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Ergativsprache

Ergativität (zu Lateinisch erga ‚gegen, nahe‘)[1] ist in der Sprachwissenschaft ein System der
Kasusmarkierung von Satzteilen, das im Gegensatz zu einem Nominativ-Akkusativ-System steht. In einem
Ergativsystem steht das Subjekt des transitiven Satzes im Kasus Ergativ, während es im intransitiven Satz
den Kasus Absolutiv trägt. In einer Akkusativsprache wie dem Deutschen dagegen steht in beiden Fällen
derselbe Kasus (Nominativ; Beispiel: Der Mann geht – Der Mann sieht den Hund).

Ergativität wirft Fragen nach der Allgemeingültigkeit des Begriffs „Subjekt“ auf; die betreffenden Sprachen
sind bei genauerer Analyse jedoch grammatisch uneinheitlich, sodass Effekte einer Kategorie „Subjekt“ in
solchen Sprachen in unterschiedlichem Maß gefunden werden können.

Durchgängige Ergativität ist selten; häufiger ist gespaltene Ergativität. Der Begriff Ergativsprache erhält
dadurch eine Mehrdeutigkeit. Im weiteren Sinn bezeichnet er jede Sprache, in der das Phänomen der
Ergativität vorkommt. Dazu zählen etwa Grönländisch und andere Eskimosprachen, Baskisch, Georgisch,
Sumerisch, Zazaisch, Kurmandschi, Paschtu, Burushaski, Hindi/Urdu, Tibetisch und Dyirbal (eine
australische Sprache). Im engeren Sinn der relationalen Sprachtypologie bezeichnet er nur Sprachen, die
außerdem keine Konstruktionen enthalten, die einem anderen Typus zugeordnet sind. So werden im World
Atlas of Language Structures Grönländisch und Burushaski als Ergativsprachen klassifiziert, Baskisch und
Georgisch als Aktivsprachen und Hindi als dreigeteilt (Ergativ-Akkusativ-Sprache).

Inhaltsverzeichnis
Morphologische Ergativität
Ergativisches Schema in Bezug auf semantische Rollen
Syntaktische Ergativität
Gespaltene Ergativität
Siehe auch
Literatur
Einzelnachweise

Morphologische Ergativität
Ergativ-Sprachen verwenden für das Subjekt eines intransitiven Verbs und das Patiens eines transitiven
Verbs denselben grammatikalischen Fall, der Absolutiv genannt wird und insofern dem Nominativ in
Akkusativsprachen entspricht, als er meistens unmarkiert bleibt. Für das Agens, also das handelnde
Subjekt, von transitiven Verben wird ein anderer Fall verwendet, nämlich der Ergativ.

Ein Beispiel für Ergativität im Baskischen:

Ume-a erori da.


Kind-def.abs.sg fallen-prf.3sg
„Das Kind ist hingefallen.“
Emakume-ak gizon-a ikusi du.
Frau-def.erg.sg Mann-def.abs.sg sehen-prf.3sg
„Die Frau hat den Mann gesehen.“

Man könnte dieses System auch veranschaulichen, indem man eine Variante des Deutschen erfindet, in der
eine Endung -u für den Absolutiv an einem Substantiv existiert, und eine Endung -o für den Ergativ. Sätze
in einem solchen „Ergativ-Deutsch“ sähen dann so aus:

Kind-u ist hingefallen

und:

Frau-o hat Kind-u gesehen.

Ergativisches Schema in Bezug auf semantische Rollen

Agens Patiens
bivalent-transitiv Ergativ Absolutiv
monovalent (intransitiv) Absolutiv (Absolutiv)

Zur Spalte Patiens: hier soll „Absolutiv“ die Ergativ-Akkusativ-Sprachen und „(Absolutiv)“ die
Aktivsprachen ausschließen.

Ergativische Konstruktion und Nominativ-Akkusativ-Konstruktion im Vergleich:

Transitiv Transitiv Intransitiv


Subjekt (Agens) Objekt (Patiens) Subjekt
Ergativ-Absolutiv-Schema Ergativ Absolutiv Absolutiv
Nominativ-Akkusativ-Schema Nominativ Akkusativ Nominativ

Syntaktische Ergativität
Einige Sprachen, die über morphologische Ergativität verfügen, weisen zusätzlich syntaktische Ergativität
auf.

In Ergativsprachen ohne syntaktische Ergativität ist – genau wie in Akkusativsprachen – das Subjekt stets
das Agens transitiver Verben und das einzige Argument intransitiver Verben. In Sprachen mit syntaktischer
Ergativität hingegen ist das „Subjekt“ das Argument, das im Absolutiv steht, also das Patiens transitiver
und das einzige Argument intransitiver Verben. Meistens jedoch tritt syntaktische Ergativität nur in einigen
Konstruktionen auf, in den übrigen verhält sich die Sprache akkusativisch.

Sichtbar wird syntaktische Ergativität zum Beispiel bei der Satzverbindung der Teilsätze: Ergativsprachen
folgern auf ein fehlendes Argument im Absolutiv. Im Deutschen interpretieren wir den Satz „Der Schüler
sah die Lehrerin und ging weg“ als „Der Schüler sah die Lehrerin und der Schüler ging weg“. Hingegen
würde in Ergativsprachen das absolutive Argument des ersten Satzteils als Subjekt des zweiten,
intransitiven Verbs angenommen. „Der Schüler (ERG) sah die Lehrerin (ABS) und ging weg“ wird
interpretiert als „Der Schüler (ERG) sah die Lehrerin (ABS) und die Lehrerin (ABS) ging weg“. Ein Satz
dieser Art kann bei Muttersprachlern einer bestimmten Sprache als Test dienen, um herauszufinden, ob die
betreffende Sprache syntaktisch eine Ergativ- oder eine Akkusativsprache ist.
Sprachen mit syntaktischer Ergativität sind beispielsweise Archi, Baskisch, Warlpiri und Tschuktschisch
(optional).

Ergativsprachen verfügen im Allgemeinen über keine Passivformen. Sie haben aber ein Antipassiv, wobei
das direkte Objekt gelöscht wird und das Subjekt vom Ergativ in den Absolutiv wechselt, das heißt, das
Verb wird intransitiv.[2]

Gespaltene Ergativität
Gespaltene Ergativität bzw. Split-Ergativität tritt in Sprachen auf, die außer dem Ergativmuster noch ein
weiteres Ausrichtungsmuster verwenden.

Dies kann entweder von der Verbform abhängen wie beispielsweise im Georgischen oder im Zazaischen
(hier verlangen bestimmte Tempora Ergativ-, andere Akkusativmarkierung), oder es richtet sich nach den
Argumenten des Verbs wie im Dyirbal, wo Pronomen ein Akkusativ- und Nomen ein Ergativmuster zeigen
(s. auch Belebtheitshierarchie), oder im Inuktitut und anderen Eskimosprachen, wo nach Definitheit
differenziert wird. Auch das Sumerische ist ein Beispiel für gespaltene Ergativität.

Beispiel Georgisch: Beispiel Inuktitut:

ბავშვი მღერის ᐊᖑᑦ ᓇᓄᕐᒥᒃ ᑕᑯᔪᖅ


bawschw-i mgher-is angut nanur-mik taku-juq
Kind-nom.sg singen-prs.3sg Mann[abs.sg] Eisbär-ins.sg sehen-3sg
‚das Kind singt‘ ‚der Mann sieht einen Eisbären‘

ბავშვმა იმღერა ᐊᖑᑎᐅᑉ ᓇᓄᖅ ᑕᑯᔭᖓ


bawschw-ma i-mgher-a angut(i)-up nanuq taku-janga
Kind-erg.sg aor-singen-3sg Mann-erg.sg Eisbär-[abs.sg] sehen-3sg>3sg
‚das Kind hat gesungen‘ ‚der Mann sieht den Eisbären‘

Georgisch kennt allerdings zudem unakkusativische Strukturen, weshalb diese Sprache – wie auch
Baskisch – im WALS als Aktivsprache klassifiziert wird.[3]

Auch einige indoiranische Sprachen wie Paschtu (in Afghanistan), Hindi/Urdu, Kurmandschi-Kurdisch
verwenden in den Zeiten der Präsensgruppe Akkusativkonstruktionen, in denen der Perfektgruppe dagegen
Ergativkonstruktion. Dies geht darauf zurück, dass das Partizip Perfekt bei transitiven Verben passivische
Bedeutung hat, bei intransitiven natürlich aktivische. Das kennen wir vom Deutschen: „gesehen“ wird
passivisch verstanden, im Gegensatz zu „gegangen“. So bildet man das Perfekt im Hindi wie im Deutschen
als „Anita ist gegangen“ (Anītā gaī hai, wörtlich Anita gegangen ist). Würde man sagen „Anita ist
gesehen“, so würde das in beiden Sprachen passivisch verstanden (Hindi: Anītā dekhī hai). Daher sagt man
im Deutschen „Anita hat ein Haus gesehen“. Hindi verwendet keine Konstruktion mit einem anderen
Hilfsverb, sondern stattdessen „durch Anita ist ein Haus gesehen“, auf Hindi: Anītā ne ghar dekhā hai.
Das ā von dekhā ist eine Maskulinendung, weil sich dekhā (gesehen) auf ghar (Haus) bezieht, nicht auf
Anita.

Ist aber das Patiens (Objekt) bestimmt, so zeigt sich, dass Hindi und Urdu auch einen Akkusativ
verwenden (die Verbalendung -ā ist dann unpersönlich):

लड़के ने एक औरत देखी है/‫لڑکے نے ایک عورت دیکھی ہے‬


laṛke -ne ek aurat dekh-ī hai
Junge-erg.sg eins Frau-Ø sehen-ptcp.f aux.3sg
‚(der) Junge hat eine Frau gesehen‘

लड़के ने औरत को देखा है/‫لڑکے نے عورت کو دیکھا ہے‬


laṛke -ne aurat -ko dekh-ā hai
Junge-erg.sg Frau-acc sehen-ptcp aux.3sg
‚(der) Junge hat die Frau gesehen‘

Deshalb ist Hindi im WALS als dreigeteilt (Ergativ-Akkusativ-Sprache) klassifiziert.

Siehe auch
Aktivsprache

Literatur
Miriam Butt: Theories of Case. Cambridge University Press, 2006
R. M. W. Dixon: Ergativity. Cambridge University Press, Cambridge 1994, ISBN 0-521-
44446-2.

Einzelnachweise
1. Oft wird auch eine Herleitung von Griechisch ἔργον ‚Tat, Werk‘ vermutet, jedoch ist die erste
Erwähnung des Ausdrucks auf einen Orts-Kasus bezogen. Siehe Butt (2006), Kap. 6.
2. Marcus Kracht: Sprachen der Welt. (https://www.researchgate.net/profile/Marcus_Kracht/pub
lication/228844157_Sprachen_der_Welt/links/02e7e524d6d63db73b000000.pdf) (PDF;
472 kB) Universität Bielefeld, Vorlesung vom Wintersemester 2009/10, 27. Januar 2011,
S. 38
3. WALS: Chapter 98: Alignment of case marking of full noun phrases (https://wals.info/chapter/
98), Beispiel (6)

Abgerufen von „https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Ergativsprache&oldid=218896425“

Diese Seite wurde zuletzt am 7. Januar 2022 um 16:21 Uhr bearbeitet.

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