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Der Geist ist es, der die Sinne belebt und alle Geistesfunktionen trägt.
Solange der Geist sich nicht mit den Sinnen verbindet und sie aktiviert,
können diese selbst nicht arbeiten. Stellen wir uns z.B. einen schlafenden
Menschen vor. Vielleicht reden Leute im selben Raum, oder Autos und
Busse fahren vorbei. Der schlafende Mensch merkt von all dem nichts.
Warum? Weil im Tiefschlaf der Geist nicht im Gehirn anwesend ist. Ohne
den Geist können die Sinne, obwohl sie wie der Körper und das Gehirn usw.
vorhanden sind, nicht arbeiten.
Das beweist deutlich, daß die Sinne aus sich selbst ohne den Geist nicht
funktionieren können. Daher hat derjenige, der seinen Geist unter perfekter
Kontrolle hat, auch vollkommene Kontrolle über seine Sinne. In einem
wahreren und tieferen Sinne drückt das Wort »Brahmacharya« nicht diese
eingeschränkte Bedeutung aus. Aber sogar jener, der es in diesem engen
Sinne auslegt und nach der Beherrschung der sexuellen Instinkte, Wünsche,
Gedanken und Taten strebt, muß automatisch auch alle anderen Sinne und
seinen Geist kontrollieren und beherrschen. Wenn wir wirklich tief in diesen
Gedanken eindringen, finden wir, daß die Sinne nicht isoliert dastehen,
sondern miteinander verbunden und aufeinander bezogen sind. Daher muß
man, auch wenn man nur einen Sinn besiegen will, gleichzeitig alle anderen
beherrschen.
Sexuelle Energie
Wenn ein Körper nicht genug reines Blut besitzt, degenerieren sie, und die
Folge ist ein Mangel an verschiedenen Säften, die von Geburt an unerläßlich
für Gesundheit und Wachstum von Körper, Gehirn usw. sind. Jeder Defekt
in diesen Drüsen und jede Abweichung von ihrer normalen Sekretion
verursacht Krankheit, vorzeitigen Verfall und Tod. Anders als die genannten
Drüsen nehmen die Sexualdrüsen wie Prostata, Samenbläschen, Cowpersche
Drüsen und Hoden ihre Sekretion erst nach der Pubertät auf, wenn sie voll
ausgewachsen sind. In heißem Klima und bei Menschen, die zu viel scharfe,
saure und hitzeerzeugende Nahrung zu sich nehmen, fangen sie auch schon
früher an zu arbeiten.
Jungen und Mädchen haben in der Geschlechtsreife von Natur aus starke
sexuelle Instinkte, und wenn sie unachtsam mit Personen des anderen
Geschlechts umgehen, erotische Romane lesen, Liebeslieder singen oder
Schauspiele und Filme sehen, die einen sexuellen Reiz ausüben, verfallen sie
sehr leicht geschlechtlichen Vergnügen in Form von Masturbation oder
Homosexualität und anderen Ausschweifungen.
Sexuelle Energie durchdringt in der einen oder anderen Form den ganzen
Lebensbereich und drückt sich in verschiedener Art geistiger und
körperlicher Entwicklung aus. Wenn sie richtig überwacht und gezügelt
wird, steigert sie nicht nur die Willens- und Geisteskraft, sondern auch die
des Körpers. Wenn die Sexualenergie daran gehindert wird, sich in ihrer
gröbsten Form (Geschlechtsverkehr) auszudrücken, steigert sie die
Vorstellungskraft und die Merkfähigkeit. Ebenso steigert sie die
schöpferische Energie und erhöht die Fähigkeit, Schönheit in Kunst,
Dichtung, Literatur usw. wahrzunehmen.
Ein Yogi, der seine Sexualenergie zügelt, dadurch seinen Geist kontrolliert
und die Kundalini Shakti zu höheren Zentren führt, entfaltet übernatürliche
Kräfte (Ich persönlich glaube solange nicht an übernatürlichen Kräfte, bis
mir jemand das Gegenteil beweist. Ein Yogi sollte sie auch nicht anstreben.
Es lenkt ihn nur von seinem spirituellen Weg ab.). In jedem Mann, jeder
Frau, jedem Jungen oder Mädchen liegt diese höchste Kraft verborgen, und
um sie zu aktivieren, bedarf es lediglich strikter Einhaltung von
Brahmacharya, regelmäßiger Meditation und Geisteskontrolle. Das
Geschlechtsleben macht den Menschen schwach an Körper und Geist. Mit
schwachem Körper und ungesundem Geist ist der Mensch nicht in der Lage,
einen harten und mühsamen Lebenskampf aufzunehmen. Daher muß man,
um im Leben Erfolg zu haben, Brahmacharya einhalten.
Ein Schüler, der sein Brahmacharya nicht einhält, kann keinen Erfolg in
seinem Beruf haben. Er kann keine Leuchte werden. Sogar ein guter
Student, welcher der Lust verfällt, setzt damit seiner erfolgversprechenden
Laufbahn ein Ende. Ein Ringer, der kein Brahmacharya einhält, kann seine
körperliche Gesundheit und Kraft nicht aufrechterhalten und in der Kunst
des Ringens keinen durchschlagenden Erfolg haben. Ein religiöser Mensch
ohne Brahmacharya wird sein Leben in Mißerfolg und Scheinheiligkeit
enden. Tatsächlich geht jede Inspiration und höhere subtile Entdeckung von
der Konzentration des Geistes aus, und diese Konzentration wird durch
Brahmacharya erreicht.
Jungen und Mädchen der drei höheren Kasten (ca. 35 Prozent) wurden von
einem bestimmten Alter an von ihren Gurus (Lehrern) erzogen, mit denen
sie zusammenlebten. Dort führten sie ein sehr reines Leben, und man lehrte
sie die Ideale einfachen Lebens und hohen Denkens, das sie auch
praktizierten. Sie führten ein kraftvolles Leben in Brahmacharya und hatten
sich voll in der Hand. Nachdem sie sich körperlich und geistig
vervollkommnet hatten, gründeten die Schüler, denen das Leben eines
Hausvaters zusagte, eine Familie (Grihasta Ashrama). Diese genaue
Einhaltung von Brahmacharya war in alten Zeiten eine der Hauptursachen
der Langlebigkeit der Inder und ihrer umfassenden Erfolge.
Das Indien, das wir heute sehen, steht mitten im Kampf gegen schreckliche
Armut. Die Armut sitzt diesem Land so in den Knochen, daß sie dem Volk
das Mark aussaugt. Die große Mehrheit des Volkes arbeitet von früh bis spät
und kann sich trotzdem kaum zweimal am Tag genügend einfache Chapatis
(Brot) oder Reis leisten, sogar ohne Dal (Suppe). Zusätzlich zu dieser
furchtbaren Armut sind die Ashrama Dharmas (4 Lebensstadien) zerstört
worden, und das Land hat den Wert, das Ziel und die Notwendigkeit von
Brahmacharya fast vergessen.
Für ein armes Land kann Brahmacharya nur ein Segen und eine große
Wohltat sein. Wenn die Reichen auf normale und gut geregelte Weise
sexuellen Freuden nachgehen, so wirkt sich das nicht so stark auf ihre
geistige und körperliche Gesundheit aus, denn der Verlust wird in der Regel
bis zu einem gewissen Grade im Lauf der Zeit wettgemacht, weil sie sich
nahrhaft und reichlich ernähren können. Bei armen Menschen jedoch, deren
Ernährung schlecht ist, und die schon halb verhungert sind, ist der Verlust
bei jedem Geschlechtsverkehr ganz offensichtlich irreparabel.
Wenn jemand ohne diese Eigenschaften versucht, ein Volk oder eine Nation
zu lenken, bringt das nicht nur dem eigenen Volk großen Schaden und große
Ungerechtigkeiten, sondern wirkt sich so auch auf die ganze Welt im
allgemeinen aus. Wie kann ein Mensch, der seinen eigenen Geist und seine
Sinne nicht beherrscht, andere regieren und führen? Wenn solchen unreifen
Menschen die Führerschaft anvertraut wird, kann man sich das
unbeschreibliche Schicksal dieses Volkes und Landes nur vorstellen. Wenn
ein Blinder einen Blinden führt, kommen beide zu Schaden und gehen
zugrunde.
Geistiges Brahmacharya
Nicht an einen Menschen des anderen Geschlechts denken mit der Absicht
sexueller Freuden oder mit schlechten Beweggründen, den Geist nicht mit
sexuellen Wünschen, Gedanken, Vorstellungen oder Anregungen
unterhalten, keinen Menschen des anderen Geschlechts mit schlechten
Absichten ansehen, nicht einmal ein Foto oder Bild mit begehrlichem Blick
oder Motiv betrachten, nicht insgeheim die Bewegungen des anderen
Geschlechts beobachten oder das Liebeswerben von Insekten, Vögeln,
Säugetieren und menschlichen Wesen betrachten, und keine Filme oder
Schauspiele von erotischer Anziehungskraft besuchen - das alles umfaßt das
geistige Brahmacharya. Diese Dinge sind der Ausgangspunkt der Lust, leiten
viele unbewußt in die Irre und verursachen einen Rückschlag in der
Einhaltung von Brahmacharya. Diese Wünsche und Anblicke führen
zunächst zur Störung des geistigen Gleichgewichts oder des geistigen
Brahmacharya, und wenn diese lustvollen Wünsche und Gedanken andauern
und beständig werden, fangen die Geschlechtsdrüsen an, ihre Sekrete
abzusondern, und schließlich verliert man auch sein körperliches
Brahmacharya.
Brahmacharya in Worten
Nicht die Schönheit usw. eines Menschen des anderen Geschlechts mit üblen
und lustvollen Hintergedanken beschreiben, keine erotischen Romane und
Dramen mit sexueller Anziehungskraft lesen oder besprechen, keine
ordinären oder beleidigenden Ausdrücke gebrauchen, nicht im Geheimen
oder an einsamer Stelle mit Personen des anderen Geschlechts reden oder
mit ihnen Späße machen - das alles ist mit Brahmacharya in Rede oder Wort
gemeint.
Gesundheit ist Reichtum. Ein gesunder Körper hat ein gesundes Gehirn und
schafft sich einen gesunden Verstand. Ohne gute Gesundheit ist sogar
märchenhafter Reichtum nutzlos und das Leben elend. Erst kürzlich sagte
einer der reichsten Männer der Welt, dessen Einkommen pro Sekunde auf
ca. 20 Dollar errechnet wurde: »Mein Schicksal ist schlimmer als das eines
gewöhnlichen Kuli.« Obwohl phantastisch reich, litt dieser Mann an
Diabetes. Oft mußte er von flüssiger Nahrung leben. Er brauchte jeden Tag
Spritzen und hatte keinen gesunden Schlaf. Ein Kuli hat, obwohl ohne Geld,
eine gute Verdauung, arbeitet den ganzen Tag hart, erfreut sich einer
robusten Gesundheit und eines gesunden Schlafs. Er hat keine Sorgen und
keine Ängste.
Dieser zu den Reichsten der Welt gehörende Mann verglich sich mit den
mittellosen Kulis und fand, daß es ihm selbst miserabel gehe, weil er nicht
gesund war. Wer sich gute Gesundheit und Glück wünscht, muß seinen
Körper stark machen. Jungen und Mädchen müssen besonders auf
Brahmacharya und auf ausreichende Bewegung (Spiele innerhalb und
außerhalb des Hauses) achten. Die Jugend ist die beste Zeit, um die
Gesundheit aufzubauen, gleichzeitig aber auch die Lebensperiode, in der
man seine Gesundheit und sein Leben dadurch ruinieren kann, daß man der
Lust in die Falle geht und sich gehen läßt. Die Sexualenergie ist nämlich die
Essenz von Körper, Gehirn und Geist. Wenn diese essentielle Kraft nicht
bewahrt wird, können Körper, Gehirn und Geist nicht zur vollen Reife
kommen. Dies zeigt, wie unbedingt notwendig es ist, in der Jugend in
strengem
Brahmacharya zu leben.
Eine Pflanze, die in fünfzig Jahren wächst und reift, lebt bis zu zweihundert
Jahren. Ein Mangobaum, der nach zehn Jahren Früchte trägt, wird vierzig
oder fünfzig Jahre alt. Eine Schlingpflanze, die in drei oder vier Monaten
wächst, Knospen, Blüten und Früchte trägt, lebt und stirbt innerhalb eines
Jahres. Wenn ein Stier bis zur Geschlechtsreife gut behütet wird und man
auch danach besonders auf Nahrung und Paarung achtet, bleibt er gesund
und erreicht seine volle Lebensspanne. Sogar nach der Reife sollte keine
ziellose und falsche Paarung stattfinden. Sie verkürzt das Leben der Tiere.
Es ist allgemein bekannt, daß ein junger Bulle, den man frei mit den Kühen
laufen läßt, und der sie deckt, bevor er voll ausgewachsen ist, sich innerhalb
weniger Jahre verausgabt und vorzeitig altert und stirbt. Einzelgängerische
Elefanten, Bisons oder sogar Affen, die wenig Gelegenheit zur Paarung
haben, bleiben sehr stark, gesund und kräftig und leben ihre volle Zeit.
Nehmen wir eine Lampe und füllen sie mit so viel Petroleum, daß es für eine
ganze Nacht reicht. Wenn die Lampe kein Leck hat, brennt sie auch die
ganze Nacht. Hat sie jedoch ein Loch, durch das sie Öl verliert, erlischt das
Licht in ein paar Stunden. Ein Leben in Brahmacharya bedeutet, daß man
das Öl des Lebens, das uns ein ganzes Menschenleben körperliche und
geistige Gesundheit schenkt, bewahrt. Ein Verlust an sexueller Kraft ist
ein Auslaufen des Lebensöles, was zu vorzeitigem Altem und frühem Tod
führt. Jeder Geschlechtsverkehr verursacht einen enormen Verlust geistiger
und körperlicher Energie. Je mehr sie vergeudet wird, desto kürzer ist die
Lebensdauer von Männern und Frauen, Jungen und Mädchen.
Wenn ein Mann mit sehr dürftigem Einkommen eine große Familie zu
ernähren hat, das Geld aber unbedacht und ohne richtige Einteilung ausgibt,
muß mit Sicherheit die ganze Familie hungern, leiden und ein elendes Leben
führen. Die sexuelle Energie ist die eigentliche Lebenskraft des Körpers und
die wesentlichste Energie, die für das Wachstum von Körper und Gehirn und
für die Vitalität erforderlich ist. Wenn diese Energie nicht sorgfältig bewahrt
und richtig genutzt wird, leidet die ganze Familie (also Körper, Sinne,
Drüsen, Gehirn, Geist und Geistesfunktionen) furchtbar. Wenn dieser
Schwund oder Abfluß der sexuellen Kraft gezügelt und kontrolliert wird,
verwandelt sie sich durch besondere Übungen in eine große geistige Energie,
»Ojas Shakti« genannt. Bei jeder geistigen oder körperlichen Tätigkeit, sei
es Denken, Sprechen, Lernen, Essen, Trinken, Gehen usw., wird eine
gewisse Menge dieser Kraft verbraucht. Jedoch wird unter allen
körperlichen und geistigen Tätigkeiten der größte Energieverlust durch einen
Geschlechtsakt verursacht. Die Verschwendung von Ojas Shakti verkürzt
das Leben, während die Bewahrung dieser Kraft es verlängert.
Für die Erhaltung des Körpers und seiner Funktionen und für das geistige
Wachstum ist die Bewahrung der sexuellen Kraft und ihre Umwandlung in
Ojas Shakti unbedingt erforderlich. Wenn diese so wesentliche Energie nicht
geschützt und bewahrt wird, sondern statt dessen schon im frühen Alter
durch geschlechtliche Zügellosigkeit oder auch nach der Reife und der
Heirat durch ungeregelten und übermäßigen Geschlechtsverkehr
verschwendet wird, verliert man seine geistige Lebendigkeit und moralische
Widerstandskraft. Ein solches Leben ist völlig vergeblich, endet im
Unglück, und der betreffende Mensch verfehlt den Sinn und Zweck seines
Daseins. Daher sollte jeder, der Fortschritt, Frieden, Gedeihen und ein
langes Leben wünscht, schon in Kindheit und Jugend in vollkommenem
Brahmacharya leben und nach der Heirat ein gut geregeltes
Geschlechtsleben führen. Ohne Brahmacharya kann nie und konnte auch
niemals etwas Gutes und Großes erreicht werden. Ohne lebenslang perfektes
Brahmacharya zu halten, kann niemand Samadhi (Nirvikalpa Samadhi),
Freiheit und Seligkeit erreichen.
Sexuelle Zügellosigkeit zerstreut die Kräfte von Körper und Geist. Sie macht
den Körper, die Nadis (Nerven) und den Geist unrein. Sie entzieht dem Geist
seine Konzentrationsfähigkeit. Um die subtilen Wahrheiten der Religion zu
erkennen, zu verstehen und zu erfassen und um neue Entdeckungen auf dem
Gebiet der Wissenschaft, Kunst oder anderen geistigen Bereichen zu
machen, sind Zielstrebigkeit des Geistes und eine ungeheure Willenskraft
unerläßlich. Sexuelle Zügellosigkeit zerstört sie jedoch. Nur durch
Brahmacharya können wache Schärfe des Geistes und eiserne Willenskraft
erworben und erhalten werden.
Wenn ein Junge oder Mädchen, ein Mann oder eine Frau zwölf Jahre lang
ununterbrochen und bewußt Brahmacharya (in Gedanken, Worten und
Handlungen) einhält, entwickeln sich subtile, verborgene Geistes- und
Sinneskräfte, und die Betreffenden gewinnen leicht die notwendige Reinheit
und Konzentration des Geistes. (Nach meinen Erfahrungen, ist dieses auch
in wesentlich kürzeren Zeitabständen möglich.) Nur so sind die
geheimnisvollsten Wahrheiten der Religion, die sich sonst dem Verständnis
entziehen, zu erfassen und zu befolgen. Ein Mensch, der nicht enthaltsam
lebt, kann weder Gott im rechten Geist begreifen, noch kann es für ihn eine
klare Vorstellung von Religion geben. Ebenso wenig erfährt er die
uneingeschränkte Hingabe an Gott, noch hat er die Kraft und den Willen,
dem harten Pfad der Religion zu folgen.
Sogar zur Sicherung des eigenen allgemeinen Fortschritts und Erfolgs ist die
Beachtung von Brahmacharya von außerordentlicher Wichtigkeit. Jedes
Individuum strebt bewußt oder unbewußt nach Kraft, Frieden und Freiheit.
Wer wünschte sich wohl sehnlichst Schwäche? Wer wünscht sich Krankheit
und Tod? Wer möchte häßlich sein? Wer ein Sklave? So etwas wünscht sich
keiner. Im Gegenteil möchte jeder stark sein und Frieden haben, sich guter
Gesundheit erfreuen und lange leben. Perfektes Brahmacharya verhilft
einem dazu, Kraft zu gewinnen und Jugend und Schönheit zu bewahren.
Wer in perfektem Brahmacharya lebt und fest darin steht, wird sich auch
leicht seines wahren Selbst gewiß. Solche Menschen leben und handeln im
Lichte Gottes. Vergiß nicht, keine weltliche Macht kann mit der Macht des
Geistes (Gott) verglichen werden, noch weniger es mit ihr aufnehmen. Ein
Land mag sehr arm sein, aber wenn es reich an solchen großen Seelen ist,
kann es nicht unter fremder ~Unterdrückung oder Sklaverei leiden. Daher
besteht sogar vom Standpunkt des nationalen Aufschwungs, der Freiheit und
des kollektiven und individuellen Gedeihens eine große Notwendigkeit der
Einhaltung perfekten Brahmacharyas.
Nehmen wir die Ringer. Mit welchem Vergnügen betrachtet man ihr
Äußeres! Wer hätte nicht gern einen so starken und gesunden Körper wie
sie. Welche Kraft besitzen sie! Diese Körperkraft erwerben sie durch ein
konsequentes Brahmacharya-Leben und durch regelmäßige systematische
Körperübungen. Durch harte Arbeit und systematisches Üben verwandeln
sie ihre Sexualenergie in große körperliche Energie und Kraft. Ein Mann,
der kein Brahmachari ist, kann niemals diese große Stärke aufbauen und
wird nie ein guter Ringer. Verheiratete Ringer, die sich sexuell unbeherrscht
und regellos verhalten, verlieren ihre Kraft und ihre körperliche
Ausstrahlung. Auch für den Aufbau körperlicher Kraft ist also die
Einhaltung von Brahmacharya unabdingbar.
Lust, Zorn, Furcht, Haß usw. sind die Vorläufer von Krankheit und die
Boten des Todes. Diese tückischen geistigen Zustände, explosiven
Leidenschaften und heftigen Emotionen verursachen chemische
Veränderungen in Körper und Gehirn und vergiften das Leben der Zellen im
ganzen Organismus. Von allen emotionalen Empfindungen ist die sexuelle
Lust die stärkste, und sie stürzt Körper und Gehirn in ein völliges Chaos.
Jede heftige Leidenschaft tötet bei jedem Auftreten viele Millionen rote
Blutkörperchen. Wenn das dem Organismus jeden Tag zugemutet wird,
endet es in furchtbarer Krankheit, in vorzeitigem Verfall und Tod.
Die Sexualenergie ist die höchste Kraft im menschlichen Körper, die alle
anderen Kräfte in sich schließt und alle Formen annimmt. Körper, Gehirn
und Geist beziehen ihre Kraft und Vitalität aus dieser Sexualenergie. Statt
dieser Energie zu erlauben, die Form grober sexueller Vergnügen
anzunehmen, die auf die Dauer zu körperlichem und geistigem Tod führen,
sollte sie bewahrt und in einen Vorrat an großer geistiger und körperlicher
Vitalität verwandelt werden. Mit dem Erlöschen sexueller Wünsche,
Gedanken und Handlungen wird der Geist von dieser stärksten aller
Bindungen befreit. Für alle, die sich ein langes Leben in Frieden, Reinheit,
Gedeihen und Befreiung wünschen, ist das ein weiterer Grund für die große
Notwendigkeit, Brahmacharya einzuhalten.
Stärke ist Leben und Schwäche ist Tod. Schwäche ist die größte Sünde in
dieser Welt. Die Schwachen erreichen schon in der Welt wenig, doch im
Reich des Geistes ist ihr Gewinn gleich Null. Sie werden überall geplagt und
herumgestoßen. Sie können nirgendwo Erfolg haben. Nur die Starken haben
Erfolg, gedeihen und freuen sich ihres Lebens. Ein schwacher Körper bringt
auch einen schwachen Geist hervor. Jemand mag intelligent genug sein, um
eine Sache mit dem Geist zu erfassen; wenn aber sein Körper schwach ist,
kann er die Theorie nicht in die Praxis umsetzen oder mit seinen
Bemühungen Erfolg haben. Ein derartiges theoretisches Wissen ist
unbrauchbar. Ein Gramm Praxis wiegt mehr als Tonnen von Theorien.
Der Verlust an körperlicher Kraft und geistiger Vitalität, den man bei jedem
Geschlechtsakt erleidet, entspricht dem, was man in vierundzwanzig
Stunden gründlichen Studiums oder zweiundsiebzig Stunden harter
körperlicher Arbeit einsetzen muß. Was für ein riesiger
Verlust ist das! Daher besteht vom Standpunkt guter geistiger und
körperlicher Gesundheit, ganz abgesehen vom Erreichen von Frieden, Kraft,
langem Leben und Weisheit, die unbedingte Notwendigkeit, konsequent in
Brahmacharya zu leben. Dieser große Verlust, den das gegenwärtige
fehlerhafte Erziehungssystem nach sich zieht, in welchem die Schüler nicht
angehalten werden, dem Pfad strengen Brahmacharyas zu folgen, ist eine der
Hauptursachen für Schwäche, Verkommenheit, Feigheit, Krankheit und
frühzeitigen Verfall und Tod vieler junger Menschen.
a. Dein Selbst oder Atman ist die wahre Verkörperung der ewigen
Wahrheit. Aus der Wahrheit kommst du, in der Wahrheit lebst du, und
in die Wahrheit gehst du zurück. Dein Atman oder das Selbst hat kein
Geschlecht, ist weder männlich noch weiblich. Der Geist schafft diese
Unterscheidung, indem er sich aus Unwissenheit mit dem
vergänglichen Körper und den Sinnen identifiziert. Daher solltest du
kein Sklave deines Geistes und deiner Sinne werden und in leidvolle
Abhängigkeit geraten, weil du deine wahre Natur, das immer freie
Atman, vergißt, und die Hölle erlebst.
b. Brahmacharya ist sowohl Kraft als auch Leben. Wer Brahmacharya
einhält, vollbringt ein großes und langan dauerndes Opfer. Allein durch
Brahmacharya er reicht man Brahma-Jnana (die Erkenntnis Brahmans
oder Gottes oder die wahre Natur des Selbst).
c. Sogar Wahrheitssucher und Gelehrte (Pandits) kön nen, obwohl sie alle
guten Eigenschaften besitzen, in al lergrößte Schwierigkeiten geraten,
wenn es ihnen miß lingt, strenges Brahmacharya einzuhalten.
d. Sexuelle Zügellosigkeit schmiedet die Ketten für Herz und Geist eines
Menschen. Von ihr kommen alle Täuschungen, die auf dem Ego-
Instinkt und auf Begierde beruhen.
e. Niemand auf Erden, weder Vater noch Mutter noch irgendein anderer
Wohltäter kann einem solchen Gewinn schenken wie ein reiner
Charakter und ein wohlausgerichteter, gut kontrollierter Geist. Bilde
darum deinen Charakter durch Selbstbeschränkung und Einhaltung von
Brahmacharya.
f. Unter allen Übeln in der Welt ist die sinnliche Begier das
schmerzhafteste und schrecklichste. Ein von Wollust gepackter
Mensch ist ein völlig hilfloses Geschöpf. Er ist ein ständiges Opfer des
Elends und qualvoller Angst. Daher ist es nicht nur eine gute Sitte, die
Lust aufzugeben, sondern man muß sie besiegen, um glücklich zu sein.
g. Es gibt keine größere Vision wie die des Selbst, keine bessere
Selbstbeschränkung wie Brahmacharya, kein größeres Elend wie die
Wollust und kein schöneres Glück wie Selbstbeherrschung, Samadhi
und Gottverwirklichung.
h. Reichtümer, die im Spiel oder durch Spekulationen verloren werden,
sind unbedeutende Kleinigkeiten, verglichen mit dem Schaden, den
man durch wollüstige Wünsche, Gedanken und Taten erleidet.
i. Ein König wird durch schlechte Ratgeber ruiniert, ein Asket verliert
die Schau Gottes, wenn er sein Herz an andere Dinge hängt, ein Sohn
wird durch Verzärtelung verdorben, ein Brahmane (Priester) wird
verachtet, wenn er nicht genügend gelernt hat, eine Familie kommt
durch einen unwürdigen Sohn in Schande, den Charakter ver liert man
in Gesellschaft gemeiner Menschen, das Schamgefühl wird durch
gewohnheitsmäßiges Trinken zerstört, die Ernte wird durch
Nachlässigkeit vernichtet, die Bande der Anhänglichkeit werden durch
Entfernung gelockert, Freundschaft wird durch Mangel an Liebe
aufgelöst, Wohlstand geht zugrunde durch Abweichen vom Pfad der
Gerechtigkeit, und Gesundheit, Reichtum und Freiheit gehen verloren
durch den Verlust von Brahmacharya.
j. Sinnesfreuden richten die sündhaften Menschen zugrunde. Unkraut ist
der Fluch der Felder; das Gleiche bedeuten Leidenschaft, Böswilligkeit
und Verblendung für die Menschheit. Daher sollte jeder, der Erfolg
und Glück im Leben haben möchte, seine Sinne und seinen Geist stets
zügeln und Brahmacharya einhalten.
k. Die Guten und die Selbstbeherrschten leuchten von weitem wie die
Gipfel des Himalaya, während die Tugendlosen unbemerkt
verschwinden wie Pfeile in dunkler Nacht.
l. Die Gabe des Dharma (Rechtschaffenheit) übertrifft alle anderen
Gaben; das Auslöschen der Begierde besiegt alle Leiden; und nur die
Wünsche fesseln den Menschen.
m. Wie ein Kalb seine Mutter unter tausend Kühen herausfindet, so wird
ein schlechter Mensch unfehlbar durch seine abscheulichen Taten
gebrandmarkt und erkennbar. Tu darum nichts Böses und sündige
nicht.
n. Kein Feuer wirkt so zerstörend wie das Feuer der Lust. Normalerweise
brennt ein Feuer den Menschen nur im Diesseits, aber das Feuer der
Lust verbrennt ihn sowohl hier als auch im Jenseits.
o. Gesundheit ist das größte Gut, Zufriedenheit das größte Vermögen,
Selbstvertrauen der beste Freund, Brahmacharya die wunderbarste
Kraft und Samadhi (Gottverwirklichung oder Selbst-Verwirklichung)
die höchste Glückseligkeit.
p. Je weniger selbstsüchtig man sich etwas wünscht, desto größer und
wirkungsvoller wird die angesammelte und vervielfältigte Kraft der
eigenen Gedanken-Batterie. Nur die selbstsüchtigen Wünsche
zerstreuen die Kräfte des Geistes.
q. Beherrsche den Gaumen und den Geschlechtstrieb, und du wirst
überall in Sicherheit sein.
r. Lust, Zorn und Gier öffnen die drei Tore zur Hölle. Sicherheit und
Erfolg liegen also darin, diese D rei zu besiegen.
s. Sich von seinen Leidenschaften regieren lassen, ist Selbstmord.
Leidenschaft ist von Leiden begleitet. Glaube und Aufgabe des
Eigenwillens sind die Charakteristika der Heiligen; Geduld ist die
Tugend der Engel. Besiege den Geist und die Sinne und du beherrschst
die Welt.
t. Gewinne Erkenntnis mit Hilfe von Brahmacharya. Das wird dich
befähigen, Recht von Unrecht zu unterscheiden und deinen Weg zum
Himmel erleuchten. Sie wird dein Freund in der Verzweiflung, deine
Gesellschaft in der Einsamkeit, dein Gefährte in der Verlassenheit,
dein Führer im Glück, deine Stütze im Unglück, dein Schmuck unter
Freunden und dein Schutz und Schild gegen Feinde und Versuchungen
sein.
u. Das Leben ist am fruchtbarsten, wenn du mit denen zusammen bist, die
trotz ihrer Kraft und Macht Demut und Freundlichkeit üben.
Liebenswürdigkeit und Demut sind der wahre Kern aller Tugenden.
Dulde also nichts in dir, was nicht schön und sanft ist, und wie der Tag
der Nacht folgt, wird es auch um dich nichts geben, was nicht schön
und durch den Zauber deiner Gegenwart besänftigt würde.
v. Wie die goldene Dämmerung den Sonnenaufgang anzeigt, so zeigen
Demut, Brahmacharya, Reinheit usw. das Heraufdämmern der
Erkenntnis bei einem Menschen an.
w. Körperliche Schönheit und Kraft lassen mit fortschreitendem Alter
nach, geistige Schönheit und Kraft dagegen nehmen zu. Friede ist nicht
für die Bösen, noch sind Kraft und Glück das Los der Ehebrecher und
Ehebrecherinnen.
x. Das Benehmen eines Jugendlichen bestimmt oft sein Glück; sein
vollkommener Charakter ist ein sicheres Zeichen dafür, daß er eines
Tages das Königreich Gottes gewinnen wird.
y. Ein unreiner Geist ist immer ein Scheinheiliger und Betrüger, während
ein wohltrainierter und vollkommen ausgewogener Geist ein
aufrichtiger Freund und Retter ist.
z. Tu heute schon, was du morgen erledigen wolltest. Bringe jetzt sofort
zu Ende, was du erst im Laufe des Tages tun wolltest. Der Tod wartet
nämlich nicht, um nachzusehen, ob du dies oder jenes erledigt hast.
Wenn du auf eine bessere Gelegenheit wartest, kommt sie vielleicht
überhaupt nicht. »Zwischen Lipp und Kelchesrand schwebt der finstern
Mächte Hand«.
Im Allgemeinen
Jeder geschlechtliche Wunsch, Gedanke oder Akt wird, wenn gezügelt und
kontrolliert, leicht in die große geistige Energie »Ojas Shakti« umgewandelt.
Je mehr diese Shakti sich in einem Menschen ansammelt, desto stärker wird
er. Der Mangel oder der Überschuß an dieser Shakti unterscheidet die
einzelnen Menschen in Kraft, Vitalität und geistigen Fähigkeiten
der sich guter geistiger und körperlicher Gesundheit erfreuen und ein langes
Leben gewinnen will. Ihr Verlust ruiniert den Menschen geradezu.
Essen und Trinken sind natürliche Vorgänge wie die Ausscheidung von Urin
und Stuhl. Sie beginnen mit der Geburt und setzen sich bis zum Ende des
Lebens fort. Der Sexualinstinkt jedoch und die geschlechtlichen Funktionen
erwachen erst mit der Entwicklung der Geschlechtsdrüsen und hören mit
fortschreitendem Alter auf. Außerdem kann der Mensch sein ganzes Leben
lang ein halbes Dutzend Mal am Tag Wasser lassen, ohne dabei irgendetwas
ausser Urin zu verlieren, es sei denn, er hat eine Krankheit der Harnwege.
Unter normalen Umständen ist das eine einfache Notwendigkeit. Wäre aber
ein Mensch sein Leben lang täglich ein halbes Dutzend Mal sexuell aktiv, so
wäre das der sicherste Weg zu frühzeitigem Verfall und Tod. Das zeigt klar,
daß sexuelle Zügellosigkeit keineswegs ein natürliches Grundbedürfnis oder
-phänomen ist. Genau hierin liegt das Geheimnis von Brahmacharya und
seiner Bedeutung. Gerade das Bezwingen des Geschlechtstriebs, sobald er
sich bemerkbar macht, sowie das Bezähmen und Kontrollieren des
Seximpulses und seine Umlenkung in die richtigen Bahnen ist der Sinn von
Brahmacharya und führt schließlich über verschiedene Stufen zur
Gottverwirklichung und zu ewiger Seligkeit.
Der Mensch wird als vernünftiges und denkendes Wesen bezeichnet. Nur
beim Menschen haben Geist und Intellekt einen hohen Grad an
Vollkommenheit erreicht. Wenn der Mensch keine strenge Kontrolle über
seinen Geist und seine Sinne ausüben, und sein Leben nicht in
Selbstdisziplin führen würde, wäre er in gar keiner Weise besser als wilde
Tiere, die ihren sexuellen Instinkten freien Lauf lassen, um sie voll zu
genießen. Allein der Mensch kann und sollte sein Unterscheidungsvermögen
zu seinem eigenen Besten einsetzen. Wenn das Lebensziel des Menschen
allein in sexuellen Freuden bestünde, würde er feststellen, daß die Tiere
weitaus besser dastehen als er selbst, denn sie sind in ihrem Handeln frei,
und ihren Neigungen werden keine Zügel angelegt. Sie führen ein sorgloses
Leben, essen, wenn sie hungrig sind, trinken, wenn sie Durst haben, ruhen,
wenn sie müde sind und paaren sich, wenn sie den entsprechenden Drang
fühlen.
Der Mensch aber hat nicht alle diese Vorrechte und dazu die absolute
Freiheit, zu tun was er mag, und zwar wo und wann immer er will.
Tatsächlich ist der Lebenszweck des Menschen ein viel höherer und edlerer,
und dieses Ideal sollte nie aus den Augen verloren werden. Bei rechter
Anleitung und geeigneten Vorsichtsmaßnahmen kann jeder Junge und jedes
Mädchen leicht ein reines und enthaltsames Leben führen, und das nicht nur
bis zur Hochzeit, sondern sogar danach, wenn sie das wollen. Das ist einfach
eine Frage des richtigen Trainings von Geist und Sinnen.
Wie genau und leistungsfähig sie auch immer sein mögen, so können sie
doch nicht in die Mysterien eindringen und das Wesen und die Funktion
solch abstruser und subtiler Dinge entdecken, wie sie Geist, Selbst, Kosmos,
Gott usw. darstellen. Ein gründliches Studium zeigt, daß unsere alten Rishis
sich nicht allzuviel mit weltlichen Dingen befaßten, daß sie aber tief in das
Reich des Geistes eintauchten. Es scheint fast sicher, daß die Rishis ihre
Forschungen auf einer Stufe begannen, der sich moderne Wissenschaftler
durch ihre Experimente auf dem Gebiet von Materie und Energie
umständlich zu nähern beginnen; es scheint tatsächlich so zu sein, daß nur
wenige entschlossene Schritte nach vorn ihnen die Schleusentore des Geistes
für die Überzeugung öffnen werden, daß Es und nur Es allein die
Letzte Wahrheit ist.
Die Rishis reinigten ihren Geist bewußt und mit großem Einsatz, machten
ihn durch Yoga-Ubungen subtil und konzentriert, und so erlebten und
entschleierten sie die Geheimnisse von Geist, Kosmos, Selbst, Gott usw. Die
großen religiösen Wahrheiten wurden also auf wissenschaftliche Weise
durch Experimente und Beobachtung entdeckt, und es wäre unsinnig, sie
einfach deswegen beiseite zu schieben, weil wir zu unwissend und
materialistisch sind, um sie zu erfassen. Der normale moderne Mensch ist ja
nur ein Sklave seines Geistes und seiner Sinne, und als solcher kann er ihre
Bedeutung nicht verstehen und
noch viel weniger schätzen und bewerten. Unsere alte Kultur und unser altes
Erbe beruhen auf einer subtilen und tiefgründigen Geisteswissenschaft, auf
die wir mit Recht stolz sein sollten.
Es ist ein Jammer, daß heutzutage der indische Gelehrte kein eigenes
Rückgrat zu haben scheint. Er besitzt keine eigene Standfestigkeit, um seine
anerkannte Meinung zugunsten seiner alten Kultur abzugeben, die doch das
Ergebnis der Anstrengungen der Rishis darstellt. Statt dessen verläßt er sich
auf die Ansichten Fremder, um zu überleben. Tatsache ist, daß das indische
Volk durch jahrhundertelange Sklaverei seine eigene Kultur vergessen hat,
seine eigenen verborgenen Schätze vernachlässigt und jegliches
Selbstvertrauen verloren hat. Um unsere Leser vom ewigen Ruhm und dem
bestimmenden Einfluß Indiens zu überzeugen, zitieren wir die Meinungen
zweier hervorragender westlicher Gelehrter von internationalem Ruf in der
Hoffnung, daß sie daraus nicht nur Anregung erhalten, sondern auch stolz
sind auf die große Forschungsarbeit der Rishis und ernsthafte
Anstrengungen machen, dem aufgestellten Ideal nachzueifern. Ebenso mag
die Tatsache erwähnt werden, daß große Gelehrte aus allen Teilen der Welt
heute noch Indien besuchen, um die Geheimnisse des höheren Lebens zu
lernen und um in Demut, Glauben, Aufrichtigkeit und Verehrung Yoga zu
praktizieren.
Es gibt eine zentrale körperliche Kraft, die »Kundalini Shakti« genannt wird
und die im lebenden Körper ständig aktiv ist. Alle Geisteskräfte sind ein
Produkt dieser Shakti. Die menschliche Intelligenz ist mit ihr verbunden.
Kundalini Shakti ist die Ursache der Nervenströme. Die medizinische
Wissenschaft hat die Existenz, die Bedeutung und die Wirksamkeit der
Nervenströme im lebendigen Körper erforscht, aber bisher hat weder sie
noch die Sexualwissenschaft herausgefunden, wo der Dynamo der
Nervenströme seinen Sitz hat. Die alten Yogis und Rishis kannten jedoch
dieses Geheimnis und die wichtige Rolle, welche diese Shakti für die
geistige und körperliche Gesundheit und das Wachstum eines Menschen
spielt.
Die modernen Sexualforscher wissen aber nichts von dieser Shakti. Wenn
ein Geschlechtsakt und damit ein Orgasmus stattfindet, verlassen Teile
dieser Shakti, Ojas Shakti (geistige Energie), Nervenenergie und die
verschiedenen Flüssigkeiten den Körper durch die Genitalien. Mit jedem
Orgasmus werden dem System diese verschiedenen Energien und Sekrete
entzogen. Yogis und große Heilige haben dadurch, daß sie ihre
Sexualenergie kontrollierten und die Kundalini Shakti zu höheren Zentren
führten, übernatürliche Kräfte entfaltet. Diese übernatürlichen Kräfte sind im
Grunde kein Wunder, sondern sie enthüllen nur die verborgenen Fähigkeiten
des Geistes, die in uns allen schlummern. Die überwiegende Mehrheit der
Menschen verliert diese Kraft jedoch bei sexuellen Freuden, und daher
besteht für sie keine Aussicht, deren höhere Manifestation in sich zu
entwickeln.
Nichts kann mehr Unheil anrichten als diese Behauptung. Der Vergleich ist
dumm; er entbehrt wahrlich jeglichen gesunden Menschenverstand.
Brahmacharya bedeutet nicht nur Samenkontrolle; sie ist nur ein Teil davon.
Ein Brahmachari darf nicht einmal an sexuelle
Freuden denken, geschweige denn ihnen frönen. Brahmacharya bedeutet
vollkommene Kontrolle aller sexuellen Wünsche, Gedanken und
Handlungen. Die Vasektomie mag den Samen zurückhalten, aber der
Orgasmus (der sexuelle Genuß) findet trotzdem statt, und wichtige
körperliche Energien verschiedener Art («Ojas Shakti«, Nervenkraft,
»Kundalini Shakti«) werden sinnlos vergeudet. Darum gelingt es einem
Mann, der sich dieser Operation
unterzogen hat, nicht, große Kräfte des Körpers, des Geistes und der
Religion zu entwickeln, wie sie sich bei einem echten Brahmachari in der
Regel in hohem Maße zeigen. Um genau zu sein: Brahmacharya läuft auf
Sex-Sublimation hinaus, und das ist eine mühselige Arbeit gegen den Strom,
die nur ein wahrer Held vollbringen kann.
Mit diesem teilweisen Aufstieg wird ein Mensch aktiv und intelligent, aber
damit ist auch gleichzeitig eine große Gefahr verbunden, denn er neigt zu
abnormalen sexuellen Begierden. Hat er keinen reinen Geist, paßt er nicht
auf und übt keine Selbstkontrolle, so verfällt er leicht der Lust. Das ist der
Grund, warum dies gerade intelligenten Jungen und Mädchen passiert. Wenn
solche hellen Köpfe einmal die Seligkeit der Sexualität kosten, werden sie
wie wild darauf, und das bedeutet meist das Ende einer vielversprechenden
Laufbahn. Wenn diese Jungen und Mädchen dagegen vorsichtig sind und
strenges Brahmacharya einhalten, können sie Wunder wirken und in jeder
Beziehung Erfolg haben. Was wir hier behaupten, sind reine Tatsachen, die
wir in fünfzigjähriger Erfahrung und durch gründliches Studium des
Gegenstandes bestätigt gefunden haben.
Dieser Fall spricht für sich. Der Junge hielt kein strenges Brahmacharya ein,
d.h. er hatte keine Kontrolle über seine verborgenen Wünsche und Sex-
Instinkte. Trotzdem glänzte er in seinen Studien, denn er hielt physisch
Brahmacharya ein (Brahmacharya des Handelns). Zum Schluß schätzte er
jedoch seine Naßträume falsch ein, da ihm die rechte Führung fehlte, erlag
er den falschen Anweisungen des Sexologen und machte seine glänzende
Karriere zunichte. Etwas Unglücklicheres hätte dem jungen Mann nicht
geschehen können. Dieses Ereignis sollte Jungen und Mädchen ein
Warnsignal sein. Sie sollten sich vor solchen Fallen und Gefahren hüten und
nichts unversucht lassen, die Geheimnisse der Geisteskontrolle zu erlernen,
um Naßträume zu vermeiden.
Es ist wichtig, jungen Mädchen, die ins Pubertätsalter kommen, einen Rat
und eine Warnung auf den Weg zu geben. Die Menstruation ist beim
weiblichen Geschlecht eine ganz normale physiologische Erscheinung. Das
Pubertätsalter ist in verschiedenen Ländern und bei verschiedenen Rassen
sehr unterschiedlich. In Indien liegt das durchschnittliche Reifealter bei
dreizehn Jahren. Im Leben eines Mädchens entwickeln sich zu dieser Zeit
die Eierstöcke, die Brust- und andere Geschlechtsdrüsen. Das sind die
Anzeichen, daß das Mädchen zur Frau geworden ist. Der
Menstruationszyklus einer gesunden Frau folgt eng dem Mondzyklus, der
achtundzwanzig Tage hat. Die Abstoßung der Gebärmutterschleimhaut
verursacht die Blutungen der Menstruation. Diese Blutung dauert bei einer
gesunden Frau drei bis fünf oder sogar sechs Tage. Bei einem Mädchen, das
sie einmal bekommen hat, sollte sie sich etwa alle achtundzwanzig Tage
wiederholen.
In einigen Fällen erscheint sie auch ein oder zwei Tage zu früh oder zu spät.
Der Beginn der Mensis und die Menopause, d.h. der Eintritt der Regel und
ihr Ende in den Wechseljahren (normalerweise ist das nach dem
fünfundvierzigsten Lebensjahr) sind zwei sehr kritische Zeiten im Leben
einer Frau. Wenn die Periode zum ersten Mal eintritt, muß das Mädchen
sehr vorsichtig sein und sich vor allen Extremen schützen. Sie sollte sich
vollkommen ausruhen und nahrhafte Speisen und Getränke zu sich nehmen.
Auch sollte sie sich keine Sorgen machen. Ist sie in diesen Dingen
unachtsam, wird sie leiden. Nachlässigkeit kann schmerzhafte Menstruation
und andere Unannehmlichkeiten nach sich ziehen. Manches schüchterne
Mädchen verbirgt diese natürliche Erscheinung vor seinen Eltern, erschrickt
furchtbar, hält sie für eine Krankheit und ruiniert seine körperliche und
geistige Gesundheit. Diese Scheu ist ein aus Unkenntnis entstandener grober
Fehler.
Hier sollten Eltern, besonders die Mütter und älteren Schwestern, die
Mädchen entsprechend anleiten und sie vor einer Katastrophe bewahren.
Das ist unbedingt nötig und die Pflicht der Mutter oder der älteren
Schwester. Zu dieser Zeit ist ausreichende Ruhe und gehaltvolle Ernährung
absolut erforderlich, um eine durch den Blutverlust hervorgerufene
Erschöpfung zu vermeiden. Während der Mensis ist der Körper eines
Mädchens oder einer Frau sehr empfindlich, und daher sollten Laufen,
Springen, Spiele im Freien, schwere körperliche Arbeit, Angst usw.
vermieden werden, wenn man gesund und glücklich sein möchte. Zur Zeit
der Menopause wird die emotionale, geistige und körperliche Gesundheit
einer Frau wieder stark belastet. Wenn dann irgendetwas schief geht, ist es
das Vernünftigste, einen Facharzt aufzusuchen. Auch Yogaübungen,
Meditation, bestimmte Atemübungen usw. helfen, diese Störungen zu
beseitigen. Sie dienen auch als Vorbeugungsmaßnahme.
Um es zusammenzufassen: jeder ist auf der Suche nach Frieden und Freiheit,
aber nur wenige wissen, wie und wodurch man dazu kommen kann. Wahrer
Friede und echte Freiheit können nur durch Geisteskontrolle gewonnen
werden. Ohne Geisteskontrolle kein Frieden und keine Freiheit, denn noch
so viele Sinnesfreuden können den Menschen nicht wahrhaft glücklich
machen. Ebenso wenig können das grenzenloser Reichtum, Ruhm und Ehre
und dergleichen. In Wirklichkeit bringen sie es sogar fertig, den Menschen
unglücklich zu machen. Das heißt aber nicht, daß man nicht nach
materiellem Wohlstand streben und ihn gänzlich außer acht lassen sollte.
Wir wollen materiellen und geistigen Fortschritt und Aufschwung. Eine
Verbindung von Wissenschaft und Religion, von westlicher und östlicher
Kultur erscheint als die richtige Lösung für Frieden und Fortschritt der Welt
und aller Völker.
Rein materieller Fortschritt, bei dem die geistige Seite ganz und gar
vernachlässigt wird, kann nicht zu wahrem Glück beitragen. Man kann aber
auch nicht leben und beides miteinander vereinigen ohne Geld (materiellen
Wohlstand). Wir wollen beides. Wissenschaft und Religion sind keineswegs
unvereinbar. Sie ergänzen sich gegenseitig und sollten Hand in Hand gehen.
Was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt und nimmt
doch Schaden an seiner Seele? Eine egoistische Auffassung des Lebens ist
die größte Gefahr, vor der wir unsere geistige Befreiung schützen müssen.
In der zweiten Gruppe ist »der Mensch« ein soziales Wesen. Er ist ein
denkendes Wesen. Er hat eine Vorstellung von Anstand und
Verantwortlichkeit. Daher muß er Selbstkontrolle und Selbstdisziplin üben.
Dann gibt es noch den Übermenschen. Um ein Übermensch zu werden, muß
man Meister seines Geistes und seiner Sinne sein, um Samadhi zu erreichen.
Daher können alle, die am liebsten wie Tiere oder wie ihre Nachbarn
nebenan leben, es mit Selbstbeschränkung oder Brahmacharya halten, wie
sie wollen. All diejenigen aber, die wahre menschliche Wesen werden
wollen, müssen Selbstkontrolle üben, bis zu ihrer Heirat konsequent in
Brahmacharya leben und auch danach ein gut geregeltes Geschlechtsleben
führen, um zu wahrem Frieden, Wohlstand und langem Leben zu gelangen.
Das ist unerläßlich.
All jene, die sich danach sehnen, durch Samadhi oder Gottverwirklichung
Übermenschen zu werden, müssen ihr ganzes Leben lang in Enthaltsamkeit
(Brahmacharya) leben und Geisteskontrolle und Meditation praktizieren, um
die Kundalini Shakti zum höchsten Zentrum aufsteigen zu lassen. Ohne
volles Brahmacharya und Meditation ist es unmöglich, Samadhi zu erlangen.
Ohne Samadhi zu erreichen, kann niemand zum Übermenschen werden und
Intuition und Weisheit viel höherer Art gewinnen. Kurzum, das Einhalten
und das Festhalten an Brahmacharya sind die Voraussetzung, für den Erfolg
bei der Geisteskontrolle und das Erreichen von Samadhi. Nur durch Samadhi
wird man zum Übermenschen und gewinnt die Intuition der höheren Art.
Darum, liebe Kinder! überlegt und entscheidet selbst, was ihr im Leben
werden wollt - animalische Menschen, Menschen oder Übermenschen. Dann
wählt eure Lebensweise und formt euren Charakter entsprechend. Die
Lebensspanne zwischen Zehn und Dreißig ist die fruchtbarste Zeit, um
seinen Charakter zur Größe auszubauen oder ihn so zu ruinieren, daß man
auf Dauer ehrlos versinkt. Gott segne Euch alle!
Internet: http://www.narayanananda.0nyx.com/
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