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Fortbildung

Kriterien bei der Begutachtung der Posttraumatischen


Belastungsstörung (PTBS)
VNR 2760602016064370005
Harald Dreßing

Einleitung matik wichtig. Einerseits müssen tatsäch- gehabten Traumatisierung im Heimat-


lich an einer PTBS leidende Patienten kor- land des Probanden weder beweisen
Die weltweit zu beobachtende Flucht von rekt diagnostiziert werden, und es muss noch widerlegen.
Menschen vor Krieg, Gewalt, Verfolgung ihnen die erforderliche Hilfe und die ihnen • Der Facharzt für Psychiatrie und Psy-
und Hunger stellt auch für die medizini- möglicherweise zustehende finanzielle chotherapie ist aufgrund seiner Weiter-
schen Versorgungssysteme in Deutsch- Kompensation schnell gewährt werden. bildung der kompetente Ansprechpart-
land eine große Herausforderung dar. Ne- Langwierige gerichtliche Auseinanderset- ner für diese Gutachtenfragen. Ärzte
ben der Versorgung somatischer Krank- zungen können eine tatsächlich vorhan- anderer Fachrichtungen sollten aber
heiten kommt der Diagnostik und Thera- dene PTBS Symptomatik nämlich weiter über Grundkenntnisse der PTBS Symp-
pie psychischer Erkrankungen eine hohe verstärken. Dies darf aber nicht zu einem tomatik verfügen.
Bedeutung zu. In einer in einer bayrischen leichtfertigen Umgang mit dieser Diagno-
zentralen Aufnahmeeinrichtung für se und einer unkritischen Ausweitung von Diagnostische Kriterien der PTBS
Flüchtlinge durchgeführten Studie wur- Traumafolgestörungen führen. Ärztinnen
den bei 63,6 Prozent der Flüchtlinge eine und Ärzte kommt bei der Begutachtung Die diagnostischen Kriterien der PTBS nach
oder mehrere psychiatrische Diagnosen der PTBS insoweit eine hohe Verantwor- ICD 10 und DSM 5 unterscheiden sich
gestellt, wobei die Posttraumatische Be- tung zu [5]. nicht unerheblich. Auch wenn im deut-
lastungsstörung (PTBS) mit 32,2 Prozent Ein wesentlicher Leitfaden für einen pro- schen Rechtssystem Diagnosen nach
am häufigsten vorkam [1]. Die Angaben fessionellen Umgang mit der Thematik, ICD 10 zu stellen sind, ist es insbesondere
zur Prävalenz der PTBS in weniger belas- sind die in den Diagnosemanualen ICD 10 bei schwierigen Fällen sinnvoll, auch die
teten Stichproben haben eine weite Band- und DSM 5 operationalisierten Diagnose- Kriterien des DSM 5 zu prüfen, da diese we-
breite, die durch unterschiedliche Studi- kriterien. Diese diagnostischen Kriterien sentlich stärker operationalisiert sind und
endesigns und durch unterschiedliche di- werden deshalb in dieser Arbeit darge- die Diagnose deshalb besser nachvollzieh-
agnostische Kriterien in der ICD 10 und stellt und erklärt. bar ist. Die diagnostischen Kriterien der
dem DSM 5 bedingt sind. In den USA fin- ICD 10 und des DSM 5 für die PTBS sind in
det sich in der Allgemeinbevölkerung eine Besondere Situation bei der Tabelle 1 und 2 dargestellt. Es ist darauf zu
hochgerechnete Lebenszeitprävalenzrate Begutachtung von Asylbewerbern achten, dass diese Kriterien alle sorgfältig
von etwa 8 Prozent [2]. In Europa liegen geprüft werden. Um die Diagnose einer
die Schätzungen mit 0,5–1 Prozent deut- Begutachtungen in Asylverfahren können PTBS zu stellen, müssen alle Kriterien in der
lich niedriger [3]. Für Deutschland wer- den Gutachter vor besondere ethische, erforderlichen Ausprägung vorhanden
den 1-Monatsprävalenzraten von 1–3 professionelle und menschliche Probleme sein.
Prozent berichtet [4]. stellen. Die folgenden Grundsätze sollten Der Einsatz von Selbstbeurteilungsskalen
Ergebnisse aus wissenschaftlichen epide- deshalb in dieser Situation besonders be- ist für eine gutachtliche Einschätzung nicht
miologischen Untersuchungen können je- achtet werden [6]. hilfreich, da diese lediglich die subjektive
doch nicht unkritisch auf die individuelle • Gutachten mit aus ärztlicher Sicht Wirklichkeit des Probanden abbilden. Auf
Begutachtungssituation in der täglichen ethisch nicht vertretbaren, verkürzten Selbstbeurteilungsskalen kann im Gutach-
Praxis übertragen werden. Für den begut- Fragestellungen sollten abgelehnt wer- ten deshalb entweder komplett verzichtet
achtenden Arzt ist es notwendig, dass er den. werden, oder sie können genutzt werden,
sich hierbei weder von den Interessen und • Bei Gutachten mit asyl- und ausländer- um in der klinischen Untersuchung evident
Wünschen des zu begutachtenden Pro- rechtlichen Fragestellungen handelt es werdende Diskrepanzen zwischen subjek-
banden noch von möglichen Intentionen sich in der Regel um sehr zeitaufwendi- tiver Selbsteinschätzung und psychopatho-
des Gutachtenauftraggebers beeinflussen ge Aufgaben. Anfragen, solche Gutach- logischem Befund zu untermauern [7].
lässt, sondern sich strikt an die professio- ten im Rahmen pauschal vergüteter Das Vorhandensein einzelner Kriterien
nellen Regeln der Diagnostik und Begut- „Kurzgutachten“ zu bearbeiten, sollten reicht für die Diagnose einer PTBS nicht
achtung hält. Aufgrund der zunehmenden abgelehnt werden. aus. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass al-
Häufigkeit der PTBS-Diagnose ist eine in- • Die klinisch-psychiatrische Begutach- le Kriterien der PTBS grundsätzlich völlig
tensive Auseinandersetzung mit der The- tung kann das Vorliegen einer statt- unspezifisch sind. Nur in Verbindung mit ei-

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Tabelle 1: Diagnostische Kriterien der PTBS in ICD 10 und Ärzte dürfen sich für solche Aufgaben
nicht instrumentalisieren lassen.
A. Die Betroffenen sind einem kurz- oder langhaltenden Ereignis oder Gesche- Ärztliche Aufgabe ist es aber zu prüfen, ob
hen von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß die vom Auftraggeber als Tatbestand vor-
ausgesetzt, das nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde. gegebene Situation die Traumakriterien
der ICD 10 und/oder des DSM 5 erfüllt
B. Anhaltende Erinnerungen oder Wiedererleben der Belastung durch aufdringli-
(so genanntes A-Kriterium). Dabei ist zu
che Nachhallerinnerungen (Flashbacks), lebendige Erinnerungen, sich wieder-
beachten, dass sich die Traumakriterien in
holende Träume oder durch innere Bedrängnis in Situationen, die der Belas-
ICD 10 und DSM 5 unterscheiden (siehe
tung ähneln oder mit ihr in Zusammenhang stehen.
Tab. 1 und 2). Bagatellereignisse können
C. Umstände, die der Belastung ähneln oder mit ihr im Zusammenhang stehen, nicht als traumatisches Erlebnis angese-
werden tatsächlich oder möglichst vermieden. Dieses Verhalten bestand nicht hen werden. Zu Beginn der Untersuchung
vor dem belastenden Erlebnis. sollten die in Rede stehenden traumati-
schen Erlebnisse nicht direkt angespro-
D. Entweder 1. oder 2. chen werden. Vielmehr sollte zunächst ein
1. Teilweise oder vollständige Unfähigkeit, einige wichtige Aspekte der Belas- tragfähiger Gesprächskontakt hergestellt
tung zu erinnern. werden. Im weiteren Verlauf der Explorati-
2. Anhaltende Symptome einer erhöhten psychischen Sensitivität und Erre- on sind dann das Vorhandensein und der
gung (nicht vorhanden vor der Belastung) mit zwei der folgenden Merkmale: Ausprägungsgrad der einzelnen Kriterien
a) Ein- und Durchschlafstörungen (siehe Tab. 1 und 2) zu beurteilen. Bei der
b) Reizbarkeit oder Wutausbrüche Exploration der traumatischen Erlebnisse
c) Konzentrationsschwierigkeiten ist auch auf die Reaktion und das Verhal-
d) Hypervigilanz ten des Probanden zu achten, da eine af-
e) erhöhte Schreckhaftigkeit. fektive Reaktion beim Bericht des trauma-
tischen Erlebnisses in der Regel zu erwar-
E. Die Kriterien B., C. und D. treten innerhalb von sechs Monaten nach dem Be-
ten ist und insoweit ein diagnostisches
lastungsereignis oder nach Ende einer Belastungsperiode auf. (In einigen spe-
Kriterium darstellt (Kriterium B 4 und B 5
ziellen Fällen kann ein späterer Beginn berücksichtigt werden, dies sollte aber
in Tab. 2).
gesondert angegeben werden).
Auch wenn das klinische Bild der PTBS
vielgestaltig sein kann, müssen auf der Be-
fundebene sowohl typische Symptome
nem Trauma ergibt sich das typische Syn- vorgelegen hat oder nicht. Solche An- des Wiedererlebens (Intrusionen; B Krite-
drom der PTBS [8, 9]. knüpfungstatsachen müssen der Ärztin rien der Tab. 1 und 2) als auch eines Ver-
Wenn die diagnostischen Kriterien der bzw. dem Arzt vom Auftraggeber mitge- meidungsverhaltens traumaassoziierter
PTBS nicht vollumfänglich erfüllt sind, teilt werden. Sofern dies aus dem Gutach- Situationen (C Kriterien der Tab. 1 und 2)
werden in der Praxis häufiger die Begriffe tenauftrag nicht hervorgeht, sollte man nachweisbar sein.
einer „komplexen Posttraumatischen Be- sich vorab mit dem Auftraggeber in Ver- Die B-Kriterien, von denen nach DSM 5
lastungsstörung bzw. der einer „komple- bindung setzen und in Erfahrung bringen, mindestens eines festgestellt werden
xen Traumafolgestörung“ verwendet. Die- von welchen Anknüpfungstatsachen aus- muss, umfassen das Cluster der Intrusio-
se Begriffe sollten in Gutachten nicht ver- zugehen ist. nen mit wiederkehrenden, unwillkürlichen,
wendet werden, da sie zumindest bisher in In der täglichen Praxis hat sich allerdings belastenden Erinnerungen, wiederkehren-
keinem der einschlägigen psychiatrischen ein Vorgehen eingeschlichen, das von die- den und belastenden Albträumen, disso-
Diagnosemanuale aufgeführt sind. Auch sem Grundsatz eklatant abweicht. So wird ziativen Reaktionen (z. B. Flashbacks), in-
die in manchen psychotherapeutischen zum Beispiel von Rechtsanwälten oder der tensiver und anhaltender psychischer Be-
Berichten aufgeführte Diagnose einer Ausländerbehörde ein Gutachten in Auf- lastung bei der Konfrontation mit inneren
„subsyndromalen PTBS“ ist weder eine trag gegeben, mit der Intention, über die oder äußeren Hinweisreizen, intensive
ICD-10 noch eine DSM 5 Diagnose und für Symptome einer PTBS das authentische emotionale Reaktionen oder erhöhte phy-
die gutachtliche Beurteilung deshalb nicht Vorliegen einer stattgehabten Traumati- siologische Reagibilität bei Traumaerinne-
zielführend. sierung belegen oder ausschließen zu wol- rungen mit äußeren oder inneren Hinweis-
Grundsätzliche Voraussetzung zur Diag- len. Dies kann eine gutachtliche Untersu- reizen.
nose einer PTBS sowohl nach ICD 10 als chung aber nicht leisten, denn die Symp- Für die Befunderhebung ist es wichtig zu
auch nach DSM 5 ist ein traumatisches Er- tome der PTBS sind völlig unspezifisch beachten, dass der Begriff der Intrusion
eignis. An dieser Stelle soll explizit darauf und können grundsätzlich von Probanden nicht die bloße Erinnerung an das trauma-
hingewiesen werden, dass es nicht die auch vorgetäuscht werden. Es ist deshalb tische Erleben beinhaltet. Es wäre völlig
Aufgabe des Gutachters ist, festzustellen, ausdrücklich vor solchen unklaren Gut- abwegig davon auszugehen, dass sich ein
ob eine traumatische Situation tatsächlich achtenaufträgen zu warnen. Ärztinnen Mensch, der ein traumatisches Erlebnis

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Tabelle 2: Diagnostische Kriterien der PTBS nach DSM 5 D. Negative Veränderungen der Kognitionen und der Stim-
mung nach dem Trauma. Mindestens zwei der folgenden
A. Bedrohung mit Tod, ernsthafter Verletzung oder sexueller Ge-
Symptome liegen vor:
walt in einer oder mehreren der folgenden Formen:
1. Unfähigkeit sich an wichtige Aspekte des Traumas zu er-
1. Direktes Erleben eines der traumatischen Ereignisse
innern (als Folge einer dissoziativen Amnesie und nicht
2. Persönliches Miterleben eines dieser traumatischen Ereig- durch andere Faktoren wie z. B. eine Hirnverletzung, Alkohol
nisse bei anderen Personen oder Drogen bedingt).

3. Mitteilung, dass eines der traumatischen Ereignisse einem 2. Persisierende und übersteigerte negative Kognitionen
engen Familienmitglied oder einem Freund widerfahren ist. Im oder Erwartungen in Bezug auf sich selbst, andere oder die
Falle eines Todesfalles (drohenden Todes) muss dieser durch Welt (z. B. „ich bin schlecht“, Man kann niemandem trauen“,
einen Unfall oder eine Gewalthandlung eingetreten sein. „die gesamte Welt ist gefährlich“, „mein gesamtes Nerven-
system ist für immer zerstört“).
4. Wiederholte Konfrontation mit aversiven Details einer
traumatischen Situation (z. B. Notfallhelfer, die Leichenteile 3. Andauernde kognitive Verzerrungen in Hinblick auf die
einsammeln müssen, Polizeibeamte, die wiederholt mit De- Ursachen oder die Folgen der traumatischen Situation, die
tails kindlicher Missbrauchsgeschichten konfrontiert sind). dazu führen, dass die Person sich selbst oder anderen Vor-
(Das A 4 Kriterium trifft nicht auf die Exposition durch elek- würfe macht.
tronische Medien, Fernsehen, Film oder Bilder zu, es sei denn 4. Anhaltende negative Emotionen (z. B. Angst, Furcht, Är-
die Exposition ist beruflich bedingt.) ger, Schuld, Scham)
B. Eines oder mehrere der folgenden Intrusionssymptome, die
mit dem Trauma assoziiert sind und nach dem Trauma auf- 5. Deutlich vermindertes Interesse an wichtigen Aktivitäten
treten: 6. Gefühl der Entfremdung von anderen Personen
1. Wiederholte eindringliche belastende Erinnerungen an das
7. Anhaltende Unfähigkeit, positive Emotionen zu empfin-
traumatische Erlebnis.
den (z. B. Fröhlichkeit, Zufriedenheit, Liebe)
(Bei Kindern > 6 Jahre kann das traumatische Erleben in wie-
derholten Spielszenen ausgedrückt werden, in denen Aspek- E. Anhaltende Symptome erhöhten Arousals und übersteiger-
te des Traumas dargestellt werden.) ter Reaktionen. Mindestens zwei der folgenden Symptome
liegen vor:
2. Wiederholte und belastende Träume, in denen der Inhalt
und/oder der Affekt des Traums in Beziehung zum Trauma 1. Irritabilität und aggressive Ausbrüche (ohne oder nach gerin-
stehen. ger Provokation), die sich in verbalen oder körperlichen Aggres-
(Bei Kindern können Angstträume ohne erkennbaren Inhalt sionen gegen andere Personen oder Objekten manifestieren.
vorkommen)
2. Rücksichtslosigkeit und selbstzerstörerisches Verhalten
3. Dissoziative Symptome (z. B. Flashbacks), in denen die
Person fühlt oder handelt, als ob sich die traumatische Situa- 3. Gesteigerte Wachsamkeit
tion gerade wiederholt. (Die Reaktionen können in einem
4. Übertriebene Schreckreaktionen
Kontinuum vorkommen, wobei bei einer maximalen Ausprä-
gung ein völliger Verlust der Wahrnehmung der aktuellen 5. Konzentrationsschwierigkeiten
Umgebung auftreten kann.)
6. Schlafstörungen (Ein- oder Durchschlafstörungen, unruhi-
4. Intensive oder anhaltende psychische Belastung bei Kon- ger Schlaf)
frontation mit internen oder externen Reizen, die die trau-
matische Situation symbolisieren oder an einen Aspekt des F. Das Störungsbild (Kriterien B, C, D und E) dauert länger als
Traumas erinnern. ein Monat.

5. Deutliche körperliche Reaktionen bei Konfrontation mit G. Das Störungsbild verursacht klinisch bedeutsames Leiden
internen oder externen Reizen, die die traumatische Situati- oder eine Beeinträchtigung der sozialen, beruflichen oder
on symbolisieren oder an einen Aspekt des Traumas erin- anderer bedeutsamer Fähigkeiten.
nern.
H. Das Störungsbild ist nicht auf physiologische Effekte von
C. Anhaltende Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma Substanzen (z. B. Medikamente, Alkohol) oder eine andere
verbunden sind, auf mindestens eine der folgenden Weisen: körperliche Erkrankung zurückzuführen.

1. Vermeidung belastender Erinnerungen, Gedanken oder Spezifikation: PTBS mit verzögertem Beginn, wenn die diag-
Gefühlen, die mit dem Trauma in Verbindung stehen. nostischen Kriterien vollständig erst 6 Monate nach dem
2. Vermeidung externer Reize, die an das Trauma erinnern Trauma erfüllt sind (einige der Symptome können schon un-
(Personen, Plätze, Unterhaltungen, Aktivitäten, Situationen) mittelbar nach dem Trauma auftreten).

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erlitten hat, sich nicht wiederholt daran ist es Aufgabe des Gutachters, sich zu- und früh vom Probanden selbst themati-
erinnert. Dies ist aber noch keine intrusive nächst die vom Probanden vorgetragenen siert. Dies ist für eine PTBS ein untypi-
Erinnerung. Intrusionen umfassen viel- Beschwerden ohne Bewertung oder Kom- sches Verhalten, da das Vermeiden von Er-
mehr Wahrnehmungen auf mehreren mentierung anzuhören und diese auch innerungen und die Auseinandersetzung
Sinneskanälen und begleitende starke umfangreich zu dokumentieren. Dieser mit dem Trauma ja ein typisches Symp-
emotionale und physiologische Reaktio- subjektive Beschwerdevortrag ist im Gut- tom sind. Üblicherweise fallen Berichte
nen. Beim Flashback verhält sich die be- achten aber formal vom psychopathologi- über das Trauma in einer Gutachtensitua-
troffene Person als ob sich das Ereignis ge- schen Befund zu trennen. tion auch knapp aus. Berichtet der Pro-
rade wiederholt. So kann es beispielsweise Die wesentliche Aufgabe des Gutachters band übertrieben und ausführlich kann
vorkommen, dass Menschen, die den ist es dann, die subjektiv vorgebrachten dies auch ein Hinweis für Aggravation
Flugzeugabsturz in Ramstein miterleben Beschwerden in Hinblick auf das Vorhan- sein. Auch das Fehlen einer affektiven und
mussten und an einer PTBS leiden, sich densein psychopathologischer Symptome physiologischen Reaktion beim Bericht
auf den Boden werfen, wenn ein Flugzeug zu analysieren. Hierzu muss der Gutachter über die traumatische Situation kann für
über sie fliegt. eine gezielte Exploration durchführen und eine Aggravation sprechen. Untypisch für
Die C-Kriterien umfassen das Cluster der dabei auch die objektiv zu beobachtenden eine valide PTBS Symptomatik ist auch die
Vermeidung, von denen mindestens eines psychopathologischen Ausdruckssympto- Angabe von Albträumen mit immer dem
nachgewiesen sein muss. Dazu gehört: me erfassen (z. B. vegetative Symptome gleichen Inhalt und der gleichen Frequenz.
Vermeidung von traumabezogenen Erin- beim Bericht über das Trauma). Im Gut- Das gleiche gilt für eine Symptomschilde-
nerungen oder Situationen in der Umwelt, achten muss dazu Stellung genommen rung, die im Zeitverlauf als völlig stabil
die sich auf das Ereignis beziehen oder da- werden, ob die in der ICD 10 bzw. im DSM und unveränderlich dargestellt wird. Skep-
ran erinnern. Ein Beispiel für ein solches 5 aufgeführten diagnostischen Kriterien tisch sollte einen auch die Tatsache stim-
Vermeidungsverhalten kann darin beste- der PTBS auf der Befundebene erfüllt sind. men, wenn eine Behandlung in unmittel-
hen, dass Personen, die bei einem Bank- Dabei kann es durchaus zu divergierenden barem Zusammenhang mit einer juristi-
überfall von einem Räuber mit einer Waffe Einschätzungen zwischen dem Probanden schen Auseinandersetzung begonnen
bedroht wurden, keine Bankfiliale mehr und dem Gutachter in Hinblick auf das wird und die erste Aktivität des Therapeu-
aufsuchen können. Vorliegen und den Ausprägungsgrad be- ten in der Ausstellung eines Attestes für
Im Zusammenhang mit einem nachgewie- stimmter psychopathologischer Sympto- eine juristische Auseinandersetzung be-
senen Trauma ergeben die Intrusions- me kommen. Diese Divergenzen sind im steht.
symptome und das traumaspezifische Gutachten dann zu diskutieren, insbeson- Alle diese Hinweise sind aber immer in ei-
Vermeidungsverhalten ein recht typisches dere auch im Hinblick auf mehr oder weni- nem klinischen Gesamtzusammenhang zu
Syndrom. Die weiteren diagnostischen ger bewusstseinsnahe Verdeutlichungs- bewerten und dürfen nicht dazu führen,
Kriterien z. B. im Sinne einer erhöhten haltungen des Probanden oder im Hin- dass ein Proband vorschnell als Simulant
Schreckhaftigkeit oder einer Veränderung blick auf Aggravation und Simulation. abgestempelt wird.
von Emotionen und Kognitionen sind eher
unspezifisch, müssen aber auf der Befund- Verdeutlichung, Aggravation und Resümee
ebene auch festgestellt werden. Simulation
Auch der übliche zeitliche Verlauf ist bei 1. Bei der Diagnostik und Begutachtung
der PTBS-Diagnostik zu beachten. Typi- Psychiatrische Begutachtungen müssen der PTBS müssen die diagnostischen
scherweise treten die PTBS Symptome in- immer auch dazu Stellung nehmen, ob die Kriterien der ICD 10 und des DSM 5
nerhalb der ersten drei Monate nach dem Untersuchung Hinweise für eine ausge- sorgfältig geprüft werden.
Trauma auf und bei der Mehrzahl der Be- prägte Verdeutlichungshaltung des Pro- 2. Dabei müssen die subjektive Beschwer-
troffenen remittiert die Symptomatik banden oder sogar für Aggravation oder deschilderung von Probanden und der
auch nach weiteren drei Monaten. Bei Simulation ergeben hat. Es gibt aber zu- von der Ärztin bzw. dem Arzt erhobe-
zeitlich mit starker Verzögerung nach mindest bislang keine empirischen Belege ne psychopathologischer Befund strikt
dem Trauma auftretenden posttraumati- dafür, dass Simulation und Aggravation voneinander getrennt werden. Nur der
schen Symptomen als auch bei posttrau- bei der Begutachtung einer PTBS häufiger ärztlich erhobene Befund rechtfertigt
matischen Beschwerden, die über Jahre auftreten als bei anderen psychischen Stö- die Diagnose einer PTBS. Selbstbeur-
andauern muss sich der Gutachter deshalb rungen. Da solche Aspekte aber grund- teilungsskalen geben nur die subjektive
auch begründet damit auseinandersetzen, sätzlich in jeder Begutachtungssituation Sicht von Probanden wieder.
warum im individuellen Fall ein besonde- zu bedenken sind, gelten für die Diagnos- 3. Es gibt keine empirischen Belege dafür,
rer Verlauf anzunehmen ist. tik einer PTBS die gleichen Standards wie dass die Symptomatik einer PTBS häu-
Grundsätzlich ist zu beachten, dass der bei anderen psychischen Störungen. Die figer simuliert wird, als andere psy-
subjektive Beschwerdevortrag des Pro- folgenden Aspekte erwecken den Ver- chische Störungen. Dennoch muss
banden nicht mit den psychopathologi- dacht, dass ein Proband PTBS Symptome man natürlich auch bei der Diagnostik
schen Symptomen bzw. Befunden gleich- verdeutlicht oder gar simuliert [5]: Die der PTBS die Möglichkeit von Aggrava-
zusetzen ist. In der Explorationssituation Beschwerden einer PTBS werden spontan tion und Simulation grundsätzlich im-

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Fortbildung

mer in Erwägung ziehen. Eine sorgfälti-


ge und an den diagnostischen Kriterien
orientierte Befunderhebung ist die
Multiple Choice-Fragen
beste Basis für valide Diagnosen. Die Multiple Choice-Fragen zu dem Ar- me zur Erlangung von Fortbildungs-
tikel „Kriterien bei der Begutachtung punkten ist ausschließlich online über
Prof. Dr. med. der Posttraumatischen Belastungsstö- das Mitglieder-Portal (https://por-
Harald Dreßing rung (PTBS)“ finden Sie im Mitglieder- tal.laekh.de) vom 25.04.2016 bis
Zentralinstitut für Portal der Landesärztekammer 24.04.2017 möglich.
seelische Gesundheit (https://portal.laekh.de) sowie auf Mit Absenden des Fragebogens bestäti-
Medizinische den Online-Seiten des Hessischen Ärz- ge ich, dass ich dieses CME-Modul nicht
Fakultät Mannheim; Foto: privat teblattes (www.laekh.de). Die Teilnah- bereits an anderer Stelle absolviert habe.
Universität
Heidelberg
J 5, 68159 Mannheim CME-Beitrag aus Ausgabe 04/2015:
Fon: 0621/17032941
E-Mail: harald.dressing@zi-mannheim.de
Richtige Antworten
Zu den Multiple Choice-Fragen „Gemeinsam gegen Parkinson“ von Prof. Dr. med.
Die Literaturhinweise finden Sie auf habil. Alexandra E. Henneberg im Hessischen Ärzteblatt 04/2015, Seite 190 ff:
unserer Website www.laekh.de unter Frage 1 4 Frage 6 3
der Rubrik „Hessisches Ärzteblatt“. Frage 2 2 Frage 7 1
Frage 3 2 Frage 8 2
Frage 4 1 Frage 9 3
Frage 5 5 Frage 10 5

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Multiple Choice-Fragen:
Kriterien bei der Begutachtung der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)
VNR: 2760602016064370005
(nur eine Antwort ist richtig)

1. Bitte kreuzen sie die jeweils richtige 4) Nach DSM 5 müssen mindestens zwei 2) ...sollten dann nicht durchgeführt wer-
Antwort an. Intrusionssymptome vorliegen, um ei- den, wenn der Auftraggeber die An-
1) Die Prävalenz der PTBS liegt in ne PTBS diagnostizieren zu können. knüpfungstatbestände nicht umfas-
Deutschland bei etwa bei 8 Prozent. 5) Die Symptome eines erhöhten arousals send mitteilt.
2) Die Ein- Monatsprävalenz der PTBS sind für eine PTBS spezifisch. 3) ...erlauben den Nachweis, dass im Her-
liegt in Deutschland bei 0,1 Prozent. kunftsland eine Verfolgung des Asylbe-
3) Die Prävalenz der PTBS in den USA ist 4. Bitte kreuzen sie die jeweils richtige werbers stattgefunden hat.
niedriger als in Europa. Antwort an. 4) ...sind mit den gleichen ethischen, pro-
4) Prävalenzzahlen aus epidemiologi- 1) Bei der Begutachtung einer PTBS fessionellen und menschlichen Konflik-
schen Studien sind für die individuelle Symptomatik müssen Selbstbeurtei- ten verbunden wie alle anderen Begut-
Begutachtung von untergeordneter lungsskalen eingesetzt werden. achtungen.
Bedeutung. 2) Bei der Begutachtung der PTBS muss 5) ...sollten von Psychologen mit trauma-
5) In einer Stichprobe von Flüchtlingen ist in etwa 30 Prozent der Fälle mit Simu- therapeutischer Ausbildung vorge-
die Diagnose einer Depression am häu- lation gerechnet werden. nommen werden.
figsten. 3) Zur Feststellung von Simulation bei
PTBS gibt es spezielle Tests. 7. Für die Begutachtung einer PTBS Symp-
2. Bitte kreuzen sie die jeweils richtige 4) Die Beschwerdenschilderungen des tomatik ist die folgende Aussage zu-
Antwort an. Probanden sind zentraler Teil des Be- treffend:
1) Die Traumakriterien in der ICD 10 und fundes im Gutachten. 1) In der ICD 10 und im DSM 5 finden sich
im DSM 5 sind identisch. 5) Bei der Begutachtung der PTBS ist operationalisierte Kriterien für die Di-
2) Aufgabe des Gutachters ist es, festzu- nicht häufiger mit Aggravation oder Si- agnose einer subsyndromalen PTBS.
stellen, ob der Proband die traumati- mulation zu rechnen als bei anderen 2) Die komplexe Traumafolgestörung ist
sche Situation erlebt hat. psychischen Störungen. eine Diagnose im ICD 10 und DSM 5.
3) Im Gutachten sollte die traumatische 3) Die Symptome einer PTBS sind grund-
Situation nicht genau exploriert wer- 5. Das folgende Kriterium könnte dafür sätzlich unspezifisch.
den, um eine Retraumatisierung zu sprechen, dass eine PTBS Symptomatik 4) Bagatelltraumen wie z. B. ein Auffahr-
vermeiden. aggraviert oder simuliert wird: unfall bei Schrittgeschwindigkeit kön-
4) Betroffene können sich manchmal 1) Der Proband vermeidet eher, über das nen eine PTBS verursachen.
nicht vollständig an das traumatische Trauma zu sprechen. 5) Eine valide Diagnose einer PTBS ist
Ereignis erinnern. 2) Fehlen affektiver und physiologischer nicht möglich, da alle Symptome auch
5) Das Ansehen schockierender Bilder im Reaktionen beim Bericht über das simuliert werden können.
Fernsehen kann eine PTBS auslösen. Trauma.
3) Der Proband macht sich starke Selbst- 8. Für die Diagnose einer PTBS gilt Folgen-
3. Bitte kreuzen sie die jeweils richtige vorwürfe. des:
Antwort an. 4) Frühere Konflikte und Probleme wer- 1) Es muss mindestens ein Symptom aus
1) Im DSM 5 wird ein Trauma nur dann den als Ursache für die aktuelle Symp- dem Cluster der Intrusionen nachweis-
angenommen, wenn die Person mit tomatik erwogen. bar sein.
dem Tod bedroht war. 5) Angabe einer fluktuierenden Sympto- 2) Erinnerungen an das Trauma sind ein
2) Nach DSM 5 muss das Trauma von der matik. typisches Intrusionssymptom.
Betroffenen Person unmittelbar selbst 3) Alpträume , die das Trauma zum Inhalt
erlebt werden. 6. Begutachtungen von Asylbewerbern... haben müssen berichtet werden, um
3) Ein obligates Diagnosekriterium nach 1) ...können im Rahmen von kurzen gut- eine PTBS zu diagnostizieren.
DSM 5 sind negative Veränderungen achtlichen Stellungnahmen bearbeitet 4) Personen mit einer PTBS, leiden unter
der Kognition oder der Stimmung. werden. einem Zwang, die Stelle immer wieder
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aufzusuchen, an der sich das Trauma 4) Rechtliche Auseinandersetzungen ha- 3) Angstträume ohne erkennbaren Inhalt
ereignet hat. ben keinen Einfluss auf den Verlauf ei- sind ein Intrusionssymptom der PTBS
5) Personen mit einer PTBS leiden alle an ner PTBS. bei Erwachsenen.
Schlafstörungen. 5) Im Zweifel sollte eine PTBS diagnosti- 4) Die Mitteilung, dass ein enges Famili-
ziert werden, um dem Betroffenen enmitglied an Krebs erkrankt ist, kann
9. Bitte kreuzen sie die jeweils richtige nicht zu schaden. eine PTBS verursachen.
Antwort an. 5) Eine PTBS Symptomatik zeigt in der
1) Treten die PTBS Symptome erst sechs 10. Bitte kreuzen sie die jeweils richtige Regel keinen fluktuierenden Verlauf ,
Monate nach dem Trauma auf, spricht Antwort an. vielmehr müssen die Symptome gleich-
man von einem verzögerten Beginn. 1) Für die Begutachtung einer PTBS ist ei- bleibend stark ausgeprägt sein.
2) Eine PTBS kann nach drei Wochen re- ne zusätzliche Qualifizierung als Trau-
mittiert sein. matherapeut obligatorisch.
3) Eine PTBS Symptomatik ist eine schwe- 2) Bedrohung mit sexueller Gewalt kann
re Störung und dauert deshalb in der eine PTBS verursachen.
Regel mindestens ein Jahr.
Fortbildung

Literatur zum Artikel:

Kriterien bei der Begutachtung der Posttraumatischen


Belastungsstörung (PTBS)
von Prof. Dr. med. Harald Dreßing

1. Richter K, Lehfeld H, Niklewski G. War- 4. Maercker A, Forstmeier S, Wagner B, 7. Dreßing H, Frommberger U, Freyber-
ten auf Asyl: Psychiatrische Diagnosen Glaesmer H, Brähler E. Posttraumati- ger H, Foerster K, Grözinger M, Schnei-
in der zentralen Aufnahmeeinrichtung sche Belastungsstörungen in Deutsch- der F. Begutachtungsstandards bei
in Bayern. Gesundheitswesen 2015; 77: land. Nervenarzt 2008; 79: 577–586. posttraumatischer Belastungsstörung.
834–838. Nervenarzt 2009; 80: 1398–1400.
5. Dreßing H, Meyer-Lindenberg A. Simu-
2. Kessler RC, Sonnega A, Bromet E. Post- lation bei posttraumatischer Belas- 8. Dreßing H, Foerster K. Forensisch-Psy-
traumatic stress disorder in the natio- tungsstörung. Versicherungsmedizin chiatrische Beurteilung posttraumati-
nal comorbidity survey. Arch Gen Psy- 2008; 60: 8–13. scher Belastungsstörungen. Nerven-
chiatry 1995; 52: 1048–1060. arzt 2014; 85: 279–289.
6. Dreßing H, Karacay K, Foerster K. Psy-
3. Perkonigg A, Kessler RC, Storz S, Witt- chiatrische Begutachtung bei asyl- und 9. Dreßing H, Foerster K. Begutachtung
chen HU. Traumatic events and post- ausländerrechtlichen Fragen. In: Dre- bei posttraumatischen Belastungsstö-
traumatic stress disorder in the com- ßing H, Habermeyer E (Hrsg.) Psychi- rungen. Fortschritte der Neurologie
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