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r e p o r t fachwissenschaftlicherteil
TBS-TK
Testbeurteilungssystem –
Testkuratorium
TBS-TK
Rezension Rezension
der Föderation deutscher
Psychopathic Personality Inventory – Psychologenvereinigungen
Revised, Deutsche Version
(PPI-R)
D i r k H a l l n e r, M o n i k a H as e n b r i n g Medizinische Psychologie
und Medizinische Soziologie, Ruhr-Universität Bochum
J ü rgen H oy er, Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie,
Technische Universität Dresden

Allgemeine Informationen über den Test, Objektivität


Beschreibung des Tests und Die Voraussetzungen hinsichtlich der fachlichen
seiner diagnostischen Zielsetzung Qualifikation des Untersuchers sowie zur Untersu-
Die deutsche Version des PPI-R basiert auf der engli- chungssituation werden spezifiziert. Die Hinweise
schen Originalfassung von Lilienfeld und Widows (Lili- zur Durchführung des Tests enthalten mehrere
enfeld, S. O. & Widows, M. R. [2005]. Psychopathic Per- Anweisungen zur motivationalen Beeinflussung des
sonality Inventory Revised [PPI-R]. Professional Manu- Testkandidaten, z.B.: »Der Testleiter sollte versu-
al. Lutz, F. L: Psychological Assessment Resources), wel- chen, bei den Probanden eine möglichst positive
che zur Erfassung der Psychopathie als Persönlichkeits- Einstellung gegenüber dem Test herzustellen.« Es ist
konstrukt konstruiert wurde. Es handelt sich um ein somit anzunehmen, dass aufgrund der Interpretation
Selbstbeschreibungsinstrument mit 154 Items. Der Test und der Umsetzung dieser Instruktionen die Variabi-
kann als Einzel- und Gruppentest von geschultem Per- lität über verschiedene Testleiter hinweg zunimmt
sonal durchgeführt werden; die Durchführungszeit wird und die Beantwortung der Items beeinflusst, welches
mit bis zu 45 Minuten angegeben. Der Schwerpunkt der zu einer Verringerung der Durchführungsobjektivität
derzeitig möglichen Anwendungen des Verfahrens liegt führen kann. Die Auswertungs- und Interpretations-
in der forensischen und klinischen Forschung, aufgrund objektivität des PPI-R können aufgrund der Gestal-
ausstehender Validitätsuntersuchungen jedoch weniger tung der Testmaterialien und der verständlichen Dar-
in der forensischen Begutachtung. stellungen im Testmanual zunächst angenommen
Psychopathie wird auf acht Skalen erfasst (Schuldexter- werden. Einschränkungen ergeben sich bei der Aus-
nalisierung, rebellische Risikofreude, Stressimmunität, wertungsobjektivität, da Hinweise zum Umgang mit
sozialer Einfluss, Kaltherzigkeit, machiavellistischer Ego- ausgelassenen Antworten und die Angabe der Gren-
ismus, sorglose Planlosigkeit, Furchtlosigkeit), hinzu zen fehlen, ab wann von einer Interpretation des
kommt eine Lügenskala (unaufrichtige Beantwortung). PPI-R abgeraten werden muss. Allerdings gibt es
Zur deutschen Version gibt es erste Befunde zur Relia- Hinweise darauf, dass bei »Unaufrichtiger Beantwor-
bilität und Validität, vornehmlich an Studenten und tung« mit T > 60 die Auswertung des PPI-R fraglich
einer kleineren Stichprobe des Maßregelvollzugs. ist. Hinsichtlich der Interpretationsobjektivität fin-
den sich kurze Beschreibungen der einzelnen Skalen;
Theoretische Grundlagen als Beispiele zur Interpretation und Integration der Ska-
Ausgangspunkt der Testkonstruktion lenwerte fehlen allerdings.
Der PPI-R übernimmt die Psychopathiekonzepte von
Cleckley und Hare. Grundlegend für die Skalenkonstruk- Normierung (Eichung)
tion ist Checkleys Definition eines psychopathischen Für den PPI-R in deutscher Übersetzung liegen T-
Menschen, der oberflächlich charmant, egozentrisch, Werte (auch umgewandelt in Prozentränge) einer
unverbindlich und unehrlich ist, keine Reue zeigt, auch studentischen Stichprobe im Altersbereich von 18
bei objektiver Bedrohung furchtlos ist und unfähig ist, bis 25 Jahren und differenziert nach Geschlecht (N =
vertrauensvolle Beziehungen einzugehen. Aufgrund der 352) vor. Die Normtabellen existieren sowohl für den
in herkömmlichen diagnostischen Verfahren fehlenden Gesamtwert »Psychopathie« als auch für die acht
graduellen Abstufung von Psychopathie und deren aus- Skalen des PPI-R; klinische Normgruppen stehen
schließlicher Beurteilung mit Hilfe von Fremdeinschät- noch aus. Zusätzlich ist auch eine Normtabelle zur
zungen entwickelten sich im englischen Sprachraum Bewertung der »Unaufrichtigen Beantwortung« ent-
reportpsychologie ‹36› 1|2011

Selbstbeurteilungsverfahren der Psychopathie. Die gra- halten. Die Testautoren halten die Anwendbarkeit
duelle Messung des Konstrukts erlaubte in der Forschung bei älteren Probanden für möglich und verweisen
die Anwendung des PPI-R auch bei gesunden Proban- bei jugendlichen Probanden auf noch ausstehende
dengruppen. Die Originalfassung des PPI-R wurde von Validierungen. Untersuchungen zur Altersstabilität
den Autoren übersetzt, und die Struktur der Originalfas- der Testskalen im Erwachsenenalter werden nicht
sung des PPI-R wurde faktorenanalytisch repliziert. berichtet.

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anderen Testskalen des KPI-R. Ebenfalls konnten für die


T B S -T K
R e z e n s i o n
PPI-R Die TBS-TK-Anforderungen
sind erfüllt Skalen »Kaltherzigkeit«, »Sorglose Planlosigkeit«,
»Rebellische Risikofreude« und »Persönliches Leid« sig-
voll weit- teil- nicht
gehend weise nifikante Korrelationen zu Faktoren des Saarbrücker
Persönlichkeitsfragebogens (SPF) gefunden werden. Die
Testbeurteilungssystem – Allgemeine Informa- zugrunde liegende Stichprobe kann allerdings nicht
Testkuratorium der tionen, Beschreibung
Föderation deutscher und diagnostische • ermittelt werden. Ein Befund zur Kriteriumsvalidität
Psychologenvereinigungen Zielsetzung (drei der acht Skalen des PPI-R sagen Verhalten in
einem »Gefangenendilemma-Spiel« vorher) wurde kürz-
Objektivität • • lich publiziert (Mokros, A. et al. [2008]. Diminished
cooperativeness of psychopaths in a prisoner's dilemma
Zuverlässigkeit • • game yields higher rewards. Journal of Abnormal Psy-
Validität • • chology 117, 406-413). Weitere Befunde zur Kriteriums-
validität (insbesondere zur Übereinstimmung mit auf
Fremdeinschätzung beruhenden Standardmaßen der
Psychopathie) sind dringend erforderlich. Empirische
Zuverlässigkeit (Reliabilität, Messgenauigkeit) Belege für die prognostische Validität fehlen.
Das Testmanual weist die Ergebnisse zur internen Kon-
sistenz des Gesamttests und zu den Testskalen des PPI- Weitere Gütekriterien (Störanfälligkeit,
R aus. Die zugrunde liegende Stichprobe wird nicht Unverfälschbarkeit und Skalierung)
berichtet. Die interne Konsistenz des Gesamttests kann Zur Kontrolle der Verfälschbarkeit enthält das PPI-R
mit α = 0,85 als ausreichend betrachtet werden, wäh- eine Skala mit 23 Items, welche »systematisches Ankreu-
rend die internen Konsistenzen der jeweiligen Testskalen zen oder Manipulationsversuche« aufdecken soll. Durch
nur teilweise ein ausreichendes Niveau erreichen. Die die geringe Reliabilität dieser Skala ist die Zuverlässig-
Spanne der internen Konsistenzen variiert von α = 0,65 keit der Kontrolle allerdings beschränkt. Da gerade von
(»Unaufrichtige Beantwortung«) bis α = 0,88 (»Schuldex- hoch psychopathischen Menschen behauptet wird, dass
ternalisierung«). Neben der Skala »Unaufrichtige Beant- sie die Tendenz haben, häufig zu lügen und manipulativ
wortung« zeigen vier weitere Skalen interne Konsisten- zu sein, können hohe Werte auf der Psychopathieskala
zen kleiner 0,80. Die Item-Trennschärfen der jeweiligen (außer allenfalls in anonymen Untersuchungen) nur von
Testskalen liegen im Bereich von 0,01 bis 0,79. Zuguns- ehrlichen Menschen oder Simulanten, aber nicht von
ten der Vergleichbarkeit mit der Originalversion des Psychopathen erreicht werden, was aber ein Wider-
Tests verzichteten die Testautoren auf die Streichung spruch in sich selbst ist. Zur Manipulierbarkeit und Vali-
einiger Items, welches aber aufgrund der zu erwarten- dität dieser Lügenskala finden sich keine ausreichenden
den Verbesserung der Reliabilitätsschätzungen notwen- Angaben, womit das angesprochene Paradoxon nicht
dig erscheint. Angaben zur Retestreliabilität fehlen. überzeugend beherrscht wird. Zur Minimierung der
Antworttendenz in Richtung sozialer Erwünschtheit fin-
Gültigkeit (Validität) den sich Hinweise zur Instruktion der Probanden. Durch
Die Inhaltsvalidität wird aus der in Wortlaut und Bedeu- negierte Item-Formulierungen kann es zu Falschantwor-
tung möglichst kongruenten Überführung des deut- ten kommen, was die Handhabbarkeit einschränkt.
schen PPI-R aus der englischsprachigen Originalversion
abgeleitet, jedoch nicht näher erläutert. Die faktorielle Abschlussbewertung/Empfehlung
Validität ist aufgrund der mitgeteilten Informationen Die bislang vorliegende deutsche Version des PPI-R ist
nicht sicher beurteilbar. Zur Überprüfung der Kon- ein neues Instrument zur graduellen Messung von
struktvalidität des PPI-R wurden die Mittelwertsunter- Aspekten der Psychopathie mit Hilfe eines Selbstbeur-
schiede der Testskalen einer studentischen Gruppe teilungsverfahrens, welches die diagnostischen Mög-
gegen eine forensische Stichprobe getestet. Aufgrund lichkeiten in der klinischen Psychologie und Forensik
von Diskrepanzen zwischen textlichen und tabellari- erweitern soll. Die Vergleichbarkeit des Instruments mit
schen Darstellungen sind die Ergebnisse nicht eindeutig der englischen Originalfassung lässt eine Verwendbar-
nachvollziehbar. Mindestens fünf der zur Überprüfung keit besonders in Forschungskontexten erwarten. In
berechneten t-Tests weisen auf hypothesenkonforme diesem Rahmen könnten Verbesserungen der bislang
Ergebnisse hin, während in zwei Skalen (»Kaltherzig- unzulänglichen Durchführungsobjektivität erarbeitet
keit« und »Sozialer Einfluss«) die studentische Gruppe und Überprüfungen der Skalenkonstruktion im Hinblick
höhere Werte erreichte. Diese hypothesenkonträren auf die teilweise schwachen Reliabilitätsschätzungen
Befunde werden nicht diskutiert. Es werden signifikan- durchgeführt werden. Ebenfalls stehen noch Untersu-
te Korrelationen einzelner Testskalen mit anderen chungen zur prognostischen Validität des Verfahrens in
reportpsychologie ‹36› 1|2011

Selbstbeurteilungsinstrumenten (Trait-Angst, STAI; klinischen und forensischen Populationen aus. Hierzu


soziale Erwünschtheit, SDS; soziale Ängstlichkeit, SPAI) scheint ergänzend eine Überarbeitung der Skala
berichtet. Die konvergente Validität des Gesamttest- »Unaufrichtige Beantwortung« aufgrund der teilweise
wertes mit dem Kieler Psychopathie Inventar – Revision fehlenden Item-Trennschärfen notwendig. Einschrän-
(KPI-R) wird mit r = 0,78 angegeben. Darüber hinaus kend gilt ferner, dass die Ergebnisse zur Faktorkongru-
korrelieren mehrere Testskalen des PPI-R mit mehreren enz nur oberflächlich berichtet werden. Untersuchun-

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r e p o r t fachwissenschaftlicherteil
gen zur Altersstabilität der Testskalen und der Faktoren- T E S T I N F O R M A T I O N E N
lösung wären für die Verwendbarkeit des PPI-R in gut-
achterlichen Kontexten eine wichtige Grundlage; ein Alpers, G. W. & Eisenbarth, H. (2008).
Einsatz in diesem Bereich scheint auf dem derzeitigen Psychopathic Personality Inventory – Revised,
Entwicklungsstand des Verfahrens noch nicht möglich. Deutsche Version (PPI-R).
Verbesserungen für eine revidierte Form sind durch die Göttingen: Hogrefe.
Testautoren bereits angekündigt worden und sollen
besonders die Testnormierung und die Gütekriterien
betreffen. Bezugsquelle: Testzentrale Göttingen,
In der Praxis der klinischen und forensischen Diagnostik Robert-Bosch-Breite 25,
ist momentan der Einsatz von validierten Fremdein- 37079 Göttingen.
schätzungsskalen, insbesondere im Prognosebereich,
weiter unverzichtbar und der diagnostische Zugewinn
durch die PPI-R noch fragwürdig, wenngleich einige Test komplett: 66 €.
Arbeiten bereits auf eine Validität der Selbstberichts- Manual: 48 €.
skalen hinweisen. 25 Fragebogen: 40 €.
50 Auswertungsbogen: 19 €.
Diese Testrezension wurde im Auftrag des Testkuratoriums
der Föderation deutscher Psychologenvereinigungen
(DGPs und BDP) gemäß den TBS-TK-Richtlinien (Testku- Bitte zitieren Sie diesen Artikel wie folgt:
ratorium, 2009, 2010) erstellt. Hallner, D., Hasenbring, M. & Hoyer, J. (2010).
Testkuratorium. (2009). TBS-TK. Testbeurteilungssystem TBS-TK Rezension: »Psychopathic Personality Inventory
des Testkuratoriums der Föderation Deutscher Psycholo- – Revised, Deutsche Version (PPI-R)«.
genvereinigungen. Revidierte Fassung vom 09. September Report Psychologie,
2009. Report Psychologie, 34, 470-478. 36. Jahrgang, Heft 1, S. 23-25.
Testkuratorium. (2010). TBS-TK. Testbeurteilungssystem
des Testkuratoriums der Föderation Deutscher Psycholo-
genvereinigungen. Revidierte Fassung vom 09. September
2009. Psychologische Rundschau, 61, 52-56.

DPV
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OBERBERG
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