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Report
Author(s):
Lestuzzi, Pierino; Wenk, Thomas
Publication date:
2003
Permanent link:
https://doi.org/10.3929/ethz-a-006578740
Rights / license:
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Stahlbau – Einführung in die Norm SIA 263, 11. Juli 2003 in Zürich – SIA Dokumentation D 0183
In den europäischen Tragwerksnormen ist dem Die wichtigsten Neuerungen bei der
Erdbeben eine besondere Norm, der Eurocode Erdbebenbemessung gegenüber der bisherigen
8 [5.1], gewidmet, die auch umfangreiche Norm SIA 161 (1990) lassen sich wie folgt
konstruktive Bestimmungen für den Stahlbau zusammenfassen:
enthält. Anstelle einer eigenständigen Norm
- besondere Bestimmungen für die Bemes-
SIA 268 Erdbeben wurden die Bestimmungen
sungssituation Erdbeben von Stahlbauten
aus dem Eurocode 8 für die in der Schweiz
- Zwei unterschiedliche Bemessungs-
vorherrschende niedrige bis mittlere
konzepte: duktiles und nicht-duktiles
Seismizität vereinfacht und in die
Tragwerksverhalten
Tragwerksnormen SIA 260 bis 267 integriert.
- Verhaltensbeiwerte q für duktiles Trag-
Mit dieser Integrationslösung konnte die
werksverhalten in Funktion der Trag-
übergeordnete Zielsetzung des Projektes
werksart und der Querschnittsklasse
Swisscodes, praxistaugliche und
- spezielle konstruktive Regeln für die bau-
anwenderfreundliche Tragwerksnormen
liche Durchbildung von duktilen Stahl-
bereitzustellen, erfüllt werden. Die neue
tragwerken.
Stahlbaunorm SIA 263 weist ein eigenes
Kapitel über das Erdbeben auf (Kap. 4.9), das Die neuen Bestimmungen für die Bemessungs-
zusammen mit den entsprechenden situation Erdbeben befinden sich in der Ziffer
Bestimmungen in SIA 260 und 261 für die 4.9 Erdbeben des Kapitels 4 Tragwerksanalyse
Bemessungssituation Erdbeben anzuwenden ist und Bemessung der Norm SIA 263.
[5.2]. Das Kapitel 4.9 enthält primär Neu kann der Ingenieur bei der Erdbebenbe-
konstruktive Bestimmungen, um ein messung zwischen dem Konzept des duktilen
ausreichend duktiles Tragwerksverhalten unter und des nicht-duktilen Tragwerksverhaltens
Erdbebeneinwirkung sicherzustellen. Früher auswählen. Ein duktiles Tragwerk zeichnet
herrschte die Meinung vor, dass Stahlbauten a sich durch ein grosses Energiedissipationsver-
priori duktil sind und sich duktilitätsfördernde mögen dank plastischer Verformungen aus. Es
Massnahmen für das Erdbebenverhalten verhält sich bei Erdbebeneinwirkung wesent-
erübrigen. Die negativen Erfahrungen bei lich günstiger als ein nicht-duktiles Tragwerk.
starken Erdbeben in den letzten Jahren Für ein gegebenes Bemessungserdbeben darf
insbesondere in Northridge, Kalifornien 1994 das duktile Tragwerk auf einen kleineren
und in Kobe, Japan 1995 führten zu neuen Tragwiderstand ausgelegt werden als das nicht
Erkenntnissen der erdbebengerechten duktile Tragwerk. Im Allgemeinen ist es
Bemessung und Konstruktion von Stahlbauten, deshalb von Vorteil, ein duktiles Tragwerks-
die in der neuen Stahlbaunorm SIA 263 verhalten zu wählen. Andererseits müssen bei
abgestimmt auf den Eurocode 8 umgesetzt duktilen Tragwerken die neuen konzeptionel-
werden [5.3]. len und konstruktiven Bestimmungen beachtet
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Die Erdbebenbestimmungen der Norm SIA 263
werden, was zumindest in der Anfangsphase Ferner ist zu beachten, dass die elastischen
mit einem kleinen Mehraufwand verbunden ist. Erdbebenkräfte gegenüber früher je nach Bau-
grundklasse und Frequenzbereich stark zuge-
Erfolgt die Erdbebenbemessung wie früher
nommen haben [5.2]. Dank den höheren
konventionell ohne Berücksichtigung der neu-
Verhaltensbeiwerten für duktile
en zusätzlichen Bestimmungen, dann ist nicht-
Stahltragwerke kann diese Zunahme wieder
duktiles Tragwerksverhalten anzunehmen und
kompensiert werden.
es resultiert ein vergleichsweise hoher Tragwi-
derstand. Bild 5.1 zeigt schematisch die Kon-
sequenzen auf die Erdbebenbemessung aus der
Wahl des Tragwerksverhaltens. 3 GRUNDLAGEN DER ERDBEBEN-
BEMESSUNG
3.1 Verhaltensbeiwert
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Die Erdbebenbestimmungen der Norm SIA 263
Verhalten bei voller Ausnützung der Überfes- schwingzeit) erfasst. Bei Gebäuden darf die
tigkeit über Rd hinaus. Höhere q-Werte bis zu Grundschwingzeit mit den empirischen For-
q = 5,0 sind möglich, wenn das Tragwerk fähig meln gemäss Ziffer 16.5.2.3 der Norm SIA 261
ist, ohne nennenswerte Reduktion des Tragwi- berechnet werden. Diese aus dem Eurocode 8
derstandes mit stabilen zyklisch-plastischen übernommenen Formeln überschätzen meis-
Verformungen Energie zu dissipieren (siehe tens die Steifigkeit und führen deshalb im All-
Tabelle 5.1). Bei der Erdbebenbemessung wird gemeinen auf zu hohe Erdbebenkräfte. Wenn
der Verhaltensbeiwert über das Bemessungs- die Erdbebenkräfte für die Dimensionierung
spektrum berücksichtigt (Ziffer 16.2.4). Dabei massgebend werden, empfiehlt es sich die
wird das elastische Antwortspektrum durch Grundschwingzeit anhand eines Tragwerks-
den Verhaltensbeiwert dividiert, d.h. je grösser modells mit realistischen Steifigkeitsannehmen
der Verhaltensbeiwert desto kleiner werden die gemäss Ziffern 16.5.2.2 und 16.5.5.2 der Norm
anzusetzenden Erdbebenkräfte [5.2]. Bild 5.2 SIA 261 zu bestimmen, z.B. mit der Rayleigh-
zeigt als Beispiel einen Vergleich der Antwort- Methode [5.5].
spektren für duktiles Verhalten mit q = 5,0, für
Mit einer grösseren Steifigkeit des Tragwerks
nicht-duktiles Verhalten mit q = 1,5 und für
können die Verformungen unter Erdbebenein-
elastisches Verhalten mit q = 1,0 (elastisches
wirkung und damit die Schäden an nicht tra-
Antwortspektrum).
genden Bauteilen reduziert werden. Um ein
günstiges Erdbebenverhalten zu erzielen, soll-
ten Steifigkeitssprünge über die Gebäudehöhe
vermieden werden. Idealerweise sollte die
Elastisches Antwortspektrum Steifigkeit gleichmässig von oben bis unten
4 Bemessungsspektrum q = 1,5 verlaufen. Auf jeden Fall sind horizontal wei-
Bemessungsspektrum q = 5,0
che Geschosse insbesondere im Erdgeschoss
3 zu vermeiden [5.4].
Beschleunigung S [m/s2]
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Die Erdbebenbestimmungen der Norm SIA 263
- Wahl eines Stahlprofils aus einer begrenz- Verschiebungen des elastischen und inelasti-
ten Auswahl schen Einmassenschwingers) ist dieser Anteil
- Beanspruchung bei grösseren plastischen gerade gleich der Verschiebeduktilität.
Verformungen über die Streckgrenze des
Stahls hinaus Tragwiderstand
Beanspruchung
- Widerstandsbeiwert γM
beimFiessbeginn
Verformung
Verformung
- Umverteilung der Schnittkräfte bei statisch
totale
unbestimmten Systemen.
Bei der Überfestigkeit sind zwei unterschiedli- uy
Verformung
utot
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Die Erdbebenbestimmungen der Norm SIA 263
l φu ∆u ∆u
µφ= φ >>µ∆ = ∆
F y y ∆y
lp
Mu My φu φy
Bild 5.4 : Verhältnis zwischen globaler Duktilität (µ∆) und lokaler Duktilität (µφ) für einen Kragarm
∆ ∆
Mit diesem Vorgehen wird eine Hierarchie der
Tragwiderstände festgelegt, die verhindern
soll, dass sich frühzeitige Plastifizierungen in θ1 << θ2
θ1
den weniger duktilen, übrigen Bereichen bil-
θ2
den, bevor das wesentlich grössere Energiedis-
sipationsvermögen der planmässigen plasti-
schen Gelenke ausgeschöpft ist. Mehr oder
weniger zufällige Plastifizierungen in den üb- Bild 5.5 Geeigneter (links) und ungeeigneter
rigen Bereichen können zu einem vorzeitigen plastischer Mechanismus (rechts) für
spröden Versagen führen. Mit der Kapazitäts- einen mehrgeschossigen Rahmen
bemessung ist sichergestellt, dass sich das
Tragwerk unter grossen zyklischen plastischen
Verformungen so wie vorgesehen verhält, ins- 4 NICHT-DUKTILES TRAGWERKS-
besondere dass sich der gewählte geeignete VERHALTEN
plastische Mechanismus auch tatsächlich ein-
stellt. Das Konzept des nicht-duktilen Tragwerksver-
haltens entspricht weitgehend der bisherigen
3.6 Plastische Mechanismus Vorgehensweise nach den Normen SIA 160
und SIA 161. Die Erdbebenbemessung erfolgt
Der erste Schritt der Kapazitätsbemessung ist konventionell wie für Schwerelasten oder
die Wahl eines geeigneten plastischen Mecha- Wind. Gegenüber früher werden jedoch im
nismus. Geeignet bedeutet in diesem Zusam- Allgemeinen die Ersatzkräfte wesentlich grös-
menhang, dass für eine vorgegebene globale ser. Deshalb empfiehlt sich das nicht-duktile
Verschiebeduktilität der lokale Duktilitätsbe- Tragwerksverhalten nur bei kleinen Erdbeben-
darf der plastischen Gelenke eines Tragwerkes kräften, d.h. nur in den niedrigen Erdbebenzo-
möglichst klein bleiben soll. Als weitere Be- nen und bei günstigen Baugrundverhältnissen
dingungen sind bei einem geeigneten Mecha- oder bei leichten Bauwerken wie z.B. Hallen.
nismus die plastischen Gelenke in diejenigen
Bauteile zu verlegen, die leicht duktil gestaltet 4.1 Verhaltensbeiwert
werden können, z.B. in die Riegel anstelle der
Stützen. Bild 5.4 zeigt einen geeigneten und Der Verhaltensbeiwert q für nicht-duktiles
ungeeigneten Mechanismus im Falle eines Tragwerksverhalten beträgt q = 1,5 für alle
aussteifenden mehrgeschossigen Rahmens. Tragwerksarten und Querschnittsklassen. Er
berücksichtigt im Wesentlichen nur die Über-
festigkeit.
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Die Erdbebenbestimmungen der Norm SIA 263
nommen werden, dass die Verbindung eine sen und im obersten Geschoss zulässig (Ziffer
ausreichende Überfestigkeit aufweist. 4.9.2.2).
Als weitere Bedingung ist der plastische Me-
chanismus so zu wählen, dass die Energiedis-
sipation kontinuierlich über die ganze Höhe
erfolgt (links in Bild 5.4) und somit der lokale
Duktilitätsbedarf in den plastischen Gelenken
minimal bleibt. Zu vermeiden ist ein Stock-
werkmechanismus (Soft-Storey) wie rechts in
Bild 5.4 gezeichnet. Der Stockwerkmechanis-
mus führt zu einem viel grösseren lokalen
Duktilitätsbedarf für eine vorgegebene globale
Verschiebung.
Um ein stabiles, möglichst grosses Verfor-
mungsvermögen der plastischen Gelenke unter
Biegebeanspruchung sicherzustellen, sind
Druck- und Querkräfte zu begrenzen (Ziffer
4.9.2.3). Wenn die Grenzwerte in Ziffer 4.9.2.3
nicht eingehalten werden können, darf nur ein
Verhaltensfaktor q = 1,5 für nicht-duktiles
Tragwerksverhalten berücksichtigt werden.
Nach der Methode der Kapazitätsbemessung
Bild 5.6 : Riegelanschluss in einem duktilen sind die elastisch bleibenden Bereiche des
Stahlrahmen eines Hochhaus in Tai-
gewählten globalen Mechanismus vor Plastifi-
peh. Dank der Flanschverbreiterung
stellt sich das plastische Gelenk im zierungen zu schützen, wenn die plastischen
wesentlich duktileren Riegelprofil Gelenke Ihre Überfestigkeit (Kapazität) entwi-
vor der spröderen Schweissnaht ein. ckeln. In diesem Sinne sind die Bestimmungen
der Ziffern 4.9.2.4 und 4.9.2.5 zu verstehen.
Die Verankerung der Stützen ist für eine um
20% erhöhte Biegebeanspruchung infolge Erd-
6 DUKTILE RAHMEN
beben zu bemessen, damit sich das plastische
Gelenk am Stützenfuss mit Überfestigkeit aus-
Damit ein aussteifendes Rahmensystem nach
bilden kann, ohne dass die Verankerung vor-
dem Konzept des duktilen Tragwerksverhal-
zeitig spröde bricht. Ebenfalls ist die Stützen-
tens für horizontale Erdbebeneinwirkung be-
querkraft zu begrenzen.
messen werden darf, sind die in Ziffer 4.9.3
zusammengefassten Regeln der Kapazitätsbe-
messung zu beachten. Dabei ist als erster
Schritt ein geeigneter plastischer Mechanismus
zu wählen. Für ein Rahmensystem bedeutet
dies, dass sich die plastischen Gelenke in den
Riegeln und nicht in den Stützen ausbilden. Da
in Riegelgelenken die Normalkraft meist klein
ist, kann dort eine wesentlich grössere Duktili-
tät unter zyklischer Biegebeanspruchung er-
zielt werden als in Stützengelenken mit ver-
gleichsweise hoher Normalkraft. Als Ausnah-
Bild 5.7: In mehrgeschossigen Rahmen sind
me zu dieser Regel sind in mehrgeschossigen die plastischen Gelenke primär in die
Rahmen plastische Gelenke an den Stützenfüs- Riegel zu legen.
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7 AUSSTEIFENDE VERBÄNDE
Bei V-Verbänden (Bild 5.9) liegt der Schnitt- 7.4 Anforderungen an die bauliche Durch-
punkt der Diagonalen auf einem durchlaufen- bildung
den horizontalen Stab (Riegel). Die Horizon-
talkräfte werden über die Zug- und die Druck- Die besonderen Bedingungen zur baulichen
Diagonalen abgetragen und die plastischen Durchbildung von duktilen Verbänden sind in
Bereiche bilden sich in diesen auf Zug und Ziffer 4.9.3 aufgeführt. Der globale Mecha-
Druck. nismus besteht aus plastischen Normalkraft-
Gelenken in möglichst allen Diagonalen des
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