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Nach Nietzsche
Adlergleich, Panthergleich
Sind des Dichters Sehnsüchte,
Sind deine Sehnsüchte unter tausend Masken,
Du Narr! Du Dichter!...
Du, der du den Menschen als Gott
und als Schaf angesehen hast –
du hast den Gott im Menschen
sowie die Schafe im Menschen
in Stücke gerissen
und beim Zerreißen gelacht –
II
Geh nicht! sagte der Wanderer, der sich Zarathustras Schatten nannte. Bleib bei uns – sonst könnte
uns unser altes, dumpfes Leiden wieder befallen.
Dieser alte Zauberer hat uns bereits sein Schlimmstes zu unserem Wohl gegeben, und siehe da,
dieser gute fromme Papst dort hat Tränen in den Augen und ist wieder auf das Meer der
Melancholie gegangen.
Diese Könige hier mögen immer noch ein angenehmes Gesicht machen; aber wenn sie keine
Zeugen hätten, wette ich, dass auch für sie das böse Spiel von neuem beginnen würde –
Das böse Spiel der ziehenden Wolken, der feuchten Melancholie, der imposanten Himmel, der
gestohlenen Sonnen, der heulenden Herbstwinde –
Das böse Spiel unseres eigenen Geheuls und Notschreis: Bleib bei uns, Zarathustra! Hier ist viel
verborgenes Elend, das sprechen will, viel Abend, viel Wolke, viel muffige Luft!
Du hast uns mit kräftiger Männer-Speise und stärkenden Maximen genährt: Lass nicht zu, dass die
schwachen, verweichlichten Geister uns zum Nachtisch noch einmal ergreifen!
Du allein machst die Luft um dich herum stark und klar! Habe ich jemals so gute Luft auf der Erde
gefunden wie bei dir in deiner Höhle?
Ich habe viele Länder gesehen, meine Nase hat gelernt, viele Arten von Luft zu prüfen und zu
beurteilen: aber bei dir schmecken meine Nasenlöcher ihr größtes Vergnügen!
Es sei denn, es sei denn – oh, vergib mir eine alte Erinnerung! Verzeih mir ein altes
Nachmittagslied, das ich einst unter den Töchtern der Wüste komponierte.
Denn bei ihnen war die Luft ebenso gut, klar und orientalisch; nie war ich weiter weg vom
wolkigen, feuchten, melancholischen alten Europa!
Ich liebte damals solche orientalischen Mädchen und andere blaue Himmel, über denen keine
Wolken und keine Gedanken hingen.
Du kannst nicht glauben, wie pflichtbewusst sie dort saßen, wenn sie nicht tanzten, tiefgründig, aber
gedankenlos, wie kleine Geheimnisse, wie Rätsel mit Bändern, wie Nüsse nach dem Abendessen –
Bunt und seltsam, wahrlich! aber ohne Wolken: Rätsel, die sich erraten lassen: für solche Mädchen
habe ich mir dann einen Abendpsalm ausgedacht.
So sprach der Wanderer, der sich Zarathustras Schatten nannte; und bevor ihm jemand antwortete,
hatte er bereits die Harfe des alten Zauberers ergriffen, die Beine übereinandergeschlagen und sich
gelassen und weise umgesehen; aber mit seinen Nasenlöchern sog er langsam und fragend die Luft
ein, wie man die neue Luft in einem fremden Land schmeckt. Schließlich begann er mit einer Art
Gebrüll zu singen.
Ha!
Feierlich!
Ein würdiger Anfang!
Feierlich afrikanisch!
Eines Löwen
oder eines moralisch schreienden Affen würdig...
– Aber nichts für euch,
ihr geliebtesten Jungfrauen,
zu deren Füßen ich,
ein Europäer unter Palmen,
sitzen darf. Sela.
Wirklich wunderbar!
Hier sitze ich jetzt,
in der Nähe der Wüste und doch
so weit von der Wüste entfernt,
und keineswegs trostlos:
Nämlich verschluckt
von dieser kleinsten Oase –
sie öffnete einfach gähnend
ihren lieblichen Mund,
den duftendsten aller kleinen Münder:
Dann fiel ich hinein,
hinab, hindurch – unter euch,
ihr geliebtesten Jungfrauen. Sela.
Sei gegrüßt, gegrüßt seist du diesem Wal,
wenn er es seinem Gast so gut gehen lässt!
– verstehst du
meine gelehrte Anspielung?...
Gegrüßet seist du seinem Bauch,
wenn er ein so schöner Oasen-Bauch wäre
wie dieser: dennoch hege ich Zweifel daran.
Denn ich komme aus Europa,
das zweifelsüchtiger ist als jede nörgelnde alte Frau.
Möge Gott es verbessern!
Amen!
Hier sitze ich nun,
in dieser kleinsten Oase,
wie eine Dattel,
braun, durch und durch süß, Gold-durchströmt,
Lust auf den runden Mund eines Mädchens,
aber noch mehr auf mädchenhafte
eiskalte, schneeweiße, schneidende
Beißzähne: denn danach
begehren die Herzen aller heißen Datteln. Sela.
Ähnlich, allzu ähnlich
der besagten Mittelmeer-Frucht,
liege ich hier, mit kleinen
geflügelten Käfern,
die herumtanzen und herumspielen,
genau wie noch kleinere,
noch dümmere, sündige
Wünsche und Vorstellungen –
umgeben von euch,
ihr Schweigerinnen, Unheilvollen,
Mädchenkätzchen
Dudu und Suleika –
versunken, viele
Gefühle in ein Wort zu packen
(—möge Gott mir
diese Sünde der Sprache verzeihen!...) –
Ich sitze hier und schnuppere die beste Luft,
wahrlich, Luft des Paradieses,
Klare, milde Luft, Gold-gestreift,
so gute Luft wie eh und je.
fiel vom Mond herab,
sei es Zufall
oder geschah es aus Übermut?
Wie die alten Dichter erzählen.
Doch ich, ein Skeptiker, habe meine Zweifel,
denn ich komme
aus Europa,
das zweifelsüchtiger ist als jede nörgelnde alte Frau.
Möge Gott es verbessern!
Amen!
Ich trinke diese schönste Luft,
meine Nasenflügel sind geschwollen wie Kelche,
ohne Zukunft, ohne Erinnerungen,
so sitze ich hier, ihr
geliebtesten Jungfrauen,
und beobachte die Palme,
wie sie sich wie eine Tänzerin
biegt und wölbt und in den Hüften schwankt –
man tut es auch, wenn man lange zusieht...
wie eine Tänzerin, die, wie es mir scheint,
zu lange, bedenklich lange gestanden hat,
immer, immer nur auf einem Beinchen? –
Denn sie hat, wie mir scheint,
das andere Bein vergessen?
Zumindest vergeblich
suchte ich das fehlende
Zwillingsjuwel
– nämlich das andere Bein –
in der heiligen Nähe
ihres geliebtesten, zartesten
fächernden, flatternden
und mit Flitter besetzten Röckchens.
Ja, wenn ihr wolltet, ihr schönen Jungfrauen,
glaubt mir ganz,
sie hat es verloren...
Oh mein! Oh mein! Oh mein!
Es ist weg,
für immer verschwunden,
das andere Bein!
Oh, was für eine Schande um dieses schöne andere Bein!
Wo – warum mag es trauern, verlassen zu sein,
dieses einsame Bein?
Vielleicht aus Angst vor einem
grimmigen, gelben
Löwenmonster mit blonder Mähne?
Oder vielleicht sogar
abgenagt, abgeknabbert –
erbärmlich, leider! Ach! Abgeknabbert! Sela.
Oh weint nicht,
weiche Herzen!
Weint nicht, ihr
Dattel-Herzen! Milchbusen!
Ihr kleinen Süßholz-Herzens-Beutel!
Sei ein Mann, Suleika! Mut! Mut!
Weine nicht mehr,
blasse Dudu! –
Oder sollte hier vielleicht
etwas Stärkendes, Herzstärkendes
erforderlich sein?
Eine gesalbte Maxime?
Eine feierlichere Ermahnung?...
Ha!
Hoch, Würde!
Schlag, blase noch einmal,
Blasebalg der Tugend!
Ha!
Brülle noch einmal,
brülle moralisch,
brülle wie ein moralischer Löwe
vor den Töchtern der Wüste!
– Denn tugendhaftes Heulen,
ihr geliebtesten Jungfrauen,
ist mehr als alles
europäische Inbrunst, europäischer Heißhunger!
Und doch stehe ich hier,
als Europäer
kann ich nicht anders, Gott helfe mir!
Amen!
Die Wüste wächst:
Wehe dem, in dem sich Wüsten verbergen!
Stein mahlt gegen Stein,
die Wüste verschlingt und erwürgt,
glühender brauner, monströser Tod starrt
und kaut; sein Leben besteht darin, zu kauen...
Vergiss nicht, Mensch, von Lust verzehrt:
Du – bist der Stein, die Wüste, bist der Tod...
IV
Ultimativer Wille:
So sterben,
wie ich ihn einst sterben sah –
den Freund, der göttliche Blitze und
Blicke in meine dunkle Jugend warf.
Sportlich und tiefgründig,
ein Tänzer im Kampf –
der fröhlichste unter den Kriegern,
der ernsteste unter den Siegern,
ein Schicksal, das auf seinem Schicksal steht,
hart, nachdenklich, berechnend:
zitternd, weil er triumphierte,
und sich darüber freuend,
dass er im Sterben triumphierte:
Er befahl, während er starb –
und er befahl, diesen Tod zu zerstören...
So sterben,
wie ich ihn einst sterben sah –
besiegend, zerstörend...
Vom Sieg
Oh du, mein Wille, mein In-Mir, Über-Mir! Du bist meine Notwendigkeit! Gib, dass auch ich siege
– und hebe mich für diesen einen Sieg auf!
Bewahre und rette mich und behüte mich vor allen kleinen Siegen, du Geschenk meiner Seele und
Wendepunkt aller Not, du meine Not-Wendigkeit!
VI
Das Leuchtfeuer
VIII
IX
Ariadnes Klage
Dionysos:
Sei klug, Ariadne!...
Du hast kleine Ohren;
du hast meine Ohren:
Lege ein kluges Wort hinein! –
Muss man sich nicht zuerst selbst hassen,
um sich selbst zu lieben?...
Ich bin dein Labyrinth...
XI
Meine Seele,
unersättlich mit ihrer Zunge,
hat schon alles Gute und Böse geleckt,
sie ist in alle Tiefen abgetaucht,
doch immer wie ein Korken,
sie schwebt immer wieder nach oben,
sie flitzt umher wie Öl über braune Meere:
Danke! Diese Seele nennt mich den Glücklichen.
Wer sind für mich Vater und Mutter?
Ist mein Vater nicht der Prinz des Überflusses
und meine Mutter ein ruhiges Lachen?
Erschufen diese beiden nicht im Bund der Ehe
mich, das Tier der Rätsel,
mich, das unfreundliche Licht,
mich, den Verschwender aller Weisheit, Zarathustra?
Heute leidend unter Zärtlichkeit,
ein tauender Wind,
Zarathustra wartet sitzend, wartet auf seinen Bergen –
in seinem eigenen Saft
süß werdend und gedünstet,
unter seinem Gipfel,
unter seinem Eis,
müde und selig,
ein Schöpfer am siebten Tag.
Still!
Eine Wahrheit gleitet über mich
wie eine Wolke –
sie trifft mich mit unsichtbaren Blitzen.
Ihr Glück steigt langsam
auf breiten Treppen zu mir empor:
komm, komm, geliebte Wahrheit!
Still!
Es ist meine Weisheit!