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FGW-Impuls

Neues ökonomisches Denken 05

Beeinflussung und Manipulation


in der ökonomischen Bildung
Hintergründe und Beispiele

Silja Graupe
Zur Methodik

Am Beispiel von zwei Standardlehrbüchern – den Economics


Auf einen Blick von Paul A. Samuelson und William D. Nordhaus und den
• Die Studie untersucht die Frage der Indoktrination Economics von N. Gregory Mankiws – werden durch sprach-
im Rahmen der weltweit standardisierten ökonomi- und textbasierte Analysen detailliert Formen von zumeist
schen Bildung an Hochschulen. unbewusst bleibender Beeinflussung nachgewiesen. Die Un-
• Zur Anwendung kommen sprach- und textbasierte tersuchungen stützen sich auf die Kognitionswissenschaften
Analysen, die sich auf die Kognitionswissenschaften (insbesondere die kognitive Linguistik, die experimentellen
und die Beeinflussungsforschung stützen. Neurowissenschaften und die Psychologie), auf die Beeinflus-
• An zwei Standardlehrbüchern werden exemplarisch sungsforschung (etwa im Rahmen der PR und des Marketing)
Formen der Beeinflussung aufgezeigt, die (Vor-) und auf die Lerntheorie (beispielsweise von Meyer und Land,
Verständnisse von Studierenden bis in weltanschau- auf die sich Mankiw konkret bezieht). Im Vordergrund steht ex-
liche Bereiche grundlegend und zugleich unbewusst emplarisch die Analyse, auf welche Weise der Marktbegriff in
verändern können. der Lehre eingeführt wird.
• Diese Formen entsprechen nicht den Kriterien einer
wissenschaftlich-objektiven Erkenntnisschulung. Die Studie lässt sich von der kognitionswissenschaftli-
chen Einsicht leiten, dass ein Großteil menschlicher Wahrneh-
mungs- und Denkweisen normalerweise unbewusst bleibt. Das
Anlass und Gegenstand der Studie
überwiegend unbewusste Denken und Handeln prägt den Men-
schen fundamental, ohne dass er es im Einzelnen wahrnimmt
Die Studie geht der Frage nach, ob und auf welche Weise Stu-
und reflektiert oder gar kontrollieren kann. Es ist stattdessen
dierende in der ökonomischen Bildung möglicherweise indoktri-
von gedanklichen Deutungsrahmen, in der Fachsprache der
niert werden. Hierfür untersucht sie anhand von Beispielen den
Kognitionswissenschaften frames genannt, geprägt, die ohne
potenziellen Einfluss der ökonomischen Standardbildung an
unser Bewusstsein Sprache und Erfahrungen miteinander kop-
Hochschulen auf grundlegende Denk- und Handlungsweisen.
peln: „Wann immer unser Gehirn Worte und Ideen verarbeitet,
Wie können Studierende zur unkritischen Übernahme nicht nur
aktiviert es dazu Wissen und Sinnzusammenhänge aus vor-
von Wissen, sondern auch von grundlegenden Weltanschauun-
angegangen Erfahrungen mit der Welt“ (Wehling 2016, S. 21).
gen, Wertungen und Selbstbildern verleitet werden?
BEEINFLUSSUNG UND MANIPULATION IN DER ÖKONOMISCHEN BILDUNG

ABB. 1
Objektive Erkenntnisprozesse (grün) und beeinflusste Erkenntnisprozesse (blau)
Schematischer Vergleich

Die Studie untersucht an ausgewählten Textbeispielen, wie die Abbildung 1 zeigt die prinzipielle Wirkungsweise der unter-
ökonomische Standardbildung diese Verarbeitung und Aktivie- suchten Beeinflussungsformen: Unterhalb der Bewusstseins-
rung beeinflussen kann. Sie bemüht sich hierbei auch um einen schwelle, d. h. im Bereich passiver Intuitionen (den der Wirt-
interdisziplinären Austausch mit der Ideengeschichte und der schaftsnobelpreisträger Daniel Kahnemann ‚System 1‘ nennt),
Erkenntnistheorie. So soll aus unterschiedlichen Perspektiven zielen einzelne Beeinflussungsinstrumente darauf ab, jenen
sichtbar gemacht werden, welche Stilmittel bzw. rhetorische unreflektierten gesunden Menschenverstand (common sense)
Figuren, die kaum zu erkennen sind, in den ökonomischen umzustrukturieren, mit dem wir Menschen normalerweise den-
Standardlehrbüchern wirken und Wahrnehmung verändern ken, ohne weiter darüber nachzudenken. Bezüge zum objekti-
können. ven Denken (nach Kahnemann genannt ‚System 2‘) gehen da-
bei in starkem Maße verloren. Zudem wird durch diese subtile
Formen der Beeinflussung
Umstrukturierung das ökonomische Denken stillschweigend in
ein kognitives Netzwerk eingebettet, das bis in die Tiefe grund-
In den untersuchten Lehrbüchern lässt sich aufzeigen, dass
sätzlicher Weltanschauungen, Emotionen und Wertungen ragt.
Formen der Beeinflussung unbewusster Wahrnehmungs- und
Eine Aufklärung über die in dieser Tiefe stattfindenden Verän-
Denkweisen zum Einsatz kommen. Sie stehen im Gegensatz
derungsprozesse in den Denkstrukturen, die nur schwer wieder
zu dem Anspruch, Studierende in objektiv-wissenschaftlichen
umzukehren sind, findet dabei nicht statt.
Erkenntnisweisen zu schulen. Vielmehr zielen diese Formen
der Beeinflussung auf die Umbildung von surface frames ab,
Tabelle 1 gibt einen exemplarischen Überblick über For-
d. h. auf jene oberen Ebenen des Unbewussten, auf denen die
men der Beeinflussung, die in den untersuchten Beispieltexten
Bedeutung einzelner Wörter und Begriffe stillschweigend vom
auszumachen sind. Insgesamt fördern diese Formen eine ko-
Menschen erfasst wird. Sie richten sich zudem auf deep seated
gnitive Einbettung des Marktbegriffs in ideologische und po-
frames, also auf die tiefsitzenden unbewussten Ebenen, „die
litische Deutungsmuster (frames). Darüber hinaus begründen
unser generelles Verständnis von der Welt strukturieren [und]
und verfestigen sie gedankliche Verbindungen zwischen ab-
unsere Annahmen von der Welt zum Beispiel auf Grund unse-
strakten und semantisch entleerten ökonomischen Begriffen
rer moralischen und politischen Prinzipien, die für uns schlicht
(wie Markt, Angebot und Nachfrage) einerseits und mechanis-
‚wahr‘ sind“ (Wehling 2016, S. 73), festlegen.
tischen Konzepten andererseits, die das Automatische, Unab-
änderliche, ja Sachzwanghafte einer Situation suggerieren. So

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BEEINFLUSSUNG UND MANIPULATION IN DER ÖKONOMISCHEN BILDUNG

TAB. 1
Formen der Beeinflussung

Formen der Erläuterungen Beispiele


Beeinflussung (aus Samuelson/Nordhaus und Mankiw)
Selektives (Beständige) Hervorhebung bestimmter Ge- • Unreflektierte Fokussierung auf den preisförmigen Warentausch.
Framing gebenheiten Wissens- und Erfahrungsgebie- • Fokussierung auf die Marktwirtschaft a priori.
te ohne Begründung.
Ideologisches Unterschwellige Kopplung ökonomischer • Black and White Fallacy: Etablierung von Entweder-Oder-
und politisches Begriffe mit Wertungen im politischen, ideo- Dualismen wie „Markt, Freiheit, Demokratie“ gegen „Zentralregie-
Framing logischen oder moralischen Sinne. rung, Staat und Kommunismus“.
• Glittering Generalities: pauschale Identifikation „des Marktes“ mit
freiwilligem Handeln, Demokratie, Wohlstand.
• Dämonisierung: Einsatz abwertender Begriffe wie „Coercion“,
„Verge of Starvation“ und „Mortal Terror“.
Appell an Förderung unreflektierter Zustimmung • Appell an unsichtbare Mechanismen oder Vorgänge, die allenfalls
Autoritäten durch (ungerechtfertigte) Hinweise auf Vor- geglaubt werden können („invisible hand“).
und Leitbilder, Autoritäten etc. • Appell an die „Wissenschaftlichkeit“ der Ökonomik, ohne diese
explizit zu schulen.
• Appel an große Ökonomen ohne dezidierte Auseinandersetzung
mit ihren Ideen, etwa durch bloße Verwendung von Begriffen wie
„Erster“, „berühmteste“ und „scharfsinnig“.
Verschweigen Schaffung einer Hypokognition (gleichsam • Keine Explikation der Voraussetzungen mathematisch-
eines gedanklichen Vakuums), d. h. „einer objektiven Denkens, keine Vermittlung geistes- und ideen-
Nicht-Existenz oder den Wegfall von Ideen geschichtlicher Zusammenhänge.
durch den Mangel an sprachlicher Umset- • Keine Thematisierung sozioökonomischer Zusammenhänge.
zung“. • Fehlende empirische Belege des Gesagten (stattdessen Plausi-
bilisierung durch alltägliche Beispiele).
Metaphorisches Weitgehend unbemerkbare Strukturierung • „Der Markt“ als „Maschine“, „Mechanismus“ etc.
Mapping des Denkens durch den Gebrauch unreflek- • „Der Markt“ oder „die Märkte“ als maschinengleiche Subjekte.
tierter Metaphern; Gebrauch von Metaphern • Assoziationen ökonomischer „Gesetze“ mit Grunderfahrungen
als „kognitive Kuppler“ zwischen konkreter der Schwerkraft sowie mit räumlichen Orientierungen (insbeson-
Welterfahrung und abstrakten Ideen. dere durch das Marktdiagramm).

wird das abstrakte ökonomische Denken an Erfahrungen an- von tiefsitzenden Annahmen von Selbst, Welt und politischen
gebunden, die der Sphäre des Ökonomischen selbst eigentlich wie moralischen Prinzipien führen, ohne dass die Studierenden
fremd sind. sich dieser wesentlichen Transformation ihrer eigenen Sub-
jektivität bewusst werden. Damit erfüllen die Beeinflussungs-
Manipulation
formen das Kriterium der (versuchten) verdeckten Einfluss-
nahme. Die Frage, ob der Beeinflussung eine beabsichtigte
Manipulation liegt vor, wenn Beeinflussung verdeckt, zielge-
Zielrichtung zugrunde liegt, gestaltet sich hingegen komplexer.
richtet und absichtsvoll erfolgt. Wendet man Kenntnisse der
Die Studie zeigt auf, dass diesbezüglich innerhalb des Neoli-
Kognitionswissenschaften und der Beeinflussungsforschung
beralismus ein Diskurs existiert, der auf eine solche Orientie-
auf ökonomische Standardlehrbücher an, wird deutlich, wie
rung im Allgemeinen schließen lässt. Es steht aber noch aus,
sehr diese Bücher die Schwächen der Studierenden im Hin-
im Detail zu zeigen, wie diese Orientierung konkret Einfluss auf
blick auf ihre Fähigkeit zur kritischen Reflexion ausnutzen. Die
die Entstehung und den permanenten Wandel ökonomischer
in der Studie skizzierten Beeinflussungsformen operieren auf
Standardlehrbücher nehmen konnte.
der Ebene des Unbewussten: Sie können zu Veränderungen

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BEEINFLUSSUNG UND MANIPULATION IN DER ÖKONOMISCHEN BILDUNG

Abgrenzung zur neoklassischen Theorie Zukünftig gilt es, solche Formen der (Selbst-)Aufklärung
durch die Erstellung weiterer beispielhafter Analysen und
Im Zusammenhang mit dem Verdacht, die ökonomische überblicksartiger Zusammenstellungen etc. zu stärken. Dabei
Standardlehre indoktriniere, wird häufig deren Nähe zur neo- sollten nicht nur Standardwerke der Hochschullehre im Fokus
klassischen Theorie diskutiert. Betrachtet man diese Theorie stehen, sondern auch und gerade Unterrichtsmaterialien an
ideengeschichtlich als eine am Wissenschaftsideal der Objekti- Schulen. Denn erste Sichtungen und Einschätzungen dieses
vität ausgerichtete Theorieströmung (die sich ab Mitte des 19. Materials zeigen, dass auch hier ähnliche Problematiken vorlie-
Jahrhunderts nach dem Vorbild der reinen physikalisch-ma- gen können. Eine weitere Aufgabe wird sein, Formen der ökono-
thematischen Wissenschaften formierte), lässt sich zeigen, mischen Bildung jenseits erfahrungsabhängiger, unbewusster
dass sie erkenntnistheoretisch gesehen kaum etwas mit den Beeinflussung einerseits und dem erfahrungsunabhängigen,
vorgenannten Beeinflussungsformen zu tun hat (vgl. erneut bewussten Wissenschaftsideal der Objektivität andererseits zu
Abbildung 1): Die neoklassische Theorie verlangt von Ökonom_ entwickeln und zu etablieren. Diese Form der Erkenntnisplura-
innen, ein erfahrungsunabhängiges, also objektives Wissen an- lität wird für Hochschulen wie für Schulen gleichermaßen von
zustreben, das keinerlei Spuren des Wissenden (persönlicher Bedeutung sein.
oder kultureller Art) mehr trägt und nur noch ein Wissen in-
Literatur und Anmerkungen
nerhalb rein formaler, weltferner Strukturen fokussiert. Dieses
Wissen stellt ein Ergebnis bewusster, meist mathematischer 1 - Kahneman, Daniel (2012): Thinking, Fast and Slow. London
Denkprozesse dar, die ein hohes Maß an Kontrolle und Können et al: Penguin.
des Verstandes verlangen; einer unbewusst bleibenden Trans-
2 - Meyer, Jan/Land, Ray (2005): Threshold Concepts and Trou-
formation persönlicher Identität bedürfen diese Denkprozesse
blesome Knowledge. In: Higher Education 49, Nr. 3, S. 373-388.
aber nicht.
3 - Wehling, Elisabeth (2016): Politisches Framing. Wie eine
Daraus folgt, dass die analysierten Beeinflussungsinst- Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht,
rumente ökonomischer Standardlehrbücher sich nicht durch Magdeburg: Herbert von Halem.
(stillschweigende) Behauptungen rechtfertigen lassen, dass
sie für die Vermittlung einer objektiven Wissenschaft notwen-
dig seien. Im Gegenteil weichen sie eklatant von wissenschaft-
lichen Bildungserfordernissen ab. Es wird aber auch deutlich,
dass die neoklassische Theorie aufgrund ihrer Distanzierung Über die Autorin
zur menschlichen Erfahrung wenig helfen kann, sich über Be-
Prof. Dr. Silja Graupe - Vizepräsidentin der Cusanus Hochschule
einflussungsformen in der ökonomischen Bildung aufzuklären.
und Professorin für Ökonomie und Philosophie.
Hierfür bräuchte es die Befähigung zu bewussten erfahrungs-
abhängigen Erkenntnisweisen, welche diese Distanzierung
Impressum
systematisch abbauen und zugleich das vormals Unbewusste
Herausgeber: FGW - Forschungsinstitut für gesellschaftliche
auf die Ebene reflektierter Erkenntnis heben können.
Weiter­
entwicklung (e.V.), Kronenstraße 62, 40217 Düssel­
dorf,
Ausblicke Tele­fon: 0211 99450080, E-Mail: info@fgw-nrw.de, www.fgw-nrw.de
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied: Prof. Dr. Till van Treeck
Die Studie wählt bewusst einen exemplarischen Zugang zum FGW-Themenbereich: Neues ökonomisches Denken
Thema, der Leser_innen befähigen soll, Beeinflussungsformen Themenverantwortliches Vorstandsmitglied:
detailliert nachzuvollziehen und tiefreichend zu analysieren. Prof. Dr. Till van Treeck
Dies wiederum soll einen soliden Grundstein legen, um solche Erscheinungsdatum: Düsseldorf, Mai 2017
Formen auch in anderen Lehr-Lernmaterialien selbstständig ISSN: 2510-408X
aufzuspüren und so zu einer eigenen Urteilsbildung zu gelan-
gen. Erfahren Sie mehr in der Studie:
FGW-Studie Neues ökonomisches Denken 05
www.fgw-nrw.de/studien/oekonomie05.html

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