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Claudia Birke

Notdurft und Heimlichkeit


Die Abortanlage als Bestandteil fränkischer Burgen und Schlösser
vom Hohen Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit

Es scheinen gerade die so alltägli- In Mittel-, Ober- und Unterfranken menate von Thurnau (OF), jeweils
chen Dinge und Örtlichkeiten zu sein, (im Folgenden MF, OF und UF abge- dem Bergfried von Burg Prozelten
die innerhalb der Forschung kaum kürzt) befinden sich etwa 300 Burg- (UF), Miltenberg (UF) und Rieneck
Beachtung finden. Insbesondere und Schlossanlagen mit erhaltenem, (UF), dem Südturm von Rothenfels
Abortanlagen, die im Kontext beeng- teils ruinösem Baubestand aus der (UF) sowie dem Torturm und Wohn-
ter Burg- und Schlossanlagen einen Zeit vom Hohen Mittelalter bis ins bauten der Salzburg (UF).
durchaus wichtigen und notwendigen ausgehende 17. Jahrhundert. Nur zu
Baubestandteil darstellen, werden 50 davon fanden sich in der Literatur
bei einem Großteil der burgenkund- eindeutige Hinweise auf Abortanla- Aborttypen
lichen Betrachtungen weitgehend gen, die sich in einigen Fällen aber Wie schon in Pipers „Burgenkunde“
übergangen. Lediglich die gängigen auf schriftliche oder bildliche Quellen aufgeführt wird, gibt es weit verbrei-
Übersichtswerke bieten eigene klei- beschränken und heute als Baubefund tet eine Vielzahl von Möglichkeiten,
ne Abschnitte oder Kapitel, in deren nicht mehr nachzuvollziehen sind, wie das Ergebnis menschlicher Notdurft
Rahmen es aber kaum möglich ist, beim Wohnturm von Burggaillenreuth2 zu sammeln und bestenfalls auch
sich detailliert mit dieser Thematik (OF) oder dem Orlamündebau von zu entsorgen4. Innerhalb des Un-
auseinander zu setzen, sondern in ers- Burg Lauenstein (OF)3. Auf 17 dieser tersuchungsgebietes konnten bisher
ter Linie großräumig auf Typologien Burgen und Schlösser konnten bisher allerdings nur drei grundsätzlich ver-
und kulturgeschichtliche Zusammen- etwa 70 Abortanlagen begutachtet und schiedene Typen von Abortanlagen
hänge eingegangen wird1. Die Erfas- teils vermessen werden (vgl. Abb. 1 nachgewiesen werden, die in ihren
sung von Abortanlagen im Gebiet der und Tab. 1). Viele davon sind jedoch Detailformen aber eine erstaunliche
drei fränkischen Regierungsbezirke nur in Ansätzen vorhanden und durch Varianz aufweisen. Die unauffälligste
unter Einbeziehung der Lage und teilweisen Abbruch oder Umbau und Form stellt dabei der innerhalb der
Verteilung innerhalb der Burg- oder Umnutzung stark verändert. Weitge- Mauerstärke liegende Abtritt mit teils
Schlossanlage soll einen ersten An- hend original erhalten haben sich le- tief nach unten reichender Ableitungs-
satz darstellen, dieses Forschungsde- diglich 14 Anlagen und zwar in der rinne oder -röhre dar, der nach außen
siderat zumindest räumlich begrenzt Ringmauer von Colmberg (MF), in der lediglich durch eine kleine Abflussöff-
zu beseitigen und damit eine Grund- großen Kemenate der „Pfalz“ Forch- nung in der Mauer zu erkennen ist (vgl.
lage für weitere Untersuchungen zu heim (OF), im Zeughaus der Festung Abb. 2)5. Dieser Typus ist schon für
schaffen. Rosenberg/Kronach (OF), in der Ke- das 9. Jahrhundert im Granusturm der
Abb. 1. Übersichtskarte der bearbeiteten Burganlagen (x) in Mittelfranken Aachener Pfalz und in der Ringmau-
(MF), Oberfranken (OF) und Unterfranken (UF) (auf Grundlage von Georg er der Burganlage Broich/ Mühlheim
Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, Bayern I, Franken [1999], a.d. Ruhr nachgewiesen6. In Franken
Übersichtskarte Franken). fanden sich Abortanlagen dieser Art
auf sechs verschiedenen Burganla-
gen mit dem ältesten, nur im Ansatz
erhaltenem Beispiel von 1150-60 im
Südturm von Burg Rothenfels (UF)7
und den jüngsten, sekundär eingebau-
ten Aborten aus dem ausgehenden 16.
Jahrhundert in zwei Wohnbauten auf
der Salzburg (UF). Die Mauerstärken,
innerhalb derer die Aborträume un-
tergebracht wurden, variieren von ca.
4,80 m im Bergfried von Rieneck (UF)
bis zu lediglich 1,25 m in den Wohn-
bauten der Salzburg (UF), die jedoch
ausreichend sind, um eine schmale
Außenschale, den massiven Sitzblock
und einen Standbereich davor unter-
zubringen. Bei den Aborträumen han-
delt es sich, entsprechend der Mauer-
stärke, um Nischen oder Gänge, die,
wie auf Burg Prozelten (UF), auch
abgewinkelt sein können. Die Ablei-
tung der Fäkalien erfolgt bei diesem
Aborttyp meist durch präzise in die
übereinander geschichteten Quader

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Abb. 2. Innerhalb der Mauerstärke liegende Abortanlagen mit Ableitungsröhre oder -rinne (Zeichnung: Verf.).

gehauene, runde oder rechteckige Die Auslassöffnung liegt in allen Fäl- von 84 x 71 cm müssen sich ehemals
Röhren, die fast immer dem Quer- len mehrere Meter oberhalb des heute zwei Sitze befunden haben, die von
schnitt des Sitzloches entsprechen anstehenden Erdbodens. dem jeweiligen Zugang aus erreichbar
und erstaunliche Höhen erreichen Eine außergewöhnliche, auch nur in waren. Der gemauerte Schacht sinkt
können, so 6,50 m beim unteren Ab- Ansätzen erhaltene Anlage befindet etwa 3 m in die Tiefe, knickt dann
ort des Bergfriedes der Burg Prozelten sich im kleinen Wohnbau von Burg ab und läuft unter dem angrenzen-
(UF). Bei kürzeren Ableitungen kann Wildenberg (UF)8. Hier wurde ein den Torweg hindurch, bis er einige
es sich auch um nach außen offene Gang längs der Außenwand ein- Meter außerhalb des Torzwingers im
Rinnen handeln, wie beim oberen Ab- gebaut, der durch zwei rundbogige Abhang als kleine, rundliche Öffnung
ort im Bergfried der Burg Prozelten Zugänge erschlossenen ist. Oberhalb wieder an die Oberfläche tritt.
und im Torturm der Salzburg (UF). eines mittig angeordneten Schachtes Die geläufigste Form des Abtrittes auf

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Burganlagen bildet der auf der Gebäu-


Mittelfran- Tab. 1. Verzeichnis der bearbeiteten Burgen mit Anzahl, Lage, Typ
deaußenseite aus der Mauerflucht kra-
ken (MF) und Datierung der Abortanlagen.
gende Aborterker, der von innen durch
Abenberg 1-7 Ringmauer Erker 1230-50 einen Mauerdurchgang erschlossen
wird (vgl. Abb. 3). Die Entsorgung
Colmberg 1-2 Ringmauer Erker 14. Jh. der Fäkalien erfolgt hierbei, je nach
Dachsbach 1-2 Wohnturm, 1.+ 2. Erker 2. H. 16. Tiefe der Auskragung, im freien Fall
ins Gelände oder die Außenmauer hi-
OG Jh. nab, wobei der Ableitungsbereich zur
Leonrod 1 Wohnbau, 2. OG Erker A. 16. Jh. Kanalisierung von einem hölzernen
Schacht umgeben sein kann9. Ob-
2 Wehrgang Erker 13. Jh. wohl im Untersuchungsgebiet bisher
30 Aborterker aufgenommen werden
konnten, haben sich nur wenige da-
Oberfran- von weitgehend original erhalten und
ken (OF) zwar im Bergfried von Miltenberg
(UF), in der Ringmauer von Colmberg
Forchheim 1 kl. Kemenate Anbau ? (MF), im Alten Zeughaus der Festung
2 Hofmauer Erker vor 1707 Rosenberg/Kronach (OF) und im Ost-
turm von Rothenfels (UF).
3 gr. Kemenate, 1. OG Schacht A. 17. Jh. In allen Fällen wird der Erker von
4 gr. Kemenate, 2. OG Nische ? mindestens zwei aus der Wandfläche
stehenden Kragbalken getragen, die
Kronach 1a-b Altes Zeughaus, 1. Erker 1477 aus Holz oder Stein sein können, wie
OG auch der Erkeraufbau selbst. Hölzerne
Kragbalken können nur in einem Fall
2a-b Altes Zeughaus, 2. Erker E. 16. Jh. sicher angenommen werden und zwar
OG in einem Abort von Abenberg (MF),
3-4 Palas, Ostwand Erker vor 1486 wo auf der Außenseite beidseitig des
Durchganges verhältnismäßig klei-
Lauenstein 1 Wohnbau Erker ? ne hochrechteckige Aussparungen
in der Wandfläche zu erkennen sind.
2a-b Wohnbau, EG - 1. Schacht 1551-54 Am Wohnbau von Collenberg (3 und
OG 4) sind im Bereich der Durchgänge
3a-c Wohnbau, EG - 2. Schacht 1551-54 keinerlei Konsolen nachvollziehbar,
so dass auch hier nur eine Stützkon-
OG struktion unbestimmbarer Form aus
Thurnau 1a-d Palas, 1.-4. OG Schacht 1530 Holz vorstellbar ist. Bei allen anderen
Beispielen handelt es sich um weit ins
Mauerwerk einbindende Kragsteine
Unterfran- unterschiedlicher Ausformung, teil-
weise auch in aufgedoppelter Aus-
ken (UF) führung.
Alzenau 1 Palas, 1.OG Erker um 1400 Bei den meisten Aborterkern sind
ebenfalls die Erkeraufbauten massiv
2 Palas, EG - 1. OG Schacht
um 1400 ausgeführt. Fehlen diese, so weisen
Collenberg 1 Wohnbau Erker A. 16. Jh. in der Regel Abbruchspuren an den
? Wandaußenseiten darauf hin, wie in
Wildenberg (3a und b), Salzburg (5
2 Wehrturm Erker 1420/30 und 23) und Leonrod (1). Gestaltet
3-4 Wohnbau, 2. OG Erker E. 16. Jh. sich die Wandaußenseite um den
Durchgang herum jedoch glatt, kann
Prozelten 1-2 Bergfried, 1.+ 2. OG Röhre/Rin- ~1235 davon ausgegangen werden, dass es
ne sich um hölzerne Aufbauten gehan-
delt hat, so wie in Abenberg (1 bis 6),
3-4 Wohnbau, 1.+ 2. OG Erker 14./15. Jh. Collenberg (3 und 4) und Dachsbach
Lichten- 1 Ringmauer Erker M. 14. Jh. (MF)10.
Fast alle in Franken aufgenommenen
stein Aborterker haben eine rechteckige
2a-c Wohnturm, 1.- 3. Rinne 1330-50 Form. Einzig gesicherte Ausnahme
OG bilden drei leider nur in Ansätzen er-
haltene Aborterker in der Ringmauer
der Salzburg (21 bis 23), bei denen

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die Kragsteine seitlich abgerundet


sind und diese Form auch an den Ab-
2b Wohnturm, 2. OG Erker 16. Jh.
bruchspuren des Aufbaues nachzu- 3 Wehrgang Erker 1340-50
vollziehen ist. Bei einem der teilweise
erhaltenen Erker der Wildenburg (1) 4a+b Wohnbau, 2. OG Erker 1560-70
ist ein Übergang von einer rechtecki- 5 Wohnbau, 1. OG Doppeler- 1560-70
gen Form in der Konsole und einer ker
folgenden Steinlage zur runden Form
darüber festzustellen (vgl. Abb. 3)11. Miltenberg 1 Bergfried, 2. OG Erker ~1235
Auf drei fränkischen Burgen ist die Rieneck 1 Bergfried, 1. OG Röhre 1168
seltene Form des Doppelerkers an-
zutreffen, bei dem zwei getrennte Rothenfels 1 Südturm Röhre 1150-60
Aborträume von einem Erker umbaut
sind. Auf Burg Wildenberg (UF) ist
2 Ostturm, 2. OG Erker ? 2. H. 13.
dieser in sehr qualitätvoller Ausfüh- Jh.
rung und Konstruktion im direkten 3 Ostturm, 4. OG Erker A. 16. Jh.
Umfeld des großen Palas zu finden,
ohne dass heute nachvollziehbar ist, 4 Ostbau, 1. OG Erker A. 16. Jh.
wie er von dort aus zugänglich war12. Salzburg 1 Torturm, 1. OG Rinne um 1200 ?
Auf der Salzburg (UF) befindet sich
ein Doppelabort in der Ringmauer 2 Turm / Ringmauer Doppeler- um 1200
(2), der durch einen langen Gang von ker
einem der Mauertürme aus erschlos-
sen ist. Auch am Wohnbau der Süd- 3 Turm, 1. OG Erker um 1200 ?
burg Lichtenstein ist ein Doppelerker 4 Turm, 1. OG Erker ? ?
vorhanden, der zwei verschiedenen
Schlafkammern zugeordnet werden 5 Turm, 1. OG Erker um 1200 ?
kann (vgl. Abb. 3)13. 6 Wehrgang Erker um 1200 ?
Als eine Weiterentwicklung der zwei
vorhergehenden Aborttypen kann die 7+ 9 Wohnbau, 1.+ 2. OG Röhre E. 16. Jh.
Abortanlage mit Ableitungsschacht 8 Wohnbau, EG Nische ?
angesehen werden, die über mehrere
Geschosse führt, zum Boden hin eine 10 Wohnturm, 1. OG Röhre E. 16. Jh.
Öffnung zum Entleeren aufweist und
häufig als knapper Anbau in Erschei-
11 Ringmauer Röhre E. 16. Jh.
nung tritt. Auf zwei Burgen haben 12 Wehrgang Erker E. 16.
sich Anlagen dieser Art fast original Jh./20.
erhalten und zwar im Wohnturm von
Thurnau (OF) und in der großen Ke- Jh.?
menate von Forchheim (OF) (vgl. 13 Wohnbau Erker A. 16. Jh.
Abb. 4). In beiden Fällen handelt es
sich um nachträglich in die schon 14-18 Wohnbauten Erker ?
bestehenden Gebäude eingebaute 19 Hof, EG Erker A. 16. Jh.
Aborte. In Thurnau entstand so 1530
eine Anlage mit vier getrennt neben- 20-23 Ringmauer Erker 14. Jh.
einander angeordneten Schächten von 24 Jungfernkuss Anbau 1150/14.
etwa 73 x 60 cm, welche vier überei-
nander liegende Geschosse entsorg- Jh.
ten. Im Bereich des im unteren Teil 25-26 Ringmauer Erker ? ?
anstehenden Felsens vereinigten sich
diese in einem einzelnen, schmalen Wildenberg 1 Ringmauer Erker um 1190
Sammelschacht, der nach außen mör- 2 Ringmauer Erker 13. Jh. ?
tellos mit Quadern zugesetzt war und
bei Bedarf beräumt werden konnte 3a-b Ringmauer Doppeler- um 1190
(Abb. 5). In der großen Kemenate der ker
„Pfalz“ Forchheim wurde etwa 1603,
im Zuge einer Umnutzung der Räum-
4 Ringmauer Erker um 1190
lichkeiten des ersten Obergeschosses 5 Wohnbau, EG Röhre um 1190
in Wohnräume, eine Abortnische mit
Ableitungsschacht in die Außenwand
eingebrochen14. Dieser Schacht von Tab. 1. Verzeichnis der bearbeiteten Burgen mit Anzahl, Lage, Typ und Datierung
etwa 50 x 50 cm führt am unteren der Abortanlagen.
Ende schräg durch die außen an das

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Abb. 3. Aborterker (Zeichnung: Verf.).

Gebäude anschließende Berme, um ersten Obergeschoss sind heute nur Marienberg (UF), der Plassenburg
die Fäkalien letztendlich einem Sam- noch ansatzweise nachzuvollziehen. (OF) und in Gugelhammer (MF), die
melbecken im Zwinger zuzuführen15. Auf Burg Lauenstein (OF) entsteht bisher jedoch noch nicht begutachtet
Bei zwei weiteren Beispielen sind die 1551–54 ein neuer Schlossflügel, werden konnten18.
Schachtanbauten erhalten, die inne- der auf der Außenseite gleich zwei
re Aufteilung der Aborträume wurde Abortanbauten von je 4,70 x 1,20 m
aufzuweisen hat, die über fünf Ge- Einzelelemente – Konstruktion
jedoch durch Umbauten und Umnut-
zung stark verändert. Am Palas von schosse reichen. Die innen liegenden So weit erreichbar, wurden alle vor-
Alzenau (UF), aus der Zeit um 1400, Schächte von 3,00 x 0,67 m sind beide gefundenen Abortanlagen vermessen
befindet sich ein über drei Geschosse auf Höhe des Untergeschosses durch und in Grundriss, Schnitt und teil-
reichender Anbau von etwa 4,60 x rundbogige Öffnungen zu beräumen. weise Ansichten gezeichnet, um Maß-
1,70 m, in dem sich ein Schacht von Die Aborträume vom Erdgeschoss bis haltigkeiten und die dabei vorgefun-
1,48 x 0,87 m befindet16. Der Schacht ins zweite Obergeschoss sind auch denen konstruktiven Einzelelemente
reicht bis auf Höhe des Untergeschos- hier leider nur noch in Ansätzen vor- vergleichen zu können. Aufgrund des
ses und ist dort vom Zwinger aus durch handen17. hohen Zerstörungsgrades vieler An-
eine rundbogige Öffnung zu entlee- Ähnliche Abortanbauten mit Schäch- lagen ist dies bisher allerdings nur
ren. Die Aborträume im Erd- und im ten existieren ebenso auf der Festung in Ansätzen möglich, so dass viele

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Abb. 5. Thurnau, Südansicht des


Wohnturmes mit vierteiliger Abort-
anlage (Foto: Verf.).

In Franken ist dieser konstruktiv nur


im Zusammenhang mit einer mas-
siv ausgeführten Umgebung fassbar
und kann komplett aus Holz oder
Stein hergestellt sein, aber auch aus
einer Kombination von beidem. Im
Schachtabort der großen Kemenate
von Forchheim (OF) befindet sich
der einzige völlig aus Holz errichte-
te Sitzbereich, der frei innerhalb der
Abortnische und oberhalb des Ab-
leitungsschachtes steht. Bei einigen
Abortanlagen sind Sitzplatten aus
Holz vorhanden, bei denen aber je-
weils eine Steinplatte die senkrechte
Verblendung bildet, wie im Torturm
Abb. 4. Abortanlagen mit Ableitungsschacht (Zeichnung: Verf.). der Salzburg (UF), im Doppelabort
von Lichtenstein (UF), im Zeughaus
der vorgefundenen Formen und kon- nerhalb Frankens aus der Mitte des von Kronach (OF) und im Ostturm von
struktiven Lösungen vorerst singulär 14. Jahrhunderts in der Südburg von Rothenfels (UF). Sitzplatten aus Stein
bleiben. Lichtenstein (UF). Es scheint aber erst haben sich lediglich in Miltenberg
Schon die Zugänge zu den einzel- ab dem 16. Jahrhundert zur Regel zu (UF), in Colmberg (MF) und Thurnau
nen Abtritten zeigen, auch durch den werden, die Räume mittels einer Tür (OF) erhalten. Die Sitzplatten können
sich wandelnden Zeitgeschmack, ein zum „heimlichen Gemach“ werden dabei in seitlichen Aussparungen der
breites Gestaltungsspektrum. Dies zu lassen, wie Zugänge auf Leon- umgebenden Wände eingepasst sein
konnte durchaus aufwändig sein und rod (MF), Lauenstein (OF), Thurnau oder bei Erkern auch auf den um ei-
ließ auf den ersten Blick keinesfalls (OF) und Rothenfels (UF) belegen. nige Zentimeter aus der Wandfläche
den Ort der Notdurft dahinter ver- Trotzdem kann davon ausgegangen nach innen stehenden Konsolsteinen
muten, wie einige der Zugänge auf werden, dass auch vermeintlich offe- aufliegen (Abb. 3, Colmberg, Kro-
Burg Abenberg zeigen, die teils eine ne Aborträume mit Vorhängen oder nach). Bei innerhalb der Mauerstärke
umfangreiche Profilierung aufwei- Fellen verschlossen werden konnten. liegenden Abortanlagen besteht der
sen und mit verschiedenartigen Bo- Bei einigen frühen Beispielen, wie in Sitz fast immer aus massiven, in den
genformen abgeschlossen werden19. den Bergfrieden von Rieneck und Pro- Mauerverband eingefügten Steinblö-
Bemerkenswert sind Zugänge, die zelten (UF), wurde die Einsehbarkeit cken mit etwa mittig eingearbeiteter
außen mit einem rechteckigen Falz durch ein Abknicken oder Abwinkeln Abflussröhre (vgl. Abb. 2).
versehen sind, da hierbei eine feste des Abortraumes/-ganges vermindert Etwa die Hälfte der vorgefundenen
Verschließbarkeit durch ein Türblatt (vgl. Abb. 2). Sitzöffnungen ist in einfacher runder
angenommen werden kann. Das frü- Einen wesentlichen Teil einer Ab- Form ins Holz geschnitten oder aus
heste Beispiel dafür findet sich in- ortanlage stellt der Sitzbereich dar. dem Stein gehauen worden. Bei zwei

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Abtritten wird das Sitzloch Lage/Verteilung


zusätzlich von einer schrä- Wie festgestellt werden konnte, kom-
gen, 5 cm breiten Fase men Abortanlagen entsprechend der
begleitet (Rieneck, Mil- zeitlichen Entwicklung in fast allen
tenberg). In fünf weiteren Bereichen einer Burg- und Schlossan-
Fällen wurde der Vorder- lage vor. Sind sie in der Hochphase des
seite des Sitzloches eine Burgenbaues, im 12./13. Jahrhundert,
rechteckige Aussparung im Zusammenhang mit dem Palas,
angefügt, mit Maßen zwi- Wohnturm, Bergfried, Nebengebäu-
schen 2–4,5 cm Tiefe und den sowie den Wehrbauten zu finden,
7–8 cm Breite (Salzburg so sind es ab der frühen Neuzeit häufig
[9], Colmberg [2], Col- die differenzierten Wohn- und Schlaf-
lenberg [2], Thurnau [1], räume der großen, meist neu entste-
Forchheim [3]). Im Berg- henden Gebäudeflügel.
fried der Burg Prozelten Aussagen zur ursprünglichen Funk-
(UF) findet sich im unte- tion der an die Aborte anschließen-
ren Abort des Eingangsge- den Räume oder deren Gesamtanzahl
schosses ein bisher noch sind jedoch häufig, bedingt durch den
einzigartiges Detail. Dort ruinösen Zustand vieler Burganlagen
ist direkt oberhalb des oder deren Veränderung durch Umbau
massiven Sitzblockes eine und Umnutzung, kaum möglich. Bei
3 x 3 cm große, umlaufen- etwa einem Viertel der aufgenomme-
de Nut in die folgenden, nen Abtritte konnte zumindest eine
eine halbrunde Sitznische Beheizbarkeit der angrenzenden
ausbildenden Quader ein- Räume durch einen Kamin festge-
gearbeitet. Diese Nut lässt stellt werden, womit sie sicherlich
sich nur mit einer ehemals als bevorzugter Aufenthaltsort ange-
vorhandenen, hölzernen sehen werden können. Oftmals be-
Sitzauflage erklären, die finden sich aber die – auch nur in
den Stuhlgang damit deut- Ansätzen erhaltenen – Abortanlagen
lich angenehmer machte. als zusammenhangloser Befund in
Zur Verminderung der den Ringmauern und lassen, wie in
Geruchsbelästigung sind Abenberg (MF), Colmberg (MF) oder
bei zwei Aborten die Sit- Wildenberg (UF), kaum Vermutungen
zöffnungen verschließbar zur Raumfunktion zu. Bis auf zwei
und zwar im Ostturm von Ausnahmen, den Bergfrieden von
Rothenfels (UF) mittels Miltenberg und Prozelten (UF), liegen
eines ovalen Deckels in alle Abortanlagen in den Außen- und
Passform des Loches und Ringmauern der Burg- und Schloss-
in der großen Kemena- anlagen und entsorgen die Fäkalien
te von Forchheim (OF) somit in den Zwinger, über Abhänge
durch einen in seitlichen oder in Gräben20. Von außen betrach-
Führungsschienen an- tet, befinden sich die Aborträume da-
gebrachten rechteckigen bei immer mehrere Meter oberhalb
Deckel. Allgemein liegen des Bodenniveaus.
die Sitzhöhen der Aborte Zur Frage der Anzahl und Vertei-
im Durchschnitt bei 52 cm lung der Abtritte innerhalb einer
Höhe und damit um 10 cm Burg- oder Schlossanlage können in
höher als unsere heutigen Franken bisher nur wenige Beispiele
Toilettensitze. herangezogen werden (vgl. Abb. 6).
Auf der Burgruine Wildenberg (UF),
um 1190 entstanden, sind vier der fünf
vorhandenen Abortanlagen sicher in
die Gründungszeit zu datieren. Dabei
steht ein Doppelabort im Zusammen-
hang mit dem Palas und ein weiterer
mit einem kleinen Wohnbau, welcher
Abb. 6. Anzahl und Verteilung der Abortanlagen auf Burg Wildenberg, Aben-
dem Burgherren zugerechnet wird. In-
berg und der Salzburg (Wildenberg: Die Kunstdenkmäler von Unterfranken,
nerhalb der Ringmauer existieren drei
Bd. XVIII, München 1916, Fig. 280; Abenberg: Die Kunstdenkmäler von
weitere Abtritte, die zu nicht näher de-
Mittelfranken, Bd. VII, München 1939, Fig. 143; Salzburg: Georg Dehio,
finierbaren Nebengebäuden gehörten.
Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, Bayern I, Franken [1999], S.
Bei einer anzunehmenden Burgbesat-
456).

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zung von zehn bis zwölf Leuten ist die Bauphasen stammen und noch nicht eine Chronologie festgestellt werden,
Anzahl an Abtrittmöglichkeiten hier alle zugeordnet werden konnten21. so dass die innerhalb der Mauerstärke
schon als reichlich anzusehen. Eine liegende Anlage mit Ableitungsröhre
ähnliche Verteilung kann auch für in Franken nur bis in die Mitte des 14.
Burg Abenberg (MF), 1230–50 ent- Resümee Jahrhunderts auftritt und quasi vom
standen, angenommen werden. Dort Die Abortanlage als Baubestandteil Schachtanbau, der erstmals um 1400
haben sich in der Ringmauer sieben einer Burg- und Schlossanlage bietet in Alzenau nachzuweisen ist, abgelöst
bauzeitliche Durchgangsöffnungen schon im begrenzten Gebiet Frankens wird. Parallel dazu ist der – in der
zu zerstörten Aborterkern erhalten, in ihren konstruktiven Formen und Planung weitaus weniger aufwändige
die teilweise reich dekorierte Zugän- Details eine kaum erwartete Vielfalt. – Aborterker durch alle betrachteten
ge aufweisen. Auf der Salzburg (UF), Aufgrund der wenigen gut erhalte- Jahrhunderte hinweg existent.
einer Ganerbenburg mit bis zu sieben nen Beispiele, die sich noch dazu auf Um viele weitere, bei der bisherigen
Ansitzen, sind im Bereich diverser drei Aborttypen und eine Zeitspanne Bearbeitung des Themas aufgetre-
Mauertürme, der Ringmauer und von mehreren Jahrhunderten auftei- tenen Fragen zufriedenstellend be-
daran anschließender Wohnbauten len, gestalten sich Vergleiche und das antworten zu können, ist sicherlich
mindestens 26 in Ansätzen erhaltene Herausarbeiten möglicher Entwick- eine großräumigere Betrachtung von
Abtritte nachzuvollziehen, die aller- lungslinien als schwierig. Lediglich Abortanlagen auf Burgen und Schlös-
dings aus teilweise unterschiedlichen im Bezug auf die Abtritttypen konnte sern notwendig, die so noch aussteht.

Anmerkungen
1
Vgl. Otto Piper, Burgenkunde, Mün- Burgen und Schlössern, Bd. 4, hrsg. v. d. demnächst erscheinenden Dissertation
chen 1912, Nachdr. Augsburg 1996, S. Wartburg-Gesellschaft, München/Berlin zur Burg Forchheim.
486–493; Joachim Zeune 1996, Burgen 1998, S. 205–218. 15
Für die Überlassung von Grabungsplä-
– Symbole der Macht, Regensburg 19972, 8
Walter Hotz, Burg Wildenberg im Oden- nen dankt die Verf. Frau Christina König,
S. 187 f.; ders., Abortanlagen, in: Burgen wald, Amorbach 1963, S. 53 ff. Leiterin des Pfalzmuseums, die in ihrer
in Mitteleuropa, Bd. 1, hrsg. v. d. Deut- 9
In rekonstruierter Form in Brennhausen Dissertation die Stadtarchäologie Forch-
schenBurgenvereinigung e.V., Stuttgart (UF) zu sehen. Am Wohnbau von Burg heims bearbeitet.
1999, S. 301–303; Friedrich-Wilhelm Collenberg (UF) liefern Aussparungen in 16
Die Kunstdenkmäler von Unterfranken,
Krahe, Burgen und Wohntürme des deut- zwei Gesimsbändern unterhalb der zwei Bd. 16, Bezirksamt Alzenau, bearb. v.
schen Mittelalters, Bd. 1, Stuttgart 2002, abgegangenen Erker ebenfalls einen Hin- Karl Gröber/Hans Karlinger, München
S. 69–71. Allgemein zum Thema Abort: weis auf ehemalige Holzummantelungen 1916, S. 14–22.
Walter Huber, Der Abort, Habil. Schr., des Ableitungsbereiches. 17
Wie Anm. 3.
Karlsruhe 1948/50; Roy Palmer, Auch 10
Bei diesen Beispielen fehlen allerdings 18
Telefonisch war zu erfahren, dass keine
das WC hat seine Geschichte, München auch Spuren einer Verbindung der Holz- dieser Abortanlagen im Inneren erhalten
1977; René Faber, Von Donnerbalken, konstruktion mit der Mauer, wie sie durch ist und die Räume heute als Abstellkam-
Nachtvasen und Kunstfurzern, Frankfurt einbindende Holzbalken auftreten müss- mern oder moderne Toiletten (Gugelham-
a.M. 1994; Daniel Furrer, Wasserthron ten. Diese Spuren könnten allerdings mer) genutzt werden.
und Donnerbalken, Darmstadt 2004. durch jeweils erfolgte Sanierungen ver- 19
Vgl. Die Kunstdenkmäler von Mittelfran-
2
Vgl. Hellmut Kunstmann, Mensch und deckt worden sein. ken, Bd. 7, Stadt und Landkreis Schwa-
Burg, Würzburg 1967, S. 86 f. und 333. 11
Dieser Erker befindet sich in einem von bach, bearb. v. Karl Gröber/Felix Mader,
Hier auch weitere Hinweise auf Aborte der restlichen Ringmauer in der Ausfüh- München 1939, S. 156, Abb. 146.
in mittlerweile abgegangenen ostfränki- rung abweichenden Abschnitt, so dass an- 20
Bei den Bergfrieden von Miltenberg und
schen Burganlagen. genommen werden kann, dass es sich um Prozelten kann davon ausgegangen wer-
3
Elmar Schmid/Horst Stierhof, Burg Lau- eine jüngere Reparaturmaßnahme unter den, dass die Aborte keinem dauerhaften
enstein, München 1980, S.11. Verwendung von Spolien handelt. Gebrauch unterlagen und so die Fäkal-
4
Vgl. Anm. 1. 12
Vgl. Hotz (wie Anm. 9), S. 56 ff. entsorgung in den inneren Burgbereich
5
Mit der Bezeichnung der Ableitung als 13
Bearbeitung der Baugeschichte der Süd- erträglich war.
Rinne oder Röhre, deren Querschnitte burg Lichtenstein durch Mike Dunn, Lon- 21
Vor allem die Aborte in den Mauertür-
zwischen 25–30 cm liegen, soll hier ter- don, als Dissertation, dem die Verf. hier- men sind durch Zementsanierungen
minologisch ein deutlicher Unterschied mit für Informationen zur Baugeschichte schwer einzuordnen. Die bisherigen Da-
zu den meist raumbreiten Schächten des sowie der Erlaubnis zur Verwendung von tierungen beruhen auf einem Manuskript
dritten Typus geschaffen werden. Aufmaßplänen danke. von Joachim Zeune, Eisenberg, der im
6
Günther Binding, Schloss Broich in 14
Vgl. Tillman Kohnert, Die fürstbischöfli- Sommer 2005 und 2006 die Burganlage
Mühlheim/Ruhr, Düsseldorf 1970, S. 16 che Burg in Forchheim – Bauforschung einer erneuten Untersuchung unterzog.
ff. und Baugeschichte bis zum Beginn der Ergebnisse dazu erscheinen demnächst in:
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Die Kunstdenkmäler von Unterfranken, Neuzeit, in: Forchheim in Geschichte Stadt Bad Neustadt (Hrsg.), Neustadt an
Bd. 9, Bezirksamt Lohr, bearb. v. Adolf und Gegenwart, hrsg. v. Hermann Am- der Saale. Pfalz – Ganerbenburg – Stadt.
Feulner, München 1914, S. 124 f. u. Fig. mon, Bamberg 2004, S. 62–84. Verf. dankt Funktionswandel eines zentralen Ortes,
94. Datierung nach Thomas Steinmetz, Herrn Kohnert auch für weitere Infor- Bad Neustadt an der Saale 2007. Für die
Burg Rothenfels am Main – eine frühe mationen und Planmaterialen aus seiner Überlassung des Manuskripts dankt die
„klassische“ Burg, in: Forschungen zu Verf. Herrn Dr. Joachim Zeune.

Burgen und Schlösser 3/2007 151

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