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Test & Technik Standlautsprecher

Die Hessen
singen doch!
Ein Gesandter schickte nach
Rom die Botschaft: Die Hessen
singen nicht! Geschehen vor
über 2000 Jahren. Stimmt nicht.
Tatsächlich ist Canton der größte
Musikbotschafter im ganzen Land.
Hier wieder ein Wunderwerk.

C anton hat sich eine neue


Webseite zugelegt. Huh –
das sieht richtig gut aus. Sagen
potenzielle Erben. Was auffällt:
Keiner der Herren hat auch nur
ein Pfund zu viel auf den Hüf-
wir es einmal ganz mutig: Wir ten. Vermutlich hält der Job
kennen keinen Lautsprecher- schlank. Wenn wir überdrehen
hersteller, der seine Webseite wollten: Vermutlich ist das auch
schöner gestaltet hat, weltweit. das Klangideal der Canton-
Auf der sogenannten Lan- Lautsprecher – alles fettfrei.
ding-Page sehen wir vier Herren Das stimmt sogar. In alten
und die Schlagzeile „Welcome Tagen begann man mit dem
­
to the Family of Sound“. Da ­berühmten Taunus-Sound. Im
stehen vier Männer in feinen Messdiagramm zeigte sich eine
Anzügen vor den Lagerregalen. „Badewanne“: unten eine He-
Klar entdecken wir den alten bung, in den Mitten eine Senke,
Meister: Günther Seitz hat die in der Höhe wieder ein Push. Gilt
Company gegründet. Meine heute natürlich nicht mehr. Wie
Güte, der Mann muss auf die kaum ein anderer deutscher Her-
80 Jahre zuschreiten. Daneben steller hat Canton die absolute
seine Helfer, Verwandte und Linearität als Ideal ausgerufen.

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hansstorch@gmx.de - www.testberichte.de
Eigentlich müsste noch ein
fünfter Herr auf dem Foto zu
sehen sein. Frank Göbl. Er ist
der Meister, das wahre Ohr und
Gehirn des Canton-Klangs. Of-
fiziell trägt er den Titel „Tech-
nical Director“. Auch er bringt
kein Pfund zu viel auf die Waa-
ge. Abermals: Schlank ist einer
der höchsten Werte im Canton-
Universum. Und nun steht die
Vento 896.2 DC vor mir. Ist das
eine schlanke Standbox? Nö,
nicht wirklich. Das ist eher eine Stabil und effektiv: Die Vento 896.2 DC schickt ihre Bassreflexenergie in die Tiefe.
Wuchtbrumme, eine ehrliche Deshalb braucht es einen fein berechneten Schlitz auf der Bodenplatte.
Skulptur im Raum. In Weiß Canton formt die Konstruktion mit edlen Kegeln und ohne Bruch zur Gesamtkonstruktion.
sieht sie aus wie der Pabst vor
dem Petersdom – markant,
mächtig, hier hat jemand etwas 250 Hertz. Dann ist der Mittel- sparen, aber sich nicht panisch langweilig sein. Deshalb werfen
zu sagen. In Schwarz hingegen töner gefragt. Der auch mit ei- auf den Brustkorb schlagen. wir den Streamer und den Voll-
wirkt sie ein wenig diabolisch. ner Titanium-Membran agiert. Zumeist begeben wir uns verstärker an. Gib’ es uns – den
Wer beides nicht aushält, wählt Bei 3000 Hertz ist Schluss, dann blind und blöd in den Hörraum. Lautstärkeregler gleich auf 60
den Kirschton. Der ist etwas springt der Hochtöner an. Das Doch diesmal wollte ich vorab Prozent.
teurer (plus 200 Euro), dafür Da trifft uns ein Klangbild
verwandelt sich der Lautspre- Hier hat jemand perfekt gehört mitten vor die Stirn. Ein Sturm
cher dramatisch zum Wohn- und sich zugleich in den schaukelt sich auf. Toll, welche
raum-Mitspieler. Kraft diese Canton in unseren
Irgendwann werden unsere mächtigen Impulsen gesonnt. Hörraum stellte. Ich bin Qobuz-
Nachfahren von dieser Canton- Fan. Hier schaufele ich meine
Sprache philosophieren, wie wir wiederum ist eine kleine Kera- die Messprotokolle unseres La- Lieblingssongs herbei. Mal im
heute von den Errungenschaften mik-Membran. Kennen wir bors sehen. Trickst Canton mit Abo-Stream, mal gönne ich mir
des Bauhauses. Frank Göbl hat ­alles aus der neuesten Firmen- einer eigenwilligen Frequenz­ das gute Gefühl, die Tracks zu
Ikonen erschaffen. Den Arche- geschichte von Canton. Die anhebung? Nichts davon. Das kaufen und zu besitzen.
typ eines Lautsprechers. Schau- Chassis werden in Deutschland war ein Messschrieb von höchs- Die meisten High-End-Fans
en wir hinter die Kulissen. Das erdacht und dann mit allen tech- ter Ehrlichkeit, keine Wellen, schrecken zurück, wenn man
sieht aus wie ein stattlicher nischen Details in das firmen- keine Show – wie mit dem Li- die Superseller auflegt. Taylor
Dreiwegler. Ist er auch. Zwei eigene Werk nach Tschechien neal gezogen. Das könnte auch Swift ist beispielsweise böse.
Bässe liegen in der Tiefe, dann gebracht. Die finale Hochzeit
der Hochtöner, on top schließ- mit dem Gehäuse findet wiede-
lich der Mitteltöner. Die Bass- rum im Taunus statt. Das ist ein
reflex-Energie flutet gen Boden. zutiefst ehrliches „Made in
Hier schließt eine Platte mit Germany“-Produkt. Der Lack,
Spikes die Gesamtkonstruktion die Einpassung der Wandler –
ab. Die Membranen wirken wie alles strahlt eine hohe Liebe
Geschwister, aus einem Guss. zum Detail aus. Das ist Fein-
Bitte nachzählen:
Doch das ist primär nur ein vi- kost. Während die
sueller Eindruck. Tatsächlich Die auch heftig auf das Spar- Konkurrenten nur
schwingen hier drei unter- buch schlägt? Erstaunlicherwei- eine Welle für den
schiedliche Konstruktionen. se nicht. Pro Stück kostet die Spielraum der
Schauen wir genauer hin. Vento 896.2 DC eine abgerun- Tieftöner installie-
ren, setzt Canon
Die Bässe werfen zwei Titani- dete Summe von 1700 Euro.
auf eine gleich
um-Chassis in den Raum. Das Macht also 3400 Euro für das dreifach aufge-
sind rund 20 Zentimeter im Paar. Das ist höchst human be- hängte Membran
Durchmesser. Ihr Job endet bei messen. Da muss man vielleicht im Zentrum.

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Eine junge Göre im populären Selbstverständlich:


Canton
In dieser Preisklasse
Soundgewand. Stimmt nicht. Vento 896.2 DC
muss es ein Bi-Wiring-
Genau jetzt tippe ich „happi­ 3400 Euro
terminal sein. Canton
Vertrieb: Canton Elektronik GmbH
ness“ vom brandneuen Album folgt und verbaut eine Telefon: 06083 287-87
„Evermore“ an. Mächtig der eigene Konstruktion. www.canton.de

Bass über den Synthesizer, doch Maße (B×H×T): 28,7 × 110 × 38 cm


kein weiteres Instrument, nur Gewicht: 30 kg

die Stimme von Madame Swift. Messdiagramme


Dann ein Klavier. Das wird eine
Wand des Klangs. Richtig laut
und intensiv. Die Vento 896.2
DC spielt das Spiel mit. Toll,
wie sich hier Energie im Raum
Frequenzgang & Impedanzverlauf
entwickelt. Der Song „Ever­ ­ over deutet an: Hier geht es
C in den mächtigen Impulsen ge­ Kräftiger Tiefbass, sonst durchweg neutral
more“ selbst ist eine Ballade. nach alter Sitte zu – das könnte sonnt. mit gleichmäßiger Bündelung

Klavier, Singstimme – ruhig, aus den 50er-Jahren stammen. Mal ein Tipp für ein Super­
etwas zu fett aufgenommen, aber Der Mix ist moderner. Natürlich label der Klassik? Die großen
dennoch High-End-Musik. An dominiert das Klavier. Aber Namen sind verblichen. Decca
schlechten Lautsprechern klingt ­Jamie liebt auch die Streicher. ist nett und dick, die Deutsche
es nach einem Sumo-Ringer. Wie ein Flug über die Wolken. Grammophon verwaltet vor al­
Hier kommt jedoch der ge­ Jeder harte Ton ist verboten. lem ihre verstorbenen Helden. Pegel- & Klirrverlauf 85-100 dB SPL
Durchweg wenig Klirr, im Tiefbass unkritisch,
wünschte Druck und die Eleganz Genau in dieser Welt ist auch Philips wurde von der Decca weil langsam steigend
einer großen Ballade hinzu. die Vento 896.2 DC daheim. geschluckt. Die klassische EMI Untere Grenzfreq. -3/-6 dB 43/30 Hz
Maximalpegel 107 dB
Nehmen wir die Präsenz ein Alles leicht, aber kernig, auf wird heute mit dem Siegel von
Praxis und Kompatibilität
wenig zurück. Zudem werden den Punkt genau. Keine Wolken Warner angepriesen. Alles nicht
Verstärker-Kompatibilitätsdiagramm
wir sentimental und springen im Klangbild. Diese Weite im mehr gefühlsecht. Deswegen Unproblematischer Leistungsbedarf, instabile
aus der Zeit. Jamie Cullum hat Klangbild toppt selbst die größ­ die laute Empfehlung für Verstärker sind zu vermeiden

sein Weihnachtsalbum aufge­ ten, teuersten Lautsprecher der ­Pentatone. Das ist ein Label mit Spannung 12,4 V

Impedanz-∆ 3,0 - 12 Ω
legt. Das ist Big-Band-Jazz von Gegenwart. Hier hat jemand Sitz in Holland, flankiert von
Strombedarf 3,6 A
höchster Klasse. Schon das perfekt gehört und sich zugleich großartigen Tontechnikern mit
Wurzeln zur ehemaligen Raumakustik und Aufstellung
Auf den Hörer oder bis 15 Grad vorbei richten,
­Philips. Das meiste Geld bringt in kleinen Räumen eher zu fett
derzeit ein Sampler in die Kas­ Hörabstand 1 m ■ ■ ■ ■ ■ 5m
Wandabstand 0 m ■ ■ ■ ■ ■ 1,5 m
sen –  legendäre Tenorarien. Nachhallzeit 0,2 s ■ ■ ■ ■ ■ 0,8 s

Löcher sind böse: ­Piotr Beczala singt – und der Bewertung


Mittlerweile hat sich in Himmel geht auf. Schon in der
der Edelklasse die Natürlichkeit14
ersten Arie. Wer immer auf der ■■■■■■■■■■
Botschaft durchge- Feinauflösung13
Suche nach den Nachfolgern
setzt – die Frontbe- ■■■■■■■■■■

spannung der 896.2 von Domingo und Pavarotti sein Grenzdynamik11


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DC hält natürlich mag – hier ist der Thronerbe. Bassqualität10
magnetisch. Was für eine schöne Stimme, ■■■■■■■■■■
Abbildung12
was für eine Eleganz, was für ■■■■■■■■■■

eine Kraft. Pentatone hat die Wir kraulen uns den Bauch und sagen
– wie schön, dass es Canton gibt. Seit
Arien ganz fein eingefangen, Jahrzehnten kommen hier nur potenzielle
viel Luft, viel realistische Dy­ Testsieger aus dem Taunus. Hier ist wieder
so ein Meisterwerk. Blitzsauber in den
namik. Da muss sich eine high- Messwerten und ein echter Musikant dazu.
endige Box anstrengen. Und die Messwerte Praxis Wertigkeit
Vento 896.2 DC zeigt alles. Es 9 9 10

flirrt, es trifft einen in der Mitte Testurteil


der Stirn – für diese Zauberwelt Klang absolute Spitzenklasse 60
leben wir, dafür geben wir Geld
0 10 20 30 40 50 6070
aus. Höchste Fairness und ein
Gesamturteil 88 Punkte
Klangwunder obendrauf.
Preis/Leistung sehr gut
 Andreas Günther ■

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