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Das nichtlineare Verhalten von Böden im Bereich kleiner Deh- Die in diesem Beitrag verwendeten Begriffe „sehr kleine
nungen wird in geotechnischen Berechnungen häufig vernach- Dehnung“ und „kleine Dehnung“ sind wie folgt definiert
lässigt. Dies kann u. a. dazu führen, dass Fundamentsetzungen (siehe auch Bild 1):
oder Wandverschiebungen von Verbauwänden zu groß oder dass Dehnungen unterhalb der messtechnisch erfassbaren
Setzungsmulden in Folge von Tunnelvortrieben oder dem Aushub Grenze von konventionellen Laborversuchen, d. h. Triaxial-
von Baugruben zu flach und ausgedehnt berechnet werden. Aus versuche und Oedometerversuche ohne spezielle Instru-
Vergleichen zwischen Messungen und Berechnungen kann wei- mentierung wie z. B. lokale Dehnungsaufnehmer, werden
terhin geschlossen werden, dass auch das Last-Verformungs- als „kleine Dehnungen“ bezeichnet. Dehnungen innerhalb
verhalten von Pfählen und Zugankern im Gebrauchszustand zu des quasi-elastischen Bereichs werden als „sehr kleine Deh-
weich abgebildet wird, wenn das nichtlineare Verhalten von Bö- nungen“ bezeichnet.
den im Bereich kleiner Dehnungen in Berechnungen nicht be- Für die Steifigkeit von Böden im Bereich kleiner Deh-
rücksichtigt wird. Dieser Beitrag diskutiert und quantifiziert die
nungen wird in der deutschen Literatur oftmals auch der
Steifigkeit von Böden unter kleinen Dehnungen und bietet so in
Begriff dynamische Steifigkeit verwendet. In dynamischen
Kombination mit dem vorgestellten, kommerziell verfügbaren nu-
Versuchen wird meist mit kleinen oder sehr kleinen Deh-
merischen Berechnungsansatz die Möglichkeit, den Bereich
nungen gearbeitet. Unter Verwendung lokaler Dehnungs-
kleiner Dehnungen auch bei der Bearbeitung von Routineaufga-
messungen können die hohen „dynamischen“ Steifigkei-
ben zu berücksichtigen.
ten unter kleinen Dehnungen aber auch zu Beginn „stati-
Incorporating small-strain stiffness into geotechnical analysis. scher“ Triaxialversuche beobachtet werden (z. B. Stokoe
The nonlinear soil behavior at small strains is often neglected in et al. [30]).
geotechnical analysis. Doing so often leads to an overestimation Wie bereits in Bild 1 angedeutet, kann die Steifig-
of foundation settlements and retaining wall deflections. Settle- keit bei sehr kleinen Dehnungen ein Vielfaches der in
ment troughs behind retaining walls or above tunnels on the klassischen Laborversuchen ermittelten Steifigkeit be-
other hand may be analyzed to flat and extended. Comparing tragen. Eine Vernachlässigung dieser Gegebenheit in
measured displacements of piles or anchors within the working geotechnischen Berechnungen kann deshalb u. a. dazu
load range to those calculated without considering small-strain führen, dass Fundamentsetzungen oder Wandverschie-
stiffness shows a considerable too soft response. This paper is
concerned with a qualitative and quantitative discussion of the
small-strain stiffness phenomenon. In combination with the intro-
duced commercially available numerical tool of the small-strain
stiffness model, it provides the basics for incorporating small-
strain stiffness into routine design.
1 Einführung
© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Bautechnik 84 (2007), Heft 11 749
06_749-761 Benz (1237) 29.10.2007 8:43 Uhr Seite 750
Th. Benz/R. Schwab/P. Vermeer · Zur Berücksichtigung des Bereichs kleiner Dehnungen in geotechnischen Berechnungen
bungen von Verbauwänden zu groß berechnet werden, die Erweiterung des Hardening-Soil-Modells um einen An-
dass Setzungsmulden infolge von Tunnelvortrieben oder satz für kleine Dehnungen diskutiert.
dem Aushub von Baugruben in ihrer Ausdehnung über- Im hier vorliegenden Beitrag werden zunächst das
schätzt und dabei in ihren Gradienten unterschätzt wer- Phänomen der nichtlinearen Bodensteifigkeit im Bereich
den oder dass das Last-Verformungsverhalten von Pfählen kleiner Dehnung sowie vorhandene Korrelationen zu des-
und Zugankern im Gebrauchszustand zu weich abgebil- sen ersten Quantifizierung vorgestellt. Nach einer kurzen
det wird. Obwohl die nichtlineare Steifigkeitsentwicklung Diskussion des neu entwickelten Modells wird dann ab-
von Geomaterialien bei kleinen Dehnungen und deren schließend anhand von Berechnungsergebnissen auf die
Auswirkung auf Berechnungsergebnisse in den vergan- Auswirkungen der Berücksichtigung erhöhter Bodenstei-
genen Jahrzehnten oftmals thematisiert wurde (z. B. Bur- figkeiten unter kleinen Dehnungen eingegangen. Diese
land [7], Simpson [29]) gestaltete sich deren explizite sind in jedem Fall vorhanden, auch wenn die Herstellung
Berücksichtigung in praktischen Ingenieuraufgaben bis- eines Bauwerks selbst größere Verformungen hervorruft
weilen eher komplex. (Bild 1); der Bereich kleiner Dehnungen wird in der Her-
Indirekt berücksichtigt wird die Steifigkeitsentwick- stellungsgeschichte stets durchlaufen.
lung von Geomaterialien bei kleinen Dehnungen z. B. in
klassischen Setzungsberechnungen, die eine Grenztiefe ein- 2 Bodensteifigkeit bei kleinen Dehnungen
führen: Bodenbereiche, in denen nur geringe Spannungs-
änderungen durch äußere Lasten auftreten, sind gekenn- Das in Bild 1 skizzierte Verhalten wurde in einer Vielzahl
zeichnet durch kleine Dehnungen und große Steifigkeiten. von Experimenten an unterschiedlichsten Geomateria-
Im Fall von Setzungsberechnungen kann deshalb angenom- lien verifiziert, so dass angenommen werden kann, dass
men werden, dass unterhalb einer definierten Grenztiefe die Materialsteifigkeit bei sehr kleinen Dehnungen eine
die Verschiebungen vernachlässigbar klein sind und diese grundlegende Eigenschaft von Ton, Schluff, Sand und
Bereiche deshalb bei der Berechnung der Setzung nicht zu Kies ist (z. B. Tatsuoka et al. [33]), die im Falle von stati-
berücksichtigen sind (siehe hierzu auch Abschn. 4.3). scher und dynamischer Belastung (z. B. Burland [7], Sto-
Wird in numerischen Berechnungen ein Stoffgesetz koe et al. [30]) sowie drainierten und undränierten Ver-
angewendet, das den Bereich kleiner Dehnungen nicht hältnissen (z. B. LoPresti et al. [16]) auftritt. Zudem ist
modellieren kann, muss in dem gewählten Beispiel einer aus experimentellen Beobachtungen bekannt, dass sich
Setzungsermittlung ähnlich vorgegangen werden, um rea- die ursprüngliche Steifigkeit unter sehr kleinen Dehnun-
listische Ergebnisse zu erhalten: Entweder wird die Ver- gen nach einer Umkehr der Belastungsrichtung in etwa
schiebungsrandbedingung (unterer Netzrand) in einer an- wieder einstellt. Nach einer Belastungsumkehr wird dann
genommenen Grenztiefe gewählt oder die Steifigkeit tiefer mit zunehmender Dehnung erneut eine Abnahmekurve
Bodenschichten wird manuell erhöht. Beide Vorgehens- durchlaufen.
weisen sind unbefriedigend: Die Wahl der Verschiebungs- Diese experimentellen Beobachtungen können in einer
randbedingung in geringer Tiefe beeinflusst das Berech- einfachen Modellvorstellung auf die zwischen den Parti-
nungsergebnis in direkter Art und Weise und ist aus mathe- keln granularer Medien herrschenden Kräfte zurückgeführt
matischer Sicht unerwünscht. Eine manuelle Erhöhung werden. Die Annahme eines einfachen Haft-/Gleitreibungs-
der Steifigkeiten tiefer Bodenschichten setzt die Kenntnis gesetzes ist bereits ausreichend für das prinzipielle Ver-
der in diesen Schichten zu erwartenden Dehnungen vor- ständnis des Vorgangs: Sowohl im Ausgangszustand als
aus, welche a priori unbekannt sind. Die Berücksichtigung auch nach einer Umkehr der Belastungsrichtung befinden
der nichtlinearen Steifigkeitsentwicklung bei kleinen Deh- sich alle Kornkontakte in einem Haftreibungsmodus (ma-
nungen sollte in numerischen Berechnungen deshalb di- ximale Steifigkeit). Mit zunehmender Dehnung verlassen
rekt im Materialgesetz abgebildet werden. In kommerziell mehr und mehr Kornkontakte diesen Modus und gleiten.
erhältlichen Finite-Elemente-Programmsystemen sind sol- Die Steifigkeit nimmt ab. Werden in diesem einfachen Mo-
che Stoffgesetze derzeit jedoch nur vereinzelt verfügbar. dell alle Körner des Bodens als starr angenommen (psam-
Für praktische Belange eingesetzte Materialgesetze misches Verhalten [8]), so kann eine volumetrische Deh-
sollten aber nicht nur den Bereich kleiner Dehnungen ab- nung niemals eine Abnahme der Steifigkeit verursachen,
bilden können, sondern auch den Bereich größerer Deh- da sich in diesem Fall das Verhältnis von Normal- zu Tan-
nungen im Sinne von Bild 1. Für den praktischen Einsatz gentialkraft nicht ändert. Selbstverständlich ist ein solch
in numerischen Berechnungen hat sich im Bereich größe- psammisches Verhalten eine Idealisierung, wie auch das
rer Dehnungen beispielsweise das isotrop verfestigende verwendete Reibungsmodell, doch ist es in der Tat so, dass
Hardening-Soil-Modell [26] etabliert. Das hypoplastische Scherdehnungen, verglichen mit volumetrischen Deforma-
Stoffgesetz [15] mit intergranularer Dehnung [20], welches tionen, einen vergleichsweise hohen Einfluss auf die Stei-
im Gegensatz zum Hardening-Soil-Modell bereits einen figkeitsreduktion haben. Da Steifigkeitsreduktionskurven
Ansatz zur Modellierung des Steifigkeitsverlaufs unter sehr historisch zuerst in der Baugrunddynamik eingeführt wur-
kleinen und kleinen Dehnungen beinhaltet, findet dem- den, ist es aber schon aus diesem Grund in der Literatur
gegenüber in Routineaufgaben seltener Anwendung. Der üblich, die Steifigkeitsreduktion als Funktion von Scherdeh-
Einsatz eines Materialgesetztes in Routineaufgaben setzt nungen darzustellen. Die Scherdehnung gs ist definiert als:
voraus, dass dessen Eingabeparameter physikalisch ver-
1
ständlich definiert und an Laborexperimenten „ablesbar“ gs =
2 1
[
(e - e 2 )2 + (e 2 - e 3 )2 + (e 3 - e1 )2 ] (1)
sind. Deshalb wird hier ein Weg aufgezeigt, wie der Be-
reich kleiner Dehnungen auch von einfacher angelegten und somit in triaxialen Bedingungen (e2 = e3) gegeben
Stoffgesetzen erfasst werden kann. Exemplarisch wird hier durch gs = |e1 – e3|.
Th. Benz/R. Schwab/P. Vermeer · Zur Berücksichtigung des Bereichs kleiner Dehnungen in geotechnischen Berechnungen
Die im Folgenden dargestellten Steifigkeiten sind Se- konsolidierung hat einen geringeren Einfluss, welcher
kantenwerte. Steifigkeiten für sehr kleine Dehnungen sind z. B. von Viggiani & Atkinson [35] für Tone mit einem
mit Null indiziert, d. h., G0 bezeichnet den Schubmodul, Plastizitätsindex 10 < IP < 40 auf 0,20 < k < 0,25 beziffert
und E0 bezeichnet den Youngschen Modul bei sehr klei- wird.
nen Dehnungen. Unter der Annahme, dass sich Geomate- Neben den Ergebnissen für einzelne Materialien ent-
rialien bei sehr kleiner Dehnungen linear elastisch verhal- hält Bild 2 auch Korrelationen, die sich nicht auf ein Ma-
ten, kann über die Querdehnzahl n der Zusammenhang terial beschränken, sondern als allgemeinere Abschätzun-
zwischen dem Youngschen Modul E0 und dem Schubmo- gen für den Schubmoduls G0 vorgeschlagen wurden. Der
dul G0 wie folgt hergestellt werden: von Hardin & Black [9] vorgeschlagene Ansatz
Bild 2. Korrelationen von G0 mit der Porenzahl e Bild 3. Korrelation von G0 mit dem Spitzendruck aus Druck-
Fig. 2. Correlations between G0 and void ratio e sondierungen nach Lunne et al. [17]
Fig. 3. Correlation between G0 and cone penetration tip
resistance after Lunne et al. [17]
Th. Benz/R. Schwab/P. Vermeer · Zur Berücksichtigung des Bereichs kleiner Dehnungen in geotechnischen Berechnungen
Für die gezeigten Testdaten wurde angenommen: Eur = 3 E50, wobei E50 den Sekantenmodul bei Erreichen der halben deviatorischen
Versagensspannung bezeichnet (siehe auch Bild 8)
Bild 4. Korrelation nach Alpan: Originalveröffentlichung [1] (links) sowie Interpretation nach [5] mit Messdaten von vier
Sande nach [37] (rechts)
Fig. 4. Alpan chart: original publication [1] (left) and its interpretation after [5] with test results by [37] (right)
2.2 Steifigkeitsabnahme – Einführung der Referenzdehnung g0,7 wird durch hyperbolische Ansätze, wie sie im Ramberg-
Osgood-Modell oder im Hardin-Drnevich-Modell ange-
Steifigkeitsreduktionskurven für Sande (nach Seed & wendet werden, erreicht. Der prinzipielle Unterschied die-
Idris [28]) und bindige Böden (nach Vucetic & Dobry ser beiden Modelle besteht darin, dass ersteres im Deh-
[36]) sind in Bild 5 dargestellt. Gemäß dieser Quellen lie- nungsraum und letzteres im Spannungsraum definiert ist:
gen die Reduktionskurven bindige Böden mit Plastizitäts-
G 1
indizes kleiner 15 % im Streubereich eines nichtbindigen = k
Ramberg-Osgood (6)
Bodens. Für höhere Plastizitätsindizes jedoch reduziert
G0
t
sich die anfängliche Steifigkeit bei gleicher Dehnung we-
1+a
ty
niger.
Zur (quantitativen) Beschreibung von Steifigkeitsreduk-
G 1
tionskurven ist es hilfreich, diese näherungsweise durch = Hardin-Drnevich (7)
eine mathematische Funktion zu beschreiben. Hierfür bie-
G0 g
1+ s
ten sich eindimensionale Modelle aus der Baugrunddyna- gr
mik an. Das Hardin-Drnevich-Modell [10] ist neben dem
Ramberg-Osgood-Modell [23] und dem bilinearen Ansatz Dabei sind G0, a, k, ty die Materialparameter des Ram-
eines der bekanntesten Modelle der Baugrunddynamik. berg-Osgood-Modells und G0, gr die Materialparameter
Bild 6 zeigt eine graphische Gegenüberstellung dieser drei des Hardin-Drnevich-Modells. Neben seiner in der Litera-
Modelle in einer Belastung-Entlastung-Wiederbelastungs- tur vielfach attestierten Simulationsgüte zeichnet sich das
schleife. Das bilineare Modell kann die Form der Abnah- Hardin-Drnevich-Modell in der praktischen Anwendung
mekurve nur sehr grob approximieren und soll deshalb im also dadurch aus, dass nur zwei Eingangsparameter zur
Folgenden nicht weiter diskutiert werden. Eine gute Ap- Beschreibung der gesamten Steifigkeitsabnahmekurve im
proximation experimentell bestimmter Steifigkeitskurven Bereich kleiner Dehnungen benötigt werden.
Bild 5. Steifigkeitsreduktionskurven nach Seed & Idris [28] (links) und Vucetic & Dobry [36] (rechts)
Fig. 5. Stiffness reduction curves after Seed & Idris [28] (left) and Vucetic & Dobry [36] (right)
Th. Benz/R. Schwab/P. Vermeer · Zur Berücksichtigung des Bereichs kleiner Dehnungen in geotechnischen Berechnungen
Bild 6. Eindimensionale Modelle der Baugrunddynamik: (a) Bilineares Modell, (b) Ramberg-Osgood-Modell, (c) Hardin-
Drnevich-Modell
Fig. 6. One-dimensional models known from soil dyamics: (a) bilinear model, (b) Ramberg-Osgood model, (c) Hardin-
Drnevich model
Im Folgenden wird der hyperbolische Ansatz nach Referenzscherdehnung. Vucetic & Dobry [36] quantifizieren
Hardin & Drnevich in einer modifizierten Form zur Quan- die Abhängigkeit der Referenzscherdehnung von dem Plas-
tifizierung der Steifigkeitsabnahme herangezogen. Aus prak- tizitätsindex in dem in Bild 5 gezeigten Diagramm. Stokoe
tischen Erwägungen wird die Referenzscherdehnung gr et al. [31] entwickelten eine Korrelation, die den quantitati-
durch die Referenzscherdehnung g0,7 = 3gr/7 ersetzt: ven Einfluss des Plastizitätsindex etwas geringer einschätzt:
Bild 7. Steifigkeitsunterschiede Labor/Feld nach Toki et al. [34] (links) bzw. Stokoe & Santamarina [32] (rechts)
Fig. 7. Differences in the ratio of laboratory-to-field stiffness, left: data from Japanese case studies after Toki et al. [34], right:
results from the US American ROSRINE study after Stokoe & Santamarina [32]
Th. Benz/R. Schwab/P. Vermeer · Zur Berücksichtigung des Bereichs kleiner Dehnungen in geotechnischen Berechnungen
bzw. den USA. Es ist also davon auszugehen, dass obige gerweise an einer Sekantensteifigkeit, die innerhalb grö-
Korrelationen, die an Laborexperimenten entwickelt wur- ßerer Ent- und Wiederbelastungszyklen bestimmt wird.
den, tendenziell die untere Grenze der tatsächlich in-situ Bild 8 zeigt exemplarisch die Definition des elastischen
vorhandenen Schubmodule G0 darstellen. Bei der Formu- Ent- und Wiederbelastungsmoduls Eur des Hardening-
lierung der Steifigkeitsabminderungskurve wird jedoch Soil-Modells.
meist davon ausgegangen, dass diese nur in der Steifigkeit Eine einfache Möglichkeit, die erhöhte Steifigkeit un-
skaliert ist [32], d. h. g0,7 in-situ gleich dem im Labor er- ter kleinen Dehnungen in elasto-plastischen Modellen zu
mittelten Wert ist. berücksichtigen, bietet die dehnungsabhängige Steuerung
des elastischen Materialverhaltens. Ist die aktuelle Deh-
3 Ein Modell für kleine Dehnungen nungsamplitude klein, wird die elastische Steifigkeit ent-
sprechend erhöht. Diese Idee wurde z. B. im MIT-S1-Mo-
In der Literatur finden sich verschiedene Ansätze zur Be- dell [21] umgesetzt und ist auch Grundlage für die hier
schreibung des nichtlinearen Verhaltens von Geomateria- vorgestellte Modellerweiterung. Anders als im MIT-S1-Mo-
lien unter kleinen Dehnungen. Die zuvor beschriebenen dell, basiert die hier vorgeschlagene Modellerweiterung auf
eindimensionalen Modelle sind grundlegende Arbeitsmit- der modifizierten Hardin-Drnevich-Beziehung. Für dessen
tel der Baugrunddynamik. In multiaxial formulierten Stoff- multiaxiale Erweiterung wird der folgende einfache An-
gesetzen können diese Modelle nur mittels einer Genera- satz vorgeschlagen:
lisierung, wie z. B. im MIT-S1-Modell [21] geschehen, ein-
gesetzt werden. Als Kriterium zur Identifizierung von G 1 H* e˙
= mit g Hist = 3 (10)
Änderungen der Belastungsrichtung wird häufig das sehr G0 3 g Hist e˙
anschauliche Simpson-Brick-Modell [29] herangezogen.
1+
7 g 0,7
Alternativ werden in elasto-plastischen Modellen oftmals
Mehrflächen-Strategien verfolgt. Entweder werden mehrere wobei ė die deviatorische Dehnungsrate bezeichnet und
Fließflächen geschachtelt (Multi-Surface-Plasticity, z. B. H* eine tensorielle Größe ist, welche die deviatorische
[19]), oder es wird ein sehr kleiner elastischer Bereich de- Dehnungsgeschichte quantifiziert [4]. Bei monotonen Be-
finiert, der mit der Steifigkeit bei sehr kleinen Dehnungen lastungen ergibt sich H* als Integral über die deviatori-
assoziiert ist (Bubble-Modelle, z. B. [2]). Im Rahmen der schen Dehnungsraten. In diesem Fall reduziert sich obiger
Hypoplastizität wurde das Konzept der intergranularen Ansatz auf das modifizierte Hardin-Drnevich-Modell. Än-
Dehnung [20] entworfen, um dem nichtlinearen Boden- derungen in der Belastungsrichtung wird durch eine ent-
verhalten bei kleinen Dehnungen Rechnung zu tragen. sprechende Transformation der Dehnungsgeschichte Rech-
Die Anwendung vieler der erwähnten Konzepte in nung getragen:
praktischen Aufgabenstellungen ist anspruchsvoll, da für
eine vollständige Beschreibung eines Problems nicht nur Ê T11 0 0 ˆ
ein Modell für kleine Dehnungen, sondern auch ein Mo- *
H = T HT mit T = 0 T 22 0 ˜ und
Á
-1
dell für den sich daran anschließenden Bereich größerer ÁÁ ˜
Dehnungen benötigt wird. Überdies sollten das Gesamt- Ë 0 0 T 33 ˜¯
modell und dessen Verhalten für den Anwender transpa-
rent und überschaubar sein. Ein Modell, das diesen An-
sprüchen im Bereich größerer Dehnungen genügt, ist z. B.
T11 =
1
H11 + 1
[ (
1 + u(l(1)H11 ) H11 + 1 - 1 )]
das elasto-plastische Hardening-Soil-Modell. Im Folgen-
den wird ein Weg aufgezeigt, dieses um einen Ansatz für
T22 =
1
H 22 + 1
[ (
1 + u(l(1)H 22 ) H 22 + 1 - 1 )] (11)
den Bereich kleiner Dehnungen zu erweitern. Analog kann
die vorgeschlagene Erweiterung, die auf dem oben einge-
führten modifizierten Hardin-Drnevich-Modell beruht, aber
T33 =
1
H 33 + 1
[ (
1 + u(l(1)H 33 ) H 33 + 1 - 1 )]
auch für beliebige andere elasto-plastische Modelle heran-
gezogen werden. wobei u(x) die Heaviside-Funktion bezeichnet und l(i) die
Eigenwerte der deviatorischen Dehnungsrate sind. Unter-
3.1 Eine Erweiterung elasto-plastischer Modelle strichene tensorielle Größen sind in das Eigensystem der
für kleine Dehnungen Dehnungsrate transformiert. Neben dem so definierten
dehnungsabhängigen Steifemodul G wird die Querdehn-
Elasto-plastische Modelle mit isotroper Verfestigung, wie zahl vereinfachend als konstant angenommen.
z. B. das Cam-Clay-Modell oder das Hardening-Soil-Mo- Es ist anzumerken, dass die obige dehnungsabhängige
dell, unterstellen elastisches Materialverhalten im Falle Formulierung im Sinne der Mechanik nicht als elastisch
von Ent- oder Wiederbelastungsvorgängen: Spannungs- zu klassifizieren ist. Stattdessen kann die von Hueckel &
zustände, die innerhalb der im Spannungsraum definier- Nova [13] vorgeschlagene Terminologie paraelastisch ver-
ten Fließfläche liegen, werden mit elastischem Verhalten wendet werden, da geschlossene Belastungsschleifen bei
assoziiert. Würden die elastischen Materialparameter einer Richtungsänderung von 180° keine bleibenden Deh-
konstant und wie experimentell für sehr kleine Dehnun- nungen verursachen. Im Folgenden wird dennoch der Be-
gen bestimmt angenommen, würde sich in größeren Ent- griff elastische Steifigkeit weiter verwendet, um der Tat-
und Wiederbelastungsvorgängen insgesamt zu hohe Stei- sache Rechnung zu tragen, dass die paraelastische Steifig-
figkeiten einstellen. Die elastischen Materialparameter keit innerhalb der Fließfläche eines klassischen elasto-
solcher Stoffgesetze orientieren sich deshalb zweckmäßi- plastischen Modells angewendet werden soll.
Th. Benz/R. Schwab/P. Vermeer · Zur Berücksichtigung des Bereichs kleiner Dehnungen in geotechnischen Berechnungen
Bild 9. Masing-Verhalten nach Pyke [22], symmetrische Belastungsschleifen (links), mögliches Verhalten nach einer asym-
metrischen Belastung 0-1-2-3-4 (rechts)
Fig. 9. Hysteresis loops in symmetric (left) and irregular (right) loading according to the extended Masing rules after Pyke [22]
Th. Benz/R. Schwab/P. Vermeer · Zur Berücksichtigung des Bereichs kleiner Dehnungen in geotechnischen Berechnungen
Reduziert sich der elastische Schubmodul G des HS- auf die Dehnungsgeschichte eines Materials haben können
Small-Modells auf den Wert der elastischen Steifigkeit für (z. B. Relaxation), d. h., selbst nach einer Vorbelastung kann
größere Entlastungs- und Wiederbelastungsvorgänge (Gur), eine Initialisierung mit neutraler Dehnungsgeschichte sinn-
wird diese nicht weiter reduziert. Ab diesem Zeitpunkt voll sein.
wird der Ansatz für kleine Dehnungen innerhalb des Mo-
dells deaktiviert, und das Modell arbeitet als Hardening- 4 Anwendungen
Soil-Modell. Erst bei einer entsprechenden Änderung
(teilweise oder volle Umkehr) der Belastungsrichtung wird Alle folgenden Berechnungen wurden mit der Methode
der Ansatz für kleine Dehnungen wieder aktiviert. Bild 11 der finiten Elemente durchgeführt und sind einschließlich
zeigt die Steifigkeitsreduktion innerhalb des HS-Small- der verwendeten Materialparameter in [4] näher beschrie-
Modells. Es ist zu beachten, dass das Hardin-Drnevich- ben. Zur Identifikation des Einflusses des vorgeschlagenen
Modell mit Sekantensteifigkeiten arbeitet. Das HS-Small- Modells für kleine Dehnungen auf die Berechnungsergeb-
Modell jedoch arbeitet mit einer Tangentensteifigkeit. nisse wurden jeweils parallele (vergleichende) Berechnun-
Eine reine Modifikation der elastischen Steifigkeit gen mit dem Hardening-Soil- und dem HS-Small-Modell
eines verfestigenden elasto-plastischen Stoffgesetzes wie durchgeführt. Im Falle der Flachgründung wurden weiter-
des Hardening-Soil-Modells kann das Verhalten unter klei- hin Berechnungen unter Verwendung des hypoplastischen
nen Dehnungen in Erstbelastung nicht komplett wieder- Stoffgesetzes mit intergranularer Dehnung in den Vergleich
geben, da plastische Dehnungen von Beginn an eine Reduk- einbezogen.
tion der Steifigkeit mit sich bringen. Im HS-Small-Modell
wird im Bereich kleiner Dehnungen zusätzlich das Ver- 4.1 Triaxialversuch
festigungsgesetz beeinflusst. Näheres hierzu kann in [4]
nachgelesen werden. In einem Triaxialversuch ist der Einfluss kleiner Dehnun-
Die Initialisierung der Dehnungsgeschichte erfolgt, gen nur anfänglich zu beobachten. Bild 11 zeigt ein Bei-
wenn nicht anders bekannt, mit 0 (Erstbelastung). Falls in spiel eines dränierten Versuchs mit dicht gelagertem Hos-
einer Berechnung geologische Prozesse nachgebildet wer- tun Sand sowie dessen numerische Nachrechnung. Die be-
den (z. B. Vorbelastung durch eiszeitliche Gletscher) sollte rechneten globalen Spannungs-Dehnungsbeziehungen des
beachtet werden, dass auch zeitliche Effekte einen Einfluss Hardening-Soil-Modells und des HS-Small-Modells sind
Bild 10. Steifigkeit als Funktion der Dehnung im HS-Small Modell, links: Reduktion des elastischen Sekantenschubmoduls,
rechts: Reduktion des elastischen Tangentenschubmoduls
Fig. 10. Stiffness-reduction curve of the HS-Small model, left: elastic secant shear modulus, right: elastic tangent shear mo-
dulus
Th. Benz/R. Schwab/P. Vermeer · Zur Berücksichtigung des Bereichs kleiner Dehnungen in geotechnischen Berechnungen
sich sehr ähnlich. Wird die Dehnungsachse jedoch skaliert, Bild 13 zeigt die Setzungsmulde an der Geländeoberfläche
zeigt sich die erhöhte Materialsteifigkeit am Anfang der hinter der Verbauwand, welche bei Berücksichtigung des
Belastung. Bereichs kleiner Dehnungen früher abklingt. Dennoch ent-
stehen direkt hinter der Wand höhere Setzungen. Die hori-
4.2 Baugrube 2D zontale Verschiebung der Verbauwand ist kleiner und ent-
spricht in etwa der gemessenen Verschiebung, abgesehen
Die Berücksichtigung erhöhter Steifigkeiten bei kleinen von einer Abweichung nahe der Geländeoberfläche.
Dehnungen führt in der Berechnung von Baugruben mit
Verbau dazu, dass sowohl die Hebungen in der Baugru- 4.3 Flachgründung – Streifenfundament
bensohle, als auch die laterale Ausdehnung der Setzungs-
mulde hinter der Verbauwand abnimmt. Zusätzlich ist zu Numerische Berechnungen für ein mit einer Flächenlast
beobachten, dass das Verhältnis von horizontaler Wand- von 150 kPa beaufschlagten Streifenfundaments, das 1 m
verschiebung zu den Setzungen direkt hinter der Wand ab- in einen dichten Sand einbindet, wurden von Hintner
nimmt. Im Folgenden werden diese Effekte am Beispiel et al. [12] durchgeführt. Die Materialparameter des San-
eines von dem AK 1.6 der DGGT ausgegebenen Randwert- des wurden identisch zu denen des oben beschriebenen
problems (Schweiger [27]) aufgezeigt. Triaxialversuchs angenommen. Neben dem Hardening-
Bei der in Bild 12 gezeigten Baugrube handelt es sich Soil- und dem HS-Small-Modell kam bei dieser Berech-
um eine dreifach rückverankerte Baugrube in (Berliner) nung auch das Hypoplastische Stoffgesetz mit intergranu-
Sand. Die Berechnung umfasst vier Aushubschritte und ent- larer Dehnung zum Einsatz, welches ebenso wie das Har-
sprechende Grundwasserabsenkungen innerhalb der Bau- dening Soil-Modell und das HS-Small-Modell an Hand
grube. Die Berechnungsergebnisse am Ende des letzten von Triaxialversuchen und Oedometerversuchen kali-
Aushubschritts sind in den Bildern 13 und 14 dargestellt. briert wurde.
Th. Benz/R. Schwab/P. Vermeer · Zur Berücksichtigung des Bereichs kleiner Dehnungen in geotechnischen Berechnungen
Bild 14. Hebung im Schnitt A-A in der Baugrubensohle bei Bild 15. Verhältniswert der elastischen Moduln G/Gur bei
Endaushub Endaushub
Fig. 14. Vertical displacements in section A-A at the end of Fig. 15. Ratio of the elastic moduli at the end of excavation
excavation
Bild 16. Berechnete Setzung (rechts) und Verhältniswertes G/Gur (links) bei p = 150 kPa/m
Fig. 16. Calculated settlements (right) and ratio G/Gur (left) at p = 150 kPa/m
Th. Benz/R. Schwab/P. Vermeer · Zur Berücksichtigung des Bereichs kleiner Dehnungen in geotechnischen Berechnungen
widerlager in einem Abstand von ca. 15 m von der Bau- gebnis ergibt sich rechnerisch eine zu große Setzung und
grube wurde, wie in Bild 18 dargestellt, in einem drei- Verkantung des Brückenwiderlagers.
dimensionalen Finite-Elemente-Modell diskretisiert. Die Weitere Details zur Berechnung der Baugrube für die
gesamte Aushubtiefe betrug ca. 14 m, wovon ca. 3 m Schleuse Sülfeld und der verwendeten Materialparameter
einer großflächigen Auffüllung zuzurechnen sind, die bis sind in [4] dokumentiert.
zum Widerlager reichte. Die Aussteifung der Verbauwand
in unmittelbarer Nähe zum Widerlager wurde ebenso in
das Berechnungsmodell einbezogen, wie auch die an-
sonsten zur Ausführung gekommene Rückverankerung
der Wände.
Die Materialparameter für den anstehenden Geschie-
bemergel und die Sande wurden aus Labor- bzw. Feldver-
suchen ermittelt und mittels Rückrechnung und Vergleich
mit gemessenen Verformungen den in-situ-Verhältnissen
angenähert. Dabei zeigte sich, dass z. B. die Hebung der
Baugrubensohle im letzten Aushubschritt, die messtech-
nisch zu ca. 3 mm bestimmt wurde, nur mit dem HS-
Small-Modell nachberechnet werden konnte: In der mit
dem Hardening-Soil-Modell durchgeführten Berechnung
wurden Hebungen von mehr als 10 mm ermittelt, in der
mit dem HS-Small-Modell durchgeführten Berechnung
ergaben sich Hebungen kleiner als 4 mm.
Die aufgrund des Baugrubenaushubs und der Ände-
rung des Grundwasserspiegels rechnerisch ermittelten Set-
zungen des auf Pfählen gegründeten Widerlagers sind in
Bild 19 dargestellt. Im betrachteten Lastfall Endaushub
wurde eine Setzung von ca. 2 mm gemessen. Eine Rotation
des Widerlagers um seine Längsachse war praktisch nicht
nachweisbar. Im Vergleich mit den berechneten Ergebnis- Bild 19. Setzungen der Brückenwiderlager (dargestellt mit
sen zeigt sich, dass hier nur das HS-Small-Modell ein be- Hinterfüllung)
friedigendes Berechnungsergebnis liefert. Ohne die Berück- Fig. 19. Vertical displacements of the bridge abutments
sichtigung des Einflusses kleiner Dehnungen auf das Er- (here shown with backfill)
Th. Benz/R. Schwab/P. Vermeer · Zur Berücksichtigung des Bereichs kleiner Dehnungen in geotechnischen Berechnungen
Th. Benz/R. Schwab/P. Vermeer · Zur Berücksichtigung des Bereichs kleiner Dehnungen in geotechnischen Berechnungen
[32] Stokoe, K. H., Santamarina, J. C.: Seismic-wave-based test- [37] Wichtmann, T., Triantafyllidis, T.: Abschluss der Diskus-
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