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Geschichte der

Vokalmusik

Emilia Pelliccia, BA MA
pelliccia@mdw.ac.at

Mo, 17:00–18:30
MDW, Institut für Gesang und Musiktheater
Lehrsaal 1
Wiederholung letzter Termin
• Ornamentik und Improvisation bleiben in den ersten Jahrzehnten des
19. Jhdts weiter bestehen; stehen in der Tradition der „Manieren“ des
18. Jhdts  Einsatz ist nicht nur an weltliches Repertoire gebunden
• Allmähliche Abkehr um 1840ca.: Debatte um gestalterische Rolle der
Sänger:innen vs. Autorschaft von Komponisten
• Diskrepanz zwischen Klingendem und Notentext bleibt weiterhin
bestehen: portamenti, tempo rubato, melodisch-rhythmische
Variationen, etc. in der „Schellackzeit“ in der Norm (vgl. frühe
Aufnahmen von E. Caruso, etc.)
• Einfluss der Tonaufnahme auf die Entwicklung der vokalen
Aufführungspraxis?
Ausblick auf heutigen Termin

• Sologesang: Bedeutung der Artikulation


• Oper im späten 19. Jahrhundert; Verismo
• Kunstlied im 19. Jhdt: Klavierlied, Orchesterlied, etc.
• Unterhaltungstheater: Operette (Ausblick)
Deklamations- und Affektmittel
Gesang als „erhöhte Sprache“ ab ca. 1840

Literaturverweis: Kap. „Deklamations- und Affektmittel“, in Thomas


Seedorf (Hrsg.), Handbuch Sologesang, Kassel: Bärenreiter 2019, S. 277–284.
Deklamations- und Affektmittel
• Spannung zwischen (Aufführungs-)Konvention und Freiheit
• Deklamatorische Vorgaben im Notentext, jedoch weiterhin nicht-
notierte, „implizite“ Aufführungskonventionen
• „Melodische Inflexion“: subtile Akzentuierung und Atrikulation, die
die gesungene Melodie „sprachähnlich“ klingen lassen soll; dient der
besseren Verständlichkeit des Textes (Bsp. prosodische Appoggiatura)
 Resultat: Manche Komponisten (Bsp. V. Bellini) schrieben
solche Inflexionen aus; führte zur Verwirrung, da mehrere
Systeme koexistierten
Weitere Artikulationsformen
• Einsatz des Atems; expressive Unterbrechung der Gesangslinie
• Artikulationsarten wie marcato, martellato, flautato, etc.  dienen
der Unterbrechung des legato und stellen meistens ein
Betonungselement dar  auch als „Ornamente“ bezeichnet
• Anwendung der Artikulationsformen ist kontextabhängig (manche
passen zu komischen, andere zu expressiven oder tragischen
Situationen)
• Bsp: „marcato“ bei Fragen; „stentato“ (starker Akzent, dann
diminuendo“ bei sehr expressiven Momenten
Bedeutung des Atems
• Ferdinand Sieber: Vollständiges
Lehrbuch der Gesangskunst
(Magdeburg 1856), S. 448
• Systematisierung der
Bedeutungen des Atems, um
verschiedene Stimmungen
darzustellen: tremolando,
sospirando, piangendo,
singhiozzando, etc.
Die Oper im späten 19. Jahrhundert
Facetten des „Realismus“ und Verismo
Grand Opéra und französischer Realismus
• Grand Opéras von Giacomo Meyerbeer (Librettist Eugène Scribe) bilden
Wendepunkt zwischen italienisch geprägter Aufführungspraxis und
französischer Moderne; Bsp: Les Huguenots (1836), Le Prophète (1849),
Robert le diable (1831)

• Realismus: Opern mit mehr Nähe zu Alltagssituationen und zum


Populären  Konsequenz: Durchmischung der tragisch-pathetischen
Opernsprache mit umgangssprachlichem Ton
Paradebeispiel: Carmen (1875), zwischen dramatischer Sittlichkeit
und populärer Vulgarität; weiters: Manon (1884) von J. Massenet
Gesprochene Dialoge verlangten den Sänger:innen
unterschiedliche Bühnensprachstile ab!
Opéra bouffe und Drame lyrique
• Opéra bouffe (ab 1850) als “Vorbotin“ der frz. Operette
• Durchsetzung der heiteren Stoffe mit Tänzen (Cancans, Walzer, etc.)
• Paradebeispiel: Jacques Offenbach (1819–1880): er bezeichnet seine
satirischen Opern “opérette“ (ein-aktig) oder opéra bouffe (mehr-
aktik)  Parodie, Persiflage und subtile Gesellschaftskritik
• Stoffe gehen häufig auf mythologische Vorlagen zurück (Orpheus in
der Unterwelt), thematisieren jedoch auch Künstlerleben (Hoffmanns
Erzählungen, 1881)
Jacques Offenbach, Les contes d‘Hoffmann (1881; unvollendet), Arie Olympia, „Les oiseau dans la charmille“
Verismo: Allgemeines
• Literarische Strömung, die sich auf die Oper überträgt
• Blütezeit: italienische und deutsche Oper zwischen 1890
und 1910, von frz. Naturalismus geprägt; giovane scuola
italiana als Opposition zum traditionellen „melodramma“
• Darstellung des „Nackt-Menschlichen“
• Paradebeispiel: Cavalleria rustiana (1890) von Pietro
Mascagni aber auch I pagliacci von Ruggero Leoncavallo
(1892)
• Auch deutsche (“Flucht“ vor Wagner-Imitation) und
französische Ausprägungen
Verismo: Musik, Schauspiel- und Gesangskunst
• Verismus in der Musik? Unspezifisch  Was bedeutet authentisch?
• Wichtiges Stilmittel: couleur locale od. Lokalkolorit
• Verlangen nach Wahrhaftigkeit: Vermeidung traditioneller Posen beim
Schauspiel
• Authentizität bei den Kostümen
• Grenze zwischen Singen und Sprechen verschwimmt in manchen
Situationen, Schrecken in der Stimme, Bsp. Schrei „Hanno ammazzato
compare Turiddu!“ im Finale von Cavalleria rusticana
Das Kunstlied
Blütezeit und Entwicklung bis zum Ende des 19. Jahrdhunderts
Blütezeit des Kunstlieds ab 1820
• Deutsches Lied entwickelte transnationale Austrahlungskraft; Entstehung
einer professionellen Kunstliedpraxis
• Lied als Teil des bürgerlichen Selbstentwurfs  Repräsentation von
Innerlichkeit und Subjektivität
• Salon als primärer Aufführungsort während des ganzen 19. Jhdts; auch
öffentliche Aufführungen
• Prägende Figuren: Franz Schubert, Robert Schumann, Felix Mendelssohn-
Bartholdy, Fanny Hensel, etc.
• Ab 1880er: Lieder mit Orchesterbegleitung (orchestrierte Klavierlieder oder
eigens für Orchester geschrieben) von Gustav Mahler („Rückert-Lieder“) und
Richard Strauss
Fanny Hensel (1805–1847)
• Galt lange für die Musikwissenschaft als Gelegenheitskomponistin 
hinterließ aber ein umfangreiches Opus!
• schrieb v.a. romantische Lieder und Klavierstücke, aber auch Kantaten
• Mehr als 250 Klavierlieder sind überliefert  umfangreichste Gattung,
die Verfolgung einer kompositorischen Entwicklung zulässt
• Lieder: dem frühen Strophenideal verpflichtet, in späteren Werken wird
Klavierbegleitung differenzierter
• Verfolgt insgesamt sehr traditionelle ästhetische Grundsätze
• Vertonung bekannter Autoren: J.J. Eichendorff, H. Heine, J.W. Goethe,
etc. (Fanny Hensel)
Das Lied im Wiener Musikleben: Franz Schubert
• Einfluss von Franz Schubert: neue Komplexität (vgl. „Erlkönig“!) und sängerische
Herausforderungen, dramatische Energie
• Führte zu Kontroversen über Vortragsästhetik; Abgrenzung vom italienischen
Bühnengesang wurde gefordert
• Schubert weicht in vielerlei Hinsicht von Gattungsspezifika des Liedes ab
• Schuberts Lieder wurden auch in Ausland aufgeführt und prägten z.B. in
Frankreich die Entstehung der Romance (Pariser Salonkultur  Adolphe
Nourrit!)
• Gustav Schilling (1843): Lied sei rein „musikalischer“ Vortrag, Arie hingegen sei
„künstlerisch“ ( mehr Anforderung an Sänger:innen); Arie als Königsdiziplin
(Schubert Arie)
Robert Schumann (1810–1856)
• Zuwendung zur Liedergattung ab 1840; intensive Auseinandersetzung
mit der Gattung („Liederjahr“)
• Bindet Lieder meist in Zyklen ein
• Seine Lieder wurden bereits um ihre Entstehungszeit in Konzertsälen
aufgeführt; wie auch im Falle Schuberts meist „Füllmaterial“ für
heterogene Programme für Solostimme
• Ineinander-Verschränken von Klavier- und Singstimme im Opus
Schumanns
• Nuancierung des Textvortrags!
„Um eine Liedmelodie in ihrer ganzen Innigkeit zu würdigen, dazu
gehört ein Sänger, der auch zu sprechen versteht, und wie sie jeder
Bewegung des Gedichts liebend nachfolgt, so wollen wir es auch durch
den Sänger wieder empfinden. Wie oft wird uns das geboten! Gute
Liedersänger sind fast noch seltener als gute Liedercomponisten.“

Zit. Robert Schumann, „Lieder“, in: Neue Zeitschrift für Musik 16 (1842), S. 207f.
Verzierungspraxis im Kunstlied
• Traditionelle Verzierungspraxis auch für den Liedvortrag belegbar; viele Varianten
im Notentext und Alternativfassungen (Bsp. Schumanns „Ich grolle nicht“)
• Häufigste Verzierung: appoggiatura über zwei Hauptnoten gleicher Tonhöhe,
teilweise auch in Schuberts Notation enthalten
• Freie Verzierungen auch üblich, v.a. wenn Melodie wiederholt wird (beschrieben
bei Ignaz v. Mosel: Taschenbuch für Schauspieler und Schauspielfreunde, 1821)
• Auch sängerische Verzierungen des Baritons Johann Michael Vogl überliefert
(wahrscheinlich geht auf ihn die Diabelli-Edition der Schönen Müllerin zurück!)
• Aufführungsempfehlungen der Neuen Schubertausgabe berücksichtigen diese
Informationen!
Wer singt? Gender und Liedstimme
• Liedvortrag verlagert sich im Laufe des 19. Jhdts in den öffentlichen
Raum
• Frage: Zusammenhang zwischen „lyrischen Ich“ und real singender
Person?
• In der Liedpraxis des 19. Jhdts wurde die geschlechterspezifische
Grenze oft überschritten  keine Einteilung in „Frauenlieder“ oder
„Männerlieder“
• Kritischer Punkt: satztechnische Konsequenzen der
Oktavtransposition  kann das harmonische Gefüge des Liedes
beeinträchtigen
Operette
Ausblick
Terminus und Definition
• „Operette“ = wortwörtlich „kleine Oper“
• Entstehung um die Mitte des 19. Jhdts in Paris, jedoch etabliert sich
Wien schnell als zweites wichtiges Zentrum
• Jacques Offenbach parodierte ernste Opern mit mythologischem
Inhalt und versah sie mit Modetänzen (Orpheus in der Unterwelt,
1858)
• Wien: Johann Strauß (Sohn) avanciert zum führenden Operetten-
Komponisten der 1870er und 1880er Jahre (Die Fledermaus, 1874;
Der Zigeunerbaron, 1875; Eine Nacht in Venedig, 1883; u.a.)
• Später: Franz Léhar

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