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Die Osterinselschrift.

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Die Osterinselschrift.
Von Robert von Heine-Geldern, New York.

Inhaltsangabe.
Einleitung. 8. Der Charakter der Schrift und die
1. Das Alter der Osterinselschrift. Bedeutung der Schriftzeichen.
2. Das Erlöschen der Schrift und der
9. Beziehungen zwischen der Osterinsel
Untergang der Schriftdenkmäler. schrift und anderen Schriften.
3. Entzifferungsversuche. A. Indien.
4. Schreibmaterial. B. China.
5. Schriftrichtung. C. Amerika.
6. Schriftgelehrte, Unterricht, Prüfungen, 10. Aufgaben der Forschung.
Bibliotheken. Nachtrag.
7. Inhalt und Verwendung der Schrifttafeln. Postscriptum.

Einleitung.
Das Problem der Osterinselschrift war seit vielen Jahren mehr oder
weniger in Vergessenheit geraten, wohl nicht nur deshalb, weil es für immer
unlösbar schien, sondern auch weil man ihm kaum mehr als örtliche Bedeutung
beimaß. Nichts sprach dafür, daß es irgendwie zur Beantwortung jener welt
umspannenden Fragen beitragen konnte, mit denen sich die Ethnologie im
Laufe der letzten Jahrzehnte befaßt hat. Erst durch Wilhelm von Hevesy’s
Entdeckung ihrer Verwandtschaft mit der Schrift von Harappa und Mohenjo-
daro, der indischen Bilderschrift des 3. Jahrtausends v. Chr., wurde die Oster
inselschrift plötzlich wieder in den Mittelpunkt des Interesses gerückt 1 . Nun
erst erwies es sich, daß wir in ihr eines der wichtigsten Hilfsmittel zur Er
schließung alter, verschollener Völker- und Kulturbewegungen besitzen, ja daß
sie uns ungeahnte und nie erhoffte Einblicke in die Geschichte der Entstehung
der Schrift und damit zugleich der ältesten Hochkulturen ermöglicht.
Die hier vorgelegten Studien bitte ich als eine Vorarbeit zu einem
geplanten Buch über die Osterinselschrift zu betrachten, das alle einschlägigen
Fragen behandeln soll. Inanspruchnahme durch andere Aufgaben, vor allem
aber die Schwierigkeiten, die sich der Beschaffung der Literatur und des nötigen
Abbildungsmaterials entgegenstellten, haben mich gezwungen, die Arbeit an
diesem Buch vorläufig, wenn auch hoffentlich nicht auf allzu lange Zeit, zu
unterbrechen. Ich habe mich deshalb entschlossen, die bisher bis zu einem
1 W. von Hevesy, Écriture de Elle de Pâque, Bull, de la Soc. des Américanistes
de Belgique, No. 9 (1932), 120—127; Sur une écriture océanienne paraissant d’origine
néolithique, Bull, de la Soc. Préhistorique Française XXX (1933), 434—446; Osterinsel
schrift und Indusschrift, Orientalistische Literatur-Zeitung XXXVII (1934), 665—674.
816 Robert von Heine-Geldern,

gewissen Grade fertiggestellten Teile zu veröffentlichen, möchte aber den frag


mentarischen Charakter dieser Studie ausdrücklich betonen.

1. Das Alter der Osterinselschrift.


Die Einführung der Schrift wird in der Überlieferung der Eingebornen
mit dem Namen Hotu-matua’s verknüpft, der von einer anderen Insel des
Stillen Ozeans aus mit zahlreichem Gefolge auf zwei Schiffen die Osterinsel
erreicht und besiedelt haben soll. Wann dies geschehen ist, läßt sich nicht mit
Sicherheit sagen, da diesbezüglich zwischen den verschiedenen Versionen der
Überlieferung starke Widersprüche bestehen. Thomson erhielt eine Liste von
57 Königen von Hotu-matua bis Maurata, den letzten, im Jahre 1862 von
peruanischen Sklavenjägern entführten Herrscher. Bischof Jaussen gibt für
dieselbe Königslinie bloß 29 Namen, Lapelin 31 Namen. Mrs. Routledge
erhielt zwei voneinander abweichende Listen von je 30 Namen 2 . Unter diesen
Umständen ist es natürlich nicht möglich, den Zeitpunkt der Einwanderung
Hotu-matua’s auch nur nach Generationen genau festzustellen. Nimmt man als
Mindestzahl von Hotu-matua bis Maurata 30 Generationen und die Durch
schnittsdauer einer Generation mit 25 Jahren an, so kommt man zu dem Schluß,
daß die Einwanderung Hotu-matua’s und damit auch die Einführung der
Schrift nicht später als zu Beginn des 12. Jahrhunderts stattgefunden
haben dürfte.
Thomson teilt mit, daß nach der Überlieferung Hotu-matua der Schrift
kundig gewesen sein und bei seiner Einwanderung 67 Schrifttafeln mitgebracht
haben soll 3 . Mrs. Routledge wurde von einer Schrifttafel namens ko-hau-o-
te-ranga erzählt, die von den ersten Einwanderern mitgebracht worden sein
sollte und die sich noch im Besitz des vorletzten Ariki (Königs) Ngaara (Mitte
des 19. Jahrhunderts) befand. Sie wurde diesem entwendet und soll von ihrem
letzten Besitzer an einen der Missionäre verkauft worden sein 4 . Es wäre somit
möglich, daß sie sich unter den zu Braine-le-Comte aufbewahrten Tafeln be
findet. Nach einer anderen Version, die Mrs. Routledge berichtet, sollen die
ursprünglichen, von Hotu-matua mitgebrachten Schriften auf „Papier“ ge
schrieben gewesen sein. Der Kommandant des zweiten Bootes, das. Hotu-matua
begleitete, sei ein schriftkundiger Mann namens Hineriru gewesen, der auf
„Papier“, das er mitgebracht hatte, zu schreiben pflegte. Auch die von
Mrs. Routledge als tau bezeichnete Abart der Osterinselschrift soll schon von
einem Vorfahren Hotu-matua’s erfunden worden sein 5 .

2 William J. Thomson, Te Pito te Henna, or Easter Island, Report of the United


States National Museum for the Year ending June 30, 1889, 534. — Tepano Jaussen,
L’île de Pâques, Bull, de Géographie historique et descriptive 1893, 241. — A. B. Meyer
und J. Jablonowski, 24 Menschenschädel von der Oster-Insel, Abhandlungen und Be
richte des Königl. Zoologischen und Anthropologisch-Ethnographischen Museums zu
Dresden IX (1901), Nr. 4, 9—-12. — Mrs. Scoresby Routledge, The mystery of Easter
Island (London 1919), 241. — T. de Lapelin, Revue Maritime et Coloniale XXXV
(1872), 109.
3 Thomson, 514.
4 Routledge, 249.
5 Routledge, 244, 252, 279.
Die Osterinselschrift. 817

Alle diese Mitteilungen, die Thomson und Mrs. Routledge von den Ein-
gebornen erhielten, stimmen darin überein, daß die Schrift von Hotu-matua bei
seiner Einwanderung mitgebracht worden, also nicht etwa erst auf der Oster
insel entstanden ist. Ihr Alter auf der Insel selbst dürfte demnach mindestens
•800 Jahre, kann aber auch viel mehr betragen. Wie ich später noch ausführen
werde, glaube ich Grund zu der Annahme zu haben, daß ihre Einführung in
die Südsee nicht später als im 1. Jahrtausend v. Chr., sehr viel wahrschein
licher aber schon im 2. Jahrtausend v. Chr. erfolgt ist (siehe unten S. 877,
880 f.). Und wie ihre von Hevesy nachgewiesene Verwandtschaft mit der Indus
schrift zeigt, müssen ihre Wurzeln in ihrer uns noch unbekannten Urheimat
(Turkestan? Iran?) bis ins 4. Jahrtausend zurückreichen.
Wenn so einerseits das sehr hohe Alter der Osterinselschrift feststeht, so
ist es doch anderseits ebenso sicher, daß sie sich bis nach der Mitte des 19. Jahr
hunderts in lebendigem Gebrauch erhalten hat. Die zahlreichen darüber vor
liegenden Berichte lassen einen Zweifel daran nicht zu.
Als ältestes Zeugnis für den Gebrauch der Schrift durch die Osterinsu
laner sind hier die Unterschriften zu nennen, die die „Häuptlinge“ der Insel
im Jahre 1770 unter die von dem spanischen Kapitän Felipe Gonzales auf-
gezeichnete Annexionsurkunde gesetzt haben 6 . Der Wiederentdecker der voll
kommen in Vergessenheit geratenen Osterinselschrift, der französische Mis
sionär Eyraud, sagt in seinem ersten Bericht, den er 1864, noch kein Jahr nach
seiner Landung auf der Insel, abfaßte, daß die Eingebornen die Zeichen mit
Obsidian einzuritzen pflegten 7 . Er muß also das Schreiben noch als lebendige
Übung gekannt oder wenigstens durch Augenzeugen davon gehört haben.
Bischof Jaussen von Tahiti, dem wir die Entdeckung der Osterinselschrift für
die Wissenschaft und die Erhaltung der letzten Tafeln verdanken, fand unter
den Osterinsulanern, die um 1870 auf einer Plantage in Tahiti arbeiteten, einen
namens Metoro Tauaure, der die Schrift bei drei Meistern namens Gahu,
Pauvaa und Reimiro erlernt hatte und imstande war, Zeichen mit Bleistift auf
Papier zu schreiben. Er war es auch, der dem Bischof die diesem von den Mis
sionären geschickten Tafeln vorlas. Außerdem befand sich auf Tahiti noch ein
Osterinsulaner namens Urupano Hinapote, selbst Sohn eines Gelehrten namens
Teikaki und Neffe des eben genannten Meisters Reimiro, dessen Schüler er
gewesen war, allerdings mit sehr geringem Erfolg. Er mußte selbst beschämt
und zum Gelächter seiner Landsleute gestehen, daß er trotz seines Schul
besuches von der Schrift nichts verstand 8 .
Einem Schweden namens de Greno, der um 1870 als Schiffbrüchiger
einige Monate auf der Osterinsel verbrachte, wurden dort zwei alte Männer
gezeigt, von denen es hieß, daß sie in ihrer Jugend lesen und schreiben gelernt
6 G. de la Rosa, Journ. of the Anthropological Institute III (1874), 382—383. —
.1- P. Harrison, Note on Easter Island writing. Ebenda 528. — The voyage of Captain
Don Felipe Gonzales to Easter Island in 1770—1771, edited by Bolton Glanvili.
Corney, Works issued by the Hakluyt Society, 2. Serie, XIII (Cambridge 1908), 48—49.
7 E. Eyraud, Annales de la Propagation de la Foi XXXVIII (1866), 71, zitiert
bei Jaussen, 250.
8 Jaussen, 251—252.
818 Robert von Heine-Geldern,

hätten 9 . Um die gleiche Zeit berichtete Maclay, die Eingebornen sagten, daß
ihre Väter die Zeichen noch verstanden und einzuritzen gewußt hätten, daß
aber gegenwärtig auf der Insel niemand mehr sei, der sie zu lesen verstünde 10 .
Geiseler und Weisser erfuhren anläßlich ihres kurzen Aufenthaltes auf
der Osterinsel im Jahre 1882, „daß nicht, wie angenommen, die Schriftsprache
einem untergegangenen Volke angehört hat, sondern dem. jetzigen, und auch
gegenwärtig noch existiert und bekannt ist, wenn auch nur wenigen“ 11 .
Thomson fand noch im Jahre 1886 auf der Insel einen alten Mann
namens Ure Vaeiko, der etwas lesen konnte oder wenigstens den Inhalt einiger
Tafeln kannte. Ich komme noch auf ihn zurück. Thomson berichtet auch als
erster von der Beschränkung der Schriftkenntnis auf den König und seine
Familie, auf die Häuptlinge und einzelne Gelehrte sowie von dem jährlich an
der Anakenabucht abgehaltenen Fest, bei dem die Tafeln öffentlich vorgelesen
worden waren 12 .

Thomson’s Mitteilungen werden durch die Angaben, die 28 Jahre später


Mrs. Routledge auf der Insel erhielt, bestätigt und zugleich wesentlich er
weitert. Die Schrifttafeln bildeten ihr zufolge — sie war 1914/1915 auf der
Insel — „an integral part of life on the island within the memory of men not
much passed middle age“. Den letzten schreibkundigen Mann, Tomenika, hat
sie selbst noch angetroffen und er ist geradezu unter ihren Augen gestorben.
Mrs. Routledge erhielt denn auch von den Eingebornen zum Teil noch sehr
lebhafte Schilderungen von dem Schreib- und Lesebetrieb zur Zeit der vorletzten
Ariki Ngaara, der im Jahre 1859 gestorben zu sein scheint und der als der
größte Schriftkenner seiner Zeit galt. Einer von Mrs. Routledge’s Gewährs
leuten, ein alter Mann namens Te Haha aus dem Clan der Miru, dem auch der
Ariki angehörte, hatte in seiner Jugend begonnen, schreiben zu lernen, dies
jedoch wieder aufgegeben, weil seine Hand nicht sicher genug war. Er hatte je
doch im Dienst des Ariki Ngaara gestanden und als Knabe als eine Art Ordner
an dem großen Jahresfest zu Anakena teilgenommen, an dem die Tafeln öffent
lich vorgelesen und Meister und Schüler geprüft wurden 13 . Wenn man an
nimmt, daß Te Haha zur Zeit von Mrs. Routledge’s Besuch etwa 70 Jahre
alt war, so konnte das ohne weiteres zwischen 1855 und 1859 stattgefunden
haben. Te Haha gab eine ausführliche Schilderung des Festes. Eine zweite, in
Einzelheiten abweichende, im wesentlichen übereinstimmende Schilderung er
hielt Mrs. Routledge von einem anderen alten Mann. Da ja auch schon
Thomson von diesem jährlichen Fest des Tafellesens zu Anakena erfahren
hatte, stützen einander die Berichte und entsprechen daher im wesentlichen
sicher den Tatsachen. Ja, selbst im Jahre 1934 fanden Lavachery und

9 Th. Croft, Proc. of the California Academy of Sciences V, abgedruckt bei


William Churchill, Easter Island (Washington 1912), 320.
10 N. von Maclay, Über die Rohau rogo rogo oder die Holztafeln von Rapa-nui,
Zeitschrift der Ges. für Erdkunde zu Berlin VII (1872), 80.
11 Kapitänleutnant Geiseler, Die Osterinsel, eine Stätte prähistorischer Kultur
in der Südsee (Berlin 1883), 23.
12 Thomson, 514.
13 Routledge, 243—246, 250—253.
Die Osterinseischrift. 819

Métraux die Erinnerung an die einstigen Schreibschulen auf der Insel noch
lebendig 14 .

Schließlich beweisen auch Form und Material der im Museum zu Braine-


le-Comte befindlichen Tafel Tahua, daß die Osterinsulaner ihre alte Schrift
noch zu einer Zeit gebrauchten, als sie schon mit Europäern in Berührung
gekommen waren. Wie schon Jaussen und Maclay bemerkt haben, muß diese
Tafel aus dem Blatt eines europäischen Ruders verfertigt worden sein. Eine
neuere Untersuchung hat ergeben, daß sie tatsächlich aus Eschenholz (fraximus
excelsior), also aus einer europäischen Holzart, hergestellt ist 15 .
Nach alldem ist an der Tatsache, daß um 1860 auf der Osterinsel noch
sehr eifrig geschrieben und gelesen wurde, nicht zu zweifeln. Dies muß immer
wieder auftauchenden gegenteiligen Behauptungen gegenüber ausdrücklich be
tont werden und ist natürlich für die Einschätzung der von Bischof Jaussen
aufgezeichneten Tafeltexte von größter Bedeutung.

2. Das Erlöschen der Schrift und der Untergang der Schriftdenkmäler.


Die Zahl der vorhandenen Tafeln muß um die Mitte des 19. Jahrhunderts
noch sehr groß gewesen sein. Der Ariki Ngaara soll deren angeblich Hunderte
besessen haben. Nach seinem Tode wurden sie zerstreut. Drei Tafeln sollen mit
ihm begraben worden sein. Zehn bis fünfzehn Tafeln wurden unter mehrere
alte Männer verteilt. Andere erhielt ein Gefolgsmann Ngaaras namens Pito
und nach dessen Tod Ngaaras Enkel Maurata, der letzte Ariki. Als dieser von
den Sklavenjägern nach Peru entführt worden war, kamen seine Tafeln an
einen Mann namens Také, der sie in einer Höhle versteckte. Da er den Ort des
Verstecks nicht verriet, gingen sie mit seinem Tod verloren. Die Tafeln, die
Kaimokoi, Ngaaras Sohn, besessen hatte, wurden in einer Fehde verbrannt 16 .
Die sechziger Jahre brachten der Schreibkunst der Osterinsulaner ein
jähes Ende. Zuerst kam im Jahre 1862 der Überfall peruanischer Sklaven
jäger, die 900 Männer, darunter den Ariki Maurata, nach den Guanolagern
der Chincha-Inseln verschleppten, wo die meisten von ihnen zugrunde gingen.
Zwei Jahre darauf folgte, von den wenigen auf die Insel heimgekehrten Über
lebenden eingeschleppt, eine Blatternepidemie und bald darauf eine Epidemie
von Schwindsucht, so daß auch die auf der Insel zurückgebliebene Bevölkerung
dezimiert wurde. Dann kam die Deportation von 300 OsterinSulanern, die der
französische Kolonist Dutrou-Bornier im Auftrag der englischen Firma Bran
der als Plantagenarbeiter nach Tahiti bringen ließ. Und schließlich wunderten,
um den Schikanen Dutrou-Borniers zu entgehen, die auf der Insel tätigen Mis
sionäre um 1870 mit einem weiteren Teil der Bevölkerung nach den Gambier-
Inseln aus. So kam es, daß die Einwohnerzahl der Insel, die im Jahre 1862
A. Métraux, Introduction à la connaissance de l’Ile de Pâques (Paris 1935). —
Henry Lavachery, Ile de Pâques (Paris 1935), 59—60.
15 Jaussen, 254. — Maclay, 80. — H. Lavachery, Les bois employés dans File
de Pâques, Bull, de la Soc. des Américanistes de Belgique, No. 13 (1934), 70—71. —
André Ropiteau, Une visite au Musée Missionnaire des Pères des Sacrés-Cœurs de
Picpus à Braine-le-Comte, Bulletin de la Société des Etudes Océaniennes V (1935), 520.
16 Routledge, 245—247.
820 Robert von Heine-Geldern,

2000 bis 3000 betragen haben muß, im Jahre 1871 auf 175 und 1877 auf 111
zusammengeschmolzen war 17 . Eis ist kein Wunder, daß in diesen Katastrophen
die ganze, wahrscheinlich nie sehr zahlreiche Klasse der Schriftgelehrten zu
grunde ging.
Trotz allem muß die Zahl der vorhandenen Schriftdenkmäler auch nach
dem (peruanischen Überfall zunächst noch sehr groß gewesen sein. Bruder
Eugène Eyraud, der Wiederentdecker der Osterinselschrift, schrieb noch 1864,
man fände in allen Häusern Schrifttafeln und mit Zeichen beschriebene
Stäbe 18 . Der schon erwähnte Schwede de Greno, der sich als Schiffbrüchiger
auf der Insel aufgehalten hatte, erzählte Croft, bei Beginn seines Aufenthaltes
hätten die Eingebornen ihm eine ganze Anzahl Schriftdenkmäler gezeigt, denen
sie großen Wert beizumessen schienen, drei oder vier Monate später aber, als
er die Insel verließ, sei es ihm nicht gelungen, Schrifttafeln zu erwerben, ja
viele von den Eingebornen hätten nunmehr überhaupt geleugnet, solche zu be
sitzen 19 . De Greno’s Besuch muß Ende der sechziger oder Anfang der sieb
ziger Jahre stattgefunden haben, jedenfalls vor 1874. Maclay berichtet, Pater
Roussel habe ihm erzählt, daß er einige zwanzig Tafeln gesehen habe, „die
in den verschiedenen Familien aufbewahrt wurden“ 20 .

Gewiß haben auch die unmittelbar auf den peruanischen Überfall fol
gende Christianisierung sowie das Bekanntwerden mit europäischer Kultur und
mit europäischer Schrift sehr wesentlich zum Erlöschen der letzten Reste ein
heimischer Schriftübung und zum raschen Verschwinden der Schriftdenkmäler
beigefragen. Der erste Missionär, Bruder Eugène Eyraud, landete im Jahre
1864. Ihm folgten bald darauf die PP. Roussel und Zumbohm. Ihren gemein
samen Bemühungen gelang es, bis zum Jahre 1868 die gesamte Bevölkerung
zu bekehren 21 .

Die Eingebornen haben später wiederholt behauptet, die Missionäre hät


ten ihnen verboten, die Tafeln zu lesen, ja sie sogar veranlaßt, diese als etwas
Heidnisches zu verbrennen. Das klingt aus verschiedenen Gründen nicht sehr
wahrscheinlich. Bruder Eyraud, der Entdecker der Tafeln, schreibt über
diese: „Le peu de cas qu’ils font de ces tablettes, m’incline à penser que ces
caractères, restes d’une écriture primitive, sont pour eux maintenant un usage
qu’ils conservent sans en rechercher le sens.“ Ja, er maß den Tafeln offenbar
so wenig Bedeutung bei, daß er ihre Existenz nicht einmal seinen Missions-
genossen mitteilte. Es ist demnach nicht sehr wahrscheinlich, daß er gegen die
Tafeln, die er für völlig bedeutungslos hielt, eingeschritten sein sollte. Pater
Gaspar Zumbohm, der im Jahre 1868, nach Eyraud’s Tod, durch Zufall eine

'* Jaussen, 242—244. — Meyer und Jablonowski, 3—4. — Routledge, 205—


208. Martin Gltsinde, Bibliografia de la Isla de Pascua. Publicaciones del Museo de
F.tnologia y Antropologia de Chile II (1922), 248, 292—297.
18 Jaussen, 250.
19 Croft bei Churchill, 319.
20 Maclay, 80. — P. Hippolyte Roussel’s hinterlassene Aufzeichnungen, die im
Jahre 1926 in den Annales des Sacrés-Cœurs erschienen sind, waren mir leider nicht
zugänglich.
21 Jaussen, 243. — Routledge, 206.
Die Osterinselschrift. 821

Tafel fand und so die Schrift, von der ihm Eyraud nichts gesagt hatte, wieder
entdeckte, stellte sofort Nachforschungen nach weiteren Tafeln an, und es ge
lang ihm schon am nächsten Tag, eine zweite zu erwerben. Er unternahm auch
sofort (leider vergebliche) Versuche, von den Eingebornen die Bedeutung der
Zeichen zu erfahren. Nach diesem von ihm gezeigten Interesse ist es wohl
schwer anzunehmen, daß er selbst zur Zerstörung der noch vorhandenen Ta
feln beigetragen haben sollte. Nachdem noch im gleichen Jahre 1868 Bischof
Jaussen auf Tahiti durch P. Zumbohm die Tafeln kennengelernt und sogleich
deren außerordentliche Bedeutung für die Wissenschaft erkannt hatte, ver
doppelten die Missionäre ihre Versuche, alles noch Vorhandene zu retten. Tat
sächlich verdanken wir ja auch die Erhaltung der meisten in Museen gelangten
Tafeln den Missionären Zumbohm und Roussel 22 .
Anderseits geht es doch auch nicht an, die sehr bestimmten Äußerungen
der Osterinsulaner einfach zu übersehen, die diese unabhängig voneinander zu
verschiedenen Zeiten verschiedenen Berichterstattern gegenüber über das Ver
bot der Missionäre, sich mit den Tafeln zu beschäftigen, gemacht haben. Der
erste, bei dem diese Nachricht auftaucht, ist meines Wissens Croft. In seinem
vom 30. April 1874 datierten Bericht erwähnt er, daß nach der Angabe von
Osterinsulanern, die er auf Tahiti sprach, sehr viele der früher außerordentlich
zahlreichen Schrifttafeln im Verlauf der häufigen Kriege zerstört worden seien,
„when each party would, in their anger, injure the valuables of the opposing
party“. Das steht ganz im Einklang mit dem, was Mrs. Routledge über die
Zerstörungen gelegentlich der Kriege berichtet, wobei man sogar so weit ging,
die kolossalen Steinstatuen, die der gegnerischen Partei gehörten, umzustür
zen 23 . „Some of the natives, however“, fährt Croft dann fort, „have told me,
with what truth I know not (for the natives of all these islands cannot be de
pended upon for truth), that soon after the Catholic missions were established
on their island, the missionaries persuaded many of their people to consume
by fire all the blocks 24 in their possession, stating to them that they were but
heathen records, and that the possession of them would have a tendency to
attach them to their heathenism, and prevent their thorough conversion to the
new religion, and the consequent saving of their souls.“ Allerdings fügt er so
gleich hinzu: „Others of the natives deny this statement altogether, and are
very strenuous in saying that it is false. I may here mention vthat the latter are
Catholics, and are living with the Bishop. Their statements should be taken
with some allowance. Those who make the charge, on the other hand, are em
ployed by Mr. Brander, a merchant and planter here, and are not subject to
the control of the Catholics 25 .“
Im Jahre 1886 weigerte sich Ure Vaeiko, Thomson’s Gewährsmann, trotz
aller Geschenke und Versprechungen, die beiden von der amerikanischen Ex

22 Jaussen, 250—251. — G. Zumbohm, Annales de la Congrégation des Sacrés-


Coeurs de Jésus et de Marie VI (1880), 232, zitiert bei I. Alazard, Le Muséon, Nouvelle
Série IX (1908), 163—165. — Maclay, 79—80.
23 Routledge, 173, 300.
24 Gemeint sind die Schrifttafeln.
25 Croft bei Churchill, 319.
822 Robert von Heine-Geldern,

pedition erworbenen Schrifttafeln zu lesen, ja auch nur zu berühren oder an


zusehen, weil die Missionäre dies verboten hätten und er als ein alter Mann,
der bald sterben würde, sein Seelenheil nicht gefährden wolle. Ja, er ging
schließlich so weit, sich vor den Amerikanern zu verbergen, nur um nicht in
Versuchung geführt zu werden 26 .
Noch im Jahre 1914 erzählten die Eingebornen Mrs. Routledge, daß
ein schriftkundiger Mann, der an der Südküste der Insel lebte und eine große
Zahl von Tafeln besaß, diese alle auf Veranlassung der Missionäre fortgewor
fen habe, worauf ein anderer Mann aus ihnen ein Boot baute. Eine der von
Thomson für das United States National Museum in Washington erworbenen
Tafeln soll von diesem zur Zeit des amerikanischen Besuches schon wieder
zerfallenen Boot stammen 27 .

Nach alldem ist es kaum zu bezweifeln, daß tatsächlich bei einem Teil
der Eingebornen — und zwar gerade bei jenem Teil, der mit den Missionären
nicht mehr in ständiger Verbindung stand 28 — nach der Christianisierung der
Glaube geherrscht hat, die Missionäre hätten die Beschäftigung mit den Schrift
tafeln verboten, ja deren Vernichtung verlangt. Ob dieser Glaube spontan ent
standen oder vielleicht durch irgendeine mißverstandene Äußerung eines der
Missionäre unbeabsichtigt hervorgerufen worden war, läßt sich natürlich nicht
entscheiden. Jedenfalls dürfte er wesentlich zur Vernichtung der Tafeln bei
getragen haben und vielleicht auch schuld daran gewesen sein, daß den Mis
sionären manches noch Vorhandene verschwiegen wurde, daß sie z. B. nie zur
Kenntnis der erst von Mrs. Routledge entdeckten fo«-Schrift gelangten.
Eine der wichtigsten Ursachen für die Vernichtung der Tafeln war
zweifellos die Holzarmut der Osterinsel. Die Tafeln waren zum Teil von recht
bedeutender Größe. Manche erreichten eine Länge von zwei Metern 29 . Nach
dem infolge des plötzlichen Zusammenbruchs der alten Kultur und des Aus
sterbens der Meister der Schreibkunst das Verständnis ihres Inhalts geschwun
den war, nachdem die alten Riten, bei denen man sie zu rezitieren pflegte,
nicht mehr abgehalten wurden, lag es nahe, die Tafeln als bloßes Material zu
verwenden. Schon 1868, sechs Jahre nach dem peruanischen Überfall, vier
Jahre nach der Landung des ersten Missionärs, erzählte ein Osterinsulaner,
der Pater Zumbohm nach Tahiti begleitet hatte, dem Bischof Jaussen, die
Tafeln würden gegenwärtig als Brennholz verwendet. Auch an den oben be
reits erwähnten Bau eines Bootes aus Schrifttafeln erinnere ich noch einmal.
So kam es, daß, während Eyraud noch im Jahre 1864 (wenn auch vielleicht
mit einiger Übertreibung) geschrieben hatte, „in allen Häusern“ seien Schrift
tafeln und beschriebene Stäbe zu finden, Zumbohm und Roussel im Jahre 1868
nur mehr traurige Reste finden konnten 30 .
20 Thomson, 514—515.
27 Routledge, 207.
28 Dies geht schon aus der oben angeführten Bemerkung Croft’s hervor. Nach
der Auswanderung nach den Gambier-Inseln um 1870 lebte jahrzehntelang kein Missionar
auf der Osterinsel, so daß auch die dort zurückgebliebenen Eingebornen nicht in stän
diger Berührung mit der Mission waren.
20 Routledge, 244.
a0 Jaussen, 251—252.
Die Osterinselschrift. 823

Während die klassische Osterinselschrift schon in den sechziger Jahren


des 19. Jahrhunderts ausstarb, hat sich eine zweite, von ihr nur wenig ver
schiedene Schriftart, die später zu besprechende fßß-Schriift, durch einen merk
würdigen Zufall bis ins 20. Jahrhundert erhalten, obwohl gerade sie nur ganz
wenigen Männern — schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts nur dreien —
geläufig gewesen sein soll. Sie erlosch im Jahre 1914 mit dem Tode des schon
erwähnten Tomenika, nachdem sie erst wenige Wochen vorher von Mrs. Rout
ledge entdeckt worden war. Mrs. Routledge erwähnt auch, daß einem zur
Zeit ihres Besuches etwa 40jährigen Mann Gelegenheit geboten worden sei,
„one form of such script“ zu lernen, daß er dies aber abgelehnt habe, da er die
lateinische Schrift vorzog 31 . Leider sagt Mrs. Routledge nicht, ob es sich
in diesem Fall um die /ßß-Schrift handelt oder um eine dritte, uns unbekannt
gebliebene Schriftart.
3. Entzifferungsversuche.
Aus den oben angeführten Berichten geht eindeutig hervor, daß Lesen
und Schreiben auf der Osterinsel um 1860 noch in Blüte standen. Grundsätz
lich war daher die Möglichkeit vorhanden, daß es in der zweiten Hälfte des
19., ja selbst in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts noch Leute gab,
die mehr oder weniger in der Schrift bewandert waren. Das ist natürlich von
Bedeutung für die Frage, welcher Wert den Versuchen beizumessen ist, die
man unternommen hat, um mit Hilfe von Eingebornen die Bedeutung der ein
zelnen Zeichen sowohl als den Inhalt der Tafeln zu ermitteln.
Den ersten derartigen Versuch hat jedenfalls schon Eyraud unter
nommen. Er scheint jedoch nicht weiter gekommen zu sein als zu der Er
kenntnis, daß „jedes Zeichen seinen Namen habe“ 32 . Der nächste Versuch
war der Pater Zumbohm’s. Sofort nachdem dieser die erste Tafel entdeckt
hatte, berief er die intelligentesten Eingebornen, um sie darüber zu befragen.
„Tous me parurent contents“, berichtet er, „de voir cet objet; ils m’en dirent
le nom, que je n’ai point retenu, puis quelques-uns se mirent à lire cette page
en chantant; mais d’autres s’écriaient: ,Non, ce n’est pas comme celà!‘ Le
désaccord de mes maîtres était si grand que, malgré mon application, je n’étais
pas beaucoup plus instruit après leur leçon qu’auparavant 33 .“ Es ist ein Jam
mer, daß Zumbohm die verschiedenen, ihm von den Eingebornen vorgesungenen
Versionen nicht auf gezeichnet hat, daß er sich, wie es scheint, überhaupt allzu
rasch entmutigen ließ und seine Nachforschungen über die Bedeutung der
Schrifttafeln nicht fortgesetzt hat. Denn wenn seine Gewährsleute auch offen
kundig keine „¿Meister“ waren, ja wenn sie vielleicht überhaupt nicht wirklich
lesen konnten, so besaßen sie doch anscheinend gewisse Kenntnisse und wußten
zum mindesten einige Tafeltexte auswendig.
Weitaus der wichtigste aller dieser Versuche, der Bedeutung der Schrift
tafeln auf den Grund zu kommen, ist der des Bischofs Tepano Jaussen. Wie
schon erwähnt, gelang es ihm um 1870, unter den Osterinsulanern, die als
31 Routledge, 244, 250—253.
32 Jaussen, 250.
33 Alazard, 164.
824 Robert von Heine-Geldern,

Plantagenarbeiter nach Tahiti gebracht worden waren, einen zu finden, der des
Lesens kundig war. Da Jaussen’s, Bericht von grundlegender Bedeutung, in
Fachkreisen jedoch beinahe unbekannt geblieben ist, führe ich die wichtigsten
Stellen daraus wörtlich an. Um den Bericht zu verstehen, ist es nötig, sich die
eigenartige Anordnung der Zeilen auf den Schrifttafeln zu vergegenwärtigen.
Die Zeichen jeder zweiten Zeile stehen, vom Beschauer aus gesehen, auf dem
Kopf, so daß man also, wenn man sie in der richtigen Stellung vor sich haben
will, am Ende einer Zeile angelangt, die Tafel jedesmal um 180 Grad drehen
muß (Taf. I).
„Je mis une de mes tablettes“, berichtet der Bischof, „entre les mains de
Metoro. Il la tourne, la retourne, cherche le commencement du récit et se met à
chanter: il chantait la plus basse ligne, de gauche à droite. Arrivé au bout, il
chanta la ligne la plus proche au-dessus, de droite à gauche; la troisième de
gauche à droite; la quatrième de droite à gauche, comme on dirige les boeufs
au labour. Arrivé à la dernière ligne, en haut, il passa, du recto, à la plus
prochaine ligne du verso et le descendit ligne par ligne, comme des boeufs qui
sillonnent les deux versants d’un coteau et dont le labour, ayant commencé au
bas d’un versant, finit au bas du versant opposé. Libre au lecteur de la tablette
de la tourner à chaque ligne, s’il ne peut pas lire les signes renversés 34 .“
Aus dem letzten Satz sowie aus der ganzen Schilderung des abwechseln
den Lesens von links nach rechts und von rechts nach links geht hervor, daß
Metoro die Tafel nicht umdrehte, sondern die zweite, vierte, sechste Zeile usw.
mit kopfabwärts gerichteten Zeichen las.
Bischof Jaussen hat die ihm von Metoro vorgesungenen Texte ganz oder
zum größten Teil aufgezeichnet, aber leider nie veröffentlicht, sondern sich
begnügt, danach ein Verzeichnis der einzelnen Zeichen und ihrer Bedeutung
zusammenzustellen. Nach dem Manuskript Jaussen’s hat Charles de Harlez
die ersten vier Zeilen der Tafel Aruku-Kurenga sowie je die erste Zeile zweier
weiterer Tafeln in Osterinselschrift mit transkribiertem Text und Interlinear
übersetzung herausgegeben. Leider ist die Wiedergabe der Zeichen äußerst
ungenau, ja fehlerhaft, und der Text durch Druckfehler entstellt. Den Beginn
der Tafel Aruku-Kurenga — transkribierten Text und Übersetzung, jedoch
ohne die Schriftzeichen — haben auch Roussel, Alazard und Ahnne, den
Beginn der gleichen Tafel, nicht ganz eine Zeile umfassend, samt Zeichen und
Übersetzung, hat Sidney Ray veröffentlicht 35 . Schließlich ist der Text der
Lafel Tahua im Bulletin de la Société des Études Océaniennes zu Papeete ab
gedruckt worden 36 .

34 Jaussen, 252.
35 C. de Harlez, Lite de Pâques et ses monuments graphiques, Le Muséon XIV
(1895), 421—424, XV (1896), 69—76. — H. Roussel, Vocabulaire de la langue de l’Ile-
de-Pâques ou Rapanui, Le Muséon, Nouvelle Série IX (1908), 165—166, 169. — S. H. Ray,
Note on inscribed tablets from Easter Island, Man XXXII (1932), 153—155. — E. Ahnne,
Les hiéroglyphes de Elle de Pâques, Bull, de la Soc. des Études Océaniennes V (1933),
190—191.
30 Bull, de la Soc. des Études-Océaniennes V (1935—36), 537—542, 583—588.
Da in Wien nur einzelne Hefte dieser Zeitschrift vorhanden sind, konnte ich leider nicht
feststellen, ob darin noch weitere Texte Jaussen’s veröffentlicht worden sind.
Die Osterinselschrift. 825

Die erste und wichtigste Frage, die hier beantwortet werden muß, ist
natürlich die nach der Zuverlässigkeit Metoros. Hat er die ihm vorgelegten
Schrifttafeln wirklich gelesen oder hat er bloß, wie andere seiner Landsleute
bei ähnlichen Gelegenheiten, irgendeinen ihm bekannten Text aufs Geratewohl
auswendig hergesagt? Oder hat er am Ende den ganzen Text ad hoc erfunden?
Ein Umstand spricht, wie mir scheint, sehr stark dafür, daß Metoro die
Texte nicht einfach auswendig hergesagt, sondern doch, bis zu einem gewissen
Grad wenigstens, gelesen hat. Normalerweise läuft ein Text über beide Seiten
einer Tafel. Wie oben geschildert, wurde er in Bustrophedon von unten nach
oben gelesen. Bei der obersten Zeile angelangt, mußte man die Tafel um die
obere Kante als Achse drehen und las nun von dieser Kante aus wieder im
Bustrophedon weiter. Der Text endet demnach an der gleichen Kante, an der
er beginnt, nur auf der anderen Seite. Bei einer der Tafeln nun las Metoro
nicht auf der anderen Seite im Anschluß an die oberste Zeile der ersten Seite
weiter, sondern begann auf der zweiten Seite wieder an der gleichen Kante wie
auf der ersten, da es sich in diesem Falle nicht um Fortsetzung des Textes der
ersten Seite, sondern um einen neuen Text handelte 37 . Hätte Metoro mecha
nisch auswendig rezitiert, so wäre ein solches Vorgehen kaum denkbar. Dazu
stimmt auch das Verhalten Metoros bei Beginn der Vorlesung, wie es Jaussen
in der oben wörtlich angeführten Stelle schildert: das mehrmalige Umdrehen
der Tafel, um den Anfang des Textes zu suchen.
Auf einen noch entscheidenderen Beweis für die Zusammengehörigkeit
von Schrift und Text haben bereits Harlez und Ray aufmerksam gemacht:
Den gleichen Schriftzeichen entsprechen im wesentlichen auch die gleichen
Wörter und Begriffe des Textes 38 . Da aber Metoro die Texte „sang“, ja den
einzelnen Zeichen außerhalb des Zusammenhanges scheinbar recht hilflos
gegenüberstand 39 , ist es undenkbar, daß er während des Rezitierens in der
Eile einen zu den Zeichen passenden Text improvisiert haben sollte. Ich glaube
deshalb, daß man Metoro und den von ihm „vorgelesenen“ Texten im allge^-
meinen einen recht hohen Grad von Zuverlässigkeit zuerkennen kann, mögen
auch im einzelnen noch so viele Irrtümer Vorkommen. Auf die Texte selbst
und die Bedeutung der Zeichen komme ich unten zurück.
Sehr ungünstig verlief ein anderer, ungefähr zur gleichen Zeit — um
1870 — auf Tahiti unternommener Versuch. Ein dort lebender Engländer
oder Amerikaner, der schon mehrmals erwähnte Croft, legte einem Oster
insulaner, der als schriftkundig galt, eine Tafel vor und machte schließlich die
enttäuschende Erfahrung, daß der Betreffende, als er ihm nach einer Woche
und ein zweites Mal nach zwei weiteren Wochen wiederum die gleiche Tafel
vorlegte, jedesmal einen anderen Text daraus „vorlas“ 40 . Daß Croft den Ver
such abbrach, den Mann als vermeintlichen Betrüger fortschickte und seine
37 Jaussen, 255.
38 C. de Harlez, Les signes graphiques de l’île de Pâques, Le Muséon XV (1895),
209. — Ray, 155.
39 „II n’a jamais cherché à me faire connaître un signe simplement et sans
chanter“, sagt Jaussen (253) von ihm.
40 Croft bei ChurchilL, 319—320.
826 Robert von Heine-Geldern,

Aufzeichnungen vermutlich als wertlos fortgeworfen, zum mindesten aber nicht


veröffentlicht hat, ist begreiflich, aber sehr bedauerlich. Im ungünstigsten Fall
hätten sie uns einige neue Osterinseltexte überliefert; aber es ist auch möglich,
daß sie für die Beantwortung der Frage, bis. zu welchem Grad durch die
Schrift der genaue Wortlaut der Texte oder aber bloß ihr Sinn festgelegt war,
von entscheidender Bedeutung hätten sein können.
Der nächste Versuch, aus den Eingebornen etwas über den Inhalt der
Schrifttafeln herauszuholen, war der William J. Thomson’s, der sich im Jahre
1886 als Schiffszahlmeister des amerikanischen Kriegsschiffes „Mohican“ elf
Tage auf der Osterinsel aufhielt. Es gelang ihm, einen alten Mann zu finden,
der als schriftkundig galt. „A man called Ure Vaeiko“, sagt er von ihm, „one
of the patriarchs of the island, professes to have been under instructions in the
art of hieroglyphic reading at the time of the Peruvian visit, and claims to
understand most of the characters.“ Wie schon erwähnt, weigerte sich Ure
Vaeiko unter Berufung auf das angebliche Verbot der Missionäre, die beiden
von der amerikanischen Expedition auf der Insel erworbenen Tafeln zu lesen,
und verbarg sich im Inneren der Insel. Erst knapp vor der Abreise des
„Mohican“, am Abend des vorletzten Tages, gelang es Thomson, ihn in seiner
Hütte zu überraschen. Nachdem er eine Zeitlang mit Alkohol traktiert worden
war, ließ er sich schließlich spät in der Nacht dazu herbei, zwar nicht die
Originaltafeln, wohl aber Photographien der im Besitz des Bischofs Jaussen
befindlichen Tafeln anzusehen und zu lesen. „The photographs“, sagt
Thomson, „were recognised immediately, and the appropriate legend related
with fluency and without hesitation from beginning to end.“ Im Lauf der Nacht
scheinen aber schließlich auch Ure Vaeikos Bedenken gegen die Original
tafeln geschwunden zu sein, denn „the story of all the tablets of which we had
a knowledge was finally obtained“, heißt es bei Thomson, und uniter den von
ihm mitgeteilten Texten befinden sich auch zwei, die den Inhalt der zwei
von ihm erworbenen, im United States National Museum befindlichen
Tafeln wiedergeben sollen. Als Dolmetsch diente ein französisch-tahitischer
Mischling, Alexandre Paea Salmon, der in den siebziger und achtziger
Jahren zuerst als Vertreter der Firma Brander, dann als Kolonist auf eigene
Rechnung auf der Osterinsel gelebt und den Expeditionen, die die Insel zu
jener Zeit aufsuchten, auf Grund seiner ethnographischen Kenntnisse und In
teressen wichtige Dienste geleistet hat.
„The reading“, berichtet Thomson, „should commence at the lower left-
hand corner, on the particular side that will bring the figures erect, and
followed as the characters face in the procession, turning the tablet at the end
of each line. Arriving at the top of the first face, the reading is continued over
the edge to the nearest line, at the top of the other side, and the descent continues
in the same manner until the end is reached.“
Thomson fährt dann fort: „Ure Vaeiko’s fluent interpretation of the
tablet was not interrupted, though it became evident that he was not actually
reading the characters. lit was noticed that the shifting of position did not
accord with the number of symbols on the lines, and afterwards when the photo
graph of another tablet was substituted, the same sitory was continued without
Die Osterinselschrift. 827

the change being discovered. The old fellow was quite discomposed when
charged with fraud at the close of an all-night session, and at first maintained
that the characters were all understood, but he could not give the signification
of hieroglyphics copied indiscriminately from tablets already marked. He
explained at great length that the actual value and significance of the symbols
had been forgotten, but the tablets were recognised by unmistakable features
and the interpretation of them was beyond question; just as a person might
recognise a book in a foreign language and be perfectly sure of the contents
without being able to actually read it.“
„Beyond doubt“, fügt Thomson dann noch hinzu, „certain legends are
ascribed to particular tablets, all of which are named, and a reference to those
names will recall the appropriate story from those who do not profess to under
stand the hieroglyphics 41 .“
Thomson hat die Texte oder angeblichen Texte von fünf Tafeln ver
öffentlicht. Welchen Wert darf man ihnen zuerkennen? Welchen Grad von
Vertrauen dürfen wir überhaupt in Ure Vaeiko’s Lesekunst setzen?
Michael Haberlandt hat zwei von Thomson’s Texten einer sehr be
rechtigten Kritik unterzogen 42 . Der eine dieser Texte enthält die Klage eines
Vaters um seine Tochter, eine Episode aus geschichtlicher oder sagenhafter
Überlieferung, der andere ein Liebeslied. Haberlandt hat nun darauf auf
merksam gemacht, daß die 89 Wörter des ersten Textes 210 Zeichen jener Tafel
entsprechen, die er angeblich wiedergeben soll, während der zweite Text bloß
80 Wörter enthält und dabei 660 Zeichen entsprechen soll. „Man kann“, be
merkt er, „aus diesem Mißverhältnis zum mindesten wohl auf eine Unvoll-
ständigikeit der mitgeteilten Texte schließen.“ Nach dem, was wir heute über
den Charakter der Osterinselschrift wissen — Haberlandt kannte ja noch
nicht Jaussen’s Forschungen — wird man sogar noch weiter gehen und schon
aus der einfachen Tatsache, daß die Zahl der Schriftzeichen die der Wörter
des angeblichen Textes übertrifft, ohne weiteres schließen dürfen, daß Text und
Tafel nicht zusammengehören. Wie weiter unten (S. 851 f.) noch ausgeführt
werden wird, ist von vornherein unbedingt das umgekehrte Verhältnis zu er
warten. Dagegen wird man einem anderen Argument Haberlandt’s nicht
beipflichten können. Er hat nämlich darauf hingewiesen, daß sich in dem
Text, der einer dritten Tafel, der Tafel „Atua Matariri“ zugeschrieben wird,
die Worte kia ai kiroto und kapu te ständig wiederholen, daß dem aber
keineswegs eine Wiederholung gleichartiger Zeichen auf der Tafel entspricht.
Wie wir heute wissen, ist es jedoch ohne weiteres möglich, daß die sich wieder
holenden Wörter nicht durch die Schrift ausgedrückt, sondern nur mündlich
hinzugefügt wurden (vgl. S. 851 ff.).
Einen anderen Einwand hat Churchill erhoben. Er findet, daß die
Sprache der THOMSON’schen Texte weder die Sprache der Osterinsel sei noch
überhaupt „the known speech of any Polynesian people, but a jumble of
several“ 43 .

41 Thomson, 514—516.
42 M. Haberlandt, Die Schrifttafeln der Osterinsel, Globus LXI (1892), 274—276.
43 Churchill, 5.
Anthropos XXXIII. 1938. 6
828 Robert von Heine-Geldern,

Scheinbar der schwerste Einwand, den man gegen die Zuverlässigkeit


Ure Vaeikos erheben kann, ist der, daß er die Tafeln nicht „las“, sondern bloß
auswendig rezitierte, was ja daraus hervorzugehen scheint, daß er es nicht
einmal merkte, als man mitten während der Rezitation die Photographien ver
tauschte, sondern ruhig in dem einmal begonnenen Text fortfuhr. Hat er wirk
lich, wie er, zur Rede gestellt, behauptete, ohne die eigentliche Bedeutung der
Zeichen zu kennen, doch die einzelnen Tafeln erkannt und die dazugehörigen
Texte, die er auswendig wußte, aufgesagt? Haberlandt bezweifelt es. „Wo
ist die Gewähr dafür“, fragt er, „daß Ure Vaeiko nicht beliebige, in seinem
Gedächtnis auf bewahrte Traditionen gänzlich willkürlich — freilich ohne sich
dessen ausdrücklich bewußt zu werden — auf die ihm vorgewiesenen Schrift
tafeln oder deren Abbildungen bezog?“
Dieser Einwand ist an und für sich sicher berechtigt und entspricht den
Erfahrungen, die später Mrs. Routledge machte (vgl. S. 831). Daß er für zwei
der Texte, die „Klage des Vaters um seine Tochter“ und das „Liebeslied“
stimmt, ist sicher. Ja, ich möchte sogar noch weiter gehen und annehmen, daß
es sich wahrscheinlich in beiden Fällen, ganz sicher aber beim „Liebeslied“,
um bewußte Fälschung handelt 44 . Berechtigt uns dies aber, das gleiche auch
für alle anderen Texte anzunehmen? Man bedenke nur die Umstände, unter
denen die Texte auf genommen wurden, die unvermeidlich eintretende Er
müdung und vor allem den fortschreitenden Grad der Alkoholisierung Ure
Vaeikos! Daß dieser, als er nicht mehr weiterwußte, sich schließlich half, indem
er ein beliebiges Lied zum besten gab, ist durchaus begreiflich, spricht aber
noch keineswegs gegen die Möglichkeit, daß die zu Beginn der Sitzung auf
gezeichneten Texte echt sein könnten.
Leider kann man aus Thomson’s Bericht, der ja an Genauigkeit so ziem
lich alles zu wünschen übrig läßt, nicht entnehmen, bei welchem der Texte die-
Photographien vertauscht wurden, ohne daß Ure Vaeiko es merkte. Hat Ure
Vaeiko wirklich alle Texte bloß auswendig rezitiert, ohne die Schriftzeichen
überhaupt zu beachten? Thomson widerspricht sich in dieser Hinsicht selbst.
Bei der Wiedergabe des Textes oder angeblichen Textes einer Tafel aus dem
Besitz des Bischofs Jaussen — Thomson nennt sie Apai — ließ nämlich
Ure Vaeiko zwei Stellen aus, die er, wie er behauptete, nicht lesen konnte. An
der ersten Stelle heißt es bei Thomson: „The next hieroglyphics on the fablet
are supposed to have been written in some ancient language, the key of which
has long been lost.“ An der zweiten Stelle sagt Thomson: „Here again are
some sections of the tablet written in the charaeters that are not understood 45 .“
Ob Ure Vaeiko die Sprache oder die Zeichen nicht kannte, läßt sich aus diesen
Angaben nicht entnehmen, denn Thomson spricht zuerst von dem einen, dann
von dem anderen. Wie immer dem aber auch sei, jedenfalls spricht der ganze
Umstand mit einiger Wahrscheinlichkeit dafür, daß Ure Vaeiko nicht bloß
auswendig rezitiert, sondern wenigstens bis zu einem gewissen Grad auch

44 Mrs. Routledge’s Frage, ob dieses Lied ein Tafeltext sei, erweckte bei derc
Fingebornen Heiterkeit. Siehe unten, S. 830.
45 Thomson, 519.
Die Osterinselschrift. 829

„gelesen“, d. h. die Schrift als Gedächtnisbehelf benützt hat. 46 . Da sich unter


den Aufzeichnungen des Bischofs Jaussen der von Metoro mitgeteilte Text der
gleichen Tafel befinden dürfte, wird sich hoffentlich einmal die Gelegenheit er
geben, den Grad der Zuverlässigkeit Ure Vaeikos in diesem Falle nachzuprüfen.
Wenig Gewicht ist der Angabe Thomson’s beizulegen, daß „the shifting
of position did not accord with the nu.rn.ber of Symbols on the lines“. Da, wie
wir später sehen werden, nur die Hauptbegriffe durch Schriftzeichen ausge
drückt wurden, keineswegs aber der ganze Wortlaut, ist es ohne weiteres mög
lich, daß eine gleiche Anzahl von Schriftzeichen jeweils Texte von verschie
dener Länge darstellen konnte. Leider sagt Thomson nicht, nach welchen Kri
terien er hier urteilt. Ja, es scheint mir so gut wie ausgeschlossen, daß er über
haupt die Möglichkeit hatte, in der Eile und ohne Sprachkenntnis das Verhält
nis zwischen der Zahl der Zeichen und dem Umfang der dazu gesprochenen
Worte zu kontrollieren. Auch darauf, daß Ure Vaeiko nicht imstande war, die
Bedeutung einzelner, aus dem Zusammenhang gerissener Zeichen anzugeben,
ist nicht allzu viel Gewicht zu legen. Scheint dies doch auch dem im wesent
lichen sicher zuverlässigen Metoro Schwierigkeiten gemacht zu haben. Ich ver
weise noch einmal auf den schon zitierten Ausspruch Bischof Jaussen’s: „II n’a
jamais cherché à me faire connaître un signe simplement et sans le chanter 47 .“
Thomson erwähnt noch einen Umstand, der sehr stark für die Zuverläs
sigkeit Ure Vaeikos zu sprechen scheint, daß nämlich ein alter Mann namens
Kaitae, ein Verwandter des letzten Königs Maurata, „afterwards recognised
several of the tablets from the photographs and related the saime story exactly
as that given previously by Ure Vaeiko“ 48 . Es ist unendlich bedauerlich, daß
Thomson diese Texte Kaitaes nicht aufgezeichnet oder wenigstens nicht mit
geteilt hat, ja daß er nicht einmal sagt, um welche Tafeln. es sich handelt. So
ist eine Nachprüfung dieser Angabe, die von entscheidender Bedeutung sein
könnte, völlig unmöglich, und sie verliert dadurch stark an Wert, wenn es auch
nicht angeht, sie einfach nicht zu beachten.
Leider hat Thomson auch nicht alle Texte veröffentlicht, die er mit Hilfe
Ure Vaeikos auf gezeichnet haben muß, wenn seine Behauptung, er habe die
Texte aller ihm bekannten Tafeln erhalten, wörtlich zu nehmen ist. So fehlt
gerade der Text der Tafel Aruku Kurenga, der an Hand der von Roussel,
Ray und Ahnne veröffentlichten Bruchstücke aus dem, Manuskript Jaussen’s
am ehesten nachgeprüft werden könnte 49 .

Im Jahre 1914, also achtundzwanzig Jahre nach dem Besuch Thomson’s,


konnte Mrs. Routledqe von den Eingebornen noch manches über den damals
natürlich schon längst verstorbenen Ure Vaeiko in Erfahrung bringen. Da
nach hatte dieser zwar nie Tafeln besessen und auch nicht selbst schreiben

40 Natürlich wäre es auch denkbar, daß Ure Vaeiko bloß rezitierte und an Stellen,
an denen er nicht mehr weiter wußte, die oben angeführten Angaben als Ausrede ge
brauchte. Für sehr wahrscheinlich halte ich dies jedoch nicht.
47 Jaussen, 253.
48 Thomson, 516.
49 Thomson bildet diese Tafel ab, bezeichnet sie aber irrtümlich als im Museum
zu Santiago befindlich.
830 Robert von Heine-Geldern,

können, war aber in den Diensten des Ariki Ngaara gestanden und hatte ge
lernt, die Tafeln zu rezitieren. Ja, es scheint, daß er zur Zeit von Mrs. Rout-
ledge’s Besuch noch als eine Art Autorität in Schriftsachen galt, da man sich
gelegentlich auf seine Aussprüche berief 50 .
Mrs. Routledge ging die fünf von Thomson veröffentlichten Texte mit
einigen alten Osterinsulanern durch. Drei der Texte waren diesen unbekannt,
einer „was laughed out of court as being merely a love-song which erveryone
knew“. Es handelt sich um einen der beiden Texte, deren apokryphen Cha
rakter bereits Haberlandt nachgewiesen hatte, das oben erwähnte Liebeslied,
den angeblichen Text der Tafel Mamari aus dem Besitz des Bischofs
Jaussen. Der fünfte Text endlich „which describes the process of creation was
recognised as that of a kohau (Schrifttafel) ? but looked at a little askance, as
there were Tahitian words in it“ 5i . Wir können es demnach als sicher betrach
ten, daß es sich in diesem Fall um einen echten Tafeltext handelt. Fraglich
bleibt es natürlich, ob er wirklich gerade den Inhalt jener Tafel wiedergibt, zu
der ihn Ure Vaeiko rezitierte. Es ist dies eine der beiden Tafeln, die Thomson
selbst auf der Insel erwerben konnte und die sich im United States National
Museum zu Washington befinden.
Bei Beurteilung der THOMSON’sehen Texte darf man die äußerst ungün
stigen Umstände nicht außer acht lassen, unter denen sie zustande gekommen
sind. Sie alle und vermutlich noch eine Reihe anderer, unveröffentlicht geblie
bener, sind in einer einzigen Nacht auf gezeichnet worden, der vorletzten, die
Thomson auf der Insel zugebracht hat. Man bedenke die dadurch bedingte
Eile, die unvermeidliche Ermüdung Thomson’s und Salmon’s. So ist es denn
auch äußerst fraglich, bis zu welchem Grad die Aufzeichnungen den von Ure
Vaeiko rezitierten Text richtig wiedergeben. Hat doch Salmon offenkundig
sogar Wörter seiner tahitisehen Muttersprache eingemischt! AAit ebenso großem
Mißtrauen wie den transkribierten Text wird man die von Thomson wieder
gegebene englische Übersetzung betrachten müssen. Thomson selbst äuße t
sich nicht darüber, wie sie zustande gekommen ist. Dagegen sagt G. H. Cooke,
der als Schiffsarzt an der Expedition des „Mohican“ teilnahm, Salmon habe
die Texte, nachdem er sie aufgezeichnet hatte, ins Englische übersetzt und die
ganze Nacht durch mit Thomson daran gearbeitet 52 . Das heißt also, daß
sämtliche Texte in einer einzigen Nacht auf gezeichnet und auch noch übersetzt
wurden. Es ist kaum denkbar, daß bei solcher Eile nicht zahlreiche Irrtümer
und Ungenauigkeiten unterliefen. Eine genaue Nachprüfung sämtlicher Texte
und Übersetzungen durch einen guten Kenner der polynesischen Sprachen
wäre daher in erster Linie nötig. Für einen der Texte liegt eine derartige Be
arbeitung seit kurzem vor 53 .

50 Siehe unten, S. 847.


51 Routledge, 247—•248.
52 G. H. Cooke,, Te Pito te Henua, known as Rapa Nui, commonly called Easter
Island, Annual Report of the Board of Regents of the Smithsonian Institution for the
year ending June 30, 1897, Report of the U. S. National Museum, Part I, 700.
33 Alfred Métraux, The kings of Easter Island, Journ. of the Polynesian Soc.
XLV1 (1937), 52—54.
Die Osterinselschrift. 831

Um noch einmal kurz zusammenzufassen: Nach den von Mrs. Rout


ledge eingezogenen Erkundigungen erscheint es durchaus denkbar, daß Ure
Vaeiko die Fähigkeit besaß, Tafeln richtig zu lesen oder wenigstens zu erken
nen und ihren Text auswendig zu rezitieren. Unter den fünf von Thomson
veröffentlichten Texten sind zwei bestimmt apokryph und gehören nicht zu den
Tafeln, denen sie Ure Vaeiko zuschrieb, ja der eine davon ist bestimmt, der
andere höchstwahrscheinlich überhaupt kein Tafeltext. Daß die drei anderen
Texte die betreffenden Tafeln wiedergeben, von denen sie Ure Vaeiko ablas oder
abzulesen vorgab, läßt sich vorläufig weder beweisen noch widerlegen. Einer
dieser drei Texte (ein Bruchstück aus der Weltschöpfungssage) ist bestimmt
ein Tafeltext, von den beiden anderen ist dies immerhin möglich. Ich halte es
für nicht ausgeschlossen, daß es einmal gelingen könnte, die Zugehörigkeit
dieser drei Texte zu den betreffenden Tafeln nachzuprüfen. Auf diese Möglich
keit sowie auf den Inhalt der Texte komme ich unten zurück.
Von März 1914 bis August 1915 hielt sich Mrs. Routledge auf der
Osterinsel auf und hat während dieser Zeit alles noch irgend Erreichbare über
die Schrift erkundet. Allerdings hat sie die Ergebnisse leider nur zum Teil
veröffentlicht.
Als Mrs. Routledge den Eingebornen Photographien von Schrifttafeln
vorlegte, wurden diese zu ihrer Überraschung fließend gelesen, „certain words
being assigned to each figure“. Es stellte sich jedoch bald heraus, daß Text
und Schrift nicht zusammengehörten. „After a great deal of trouble had been
taken, in drawing the signs and writing down the particular matter, it was
found that any figure did equally well. The natives were like children pre
tending to read and only reciting.“ Allerdings wurde von etwa einem halben
Dutzend Personen unabhängig voneinander ungefähr der gleiche Text rezitiert.
Er begann mit den Worten he timo te ako-ako, he ako-ako tena, war allgemein
bekannt und sollte nach Ansicht der Eingebornen den Inhalt einer der ältesten
Tafeln wiedergeben (siehe unten, S. 847) 54 .
Wie schon erwähnt, fand Mrs. Routledge auf der Insel noch einen
Mann, der eine zweite, tan, „Jahr“, genannte Schrift zu schreiben wußte, die
zur Abfassung von Annalen verwendet wurde. Leider gelang es ihr nicht, von
diesem Mann, der schwer an Lepra erkrankt war und wenige Wochen später
starb, die Bedeutung der einzelnen Zeichen zu erfahren. Iinpnerhin konnte sie
eine Reihe wertvoller Feststellungen über den Inhalt der tau-Tafeln, die Rich
tung der Schrift usw. machen 55 . Ich komme noch darauf zurück.
Hier sind noch zwei Versuche zu erwähnen, die Schrifttafeln der Oster
insel ohne direkte Befragung der Eingebornen zu entziffern. Der erste dieser
Versuche wurde von J. Park Harrison an Hand von Gipsabgüssen der beiden
Tafeln des Museums zu Santiago unternommen 5(5 . Aus dem Umstand, daß,
wie immer man die Tafeln hält, die Zeichen der untersten Zeile aufrecht, die
54 Routledge, 248.
55 Routledge, 250—'253. Ob die Schrift selbst tau genannt wurde oder ob man
nur die Annalen so nannte, geht aus den Angaben nicht ganz klar hervor.
5,i J. Park Harrison, The hieroglyphics of Easter Island, Journal of the Anthro-
pological Institute 111 (1874), 370—382.
832 Robert von Heine-Geldern,

der oibersten Zeile aber mit den Köpfen nach abwärts stehen (Abb. I), zog
Harrison den richtigen Schluß, daß die Tafeln von unten nach oben zu lesen
seien. Daraus, daß die meisten menschlichen Figuren nach rechts schauen,
glaubte er, vermutlich in Anlehnung an das System der ägyptischen Hiero
glyphen, den Schluß ziehen zu dürfen, daß die Zeilen von rechts nach links
zu lesen seien, und begann deshalb am rechten unteren Ecik der Tafel, wobei
die Wahl, welche von den beiden Randzeilen als die untere, welche als die
obere betrachtet werden sollte, natürlich nur willkürlich erfolgen konnte. Har
rison interpretierte nun, mit der von ihm gewählten „untersten“ Zeile begin
nend und von rechts nach links fortschreitend, die einzelnen Zeichen oder auch
ganze Zeichengruppen. Dabei ging er nicht von Zeile zu Zeile, sondern nahm
zuerst alle Zeilen mit aufrechtstehenden Zeichen, also die erste, dritte, fünfte
usw. vor, drehte dann die Tafel um und interpretierte nun, wiederum von der
untersten (früher obersten) Zeile beginnend, die restliche Hälfte der Tafel. Er
betonte jedoch ausdrücklich die Möglichkeit, daß die Tafeln nicht auf diese
Weise, sondern in Bustrophedon zu lesen seien. Die Deutung der einzelnen
Zeichen ist zum Teil sehr phantastisch, so wenn Harrison zwei aufeinander
folgende Zeichen als Darstellung des Kampfes zwischen einem Mann und einer
Schlange ansieht, wenn er die Bilder von Säugetieren, Vögeln und Fischen
erkennen will, die nicht auf der Osterinsel Vorkommen, sondern nur im west
lichen Teil des Großen Ozeans oder in Asien usw. Trotzdem sind manche
Beobachtungen Harrison’s über den Stil der Zeichen und über die Teilung des
Textes in Zeichengruppen durch ein sich häufig wiederholendes Zeichen auch
jetzt noch beachtenswert. Im großen und ganzen muß aber sein Versuch, so
berechtigt er auch zu seiner Zeit war, heute als völlig überholt gelten.
Der zweite derartige Versuch knüpft sich an den Besuch des deutschen
Kanonenbootes „Hyäne“ 57 . Aus Geiseler’s Bericht ist nicht zu entnehmen,
ob dieser Versuch von ihm selbst stammt oder aber von dem Zahlmeisteraspi
ranten Weisser, dem während des kurzen Aufenthaltes auf der Insel die eth
nographischen Forschungen übertragen worden waren.
Nachdem in dem Bericht ausdrücklich festgestellt worden ist, daß die
Zeit zu kurz gewesen sei, um die Bedeutung der Zeichen zu ermitteln, daß
aber der schon oben erwähnte Tahitier Salmon versprochen habe, „eine genaue
Bezeichnung jedes Zeichens und die Bedeutung von dem Chief Hangeto (einem
alten Mann, der damals noch zwei Tafeln besaß) sich geben zu lassen und zu
übermitteln“, wird hinzugefügt: „Indes kann aus eigener Beobachtung die an
nähernde Bedeutung mehrerer dieser Zeichen festgestellt werden.“ Geiseler
weist dann auf die Ähnlichkeit zweier auf den Tafeln häufig vorkommender
Zeichen, die beide einen sitzenden Mann darstellen, mit den Reliefdarstellungen
des Gottes Make-Make in den Felsskulpturen zu Orongo am Rand des Kraters
Rano Kao hin, ferner auf die Ähnlichkeit gewisser anderer auf den Tafeln vor
kommender Zeichen mit den ebenfalls auf den Felsen von Orongo häufigen
Vulva-Symbolen, die auch als Tatauierungsizeichen für verheiratete Männer
gebraucht wurden. Allein die oberflächliche Ähnlichkeit der beiden anthro-

57 Geiseler, 24—25.
Die Osterinselschrift. 833

pomorphen Schriftzeichen mit den Darstellungen Make-Make 1 s ist bloß stili


stisch bedingt und nichts berechtigt uns zu der Annahme einer Bedeutungs
gleichheit. Ja, von dem einen dieser Homo-Zeichen kann man aus der Zeichen
liste Jaussen’s und aus dem von Ray veröffentlichten Fragment festsfeilen,
daß es etwas ganz anderes, nämlich den Begriff „Essen“ oder „Nahrung“ aus-
drücken soll 5S . Was aber die angeblichen Vulva-Zeichen der Tafeln betrifft,
so kann man der jAUSSEN’schen Liste nur entnehmen, daß es eine Reihe solcher
Zeichen mit ganz anderer Bedeutung (z. B. „Mund“, „Wasser“, „Porzellan
muschel“) gab, während ein solches mit der Bedeutung „Vulva“ oder irgend
einer ähnlichen Bedeutung in der Liste nicht vorkommt. Es ist demnach bloße
Spekulation, wenn Geiseler die Meinung äußert, das vermeintliche Make-
Make-Zeichen bedeute die Geburt (da angeblich Make-Make „das Weibliche
und Männliche“ repräsentieren sollte), das vermeintliche Vulva-Zeichen aber,
wenn es in Verbindung mit dem erstgenannten Zeichen vorkomme, daß „die
betreffende Geburt einer ehelichen Verbindung entsprossen sei“. Wenn es dann
weiter heißt, daß „sich aus diesem schon der sichere Schluß ziehen lasse, daß
die Bildtafeln nur Genealogien enthalten, die nach Aufklärung der genauen
Bedeutung der einzelnen Zeichen ihrem Inhalte nach wahrscheinlich von gar
keinem weiteren Interesse sein werden“, so ist diese vollkommen unbegründete
Behauptung wohl wesentlich unter dem Einfluß Meinicke’s zustande gekom
men, der vermutet hatte, daß die Tafeln Genealogien enthielten5 59 . Heute

8
wissen wir ja, daß diese Vermutung, wenn überhaupt, so höchstens für eine
verhältnismäßig geringe Zahl von Tafeln zutreffen kann (vgl. S. 850).
Bloße Spekulation, die vollkommen in die Irre ging, war es auch, wenn
Geiseler in einem Zeichen, das einen Mann mit einer vermeintlichen Pflanze
in der Hand, und in anderen Zeichen, die aus einem Fisch an der Angel oder
auch bloß aus einem Fisch bestehen, Andeutungen der Jahreszeit (Zeit des
Einsammelns von Seetang bzw. Hauptfischzeit) erkennen wollte und die An
sicht äußerte, daß „diese Zeichen anscheinend die Zeit anzeigen, zu welcher
die Geburt oder Verheiratung bzw. das Ereignis geschah“. Auf die ganz an
dere Bedeutung, die diese Zeichen wahrscheinlich hatten, komme ich unten
zurück (vgl. S. 863).
Es ist wichtig, festzustellen, daß all diesen Deutungsversuchen Gei
seler’s auch nicht eine einzige von Eingebornen erhaltene Angabe zugrunde
liegt. Der Wortlaut des betreffenden Abschnittes in Geiseler’s Bericht ist
nämlich so unklar, daß leicht der Eindruck hervorgerufen werden konnte, als
handle es sich hier um Mitteilungen Eingeborner 60* . Sonderbarerweise ist so
*

gar Thomson dem Einfluß Geiseler’s erlegen und schreibt dessen Deutungen
kritiklos nach, noch dazu ohne Angabe der Quelle, so daß der arglose Leser

58 Jaussen, 269. — Ray, 154.


59 Meinicke, Die Holztafel von Rapanui, Zeitschrift der Gesellschaft für Erd
kunde zu Berlin VI (1871), 550—551.
60 So leitet z. B. M. Haberlandt, Über Schrifttafeln von der Osterinsel, Mitteil,
der Anthropolog. Ges. in Wien XVI (1886), 100, die Darlegung der GEiSELER’schen Deu
tungen mit den Worten ein: „Es wurde aus alten, der Schrift kundigen Eingebornen
herausgefragt, daß ...“ Hier liegt ein allerdings sehr begreifliches Mißverständnis vor.
834 Robert von Heine-Geldern,

glauben muß, es handle sich hier um Ergebnisse seiner eigenen Forschun


gen 61 . Irgendwelcher Wert ist den Deutungsversuchen Geiseler’s ebenso
wenig zuzuerkennen wie jenen Harrison’s. Dies muß deshalb ganz besonders
betont werden, weil gerade sie in der Ethnologie eine ganz unverdiente Be
achtung gefunden haben.
4. Schreibmaterial.
Als Schreibmaterial dienten bekanntlich vor allem hölzerne Tafeln von
sehr verschiedener Größe. Die größten maßen etwa 6 Fuß in der Länge 62 .
Die größte erhaltene Tafel dürfte die Tafel Tahua im Museum zu Braine-le-
Conite sein. Diese Tafel ist 90 cm lang und 10 cm breit und enthält 1547 Schrift
zeichen in 16 Zeilen (auf jeder Seite 8 Zeilen) 63 . Nach den meisten
Angaben soll, für die Tafeln das Holz des To-romiro-Baumes, einer Mimose
(Sophora toromiro), verwendet worden sein 64 . Daneben wurde aber auch
Treibholz verwendet. Das haben die nach Tahiti verschleppten Osterinsulaner
Croft ausdrücklich erzählt 65 . Von den zwei Tafeln, die Thomson für das
United States National Museum erwarb, soll die eine aus Toromiro-Holz, die
andere aus Treibholz hergestellt sein 66 . Eine von Hevesy angeregte Unter
suchung ergab, daß je eine der Tafeln der Museen zu Braine-le-Comte,
Washington und Wien aus dem Holz von Podocarpus latifolia hergestellt ist 67 .
Die Tafel Arukii Kurenga soll aus dem Holz einer Laurazee, die Tafel Mamari
aus dem einer Myrtazee, eine der Tafeln des Wiener Museums aus dem Holz
von Thespesia populnea, die Tafel Tahua, wie schon erwähnt, aus Eschenholz
bestehen 68 . Derartigen Untersuchungen könnte natürlich nur dann größere
Bedeutung zukommen, wenn es sich mit Sicherheit nachweisen ließe, daß es
sich in dem betreffenden Fall weder um Treibholz noch auch um Holz handelt,
das — wie dies für die Tafel Tahua wohl sicher ist — von Europäern oder
Amerikanern eingeführt worden ist.
Die Tafeln wurden ko-hau rongo-rongo genannt. Man hat dies meist mit
„sprechende Hölzer“ übersetzt 69 . Nach Métraux und Lavachery soll es viel
mehr heißen „Holz mit Gesängen zur Rezitation“ („bois de chants récitatifs“
oder „bois des chants récités“) 70 . Diese Übersetzung kommt wenigstens im

fil Thomson, 517.


fi2 Thomson, 514. — Routledge, 244.
03 Jaussen, 254—255.
64 Philippi, Ein inschriftliches Denkmal von der Oster-Insel, Zeitschrift der Ges.
fiir Erdkunde zu Berlin V (1870), 470. — Maclay, 80. — Harrison, 371. —• O. M. Dal-
ton, On an inscribed tablet from Easter Island, Man IV (1904), 3. — Routledge, 244. —-
A. Piotrowski, Deux tablettes, avec les marques gravées, de l’île de Pâques, Revue
d’Ethnographie VI (1925), 425.
65 Croft bei Churchill, 318.
66 Thomson, 514.
07 Nach Hevesy, Sur une écriture etc., 10—12, ist es nicht sicher, ob es sich um
Podocarpus latifolia handelt, die auf den Molukken, auf Celebes und in Zentralamerika
vorkommt, oder um Podocarpus ferruginea, die auf Neuseeland einheimisch ist.
08 Lavachery, Les bois etc., 69—71. — Ropiteau, 520, 522.
63 Z. B. Maclay, 79-—80.
70 Métraux, Introduction etc. — Lavachery, Ile de Pâques, 54.
Die Osterinselschrift. 835

zweiten Teil dem richtigen Sinn näher, ist aber noch keineswegs befriedigend.
Churchill gibt für rongo an: „news“, „message“ (z. B. unga ki te rongo, „eine
Nachricht senden“); „to hear“, „to listen“ 71 . Rätselhafter ist der erste Teil
der Wortgruppe. Auf keinen Fall geht es an, ko-hau mit „Holz“ zu übersetzen,
wie dies auch noch Métraux tut. Holz schlechtweg heißt, wenigstens nach
allen mir zugänglichen Quellen, miro 72 . Ko ist eine Partikel, die vor Haupt
wörter und Pronomina gesetzt wird 73 . Hau bedeutet den „Hibiskus“ 74 .
Jaussen übersetzt denn auch ko-hau rongo-rongo mit „bois d’hibiscus intel
ligent“ 75 . Der Hibiskus kommt zwar auf der Insel vor, doch ist über die Ver
wendung seines Holzes für die Herstellung von Tafeln nichts bekannt, viel
mehr wird immer wieder betont, daß der Toromiro der einzige zu diesem Zweck
brauchbare Baum der Insel sei, und die oben erwähnten Untersuchungen des
Materials der Tafeln haben zwar alle möglichen Holzarten, aber in keinem
Fall Hibiskusholz ergeben. Natürlich wäre es denkbar, daß die Vorfahren der
Osterinsulaner vor ihrer Einwanderung auf die Insel Tafeln aus Hibiskusholz
gebraucht hätten und daß letzteres auf der Osterinsel unter Beibehaltung des
alten Namens für die Tafeln durch Toromiro und Treibholz ersetzt worden
wäre. Noch beachtenswerter scheint mir eine andere Erklärungsmöglichkeit,
weil sie mit einer sehr merkwürdigen Überlieferung in Einklang stünde. Dieser
Überlieferung zufolge soll sich unter den Gefolgsleuten Hotu-matua’s einer
namens Hineriru befunden haben 76 , der auf mitgebrachtem „Papier“, rongo-
rongo, zu schreiben verstand. Als der mitgebrachte Vorrat von „Papier“ aufge
braucht war, soll man zunächst Teile der Bananenpflanze (Blätter?) alsSchreib-
material verwendet haben, und erst als man fand, daß diese welkten und des
halb wenig brauchbar seien, zum Toromiro übergegangen sein 77 . Das in die
ser Überlieferung erwähnte „Papier“ kann wohl nur eine Art Tapa gewesen
sein. Nun wurde Thomson und Lavachery zufolge Tapa nicht nur aus dem
Bast des Papiermaulbeerbaumes verfertigt, sondern auch aus dem des Hi
biskus 78 . Stammt die Bezeichnung ko-hau vielleicht aus einer Zeit, als auf
solcher Hibiskus-Tapa geschrieben wurde, und wurde der Name dann für die
Holztafeln beibehalten, genau so wie unser „Papier“ ja auch nichts mehr mit
dem Papyrus zu tun hat, dem es seinen Namen entlehnt hat? Aber noch eine
andere Möglichkeit möchte ich erwähnen, ohne ihr allerdings viel Gewicht bei
zulegen. Wie in anderen Gegenden Polynesiens, wurde auch auf der Osterinsel
der Bast des Hibiskus zur Herstellung von Schnüren und Stricken verwen
71 Churchill, 252.
72 Thomson, 551. — Roussel, 181. — Churchill, 229, 307. — Routledge, 268.
— Bienvenido de Estella, Mis viajes a Pascua (Santiago de Chile 1921), 99. —
Edgardo Martinez, Vocabulario de la lengua Rapa-Nui (Santiago de Chile 1913), 21.
73 Churchill, 217.
74 Roussel, 208. — Churchill, 201.
75 Jaussen, 251.
70 Er soll Kapitän des zweiten Bootes gewesen sein, das Hotu-matua begleitete.
77 Routledge, 244, 279.
78 Thomson, 538. — Henry Lavachery, La mission franco-belge dans l’ile de
Pâques, Bull, des Musées Royaux d’Art et d’Histoire, 3. S., VII (1935), 86.
836 Robert von Heine-Geldern,

det 79 . Aus diesem Grund kommt in einer Reihe polynesischer Sprachen dem
Namen des Hibiskus (hau, fau) auch die Bedeutung „binden“, „an etwas be
festigen“ zu 80 . Ist es möglich, daß das Wort auf der Osterinsel auch im über
tragenen Sinn gebraucht worden ist und daß .ko-hau die durch die Schrift
erfolgte Bindung der Überlieferung und des Textes an die Holztafel aus-
drücken soll?
Wie immer dem sei, jedenfalls wurde das Wort ko-hau schlechtweg, auch
ohne die Hinzufügung von rongo-rongo, für die Bezeichnung der Tafeln ver
wendet. So hieß z. B. eine bestimmte Tafel, deren Text dem Besitzer auf ma
gische Weise die Kraft verleihen sollte, Gefangene (ranga) zu machen, kohau-
o-te-ranga, „Schrifttafel von den Gefangenen“ 81 .
Außer Tafeln erwähnt Eyraud als etwas zu seiner Zeit offenbar noch
sehr Häufiges Stäbe, die mit Schriftzeichen bedeckt waren 82 . Von diesen
Schriftstäben hat sich ein einziger erhalten. Er befindet sich im Museum, zu
Santiago. Von sonstigen, mit Inschriften versehenen Gegenständen scheinen nur
vier gerettet worden zu sein 83 . Darunter befindet sich die Figur eines Vogel
menschen im Besitze des American Museum of Natural History in New York.
Sie ist meines Wissens noch nie veröffentlicht worden. Die drei anderen Stücke
sind rei-miro, halbmondförmige, hölzerne Brustplatten. Solche rei-miro wurden
von Frauen getragen, doch soll auch der vorletzte Ariiki, Ngaara, einige
kleine getragen haben. Gelegentlich der koro-Yeste. hatte ein Angehöriger
des adeligen Miru-Clans vor der Tür des Hühnerhauses mit roter Farbe ein
rei-miro zu zeichnen, um die Zahl der Hühner zu vermehren 84 . Dem rei-miro
scheint demnach eine magische, die Fruchtbarkeit befördernde Wirkung bei
gelegt worden zu sein. Dies würde auch erklären, warum es einerseits von
Frauen, anderseits aber auch vorn Ariki getragen wurde. Letzterem oblag
nämlich auch die Förderung der Fruchtbarkeit der Hühner durch die ihm inne
wohnende magische Kraft. Von den drei mit Inschriften versehenen rei-miro
besitzt zwei das British Museum — eines mit einer ganzen Zeile, eines mit
bloß zwei Zeichen —, das dritte wurde von Weisser, dem Zahlmeister
aspiranten der „Hyäne“, erworben und später von ihm an das Australian Mu
seum verkauft 85 .

Eyraud zufolge wurden die Schriftzeichen mit einem Stück Obsidian ein
geritzt. Dieselbe Angabe, in diesem Fall wohl auf Salmon zurückgehend, fin-

‘ 9 Thomson, 460. — Métraux, Introduction etc. — Lavachery, La mission franco-


belge etc., 86.
80 William Churchill, The Polynesian wanderings (Washington 1911), 328.
81 Routledge, 249.
82 Eyraud bei Jaussen, 250.
S3 Thomson, 535, erwähnt eine Kalebasse, ein „very old specimen obtained from
an ancient tomb, covered with hieroglyphics similar to those found on the incised tablets“.
In seiner Sammlung im United States National Museum zu Washington befindet sich zwar
eine Kalebasse, aber sie trägt keine Inschrift. Offenbar liegt ein Irrtum Thomson’s vor.
84 Routledge, 242, 268.
83 Dalton, 3, plate A. — Routledge, 268, fig. 115. — Geiseler, 24, Taf. 21. —
W. W. Thorpe, An inscribed wooden gorget from Rapanui, Journ. of the Polynesian Soc.
XXXVIII (1924), 149—150.
RechteHäDlfteidsechwraR(züeacLksimrntedeechutretTneEadnfedileAdrUuneerkglmKäßTuigkreatdnfegeal),MgreuzgwseeénitdMnsZiioeenalvrdievroetensZuPeteèinlrueeansdn.eihsrSeaAcbrégseCnzouegrsg,Beain-dlComi

Missionsdruekerei St. Gabriel, Wien-Mödling;


UNIV. BIBL.
BERLIN
Die Osterinseischrift. 837

det sich bei Geiseler. Nach Mrs. Routledge und Métraux wurden Haifisch
zähne verwendet 86 .

Erwähnenswert ist noch, daß auf manchen Tafeln für die einzelnen Zei
len flache Rinnen ausgehoben sind, was jedenfalls wesentlich zur Schonung
und Konservierung der Schriftzeichen beitragen mußte 863 .

5. Schriftrichtung.
Metoro, der Gewährsmann Jaussen’s, begann am linken unteren Eck der
Tafel zu lesen, las die unterste Zeile von links nach rechts, die Zeile darüber
von rechts nach links, die dritte Zeile wieder von links nach rechts usw. (siehe
oben, S. 824). Ure Vaeiko, Thomson’s Gewährsmann, begann ebenfalls am
linken unteren Eck, las die erste Zeile von links nach rechts, drehte aber die
Tafel am Ende jeder Zeile um (siehe oben, S. 826). Ob man die Zeilen, wie
Metoro, ohne die Tafel umzudrehen, abwechselnd von links nach rechts und
von rechts nach links liest, wobei natürlich die Zeichen jeder zweiten Zeile vom
Leser aus gesehen auf dem Kopf stehen, oder ob man, wie Ure Vaeiko, die
Tafel am Ende jeder Zeile umdreht, so daß man die Zeichen, die man gerade
liest, stets in aufrechter Stellung vor sich hat und die Richtung von links nach
rechts beibehalten wird, kommt natürlich auf dasselbe hinaus und hing ver
mutlich nur von der Vorliebe und Lesegeläufigkeit des einzelnen ab.
Der schon erwähnte Te Haha, einer von Mrs. Routledge’s Gewährs
männern, der selbst in seiner Jugend begonnen hatte, schreiben zu lernen und
der noch am großen Tafellesefest zu Anakena teilgenommen hatte, versicherte,
daß man von links nach rechts las 878 . Obwohl Mrs. Routledge nichts über
8

den Anfang der Texte sagt, so kann dieser, wenn sie tatsächlich von links nach
rechts gelesen wurden und wenn man annimmt, daß mit einer der Randzeilen
begonnen wurde, bei den meisten Tafeln sich nur am linken unteren Eck einer
Tafelseite befunden haben, da ja bei der häufigsten Anordnung, wie immer
man die Tafel dreht, stets die Zeichen der untersten Zeile aufrecht, die der
obersten mit den Köpfen nach abwärts stehen (vgl. Taf. I).
Angesichts der auf unmittelbarer Beobachtung oder direkter Erkundung
beruhenden Angaben Jaussen’s, Thomson’s und Mrs. Routledge’s ist Gei
seler’s Behauptung, daß man am rechten unteren Eck begonnen und von
rechts nach links gelesen habe, ganz bedeutungslos 8S . Wenn sie nicht auf die
Vermutung Harrison’s zurückgeht (siehe oben, S. 832), kann sie, da Geiseler
und Weisser selbst keinen schriftkundigen Eingebornen antrafen, nur von
Salmon herrühren. Dieser hatte sich aber nach Geiseler’s eigenen Worten
„bisher zu wenig für die Bedeutung der Schriftzeichen interessiert, um sie
kennenzulernen“, war also zur Zeit von Geiseler’s Besuch, im Jahre 1882,
sicher keine verläßliche Quelle. Übrigens hat Geiseler’s Mitarbeiter Weisser
86 Eyraud bei Jaussen, 250. — Geiseler, 24. — Routledge, 244. — Métraux,
Introduction etc.
86a Harrison, The hieroglyphics of Easter Island, Taf. XX. — Thomson,
Taf. XLIX. — Walter Knoche, Die Osterinsel (Concepcion 1925), Abb. 54.
87 Routledge, 244.
88 Geiseler, 25.
838 Robert von Heine-Geldern,

bei anderer Gelegenheit, vermutlich auf Grund in Tahiti eingezogener Nach


richten, ganz richtig das linke untere Eck als Beginn des Textes bezeichnet 89 .
Hevesy glaubt in gewissen Unregelmäßigkeiten der Schriftordnung auf
der Tafel Aruku-Kurenga zu Braine-le-Comte und auf einer der beiden Tafeln
des Museums zu Washington den Beweis dafür zu finden, daß auf diesen bei
den Tafeln der Text mit dem fünften Zeichen von links der obersten Reihe be
ginnt und daß er von rechts nach links zu lesen sei 90 . Von den beiden Un
regelmäßigkeiten, auf die Hevesy hier anspielt, kenne ich nur die der Tafel
Aruku-Kurenga. Wenn man die Tafel nicht so betrachtet, wie sie in Taf. I
dargestellt ist, sondern die Abbildung umdreht, so daß unten zu oben wird, so
wird man bemerken, daß im schmalen Teil die erste Zeile von oben links mit
fünf Zeichen von normaler Größe beginnt. Dann bricht sie scheinbar ab und
zwei Zeilen mit kleineren Zeichen treten an ihre Stelle. Die Zeichen der oberen
dieser beiden Zeilen sind ebenso orientiert wie die fünf größeren Anfangs
zeichen, während die Zeichen der unteren Zeile auf dem Kopf stehen. Sobald
diese beiden Zeilen den breiten Teil der Tafel erreichen, nehmen ihre Zeichen
normale Größe an. Aus dem Umstand, daß der Beginn der Zeile nach rechts
hin scheinbar keine Fortsetzung fand, zog nun Hevesy den gewiß naheliegen
den Schluß, daß das fünfte Zeichen von links den Beginn des Textes bilde und
daß die Zeilen von rechts nach links zu lesen seien.
Die in Rede stehende Unregelmäßigkeit läßt sich jedoch unschwer auch
auf andere Weise erklären. Zunächst ist zu beachten, daß es sich nur dann um
die erste Zeile von oben handelt, wenn man bloß den schmalen Teil der Tafel
berücksichtigt. Da jedoch natürlich die ganze Tafel an ihrer breitesten Stelle
maßgebend ist, so ist die betreffende Zeile gar nicht die erste, sondern die
zweite von oben. Nun war aber die Tafel, wie aus der Abbildung bei Ray und
aus dem von ihm mitgeteilten Teil des Textes einwandfrei hervorgeht, so zu
halten, wie sie in Taf. I dargestellt ist. Die fünf fraglichen Zeichen bilden
also in Wirklichkeit den Beginn der zweiten Zeile von unten. Hier ist offenbar
folgendes geschehen: Der Schreiber schrieb zuerst die unterste Zeile von links
nach rechts und ließ sie mit dem breiten Teil der Tafel enden. Dann drehte
er die Tafel um und begann die zweite Zeile wieder von links nach rechts zu
schreiben, wobei er diesmal natürlich im schmalen Teil der Tafel beginnen
mußte. Nachdem er die ersten fünf Zeichen in normaler Größe geritzt hatte,
bemerkte er, daß er auf diese Weise mit dem Raum nicht ausikommen werde.
Entweder es wäre im breiten Teil der Tafel ein unverhältnismäßig großer
Zwischenraum zwischen erster und zweiter Zeile frei geblieben oder die zweite
Zeile hätte gegen den Rand zu ausbiegen müssen, wodurch das regelmäßige
Schriftbild der Tafel zerstört worden wäre. Der Schreiber half sich, indem er
die mit normalgroßen Zeichen begonnene Zeile mit kleinen Zeichen weiter
führte und den dadurch gewonnenen Raum für die nächste Zeile verwendete.
So konnte, indem man die Zeichen allmählich wieder zu normaler Größe an

89 A. B. Meyer, Bilderschriften des Ostindischen Archipels und der Südsee (Leip


zig 1881), 7, 8, Taf. 6.
90 Hevesy, Sur une écriture océanienne etc., 438.
Die Osterinselschrift. 839

wachsen ließ, der Ausgleich zwischen dem schmalen und dem breiten Teil der
Tafel hergestellt werden 91 . Die zweite Zeile bricht daher nicht, wie man mei
nen könnte, mit dem fünften Zeichen ab, sondern setzt sich in der Zeile mit
gleich orientierten, zunächst kleineren, dann wieder normal groß werdenden
Zeichen fort. Infolgedessen konnte die dritte Zeile nicht bis zum Rand der
Tafel, sondern nur bis zum fünften Zeichen der zweiten Zeile fortgeführt wer
den. Die von Hevesy angeführte Unregelmäßigkeit zwingt daher keinesfalls
zu der Annahme, daß die Osterinselschrift von rechts nach links gelesen wor
den sei, läßt sich vielmehr mit der Tatsache, daß der Text am linken unteren
Eck begann und daß die Zeilen von links nach rechts gelesen wurden, ohne
weiteres in Einklang bringen. Hier ist auch daran zu erinnern, daß, wie aus
den Veröffentlichungen Harlez’ und vor allem Ray’s hervorgeht, gerade bei
dem von Metoro gelesenen Text der Tafel Arukn-Kurenga Worte und Zeichen
zueinander stimmen, was nicht möglich wäre, wenn Metoro sich in der Lese
richtung geirrt hätte.
Bei der Mehrzahl der Tafeln enthält jede der beiden Seiten eine gerade
Anzahl von Zeilen, wobei die Köpfe der Zeichen der beiden Randzeilen gegen
die Tafelmitte gerichtet sind, so daß man, wie immer man die Tafel dreht, stets
die Zeichen der jeweils untersten Zeile aufrecht, die der obersten verkehrt vor
sich hat. Hier konnte man also nur mit der untersten Zeile beginnen, wie das
ja schon Harrison bemerkt hat 92 . Bei anderen Tafeln ist die Anordnung nicht
so eindeutig. Bei der einen Tafel des Wiener Museums befinden sich auf jeder
Seite fünf Zeilen, so daß die Zeichen der beiden Randzeilen jeweils gleich orien
tiert sind 93 . Hier wäre also theoretisch eine Reihenfolge der Zeilen von oben
nach unten ebensogut möglich, wie eine solche von unten nach oben. Eine wohl
nur scheinbare Ausnahme bildet die Tafel des British Museum, bei der die
Zeichen der beiden Randzeilen wenigstens der einen Seite mit den Köpfen nach
außen gerichtet sind 94 . Hier dürften jedoch die über die Kanten der Tafel
laufenden Zeilen, die auf den Abbildungen sehr schlecht sichtbar sind, als
Randzeilen zu gelten haben.
An und für sich wäre es natürlich durchaus denkbar, daß die Schrift
richtung nicht auf allen Tafeln gleich war. Ein solches Schwanken der Rich
tung kennt man ja aus vielen alten Schriften. Angesichts des übereinstimmen
den Zeugnisses aller auf unmittelbarer Erkundung beruhenden Berichte
(Jaussen, Thomson, Routledge) ist es jedoch nicht zu bezweifeln, daß nor
911 Wie ist jedoch eine solche Umstellung während des Schreibens bzw. der Irrtum
des Schreibers, der die ersten Zeichen der Zeile zu groß machte, mit dem Umstand zu
vereinen, daß gerade diese Tafel eine Zeileneinteilung durch flache Rinnen besitzt? Man
wird doch wohl annehmen müssen, daß diese Zurichtung der Zeilen dem Beginn des
Schreibens voranging. Aus der Photographie läßt sich das Verhältnis zwischen Schrift
und Zeileneinteilung an der betreffenden Stelle nicht mit Sicherheit entnehmen, doch
sieht es eher so aus, als ob die fünf ersten Zeichen über zwei Rinnen, also über zwei
vorgezeichnete Zeilen hinweggingen. Vielleicht wird eine Untersuchung des Originals
hier Klarheit schaffen können.
92 Harrison, 372—373.
93 Haberlandt, Über Schrifttafeln usw., Fig. 2.
94 Dalton. —• Routledge, Fig. 98. — Corney, Tafel bei S. 128.
840 Robert von Heine-Geldern,

malerweise und wahrscheinlich sogar ausnahmslos die Texte am linken un


teren Eck begannen, so daß die Zeilen von unten nach oben auf einanderfolgten
und innerhalb der Zeilen von links nach rechts gelesen wurde.
In den meisten Fällen scheinen beide Seiten einer Tafel einen einheit
lichen Text wiederzugeben. In diesem Fall drehte man, bei der oberen Kante
angekommen, die Tafel mit dieser Kante als Achse um 180°. Dadurch wurde
die früher obere zur unteren Kante und man las nun bei der nächsten (nun
mehr natürlich untersten) Zeile der anderen Seite weiter. Es gab aber auch
Tafeln, die zwei nicht zusammengehörige Texte enthielten, auf jeder Seite
einen. In diesem Fall war die Tafel nicht um die obere Kante zu drehen, son
dern seitlich zu wenden, da der Text der anderen Seite dann an der gleichen
Kante begann wie der der ersten 95 .
Abweichend war die Art, wie Tomenika die /«//-Schrift schrieb. Er be
gann links oben und schrieb alle Zeilen von links nach rechts, also dem euro
päischen System entsprechend 96 . Daß sich hier europäischer Einfluß geltend
machte, ist um so wahrscheinlicher, als Tomenika die Zeichen nicht mehr in
Holz ritzte, sondern mit Tinte oder Bleistift auf Papier schrieb, was mit Not
wendigkeit zu einer Änderung der Zeilenordnung führen mußte. Trotzdem
läßt sich die Möglichkeit, daß für die /«//-Schrift auch schon in voreuropäi
scher Zeit eine andere Anordnung gebraucht wurde als für die klassische
Osterinselschrift, natürlich nicht mit Sicherheit ausischließen.

6. Schriftgelehrte, Unterricht, Prüfungen, Bibliotheken.


Nach Bischof Jaussen wurden die Schriftgelehrten maori genannt^ doch
scheint es sich hier eher um eine Bezeichnung zu handeln, die unserem „Mei
ster“ und dem tuhuna, tohunga usw. anderer polynesiseher Inseln entspricht
und die auch Handwerker umfaßte 96a .

Die erste Nachricht über die Klasse der Schriftgelehrten findet sich bei
Geiseler. Danach war die Schrift „nur den früheren Königen und den Häupt
lingen bekannt; das niedere Volk verstand sie weder zu schreiben noch zu
lesen“ 97 . Nach Thomson war die Kenntnis der Schrift auf die Mitglieder der
königlichen Familie, die „Häuptlinge der sechs Distrikte, in die die Insel ge
teilt war“ (nach Mrs. Routledge gab es nicht sechs, sondern zehn Stammes
gebiete), die Söhne dieser Häuptlinge und „gewisse Priester und Lehrer“ be
schränkt 98 .

Nach den Erkundungen Mrs. Routledge’s galt der kurz vor dem peru
anischen Überfall (also um 1860) verstorbene Ariki (König) Ngaara als der
größte Schriftkenner seiner Zeit. Jeder Stamm hatte seine Schriftgelehrten, die
tangata rongo-rongo, „rongo-rongo-Männer“, also etwa „Kenner, Bewahrer
95 Jaussen, 255.
9<i Routledge, 250—251, Fig. 99.
f6a Jaussen, 257—258, 268. — Churchill, Easter Island, 224. — Routledge, 269.
— Estella, 100.
97 Geiseler, 23.
98 Thomson, 514.
Die Osterinselschrift. 841

und Rezitatoren der Überlieferungen“, genannt wurden 98a . Diese tangata


rongo-rongo schrieben und unterrichteten in besonderen Häusern, deren Plätze
Mrs. Routledge vielfach noch gezeigt wurden. Ihre Frauen und Kinder lebten
nicht bei ihnen, sondern hatten eigene Wohnstätten. Das hängt natürlich mit
dem Tabu zusammen, dem die Schrifttafeln unterworfen gewesen zu sein schei
nen. Nach Angaben, die zwei Eingeborne unabhängig voneinander Mrs. Rout
ledge machten, durften nur die Lehrer und ihre Diener (Schüler?) die Tafeln
berühren. Mrs. Routledge weist allerdings darauf hin, daß dies mit anderen
Mitteilungen und besonders mit der Behauptung Eyraud’s, daß zu seiner Zeit
Tafeln „in allen Häusern“ zu finden gewesen seien, in Widerspruch stehe".
Für die Richtigkeit der Angaben jener beiden Eingebornen spricht jedoch, daß
auch jene Häuser des Felsendorfes Orongo, in denen sich während des jähr
lichen Seevogelfestes die tangata rongo-rongo aufhielten, tabu waren* 100 . Ver
mutlich wird es sich bei den Tafeln, die Eyraud in den gewöhnlichen Wohn
häusern sah, um solche in ^//-Schrift gehandelt haben. Letztere galt nicht als
tabu oder wenigstens nicht als so tabu wie die andere Schrift 101 .
Die Tafeln wurden in Binsen gehüllt und in den Häusern (d. h. wohl
in den Häusern der tangata rongo-rongo) aufgehängt. Der Ariiki Ngaara soll
deren angeblich einige hundert, also eine ganze Bibliothek, in seinem Haus
gehabt haben 102 .

Die Schüler übten sich, indem sie die Zeichen mit Haifischzähnen in die
äußere Hülle von Bananenstämmen (nach Metraux in Bananenblätfer) ritzten.
Als Unterlagen beim Schreiben dienten ihnen flache Steine. Der Unterricht
stand unter der Oberaufsicht des Ariki. Ngaara, der von seinem Großvater
lesen und schreiben gelernt hatte, soll selbst unterrichtet haben. Außerdem
prüfte er die von anderen Meistern ausgebildeten Schüler — meist waren es
deren Söhne — ließ sich von ihnen die ko-hau vorlesen, schenkte, wenn die Prü
fung gut ausfiel, dem Lehrer Schrifttafeln, nahm diesem aber auch umgekehrt,
wenn der Schüler versagte, seine Tafeln weg. Ngaara selbst und ein anderer
Schriftgelehrter, von dem die Eingebornen Mrs. Routledge erzählten, er sei
ein zu großer Mann gewesen, als daß er selbst Schule gehalten hätte, sollen
auch zu Inspektionszwecken auf der Insel umhergereist sein 103 .
Charli Teao, der Enkel des ^/-Schreibers Tomenika, konnte Lavachery
und Metraux nach den Erzählungen seines Großvaters noch manches über
die rongo-rongo-^zVwXt zu Anakena berichten, die dieser in seiner Jugend be
sucht hatte. Als Vorübung für das Schreiben soll der Lehrer die Schüler in
der Herstellung von Fadenspielfiguren unterrichtet haben. Jeder solchen Figur
9% Auf Mangareva nannte man die Priester, die bei Gelegenheit von Festen und
Leichenfeiern heilige Gesänge zu rezitieren hatten, ebenfalls rongo-rongo. Essai de gram-
maire de langue des lies Gambier ou Mangareva par les Missionnaires catholiques de
cet Archipel (Paris 1908), s. v. rogo.
9,9 Routledge, 243—245, 249.
100 Routledge, 260.
101 Routledge, 252.
102 Routledge, 244—245.
103 Routledge, 244—246. — Metraux, Introduction etc. — Lavachery, Ile de
Päques, 59.
842 Robert von Heine-Geldern,

entsprach ein Lied, das die Schüler auswendig lernen mußten. Teao behaup
tete, diese Fadenspielfiguren seien die gleichen gewesen wie die der Schrift
zeichen 104 .

Während des letzten Mondviertels oder bei Neumond sollen an der


Anakena-Bucht im Norden der Insel Versammlungen der rongo-rongo-Männer
stattgefunden haben, wobei der Ariki, vor ihnen auf und ab schreitend, die
Tafeln vorlas 105 .

Den Höhepunkt des Schriftbetriebes bildete jedoch die jährlich an der


Anakena-Bucht abgehaltene feierliche Vorlesung der Tafeln. Schon Thomson
hatte von diesem Fest gehört. Es sei das größte Fest der Insel gewesen und
habe auch durch Kriege nicht gestört werden dürfen. Sämtliche Tafeln seien
dabei vorgelesen worden 106 . Mrs. Routledge erhielt eine ausführliche Schil
derung von dem schon erwähnten Te Haha, der als Knabe an diesem Fest als
eine Art Ordner teilgenommen hatte (siehe oben, S. 818). Nach der Erzählung
Te Hahas kamen bei dieser Gelegenheit „mehrere Hundert“ rongo-rongo-Män-
ner nach Anakena, was mit allen anderen Angaben über die geringe Zahl der
Schriftgelehrten in Widerspruch steht und vermutlich stark übertrieben ist.
„Einige Dutzend“ dürfte der Wahrheit näher kommen. Außerdem versammelte
sich eine Menge Volks als Zuschauer und Zuhörer. Der Ariki Ngaara und sein
Sohn Kaimokoi saßen auf Sitzen aus Schrifttafeln und jeder hielt eine Tafel in
der Hand. Sie trugen wie die übrigen Schriftgelehrten Federhüte. Vor ihnen
standen die tangata rongo-rongo mit ihren Tafeln. Manche hatten nur eine
Tafel mitgebracht, andere mehrere Tafeln, bis zu vier. Die älteren Männer
lasen einzeln oder bisweilen auch zweie gleichzeitig von ihren Standplätzen
aus vor. Te Haha und ein anderer Knabe standen außerhalb der Gruppe der
Lesenden mit maru (Federstäben) in den Händen. Wenn ein junger Mann sich
beim Lesen irrte, so wurden ihm seine Fehler vorgehalten. Las aber ein Alter
schlecht, so winkte der Ariki Te Haha, dieser ging zu dem Schuldigen, nahm
ihn beim Ohr und führte ihn ab, wobei der Ariki zu ihm sagte: „Schämst du
dich nicht, von einem Kinde hinausgeführt zu werden?“ Dem Betreffenden
wurde strafweise sein Federhut genommen. Dadurch, daß die Leute schlechte
Leser verspotteten, entstand bisweilen Streit. Dann ging Te Haha auf einen
Wink des Ariki mit dem mara zu den Streitenden und blickte sie an, worauf
sofort Ruhe eintrat. Die Vorlesung der Tafeln dauerte den ganzen Tag mit
einer Pause für das Mittagmahl. Nach ihrer Beendigung bestieg der Ariki eine
von acht Männern getragene Bahre, hielt eine Ansprache an die rongo-rongo-
Männer, erinnerte sie an ihre Pflicht und gab jedem ein Huhn 107 .
Die Stellung der tangata rongo-rongo und ihrer Schulen entspricht, trotz
mancher Sonderzüge, im großen und ganzen Einrichtungen, die wir auch von
anderen Inseln Polynesiens kennen. Ich erinnere etwa an die tuhuna o'ono der
Marquesas-Inseln, die genau so wie die tangata rongo-rongo, nur ohne Zu
hilfenahme von Schrifttafeln, bei allen festlichen und rituellen Anlässen die

104 Lavachery, Ile de Pâques, 59—60.


105 Routledge, 246.
10G Thomson, 514.
107 Routledge, 245—246.
Die Osterinselschrift. 84S

heiligen Gesänge zu rezitieren hatten; an die eine ähnliche Stellung einneh


menden und ähnliche Funktionen ausübenden priester liehen tohimga Neusee
lands; an die Einrichtung des 1vhare ivananga auf Neuseeland und ähnliche
Schulen auf den Tuamotu-Inseln; an das Schul- und Prüfungswesen auf Ta
hiti usw. Wie aus der Schilderung Te Hahas hervorgeht, hatte das jährliche
Fest zu Anakena mehr oder weniger den Charakter einer Prüfung und damit
wohl auch bis zu einem gewissen Grade den eines Wettkampfes. Man wird
daher wohl auch die Prüfungen und Wettkämpfe der tuhuna o'ono auf den
Marquesas-Inseln zum Vergleich heranziehen dürfen. Allerdings waren diese
keine feststehende, in regelmäßigen Zeitabschnitten wiederkehrende Einrich
tung, sondern wurden nur bei besonderen Anlässen abgehalten 10S .
Wie schon erwähnt, galt die /¿///-Schrift nicht als so heilig und tabu wie
die rongo-rongo-Schrift. Der Kreis von Leuten, die sie schrieben, scheint sehr
klein gewesen zu sein. Auch der Ariki Ngaara beherrschte sie nicht. In der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts soll es nur drei Leute gegeben haben, die
•sie zu schreiben wußten. Einer von diesen hieß Omatohi und gehörte dem
Tupahotu-Clan im Osten der Insel an. Sein Sohn Tea-a-tea war der Pflegevater
und Lehrer Tomenikas gewesen, durch den Mrs. Routledge die /¿¿//-Schrift
kennenlernte. Tea-a-tea war jedoch gestorben, bevor Tomeniika alle Zeichen
gelernt hatte, so daß die Kenntnisse des letzteren nur unvollständig waren1 109 .

08
7. Inhalt und Verwendung der Schrifttafeln.
Die ersten aus direkten Aussagen der Eingebornen geschöpften Angaben
'über den Inhalt der Tafeltexte finden sich bei Croft und bei Maclay. In einem
Brief an Harrison erwähnt Croft, daß nach Mitteilung von Osterinsulanern,
die auf Tahiti lebten, manche Tafeln Nachrichten über die alte Geschichte der
Insel, ihrer Könige und Häuptlinge enthielten, andere Mythen und Gebete,
manche schließlich Anweisungen zum Fischfang und zum Pflanzenbau 110 .
Nach Maclay’s vermutlich durch Vermittlung Pater Roussel’s erhaltener An
gabe behaupteten die Eingebornen, „daß auf diesen Tafeln Ereignisse, die auf
ihrer Insel vorkamen, verzeichnet seien“ 111 .
Bei Geiseler findet man folgende Angabe über die Verwendung der
Schrift: „Die Anwendung erfolgte nach den Rückfragen des Herrn Salmon
bei einem alten Chief nur in zwei Fällen, einmal um kurze Notizen über wich
tige Angelegenheiten, die man einem Boten nicht mündlich übertragen wollte,
•an Häuptlinge anderer Dörfer zu übermitteln, und dann in Form der bekannt
gewordenen Holztafeln, um Geschlechtsregister zu verzeichnen. Es kommt je
doch auch vor, daß Könige die (sehr seltenen) an beiden Enden mit geschnitz
ten Gottheiten versehenen hölzernen Brustschilder mit diesen Schriftzeichen
versahen. Holztafeln mit diesen Schriftzeichen als Genealogien befinden sich
108 E. S. Craighill Handy, The native culture in the Mairquesas, Bernice P. Bishop
.Museum, Bull. 9 (Honolulu 1923), 229, 340.
109 Routledge, 252.
110 J. Park Harrison, Note on five hieroglyphic tablets from Easter Island, Jour
nal otf the Anthropological Institute V (1876), 249.
111 Maclay, 80.
Anthropos XXXIil. 1938. 7
844 Robert von Heine-Geldern,

nach den Recherchen des Herrn Salmon jetzt nur noch zwei auf der Insel“ 112 ..
Alles, was Geiseler sonst noch über die Bedeutung der einzelnen Zeichen und
den Inhalt der Tafeln sagt, beruht, wie ich dies schon früher ausgeführt habe,
auf bloßer Spekulation und ist daher bedeutungslos, Aber auch jenen eben an
geführten Angaben Geiseler’s, die auf Mitteilungen Salmon’s fußen, ist nur
ein sehr geringer Wert beizumessen. Ja, es scheint mir, wie oben schon be
merkt, äußerst fraglich, ob die Behauptung, die Schrifttafeln enthielten Ge
schlechtsregister, überhaupt von Salmon herstammt und nicht einfach die
unter Meinicke’s Einfluß zu jener Zeit in der Ethnologie herrschende Lehr
meinung wiederholt.
So dunkel die Bedeutung der bisher veröffentlichten Bruchstücke aus den
Texten des Bischofs Jaussen leider vorläufig bleibt, so läßt sich doch mit Si
cherheit sagen, daß der Beginn des Textes der Tafel Aruku Kurenga sagen
hafte Überlieferungen über den ersten König der Insel, Hotu-matua oder, wie
er bei Jaussen heißt, Hoatumatua, enthält. Dies geht aus den drei bisher vor
liegenden Übersetzungen (Jaussen, Ray, Ahnne) eindeutig hervor, so sehr
diese Übersetzungen auch im einzelnen voneinander abweichen. Auch die von
Harlez veröffentlichten Bruchstücke anderer Tafeln scheinen sagenhafte oder
rituelle Texte zu enthalten 113 .

Von den fünf Texten, die Thomson veröffentlicht hat, kann man zwei
ohne weiteres ausscheiden: das „Liebeslied“ und die „Klage eines Vaters um
seine Tochter“ (siehe oben, S. 827, 830).
Von den drei restlichen Texten ist der eine, der mit den Worten Atua
Matariri beginnt, wie Mrs. Routledge erheben konnte, sicher ein echter Tafel
text, mag er nun tatsächlich zu der von Ure Vaeiko „gelesenen“ Tafel gehören
oder nicht. Es ist dies eine der beiden von Thomson erworbenen Tafeln des
United States National Museum zu Washington. In diesem Text wird die Zeu
gung von Menschen, Tieren, Pflanzen, Steinen und verschiedenen abstrakten
Begriffen berichtet, die aus der ehelichen Vereinigung verschiedener Götter
paare hervorgehen: Atua Matariri und die Göttin Taporo erzeugten die Distel,
Ahimahima Marao und Takihi Tapufema erzeugten die Felsen .. . Atua Metua
und Kariritunaria erzeugten die Kokospalme, Atua Metua und Tapuhavaoatua
erzeugten den Hibiskus... A Hahamea und Hohio erzeugten die Fliegen .. .
Heima und Kairui-hakamarui erzeugten die Sterne, Huruan und Hiuaoioi er
zeugten die Hühner ... Tingahae und Pararahikutea erzeugten die Haifische....
Tikitehatu und Hiuapopoia erzeugten das Leben, Tikitehatu und Maea erzeug
ten das Glück, Tikitehatu und Ruruatikitehatu erzeugten den Menschen...
Haiuge und Hatukuti erzeugten den Wind, Pauaroroko erzeugte den Schmerz
... Numia a Tangaire war der Schöpfer aller unangenehmen und schlecht rie
chenden Dinge . .. Ruanuku schuf den Tod durch Ertrinken, den Tod im Krieg,
den Tod durch Unfall und den Tod durch Krankheit 114 .
So fehlerhaft auch Text und Übersetzung Thomson’s sein dürften, so ist
der allgemeine Inhalt doch klar. Es handelt sich offenbar um ein Bruchstück
112 Geiseler, 24.
113 Siehe oben, S. 824, Anm. 35.
114 Thomson, 520—522. — Routledge, 248.
Die Osterinselschrift. 845

aus einer Weltschöpfungssage. Man kennt ähnliche Listen von „Ureltern“ der
Tiere, Pflanzen, Steine usw. auch von anderen Inseln Polynesiens 115 . Der
Typus läßt sich westwärts bis nach Hinterindien verfolgen 1161 .

17
Einen anderen Text hat Thomson mit „Osterinsel-Hymne“ (Easter Is
land Anthem) überschrieben 137 . Métraux hat versucht, mit Hilfe seines
wuchtigsten Gewährsmannes auf der Osterinsel, Juan Teipano, den äußerst
fehlerhaften Text Thomson’s richtigzustellen und hat eine Übersetzung davon
hergestellt, die von jener Thomson’s in vielen Einzelheiten abweicht, wenn sie
auch im allgemeinen Sinn mit ihr übereinstimmt. Es handelt sich um einen
Hymnus, der in zehn strophenartige Abschnitte zerfällt, von denen jeder mit
den Worten beginnt: „Eaha to ran ariki ki te mahua i ata nei?“ „What does
the king make fertile in the country?“ Darauf folgt die Antwort: „The yams,
the taro, the sweet-potatoes the king makes grow in the country. The turtle, its
abdominal shell, its legs — these he makes grow in the country. The stars, the
sky, the heat, the sun, the moon, the king makes fertile there above.“ Usw.
„There is no doubt“, sagt Métraux, „as to the significance of the chant. It
celebrates the beneficent influence of the king upon nature, especially on the
sources of staple foods. On him depend the growth of plants, the abundance
of fish, favourable atmospheric conditions, in a word everything related to
food and the maintenance of life 118 .“ Dies stimmt mit dem Glauben an die
fruchtbarkeitsfördernde magische Kraft des Königs überein, den Métraux
selbst und vor ihm bereits Mrs. Routledge feststellen konnten 119 .
Ich sehe keinen Grund, warum dieser Hymnus nicht ein wirklicher Tafel
text sein könnte. Eine andere Frage ist es natürlich, ob er wirklich den Inhalt
jener Tafel des Museums in Washington wiedergibt, zu der Ure Vaeiiko ihn
rezitierte.
Der fünfte der von Thomson veröffentlichten Texte soll den Inhalt einer
Tafel aus dem Besitz des Bischofs Jaussen wiedergeben, die Thomson Apai
nennt, ohne die Bedeutung und Herkunft dieses Namens zu erklären. Es ist
jene Tafel, die Bischof Jaussen als „tablette vermoulue“ bezeichnete und die
bei dem Brand der Universitäts-Bibliothek zu Löwen im Jahre 1914 zugrunde
gegangen ist.
Thomson’s Übersetzung zufolge beginnt der Text mit der Schilderung
der Vorbereitungen und Riten vor Beginn eines Feldzuges, den ein Häuptling
namens Mohouakuta unternehmen will, um den Tod eines Verwandten zu rä
chen. Ein Mann namens Tirno erhält Befehl, ein Hühnerhaus zu bauen, das
zur Aufbewahrung von Hühnern dienen soll, die man im Kriege erbeuten
würde. Es folgt die Verehrung eines nicht näher bezeichneten Himmelsgottes
115 Eine derartige Liste von den Marquesas-Inseln z. B., wobei jedoch der „Vater“
(der Gott Atea) stets derselbe ist und nur die „Mütter“ verschieden sind, bei Handy,
345—346.
11(5 Vgl. z. B. P. Ch. Gilhodes, Mythologie et religion des Katchins (Birmanie),
„Anthropos“ III (1908), 675—678.
117 Thomson, 523—524.
118 Métraux, The kings of Easter Island, 52—54.
na» Métraux, The kings of Easter Island, 41—61, besonders 50, 54, 55. —•
Routledge, 242.
846 Robert von Heine-Geldern,

und des Federgottes Ere Niiku „whose costume consists of feathers for the
head, feathers for the neck, and feathers to be waved by the wind“ durch die
in vollem Kriegsschmuck und mit bemalten Gesichtern erschienenen Krieger.
Von dem Federgott Ere a Nuku wird noch gesagt: „He who brings good luck
when feathers are worn that are tied by a string of hair. He who protects the
yams and potato plantations when feathers are tied upon a stick, and placed
together between the hills. He who keeps off the evil spirit when feathers are
planted over the burial places 120 .“ Hierauf wird erzählt, wie die Gattin des
Federgottes, Manana Take, vom Himmel herabgetkommen sei und die Insel in
Gestalt eines Fisches besucht habe, der gefangen und wegen seiner Größe und
Schönheit dem König dargebracht worden sei. Der König erkennt die göttliche
Natur des Fisches und darf von nun an nicht mehr im Meer schwimmen. Es
folgt eine Stelle, die Ure Vaeiko nicht lesen zu können vorgab, weil sie in alten,
ihm nicht bekannten Schriftzeichen oder aber in einer alten, ihm nicht mehr
verständlichen Sprache abgefaßt sei. Dann kommt eine Schilderung der Insel
zur Zeit ihrer Entdeckung durch die Vorfahren der Osterinsulaner. Es heißt,
daß kunstvoll mit Steinen gepflasterte Wege von einem Mittelpunkt aus gleich
einem Spinnetz die Insel durchzogen hätten. An den Seiten dieser Wege seien
Bäume gewachsen, deren Äste sich über dem Wege berührten. Diese Wege
habe Heke gebaut, der auf einem Ehrenplatz im Mittelpunkt an dem Ort saß,
von dem die Wege ausgingen 121 . Auf eine Stelle, die Ure Vaeiko nicht lesen
zu können behauptete, folgen einige Sätze, deren Sinn infolge des unterbro
chenen Zusammenhanges und unserer Unkenntnis der Personen und Sagen,
auf die angespielt wird, unverständlich ist 122 . Der Schluß scheint sich wieder

120 Dies stimmt zu verschiedenen Nachrichten, die wir Mrs. Routledge und
Métraux verdanken. Es scheint zwei Arten von Federstäben gegeben zu haben, maru
und heu-heu (Routledge) oder huhu (Métraux). Es gehörte zu den Aufgaben der
ariki paka (nichtregierende ariki), maru zu verfertigen, „strings of white feathers tied
on to sticks, which they placed among the yams to make them grow“. Auch zur Beförde
rung der Fruchtbarkeit der Hühner verwendete man maru. Während der Rezitation der
Tafeln bei dem großen Fest zu Anakena hielten Te Haha und die ajnderen als Ordner
tätigen Knaben maru in den Händen. Das Volk brachte dem ariki-mau (König) jeden
Monat maru und huhu dar, die vor dem Haus des Königs aufgepflanzt wurden. Die
Teilnehmer an dem Fest zu Anakena brachten huhu mit und stellten sie rings um den
Festplatz auf. Bei der Bestattung des Ariki Ngaara wurden huhu rings um das Grab
aufgepflanzt. Routledge, 242, 245—246. — Métraux, The kings of Easter Island, 44,
57—58. Der Federgott Ere Nuku erinnert an die Federgötterbilder von Tahiti und Hawaii.
121 Ist dieser Heke vielleicht mit Tumaheke oder Tuumaheke, dem Sohn und Nach
folger Hotu-matuas (Jaussen, 241; Thomson, 527; Meyer und Jablonowski, 10—11;
Routledge, 279) identisch? Dies würde allerdings einer von Mrs. Routledge erhobenen
Überlieferung widersprechen, wonach schon vor der Entdeckung der Insel durch Hotu-
matua auf ihr eine große, prachtvolle Straße vorhanden gewesen sei (Routeedge, 278,
294). Mit diesen „Straßen“ dürften alte Lavaströme gemeint sein. Vgl. Métraux, Intro
duction etc. Aber die Idee des mit Steinen gepflasterten Weges ist durchaus polynesisch
und auch schon den Megalithkulturen Südostasiens bekannt.
122 Ich habe den Eindruck, daß an dieser Stelle nicht von der Osterinsel die Rede
ist, sondern von einer früheren Heimat der Vorfahren der Osterinsulaner. Aber solange
wir nicht wissen, ob Text und Übersetzung überhaupt richtig sind, hat es wenig Zweck,
sich mit dieser Frage zu beschäftigen.
Die Osterinselschrift. 847

auf die in Fischgestalt erschienene Göttin zu beziehen. Es heißt, daß dieser


Fisch dem König als Speise dargebracht und auf einen Stein gelegt wurde, der
später den Eckstein des steinernen Zuganges zum Fiaus des Königs bildete 123 .
Zweifellos sind auch dieser Text Thomson’s und seine Übersetzung vol
ler Fehler. Auch ohne Nachprüfung des Textes — wozu mir alle Hilfsmittel
fehlen — kann man unschwer erkennen, daß die Übersetzung zum mindesten
außerordentlich frei ist. Das ist um so mehr zu bedauern, als es sich hier nicht
nur um den interessantesten unter den Texten Thomson’s, sondern wahrschein
lich überhaupt um den wichtigsten unter allen uns erhaltenen Texten von der
Osterinsel handelt. Hoffentlich ist Métraux auch in diesem Fall die Richtig
stellung des Textes und die Herstellung einer zuverlässigeren Übersetzung
gelungen. Ob es sich überhaupt um einen Tafeltext oder gar um den Text einer
bestimmten Tafel handelt, läßt sich vorläufig natürlich nicht sagen, aber die
Möglichkeit ist nicht auszuschließen.
Mrs. Routledge konnte durch Befragen der Eingebornen dreizehn Ka
tegorien von Themen feststellen, die den Inhalt von Schrifttafeln bildeten 124 .
Leider führt sie davon nicht einmal die Hälfte an.
Ein Text, der mit den Worten he timo te ako-ako, he ako-ako tena be
ginnt, wurde von etwa einem halben Dutzend Leuten unabhängig voneinander
und im wesentlichen übereinstimmend aufgesagt. Er sollte, so hieß es, den In
halt einer der ältesten Tafeln gebildet haben und war allgemein bekannt. Ure
Vaeiiko, Thomson’s Gewährsmann, auf den man sich also hier, lang nach sei
nem Tode, als Autorität berief, sollte ihn als „the great old wordis“ bezeichnet
haben, während alle anderen Texte nur ,,little ones“ seien. Eine zusammen
hängende Übersetzung war nicht zu erhalten. Die Bedeutung mancher Wörter
war zwar bekannt, aber die anderer nicht, und der Sinn des Ganzen war un
bekannt. „It seems safe, however“, fügt Mrs. Routledge hinzu, „to assume
that at least we hâve here the contents of one of the old tablets.“ Um so be
dauerlicher ist es, daß sie diesen Text nicht veröffentlicht hat. P. Benvenido
de Estella hat den Beginn des gleichen Textes im wesentlichen übereinstim
mend mit Mrs, Routledge, jedoch einige Wörter mehr umfassend, mitgeteilt.
Er nennt diesen Text „das Vaterunser, das die Osterinsulaner in alter Zeit be
teten“, und gibt davon folgende „freie, von den gebildetsten alten Osterinsu
lanern gutgeheißene Übersetzung“: „Der Feind der Seele liegt auf der Lauer,
um sie zu verderben, wenn er sieht, daß sie gegen das Gute kalt oder trocken
ist 125 .“ Es braucht wohl nicht erst gesagt zu werden, daß diese allzu freie
Übersetzung für wissenschaftliche Zwecke nicht verwertbar ist. Daran ändert
auch nichts die Zustimmung der zu jener Zeit schon seit mehr als einem hal
ben Jahrhundert christlichen Osterinsulaner. Handelt es sich vielleicht um
einen Text, der der Seele Schutz gegen die ihr von Dämonen oder Zauberern
drohenden Gefahren bieten soll?
Eine besonders hoch geschätzte Tafel hieß ko-haa-o-te-ranga. Ranga be
deutet „Gefangener“. Diese Tafel sollte ihrem Besitzer Sieg über seine Feinde
123 Thomson, 517—520.
124 Routledge, 248.
125 Routledge, 248. — Estella, 131.
848 Robert von Heine-Geldern,

verleihen und ihn instand setzen, diese zu Gefangenen zu machen. Sie soll die
einzige ihrer Art und von den ersten Besiedlern der Insel mitgebracht worden
sein. Sie gehörte dem Ariki Ngaara und wurde ihm von einem seiner ehema
ligen Schüler, einem Mann aus dem Tupahotu-Clan namens Kaara, entwendet.
Kaara übergab sie einem Freund und Clangenossen namens Arohio, der am
Abhang des Raraku-Berges eine Schreibschule betrieb. Arohios Sohn soll sie
einem der Missionäre verkauft haben 126 . Es ist also möglich, daß diese an
geblich aus der Zeit vor der Einwanderung auf der Osterinsel stammende
Tafel sich erhalten hat.
Andere Tafeln sollen Verzeichnisse von Kriegen enthalten haben. Eine
besondere Stellung scheinen die Verzeichnisse von ika, „Fischen“, d. h. er
mordeten oder im Krieg getöteten Menschen eingenommen zu haben. Die Be
zeichnung getöteter Menschen als Fische ist in Polynesien weit verbreitet. So
wurden auf den Marquesas Menschen, die man opferte, ika, „Fische“, ge
nannt. Leute, die auf die Jagd nach Menschenopfern auszogen, nannte man
dort ta ika (ta, „schlagen“), die Menschenjagd selbst tau ta ika, also etwa
„auf Fischjagd ausziehen“. In dem Lied, durch dessen Absingung man die
Menschenopfer weihte, wurden diese als ika bezeichnet. Ja, man steckte ihnen
einen an einer Angelleine befestigten Haken in den Mund und hängte sie
schließlich mittels solcher Haken an Bäumen auf. Ebenso wurden auf Tahiti
Menschen, die man opferte, i'a, „Fische“, oder auch „langbeinige Fische“ ge
nannt. Auch hier hing man sie häufig auf Bäume, bisweilen zusammen mit
wirklichen Fischen. Desgleichen hießen Menschenopfer auf Mangaia ika. Auf
Tahiti nannte man den ersten im Krieg getöteten Feind, auf Neuseeland den
ersten Gefallenen i'a bzw. ika 127 .
Ob es auf der Osterinsel Menschenopfer gab, wissen wir nicht. Als ika,
„Fisch“, oder tangata ika, „Fischmensch“, wurde hier ein Erschlagener
schlechthin bezeichnet. Es gab ko-hau-o-te-ika, d. h. Schrifttafeln mit Verzeich
nissen von Getöteten. Daneben soll jedes ahn (Tempel, Bestattungsplatz) eine
eigene, timo, „Trauer“, genannte Tafel besessen haben, auf der die zu dem be
treffenden ahu gehörigen ika verzeichnet waren 128 . Auch auf Bestellung durch
die Angehörigen eines Erschlagenen wurden Tafeln verfertigt, die zur Voll
streckung der Blutrache behilflich sein sollten 129 . Die Bedeutung der ika-
126 Routledge, 249.
127 E. S. Craighill Handy, The native culture in the Marquesas, Bernice P. Bishop
Museum, Bull. IX (Honolulu 1923), 138, 242; History and culture in the Society Islands,
ebenda LXX1X (Honolulu 1930), 54—55. — Teuira Henry, Ancient Tahiti, ebenda
XLV11I (Honolulu 1928), 124, 188, 196, 302, 310—311. — William Ellis, Polynesian
researches II (London 1830), 212. —- Churchill, Easter Island, 211.
128 „... there is said to have been another (ko-hciu) called Timo, which was the
,list‘ kept by each ahu of its murdered men.“ Aus dieser Angabe ist nicht zu entnehmen,
ob es sich um Erschlagene handelt, die in dem betreffenden ahu bestattet waren, oder
um die Angehörigen einer bestimmten Gruppe von Familien, deren Heiligtum das
ahu bildete.
129 Eine solche Tafel „was made at the instance of the relatives of the victim and
helped to secure vengeance“. Waren diese Tafeln bloß Denkzeichen, die die Erinnerung
an die noch zu vollziehende Blutrache wachhalten sollten, oder sollten sie auf magische
Weise bei deren Vollstreckung helfen?
Die Osterinselschrift. 849

Tafeln soll, wie Mrs. Routledge erzählt wurde — es bezieht sich dies jeden
falls auf die erste Hälfte oder die Mitte des 19. Jahrhunderts — einem ein
zigen Meister bekannt gewesen sein, der sie einen Schüler lehrte, worauf beide
die Insel für ihre Tätigkeit teilten, indem sich der Meister den Westen und die
Nordküste der Insel bis Anakena vorbehielt und den Rest seinem Schüler
überließ 1301 .
31

In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, daß Bischof Jaussen


als Bedeutung für ein bestimmtes Schriftzeichen (Abb. la) angibt: „rau hei.
Ennemi tué (Poisson suspendu) 181 Auf die Bedeutung der Worte rau hei
komme ich unten noch zurück. Vorläufig genügt es, hier festzustellen, daß es
ein eigenes Schriftzeichen gab, das einen getöteten Feind als „aufgehängten
Fisch“ bedeutete. Die Angaben Jaussen’s und Mrs. Routledge’s ergänzen
und stützen einander demnach in der erwünschtesten Weise.
Manche Tafeln sollen Verzeichnisse von Kriegen enthalten haben. An
dere schilderten bestimmte Riten. So soll ein také genannter Ritus, wobei sich
die Teilnehmer für drei Monate auf die kleine Insel Motu-nui zurückzogen
und dort in einer Höhle lebten, den Inhalt einer Tafel gebildet haben. Da Mrs.
Routledge diese Angabe von Tomenika, dem ftf^-Schreiber erhielt und dieser
dabei auch ein angeblich auf dieser Tafel vorkommendes Zeichen aufzeichnete,
das keinem der bekannten Zeichen glich, wäre es allerdings denkbar, daß diese
Tafel nicht in der klassischen Osterinselschrift, sondern in /^//-Schrift abge
faßt war 132 .

Die Mehrzahl der Tafeln dürfte liturgische Texte enthalten haben, die
bei bestimmten Riten rezitiert wurden. So verwendete man sie z. B. bei einem
Fest namens tutia und ebenso beim koro, einem Fest, das man zu Ehren seines
Vaters, sei es noch zu dessen Lebzeiten, sei es nach dessen Tode, gab. Dabei
pflegten der Ariki Ngaara und andere Schriftgelehrte zu kommen und „für
den Vater zu beten“, während eine Frau mit einem ko-hau-o-te-puré, einer
„Gebetstafel“ (purê, „beten“, „Gebet“), auf dem Dach des Hauses stand. Bei
einer anderen Gelegenheit pflegte eine Frau, die ihren Schwiegervater ehren
und sich gleichzeitig Fruchtbarkeit sichern wollte, einen Pfosten aufzustellen
und diesen, ein Kind und eine von Ngaara erhaltene Schrifttafel tragend, zu
umschreiten, während der Ariki selbst und andere rongo-rongo-Wimnex dabei
standen und aus ihren Tafeln rezitierten. Auch bei Leichenbestattungen pfleg
ten die rongo-rongo-Männer nach ihren Tafeln vorzusingen. In dem heiligen
Dorf Orongo auf der Höhe des erloschenen Vulkans Rano Kao gab es eine
eigene Gruppe von Häusern für die rongo-rongo-Männer, in denen diese zur
Zeit, wenn man auf das Erscheinen des manu-tara, des heiligen Seevogels, war
tete, den ganzen Tag sangen 133 . Auch Metoro hat dem Bischof Jaussen ge
genüber das rituelle Rezitieren der Tafeltexte erwähnt. „Mon interprète“, sagt
dieser, „m’apprit qu’ils avaient l’habitude de se réunir en rond, et d’exécuter
130 Routledge, 229, 248.
131 Jaussen, 262.
132 Routledge, 248, 266—267.
133 P. Benvenido de Estella, Los misterios de la Isla de Pascua (Santiago de
Chile 1920), 61—62; Mis viajes a Pascua, 22—23. —< Routledge, 229, 249, 260.
850 Robert von Heine-Geldern,

ce chant comme une espèce de culte 134 .“ Unter den Tafeln, die der Bischof
Metoro vorlegte und deren Texte er auf zeichnete, muß sich demnach wenig
stens eine befinden, die im Kult Verwendung fand. Wahrscheinlich gehören
jedoch alle Texte Jaussen’s dieser Klasse an. „Von den drei in Betracht kom
menden Texten Tiiomson’s ist jener, der mit eaha io rau ariki beginnt (siehe
oben, S. 845), zweifellos ein Kulttext. Seinem ganzen Charakter nach dürfte er
bei irgendwelchen Fruchtbarkeitsriten rezitiert worden sein. Aber auch das.
Bruchstück aus der Weltschöpfungssage, der Text Atua Matariri, wird wohl
nicht als einfache Erzählung zu werten sein, sondern dürfte zur rituellen Re
zitation bestimmt gewesen sein. Ich erinnere bloß an die hervorragende Rolle,
die die Rezitation von Schöpfungsliedern etwa in den Riten der Marquesaner
gespielt hat 135 . Weniger sicher läßt sich dasselbe vom Text Apai sagen, ob
wohl auch hier die Wahrscheinlichkeit dafür spricht. Übrigens war der erste,
der aus einem richtigen Gefühl heraus die rituelle Verwendung der Tafeltexte
vermutet und ihre Deutung als Ahnentafeln abgelehnt hat, Bastian, und dies
zu einer Zeit, als man noch gar nichts Näheres über die Schrifttafeln und
ihren Inhalt wußte 136 .

Mrs. Routledge betont ausdrücklich, daß die Eingebornen ihr gegen


über weder Stammbäume, noch Königslisten, noch Überlieferungen über die
Wanderungen ihrer Vorfahren als Themen der Schrifttafeln erwähnten 137 .
Weder in den Texten Jaussen’s noch in denen Thomson’s findet sich die ge
ringste Spur einer Genealogie. Das ist natürlich noch kein sicherer Beweis,
dafür, daß es Tafeln, die Ahnenreihen enthielten, nicht gegeben habe. Aber
es liegt vorläufig jedenfalls nicht der geringste Anhaltspunkt für die Annahme
vor, daß solche Tafeln vorhanden waren. Das muß gegenüber immer wieder
auf tauchenden Vermutungen, daß Genealogien den Inhalt der Tafeln gebildet
hätten, ausdrücklich festgestellt werden.
Sowohl Bischof Jaussen als auch Thomson haben uns die Namen oder
vermeintlichen Namen einiger Tafeln überliefert. Leider ist die Bedeutung
dieser Namen keineswegs klar. In dem Artikel Jaussen’s selbst werden sie
überhaupt nicht genannt 138 . Erst die verschiedenen Herausgeber der Frag
mente von Jaussen’s Texten erwähnen sie, offenbar nach handschriftlichen
Notizen des Bischofs.
Die von Jaussen als „tablette échancré“ bezeichnete Tafel soll, wie Ala-
zard mitteilt, nach dem Namen ihres Verfertigers Aruka-Kuretiga geheißen
haben. Er fügt jedoch hinzu: D’après le R. P. Vincent-Ferrier Janeau, ce
titre voudrait dire: „La grande affaire de la disparition“, ou peut-être même:
134 Jaussen, 253.
135 Handy, 314 ff., 322 ff. und passim.
130 Adolf Bastian, Bemerkungen zu den Holztafeln von Rapa-Nui, Zeitschrift
der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin VII (1872), 87—88.
137 „The matters with which it would naturally have been supposed that the
rongo-rongo would deal, such as genealogies, lists of ariki, or the wanderings of the-
people, were never mentioned.“ Routledge, 249.
138 Jaussen, 254—255, bezeichnet die vier von ihm beschriebenen Tafeln als „la
Rame“, „la tablette Echancre“, „la tablette Vermoulue“, „le Miro
Die Osterinselschrift. 85 t

„la grande affaire des sacrifices 139 .“ Ray gibt den Namen Ariiku-Kureriga
ohne weitere Erklärung. Ropiteau fügt bei der Erwähnung des Namens
der Tafel hinzu: „du nom de l’artiste???“ 14 °. Ahnne überschreibt das von
ihm veröffentlichte Fragment der Tafel, offenbar nach der auf Tahiti befind
lichen Abschrift des jAUSSEN’schen Manuskripts: „Echancre Rongorongo.
Bois de Miro, d’Arukukurenga de Tongariki 141 . (Mort au temps des
navires.) 142 “ Daß Aruku-Kurenga der Schreiber der Tafel war, ist aus dem
Wortlaut dieser Überschrift nicht mit Sicherheit zu entnehmen. Es könnte sich
ebensogut um einen Besitzer, vielleicht den letzten Besitzer der Tafel handeln.
Mit den „navires“ werden wohl die peruanischen Sklavenjägerschiffe ge
meint sein.
Die Tafel, die Bischof Jaussen als Miro bezeichnet, weil er (nach Ro
piteau irrtümlich) glaubte, daß sie aus Toromiro-Holz sei, soll den Namen
Mamari tragen, wie Ropiteau unter Anführungszeichen, also offenbar nach
einer Notiz Jaussen’s, hinzufügt „du nom de l’artiste“. Auch die von
Jaussen als „la rame“ angeführte und wahrscheinlich wirklich aus einem
europäischen Ruder hergestellte Tafel (siehe oben, S. 819) soll wieder nach
ihrem Verfertiger Tahua heißen 143 . Thomson nennt Bischof Jaussen’s „ta-
blette vermoulue“ Apai } ohne jedoch eine Erklärung dieses Namens zu geben.
Ropiteau erwähnt für die gleiche Tafel, ebenfalls ohne Erklärung, den Na
men Keiti 144 . Ich erinnere nochmals an den von Mrs, Routledge mitgeteilten
Namen einer Tafel: ko-hau-o-te-ranga } „Tafel von den Gefangenen“ (siehe
oben, S. 847). Es ist dies wohl der einzige, ganz sicher authentische Tafelname.
Schließlich ist hier noch der Texte in /ßw-Schrift Erwähnung zu tun. Sie
enthielten unter anderem Festannalen. Wenn für einen Mann ein koro gefeiert
wurde (siehe oben, S. 849), so verewigte man dies sowie seine Taten, „wie viele
Menschen er getötet, wie viele Hühner er gestohlen hatte“, auf einer eigens bei
dieser Gelegenheit hergestellten Tafel. Außerdem gab es eine größere Tafel,
die eine Liste sämtlicher koro in chronologischer Reihenfolge enthielt. Jede
Zeile entsprach einer Gruppe von zehn Jahren 145 (siehe unten, S. 877 ff.). Auf
den von Mrs, Routledge mitgeteilten Inhalt einer tau-Tafel komme ich unten
zurück (S. 854).

8. Der Charakter der Schrift und die Bedeutung der Schriftzeichen.


Alles, was wir über den Charakter der Osterinselschrift wissen, beruht
auf Beobachtungen des Bischofs Jaussen und Mrs. Routledge’s.
Jaussen konnte feststellen, daß nicht der ganze Text schriftlich fixiert
war, sondern daß bloß die Kernbegriffe durch die Schrift ausgedrückt wurden,
139 Alazard, 165.
140 Ropiteau, 519.
141 Ort auf der Osterinsel.
142 Ahnne, 190.
143 Ropiteau, 520. — Harlez, Le Museon XV, 74—75. Harlez nennt jedoch die
Tafel Mamari irrtümlich Masuari.
144 Thomson, 517, 518, Taf. XXXVI, XXXVII. — Ropiteau, 518.
145 Routledge, 251—252.
852 Robert von Heine-Geldern,

während alles andere mündlich hinzugefügt werden mußte. „Outre que le


mot et 146 la signification propre du signe“, sagt er, „ce chant renferme un
assemblage d’autres mots, que la fantaisie de l’artiste y a ajoutés, et qui
coûtaient incomparablement plus à l’élève à retenir dans sa memoire que la
simple signification du signe. Écrire ces signes, c’était un jeu; mais apprendre
et savoir chanter toutes les rapsodies de toutes les tablettes, voilà le tra
vail 1471 !“ So ist in dem von Ray veröffentlichten Bruchstück der Tafel Aruku-
48

Kurenga das Zeichen Abb. 5 d, henua, „Land“, „Erde“, einmal ki te henua,


„auf der Erde“, ein anderes Mal ki runga o te henua, „ober der Erde“, zu
lesen, das Zeichen Abb. 1 a, tamaiti, „Kind“, einmal mai tae atu ki te tamaiti,
„kam zu dem Kind“, ein anderes Mal mai tae atu ki tona tamaiti, „kam zu
seinem Kind“ 14S . Es genügte demnach nicht etwa die Kenntnis der Bedeu
tung der einzelnen Zeichen, um ohne weiteres jede Tafel lesen zu können, son
dern man mußte, um eine Tafel zu lesen, ihren Text vorher gelernt haben. Die
Zeichen dienten also im wesentlichen als Erinnerungsbehelfe beim Rezitieren.
Wir werden später noch sehen, daß die Osterinselschrift in dieser Hinsicht
mit der ihr wahrscheinlich verwandten Schrift der Cuna in Zentralamerika
übereinstimmt.
Ähnliche Erfahrungen wie Jaussen hinsichtlich der klassischen Oster
inselschrift machte Mrs, Routledge hinsichtlich der ¿«//-Schrift. Tomenika
rezitierte zu jedem Zeichen drei bis zehn Wörter. Ein anderes Mal rezitierte
er einen Text mit Hilfe von bloßen Kreis- und Punktreihen an Stelle von
Schriftzeichen, wobei ihm die Kreise und Punkte offenbar nur als Gedächtnis
behelfe für die einzelnen Sätze oder Wortgruppen dienten. Ähnlich scheint
er die Schriftzeichen bloß als Gedächtnisbehelfe verwendet zu haben. „If he
made a variation when asked to repeat“, sagt Mrs. Routledge, „it was in
transposing the Order of two phrases; evidently the signs themselves were not
to him, now at any rate, connected with particular words 149 .“ Es wäre gewiß
vollkommen verfehlt, aus diesem Verhalten des infolge seiner Krankheit
geistesschwachen Tomenika den Schluß ziehen zu wollen, daß die Form der
einzelnen Zeichen gleichgültig war und es nur auf ihre Zahl ankam. Aber im
wesentlichen hatte Mrs. Routledge bestimmt recht, wenn sie schließlich zu
dem Ergebnis kam, daß jedes Zeichen der Osterinselschrift „was in any case
a peg on which to hang a large arnount of matter which was committed to
memory, and is, therefore, alas! gone for ever“ 15 °.
Zu ähnlichen Ergebnissen wie Bischof Jaussen und Mrs. Routledge
ist auch Métraux gekommen. Er vermutet, daß die Tafeltexte metrischen
Charakter hatten und daß jedes Zeichen einem Vers entsprach 151 . Diese Er
klärung klingt sehr einleuchtend.
Jedenfalls war die Osterinselschrift nicht etwa eine Wortschrift, aber

146 Bei Jaussen „est“, was aber offenbar ein Druckfehler ist.
147 Jaussen, 253.
148 Ray, 154.
149 Routledge, 250—251.
150 Routledge, 302.
151 Métraux, Introduction etc.
Die Osterinselschrift. 853

•auch keine Satzschrift. In einzelnen Fällen mag vielleicht ein Zeichen einem
kurzen Satz entsprochen haben. Für gewöhnlich aber — dies geht aus den
Veröffentlichungen Ray’s und Ahnne’s klar hervor — kamen auf einen Satz
mehrere Zeichen, deren jedes einer Gruppe von zwei bis sechs (nur selten
mehr) Wörtern entsprach.
Damit, daß die Osterinselschrift keine Wortschrift ist, erledigt sich
natürlich auch Harrison’s Vermutung, daß das häufige Vorkommen zweier
gleicher Zeichen nebeneinander der in den polynesischen Sprachen häufigen
Verdoppelung der Wörter entspreche 152 . Bei der Verdoppelung der Zeichen
handelt es sich vielmehr in manchen Fällen um die Andeutung der Mehrzahl,
in anderen mag eine Aufeinanderfolge zweier Wortgruppen mit identischem
Kernbegriff vorliegen. Aus dem letzteren Grund kommt auch in der Cuna-
Schrift nicht nur Verdoppelung, sondern die vier- bis fünffache Aufeinander
folge des gleichen Zeichens vor 153 .
Die einzige Quelle für die Bedeutung der Schriftzeichen ist Bischof
Jaussen. Es ist deshalb nötig, hier auf die von ihm aufgezeichneten Texte
und auf die Art, wie diese Aufzeichnungen zustande gekommen sind, näher
einzugehen. Jaussen ließ sich, wie schon erwähnt, von Metoro vier Tafeln
vorlesen. Er schrieb den von Metoro rezitierten Text nieder und teilte ihn in
kurze Abschnitte, deren jeder einem Schriftzeichen entspricht 154 . Inwieweit
Jaussen auch eine Übersetzung angefertigt hat, ist aus den bisherigen Ver
öffentlichungen nicht sicher zu entnehmen. Der Text selbst enthält jedenfalls
keine. Ahnne hat eine Interlinearübersetzung des Anfangs der Tafel Aruku-
,Kurenga veröffentlicht, von der er sagt, daß sie von Jaussen stamme 155 . Sie
stimmt im wesentlichen mit Jaussen’s von Alazard und Roussel veröffent
lichter Übersetzung des gleichen Bruchstücks überein, nur daß letztere viel
freier ist 156 .

Jaussen war von der scheinbaren Sinnlosigkeit des von ihm aufgezeich
neten Textes sehr enttäuscht, ja er äußerte sich geradezu, „qu’il n’y a rien lä
dedans“ 157 . Die scheinbare Zusammenhanglosigkeit der einzelnen Sätze, aus
denen die Texte bestehen, hat Ch. de Harlez zu der Ansicht verleitet, es
handle sich hier überhaupt nicht um einen zusammenhängenden Text,
ja überhaupt nicht um eine wirkliche Schrift, sondern um eine Samm
lung voneinander unabhängiger Bilder und die zu ihnen gehörenden
erklärenden Worte, also eine Art Bilderbuch — eine Deutung, die wohl nicht
erst widerlegt zu werden braucht und von der man sich nur wundert, daß sie
je ausgesprochen werden konnte 158 .
Sowohl Jaussen als Harlez sind bei ihrer verfehlten Beurteilung des

152 Harrison, The hieroglyphics of Easter Island, 380.


153 Vgl. die Texte und Abbildungen in den in Anm. 242 zitierten Büchern von
Nordenskiölp.
154 Jaussen, 253.
155 Ahnne, 189—192.
150 Alazard und Roussel, 165—166, 169.
157 Jaussen, 256.
158 Harlez, Le Museon XIV, 415—416, 419.
854 Robert von Heine-Geldern,

Textes von unrichtigen Voraussetzungen ausgegangen. Daß w i r den Sinn


eines Textes nicht verstehen, berechtigt uns natürlich noch [keineswegs zu der
Annahme, daß er überhaupt sinnlos sei. Seine dunkle, metaphorische Sprache
voller Andeutungen, die wir nicht erfassen, -kann dem Eingeweihten voll
kommen klar gewesen sein. Der Beispiele gibt es wohl genug. Daß Ähn
liches für die schriftlich fixierten Texte der Osterinsel wenigstens in manchen
Fällen tatsächlich zutraf, können wir aus einer Feststellung Mrs. Routledge’s
entnehmen. Es gelang ihr nämlich, von einem Mann namens Kapier a, der
eine Zeitlang mit Tomenika, dem /«¿/-Schreiber, zusammen gelebt hatte, einen
/«//-Text, leider ohne die dazugehörige Schrift, kennenzulernen. Dieser Text
hatte folgende Form:
„ ,Of Kao the year nine*, ,Ngakurariha the eldest*; then come five men’s
names followed by the name of a fish; then a doubtful word; then ,that side
island my place*; ,1 see Ngakurariha at the .* **
„The story, as explained**, fährt Mrs. Routledge fort, „was that Kao,
a man of Vinapu on the south const, and Ngakurariha, his eldest son, went
to Mahatua on the north side and stayed with the five men whose names are
given, who were brothers, and learnt from them the tan. Having done this,
they proceeded to murder them, and went and took a fish, then returned to
Rano Kao, made a koro and the tau 159 .**
Aus dem Anfang des Textes scheint hervorzugehen, daß die betreffende
Tafel ein koro-Fest zu Ehren eines Mannes namens Kao verewigen sollte, das
im neunten Jahre eines Zehnjahrzyklus gefeiert wurde und das wohl von Kaos
Sohn Ngakurariha veranstaltet worden sein dürfte (siehe oben, S. 849, und
unten, S. 877). Im übrigen möchte ich bezweifeln, daß Mrs, Routledge’s Inter
pretation in allen Punkten richtig ist. So dürfte die Angabe, daß Kao und
Ngakurariha nach der Ermordung der fünf Männer einen Fisch fingen, zu
streichen sein. Der Text wird vielmehr bedeutet haben, daß Kao und Ngakura
riha die fünf Männer zu ika, zu „Fischen** machten, d. h. erschlugen (siehe
oben, S. 848). Aber dies ändert nichts an der Richtigkeit von Mrs, Routledge’s
Bemerkung, daß dieser Text „illustrates interestingly the general method of
condensation in which, even in the recitations, a few words assume or impli
cate extended knowledge**.
Auch die Mehrdeutigkeit vieler polynesischer Wörter und die Schwierig
keit, Personennamen als solche zu erkennen, erschweren das Verständnis der
Tafeltexte 160 . Auf die letztgenannte Schwierigkeit hat Mrs. Routledge aus
drücklich hingewiesen. „The first part of the phrase**, sagt sie bei Besprechung
des Inhalts der /««-Texte, „was generally said to be the name of a man, but
of this it was difficult to judge, as children were called after any object or
place; thus ,flowering grass* might be the name of a thing, or of a place, or
of a man called after either the object or the locality 161 **.
Natürlich ist es ohne weiteres möglich, daß der Sinn eines in vieler
Hinsicht bloß andeutenden Textes, wie wir ihn nach den Beobachtungen
159 Routledge, 251—252.
100 Natürlich gilt das gleiche auch von anderen polynesischen Texten.
101 Routledge, 251.
Die Osterinselschrift. 855

Mrs. Routledge’s wenigstens für manche Tafeln voraussetzen müssen, mit


der Zeit in Vergessenheit gerät, so daß auch die Eingebornen ihn nicht mehr
zu deuten wissen. Darüber hinaus kann bei Texten, die man wegen ihres hei
ligen Charakters unverändert beibehält, infolge Änderung der Umgangs
sprache schließlich auch die sprachliche Form selbst unverständlich werden.
Das ist eine so bekannte Erscheinung, daß wohl keine Beispiele beigebracht
werden müssen. Dafür, daß sie tatsächlich wenigstens bei einem Teil der
Tafeltexte vorlag, scheint Ure Vaeikos Behauptung zu sprechen, er könne
zwei Stellen der Tafel Apai nicht lesen, weil sie alte, nicht mehr verständliche
Wörter enthielten 162 . Auch Mrs. Routledge’s Erfahrungen scheinen das
selbe anzudeuten. In dem wohl sicher zu einer alten Tafel gehörigen Text
he timo te ako-ako, he ako-ako tena, der ihr noch von etwa einem halben
Dutzend Leuten rezitiert wurde, konnten manche Wörter erklärt werden,
andere nicht. Der Sinn des Ganzen war unbekannt 163 .
Die drei Übersetzungen, die bisher vom Beginn der Tafel Aruku-
Karenga vorliegen (Jaussen, Ray, Ahnne 164 ), weichen in manchen Punkten
nicht unwesentlich voneinander ab. Ich halte es jedoch für durchaus möglich,
ja wahrscheinlich, daß es einer genaueren philologischen Durcharbeitung ge
lingen wird, manches in den angeblich so hoffnungslos dunklen jAussEN’schen
Texten aufzuklären. Man wird jedenfalls der von Metraux in Aussicht
gestellten Bearbeitung dieser Texte 165 mit Spannung entgegensehen dürfen.
Jaussen scheint eine Zeitlang daran gedacht zu haben, seine Tafeltexte
samt Übersetzung vollständig herauszugeben. Der Mangel an Geldmitteln
machte ihm dies unmöglich. Er scheint aber auch der Meinung gewesen zu
sein, daß der Text eine Übersetzung und Veröffentlichung gar nicht lohne.
Das Ganze würde gedruckt einen Umfang von mehr als 200 Seiten haben,
„dont la lecture ne serait pias supportable“. So begnügte er sich damit, ein
Verzeichnis der auf seinen Tafeln vorkommenden Schriftzeichen samt ihren
Bedeutungen anzulegen 166 .
Jaussen’s Manuskript kam nach seinem Tod in die Hände Harlez’.
Dieser hat nicht ganz fünf Zeilen der Tafel Amku-Kurenga, etwa die Hälfte
der ersten Zeile der Tafel Tahua und nicht ganz die erste Zeile der einen Seite
der Tafel Mamari veröffentlicht 167 . Er gibt den Text mit den dazugehörigen
Schriftzeichen und interlinearer Übersetzung. Die Reproduktionen der
Schriftzeichen sind jedoch so schlecht, daß man sich danach überhaupt keine
Vorstellung von deren richtiger Form machen könnte, ja in manchen Fällen
sind die Zeichen ganz falsch wiedergegeben. Ferner hat Harlez zusammen
gesetzte Zeichen willkürlich zerlegt und die Teile auseinandergerissen, und
schließlich hat er manche Zeichen überhaupt ausgelassen. In seinem Vor
wort bemerkt er, daß er sich bemüht habe, die Fehler des Textes zu ver

102 Thomson, 519. Siehe oben, S. 828.


103 Routledge, 248. Vgl. oben, S. 847.
104 Die vierte Übersetzung, die Harlez’, ist wertlos.
105 Lavachery, Ile de Pâque, 24.
4(ie Jaussen, 255—256. — Alazard, 166.
107 Harlez, L’île de Pâques etc.
856 Robert von Heine-Geldern,

bessern. Tatsächlich hat er, wie ein Vergleich mit den von Alazard, Ray und
Ahnne veröffentlichten Fragmenten zeigt, am Text Änderungen vorgenommen,,
z. B. Wörter fortgelassen, leider ohne in jedem einzelnen Fall darauf auf
merksam zu machen. Da Harlez kein Wörterverzeichnis der Osterinsel
sprache zur Verfügung hatte und da sein Text durch zahlreiche Druckfehler
entstellt ist, wird man daher seine Textfragmente, die ja zum überwiegenden
Teil vorläufig nicht nachgeprüft werden können, mit größtem. Mißtrauen
betrachten müssen. Bei der Übersetzung ließ er sich von seiner vorgefaßten
Meinung leiten, daß die Tafeln nur eine Art Bilderbücher ohne Zusammen
hang zwischen den einzelnen Bildern, die einzelnen Sätze des Textes aber bloß
die Erklärungen zu den einzelnen Bildern seien. So glaubte er z. B., den
Satz kua rere te manau, „der Vogel fliegt“ (Ray 168 ), als bloße Bilderklärung
mit „oiseau envolé“ übersetzen zu müssen. Den Satz ka tioho au (Ray: „Let
me stop!“) änderte er, ohne auf diese Änderung aufmerksam zu machen, in
ka tioho ia und übersetzte ihn mit „celui-ci reste assis“ 169 . Harlez’ Veröffent
lichung ist infolge aller dieser Mängel leider so gut wie wertlos.
In dem von Sidney Ray nach einer Abschrift des jAussEN’schen Manu
skripts mitgeteilten Bruchstück sind die Schriftzeichen sorgfältig und deutlich
wiedergegeben und Textbearbeitung und Übersetzung zeigen jene Qualität,,
die man von diesem ausgezeichneten Kenner der Südseesprachen erwarten
durfte 17 °. Leider ist das Bruchstück allzu kurz. Es umfaßt, wie schon er
wähnt, nur etwa zwei Drittel der ersten Zeile der Tafel Aruku-Kurenga.
So bleiben wir denn für die Ermittlung der Bedeutung der einzelnen
Zeichen auf Jaussen’s Zeichenliste angewiesen 171 , die nur in ganz wenigen
Fällen an Hand des von Ray veröffentlichten Textfragments nachgeprüft wer
den kann. Leider läßt auch Jaussen’s Zeichenliste, so wertvoll sie ist, manches
zu wünschen übrig. Die Zeichen sind zum Teil nicht deutlich genug wieder
gegeben. Vor allem aber ist die Liste keineswegs vollständig. An Hand von
Photographien kann man sich leicht davon überzeugen, daß auf den Tafeln
zu Braine-le-Comte, die die Grundlage der Liste bilden, Zeichen Vorkommen,.
die nicht in dieser enthalten sind. In einem Fall kann man feststellen, daß
Jaussen nicht alle Bedeutungen eines von ihm abgebildeten Zeichens aufge
nommen hat. Für das Zeichen Abb. 5 a gibt er als Bedeutung nur tau avanga y
„pierre pour déposer un défunt“ 172 , während das gleiche Zeichen in dem
RAY’schen Fragment dreimal mit der Bedeutung henua, „Land“, „Erde“, vor
kommt. Die Beischriften hat Jaussen den von ihm aufgezeichneten Tafel
texten entnommen, wenn auch offenbar nicht immer ganz ohne Änderungen.
Die Texte selbst enthalten jedoch, wie aus dem kurzen Bruchstück bei Ray
hervorgeht, zahlreiche Fehler und bedürfen daher einer philologischen Über
prüfung und Richtigstellung durch einen genauen Kenner der polynesischen

108 Jaussen übersetzt: L’oiseau s’est envolé.


169 Harlez, Le Muséon XIV, 419, 421.
170 Ray, a. a. O.
171 Jaussen, 259—270.
172 Richtig vermutlich tanuvanga „Grab“. Vgl. Roussel, 241, s. v. sépulcre, und
Churchill, Easter Island, 256.
Die Osterinselschrift. 857

Sprachen. Zum Teil handelt es sich wohl um Hör- oder Schreibfehler Jaussen’s.
In manchen Fällen mögen sich, da dem Bischof das Tahitische geläufig war,
Tahitismen eingeschlichen haben, eine Möglichkeit, die er selbst andeutet 173 .
Manche der von Jaussen in seiner Zeichenliste mitgeteilten Bedeutungen
machen einen recht unwahrscheinlichen Eindruck. Dies mag zum Teil daran
liegen, daß die betreffenden Wörter oder Begriffe in nicht sehr glücklicher
Weise aus dem Zusammenhang gerissen sind, der allein sie uns verständlich
machen würde. Es mögen aber auch Irrtümer in der Transkription, unrichtige
Übersetzung oder unrichtige Abteilung des Textes vorliegen, durch die nicht
zueinandergehörige Zeichen und Wörter zueinander in Beziehung gebracht
wurden. All dies wird sich erst entscheiden lassen, wenn einmal der Text
selbst zugänglich sein wird. Natürlich kann sich auch Metoro bisweilen geirrt
haben, ja man wird sogar an die Möglichkeit älterer Textverderbungen denken
müssen, die Metoro schon von seinen Lehrern übernommen haben könnte.
Dies alles mußte vorausgeschickt werden, um klarzumachen, daß
Jaussen’s Zeichenliste eine keineswegs immer einwandfreie Grundlage bildet
und daß Schlüsse aus ihr oft nur mit gewissen Vorbehalten gezogen werden
dürfen. Im folgenden werde ich noch fallweise auf manche Unsicherheiten
aufmerksam machen müssen.
Der größte Teil der Zeichen trägt noch ausgesprochenen Bildcharakter.
Besonders häufig sind Menschen in verschiedenen Stellungen und mit ver
schiedenen Attributen dargestellt. Zum Teil sollen diese anthropomorphen
Zeichen (Abb. 1) Menschen schlechtweg oder solche von bestimmter Quali-

r $ $ $
a b c d

Abb. 1 : a) tamaiti (Kind); b) koia (er, sie); c) atariki (Erstgeborner); d) teina


(jüngerer Bruder); e) maori (Schriftgelehrter). Nach Jaussen.

fikation bedeuten, z. B.: tangata (Mensch), koia (er, sie), maori (Schrift
gelehrter; die Figur trägt ein tahonga, ein aus Holz geschnitztes, kugel
artiges Würdezeichen, auf der Brust), ariki (König, Adeliger 174 ), atariki
(Erstgeborner, ältester Sohn), teina (jüngerer Bruder oder Vetter). In anderen

b
M c d
^e

Abb. 2: a) noho (sitzen); b) hakataka (den Kopf neigen); c) noi aroa (sich nieder
werfen, anbeten); d) buri (umdrehen); e) e rua oona mea ki te puoko (er hat zwei Pläne
im Kopf). Nach Jaussen.

173 Jaussen, 254. Vgl. unten, Anm. 178.


174 Über die Zeichen für ariki sagt Jaussen, 257: „Le roi est presque toujours
reconnaissable*par un gran chapeau en plumes. Souvent il a sur le ventre, cofmme les
Maoris, etc. une boule, tahonga, attaché au cou, ou un rei.“ Die Wiedergabe dieser
Zeichen in seiner Liste ist leider sehr undeutlich.
858 Robert von Heine-Geldern,

Fällen drückt die Menschenfigur eine Tätigkeit und damit einen Verbalbegriff
aus, z. B. (Abb. 2): noho (sitzen), kakarava (se pencher) 175 , noi arurua (se
prosterner) 175a , huri (umdrehen, renverser).
Neben der ganzen Menschenfigur koijimen auch einzelne Körperteile
als Bildzeichen vor, z. B. (Abb. 3): rima (Hand), mata (Augen), haha

a b c

Abb. 3: a) rima (Hand); b) mata (Augen), hio hia (gesehen werden); c) haha (Mund).
Nach Jaussen.

(Mund). Auch diese Zeichen können für Verbalbegriffe gebraucht werden.


So kann das Zeichen für mata auch hio hia (gesehen werden), das Zeichen
für rima oder doch ein ihm sehr ähnliches auch mau (ergreifen) bedeuten.
Zahlreich sind die Bildzeichen, die Tiere (Ratte, verschiedene Arten von
Vögeln, Schildkröte, Eidechse, Fische, Krebse, Mollusken usw.), Federn,
Pflanzen und Pflanzenteile (Blätter, Blüten, Früchte), Geräte und Waffen
(Boot, Ruder, Angelhaken, Fischnetze, Lanze, rei-miro usw.) vorstellen.
Manche Zeichen stellen Fabelwesen vor: einen zweiköpfigen Menschen, einen
zweiköpfigen Vogel, einen Fisch mit zwei Schwänzen usw. Dagegen vermag
ich nicht, mit Hevesy die Bilder von Elefanten und Affen zu erkennen 1761 .

7
Ferner findet man Bildzeichen für Geistirne, Wasser und athmosphä-
rische Erscheinungen, z. B.: (Abb. 4) raa (Sonne) oder hetu (Stern), aber
auch ahi (Feuer); maratna (Mond); (Abb. 17) ua (Regen) oder garu (Welle);

ab c d e f g
Abb. 4: a) raa (Sonne), hetu (Stern), ahi (Feuer); b) rua hetu (zwei Sterne); c) Va
rianten von marama (Mond); d) matariki (Plejaden), inoino (glänzend), henua (Erde,
Land); e) matangi (Wind); f) ki to ia („il est chez lui“); g) Varianten von meitaki (gut).
Nach Jaussen.

(Abb. 4) matangi 177 (Wind, offenbar ein im Wind wehender Gegenstand,


Tuch, Haar oder ähnliches).
Neben den reinen Bildzeichen gibt eis zahlreiche andere, die so stark
konventionalisiert sind, daß ihre ursprüngliche Bildbedeutung für uns
wenigstens nicht mehr erkennbar ist. Dazu gehören z. B. die Zeichen Abb. 5 a

175 Wahrscheinlich richtig hakataka (pencher la tête). Vgl. Roussel, s. v. pencher.


175a Richtiger wahrscheinlich noi (se prosterner) aroha oder hakaaroha (adorer).
Vgl. Roussel 175, 232, und Churchill, Easter Island, 189—190.
176 Hevesy, Sur une écriture etc., 438; Osterinselschrift und Indusschrift, 671.
177 Jaussen schreibt irrtümlich matangi.
Die Osterinselschrift. 859

bis d, die alle henua (Erde, Land) bedeuten, oder Abb. 4/, ki to io (il ist chez
lui), oder Zeichen für abstrakte Begriffe, wie Abb. 4 g, meitaki (gut) 178 .
Manche Zeichen wurden im übertragenen Sinn gebraucht. So kann das
Zeichen Abb. 9 a sowohl kiure (Ratte) bedeuten, als auch kikiu (schreien wie
eine Ratte, heller Klang) 179 . Wahrscheinlich war der Gebrauch von Zeichen
in übertragener Bedeutung sogar außerordentlich häufig, ja ich glaube, daß
gerade hier der Schlüssel zum Verständnis einer ganzen Reihe von Schrift
zeichen zu suchen ist. Einige Beispiele mögen dies klar machen.
Als Bedeutung für das Doppelzeichen Abb. 5 e gibt Jaussen an tonga
e te hukinga, was er mit „faîtage et charpente“ (Dachstuhl und Gebälk) über
setzt 180 . Die Reihenfolge der beiden Glieder in der Übersetzung muß umge
dreht werden, denn mit „charpente“ kann nur tonga gemeint sein. Die Über
setzung mit „charpente“ (Gebälk, Zimmerwerk) ist allerdings allzu frei. Die
wirkliche Bedeutung des Wortes ist „Stützpfosten eines Hauses“ 181 . Jaussen
selbst übersetzt es nur wenige Zeilen weiter mit „colonne de rase“. Das Wort
hukinga kommt in den mir zugänglichen Wörterverzeichnissen nicht vor.
Vielleicht sollte es richtig hahanga (Dachstuhl, First) 182 oder hakamanga
(Dach) 183 heißen. Jedenfalls kann es nur dem oberen, dachförmigen Teil
des Doppelzeichens entsprechen. Nun ist aber der untere Teil des Zeichens,
der dem Wort tonga entsprechen muß, identisch mit dem. Zeichen Abb. 5 d,
henua (Erde, Land), und es ist wenig wahrscheinlich, daß dieses Zeichen hier
die Bedeutung tonga im Sinne eines gewöhnlichen Hauspfostens besitzen
sollte. Vielmehr wird dem Zeichen Abb. 5e vermutlich eine kosmologische
Bedeutung zugrunde liegen, etwa „Weltgebäude“, „Erde und Himmel“, wobei
die Erde als Stütze des Himmels aufgefaßt wird. Ein Weltbild von den
Tuamotu-Inseln, das Stimson veröffentlicht hat, zeigt, daß derartige Vor
stellungen tatsächlich im östlichen Polynesien vorhanden waren (Abb. 6).
In seiner Erklärung dieses Weltbildes sagt Stimson: „The central siphere or
World-of-light (das ist der Raum, der in der Zeichnung von Atea-Rangi und
Tane eingenommen wird) is supported by three posts, as shown. The central
post was said to be Atea’s noe or shadow-self 184 .“ Diese drei die Himmelswelt
stützenden Pfosten sind in der Zeichnung durch drei vertikale Reihen (zwei
kürzere an den Seiten, eine längere in der Mitte) übereinanderstehender Götter
gestalten angedeutet, die atlantenartig die einzelnen Himmelsstockwerke
tragen. Die Ähnlichkeit des Zeichens Abb. 5 d, henua (Erde), mit den Grund
zügen des tuamotischen Weltbildes ist auffallend. Ich halte es demnach für
sehr wahrscheinlich, daß das Zeichen für henua nichts anderes ist, als ein der-

178 Bei Jaussen irrtümlich die tahitische Form maitai. Vgl. Roussel, 181, s. v. bon,
und Churchill, Easter Island, 228.
179 Jaussen, 261, 270.
180 Jaussen, 265.
181 Roussel, 186, s. v. colonne. — Churchill, Easter Island, 261.
182 Roussel, 202, s. v. faîtage. — Churchill, Easter Island, 198.
183 Roussel, 247, s. v. toit.
184 J. Frank Stimson, Tuamotuan religion, Bernice P. Bishop Museum, Bull. 103
i<Honolulu 1933), 62.
Anthropos XXXIII. 1938. 8
860 Robert von Heine-Geldern,

Abb. 5: a—d) henua (Land, Erde); e) tonga e te hukinga (Stützpfeiler und Dach).
Nach Jaussen.

kihcktumu
Abb. 6: Weltbild, Tuamotu-Inseln. Nach J. Frank Stimson. Tuamotuan Religion. Bernice
P. Bishop Museum. Bulletin 103. Honolulu, Hawai 1933. Seite 63.
Die Osterinselschrift. 861

artiges, auf die einfachste Form gebrachtes kleines Weltbild, wobei der ein
geschlossene, nach unten abgerundete Teil der Unterwelt, der dachförmige
Streifen in der Mitte der Erde, die drei vertikalen oberen Enden den drei in
der Erde wurzelnden Stützpfeilern der Himmelswelt entsprechen würden. So
erklärt es sich auch, wie das Zeichen für henua (Erde) zur Bedeutung tonga
(Stützpfeiler eines Hauses) kommen konnte. Man wird sich jedoch fragen
müssen, ob die Bezeichnung tonga e te hukinga wirklich in dem angedeuteten
metaphorischen Sinn gebraucht worden ist oder ob sie vielleicht gar nicht im
Text steht, sondern nur eine Erklärung bildet, die Metoro Jaussen gab und
die dieser irrtümlich wörtlich auffaßte. Das wird sich natürlich erst ent
scheiden lassen, wenn einmal Jaussen’s Texte veröffentlicht sein werden.
Wie ich schon oben gesagt habe, wurden im Krieg getötete, ermordete,
vielleicht (wenn es auf der Osterinsel überhaupt Menschenopfer gab) auch
geopferte Menschen, ika, „Fische“, genannt. Ich habe auch bereits erwähnt,
daß es ein eigenes Zeichen gab, dem diese Bedeutung beigelegt wurde. Es ist
dies das Zeichen Abb. 7 rz, das Jaussen mit der Beischrift versieht: „rau hei,

a b

Abb. 7: a) rau hei („ennemi tue; poisson suspendu“); b) rau hei („branche de mimosa;
signe de mort“). Nach Jaussen.

ennemi tué (poisson suspendu)“ 185 . Nun heißt aber rau hei keineswegs, wie
man nach der Angabe Jaussen’s glauben sollte, „getöteter Feind“ oder „auf
gehängter Fisch“. Vielmehr bedeutet rau „Blatt“ 186 , und hei „Kranz“, „Gir
lande“ 187 , rau hei also „Blättergirlande“ oder genauer, da hei seiner Stellung
nach attributiv gebraucht ist, „Blätter, die als Girlande gebraucht sind“, Blätter,
die als Schmuck oder zum Umwinden gebraucht sind. Über die Behandlung der
Leichen getöteter Feinde auf der Osterinsel ist uns leider nichts bekannt, wohl
aber wissen wir, daß auf anderen Inseln des östlichen Polynesien Blätter beim
Menschenopfer rituell verwendet wurden. Auf Tahiti wurden die „Fische“,
d. h. als Opfer getötete Menschen, in Behälter aus Blättern der Kokospalme
gehüllt und so zum Heiligtum getragen. Nach Beendigung der Opferriten
wurden die Leichname, wiederum in Kokospalmblätter gehüllt, an Bäume ge
hängt 188 . Auf den Marquesas wurden die als „Fische“ bezeichneten Leichname
der geopferten Menschen ebenfalls an Bäume gehängt (siehe oben, S. 848),
nach Beendigung der Riten jedoch herabgenommen, worauf die Tempeldiener
Blätter der Kokospalme miteinander verflochten und dieses Blättergeflecht
als Zeichen, daß Menschenopfer dargebracht worden seien, an die Bäume
hängten 189 . Vielleicht hängen alle diese Bräuche mit der Verwendung der
185 Jaussen, 257, 262.
180 Roussel, 203, s. v. feuille. — Churchill, Easter Island, 247; Polynesian
wanderings, 397—398.
187 Roussel, 207, s. v. guirlande. — Churchill, Easter Island, 202.
188 Ellis, II, 213—214.
189 Handy, The native culture in the Marquesas, 242.
8(
862 Robert von Heïne-Geldern,

Kokospalmblätter beim Fischfang zusammen. Auf Tahiti wurden ungeheure


Geflechte aus verschnürten Bündeln von Blattstreifen der Kokospalme ver
wendet, um Lagunenteile abzusperren und die Fische allmählich ins flache
Wasser und gegen das Ufer zuzutreiben. Diese Vorrichtung nannte man rau,
„Blätter“ 190 . Ähnliches war auf Mangareva der Fall. Ein Wörterbuch der
Mangareva-Spirache gibt als Bedeutung für rau : „Feuilles des arbres, des
arbrisseaux, des herbes; tresse de feuilles de cocotier pour la pêche, pour faire
entrer le poisson dans le filet 191 .“ Auch auf den Marquesas wurde diese
Methode geübt 192 .

Leider ist die Form des Zeichens rau hei, wenigstens in Jaussen’s. Nach
zeichnung, nicht deutlich genug, als daß man erkennen könnte, was es dar
stellt. Es könnte wohl ein mit Blättern umwickelter Fisch gemeint sein. Jeden
falls ist aus Jaussen’s beigefügter Erklärung zu entnehmen, daß Leichen ge
töteter Feinde mit Blättern umhüllt auf gehängt worden sein dürften. J aussen
bildet allerdings noch ein zweites Zeichen ab (Abb. 7 b), dessen Bedeutung
ebenfalls rau hei sein soll, wobei Jaussen dieses Mal als Übersetzung und
Erklärung hinzufügt: „branche de mimosa (signe de mort) 193 .“ Die Über
setzung mit Zweig dürfte wohl auf einem Mißverständnis beruhen. Vielleicht
haben Blättergewinde als Trauerzeichen gedient, vielleicht auch bloß als. Zei
chen für einen getöteten Feind, ähnlich wie bei den Menschenopfern auf den
Marquesas-Inseln. Leider wissen wir auch bei diesen beiden Zeichen wieder
nicht sicher, ob überhaupt und in welchem Zusammenhang die von Jaussen
beigefügten Worte rau hei im Text Vorkommen, oder ob sie nicht vielleicht bloß
eine nachträgliche Erklärung Metoros wiedergeben.
Auf alle Fälle zeigen uns beide Zeichen rau hei, in wie hohem Grad wir
bei den Schriftzeichen der Osterinsel mit metaphorischen Bedeutungen rechnen
müssen, die weder aus dem Biildcharakter der Zeichen noch auch aus dem
ihnen entsprechenden Wortlaut ohne weiteres zu entnehmen sind. Gleichzeitig
zeigt es sich, auf welche Irrwege der Versuch führen kann, die Schrift ohne
genügende Kenntnis polynesischer Kultur zu deuten. So glaubte Geiseler, in
der Meinung, „daß die Bildtafeln nur Genealogien enthalten“, die Fisch- und
Pflanzenzeichen zeigten „anscheinend die Zeit an, zu welcher die Geburt oder
Verheiratung bzw. das Ereignis geschah. Diese Zeitbezeichnung“, fügt er hin
zu, „erfolgte in Rapanui nach den verschiedenen Perioden des Reifens der
Früchte bzw. des Einsammelns und des Genusses derselben. Wie man eine
Zeit hatte, in der die Eier der Seevögel von Motu nui nicht tabu waren, so
hatte man auch eine Zeit des Genusses des hier in reichlicher Menge und in
eigentümlicher Form vorkommenden Seetangs, eine Zeit des Hauptfischfanges
usw.“. Er meinte deshalb, daß z. B. das Bild eines Fisches die Hauptfischzeit

190 E. S. Craighill Handy, Houses, boats, and fishing in the Society Islands,
Bernice P. Bishop Museum, Bull. XC (Honolulu 1932), 106—107.
191 Essai de grammaire de la langue des îles Gambier ou Mangaréva, par les
missionaires catholiques de cet Archipel (Paris 1908), Dictionnaire mangarévien-
français, 86.
192 Handy, The native culture in the Marquesas, 170.
193 Jaussen, 264.
Die Osterinselschrift. 863

bedeute 194 . Diese scheinbar so einleuchtende, aber trotz der apodiktischen


Form, in der sie vorgebracht ist, nicht auf Erkundung, sondern auf bloßer
Spekulation beruhende Hypothese wird natürlich in dem Augenblick voll
kommen hinfällig, in dem es sich zeigt, daß ein Fischzeichen in manchen
Fällen gar keinen Fisch im wörtlichen, sondern im übertragenen Sinn, d. h.
einen getöteten Menschen bedeuten sollte 195 . Felder wissen wir vorläufig
nicht, bis zu welchem Grad dies von den zahlreichen Fischzeichen der Osfer-
inselschrift zutrifft. Insbesondere nach dem, was Mrs. Routledge über die
/foz-Tafeln berichtet (siehe oben, S. 848), muß das aber recht häufig der Fall
gewesen sein.
Eine Reihe von Zeichen kommt mit mehrfacher Bedeutung vor. So kann
z. B. das Zeichen Abb. 4 a sowohl raa (Sonne) als hetu (Stern) als ahi (Feuer)
bedeuten, das Zeichen Abb. 17 a, b sowohl ua (Regen) als garn (Welle), das
Zeichen Abb. 3 b sowohl mata (Augen) als hio hia (gesehen werden). Hier
handelt es sich darum, daß ein und dasselbe Zeichen mehrere verwandte Be
griffe ausdrücken kann. Ebenso kann das Zeichen Abb. 4 d, 5 b sowohl inoino
(strahlend, leuchtend) bedeuten* als matariki (die Pleiaden) 196 . Unerlklärbar
aber ist es für uns, wie dasselbe Zeichen auch zu der Bedeutung herum (Erde,
Fand) kommt. Wenn ein und dasselbe Zeichen (Abb. 4 c, 9 c, d) sowohl für
maranta (Mond), als für vaka (Boot), als für kupenga (Netz) stehen kann,
so ist das natürlich nur eine zufällige Übereinstimmung, bedingt durch die
Formähnlichkeit der dargestellten Gegenstände.
Wie in der klassischen Osterinselschrift, so konnte auch in der tan-
Schrift ein und dasselbe Zeichen verschiedene Begriffe ausdrücken. Tomenika
selbst bezeugte dies Mrs. Routledge gegenüber mit den Worten: „the words
were new, but the letters were old.“ Noch deutlicher drückte sich sein Genosse
Kapiera aus, indem er sagte, es handle sich in manchen Fällen um „the same
picture, but other words“ 197 .

Anderseits gibt es für manche Begriffe mehrere Zeichen. In den meisten

194 Geiseler, 25.


195 Es ist nicht überflüssig, dies ausdrücklich zu betonen, da Geiseler’s Deutun
gen noch immer in der Literatur herumspuken. So wird z. B. in dem 1935 oder 1936
erschienenen Buch von Hans Jensen, Die Schrift (Glückstadt und Hamburg o. J.), 247,
im Anschluß an Geiseler einem Zeichen, das einen an der Angel hängenden Fisch dar
stellt, die Bedeutung „Fischfang“ untergelegt. Das kann richtig sein, aber das Zeichen
könnte ebensogut die Tötung eines Menschen bedeuten. Feststellen läßt sich dies vor
läufig nicht, da das Zeichen in Jaussen’s Liste nicht vorkommt. Ein Zeichen, das einen
Mann mit einem maru, einem Federstab, in der Hand darstellt (vgl. das Zeichen tangata
ma tc maru bei Jaussen, 266; über maru siehe oben, Anm. 120), deutet Jensen als „Ge
winnung von Seetang“, wiederum in Anlehnung an Geiseler, der meinte, dieses Zeichen
stelle „unzweifelhaft eine Person mit aufgefischtem Seetang dar“. Auch von den anderen
Deutungen Jensen’s sind die meisten unrichtig. So legt er z. B. einem Zeichen die Be
deutung „Bogen“ bei, obwohl der Bogen auf der Osterinsel gar nicht bekannt war.
190 Jaussen, 257, 260, 267. Das Wort inoino kommt mit der von Jaussen ange
gebenen Bedeutung in den mir zugänglichen Wörterverzeichnissen nicht vor. Ich kann
daher die Richtigkeit von Jaussen’s Angabe nicht nachprüfen.
197 Routledge, 253.
864 Robert von Heine-Geldern,

Fällen handelt es sich dabei um bloße Varianten 198 , in anderen jedoch um


wirklich völlig verschiedene Zeichen, so etwa bei den Zeichen für henua (Erde,
Land) (Abb. 5). Wenn auf einer Tafel immer nur eines dieser henua-Leichm
vorkäme, so ließe sich die Mehrheit der Zeichen durch zeitliche Unterschiede
oder durch Zugehörigkeit der Schreiber zu verschiedenen Schulen erklären.
Tatsächlich kommen aber allein in dem von Ray veröffentlichten Bruchstück,
also in zwei Dritteln der ersten Zeile der Tafel Aruku-Kurenga, drei Zeichen
für henua vor, und zwar das Zeichen Abb. 5 d viermal, das Zeichen Abb. 5 a
dreimal, das Zeichen Abb. 5 b viermal und dazu noch die Variante des letz
teren (Abb. 5 c) einmal. Ob hier bloße Willkür herrscht oder ob der Auswahl
der Zeichen ein bestimmter Sinn zugrunde liegt, läßt sich vorläufig nicht sagen.
Die Mehrzahl scheint gelegentlich durch Verdoppelung des Zeichens
dargestellt zu werden. Wenigstens entsprechen dem Satz ko te tangata hangai
(Menschen essen) zwei allerdings nicht ganz identische Menschenfiguren 199 .
Drei einander an den Händen haltende Menschen bedeuten toru ariki tuhunga
(drei gelehrte ariki) 20 °. Auch durch Nebeneinanderstellung zweier zwar be-
deutungs-, aber nicht formgleicher Zeichen kann die Zweizahl ausgedrückt
werden. So sind in der ersten Zeile der Tafel Aruku-Kurenga die Zeichen
Abb. 5 a und 5 b, die jedes für sich henua bedeuten, einmal ki te henua e rua
(zu den zwei Ländern) zu lesen. Aber in derselben Zeile, bloß um wenige
Zeichen weiter, ist dieselbe Zusammenstellung nicht als Dual zu lesen,
sondern als Wiederholung: ki te henua, ki tona henua (zum Land, zu seinem
Land). Und wiederum nur ein paar Zeichen weiter steht die beinahe identische
Zusammenstellung von Abb. 5 a und 5 c für den Singular: i te henua (auf die
Erde, in das Land) 201 . Man fragt sich vergeblich, ob dieser Inkonsequenz
eine bestimmte Absicht zugrunde liegt oder ob sie auf Verderbnis des zur
Schrift rezitierten Textes bzw. (und dies halte ich für das Wahrscheinlichere)
auf Verfall des Schriftwesens selbst zurücikzuführen ist.
Eine andere, wenigstens vereinzelt vorkommende Ausdrucksweise für die
Zweizahl besteht in der Verdoppelung der Form eines Schriftzeichens, das
dann wie die Verschmelzung zweier gleicher Zeichen aussieht: Abb. 4a, hetu
(Stern), Abb. 4 b, rua hetu (zwei Sterne).
Besonders wichtig wäre es, zu wissen, wie Eigennamen ausgedrückt
wurden. Hier wäre ja am ehesten ein Ansatz zur Phonetisierung zu erwarten.
Der einzige Fall, in dem wir vorläufig die Schreibung eines Eigennamens
nachprüfen können, zeigt allerdings keine Spur davon. Der Name Elotu-matua
(Abb. 8 a) wird vielmehr einfach durch das Zeichen Abb. 1 c, atariki (Erst
geborner), ausgedrückt 202 . Dies hängt natürlich mit der besonderen recht
lichen und sakralen Stellung des Erstgebornen in Polynesien zusammen, die
sich z. B. auf den Marquesas-Inseln darin äußerte, daß von dem Augenblick
der Geburt des ersten Sohnes eines Fürsten an der Sohn als der eigentliche

198 Zahlreiche Beispiele bei Jaussen.


199 Ray, 155.
200 Jaussen, 259.
201 Ray, 153—'154.
202 Jaussen, 266. — Ray, 154.
Die Osterinselschrift. 865

Herrscher galt und der Vater nur im Namen seines Sohnes regierte, und daß
dasselbe Wort, haka-iki, als Bezeichnung für den Fürsten und für den erst-
gebornen Sohn einer jeden Familie gebraucht wurde 203 . Wie auf manchen
anderen Inseln Polynesiens, pflegte auch auf der Osterinsel der König zu
gunsten seines erstgebornen Sohnes zurüokzutreten, sobald dieser hei
ratete 204 . Hotu-matua, als der erste König der Osterinsel, ist natürlich der
Erstgeborne kat’ exochen.
Bemerkenswert ist die Fähigkeit der Osterinselschrift, zusammengesetzte
Zeichen zu bilden 205 . So wird z. B. aus den Zeichen Abb. 4 c, tnarama
(Mond), Abb. 4 ß, hetu (Stern), und Abb. 3fl, ritna (Hand), das Zeichen
Abb. 8 e gebildet, als dessen Bedeutung Jaussen angibt: marama e te hetu e
te ritna (Mond, Stern und Hand). Das kann wohl kaum die wirkliche Bedeu
tung sein, sondern bloß eine aus dem, Text abstrahierte Erklärung. Vermutlich

a b c de
Abb. 8: a) henua no Hotu-matua (Land des Hotu-matua)-, b) koia ki te rangi (er ist im
Himmel); c) e kua koakoa ia ki te rangi („he rejoices in heaven“); d) e hiri ki te rangi
ki te henua („he went to heaven on the earth“) ; marama e te hetu e te rima (Mond,
Stern und Hand). Nach Jaussen.
wird auch hier irgendeine metaphorische Bedeutung zugrunde liegen. Die
Zeichen können unverbunden eines über das andere gesetzt werden, wie bei
dem schon besprochenen Doppelzeichen Abb. 5 e, tonga e te hukinga. Weit
häufiger jedoch sind Verbindungen mehrerer Zeichen. Solche Verbindungen
können organisch bildhaft sein, wie etwa bei Menschenfiguren, die verschiedene
Attribute (maru, Lanze usw.) in der Hand halten, oder bei dem Zeichen
Abb. 21 d, rangi i runga i te maiinga (Himmel auf dem Berg), das wohl einer
bestimmten Anschauung vom Weltbau entspricht. Sie können aber auch rein
graphisch sein, ohne daß dadurch ein bestimmtes Gesamtbild veranschaulicht
werden soll. In diesem Fall handelt es sich also um richtige Ligaturen, die
allerdings nicht wie in phonetischen Schriften zwei Lautzeichen, sondern zwei
Begriffzeichen miteinander in Verbindung setzen sollen. Wenn das eine der
Zeichen ein Menschenzeichen ist, so gibt man ihm meist das andere Zeichen
in die Hand. So wird aus dem Zeichen Abb. 1 c, atariki (Erstgeborner), und dem
Zeichen Abb. 5d, henua (Erde, Land), das zusammengesetzte Zeichen Abb. 8 a,
henua no Hotu-matua (das Land Hotu-matuas, des ersten Königs der Oster
insel). Aus einem Menschenzeichen und dem Zeichen Abb. 21 a, b, rangi (Him
mel), wurde das Zeichen Abb. 8 b, koia ki te rangi (er ist im Himmel), gebildet.
Es gibt aber noch eine andere Art der Verbindung, um auszudrücken, daß
203 Handy, The native culture in the Marquesas, 44, 51. Zahlreiche ähnliche Bei
spiele von verschiedenen Inseln Polynesiens bei R. W. Williamson, The social and poli-
tical Systems of Central Polynesia (Cambridge 1924).
204 Métraux, The kings of Easter Island, 51—52. Vgl. auch Routledge, 241,
279, über Abdankung der Könige zugunsten des ältesten Sohnes.
205 Jaussen, 266—267.
866 Robert von Heine-Geldern,

ein Gott oder Heros sich im Himmel befindet, indem man nämlich den Kopf
der Figur durch das Zeichen Abb. 21 a, b, rangi, ersetzt: Abb. 8 c, e kirn koakoa
ia ki te rangi (he rejoices in heaven). Wenn man der Figur noch ein weiteres
Schriftzeichen in die Hand gibt, entsteht eine aus drei Zeichen zusammen
gesetzte Ligatur: Abb. 8 d, e hin ki te rangi, ki te henua (he went to heavdn,
on the earth) 206 . Auch das oben besprochene Zeichen 8 e, marama et te heia
e te rima gehört jedenfalls zu diesen rein graphischen, begrifflichen, nicht bild
haft organischen Zusammensetzungen. Die nähere Untersuchung der zu
sammengesetzten Zeichen dürfte sich als besonders ergebnisreich für das tiefere
Verständnis der Osterinselschrift erweisen. Leider ist die jAUSSEN’sche Zeichen
liste gerade in dieser Beziehung sehr unvollständig und auch in ihren Angaben
unzulänglich.
Auf eine Eigentümlichkeit der Schrift sei hier noch hingewiesen. Wäh
rend normalerweise die Zeichen aufrecht stehen, wird eine Reihe von Zeichen
stets um, 90 Grad gedreht: Abb. 9 d, vaka (Schiff), Abb. 9 c, kupenga (Netz),
Abb. 9 b, rei (halbmondförmiger Brustschmuek), Abb. 3 b, mata (Augen),.

a b c de
Abb. 9: a) kiure (Ratte), kikiu (schreien wie eine Ratte); b) rei (Brustschmuck)-
c) Varianten von kupenga (Fischnetz); d) Varianten von vaka (Boot); e) kua oo te
tere o te vaka („cannot qui vogue bien“). Nach Jaussen.

Abb. 3 c, haha (Mund), Abb. 17 a, b, garu (Welle), Abb. 9 a, kiore (Ratte).


Es scheint sich hier um ein rein ästhetisches Prinzip zu handeln, nämlich das.
Bestreben, stets die ganze Breite der Zeile auszufüllen. Aus diesem Grunde-
wurden offenbar breite, aber niedere Zeichen auf die Kante gestellt.
Außerordentlich dürftig sind leider unsere Kenntnisse von dem Zeichen
bestand der erst mit dem Tode Tomenikas im Jahre 1914 erloschenen tau-
Schrift. Die einzige Quelle bildet ein von Mrs. Routledge abgebildetes Stück
Papier mit vier Zeilen, die zusammen 75 mit Tinte geschriebene Zeichen um
fassen 207 . Wie in der klassischen Osterinselschrifit überwiegen auch hier die
Zeichen mit deutlichem Bildcharakter (Vögel, Fische, Schildkröten, Krabben
usw.), doch kommen daneben auch hier Zeichen vor, deren Bildbedeutung für
uns nicht erkennbar ist. Die Zeichen sind der Form nach mit denen der klas
sischen Schrift zum Teil identisch, zum Teil von ihnen nur wenig verschieden,
so daß sie als Varianten gelten können. Einen wesentlichen Unterschied bildet
das starke Zurücktreten, wenn nicht völlige Fehlen menschlicher Figuren. Es
befinden sich auf dem Blatt nur drei Zeichen, die möglicherweise Menschen
vorstellen könnten, doch scheint mir das auch bei diesen drei nicht sicher.
Im wesentlichen scheint es sich um eine ihrer Form nach nur sehr wenig ver
schiedene Variante der gewöhnlichen Schrift zu handeln. Der Unterschied lag
jedenfalls hauptsächlich in der Auswahl und Bedeutung der Zeichen.
200 Jaussen, 266. — Ray, 154.
207 Routledge, Fig. 99.
Die Osterinselschrift. 867

Aus den Beobachtungen Bischof Jaussen’s und Mrs. Routledge’s geht,,


wie ich dies schon oben ausgeführt habe, hervor, daß die Osterinselschrift,
wenigstens im 19. Jahrhundert, weder eine Wort- noch Silbenschrift, sondern
im wesentlichen eine Ideenschrift war, wobei jedes Zeichen einer ganzen
Gruppe von Wörtern, vielleicht, wie Métraux meint, einem. Vers entsprach.
Wenn aber auch das einzelne Zeichen außer dem Kernbegriff einem wechseln
den Wortinhalt entsprechen konnte, so war doch der Wortlaut des einzelnen
Textes in den meisten, wenn auch vielleicht nicht in allen Fällen, genau fest
gelegt 208 . Nur mußte man ihn kennen, um die Tafel lesen zu können, wobei
die Zeichen als Erinnerungsbehelfe dienten. Die Osterinselschrift; entspricht
in dieser Hinsicht bis zu einem gewissen Grad den Bilderschriften nord- und
zentralamerikanischer Indianer (Ojibwä, Cuna), und es gilt von ihr dasselbe,
was Jensen von den kekinowin der Ojibwä sagt: „Letztere (die kekinomn)
sind nur den Priestern oder Medizinmännern bekannt, und zwar dienen sie
gewissermaßen als mnemotechnische Hilfsmittel, um die magischen Gesänge
und Zauberformeln in ihrem genauen Wortlaut, auf den es ja sehr ankommt,
zu behalten. Nicht etwa, daß jedem Wort des Liedes ein Zeichen entspräche,
sondern in der Weise, daß je ein Bild zu einem Satze oder Verse gehört. Wenn
der Priester das Zeichen sieht, erinnert er sich an den im übrigen dem Ge
dächtnisse fest eingeprägten dazugehörigen Vers, Von einem eigentlichen
,Lesen* der Bilder kann also hier noch keine Rede sein, wohl aber stehen Bild
und fester sprachlicher Ausdruck bereits in enger Beziehung zueinander, in
sofern, als es eben nur eine mögliche Sprachform gibt, die dem betreffenden
Bilde entspricht.“ Auch an das Walam Olum der Delawaren ist zu erinnern,
in dem tatsächlich jedes Bild einem Vers entspricht, so wie dies Métraux von
den Schriftzeichen der Osterinsel vermutet 209 .
Aber man darf auch nicht die wichtigen Unterschiede zwischen der
Osterinselschrift und den Bilderschriften der nordamerikanischen Indianer
außer acht lassen. Während die Formgebung in den nordamerikanischen
Bilderschriften im wesentlichen frei ist, Sind die Schriftzeichen der Osterinsel
trotz aller vorkommenden Varianten in feste, stark konventionalisierte Formen
geprägt. Ein gutes Beispiel dafür bildet das Zeichen Abb. 9 e. Es zeigt einen
Männ mit einem Federschmuck auf dem Kopf in einem Boot 210 . Wie ich oben
schon ausgeführt habe, gehört das Zeichen Abb. 9 d y vaka (Boot), zu jenen,
die offenbar aus technisch-ästhetischen Gründen nicht vertikal, sondern um
90 Grad gedreht geschrieben wurden. Bei der vorliegenden Zusammensetzung
fällt der Grund für diese Schreibweise fort, da das Zeichen ohne weiteres die
ganze Zeile ausgefüllt hätte. Wenn die Drehung trotzdem beibehalten wurde,
so kann das seine Ursache nur darin haben, daß es dem Schreiber nicht etwa
freistand, den auszudrückenden Begriff durch ein beliebiges Bild darzu
208 Für die Möglichkeit, daß der Wortlaut nicht immer ganz genau festgelegt war,
sprechen Croft’s Erfahrungen (siehe oben, S. 825), für eine genaue Fixierung des Wort
lauts Mrs. Routledge’s Erfahrungen hinsichtlich der Rezitierung des Textes he timo
te ako-ako (siehe oben, S. 831).
200 Jensen, 29—31.
210 Jaussen, 269.
868 Robert von Heine-Geldern,

stellen, sondern daß er an das feststehende Schriftzeichen für vaka gebunden


war. Gewiß hat man bei manchem Zeichen den Eindruck, daß es ad hoc er
funden sein dürfte, um irgendeinen neu auftauchenden Begriff auszudrücken,
etwa bei dem Zeichen Abb. 2 e, e rna oona tnea ki te puoko (il a deux projets
en tete) 211 . Trotzdem macht die Osterinselschrift rein äußerlich durchaus den
Eindruck einer festgeprägten wirklichen „Schrift“. Die Übereinstimmung
zwischen den Formen der gleichen Zeichen auf den verschiedenen Tafeln ist
außerordentlich groß und die vorkommenden Varianten unterscheiden sich
voneinander nicht mehr, als dies bei den Varianten jeder beliebigen Wort-,
Silben- oder Lautschrift der Fall zu sein pflegt. Ihrem formalen Charakter
nach steht die Osterinselschrift jedenfalls den Schriften der alten Kulturvölker
(ägyptische und hethitische Hieroglyphen, proto-sumerische und pro-to-
elamische Schrift, Indus-Schrift, frühchinesische: Schrift) sehr viel näher als
den formfreien Bildzeichen nordamerikanischer Indianer.
Hier erhebt sich die Frage: Wenn auch die Osterinselschrift, so wie wir
sie kennen, eine bloße Ideenschrift ist — ist sie dies immer gewesen? Ist es
nicht möglich, daß sie früher einmal eine wirkliche Wortschrift war? Daß sie
vielleicht sogar phonetische Elemente enthalten hat? Ich habe schon erwähnt,
daß in manchen Fällen ein und dasselbe Zeichen mehrere, voneinander ganz
verschiedene Bedeutungen haben konnte. So bedeutete das Zeichen Abb. 4d,
bb, te inoino (etwas Glänzendes, Strahlendes) bzw. matariki (die Pleiaden),
aber auch henua (Erde, Land). Diese Erscheinung ließe sich ohne weiteres
durch die Annahme erklären, daß die betreffenden Zeichen bei jenem Volke,
von dem die Vorfahren der Polynesier die Schrift übernommen hatten, sowohl
ideographisch als phonetisch verwendet werden konnten, also etwa ähnlich wie
in der chinesischen Schrift. Das ursprüngliche Vorhandensein von mehr oder
weniger gleichbedeutenden ideographischen und phonetischen Zeichen und
vielleicht auch noch von Determinativen, deren richtige Anwendung später in
Vergessenheit geriet und die dann alle im gleichen Sinn verwendet wurden,
könnte wohl auch das Nebeneinandervorkommen verschiedener Zeichen für den
gleichen Begriff innerhalb eines und desselben Textes erklären. Ich verweise
auf das oben (S. 864) über die verschiedenen Zeichen für henua Gesagte.
Eine genauere Durcharbeitung der Schriftzeichen der Osterinsel, die
erst möglich sein wird, wenn einmal die Texte Jaussen’s vollständig vorliegen,
mag uns vielleicht der Lösung dieser Fragen näher bringen. Die endgültige
Antwort kann jedoch, wenn überhaupt, wohl nur von außen kommen, durch
Vergleichung der Osterinselschrift mit anderen Schriftarten.

9. Beziehungen zwischen der Osterinselschrift und anderen Schriften*.


A. Indien.
Für die Beziehungen zwischen der Osterinselschrift und der Indus-
Schrift verweise ich auf die eingangs angeführten Arbeiten von Hevesy 212 .

211 JAUSSEN, 269.


* Siehe den vorausgehenden Artikel von Hevesy (S. 808).
212 Siehe Anm. 1.
Die Osterinselschrift. 869

Gewiß sind manche der von Hevesy aufgestellten Gleichungen abzulehnen —


eine eingehende Kritik hoffe ich bei anderer Gelegenheit bringen zu kön
nen 213 —, aber es bleibt noch immer so viel übrig, daß an einer Verwandt
schaft zwischen beiden Schriften meines Erachtens nicht gez weif eit werden
kann. Ich werde die Frage anderwärts ausführlicher besprechen und will hier
nur ganz kurz die wichtigsten Ergebnisse anführen:
Langdon äußert sich in seiner Vorrede zu Hunter’s Buch über die
IndusrSchrift, daß „there can be no doubt concerning the identity of the Indus
and Easter Island Scripts“ 214 . Im Gegensatz zu dieser allzu optimistischen
Äußerung geben die gleichen Übereinstimmungen Lavachery und Métraux
Anlaß zu den schwersten Bedenken. „L’écriture de l’ile de Pâques“, schreibt
Lavachery, „aurait donc daté d’au moins 3000 ans et serait venue d’Asie
sans avoir subi de modification depuis cette époque lointaine.“ Und von
Métraux sprechend, fügt er hinzu: „La transmission de cette écriture au tra
vers des siècles — sans que l’on connaisse aucun point de relais — lui paraît,
avec raison, contraire à tous les phénomènes historiques déjà connus 215 .“
Sowohl Langdon wie Métraux und Lavachery gehen hier von ganz
unrichtigen Voraussetzungen aus. Von einer „Identität“ der beiden Schriften,
wie Langdon meint, von einer Übertragung aus Asien „sans avoir subi de
modifications“, die Métraux und Lavachery erschreckt, kann gar keine Rede
sein. Hevesy hat in seine vergleichenden Zusammenstellungen natürlich nur
jene Schriftzeichen auf genommen, bei denen er eine Ähnlichkeit feststellen
konnte oder feststellen zu können glaubte. Es wäre sinnlos gewesen, wenn er
anders vorgegangen wäre. Aber Hevesy hat nie behauptet, daß die beiden
Schriften identisch seien. Tatsächlich überwiegt bei weitem die Zahl der
Schriftzeichen, bei denen keine Ähnlichkeit vorhanden ist. Das ist ja auch schon
deshalb zu erwarten, weil ein sehr großer Teil der Schriftzeichen der Oster
insel erst in der Südsee entstanden sein kann (Seevögel, Meeresitiere). Ander
seits kommen gerade manche von jenen Schriftzeichen, bei denen besonders
schlagende Übereinstimmung besteht, entweder in einer der beiden Schriften
oder in allen beiden äußerst selten vor, so daß anzunehmen ist, daß es sich
hier um schon mehr oder weniger veraltete Überbleibsel aus einer gemein
samen Vorstufe handelt.
Noch wichtiger sind die Unterschiede in bezug auf den Charakter der
Schrift. Nach den Untersuchungen von Gadd, Sidney Smith, Langdon,
Hunter, Meriggi kann es sich bei der Indus-Schrift wohl nur um eine Wort-
und zum Teil vielleicht sogar Silbenschrift handeln, die auch so gut wie sicher
phonetisch gebrauchte Zeichen enthielt, während die Osterinselschrift eine
Ideenschrift war. Das ist natürlich kein Beweis gegen das Vorhandensein
einer Verwandtschaft — in der Osterinselschrift konnte sich eine Vorstufe der
Indus-Schrift erhalten haben, oder aber, und dies halte ich für wahrschein-
213 Siehe das Postscriptum.
214 G. R. Hunter, The script of Harappa and Mohenjodaro and its connections
with other scripts (London 1934), S. IX.
215 Lavachery, Ile de Pâques, 55.
870 Robert von Heine-Geldern,

licher, sie konnte ein barbarisierter Ableger einer Wortschrift sein. Aber auf
alle Fälle besteht hier ein tiefgreifender Unterschied.
Auch die Schriftrichtung war verschieden. Die Indus-Schrift wurde nor
malerweise von rechts nach links geschrieben, nur in Ausnahmsfällen von links
nach rechts. Die Zeilen folgten einander von oben nach unten. Bustrophedon
ist in Mohenjo-daro nur in beschränktem Ausmaß nachgewiesen. Im allge
meinen wurde die zweite Zeile einer der kurzen Inschriften nur dann, wenn
sie nicht die volle Länge der ersten erreichte, bisweilen von links nach rechts,
statt von rechts nach links geschrieben. Die längste bekannte Inschrift aus
Mohenjo-daro, auf einem dreizeiligen Siegel, ist jedenfalls nicht in Bustro
phedon geschrieben.
Bekanntlich ändert sich die Schriftrichtung so leicht, daß Verschieden
heit in dieser Hinsicht keinesfalls als Beweis gegen die Verwandtschaft zweier
Schriftsysteme gelten kann. Umgekehrt kann aber Übereinstimmung in der
Schriftrichtung unter Umständen für einen Zusammenhang zwischen zwei
Schriftarten sprechen. Natürlich wäre dies in ganz besonderem Maße bei einer
so ungewöhnlichen Zeilenanordnung wie der der Osterinsel der Fall. Und

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—> r A3'
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Abb. 10: Kleines, dreiseitiges Prisma aus Stein mit je einer einzeiligen Inschrift auf jeder
Seite, Harappä. Nach Hunter, The script of Harappä and Mohenjodaro etc. Die Zeichen
der mittleren Zeile nach abwärts gerichtet. Die Pfeile zeigen die Richtung der Schrift an.

tatsächlich stammen die einzigen Spuren einer derartigen Zeilenordnung, die


mir bisher bekanntgeworden sind, aus dem Gebiet der Indus-Schrift! Diese
Spuren finden sich in 15 Inschriften, die alle aus Harappä stammen 216 .
13 davon befinden sich auf kleinen, dreiseitigen Steinprismen. Diese Prismen
<—

AMI©
>
Abb. 11: Inschrift auf zwei Seiten eines dreiseitigen Prismas aus Stein, Harappä. Nach
Hunter, The script of Harappä and Mohenjodaro etc. Die Zeichen der beiden Zeilen
kehren einander die Füße zu. Die Pfeile zeigen die Richtung der Schrift an.

tragen auf je zwei ihrer Seiten, in einem Fall auf allen drei Seiten, je eine
Schriftzeile. Wo nur zwei Zeilen vorhanden sind, wenden einander die Zeichen
dieser Zeilen stets die Füße zu. Daraus scheint hervorzugehen, daß hier nicht
mit der unteren Zeile, wie auf der Osterinsel, sondern mit der oberen zu be-

210 Hunter, Taf. XXX, Fig. 64, 65, 66, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 79, 80, 82, 83*
Taf. XXXII, Fig. 107, Taf. XXXIII, Fig. 134.
Die Osterinselschrift. 871

ginnen ist, wobei es allerdings unklar bleibt, welche von den beiden Zeilen als
obere zu gelten hat. Beide Zeilen sind von rechts nach links zu lesen, so daß
man also, vorausgesetzt, daß es sich um zusammenhängende Texte handelt,
wenn man am Ende der ersten Zeile angelangt war, den Gegenstand um
180 Grad drehen und die zweite Zeile in der gleichen Richtung weiterlesen
mußte — geradeso wie auf der Osterinsel (Abb. 10, 11). Auf einem Siegel,
das eine Inschrift von drei Zeilen trägt, wenden einander die Schriftzeichen

Abb. 12: Siegel, Harappä. Nach Hunter, The script of Harappä and Mohenjodaro etc.
Die Pfeile zeigen die Richtung der Schrift an. Die Zeichen der unteren Zeile nach abwärts
gerichtet.

zweier Zeilen wiederum, wie auf den Osterinseltafeln, die Füße zu, nur sind
hier die beiden einander parallelen Zeilen durch eine dritte verbunden, so daß
man das Siegel, wenn man die Inschrift lesen wollte, zweimal um je 90 Grad
drehen mußte (Abb. 12). Schließlich trägt eine kleine Tontafel eine zwei-

Abb. 13: Kleine Tontafel aus Harappä. Nach G. R. Hunter, The Script of Harappä and
Mohenjodaro and its Connection with other Scripts. Studies in the History of Culture.
London: «Kegan Paul, Trench, Trubner & Co., Ltd. No. 1. Plate XXXII, 107 f. Die Zeichen
der beiden Zeilen kehren einander die Füße zu.

zeilige Inschrift, deren Zeichen einander die Füße zuwenden (Abb. 13). Aller
dings soll nach Hunter in diesem Fall die obere Zeile von links nach rechts,
die untere (nachdem man das Plättchen umgedreht hat) von rechts nach links
zu lesen sein. Die Richtung scheint mir jedoch in diesem Fall keineswegs ein
wandfrei festzustehen, und ich möchte auch hier die Bustrophedonlesung,
ähnlich wie bei den anderen angeführten Inschriften, für wahrscheinlicher
halten. Jedenfalls ist diese Übereinstimmung zwischen der Osterinsel und
Harappä in bezug auf eine so ungewöhnliche Anordnung der Zeilen eine
starke Stütze für Hevesy’s Ansicht von der Verwandtschaft der beiden
Schriften.
Auf Grund neuer, erst im Laufe der letzten Jahre veröffentlichter Funde,
die Hevesy noch nicht kannte, konnte ich eine weitere und, wie mir scheint,
besonders merkwürdige Übereinstimmung zwischen einem Schriftzeichen von
872 Robert von Heine-Geldern,

der Osterinsel und einem solchen der Indus-Schrift feststellen (Abb. 14). Für
diejenigen, die an der Vergleichung zweier durch Jahrtausende getrennter
Schriften Anstoß nehmen, verweise ich auf das unten (S. 890 f.) Ausgeführte.

a b c

Abb. 14: a) Osterinsel, Tafel Aruku Kurenga, Vorderseite, vierte Zeile von unten;
b) Harappä. Nach Hunter, The script of Harappä and Mohenjodaro etc.; c) Mohenjo-daro.
Nach Annual Reports of the Archaeological Survey of India for the years 1930—1934.

Ich betone nochmals, daß von einer unveränderten Übernahme der


Schrift nicht im entferntesten die Rede sein kann. Hevesy hat auch bestimmt
recht, wenn er eine direkte Ableitung der Osterinselschrift von der Indus*
Schrift ablehnt und vielmehr annimmt, daß beide auf eine gemeinsame Urform
zurückgehen 217 . Ob, wie Hevesy meint, die Olsterinselschrift dieser Urform
tatsächlich näher steht als die Indus^Schrift, läßt sich beim gegenwärtigen
Stand unseres Wissens nicht entscheiden.

B. China.
Archäologische Untersuchungen, die ich im Laufe der letzten Jahre
unternommen hatte, ergaben immer wieder die Herkunft der ozeanischen Kul
turen, besonders der Kulturen Polynesiens, aus dem Gebiet des heutigen
China, sei es, daß sie direkt von China aus, sei es, daß sie auf dem. Umweg
über Hinterindien und Indonesien in die Südsee gelangt sind 218 . Es lag nahe,
zu vermuten, daß auch die Osterinselschrift oder, richtiger, jene Schriftform,
von der sie abgeleitet sein muß, auf dem. Wege über China nach Polynesien
gelangt ist. Eine daraufhin angestellte Untersuchung ergab tatsächlich eine
ganze Reihe von auffallenden Ähnlichkeiten zwischen frühen chinesischen
Schriftzeichen und solchen der Indus-Schrift sowohl als der Osterinsel
schrift 219 . Leider ist von der umfangreichen neueren Literatur über früh-
chinesische Schrift in Wien nur sehr wenig vorhanden, und der Krieg in China
hat es mir unmöglich gemacht, das für die Fortführung der Untersuchung
unbedingt nötige Material zu beschaffen. Ich beschränke mich deshalb vor-

217 Hevesy, Osterinselschrift und Indus-Schrift, 672.


218 Heine-Geldern, Urheimat und früheste Wanderungen der Austronesier,.
„Anthropos“ XXVII (1932), 556—619; Prehistórica! research in Indonesia, Annual
Bibliography of Indian Archaeology IX (1936), 35—36.
219 Bei dieser Untersuchung hat mich Frau Anna von Rottauscher, Wien, in
der liebenswürdigsten Weise unterstützt. Auf meine Bitte hat sie die erste Durchsicht
älterer chinesischer Schriftzeichen auf Ähnlichkeiten mit solchen der Indus-Schrift und der
Osterinselschrift hin vorgenommen und die meisten der in Abb. 15 wiedergegebenen
Entsprechungen sind von ihr gefunden worden. Ich möchte ihr hierfür auch an dieser
Stelle aufrichtig danken.
Die Osterinselschrift. 873

Abb. 15: a) Indus-Schrift; b) Osterinsel; c) China.

Abb. 16: a) Indus-Schrift; b) China.


S74 Robert von Heine-Geldern,

läufig darauf, aus der Zahl der bisher gefundenen Entsprechungen einige Bei
spiele ohne weitere Erklärung abzubilden (Abb. 15, 16) 220 . Die Bedeutung
der Indus-Zeichen ist uns ausnahmslos, die der Osterinselzeichen in beinahe
allen Fällen unbekannt. Ich habe deshalb auch auf die Angabe der Bedeutung
der chinesischen Zeichen verzichtet, um so mehr, als sie in manchen Fällen
umstritten ist. Aber gerade angesichts dessen, daß nur von sehr wenigen der
hier in Betracht kommenden Osterinselzeichen die Bedeutung bekannt ist (die
meisten dieser Zeichen sind in Jaussen’s Liste nicht enthalten), ist es bemer
kenswert, daß in einer Reihe von Fällen, in denen Formähnlichkeit besteht,
sich auch Gleichheit oder wenigstens Ähnlichkeit der Bedeutung feststellen

a b c

Abb. 17: a—>b) Varianten des Osterinselzeichens für ua (Regen) und garu (Welle);
c) chinesisches Zeichen für shui (Wasser).

läßt. Einige Beispiele hiefür zeigen die Abb. 17 und 18. Gewiß Will es nicht
viel besagen, daß beinahe identische Schriftzeichen in China „Wasser“, auf
der Osterinsel „Regen“ oder „Welle“ bedeuten. Die Darstellung des Wassers
durch drei Wellenlinien ist naheliegend und findet sich in einer Reihe alter
Schriften. Auffallend ist dagegen die Übereinstimmung des Osterinselzeichens

a b

Abb. 18: a) Osterinsel, pa (Einzäunung, Wall, umgeben, einschließen); b) China, huan


(Ring, umringen).
für pa (Einzäunung, einzäunen) mit dem chinesischen für huan (Ring, um
ringen, umgeben). Würde es sich in beiden Fällen bloß um einen Ring
handeln, so wäre diese Übereinstimmung natürlich ganz belanglos. Die Dar
stellung des gleichen Begriffes in beiden Fällen durch zwei Ringe ist jedoch
keineswegs selbstverständlich.
Abb. 19 zeigt verschiedene Varianten des chinesischen Zeichens für
shan (Berg). Die ihnen gegenübergestellten Zeichen der Indus-Schrift sind,
wie Hunter nachgewiesen hat, alle bloß Varianten eines und desselben Zei
chens, haben also jedenfalls alle die gleiche Bedeutung 221 . Ob diese Bedeu
tung ebenfalls „Berg“, „Gebirge“ oder ein anderer verwandter Begriff war,
220 Die Zeichen der Indus-Schrift sind dem Werke von Sir John Marshall,
Mohenjodaro and the Indus Civilization (London 1931) sowie dem oben zitierten Buch
von Hunter, die chinesischen Schriftzeichen teils dem Shuo-wen, teils verschiedenen
Knochen- und Bronzeinschriften entnommen. Genaue Quellennachweise sowohl für die
chinesischen Schriftzeichen wie für die der Osterinsel werde ich bei anderer Gelegen
heit bringen.
221 Hunter, 116, 180.
Die Osterinselschrift. 875

wissen wir natürlich nicht, aber es ist doch recht wahrscheinlich und auch
schon verschiedentlich vermutet worden 222 . Die Ähnlichkeit verschiedener
Varianten des Osterinselzeichens -für henua (Erde, Land) mit solchen des
chinesischen Zeichens für shan (Berg) ist schlagend. Nun wurde bekanntlich
in manchen altorientalischen Schriftsystemen der Begriff „Land“ durch Berg-

Abb. 19: a) Varianten eines Zeichens der Indus-Schrift; b) China, Varianten des Zeichens
shan (Berg); c) Osterinsel, Varianten des Zeichens henua (Land, Erde).

Zeichen ausgedrückt. So bedeutet in der frühsumerischen Schrift ein aus drei


Bergzeichen zusammengesetztes Schriftzeichen sowohl „Berg“ als „Land“, in
der ägyptischen Hieroglyphenschrift ein ebenfalls aus drei Bergen bestehendes
Zeichen „fremdes Land“. Man wird sich demnach fragen dürfen, ob nicht
auch in der chinesischen Schrift oder ihrer Vorstufe das gleiche Zeichen ur
sprünglich sowohl „Berg“ als „Land“ bedeuten konnte. Anderseits wäre es
2212 C. J. Gadd und S. Langdon bei Marshall, II, 408, 409, 440. — Hunter, 116.
— P. Meriggi, Zur Indus-Schrift, Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesell
schaft LXXXVII (1934), 214.
Anthropos XXXIII. 1938. 9
876 Robert von Heine-Geldern,

vollkommen begreiflich, wenn ein Zeichen für „Berg“ in Polynesien die Be


deutung „Land“ angenommen hätte. Tatsächlich bestehen ija manche ostpoly-
nesische Inseln, wie etwa die Marquesas, bloß aus unmittelbar aus dem Meere
auf ragenden Bergen.
Dieser Versuch einer Ableitung des /z£/z//ß-Zeichensi von einem alten
chinesischen Zeichen steht mit der Erklärung, die ich oben (S. 859 ff.) von dem
gleichen Zeichen zu geben versucht habe, wonach es ein Bild der Erde mit der
Unterwelt und den Himmelsstützen wäre, keineswegs in Widerspruch. Im
Gegenteil, gerade wenn die drei vertikalen Striche so wie beim chinesischen
Zeichen für shan ursprünglich Berge darstellten, ist ihre Auffassung als Him
melsstützen erst recht verständlich. Es wäre ja auch durchaus möglich, daß
die zugrunde liegende Vorstellung vom Weltbau keineswegs erst in der Südsee
entstanden, sondern bereits von den Vorfahren der Ostpolynesier bei ihrer Ein
wanderung mitgebracht worden ist.
Natürlich genügen die hier versuchten Vergleiche noch keineswegs, um
eine Verwandtschaft der chinesischen Schrift einerseits mit der Indus-Schrift,,
anderseits mit der Osterinselschrift mit Sicherheit nachzuweisen, aber sie lassen
eine solche Verwandtschaft wenigstens als möglich erscheinen. Selbst wer die
Vergleiche zwischen den einzelnen Zeichen nicht wird gelten lassen wollen,
wird doch das Vorhandensein gewisser formaler Ähnlichkeiten, Ähnlichkeiten
des äußeren Stils, zugeben müssen, die einfach zu übersehen oder geringzu
schätzen meiner Ansicht nach ein großer Fehler wäre.
Im übrigen halte ich es für äußerst unwahrscheinlich, daß die Oster
inselschrift etwa von der chinesischen Schrift der Shang-Zeit abstammen sollte,
wie wir sie von den Knochen- und Bronzeinschriften kennen. Dagegen glaube
ich gute Gründe für die Vermutung zu haben, daß sie von einer südchine
sischen Schrift abgeleitet ist, die mit der Shang-Schrift Nordchinas gleichzeitig
und verwandt gewesen sein muß - 23 . Oisterinselschrift und chinesische Schrift
würden, wenn meine Vermutung zutrifft, nicht deszendental, sondern kollateral
verwandt sein und von einer gemeinsamen Urform abstammen. Daß diese
Urform der Indus-Schrift, der chinesischen Schrift und der Osterinselschrift
in Ostasien entstanden ist, wie Hevesy meint2 224 , halte ich allerdings für nahe
23

zu ausgeschlossen. Ihre Heimat wird wohl viel eher in Zentralasien oder in


Iran zu suchen sein.
Es schien mir wünschenswert, wenigstens einen Teil meiner bisherigen
Ergebnisse hier vorzulegen, auf die Gefahr hin, mich heftigster Kritik von
sinologischer Seite auszusetzen. Eine solche Kritik würde mich schon ange
sichts des sehr unzulänglichen Materials, das mir in Wien für China zur Ver
fügung stand, keineswegs überraschen. Aber vielleicht werden doch Berufenere
den hier angeknüpften Faden aufgreifen und weiterspinnen. Im übrigen haben
mich die folgenden Tatsachen und Erwägungen zu diesem vielleicht allzu kühn
erscheinenden Unternehmen ermutigt.
223 Die Begründung dieser Vermutung muß ich mir für eine andere Gelegenheit
Vorbehalten, da ich das dafür nötige Beweismaterial infolge des Krieges in China nicht
beschaffen konnte.
224 Hevesy, Osterinselschrift und Indus-Schrift, 672.
Die Osterinselschrift. 877

Man kann sich wohl zur Not vorstellen, daß formal nicht fest geprägte
Gedankenschriften, wie es etwa jene nordamerikanischer Indianer sind, bei
verschiedenen Völkern unabhängig voneinander entstehen konnten. Dagegen
widerspräche die Annahme einer selbständigen Entstehung einer in feste
Form gebrachten wirklichen Schrift — und das ist die Osterinselschrift allen
gegenteiligen Behauptungen zum Trotz — aller ethnologischen Erfahrung.
Wenn sie nicht von anderswoher übernommen ist, so müßte ihre Erfindung
durch Bekanntschaft mit einem anderen Schriftsystem angeregt worden
sein 225 . Nun kommen als Herkunftsgebiete für eine solche den Vorfahren der
Polynesier bekannt gewordene Schrift nur Indien und China in Betracht. Eine
Übertragung von Indien her, die natürlich in vorarischer Zeit stattgefunden
haben müßte, ist aber, wie die archäologische und ethnologische Analyse der
Kulturen Südostasiens und Ozeaniens zeigt, ganz außerordentlich unwahr
scheinlich. Es besteht daher von vornherein eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit
dafür, daß die Osterinselschrift aus China nach Polynesien gelangt ist.
Dazu kommt aber noch, daß eine Herkunft der Osterinselschrift aus. dem
China des 2. Jahrtausends v. Chr. ausgezeichnet zu einer ganzen Reihe von
Tatsachen archäologischen und ethnologischen Charakters stimmen würde. So
gibt es im Neolithikum Südchinas Steinbeile, deren Formen denen der hoch
spezialisierten Stufen- und Stufenschulterbeile Ostpolynesiens vollkommen
gleich sind 226 . Die Kunst der Marquesas-Inseln, die von aller übrigen polyne-
sischen Kunst so vollkommen verschieden ist, zeigt so unglaublich starke
Übereinstimmungen mit der chinesischen Kunst der Shang- und frühen Chou-
Zeit, daß an einem engen Zusammenhang überhaupt nicht zu zweifeln ist 227 .
Aber auch in den Zeitrechnungssystemen mehrerer Inseln Polynesiens,
darunter auch der Osterinsel, lassen sich sehr merkwürdige Übereinstimmungen
mit dem chinesischen System feststellen. So berichtet Mrs. Routledge über die
von Tomenika rezitierten Texte der einstigen tau-Tafeln:
’„When we subsequently went with our escort into the meaning of the
words, it was found that the latter half of each phrase generally consisted of
one of the lower numericals preceded by the word tan, or year — thus ,the
year four 4 , ,the year five 4 , &c.; the numbers, roughly speaking, ran in order
of sequence up to ten, recommencing with each line. The first part of the
phrase was generally said to be the name of a man. Happily, one of the most
reliable old men, Kapiera by name, had at one time lived with Tomenika, who

225 Diese Erkenntnis hat seinerzeit schon Bastian und Haberlandt zu der, wie
wir heute wissen, irrigen, aber auf grundsätzlich richtigen Erwägungen beruhenden Ver
mutung veranlaßt, daß die Osterinselschrift erst unter dem Eindruck der Bekanntschaft
mit europäischer Schrift entstanden sei. Vgl. Bastian, 85, und Haberlandt, Über
Schrifttafeln usw., 101.
226 C. M. Heanley and J. L. Shelleshear, A contribution to the prehistory of
Hong kong and the New Territories, Praehistorica Asiae Orientalis I (1932), 64, Taf. III.
— D. J. Finn, Archaeological finds on Lamma Island near Hong Kong, The Hong Kong
Naturalist IV (1933), 138—'140, Taf. 19. — Heine-Geldern, Urheimat usw., 579—582;
Prehistorical research in Indonesia, 36 und die Karte Fig. 8.
227 Heine-Geldern, L’art prébouddhique de la Chine et de l’Asie du Sud-Est et
son influence en Océanie, Revue des Arts Asiatiques XI (1937), 180—184.
9‘
878 Robert von Heine-Geldern,

was said to have been in those days always busy writing; and he was able to
explain the general bearing of the tau. When a koro was made in honour of
a father, an expert was called in to commemorate the old man’s deeds, ,how
many men he had killed, how many chickens-he had stolen 4 , and a tablet was
made accordingly. There was, in addition, a larger tablet containing a list of
this lesser ones, and giving merely the name of each hero and the year of his
koro. It would read somewhat thus, James the year four, Charles the year
• five 4 , and so forth, going up to the year ten, when the numbers began again.
If there were two koro in a year, they came under the same numeral. It was
this general summary which had been recited by Tomenika, and, though there
was a certain amount of confusion, each line seems to have represented a
decade 228 . 44

Also eine Zeitrechnung nach Zehnjahrzyklen, wobei jedes Jahr der Reihe
nach mit der laufenden Nummer bezeichnet wurde! Eine solche Zeitrechnung
nach Zehnjahrzyklen ist meines Wissens sonst aus Polynesien nicht bekannt.
Sie steht auch in Widerspruch zur polynesischen Geistesrichtung und Welt
anschauung, die zwar allergrößtes Gewicht auf die Geschlechterfolge und die
Ahnenreihe legt, nicht aber auf das absolute Zeitmaß. Vor allem paßt sie gar
nicht in den doch verhältnismäßig primitiven Rahmen der Osterinselikultur
und gibt sich deutlich als fremder Einschlag aus irgendeiner Hochkultur zu
erkennen.
Die Rechnung nach Dekaden, und zwar sowohl nach Zehnjahr- wie nach
Zehnmonat- und Zehntagezyklen, wobei die jeweiligen Einheiten mit der lau
fenden Nummer bezeichnet werden, ist typisch chinesisch und bildet noch heute
eine der beiden Grundlagen des chinesischen Zeitrechnungssystems, in dem
die Reihe der zehn kan zusammen mit der der zwölf chi zur Bildung 60jäh-
riger, öOmonatiger und öOtägiger Perioden verwendet wird. Aus zahlreichen
Knocheninschriften, die man an der Stelle der letzten Elauptstadt der Shang-
Dynastie bei An-yang in der Provinz Ho-nan gefunden hat, geht hervor, daß
die Zählung der Tage nach den zehn kan und den zwölf chi bereits im 2. Jahr
tausend v. Chr. üblich war. Es gab sowohl öOtägige, durch die gleichzeitige
Verwendung der beiden Reihen gebildete Perioden, als auch einfache Zehn
tagezyklen. Nach der Ansicht Tung I so-Pins bildete die Zählung nach den
zehn kan die eigentliche Grundlage der damaligen Zeitrechnung. Das äußert
sich z. B. auch darin, daß man am letzten Tag der Dekade das Orakel über die
kommende Dekade zu befragen pflegte. Auf einem von Anna Bernhardi ver
öffentlichten Knochenkalender aus An-yang, der kan und chi vereint enthält, ist
bezeichnenderweise nach den Zehntage-, nicht aber nach den Zwölffagezyklen
ein Trennungszeichen angebracht 229 . Daß von der Osterinsel bloß von einem

2 '2S Routledge, 251. Vgl. auch oben, S. 854, den Text der Tafel, die anläßlich des
koro für einen Mann namens Kao angefertigt worden war und die die Zeitangabe „Jahr
neun“ enthält.
229 L. C. Hopkins, Chinese writing in the Chou dynasty in the light of recent
discoveries, Journal of the Royal Asiatic Society 1911, 1030, Taf. VI; Pictographic re
connaissances, ebenda 1922, 63—64. — A. Bernhardi, Frühgeschichtliche Orakelknochen
aus China, Baeßler-Archiv IV (1914), 22—23. — Tung Tso-pin, Pu-t’sih-chung so hsien-
Die Osterinselschrift. 879

Zehnjahrzyklus berichtet wird, nicht aber von dem im heutigen China mit ihm
kombinierten Zwölfjahrzyklus, spricht demnach nicht gegen die chinesische
Herkunft dieser Zeitrechnung.
Auch eine Spur der Rechnung nach Zwölf j ährzyklen, und zwar mit noch
deutlicheren Anzeichen chinesischer Herkunft, hat sich in Polynesien erhalten.
Die Moriori der Chatham-Inseln hatten Zyklen von zwölf Jahren, wobei jedes
dieser Jahre einen eigenen Namen führte. Was oben von der Fremdartigkeit
der Zehnjahrzyklen der Osterinsel innerhalb der polynesischen Kultur gesagt
wurde, gilt natürlich auch von diesen Zwölfj ahrreihen der Moriori. So hat sie
denn auch schon Shand, dem wir ihre Kenntnis verdanken, als eine Spur asia
tischen Hochkultureinflusses aufgefaßt 230 . Ein solcher Einfluß könnte sowohl
auf China wie auch auf Indien mit seinen zwölfjährigen Jupiterperioden zu
rückgeführt werden. Angesichts der immer wieder festzustellenden Beziehun
gen Polynesiens zum vor- und frühgeschichtlichen China ist die chinesische
Herkunft natürlich von vornherein weitaus wahrscheinlicher. Sie wird aber
beinahe zur Gewißheit durch eine merkwürdige Erzählung der Moriori, die
Shand mitteilt. Danach seien die zwölf Jahre und zwölf Monate in einer heute
ausgestorbenen Pflanze namens arapuhi enthalten gewesen. Diese: Pflanze
„was alleged to have some peculiarities in the formation of its branches, front
which they derived the idea of the twelve years and twelve months in euch
year“. Das .heißt offenbar, daß die zwölf Monate des Jahres und die zwölf
Jahre des Zyklus als Zweige einer Pflanze aufgefaßt wurden. Ich erinnere
daran, daß in China die Glieder des Zwölftage-, Zwölfmonate- und Zwölfjahre
zyklus als die zwölf chi, d. h. die zwölf „Zweige“ bezeichnet werden!
Das Auftreten von Bruchstücken des chinesischen Zeitrechnungssystems
einerseits auf der Osterinsel, anderseits auf den Chatham-Inseln, also an den
entgegengesetzten Enden des polynesischen Gebietes, erhält seine richtige Be
deutung aber erst durch die zahlreichen, ganz besonderen Übereinstimmungen,
die gerade zwischen den Kulturen dieser so weit voneinander entfernten Inseln
bestehen. Diese Übereinstimmungen sind zum Teil schon von Balfour und
Skinner hervorgehoben worden. Sie erstrecken sich auf die Form der zuge
hauenen Steinwerkzeuge und Steinwaffen (auf den Chatham-Inseln aus Silex,
auf der Osterinsel aus Obsidian, in beiden Fällen mata genannt), auf einen
bestimmten, aus Polynesien sonst nicht bekannten Steinbeiltypus, auf die
Keulenformen, auf das Vorkommen steinerner Angelhaken und vor allem auf
die plastische Darstellung des menschlichen Körpers in Holz (auf den
Chatham-Inseln auch in Bimsstein) mit stark hervortretenden Rippen 231 .

ehih Yin-li (Der Kalender der Yin, wie er uns in den Orakelknochen erscheint), Pre-
liminary Reports of Excavations at An-yang III (Peiping 1931), 488. — J. M. Menzies,
The culture of the Shang Dynasty, Annual Report of the Board of Regents of the Smith-
sonian Institution 1931, 533. — W. Eberhard, Bericht über die Ausgrabungen bei An
yang, Ostasiatische Zeitschrift XVIII (1932), 12.
230 Alexander Shand, The Moriori People of the Chatham Islands, Journal of
the Polynesian Society VII (1898), 85—86.
231 H. Balfour, Some ethnological suggestions in regard to Easter Island, Folk-
Lore XXVIII (1917), 358—360. —< H. D. Skinner, The Morioris of Chatham Islands,
Memoirs of the Bernice P. Bishop Museum IX (1923), 65—66, 93, 99, 130—132, Taf. IV,
880 Robert von Heine-Geldern,

Man gewinnt aus all dem den Eindruck, daß sich auf diesen entlegensten In
seln Polynesiens, der Osterinsel und den Chatham-Inseln, manches erhalten
hat, was im übrigen Polynesien infolge späterer Wanderungen und Entwick
lungen verschwunden ist. Daß sich unter diesen Kulturresten in Gestalt der
Zehnjahrzyklen der Osterinsel, der Zwölfjahrzyklen der Chatham-Inseln auch
Spuren chinesischen Einflusses befinden, scheint mir für die Frage der Her
kunft der Osterinselschrift von besonderer Bedeutung zu sein.
Spuren der so sehr an China erinnernden Zeitrechnung nach Dekaden
gab es in Polynesien auch außerhalb der Osterinsel. So hatte man auf Hawaii
und auf Niue zehntägige „Wochen“ 232 . Auf den Marquesas-Inseln rechnete
man nach Zeitabschnitten von zehn Monaten, die puni oder tau (Jahr) genannt
wurden. Daneben gab es aber auch Jahre von zwölf Monaten. Sie hießen mit
dem Namen der Pleiaden mata-iki 233 . Hier gab es also, wie in China, neben
einander Zeitabschnitte von zwölf und von zehn Monaten. Allerdings scheinen
diese auf den Marquesas nicht wie in China miteinander kombiniert worden
zu sein.

Es ließe sich noch manches beibringen, was auf alte Verbindungen Ost
polynesiens mit China hinweist — ich erinnere etwa an die Knotenschnüre
Ostasiens, Hawaiis und der Marquesas-Inseln 234 —, aber die angeführten Tat
sachen dürften vorläufig genügen. Meiner Ansicht nach handelt es sich bei allen
angeführten Erscheinungen um Reste einer alten vorpolynesischen Kultur Ost
polynesiens, die direkt aus China, vermutlich aus Südchina, in die Südsee ein
gedrungen und dort später von den eigentlichen Polynesiern überlagert und
weitgehend verdrängt, in geringerem Maß von ihnen übernommen worden ist.
Diese Annahme würde viele Unterschiede zwischen west- und ostpolynesisichen
Kulturen zwanglos erklären. Sie steht aber auch nicht in Widerspruch mit
der polynesisehen Überlieferung, die ja für eine ganze Reihe von Inseln das
Vorhandensein einer vorpolynesischen Bevölkerung mehr oder weniger deutlich
erkennen läßt 235 . Die Periode, innerhalb deren diese alte ostpolynesische
Kultur vom asiatischen Festland abgewandert sein muß, läßt sich auf Grund
des Vergleiches der marquesanischen Kunst mit der chinesischen wenigstens
in den gröbsten Zügen abstecken. Diese Abwanderung hat höchstwahrschein
lich noch im 2. Jahrtausend v. Chr., auf alle Fälle aber zwischen 1800 und

XXVI. — Stephen Chauvet, L’île de Pâques et ses mystères (Paris 1935), 32—33.
Vgl. auch Thomson, Taf. LII, Fig. 3, und LUI, Fig. 1, 2, mit Skinner, 107, Fig. 32 c.
232 E. M. Loeb, History and traditions of Niue, Bernice P. Bishop Museum, Bull.
XXXII (Honolulu 1924), 188.
233 Handy, The native culture in the Marquesas, 350—351. — Robert W. Wil
liamson, Religious and cosmic beliefs of Central Polynesia (Cambridge 1933), I,
174—175.
234 Handy, The native culture in the Marquesas, 342. — Jensen, 129. — H. G.
Creel, Studies in early Chinese Culture (Baltimore 1937), 33.
235 Vgl. z. B. J. F. G. Stokes, An evaluation of early genealogies used for Poly
nesian history, Journ. of the Polynesian Soc. XXXIX (1930), 38—40. Es scheint mir ganz
verfehlt, die vorpolynesische Bevölkerung Polynesiens, wie das so oft geschieht, in
Bausch und Bogen für „melaneaisch“ zu halten.
Die Osterinselschrift. 881

'600 v. Chr. stattgefunden 236 . Innerhalb dieser Periode müßte also auch die
Osterinselschrift, wenn sie — wie ich vermute — aus China gekommen ist, in
die Südsee gelangt sein.
Man wird mir entgegenhalten, daß die Beschränkung der Schrift auf die
Osterinsel und ihr völliges Fehlen im übrigen Polynesien meiner Hypothese
widerspricht. Ich glaube, daß der Grund für diese Erscheinung in erster Linie
in der Überflutung Ostpolynesiens durch die aus Westen gekommenen eigent
lichen Polynesier im Laufe des 1. Jahrtausends n. Chr. zu suchen ist. Die von
mir vermutete vorpolynesische Kultur, die in mancher Hinsicht höher gewesen
sein dürfte als die eigentlich polynesische, hat sich auf den einzelnen Inseln
in ganz verschiedenem Maße erhalten. So fanden sich zur Zeit der Entdeckung
die alten ostpolynesischen (ursprünglich südchinesischen) Steinbeilformen,
Stufen- und Stufenschulterbeil, noch auf beinahe allen Inseln Ostpolynesiens
— wahrscheinlich deshalb, weil die breite Masse der unterworfenen Bevölke
rung die altgewohnten Arbeitsmethoden und Werkzeuge beibehielt. Dagegen
hat sich die alte Kunst nur auf den Marquesas erhalten, die Zeitrechnung in
Bruchstücken auf einzelnen Inseln und Inselgruppen. Daß auch die Schrift
beinahe vollkommen verdrängt wurde, mag in erster Linie in der Vernichtung
ihrer eigentlichen Träger, der bisherigen Oberschicht (Adelige und Priester)'
durch die erobernden Polynesier seine Ursache haben. Die rituellen Gepflogen
heiten der Polynesier mögen der Grund dafür gewesen sein, daß sie die Schrift
nicht selbst in größerem Ausmaß übernommen haben. Ich möchte als Analogie
auf die Vorgänge bei der Eroberung Indiens durch die Arier hinweisen. Daß
diese bei ihrer Einwanderung in Indien eine Schrift vorfanden, kann heute
wohl nicht mehr bezweifelt werden 237 . Aber wie lange hat es gedauert, bis
sie die Scheu vor der schriftlichen Fixierung der mündlich überlieferten hei
ligen Texte überwunden haben! Eine ähnliche Scheu kann sehr gut auch bei
den Priestern der Polynesier vorhanden gewesen sein. Welcher glückliche Um
stand gerade die polynesischen Vorfahren der Osterinsulaner veranlaßt hat,
die Schrift zu übernehmen und bei ihrer Wanderung nach der Osterinsel dort
hin zu verpflanzen, entzieht sich natürlich unserer Kenntnis, Vielleicht hatten
.sie sich in stärkerem Alaße mit der früheren Bevölkerung vermischt. Jedenfalls
verdanken wir aber gerade der isolierten Lage der Osterinsel das Fortleben
der Schrift bis auf unsere Tage.
Im übrigen erscheint es durchaus nicht ausgeschlossen, daß sich Reste
von Schriftkenntnis und Schriftübung auch in anderen Teilen Ozeaniens noch

236 Für eine Begründung dieser Daten siehe Heine-Geldern, L’art prebouddhique
de la Chine etc. Die das 9. bis 7. Jahrhundert v. Chr. umfassende Endperiode der oben
angegebenen Zeitspanne kommt nur unter der Voraussetzung in Betracht, daß die vor
polynesische Kultur Ostpolynesiens aus Südchina stammt, wo sich der Stil der Shang-
und frühen Chou-Zeit wahrscheinlich bis ins 8. und möglicherweise bis ins 7. Jahrhundert
v. Chr. erhalten hat. Bei einer Herkunft aus Nordchina wäre das 10. Jahrhundert das
späteste überhaupt mögliche Datum, da der frühe Chou-Stil dort, wie Karlgren nach-
gewiesen hat, bereits um 950 v. Chr. verschwunden ist.
237 Außer der Indus-Schrift oder einer von ihr abgeleiteten Schriftart haben die
-Arier, wie ich demnächst zu zeigen hoffe, vielleicht auch schon die semitische Schrift in
¡Indien vorgefunden.
882 Robert von Heine-Geldern,

durch längere Zeit erhalten haben und erst sipät erloschen sind. Auf die Silben
schrift von Uleai allerdings 238 möchte ich vorläufig nicht sehr viel Gewicht,
legen, da es ja immerhin möglich wäre, daß sie erst unter dem Eindruck der
europäischen Schrift erfunden worden ist. Dagegen scheinen mir die Über
lieferungen der Maori über den einstigen Besitz einer Schrift durchaus Be
achtung zu verdienen 239 . An und für sich wäre es sogar denkbar, daß sich
alteinheimische Schriften da oder dort in Ozeanien bis in europäische Zeit
•erhalten hätten und geradezu unter den Augen der europäischen Entdecker
erloschen wären — ohne bemerkt oder ohne beachtet zu werden. Die Oster
inselschrift selbst bietet uns dafür den besten Beweis. Weder ihre erste Ent
deckung durch die Spanier im Jahre 1770 noch die zweite Entdeckung durch
Eyraud im Jahre 1864 ist auch nur im geringsten beachtet worden. Hätte
nicht der Bischof Jaussen ihre Bedeutung erkannt und sofort mit aller Energie
eingegriffen, um zu retten, was noch zu retten war, so hätten wir wahrschein
lich nie etwas von der Existenz einer Schrift auf der Osterinsel erfahren! Die
wenigen noch vorhandenen Tafeln wären unbeachtet zugrunde gegangen und
den nachträglichen Erzählungen der Eingebornen über den einstigen Besitz
einer Schrift hätte man kaum Glauben geschenkt. Obwohl seit 1864 ständig
Missionäre oder Kolonisten unter den wenigen hundert Osterinsulanern gelebt
haben, obwohl Thomson und andere Reisende sich bemüht haben, alle noch
erreichbaren Nachrichten über die vermeintlich seit Jahrzehnten erloschene
Schrift einzuziehen, hat niemand auch nur eine Ahnung davon gehabt, daß
auf der Insel noch ein Mann lebte, der die alte Schrift zu schreiben verstand.
Ja, wäre Mrs. Routledge im Jahre 1914 auch nur um wenige Wochen später
gekommen, so hätte sie Tomenika nicht mehr am Leben gefunden und wir
hätten wahrscheinlich nie etwas von der Existenz der taß-Schrift erfahren —
jener Schrift, von der heute außer Mrs. Routledge’s allzu kurzem Bericht
bloß ein einziges glücklich gerettetes Blatt Papier Zeugnis ablegt.
Man muß die geringe Zahl der Schriftkundigen bedenken, um zu er
messen, wie rasch unter Umständen eine etwa vorhandene Schrift verschwinden
konnte. Die oben erwähnte Silbenschrift von Uleai verstanden zur Zeit von
Macmillan Brown’s Besuch nur fünf Männer zu schreiben. Die fßß-Schrift
soll in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, also noch vor dem peruanischen
Überfall, bloß drei Männern bekannt gewesen sein. Einer davon war Tomenikas
Pflegevater und Lehrer, er starb aber, bevor Tomenika sämtliche Zeichen ge
lernt hatte. Die Kunst, ¿Aß-Tafeln anzufertigen (siehe oben, S. 848 f.), soll —
vermutlich um die Mitte des 19. Jahrhunderts — bloß ein Meister verstanden
haben, der sie dann wieder einen Schüler lehrte 240 . Das bedeutet, daß unter
Umständen der Tod eines einzigen Mannes das Erlöschen eines ganzen Schrift
oder Literaturzweiges zur Folge haben konnte. Dadurch, daß die wahrschein

2:58 J. Macmillan Brown, A new Pacific Ocean script, Man XIV (1914), 89—91.
239 T. W. Downes, History of Ngati-kahu-ngunu, Journ. of the Polynesian Soc.
XXIII (1914), 112; Notes on incised designs seen in a cave near Waverley, ebenda XXXIV
(1925), 257. — H. T. Wöatahoro and S. Percy Smith, The lore of the Whare-Wananga»
ebenda XXIV (1915), 16, 53.
240 Routledge, 248, 252. — Macmillan Brown, 90.
Die Osterinselschrift. 88?

lieh bloß einige Dutzend Angehörige umfassende Klasse der tangata rongo-
rongo infolge des peruanischen Überfalls und der darauffolgenden Epidemien
zugrunde ging, ist die Kenntnis der Osterinselschrift (mit Ausnahme der tau-
Schrift) innerhalb weniger Jahre erloschen. Wie oft mag sich Ähnliches, sei
es infolge von Kriegen, Seuchen, Springfluten, auch in vergangenen Jahrhun
derten und auf anderen Inseln ereignet haben! Das Fehlen der Schrift in Po
lynesien außerhalb der Osterinsel spricht demnach in keiner Weise gegen die
Möglichkeit einer früheren, sehr viel weiteren Verbreitung.

C. A me r ik a.

Erich Maria von Hornbostel hat in einem Artikel, in dem er Zusam


menhänge zwischen der Schrift der Cuna in Panama und der chinesischen
Schrift nachzuweisen versuchte, ganz beiläufig und, so viel ich weiß, als erster
die Vermutung ausgesprochen, daß die Osterinselschrift aus China stammen
könnte. In der gleichen Arbeit hat er auch die Ansicht geäußert, daß Oster
inselschrift und Cunaschrift verwandt seien. Er verweist besonders auf die
magische Bedeutung der Bilderschrifttexte der Cuna sowohl als jener der
Osterinsulaner, auf die Schreibweise in Bustrophedon, wobei in beiden Fällen
mit der untersten Zeile begonnen wird, sowie auch darauf, daß auch die Texte
der Cuna früher auf Holztafeln geritzt wurden 241 .
Auf den ersten Blick scheint zwischen der Schrift der Cuna und der
Osterinselschrift kaum eine Ähnlichkeit zu bestehen. Eine nähere Prüfung
ergibt jedoch bemerkenswerte Übereinstimmungen, die durchaus geeignet sind,.
Hornbostel’s Vermutung zu stützen 242 .
Genau so wie die Osterinselschrift gibt auch die Cunaschrift nicht den
ganzen Text wieder, sondern nur die wichtigsten Wörter 243 . Jedes Zeichen
entspricht also auch hiereiner ganzen Wortgruppe. Wie gelegentlich vielleicht
auch in der Osterinselschrift, so scheinen, den Abbildungen nach zu urteilen,
auch in der Cunaschrift, und zwar in viel stärkerem Maße, Elemente vor
zukommen, die nicht so sehr den Charakter festgeprägter Schriftzeichen,
als den von frei geformten Bildern fragen. Aber der Hauptsache nach liegt
auch hier zweifellos eine in feste Formen geprägte Schrift vor. Norden-
skiöld betont dies auch ausdrücklich. Obwohl jeder Medizinmann sein eigenes
System der Bilderschrift habe, das nur er selbst und seine Schüler kennen,
so bestehe doch „sufficient similarity between the writings of the different
medicine men for the bürden to be intelligible to every Indian who has occupied
himself with picture-writing. Certain symbols are always the same. The symbol
for ,river‘ is almost always identical, and so, e. g., is that for ,braizier‘, for

241 E. M. von Hornbostel, Chinesische Ideogramme in Amerika, „Anthropos“


XXV (1930), 953—960, besonders 953—954 und 959—960.
242 Für die Cunaschrift siehe: Erland Nordenskiöld, Comparative ethnographi-
cal studies VII, Part 1, Picture-writings and other documents by Néle, paramount chief
of the Cuna Indians, and Rubén Pérez Kantule, his secretary (Göteborg 1928), Part 2,
Picture writings and other documents by Néle, Charles Slater, Charlie Nelson and
other Cuna Indians (Göteborg 1930).
243 Nordenskiöld, I, 19.
884 Robert von Heine-Geldern,

certain demon habitations, &c.“ 244 . Wie aus den von Nordenskiöld mit
geteilten Texten hervorgeht, überwiegen wohl auch hier jene Zeichen, die aus
gesprochenen Schriftcharakter tragen. Bei den meisten Zeichen ist die Bild
bedeutung klar erkennbar, aber es gibt auch einige, deren Bildbedeutung, für
uns wenigstens, nicht erkennbar ist. Genau wie dies bei der Osterinselschrift
der Fall war, muß man auch bei den Cuna den Text kennen, um ihn „lesen“,
d. h. rezitieren zu können. „Although picture-writing does not render in full
the incantation or the song, it nevertheless forms an aid to memory that is not
to be despised 245 .“ Das könnte natürlich genau so von der Osterinselschrift
gesagt werden. Der allgemeine Charakter, die „innere Form“ der beiden
Schriften ist demnach beinahe identisch.
Die Cuna schreiben heute im allgemeinen auf Papier. Aber es gibt da
neben auch noch beschriebene Holztafeln, und die Cuna sagen, daß dies das
ursprüngliche Schreibmaterial gewesen sei. Die Tafeln, die Nordenskiöld
sah, waren dazu bestimmt, bei Festen in den Häusern aufgehängt zu werden.
Die Schriftzeichen sind mit Farben aufgemalt. Nach einer von Nordenskiöld
zitierten Mitteilung D. L. Gasso’s sollen jedoch die Schriftzeichen früher auf
Holztafeln geritzt worden sein 246 . Das erinnert an die Schrifttafeln der
Osterinsel.
An die Osterinselschrift erinnert auch das Schreiben in Bustrophedon
mit der Reihenfolge der Zeilen von unten nach oben. Allerdings sind bei den
Cuna die Schriftzeichen immer gleich orientiert, nicht in jeder zweiten Zeile
mit den Köpfen abwärts gerichtet wie auf der Osterinsel. Was den Beginn des
Textes betrifft, sind die Angaben Nordenskiöld’s nicht ganz eindeutig. Er
erwähnt den Beginn „at the bottom left-hand side which, according to Indian
ideas, is the proper thing“, sagt aber in demselben Absatz, nur wenige Zeilen
weiter und außerdem noch einmal an anderer Stelle, daß am rechten unteren
Eck begonnen werde, so daß die unterste Zeile von rechts nach links, die
zweite von links nach rechts zu lesen ist usw. 247 . Wahrscheinlich handelt es
sich im ersten Fall bloß um einen Schreibfehler Nordenskiöld’s, denn die von
ihm, veröffentlichten Bilderschriften beginnen — soweit nicht unter europäi
schem Einfluß die Reihenfolge der Zeilen umgekehrt, d. h. die oberste zur
ersten Zeile geworden ist — am rechten unteren Eck 248 . Auf der Osterinsel
begannen, wie ich das oben ausgeführt habe, die Texte am linken unteren Eck
der Tafeln. Wenn also auch zwischen den beiden Schriften hinsichtlich der
Leserichtung nicht unwesentliche Unterschiede bestehen, so ist doch die Über
einstimmung in bezug auf den sehr selten vorkommenden Beginn mit der
untersten Zeile, in beiden Fällen in Verbindung mit Bustrophedon, sehr
auffallend.
Das Prinzip, durch die schriftliche Fixierung an und für sich die ma
gische Wirkung zu verstärken, dürfte auf der Osterinsel ebenso eine Rolle
244 Nordenskiöld, I, 19.
245 Nordenskiöld, I, 19—20.
246 Nordenskiöld, I, 15, 16, 20; II, 23, Taf. VI, VII.
247 Nordenskiöld, I, 16, 18.
248 Nordenskiöld, II, Taf. I, VIII.
Die Osterinselschrift. 885

gespielt haben wie bei den Cuna 249 . Dagegen müssen die Schrifttexte der
Osterinsel, soweit wir über sie unterrichtet sind, inhaltlich von denen der Cuna
zum größten Teil sehr verschieden gewesen sein. Es ist sehr unwahrscheinlich,
daß Beschwörungen von Krankheitsdämonen, wie sie in den Texten der Cuna
vorherrschen, in denen der Osterinsel, wenn sie überhaupt vorkamen, eine sehr
hervorragende Stellung eingenommen haben 25 °. Ebenso wie bei den Cuna
wurden jedoch auch auf der Osterinsel Schrifttexte bei Gelegenheit der Toten
bestattung rezitiert 251 . Bei den Cuna enthalten die betreffenden Texte die Be
schreibung des Weges der Seele des Verstorbenen ins Totenland. Während die
Leiche in einem Boot zu Grabe geführt wird, rezitiert ein Priester diesen Text
nach einer Bilderhandschrift, weist dadurch der Seele den Weg und unter
richtet sie von allem, was ihr unterwegs begegnen wird. Nordenskiöld hat
eine solche Handschrift mit Inhaltsangabe veröffentlicht 252 (Abb. 25). Leider
sind wir über den Inhalt der entsprechenden Osterinseltexte nicht unterrichtet,
aber es ist natürlich durchaus möglich, daß sie in dieselbe Kategorie gehörten
wie die der Cuna. Dafür, daß sie tatsächlich Anweisungen für die Seele über
den Weg ins Totenland enthielten, könnte wohl der Bericht sprechen, den die
Eingebomen Mrs. Routledge über die Bestattung des um 1860 verstorbenen

(S, (¡85
a b

Abb. 20: a) Osterinsel, nohonga (Haus, wörtlich Sitz, Aufenthalt); b) Cuna, Zeichen für
„Haus“ (mit einem magischen Stein im Innern).

Ariki Ngaara gaben: Danach sei dessen Leiche auf drei Schrifttafeln zu Grabe
getragen worden und man habe diese Tafeln mit ihm begraben 253 .
So vollkommen verschieden auf den ersten Blick die Formen der Schrift
zeichen der Cuna von jenen der Osterinsel erscheinen, so lassen sich doch
einige, wie mir scheint, recht bedeutungsvolle Übereinstimmungen feststellen.
In dem Text Acualel kommt ein Zeichen für „Haus“ vor (Abb. 20 b) 254 , das
von den sonstigen Zeichen für „Haus“ sowohl des gleichen als auch anderer
249 Nordenskiöld, I, 19. Für die Osterinsel siehe oben, S. 847 f., über die Tafel
ko-hau-o-te-ranga.
25° Vgi. jedoch ¿je oben, S. 847, über die Bedeutung des Textes he timo te ako-ako
geäußerte Vermutung.
251 Routledge, 229.
252 Nordenskiöld, II, 14—15, 36—47.
253 Routledge, 246. Ich benütze die Gelegenheit, um auf eine merkwürdige und
vielleicht nicht ganz bedeutungslose Übereinstimmung im Totenritual der beiden Gebiete
aufmerksam zu machen, nämlich die Verwendung von Federstäben. „For six days after
his (Ngaaras) death“, sagt Mrs. Routledge an der angeführten Stelle, „everyone worked
at making the sticks with feathers on the top (heu-heu) and they were put all round
the place.“ Mit Bezug auf diese Federstäbe heißt es in Thomson’s Apai-Text (Thomson,
519; siehe oben, S. 846) vom Federgott Ere Nuku, daß er „keeps off the evil spirit when
feathers are planted over the burial-places“. Bei den Cuna werden dem Toten ins Grab
vier Federstäbe mitgegeben, die als Symbole oder Sitze von vier Schutzgeistern gelten,
die die Seele auf ihrem Weg ins Jenseits leiten sollen. Nordenskiöld, II, 36—37.
254 Nordenskiöld, I, 53, und Taf. 3, Nr. 3.
886 Robert von Heine-Geldern,

Cunatexte 255 vollkommen verschieden ist. Es besteht aus einer Ellipse, deren
obere Seite offen ist. Das in der Mitte befindliche Zeichen, eine blaue Kugel
auf einem Stab, ist belanglos, da es nur andeuten soll, daß sich in dem Haus
ein magischer Stein befindet. Dieses Hauszeichen der Cuna ist nun voll
kommen identisch mit jenem der Osterinselschrift (Abb. 20 ä) bis auf den
einen Umstand, daß bei letzterem die Längsaxe des Zeichens vertikal, bei dem
Cunazeichen dagegen horizontal gestellt ist. Dieser Unterschied ist jedoch
deswegen bedeutungslos, weil nach dem auf der Osterinsel herrschenden
ästhetischen Prinzip, wie ich oben (S. S66) ausgeführt habe, eine andere Stel
lung des Zeichens gar nicht zulässig wäre, während in der Cunaschrift kein
derartiger Zwang herrscht. Auf der Osterinsel entspricht das betreffende
Zeichen, wie Jaussen ausdrücklich erwähnt, dem ovalen Grundriß der dor
tigen Häuser, wobei die Größe der auf einer Längsseite befindlichen Tür
öffnung allerdings stark übertrieben ist 256 . Ob das Zeichen der Cuna irgend
einer bei ihnen vorhandenen Hausform entspricht, entzieht sich meiner
Kenntnis.

a b c d

Abb. 21: a—c) rangi (Himmel); d) rangi i runga i te maunga (Himmel auf dem Berg).
Nach Jaussen.

Eines der wichtigsten und häufigsten Zeichen der Osterinselschrift ist


das Zeichen Abb. 21, rangi (Himmel). Es kommt auch in zahlreichen Zu
sammensetzungen vor (Abb. 8). „Parmi les signes composés“, sagt Jaussen,
„on voit le ciel en triangle et le signe de la terre au-dessous 257 .“ Leider ist es
nicht ersichtlich, welches seiner zusammengesetzten Zeichen er damit meint.
Es kann wohl nur entweder das oben besprochene Zeichen tonga e te hukinga
sein, oder aber, und das halte ich für das Wahrscheinlichere, das Zeichen
Abb. 21 c, rangi i runga. i te maunga, was er mit „ciel sur une montagne“
übersetzt 258 . Die Form des Zeichens rangi scheint ein Haus mit einem Giebel
dach darzustellen, von dem rechts und links je eine Art Horn emporragt. Dazu
würde es ausgezeichnet passen, daß das Zeichen in der eibenerwähnten Zu
sammensetzung auf den Gipfel eines Berges gestellt erscheint. Die Symboli-
sierung des Himmels durch das auf dem Weltberg stehende Himmelshaus, den
Götterpalast, ist eine so häufige und so weitverbreitete Erscheinung, daß es
kaum notwendig sein dürfte, dafür besondere Beispiele anzuführen 259 . Es ist

255 Nordenskiöld, I, Taf. IV, Nr. 147—152, 155, 156; II, Fig. 11, Taf. I, III, VI, VII..
250 Jaussen, 257.
257 Jaussen, 257.
258 Jaussen, 267.
259 Diese Symbolisierung des Himmels durch das Götterhaus oder den Götter
palast spielt eine ungeheure Rolle in der hinduistischen und buddhistischen Architektur
und Plastik Indiens und Südostasiens, kommt aber auch in den Zeichnungen und Male
reien der Dayak vor. Man findet sie auch bei den Cuna. Vgl. Nordenskiöld, II, 40, Taf. IL
Die Osterinselschrift. 887
a

Abb. 22: Bilderschrifttafel der Cuna, Malerei auf Holz, Dämonenhäuser darstellend.
Nach Erl. Nordenskiöld, Picture-Writings and other Documents. Comparative ethno
graphical studies 7, part 2, Plate VI. (Im Original farbig: schwarz, grün, blau, gelb,
rot usw.)
888 Robert von Heine-Geldern,

das rangi-Zeichen Abb. 21 a, b -mit dem „Dämonenhaus“ Abb. 22 b der Cuna-


schrifttafel und beachte auch die beiden vertikalen Striche im Inneren des
letzteren, die dem Unterteil des rangi-Zeichens entsprechen, ferner das rangi-
Zeichen mit bloß einem Horn (Abb. 21 c), mit dem ebenfalls einhörnigen
„Dämonenhaus“ Abb. 22 c\ Welche Hausform diesen merkwürdigen Zeich
nungen ursprünglich zugrunde liegt, scheint aus Abb. 22 a sowie aus der Dar
stellung eines Hauses in einer anderen Bilderhandschrift der Cuna (Abb. 25)
hervorzugehen. Es kann sich nur um ein Haus mit zwei einander kreuzenden
Satteldächern und vorspringenden Firstenden handeln, wie wir es etwa von
den Batak auf Sumatra kennen (Abb. 23). Ob eine solche Hausform bei den
Cuna tatsächlich vorkommt, entzieht sich meiner Kenntnis. Daß sie auf der
Osterinsel, wenigstens in neuerer Zeit, in Gebrauch war, ist äußerst unwahr
scheinlich. Zu den Batak dürfte sie im Zuge der Dongson-Kultur, also etwa
um die Mitte oder in der zweiten Hälfte des 1. Jahrtausends v. Ohr., aus dem
nordöstlichen Hinterindien oder dem südlichen China gekommen sein.

Ä
z>
a

Abb. 24: a) Cuna, Zeichen für die Plejaden; b) Osterinsel, Varianten des Zeichens matariki
(Plejaden).
Man wird sich auch fragen dürfen, ob das Osterinselzeichen matariki
(Plejaden) nicht aus drei Sternen entstanden sein könnte, wie wir sie von den
Cuna als Zeichen für die Plejaden kennen (Abb. 24) 261 . Die Darstellung des
Siebengestirns durch eine in vertikaler Linie geordnete Dreiheit, wie sie sowohl
bei den Cuna als auf der Osterinsel auf tritt, ist jedenfalls weder selbstver
ständlich noch auch besonders naheliegend.
Sehr wesentlich unterscheidet sich die Cunaschrift durch ihre Fälligkeit
von der farblosen Osterinselschrift. Diese Verwendung von Farben ermöglicht
natürlich eine weitaus reichere Differenzierung dadurch, daß man zwei der
Form nach gleichen Zeichen durch verschiedene Farben verschiedene Bedeu
tung verleihen kann. Aber hat die Osterinselschrift von jeher auf den Ge
brauch der Farbe verzichtet?
In den mythischen und religiösen Vorstellungen der Cuna spielt die
Farbenmagie eine sehr große Rolle. So stellt man sich z. B. die: Seelen ver
schiedenfarbig vor, spricht von weißen, schwarzen, gelben, grünen, blauen
Seelen. Aber auch den Krankheitsdämonen, die auf dem Sonnenschiff reisen,
schreibt man verschiedene Farben (schwarz, blau, rot, gelb) zu und stellt sie
in diesen Farben dar 262 . In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, daß
201 Nordenskiöld, II, 52—53.
2li2 Nordenskiöld, II, 31—34, 49, sowie sämtliche Tafeln.
Die Osterinselschrift. 88»

Jaussen in seine Liste drei Zeichen aufgenommen hat (Abb. 26), die er als
atua hiko renga (dieu peint en jaune), atua hiko kura (dieu peint en rouge)
und atua hiko tea (dieu peint en blanc) bezeichnet 263 . Das erinnert jedenfalls
sehr stark an die farbigen Götter, Geister und Dämonen der Cunaschriften und
läßt kaum eine andere Deutung zu, als daß ähnliche Vorstellungen von far
bigen Gottheiten auch auf der Osterinsel vorhanden waren und daß diese Gott
heiten früher einmal auch hier farbig dargestellt wurden — vielleicht zu jener
Zeit, als man außer auf Holz auch noch auf Tapa oder ein ähnliches Material
schrieb (siehe oben, S. 835). Rätselhaft erscheinen übrigens auch die Gestalten
der drei Schriftzeichen: Stäbe oder (beim atua hiko tea) eine undefinierbare

Abb. 25: Anfangszeilen einer Bilderhandschrift der Cuna, den Weg der Seele eines Ver
storbenen ins Jenseits schildernd. Die Federschmuck tragenden Gestalten stellen die in
den Federstäben, die man dem Toten mitgibt, verkörperten Schutzgeister dar. Sie sind
im Original farbig (grün, blau, gelb, rot usw.). Nach Erl. Nordenskiöld, Picture-
Writings and other Documents. Comparative ethnographical studies 7, part 2. Plate L

Form, in allen drei Fällen mit Anhängseln versehen, die sowohl Blätter als
Federn darstellen können 264 . Natürlich ist in Verbindung mit einem Gott die
Bedeutung „Federn“ angesichts der großen Rolle, die Federn in den Kulten
Ostpolynesiens gespielt haben, die wahrscheinlichere. Aber wie ist man über
haupt dazugekommen, einen Gott in so merkwürdiger Weise darzustellen?
Es scheint mir, daß uns vielleicht auch dafür ein Vergleich mit der Cunaschrift
eine Erklärung bieten kann. In der Cunaschrift treten verschiedenfarbige Gott
heiten mit Federschmuck sehr häufig auf. Abb. 25 zeigt eine Reihe solcher
Gottheiten, deren Kleider und Federkronen im Original grün, blau, gelb, rot
usw. gefärbt sind. Es sind die durch die Federstäbe, die man dem Toten mit-

2<i3 Jaussen, 259. Das Wort hiko, das Jaussen mit „gemalt“ übersetzt, ist in
keinem der mir zugänglichen Wörterverzeichnisse enthalten.
2,14 Federn und Blätter wurden in der Osterinselschrift so ähnlich gezeichnet, daß
man sie ohne Kenntnis der Bedeutung des betreffenden Schriftzeichens gar nicht unter
scheiden könnte. Vgl. die entsprechenden Zeichen bei Jaussen, 263, 264, 266.
890 Robert von Heine-Geldern,

gibt, symbolisierten Schutzgeister (siehe oben, Anm. 253), die seine Seele
ins Jenseits geleiten 265 . Liegt die Vermutung nicht nahe, daß es sich auch bei
den drei fraglichen Osterinselzeichen ursprünglich um (früher einmal in Far
ben gemalte) Göttergestalten handelte, von denen aber bloß der Federschmuck
übriggeblieben ist?
Alle die hier angeführten Übereinstimmungen zusammen genommen
dürften wohl die Vermutung rechtfertigen, daß zwischen der Osterinselschrift
und der Schrift der Cuna tatsächlich irgendeine Art von Verwandtschaft be
steht. Eine solche Verwandtschaft könnte auf der Einwirkung der alten ost-
polynesischen Kultur (siehe oben, S. 880) in Zentralamerika beruhen 265a . Es
könnte sich aber ebensogut um eine entferntere Verwandtschaft handeln, näm
lich um Herkunft der beiden Schriften, der ostpolynesischen und der der Cuna,
aus dem gleichen Gebiet, das in diesem Fall nur in China gesucht werden
könnte.
Hornbostel’s Versuch, einen Zusammenhang der Cunaschrift mit der
chinesischen Schrift nachzuweisen, ist, soweit ich sehe, allgemein abgelehnt
worden. So schreibt W. Eberhard in einer Besprechung von Hornbostel’s

a b c

Abb. 26: Osterinsel: a) Atua hiko rcnga („Dieu peint en jaune“); b) Atua hiko kura
(„Dieu peint en rouge“); c) Atua hiko tea („Dieu peint en blanc“). Nach Jaussen, L’Ile
de Pâques. Histoire et Ecriture. Bulletin de Géographie Historique et Descriptive. Année
1893. Paris. Seite 259.

Arbeit: „Wenn man weiß, wie stark sich Schriftzeichen im Laufe von 3000
Jahren verändern können, so finde ich es nicht angängig, Zeichen der Cuna
von heute mit Zeichen der Chinesen zu vergleichen, die im 1. Jahrtausend
v. Chr. gebraucht wurden 266 .“ Der hier von Eberhard aufgestellte methodische
Grundsatz ist jedoch meiner Ansicht nach durchaus abzulehnen. Gewiß
„können“ sich Schriftzeichen innerhalb von drei Jahrtausenden ganz gewaltig
verändern, aber sie „können“ ebensogut während des gleichen Zeitraumes ihre
ursprüngliche Gestalt beinahe unverändert beibehalten. Ein schlagendes Bei
spiel dafür ist unser eigenes Alphabet. Unsere großen lateinischen Buchstaben
A, ß, E, /, K, Ai, N, O, T haben heute noch genau die gleichen Formen, in
denen sie schon in den ältesten griechischen Inschriften des 8. bis 6. Jahr
hunderts, also auch des „1. Jahrtausends v. Chr.“, auftreten, und für die
heutige griechische und kyrillische Schrift ist die Zahl der genauen Ent
sprechungen noch größer. Die Form unseres großen lateinischen A läßt sich
unschwer sogar in der (bis auf die andere Stellung) beinahe identischen des
205 Nordenskiöld, II, 37, Tat. I.
2«5 a Vgl. dazu auch Klara von Moeller, Die Osterinsel und Peru, Zeitschrift für
Ethnologie LXIX (1937), 7—22. Wenn auch nicht alle, so scheinen mir doch wenigstens
einige der von der Verfasserin versuchten Vergleiche beachtenswert.
200 Ethnologischer Anzeiger IV (1935), 26.
Die Osterinselschrift. 891

semitischen Aleph aus dem 2. Jahrtausend v. Chr. erkennen, und dies trotz
der Übertragung der Schrift von den Phönikern zu den Griechen, von den
Griechen zu den Römern und von diesen zu den übrigen Völkern Europas.
Auch an die durch drei Jahrtausende oder mehr fast unverändert beibehaltenen
Formen der ägyptischen Hieroglyphen ist hier zu erinnern. Jeder, der sich
etwas eingehender mit paläographischen Fragen beschäftigt hat, wird wissen,
daß es Gegenden und Zeiten gibt, in denen sich die Formen der Schriftzeichen
binnen weniger Jahrzehnte grundlegend ändern können, und andere, in denen
sie ihre Formen durch unglaublich lange Zeiträume unverändert beibehalten,
ferner, daß innerhalb einer und derselben Schrift und derselben Periode
die einzelnen Zeichen in ganz ungleichem Maße von den Veränderungen be
troffen werden, daß manche Zeichen ihre Form wechseln und gleichzeitig
andere unverändert bleiben können. Es kommt also gar nicht darauf an, ob
sich die Schriftzeichen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes, mag dieser
noch so lang sein, verändert haben „können“, sondern darauf, ob sie sich tat
sächlich verändert haben. Deswegen aber, weil wir die zeitlichen Zwischen
stufen nicht kennen, einfach jede Vergleichung grundsätzlich ablehnen, hieße
in vielen Fällen überhaupt auf jede Forschung und jeden wissenschaftlichen
Erklärungsversuch verzichten.

a b
Abb. 27: a) Cuna, Zeichen für Tür; b) China, ha (Tür).

Ich gestehe, daß auch ich dem Versuch Hornbostel’s anfangs mit aller
größter Skepsis gegenübergestanden bin. Erst eine genauere Durcharbeitung
der ganzen Frage hat mich dazu veranlaßt, meine Ansicht zu ändern 267 .
Man hat Hornbostel’s Vergleiche als „gesucht“ bezeichnet. Aber wenn man
es sich genau überlegt, wird man zugeben müssen, daß etwa seine Deutung
der Cunazeichen für „Zeit des Schweigens“, „Zeit der Mitte“ und „Zeit des
tiefen Schweigens“ als „Anfang“, „Mitte“ und „Ende“ und dementsprechend
auch ihre Ableitung von den ihnen beinahe formgleichen chinesischen Schrift
zeichen, dem ersten Zeichen des Zyklus der zehn kan und den Zeichen für
„Mitte“ und „Ende“, durchaus nicht „gesuchter“ ist, als jene Deutungen und
Vergleiche, zu denen die Sinologen selbst immer wieder ihre Zuflucht zu
nehmen gezwungen sind, wenn sie versuchen wollen, Bedeutung und Entwick
lung der ältesten chinesischen Schriftzeichen zu ergründen. Natürlich muß
man sich dessen bewußt bleiben, daß es sich im vorliegenden Fall nur um die
Andeutung von Möglichkeiten und um die erste Erkundung noch sehr
unsicherer Spuren handelt, keineswegs um feststehende Ergebnisse. Horn
bostel’s Versuche gewinnen allerdings sehr an Gewicht durch einen so über
zeugenden Vergleich, wie den zwischen dem Cunazeichen für „Mauerreihen“
(murallas en filas) und dem alten chinesischen Zeichen für „Hauptstadt“. Und
nahezu entscheidend scheint mir die Form des Cunazeichens für „Tür“ zu
sein (Abb. 27). Dargestellt ist eine drehbare Zapfenlür, wie sie in Amerika in
207 Für das Folgende siehe die Abbildungen bei Hornbostel, 957.
Anthropos XXXIII. 1938. io
892 Robert von Heine-Geldern,

voreuropäischer Zeit ganz unbekannt war. Nun wäre es an und für sich natür
lich denkbar, daß es sich um ein erst in europäischer Zeit entstandenes Zeichen
handelt, wie ja in der Cunaschrift tatsächlich verschiedene Zeichen Vor
kommen, die Gegenstände europäischer Herkunft darstellen. Aber woher
stammt dann der horizontale Strich, der das Zeichen oben abschließt, der durch
die Bildbedeutung des Zeichens keineswegs bedingt ist, sich dementsprechend
auch nicht bei den im übrigen ganz ähnlichen „Tür“-Zeiichen der altägyp
tischen und sinaitischen Schrift findet, der aber für das chinesische Zeichen
für „Tür“ so charakteristisch ist 268 ? Es scheint mir nicht angängig, über
solche Dinge mit der Erklärung, es handle sich um einen bloßen „Zufall“, ein
fach hinwegzugehen.
Nun wird man einwenden können, daß selbst im günstigsten Fall, wenn
man alle neun von Hornbostel aufgestellten Gleichungen gelten lassen wolle,
diese Zahl gegenüber der Gesamtzahl der Cunazeichen oder gar der chine
sischen Schriftzeichen so gering ist, daß sie kaum in die Wagschale fällt, und
daß daher die Möglichkeit einer zufälligen Übereinstimmung in einigen
wenigen unter so vielen möglichen Fällen tatsächlich recht groß ist. Das
Verhältnis ändert sich jedoch sofort, wenn man bedenkt, daß weitaus die größte
Zahl der Cunazeichen zweifellos von den Cuna selbst für ihre ganz speziellen
Bedürfnisse erfunden worden ist, genau so, wie ja eine sehr große Zahl, wahr
scheinlich sogar die Mehrzahl der Zeichen der Osterinselschrift erst in der
Südsee entstanden sein dürfte. Offenbar haben sowohl die Cuna wie die Vor
fahren der Osterinsulaner außer dem Schriftprinzip nur einen ziemlich kleinen
Grundstock von Schriftzeichen übernommen oder behalten, im übrigen aber
die Schrift ihren besonderen Bedürfnissen angepaßt, indem, sie den Bestand
an Schriftzeichen durch eigene Erfindungen ergänzten —ein Vorgang, wie wir
ihn bei der Übertragung einer Schrift von einem Volk zum anderen immer
wieder beobachten können. Scheiden wir aber die zweifellos jüngeren, auf ört
licher Erfindung beruhenden Zeichen aus, was einer sorgfältigen Analyse so
wohl für die Osterinsel- wie für die Cunaschrift nicht allzu schwerfallen dürfte,
so steigt dadurch die verhältnismäßige Zahl der Übereinstimmungen ganz
außerordentlich und diese gewinnen dadurch sehr an Bedeutung und
Beweiskraft.
Zum Schluß möchte ich noch auf zwei wichtige Unterschiede zwischen
Osterinselschrift und Cunaschrift aufmerksam machen. Die für die Osterinsel
schrift so charakteristischen graphischen Ligaturen (siehe oben, S. 865 f.)
scheinen in der Cunaschrift ganz zu fehlen. Dagegen treten in der Cunaschrift
bloß illustrative, nicht in die feststehende Form von Schriftzeichen gegossene
Elemente viel häufiger auf als in der Osterinselschrift, in der sie, wenn sie
überhaupt Vorkommen, höchstens eine ganz geringfügige Rolle spielen. Man
gewinnt infolgedessen den Eindruck, daß die Osterinselschrift ihrer äußeren
Form nach wesentlich höher entwickelt ist als die Cunaschrift, oder aber —
und dies wird wohl das Richtige sein — daß die Schrift der Cuna in stärkerem
Maße barbarisiert worden und auf ein tieferes Niveau hinabgesunken ist als

208 Alle diese Argumente hat auch schon Hornbostel angeführt.


Die Osterinselschrift. 893

die der Cisterinsulaner, obwohl sie die ursprüngliche Form mancher Schrift
zeichen besser bewahrt haben mag als diese. Aus einer Mitteilung Nor-
denskiöld’s geht hervor, daß die Cuna selbst sich des Verfalls ihrer Schrift
bewußt sind: „The picture-writing the Indians now have is not so good as the
one they formerly had, was what Nele stated. The last one who knew how to
draw the picture-writing proper was Memekina 268a .“ Auf der Osterinsel
dürfte jedenfalls das typisch polynesische, unter der ständigen Aufsicht des
Königs stehende Schul- und Prüfungswesen bis zu einem gewissen Grad dem
Verfall der Schrift entgegengewirkt haben.
Die Frage, ob auch Beziehungen irgendwelcher Art zwischen den hier
besprochenen Schriften und denen der Mexikaner und Maya bestehen, muß
vorläufig unerörtert bleiben.

10. Aufgaben der Forschung.


Die Osterinselforschung bildet eines der traurigsten und beschämendsten
Kapitel in der Geschichte der Ethnologie. Ein unerhört günstiges Geschick
hatte eine urzeitliche Schrift auf der entlegenen Insel bis auf unsere Tage
lebendig erhalten — aber man hat es zugelassen, daß dieses Zeugnis einer
jahrtausendalten Vergangenheit, dessen kulturgeschichtliche Bedeutung noch
gar nicht abzuschätzen ist, im letzten Augenblick, geradezu unter den Augen
der zu seiner Erforschung berufenen Wissenschaftler, unwiederbringlich ver
lorenging.
Zweimal, 1770 und 1864, ist die Osterinselschrift entdeckt worden, ohne
daß diese Entdeckung auch nur die geringste Beachtung gefunden hätte. Die
dritte Entdeckung, 1868 durch Pater Zumbohm, gelangt zum Glück zur Kennt
nis des Bischofs Jaussen auf Tahiti, der sofort ihre große Wichtigkeit erkennt
und sich mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln an die Erforschung dieser
neu gefundenen Schrift macht. Bischof Jaussen ist auch der erste und, soviel
ich sehe, im 19. Jahrhundert der einzige gewesen, der das durch diese Ent
deckung aufgeworfene kulturgeschichtliche Problem richtig erkannt hat* 269 —
zu einer Zeit, als man sich im wesentlichen mit unfruchtbaren Erörterungen
über die „psychologische“ Seite der Frage zufriedengab. Aber seine Auf
zeichnungen sind erst Jahrzehnte später, nach seinem Tod veröffentlicht
worden. In Europa ist die Osterinselschrift im Jahre 1870 durch eine Mit
teilung R. A. Philippi’s und vier von ihm nach Berlin geschickte Stanniol
abdrücke der beiden in diesem Jahr von der chilenischen Korvette O’Higgins
für das Museum zu Santiago de Chile erworbenen Tafeln bekanntgeworden 270 .
Es folgten 1871 die Nachrichten N. von Miklucho-Maclay’s, der auch die
ersten Originale, jene des Museums zu Leningrad, nach Europa brachte, und
1874 die mit Photographien belegten Mitteilungen Croft’s an die California

2« 8a Nordenskiöld, I, 17.
269 Vgl. Jaussen, 256—257.
270 Philippi, Ein inschriftliches Denkmal von der Oster-Insel, Zeitschrift der Ges.
für Erdkunde zu Berlin V (1870), 469—470.
icr
894 Robert von Heine-Geldern,

Academy of Sciences 271 . Anfang der Siebzigerjahre gelangten auch Gips


abgüsse der Tafeln des Museums in Santiago nach Europa 272 .
Die Entdeckung einer polynesischen Schrift hat natürlich in den Fach
kreisen ziemliches Aufsehen erregt — ihre wirkliche Bedeutung ist nirgends
erfaßt worden. Man hat daher auch unterlassen, das Nächstliegende und
Dringendste zu tun und sogleich eine wissenschaftliche Expedition auf die
Osterinsel und zu den nach Tahiti und Mangareva ausgewanderten Oster
insulanern zu schicken, obwohl eine solche Expedition bestimmt nur einen
Bruchteil mancher ähnlichen Unternehmung der damaligen Zeit gekostet hätte.
Die Forschung an Ort und Stelle wurde vielmehr gelegentlichen Besuchern
überlassen, wie dem Kapitän Geiseler und dem Marinezahlmeister Weisser,
die im Jahre 1882 dreieinhalb Tage auf der Insel verbrachten, und dem, ameri
kanischen Schiffszahlmeister Thomson, der im Jahre 1886 elf Tage auf ihr
verweilte. Was diese Männer in so kurzer Zeit für die Erforschung der Oster
insel geleistet haben, ist aller Anerkennung wert. Wenn die: Methoden ihrer
Forschung über die Schrift und ihre über diesen Gegenstand geäußerten An
sichten hier mehrfach kritisiert werden mußten, so erfordert es doch die Ge
rechtigkeit, festzustellen, daß es einfach eine unmögliche Aufgabe war, in
wenigen Tagen, und noch dazu ohne die nötige Vorbildung, brauchbare Er
kundungen über die damals schon beinahe erloschene Schriftkenntnis und
Schriftübung einzuziehen. Der Vorwurf unzweckmäßiger und fehlerhafter
Arbeit trifft daher nicht diese Angehörigen der deutschen und amerikanischen
Marine, die ihr Bestes geleistet haben, sondern jene maßgebenden wissenschaft
lichen Stellen, die es unterlassen haben, für eine rechtzeitige und sachgemäße
Erforschung der Osterinselkultur Sorge zu tragen.
Als endlich im Jahre IQ 14 Mrs. Routledge sich zum Zweck ethno
logischer Forschung für längere Zeit auf der Insel niederließ oder gar, als im
Jahre 1934 die französisch-belgische Expedition die Osterinsel aufsuchte, war
es zu spät, und alles, was noch über die Schrift in Erfahrung zu bringen war,
beschränkte sich auf einige bruchstückhafte Überlieferungen. Immerhin zeigt
das, was selbst noch Métraux und Lavachery im Jahre 1934 erfahren
konnten, wie viel für die Wissenschaft noch zu retten gewesen wäre, wenn man
sich bloß 30 Jahre früher, zu Anfang unseres Jahrhunderts, entschlossen
hätte, einem Ethnologen einen Aufenthalt von ein paar Monaten auf der Oster
insel zu ermöglichen.
Daß nach den Erkundungen der beiden genannten Forscher aus den
Eingebornen selbst noch irgendwelche bisher unbekannte Nachrichten über die
Schrift herauszuholen wären, kann wohl als nahezu ausgeschlossen gelten.
Die künftige Forschung wird sich daher auf die Bearbeitung der Schriftdenk
mäler selbst und der über sie gesammelten Nachrichten zu beschränken haben.
Als erste Aufgabe erscheint hier natürlich die Aufstellung eines Corpus
271 Maclay, a. a. O. — A. Piotrowski, Deux tablettes, avec les marques gravées,
de l’île de Pâques, Revue d’Ethnographie VI (1925), 425—426. — Croft bei Churchill,
Easter Island, 317 ff.
272 Mitt. der Anthropolog. Ges. in Wien II (1872), 312. — Harrison, The hiero-
glyphics of Easter Island, 370.
Die Osterinselschrift. 895

sämtlicher Schriftdenkmäler mit genauer Beschreibung und unter Beigabe


brauchbarer Abbildungen. Manche dieser Denkmäler sind meines Wissens
überhaupt noch nie, die meisten anderen nur in sehr unzulänglicher Weise
abgebildet worden.
Den Versuch, eine vollständige Liste sämtlicher bekannter Schriftdenk
mäler der Osterinsel aufzustellen, hat meines Wissens nur Chauvet unter
nommen 27 C Leider enthält seine Liste eine ganze Reihe von Irrtümern.
So hat er z. B. das rei-miro des Australian Museum und das eine rei-miro des
British Museum ausgelassen, zählt dagegen Jaussen’s „tablette: vermoulue“
zweimal auf und bildet sie auch zweimal ab, das eine Mal nach einer alten,
vor 50 Jahren angefertigten Photographie, ohne zu bemerken, daß es sich um
eine und dieselbe Tafel handelt.
Dem folgenden Versuch einer Zusammenstellung ist im wesentlichen
die Liste Chauvet’s, jedoch unter Richtigstellung der in ihr enthaltenen Irr-
tümer, zugrunde gelegt.

Schrifttafeln und Bruchstücke von solchen.

1 bis 4: Musée Missionaire des Pères des Sacrés-Cœurs de Picpus, Braine^


le-Comte, Belgien. Darunter die Tafeln Aruku-Kurenga, Mamari
und Tahua2 274 .
73

5: Früher in der Universitätsbibliothek zu Löwen, 1914 verbrannt,


doch sind Photographien erhalten. Von Jaussen als „tablette
vermoulue“ bezeichnet 275 .

6: Sammlung Stephen Chauvet, früher Museum in Braine-le-


Comte 276 .

7 und 8: Museum in Leningrad 277 .


9: British Museum, London 278 .
10: Museum für Völkerkunde, Berlin.
11 und 12: Museum für Völkerkunde, Wien 279 .
13 und 14: United States National Museum, Washington 280* .
15 und 16: Museum in Santiago de Chile 282 .

273 Stephen Chauvet, L’île de Pâques et ses mystères (Paris 1935), 73—75.
274 Jaussen, 254—255. — Ropiteau, 519—520. — Abbildungen bei Chauvet,
Ray, Walter Lehmann, Essai d’une monographie bibliographique sur File de Pâques,
„Anthropos“ Il (1907), Fig. 13, 14, Thomson, Taf. XLII, XLIII, XLIV, XLV, XLIX.
Taf. XLIX stellt die Tafel Aruku-Knrenga dar, die Thomson irrtümlich als im Museum
zu Santiago befindlich bezeichnet.
275 Abbildungen bei Thomson, Taf. XXXVI, XXXVII, XLVI, und bei Chauvet,
Fig. 157—159.
276 Abbildung bei Chauvet.
277 Piotrowski, 425—431.
278 Dalton. — Routledge, Fig. 98. — Corney, Tafel gegenüber S. 128.
279 Abgebildet bei Haberlandt, Über Schrifttafeln von der Osterinsel.
280 Abgebildet bei Thomson, Taf. XXXVIII—TI.
282 Abgebildet bei Philippi, Harrison, Thomson, Taf. XLVII, XLVIII, Knoche,
Abb. 54.
896 Robert von Heine-Geldern,

17: Museum der Universität, Concepcion, Chile.


18 bis 21: Bernice P. Bishop Museum, Honolulu 283 .

Andere Gegenstände, die Inschriften tragen.


22: American Museum of Natural History, New York. Figur eines
Vogelmenschen.
23 und 24: British Museum, London. Zwei rei-miro, davon das eine mit einer
Zeile, das andere mit bloß zwei Schriftzeichen 284 .
25: Australian Museum. Rei-miro 285 .
26: Museum in Santiago de Chile. Ein Stab 286 .
Es besteht nicht allzuviel Hoffnung, daß diese Zahl von 26 beschrifteten
Gegenständen sich noch vermehren wird, obwohl dies auch nicht ganz aus
geschlossen ist. Auf der Osterinsel war es üblich, Besitztümer, darunter auch
Schrifttafeln, in Höhlen zu verbergen. So erzählt Mrs. Routledge von einem
Mann namens Take, der einige aus dem Besitz des letzten Königs Maurata
stammende Tafeln besaß, diese in einer Höhle verbarg, aber starb, ohne jeman
dem den Ort mitgeteilt zu haben. Eine der im Jahre 1886 von den Offizieren
des „Mohican“ erworbenen Tafeln soll tatsächlich in einer Höhle gefunden
worden sein 287 . Auch Lavachery erfuhr von einem Fall, in dem ein Ein-
geborner vor einigen Jahren in einer Höhle eine Schrifttafel fand, diese aber
aus abergläubischen Gründen vernichtete. Ein anderer Mann hatte ebenfalls
in einer Höhle einige Bruchstücke von Tafeln gefunden. Im übrigen allerdings
erwiesen sich alle Erzählungen der Osterinsulaner über Höhlen, in denen
Schrifttafeln verborgen sein sollten, als bloße Phantasien 288 . P. Bienvenido
de Estella erzählt noch im Jahre 1921 } daß die Eingebornen einige beson
ders heilige, früher bei großen Festen rezitierte ko-hau noch immer heimlich
aufbewahrten. Angeblich sollte stets nur ein einziger alter Mann den Auf
bewahrungsort kennen und ihn stets erst vor seinem Tode einem anderen Alten
mitteilen 2892 . Ganz ausgeschlossen ist es nach alldem jedenfalls nicht, daß
90

durch einen glücklichen Zufall noch ein oder das andere Schriftdenkmal in
den Höhlen der Osterinsel gefunden wird. Denkbar wäre es auch, daß in den
Grüften im Inneren der Ahus noch Schrifttafeln vorhanden sein könnten.
Wenigstens sollen mit dem Ariki Ngaara drei Tafeln begraben worden
sein 29 °.
Natürlich wäre es auch möglich, daß gelegentlich noch ein oder das
andere Schriftdenkmal aus Privatbesitz auf taucht. Man wird jedoch in dieser
Hinsicht sehr vorsichtig sein müssen, da es bereits Fälschungen gibt, aller
dings-, soweit bekannt, nur solche, die auf der Osterinsel selbst hergestellt sind.
283 Ropiteau, 523.
284 Das rei-miro mit einer Zeile abgebildet bei Dalton, Corney, Tafel gegenüber
S. 14, und Routledge, Fig. 115.
285 Abgebildet bei Geiseler, Taf. XXÏ, und bei Thorpe.
28o Abgebildet bei Knoche, Abb. 52, 53.
2S7 Routledge, 207, 247.
288 Lavachery, Ile de Pâques, 56, 58, 95—98.
289 Estella, Los misterios etc., 62; Mis viajes etc., 23.
290 Routledge, 246.
Die Osterinselschrift. 897

Eine derartige Fälschung, eigens als Beispiel einer solchen erworben, besitzt
Captain A. W. Füller in London. Es ist eine hölzerne Tafel in Form eines
Fisches, Die Zeichen sind so grob und ungeschickt geritzt, daß niemand, der
je eine echte Tafel gesehen hat, durch diese Fälschung getäuscht werden
könnte, Lavachery und Métraux konnten auf der Insel selbst die Herstel
lung steinerner Schrifttafeln beobachten, 291 . Vor einigen Jahren wurde dem
British Museum eine steinerne Schrifttafel von der Osterinsel angeböten. Auch
in diesem Falle dürfte es sich wohl um eine Fälschung gehandelt haben.
Schon im Jahre 1875 hat E. B. Tylor auf die Notwendigkeit verwiesen,
ein Verzeichnis sämtlicher auf den Tafeln vorkommender Schriftzeichen auf
zustellen und zu untersuchen, wie oft und in welchem Zusammenhang sie Vor
kommen 292 . Dieselbe Forderung hat W. Lehmann 30 Jahre später wieder
holt 293 . Leider ist es bisher beim bloßen Wunsch geblieben. Nur für die
beiden Leningrader Tafeln hat P'iotrowski durch Anlegung einer Liste der
auf ihnen vorkommenden Zeichen eine Vorarbeit geleistet 294 . Er bildet
227 Zeichen ab, unter denen sich jedoch ziemlich viele befinden, die bestimmt
bloß Varianten sind, so daß die Zahl der wirklichen Zeichen viel geringer ist.
Ein vollständiges Corpus sämtlicher vorkommender Schriftzeichen und aller
ihrer Varianten, eine Untersuchung darüber, wie oft, auf welchen Tafeln und
in welchem Zusammenhang sie Vorkommen, die Herausarbeitung bestimmter,
sich öfter wiederholender Zeichengruppen, würden zweifellos unser Ver
ständnis sehr fördern und die Forschung ein gutes Stück weiterbringen. Wir
würden dadurch wahrscheinlich instand gesetzt werden, innerhalb der vor
handenen Denkmäler mehrere durch ihren Inhalt sich unterscheidende
Gruppen, anderseits aber auch solche Gruppen festzustellen, die sich durch
die äußere Form der Schriftzeichen unterscheiden. Ja, es wäre nicht aus
geschlossen, daß es gelingen könnte, gewisse Entwicklungsstadien der Schrift
und damit wenigstens relative zeitliche Schichtungen zu erkennen.
Das Verhängnis, das von Anfang an die ganze Geschichte unserer Be
kanntschaft mit der Osterinselschrift überschattet, hat auch den Arbeiten der
Forscher, die sich mit dieser beschäftigt haben, ein eigenartiges Schicksal
bereitet. Während Geiseler’s Vermutungen eine ganz unverdiente Verbreitung
fanden, hat man die einzigartig wertvollen Aufzeichnungen des Bischofs
Jaussen beinahe ganz unbeachtet gelassen. Ja, der größte Teil der von ihm
aufgezeichneten Texte ist heute, nach beinahe 70 Jahren, noch immer nicht
veröffentlicht, geschweige denn übersetzt oder sonstwie bearbeitet worden.
Auch von den Texten, die Thomson auf gezeichnet zu haben scheint, ist nur
ein Teil gedruckt worden. Besonders tragisch aber ist es, daß Mrs. Routledge
gestorben ist, ohne daß es ihr möglich gewesen wäre, das von ihr in Aussicht
gestellte wissenschaftliche Werk über die Ergebnisse ihrer Expedition fertig
zustellen 295 .

291 Lavachery, La mission franco-belge etc., 57; Ile de Pâques, 250—251.


292 Journ. of the Anthropological Institute V (1876), 250.
293 Lehmann, 262.
294 Piotrowski, 426—431.
295 Routledge, S. VIII. Da nur das mehr oder weniger populäre Reisebuch, nicht
898 Robert von Heine-Geldern,

Als wichtigste und dringendste Aufgabe erscheint die vollständige,,


kritische Ausgabe der JAUSSEN’schen Texte mit interlinearer Übersetzung und
Beigabe der Schriftzeichen, ähnlich wie dies Ray für die Tafel Aruku-Kurenga
begonnen hat. Nach einer Bemerkung Lavachery’s scheint Hoffnung vor
handen zu sein, daß Metraux sich dieser außerordentlich dankenswerten Auf
gabe unterziehen wird 296 . Erst eine solche Ausgabe der JAUSSEN’schen Texte
wird uns instand setzen, die Bedeutung der Zeichen, soweit sie darin Vor
kommen, mit Sicherheit festzustellen und Jaussen’s in vieler Hinsicht unbe
friedigende Zeichenliste durch eine richtigere und vollständigere zu ersetzen.
Dann wird auch die Zeit für den gewiß schwierigen Versuch gekommen sein,
Thomson’s Texte auf ihre Zugehörigkeit zu den von Ure Vaeiko „gelesenen“
Tafeln nachzuprüfen. Gewiß wird es uns bei dem ganzen Charakter der Oster
inselschrift nie möglich sein, den Wortlaut einer Tafel, deren Text nicht auf-
gezeichnet worden ist, zu lesen. Aber es ist nicht ausgeschlossen, daß eine
genauere Kenntnis der Bedeutung der Schriftzeichen es uns doch ermög
lichen wird, bis zu einem gewissen Grad wenigstens den allgemeinen
Charakter des Inhalts auch solcher Tafeln festzustellen, deren Texte wir nicht
kennen.
Es wird sich aber auch lohnen, nachzuforschen, ob nicht noch unver
öffentlichte Aufzeichnungen Thomson’s vorhanden sind 297 . Und von größter
Wichtigkeit wäre eine Veröffentlichung der hinterlassenen Aufzeichnungen
Mrs. Routledge’s, Aus gelegentlichen Bemerkungen in ihrem, Buch geht
hervor, wieviel bisher noch nicht Veröffentlichtes, auch in bezug auf die
Schrift, in diesen Aufzeichnungen vorhanden sein muß (vgl. oben, S. 847).
Die hier angedeuteten Arbeiten werden uns natürlich instand setzen, mit
ganz anderem Rüstzeug als bisher an die Vergleichung der Osterinselschrift
mit anderen Schriftsystemen und damit an die Lösung der großen Probleme
der Schrift-, Kultur- und Völkergeschichte heranzugehen, die uns das Rätsel
der Osterinselschrift aufgibt. Daß er diese Probleme als erster erkannt, uns
den Weg zu ihnen gewiesen und überhaupt die ganze Forschung auf dem
Gebiet der Osterinselschrift wieder in Fluß gebracht hat, ist das bleibende
Verdienst Wilhelm von Hevesy’s.

Nachtrag.
Erst nachdem mein Manuskript abgeliefert war, hatte ich Gelegenheit,
Métraux’ soeben erschienenen Artikel über die Schriftdenkmäler des Bernice

aber die geplante wissenschaftliche Bearbeitung erschienen ist, scheint mir Knoche’s
Bemerkung, daß „bei der Länge der Zeit und der Größe der zur Verfügung stehenden
Mittel die wissenschaftlichen Ergebnisse als sehr gering zu bezeichnen sind“, nicht
gerechtfertigt.
290 Lavachery, Ile de Pâques, 24.
297 Anmerkung bei Gelegenheit der Korrektur: Diesbezügliche Nachforschungen,
die Prof. T. Michelson in Washington auf meine Bitte hin in zuvorkommendster Weise
angestellt hat, sind leider ergebnislos geblieben. Auf alle Fälle besitzt die Smithsonian,
Institution keine unveröffentlichten Aufzeichnungen Thomson’s.
Die Osterinselschrift. 899

Pauahi Bishop Museums zu sehen 29S . Ich möchte daraus folgendes nach
tragen :
Das Museum besitzt zwei schlecht erhaltene Tafeln und ein kleines
Bruchstück einer dritten Tafel, das nur drei Zeichen trägt. Die Echtheit eines
vierten Stückes zweifelt Métraux an.
Ferner bezweifelt Métraux das Alter der Tafel des British Museums.
„The signs“, sagt er, „are poorly engraved and suggest the style of modern
artists.“ Dies würde auch eine Erklärung für die ungewöhnliche Anordnung
der Zeilen geben, auf die ich oben (S. 839) hingewiesen habe. Trotzdem halte
ich es für unwahrscheinlich, daß es sich um eine Fälschung im eigentlichen
Sinn handelt. Dazu sind die Zeichen doch zu gut und richtig gezogen. Die
Tafel muß jedenfalls von jemandem verfertigt worden sein, der entweder noch
selbst schreiben konnte oder der doch gute Vorlagen benützte und sich im
wesentlichen auch danach hielt. Sie könnte wohl von einem der letzten noch
schreibkundigen Männer (Tomenika?) hergestellt worden sein, vielleicht schon
eigens zum Zweck des Verkaufs. Vielleicht ist sie aber auch bloß eine ältere
Schülerarbeit.
Schließlich erklärt Métraux auch das von Weisser im Jahre 1882 auf
der Osterinsel erworbene und jetzt im Besitz des Australian Museum befind
liche rei-miro für eine Fälschung. Der ganze Duktus der Schrift sowohl als
auch die ungewöhnliche und unregelmäßige Anordnung der Schriftzeichen
machen jedenfalls einen sehr verdächtigen Eindruck.
Wenn man diese drei unsicheren Stücke ausscheidet, verringert sich die
ohen angegebene Zahl der erhaltenen Schriftdenkmäler auf 23.

Postscriptum* *.
In a recent paper Dr. Alfred Métraux has severaly criticized Hevesy’s
comparisons of signs of the Indus and Easter Island scripts indicating that
Hevesy invented a number of non-existent signs and accusing him of having-
falsified others 2 ".
Métraux, therefore, thinks himself justified in censuring Prof. Pelliot,
the late Prof. Langdon, Dr. Rivet, Dr. Alan Ross, and myself, all of whom
he expressely names, for having naively accepted Hevesy’s comparisons, He
would “advise those who believe in the identification of the Mohenjodaro script
with that of Easter Island to examine, not only Mr. Hevezy’s very suggestive
reproductions, but the photographs of the seals and the original tablets in
Sir John Marshall’s and Dr. Hunter’s works” 30 °. “Perhaps”, he adds,
“they will meet disillusionment.” At the end of this paper he once more
admonishes us that “it would have been wiser for those who declared Hevezy’s

298 A. Métraux, Two Easter Island tablets in Bernice Pauahi Bishop Museum,
Honolulu, Man XXXVIII (1938), 1—4.
* Compare the preceding contribution of Hevesy (p. 808).
299 Alfred Métraux, The Proto-Indian Script and the Easter Island Tablets,
Anthropos XXXIII (1938), pp. 218—239.
30° p or some unknown reason Dr. Métraux calls Hevesy constantly “Hevezy”,
Likewise he misspells Thomson’s name, always referring to him as “Thompson”.
900 Robert von Heine-Geldern,

parallels incontrovertible and who even refused to discuss them, to check their
accuracy before taking so decided an attitude”. And he winds up with the
edifying fable of the “child with the golden teeth”, showing what dupes we
were to accept Hevesy’s assertions without ever thinking of verifying them.
However, it is not difficult to prove that the scholars whom Dr. Métraux
sc severely takes to task, and among whom I am probably, in his eyes, one
of the most “guilty”, have in reality examined Hevesy’s comparisons with
much more care and accuracy than Métraux himself.
To begin with, Dr. Métraux has not even taken the trouble to look into
one of Hevesy’s most important sources, Dr. Hunter’s article containing the
latest list of Indus script signs 3013 . It is true that this article was published

02
as early as 1932, whereas Hunter’s book, which Métraux consulted, was not
published until 1934. However, if Dr. Métraux had more carefully read the
introduction to this book, he would have seen that in spite of its late date of
publication it had been completed as early as 1929 and claims to reproduce
only such inscriptions as had been found in Mohenjodaro and Harappa up to
April 1927 302 Sir John Marshall’s book, likewise contains only inscriptions
found till 1927 303 . In his sign list of 1932, however, Dr. Hunter, as he
expressly states, was able to use “every inscription excavated up to April,
1931” 304 . This list of 1932 thus reproduces quite a number of signs as yet
not otherwise known. Dr. Métraux could have found here most of the signs
which, according to him, “do not exist in the available repertories” or which,
in his opinion, were “adjusted” by Hevesy 305 .
Besides this, Métraux has not even scrutinized those sources which he
consulted, with such scrupulous care as would alone have justified him in
raising so atrocious an accusation against a fellow scholar. Some of the signs
which, as Dr. Métraux wishes us to believe, do not exist or have been altered
by Hevesy, are to be found, in exactly the same form as drawn by the latter,
in the book of Sir John Marshall as well as in that of Dr. Hunter.

301 G. R. Hunter, Mohenjodaro-Indus Epigraphy, Journal of the Royal Asiatic So


ciety 1932, pp. 466—503.
302 G. R. Hunter, The script of Harappa and of Mohenjodaro and its connections
with other scripts (London 1934), p. VII: “This work was submitted in manuscript to the
University of Oxford in June 1929. ... Subsequently the manuscript has reposed in the
Bodleian Library. Permission to publish it was received from the Government of India,
Archaeological Department, in November 1932 . .. Since this volume was written I have
been enabled to copy all the inscriptions subsequently recovered from Mohenjodaro and
Harappa up to April 1931. On this material I am still working.” P. 1: “The material for
this work was provided by some 750 objects unearthed at the above-mentioned sites up
to February 1927.”
303 Sir John Marshall, Mohenjo-daro and the Indus Civilization (London 1931),
p. VIII.
304 Hunter, Mohenjodaro-Indus Epigraphy, p. 467.
305 As Hevesy cites Dr. Hunter’s paper, Métraux knew of its existence. He even
mentions it in his article, p. 222, note 4, asserting, however, that “all the Mohenjodaro
signs presently known have been incorporated in Hunter’s general work on the script”.
This is a purely arbitrary assumption and in complete contradiction to what Dr. Hunter
.himself expressly states.
Die Osterinselschrift. 901

In the following pages the Arabic numerals refer to Metraux’s list of


Hevesy’s comparisons as given in his article in “Anthropos”, 1938, p. 221,
pi. II, while the Roman numerals refer to Dr. Hunter’s sign list in the Journal
of the Royal Asiatic Society, 1932, pp. 494—503.
Dr. Metraux “failed to identify the original Indus sign of no. 1 in either
Marshall’s or Hunter’s tables”. He could have identified it in Hunter’s sign
list under no. CXLIV.
Sign no. 3, according to Metraux, could not be discussed as it “appears
in this form neither in Marshall’s nor in Hunter’s tables”. It appears in
Hunter’s sign list under no. XXVI.
The same applies to sign no. 6, which Metraux could not find in his
sources, but which is reproduced in Hunter’s list under no. XCI.
Dr. Metraux’s remarks on sign no. 7 show clearly the regrettable negli
gence of his proceedings. Citing Hunter’s book, he points out that this sign,
which has the form of the large letter , is a variant of a more complicated
sign, and then continues: “In the original, the bar of the H is far lower than
in the reproduction.” Now this cannot refer to Hunter, as in his book the sign
is reproduced in absolutely the same way as by Hevesy 306 . Metraux must
have had in mind the form this sign is given in Sir John Marshall’s sign
manual, where indeed the horizontal bar is not in the middle but in the lower
part of the sign 307 . However, if he had only taken the small trouble of looking
up the photographical reproductions in Sir John Marshall’s book 308 , he
would have found that the error lies with the designer of the sign manual and
not with Hevesy who, on the contrary, has reproduced the sign with absolute
accuracy.
Sign no. 11, according to Dr. Metraux, “does not appear in this form
in the Indus script. Mr. Hevezy (sic) has provided it with an appendage non
existent in the original”. The sign appears in exactly the same form as figured
by Hevesy, i. e. with the allegedly non-existent appendage, in Hunter’s list
under no. CIII.
Dr. Metraux on sign no. 18: “Here again the reproduction is weak; the
Indus sign as figured by Marshall has four crossbars. Mr. Hevezy gives
only two crossbars, which of course accentuates the likeness to the Easter
Island sign.” The form with two crossbars, correctly copied by Hevesy, is to
be found in Hunter’s list under no. CXXIII.
“Again I could not find the original”, says Dr. Metraux of sign no. 19.
He could have found it under no. CXXIII of Hunter’s list, though in this
case Hevesy has erroneously provided the sign with but one instead of two
crossbars 309 .

300 Hunter, The script of Harappa etc., table LV1, pi. XVL1I, fig. 365; pi. XXV,
fig. 488.
307 Marshall, pi. CXXV1I, sign no. CCCX1I.
308 Marshall, pi. CIX, fig. 237; pi. CXI, fig. 342.
309 This is not of great importance, as there exist variants of the same sign which
show but one crossbar and which differ from no. 19 in a minor detail only. Cf. Hunter’s
list, no. CXXIII.
902 Robert von Heine-Geldern,

Sign no. 21, which does not appear exactly in the same form in Hunter’s.
and Marshall’s books, is accurately copied from a variant registered in
Hunter’s list under no. III.
Of signs no. 25 and 26 Metraux remarks: “These signs which have been
listed separately are identical. The original Mohenjodaro sign (Marshall,
pi. CXXIV, CXCV) does not create the impression of perfect identity which is
brought out by the reproduction 310 . The crossbars are longer, the perpendicular
stroke shorter. Hunter’s repertory does not show the slanting branches which
create such a striking likeness to the Easter Island sign.” Both signs are to
be found in Hunter’s list under no. VIII, and both show slanting branches.
Though they may be mere variants, they are certainly not identical in form.
No. 25 has been quite accurately reproduced by Hevesy. In no. 26 the branches
should be a little longer, and the perpendicular stroke should go down below
the lowest branches, This last feature would only add to the similarity with the
corresponding Easter Island sign.
Hunter’s list contains under no. XCIV, sign 31 which Metraux was not
able to find. In this case, however, Hevesy’s drawing is not exact enough.
The upper part of the sign should be flatter, and the perpendicular stroke
should be shorter in proportion to the diverging legs,
Of sign no. 35 Metraux says: “Again we must discard this evidence,
since the Indus sign has been reproduced with changed proportions.” It is
reproduced with the same proportions not only in Hunter’s sign list under
no. L1X, but also in his book 311 .
“I failed to find the Indus sign in the existing repertories”, says Metraux
of no. 39. He could have found it in Hunter’s list under no. LIX. According
to Hunter it would be a variant of no. 35.
Of nos, 46 and 47 Metraux asserts: “No existing signs in the Indus
script, at least in this form.” Sign 46 is to be found under no. XXIX of
Hunter’s list, though in Hunter’s figure the horizontal bar uniting the two
ovals is longer, and the ends of the ovals are not rounded as in Hevesy’s
drawing but somewhat pointed. Sign no. 47 is identical with no. VII of
Hunter’s list. Besides, both Sir John Marshall’s and Dr. Hunter’s books
contain this sign too, so that Metraux could have easily found it 312'.
“This sign could not be traced”, says Dr. Metraux of no. 64. He could
have traced it in Hunter’s list, no. LXXII.
Metraux on sign no. 66: “This compound sign is not given by Hunter.’*
Hunter gives it in his sign list under no. LXXIV.
Dr. Metraux remarks on no. 73 touch chiefly the Easter Island sign, as
reproduced here in fig. 15 (p. 873), 5 lh column, third sign from above. He
3i° Métraux’s way of expressing himself is not very clear. In the first sentence
he means the identity of the two Indus script signs, in the second sentence the identity
of both these signs with the corresponding Easter Island signs.
311 Hunter, The script of Harappa etc., p. 169, pi. XXXII, fig. 107.
312 Marshall, pi. CIV, fig. 37; pi. CV, fig. 50; pi. CX, fig. 303, 325. — Hunter,.
The script of Harappa etc., p. 140, pi. XII, fig. 233; pi. XX, fig. 405; pi. XXV, fig. 476,
477; pi. XXVIII, fig. 15.
Die Osterinselschrift. 903

says: “Often the tablet personages, human or zoomorphic, have the line of the
feet prolonged through a slip of the artist. Mr. Hevezy has chosen one of
these slips to compare with a Mohenjodaro sign.” This assertion is most
astonishing. It is difficult to understand how a scholar who has studied the
Easter Island script could not know that the figure, as correctly reproduced by
Hevesy, is not due to “a slip of the artist”, but is a typical and frequently
occuring Easter Island sign, always drawn in the same manner. This can easily
be verified by a glance at pi. I where it appears not less than eight times 31S .
It seems to have given Dr. Métraux special pleasure to catch Hevesy
cheating in connection with sign no. 74. He writes (pp. 223—224) : “Mr. He
vezy has unduly reversed sign 74 to create an artificial likeness to an Easter
Island sign. As a matter of fact, in the original the one armed personage has
his arm on the left. In Hevezy’s drawing it is on the right and the form of
the arm has been modified.” And once more (p. 234) : “Hevezy has arbitrarily
twisted around this image to make it resemble an Easter Island sign.” Dr. Hun
ter’s sign list, under no. LXII, contains this “unduly reversed” sign in abso
lutely the same form as given by Hevesy, i. e. with the arm on the right and
the form of the arm allegedly “modified”.
Métraux on no. 76: “The Indus sign is not represented in the available
repertories of the Indus script.” It is represented in Hunter’s list under
no. LXII. However, in the original the perpendicular stroke between the legs
of the figure is not an appendage, as reproduced by Hevesy, but is separated
from the body by a small gap.
On p. 224 Métraux writes: “Mr. Hevezy has depended too much on
the probability that we would examine his comparisons hastily, discarding
differences he could not avoid reproducing even when he ‘adjusted’ his models.”
As proof for this insulting assertion, he shows in his fig. 5, p. 224, side by
side a “sign as it appears in the Indus script” and “the same sign as repro
duced by Hevezy”. But here again Dr. Métraux has bad luck, for the sign
allegedly “adjusted” by Hevesy is to be found in absolutely the same form
in Hunter’s list under no. IX.
These examples will suffice to show with what little care Dr. Métraux
himself, in spite of his severe criticism of others, has checked the accuracy of
Hevesy’s drawings. With one exception I have confined myself to those of his
remarks which refer to the Indus signs, not having for the moment the possi
bility of verifying his comments on Hevesy’s reproductions of Easter Island
signs, However, the obvious incorrectness of Métraux’s remarks on Easter
Island sign no. 73 will justify us in accepting his comments in this respect,
too, only after careful examination.
Métraux writes: “Mr. Hevezy would have perhaps added to the
scientific importance of his sensational discovery, had he given his sources —
the numbers of the Indus signs compared, and the tablet from which he chose at
random the corresponding Easter Island parallels. Perhaps the obliviousness3
13

313 Te sign occurs in other Easter Island tablets too.


904 Robert von Heine-Geldern,

was dictated by prudence.” Thanks to the kindness of Mr. de Hevesy I have


had the privilege of using a copy of his original manuscript, layed before the
Académie des Inscriptions et Belles Lettres of Paris by Prof. Pelliot on Sep
tember 16, 1932 314 . I can testify that in this manuscript all the references to
the sources from which Hevesy took the Indus as well as the Easter Island
signs are given with the most scrupulous accuracy. It is regrettable that Hevesy
has as yet found no opportunity to publish this much more detailed memoir.
However, Dr. Métraux could have easily had access to it by applying to
Pelliot or to Hevesy himself. It is difficult to believe that he did not know
of its existence, since on the first page of his paper he mentions Pelliot’s
communication to the Academy, and since he could hardly have assumed that
a scholar of the standing and the critical mind of Prof. Pelliot would have
accepted Hevesy’s paper for communication to the Academy without very
ample and accurate documentation of its contents.
At any rate, ignorance of this manuscript cannot exculpate Dr. Métraux,
since his unwarranted assertion that Hevesy falsified signs is based solely on
his own failure to scrutinize the sources with the desirable accuracy. I feel
bound to say that this is the most reckless defamation of a scholar I ever came
across. However, I have not the slightest doubt that Dr. Métraux, after a more
careful perusal of the sources, will himself be the first to admit that his
accusations were unjust, and that he will gladly offer those public apologies
to which Mr. de Hevesy is fully entitled.
In a few instances Métraux’s criticism, though not his insinuation of
deliberate falsification, is materially justified. Though Hevesy in the vast
majority of cases has reproduced the Indus signs with great accuracy, never
theless a few errors have slipped in.
No. 17, though occurring on Indus seals as a symbol, is not a scriptural
sign and must be eliminated. The same is probably true of no. 49. It is to be
found in Marshall’s seal 303 315 where it stands in the right hand bottom
corner before the figure of a bull. However, it is almost certain that it is not
a scriptural sign but only the representation of a plant 316 .
As to no. 72, Hevesy has been misled by the reproduction of this sign
in Hunter’s sign list (no. LXXIII), taking for a part of the sign the hatching
which, was in reality only meant to indicate that the lower part of he sign is
missing owing to a break in the seal.
No. 56 is a reconstruction of a sign only partly visible on Marshall’s
broken seal 389 317 . However, the original is much too badly preserved as that
anything could be made out of it.
No. 57 has been copied from the reproduction of an inscription from
Harappa in Sir John Marshall’s sign manual 318 . However, the drawing in

314 Cf. Académie des Inscriptions et Belles-Lettres,»Comptes rendus des Scéances


de l’Année 1932, p. 310.
313 Marshall, pl. CX.
310 Cf. Marshall, pl. CXVH, fig. 5.
317 Marshall, pl. CXII.
318 Marshall, pl. CXXVI, sign CCLXXIV, inscription H. 34.
Die Osterinselschrift. 905

the manual is too small and too indistinct as to be of much use as a reliable
model. Moreover, in the original Harappa seal itself, the sign is badly
damaged 319 . The real form of the sign,, differing from Hevesy’s drawing as
based on the defective model, is to be seen in Marshall’s seal 182 32 °.
Sign no. 8, too, must be discarded. It is on the whole a correct repro
duction of the first sign on the right of Marshall's seal 431 321 , but the
original seems to be damaged, and anyway the sign in the photographic
reproduction is so indistinct that nothing certain can be mode out of it.
According to Dr. Hunter, who has had occasion to handle the original, this
sign is really the figure of a bird and thus quite different from Hevesy’s
drawing as based on Sir John Marshall’s photograph 322 . Of course Hevesy
could not know this in 1933, a year before Dr. Hunter’s book was published.
The sign reproduced by Metraux in his fig. 2 /7, p. 223, and cor
responding to a sign found on Marshall’s seal 306, has been misinterpreted
by Hevesy and does mot exist in this form. It has in reality no resemblance to
the Easter Island sign to which Hevesy compared it. Sign no. 27, too, is
incorrectly drawn. Hevesy seems to have mixed up several variants and related
forms. In this case, however, the resemblance with the corresponding Easter
Island sign is not much impaired by the substitution of one of the original
forms 323 .

In no. 30 the Easter Island sign has certainly be misunderstood and


incorrectly reproduced by Hevesy. As Metraux has already pointed out, it
represents some marine animal and has nothing in common with the cor
responding Indus sign.
In signs no. 44, 45 and 59 the original ovals have erroneously been
replaced by .circles.
There are a few other minor and mostly insignificant inaccuracies in
Hevesy’s drawings, some of which I have already indicated. They are neither
more frequent nor more important than similar small inaccuracies in Dr. Hun
ter’s book and article and in Sir John Marshall’s sign manual.
By stating that Hevesy’s drawings are in the vast majority quite correct,.
I do not want to imply that I accept all his comparisons. Some of these I feel
bound to reject, while a number of others seem to me far from convincing.
Thus, Easter Island sign no. 11 is nothing but a variant of the sign for
raa (sun), hetii (star) or ahi (fire) as reproduced above in fig. 4 a. The Indus
sign to which Hevesy compares it has nothing in common with the star-like
form characteristic for the Easter Island sign. The similarity is really quite
superficial and purely accidental. The same may be said of no. 40. Here again
the Easter Island sign is but a variant of the sign for raa or hetu and has
nothing to do with the corresponding Indus sign.

319 Illustrated London News, March 6, 1926, p. 398, fig. 2.


320 Marshall, pi. CVIII.
321 Marshall, pi. CXIII.
322 Hunter, The script of Harappa etc., pi. IV, fig. 62.
323 Marshall, p. CXXII, sign XCIX. — Hunter, Mohenjodaro-Indus Epigraphy,
no. LXXXII.
=:

906 Robert von Heine-Geldern,

In Métraux’s opinion, no. 33 “is the only striking and real parallel
between the two scripts”. I cannot agree with this. As I have tried to show
above, in chapter 9 c, the Easter Island sign, the sign for rangi (heaven), is
probably derived from a certain house-form of East Asia. It is extremely
improbable that this house-form should ever have been known to the ancient
inhabitants of the Indus Valley or to their ancestors. Moreover, a comparison
of the different variants of the Indus sign shows that it certainly cannot repre
sent a house and that in most cases there is really very little resemblance to
the rangi sign of Easter Island 324 .
In the composite Easter Island sign no. 64 the object which the human
figure holds in its hand is the sign for henua (earth, land) which, as I have
tried to show (chapters 8 and 9 b) is probably a cosmic symbol. It is highly
improbable that the corresponding Indus sign has a similar meaning. If there
is any real relation between the henna sign of Easter Island and an Indus sign,
it would more probably be with the sign consisting of the figures of three
mountains (cf. above, fig. 19). However, there remains in the case of no. 64
a stylistic resemblance which, in my opinion, should not be underrated.
Among others, comparisons no. 2, 9, 20, 31, 38, 74, seem to me not at
all convincing. However, there is still enough that remains valid, as well
among the comparisons commented upon by Dr. Métraux as among those
which he did not reproduce and which may be looked up in Hevesy’s. papers.
I want to lay special stress on those signs which represent a human
figure holding an object of the form of the letter U. Métraux reproduces three
of them (nos. 61, 62, 63), two of which are to be found above in fig. 15. Of
no. 61 he says: “The resemblance between these two signs can be accepted,
though on Easter Island tablets the personage holding the U is a bird,” This
last remark is certainly not justified. Neither in no. 61 nor in no. 63 does the
figure represent a bird, as Dr. Métraux thinks, but a man seen in profile.
As Balfour has shown, the form in which human profiles are represented in
Easter Island script has to a certain extent been modified by assimilation to
a bird’s head 325 ; nevertheless the distinction between men and birds is always
strictly observed, as can easily be seen by a glance at any of the Easter Island
tablets with their numerous figures of birds, of men seen in profile, and of
men with genuine birds’ heads. The distinction between these men with real
birds’ heads and those whose profiles have been stylistically influenced by
assimilation to a bird’s head, is not less clear than, for instance, in Indian
and Javanese art that between the type of Garuda having a bird’s head, and
his human type characterised only by an abnormally long nose reminiscent of
a bird’s beak 326 .

324 Marshall, pi. CVI, fig. 75; pi. CV1I1, fig. 161; pi. C1X, fig. 200; pi. CX, fig. 271;
pi. CX1II, fig. 464. — Hunter, Mohenjodaro Indus Epigraphy, no. XC.
325 Henry Balfour, Some ethnological suggestions in regard to Easter Island,
Folk-Lore XXVIII (1917), 361 ff.
p or representations of men seen in profile which, according to Dr. Métraux,
would be “birds”, see above figs. 1 c, 2 a,b, 8a,b, 14 a. The meanings of some of these
figures, as for instance “first-born”, indicate that they were intended to represent men
and not birds.
Die Osterinselschrift. 907

Of no. 62 Métraux says: “The signs are the same as above and simply
duplicate the preceding parallel”; and of no. 63: “Same remark as for 61.”
It is rather surprising that Métraux, though admitting in all three cases the
similarity of the Indus and Easter Island signs, did not realize the importance
of the fact, that in both places, in ancient India as well as in Easter Island,
there should have existed side by side the same three variants of the same
rather complicated and unusual sign: the figure of a man with a large U in
the right hand, the figure with a large U in the left hand, and the figure with
a small U in the left hand. To these three variants I have now been able to
add a fourth one: the figure of a sitting man seen in profile and holding the U
with both hands (see above fig. 14). This cannot be a mere coincidence. In my
opinion, this group of four variants, especially if considered in connection with
the numerous other similarities between the two scripts, is a certain prove of
real relationship 327 .

Dr. Métraux is certainly right in stressing the necessity of comparing


all the variants of the different signs of Easter Island so as to be able to
establish their essential forms. In his pi. I, p. 220, he has tried to do this for
one special sign. However, I must confess that, in my opinion, only the figures
in the first six lines of the plate are obviously all variants of one and the same
sign, while for some of the figures in line 7 to 9 I could not admit this as
quite so certain 328 . And it is difficult to understand why Métraux considers
the sign representing a double-headed bird, reproduced in the bottom line of
the plate, as a mere variant of that showing a one-headed bird. Dr. Métraux
may have special reasons for this assumption, but in this case it is regrettable
that he has not told them.
Dr. Métraux lays great stress on the difference existing between the
two scripts with regard to the direction of reading and the arrangement of the
lines. He says: “Hevezy has made much ado of the fact that both the Indus
script and the Easter Island script are boustrophedon — he plays on words.
The Mohenjodaro script was usually read from right to left, but sometimes
from left to right, a method which is called boustrophedon 329 . On Easter
Island the figures on each line are upside down, as compared to those of the
adjacent lines. The signs were engraved from left to right... This is essentially
different from the boustrophedon method of the Indus Valley.” As I have
shown above (chapter 9 a), the arrangement in which “the figures on each line
are upside down, as compared to those of the adjacent lines” is indeed to be
found in some of the inscription from Harappâ. The only important difference
is, that in Harappâ the beginning was at the right hand upper corner and that

327 a new variant has just been published, the standing figure in this case holding
a small U in the right hand (i.e. in the left as seen by the reader). It is found on
a seal excavated at Harappa during these last years. Cf. Annual Report of the Archaeo
logical Survey of India, 1934—1935 (Delhi 1937), pi. X, fig. 25. 1 do not know as yet
whether this variant, too, occurs in Easter Island.
328 In some cases these figures are certainly composite signs.
329 This is a very inadequate definition of boustrophedon. For a discussion of
boustrophedon as used in the Indus script, see above, chapter 9 a.
Anthropos XXXIII. 1938. li
908 Robert von Heine-Geldern,

one read from right to left, beginning with the first line from above, whereas
in Easter Island the beginning was at the left hand lower corner, and that one
read from left to right, beginning with the bottom line. However, as we know
how easily ancient scripts used to change their direction, this difference is
really not very important as compared with the very unusual fact of two
adjacent lines having in relation to each other their signs upside down, an
arrangement which I have as yet been able to find only in Easter Island and in
Harappâ. The similarity between the two scripts with regard to the arrange
ment of the lines is thus really greater than Hevesy had assumed.
According to Métraux, “the distribution of the signs and the lack of
groups exclude the possibility of phoneticism”. There is no doubt that he is
right for the Easter Island script as we know it. But I am not at all so certain
that this script is not a degenerate form of an earlier, partly phonetic script.
Though there is no proof for this, there exist, as I have pointed out above
(chapter 8), at least some indications of such a possibility.
But Dr. Métraux goes still farther, not considering the Easter Island!
script as a script at all. Whenever he refers to it, he puts the word “script”
between quotation marks. Of course this is a matter of words and depends
upon what one understands by “script”. In my opinion, the essential criterion
of a script is the use of more or less constant and conventionalised signs for
certain conceptions or sounds. A single glance at one of the Easter Island
tablets will show that this characteristic is present. The variants of one sign,
for instance, which Métraux himself has combined in the first six lines of his
plate I (p. 220), do not differ more from each other than the variants of one
and the same sign in other scripts. On the other hand!, they allow us to
recognise a high degree of conventionalisation and of constancy of form even
with regard to apparently unimportant details.
Dr. Métraux comes to the “general conclusion that between the Indus
script and the Easter Island pictographic writing there is no other connection
than that which is bound to appear automatically between two pictographies
whenever and wherever they appear” 33 °. He even finds it “rather surprising
that the Indus script and the Easter Island picture writing have so little in
common, since both derive from some sort of pictography”.
I think that this may be explained by the fact that they do not derive
independently from “some sort of pictography”, but from a common source,
an as yet unknown Asiatic script, to be dated probably in the 4 th millenium B. C,
and that they have retained from this common ancestral script only a small
stock of common signs and some stylistic principles, while having developed
in perfectly different directions, as is only natural with regard to the enormous
distances in space and in time by which they are separated.
Dr. Métraux believes he can demonstrate the utter absurdity of Hevesy’s
views by pointing out a number of similarities between the script of the Cuna
Indians and the scripts of Easter Island and of Mohenjodaro, assuming, of
a:5 ° It would certainly be difficult to explain, why the four variants of the figure
with the U in the hand are “bound to appear automatically” in two pictographies
“whenever and wherever they appear”.
Die Osterinselschrift. 909

course, that in this case a purely fortuitous coincidence cannot be doubted.


“If scientists”, he says, “insist upon connecting Easter Island with the Indus
Valley, I claim the same privilege for the neglected Cuna Indians of the modern
Republic of Panama.” Here I perfectly agree — though in a somewhat different
sense than Dr. Métraux probably would expect. As I have tried to prove
above (chapter 9 c), there are indeed very strong reasons for supposing the
existence of a real relationship between Easter Island and Cuna script. In his
figure 27, p. 239, Métraux has reproduced about two dozen “signs of a Cuna
manuscript showing striking resemblance to the symbols of the Easter Island
tablets and the Indus script” and, as he says, “selected according to the method
used by Hevezy”. Among others, he gives figures of the moon, of a plant,
of a bird, of a toad or turtle, etc., figures the similarities of which are certainly
not convincing. In view of this, I want to emphasize that I preferred to compare
only such signs of the Easter Island and Cuna scripts which, while not being
of too commonplace a form, can also be proved to have the same or at least
a closely related meaning 331 .
Dr. Métraux finally exclaims: “All the evidence, even good sense, is
against Hevezy’s view.” As to evidence, I hope to have shown that it rather
confirms than contradicts Hevesy’s view; and the invocation of “good sense”
is a dangerous argument which again and again has tended to turn against
those who used it, ever since those days when scholars asserted that it was
“against good sense” to believe that the earth is not a disk but a sphere.

:{:n However, some of Dr. Metraux’s suggestions may prove useful for a more
detailed comparison of Easter Island and Cuna script.
li

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