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Kritische Analysen zu

Politik und Wirtschaft.


Herausgeber: Heiner Flassbeck
& Paul Steinhardt

Streit um die „monetäre


Staatsfinanzierung“
Von Joachim Nanninga | 24.04.2018

Wenn man sich vom unsinnigen Finanzierungsgedanken für die Staatsaus-


gaben freimacht, ist auch der Blick für die tatsächliche Aufgabe von Steuern,
Anleihen und ihrem Rückkauf durch die Zentralbank nicht länger getrübt.

Steuern – wir haben es schon beschrieben – vernichten Zentralbankgeld, das notwendigerweise zu-
vor emittiert werden musste. Im Ausmaß der Besteuerung bestimmt der Staat durch die getätigten
Ausgaben und nicht die Besteuerten, was mit dem entsprechenden Anteil des Bruttonationaleinkom-
mens gemacht wird. Grundsätzlich könnte durch die Besteuerung genauso viel ZB-Geld wieder ver-
nichtet werden, wie zuvor emittiert wurde – mit der Folge ausbleibender neuer Staatsverschuldung.

Was aus Sicht eines alemannischen Finanzministers absolut vernünftig und verantwortlich sein mag,
ist bei gegebenen Sparversuchen im nichtstaatlichen Sektor absolut unvernünftig und schädlich. Es
führt in die Rezession. Dringend geboten ist hier eine Neuverschuldung des Staates.

Anstelle des Ausdrucks „monetäre Staatsfinanzierung“, der irreführend ist, bevorzuge ich den Aus-
druck „Monetisierung von Staatsschulden“. Es wird ja nichts mit den Staatsschulden finanziert, sie
ergeben sich als Saldo von Ausgaben und Einnahmen. Das fiskalische Management mit diesem Saldo
führt zu unterschiedlichen Erscheinungsformen der Staatschulden. Schauen wir uns die möglichen
Varianten des Umgangs mit diesen Schulden mit Hilfe einfacher Bilanzen an. Dabei klärt sich, wo in
welcher Form Staatsschulden monetisiert werden.

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Variante 1: Anleihen des Staates, die anschließend von Nichtbanken gehalten


werden

Wirkung: Im Ausmaß der Anleihe bestimmen der Staat und nicht die Primäreinkommensbezieher,
was mit dem entsprechenden Anteil des Bruttonationaleinkommens gemacht wird. Die Anleihehalter
vergrößern ihr Geldvermögen (=Sparen). Die Staatsschulden haben das Sparen ermöglicht. Die Giral-
geldmenge wird nicht vergrößert. Kein Konjunkturimpuls. Durch Staatsausgaben emittiertes Geld
wird wieder vernichtet.

Im Nichtbankensektor ist das Geldvermögen durch die Staatsausgabe etwa für IT-Dienstleistungen
um 10 € gestiegen und durch den Anleihekauf wieder um 10 € gesunken. Die Geschäftsbank (GB) kön-
nte das bei der Zentralbank (ZB) eingelieferte Wertpapier zurückkaufen, die Liquidität wird zur Zeit
nicht benötigt. Auf der Aktivseite des Staates sind 10 € als nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbe-
trag vermerkt.

Variante 2: Anleihen des Staates, die anschließend von Geschäftsbanken gehal-


ten werden

Wirkung: Primäreinkommensbezieher werden nicht belastet oder eingeschränkt. Begebung der Anlei-
he: Aktivtausch bei den Geschäftsbanken; Verausgabung durch den Staat: Bilanzverlängerung bei den
Geschäftsbanken. Die Giralgeldmenge wird in Höhe der Anleihe vergrößert. Konjunkturimpuls, Wachs-
tum, wenn nicht durch Sparen anderer Sektoren neutralisiert; Inflation, wenn zusätzliche staatliche
Nachfrage auf einen Verkäufermarkt stößt.

Der Staat hat jetzt 10 € Zentralbankgeld. Die Zentralbank (ZB) hat der Geschäftsbank (GB) den Betrag
gegen Einlieferung eines Wertpapiers ZB-Geld gutgeschrieben, mit dem die Bank die Anleihe kaufen
konnte. Der Staat gibt das Geld jetzt aus, zum Beispiel IT-Dienstleistungen:

Durch die Staatsausgabe ist Giralgeld in Umlauf gekommen. Der Staat hat ein negatives Eigenkapital

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(EK).

Variante 3: Anleihen, die die Zentralbank am Kapitalmarkt aufkauft und in ihrer


Bilanz hält

Wirkung: Primäreinkommensbezieher werden nicht belastet oder eingeschränkt. Wachstum des ZB-
Geldes bei Geschäftsbanken. Die Giralgeldmenge wird in Höhe der Anleihe vergrößert. Konjunkturim-
puls, Wachstum; Inflation, wenn die staatliche Nachfrage auf einen Verkäufermarkt stößt.

Alles wie in Variante 2, bloß dass die Anleihe in der ZB-Bilanz und nicht der GB-Bilanz auftaucht und
die Geschäftsbank höhere ZB-Geld-Liquidität verzeichnet.

Variante 4: Anleihen, die direkt durch die Zentralbank in ihre ZB-Bilanz über-
nommen werden

Wirkung: Primäreinkommensbezieher werden nicht belastet oder eingeschränkt. Wachstum des ZB-
Geldes bei den Geschäftsbanken. Die Giralgeldmenge wird in Höhe der Anleihe vergrößert. Konjunk-
turimpuls, Wachstum; Inflation, wenn die staatliche Nachfrage auf einen Verkäufermarkt stößt.

Ergebnis wie in Variante 3: Die Kreditierung ist direkt erfolgt und hat nicht den Umweg über einen
vorhergehenden Verkauf der Anleihe an Geschäftsbanken oder Privathaushalte und Unternehmen
genommen. Das Rating der Anleihe spielt keine Rolle.

Variante 5: Gewinne der ZB zugunsten des Staates mit der Aktivierung des Zen-
tralbankgeldes

Wirkung: Ist höchstwahrscheinlich nicht unabhängig vom Staat zu beurteilen, dessen Zentralbank
sich dieser unkonventionellen Buchungsmethodik bedient. Wirkung: Vermehrung des umlaufenden
Geldes, Konjunkturimpuls, Wachstum; Inflation, wenn die staatliche Nachfrage auf einen Verkäufer-
markt stößt.

Erster Schritt: Die ZB fabriziert 10 € Zentralbankgeld und passiviert es als Gewinn.

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Zweiter Schritt: Gewinnausschüttung der ZB an den Staat.

Dritter Schritt: Der Staat gibt das Geld jetzt aus, zum Beispiel für IT-Dienstleistungen:

Die Bilanzierung läuft in Variante 5 anders, weil das ZB-Geld von der Zentralbank aktiviert wird, als
wäre es Gold. Das führt zu einem Gewinn, der dem Staat gutgeschrieben wird. Der Staat verausgabt
es. Hier tritt die Besonderheit auf, dass die Geschäftsbank das von der Zentralbank überwiesene oder
übergebene Geld nicht selbst bilanziert, sondern außerhalb der eigenen Bilanz auf einem Treuhand-
konto verzeichnet. Der Staat hat sich nur scheinbar nicht verschuldet (s. u.).

Bei den Finanzierungsmethoden 2 – 5 wird das umlaufende Geld im Ausmaß der staatlichen Aus-
gaben vermehrt, soweit diesen Ausgaben nicht durch gleichzeitige Anwendung der Besteuerung oder
der Variante 1 – Geldvernichtung – gegenübersteht. Insoweit diese Methodik 2 – 5 auf gebundene
und nicht kurzfristig erweiterbare Ressourcen trifft, ist die Wirkung inflationär. Ansonsten ist sie kon-
junkturstabilisierend oder sogar wachstumsimpulsgebend.

Wenn man den Begriff der „Monetisierung von Staatsschulden“ nicht, wie üblich, auf die Variante 4
beschränken will, könnte man die Methoden 2 – 5 ebenfalls „Monetisierung von Staatsschulden“ nen-
nen und damit Bezug auf den Umstand der Erweiterung der Menge des umlaufenden Geldes durch
die die Staatsschulden verursachenden Staatsausgaben nehmen. Die Staatsschulden sind dann in
dem Sinne monetisiert, dass ihrer Höhe ein gleichlautender Betrag zusätzlichen umlaufenden Geldes
entspricht.

Verantwortliche Budgetpolitik wird unabhängig von der Wahl der oben angegebenen Varianten für
den Umfang der „Monetisierung von Staatsschulden“ anstreben, dass eine inländische Nichtverwen-
dung des Bruttosozialproduktes durch eine dieser Varianten der Monetisierung absorbiert und nur im
Rahmen realistischer Wachstumschancen überschritten wird. Bei einem sich selbst tragenden und
für Vollbeschäftigung ausreichenden Wachstum wird sie sich auf die Besteuerung und die Methode 1
beschränken.

An der Ausgaben- oder Besteuerungsschraube zu drehen, gehört unmittelbar zu den Kompetenzen


des Staates. Auf die Frage, ob die Geschäftsbanken oder die Nichtbanken Anleihen halten, hat der
Staat indes nur indirekt Einfluss. Solange der Staat durch seine Verschuldung Sparpläne im Nichts-

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taatssektor ermöglichen muss, spielt das aber keine Rolle.

Die getrennte Bilanzierung von Staat und Zentralbank ist für einen Staat mit eigener Zentralbank kün-
stlich. In Variante 3 und 4 wäre der Staat Kreditor und Debitor seiner selbst.

Unkonventionelle Buchungsmethodik als Dukatenesel

Bei Methode 5 könnte der Eindruck entstehen, dass die Staatsschulden nicht monetisiert worden
wären, weil sie bilanziell gar nicht in Erscheinung treten. Im Gegenteil: Es scheint so, als wäre, was zu-
vor eine Schuld bedeutete, nunmehr ein Vermögen. Wer einen realwirtschaftlich informierten Stand-
punkt einnimmt, sieht dagegen sofort, dass Buchungen keine realen Vermögen schaffen können. Das
sollen sie auch nicht, sie sollen sie verzeichnen.

Nehmen wir an, der Staat kaufte mit dem von der Zentralbank aktivierten und damit als Vermögensw-
ert und nicht als Verbindlichkeit verbuchten Geld im Ausland ein. Ist mit dem Wegfall der
Verbindlichkeitsbuchung eine Wirkung auf den Leistungsbilanzsaldo obsolet geworden? Hätte der
Einkauf des Staates im Ausland also dieselbe Wirkung, als wäre er mit Goldabflüssen bezahlt wor-
den? Natürlich nicht! Das für Importe an das Ausland überlieferte Geld bleibt für die ausländischen
Halter dieses Geldes eine auf die importierende Volkswirtschaft ausgestellte Forderung, die zum
Bezug von Gütern aus dieser Volkswirtschaft jederzeit berechtigt. Diese Forderungstitel sind durch
Staatsschulden in die Welt gekommen, auch wenn die zugehörige Zentralbank sie für den eigenen Ho-
heitsbereich als Vermögen wie z. B. Gold verbucht.

Es sind keine Gründe erkennbar, warum diese realwirtschaftlich fundierte Sichtweise nicht auch für in-
ländische Geschäftspartner des Staates gelten sollte. Mit der Methode 5 ist kein Weg entdeckt wor-
den, der Ziele erreichbar werden ließe, die nicht auch auf den anderen Wegen der monetären Staatsfi-
nanzierung erreichbar wären.

Geld in unserer modernen Welt der nicht mehr durch Gold oder andere Waren gedeckten Währungen
bleibt also immer eine Forderung/Verbindlichkeit, je nach der Position, die die Wirtschaftssubjekte als
Kreditor oder als Debitor einnehmen. Dieser Grundsatz bleibt auch gültig, wenn eine Zentralbank zur
Aktivierung ihres eigenen Zentralbankgeldes schreiten sollte.

Der Staat mit seinen Einnahmen, Ausgaben und Schulden im öffentlichen


Urteil

Das ungeschulte gemeine Bewusstsein reagiert auf alle aufgeführten Varianten negativ. Die Methode
der Besteuerung ist besonders unpopulär. Wer möchte schon Adressat staatlicher Geldforderungen
ohne direkte Gegenleistung sein. Keiner freut sich über eine hohe persönliche Steuerlast, die doch nur
ein anderer Ausdruck für hohe Einkommensab flüsse ist.

Paradoxerweise gilt die staatliche Entschuldung wiederum als etwas Positives, obwohl sie doch die
Besteuerung notwendigerweise voraussetzt. Sie verringert die Chancen für den Privatsektor, zu
sparen und führt ohne die Auslands- oder Unternehmensverschuldung in die Rezession, vermindert
damit Einkommen und verunmöglicht damit sogar den staatlichen Entschuldungsplan. Politik, Volk-

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swirte und ein Großteil der Bevölkerung übertragen für einzelwirtschaftliches Haushalten geltende
Regeln unbesehen auf den Staat. Die besondere Rolle des Staates wird nicht wahrgenommen, und Fi-
nanzminister, die sich von der Berücksichtigung einfachster makroökonomischer Zusammenhänge
befreit haben, erhalten den öffentlichen Applaus.

In der Eurozone sind die Varianten 4 und 5 ohnehin rechtlich nicht zugänglich. Die Variante 3 wird als
Quantitative-Easing-Politik offiziell zur Erzeugung einer kleinen Inflationsrate praktiziert, de facto ist
es eine indirekte Form der Monetisierung von Staatsschulden, mit der die EZB einige beteiligte Eu-
roländer vor einer gegen ihre Staatsanleihen gerichteten Spekulation geschützt und auf diesem Wege
ein Auseinanderbrechen der Eurozone herausgeschoben hat. Alle, die in Deutschland nun gegen die
niedrigen Zinsen protestieren, realisieren nicht, dass das deutsche Sparvergnügen ohne die gemein-
same Währung ein jähes Ende finden oder wieder auf die ungeliebten Staatsschulden angewiesen
sein wird.

Helikoptergeld oder Arbeitslohn?

Der Staat kann Ansprüche der Bürger in dem Ausmaß befriedigen, wie es das Bruttosozialprodukt (B-
SP) hergibt. Die Grenzen liegen im BSP, der realen Leistung der Volkswirtschaft und nicht in irgendwie
gearteten Liquiditätsschranken des Staates. Für den Umgang mit den Staatsausgaben und -schulden
stehen grundsätzlich unterschiedliche Wege offen. In einer Situation nicht ausgelasteter Ressourcen
der Volkswirtschaft bzw. nicht genutzter Wachstumschancen kann die „Anspruchs-Befriedigung“ pos-
itive konjunkturelle Wirkung haben, indem sie zu mehr Beschäftigung führt. Die reale Befriedigung
beruht allerdings immer auf realer Leistung (Güterproduktion, Dienstleistung) und nicht auf speziellen
Wegen der Finanzierung oder Buchung.

Die Entkoppelung von Leistung und Einkommen, wie sie mit der Forderung nach einem bedingungs-
freien Grundeinkommen oder der Idee des Helikoptergeldes verbunden ist, würde nicht an einer
Liquiditätsbegrenzung des Staates scheitern (was das mythosverblendete Wahlvolk nicht spitz krie-
gen darf) und im Rahmen der hier aufgezählten Wege der Staatsverschuldung oder Besteuerung
durchführbar sein. Der Staat müsste auch nicht zu unkonventionellen Verschuldungswegen oder
Buchungsmethoden greifen.

Heiner Flassbecks Kritik an dieser Idee liegt deshalb auch auf einer anderen Ebene: Das Bedingungs-
lose Grundeinkommen (BGE) ermöglicht den Empfängern, sich ganz oder teilweise aus der Erstellung
des BSP zu verabschieden, gleichwohl die Verwendung weiter zu beanspruchen; ein offensichtlich
nicht besonders stabiles System. Ich halte die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkom-
men zudem aus einem weiteren, politischen Grund für falsch. Nicht etwa, weil sie zu viel fordert, son-
dern umgekehrt, weil sie zu wenig fordert und den Staat aus seiner Verpflichtung entlässt, für
Vollbeschäftigung und qualifizierte Vorbereitung auf das Berufsleben zu sorgen. Die Teilhabe am ge-
sellschaftlichen Leben, vermittelt über eine Jahrzehnte des Lebens währende Teilhabe am ein Einkom-
men begründenden Arbeits- und Erwerbsleben ist ein unverzichtbarer biografischer Aktivposten.
Ohne ihn wäre z. B. die Emanzipation der Frauen nicht vorstellbar. Dagegen mutet das bedingungs-
lose Grundeinkommen wie eine staatliche Kapitulation an.

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Auf welchen Nenner können sich die an der Debatte beteiligten Stimmen eini-
gen?

Bei den Themen „bedingungsloses Grundeinkommen“ und „Helikoptergeld“ sehe ich keine Dif-
ferenzen. Es wird von Paul Steinhardt abgelehnt mit Zustimmung zu Flassbeck, der es schon lange
und ausführlich kritisiert hat (z. B. hier und hier). Martin Höpner äußert sich zu der Position von Flass-
beck ebenfalls zustimmend. Von Dirk Ehnts sind mir keine diese Art der Verausgabung von Staatsmit-
teln befürwortenden Äußerungen bekannt.

Wie steht es mit den Staatsanleihen und ihrer Verzinsung als Angebot für Sparer? Höpner hält sie
dann für fair, wenn ihre Verzinsung mindestens die Risiken der Inflation und des Wechselkurses
aufwiegt. Damit drückt er lediglich einen Wunsch aus und nicht die Behauptung, dass in der derzeiti-
gen Verfassung der Eurozone und bei niedrigen Investitionen ein höheres Zinsniveau überhaupt scha-
denfrei möglich wäre. Ehnts weist zurecht darauf hin, dass Zentralbanken und Regierungen keine
Verpflichtung haben, solche im Höpnerschen Sinne fairen Angebote mit Anleihen zu machen. Flass-
beck hält Staatsanleihen mit leicht positiver realer Verzinsung bei wachsender Wirtschaft für angerat-
en. Auch hier kann ich keine wirklichen Differenzen ausmachen.

Im Verständnis des Geld- und Fiskalsystems kann ich ebenso wenig einen Streit erkennen. Die Ein-
schätzungen der faktischen Handlungsoptionen der Zentralbank und des Staates zeigen, soweit ich
gelesen habe, keinen Dissens. Ebenso ist kein Streit darüber auszumachen, dass staatliche Kreditauf-
nahme privates Sparen absorbieren sollte. Kein Debattenteilnehmer argumentiert für Bud-
getbeschränkungen, die es dem Staat verwehren würden, seine Finanzkraft zur Bekämpfung von Ar-
beitslosigkeit einzusetzen.

Es bleiben zwei Punkte, die meinen Widerspruch hervorrufen: Der antiaufklärerische und damit let-
ztlich antidemokratische Klang eines angeblich notwendigen Mythos bei Höpner. Zudem bleibt Höpn-
er eine Erläuterung seines Menetekels schuldig. Er skizziert die Gleichzeitigkeit von Vertrauensverlust
in die Währung, Angstsparen und Flucht in Sachwerte als Merkmale des wirtschaftlichen Zusammen-
bruchs aufgrund von Anspruchsinflation. Angstsparer vermehren ihr Geldvermögen in der Währung,
der sie nicht vertrauen? Eigentümer von Geldvermögen, die sich wechselseitig Sachwerte abkaufen –
und per saldo das Geld natürlich nicht loswerden?

Höpner treibt allerdings eine Befürchtung um, die von der unpräzisen Terminologie der „von Steuer-
notwendigkeiten befreiten Staatsfinanzierung“ zu Recht befeuert wird. Insofern verstehe ich sein
Mythos-Plädoyer aus der Sorge um die Vermittelbarkeit einer radikalen Wende in der deutschen
Wirtschafts- und Fiskalpolitik motiviert – eine Sorge, die ich teile. Auch Flassbeck fokussiert in seinen
Beiträgen (zuletzt hier) neben der ökonomischen Analyse immer wieder die Frage der Vermittel-
barkeit. Er kommt zu dem auch von mir geteilten Schluss, dass die Finanzierungssalden der Sek-
toren – nicht aber die unbeschränkte Kraft des Staates, Zentralbankgeld für eigene Ausgaben zu emit-
tieren – den entscheidenden Hebel bieten, Augen und Geist des Publikums zu öffnen.

Ich halte es für grundsätzlich vermittelbar, dass der Staat Ermöglicher von Sparplänen der letzten Ins-
tanz sein muss, wenn die Wirtschaft laufen soll. Dass er dafür mit keinen Budgetbeschränkungen

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kämpfen muss, sieht ohnehin jeder wache Zeitungsleser, der die QE-Politik der EZB verfolgt. Sogar
das Ausbleiben einer Inflation wird inzwischen in den Medien kommuniziert. Sicherlich ist es gut und
wichtig, in der Fachdiskussion allen Schuldenphobikern das Geld- und Fiskalsystem zu erklären, so
wie es Steinhardt in seiner zutreffenden Kritik an Wolfgang Streeck getan hat. (hier)

Der zweite Punkt, an dem ich mich stoße, ist die Verwendung des Terminus Finanzierung, vor allem
ohne Erhebung von Steuern, in Zusammenhang mit den Staatsausgaben anstelle von Emission und
Vernichtung von Zentralbankgeld. Dadurch verwickelt man sich in unnötige, fehlleitende Erklärungen
wie „der Staat könnte ohne Steuern, sollte aber nicht ohne Steuern …“. Wenn der Staat die Steuern
zur Finanzierung angeblich nicht benötigt, freut sich zunächst jeder und soll dann hören „zu früh ge-
freut!“. Auch Flassbeck spießt diesen Punkt mit Recht auf und verzichtet – zwar aus Selbstschutz
und nicht theoretischen Gründen – auf den fehlleitenden Terminus „finanzieren“:

Steuern braucht man, um Inflation zu vermeiden, aber man braucht sie nicht, um
staatliche Ausgaben zu finanzieren. Also braucht man sie doch, wenn man infla-
tionsfrei (und das will ja jeder!) staatliche Ausgaben durchführen will. Ich habe jetzt
bewusst das Wort „durchführen“ benutzt und nicht „finanzieren“, weil mir bei „fi-
nanzieren“ sofort wieder die gesamte MMT an die Gurgel gegangen wäre. (hier)

Steuern haben eben nichts mit der Ermöglichung von Staatsausgaben zu tun. Umgekehrt er-
möglichen die Ausgaben die Besteuerung, die der Staat in der Tat unverzichtbar nötig hat, u. a. wenn
er auf sein Inflationsziel hinarbeiten oder sich Verfügungsmacht über reale Ressourcen sichern will.

Der Mythos-Streit scheint mir einen jedenfalls nicht theoretischen und bislang nicht ausreichend klar
benannten Gegenstand zu haben: Die Frage, wie und mit welchen Botschaften sich Mitstreiter am
wirksamsten finden lassen, die bei der Umstellung des deutschen merkantilistischen Wirtschaftsmod-
ells mit wirksam sein wollen, eine Umstellung auf ein Modell auf der Basis inländischer Nachfrage –
unter Beachtung der Kriterien des in Deutschland immer noch gesetzlich vorgeschriebenen
magischen Vierecks.

Ich kann zum Schluss nur Flassbeck zustimmen, der die deutsche Schuldenphobie mit ihrer Fixiertheit
auf die schwarze Null durch unermüdliche Erläuterung der Finanzierungssalden der Sektoren kurieren
will und sie damit zum archimedischen Punkt seiner Aufklärungsarbeit macht. Er rät für mich überzeu-
gend – auch und gerade in seinem jüngsten Artikel zur MMT, der mich erst zum Abschluss meines ei-
genen Artikels erreicht – dazu, Vorteile der Monetisierung von Staatsschulden gar nicht erst zu pro-
pagieren. Sie ist wie die Besteuerung ein Instrument der wirtschaftlichen Globalsteuerung durch den
Staat. Ein Beispiel für die indirekte Monetisierung von Staatsschulden mit einer weitgehenden Ent-
machtung der Kapitalmärkte im Hinblick auf die Verzinsung der Staatsverschuldung in der Eurozone
hat die EZB ja schon jüngst vor aller Augen geliefert. Umso dringlicher ist jetzt eine radikale Umkehr in
der deutschen Wirtschafts- und Fiskalpolitik.

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Veröffentlicht am: 24.04.2018


Erschienen unter:
https://makroskop.eu/2018/04/streit-um-die-monetaere-staatsfinanzierung/

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