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Immer weniger schauen, immer mehr

müssen zahlen
Die SRG sei zu gross und zu mächtig, sagen Kritiker. Eine
neue Volksinitiative will ihre Einnahmen halbieren. Wie
stichhaltig sind die Vorwürfe?
 Neue Zürcher Zeitung
 7 Sep 2023
 MATTHIAS BENZ, CHRISTOPH G. SCHMUTZ (TEXT UND DATEN), ANJA
LEMCKE (ILLUSTRATION)

Der Streit um die SRG ist wieder voll entbrannt. Mit der soeben eingereichten
«Halbierungsinitiative» wollen SVP und Jungfreisinnige den öffentlichen Rundfunk
zurückstutzen. Die Gebühren, die jeder Haushalt jährlich für die SRG bezahlen muss, sollen
von 335 Franken auf 200 Franken gesenkt und die Firmen ganz von Abgaben befreit werden.

Die SRG kommt damit nicht aus der Schusslinie. Zwar geniesst sie viele Sympathien in der
Bevölkerung: Im Jahr 2018 haben sich die Stimmbürger klar gegen eine Abschaffung der
Gebühren für den öffentlichrechtlichen Rundfunk ausgesprochen (No-Billag-Initiative).

Doch nun steht wieder eine Grundsatzdebatte über die Finanzierung und den Auftrag der SRG
an. Der Bundesrat wird entscheiden müssen, ob er der Initiative einen Gegenvorschlag
gegenüberstellt. Im Parlament dürfte es bereits in der kommenden Herbstsession wieder
Diskussionen über die Rolle der SRG geben.

Die Kritiker werfen der SRG vor, sie sei überdimensioniert und verdränge zunehmend private
Medien. Was ist von den Vorwürfen zu halten? Wir beleuchten die wichtigsten Kritikpunkte.

Ist die SRG ein Koloss, der ungebremst wächst?

Die SRG wurde 1931 als Zusammenschluss von regionalen Radiogesellschaften gegründet.
Seither haben sich ihre Einnahmen vervielfacht. Im Gründungsjahr standen ihr
(inflationsbereinigt) 8 Millionen Franken zur Verfügung. Zu Beginn des Fernsehzeitalters,
1951, waren es 63 Millionen Franken. Heute liegt das Budget der SRG bei rund 1,5
Milliarden Franken.

Dieses enorme Wachstum liegt einerseits an der Ausweitung des Radio- und Fernsehangebots
über die Jahrzehnte, anderseits am starken Bevölkerungswachstum. Seit den 1930er Jahren
hat sich die Einwohnerzahl in der Schweiz mehr als verdoppelt. Damit wuchs auch die Zahl
der gebührenpflichtigen Empfangsgeräte.

Das grösste Budget hatte die SRG allerdings vor rund zehn Jahren, nämlich im Jahr 2011 mit
1,7 Milliarden Franken. Seither sind ihre Einnahmen leicht zurückgegangen.
Die jüngste Schrumpfung liegt aber nicht an den Gebühreneinnahmen. Diese sind von 2002
bis 2022 vielmehr um 18 Prozent gestiegen.

Zwar hat der Bundesrat den Gebührenanteil der SRG nach den Diskussionen rund um die No-
Billag-Initiative plafoniert: Für die Jahre 2019 bis 2022 galt ursprünglich ein Höchstwert von
1,2 Milliarden Franken pro Jahr. Doch im April 2020 beschloss die Regierung, die
Obergrenze um 50 Millionen Franken zu erhöhen, aufgrund von «rückläufigen
Werbeeinnahmen». Zudem werden die Gebühreneinnahmen der SRG automatisch an die
Teuerung angepasst – ein Privileg, das private Medienhäuser nicht geniessen.

Für das leicht rückläufige Budget der SRG gibt es vor allem einen Grund: Die
«kommerziellen Erlöse» – also die Werbeeinnahmen – gehen seit einigen Jahren stark zurück.
Im Jahr 2022 nahm die SRG ein Drittel weniger mit Werbung ein als 2013.

Wegen des Werbeschwunds wächst die SRG seit einigen Jahren nicht mehr – und sie gerät
unter Spardruck. Dies dürfte so bleiben, selbst wenn das Stimmvolk die Halbierungsinitiative
verwerfen sollte.

Allerdings ist der Spardruck relativ: Der Bundesrat könnte aus politischen Gründen auch in
Zukunft die Budgetprobleme der SRG entschärfen, indem er ihr mehr Gelder aus dem
bestehenden Gebührentopf gewährt – möglicherweise auch auf Kosten von anderen Bezügern
wie den regionalen Radio- und TV-Stationen.

Zahlen die Schweizer die höchsten Rundfunkgebühren?

Die öffentliche Diskussion dreht sich auch um die Frage, ob die SRG nicht viel zu gross sei.
Um das einzuschätzen, wird sie gerne mit anderen öffentlichen Rundfunkanstalten in Europa
verglichen. Das hat seine Berechtigung, schliesslich wurde die SRG nach dem Vorbild der
BBC in Grossbritannien gegründet.

Die 335 Franken, welche die Schweizer Haushalte zu entrichten haben, sind nominell die
höchste Abgabe in Europa. Bereinigt man die Zahlen um die unterschiedliche Kaufkraft,
ergibt sich ein etwas anderes Bild. Dann liegt Österreich mit umgerechnet 477 Franken an der
Spitze. Die Schweiz befindet sich mit Deutschland (355 Franken) und Kroatien (336 Franken)
noch immer in der Spitzengruppe.

Viel geringer sind die Rundfunkgebühren in Ländern wie Portugal (75 Franken) oder
Griechenland (77 Franken). Auch in Grossbritannien ist die Haushaltsabgabe für die BBC mit
kaufkraftbereinigt 264 Franken niedriger.

Der Schweizer Rundfunk ist im internationalen Vergleich also üppig ausgestattet. Allerdings
wird häufig eingewandt, dass dies mit der Viersprachigkeit des Landes zu tun habe. Doch es
gibt Gegenbeispiele. So kommt Belgien, das mit Niederländisch, Französisch und Deutsch
drei Landessprachen kennt, mit weniger Geld aus. Dort betragen die Gesamteinnahmen der
Rundfunkanstalten kaufkraftbereinigt pro Einwohner 123 Franken, gegenüber 169 Franken in
der Schweiz.

Werden die Unternehmen geschröpft?

Bei den Einnahmen der SRG gibt es zwei gegenläufige Trends. Auf der einen Seite sind die
Gebühren, welche die Haushalte bezahlen müssen, in den vergangenen Jahren
zurückgegangen. Von 2007 bis 2014 waren noch 462 Franken fällig gewesen, falls man ein
Radio und ein TV-Gerät besass. Mit der Umstellung des Systems auf eine geräteunabhängige
Haushaltsabgabe für alle im Jahr 2019 wurde die Gebühr auf 365 Franken gesenkt – und per
2021 noch einmal auf 335 Franken.

Auf der anderen Seite sind die Einnahmen aus den Gebühren gewachsen. Das hat damit zu
tun, dass die «Steuerbasis» verbreitert wurde: Immer mehr Private und Firmen müssen die
Abgabe entrichten. Einen Schub brachte die Systemumstellung im Jahr 2019. Sie erhöhte die
Zahl der abgabepflichtigen Haushalte um eine halbe Million. Auch die starke
Bevölkerungszunahme sorgt für einen wachsenden Gebührentopf.

Darüber hinaus müssen immer mehr Unternehmen die Abgabe bezahlen. Laut einem Bericht
des Bundesrates steuerten Firmen 2008 lediglich 29 Millionen Franken an Empfangsgebühren
bei.

Seit 2019 müssen grundsätzlich alle Firmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 500 000
Franken die Rundfunkgebühr entrichten. Diese beläuft sich pro Unternehmen je nach Umsatz
auf 160 bis 50 000 Franken. Das Aufkommen ist so auf 164 Millionen Franken (2022)
gestiegen.

Falls die Halbierungsinitiative angenommen werden sollte, müsste die SRG auf die Beiträge
der Unternehmen verzichten. In Gewerbekreisen wird das heutige System als widersprüchlich
empfunden: Die Firmen müssen die Abgabe bezahlen, obwohl schon ihre Angestellten
Haushaltsgebühren entrichten – eine Doppelbelastung. Grosse Konzerne mögen die Abgabe
zwar aus der Portokasse bezahlen, aber kleinere Firmen sehen sie zunehmend als finanzielle
Bürde.

Ist die SRG aufgebläht?

Schaut man sich das Personal an – den grössten Kostenblock der SRG –, zeigt sich ein
ähnliches Bild wie bei den Einnahmen. Seit einem Hoch im Jahr 2013 ist die Zahl der
Vollzeitstellen rückläufig.

Dabei dürfte die öffentliche Diskussion rund um die No-Billag-Initiative eine Rolle gespielt
haben. In den meisten Bereichen hat sich die SRG gemässigt. Bei den französischsprachigen
Kanälen (RTS) und den italienischen Programmen (RSI) ist der Personalbestand seit der
Jahrtausendwende leicht geschrumpft.

Die deutschsprachigen Kanäle (SRF) und die zentralen Organisationen wie die
Produktionsfirma TPC, Swissinfo und Teletext sind insgesamt leicht gewachsen. Die stärkste
Expansion gab es bei der kleinen rätoromanischen Einheit. RTR baute den Personalbestand –
ausgehend von einem niedrigen Niveau – um 50 Prozent aus.

Trotz der Mässigung bleibt die SRG ein Koloss: Sie ist mit Abstand die grösste
Medienorganisation in der Schweiz. Mit 5500 Vollzeitbeschäftigten zählte sie 2022 mehr als
doppelt so viele Mitarbeitende wie Ringier Schweiz (u. a. «Blick») oder die TX-Gruppe (u. a.
«20 Minuten», «Tages-Anzeiger»).
Sind die Programme in der Romandie und im Tessin gefährdet?

Für den SRG-Generaldirektor Gilles Marchand ist die Halbierungsinitiative «eine Attacke auf
die Schweiz und ihre Vielfalt». Dahinter steht die Befürchtung, dass sich mit einem kleineren
Budget weniger Programme in allen vier Landessprachen finanzieren liessen.

Der Finanzausgleich zwischen den Sprachregionen ist tatsächlich umfangreich – und er ist in
den vergangenen Jahrzehnten stabil geblieben. Laut Zahlen der SRG werden in der
Deutschschweiz rund 73 Prozent der Gebühren eingesammelt, aber für die deutschsprachigen
SRF-Kanäle werden nur 43 Prozent der Gebühren ausgegeben. Im Jahr 2022 entsprach dies
einem Betrag von 360 Millionen Franken, der von der Deutschschweiz in die anderen
Sprachregionen floss.

Am meisten profitiert die italienischsprachige Schweiz; die Romandie hängt etwas weniger
vom Finanzausgleich ab. Die Halbierungsinitiative würde diesen Finanzausgleich
grundsätzlich nicht antasten, aber bei einer Annahme könnten alle Sprachregionen nur noch
halb so viel Geld ausgeben. Im Tessin müsste man sich wohl fragen, ob man sich noch zwei
Fernseh- und drei Radiokanäle leisten kann.

Verliert die SRG an Publikum?

«Es kann doch nicht sein, dass die Jungen, die praktisch null SRG-Angebote konsumieren,
335 Franken pro Jahr bezahlen müssen», sagte der SVP-Nationalrat Thomas Matter jüngst in
einem NZZ-Streitgespräch. Er spielte damit auf die sinkende Reichweite der SRG an.

Tatsächlich ist die Reichweite der SRG-Kanäle in den vergangenen Jahren deutlich
zurückgegangen. Die Radioprogramme hatten im Jahr 2016 laut SRG-eigenen Zahlen
gesamtschweizerisch 4,15 Millionen Hörerinnen und Hörer pro Tag, heute sind es 3,5
Millionen (–15 Prozent). Einen Zuschauerschwund gibt es ebenfalls bei den Fernsehkanälen
(–12 Prozent).

Diese Entwicklung birgt Sprengkraft. Die Reichweite von SRG sinkt, obwohl die
Bevölkerung in der Schweiz stetig wächst. Das bedeutet, dass die SRG einen immer kleineren
Anteil der Bevölkerung erreicht. Ein wichtiger Grund dafür dürfte sein, dass viele
Zugewanderte Ausländer sind, die lieber die Programme aus der Heimat sehen und hören.
Zudem informieren sich die Jungen weit häufiger über Online-Kanäle als über Radio und
Fernsehen.

Die SRG hat mithin ein Legitimationsproblem: Immer weniger Menschen konsumieren ihre
Angebote, aber immer mehr müssen zahlen. Die Kreise von Nutzern und Zahlern klaffen
zunehmend auseinander.

Die sinkende Reichweite dürfte zudem ein wichtiger Grund dafür sein, warum die
Werbeeinnahmen der SRG in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen sind. Die
Werbetreibenden inserieren dort, wo die Aufmerksamkeit des Publikums ist – und diese ist im
Online-Zeitalter an andere Orte wie die sozialen Netzwerke abgewandert.
Verdrängt die SRG private Online Portale?

Die SRG reagiert auf den Publikumsschwund, indem sie das eigene Online-Angebot stark
ausbaut. Die SRG-Online-Kanäle (Websites und Apps) erreichten im Jahr 2022 fünfmal mehr
Nutzer als 2016, wie aus den SRG-Geschäftsberichten hervorgeht.

Damit ist die SRG zu einem der grössten Anbieter von Online-Medien in der Schweiz
geworden. Im ersten Halbjahr 2023 gab es laut Mediapulse-Daten im Durchschnitt 71
Millionen Besuche pro Monat auf den deutschsprachigen SRF Online-Plattformen. Nur die
Angebote von «20 Minuten» und «Blick» wurden noch stärker nachgefragt. In der
französischsprachigen Schweiz ist RTS hinter «20 minutes» die Nummer zwei.

In der Online-Welt steht die SRG damit in direkter Konkurrenz zu privaten Medienanbietern.
Denn die klassische Unterscheidung zwischen Radio und Fernsehen auf der einen Seite und
Zeitungen auf der anderen Seite hat sich aufgelöst. Journalismus findet zunehmend auf
Online-Plattformen statt, die sowohl Text- wie auch Video- und Audio-Inhalte anbieten.

Diese Entwicklung ist medienpolitisch höchst problematisch. Wenn sich die SRG zunehmend
in der Online-Welt breitmacht, droht sie die privaten Anbieter, die nicht auf Gebührengelder
zurückgreifen können, zu verdrängen. Die SRG-Kritiker verlangen deshalb mehr Markt, mehr
Wettbewerb und weniger staatlichen Zwang. Zudem hat die liberale Denkfabrik Avenir
Suisse jüngst gefordert, dass grundsätzlich geklärt werden müsse, welchen Auftrag die SRG
im Online-Zeitalter überhaupt noch haben solle.

Wofür gibt die SRG das Geld aus?

SRG-Befürworter argumentieren, dass der öffentlichrechtliche Rundfunk viel Service public


biete. Ob Sendungen wie «Happy Day» oder «Landfrauenküche» unter diesen Begriff fallen,
mag im Auge des Betrachters liegen.

Die Ausgabenstruktur der SRG ist jedenfalls im letzten Jahrzehnt stabil geblieben. Nach ihrer
eigenen Klassifizierung gibt sie das meiste Geld für Informationssendungen aus – im Jahr
2022 waren es 40 Prozent. Danach folgten Unterhaltung und Film (20 Prozent), Kultur,
Gesellschaft und Bildung (17 Prozent), Sport (15 Prozent) sowie Musik und Jugend (7
Prozent).

Ob dies die Kritiker besänftigen wird, ist zweifelhaft. «Niemand kann verstehen, warum die
Schweiz eine derart teure SRG braucht», sagte der SVP-Politiker Thomas Matter im NZZ-
Gespräch.

Initiative hin oder her – die SRG ist mit grundlegenden Problemen konfrontiert. Der
öffentliche Rundfunk kämpft mit einer sinkenden Reichweite, obwohl immer mehr Menschen
zahlen müssen. Mit dem Ausgreifen in die Online-Welt droht sie jedoch private
Medienangebote zu verdrängen. Früher oder später wird die Rolle der SRG im Online-
Zeitalter zu klären sein.

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