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Hermann, Litauische Studien.

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Hermann Eduard. Litauische Studien, eine historische Untersuchung


schwachbetonter Wörter im Litauischen = Abhandlungen der Gesell-
schaft der Wissenschaften zu Göttingen, phil.-hist. CL, N. F . Bd. X I X 1.
Berlin (Weidmannsche Buchhandlung) 1926. X V I I I + 423 Seiten.
Verfasser dieser äußerst grandlichen Arbeit hat den größten T e i l
der älteren litauischen Literatur und eine Reihe von modernen litauischen
Texten nicht nur der Schriftsprache, sondern auch solche mundartlichen
Charakters durchgearbeitet und ist dabei zu Ergebnissen gelangt, die
auch hier wieder die Richtigkeit von Wackernagels Feststellungen über
die Unterbringung schwachbetonter Wörter an der zweiten Stelle des
Satzes im Indogermanischen (IF. 1, 333 ft.) bestätigen. Hatte für das
Slavische bereits Berneker Wortflg. in den slav. Spr. 60 ff. die gleiche
Tendenz nachgewiesen, so zeigt Hermann, daß sie auch für das Litauische,
wenigstens für seine ältere Literatur, gilt, daß aber im Verlaufe der
litauischen Sprachentwicklung diese Gewohnheit mehr und mehr abkommt.
Manche Partikeln werden vollbetont und rücken heute sogar gelegentlich
an den Satzanfang. Dies hängt wohl mit einer noch nicht ganz zur
Tollendung gekommenen Veränderung des indogermanischen Satzrhythmus
in der jetzigen litauischen Sprache zusammen.
Es ist staunenswert, wie viele alte Schriften, die ζ. T. nur äußerst
schwer zugänglich sind, der Verfasser zur Erreichung seiner hochbedeut-
samen Ergebnisse exzerpiert hat. Auch bei der Beleuchtung dieser
Spracherscheinung zeigt sich aufs neue, wieviel sprachliche Schätze noch
die alte litauische Literatur birgt, und wieviel Wichtiges wir aus ihr
trotz des starken polnischen Einflusses auf die Syntax auch der Werke,
die keine bloßen Übersetzungen sind, lernen können (s. auch Ref. Ztschr.
f. slav. Phil. 3, 69.76 ff.). Ich möchte hier nur ein Bedenken gegen die
äußere Anlage der gehaltreichen Arbeit Hermanns nicht unterdrücken.
Ich glaube, daß der Verfasser, statt sein Material in extenso vorzulegen,
sich auf eine Auswahl der markantesten Fälle, die den Unterschied
zwischen einst und jetzt zu erläutern geeignet sind, hätte beschränken
sollen. Ist schon ein μέγα βιβλίον an sich ein μέγα κακόν, so zeigt be-
sonders vorliegendes Werk, das sich mit ein paar Einzelfragen der Wort-
stellung befaßt, δαφ πλέον ήμισυ παντός. W a s hat es för einen Zweck,
eine Menge von modernen Autoren namhaft zu machen, die Partikeln
wie jeigu, negu, kadangi gebrauchen? Ein jeder, der wie der Verfasser
und der Referent einmal im Lande selbst gewesen ist und litauisch gehört
und gesprochen hat, weiß ohnedies, daß diese Wörter in der Sprache der
Gebildeten Großlitauens heute gang und gäbe sind. Ich sehe auch nicht
ein, warum alle zitierten Sätze, von denen an sich schon eine kleine
Auswahl genügt hätte, übersetzt worden sind. Der Baltist kann in den
meisten Fällen diese Übersetzungen entbehren, und der Nichtbaltist be-
gnügt sich mit einer Kenntnisnahme der Ergebnisse, die bei einer B e -
schränkung auf das Wesentliche viel deutlicher hervorgetreten wären.
In der Einleitung setzt sich der Verfasser mit dem Wesen von
Proklise und Enklise auseinander, wobei ich ihm in den meisten Punkten
beistimmen maß. Übersehen hat er S. 7, daß bereits im Altfriesischen
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dem gewöhnlichen tfi 'er' in der Stellung unmittelbar hinter dem Verbum
enklitisches -er gegenübersteht (vgl. Heuser Afries. Leseb. 29). Im ersten
Teile beschäftigt sich Hermann mit den enklitischen mi, ti, die in alter
Zeit noch ziemlich häufig sind und namentlich gern hinter den Satz er-
öffnenden Imperativen gebraucht werden. Sie sind in der älteren Literatur
nicht nur als Dative, sondern wie griech. μοι, τοι (αοι), of auch als Gene-
tive üblich, was als Modifikation von Havers' Anschauungen nicht ohne
Bedeutung ist. Als Akk. sind sie selten. In dieser Funktion zeigen sich
weniger die vollen als die abgekürzten Formen m, t. Das weist vielleicht
für diesen Fall auf Entstehung aus ursprünglichen *me, te, während
akkus. mi, ti auf nachträglicher Verallgemeinerung beruhen könnten.
Im Gegensatze zu mi, ti ist -s(i) fest mit dem Verbum verwachsen.
Bs kommt sowohl dativisch wie akkusativisch in gleicher Häufigkeit vor.
Vielleicht hat hierzu die mangelnde Numerusunterscheidung im Reflexiv
beigetragen. Beachtenswert ist die Erklärung reflexiver Parti cipialformen
wie Tceliasis neben keliqsi (S. 89).
An die Stelle der enkl. mi, ti treten allmählich die orthotonierten
Formen, aus denen bei schwacher Betonung gelegentlich wieder neue
Enklitika gebildet werden. Zu den von Hermann erwähnten ma, mau
(nach tau), mai füge ich sa, das mir, meist als schwach betonter Gen.
poss., oft in Krfevfes Schriften, allerdings nur in dem Volksmunde nach-
gedichteten Liedern (d. h. wohl als dzukische Eigentümlichkeit) begegnet
ist (vgl. 5, 25.27 usw., 5,169 auch poss. ma). Ich halte so für Analogie-
bildung nach ma, das wohl durch Verstummen des Endkonsonanten aus
volltönendem man hervorgegangen ist (so richtig Hermann 97 nach
Doritsch Beitr. z. lit. Dial. XL). Daß ma (darnach gleichfalls sa) auch
genetivisch vorkommt, erkläre ich mir aus dem von Hermann so schön
nachgewiesenen, sowohl dat. als genet. Sinn seines syntaktischen Vor-
gängers mi.
Sehr lehrreich sind die Auseinandersetzungen des zweiten Teils über
die Partikeln ga, gu, gi und ihre Konkurrenz, ga ist in voller Gestalt
am frühesten ausgestorben (freilich nicht ganz; ich kenne taiga 'gewiß,
ja' nicht nur aus den von Hermann 104 zitierten Wörterbüchern von
Mielcke und Nesselmann, sondern auch aus Krfevfes raStai 5, 12.13. 45 u. ö.).
gu ist heute nur in festen Verbindungen wie jeigu, negu bewahrt, gi hat
das verkürzte -g, auch wo solches auf ga, gu beruht, allmählich völlig
verdrängt. Deswegen dürften betaiga, nesanga älter sein als betaig(i),
nesangfi). Hand in Hand mit dem immer weiteren Umsichgreifen von gi
vollzieht sich auch dessen syntaktische Umbildung. Es wird aus einer
schwachbetonten Kausalpartikel zu einer stark adversativen Konjunktion,
die heute oftmals den Satz beginnt (318 ff.)
Nicht so ausführlich spricht Hermann über andere Partikeln wie
ba, be, bo; do, da; jau; nes; nu ; tada usw. Auch sie stehen noch öfters
bei schwacher Betonung an der zweiten Satzstelle. Bei nes ist wie bei
gi eine allmähliche Verschiebung von der zweiten Stelle an den Satz-
anfang eingetreten (369 ff.). Auch betaig steht in Bythners Neuem Testa-
ment von 1701 ausschließlich an zweiter Stelle (S. 193. 335). Hinzuzufügen
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ist, daß auch heute noch, trotzdem bet überwiegend den Satz eröffnet,
für betgi öfters die Zweitstellung zu beobachten ist. Mir stehen hierfür
Beispiele aus Lazdynu Pelfeda (1,62.243; 2, 2. 21.59 u. ö.) sowie aus Kr6v6s
Schriften (5, 85) zur Verfügung. Dem von Hermann aus Garliava zitierten
ale bet entspricht ganz mit einheimischen Mitteln gebildetes ο betgi 'und
doch' (Lazdynu Pelfeda 2,19.45). Ich erinnere auch an alit. bo nes (Her-
mann 371 ff., Ref. Ztschr. f. sl. Phil. 3, 70). Sehr einleuchtend ist die Er-
klärung von dar 'noch', dabaf 'jetzt' (S. 352). dar ist ein um r verstärktes,
ebenfalls sehr übliches da 'noch', dabaf enthält außerdem noch die Par-
tikel ba. In der Tat bedeutet dabar, wie ich ergänzend bemerke, oft
genug nicht bloß 'jetzt', sondern auch 'noch', so sehr oft bei Sirvid (ζ. B.
PS. 46, 19ff. = 1. Joh. 3, 2 dabar ne = nondurn der Yulg.) und DaukBa
(ζ. B. Post. 86,35; 106,1; 167, 33/34 u. ö. als Übersetzung von poln. jeszcze);
vgl. auch Juük. slov. s. v. dabä, dabär, Ölapelis s. v. dabar 'jeice', Valancius
Wolt. 412, 38. Wenn dabar in der Bedeutung 'noch' im Gegensatze zu
'jetzt' öfters den Ton auf der vorletzten Siibe hat (so bei Dauksa, ferner
bei Nesselmann 123, Kurschat s. v. nach Brodowski, Slapelis s. v., Wolt.
Chr. 412,38), so beruht dies nach meiner Meinung auf der auch sonst
namentlich bei Wörtern mit pyrrhichischer Messung und untergeordnetem
Werte dialektisch zu beobachtenden Betonungsschwankung (s. darüber
Brugmann zu L.-Br. 295, Gauthiot Buiv. 10 ff., MSL. 13, 198). Da heute
meist dabar und dar in der Bedeutung geschieden werden, so kommt
auch dar dabar 'noch jetzt' vor (vgl. Rund G. 40,60,15, Marcink. 45, 64,20)
[s. jetzt über die Wörter Endzelin FBR. 7, 173].
344 ff., 357 ff. hat der Verfasser nicht erkannt, daß in iemait. jüoba,
juojaüs 'um so mehr' usw. der Instr. mens, jüo 'um so, je' steckt. Auch
dieser wird öfters mit Positiven neben und statt mit Kompar. verbunden
oder bedeutet 'um so mehr' (vgl. auch Schi. Gr. 331, Jaunius gram. lit.
jaz. 122, Jablonski 2 163, JuskeviS slov. s. v.). Ebenso kommt in lett.
Dialekten juo(vel) mit Positiven als Komparativumschreibung vor (Bezzen-
berger Spr. d. preuß Lett. 104.129ff., Endzelin Gr. 352 ff. 442). In meiner
im Druck befindlichen lit. Kasussyntax, wo noch weitere Parallelen zu
dieser Erscheinung aus dem Baltoslavischen gegeben sind, habe ich dies
aus der Vermeidung von „Übercharakterisierungen" im Sinne Horns
Sprachkörp. s 117 ff. 137 ff. erklärt, jüo stand an sich regelmäßig vor
Komparativen; deswegen unterließ man gelegentlich die Anfügung von
steigernden Suffixen an die auf diesen Instr. folgenden Adjektiva.
S. 358.376 rangiert fälschlich der alte Loc. du. dviejau(s) 'zu zweien'
( = ai. dvdyos, abg. dwooju) in einer Reihe mit jaü 'schon' und den damit
verbundenen Wortkomplexen.
Im dritten Teile behandelt der Verfasser die Wortfolge zweier
Enklitika. Er zeigt, daß die alte Regel, wonach eine Partikel vor einem
Pronomen in der Stellung den Vorrang hat, im Litauischen nur noch in
Resten durchschimmert. Lediglich die Chylinskische Bibel zeigt noch
hin und wieder an das Verbum angehängtes gu vor mi, während si, das
mit dem Verbum fest zusammengewachsen war, in ihr, wie anderwärts
gleichfalls mi, dem gu, gi voraufgeht. Hermann vergleicht aus dem
214 Latvijas vietu värdi.

Griech. den Unterschied von ion. att. idv τις usw. und von dor. αί τ(ς χα.
Die erste Stellung ist älter als die zweite, die sich daraus erklärt, da&
αϊ τις eine mit δατις synonyme Einheit geworden war.
Mit einer kurzen Zusammenfassung der wichtigsten Resultate und
einer Mahnung, den heutigen litauischen Satzrhythmus auch experimentell
zu untersuchen, schließt das inhaltreiche Buch, dem Hermanns Schiller
W. Krause sehr sorgfältige Sach- und Wortindices beigefügt hat.
Es wäre unbillig, allzu großen Wert auf einige kleinere Versehen
zu legen, die dem Gesamtwert des Buches kaum Abbruch tun. Ich nenne
nur S. 72, wo iikädyti fälschlich unmittelbar von dtsch. schaden abgeleitet
wird. Es stammt zunächst aus wruss. poln. szkodzie und regiert nach
dessen Analogie den Dativ. Die daneben übliche Konstr. mit Akkus, er-
klärt sich aus dem Einflüsse der bedeutungsverwandten (pa)gadlnti,
kankinti U9W. In meiner lit. Kasussyntax weise ich als Bestätigung von
Hermanns Darlegungen nach, daß auch im Baltoslavischen viele Verba
des Helfens, Nützens, Schädigens u. dgl. zwischen dativischer und akku-
sativischer Rektion schwanken. S. 92 betrachtet Verfasser versehentlich
mssimilstws (-tas), sussimüsty der Wolfenbättier Postille statt als Partie,
praes. act. (s. über den nicht seltenen Wandel von a in u in der Postille
Gaigalat MLLG. 5, 32ff.) vielmehr als „etymologisch (den Partie.) ver-
wandte Adjektiva". S. 256 ist muiiu in dem Dzükenlied TZ. 2, 289,
No. 51,8 ff. statt als Futur als Präsens übersetzt, kadel bei Sengstock
(s. Verf. S. 868) bedeutet nicht 'wann, wenn', sondern ist natürlich dasselbe
wie hodel 'weshalb'. Endlich wertessegu gierinui (Wolf. Post., s. S. 401) ist
nicht verschrieben für gierinimui oder gieryn, sondern eine auch sonst
alit. nicht seltene Erweiterung eines Adv, auf -4/n unter dem Einflüsse der
Adv. auf ·ui (s. darüber Bezzenberger Beitr. 110 ff., Zubaty IF. 6,277, be-
sonders Specht Lit. Mundart. II 108 ff.).
Kiel, Ernst Fraenkel.
Feldetraße 781.

Latvijas vietn värdi, 1. da]a. Vidzemes vardi. 2. da}a. Knrzemes un


Latgales värdi ( = lettische Ortsnamen, 1. Teil livländische Namen,
2. Teil kurländische und lettgalische Namen), unter Mitwirkung ver-
schiedener Forscher gesammelt, redigiert und mit den Mitteln des
Kulturfonds herausgegeben von J . E n d z e l i n . Riga (A. Gulbis) 1922.
1925. 117 + 191 Seiten.
J. Endzelin faßte schon vor dem Kriege den Plan, die lettischen
Ortsnamen in einem genauen Verzeichnisse zusammenzustellen. Verschie-
dene Lehrer hatten ihm hierfür Material ihrer Heimatsgegenden zugäng-
lich gemacht. Nach der Revolution in sein Vaterland zurückgekehrt,
nahm er dies Unternehmen im Verein mit A. Abele, J. Kauliii, P. §mit u. a_
energisch in Angriff. Durch die Presse erging die Aufforderung, Stoff zu
beschaffen, jedoch ohne großen Erfolg. Nur wenige leisteten der Bitte
Folge, darunter vor allem die Mittelschule in Jakobstadt. Die Aussprache
war nicht immer genügend angegeben worden. Die topographische Heeres-

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