Sie sind auf Seite 1von 7

Untersuchungsschema des neurologischen Patienten

PT Neurologie
Marcel Kroth, M.Sc.

Ziel der standardisierten Untersuchung ist es, den neurologischen Status des Patienten
festzustellen. Die therapeutische Untersuchung unterscheidet sich zum Teil von der
ärztlichen Untersuchung, da akutmedizinische Parameter in der Regel bereits abgeklärt
wurden. Der Fokus der Untersuchung liegt darin, die therapeutisch relevanten Aspekte
herauszufinden.

Die Untersuchungen sind mit großer Sorgfalt und Präzision durchzuführen, um ein valides
Ergebnis zu erreichen.

1. Anamnese

Es wird gezielt nach therapeutisch relevanten Symptomen gefragt:

 Kopfschmerzen
 Schwindel
 Sehstörungen (z.B. Doppelbilder…)
 Lähmungen
 Sensorische Störungen (z.B. Parästhesien)
 Vigilanz
 Konzentration
 Topographie der Symptome (z.B. um periphere vs. zentrale Schädigungen zu
differenzieren)

2. Vigilanz, Sprache, Aufmerksamkeit

 Beschreibung des Patienten bei Erstansprache (Spontanreaktion)


 Orientierung (zeitlich, örtlich, räumlich, situativ)
o Unterscheidung quantitative und qualitative Bewusstseinsstörungen
 Quantitativ:
 Somnolenz – Pat. ist schläfrig, aber erweckbar, z.B. durch
akustische Reize
 Sopor – Patient ist nur durch starke Reize erweckbar
 Koma – Keine Reaktion auf äußere Reize
o In diesem Fall – Assessment: Glasgow Coma Scale
 Sprache: Aphasie und Artikulation (Dysarthrie) – von Logopäden abzuklären

©Marcel Kroth, B.Sc., 2018


3. Inspektion, Untersuchung, Beweglichkeit des Kopfes

 Test auf Meningismus (Brudzinski Zeichen)


 Kernig – Zeichen
 Lasègue – Zeichen
 Slump – Test

Diese Untersuchungen sind für die Testung der Hirnhäute und des Rückenmarks
geeignet. Unterschieden werden hier zentrale Ursachen und z.B. radikuläre Symptome

4. Test der Optomotorik und des Visus

Die Testung der Optomotorik und des Visius geschieht über die Hirnnerven II (N.opticus),
III (N. oculomotorius), IV (N. trochlearis) und VI (N.abducens). Ziel ist es, mögliche
Störungen der Augenbewegungen, des Sehens und des Gesichtsfeldes zu erkennen.
Diese Störungen können deutliche Auswirkungen auf den Alltag haben. So folgen z.B.
Gleichgewichtsstörungen, Störungen der Koordination oder Schwindelsymptome.

 Gesichtsfeld – Der Therapeut bringt den Zeigefinger oder einen Stift mittig vor
das Gesichtsfeld. Der Finger wird nach links, rechts, oben und unten geführt. Der
Patient soll diesen mit den Augen verfolgen. Er gibt an, wenn der Gegenstand aus
dem Gesichtsfeld verschwindet.
 Bei diesem Test können verschiedene Symptome auftreten:
o Gesichtsfeldeinschränkungen
o Doppelbilder
o Schwindel
o Blickparesen
o Nystagmus (vertikal, horizontal, undifferenziert)

5. Motorische Untersuchungen

 Trophik – Man achtet auf eingefallene Stellen und sichtbare Veränderungen, die
auf Lähmungen zurückzuführen sind
 Tonus:
o Widerstandstest (passive Bewegung mit Geschwindigkeit)
o Spastizität (Standardassessment, z.B. Tardieu-Skala)
o Kontraktur (über Gelenkmessung, Endgefühl)
o Rigidität (z.B. bei Morbus Parkinson)
o Hebetest gegen die Schwerkraft
o Placing / Holding
 Grobe Kraft:
o Die Muskelkraft wird mittels MFP geprüft
Es ist darauf zu achten, dass bei angeborenen Behinderungen die MFP Stufen ins
Verhältnis zur Person gesetzt werden müssen und nicht vom Zustand „Normal“
ausgegangen werden kann.

©Marcel Kroth, B.Sc., 2018


o Armvorhalteversuch – es wird auf ein Absinken binnen 10 Sekunden der
Arme geachtet
o Rebound-Phänomen – Test auf cerebelläre Schädigung

6. Muskelreflexe

Muskelreflexe sind in der Physiotherapie differenziert zu betrachten, da sie nicht


zwangsläufig zu brauchbare Aussagen für den Therapeuten liefern. Dennoch können
gerade die pathologischen (infantilen) Reflexe aufschlussreich sein.

- Muskeleigenreflexe
o Bizepssehnenreflex
o Patellarsehnenreflex
o Achillissehnenreflex

- Fremdreflexe
o Cremasterreflex (Periphere Läsion)
o Bauchhautreflexe
o Infantile Reflexe bei Kindern (AtNR)

- Pathologische Reflexe
o Babinski-Reflex
o Greifreflex

Diese sind Zeichen einer Pyramidenbahnschädigung.

Es können auftreten:

- Eine globale Auslösung des Reflexes


- „Klappmesserphänomen“ bei Spastizität der Hand
- Areflexie
- Gesteigerter Muskeleigenreflex
- Geminderter Muskeleigenreflex

7. Prüfung der Sensibilität

 Zu unterscheiden sind sensible Reiz- und Ausfallerscheinungen.

Geprüft werden:

 Oberflächensensibilität:
o Parästhesien(Kribbeln, allgemeine Empfindung…)
o Kompletter Ausfall der Sensibilität (Anästhesie)
o Verminderte Wahrnehmung (Hypästhesie)

©Marcel Kroth, B.Sc., 2018


o Verstärkte Wahrnehmung, unangenehmes Gefühl (Hyperpathie), auch
Hypersensibilität
o Verstärkte Schmerzwahrnehmung (Hyperalgesie)
o Verminderte Schmerzwahrnehmung (Hypalgesie)
o Testung auf Empfindung Spitz/Stumpf

 Tiefensensibilität
o Propriozeption mittels „Mirroring“
o Vibrationsempfinden mittels Stimmgabel
o 2-Punktdiskrimination
o Temperaturempfinden

Bei der Erstuntersuchung ohne Diagnose kann man zwischen peripheren und zentralen
Schäden unterscheiden. Läsionen der Nervenwurzel können durch Dermatome bestimmt
werden, sind aber in der Regel ohne vegetative Symptome. Bei peripheren Ausfällen
kommen meist vegetative Störungen hinzu, z.B. trophische Störungen.

Erkrankungen der motorischen Vorderhornzelle weisen keine Sensibilitätsstörungen auf,


da lediglich motorische Funktionen beeinträchtig sind. Dies zeigt sich z.B. bei
Muskelerkrankungen oder bei Erkrankungen der motorischen Endplatte (z.B. Myasthenia
gravis oder ALS).

8. Prüfung der Koordination

Für die Koordination spielen vor allem das Kleinhirn (Cerebellum), der Vestibularapparat
und spinale Afferenzen eine wichtige Rolle. Zu prüfen sind:

 Zielbewegungen
o Finger-Nase-Versuch
 Beurteilt werden die Qualität der Bewegung
 Treffsicherheit
 Wird die Nase verfehlt oder die Bewegung nicht gleichmäßig
ausgeführt spricht man von einer
 Dysmetrie oder
 Endstückattaxie
o Knie-Hacken-Versuch
 Beurteilung siehe F-N-V
o Bárány-Zeigeversuch
 Patient zielt mit dem Zeigefinger auf die vom Untersucher
vorgehaltene Fingerspitze
 Zeigt er daneben ist eine cerebelläre Läsion oder eine
Vestibularisläsion anzunehmen
 Feinmotorik
o Diadochokinese
 Beurteilt werden die Symmetrie der Hände
 Bei zu langsamer Bewegung
 Bradydiadochokinese
 Asymmetrie

©Marcel Kroth, B.Sc., 2018


 Dysdiadochokinese
o 9-Hole-Peg Test
 Beurteilt wird die Zeit
o Rebound-Phänomen
 Der Therapeut gibt einen Widerstand gegen die Flexion des
Ellenbogens. Er lässt ohne Ankündigung los. Kann der Patient die
Bewegung nicht abbremsen ist von einer Kleinhirnläsion
auszugehen
 Stand und Gang
o Romberg-Versuch
 Füße werden geschlossen, Arme nach 90° Flexion (SG) gehalten.
Patient muss frei stehen
 Kann er dies nicht mit offenen und geschlossenen Augen
kann eine spinale Ataxie vorliegen
 Im Gegensatz zur cerebellären Ataxie kann durch der Patient
in der Regel die Sicherheit beim Stehen durch öffnen der
Augen wiedererlangen
o Unterberger Tretversuch
 Patient geht auf der Stelle im „Storchengang“, Augen geschlossen,
ca. 30 – 45 Sekunden
 Dreht der Patient um mind. 45°, geht man von einer cerebellären
oder vestibulären Schädigung aus, die homolateral verortet ist.
 Achtung!!! Es kann auch eine koordinative Muskelimbalance zu
diesem Phänomen führen
o Tests, wie „Storchengang“, „Strichgang“ oder „Side-Step“
o Allgemeine Gangparameter aus dem Gangbefund
o Standardassessment für die Gangstörungen sind z.B. die Berg-Balance
Scale oder der Dynamic Gait Index
o Zu Testen ist auch, ob der Patient ein Sturzrisiko hat
 Dieses kann mit der Morse Sturz Skala (MSS) getestet werden
 Unterschieden werden muss allerding unbedingt, ob es sich um eine
Problematik des sensorischen oder motorischen Systems handelt
und nicht, um ein Angstphänomen
 Dieses kann mit der Falls Efficacy Scale (FES-I) evaluiert werden
o Für spezielle Anforderungen, bspw. beim Freezing of Gait Phänomen
(M. Parkinson) werden auch spezielle Assessments eingesetzt, z.B. der
Freezing of gait questionnaire (FOGQ)

9. Kognitive Funktionen

 Neuropsychologische Störungen
o Aphasie, Apraxie, Alexie, Agraphie, Akalkulie, Agnosie, Neglect
o Diese werden z.B. von Neurologen, Neuropsychologen, Logopäden und
Ergotherapeuten erhoben und behandelt
 Psychopathologische Befunde
o Vigilanzstörungen, Orientierungsstörungen, Gedächtnisstörungen und
sonstige Auffälligkeiten können auch als Freitext beschrieben werden

©Marcel Kroth, B.Sc., 2018


o Standardtestung ist z.B. der Mini Mental Status Test

10. Liste der möglichen Standardassessments nach Untersuchungsfeld

Einsatzgebiet Spezifizierung Assessment Dauer


Frühphase Bewusstseinszustand Glasgow Coma Scale kurz
Selbstständigkeit ADL Frühreha-Barthel-Index mittel
Selbstständigkeit im ADL Functional Independence mittel
Alltag Measure (FIM)
Zielsetzung Zielvereinbarung/Kontrolle Goal Attainment Scaling kurz
(GAS)
SMART kurz
Mobilität Rumpfkontrolle Trunk Control Test (TCT) kurz
Trunk Impairment Scale lang
(TIS)
Mobilität Timed Up ang Go (TUG) kurz
6-Minute Walk Test mittel

Obere Extremität Arm-Hand-Funktion Action Research Arm Test lang


(ARAT)
Nine-Hole-Peg-Test kurz
Wolf Motor Function Test mittel
Gleichgewicht Allgemein Berg Balance Scale (BBS) mittel
Gleichgewicht beim Gehen Dynamic Gait Index mittel
Functional Gait Index mittel
Sturzangst Falls Efficacy Scale mittel
Sturzrisiko Morse Sturz Skala
Spezielle Testungen Spastizität Tardieu-Skala Kurz
Modified Ashworth Scale Mittel
Rigität, M.Parkinson Unified Parkinson´s lang
Disease Rating Scale
(UPDRS)
Sensorische Funktionen Fugl-Meyer-Assessments mittel
nach Schlaganfall
Multiple Sklerose Mutiple Sklerosis lang
Questionnaire for
Physiotherapists (MSQPT)
M. Parkinson Parkinson´s Disease lang
Questionnaire (PDQ-39)
Freezing of Gait mittel
questionnaire
Allgemeiner SF-36 lang
Gesundheitszustand
Kognitive Funktion Neglect Catherine Bergego Scale Mittel
Pusher-Symptomatik Klinische Skala für Kurz
Contraversives Pushing
Apraxie TULIA lang
Kognitive Funktion Mini Mental Status Test Lang

Literatur:

Willeit, J. (2012). Klinische Fertigkeiten und Untersuchungsmethoden 2 – Neurologische


Untersuchung. Universitätsklinik Innsbruck.

Schädler, S., Kool, J., Lüthi, H., Marks, D., Pfeffer, A., Oesch, P. & Wirz, M. (2012).
Assessments in der Rehabilitation, Band 1: Neurologie. Verlag Hans Huber.

©Marcel Kroth, B.Sc., 2018


©Marcel Kroth, B.Sc., 2018

Das könnte Ihnen auch gefallen