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Tritt am Immobilienmarkt das Undenkbare ein? 15.05.

23, 13:45

Klumpenrisiko Demografie: Tritt am


Schweizer Immobilienmarkt in
wenigen Jahren das Undenkbare ein?
In der Schweiz werden bis 2045 Hunderttausende
Eigentumswohnungen und Einfamilienhäuser von Babyboomern frei.
Ein Basler Demografie-Experte zeichnet ein düsteres Szenario für den
Fall, dass gleichzeitig die Zuwanderungszahlen unter Druck geraten.

Lorenz Honegger
09.03.2023, 05.30 Uhr

Christian Beutler / Keystone


«Wir haben zu viele Einfamilienhäuser», sagt Hendrik Budliger
vom Kompetenzzentrum Demografik.

Der Schweizer Immobilienmarkt zeigt sich im internationalen Vergleich


unerschütterlich. Während die Inflation und höhere Zinsen in Ländern
wie Schweden oder Deutschland die Preise von Wohneigentum teilweise
im zweistelligen Bereich einbrechen lassen, verkünden Schweizer
Banken und Immobilienbewertungsgesellschaften in ihren Berichten
Mal für Mal das Gleiche: Die Nachfrage nach Einfamilienhäusern und
Eigentumswohnungen hat sich zwar abgeschwächt, aber sie übertrifft
das Angebot immer noch bei weitem. Die Preise steigen weiterhin, wenn
auch nicht mehr mit der gleichen Geschwindigkeit. Auf die
Zuwanderung als Stütze des Schweizer Immobilienmarkts ist langfristig
Verlass.

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Tritt am Immobilienmarkt das Undenkbare ein? 15.05.23, 13:45

Einer, der dieses Narrativ hinterfragt, ist Hendrik Budliger, Gründer des
Kompetenzzentrums Demografik. Er hat sich mit seinem Beratungsbüro
auf die Frage spezialisiert, wie sich die gesellschaftliche Überalterung
und Migrationsströme auf die Wirtschaft auswirken. Demografische
Risiken gehen laut Budliger im Investment-Prozess oft unter, gerade
auch im Immobilienbereich.

Budliger hält den Glauben daran, dass die Zuwanderung sich im selben
Mass fortsetzen wird wie in der Vergangenheit, für fehlgeleitet. «Das
heutige Preisniveau am Eigenheimmarkt geht von einer konstanten
Nettozuwanderung aus. Ich habe grosse Zweifel, ob dies auch in Zukunft
so sein wird.» Die demografischen Risiken seien in den heutigen
Bewertungen nicht eingepreist. Er glaubt, dass am Markt für
Wohneigentum, insbesondere bei den Einfamilienhäusern, in wenigen
Jahren das Undenkbare eintrifft: ein deutlicher Rückgang der Nachfrage
und fallende Preise. «Die Schweizer Wirtschaft hängt stark von der
Zuwanderung ab, nicht zuletzt, weil wir zu wenig Geburten haben.»

Seine kontroverse These basiert auf der Annahme, dass das Reservoir an
Einwanderern aus dem Ausland zu klein ist, um die Nettozuwanderung
auf dem heutigen Niveau zu halten und die aus demografischer Sicht zu
tiefe Geburtenziffer von 1,4 Kindern pro Frau zu kompensieren.

Wie stark wird die Schweizer Bevölkerung wachsen?


Geschätzte Bevölkerungsentwicklung nach Szenario, in Tausend

Referenzszenario Hohes Wachstum Tiefes Wachstum

11 000

10 000

9 000

8 000
2020 2050

Quelle: Bundesamt für Statistik NZZ / lho.

Das vielzitierte Referenzszenario des Bundesamtes für Statistik (BfS)


gehe zwar davon aus, dass die Schweiz im Jahr 2040 über 10 Millionen
Einwohner haben werde, sagt Budliger. Er halte aber das «tiefe Szenario»
des BfS, welches von 9,4 Millionen Einwohnern bis 2040 ausgehe, für
realistischer.

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In einem Sitzungszimmer in Basel zeigt er eine Powerpoint-Präsentation


mit Bevölkerungsprognosen der Uno, die nahelegen, dass die
Bevölkerung im erwerbstätigen Alter in den wichtigsten
Einwanderungsländern der Schweiz wegbricht. In Deutschland, das die
meisten Einwanderer der Schweiz stellt, dürfte die Bevölkerung im Alter
zwischen 20 und 64 Jahren bis 2040 um 14 Prozent zurückgehen, in
Italien sogar um 18 Prozent.

Die wichtigsten Herkunftsländer von Einwanderern verzeichnen einen


Rückgang der erwerbstätigen Bevölkerung
Anteil, Veränderung in Prozent

Anteil an der Schweizer Einwanderung


Entwicklung der erwerbstätigen Bevölkerung bis 2040 im betreffenden Land
15
Deutschland
–14

12
Italien
–18

11
Frankreich
–3

6
Portugal
–17

4
Spanien
–16

4
Rumänien
–17

4
Polen
–14

2
Ungarn
–14

Quelle: Bundesamt für Statistik, UN World Population Prospects 2019, Demografik NZZ / lho.

Die Trendwende am Schweizer Immobilienmarkt mit fallenden Preisen


für Wohneigentum erwartet Budliger zwischen Mitte und Ende des
laufenden Jahrzehnts. Die Anzahl der Personen im erwerbstätigen Alter
werde ab 2025 sinken, gleichzeitig werde 2029 der bevölkerungsmässig
grösste Jahrgang in Rente gehen. Problematisch sei das, weil die
geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer (1946 bis 1964) in über 50
Prozent der Fälle Wohneigentum besässen.

Wenn diese begännen, altersbedingt ihre Häuser zu verkaufen oder zu


vererben, werde es aufgrund der tiefer als erwartet ausfallenden
Nettozuwanderung in vielen Regionen zu einem Angebotsüberhang
kommen, sagt Budliger. «Der Wind am Immobilienmarkt kann sehr
schnell drehen, wenn viele Leute auf einmal verkaufen wollen.»

Der Markt werde nicht auf diese Einfamilienhäuser warten. Die Tendenz
gehe in Richtung Ein- und Zwei-Personen-Haushalte. «Wir haben zu
viele Einfamilienhäuser und zu wenige Familien, welche diese Objekte
nachfragen werden.»

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Negativszenario «Silber-Tsunami»

In den Vereinigten Staaten spricht man in diesem Zusammenhang auch


von einem «Silber-Tsunami», der sich über den Immobilienmarkt
ergiessen könnte. In diesem Negativszenario kommen
Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen auf den Markt, für die es
keine ausreichende Nachfrage mehr gibt. Viele Vertreter der
Babyboomer-Generation hätten ihre Einfamilienhäuser und
Eigentumswohnungen in den vergangenen Jahren behalten, obwohl die
Kinder ausgezogen seien und sie den Platz nicht benötigten, sagt
Budliger.

Einer der Gründe dafür sei, dass der Umzug in eine kleinere Wohnung
aufgrund des gestiegenen Preisniveaus für Wohneigentum finanziell
schlicht nicht attraktiv sei. «Wir haben heute viele Witwen und Witwer,
die in Einfamilienhäusern wohnen. Das ist eine Fehlallokation – und viel
Wohnraum, der gleichzeitig auf den Markt kommen wird.»

Das Argument, dass Menschen nach der Pensionierung ihren Platzbedarf


eher vergrösserten als verkleinerten, lässt Budliger nicht gelten. «Netto
sind ältere Menschen Immobilienverkäufer.»

Der «Silber-Tsunami» wird laut dem Büro Demografik nicht


flächendeckend und auch nicht gleichzeitig einsetzen. Regional werde es
grosse Unterschiede geben, das habe sich auch schon bei der
Immobilienkrise Anfang der neunziger Jahre gezeigt. Überalterte
Gemeinden wären stärker betroffen, diese seien nicht interessant für
Zuwanderer. Gerade für Regionalbanken und Kantonalbanken mit vielen
Hypothekarkrediten auf der Bilanz bestehe daher in gewissen Regionen
die Gefahr von Klumpenrisiken.

Ist die Verkaufswelle vielleicht doch ein Segen?

Doch nicht alle Beobachter zeichnen ein so düsteres Bild wie Budliger.
Man kann das zusätzliche Angebot, das von der Babyboomer-Generation
in den kommenden Jahren und Jahrzehnten auf den Markt kommt, auch
als Chance betrachten.

So sieht es etwa die Zürcher Kantonalbank (ZKB). «Der


Generationentransfer bedeutet kein Risiko für den
Einfamilienhausmarkt, sondern ist vielmehr ein Segen», schrieb die
Immobilienspezialistin der ZKB, Ursina Kubli, vor zwei Jahren in einer
Analyse. Da das familienseitige Interesse bei Einfamilienhäusern meist

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gross sei und die Neubautätigkeit in den letzten Jahren praktisch zum
Erliegen gekommen sei, scheine eine Übersättigung an
Einfamilienhäusern kaum möglich.

Aufgrund des Trends zur Verdichtung werde die Raumplanung auch


künftig den Bau von Mehrfamilienhäusern anstelle von
Einfamilienhausquartieren fördern. «Müsste man sich allein auf den
Neubau verlassen, wäre der Traum vom Einfamilienhaus bald
ausgeträumt. Dank dem Generationentransfer können aber viele
Interessenten auf ein Bestandesobjekt hoffen.»

Die Ökonomen der Credit Suisse sehen es ähnlich. Sie schrieben im


vergangenen Herbst, wenn die Babyboomer ihre Objekte verkauften oder
vererbten, sei dies mit der Hoffnung verknüpft, dass sich die
angespannte Lage auf dem Markt für Wohneigentum «längerfristig
leicht entspannen könnte».

Die CS rechnet mit 420 000 Eigenheimen, welche bis 2045 von den
Babyboomern in andere Hände übergehen werden. Ab Anfang der 2030er
Jahre werde die gesamte Zahl der frei werdenden Eigenheime auf dem
Schweizer Markt pro Jahr auf über 20 000 steigen und bis 2045 rund
50 000 erreichen.

Andere Einwanderungsländer könnten in die Bresche springen

Robert Weinert, Leiter Immo-Monitoring beim Beratungsunternehmen


Wüest Partner, bestätigt, dass derzeit immer noch viele Babyboomer aus
finanziellen Gründen in ihren Eigenheimen wohnen blieben. Viele
hätten ihre Hypothek stark reduziert, ein Umzug wäre finanziell nicht
attraktiv, zumal die Mieten derzeit steigende Tendenzen aufwiesen.
Dann gebe es auch emotionale Aspekte, die eine Rolle spielten. «Mit
dem eigenen Haus verbindet man viele Emotionen und Erinnerungen.
Es ist nicht einfach, das aufzugeben, auch wenn der eigene
Quadratmeterverbrauch eigentlich zu gross ist.»

Dennoch sei die anstehende Verkaufswelle der Babyboomer gerade für


junge Kaufinteressierte positiv zu werten. «Das kann eine gewisse
Liquidität auf den Markt bringen.» Die effektive Entwicklung werde von
der Entwicklung der Zinsen und der regulatorischen
Rahmenbedingungen, etwa im Bereich Raumplanung, abhängen. Mit
einer grösseren Preiskorrektur am Wohneigentumsmarkt rechne er
nicht.

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Dass die Zuwanderung aus Deutschland, Italien und Frankreich


mittelfristig abnehmen könnte, schliesst Weinert nicht aus. Es sei aber
auch denkbar, dass dann die Schweiz ihren Arbeitskräftebedarf vermehrt
mit Einwanderern aus anderen Staaten decke – damit würde auch die
Zuwanderung als Stabilisator auf dem Immobilienmarkt erhalten
bleiben, wenn die Babyboomer-Generation ihre Häuser dereinst verlasse.

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