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INDUSTRIE MENSCH-MASCHINE-SCHNITTSTELLE

HAPTISCHE SCHNITTSTELLEN insofern an, da mit dem Fahrpedal der liche Signalhöhe) kann das Aktivmodul
wesentliche Einfluss auf die Fahrzeug- mit ein- oder zweireihigen Aktoren unter-
Ein Fahrer muss in einer Vielzahl von Ver- längsdynamik ausgeübt wird. In Fahrtest schiedlicher Leistung bestückt werden.
kehrssituationen selbst entscheiden, wie mit Probanden ließen sich Verbrauch- Bei einreihigen Aktoren lassen sich Dreh-
er auf die steigende Signalflut aus dem seinsparungen von bis zu 7 % messen. momente zwischen 0,3 und 1,4 Nm erzeu-
Umfeld des Autos und Informationen im gen, bei zweireihigen Aktoren sind bis zu
Auto reagiert – und welche Prioritäten er 2,2 Nm möglich. Diese Skalierungsband-
AKTIVES FAHRPEDAL
dabei setzt. Fahrerassistenzsysteme unter- breite beeinflusst auch das Gewicht: In der
stützen ihn dabei Fehlreaktionen zu ver- Das AFFP ist modular aufgebaut: Die größten Leistungsklasse wiegt der Aktor
meiden. Handlungsaufforderungen sollten haptische Rückmeldung wird von einem rund 500 g. Während die erste, bereits in
daher intuitiv zu befolgen sein. Betrachtet Aktivmodul erzeugt, das sich für stehende Serie befindliche AFFP-Systemgeneration
man die Kommunikationskanäle zwischen und hängende Pedalerien applizieren lässt. von 2007 insgesamt rund 1,9 kg wog, liegt
Mensch und Maschine, so ist der visuelle Im Aktivmodul sind der Aktor, eine Motor- die aktuelle, zweite AFFP-Generation bei
Kanal weitgehend ausgeschöpft. Auf dem feder, die auch die nötige Redundanz zur <1,2 kg, . Mit der in Entwicklung
akustischen Kanal hat der Fahrer eher Pedalfeder herstellt, ein Sensor zur Erken- befindlichen dritten Systemgeneration
Kapazitäten frei, aber hörbare Rückmel- nung der Motorposition, eine Temperatur- werden sich durch höhere Integration und
dungen haben einen möglichen Nachteil: sensorik und ein kompakter Motorregler neue Werkstoffe voraussichtlich 800 bis
Sie sind nicht diskret, weil sie nicht aus- (Electronic Control Unit, ECU) zur Ansteu- 900 g Gewicht erreichen lassen. Momen-
schließlich für den Fahrer wahrnehmbar erung integriert. Die ECU des AFFP ist über tan befinden sich Prototypen der zweiten
sind. den CAN Bus mit der Motorsteuerung und AFFP-Systemgeneration in der Fahrzeug-
Haptische Rückmeldungen richten sich anderen Steuergeräten verbunden und be- erprobung bei verschiedenen OEMs.
dagegen exklusiv an den Fahrer und wer- kommt von dort Informationen als Grund- In dieser zweiten Systemgeneration
den sofort wahrgenommen – im Gegen- lage für das Ansteuern des Aktors. dient ein Mitnehmerstift zur Kraftübertra-
satz zu optischen Schaltpunktanzeigen. Der auf hohes Drehmoment optimierte, gung auf das Pedal. Der Stift ist konstruk-
Vor diesem Hintergrund hat das Segment bürstenlose Aktor mit Vollwelle überträgt tiv von der Pedalstange entkoppelt: Es
Chassis Electronics der Continental Divi- seine Kraft in Löserichtung (Gas wegneh- besteht weder eine form- noch eine kraft-
sion Chassis & Safety in Zusammenarbeit men) auf die Pedalstange. Die Lage des schlüssige Verbindung beider Komponen-
mit Continental Engineering Services das Motors wird auch ohne Bestromung von ten. Der Aktor ist damit nicht in der Lage,
Fahrpedal zu einer haptischen Schnittstelle der Motorfeder nachgeführt. Eine Diagno- ein Moment in der falschen Richtung zu er-
weiter entwickelt: das Accelerator Force sefunktion überwacht den Zustand des zeugen und kann somit kein „Gas“ geben.
Feedback Pedal“ (AFFP). Das bietet sich Motors. Je nach Einsatzzweck (erforder- Die Sicherheit der normalen E-Gas-Funk-

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AUTOREN

AKTIVES FAHRPEDAL ALS


SCHNITTSTELLE ZUM FAHRER DR.-ING. ANDREAS ZELL
ist Leiter der Entwicklung im
Segment Chassis Electronics
der Continental Division
Chassis & Safety in Nürnberg.

Mehr Sicherheit am Steuer, weniger Kraftstoffverbrauch sowie ein hoher Fahr-


komfort lassen sich nicht ohne Mitwirkung des Fahrers realisieren. Der Mensch
als oberste Steuerungsebene entscheidet maßgeblich, ob das technische Poten-
zial des Fahrzeugs ausgeschöpft wird. Um die Kooperation von Mensch und
CARMELO LEONE
Maschine zu optimieren, hat Continental ein aktives Fahrpedal entwickelt, das ist Senior Manager
den Fahrer mit haptischen Rückmeldungen unterstützt. Development Mechanics im
Segment Chassis Electronics
der Continental Division
Chassis & Safety in Nürnberg.

tion wird durch das Aktivmodul folglich Fahrzeug in kritischer Weise nähert, kann ANTONIO ARCATI
nicht beeinträchtigt. Bei der Bestromung das ACC ein Signal an die AFFP-ECU sen- ist Manager Product
führt der Aktor hohe dynamische Bewe- den. Der Aktor erzeugt daraufhin beispiels- Marketing in der Business
Unit Chassis Components der
gungen aus. Durch die direkte Kraftüber- weise eine Vibration, die den Fahrer direkt
Continental Division Chassis
tragung ohne Getriebe ist das Signal für an dem situativ relevanten Bedienelement & Safety in Frankfurt.
den Fuß des Fahrers eindeutig erkennbar. auf die Gefahr aufmerksam macht.
zeigt ein Beispiel für einen möglichen
Kraft-Weg-Verlauf, der etwa für eine Ab-
VERBRAUCHSTEST MIT PROBANDEN
standsregelfunktion verwendet werden
kann, wobei die Flanken, abhängig vom Eine frühe Überlegung bei der AFFP-Ent-
Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug, wicklung war, dem Fahrer den idealen
variabel vorgegeben werden. Alternativ Zeitpunkt für einen Schaltvorgang anzu- GREGOR SCHMITT
ist Senior Manager System-
wäre eine Anwendung im Hybridfahrzeug zeigen, damit der Motor möglichst oft im
integration & Fahrversuch bei
denkbar: Bei rein elektrischem Betrieb optimalen Drehzahlband betrieben wird. Continental Engineering
kann das Pedal weich eingestellt sein, Um die Akzeptanz und Wirkung eines Services in Nürnberg.
während eine etwas härtere Kennlinie
den Übergang in den Verbrennungsbetrieb
signalisiert.

EINSATZBEISPIEL

Zu geringer Sicherheitsabstand ist eine


der drei häufigsten Unfallursachen (neben
nicht angepasster Geschwindigkeit und
Ablenkung des Fahrers). Ein aktivierter
Abstandsregeltempomat (Adaptive Cruise
Control, ACC) kann den Fahrer zunächst
mit Hilfe einer Kennlinie wie in 1 auf den
vorschriftsmäßigen Sicherheitsabstand füh-
ren. Erkennt das ACC eine Situation, in der
der Fahrer sich einem vorausfahrenden  Die Generationen des aktiven Fahrpedals: Generation I bis III (v.l.n.r)

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INDUSTRIE MENSCH-MASCHINE-SCHNITTSTELLE

solchen Systems zu untersuchen, hat


Continental in Kooperation mit Continen-
tal Engineering Services und in Zusam-
menarbeit mit der TU München im Jahr
2009 eine Probandenuntersuchung durch-
geführt. Dazu wurde ein Versuchsfahrzeug
auf Basis eines BMW 530i (E60) aufge-
baut. Das eingebaute AFFP entspricht in
seinen Passivkennlinien der Originalpeda-
lerie. Als zentrales Steuergerät für den
Versuch dient eine dSpace MicroAutobox
(MABX). Dieses Steuergerät liest die Origi-
nalsignale des Motorsteuergeräts ein, zu
denen die Ansteuerung der optischen
Schaltanzeige gehört und steuert via CAN
im AFFP die haptische Indikation an.
Ein Doppelticken des Pedals beispiels-
weise, , signalisiert dem Fahrer den Zeit-
Der getriebelose Direktantrieb sorgt für eine dynamische, klare Signalform punkt, an dem der nächsthöhere Gang
oder der nächstniedrigere Gang eingelegt
werden sollte. Reagiert der Fahrer nicht, so
wird der Zyklus jeweils nach kurzer Pause
zweimal wiederholt, danach nicht mehr.
Die 24 Probanden der Studie fuhren die-
selbe Strecke rund um den Münchner Ring
dreimal, jeweils einmal ohne Schalt-
punkthinweis und ohne Verbrauchshin-
weis im Kombinationsinstrument (KI),
einmal nur mit dem originalen optischen
Schaltpunkthinweis im KI sowie einmal
mit optischem Schaltpunkthinweis und
haptischer Indikation mittels AFFP. Für die
Auswertung standen also 72 Datensätze
zur Verfügung. Pro Messung wurden über
die gesamte Strecke rund 50 Messwerte
mit einer Abtastrate von 10 ms aufgezeich-
net. Variable Zusatzlasten, wie Klimakom-
Doppeltick-Zyklus als Hinweis auf den optimalen Schaltzeitpunkt pressor und Licht wurden ebenfalls aufge-
zeichnet, erwiesen sich aber statistisch
bedeutungslos. Es zeigte sich, dass der
optische Schaltpunkthinweis nur schwach
beachtet wurde, während der haptische
Hinweis ausnahmslos deutlich mehr
Schaltvorgänge innerhalb der definierten
Reaktionszeit von 10 s auslöste. Alle 24
Probanden befolgten die optische und
haptische Indikation in deutlich höherem
Umfang als die rein optische, . Vergli-
chen mit dem rein optischen Schalthin-
weis sank die mittlere Drehzahl vor dem
Hochschalten im Schnitt um 450/min und
sogar um mehr als 500/min gegenüber
dem Fahren ohne Schalthinweis. Beim

Wirkung der Hinweisart auf das Schaltverhalten


aller Probanden

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sich der Kraftstoffverbrauch durch das
AFFP-Signal merklich senken. 80 % der
Ersparnis gehen dabei auf das Konto der
geführten Schubabschaltung, die restlichen
20 % lassen sich durch geführtes, ideales
Beschleunigen erreichen.

EINSATZMÖGLICHKEITEN:
HEUTE UND MORGEN

Grundsätzlich lässt sich das AFFP in


seiner Nutzung sehr frei gestalten. Die
Signalformen und -intensitäten der Pedal-
rückmeldung sind in weiten Grenzen
wählbar. Damit ist das Pedal eine anpas-
sungsfähige Schnittstelle, mit der ein OEM
sowohl im Hinblick auf die Wahl der un-
Das haptische Signal führt zu einer deutlich stärkeren Nutzung der oberen Gänge terstützten Funktion große Freiheitsgrade
hat als auch bei der Art der dafür erfor-
derlichen Rückmeldung. Diese hersteller-
spezifische Umsetzung kann mit unter-
schiedlichen Schwerpunkten erfolgen: Die
Zielrichtungen können bei höherer Sicher-
heit, bei mehr Komfort (Entlastung des
Fahrers) und bei der Verbrauchsabsen-
kung liegen. Wegen seiner Anpassungs-
fähigkeit ist es mit dem AFFP sogar mög-
lich, die individuelle Präferenz des Fahrers
für eine Signalform auf dem Speicher-Chip
des Schlüssels abzulegen.
Bindet man in einer künftigen Ausbau-
stufe das AFFP in einen elektronischen
Horizont mit GPS- und Navigationsdaten
ein, so kann der Fahrer frühzeitig ange-
messen auf Verkehrssituationen reagieren,
die er visuell unter Umständen noch gar
nicht wahrnehmen kann – etwa eine rote
Geführte Schubabschaltung und geführte Beschleunigung senken den Verbrauch
Ampeln hinter einer Kurve. Umgekehrt
kann der Fahrer in der Längsdynamik
dezent so geführt werden, dass er grüne
Ampelphasen im Stadtverkehr nutzt. In-
Schaltverhalten ließ sich die mangelnde lassen sich Sensoriken wie Radar, GPS nerhalb von Car-2-X-Strategien verschmel-
Ausnutzung der oberen Gänge genau basierte Navigationssysteme mit ihrem zen Sicherheit und Verbrauchsoptimierung
umkehren, . Gemittelt über alle Proban- Kartenmaterial, oder zukünftige Techniken noch weiter: Fahrzeuge können sich gegen-
den sank der Verbrauch von 8,8 l auf 8,1 l wie Car-2-X-Kommunikation nutzen. Die seitig über ihre Annäherung an Kreuzungen
und es ergab eine Ersparnis von 7,7 % für Energieeffizienz einer solchen „geführten informieren, so dass der Fahrer beispiels-
die Kombination aus optischer und hap- Verzögerung“ hat eine Studie mit dem weise auf bevorrechtigte Fahrzeuge und
tischer Schaltpunktanzeige. Die im Rah- Institut für Produktentwicklung der Uni- ein sinnvolles Ausrollen hingewiesen wird.
men dieser Studie zusätzlich abgefragte versität Karlsruhe (IPEK) aufgezeigt. Bei
Akzeptanz des haptischen Pedals war bei der Untersuchung in den Jahren 2008/2009
den Probanden sehr gut. wurden exemplarische Fahrmanöver auf
Weiteres Potenzial für energieeffizientes ebenen Strecken auf ihre Verbrauchsrele-
Fahren bietet die Interaktion zwischen vanz hin analysiert, anschließend simuliert DOWNLOAD DES BEITRAGS
Fahrzeug und Umfeldsensorik, um den und die Simulationsergebnisse im Fahr- www.ATZonline.de
Fahrer möglichst oft in die Schubabschal- zeug auf dem Rollenprüfstand verifiziert.
tung zu führen. Dazu müssen Informa- zeigt ein typisches Ergebnis der IPEK-
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tionen über den Verkehrsfluss oder den Studie: Bei einer temporären Geschwin- order your test issue now:
Straßenverlauf verfügbar sein. Hierzu digkeitsbegrenzung (Ortsdurchfahrt) lässt SpringerAutomotive@abo-service.info

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