arten und Unterarten sind bedeutende Humanpathogene; andere gehören
zur normalen Flora, speziell zur Mundflora. T. pallidum und die Subspezies pertenue
sowie T. carateum sind die wichtigsten Arten.
1319
Gattung Leptospira
Die Gattung wird in zwei Arten unterteilt: L. interrogans und L. biflexa; erstere verhält
sich parasitär; zu letzterer gehören frei lebende Arten. Innerhalb der Art L. interrogans
gibt es unterschiedliche Serogruppen und Serovare, die für Krankheiten bei Mensch und
Tier verantwortlich sind.
Leptospira interrogans
1320
Gattung Borrelia
Für den Menschen sind zwei Arten der Gattung Borrelia bedeutend: B. burgorferi
verursacht die Lyme-Krankheit; B. recurrentis ist der Erreger des Rückfallfiebers.
1321
Weitere Bakterien
Mykoplasmen
1322
Rickettsiae
1323
Chlamydiae
1324
Pilze
Oberflächliche Mykosen
Dermatophyten
Dieser allgemeine Begriff steht für Arten, die die äußeren Schichten der Haut
besiedeln. Unter den vielen Spezies sind Epidermophyton, Microsporum und
Trichophyton die wichtigsten.
Sporothrix schenckii
1325
Tiefe Mykosen
Aspergillus
Von den drei häufigsten Spezies, A. fumigatus, A. flavus und A. niger, ist A. fumigatus
die wichtigste.
Blastomyces dermatitidis
1326
Candida albicans
Coccidioides immitis
1327
Cryptococcus neoformans
Histoplasma capsulatum
1328
Pneumocystis jiroveci (früher carinii)
Protozoen
Cryptosporidium parvum
1329
Cyclospora cayetanensis
Entamoeba histolytica
1330
Naegleria fowleri
Giardia lamblia
1331
Gattung Leishmania
Von den verschiedenen Arten, die zu dieser Gattung gehören, sind L. brasiliensis, L.
donovani und L. tropica Erreger wesentlicher Erkrankungen.
1332
Gattung Plasmodium
Vier Arten dieser Gattung, P. falciparum, P. malariae, P. ovale und P. vivax, sind
Krankheitserreger. P. falciparum und P. vivax kommen am häufigsten vor.
Toxoplasma gondii
1333
Trichomonas vaginalis
Gattung Trypanosoma
Zu dieser Gattung zählen drei Arten, die als Krankheitserreger bekannt sind: T.
gambiense, T. rhodesiense (afrikanische Trypanosomiasis) und T. cruzi (amerikanische
Trypanosomiasis).
1334
Microsporidia (zahlreiche Arten)
Isospora belli
1335
Helminthen
Zestoden – Bandwürmer
Diphyllobothrium latum
(Echinococcus granulosus
1336
Hymenolepis nana
Gattung Taenia
Zwei Arten dieser Gattung infizieren den Menschen: T. saginata und T. solium.
1337
Trematoden – Saugwürmer
Clonorchis sinensis
Paragonimus westermanii
1338
Gattung Schistosoma
Mehrere Arten dieser Gattung können den Menschen infizieren. Die drei
bedeutendsten sind S. haematobium, S. japonicum und S. mansoni.
1339
Nematoden – Rundwürmer
Ascaris lumbricoides
1340
Filarien – Fadenwürmer (Untergruppe der
Nematoden)
Es handelt sich um eine große Gruppe von Würmern, deren wichtigste Arten im
Lymphgewebe (Wuchereria bancrofti, Brugia malayi) oder der Haut (Onchocerca
volvulus) leben.
1341
Hakenwürmer
Allgemeiner Begriff für intestinale blutsaugende Würmer. Die zwei bedeutenden
Arten sind: Ancylostoma duodenale und Necator americanus.
Strongyloides stercoralis
1342
Toxocara canis
Trichinella spiralis
1343
Trichuris trichiura
1344
Antworten
2 Bakterien
1. B – Lipopolysaccharid
2. C – Staphyloccoccus
3. E – alle 30 Minuten
4. E – alle
5. D– Mutation
1345
6. B – Transposons
3 Viren
1. B – Influenzavirus
2. C – Vacciniavirus
3. A – Sialinsäure
4. D– HTLV
4 Pilze
1. C – Candida
2. D– abgestorbene Haut
5 Protozoen
1. B – Malaria
2. D– Toxoplasma
3. D– Giardia
2. C – Wuchereria bancrofti
4. E – alle
7 Prionen
1. D– Stich eines kontaminierten Insektenvektors
8 Wirt-Parasiten-Beziehung
1. E – alle
2. C – im Dickdarm
1346
3. D– sie rufen immer eine Erkrankung hervor
4. E – alle
2. A – Monozyten
B – Kupffer-Zellen
4. C – Opsonisiert Bakterien
B – Enthalten Perforine
C – Enthalten Granzyme
6. A – C-reaktives Potein
C – Lysozym
E – Komplement
10 Erworbene Immunreaktion
1. B – C3bBb
E – C42
2. E – C3
1347
5. B – MHC
6. B – Zytotoxischen T-Zellen
3. D– IL-4
4. B – Antigen-spezifisches IgG
C – Antigenneutralisation
5. T – Zellen
(1) das Virus eher eine der Ursachen oder die Ursache des Diabetes darstellt,
(2) das Virus nahezu jeden infiziert, aber Diabetes nur in gelegentlichen Fällen
verursacht,
(3) die Erkrankung erst 10–20 Jahre nach der Infektion auftritt.
2. Die Tollwut wird mit dem Speichel direkt von Tier zu Tier übertragen, ohne
eine notwendige Infektion des Menschen.
1348
(c) Versuch, beteiligte Zytokine und andere Komponenten des Immunsystems zu
ersetzen. Dies wird weniger erfolgreich sein.
2. Weil die Infektion nicht von Körperoberflächen abgegeben wird (siehe Abb.
13.1) oder nicht in ausreichender Zahl vorhanden ist, um weitere Personen zu
infizieren. In vielen Fällen ist eine Infektion des Menschen für die Erhaltung und
Verbreitung der Mikroben nicht nötig.
3. Nein. Gewisse Infektionen werden über den Urin verbreitet (Leptospirose oder
Lassa-Fieber, von Tier zu Mensch). Für eine effektive Übertragung des Erregers von
Mensch zu Mensch müsste der Erreger sehr infektiös und resistent gegen
Austrockung sein.
5. Die Infektionswege:
C – Zytotoxische Lipidperoxide
E – Stickstoffmonoxid
1349
C – Inhibition der viralen RNA-Translation
4. A – Antigenspezifische T-Zellen
(b) Die Ausbreitung in die Leber erfolgt hämatogen nach Passage der Kupffer-
Zellen oder des Gefäßendothels, in Sinusoiden.
(b) Herpesviren. Das heißt Schutz vor zirkulierenden Antikörpern und mögliche
Übertragung der Infektion in Organe durch wandernde Leukozyten.
2. Weil die Oberfläche das Hauptziel der Wirtsabwehr ist, wird sich diese
wahrscheinlich eher einer Veränderungsstrategie unterziehen, um z. B. sich dem
Immunsystem zu entziehen.
3. (a) – Nein
(b) – Nein
1350
4. Wenn antivirale Lymphozyten und Antikörper erhöhten Zugang zu
epidermalen Zellen hatten, d.h. während lokaler Entzündungen.
3. Behandlung
Die Behandlung sollte mit Antibiotika erfolgen, gewöhnlich oral, es sei denn, das
Kind erbricht. Wahlweise kann Amoxicillin allein oder in Kombination mit einem
Beta-Laktamase-Inhibitor, wie Clavulansäure, verabreicht werden, um den
zunehmenden Anteil von Beta-Laktamase-produzierenden H. influenzae zu
erreichen. Alternativen bieten oral verabreichte aktive Cephalosporine der zweiten
und dritten Generation. Bei erwachsenen Patienten mit einer Penicillinallergie
empfiehlt sich die Behandlung mit Fluorochinolonen, bei Kindern mit neuen
Makroliden mit erhöhter Aktivität gegen H. influenzae.
4. Mögliche Komplikationen
1351
Zu den Komplikationen zählen die akute Mastoiditis, die jedoch seit dem Beginn der
Antibiotikatherapie selten vorkommt, und wiederkehrende Infektionen, die zu
chronischer exsudativer Otitis media (Seromukotympanon) führen, einem weit
häufigeren Problem.
19 Untere Atemwegsinfektionen
1. Differentialdiagnose
In diesem Fall wird der Eindruck einer atypischen Pneumonie vermittelt. Die
Ursachen sind:
■ Mycoplasma pneumoniae
■ Legionella pneumophila.
Diese Fragen sind immer wichtig für die Anamnese, können jedoch im Hinblick auf
C. psittaci (Kontakt mit infizierten Vögeln), L. pneumoniae (Air-condition-Systeme)
und C. burnetii (Q-Fieber, Kontakt mit infizierten Schafen/Vieh), besonders relevant
werden.
3. Weitere Untersuchungen
Serologie
1352
Ausbruch der Erkrankung entnommen wurden. Die KBR nutzt das
gruppenspezifische Chlamydien-Antigen.
KBR mit gepaarten akuten und Rekonvaleszenzseren, welche im Abstand von 10–
14 Tagen gesammelt wur- den, oder Test akuter Serumproben die wenigstens 10
Tage nach Ausbruch der Erkrankung entnommen wurden. Phase-1-Antikörper
wird bei Infektionen mit chronischem Q-Fieber nachgewiesen. Phase-2-Antikörper
wird bei akuten und chronischen Infektionen mit Q-Fieber festgestellt. Abhängig
von entsprechenden Laboratoriumseinrichtungen kann die Kultivierung von
Chlamydien, Mykoplasma und Legionella versucht werden.
4. Diagnose
5. Behandlung
20 Harnwegsinfektionen
1. Bedeutung der Bakterienzahl
Die Urinprobe des Patienten enthält eine Bakterienzahl von > 105 pro ml Urin. Es
handelt sich um eine signifikante Bakteriurie.
Schwangere Frauen haben ein erhöhtes Risiko einer Infektion des Urogenitaltrakts,
da sich die Harnleiter unter der Wirkung von Progesteron erweitern. Dadurch
entsteht eine gewisse Stase, welche einer aufsteigenden Infektion von der Blase her
Vorschub leistet. Da die Patientin während der Fühphase der Infektion
asymptomatisch sein kann, ist die Untersuchung des Urins auf eine vorliegende
Infektion nötig.
Für schwangere Frauen mit einer positiven Urinkultur ist das Risiko einer
Pyelonephritis größer. Eine Infektion des Urogenitaltrakts und eine Pyelonephritis
können eine Septikämie hervorrufen, welche wiederum zu vorzeitigen Wehen führen
kann. Deshalb sind sofortige Identifikation und Behandlung von Infektionen des
Urogenitaltrakts in der Schwangerschaft notwendig.
1353
Unter den koliformen Keimen ist Escherichia coli mit Abstand der häufigste
Erreger, gefolgt von Proteus mirabilis. Andere Gram-negative Stäbchen wie
Klebsiella oder Pseudomonas kommen seltener vor, es sei denn, die Patientin litt an
wiederholten Infektionen oder hatte kürzlich einen instrumentalen Eingriff im
Urogenitaltrakt.
Eine hohe Prävalenz von resistenten Keimen kann die Behandlung mit oralen Gaben
von Cephalosporin erforderlich machen. Bei Unwohlsein der Patientin und daher
erforderlichen parenteral verabreichten Antibiotika kann Cephalosporin injiziert
werden.
2. Weitere Untersuchungen
■ arterielle Blutgasanalyse
3. Behandlung
Die Diagnose sollte einfühlend mit dem Patienten diskutiert und eine weitere
Serumprobe genommen werden, um die Diagnose zu bestätigen. Eine Zweitprobe
sollte immer noch einmal getestet werden, um sicherzustellen, dass keine Irrtümer
während der Probenentnahme, Markierung der Probe, des Versendens oder der
Handhabung im Labor aufgetreten sind. Das Labor sollte das Serum der
Originalprobe getestet und einen Test mit der Restprobe aus dem geronnenes Blut
enthaltenden Originalteströhrchen wiederholt haben.
Die Behandlung von PCP sollte schon nach erstem Verdacht begonnen werden und
besteht in in der Gabe von Sauerstoff und Cotrimoxazol, in schweren Fällen plus
Methylprednisolon. Wenn ein Patient eine Allergie gegen Schwefel-enthaltende
Medikamente wie Cotrimoxazol hat oder entwickelt, sollte eine intravenöse
Pentamidin-Behandlung eingeleitet werden. Der Kliniker richtet sich sowohl nach
den Krankheitsanzeichen als auch nach den Resultaten der Blutgasanalyse.
1354
4. Prognose und Nachkontrolle
Bei dieser Patientin liegt eine AIDS-definierende Diagnose (d.h. PCP) vor. Die
Prognose ihrer Überlebensdauer ist variabel. Eine grundlegende Zählung von CD4
und ein p24-Antigen-Test würden durchgeführt, sowie ein Screening auf Syphyilis
und virale Hepatitis.
Andere Kernfragen beinhalten eine Diskussion mit ihrem Partner über einen HIV-
Test, geschützten Geschlechtsverkehr und Familienplanung in Anbetracht schon
vorhandener oder zukünftiger Kinder. Eine Gesundheitsberatung bezüglich weiterer
Aspekte und Folgen im Rahmen ihrer Diagnose sollte arrangiert werden.
2. Untersuchungen
■ Anti-HB-Core-IgM.
■ HBeAg.
■ anti-HBc-IgM positiv
■ HBeAg positiv.
1355
Anti-HCV-Serokonversion nach einer akuten HCV-Infektion für mehrere Monate
verzögert sein kann. Bei klinischer Indikation wird der Test üblicherweise zwei
Monate später wiederholt.
3. Behandlung
■ Dieser Patient trägt auch das Risiko anderer infektiöser Erkrankungen aufgrund
seines intravenösen Drogenmissbrauchs. Dies sollte mit ihm im allgemeinen
Rahmen einer Gesundheitsberatung diskutiert werden.
Eine HBV-Infektion ist nach dem IfSG meldepflichtig. Sexualpartner oder Personen,
mit denen dieser Mann Injektionsnadeln ausgetauscht hat, sollten kontrolliert,
beraten und dringend auf serologische Marker einer abgelaufenen Hepatitis-B
getestet werden. Wenn eine durchgemachte HBV-Infektion nicht nachweisbar ist,
sollte diesen Personen eine Hepatitis-B-Immunisierung zusammen mit einer
Injektion von Hepatitis-B-Hyperimmunglobulin (HBIG) angeboten werden, um eine
HBV-Infektion abzuschwächen, zu modifizieren oder zu verhüten.
■ Orale Rehydration, es sei denn, dass die Patientin erbricht. In diesem Fall ist
intravenöse Flüssigkeitszufuhr notwendig.
Die virale Gastroenteritis lässt sich in eine sporadische infantile und in eine
epidemische virale Gastroenteritis unterteilen. Eine Rotavirusinfektion ist die
häufigste Ursache der sporadischen infantilen Gastroenteritis.
Adenovirusinfektionen sind die zweithäufigste Ursache.
1356
■ Die Elektronenmikroskopie (Verwendung von Phosphor-Wolfram-Säure als
Kontrastmittel) erlaubt den Nachweis einer Vielfalt von Viren, für die es
gewöhnlich keine spezifischen Tests zum Nachweis des viralen Antigens oder
Antikörper gibt. Unter Routinebedingungen ist diese Methode jedoch nicht
praktikabel.
Wenn das Kind dehydriert ist, wird eine Therapie zum Flüssigkeitsersatz notwendig.
Eine spezifische Behandlung für jede durch Viren verursachte Diarrhoe gibt es nicht,
und die Ausscheidung von Rotaviren sollte innerhalb einer Woche zurückgehen.
Flüssigkeiten auf Laktosebasis sollten vermieden werden, da der Verlust der distalen
Darmzotten durch die virale Infektion zu einem Disaccharidasemangel und damit zu
Laktoseintoleranz/Malabsorption führt.
Das Baby ist septikämisch. Es ist am wahrscheinlichsten, dass die für die Septikämie
des Neugeborenen verantwortlichen Pathogene Organismen sind, die über den
Genitaltrakt der Mutter erworben werden. Streptokokken der Gruppe B kommen am
häufigsten vor, aber auch Escherichia coli und Listeria monocytogenes sind
bedeutende Pathogene für diese Altersgruppe.
1. (b) Untersuchung
Eine antimikrobielle Therapie sollte bereits vor den Ergebnissen der Kulturen
begonnen werden. Es gibt mehrere Behandlungsansätze, übliche Kombinationen
sind Cefotaxim und Ampicillin, oder Ampicillin und Gentamicin. Die Anwendung
von Aminoglykosiden erfordert eine sorgfältige Überwachung der Prä- und
1357
Postdosis-Serumkonzentrationen, um die Toxizität zu minimieren. Sobald der
Erreger identifiziert ist, kann die Antibiotikabehandlung gezielt erfolgen.
Streptokokken der Gruppe B wurden aus der Blutkultur des Neugeborenen isoliert
und es wurde mit intravenös verabreichtem Benzylpenicillin und Gentamicin
behandelt.
3. B – HTLV-1
4. C – Röteln
24 ZNS-Infektionen
1. Dringende Untersuchungen
2. Diagnose
1358
werden. Um einem Rückfall vorzubeugen, muss der Patient mindestens zwei
Wochen lang mit Aciclovir behandelt werden. Die Beobachtung diffuser langsamer
Amplituden auf dem Elektroenzephalogramm (EEG) wäre eine weitere Hilfe für die
Diagnose. Ein Genitalabstrich sollte für die Virusisolation entnommen und Liquor
kultiviert werden (auch wenn die Isolation von HSV aus Liquor äußerst
ungewöhnlich ist). Der Virus-Nukleinsäurenachweis mittels PCR ist heute die
diagnostische Methode der Wahl bei V.a. HSV-Enzephalitis.
25 Augeninfektionen
1. Choroidoretinitis-assoziierte Infektionen
Die Diagnosestellung erfolgt fast immer klinisch und wird mit der Unterstützung
eines Ophthalmologen durchgeführt. Bei einem solchen Patienten kann sich die
Differenzierung zwischen Toxoplasma und CMV manchmal als schwierig erweisen.
Die durch CMV verursachte Retinitis präsentiert mitunter ein klassisches
Erscheinungsbild, welches an Ketchup und Hüttenkäse erinnert!
1. Differentialdiagnosen
2. Diagnostik
1359
■ Laborwerte: Blutbild mit Leukozytose und 40–90% mononukleären Zellen
sowie Reizformen der Lymphozyten bei infektiöser Mononukleose
3. Interpretation
Frische EBV-Infektion
4. Komplikationen
5. Körperliche Schonung
(b)
1. Wahrscheinliche Diagnose
Die wahrscheinliche Diagnose ist eine akute Osteomyelitis. Diese kann bei Kindern
dieses Alters durch ein vorangegangenes leichtes Trauma verursacht worden sein.
Die Diagnose kann schwierig sein, besonders dann, wenn Symptome wie z.B.
Erbrechen einen großen Teil der Erkrankung ausmachen.
2. Untersuchungen
■ komplettes Blutbild
■ Blutkulturen
3. Behandlung
Solange die Resultate aus Kulturen noch ausstehen, sollte die Therapie mit
intravenösen Gaben von einem S.-aureus-wirksamen Cephalosporin und
Clindamycin (oder mit anderer äquivalenter Anti-Staphylokokken-Behandlung)
begonnen werden. Ferner können intravenös Flüssigkeit und nasogastrische
Aspiration eingeleitet werden.
(c)
1360
1. Differentialdiagnose
■ Masern und Röteln sind aufgrund des klinischen Bildes und einer aktuellen
Immunisierung der Patientin unwahrscheinlich.
2. Untersuchungen
■ Entnahme eines Halsabstrichs und einer Stuhlprobe für die Isolierung von
Viren, insbesondere der Enteroviren.
Ihr Fieber ließ im Verlauf von 3 Tagen nach und HHV-6-spezifisches IgM wurde in
Serumproben nachgewiesen.
Malaria, virales hämorrhagisches Fieber und Typhus. Bei Patienten, die häufig in
Gebiete wie Sierra Leone (Westafrika) reisen und dieses klinische Bild 3 Wochen
nach der Rückkehr entwickeln, muss das Risiko eines vorliegenden
hämorrhagischen Fiebers in Betracht gezogen werden. Dies ist wichtig, da diese
Patienten in eine Kategorie des Verdachts auf minimales, moderates, oder starkes
Erkrankungsrisiko eingeordnet werden. In Abhängigkeit von der Risikobewertung
wird der Patient auf eine entsprechende Isolierstation eingewiesen. Dieser Patient
wurde mit einem mittleren Risiko eingestuft und die Einweisung in eine
Hochsicherheits-Isolierstation veranlasst, wo er untersucht und behandelt werden
konnte. Alle Individuen, die mit ihm in engen Kontakt kommen, gelten ebenfalls als
Risikopersonen und sollten nur unter Vorsichtsmaßnahmen kontaktiert werden.
Nach der Einweisung des Patienten auf die Isolierstation mit besonderen
Sicherheitsvorkehrungen, auf der sich auch ein eigenes Blutlabor befindet, sollten
folgende Untersuchungen durchgeführt werden: ein komplettes Blutbild inklusive
Zählung der Differenzialzellen, Blutausstrich, Dicker Tropfen, Blutharnstoff,
Elektrolyte und Glukose, ein Elektrokardiogramm (EKG), eine Mittelstrahlurinprobe
(MSU), Entnahme von Stuhlund Blutkulturen.
In diesem Fall zeigte das Blutprofil eine hämolytische Anämie, Leukopenie und
einen leicht erniedrigten Blutplättchengehalt. Der Blutausstrich stellte normal große,
1361
mehrfach infizierte Erythrozyten dar, von denen etwa 10% schwach gefärbte
Ringformen aufwiesen (Malaria-Trophozoiten). Damit wurde eine Malaria tropica
durch Plasmodium falciparum diagnostiziert.
1. (c) Behandlung
Die Behandlung umfasst die symptomatische Pflege und eine Therapie mit
intravenös verabreichtem Chinin. Hämatologie und biochemische Parameter sollten
überwacht werden, besonders der Grad der Parasitämie hinsichtlich der Reaktion auf
die Behandlung, sowie Blutglukose und renale Funktion.
Bei diesem Patienten, der sich ohne Zwischenvorkommnisse erholte, wurde eine
Chloroquin-resistente Malaria tropica festgestellt.
2. D– Lyme-Krankheit
3. A – Lymphatische Filariose
28 Multisystemische Zoonosen
1. D – Brucellose
Vermutlich leidet diese Patientin an einer infektiösen Endokarditis. Sie hat eine
künstliche Aortenklappe, was die Diagnose sehr wahrscheinlich macht, besonders
bei bestehendem Fieber und Herzgeräuschen. Unter diesen Umständen sind
Blutkulturen zwecks Identifizierung des verantwortlichen Pathogens wichtig.
Mindestens drei Blutkulturen sollten zu verschiedenen Zeitpunkten angelegt werden,
um größtmögliche Chancen für eine Isolation der Organismen zu gewährleisten.
2. Häufigstes Pathogen
1362
ursächlichen Zusammenhang mit Endokarditis gebracht. Zu ihnen zählen einige
anspruchsvolle Gram-negative Stäbchen und, eher ungewöhnlich, Pilze.
Die Mehrzahl der Endokarditisfälle wurde früher auf eine rheumatische Erkrankung
der Herzklappen als Folge rheumatischen Fiebers zurückgeführt. Die mit
Herzklappenprothesen assoziierten Fälle nehmen zu und Staphylokokken sind die
wichtigsten Organismen dieser Patientengruppe. Eine Infektion kann während des
chirurgischen Eingriffs erworben werden, ist in den ersten postoperativen Monaten
präsent und manifestiert sich gewöhnlich innerhalb weniger Wochen. Wie in
vorliegendem Fall kann sie auch später auftreten. Hier handelt es sich um die
Besiedelung einer Herzklappe im Rahmen einer Bakteriämie. In dieser
Patientengruppe können die klassischen Zeichen einer Endokarditis fehlen, ihre
Präsentation aber viel akuter sein.
Wesentlich ist, dass schon zu einem frühen Zeitpunkt ein Internist, ein Chirurg und
ein Mikrobiologe involviert sind. Die chirurgische Entfernung einer infizierten
Herzklappe ist meist notwendig. Derartige Entscheidungen werden am besten
innerhalb eines multidisziplinäres Teams getroffen.
4. Mögliche Komplikationen
Die häufigsten Komplikationen sind Abszesse innerhalb der Herzklappe und des
Endokards. Durch Embolisierung infizierten Gewebes linker Herzklappen kann es
zu zerebralen, renalen oder, eher selten, zu Knochenabszessen kommen.
Obwohl nur geringe Beweise vorliegen, dass die Mehrheit der Endokarditisfälle auf
zahnärztliche Behandlung zurückgehen, kamen in Großbritannien Fälle vor Gericht,
als ein Zahnarzt versäumte, bei Patienten mit einem Risiko für Endokarditis
prophylaktische Maßnahmen anzuwenden.
Eine Infektion mit Cryptococcus neoformans (Mykose) ist die häufigste Diagnose.
Das Serum kann unmittelbar auf Kryptokokken-Antigen getestet und Tuschefärbung
mit Liquorsediment durchgeführt werden. Mit dem Latexteilchen-Agglutinationstest
ist ein schneller Nachweis von Kryptokokken-Antigen in Liquor und Serum
möglich.
1363
Kulturen von C. neoformans zusammen mit antimykotischen Empfindlichkeitstests.
Kryptokokken-Antigen wurde in Serum und Liquor nachgewiesen, und bekapselte
Hefezellen waren im Liquor sichtbar.
3. Behandlung
2. D– Pandemie
5. B – Masern
6. E – Alle
2. a) Urin
b) Liquor
c) Blutkultur
d) Blut
1364
3. Antikörper werden im Serum bestimmt. Zur Interpretation der Testergebnisse
bzw. zur Bestimmung des Infektionszeitpunktes ist die Untersuchung von zwei im
Abstand von 10–14 Tagen entnommenen Serumproben erforderlich.
■ Der Zugang zur Zielstruktur kann sich aufgrund veränderter Aufnahme oder
erhöhter Abgabe (Tetrazyklin-Efflux) geändert haben.
3. Selektive Toxizität
Wie ihr menschlicher Wirt sind auch Pilze und Parasiten Eukaryonten. Deshalb sind
selektive Angriffsstellen schwieriger zu lokalisieren und zu beeinflussen. Viren
stellen ein ähnliches Problem dar, da sie keine eigene zelluläre Struktur besitzen.
Um eine Zelle befallen und sich zu vermehren zu können, müssen sie die
Ressourcen (Enzyme etc.) der Wirtszelle benutzen.
34 Impfungen
1. C – Unfähig, erneut virulent zu werden (Reversion nicht möglich)
1365
D– Sicherer als Lebendvakzine
2. A – Inaktivierte Vakzine
E – Tetanusimpfung
F – DNA-Vakzine
D– Kritischer Wert, ab dem eine Infektion nicht mehr übertragen wird, weil in der
Bevölkerung zu wenig Menschen anfällig sind
4. A – Bevölkerungsdichte
Die häufigste Ursache einer postoperativen Pyrexie ist eine Wundinfektion. Auch
Infektionen des Respirationstraktes und der Harnwege führen zu fieberhaften
Erkrankungen. Infektionen im Brustkorb treten besonders häufig nach abdominalen
Operationen auf, da Schmerzen das (Ab-)Husten beschwerlich machen.
Harnwegsinfektionen sind oft Folge der Katheterisierung. Zu den nichtinfektiösen
Ursachen postoperativer Pyrexie zählt die tiefe Venenthrombose.
2. Untersuchungen
1366
Es ist wichtig, den Wundverband zu entfernen, so dass die Wunde untersucht und
ein Abstrich entnommen werden kann. Ebenso sollten eine Sputum- und eine
Urinkultur angelegt werden. Liegt ein klinischer Beweis einer Infektion des
Respirationstraktes vor, ist eine Röntgenaufnahme des Thorax erforderlich.
Die Wunde des hier beschriebenen Patienten ist gerötet und sondert am unteren
Rand kleine Mengen Eiter ab. Staphylococcus aureus lässt sich aus einem
Wundabstrich kultivieren.
3. Behandlung
Der Patient muss isoliert untergebracht werden. Das Personal muss auf das Risiko,
den Erreger an den Händen tragen und übertragen zu können, hingewiesen werden.
S. aureus kommt an zahlreichen Körperregionen vor: der Nase, den Haaren, unter
den Achseln, an Handgelenken und Händen und im Bereich des Perineums. Bei
diesem Patienten müssen Abstriche aus der Nase entnommen werden.
Die Trägerrate ist in Krankenhäusern höher als unter der Bevölkerung. Es kann zu
einem MRSA-Ausbruch auf der Krankenstation kommen, denn der Erreger überlebt
in trockener Umgebung.
In diesem Fall sind Haut und Nase des Patienten die wahrscheinlichste Quelle für
MRSA. Um die Wahrscheinlichkeit einer Verbreitung von MRSA zu reduzieren,
sollten folgende Maßnahmen befolgt werden:
■ Sorgfältige Wundverbandtechnik
■ Gründliches Händewaschen des Personals, das mit dem Patienten zu tun hat.
(Mims et al.. Medizinische Mikrobiologie – Infektiologie, 2.A.. Elsevier GmbH, Urban &
Fischer Verlag 40).
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