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Silja Graupe
Zur Methodik
ABB. 1
Objektive Erkenntnisprozesse (grün) und beeinflusste Erkenntnisprozesse (blau)
Schematischer Vergleich
Die Studie untersucht an ausgewählten Textbeispielen, wie die Abbildung 1 zeigt die prinzipielle Wirkungsweise der unter-
ökonomische Standardbildung diese Verarbeitung und Aktivie- suchten Beeinflussungsformen: Unterhalb der Bewusstseins-
rung beeinflussen kann. Sie bemüht sich hierbei auch um einen schwelle, d. h. im Bereich passiver Intuitionen (den der Wirt-
interdisziplinären Austausch mit der Ideengeschichte und der schaftsnobelpreisträger Daniel Kahnemann ‚System 1‘ nennt),
Erkenntnistheorie. So soll aus unterschiedlichen Perspektiven zielen einzelne Beeinflussungsinstrumente darauf ab, jenen
sichtbar gemacht werden, welche Stilmittel bzw. rhetorische unreflektierten gesunden Menschenverstand (common sense)
Figuren, die kaum zu erkennen sind, in den ökonomischen umzustrukturieren, mit dem wir Menschen normalerweise den-
Standardlehrbüchern wirken und Wahrnehmung verändern ken, ohne weiter darüber nachzudenken. Bezüge zum objekti-
können. ven Denken (nach Kahnemann genannt ‚System 2‘) gehen da-
bei in starkem Maße verloren. Zudem wird durch diese subtile
Formen der Beeinflussung
Umstrukturierung das ökonomische Denken stillschweigend in
ein kognitives Netzwerk eingebettet, das bis in die Tiefe grund-
In den untersuchten Lehrbüchern lässt sich aufzeigen, dass
sätzlicher Weltanschauungen, Emotionen und Wertungen ragt.
Formen der Beeinflussung unbewusster Wahrnehmungs- und
Eine Aufklärung über die in dieser Tiefe stattfindenden Verän-
Denkweisen zum Einsatz kommen. Sie stehen im Gegensatz
derungsprozesse in den Denkstrukturen, die nur schwer wieder
zu dem Anspruch, Studierende in objektiv-wissenschaftlichen
umzukehren sind, findet dabei nicht statt.
Erkenntnisweisen zu schulen. Vielmehr zielen diese Formen
der Beeinflussung auf die Umbildung von surface frames ab,
Tabelle 1 gibt einen exemplarischen Überblick über For-
d. h. auf jene oberen Ebenen des Unbewussten, auf denen die
men der Beeinflussung, die in den untersuchten Beispieltexten
Bedeutung einzelner Wörter und Begriffe stillschweigend vom
auszumachen sind. Insgesamt fördern diese Formen eine ko-
Menschen erfasst wird. Sie richten sich zudem auf deep seated
gnitive Einbettung des Marktbegriffs in ideologische und po-
frames, also auf die tiefsitzenden unbewussten Ebenen, „die
litische Deutungsmuster (frames). Darüber hinaus begründen
unser generelles Verständnis von der Welt strukturieren [und]
und verfestigen sie gedankliche Verbindungen zwischen ab-
unsere Annahmen von der Welt zum Beispiel auf Grund unse-
strakten und semantisch entleerten ökonomischen Begriffen
rer moralischen und politischen Prinzipien, die für uns schlicht
(wie Markt, Angebot und Nachfrage) einerseits und mechanis-
‚wahr‘ sind“ (Wehling 2016, S. 73), festlegen.
tischen Konzepten andererseits, die das Automatische, Unab-
änderliche, ja Sachzwanghafte einer Situation suggerieren. So
TAB. 1
Formen der Beeinflussung
wird das abstrakte ökonomische Denken an Erfahrungen an- von tiefsitzenden Annahmen von Selbst, Welt und politischen
gebunden, die der Sphäre des Ökonomischen selbst eigentlich wie moralischen Prinzipien führen, ohne dass die Studierenden
fremd sind. sich dieser wesentlichen Transformation ihrer eigenen Sub-
jektivität bewusst werden. Damit erfüllen die Beeinflussungs-
Manipulation
formen das Kriterium der (versuchten) verdeckten Einfluss-
nahme. Die Frage, ob der Beeinflussung eine beabsichtigte
Manipulation liegt vor, wenn Beeinflussung verdeckt, zielge-
Zielrichtung zugrunde liegt, gestaltet sich hingegen komplexer.
richtet und absichtsvoll erfolgt. Wendet man Kenntnisse der
Die Studie zeigt auf, dass diesbezüglich innerhalb des Neoli-
Kognitionswissenschaften und der Beeinflussungsforschung
beralismus ein Diskurs existiert, der auf eine solche Orientie-
auf ökonomische Standardlehrbücher an, wird deutlich, wie
rung im Allgemeinen schließen lässt. Es steht aber noch aus,
sehr diese Bücher die Schwächen der Studierenden im Hin-
im Detail zu zeigen, wie diese Orientierung konkret Einfluss auf
blick auf ihre Fähigkeit zur kritischen Reflexion ausnutzen. Die
die Entstehung und den permanenten Wandel ökonomischer
in der Studie skizzierten Beeinflussungsformen operieren auf
Standardlehrbücher nehmen konnte.
der Ebene des Unbewussten: Sie können zu Veränderungen
Abgrenzung zur neoklassischen Theorie Zukünftig gilt es, solche Formen der (Selbst-)Aufklärung
durch die Erstellung weiterer beispielhafter Analysen und
Im Zusammenhang mit dem Verdacht, die ökonomische überblicksartiger Zusammenstellungen etc. zu stärken. Dabei
Standardlehre indoktriniere, wird häufig deren Nähe zur neo- sollten nicht nur Standardwerke der Hochschullehre im Fokus
klassischen Theorie diskutiert. Betrachtet man diese Theorie stehen, sondern auch und gerade Unterrichtsmaterialien an
ideengeschichtlich als eine am Wissenschaftsideal der Objekti- Schulen. Denn erste Sichtungen und Einschätzungen dieses
vität ausgerichtete Theorieströmung (die sich ab Mitte des 19. Materials zeigen, dass auch hier ähnliche Problematiken vorlie-
Jahrhunderts nach dem Vorbild der reinen physikalisch-ma- gen können. Eine weitere Aufgabe wird sein, Formen der ökono-
thematischen Wissenschaften formierte), lässt sich zeigen, mischen Bildung jenseits erfahrungsabhängiger, unbewusster
dass sie erkenntnistheoretisch gesehen kaum etwas mit den Beeinflussung einerseits und dem erfahrungsunabhängigen,
vorgenannten Beeinflussungsformen zu tun hat (vgl. erneut bewussten Wissenschaftsideal der Objektivität andererseits zu
Abbildung 1): Die neoklassische Theorie verlangt von Ökonom_ entwickeln und zu etablieren. Diese Form der Erkenntnisplura-
innen, ein erfahrungsunabhängiges, also objektives Wissen an- lität wird für Hochschulen wie für Schulen gleichermaßen von
zustreben, das keinerlei Spuren des Wissenden (persönlicher Bedeutung sein.
oder kultureller Art) mehr trägt und nur noch ein Wissen in-
Literatur und Anmerkungen
nerhalb rein formaler, weltferner Strukturen fokussiert. Dieses
Wissen stellt ein Ergebnis bewusster, meist mathematischer 1 - Kahneman, Daniel (2012): Thinking, Fast and Slow. London
Denkprozesse dar, die ein hohes Maß an Kontrolle und Können et al: Penguin.
des Verstandes verlangen; einer unbewusst bleibenden Trans-
2 - Meyer, Jan/Land, Ray (2005): Threshold Concepts and Trou-
formation persönlicher Identität bedürfen diese Denkprozesse
blesome Knowledge. In: Higher Education 49, Nr. 3, S. 373-388.
aber nicht.
3 - Wehling, Elisabeth (2016): Politisches Framing. Wie eine
Daraus folgt, dass die analysierten Beeinflussungsinst- Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht,
rumente ökonomischer Standardlehrbücher sich nicht durch Magdeburg: Herbert von Halem.
(stillschweigende) Behauptungen rechtfertigen lassen, dass
sie für die Vermittlung einer objektiven Wissenschaft notwen-
dig seien. Im Gegenteil weichen sie eklatant von wissenschaft-
lichen Bildungserfordernissen ab. Es wird aber auch deutlich,
dass die neoklassische Theorie aufgrund ihrer Distanzierung Über die Autorin
zur menschlichen Erfahrung wenig helfen kann, sich über Be-
Prof. Dr. Silja Graupe - Vizepräsidentin der Cusanus Hochschule
einflussungsformen in der ökonomischen Bildung aufzuklären.
und Professorin für Ökonomie und Philosophie.
Hierfür bräuchte es die Befähigung zu bewussten erfahrungs-
abhängigen Erkenntnisweisen, welche diese Distanzierung
Impressum
systematisch abbauen und zugleich das vormals Unbewusste
Herausgeber: FGW - Forschungsinstitut für gesellschaftliche
auf die Ebene reflektierter Erkenntnis heben können.
Weiter
entwicklung (e.V.), Kronenstraße 62, 40217 Düssel
dorf,
Ausblicke Telefon: 0211 99450080, E-Mail: info@fgw-nrw.de, www.fgw-nrw.de
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied: Prof. Dr. Till van Treeck
Die Studie wählt bewusst einen exemplarischen Zugang zum FGW-Themenbereich: Neues ökonomisches Denken
Thema, der Leser_innen befähigen soll, Beeinflussungsformen Themenverantwortliches Vorstandsmitglied:
detailliert nachzuvollziehen und tiefreichend zu analysieren. Prof. Dr. Till van Treeck
Dies wiederum soll einen soliden Grundstein legen, um solche Erscheinungsdatum: Düsseldorf, Mai 2017
Formen auch in anderen Lehr-Lernmaterialien selbstständig ISSN: 2510-408X
aufzuspüren und so zu einer eigenen Urteilsbildung zu gelan-
gen. Erfahren Sie mehr in der Studie:
FGW-Studie Neues ökonomisches Denken 05
www.fgw-nrw.de/studien/oekonomie05.html