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GR6 Barock, St. Und Drang, Empfindsamkeit
GR6 Barock, St. Und Drang, Empfindsamkeit
Inhalt
3.1. Einführung 20
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Zusammenfassung
Die noch stark höfisch geprägte Dichtung des Barock wird in der Auf-
klärung durch eine Literatur abgelöst, die das bürgerliche Individuum
in Freiheit setzen will. Die Literatur der Frühaufklärung möchte zur Frei-
heit erziehen, sie hat einen pädagogischen Auftrag. Die Spätaufklärung
bringt Beispiele auf die Bühne, sieht aber die Verantwortung des Indi-
viduums für sich selbst. Lessings Dramen fordern die Zuschauer dazu
auf, sich mit den Figuren zu identifizieren und eigene Schlüsse aus
20 B arock , A ufkl ärung , E mpfindsamkeit und S turm & D r ang
3.1. Einführung
3. Barock, Aufklärung, Empfindsamkeit und Sturm & Drang, 9783825248215, 2020
Epochenbegriffe sind Epochenbegriffe sind schwer zu definieren und wer mehrere Lite-
unscharf raturgeschichten nebeneinanderhält, wird unterschiedliche Ein-
teilungen finden, nicht bei allen Bezeichnungen, aber doch bei
vielen. Dabei stehen Kategorien nebeneinander, die ursprüng-
lich abwertend (Barock; Biedermeier), personenbezogen (Goethe-
zeit), zeitlich klar eingrenzbar (Weimarer Republik) oder zeitlich
variabel (Gegenwartsliteratur), die eher unterhalb des Epochen-
begriffs als Strömung (Magischer Realismus) oder über dem Epo-
chenbegriff als Klammer (literarische Moderne) angesiedelt sein
können. Jede Literaturgeschichte findet andere Antworten auf Fra-
gen wie: Ist die Empfindsamkeit nun eine Epoche oder eine Strö-
mung? Wann beginnt der Vormärz? Ist Biedermeier eine eigene
Epoche? Spricht man passender vom poetischen oder vom bür-
gerlichen Realismus? Wie geht man mit dem Begriff des Jungen
Deutschland um? Die hier vorgenommene Einteilung versucht so
allgemein wie möglich und so präzise wie nötig zu sein, aber sie
könnte, wie jede Kategorisierung, auch anders aussehen.
Eine Neuere deutschsprachige Literaturgeschichte beginnt
üblicherweise um 1600 mit der Literatur des Barock, einer Epo-
che, der gern das ganze 17. Jahrhundert zuerkannt wird, auch
wenn die genauen zeitlichen Einteilungen variieren. Zunächst
ist der mit ›unregelmäßig‹ aus dem Portugiesischen übersetz-
bare Begriff abwertend gemeint, er bezeichnet einen übertrieben
schwülstigen Stil, bürgert sich dann aber als Klammerbegriff für
alle Künste und Stile der Zeit vor der Aufklärung ein. Das Heilige
E inführung 21
Römische Reich deutscher Nation wird durch das seit dem Mit-
telalter geltende Feudalsystem geprägt, es wird von einem Kaiser
regiert und besteht aus einer großen Zahl kleiner Königreiche,
Fürsten- und Erzbistümer. Bis zum 30-jährigen Krieg (1618 – 48)
ist die Ordnung, auch wenn sie immer wieder durch Konflikte
erschüttert wird, klar: Der Glaube an den christlichen, das heißt
katholischen Gott ist das Fundament; der Papst, die Kaiser, Könige
und Erzbischöfe leiten die Legitimation ihrer Herrschaft von Gott
ab. Deshalb ist auch jedes Vergehen gegen sie oder gegen die – als
göttlich verstandene – weltliche Ordnung ein Verstoß gegen Gott
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und den Glauben. Der zahlenmäßig kleine Adel steht in der Hie-
rarchie der Stände oben, ebenso der Klerus. Darunter stehen Kauf-
leute, Handwerker und schließlich, am Fuß der Pyramide, die
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In der Mitte jeder Verszeile befindet sich eine Zäsur, in vielen Zeilen
entspricht dem eine inhaltliche Trennung: Was dieser heute baut,
reißt jener morgen ein; auf Glück folgen Beschwerden. Der Gegen-
satz zwischen jetzt und später strukturiert das ganze Gedicht, er
verweist auf den Gegensatz zwischen dem mühe- und leidvollen
irdischen Dasein und der Belohnung für alle Mühen, für alles Leid
im Leben nach dem Tod. Die letzte Zeile ist eine Mahnung, an das
Jenseits zu denken und sich nicht im Diesseits an die »Eitelkeit auf
Erden« zu verlieren. Das Motiv der Vanitas, der Vergänglichkeit,
wird in immer neuen Bildern vor Augen geführt, die auch einen
Gegensatz zwischen vergänglicher Zivilisation (das von Menschen
Gemachte) und ewiger Natur (Gottes Werk) aufbauen. Insofern
wird auch ein zweites wichtiges Motiv des Barock aktualisiert –
E inführung 23
mann 1999, 84). Vorher sind Texte vor allem auf Latein, Gebil-
dete können zudem Altgriechisch. Den Weg für die Karriere der
deutschsprachigen Literatur bereiten die Poetiken der Epoche,
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die berühmteste ist Martin Opitz’ (1597 – 1639) Buch von der deut-
schen Poeterey (1624).
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Aufklärung ist ein eindeutig positiv besetzter Begriff: Der Das Zeitalter der
Mensch wird aufgeklärt, er wird erleuchtet, im Englischen heißt Aufklärung
die Epoche deshalb auch ›Enlightenment‹. Das christliche Welt-
bild wird abgelöst, es setzt ein Wandel in allen Lebensbereichen
ein. Ist der Mensch vorher ein Teil einer Masse, in der er seinen
›natürlichen‹ Platz hat, so wird dieser Platz nun variabel. Der
Zweifel an der göttlichen Allmacht wächst ebenso wie der Wohl-
stand. Damit einher geht die Vergrößerung der Schicht des Bür-
gertums, es entstehen die modernen Naturwissenschaften, die
Geisteswissenschaften entwickeln sich. Die beginnende Ausdiffe-
renzierung der Gesellschaft sorgt für Mobilität, und zwar geogra-
phisch, ökonomisch, auf das Leben der Individuen bezogen, die
immer mehr Zugang zu Bildung bekommen und deren Bedürf-
nisse wachsen, das eigene Schicksal nicht als vorherbestimmt zu
sehen, sondern als gestaltbar.
Die Frühaufklärung legt ein säkularisiertes Bildungspro-
gramm auf. Nicht zufällig ist es mit Johann Christoph Gottsched
(1700 – 1766) ein Professor der Universität Leipzig, der mit Versuch
einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen (1730) eine wegweisende
Poetik und zudem als beispielhaft gemeinte Dramen verfasst, letz-
tere gemeinsam mit seiner Frau Luise Adelgunde. Gottscheds Ster-
bender Cato (1732) oder Die Pietisterey im Fischbein-Rocke; Oder die Doc-
tormäßige Frau. In einem Lust-Spiele vorgestellet (1736) aus der Feder
seiner Frau, der Gottschedin, gehören auch heute noch zu den
bekanntesten Dramen der Zeit. Ebenfalls lehrhaft, aber spiele-
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die gezeigten Laster dazu dienen sollen, die Zuschauer auf ihre
eigenen Untugenden aufmerksam zu machen und moralisch zu
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Der Sturm & Drang vollzieht nun den Wandel, der sich in der
Aufklärung bereits angekündigt hat. Die Epoche (ca. 1765 – 1785)
bekommt ihre Bezeichnung von dem gleichnamigen, 1777 ver-
öffentlichten Drama Friedrich Maximilian Klingers (1752 – 1831).
Kunst und Literatur treten das Erbe der Religion an, der Dichter
Im Sturm und Drang wird zum Schöpfer, zum Genie, das sich seine eigenen Regeln
wird der Dichter zum gibt. Der Dichter repräsentiert damit die Fähigkeiten des Indivi-
Schöpfer
duums, von dem aus nun Gemeinschaft und Gesellschaft gedacht
werden soll. Eine entsprechende Demokratisierung, wie sie 1789
mit der Revolution in Frankreich eruptiv stattfindet (wenn auch
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die Euphorie nur für kurze Zeit anhält), wird aber im Gebiet, das
bis 1806 Heiliges Römisches Reich deutscher Nation heißt, auf
sich warten lassen. Goethe feiert zwar in der Prometheus-Hymne
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(1773) über den Werther (1774) bis zu Schillers Die Räuber (1781),
Kabale und Liebe (1784) oder Don Carlos (1787).
Dabei wächst, beeinflusst von Johann Gottfried Herder
(1744 – 1803), etwa durch seine Schrift Von deutscher Art und Kunst.
Einige fliegende Blätter (1773), das Interesse an der sogenannten
Das Konzept der Volkspoesie. Herder ist gut mit Goethe befreundet, der beginnt,
Volkspoesie volkstümliche Gedichte zu verfassen. Das Volksliedhafte verkör-
pert aber vielleicht kein anderer Text mehr als die erste deutsche
Kunstballade, Gottfried August Bürgers (1747 – 94) Lenore (1773)
mit ihrem berühmt-berüchtigten Todesritt. Die Grenzgattung Bal-
lade, von Goethe auch später als ›Ur-Ei der Dichtung‹ bezeichnet,
vereint das Lyrische (in der Form), das Dramatische (in der Hand-
lung, auch in der wörtlichen Rede) mit dem Erzählerischen und
gilt auch deshalb als besonders ›volksnah‹.
Zu den berühmtesten Gedichten der Zeit gehört Goethes numi-
nose (naturmagische) Ballade Erlkönig (1782), die ebenfalls einen
Ritt gestaltet, aber nicht von Braut und (totem) Bräutigam wie
bei Bürger, sondern von Vater und (sterbendem) Sohn. Der Erlkö-
nig ist eigentlich ein Elfenkönig, es handelt sich um eine (Fehl-)
Übersetzung aus dem Dänischen. Der Text lässt offen, ob Vater
oder Sohn recht haben, ob es den Elfenkönig gibt oder nicht, ob
der Sohn krank ist oder von fremden Mächten, die nur er wahr-
nimmt, umgebracht wird:
E inführung 27
Die rationalistische, auf Vernunft setzende Aufklärung mit ihrem Grenzen der Aufklärung
Ansatz, naturwissenschaftliche Erklärungen für die den Men-
schen umgebenden und bestimmenden Phänomene zu finden,
wird mit solchen Texten verabschiedet. Frei nach Horatio in
Shakespeares Hamlet wird hier suggeriert, dass es mehr Dinge
zwischen Himmel und Erde gibt, als sich die aufklärerische Schul-
weisheit träumen lässt. Die Betonung der individuellen Perspek-
tive geht nun einher mit einer frühen Einsicht in die Begrenztheit
menschlicher Erkenntnis – und menschlicher Freiheit.
Lektürehinweise
Alt, Peter-André: Aufklärung. 3., aktualisierte München: dtv 1991 (Deutsche Literatur-
Aufl. Stuttgart u. Weimar: Metzler 2007 geschichte 2).
(Lehrbuch Germanistik). Karthaus, Ulrich (Hg.): Sturm und Drang und
Borries, Erika und Ernst von: Aufklärung Empfindsamkeit. Stuttgart: Reclam 2002
und Empfindsamkeit, Sturm und Drang.
28 B arock , A ufkl ärung , E mpfindsamkeit und S turm & D r ang
(Die deutsche Literatur in Text und Dar- rung in die Literatur des 17. Jahrhunderts.
stellung 6 / RUB 9621). Stuttgart: Reclam 2015 (RUB 17 687).
Meid, Volker: Barock-Themen. Eine Einfüh-
gleichstellen […]« (AS, 9), meint der Ich-Erzähler. Er gibt sich als
Sohn armer Leute aus dem Spessart aus, wobei er die Armut iro-
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(AS, 27). Als er wieder aufwacht, flüchtet er und nun beginnt eine
Reise mit zahlreichen Stationen, die es dem Roman ermöglicht,
ein Panorama der Zeit und Gesellschaft zu entfalten. Charakte-
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die teilweise Witzcharakter erlangt: »›[…] aber sage mir doch, was
seind Leute, Menschen und Dorf?‹ ›Behüte Gott!‹ antwortete der
Einsiedel, ›bist du närrisch oder gescheit?‹ ›Nein,‹ sagte ich, ›mei-
ner Meuder und meines Knäns Bub bin ich und nicht der Närrisch
oder der Gescheit‹« (AS, 33). Die Dummheit des Jungen sorgt für
Kontraste, die das Verhalten der Menschen entlarven, etwa wenn
er ein Tanzvergnügen stört, das wenig von dem kulturellen Ereig-
nis hat, als das es ausgegeben wird (AS, 117 ff.).
Die ausgeübte Gewalt ist wechselseitig. Die Bauern sind kei- Ein Panorama von Krieg
neswegs nur die Opfer, sondern auch Täter, die nicht weniger und Gewalt
grausam vorgehen, etwa indem sie einem Soldaten »Nasen und
Ohren abgeschnitten« und ihn gezwungen haben, dass er sei-
nen toten Kameraden »den Hintern lecken müssen« (AS, 54). Der
Junge schließt aus seinen bisherigen Erfahrungen, »[…] es müßten
ohnfehlbar zweierlei Menschen in der Welt sein, so nicht einer-
lei Geschlechts von Adam her, sondern wilde und zahme wären
wie andere unvernünftige Tiere, weil sie einander so grausam
verfolgten« (AS, 58). Von hier aus lässt sich leicht ein Bogen zum
Krieg schlagen, dessen grausames Schlachten in »ganz Europam«
der Junge zunächst träumt (AS, 66), bevor er selbst hineingezo-
gen wird. Als vorausdeutende moralische Botschaft kann eine im
Traum vorkommende Inschrift verstanden werden: »Durch inner-
liche Krieg und brüderlichen Streit / Wird alles umgekehrt und
folget lauter Leid« (AS, 67). Dies wird der Roman, mit der für ihn
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dem Jungen mit auf den Weg gegebenen Ratschläge, »sich selbst
erkennen, böse Gesellschaft meiden und beständig verbleiben« (AS,
48), wird dieser aber, wenn er am Leben bleiben und weiterkom-
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Getümmel: »Ich lebte eben dahin wie ein Blinder in aller Sicher-
heit und ward je länger je hoffärtiger […]« (AS, 305), auch darin,
dass es ihm später »nur darum zu tun war, wie ich den Ehestand
ledigerweise treiben möchte« (AS, 351). Simplicius selbst fasst
seine Erlebnisse mit folgendem Paradoxon zusammen: »Also ward
ich beizeiten gewahr, daß nichts Beständigers in der Welt ist als
die Unbeständigkeit selbsten« (AS, 289).
Zwar stirbt seine Frau, aber er hat einen Sohn (AS, 501), wobei
sich dieser als vermeintlicher Sohn und ein anderer als der rich-
tige entpuppt (AS, 523). Auch sein vermeintlicher Vater begegnet
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ihm wieder (AS, 514), der allerdings enthüllt, dass Simplicius nur
ein Pflegekind war, »Melchior Sternfels von Fuchsheim« heißt und
»meines Einsiedlers und des Gubernator Ramsey Schwester leib-
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Auf die Frage, ob Gott sie dadurch mehr geadelt habe, stellt er fest:
»›Was kann die Güte Gottes davor, wann euer einer sein selbst ver-
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gißt, sich der Kreaturen der Welt und deren schändlichen Wollüs-
ten ergibt […]‹« (AS, 541). Hier sind wir mitten im Theodizee-Dis-
kurs, der immerhin den Figuren einen freien Willen zum Bösen
oder Guten zugesteht. Allerdings ist das Groteske der Szene nicht
zu verkennen und es ist doch sehr zu fragen, ob die Verkündung
der theologischen Botschaft durch einen Wassermann nicht eine
weitere Ironisierung bedeutet, die den hier aufgerufenen Diskurs
gleich wieder unterläuft; wie auch die spielerisch-metafiktionale
Rahmung des Romans das zweimalige Herbeiwünschen der Erlö-
sung »durch ein seliges / Ende« (AS, 706).
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Regeln
Figurenrede ist so realistisch wie möglich, das Verhalten der Figu-
ren ist für ein bürgerliches und adeliges Publikum gleichermaßen
nachvollziehbar. Man kann sich identifizieren, man kann sich ein-
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Die Vorlage Lessings Vorlage ist die legendenhafte Geschichte des Mäd-
chens Verginia, verfasst vom römischen Geschichtsschreiber
Livius (59 v. Chr. – 17 n. Chr.). Auch hier wird das Mädchen vom
mächtigsten Mann im Staat begehrt, der versucht, sich ihrer
durch eine Intrige zu bemächtigen. Auch hier ersticht der Vater
seine Tochter, um ihre Tugend und Ehre zu retten. Die Handlung
endet jedoch, anders als bei Lessing, mit einem Aufstand und der
Wiederherstellung der römischen Republik. Lessing musste bei
seinem Arbeitgeber, dem Herzog von Wolfenbüttel, eine Drucker-
laubnis einholen und ein revolutionärer Schluss hätte wohl ein
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schung sieht in diesem Drama vor allem die Frage nach der »Auto-
nomie« der Figuren im Mittelpunkt (Fick 2010, 387). Damit steht
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hier angedeutet, dass es eine Gewalttat geben wird, auch die Waffe
wird benannt, nur das Opfer wird ein anderes sein: »Sprich dein
verdammtes ›Eben die‹ noch einmal, und stoß mir den Dolch ins
Herz!« (EG, 527). Marinelli wiederholt die Worte ohne zu zögern,
denn er weiß, dass es der Prinz nicht so ernst meint, wie es klingt.
Marinelli fordert vom Prinzen »freie Hand«, um die Hochzeit zu
verhindern, und bekommt dies gewährt (EG, 529).
Odoardo, der Vater Emilias, wird zunächst als Bewacher von
Emilias Tugend vorgestellt, für ihn ist schon der kurze Weg vom
Haus in die Kirche »genug zu einem Fehltritt« (EG, 533). Odoardo
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sieht in der »Nähe des Hofes« eine Gefahr für die Tugend der
Tochter (EG, 536). Allerdings scheint das Misstrauen seiner »rau-
hen Tugend«, wie seine Frau Claudia tadelnd feststellt, mehr
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Orsina klärt Odoardo über den Tod des Bräutigams auf und prog-
nostiziert der Braut ein Schicksal »schlimmer als tot«, ein Leben
als Mätresse des Prinzen: »Ein Leben voll Wonne! Das schönste,
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nicht will, dass sie sich selbst tötet, bittet sie ihn darum und er
tut es im Affekt, wofür seine Tochter ihm dankt: »Eine Rose gebro-
chen, ehe der Sturm sie entblättert« (EG, 591).
Hier ist ein zentraler Aspekt der Konzeption zu betrachten. Das
Stück wird zum Schluss genauso metafiktional wie am Anfang,
als ein Diskurs über die Bedeutung von Kunst geführt wurde.
Der Maler Conti, der ein Porträt Orsinas bringt, ist der Meinung:
»Die Kunst muß malen, wie sich die plastische Natur, – wenn es
eine gibt – das Bild dachte: ohne den Abfall, welchen der wider-
strebende Stoff unvermeidlich macht; ohne das Verderb, mit wel-
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chem die Zeit dagegen an kämpfet« (EG, 519 f.). Darauf erwidert
der Prinz, der Orsina nicht mehr liebt: »Der denkende Künstler
ist noch eins so viel wert« (EG, 520). Der Maler wird durch seine
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gend des Prinzen zu Gericht sitzen, sondern auch über die Qua-
lität des Stücks, die Motivierung der Figuren und der Handlung
und natürlich die Aufführung selbst, für die das Drama geschrie-
ben ist.
Die Unfreiheit der Figuren korrespondiert mit der Freiheit des
Lesers, der zwar durch die Strategien des Stücks Vorgaben erhält,
über die – sonst wäre die Freiheit nicht vollständig – aber eben-
falls zu befinden ist. Mit dieser Konzeption steht Lessings Drama-
turgie am Anfang einer bis heute andauernden Entwicklung, die
Eigengesetzlichkeit der Dichtung wie die Individualität der Figu-
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ren zu betonen und dabei den Leser in die Freiheit zu setzen, sich
seine eigene Meinung zu bilden – in der Hoffnung, dass er die lite-
rarischen Zeichen in ihrer flexibel gewordenen Kombination von
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Ordnung, in der Kaiser, Könige und Fürsten, der Papst und der
Klerus als Stellvertreter Gottes auf Erden agierten und über Bau-
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ern und Handwerker regierten. Der Mensch wird aus seinem bis-
herigen Ordnungs- und Bezugssystem herausgelöst und muss
beginnen, selber zu denken: »Sapere aude! Habe Mut, dich dei- „Sapere aude!“
nes eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der
Aufklärung« (Kant 2002, 9), wird es Kant in seinem Essay Beant-
wortung der Frage: Was ist Aufklärung? im Jahr 1783 formulieren
und in dem Begriff der Aufklärung die Entwicklung des ganzen
18. Jahrhunderts zusammenfassen. Das moderne Subjekt muss
nun, anders als früher, eigene Entscheidungen treffen, ob es das
will oder nicht. Die Ende des 20. Jahrhunderts von Ulrich Beck
hervorgehobenen Chancen der Freiheit (Beck 2003, 370) oder, je
nach Perspektive, der von Zygmunt Bauman konstatierte Zwang
zur Freiheit (Bauman 2003, 12 f.) – beides beginnt bereits hier, im
18. Jahrhundert, und zwar mit dem Götz. Das »Schauspiel« verab- Bruch mit den Regeln
schiedet alle noch geltenden, überlieferten Regeln – literarische,
gesetzliche, soziale – in einer Tour de force, zumindest im Mikro-
kosmos eines Theaterstücks: »Der Bruch mit dem klassizistischen
Drama war mit diesem Stück, das neunundfünfzig Szenenwech-
sel hat und weder eine Einheit der Zeit noch des Orts kennt, end-
gültig vollzogen« (Boerner 1995, 39).
Die scheinbare Regellosigkeit, die sich in häufigen Orts- und
Figurenwechseln, in Handlungs- und Zeitsprüngen ausdrückt und
die signalisiert, dass sich Literatur nicht mehr an der aristoteli-
schen Dramenpoetik (wie sie im deutschsprachigen Raum lange
Zeit rezipiert wurde) orientiert, sondern sich eigene Regeln gibt,
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Schon hier spielt die Vokabel ›frei‹ eine zentrale Rolle. Es geht
darum, sich von überkommenen Regeln zu befreien, die dem Indi-
viduum Fesseln anlegen und ihm ein »Unrecht« antun. Schuld
sind »die Herrn der Regeln«, also Autoritäten, die nicht näher
benannt werden. Shakespeare ist das Werkzeug, mit dem die Fes-
seln gesprengt werden können, denn seine
J ohann W olfgang von G oethe : G ötz von B erlichingen (1773) 43
[…] Stücke drehen sich alle um den geheimen Punkt […], in dem das
Eigentümliche unseres Ichs, die prätendierte Freiheit unseres Wol-
lens, mit dem notwendigen Gang des Ganzen zusammenstößt. Unser
verdorbener Geschmack aber umnebelt dergestalt unsere Augen, dass
wir fast eine neue Schöpfung nötig haben, uns aus dieser Finsternis
zu entwickeln. (Goethe 2014, 138)
bild des Götz lebte von ca. 1480 bis 1562, also deutlich länger
Stoffes
als im Stück (Neuhaus V. 2009, 8 ff., 64 ff.). Götz und die anderen
Figuren suchen Orientierung in einer Welt, die sich im Umbruch
befindet.
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Mit dem Götz beginnt ein neues Zeitalter des Problem- und
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heit« (GB, 76). Doch ist es, wie sich im Laufe des Stücks herausstel-
len wird, eben diese Freiheit, auf die Götz auf keinen Fall verzich-
ten möchte. Götz wartet auf seinen ehemaligen Jugendfreund
Weislingen, der jetzt mit dem Bischof von Bamberg paktiert und
den er auf seine Burg entführen möchte, was auch gelingt.
Götz und Weislingen sind die zentralen Figuren des Stücks.
Götz setzt sein Leben für andere ein, er nimmt seinen ›Beruf‹ als
Ritter ernst, übernimmt Verantwortung und will eine Auffassung
von Gerechtigkeit durchsetzen, die unabhängig von Gerichten
ist. Der Glaube an das Recht auf Selbstbestimmung eint ihn und
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seine Frau Elisabeth, die später die Ehe von Maria mit Sickingen
mit den Worten segnet, ihre Kinder sollten vor allem ›rechtschaf-
fen‹ sein: »Und dann laßt sie werden, was sie wollen« (GB, 136) –
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kann sich nicht zwischen dem Leben am Hof und dem Leben als
freier Ritter entscheiden.
Diesen Konflikt spiegelt nicht nur der häufige Szenenwechsel
zwischen Hof und Ritterburg, sondern auch Weislingens Braut-
wahl, denn er ist zwischen Maria, der Schwester von Götz, und der
sich am Bamberger Hof aufhaltenden Witwe Adelheid von Wall-
dorf hin- und hergerissen. Die Bewertung der Figuren durch das
Stück ist sehr klar: Adelheid ist nur an ihrer Karriere am Hof inte-
ressiert, ihr geht es nicht um Gerechtigkeit und gleiche Behand-
lung, sondern um Macht, etwa wenn sie Weislingen vorwirft, er
werde durch seinen Bund mit Götz »ein Sklave eines Edelmanns
werden, da du Herr von Fürsten sein könntest« (GB, 113). Hier wird
ein anderes, auf das Eigeninteresse gerichtetes Konzept von Frei-
heit entworfen (»Ich redete für Eure Freiheit«; ebd.). Die Rechnung
geht auf, Weislingen intrigiert beim Kaiser (gemeint ist Maximi-
lian I., der von 1459 – 1519 lebte) gegen Götz und dessen Freunde
(GB, 122 f.). Adelheid benutzt Weislingen allerdings ebenso wie sei-
nen Diener Franz, mit dem sie sogar ein Liebesverhältnis eingeht,
um Weislingen, der ihr zweiter Ehemann geworden ist, aus dem
Weg räumen zu können, als sich der künftige Kaiser für sie inte-
ressiert (GB, 169 ff.).
Sprechende Namen Die Namen sind sprechend, auch bei Götz’ Schwester Maria,
deren Tugendhaftigkeit der Mutter Gottes Ehre macht. Adel-
heid ist von Adel und zugleich von heidnischer Gesinnung. Aller-
dings wäre es ein Fehler, solche Hinweise oder die häufige Nen-
J ohann W olfgang von G oethe : G ötz von B erlichingen (1773) 45
nung von Gott und Himmel im Drama als Verankerung der vom
Stück ausgestellten, positiven Werte und Verhaltensweisen in der
Religion zu verstehen, das sollte bereits der Anfang des Stücks
gezeigt haben. Wie in vielen anderen Texten auch werden die
einst religiösen Zeichen ihrer transzendenten Bedeutung ent-
kleidet und dienen, innerhalb des autonomieästhetischen Pro-
gramms und innerfiktionalen Regelsystems, als starke, die Inten-
tion des Texts verstärkende Symbole für Rechtschaffenheit und
Gerechtigkeit.
Obwohl Götz eine ältere, überwundene Rechtsauffassung Konkurrierende
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er einsetzt. Dies wird etwa in dem Gespräch von Maria und Götz’
Sohn Carl gespiegelt, wenn Maria Carl erklärt, sein Vater habe
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halten, etwa wenn Götz froh ist über Weislingens Liebe zu seiner
Schwester, weil seine Interessen und die Liebe der beiden ohne
sein Zutun übereinstimmen. Unfreiwillig zeigt Götz’ Wortwahl
Liebe und Freiheit gegenüber seiner Schwester aber auch, dass Liebe und Freiheit
nicht unbedingt zusammen gehen: »Du kannst mehr als Hanf
spinnen. Du hast einen Faden gedreht, diesen Paradiesvogel zu
fesseln« (GB, 99). Doch Weislingen bekundet: »Ich fühle mich so
frei wie in heiterer Luft. […] So gewiß ist der allein glücklich und
groß, der weder zu herrschen noch zu gehorchen braucht, um
etwas zu sein!« (GB, 101).
Auf der anderen Seite gibt der Bischof Adelheid den Auftrag,
Weislingen durch Verführung an den Hof zu binden: »Ich bitt
Euch, versagt mir nicht, was mir sonst niemand gewähren kann«
(GB, 106). Liebetraut, der Vertraute des Bischofs, besorgt den stär-
keren Hanf: »Wie er nun in sein Herz ging, und das zu entwickeln
suchte, und viel zu sehr mit sich beschäftigt war, um auf sich
achtzugeben, warf ich ihm ein Seil um den Hals, aus drei mäch-
tigen Stricken, Weiber-, Fürstengunst und Schmeichelei, gedreht,
und so hab ich ihn hergeschleppt« (GB, 109).
Selbst als Götz verfolgt wird, hält er dem Kaiser die Treue: »Es
lebe der Kaiser!« (GB, 141). Hier steht, wie beim englischen ›Long
live the king‹, der Kaiser als Symbol für eine Ordnung, die wie-
der mit dem zentralen Begriff nicht nur dieses Stücks bedacht
und dreifach bekräftigt wird, wenn Götz fragt: »[…] was soll unser
letztes Wort sein? Georg. Es lebe die Freiheit! Götz. Es lebe die Frei-
J ohann W olfgang von G oethe : G ötz von B erlichingen (1773) 47
heit! Alle. Es lebe die Freiheit! Götz. Und wenn die uns überlebt,
können wir ruhig sterben« (GB, 141). Die hier propagierte Frei-
heit ist nicht einfach nur die historische Freiheit des Raubritter-
tums, sondern auch eine verantwortliche und selbstverantwort-
liche mit zukunftsweisendem Charakter: »Das wäre ein Leben!
Georg! wenn man seine Haut für die allgemeine Glückseligkeit
dransetzte.« Doch wie Georg so richtig feststellt, wurden sie im
Namen des Kaisers eingesperrt, der für sie als Symbol und Garant
für Freiheit steht (GB, 143). Als selbst Götz verzweifelt, als seine
Vertrauten gegen alle Versicherungen gefangen genommen oder
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sogar getötet werden, beruhigt ihn seine Frau: »Sie haben ihren
Lohn, er ward mit ihnen geboren, ein freies, edles Herz. Laß sie
gefangen sein, sie sind frei!« (GB, 145).
3. Barock, Aufklärung, Empfindsamkeit und Sturm & Drang, 9783825248215, 2020
Das endgültige Scheitern von Götz wird – hier weist das Stück
auf Schillers Die Räuber voraus – durch die falsche Annahme der
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Jahrhundert, das dich von sich stieß! Lerse. Wehe der Nachkom-
menschaft, die dich verkennt!« (GB, 175).
Götz und seine Frau sind Vorboten einer neuen Ordnung, die
aus dem zu Goethes Zeit ›alt‹ gewordenen Feudalismus, wie ihn
der Hof des Bischofs von Bamberg verkörpert, ihre Lehren zie-
hen will. Allerdings ist es noch nicht so weit, denn die Figur Götz
(anders als der historische Götz) geht unter und die Frage, wie
diese neue Ordnung aussehen könnte, bleibt dem Leser überlas-
sen.
Die Rezeption Wie folgenreich Goethes frühes Drama war, ist kaum zu über-
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englischen Geschichte anregen lassen. Scott gilt nicht nur als der
Erfinder des modernen historischen Romans (dessen Konzept des
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3.5. Johann Wolfgang von Goethe: Die Leiden des jungen Wer-
ther (1774 / 87)
Der Briefroman Goethes ist
Abb. 3.5
einer der erfolgreichsten
Einzig erhaltenes Blatt
der Handschrift Goe- Romane aller Zeiten und,
thes zu Werthers Lei- neben Gellerts Fabeln und
den in der ersten Fas- Erzählungen, vermutlich der
sung größte belletristische Buch-
erfolg deutscher Sprache
im 18. Jahrhundert. Darü-
ber hinaus machte er Goethe
auch international bekannt,
und zwar so sehr, dass Goethe
sich ärgerte, als er, als gestan-
dener Autor mit zahlreichen
Veröffentlichungen, noch auf
Der durchschlagende Erfolg (Boerner 1995, 43 ff.) zeigt, dass es Ein früher Bestseller
das richtige Buch zur richtigen Zeit ist. Es kommt zu einem regel-
rechten »Wertherfieber« (Jäger 1994, 224), über dessen Ausmaß
noch heute spekuliert wird. Die Kleidung der Figur, blauer Frack
und gelbe Weste (GW, 79), kommt in Mode und wird zum Zeichen.
Der Grund ist, dass mit Werther erstmals eine Figur radikal indi-
viduell denkt und handelt: »Ich kehre in mich selbst zurück, und
finde eine Welt!« (GW, 13), bis hin zum Selbstmord, der schon zu
Anfang als extreme Form der Selbstbestimmung gewertet wird:
»Und dann, so eingeschränkt er [der Mensch] ist, hält er doch
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immer im Herzen das süße Gefühl der Freiheit, und daß er diesen
Kerker verlassen kann, wann er will« (GW, 14). Zumal Selbstmord
aus der Sicht der Zeit eine Todsünde war, so dass, wie der Erzäh-
3. Barock, Aufklärung, Empfindsamkeit und Sturm & Drang, 9783825248215, 2020
ler zum Schluss betont, Werther auch ohne Beistand eines Geist-
lichen beigesetzt wird (GW, 124).
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Das Medium, das Werther wählt, um seine Individualität zu Das Problem radikaler
leben, ist die Liebe, sie ist die Probe für die Äußerung von Gefüh- Individualität
len als »Strom des Genies« (GW, 16). Im Roman steht das neue Kon-
zept der romantischen Liebe (Werther) gegen das traditionelle der
Konventions- und Versorgungsheirat (Lotte und Albert). Aber die
romantische Liebe bedeutet viel mehr – sie bedeutet Freiheit im
Sinn selbstbestimmten Handelns auch und gerade gegen Regeln
der Gesellschaft, und sie steht, als unverzichtbarer Bestandteil
eines solchen Konzepts von Freiheit, für die Behauptung des indi-
viduellen Gefühlslebens gerade gegen die Vernunft. Daher setzt
Werther Freiheit positiv ab von Notwendigkeit: »Es ist ein ein-
förmig Ding um das Menschengeschlecht. Die meisten verarbei-
ten den größten Teil der Zeit, um zu leben, und das bißchen, das
ihnen von Freiheit übrig bleibt, ängstigt sie so, daß sie alle Mittel
aufsuchen, um es los zu werden. O Bestimmung des Menschen!«
(GW, 11).
Der Roman ist in zwei Bücher eingeteilt, das erste Buch und
die erste Hälfte des zweiten bestehen aus Briefen, die Werther
vom 4. Mai 1771 bis zum 6. Dezember 1772 an seinen Freund Wil-
helm schreibt. Den Rest des zweiten Buchs macht der Bericht des
fiktiven Herausgebers über die weiteren Wochen bis zu Werthers
Selbstmord kurz vor Weihnachten aus. Nicht zufällig beginnt der
Roman im Frühling und endet im Winter, um die Zeit des kür-
zesten Tages im Jahr, die Jahreszeiten symbolisieren den Beginn
der Liebe und den Untergang des oder der Liebenden. Dass auch
50 B arock , A ufkl ärung , E mpfindsamkeit und S turm & D r ang
Werther als Werther ist ein Schwärmer, dessen Gefühle und Phantasie sich
problematische Figur durch äußere Umstände leicht entzünden lassen (GW, 9). Dabei
unterliegt die Figur großen Stimmungsschwankungen (GW, 10).
Werther ist stark auf sich selbst bezogen, nimmt seine Umwelt
nur in der Wirkung auf sich wahr und ist psychisch instabil. Mit
einem neueren Begriff könnte man von Werther auch als dem ers-
ten bedeutenden Narzissten in der deutschsprachigen Literatur
sprechen. Er weist, mit der Erzählung dieses Ereignisses beginnt
der Roman, eine in ihn verliebte junge Dame zurück, so wie er
selbst – zunächst – von Lotte zurückgewiesen werden wird: »Wie
froh bin ich, daß ich weg bin! Bester Freund, was ist das Herz des
Menschen! Dich zu verlassen, den ich so liebe, von dem ich unzer-
trennlich war, und froh zu sein! Ich weiß, du verzeihst mir’s.
Waren nicht meine übrigen Verbindungen recht ausgesucht vom
Schicksal, um ein Herz wie das meine zu ängstigen? Die arme Leo-
nore!« (GW, 7).
Werther verliebt sich auch nicht nur in Lotte. Bevor er sie ken-
G oethe : D ie L eiden des jungen W erther (1774 / 87) 51
er sich erneut, diesmal in »ein Fräulein von B.« (GW, 63). Werther
meint, dass sie Lotte gleicht (GW, 65). Als Werther bei einer Gesell-
schaft bleibt, obwohl er vom Stand her nicht dazu gehört, weil er
3. Barock, Aufklärung, Empfindsamkeit und Sturm & Drang, 9783825248215, 2020
»noch ein gut Wort von ihr hoffte« und »nur auf meine B.. acht«
gibt (GW, 68), kommt es zum Eklat. Das Fräulein erzählt ihm spä-
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gen Gatten spricht: »›Albert ist ein braver Mensch, dem ich so gut
als verlobt bin‹« (GW, 25). Und doch lassen sich die beiden Tanzen-
den nicht beirren, die Szene endet mit einer symbolischen Verei- Eine symbolische
Vereinigung der
3. Barock, Aufklärung, Empfindsamkeit und Sturm & Drang, 9783825248215, 2020
Die beiden stehen, mit dem Blick aus dem Fenster, an der Schwelle
von der Zivilisation zur Natur. Die Ode (ein feierliches Gedicht) des
seinerzeit berühmten Friedrich Gottlieb Klopstock (1724 – 1803)
bildet ein Bindeglied zwischen Kunst und Natur, Literatur und
Liebe. Die Symbolik des Wetters (der Sturm ist draußen in der Symbolik des Wetters
Natur und in ihren Gefühlen), die Flüssigkeiten und Flüssigkeits-
Metaphern (»Strome von Empfindungen«), vor allem die vereinig-
ten Hände und die Tränen sprechen, im Kontext der Literatur der
Zeit, eine deutliche Sprache: Lotte und Werther werden in dieser
Szene ein Paar. Deshalb kann Werther wenig später auch an Wil-
helm schreiben: »Ich lebte so glückliche Tage, wie sie Gott seinen
Heiligen aufspart; und mit mir mag werden was will, so darf ich
nicht sagen, daß ich die Freuden, die reinsten Freuden des Lebens
nicht genossen habe« (GW, 28).
Als Albert eintrifft, freundet sich Werther mit ihm an (GW, 42).
54 B arock , A ufkl ärung , E mpfindsamkeit und S turm & D r ang
Er weiß, dass er Lotte nicht lieben darf – »wenn ich nur wüßte
wohin, ich ginge wohl« (GW, 44). In den Gesprächen mit Albert
argumentiert dieser stets vernünftig, Werther setzt seine Gefühle
dagegen, in einem Dialog der beiden fällt auch die berühmt
gewordene Formulierung der »Krankheit zum Tode« (GW, 48). Als
sich später die Situation zuspitzt und als Albert Werther freund-
schaftlich bittet, Lotte seltener zu besuchen: »›Die Leute werden
aufmerksam, und ich weiß, daß man hier und da drüber gespro-
chen hat‹« (GW, 97), als schließlich auch Lotte Werther ins Gewis-
sen redet, nicht falsche Hoffnungen in sie als »das Eigentum eines
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bist von diesem Augenblicke mein! mein, o Lotte! Ich gehe voran!«
(GW, 117). Werther sieht die Erfüllung der Liebe im Tod. Aller-
dings wird diese hochfliegende Hoffnung im Roman durch die
brutale Realität konterkariert, Werther stirbt keinen schönen
Tod: »Als der Medikus zu dem Unglücklichen kam, fand er ihn
an der Erde ohne Rettung, der Puls schlug, die Glieder waren alle
gelähmt. Über dem rechten Auge hatte er sich durch den Kopf
geschossen, das Gehirn war herausgetrieben. Man ließ ihm zum
Überfluß eine Ader am Arme, das Blut lief, er holte noch immer
Atem« (GW, 124).
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Bruder ausforschen (NW, 614), um ihn als »Spion« für König Phi-
lipp und gegen den Sultan zu gebrauchen, doch weigert sich die-
ser (NW, 617). Als der Klosterbruder ihn sogar, im Auftrag des
Patriarchen, als Attentäter auf das Leben des Sultans gewinnen
3. Barock, Aufklärung, Empfindsamkeit und Sturm & Drang, 9783825248215, 2020
will, obwohl der ihm gerade sein Leben geschenkt hat, befindet
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der Tempelherr, das sei ein »Bubenstück vor Gott« (NW, 618). Den-
noch lehnt er es weiterhin ab, Recha oder Nathan zu treffen: »Jud’
ist Jude. / Ich bin ein plumper Schwab« (NW, 621).
Die Vorurteile sind zunächst wechselseitig, so stehen die Chris- Vorurteile der Figuren
ten beim Sultan und seiner Schwester nicht hoch im Kurs. Sala-
dins Schwester Sittah fasst zusammen: »Ihr Stolz ist: Christen sein;
nicht Menschen« (NW, 616). Als Saladin Nathan kommen lässt, um
von ihm Geld zu borgen, stellt er ihm die Frage nach der »Wahr-
heit« und Nathan erzählt die Ringparabel (NW, 662). Nathan ist es
schließlich, der Saladin darum bittet, ihm zu günstigsten Kondi-
tionen Geld leihen zu dürfen (NW, 669), denn er möchte sich für
die Rettung Rechas erkenntlich zeigen, die ohne die Begnadigung
des Tempelherrn nicht möglich gewesen wäre; außerdem ahnt er
geheime familiäre Zusammenhänge.
Im Tempelherrn geht im Verlauf des Stücks ein Wandel vor,
denn nicht nur Recha hat sich in ihn, auch er hat sich in Recha
verliebt. Dass der »Christ das Judenmädchen« liebt, erscheint
ihm in Jerusalem, der Stadt der Religionen, plötzlich möglich,
zumal das von Saladin geschenkte Leben einen Neuanfang bedeu-
tet (NW, 671), wie Saladin ihm gegenüber noch einmal bestätigt:
»Wem ich das Leben schenke, werd’ ich dem / Nicht auch die Frei-
heit schenken?« (NW, 691). Aus dieser Freiheit heraus schließt
sich der Tempelherr dem Sultan an, dem die unterschiedliche
Religion gleichgültig ist: »Ich habe nie verlangt, / Daß allen Bäu-
men eine Rinde wachse« (NW, 692).
58 B arock , A ufkl ärung , E mpfindsamkeit und S turm & D r ang
haben beide / Uns unser Volk nicht auserlesen. Sind / Wir unser
Volk? Was heißt denn Volk? / Sind Christ und Jude eher Christ und
Jude, / Als Mensch?« (NW, 641). Und der Tempelherr stellt gegen-
3. Barock, Aufklärung, Empfindsamkeit und Sturm & Drang, 9783825248215, 2020
über dem Klosterbruder fest: »Religion ist auch Partei« (NW, 683).
Der Klosterbruder schließlich befindet, es habe ihn »[…] Tränen
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zum Streit, wer den ›rechten Ring‹ hat, um Fürst des Hauses zu
werden, doch findet man diesen rechten Ring nicht heraus (NW,
665). Nathan erläutert die Analogie zur Religion. Zwar sieht jede
3. Barock, Aufklärung, Empfindsamkeit und Sturm & Drang, 9783825248215, 2020
der Religionen anders aus, doch ist sie für ihre Gläubigen jeweils
die »auf Geschichte«, auf Überlieferungen gegründete richtige
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Religion, darin unterscheiden sie sich nicht (NW, 666). Doch das
»Märchen« (NW, 665) geht noch weiter. Die drei Brüder gehen vor
den Richter, der feststellt: »Ich höre ja, der rechte Ring / Besitzt
die Wunderkraft beliebt zu machen; / Vor Gott und Menschen
angenehm. Das muß / Entscheiden! Denn die falschen Ringe wer-
den / Doch das nicht können!« Da sich die drei Brüder aber auch
darin nicht unterscheiden, stellt der Richter fest: »O so seid ihr
alle drei / Betrogene Betrieger! Eure Ringe / Sind alle drei nicht
echt. Der echte Ring / Vermutlich ging verloren. Den Verlust / Zu
bergen, zu ersetzen, ließ der Vater / Die drei für einen machen«
(NW, 667). Jeder soll an die Echtheit seines Rings glauben, denn:
»Möglich; daß der Vater nun / Die Tyrannei des Einen Rings nicht
länger / In seinem Hause dulden wollen!« Die Lehre daraus lau-
tet: »Wohlan! / Es eifre jeder seiner unbestochnen / Von Vorurtei-
len freien Liebe nach!« Nathan appelliert an den Herrscher Sala-
din: »Wenn du dich fühltest, dieser weisere / Versprochne Mann
zu sein: …« (NW, 668).
Blickt man auf das Verhalten Dajas, über die Recha meint, weil
sie Christin sei, müsse sie »aus Liebe quälen« (NW, 725), und auf
die Darstellung der katholischen Kirche in der satirisch gezeich-
neten Figur des Patriarchen, der dem christlich-feudalen Weltbild
des Mittelalters anhängt (NW, 685), und stellt man außerdem die
kritische Haltung des Klosterbruders diesem wichtigen Vertreter
seiner eigenen Kirche gegenüber in Rechnung, dann schneidet die
christliche Religion in Lessings Drama am schlechtesten ab. Der
G otthold E phr aim L essing : N athan der W eise (1779) 61
Muslim Saladin wird hingegen zu einem aufgeklärten Herrscher Das Vorbild des
und in seiner Familie vereinigen sich die Religionen, so dass Jeru- aufgeklärten Herrschers
salem von der Stadt und vom Land der Wunder zu einer Hetero-
topie (Foucault), zu einer konkreten Utopie wird (Foucault 2006).
Doch gibt es eine Figur, die Freiheit in einem den Diskurs über
Religionen und staatliche Ordnung sprengenden Sinn verkörpert
und die mit dem Stück auch den Diskurs am Ende des zweiten
Aufzugs verlässt – Al-Hafi, der Derwisch, der befindet: »Am Gan-
ges nur gibt’s Menschen«, und der in Jerusalem einzig Nathan als
»würdig« ansieht, ebenfalls dort zu leben (NW, 648). Nathan aber
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Nathan stellt am Ende des zweiten Aufzugs fest: »Wie nenn ich
ihn? – Der wahre Bettler ist / Doch einzig und allein der wahre
König!« (NW, 649). Al-Hafi wollte nicht für Saladin Geld borgen
und die Einschätzung Nathans zeigt, dass es weder Geld noch
Stand sind, über die sich Freiheit definieren lässt.
Diese eine Figur hat die Freiheit, das Stück zu verlassen, aber
der Leser hat die Freiheit, die Figuren aus der Distanz zu betrach- Die Freiheit von Figur
ten, weil er um deren Fiktionalität weiß. Darauf deutet nicht nur und Leser
der häufige Verweis auf »Märchen«, sondern auch die satirisch zu
lesende Weigerung des Patriarchen, dem Tempelherrn einen Rat
zu geben in der Frage der möglichen Erziehung einer Christin
durch einen Juden. Der Patriarch sieht in dem Fall, sofern er rein
hypothetisch ist, nur: »Ein Spiel des Witzes: so verlohnt es sich /
Der Mühe nicht, im Ernst ihn durchzudenken. / Ich will den Herrn
damit auf das Theater / Verwiesen haben, wo dergleichen pro / Et
contra sich mit vielem Beifall könnte / Behandeln lassen.« Wäre
es aber »ein Faktum, dann müsste der Jude für seine Tat auf den
»Scheiterhaufen« (NW, 686). Die Motive spielen keine Rolle: »Tut
nichts! der Jude wird verbrannt«. Schließlich ist für den Patriar-
chen die christliche Religion »das Original« (NW, 687). In dieser
Figur zeigt das Stück, wohin Fanatismus führen kann. Der höchste
62 B arock , A ufkl ärung , E mpfindsamkeit und S turm & D r ang
ber hinaus geht es aber vor allem um die Frage der gesellschaft-
lichen Ordnung, die zu dieser Zeit noch nicht zu trennen ist von
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zu tun und zu lassen, was er allein möchte: »Ich weiß nicht, was
du oder ich für Begriffe von Freiheit haben, daß wir an einem
Karrn ziehn wie Stiere, und dabei wunderviel von Independenz
deklamieren – Es gefällt mir nicht« (SR, 586). Spiegelberg wird,
wie Franz, sein radikales Negieren jeder sozialen Ordnung, gip-
felnd in versuchtem Mord an Vater oder Anführer, mit dem Leben
bezahlen.
Die unterschiedlichen Motive der Räuber werden deutlich,
wenn der später von Karl befreite und anschließend im Kampf
gegen Vertreter der Ordnung getötete Roller gegen Spiegelberg
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als Anführer votiert, und zwar mit folgenden Worten: »Auch die
Freiheit muß ihren Herrn haben. Ohne Oberhaupt gingen Rom
und Sparta zugrunde« (SR, 513). Unter dem Stichwort der »Frei-
3. Barock, Aufklärung, Empfindsamkeit und Sturm & Drang, 9783825248215, 2020
aus Deutschland soll eine Republik werden, gegen die Rom und
Sparta Nonnenklöster sein sollen« (SR, 504). Spiegelberg sieht
sich selbst als »erleuchteter politischer Kopf« (SR, 513), doch Rol-
ler hält von Karl mehr: »Ohne den Moor sind wir Leib ohne Seele«
(SR, 514).
Als Karl verkleidet das Schloss seines Vaters besucht, entdeckt
er die Intrige seines Bruders und er findet Amalia, die Franz wider-
standen hat und Karl immer noch liebt. Doch es ist zu spät – Karl
hat seinen Räubern geschworen, für immer bei ihnen zu bleiben.
Als er seinen greisen Vater, den ein mitleidiger Diener am Leben
erhalten hat, aus dem Turmverließ befreit, wird er zugleich zur
Ursache seines Todes, als er ihm entdeckt, was aus ihm gewor-
den ist. Als Karl eine Abordnung seiner Räuber zu Franz schickt,
um ihn holen zu lassen, begeht dieser Selbstmord. Als die Räu-
ber Karl an seinen Schwur erinnern und von ihm verlangen, dass
er bei ihnen bleibt, statt mit Amalia fortzugehen, sieht das Paar
keinen Ausweg mehr. Amalia bittet die Räuber darum, sie zu
töten. Karl, seinen Schwur erfüllend, bringt sie selbst um und lie-
fert sich anschließend der Justiz aus. Allerdings nicht, ohne sich
selbst treu zu bleiben. Auf seinen Kopf ist ein Lösegeld ausgesetzt,
das soll nun ein armer Mann und Vater vieler Kinder bekommen.
Das Drama schließt mit dem zur Redewendung gewordenen Satz:
»dem Mann kann geholfen werden« (SR, 618).
Das Drama nimmt, wie fast alle bedeutenden Texte, Anleihen
bei Werken der Weltliteratur (Oellers 2005, 112 f.). Vor allem ver-
F riedrich S chiller : D ie R äuber (1781) 65
handelt es zentrale Aspekte der Freiheit. Bereits bei dem Vater- Vater-Sohn-Konflikt
Sohn-Konflikt geht es um die Freiheit von Autoritäten. Der Vater
steht für die ehemals göttliche Ordnung, er ist in einer Linie zu
sehen mit der Kette Gott – Kaiser / König – Landesfürst. Dass die
alte, christliche Ordnung erodiert ist, wird in der Schwäche der
Figur vorgeführt. Franz möchte ihn beerben, aber dies kann er
nur tun, weil er Gott und damit die alte Ordnung leugnet. Auch
Karl hat sich vom Vater emanzipiert, zunächst durch sein wildes
Leben in der Stadt, dann durch das – freilich der Intrige von Franz
geschuldete – Räuberdasein. Hätte Franz nicht intrigiert, wäre
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haben, die sich gegen diese Ordnung stellt und die, unter dem
Druck des äußeren Zwangs, ihrerseits totalitär wird.
»Freiheit! Freiheit!« meint hier für Karl die Befreiung Rol-
lers und damit, ebenso wie für seine Räuber, die den Begriff in
ähnlicher Weise verwenden, die Freiheit von äußeren Zwängen
(SR, 543 ff.). Der Begriff wird zum Schlachtruf: »Tod oder Frei-
heit! Wenigstens sollen sie keinen lebendig haben!« (SR, 555). Die
Kehrseite der Freiheit ist die Grausamkeit und Ungerechtigkeit Freiheit und Gewalt
der Taten, die aus dieser einseitig verstandenen Freiheit heraus
geschehen können, wie etwa der Bericht der Figur mit dem spre-
chenden Namen Schufterle zeigt. Auch wenn Schufterle, der schil-
dert, wie er ein Kleinkind ins Feuer geworfen hat, von Karl aus
dem Kreis der Räuber verbannt wird (SR, 547), so kann er damit
doch nicht die negativen Folgen einer lediglich gegen die etab-
lierte Ordnung gerichteten Freiheit bannen. Karls Gewalttaten als
moderner Robin Hood sind ambivalent, sie werden weder gerecht-
fertigt noch verurteilt. Doch wenn Amalia sich mit einem Degen
gegen den zudringlichen Franz wehrt, der seine Macht ungerecht-
fertigt erlangt hat und für seine egoistischen Zwecke missbraucht,
dann ist damit auch eine moralische Wertung verbunden: »Ah!
wie mir wohl ist – Itzt kann ich frei atmen – ich fühle mich stark
wie das funkensprühende Roß, grimmig wie die Tigerin dem sieg-
brüllenden Räuber ihrer Jungen nach […]« (SR, 558 f.). Amalias Tat
ist legitimiert, und das, obwohl sie innerhalb einer männlichen
Ordnung als Frau gegen einen Mann aufbegehrt.
68 B arock , A ufkl ärung , E mpfindsamkeit und S turm & D r ang
Karl sieht ein, dass er die Grenzen der Freiheit zu weit ausge-
Missbrauch der Freiheit legt hat. Den Missbrauch der Freiheit erkennt er als menschliche
Hybris, als Selbstüberschätzung: »Warum soll dem Menschen das
gelingen, was er von der Ameise hat, wenn ihm das fehlschlägt,
was ihn den Göttern gleich macht?« (SR, 560). In diesem Moment
des Zweifels taucht Kosinsky auf, eine Figur, die sich spiegelbild-
lich zu Karl verhält. Ein Fürst und dessen Minister haben ihm
erst seine Braut Amalia und dann sein Vermögen genommen (SR,
567 f.). Kosinsky möchte deshalb einer von jenen werden, die »die
Freiheit höher schätzen als Ehre und Leben« (SR, 563). Die so ver-
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standene Freiheit heißt aber auch, wie Karl ihm erklärt, »aus dem
Kreise der Menschheit« auszutreten (SR, 566).
Persönliche und politische Erfahrung – verstanden als »das
3. Barock, Aufklärung, Empfindsamkeit und Sturm & Drang, 9783825248215, 2020
Joch des Despotismus« (SR, 568) – lassen Karl keine Alternative als
weiterzumachen und sie bewegen ihn, in das heimische Schloss
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der Freiheit neu zu denken und mit Wilhelm Tell den alternativen
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stehlen«, »er wird Wilddieb«. Doch wirbt auch Robert, der Jäger-
bursche des Försters, um Johanne und er sucht, »von Eifersucht
und Neide« getrieben, nach dem Grund für den plötzlichen Wohl-
stand des »Nebenbuhlers« (SV, 16). Christian wird auf frischer Tat
ertappt, beim ersten Mal kommt er noch mit einer Geldstrafe
davon. Doch machte er weiter, um Johannes Gunst nicht zu verlie-
ren. Beim zweiten Mal wird er mit einem Jahr Zuchthaus bestraft
(SV, 17), beim dritten Mal wird er verurteilt, »drei Jahre auf der Fes-
tung zu arbeiten« (SV, 18). Wie der Erzähler betont, wird Christian
in der Zeit der Festungshaft, beeinflusst durch die mitgefangenen
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verändert: »Von jetzt an lechzte ich nach dem Tag meiner Freiheit,
wie ich nach Rache lechzte. Alle Menschen hatten mich belei-
digt, denn alle waren besser und glücklicher als ich. Ich betrach-
tete mich als den Märtyrer des natürlichen Rechts und als ein
Schlachtopfer der Gesetze« (SV, 18). Die Härte des Gesetzes
Die von ihm ersehnte Freiheit ist allerdings, wie er nach
der Haft feststellen muss, mit dem Verlust der Teilhabe an der
Gemeinschaft verbunden. Seinen Besitz hat er verloren, seine
Mutter ist gestorben, Johanne ist zu einer Prostituierten gewor-
den und durch Geschlechtskrankheiten schwer gezeichnet: »Ich
hatte niemanden und nichts mehr« (SV, 20). Christian Wolf ist ein
Ausgestoßener, dessen nun ernsthafte Versuche, sich zu resozia-
lisieren, zurückgewiesen werden. Es sind die äußeren Umstände,
die Christian zu der falschen Entscheidung bewegen: »Ich wollte
Böses tun, soviel erinnerte ich mich noch dunkel. Ich wollte mein
Schicksal verdienen. Die Gesetze, meinte ich, wären Wohltaten
für die Welt, also faßte ich den Vorsatz, sie zu verletzen; ehemals
hatte ich aus Notwendigkeit und Leichtsinn gesündigt, jetzt tat
ichs aus freier Wahl zu meinem Vergnügen« (SV, 21).
Aus freier Wahl – und doch zeigt Schiller, wie unfrei diese
Wahl ist. Ganz anders als bei Kant, der Freiheit als regulative Idee
mit dem selbstbestimmten Handeln beginnen lässt und für den
der Wille somit grundsätzlich frei ist, wird bereits in dieser frü-
hen Erzählung auf das verwiesen, was die spätere Philosophie und
die Literatur von der literarischen Moderne bis zur Gegenwart
72 B arock , A ufkl ärung , E mpfindsamkeit und S turm & D r ang
Eine soziale Die Versuchsanordnung bei Schiller sieht vor, dass Christian
Abstiegsgeschichte zufällig beim Wildern auf Robert trifft, seinen ehemaligen Neben-
buhler, der ihn aus Selbstsucht verfolgt und verraten hat: »Rache
3. Barock, Aufklärung, Empfindsamkeit und Sturm & Drang, 9783825248215, 2020
Christian die Tat begangen, bereut er sie zutiefst, aber nun ist es
zu spät. Dennoch reagiert er nicht berechnend, er beraubt den
Toten nicht. Erstens will er sich nicht an ihm bereichern, zwei-
tens möchte er »für einen persönlichen Feind des Erschossenen,
aber nicht für seinen Räuber gehalten sein« (SV, 23). Noch auf dem
höchsten Punkt seiner Untaten versucht Christian sich einen Rest
Ehrlichkeit zu bewahren. Auf seiner Flucht trifft er auf eine Räu-
berbande, deren Anführer er wird. Die zufällige Begegnung mit
dem bisherigen Anführer wird inszeniert wie ein Teufelspakt,
der unbekannte Mann benimmt sich wie der Versucher: »›Das ist
brav, daß ich dich endlich habe, Sonnenwirt. Jahr und Tag schon
sinn ich darauf, dich zu kriegen. Ich kenne dich recht gut. Ich
weiß um alles. Ich habe lange auf dich gerechnet‹« (SV, 25). Wenig
überraschend hausen die Räuber in einem »Abgrund der Hölle«
(SV, 27). Nun wechselt die Fokalisierung wieder und der Rahmen-
erzähler ergreift das Wort: »Ein Unglücklicher, der bis zu dieser
Tiefe heruntersank, mußte sich endlich alles erlauben, was die
Menschheit empört – aber einen zweiten Mord beging er nicht
mehr, wie er selbst auf der Folter bezeugte« (SV, 29). Der Ausgang
wird hier vorweggenommen, der Räuber wird gefasst, gefoltert
und, so steht anzunehmen, anschließend hingerichtet. Auch dies
ist ein Kunstgriff, um den Leser nicht in höchster Spannung auf
den Ausgang warten zu lassen, sondern seine Aufmerksamkeit
auf die Einzelheiten der weiteren Erzählung zu lenken. Der Räu-
ber ist nun in einem Sinn frei, wie wir es bereits in Schillers ers-
F riedrich S chiller : D er V erbrecher aus verlorener E hre (1786) 73
tem Drama gesehen haben, und Christian ist zunächst »so glück-
lich, jeden Anschlag auf seine Freiheit zu vereiteln« (SV, 29). Doch
plagen ihn zunehmend Gewissensbisse: »Ein Jahr schon hatte er
das traurige Handwerk getrieben, als es anfing, ihm unerträglich
zu werden.« Er ist eben doch noch anders als die anderen Mit-
glieder »dieser verworfenen Bande« (SV, 29). Hier wird deutlich,
dass die übrigen Bandenmitglieder als Kontrastfiguren dienen,
um die Entscheidung Christians zu motivieren, einen Versuch zu
wagen, über tätige Buße und Reue noch einmal in die Gemein-
schaft zurückzukehren.
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Macht steht, das Gesetz für mich zu erbitten, so schenken Sie mir
das Leben. Es soll Ihrem Dienste von nun an gewidmet sein« (SV,
31). Doch bekommt Christian auf seine Bittschriften keine Ant-
worten. Schließlich wird er, weil er sich auffällig verhält, in einer
kleinen Stadt zunächst verhaftet und soll, da er nicht erkannt
wird und nichts gegen ihn ermittelt werden kann, wieder freige-
lassen werden. Der für die Untersuchung zuständige »Oberamt-
mann des Orts« war »ein starker Anbeter der Neuigkeit und liebte
besonders, bei seiner Bouteille über die Zeitung zu plaudern« (SV,
32), außerdem beginnt er seine Befragung »mit ziemlich brutalem
Ton« (SV, 33). In seiner Not vertraut sich Christian ausgerechnet
ihm an: »›Ich glaube, daß Sie ein edler Mann sind‹« (SV, 34). Eine
folgenreiche Fehleinschätzung, die zeigt, wie groß Christians Not
geworden ist und wie gnadenlos die Ordnung ist, die ihm auch Eine gnadenlose
dieses Mal, und nun endgültig, keine Möglichkeit zur Rückkehr in Ordnung
die Gemeinschaft geben wird. Die letzten Worte sind auch für die
Literaturgeschichte folgenreich, so zitiert sie beispielsweise spä-
ter Wilhelm Hauff (1802 – 27) mit dem Schluss der Rahmenerzäh-
lung seines Märchenzyklus’ Die Karawane von 1825. Sie lassen sich
als Anklage gegen die herrschende Ordnung verstehen:
»Ahnden Sie noch nicht – Schreiben Sie es Ihrem Fürsten, wie Sie mich
fanden und daß ich selbst aus freier Wahl mein Verräter war – daß
ihm Gott einmal gnädig sein werde, wie er jetzt mir es sein wird – bit-
74 B arock , A ufkl ärung , E mpfindsamkeit und S turm & D r ang
ten Sie für mich, alter Mann, und lassen Sie dann auf Ihren Bericht
eine Träne fallen: Ich bin der Sonnenwirt.« (SV, 35)
erschaffen erst das Problem, das sie dann mit extremer Gewalt
und Gnadenlosigkeit wieder lösen, um den Fortbestand einer
alten Ordnung zu sichern, in der jeder des anderen Wolf ist und
niemand wirklich sicher oder frei sein kann.
3. Barock, Aufklärung, Empfindsamkeit und Sturm & Drang, 9783825248215, 2020
Abb. 3.8
Titelblatt und Fronti-
spiz (anonymes Por-
trät) des Erstdruckes
von Don Carlos, 1787
ler arbeitete etwa fünf Jahre an dem Stück, bereits 1783 schrieb
er in einem Brief: »Carlos hat, wenn ich mich des Maßes bedie-
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nen darf, von Shakespeares Hamlet die Seele, Blut und Nerven von
Leisewitz’ Julius [›Julius von Tarent‹, ein Lieblingsstück Schillers],
und den Puls von mir« (Schiller 1981f 2, 1093). Der Anschluss an
Shakespeare wird auch in der Form deutlich, denn Schiller wählt
den Blankvers (engl. blank verse), einen fünfhebigen und meist
ungereimten (deshalb: blank) Jambus, ein sehr flexibles Versmaß,
das mit freien Füllungen versehen werden kann und Enjambe-
ments ermöglicht.
Philipp II. lebte von 1527 bis 1598, sein Sohn Carlos, der in einer Der historische Stoff
wegen Hochverrats angeordneten Haft starb, von 1545 – 1568. Don und seine Bearbeitung
Carlos war zunächst mit der gleichaltrigen Elisabeth von Valois
(1545 – 68) verlobt, ehe Philipp II. sie heiratete. Schiller setzt hier
an, er zeigt einen weiterhin in seine Stiefmutter verliebten und
darunter leidenden Carlos. Katalysator und Motor der weiteren
Handlung wird sein Jugendfreund, der Malteserritter Marquis
von Posa, der möchte, dass Carlos politische Verantwortung über-
nimmt, sich von seinem Vater in die Niederlande schicken lässt
und die Aufstände in den flandrischen Provinzen nicht mit Waf-
fengewalt unterdrückt, sondern eine diplomatische und friedli-
che, den Provinzen größere Freiheiten gewährende Lösung her-
beiführt.
Philipp findet Gefallen an Posa, der ihm offen entgegentritt
und seine Meinung sagt, das ist der König nicht gewohnt. Seine
Berater reden ihm entweder nach dem Mund oder sie versuchen
ihn zu ihren Zwecken zu instrumentalisieren. Als eine rache-
76 B arock , A ufkl ärung , E mpfindsamkeit und S turm & D r ang
geleitete Intrige der Prinzessin von Eboli, die sich in Carlos ver-
liebt hat und von ihm abgewiesen wird, darauf zielt, dem König
ein heimliches Liebesverhältnis von Carlos und Elisabeth zu ent-
decken, glaubt Posa, mit einer Gegenintrige seinen Freund und
Flandern zugleich retten zu können. Posa nimmt die angebliche
Schuld auf sich und opfert sich für seinen Freund Carlos, doch der
möchte dieses Opfer nicht. Der König sieht sich doppelt betrogen,
von Posa, dem er vertraut hat, und von seinem Sohn, der Flan-
dern vor ihm retten wollte. Philipp lässt Posa töten, als er diesen
noch für einen Verräter hält, und übergibt schließlich, nachdem
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ruhig schlafen legen. / Wie Gottes Cherub vor dem Paradies / Steht
Herzog Alba vor dem Thron« (SD, 39).
Carlos sieht sich aber nicht in der Lage, Posa zu helfen, zu Die Freunde Carlos und
sehr leidet er unter seiner persönlichen Situation: »Du sprichst Posa
von Zeiten, die vergangen sind. / Auch mir hat einst von einem
Karl geträumt, / Dems feurig durch die Wangen lief, wenn man /
von Freiheit sprach – doch der ist lang begraben« (SD, 14). Sein
Plan, Spanien zu erneuern, war für ihn untrennbar mit der Vor-
stellung verbunden, mit Elisabeth eine Familie zu gründen – die
Heirat Philipps mit Elisabeth und die Geburt einer Erbin hat für
ihn diesen Traum beendet und die fortdauernde Liebe sieht er als
inzestuöse, unheilbringende Schuld: »Ich liebe meine Mutter […]
Die Ordnung der Natur und Roms Gesetze / Verdammen diese Lei-
denschaft. Mein Anspruch / Stößt fürchterlich auf meines Vaters
Rechte. / Ich fühls, und dennoch lieb ich. Dieser Weg / Führt nur
zum Wahnsinn oder Blutgerüste« (SD, 17 f.).
Carlos hat etwas von der Schwärmerei Ferdinands aus Kabale
und Liebe, wenn er Elisabeth gegenüber feststellt: »Man reiße mich
von hier aufs Blutgerüste! / Ein Augenblick, gelebt im Paradiese, /
Wird nicht zu teuer mit dem Tod gebüßt« (SD, 31). Doch als Elisa-
beth an die Folgen für sie selbst erinnert, sieht Carlos, und darin
ist er anders als Ferdinand, den Egoismus seiner Gefühle ein. Die
Königin stellt die »Pflicht« als notwendige Einschränkung ihrer
individuellen Freiheit heraus, während Carlos auf seine Freiheit
pocht: »So viel, / Daß Carlos nicht gesonnen ist, zu müssen, / Wo
78 B arock , A ufkl ärung , E mpfindsamkeit und S turm & D r ang
Eboli, die sich von Carlos getäuscht glaubt (SD, 72 ff.) und sich aus
»Rache« dem König als Mätresse anbietet (SD, 79), um Carlos’ Liebe
zu Elisabeth zu verraten.
3. Barock, Aufklärung, Empfindsamkeit und Sturm & Drang, 9783825248215, 2020
seine »Laster« keine Folgen haben (SD, 42). Carlos klagt über »eine
knechtische / Erziehung« (SD, 19) und Philipp muss, weil er nur
Untergebene hat, die etwas durch ihn erreichen wollen, Carlos’
Liebesbezeugungen als »Gaukelspiel« wahrnehmen (SD, 46), auch
wenn er von den Appellen seines Sohnes durchaus nicht unbeein-
druckt ist und ihm mehr vertraut als zuvor, bis die Intrigen ein-
setzen und er sich, als Marionette seiner Berater, darin bestätigt
sieht, dass solches Vertrauen nur auf einen Irrweg führen kann.
Der König bestätigt Posas Einschätzung absolutistischer Macht
durch sein Verhalten. Er sieht kein Problem darin, das zu tun,
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was er seiner Frau und Carlos verweigert – er hat eine Affäre mit
der Prinzessin von Eboli, eine Verbindung, die von Domingo und
Alba gefördert wird, um Philipp zu manipulieren (SD, 82). So wie
3. Barock, Aufklärung, Empfindsamkeit und Sturm & Drang, 9783825248215, 2020
trollierbar ist und eine Gefahr für alle bedeutet, getrieben vom
Egoismus, ihre Stellung und ihre Macht innerhalb des Systems
zu halten und nach Möglichkeit zu verbessern oder der Angst,
3. Barock, Aufklärung, Empfindsamkeit und Sturm & Drang, 9783825248215, 2020