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GERD REUTHER
DER
BETROGENE
PATIENT
Originalausgabe
2. Auflage 2017
© 2017 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
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»Günstig ist das Wetter … nur dem, der in eine Richtung
strebt, die der meinen entgegengesetzt ist; wer den
Hafen der Vernunft und der Wahrheit anzusteuern
wagt, dem sind alle Winde so widrig, dass er gar
nicht geschickt und listig genug sein kann …«
Hinweis: In diesem Buch wird für Patienten und Ärzte beiderlei Geschlechts
vereinfacht die männliche Form verwendet, es sei denn, es wird ausdrücklich
auf Patientinnen oder Ärztinnen hingewiesen.
Inhalt
Geleitwort
Prolog
8 Zynische Dreiecksbeziehungen
Undurchsichtige Geldflüsse und Interessenkonflikte
Danksagung
Anmerkungen
Geleitwort
Das Buch von Dr. med. Gerd Reuther ist wie eine Wiese mit vielen
Maulwurfshügeln: Es zeigt, wo ein Wühler am Werk war, wo einer das unter
der Oberfläche Liegende nach oben gebuddelt hat, das, worüber schon Gras
gewachsen ist. Um nicht missverstanden zu werden: Gerd Reuther ist kein
Maulwurf, keiner, der »undercover« in einem Betrieb oder einer Firma
gearbeitet hat, um Missstände aufzudecken und anzuprangern. Gerd Reuther ist
ein Insider, der nach 30-jähriger engagierter Tätigkeit im Medizinbetrieb nicht
erst vom Saulus zum Paulus werden musste, um in die Fußstapfen von Peter C.
Gøtzsche (Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität, 2014), Jerome P.
Kassirer (On the Take, 2005) oder Marcia Angell (The Truth About the Drug
Companies, 2004) zu treten.
Gerd Reuther ist Radiologe. Schnittbildradiologen nutzen die Freiheit des
technischen Verfahrens, die Schnittbildebene der Durchleuchtung frei wählen
zu können, gekonnt aus. In täglicher Übung haben sie gelernt, ihre
Magnetresonanztomografen (MRT) wie eine Brille zu nutzen, durch die und mit
der man sieht. Genauer, wie eine Gleitsichtbrille, die man – je nach Situation
und Kontext – mal mehr als Lesebrille, mal mehr zur Weitsicht nutzen kann.
Das Fokussieren auf eine Schnittebene, durch die der Lichtstrahl ins Auge fällt,
kann man durch lockeren oder festen Sitz der Brille, durch Vor- und
Rückschieben der Brille auf der Nase mit beeinflussen. Das machen MRT-
Spezialisten mit ihrer »Brille« ähnlich, sie wechseln zwischen verschiedenen
Kontrasteinstellungen (Protonendichte-, T1- und T2-Gewichtung) und
Schnittebenen.
Gerd Reuthers Durchleuchtung des Gesundheitswesens beruht auf gründlich
recherchierten Belegen und Fakten – eine Betrachtung, die er für die ganze
Medizin fordert. Was Reuther bei seinen verschiedenen Fokussierungen auf
den unterschiedlichen Schnittebenen sieht, ist erschreckend: die unsichere
Basis vieler medikamentöser Therapien, den sinnlosen Aktionismus der
Mediziner, die Machenschaften der pharmazeutischen Industrie, blinde Flecke
bei der Infektionsprävention, Interessenkonflikte der Verfasser von Leitlinien
oder Impfempfehlungen, die falschen Anreize im Abrechnungssystem der
Krankenhäuser, den Unsinn stationärer Rehabilitationsmedizin und des
Kurwesens bis hin zu den unnötig hierarchischen Strukturen in deutschen
Kliniken und, und, und. Jeder, der 30 Jahre oder länger als Arzt tätig war, kennt
vieles, was Reuther beschreibt, aus eigener Anschauung. Und jeder, der
während seines Studiums und seiner Berufstätigkeit nicht nur Fachzeitschriften,
sondern auch die eigene Zunft kritisch reflektierende Bücher gelesen hat,
angefangen bei Ivan Illichs (1926–2002) Klassiker Enteignung der
Gesundheit (1975), weiß, wie es um die Medizin bestellt ist.
Gerd Reuther war auch vor allem ein exzellenter interventioneller
Radiologe, der CT-kontrolliert verborgene Abszesse drainierte, die
entlegensten Lymphknoten biopsierte, Gallenwege und Gefäße mit Stents
(Gefäßstützen) versorgte und sogar Osteosynthesen (operative Verbindung von
Knochen) durchführte. Und es ist dem über das Durchleuchten und
Diagnostizieren hinausgehenden Blick eines interventionell tätigen Radiologen
zuzuschreiben, dass Reuther konkrete Vorschläge für therapeutische Eingriffe
unterbreitet und 20 reformatorische Thesen ans Portal des kränkelnden
Gesundheitswesens anschlägt. Mit diesen 20 Thesen ist das Buch deutlich
mehr als eine bloße Kritik an den Missständen der heutigen Medizin. Mit
seinen reformatorischen Thesen könnte es das Potenzial für heilsame
Veränderungen haben. Um auf das Bild mit der Wiese und den
Maulwurfshügeln zurückzukommen: Wie vieler »Wühler«, wie vieler Insider
bedarf es noch, damit sich etwas ändert?
Wer früher stirbt, ist bekanntlich länger tot. Aber wer später stirbt, meist
länger Patient. Trotz jährlicher Rekordmeldungen einer steigenden
Lebenserwartung stagniert die »gesunde Lebenserwartung« seit 2010 bei
erhöhter Behandlungsintensität in den meisten Ländern der Europäischen Union
(EU).1 In Deutschland stehen Männern im Alter von 65 Jahren 10,9 und Frauen
13,8 Beschwerdejahre bevor.2 Das tatsächliche Sterbealter von 78,1 Jahren
liegt um 2,5 Jahre unter den Prognosen der Lebenserwartung.3
Die Mehrzahl der Patienten ist davon überzeugt, dass die heutige Medizin auf
einer soliden naturwissenschaftlichen Basis steht. Und die Ärzte blicken mit
Verachtung auf die bis in das 19. Jahrhundert gängige Praxis, mit Aderlässen,
Schröpfen, Abführen und Brechmitteln gegen jedes Leiden zu Werke zu gehen,
um ein Ungleichgewicht der »Säfte« zu beseitigen. Die Hochnäsigkeit sollte
allerdings schnell verfliegen, wenn man sich einige der heutigen
Behandlungsmethoden ansieht. Reflexhafte Herabsetzungen von Blutgerinnung
und Blutfetten, die Verabreichung entwässernder Medikamente und ärztliche
Empfehlungen großer Trinkmengen erwecken den Anschein, die Säftelehre
wäre noch nicht überwunden.
Die Prinzipien der Verdünnung, Ausschwemmung und »Entschlackung«
erklären sich durch früher häufig zu Recht vermutete Vergiftungen als
Krankheitsursache. Doch die generalisierte Anwendung derselben wenigen
Maßnahmen bei allen möglichen Krankheitszuständen ist das Gegenteil einer
naturwissenschaftlichen, auf Fakten und Belegen basierenden Medizin
(evidenzbasierten Medizin). Blinde Autoritätsgläubigkeit zieht sich durch die
Geschichte der Medizin, sodass unhinterfragte Vorgaben vermeintlicher
Experten immer wieder vermeidbare Krankheiten und Todesfälle verursacht
haben. So wurden zum Beispiel Infektionskrankheiten lange Zeit als natürliche,
nicht beeinflussbare Erscheinungen verkannt, obwohl der Bevölkerung
wirksame Therapien und Präventionsmaßnahmen bekannt waren. Über
Jahrhunderte führte dies zu Millionen von Todesfällen und schweren
Behinderungen.1 In Abwandlung einer Sentenz des Anatomen und Physiologen
Friedrich Tiedemann (1781–1861) könnte man sagen, dass Ärzte ohne
evidenzbasierte Medizin »Maulwürfen« gleich sind: »sie arbeiten im Dunkeln
und ihrer Hände Tagewerk sind Erdhügel«.2
Pharmakologisches Roulette
Ärzte sollten keine Zocker sein. Sie sind es aber, wenn man sich die
Wahrscheinlichkeiten ansieht, nach denen ein Behandlungskonzept bessern
oder heilen kann. Behandlungen gelten schon als äußerst erfolgreich, wenn nur
eine von zehn behandelten Personen profitiert. Man spricht dabei von der NNT
(von engl. »number needed to treat«), also der Anzahl an notwendigen
Behandlungen, um das gewünschte Therapieziel bei einem einzigen Patienten
zu erreichen (Kehrwert der Risikodifferenz zwischen einer neuen Behandlung
und dem bisherigen Standard).13 Es werden heute sogar Maßnahmen mit einer
NNT von 100 oder mehr empfohlen (zum Beispiel Einnahme von Statinen zur
Prophylaxe von Herzinfarkt und Schlaganfall14).
Welchen Sinn hat eine Therapie, bei der für das gleiche Symptom fünf oder
mehr verschiedene Präparate verabreicht werden, wie dies bei einem
Bluthochdruck, der auf eine Therapie nicht anspricht, inzwischen zur Unsitte
geworden ist? Wenn ein Medikament nicht oder nicht mehr wirkt, gibt man
einfach ein zweites Präparat, ohne das erste abzusetzen. Und so weiter. Wer
würde beispielsweise zu einem Waschmittel ein zweites, drittes, gar viertes
Pulver geben, wenn die Wäsche nicht sauber wird, aber das erste trotz
offensichtlicher Wirkungslosigkeit weiter verwenden? Die Kombination von
zwei Medikamenten für dieselbe Erkrankung kann sinnvoll sein, wenn
unterschiedliche Wirkmechanismen vorliegen. Spätestens ab dem dritten
Medikament droht jedoch eine unkalkulierbare Chemieküche, für deren
Wechselwirkungen es keinerlei Studien, insbesondere bei Langzeiteinnahme
gibt. Sicher ist nur, dass das Risiko unerwünschter Arzneimittelwirkungen
(UAW) mit jedem Medikament überproportional steigt und sich pro fünf
Medikamenten mindestens verdoppelt.15 Dauertherapien mit acht bis zehn
Medikamenten in unveränderter Dosierung sind bei über 70-jährigen Patienten
allerdings Alltag.16 Immer neue Präparate werden zusätzlich verordnet, nicht
wenige gegen die UAW anderer Substanzen.
Lebenslang notwendige Medikationen, die nach Jahren noch ihre Wirkung
behalten (zum Beispiel Blutverdünnung, Schilddrüsenhormone) sind jedoch
die Ausnahme. Der Wirkungsverlust einer Therapie bei längerer Anwendung
ist der weit häufigere Fall als die Wirkungskonstanz. Euphemistisch spricht
man in der Medizin von »Toleranzentwicklung«. Ein punktueller Eingriff in ein
biologisches System zieht – im Gegensatz zu technischen Geräten – zwingend
Reaktionen nach sich, die auch gegen eine Medikamentenwirkung gerichtet sein
werden. Dies wird durch verschiedene Phänomene verursacht: Abnahme der
Rezeptorendichte auf der Zelloberfläche, Veränderung der
Rezeptorempfindlichkeit, Aktivierung antagonistischer Systeme,
Abschwächung der Signalweiterleitung oder die Beschleunigung der
Ausscheidung. Dopamin wirkt bei der Parkinsonkrankheit schwächer, wenn es
länger gegeben wird. Medikamente gegen Bluthochdruck verlieren längstens
nach wenigen Jahren an Wirkung. Eine Hauterscheinung, die nach der ersten
Anwendung lokaler Immunsuppressiva schnell abgeklungen ist, wird bei
erneutem Auftreten weniger oder gar nicht mehr ansprechen. Alle
Chemotherapeutika führen durch eine Negativselektion von Tumorzellen zu
einem allmählichen Wirkungsverlust, da die unempfindlichen Zellen überleben
und sich ungehindert vermehren können. Bei Tranquilizern ist die
Wirkungsabnahme bereits nach zwei Wochen festzustellen. Schon diese
Beispiele zeigen, dass jede Verordnung daher einer Befristung bedarf. Ein
Standardreflex der Medizin ist jedoch oft die Dosiserhöhung oder die
zusätzliche Gabe weiterer Pharmaka mit vergleichbarer Wirkung.
Hierzulande so beliebte Dauertherapien sind ein in keiner Weise
evidenzbasiertes Dogma der Medizin, das nur der Pharmaindustrie, aber kaum
je dem Kranken dient. Dennoch sind Abnahme und Verlust der Wirkung von
Medikamenten bei Langzeiteinnahme ein Tabufeld. Für wenige Medikamente
und Anwendungen existieren gesicherte Studien, wie lange eine Einnahme
sinnvoll ist, obwohl Toleranzeffekte mit der Dauer der Einnahme zunehmen
und der Quotient aus Wirkung zu den UAW sinkt. Eigentlich müsste das
Absetzen von Medikamenten so häufig wie das Verschreiben neuer
Medikamente sein. Gerade, weil sich das Risiko von UAW bei Menschen über
70 Lebensjahren wegen der steigenden Empfindlichkeit im Alter sogar
verzehnfacht.17
Studien für die Medikamentenzulassung sind für die Wirkungskonstanz nicht
aussagekräftig, da sie keine Langzeiteffekte erfassen, insbesondere nicht
hinsichtlich Wechselwirkungen zu anderen Medikamenten. Überhaupt werden
Einnahmen über lange Zeiträume selten untersucht. Selbst wenn Studien, wie
bei den Protonenpumpenhemmern, die die Säureproduktion im Magen
unterbinden, schwerwiegende und tödliche Risiken belegen18 19, ist das
Befristen der Verordnung in der ärztlichen Praxis nicht die zwingende
Konsequenz. Bei längerer Einnahme treten unerwünschte gegenüber den
erwünschten Wirkungen sogar oft in den Vordergrund. Der Gesundheitszustand
bessert sich durch das Weglassen von Langzeitmedikationen vielfach auch
deshalb, weil Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten entfallen. Solche
Absetzeffekte schulmedizinischer Medikamente befördern maßgeblich die
Illusion von Erfolgen in der Komplementärmedizin (= Alternativmedizin).20
Randomisiert-kontrolliertes Leben
Nicht nur Menschen, sondern auch die Umstände können RCT-Studien
aufsetzen. Als Johann Klein (1788–1856), der seit 1822 die Geburtshilfeklinik
des Allgemeinen Krankenhauses der Stadt Wien leitete, 1833 die Klinik in
zwei Abteilungen teilte, legte er unbeabsichtigt den Grundstein für die
Aufklärung der Ursachen des »Kindbettfiebers« durch Ignaz Semmelweis
(1818–1865).37 In der einen Abteilung wurden die Entbindungen
ausschließlich von Hebammen ohne ärztliche Untersuchungen durchgeführt, in
der anderen Abteilung nur von Ärzten und Medizinstudenten, die auch die
eigenen verstorbenen Patienten sezierten. Die wechselweise Aufnahme in
beide Abteilungen nach Wochentagen erfolgte allein aus
organisationspolitischen Gründen.
Umgehend zeigte sich, lange vor dem Eintritt von Semmelweis in die
Klinik, ein massiver Unterschied bei den Todesfällen zwischen beiden
Abteilungen. Während die Sterblichkeitsrate in der Hebammenstation bei 2 bis
3% lag, verstarben unter den Händen der Ärzte zwischen 10 und 30% der
Mütter.38 Das war eine experimentelle Situation par excellence, bei der die
Fakten nur in alle Richtungen hätten analysiert werden müssen, ohne
Rücksichten auf Dogmen und standespolitische Interessen. Die ursprüngliche
»Randomisierung« der Zuteilung ging allerdings schnell verloren, da sich die
höhere Sterblichkeit in der ärztlichen Abteilung herumsprach und die
werdenden Mütter an der Pforte alles dafür taten, um auf die Hebammenstation
zu kommen. Das Müttersterben hielt sich nur dadurch in Grenzen, dass
lediglich circa ein Viertel aller Entbindungen in der Geburtsklinik in Wien
erfolgten.39 Ein öffentlicher Skandal blieb aus, da in der Klinik nur Frauen
entbanden, die sich keinen Geburtshelfer zu Hause leisten konnten: ledige
Mütter, Prostituierte und Frauen aus der Unterschicht.
Trotz Sektionen der verstorbenen Frauen, bei denen man Entzündungen hätte
erkennen müssen, war die ärztliche Abteilung bis 1849 nicht in der Lage, die
drastisch differierende Häufigkeit des »Kindbettfiebers« zu erklären. Dabei
hatte die Sterblichkeit unter Kleins Vorgänger, der Studenten nicht an Leichen,
sondern am Holzmodell unterrichtete, noch bei 1 bis 2 % gelegen.40 Als
Ursachen wurden genannt: die Mauern der Ärzteabteilung, aus denen
verderbliche Ausdünstungen kämen, das eminenzbasierte Dogma des
»Milchstaus« oder die weibliche Verspannung des Körpers bei körperlicher
Untersuchung durch Männer gepaart mit einer größeren Angst vor dem
»Kindbettfieber«. Natürlich war die Beschaffenheit der Mauern in beiden
Abteilungen die gleiche und Hausgeburten in Wien wurden von männlichen
Hausärzten ohne erhöhte Sterblichkeiten vorgenommen. Der Assistenzarzt
Semmelweis erkannte die infektiöse Ursache des »Kindbettfiebers« durch die
mit »Leichengift« kontaminierten Hände der Ärzte, obwohl er noch keine
Bakterien identifizieren konnte. Johann Klein hatte den Sektionsunterricht unter
Missachtung der Handhygiene von Ärzten und Studenten forciert.
Aber Klinikärzte als Todesursache – das durfte, ja konnte einfach nicht sein.
Semmelweis wurde als ungebetener Rufer in der »Welthauptstadt der Medizin«
1849 der Klinik verwiesen. Das »Kindbettfieber« blieb für weitere 25 Jahre
ein stetes Damoklesschwert über den armen Wöchnerinnen in Wien. Erst die
mikroskopischen Keimnachweise von Carl Mayrhofer (1837–1882) und
Joseph Lister (1827–1912) führten zu einem Strategiewechsel, der auch ohne
Erregernachweis durch rationale Analyse der Evidenzen mindestens 50 Jahre
früher hätte erfolgen müssen. Hygiene bei der Geburt durch heißes Wasser,
frische Tücher und gewaschene Hände gab es schon in der Entbindungsära der
Hebammen in den vorhergehenden Jahrhunderten. Bereits 1795 hatte der
schottische Arzt Alexander Gordon (1752–1799) das »Kindbettfieber« als
Infektion bezeichnet,41 und 1843 war von Oliver Wendell Holmes Sr. (1809–
1894) die Infektionstheorie in Neuengland erneut publiziert worden.42
Infektionsmanagement heute
Bei den häufigsten Erkrankungen, den Virusinfektionen der Atemwege,
entspricht das heutige Management der Hilflosigkeit früherer Jahrhunderte.
Dennoch ist die Schulmedizin durch ihr gesetzlich sanktioniertes Monopol,
über Gesundheit und Krankheit zu befinden, zur ersten Anlaufstelle für
Betroffene geworden. Bis heute gibt es keine wirksamen Medikamente gegen
virale Atemwegsinfekte und Grippe, aber die geforderte Krankschreibung
zwingt erwerbstätige Kranke für Stunden auf die Beine und in überfüllte
Wartezimmer mit anderen Kranken, sodass sich die Zahl der Kontaktpersonen
erhöht. Mit Ausnahme weniger Kinderarztpraxen verzichtet man trotz der seit
über 100 Jahren bekannten Übertragung durch Tröpfcheninfektion auf
Schutzmaßnahmen oder Isolierungen infektiöser Patienten. Arzt und
Praxispersonal fungieren als Multiplikatoren für Viren, als ob die Gefahr der
Ansteckung noch nicht erkannt wäre. Durch die mindestens halbtägige Strapaze
– Anfahrtswege, teilweise stundenlanges Warten – im akuten
Krankheitsstadium oft zusätzlich geschwächt, verteilen die Kranken auf dem
Rückweg noch einmal ihre Erreger im öffentlichen Leben und den Apotheken,
bevor sie endlich Bettruhe einhalten, warme Getränke, kühlende Wickel oder
Wärmflaschen – je nach Befindlichkeit – einsetzen können.
Der Verdacht ist nicht abwegig, dass alle Beteiligten der
Gesundheitswirtschaft ebenso wenig Interesse daran haben, die Ausbreitung
ansteckender Erkrankungen zu verhindern, wie die Londoner Ärzte im 18.
Jahrhundert. Als die Frau des englischen Botschafters in Konstantinopel, Lady
Montagu (1689–1762), von alten griechischen Frauen die Verhütung der
Pocken durch Inokulation (Animpfen) mit Eiter aus Pockenbläschen
kennenlernte, fasste sie den Vorsatz, diese Methode bei ihrer Rückkehr in
ihrem Heimatland zu etablieren. Einem ihrer Briefe ist zu entnehmen, weshalb
es jedoch so schwer war, eine der todbringendsten Infektionen in Europa
zurückzudrängen: »Ich … werde nicht verfehlen, einigen unserer Ärzte ganz
ausführlich darüber zu schreiben …, einen ihrer beträchtlichen Erwerbszweige
zum Wohl der Menschheit aufzugeben. Doch diese Krankheit ist für sie zu
einträglich, als dass sie nicht ihren ganzen Groll auf jenen verwegenen Wicht
ausschütten sollten, der es unternähme, sie (die Pocken) auszurotten.«59
Infektionskrankheiten waren und sind auch ohne Beeinflussung des
Krankheitsverlaufs ein Milliardengeschäft für Ärzte, Apotheker,
Krankenhäuser und die Pharmaindustrie. Die »Grippemittel« Tamiflu® und
Relenza® wurden als bislang größter Raubzug der Pharmaindustrie ohne
Patientennutzen enttarnt.60 Selbst die wohlwollendsten Studien stellen lediglich
eine Verkürzung der Krankheitsdauer um einen Tag in Aussicht und es müssen
zwischen 10 und 90 Patienten behandelt werden, damit ein Patient profitieren
würde. Ein Vorteil gegenüber Hausmitteln ist damit nicht zu belegen.61 62
Allgemeinmediziner, viele Internisten und HNO-Ärzte glauben in Deutschland
dennoch, dass es außer der Krankschreibung Medikamentenverordnungen
bedarf. Nicht zuletzt, weil man irgendetwas anbieten muss und
Therapiewunsch besteht. Kombinationspräparate, die aufputschen, den
Schleimfluss verbessern sollen, die Körpertemperatur senken sowie
Schmerzen lindern, gelten als Standard – wiewohl ohne jede Evidenz. Ein
Milliardenmarkt wirkungsloser Substanzen und konträrer Wirkungen. Zu allem
Überfluss finden immer noch antibiotische Wirkstoffe ihre unsinnige
Anwendung, obwohl sie gegen Viren völlig wirkungslos sind und allenfalls bei
Bakterieninfektionen eingesetzt werden sollten. Sinnvoll ist lediglich Bettruhe,
gegebenenfalls unterstützt durch Hausmittel und das Abwarten der
Selbstheilung.
Wir müssen keine Zeitreise antreten, um zu erkennen, dass es anders ginge.
Japaner tragen beim Verdacht auf Infektiosität grundsätzlich einen Mundschutz.
In den Niederlanden und Norwegen fehlen erkältete Patienten in den
Wartezimmern auch bei Grippewellen. Hausärzte dürfen dort ohnehin keine
Krankschreibung ausstellen und Kranke können sich von Krankheitsbeginn an
zu Hause auskurieren. Eine Behandlung darf erst eingeleitet oder versucht
werden, wenn in den Folgetagen eine erhebliche Verschlechterung oder nach
einer Woche keine Besserung vorliegen sollte. Eine Verlängerung der
Krankheitsdauer ist nicht belegt.63 Jedes andere Vorgehen ist kostspieliger
Unfug ohne Evidenz.
Wie man sofort sieht, kann eine solche Klassifikation der Verschleierung
dienen, denn lediglich die Klassen Ia und b erfüllen die Anforderungen
naturwissenschaftlicher Evidenz. Die Evidenzklassen IIa bis IV sind
Meinungen und Überzeugungen von Personen, Expertenkommissionen und nicht
randomisierte Studien – also eher das Gegenteil von Evidenz.
Allerdings würde auch eine durchdringende Evidenz keine perfekte
Medizin gewährleisten. Die in Behandlungsleitlinien überführten Evidenzen
müssen nämlich noch praktikabel sein. In der Notaufnahme eines britischen
Akutkrankenhauses waren für 18 Patienten mit 44 Diagnosen 3679 (!) Seiten
nationaler Leitlinien mit einer geschätzten Lesezeit von 122 Stunden
relevant.152 In Deutschland sieht es erwartungsgemäß nicht besser aus: Alleine
die Leitlinie zur »Behandlung ambulant erworbener Lungenentzündungen bei
Erwachsenen« bringt es ohne Literaturverzeichnis auf 70 Seiten, eine
Kurzversion gibt es nicht.153
Maß und Zahl sind die sichtbaren Zeichen einer exakten Naturwissenschaft, die
nur objektive Messungen anstelle subjektiver Wahrnehmungen gelten lässt. Die
zunehmende Durchsetzung medizinischer Schriften mit statistischen
Auswertungen in den letzten 100 Jahren zeigt ein Bestreben der Medizin,
diesem Anspruch gerecht zu werden. In der Literaturdatenbank Medline finden
sich fast 5000 Zeitschriften mit Bezug zur Medizin und es erscheinen darin
täglich mehr als 6000 Artikel.1 Jährlich kommen etwa 20 000 RCT-Studien
hinzu.2 Die Medizin müsste also vor Evidenz bersten! Genügt aber die
Forschung heute den Kriterien einer Naturwissenschaft? Geht es um die
unbefangene Beschäftigung mit Gesundheit und Krankheit?
Als in Mittelalter und Früher Neuzeit die Pest und die Pocken in Europa
wüteten, erkannten auch einzelne Ärzte die katastrophalen hygienischen
Zustände in den Städten als Ursache für die Epidemien. Georgius Agricola
(1494–1555) nahm als Stadtarzt und Bürgermeister von Chemnitz
Isolierungsmaßnahmen vor. Einige Jahrhunderte später stand der Arzt und
Philosoph Julien Offray de La Mettrie im Paris des 18. Jahrhunderts mit
seinem Plädoyer für eine prophylaktische Hygiene allerdings weiterhin alleine
da.1 Die medizinische Wissenschaft weigerte sich, Seuchen als ansteckendes
Phänomen zu erkennen. Selbst nach der sukzessiven Enttarnung von Mikroben
als Erreger der Infektionskrankheiten seit den 1870er-Jahren sprach der Doyen
der Kinderheilkunde in Deutschland, Eduard Henoch (1820–1910), noch 1881
vom »Bakterienschwindel« und erklärte, dass es ihm »in hohem Maße
bedenklich erscheine«, mit welcher »Sicherheit … sich besonders jüngere
Ärzte über die Bakterien der Diphtherie (im Kindesalter früher oft tödliche
Infektion von Rachen und Kehlkopf, Anm. d. Verfassers) aussprechen«.2
• Gestirnseinflüsse,
• durch den Körper aufgenommenes Gift,
• Konstitution,
• Einfluss der »Geister«,
• unmittelbarer Einfluss Gottes.3
Über Gestirne, Geister und Gott als Krankheitsursachen mögen wir den Kopf
schütteln. Haben wir aber heute gesicherte Erklärungen für Rheuma,
Bluthochdruck, multiple Sklerose, Arteriosklerose und die meisten Tumoren?
Bereits ein kritischer Blick auf wenige Diagnosen entlarvt das Lehrgebäude
unserer Medizin trotz seiner »Hightech«-Fassade als ebenso brüchig wie in
früheren Jahrhunderten. Nur von erschreckend wenigen Krankheitsbildern ist
die Ursache eindeutig geklärt, obwohl 99 % aller Forscher und
Wissenschaftler der Menschheit in unserer Zeit leben.4 Eine Lungenentzündung
mit Nachweis von Pneumokokken ist noch gut als Infektionskrankheit
einzuordnen, auch wenn die immunologische Abwehrlage des Erkrankten
unberücksichtigt bleibt. Aber was ist die Ursache einer Sarkoidose
(Erkrankung des Bindegewebes mit Knötchenbildung)? Was löst eine
Appendizitis oder Divertikulitis aus? Konstitution (genetische Ursachen) und
Umweltgifte hatte schon Paracelsus auf der Rechnung; lediglich die
Identifizierung von Mikroorganismen als Krankheitsursache ist seither als
Errungenschaft zu verbuchen. Verletzungen durch Gewalteinwirkungen
vermisst man bei Paracelsus, da diese zur damaligen Zeit nicht in das Ressort
der gelehrten Ärzte fielen, sondern Angelegenheit nicht akademischer
Wundärzte waren. Gravierend aber ist, dass auch bei ihm die
Krankheitsursache »ärztliche Behandlung« fehlt – offensichtlich war er
genauso betriebsblind wie die heutige Medizin.
Der Spezialist kommt für die meisten Bürger gleich nach dem lieben Gott. Das
gilt nicht nur für medizinische Laien. Selbst nicht spezialisierte Kollegen
verfallen schon einmal in Demutsgesten, wenn sich ein Spezialist die Ehre
gibt. Auch die Politik hält eine zeitnahe Expertenkonsultation für ein
Grundrecht und sah sich veranlasst, einen Facharzttermin innerhalb von vier
Wochen sicherzustellen.1 Die universitären Autoren eines Artikels über
evidenzbasierte Medizin geißeln gar jedes Misstrauen gegen Experten und
fragen ernsthaft: »Warum sollte man anerkannten Experten eines
Wissensgebietes weniger trauen als sich selbst?«2 Als würde nicht täglich bei
der Mehrzahl der Spezialisten das Prinzip gelten: Therapie sucht Patient. Die
Frage kann damit beantwortet werden, dass »die Pharmaindustrie die meisten
Experten eines Fachgebietes kauft und dadurch das System der gegenseitigen
Kontrolle unter Kollegen zerstört«.3 Man muss Experten misstrauen, denn
niemand wird williger zum Spielball seines Geltungsdranges oder
kommerzieller Interessen als sie. »Experten dienen jedem System, das sich
ihrer bedient. Sie erhalten es aufrecht«, formulierte der Bestsellerautor John le
Carré (geb. 1931) mit beißender Schärfe.4
Der Ruf nach Spezialisierung aufgrund der übertriebenen Wertschätzung von
Experten in unserer Gesellschaft hat die Medizin längst verändert. Die
ehemalige »Innere Medizin« als Gegenstück zur »Allgemeinchirurgie« ist
inzwischen in bis zu neun Disziplinen aufgesplittet (Gastroenterologie,
Kardiologie, Pneumologie, Hämatologie, Endokrinologie, Nephrologie,
Onkologie, Rheumatologie, Geriatrie). Weitere Subspezialisierungen
etablieren sich bereits: Thoraxonkologie, Infektiologie, Osteologie,
Elektrophysiologie, Diabetologie, Immunologie, Hämostaseologie, Schlaf- und
Beatmungsmedizin, Palliativmedizin … Das Land Brandenburg kennt 53
Facharztbezeichnungen, 10 Schwerpunkt- und 46 Zusatzbezeichnungen.5 In der
sehr übersichtlichen Anästhesie, die bis in die 1960er-Jahre noch von
Pflegekräften übernommen wurde, gibt es seit 2013 einen Lehrstuhl für
Gerontoanästhesiologie, obwohl schon seit Jahrzehnten die Hälfte aller
operativen Eingriffe an Senioren erfolgt.6
Die Spezialisierungsfalle
Tatsächlich werden im heutigen Spezialistensystem Diagnose und Therapie
maßgeblich durch den Kranken und seinen erstbehandelnden Arzt bestimmt:
Der Patient sucht aufgrund seiner vorgefassten Meinung über seine Krankheit
oder aufgrund einer Verdachtsdiagnose seines Hausarztes einen bestimmten
Spezialisten auf – der häufig genug für die Krankheit nicht zuständig ist. Oft
wird dann mit dem Tunnelblick des Experten falsch diagnostiziert und
therapiert, was dem Kranken und seiner Krankenkasse teuer zu stehen kommt.
Ein Befund, der im Behandlungsspektrum der zugezogenen Spezialisten liegt,
aber gar nichts mit den Beschwerden zu tun hat, bedingt Fehldiagnosen und
Fehlbehandlungen, mindestens jedoch diagnostische Irrwege und weitere
Expertenkonsultationen.
Eigentlich sollte durch Spezialisierung die Ermittlung von
Krankheitsursachen als ärztliches »Kerngeschäft« ebenso wie die Therapie
verbessert werden. Wie gesagt, eigentlich … Nur ein Beispiel, dass dem oft
genug nicht so ist oder die gute Absicht sich in ihr Gegenteil verkehrt: Durch
die Spezialisierung von Internisten, die sich ausschließlich von Spiegelungen
des Darmes über den Mund oder den Enddarm ernähren, konnte der Darm
jahrzehntelang als mechanisches Schlauchsystem für die Zufuhr und Entsorgung
von Bau- und Betriebsstoffen verkannt werden. Erst vor Kurzem hat der
Bestseller einer Medizinstudentin (!) die wichtigen immunologischen
Funktionen unseres Darms und der darin enthaltenen Mikrobiota in unser
Bewusstsein gerückt.7
Eine Verkürzung von Patientenodysseen bis zur richtigen Diagnose ist trotz
fortschreitender Spezialisierung nicht festzustellen. Im Gegenteil, beim
Abklappern niedergelassener Experten vergehen oft Monate, bis unklare
Erkrankungen den richtigen Ansprechpartner finden. Wer das Pech hat, an einer
seltenen Krankheit oder einer Erkrankung mit ungewöhnlichem Verlauf zu
leiden, dem kann nur der Zufall oder einer der wenigen kriminalistisch
ermittelnden Ärzte helfen. Letztendlich entscheidet der Patient über seine
Therapie – je nachdem, durch welche Ladentür er tritt. Nur der Kranke hat
Vorteile, der zur rechten Zeit die richtige Tür zum Spezialisten für seine
Erkrankung öffnet.
Aber woher soll der Kranke wissen, welche Tür die richtige ist? Ob ihm
ein operativer Eingriff oder der Verzicht darauf weiterhelfen könnte? Was ist
vom diagnostischen Scharfsinn eines Spezialisten zu erwarten, der seinen
medizinischen Horizont im Namen trägt – Rheumatologe, Allergologe,
Wirbelsäulenchirurg? Ein habilitierter Rheumatologe verkannte eine
Schwellung des Handrückens bei einem Lehrer im höheren Lebensalter
wochenlang als ungewöhnliches erstes Auftreten von Rheuma und verkaufte
dies einem Fernsehsender auch noch als diagnostischen Scharfsinn.8 Dabei
hatte sich nach einer Fingerverletzung lediglich ein ungewöhnlicher Keim
durch eine Verunreinigung der Wunde in einem Aquarium festgesetzt. Die
verschleppte Entdeckung des Keims durch den unzuständigen Experten
verursachte dabei noch drei Operationen! »Wenn die Welt zugrunde geht, so
wird dies nicht wegen ihrer Verrückten geschehen, sondern wegen der Vernunft
ihrer Experten«, schlussfolgerte schon der Kriminalschriftsteller John le
Carré.9 Wenn sich das Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen pro
fünf gleichzeitig eingesetzter Medikamente verdoppelt, muss dies dann nicht
auch für die Zahl der eingeschalteten Spezialisten gelten?
In Kliniken, aber auch unter niedergelassenen Kollegen haben durch die
Spezialisierung Konsiliarärzte Hochkonjunktur. Es ist immer eine Absicherung
gegen das Übersehen von Krankheiten, wenn man weitere Kollegen hinzuzieht.
Je spezialisierter, desto besser. Grundsätzlich und zurückhaltend angewandt
auch keine dumme Idee. Nur, dass man für einen ganzen Menschen inzwischen
eine erkleckliche Anzahl von Kollegen benötigt. Das ist aber kein Problem,
sondern eine wechselseitige Geschäftsgrundlage bei einer Zusammenarbeit mit
Freunden. Wirtschaftlich handelt es sich um eine klassische angebotsgetriebene
Nachfrage. Die Kostenträger zahlen ohnehin. In Nachbarländern mit reinen
Privatkliniken im Belegsystem konnte ich ausgiebig beobachten, dass fast jeder
Patient von einer Horde von Spezialisten ausgeweidet wird wie die Beute von
einem Rudel Wölfen. In deutschen Kliniken mutet durch die Festanstellung der
meisten Konsiliarärzte das System weniger gierig an, doch in der Konsequenz
besteht kein Unterschied. Jeder hinzugerufene Experte hat einen anderen Fokus
und ist beflissen, irgendetwas zu finden. War die Suche, wie erhofft,
erfolgreich, wird natürlich gleich eine Behandlung vorgeschlagen. Schnell
sammeln sich so fünf bis zehn Therapieempfehlungen, die umgesetzt werden,
wenn sich der Patient nicht ausdrücklich dagegen verwehrt. Eine der Ursachen,
warum nach einem Klinikaufenthalt schon einmal fünf neue Medikamente auf
der weiteren Lebensagenda stehen. Und die eine oder andere
Operationsempfehlung gesellt sich auch noch dazu. Auf jeden Fall werden es
mehrere Kontrolltermine sein. Das System der Spezialisten ist ein
wesentlicher Grund für die Übermedikalisierung von Kranken mit
Verdoppelung vermeintlich therapeutischer Körperverletzungen in den letzten
20 Jahren10 und oft lebenslanger Polypharmazie, wenn kein Behandler Zeit und
Mut aufbringt, einmal verschriebene Präparate abzusetzen.
Im Leben bestehen immer zwei Möglichkeiten: Man handelt oder man handelt
nicht. Für Mediziner heißt dies: behandeln oder den Spontanverlauf
beobachten. Gilt es einen bedrohlichen Krankheitsverlauf abzuwenden oder
besteht ein selbstheilender Prozess? Leitlinien und Lehrbücher der Medizin
strotzen vor Handlungsanweisungen – was weitgehend fehlt, sind
Empfehlungen zum Unterlassen, Reduzieren oder Beenden von Therapien. Die
meisten Erkrankungen sind zwar unheilbar beziehungsweise nicht nachhaltig zu
beeinflussen, trotzdem wird behandelt – mehr denn je. In Deutschland sind es
fast neun Behandlungen pro Kopf und Jahr vom Neugeborenen bis zum Greis1,
keine zwei davon mit Evidenz der Wirksamkeit. Ambulante Behandlungen
haben in den letzten zehn Jahren um ein Viertel zugenommen2, Operationen um
ein Drittel – die Hälfte bei über 65-Jährigen mit erhöhtem Risikoprofil.3
Haben Sie auch festgestellt, dass es kaum möglich ist, eine Arztpraxis zu
verlassen, ohne dass Ihnen wenigstens ein Kontrolltermin im nächsten Quartal
nahegelegt wird?
Aktivität mehrt den Umsatz, erhöht die Publicity und wird von der Mehrzahl
der Kranken erwartet. Einem Arzt, der zum Abwarten rät, trauen die meisten
Patienten nicht. Ärzte empfehlen Therapien, wie Bankberater zu Geldanlagen
raten – in beiden Fällen ist der Erfolg der Dienstleistung unabhängig von der
Bezahlung. Wie bei lukrativen Geldanlagen droht der Totalverlust: In der
Nebenwirkung »Grad 5« verbirgt sich der therapiebedingte Tod. Mit der
Einführung von Fallpauschalen hat sich in deutschen Kliniken nichts am
Aktionismus geändert: Bei fixer Geldsumme für einen Fall werden mehr Fälle
– gerne bei denselben Patienten – behandelt. 70 % befragter Internisten räumen
ein, mehrfach pro Woche mit von Kollegen veranlassten überflüssigen
medizinischen Maßnahmen konfrontiert zu sein, während nur 20 % ein
Unterlassen von Maßnahmen beklagen.4 Kritik an etablierten Behandlungen
kommt erst auf, wenn neue, kommerziell interessante Therapiealternativen in
den Markt drängen.
Das Credo lautet: Eine schlechte Therapie ist besser als keine Behandlung,
obwohl mindestens ein Drittel der körperlichen Symptome, mit denen
Menschen im Laufe ihres Lebens bei Ärzten Hilfe suchen, vornehmlich oder
ausschließlich psychisch bedingt sind und keiner körperlichen Zuwendung
bedürfen.5 Bei orthopädischen Schmerzsyndromen werden sogar bis zu 50 %
psychosomatische Ursachen angenommen.6 Nach der Diagnosekodierung
liegen die Häufigkeiten für psychogene Erkrankungen aber nur bei 0,8 bis 5,9
%.7 Gemäß Krankenkassendaten werden 91 % aller Patienten mit sogenannten
F4-Diagnosen (Klassifikation der ICD für psychische Erkrankungen) nicht von
Psychiatern, sondern von Allgemeinmedizinern oder Fachärzten der
somatischen, also den Körper betreffenden Medizin betreut.8
Bei jeder Therapie bestehen vier Optionen:
Wenn die letzten beiden Fragen überhaupt nötig sind, ist Vorsicht geboten, da
ein seriöser und kompetenter Behandler von sich aus über Alternativen
einschließlich des Behandlungsverzichts informiert. Wird ein
Behandlungsverzicht gar nicht erwähnt oder die vorgeschlagene Behandlung
als »alternativlos« dargestellt, sollte man schleunigst kehrtmachen. Ebenso,
wenn Erfolgsaussichten in rosigen Farben gemalt und Komplikationen nur »der
Vollständigkeit halber« aufgeführt werden. Ein fundierter und vom besten
Willen für den Patienten getragener Behandlungsplan muss immer ein
Vorschlag bleiben, der die Zustimmung des Kranken nicht vorwegnehmen oder
dessen Ablehnung, etwa mit Entzug der Zuwendung, sanktionieren darf!
Die als vermeintliche Krone der Patientenzuwendung angepriesene
»partizipative Entscheidungsfindung«, die eine gemeinsam von Arzt und
Patient verantwortete Behandlungsübereinkunft vorsieht, ist bereits ein
juristisch nicht gedeckter Übergriff auf die Patientensouveränität. Es muss dem
Patienten freistehen, eine Behandlung abzulehnen, und erfordert keine
Übereinkunft mit dem Behandler. Denn es ist der Kranke, der später die
Komplikationen, und seien sie noch so unwahrscheinlich, oder ein
Therapieversagen zu erleiden hat. Der Behandler nimmt an der Entscheidung
lediglich teil, wenn er auch Verantwortung für Komplikationen übernimmt und
zum Beispiel vermeidbare behandlungsbedingte Komplikationen unentgeltlich
versorgt. Nur wenn ein Behandler jederzeit das Alleinbestimmungsrecht des
Kranken über sein Schicksal akzeptiert, sollte ein Kranker eine Zustimmung zu
einer Behandlung in Betracht ziehen. Falls der bei Ablehnung oder Rückfragen
dem Patienten die Zuwendung entzieht, sucht dieser besser das Weite.
Die Zahl der Diagnosen und Verhaltensstörungen ist von 106 im DSM-I
(»Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders«;
Klassifikationssystem psychiatrischer Diagnosen der American Psychiatric
Association; 1. Auflage 1952) auf 374 im aktuellen DSM-V (2013) aufgebläht
worden, obwohl zwischenzeitlich einige »Krankheitsbilder« wieder gestrichen
werden mussten – ein Kaleidoskop des diagnostischen Irrsinns.126 Die
Bezeichnungen entbehren klarer Kriterien, sodass die Halbwertszeit der
Diagnosen nur noch wenige Jahre beträgt: »Belastungs- und
Anpassungsstörungen«, »Borderline-Störungen«, »soziale
Verhaltensstörungen« und »Persönlichkeitsstörungen«. Für alle diese
»Krankheitsbilder« sind flugs universitäre Mietmäuler verfügbar, die
»wissenschaftliche Belege« für die neuen Krankheiten beibringen. In keinem
anderen medizinischen Fachgebiet bestehen so große regionale Schwankungen
in der Diagnosehäufigkeit: Die Diagnosen blühen dort, wo die Erfinder oder
Experten eines »Krankheitsbildes« beheimatet sind. Wird deswegen in der
Eigenwahrnehmung die Psychiatrie als »spannendstes Fach der Medizin«
bezeichnet?127
Kaum ein Normalbürger wird in der heutigen Psychiatrie noch als seelisch
gesund klassifiziert werden. Ernsthaft wird behauptet, dass ein Drittel der
Bevölkerung zwischen 18 und 79 Jahren innerhalb eines Jahres eine »klinisch
bedeutsame« psychische Störung aufweisen würde.128 129 Wenn man die
Angaben zur Verbreitung der psychiatrischen Diagnosen schon aus dem DSM-
IV (1994) addiert, leiden zu jedem beliebigen Zeitpunkt sogar fast doppelt so
viele Menschen, nämlich knapp 60 % der Bevölkerung, an irgendeiner Form
der Persönlichkeitsstörung.130 »Psychische Erkrankungen« sind mittlerweile
die häufigste Diagnosegruppe für Arbeitsunfähigkeiten, und 40 % der
Frühberentungen entfallen auf psychiatrische Diagnosen.131 Der Direktor des
weltweit größten Instituts für seelische Gesundheit, des amerikanischen
National Institute of Mental Health (NIMH), lehnt das DSM-V wegen
unwissenschaftlicher und nicht wissenschaftlich gesicherter Krankheitsbilder
ab.132 Selbst der Präsident der DGPPN gibt zu bedenken, dass die »Grenze
zwischen gesund und krank im DSM-V gefährlich nah an normales Verhalten«
heranrücken würde.133 Wie unwissenschaftlich es in diesem Fachgebiet zugeht,
demaskierte Mitte der 1990er-Jahre der Postzusteller Gert Postel, der sich
ohne jegliche universitäre Ausbildung erfolgreich für eine Oberarztstelle
bewarb.134 Nicht nur bewegte er sich fast zwei Jahre lang mit
schlafwandlerischer Sicherheit ohne aufzufallen im Diagnosedschungel,
sondern er wurde auch als geschätzter Gerichtsgutachter herangezogen.
Warum gibt es so viele Diagnosen? Der Erklärung für den Diagnosewahn
kommt man näher, wenn man weiß, dass 69 % der Mitarbeiter am DSM-V
Verbindungen zur Pharmaindustrie hatten.135 In der Arbeitsgruppe zu affektiven
Störungen (Veränderungen der Stimmungslage) waren es 83 % und bei den für
Schlafstörungen zuständigen alle Autoren. Für all diese neuen »Diagnosen«
existiert zufällig eine pharmakologische Therapie. Symptome werden dadurch
aber allenfalls zeitweise reduziert. Die Psychiatrie ist das Aufmarschgebiet
der Pharmaindustrie für die Zukunft: Erfindung von Diagnosen und zugehörigen
Krankheitsmechanismen wie etwa ein »Ungleichgewicht von
Neurotransmittern«, um für möglichst schon vorhandene Medikamente ein
Anwendungsgebiet zu schaffen.136 In welch anderem Fachgebiet –
ausgenommen der Komplementär-, das heißt Alternativmedizin – werden
Medikamente verabreicht, die dieselben Symptome erzeugen, die sie
bekämpfen sollen? Die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)
werden als Antidepressiva verordnet, erhöhen jedoch die Selbstmordrate um
das bis zu Fünffache in den ersten Monaten nach Therapiebeginn, insbesondere
bei jüngeren Menschen, bevor eine temporäre Stimmungsaufhellung eintreten
kann.137 Wie können Antidepressiva besser als Placebo sein, wenn sie das
Selbstmordrisiko bei einer Depression noch zusätzlich erhöhen? Wer würde
ein Asthma-Medikament einsetzen, das das Risiko eines tödlichen
Asthmaanfalls vervielfacht?
Ungeachtet dessen erhielten im Vergleich zu den frühen 1990er-Jahren 2013
siebenmal so viele Menschen Antidepressiva, ohne dass eine Epidemie der
bipolaren Störung (manisch-depressive Erkrankung) belegt wäre, bei der ihr
Einsatz angezeigt sein kann.138 Fast die Hälfte der Verordnungen erfolgt sogar
durch Hausärzte und Internisten.139 Bei mindestens 50 % der Diagnosen
werden seelische Erschütterungen fälschlich als depressive Verstimmungen
diagnostiziert. Antidepressiva dürfen wegen der Erhöhung des Suizidrisikos
dann eigentlich gar nicht verordnet werden.140 Die Antidepressiva haben aber
zunehmend die Benzodiazepine (Tranquilizer) abgelöst, obwohl auch hier
tödliche »Nebenwirkungen« drohen.141 SSRI weisen zusammen mit
Betablockern, ACE-Hemmern und nichtsteroidalen Analgetika die höchste
Rate unerwünschter Wirkungen auf. Überhaupt sind alle psychoaktiven
Substanzen organisch alles andere als unbedenklich. Todesfälle durch
plötzliches Herz-Kreislauf-Versagen sind unter Psychopharmakabehandlung
deutlich erhöht. Antipsychotika bergen ein dreifaches Risiko, trizyklische
Antidepressiva ein 1,7-faches Risiko und SSRI ein 1,2-faches Risiko.142
Neuroleptika (Antipsychotika) bedingen dauerhafte Gehirnschäden, und
amphetaminähnliche Medikamente können Herzschäden und bipolare
Störungen auslösen.143
Viele der Medikamente, die bei fraglichen psychischen Erkrankungen
verschrieben werden, haben darüber hinaus ein hohes Suchtpotenzial, ohne die
grundlegende Symptomatik nachhaltig zu bessern (zum Beispiel Ritalin®,
Benzodiazepine und SSRI).144 Dies ist umso brisanter, als etwa die Hälfte der
Patienten mit Psychosen zusätzlich bereits ein Abhängigkeitsproblem hat und
Neuroleptika den Suchtrückfall begünstigen.145 146 In der Psychiatrie handelt es
sich unter dem Deckmantel einer Medizin für seelische Erkrankungen zu 80 %
um das Management von Drogen- und Medikamentenabhängigkeiten, die von
den Behandlern entweder auch erzeugt oder zumindest gefördert werden.
Einnahmen von stimulativen Psychopharmaka und Antipsychotika haben bei
Kindern und Jugendlichen von 2004 bis 2012 um 40 % zugenommen, ohne dass
die psychischen Auffälligkeiten angestiegen wären.147 Wenn diese Zunahme
vor allem darauf beruht, dass immer wieder neue Behandlungen bei denselben
Kindern erfolgen, dann kann die Therapie nicht wirksam sein oder es ist ein
Suchtverhalten eingetreten. Psychiatrische Medikamente korrelieren umgekehrt
mit der psychischen Gesundheit.148 Nur eine Behauptung? Wie anders ist es zu
erklären, dass die Zahl psychiatrischer Patienten trotz Ausweitung der
medikamentösen Therapien nicht abnimmt?
Zu diesen unsinnigen pharmakologischen Therapien psychischer
Erkrankungen passt die Verarmung der Patientenkommunikation alleine wegen
mangelnder Sprach- und Kulturkompetenz vieler behandelnder Ärzte (die
Psychiatrie beschäftigt seit Jahren einen hohen Prozentsatz von Ärzten, deren
Muttersprache nicht Deutsch ist). Es wundert da wenig, wenn die von den
Klinikleitern ohnehin bevorzugte Therapie mit Psychopharmaka zur einzigen
Behandlungsmethode wird und Ansätze wie die Gesprächstherapie gar nicht
mehr in Erwägung gezogen werden. Das muttersprachliche Personal scheint
aber auch unter Berührungsängsten zu leiden und bevorzugt Tele- statt
Kontaktmedizin. So versucht tatsächlich ein Forscherteam in einem EU-
Forschungsprojekt ein »telemedizinisches Diagnose-Tool« (PRONIA –
Personalised Prognostic Tools for Early Psychosis Management) zu
entwickeln, um Psychosen frühzeitig zu erkennen.149 Neuropsychologische und
kognitive Tests aus dem Internet mit Ermittlung eines Risikoscores treten an die
Stelle persönlicher Begegnung zur Diagnose einer Psychose im
Anfangsstadium, um angeblich durch die frühere Diagnose Medikamente
einzusparen. Einen derartigen Ansatz kann man wohl nur verfolgen, wenn man
psychische Erkrankungen »managen« will.
Auch andere Fachbereiche scheuen vor Krankheitserfindungen nicht zurück.
Selbst ohne Symptome werden neue Krankheitsbilder oder neue Namen für
bekannte Beschwerden erfunden: »Aging Male Syndrom«, »Prä-Hypertonie«,
»Weichteilrheumatismus«, »Reizdarmsyndrom«, »klimakterisches Syndrom«,
»erektile Dysfunktion«, »prämenstruelle Dysphorie«. Nahezu alle Männer
leiden seit einigen Jahren unter einem vermeintlichen Testosteronmangel,
sodass auch bei Blutwerten im Normalbereich eine Mangelsituation attestiert
und Testosteron auf Privatrezepten verordnet wird.150 Selbst der
Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Urologie gesteht ein, dass bei
so manchen Verschreibungen eine »monetäre« Indikation bestehen dürfte.
Umgekehrt werden natürlich auch Patientenwünsche willfährig bedient, wenn
ein Testosteronpräparat zur Vitalitätssteigerung eingefordert wird (vgl. Kapitel
9).
Auch spezialisierte Kinderärzte werden im Laufe eines Medizinerlebens
nur wenige Kinder oder Jugendliche mit einer echten Zöliakie getroffen haben
(vgl. Kapitel 3). Umso mehr reibt man sich die Augen, wenn eine Studie eine
Häufigkeit der Zöliakie von 0,9 % ermittelt.151 Da müsste jedes 100. Kind in
der Sprechstunde an einer Zöliakie leiden! Tatsächlich hatten aber nur neun
Kinder (0,07 %) Krankheitssymptome. 89 symptomfreie Kinder wurden
aufgrund erhöhter Autoantikörper als »laborchemische Dunkelziffer«
eingestuft. Nicht verwundert ist man allerdings darüber, dass die Autoren der
Studie Interessenverflechtungen mit allen einschlägigen Nahrungsmittelfirmen
aufweisen beziehungsweise in deren Sold stehen. Keine Überraschung also,
wenn sie die Frage aufwerfen, ob Personen mit einer »laborchemischen
Zöliakie« von einer glutenfreien Diät profitieren würden. Die
Nahrungsmittelfirmen sagen: »Danke!«
Der französische Schriftsteller Jules Romains (1885–1972) hatte das
heutige Szenario bereits 1923 in seinem Dreiakter Knock oder der Triumph
der Medizin vorgezeichnet.152 Nach dem Grundsatz »Gesunde Menschen sind
nur Kranke, die von ihrem wahren Zustand noch nichts wissen« bringt der
Protagonist nach Übernahme einer Landarztpraxis alle Bewohner eines
Bergdorfs dazu, sich krank zu fühlen und zu zahlenden Patienten zu werden.
Eine deutsche Übersetzung wurde erst 1997 verfügbar, obwohl das Stück bis
heute in Frankreich populär ist und in den ersten vier Jahren nach seiner
Premiere 1300-mal aufgeführt wurde.153
Ein Königreich für den Verzicht auf Medizin
Ein mit Martinshorn, Blaulicht und einer Greisin dahinrasender Notarztwagen
ist das Symbol für die heutige technisch und pharmakologisch bestimmte
Medizin. Und der groteske Kontrast zur stillen Natur des Sterbens. Ich möchte
so nicht sterben, aber auch so nicht am Leben gehalten werden. Viel Lärm um
wenig. Wenn es wirklich immer auf jede Minute ankäme, dann müssten die
nachfolgenden »Rettungsschritte« ebenso schnell erfolgen. Die klinischen
Realitäten sehen anders aus und bekanntlich ist in einer Abfolge von Vorgängen
nicht nur in der Chemie der langsamste Schritt geschwindigkeitsbestimmend.
Mit zunehmender Konkurrenz der Notdienstleister nehmen nicht nur die
Blaulichteinsätze inflationär zu, Kranke werden auch immer wieder in
ungeeigneten Kliniken abgesetzt, weil die Rettungsmannschaft dann wieder
schneller neue Kundschaft aufgreifen kann. Ich habe jahrelang erleben müssen,
dass Unfallopfer mit Schädelverletzungen oder Verdacht auf Hirnblutungen in
das nächstliegende Krankenhaus gebracht wurden, obwohl dort keine
Eröffnungen des Schädels ausgeführt wurden. Der zeitraubende
Weitertransport in eine Klinik mit Neurochirurgie wurde und wird billigend in
Kauf genommen. Die lange Zeit, die vergeht, bis in so manchen
»Kompetenzzentren« nach der Notfalleinlieferung endlich eine Bildgebung zur
Therapieentscheidung erfolgt, lässt ebenfalls Zweifel an der Effizienz der
Personenrettung aufkommen. In der Notfallversorgung, die zusammen mit
Feuerwehr und Technischen Hilfswerken als höchste Ausprägung unserer
angeblich so effizienten Technik und als letzte Bastion des individuellen
Heldentums gilt, herrscht ein Missverhältnis zwischen Aufwand und
Gesundheitsnutzen. Offiziell eingestanden wird, dass nur in 50 % aller
Rettungseinsätze ein Notfall vorliegt.154 Tatsächlich eilt nach eigener Erfahrung
bestenfalls einer von zehn Notarzteinsätzen. An genauen Zahlen des
Missbrauchs, der auch vor der Flugrettung nicht haltmacht, oder gar an einer
Beseitigung dieser »Fehlversorgung« scheinen nur wenige Beteiligte im
Notfallbusiness Interesse zu haben.
Von den etwa 50 000 Reanimationen in Deutschland pro Jahr überleben nur
5000 bis 10 000 Betroffene.155 156 Die Zahl der Wiederhergestellten liegt
allerdings in der außerklinischen Realität deutlich niedriger. In einer
Auswertung von 1911 Reanimationen im Münchner Stadtgebiet konnten nach
einem Jahr nur 3 % der Reanimierten noch befragt werden, obwohl bei 28 %
der Reanimationen der Blutkreislauf wieder in Gang gesetzt werden konnte.157
Den langfristig wieder ins Leben zurückgeholten 1500 Menschen sind also
etwa 6000 Menschen mit nur kurzer Lebenszeitverlängerung und/oder
gravierenden Dauerfolgen sowie über 40 000 vergebliche Bemühungen
jährlich gegenüberzustellen. Zu berücksichtigen sind darüber hinaus die Opfer
der Noteinsätze unter dem Rettungspersonal und anderen Unfallbeteiligten.
Genaue Zahlen werden nirgendwo publiziert, aber bei einem 17-fach erhöhten
Unfallrisiko und achtfach erhöhten Risiko für schwere Verletzungen von
Fahrzeuginsassen oder Dritten für Einsatzfahrzeuge gegenüber normalen
Fahrten darf man realistisch von mehreren Hundert Schwerverletzten und
einigen Toten pro Jahr in Deutschland ausgehen, die gegen die Überlebenden
aufgerechnet werden müssen.158
Die Zahl der etwa 3500 Verkehrstoten in Deutschland ist doppelt so hoch
wie die der dauerhaft wiederhergestellten Menschen nach Reanimationen.
Ganz zu schweigen von jährlich fast 400 000 Verletzten, davon fast 70 000
schwer, bei 2,4 Millionen Verkehrsunfällen pro Jahr.159 160 Die Anstrengungen
der Medizin konzentrieren sich auf eine Verbesserung der Notfallversorgung.
Dagegen wird der Unfallprävention (überhöhte Geschwindigkeit,
Fahruntüchtigkeit durch Alkohol/Drogen/Medikamente,
Aufmerksamkeitsdefizite durch elektronische Geräte) wenig Beachtung
geschenkt. Alkohol- und Drogeneinfluss sind die immer noch unterschätzten
Hauptursachen für schwere Verkehrsunfälle. Durch unkritische
Verschreibungen von Medikamenten, die die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen
(Opiate, Psychopharmaka), befördern Ärzte diesen Faktor.
Diese Ausführungen sollen nicht als Missachtung der ärztlichen Kollegen in
der Notfallversorgung verstanden werden. Bei unklaren Verhältnissen und bei
hohem Erwartungsdruck durch Angehörige und Umstehende bleibt oft keine
andere Option als die aussichtslose Reanimation – schon um als Notarzt oder
Rettungssanitäter juristisch unangreifbar zu bleiben. Aber bei einem Zeitverzug
von durchschnittlich mindestens 12 Minuten (Stadtgebiet angeblich 6 bis 7
Minuten) zwischen Alarmierung und Eintreffen am Einsatzort kann bei einem
Kreislaufstillstand nur selten eine Wiederherstellung erwartet werden,
insbesondere bei Menschen jenseits von 70 Lebensjahren.161 Ein plötzliches
Ableben ohne vorhergehende Leidensphase steht bei der großen Mehrzahl der
Menschen außerdem ganz oben auf der Wunschliste.
Eine Medizin ohne Schäden durch
Aktionismus
Die wichtigste Entscheidung bei jeder Art der Behandlung ist die Frage, ob man
überhaupt behandeln oder den Spontanverlauf abwarten soll. Die Mehrzahl ärztlicher
Therapien ist nicht besser als der Spontanverlauf. Der Verzicht auf eine Therapie muss
daher häufiger als ein Therapieangebot sein. Wer fast immer behandelt, verstößt gegen
die statistische Wahrscheinlichkeit eines Behandlungsnutzens und wird häufig zum
»Schader«. Nur bei einer fortschreitenden Verschlechterung oder einem Stillstand des
Heilungsprozesses ist eine Therapie erwägenswert. Behandlungsrisiken müssen nicht
nur in Relation zum möglichen Therapienutzen, sondern auch immer im Verhältnis zur
Bedrohlichkeit der Erkrankung stehen. Arzt-Patienten-Beziehungen dürfen keinen
wirtschaftlichen Interessen unterliegen, wenn die bestmögliche Behandlung einer
Krankheit das Ziel ist.
Eine Therapieentscheidung muss immer der handlungsfähige Patient oder seine
engsten Angehörigen treffen, ausgenommen Notfallsituationen. Ärzte können für eine
Therapieentscheidung immer nur Informations- und Beratungsfunktion haben. Nur wenn
eine verbindliche Zustimmung zu einem Therapievorschlag vorliegt, kann und muss der
behandelnde Arzt entscheiden, ob er selbst oder ein anderer Kollege die Therapie
verantworten will. Jeder Rat suchende Kranke muss über das Potenzial der
Selbstheilungskräfte aufgeklärt und alle Therapieangebote müssen mit Chancen und
Risiken in Relation gesetzt werden.
6 Geschluckt wird, was wir geliefert
bekommen
Mediziner als Erfüllungsgehilfen der
Medizinindustrie
Bei der isopathischen Methode wird versucht, den gleichen Stoff, der die
Krankheit verursacht, zur Heilung einzusetzen (aequalia aequalibus curantur).
Bei der antipathischen Methode wird versucht, mit Arzneien zu heilen, die
der Krankheit entgegengesetzte Symptome hervorbringen (contraria contrariis
curantur).
Bei der allopathischen Methode wird versucht, mit Arzneien zu heilen, die
etwas völlig anderes als das am Patienten Beobachtete bewirken.
Keine der vier Methoden kann beanspruchen, das erfolgreichste Heilprinzip
zu sein. Aber man sollte diese bei der Entwicklung neuer Therapien immer im
Kopf haben und bereit sein, zum Zweck der Heilung die Philosophie zu
wechseln. Impfungen entsprechen schließlich nicht dem sonst üblicherweise
angewandten antipathischen Grundsatz, sondern sind isopathisch, heilen also
durch den gleichen Stoff, der die Krankheit verursacht. Bei allo- und
antipathischen Behandlungen sprach bereits Hahnemann davon, dass
zusätzliche, künstliche »Arznei-Krankheiten« auftreten, die die Krankheit
»verkomplizieren«.19 Er war sich unerwünschter Arzneimittelwirkungen
(UAW) durchaus bewusst.
Krank durch Medikamente
Antipathische Substanzen stimulieren Gegenreaktionen im Organismus, sodass
Krankheiten verschlimmert werden können und vor allem Toleranzeffekte oder
Absetzphänomene beim Entzug des Medikaments unvermeidlich sind (vgl.
Kapitel 1). Die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), die am
häufigsten verordneten Antidepressiva, erhöhen den Serotoninspiegel mit der
Folge einer Verarmung der Serotoninrezeptoren auf den Zelloberflächen.
Zwangläufig entsteht ein Wirkungsverlust und beim Medikamentenentzug ein
Serotoninmangelzustand, also das Gegenteil dessen, was man bewirken wollte
(vgl. Kapitel 3 und 5). Antipathische Medikamente beinhalten immer ein
Abhängigkeitspotenzial. Selbst wenn fast keines der heutigen Pharmaka damals
schon auf dem Markt war, gehört die historische Arzneimittelklassifikation
nach Hahnemann keinesfalls auf den Müllhaufen der Geschichte.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), das der
Pharmaindustrie nicht besonders kritisch gegenübersteht, geht hierzulande von
etwa 500 000 Notaufnahmen durch Medikationsfehler pro Jahr aus.20 Gemäß
einer schwedischen Studie sind für Deutschland sogar jährlich mindestens eine
Million Klinikaufnahmen als Folgen von UAW anzunehmen.21 Diese
Abschätzung ist keinesfalls übertrieben, da UAW bei jedem vierten
Behandelten auftreten; davon sind 13 % lebensbedrohlich und 39 %
schwerwiegend.22 Das Risiko einer Krankenhausaufnahme für ältere Menschen
erhöht sich um fast 40 %, wenn sie als potenziell gefährlich eingestufte
Medikamente (PRISCUS-Liste) anstelle weniger bedenklicher
Alternativpräparate verschrieben bekommen.23 Bei 15 % der stationären
Aufnahmen im Uniklinikum Erlangen bestanden eine oder mehrere UAW.24 Die
Liegezeit verdoppelte sich dadurch von durchschnittlich 9 auf 18 Tage. Etwa
14 % der Verweildauer in deutschen Krankenhäusern dürften unerwünschten
Arzneimittelwirkungen geschuldet sein! Gemeldet werden UAW allerdings nur
im Promillebereich.
Es sind nicht nur individuelle Unverträglichkeiten, sondern auch
Wirkspiegel außerhalb des therapeutischen Bereichs und Wechselwirkungen
mit anderen Medikamenten, die UAW verursachen. In einer Überprüfung von
knapp 1000 Verordnungen wurde in 40 % eine Über- oder Unterdosierung um
jeweils mehr als 50 % ermittelt.25 Das Risiko steigt, wenn die Ausscheidung
von Abbau- oder Zwischenprodukten der Medikamente durch die Nieren
eingeschränkt ist. Die Häufigkeit einer chronischen Nierenerkrankung liegt bei
etwa 13 %, wovon mindestens jeder vierte Betroffene keine Kenntnis hat.26
Mit zunehmendem Alter verschärft sich diese Problematik. Zwei Drittel der
Bewohner von Pflegeheimen weisen eine eingeschränkte Nierenfunktion auf,
sodass Überdosierungen ohne Dosisanpassungen häufig sein müssen.27
Big Pharma
Um Macht und Einfluss der Pharmaindustrie einschätzen zu können, muss man
sich die Relation von Herstellungskosten zu Verkaufspreisen
vergegenwärtigen.28 Die Gewinne der »forschenden Pharmafirmen« werden
nicht einmal mehr von allen Investmentbanken übertroffen, da die
Wirkstoffkosten meist 1 bis 2 % des Verkaufspreises, oft sogar deutlich unter 1
%, und die Entwicklungskosten weniger als 10 % des Arzneimittelpreises
betragen.29 Realistisch liegen die tatsächlichen Forschungskosten wohl sogar
niedriger, da viele Zahlungen an Ärzte als »Forschungsinvestitionen«
deklariert werden. Tatsächlich lassen sich die realen Entwicklungskosten kaum
noch beziffern, seit zunehmend Forschung über Stiftungsprofessuren und
Stiftungsinstitute an Universitäten ausgelagert wird. Nach Zahlen des Global
Forum for Health Research entstammt lediglich die Hälfte der Mittel für die
Gesundheitsforschung der Pharmaindustrie,30 und unter Abzug der
Steuersubventionen verbleiben bestenfalls noch ein Drittel der
Aufwendungen.31 Für kleines Geld aus steuerschonenden Stiftungsgeldern wird
in mit öffentlichen Mitteln bezahlten Instituten geforscht und entwickelt, was
die Industrie benötigt. Noch billiger wird es für die Investoren, wenn sich das
Institut weitere Fördergelder für die gelenkte Forschung sichern kann.32 Allein
in Deutschland haben im Jahr 2015 Pharmafirmen 33 Professuren
»betrieben«.33
Das Marketing ist die größte Kostenposition bei allen Medikamenten, da
bis zu 40 % von jedem Präparat an die Patienten verschenkt werden
(müssen)34, bevor die Dauermedikation erfolgt, und auch alle Zahlungen für
»Fortbildungen« und ärztliche Referenten dem Verkauf dienen.35 Die
Marketingausgaben betragen nicht selten das Doppelte der
36
Forschungsaufwendungen. Der Rest des Verkaufspreises sind Administration
und vor allem Gewinn. Pharmakonzerne sind seit drei Jahrzehnten die
gewinnträchtigste Branche aller Wirtschaftssektoren.37 Krankenkassen und
Patienten zahlen das Zigfache des Preises, der unter Berücksichtigung der
tatsächlichen Herstellungs- und Entwicklungskosten gerechtfertigt wäre.
Nirgendwo in Europa werden Medikamente schneller verfügbar als in
Deutschland. Die Zeitspanne zwischen Patentanmeldung und Zulassung hat sich
innerhalb einer Generation von zwölf auf sechs Jahre halbiert.38 Nach einem
Gutachten der Technischen Universität Berlin sind mehr als 95 % der in
Europa zugelassenen Präparate nach längstens drei Monaten in Deutschland
erhältlich.39 In den Niederlanden war es dagegen im Jahr 2012 nur die Hälfte
in neun Monaten. Verantwortlich für diese Situation ist das Bundesinstitut für
Arzneimittel und Medizinprodukte, das als Zulassungsbehörde allzu gerne den
Forderungen der Industrie nachkommt. Bezeichnenderweise entstammt der
derzeitige Leiter als Neurologe und Psychiater dem Fachgebiet, in dem die
Kluft zwischen Sinnhaftigkeit der Medikamente und Gewinnen für die
Pharmaindustrie am eklatantesten ist. Wie gering die Auflagen für eine
Zulassung sind, wird durch den stillen Widerruf beziehungsweise die
Rückgabe der Zulassungen für etwa 15 Präparate pro Jahr (ohne
Berücksichtigung des Zulassungsentzugs wegen gefälschter Zulassungsstudien)
bei etwa 25 bis 30 Neuzulassungen bestätigt.40 Ein Grund mehr, warum die
Arzneimittelkosten in Deutschland im internationalen Vergleich sehr hoch
liegen.
Seit Jahren vermarkten die Pharmakonzerne altbekannte Wirkstoffe in
immer neuen Spielarten für neue Einsatzzwecke. Geforscht wird nur, wenn
hohe Gewinnmargen in Aussicht stehen. Nicht patentgeschützte, billige und frei
zugängliche Substanzen werden ignoriert. Über die Drittmittelvergabe sowie
positive oder negative Sanktionen für die Karrieren der Nachwuchsforscher ist
sichergestellt, dass die Mediziner nach der Pfeife von Big Pharma tanzen.
Anders wären Auftragsforschungen (vgl. Kapitel 2) und das Festhalten an
widerlegten Krankheitskonzepten und Behandlungsstrategien nicht zu erklären.
Das Sponsoring fokussiert sich auf die Meinungsführer, die die Leitlinien
formulieren und damit einen ausreichenden Durchgriff der Verordnungen auf
alle Behandlungen ermöglichen. Das Fußvolk der Ärzte in Kliniken und Praxen
muss damit weder von Pharmareferenten besucht noch mit kleinen Geschenken
bei Laune gehalten werden. Die flächendeckende kleine Korruption wird durch
gezielte umfassende Manipulation an den Informationsquellen ersetzt. Die
Europäische Zulassungsbehörde für Arzneimittel, die European Medicines
Agency (EMA), finanziert sich – als eine Agentur der Europäischen Union! –
zu über 90 % aus den Zahlungen der »forschenden Pharmafirmen« und zu
weniger als 10 % aus Zuwendungen der EU.41
Die Ärzteschaft hat ihr »Snowden-Gate« schon lange hinter sich. Bereits
1976 – lange vor der flächendeckenden Verbreitung von PCs oder deren
Vernetzung – berichtete das Nachrichtenmagazin Der Spiegel darüber, wie die
Arzneimittelverschreibungen von dem in Frankfurt ansässigen Institut für
Medizinische Statistik (IMS) – einer Filiale des Institute for Medical Statistics
in New York – in der Datenbank »IMS-DPM (Der pharmazeutische Markt)«
erfasst und aufbereitet werden.42 Das IMS ermittelt Packungsumsätze und
Marktanteile, aber auch Dosierungen, Verordnungsmengen mit
Kassenzugehörigkeit, Alter und Geschlecht der Patienten. Es bedarf keiner
heimlichen Abgreifaktion à la NSA, denn niedergelassene Ärzte und Kliniken
liefern Patienten- und Fortbildungsdaten, Laborwerte und Diagnosen selbst und
freiwillig. Bei sinkenden Umsätzen erfolgt der Besuch eines Pharmareferenten
oder ein Sponsoring wird gekürzt. Vorauseilender Gehorsam ist nicht die
Ausnahme, sondern die Regel. Viele niedergelassene Ärzte stören sich nicht an
der gläsernen Natur ihrer Medikamentenverordnung und sind sogar noch bereit,
einmal pro Jahr Fragen über Verordnungsverhalten, Patientenstruktur,
Praxisorganisation, persönliche Vorlieben, Beeinflussbarkeit und Arztprofil an
das IMS zu übermitteln. Dort wird daraus die Datenquelle »IMS Scriptrac«,
die als Information zur treffsicheren Arztbeschreibung gekauft werden kann.43
Vorsicht ist immer geboten, wenn sich Patientenorganisationen für
Therapieformen mit Heilsversprechen ohne Berücksichtigung der
Patientensicherheit stark machen. In der Regel ist das ein Indiz, dass die
Eigenmittel vornehmlich von der Pharmaindustrie stammen. Über 6 Millionen
Euro haben Pharmafirmen 2015 an Patientenorganisationen gezahlt.44 Dieser
Geldsegen wird umsatzorientiert ausgeschüttet, da im Gemeinsamen
Bundesausschuss (GBA), der in Deutschland über die Erstattungsfähigkeit von
Medikamenten durch die gesetzlichen Krankenversicherungen entscheidet,
Patientenvertreter ein wichtiges Sprachrohr sind und die Pharmaindustrie nicht
direkt am Tisch sitzt. Neben der Beeinflussung durch Ärztelobbyisten verleihen
dort Patientenorganisationen auch abwegigen Neuerungen ohne erwiesenen
Nutzen Nachdruck und leisten den Pharmakonzernen unschätzbare Dienste für
kleines Geld.
Aber auch als unabhängig geltende Organisationen wie der Bundesverband
der Angehörigen psychisch Kranker e.V. (BapK), die reichlich öffentliche
Gelder erhalten, beklagen den angeblich zu Unrecht schlechten Ruf von
Psychopharmaka und kritisieren ein »Psychopharmaka-Bashing«.45 Könnte es
sein, dass großzügige Mittelzuweisungen aus dem Bundesministerium für
Gesundheit auch nach Vorgaben der Pharmaindustrie verteilt werden? Die
gemeinnützige Europäische Patientenakademie zu Therapeutischen
Innovationen (EUPATI) ist der jüngste Coup in der gezielten Desinformation
über neue Produkte und Arzneimittelforschungen.46 Hier werden
Patientenvertreter über neue Medikamentenentwicklungen »geschult« und zu
inoffiziellen Mitarbeitern geformt, um ihr Pharmawissen »an andere Patienten
und die interessierte Öffentlichkeit weiterzugeben«.47 Inzwischen gibt es wohl
mehr Patientenvertreter, die (un)wissentlich für die Pharmaindustrie
lobbyieren als genuine Patienteninteressen vertreten.
Eylea® (Wirkstoff: Aflibercept) ist ein Medikament zur Behandlung der sehr
seltenen altersbedingten Makuladegeneration (Makula = zentrales Areal der
Netzhaut, durch das die Sehachse verläuft), dessen Wirksamkeit mehr als
zweifelhaft ist.53
Schlechter kann es mit dem Therapieangebot auf dem Wagen eines fahrenden
Quacksalbers nicht ausgesehen haben. Der musste allerdings spätestens alle
paar Wochen weiterziehen, um Übergriffen frustrierter Patienten und deren
Angehöriger zu entgehen! Heute kann man mit diesem Portfolio sehr viel Geld
umsetzen, weil sesshafte Ärzte diese Medikamente verschreiben. Tun sie dies
ohne rationale Gründe wider besseres Wissen? Zuletzt beklagte die Deutsche
Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) beim
Rückzug des zusatznutzlosen Stivarga® »nicht nachvollziehbare
Entscheidungen … und überzogene Forderungen«.59
Und dann gibt es noch die Bayer-Medikamente Aspirin®, Bepanthen® und
das Schmerzmittel Aleve® – drei Präparate, die niemand braucht, weil die
Gabe von Schmerzmitteln überhaupt nur selten angebracht ist und für das in
verschiedensten Zubereitungen mehr als 14 Millionen Mal pro Jahr verkaufte
Bepanthen® seit mehr als 60 Jahren keine Wirksamkeitsnachweise vorliegen.
Das unabhängige und anzeigenfreie Arznei-Telegramm stufte Bepanthen® als
»teures Hausmittel ohne hinreichende Dokumentation« ein.60
Alternativlose Desinformation?
Angesichts der Verstrickung der Ärzteschaft in die skrupellosen Praktiken der
Pharmaindustrie hat sich im Jahr 2007 als Teil der internationalen »No-free-
lunch«-Bewegung die Vereinigung »MEZIS – Mein Essen zahl ich selbst«
gegründet. Die provokativen Namen des internationalen Netzwerks und der
deutschen Vereinigung spielen darauf an, dass mancher Mediziner sich allzu
bereitwillig von Big Pharma instrumentalisieren lässt und sich die kleinen und
großen Zuwendungen (das vermeintlich kostenlose Mittagessen) für die
Pharmakonzerne als gute Investition erweisen. Die »Initiative unbestechlicher
Ärztinnen und Ärzte«, wie sich MEZIS selbst nennt, zählt bei 486 000
approbierten Ärzten in Deutschland77 etwa 850 Mitglieder78 – dies sagt viel
über die innere Einstellung des Berufsstandes aus. In der Augsburger
Erklärung formulierte MEZIS 2014 folgende Thesen, die eigentlich im
Manifest der Standesvertretung verankert sein sollten:
Anstelle eines heutigen 500-Betten-Klinikums fand sich noch bis in die Mitte
des 20. Jahrhunderts am Rande der Altstadt ein Krankenhaus im Stil des
Historismus mit 50 Betten bei vergleichbarer Einwohnerzahl. Heute kaum
vorstellbar, wie die Menschen damals überlebt haben sollen – sie waren ja
nicht weniger krank. Innerhalb zweier Generationen ist das beschauliche und
optisch ansprechende Gemäuer zu einem Konglomerat von
Architekturversatzstücken der letzten Jahrzehnte mit circa 120 Millionen Euro
Jahresumsatz und etwa 1250 Mitarbeitern mutiert. Ausgedehnte Grünanlagen
sind längst zugebaut oder zu Parkplätzen umgewandelt – das Klinikum ist der
größte Arbeitgeber der Region. 97,3 Milliarden Euro kosteten 20151 den
Bürgern diese Vorkehrungen gegen Krankheit und Tod im ganzen Land, die mit
»breit gefächertem Leistungsportfolio«, »innovativer rezertifizierter
Hochleistungsmedizin« und »professioneller Pflege« werben. Kann unser
Gebäudemoloch mit vorzugsweise nicht zu öffnenden Fenstern, verkeimter
Klimaanlage und aufgewärmten Fertigmahlzeiten noch einen
Genesungsanspruch einlösen? Sehen so Bollwerke gegen den Tod aus?
Gesundbrunnen Klinik?
Ein Heilungsversprechen hat man in »Kliniken« – und das bedeutet nichts
anderes als Bettenlager – längst kassiert. Das war nicht immer so. Früher gab
es »Heilstätten« und »Sanatorien« mit offenen Veranden zur Liegekur. In
frischer Luft genesen oder sterben mit dem Trost des Windes. Licht, Luft,
Sonne und gesundes Essen sowie Bewegung könnten immer noch
Erfolgsgaranten sein. Doch heute sollen Chemie und gezielte
Körperverletzungen ersetzen, was an gesunder Umgebung, gesunder
Lebensweise und Zuwendung in unseren Krankenlagern mit Hotelkomponente
fehlt. Kliniken sind Risikobereiche, in denen das Krankheits- und Sterberisiko
mehrfach höher liegt als außerhalb. Alleine der bewegungsarme Aufenthalt in
geschlossenen Räumen bedeutet eine Verdoppelung der Belastung mit
Mikroorganismen, deren Zusammensetzung entscheidend von der Zahl und dem
Befall der Mitbewohner beeinflusst wird.2 Die in Kliniken bevorzugte
Bettruhe verschlechterte bei 15 untersuchten Krankheiten die Befindlichkeit,3
und die Rekonvaleszenz ist etwa bei Sprunggelenksverstauchungen ohne
antientzündliche Medikamente und Gehhilfen kürzer.4 Auch die Häufigkeit und
das Voranschreiten von Tumorerkrankungen werden zumindest im
Tierexperiment von körperlicher Bewegung zurückgedrängt.5 6 Kein Wunder,
dass an ungesunden Orten wenig geheilt, aber viel Geld vernichtet wird. Wer
heilen oder lindern möchte, sollte eigentlich Kranke in eine gesündere
Umgebung transferieren. »Saluti et solatio aegrorum« (Zum Heil und zum Trost
der Kranken) ließ Kaiser Joseph II. 1784 über der Pforte des Allgemeinen
Krankenhauses in Wien anbringen.
Nicht weniger als 40 % der etwa 400 000 Todesfälle in Krankenhäusern
dürfen als behandlungs(mit)bedingt gelten. Nach internationalen Studien ist
jeder sechste bis siebte Todesfall in Kliniken auf Medikamentenwirkungen
zurückzuführen7 und mindestens 2 % der Operierten versterben innerhalb von
30 Tagen an den Folgen einer operativen Körperverletzung.8 Auch kommt es in
deutschen Kliniken zu 700 000 bis 800 000 Stürzen pro Jahr, knapp 70 000 mit
schwerwiegenden Verletzungen – ein Risiko von einem Sturz pro Klinik und
Tag!9 Genau weiß das niemand, da für iatrogene, also durch eine medizinische
Behandlung bedingte Erkrankungen und Tod keine Melderegister bestehen. Die
Hauptursachen: ungeeignete Böden, die zu glatt und überraschend wischfeucht
sein können, sowie die vor allem in der Nacht ungewohnte Umgebung,
Medikationsumstellungen und die unkritische Verordnung von
Psychopharmaka. Selbst in psychiatrischen Einrichtungen und Kliniken für
Demenzkranke gibt es oft keine adäquate bauliche Vorsorge, um Verwirrungen
und Stürzen vorzubeugen.
Die Chance auf eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder einen
qualitätszertifizierten Tod ist erst einmal hoch. Moderne Kliniken sind Stätten
dauerhafter Patientenkarrieren und sie leben heute vor allem auch von
iatrogenen Gesundheitsbeschädigungen. Orte, an denen mit viel Geld oft nur
die Todesart geändert wird, ohne die Zahl der Sterbefälle zu vermindern. Der
russische Chirurg Nikolai Pirogow (1810–1881) müsste seine vor anderthalb
Jahrhunderten vorgenommene Einschätzung heute nicht revidieren: »Wenn ich
mich auf dem Friedhof umsehe, … so weiß ich nicht, worüber ich mich mehr
wundern soll: über die stoische Ruhe der Chirurgen, welche immer wieder
neue Operationen erfinden, oder über das Vertrauen, welches die Spitäler nach
wie vor in der Gesellschaft genießen …«10 Hierzulande kann es aber nicht
einmal strafrechtliche Ermittlungen gegen Klinikträger geben, da sich in
Deutschland nur natürliche Personen strafbar machen können.11
Komplikationen erwünscht!
Medizinische Leistungen unabhängig vom tatsächlichen Aufwand pauschaliert
auf der Basis einer nachvollziehbaren Kalkulation der durchschnittlichen
Kosten zu vergüten, könnte der Stein der Weisen sein. Für jede Leistung
(DRG-Fallpauschale) wird ein Fixbetrag vereinbart. Leistungserbringer wären
gezwungen, die Kostenstruktur zu optimieren und zusätzlichen Aufwendungen
durch Komplikationen entgegenzuwirken. Für die Kostenträger gäbe es keine
Kostenüberraschungen, und auch die Patienten profitierten, wenn alles getan
würde, um Komplikationen zu vermeiden. Diese Form der Leistungsvergütung
entstand in Australien.98 Bei weltweiten Versuchen, das System auf möglichst
viele Besonderheiten anzuwenden und im Sinne der Leistungserbringer Risiken
auszuhebeln, wurde das Konzept allerdings so weit korrumpiert, dass von der
Grundidee inzwischen nicht mehr viel geblieben ist.
In der deutschen Verunstaltung des ursprünglichen Fallpauschalensystems,
das auf rund 13 000 Diagnoseschlüssel, 25 000 Prozedurenschlüssel und 1200
Fallpauschalen aufgeblasen wurde, folgt die Leistung dem Geld und nicht mehr
umgekehrt, weil die Diagnosecodierung und nicht der tatsächliche Fall bezahlt
wird. Die Codierung wird nach einem jährlich aktualisierten Algorithmus
verarbeitet und gemäß ökonomischer Fallschwere in DRGs sortiert. Jede DRG
ist mit einem Relativgewicht (aus Echtkostendaten sogenannter
»Kalkulationskrankenhäuser«) bepunktet, das multipliziert mit einer Basisrate
als Euro-Betrag den Behandlungserlös ergibt. Das Ziel »gleiches Geld für
gleiche Leistung« ist trotz des bürokratischen Aufwandes nicht gegeben, da
dieselbe Leistung unterschiedlich codiert werden kann. Besonders bei
Patienten mit mehreren Krankheiten und komplexen Krankheitsinteraktionen
obliegt es der subjektiven Abrechnungskreativität, wie man den Fall
verschlüsselt. Schon ein Dammriss bei einer Geburt führt zu einer höheren
Vergütung, wenn dieser zur Hauptdiagnose und die Geburt, um die es eigentlich
gehen sollte, zur Nebendiagnose wird. Unterschiede von mehreren Tausend
Euro für die gleichen Leistungen sind an der Tagesordnung.
Die Codierung ist entscheidender als die Behandlungsrealität. Die
»richtigen« falschen Diagnosen bringen viel Geld und werden kaum von einem
medizinischen Dienst der Krankenkassen entlarvt. So können einfache unklare
Bewusstseinsverluste als »Schlaganfälle« aufscheinen, da in leichteren Fällen
Schlaganfälle keine objektiven Befunde (MRT, Labor, neurologischer Befund)
haben und nicht zweifelsfrei bestätigt werden können. Auch eine Sepsis
(Blutvergiftung) ist alles andere als eine objektive Diagnose ohne
Bewertungsspielräume.99 Es ist vielleicht kein Wunder, dass bestimmte
»Erkrankungen« wie »unklare Sepsis« oder »Demenz« in den letzten Jahren
epidemieartig zugenommen haben, ohne dass dies der Krankheitsrealität
entspricht. Die deutsche Umsetzung des DRG-Systems bildet nicht
medizinische Leistungen in Geldbeträgen ab, sondern die Leistungen werden
an die in Aussicht gestellten Tarife angepasst. Gesucht sind aufwendige Fälle
bestimmter Erkrankungen (hohes Relativgewicht), die den Erlös steigern und
mittlere Verweildauern. Bei zu kurzer Verweildauer gibt es Kürzungen, bei zu
langer Verweildauer drohen Verluste. Schwierigkeiten sind erwünscht, um
Zuschläge abrufen zu können. Die klinischen Karrieren der
»Gesundheitskunden« müssen in diese Vorgaben eingepasst werden –
Behandeln nach Erlösmaximierung geht vor.
Das DRG-System in Deutschland hat daher inzwischen mit dem
Vergütungsprinzip »eine Erkrankung – eine Therapie – ein Tarif« nur noch
wenig zu tun. Gemäß einer Fallpauschalenabrechnung dürften sich
Komplikationen oder Folgeschäden einer Therapie nie für eine Klinik rechnen,
sondern wären immer gewinnmindernd. Mit der zunehmenden
»Differenzierung« des deutschen DRG-Systems seit der Implementierung im
Jahr 2003 können aber Komplikationen gewinnsteigernd abgerechnet
werden.100 Etwa 60 000 Euro gibt es als Erlös für vier Beatmungswochen, und
zwar unabhängig, ob die Beatmungssituation unvermeidlich oder
therapiebedingt war. »Das heutige System vergütet Komplikationen besser als
die komplikationslose Behandlung, es schafft Diagnosen statt sie abzubilden,
indem es Anreize dort setzt, wo eine üppige Vergütung winkt.«101 In deutschen
Kliniken wird nicht nur unter Inkaufnahme von Toten und Geschädigten
übertherapiert. Wer mit unnötigen und invasiven Untersuchungen noch
Komplikationen produziert, kann für eine Klinik lukrativer sein als ein seriöser
Mediziner, der sein Handwerk versteht. Die wirtschaftliche Motivation,
Patientenschäden zu vermeiden, ist auf der Strecke geblieben. Die Schädigung
des Patienten wird nie als iatrogen aufscheinen – und die Kostenträger zahlen
klaglos. Schon wegen mengenassoziierter Bonusregelungen in vielen Verträgen
ist der ärztliche Widerstand beschränkt.102 Würden ausschließlich
Fallpauschalen für Prozeduren ohne Komplikationen gezahlt – es gäbe weniger
Komplikationen!
Ein gesundes Leben auf eigenes Risiko gibt es seit dem 1. Januar 2009 in
Deutschland nicht mehr.1 Gemäß §193 Absatz 3 Versicherungsvertragsgesetz
(VVG) herrscht eine allgemeine Krankenversicherungspflicht, die einen
versicherungsfreien Selbstzahler nicht kennt. Eine freie Willensbildung als
Voraussetzung für einen funktionierenden Wirtschaftsbereich ist im
Gesundheitswesen damit ausgesetzt. Der Wandel von Krankenkassen zu
»Gesundheitskassen«, bei denen man als »gesunder Patient« Anspruch auch auf
sinnfreie Früherkennungsuntersuchungen, Fitness-Tracker und -Apps zur
Überwachung von Körperfunktionen hat, aber diese auch nicht abwählen kann,
ist vollzogen. »Gesundheitsdienstleistungen« statt Krankenbehandlung ist
angesagt. Marktgesetze könnten zu einer Beschränkung auf das Notwendige
führen und die Ideologie des »Wachstums« gefährden.
Ein wirtschaftliches Geflecht ohne versicherungsmathematische Vernunft,
ohne finanzielle Sanktionierung von Qualität und Ergebnissen unter
Abkoppelung von jeglichen Marktgesetzen ist zum Scheitern verurteilt und
kann nur zeitlich begrenzt als eskalierender Subventionsfall bestehen. De facto
ist das System bereits seit der versteckten Finanzierung aus Steuermitteln
(Steuervergünstigungen für Leistungserbringer, Übernahme der
Infrastrukturinvestitionen öffentlicher Kliniken, Risikostrukturausgleich,
Förderprogramme) und mit dem Einfrieren der Arbeitgeberanteile für die
gesetzliche Krankenversicherung implodiert. Jede weitere
»Gesundheitsreform« in der endlosen Reformkette erhält nur ein gescheitertes
gesellschaftliches Modell zur weiteren Plünderung durch die
Leistungserbringer, Krankenversicherer und die Lieferanten von Rohstoffen
sowie Sachwerten am Leben. Würden die monatlichen
Arbeitnehmerlohnabzüge den tatsächlichen Kosten entsprechen, es gäbe wohl
längst keine Akzeptanz mehr für eine Pflichtmitgliedschaft.
Gefährliche Gefälligkeiten
Arbeit gilt hierzulande immer noch als prinzipiell gesundheitsbelastend. Diese
irrige Annahme wird durch die überholte, fast hälftige Abgeltung der
Versicherungsbeiträge durch die Arbeitgeber unterhalten. Am sichersten vor
Arbeit schützt ein ärztliches Attest. Und das bekommen die Hilfesuchenden
meist, denn Patienten sind heute vor allem auch Kunden. In den Niederlanden
dagegen muss sich ein Patient für ein Attest in ein arbeitsmedizinisches
Zentrum begeben, da der Hausarzt in der niederländischen Gesellschaft als
Fürsprecher des Patienten betrachtet wird. Diese Befangenheit ist nicht von
der Hand zu weisen, zumal in Deutschland die Krankschreibungen seit
Jahrzehnten antizyklisch zur Beschäftigungssituation schwanken: Je höher die
Arbeitslosigkeit, desto geringer der Krankenstand und umgekehrt.16 Als beim
Touristikunternehmen TuiFly infolge von Fusionsgesprächen mit der
Luftfahrtgesellschaft Air Berlin die Belegschaft Anfang Oktober 2016 über
ihre Zukunft verunsichert war, ließen sich Angestellte, ohne dass eine
Krankheitsepidemie vorlag, so massenhaft krankschreiben, dass das
Tagesgeschäft zum Erliegen kam.17 Nach Schätzungen des Bundesministeriums
des Innern wird bis zu 70 % der männlichen Migranten unter 40 Jahren vor der
Abschiebung Transportunfähigkeit bescheinigt.18
Mit der Validität (Gültigkeit) und Reliabilität (Verlässlichkeit) vieler
Diagnosen, Gutachten und Atteste ist es nicht weit her19, obwohl unzutreffende
Krankschreibungen dem Tatbestand des Betrugs entsprechen. Wie kann die
Enttarnung der Lebenslauflüge bei der ehemaligen Bundestagsabgeordneten
Petra Hinz zur Attestierung eines Krankenstandes führen?20 Wie glaubhaft war
die Krankschreibung des rechtskräftig verurteilten Steuerbetrügers Uli Hoeneß,
die ihm mehrere Monate Zellenhaft ersparte?21 Langzeit-»Krankenstände« von
Mitarbeitern vor allem im öffentlichen Dienst würde es ohne
rechtsverbindliche Bescheinigungen ernsthafter Erkrankungen durch Ärzte nicht
geben. Am Anfang steht immer eine Diagnose, die insbesondere in der
Psychiatrie/Psychosomatik in den letzten Jahrzehnten durch Neuerfindungen
von Krankheitsbildern Blüten getrieben hat (vgl. Kapitel 5). Spätestens mit
dem abrupten Verschwinden von »Diagnosen« entlarvt sich dann ärztlicher
Humbug. So wurde das »Burnout«-Syndrom, das in vielen anderen Ländern gar
kein Krankheitsbild war, im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts zu einer
regelrechten Epidemie mit einer Zunahme der Arbeitsunfähigkeitstage um mehr
als das Zehnfache von 2004 bis 2012.22 Von 2012 auf 2013 ist die Häufigkeit
schlagartig um ein Drittel zurückgegangen.23 In den aktuellen
Krankheitsregistern ICD-10 und DSM-V wird »Burnout« nicht mehr als
eigenständiges Krankheitsbild geführt.24 Doch nicht wenige Patienten ziehen
ein obskures Diagnosemonstrum dem Ausschluss einer Erkrankung vor.
Die Unterschrift mag dem Arzt Diskussionen mit fordernden Patienten
ersparen, doch eine leichtfertige Krankschreibung darf als eine der
bedenklichsten Therapieoptionen gelten. Medizinisch ist sie höchst gefährlich,
kann eine psychisch bedingte Krankschreibung doch den Beginn einer
Patientenkarriere darstellen. Wer sechs Wochen oder länger von der Arbeit
freigestellt ist, hat bereits die Eintrittskarte für ein dauerhaftes Fernbleiben
vom Arbeitsplatz gelöst. Mehrere kurze Krankschreibungen können das erste
Signal dafür sein, dass etwas im Argen liegt. Nur 6 % der verbeamteten
deutschen Lehrkräfte erreichten im Jahr 2000 arbeitsfähig die gesetzliche
Regelaltersgrenze, 62 % schieden krankheitsbedingt wegen Dienstunfähigkeit
aus und 32 % gingen vorzeitig in Rente, weil sie eine Antragsaltersgrenze
erreicht hatten.25 Ganz oben bei den Antragsgründen: psychische
Erkrankungen. Was soll man davon halten, dass die Frühpensionierung von
Lehrkräften in Deutschland seit 2001 sukzessive von 60 % auf etwa 20 %
abgesunken ist, nachdem ab jenem Jahr Versorgungsabschläge bei vorzeitiger
Pensionierung eingeführt wurden?26 Die krankheitsbedingte Frühpension
bedarf immer der ärztlichen Attestierung einer triftigen Krankheit und die
wurde offenbar zumindest bis 2001 den Ansuchenden ohne medizinische
Rechtfertigung bescheinigt.
Oft genug mutieren psychosomatische Befindlichkeitsstörungen und Ängste
durch invasive Maßnahmen zu tatsächlich organischen Beschwerden mit
Folgebehandlungen und einer irreversiblen Patientenkarriere – ob aus dem
Wunsch der Arbeitsunfähigkeit/Berentung oder aus narzisstischem
Zuwendungsbedürfnis. Rückenschmerzen korrelieren hoch mit einer
depressiven Verstimmung. Und zwar nicht nur als Folge, sondern in gleicher
Weise als Ursache.27 Mindestens 40 % der Rückenschmerzen stellen kein
primär organisches Problem dar.28 Wirbelsäulenchirurgen aber verwandeln
allzu oft psychosomatische oder zeitlich begrenzt auftretende Rückenschmerzen
in chronische Zustände und nach mindestens einer Rückenoperation in ein
organisches Korrelat: wochen- oder monatelange Rehabilitation und
anschließende Erwerbsunfähigkeit inklusive. Und genauso finden sich
behandlungsfixierte Ärzte und Patienten bei vielen anderen Therapien, die den
Kostenträgern teuer zu stehen kommen, ohne dass ein Krankheitszustand
ursächlich und evidenzbasiert therapiert wird.
Ganz ohne Zweifel ist die Ärzteschaft wesentlich an der medizinisch nicht
angezeigten und oft desaströsen Langzeitverschreibung von Medikamenten
beteiligt. Dies trifft beispielsweise auf Tranquilizer (Benzodiazepine und die
neueren Nicht-Benzodiazepin-Agonisten) zu, die zu den Medikamenten mit
hohem Abhängigkeitspotenzial gehören (vgl. Kapitel 4 und 6). Obwohl das
Abhängigkeitsproblem bei dieser Medikamentengruppe seit den 1960er-Jahren
bekannt ist, hat die Pharmaindustrie mit tätiger Mithilfe von »forschenden«
Ärzten das Risiko jahrzehntelang verharmlost.29 Erst seit den 1980er-Jahren
können Benzodiazepine nur mit aufwendiger Begründung gegenüber den
gesetzlichen Krankenkassen über den Zeitraum von acht Wochen hinaus
verordnet werden. Ein Drittel der Verschreibungen laufen trotz der
Toleranzeffekte und Abhängigkeitsbildung länger als zwei Monate.30 Die
massive Zunahme der Privatrezepte für Versicherte gesetzlicher
Krankenversicherungsträger lässt zwingend auf eine hohe Zahl
missbräuchlicher Verordnungen aufgrund von Abhängigkeit schließen.31 32
Wenn die gesetzlichen Kostenträger eine Verschreibung nicht akzeptieren und
diese gar noch entgegen den Leitlinien ist, dann handelt es sich um
Gefälligkeitsverschreibungen von Medikamenten, die der Patient selbst
bezahlen muss und die alles andere als unbedenklich sind. Ein Drittel der
Verordnungen erscheinen als nicht regelkonform und damit »problematisch«.33
Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen schätzt, dass bis zu 1,9 Millionen
Menschen medikamentenabhängig sind, davon 1,5 Millionen
benzodiazepinabhängig.34
Schmerztabletten sind mittlerweile häufiger als Zigarettenschachteln in
Hand- und Hosentaschen zu finden. Von den 20 am meisten verkauften
rezeptfreien Medikamenten sind die Hälfte Schmerzmittel.35 Schmerzpatienten
sind meist medikamentenabhängig oder werden es, wenn sie
Schmerztherapeuten aufsuchen.36 Drei Millionen Menschen in Deutschland
verwenden Aufputschmittel als »Gehirndoping«. Die Diagnose »ADHS«
(Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen) kann ein Deckmantel für
Ritalin®-Junkies sein, die von der Ärzteschaft willfährig bedient werden.
Selbst die Bundesärztekammer vermutet, dass jeder niedergelassene Arzt in
Deutschland im Durchschnitt einen medikamentenabhängigen Patienten pro Tag
sieht (vgl. Kapitel 4 und 6).37
Wie wenig der Beschwerdeschilderung vieler Patienten bei subjektiven
Symptomen zu trauen und wie hoch die Anspruchshaltung ist, zeigen
Versicherungsgutachten. Bei nicht wenigen Begutachtungen zur Unfallursache
von Beschwerden scheint versuchter Versicherungsbetrug vorzuliegen. Das
fängt schon damit an, dass Antragssteller zeitnah zum Unfall keinen Arzt
besuchen, der einen Befund erhebt, und erst Monate später auf die Idee
kommen, Ansprüche geltend zu machen. Die hohen Ablehnungsraten durch
Gutachter und Versicherungen spiegeln ungezügelte Begehrlichkeiten von
Menschen wider, die sich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit, eine
vorgezogene Altersrente oder andere Vorteile verschaffen wollen. Natürlich
gibt es langjährige Verfahren, in denen Patienten trotz berechtigter Ansprüche
von Gerichten und Versicherungen finanziell und zeitlich zermürbt werden,
ohne dass dem Recht Genüge getan wird. Diese Fälle sind zwar
medienwirksam, doch keinesfalls repräsentativ.
• Verkehrssicherheit,
• Umweltverschmutzung,
• Lebensstiländerung.
17. Dienstverträge aller Ärzte müssen beinhalten, dass die ärztliche Ethik
über allen anderen Vorgaben steht und eine Kündigung diesbezüglich
unwirksam ist.
Obwohl dieses Buch meine Sicht der Medizin atmet, ist der Text in der
vorliegenden Form durch die gründliche Auseinandersetzung zweier Personen
mit meinen Gedanken und Formulierungen beeinflusst worden. Ich danke
meiner Frau, Dr. phil. Renate Reuther, nicht nur für ihren Verzicht auf
gemeinsame Zeit, sondern vor allem für zahlreiche kontroverse Diskussionen
zu Inhalt und Stil. Sie war es auch, die durch ein gründliches philologisches
Lektorat sprachliche Unebenheiten beseitigen half. Herrn Prof. Dr. med. Ottmar
Leiß danke ich für seine belesenen Anmerkungen und Kommentare, die mich so
manches streichen ließen, mich aber auch veranlassten, noch das eine oder
andere »Fass aufzumachen«. Das Buch gäbe es nicht ohne die radiologisch-
technischen Assistenten, Krankenschwestern und Kollegen, die mich durch
Engagement und kritische Distanz zu ihrem eigenen Tun geprägt haben.
Mein Dank gilt nicht zuletzt Frau Pascale Breitenstein als Programmleiterin
des riva Verlages, die sich von noch ungehobelten Passagen im Exposé und
polemischen Stilelementen nicht abhalten ließ, aus dem Manuskript ein Buch
zu machen. Frau Breitenstein und Herr Michel haben durch ihr wohlüberlegtes
und kritisches Lektorat dankenswerterweise auch entbehrliches Fachchinesisch
bereinigt.
Anmerkungen
Prolog
1 http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/Healthy_life_years_statistics; letzter Zugriff
am 08.07.2016
2 http://de.statista.com/statistik/daten/studie/223237/umfrage/gesunde-lebensjahre-und-
lebenserwartung-im-alter-von-65-jahren-in-europa/; letzter Zugriff am 07.07.2016
3 https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/Sterbefaelle/Tabellen/SterbealterDurchschn
letzter Zugriff am 26.08.2016
4 Weiland SH et al.: Zunahme der Lebenserwartung. Größenordnung, Determinanten, Perspektiven.
Dtsch Arztebl 2006; 103(16):A-1072–7
5 Luy M: Lebenserwartung in Deutschland: Aktuelle Daten zu Trends und Unterschieden.
http://www.lebenserwartung.info/index-Dateien/ledeu.htm; letzter Zugriff am 20.08.2016
6 Birg H, Flöthmann EJ: Langfristige Trends der demografischen Alterung in Deutschland. Z Gerontol
Geriat 2002; 35:387–99
7 http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-
explained/index.php/File:Life_expectancy_at_birth,_1980%E2%80%932013_(years)_YB15.png;
letzter Zugriff am 08.07.2016
8 National Centre of Health Statistics (NCHS); zitiert nach: Heil C: Fünf Wochen weniger: In Amerika
sinkt die Lebenserwartung. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 09.12.2016
9 Insee - Institut national de la statistique et des études économiques 2016;
https://www.insee.fr/fr/statistiques/1906668?sommaire=1906743; letzter Zugriff am 29.01.2017
10 Crews DE: Anthropological Issues in Biological Gerontology, in: Robert L. Rubinstein (ed.)
Anthropology and Aging. Comprehensive Reviews, Kluwer Academic Publ, Dordrecht 1990:11–38
11 Weiland SH et al.: Zunahme der Lebenserwartung. Größenordnung, Determinanten, Perspektiven.
Dtsch Arztebl 2006; 103(16):A-1072–7
12 Kaatsch P, Spix C, Hentschel S et al.: Krebs in Deutschland 2009/2010. 9. Auflage. In: Robert Koch-
Institut und die Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e. V. (eds.):
Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Berlin: Robert Koch-Institut 2013
13 McKeown T, Brown RG, Record RG: An interpretation of the modern rise of population in Europe.
Popul Stud (Camb) 1972; 26(3):345–82
14 Höpflinger F: Zur langfristigen Entwicklung der Lebenserwartung in der Schweiz. Studientext und
historisches Datendossier zur Lebenserwartung in früheren Jahrhunderten.
http://www.hoepflinger.com/fhtop/Lebenserwartung-historisch1.pdf; letzter Zugriff am 07.07.2016
15 Höpflinger F: Zur langfristigen Entwicklung der Lebenserwartung in der Schweiz. Studientext und
historisches Datendossier zur Lebenserwartung in früheren Jahrhunderten.
http://www.hoepflinger.com/fhtop/Lebenserwartung-historisch1.pdf; letzter Zugriff am 07.07.2016
16 Winkle S: Geißeln der Menschheit. Kulturgeschichte der Seuchen. Artemis & Winkler,
Düsseldorf/Zürich 1997
17 WHO: Global health estimates 2014; zitiert nach: Schaaber J: 10 Mythen der Pharmaindustrie: Von
zauberhaften Gewinnen und fehlenden Medikamenten. Pharma-Brief Spezial 2016; 2:3–15
18 https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2016/06/PD16_225_126.html;
letzter Zugriff am 20.08.2016
19 Klose J, Rehbein I: Ärzteatlas 2016 – Daten zur Versorgungsdichte von Vertragsärzten.
Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO), Berlin 2016
20 Finger JD et al.: Zeitliche Trends kardiometaboler Risikofaktoren bei Erwachsenen. Ergebnisse dreier
bundesweiter Untersuchungssurveys 1990-2011. Dtsch Arztebl 2016; 113:712–9
21 Chen CY et al.: Real world effectiveness of primary implantable cardioverter defibrillators implanted
during hospital admission for exacerbation of heart failure or other acute co-morbidities: cohort study
of older patients with heart failure. BMJ 2015; 351:h3529
22 Kramar K, Mayrhofer G: Prinz Eugen: Heros und Neurose. Residenz Verlag, Salzburg 2013
23 Bartsch K: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Mecklenburg. Wien 1879–80, Band 1: S. 357
24 Fleming PS et al.: High quality of the evidence for medical and other health-related interventions was
uncommon in Cochrane systematic reviews. J Clin Epidemiol 2016; 78:34-42
25 Heidenreich A, Thüer D: Sekundäre Leukämie nach systemischer Chemotherapie testikulärer
Keimzelltumoren. Onkologe 2006; 12:674–9
26 Dörffel W et al.: Sekundäre maligne Neoplasien nach Therapie eines Hodgkin-Lymphoms im
Kindesund Jugendalter. Eine Kohortenstudie mit mehr als 30 Jahren Nachbeobachtung. Dtsch Arztebl
2015; 112:320-7
27 Ness KK et al.: Physiologic frailty as a sign of accelerated aging among adult survivors of childhood
cancer: A report from the St. Jude Lifetime cohort study. J Clin Oncol 2013; 31:4496–503
28 Papalia R et al.: Meniscectomy as a risk factor for knee osteoarthritis: a systematic review. Br Med
Bull 2011; 99:89–106
29 Hempe JM et al.: The hemoglobin glycation index identifies subpopulations with harms or benefits
from intensive treatment in the ACCORD trial. Diabetes Care 2015; 38(6):1067–74
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67 Gøtzsche PC: Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität. Wie die Pharmaindustrie das
Gesundheitswesen korrumpiert. riva Verlag, München, 2014
68 Walther R: Weder Gott noch Zufall. Die Zeit Nr. 48 vom 19.11.2009
Crawling ist der Fitnesstrend aus den USA, auf den Fitnessfans,
Hollywoodstars und Supermodels schwören. Und das zu Recht: Die
dreidimensionale Bewegung beansprucht alle Muskelketten und -
verbindungen gleichzeitig und ist damit das ideale Workout für einen
straffen Körper. Die gleichmäßige Belastung aller Körperpartien
entlastet außerdem die Wirbelsäule, hilft dadurch bei
Rückenschmerzen und sorgt für eine bessere Haltung. Das
ganzheitliche Training auf allen vieren stärkt aber nicht nur Muskulatur
und Wirbelsäule, sondern stimuliert auch noch das Gehirn. Beim
Krabbeln werden beide Gehirnhälften vernetzt, was mental fit hält. Als
einer der Ersten hat der Physiotherapeut Johannes Randolf das
Potenzial dieses Fitnesstrainings erkannt und sein eigenes Krabbel-
Programm entwickelt, das er in seinem Buch Crawling Fitness
übersichtlich aufbereitet zum Nachmachen anbietet. Nach einer
Einführung in die Grundlagen und Vorteile des Crawling werden die
richtige Körperhaltung sowie verschiedene Handpositionen und
Ausgangsstellungen erklärt. Die über 40 Übungen sind nach
Trainingsniveaus gegliedert und lassen sich zu individuellen Workouts
zusammenstellen – vom Aufwärmen und vorbereitenden Übungen über
Basis- und Aufbauübungen sowie Bewegungsabläufe für
Fortgeschrittene bis zum abschließenden Dehnen. Farbige Bilder
veranschaulichen die Schritte zusätzlich, Trainingspläne für die
verschiedenen Level helfen bei der Zusammenstellung des perfekten
Crawling-Programms.