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Guten Tag meine Damen und Herren,

schön, dass Sie wieder dabei sind.

Wenden wir uns zunächst den Wortbildungsanalysen zu, die Sie für heute vorbereitet haben:

(Präfig) unfreundlichAdj

-unPräfix (Suffig) freundlichAdj

FreundSubst -lichSuffix

(DK) reizempfänglichAdj

ReizSubst (Suffig) empfänglichAdj

(Präfig) empfangV -lichSuffix

empf-Präfix fangV

Das Substantiv Reiz und das Verb reiz stehen zueinander zweifelsohne in einem Verhältnis der Lexikalischen
Konversion, aber man kann, synchron betrachtet, nicht sagen, welches das ursprüngliche Wort war.
Der Umlaut bei empfänglich wurde durch das Suffix -lich, genauer durch den darin enthaltenen Vokal i ausgelöst,
ist also eine Assimilation (Angleichung) von a an i.
Empf- als Präfix einzuordnen scheint zunächst problematisch, weil wir keine Reihenbildung erkennen können. Dies
erschließt sich uns erst, wenn wir bedenken, dass empf- ein Allomorph zu ent- ist. Das Präfix hat sich lautlich an
das Verb assimiliert. Semantisch ist das Wort nicht mehr durchschaubar, was bei den Wörtern mit alten
Verbpräfixen aber nicht ungewöhnlich ist.

(DK) SprachgemeinschaftSubst

(Suffig) Sprach(e)Subst (Suffig) GemeinschaftSubst

sprechV -eSuffix gemeinAdj -schaftSuffix


Das Erstglied von Sprachgemeinschaft ist das Substantiv Sprache, denn die Bedeutung ist ‚Gemeinschaft, die eine
gemeinsame Sprache spricht‘. Das -e ist zur Ausspracheerleichterung weggefallen.
Das Substantiv Sprache ist eine Suffigierung des Verbs sprech (ich spreche, ich sprach, ich habe gesprochen),
wobei der Präteritumsstamm (sprach) suffigiert wurde.
In dem Wort Gemeinschaft steckt das Adjektiv gemein, allerdings nicht in der Bedeutung ‚fies‘, sondern in der
älteren Bedeutung ‚allgemein‘, wie es in Phrasen wie der gemeine Flusskrebs.

(DK) VersicherungsangestellteSubst

(Suffig) VersicherungSubst sFE (SyntKonv) AngestellteSubst

(Präfig) versicherV -ungSuffix (SyntKonv) angestelltAdj

ver-Präfix (LexKonv) sicherV (TV) anstellV

sicherAdj an(Adv) stellV

Bei der Lexikalischen Konversion sicher ist mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit das Adjektiv primär, denn das
Verb sicher bedeutet ‚etwas sicher machen‘, d.h. das Adjektiv ist für die Konstituierung der Verbbedeutung von
elementarer Wichtigkeit und muss deshalb (wenn nicht ein völlig ungewöhnlicher Bedeutungswandel
zugrundeliegt) zuerst dagewesen sein.
Das Substantiv der/die/das Angestellte ist eine Syntaktische Konversion vom Adjektiv angestellt. Dabei wurde eine
Flexionsform des Adjektivs zum Stamm eines ungewöhnlichen Substantivs, das nicht nur kein festes Genus hat,
sondern auch adjektivhaft flektiert wird, da sich seine Flexion nach der Artikelwahl richtet. Solche Substantive
lassen sich von allen flektierten Adjektiven ableiten.
Auch das Adjektiv angestellt ist eine Syntaktische Konversion, und zwar vom Verb anstell. Dabei wurde das
Partizip II zu einem Adjektiv umgewandelt. Auch dieser Konversionsvorgang ist bei allen Verben möglich.
Dass das Verb anstell ein Trennbares Verb (TV) ist, sieht man u.a. an Sätzen wie diesen: Er stellte seine Nachbarin
an. Auch wenn viele von Ihnen den Wortbildungstyp „Trennbares Verb“ schon aus dem Grundkurs kennen,
werden wir noch ausführlich darüber sprechen.

Nun wollen wir uns den Wortkürzungen zuwenden.

Wortkürzung

Auch der Wortbildungstyp der Wortkürzung, funktioniert nicht so, dass bestehende Einheiten miteinander
kombiniert werden. Vielmehr wird ein Wort oder sogar eine Wortgruppe nach relativ unterschiedlichen Prinzipien
verkürzt. Dabei sind die entstehenden Kurzformen mit den zugrundeliegenden Langformen zunächst
bedeutungsgleich (Er fährt einen kleinen PKW / Personenkraftwagen.). Dies führt dazu, dass bei der Wortkürzung
sogar der Status als Wortbildungsverfahren fraglich ist, denn man kann natürlich fragen, ob man einer Kurzform,
die mit der Ausgangsform bedeutungsgleich ist, überhaupt den Status eines eigenen Wortes zuerkennen kann.
Dass man das doch tun kann und sogar tun muss, sieht man daran, dass häufig eine Weiterentwicklung der
Bedeutung stattfindet. Die Wortkürzung Bafög steht eigentlich für Bundesausbildungsförderungsgesetz. Trotzdem
wird es häufig in Sätzen wie Sie bekommt Bafög. verwendet. Hier bedeutet Bafög aber ‚Leistungen nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz‘. Ähnlich ist es bei BMW, eine Kurzform von Bayerische Motorenwerke. In
dem Satz Sie fährt einen BMW. bedeutet das Wort BMW aber ‚Auto, das von den Bayerischen Motorenwerken
gebaut wurde‘. Diese beiden Beispiele zeigen, dass die Kurzformen durchaus ein „Eigenleben“ unabhängig von
den jeweiligen Langformen entwickeln können, d.h. sie können Bedeutungsentwicklungen mitmachen, die für die
Langformen unmöglich sind.
Wir unterscheiden bei der Wortkürzung mehrere Untertypen:

1. Akronyme
Diese werden auch „Initialwörter“ genannt, was aber leider manchmal auch auf „Kopfwörter“ (s.u.) zutrifft. Daher
ist der Terminus „Akronym“ eindeutiger. Dabei werden die Anfangsbuchstaben einzelner
Wort(gruppen)bestandteile herausgegriffen und isoliert oder silbisch gesprochen, wie z.B. PKW (von
Personenkraftwagen), UKW (von Ultrakurzwelle), IGA (von Internationale Gartenbauausstellung), DIN (von
Deutsche Industrienorm) oder PK (von Pressekonferenz). Ob die Kurzwörter Buchstabe für Buchstabe
ausgesprochen werden oder nicht liegt meisten daran, ob man sie silbisch sprechen kann oder nicht. Eine silbische
Aussprache von IGA oder DIN ist unproblematisch, bei PKW, UKW oder PK aber praktisch unmöglich.

2. Kurzwörter
Bei den Kurzwörtern im eigentlichen Sinn stehen silbische Bestandteile eines komplexen Wortes oder einer
Wortgruppe für das Gesamtwort. Dabei kann man verschiedene Subtypen unterscheiden.

2.1. SCHWANZWORT: Hier bildet der hintere Teil des Ausgangswortes das Kurzwort, wie bei Cola (von Coca-Cola)
oder Bus (von Omnibus).

2.2. KOPFWORT: Hier bildet der vordere Teil des Ausgangswortes das Kurzwort, wie bei Uni (von Universität),
Limo (von Limonade), Abi (von Abitur), Zoo (von Zoologischer Garten), Krimi (von Kriminalroman oder
Kriminalfilm) oder Auto (von Automobil).

2.3. KOPF-SCHWANZ-WORT: Bei dieser relativ seltenen Gruppe bilden Anfang und Ende des Ausgangswortes das
Kurzwort. Beispiele dafür sind Kudamm (von Kurfürstendamm) oder Staatsarbeit (von Staatsexamensarbeit).

2.4. MISCHFORMEN: Neben den oben angesprochenen klaren Typen gibt es auch noch Mischformen, wo beliebige
Teile des Ausgangswortes verwendet werden, wie etwa bei Kripo (von Kriminalpolizei), Lisa (von Elisabeth),
Klaus (von Nikolaus), oder Kino (von Kinematograph). Bei Klaus ist auch ein zweistufiger Bildungsvorgang
denkbar, also dass Nikolaus zunächst zu Niklaus und erst dann weiter zu Klaus gekürzt wurde.

2.5. BILDUNGEN AUF –i:

Sehr seltsam ist das Suffix –i, das zur Bildung von Koseformen von Eigennamen verwendet wird, aber i.d.R. das
Genus des Ausgangswortes nicht verändert (Karlimask, Heinzimask, Annifem, Schweinimask), was Grund genug ist,
seinen Suffixstatus zu hinterfragen. Wird das –i zur Bildung anderer Kosenamen (Schatzi, Hasi, Mausi usw.)
verwendet, erhalten diese meist neutrales Genus, werden aber von manchen SprecherInnen auch im Genus des
Ausgangswortes verwendet (die Mausi – das Mausi). Bei vielen dieser Kosenamen findet zunächst eine Kürzung
statt, bevor man das –i anhängt (z.B. Schweini von Schweinsteiger, Anni von Anna, Hansi von Johann usw.)
Daneben gibt es auch noch einige andere desubstantivische Substantive wie Hirni (‚Mensch, dem man eher wenig
Geistesgaben zurechnet‘) oder Grufti, was zwei Bedeutungen haben kann. Entweder bezeichnet es salopp (so wie
Friedhofsgemüse) einen Menschen, der aufgrund seines hohen Alters der Gruft bereits nahe ist, oder ein Mitglied
einer heute nicht mehr besonders stark vertretenen Bewegung, die sich meist schwarz kleidet, weiß schminkt und
die Freizeit gerne auf Friedhöfen verbringt. Weitere Beispiele sind Knasti (‚Mensch, der im Knast ist oder war‘)
und Softie (‚Weichei‘). Diese sind überwiegend maskulin, werden aber auch gelegentlich feminin verwendet.

Völlig unklar ist auch, ob das hier vorgestellte –i in einem Zusammenhang zu dem –i gebracht werden kann, das an
gekürzte Wortstämme gehängt wird, wie bei Pulli für Pullover, Rolli für Rollkragenpullover oder für Rollstuhl, Ami
für Amerikaner usw. Diese besonderen Kurzwörter verändern die Kategorie des Ausgangswortes nicht, aber es gibt
auch welche, bei denen zur Erzeugung von Substantiven an gekürzte Adjektive ein –i angehängt wird. Diese
Substantive (Sponti, Fundi) können sowohl feminin als auch maskulin auftreten. In Einzelfällen kann dieses –i
auch durch ein –o (u.U. als Allophon zu werten) ersetzt sein (Realo).

3. Partiell gekürzte Wörter


Der dritte Typ sind die partiell gekürzten Wörter. Bei ihnen ist nur ein Teil eines komplexen Wortes gekürzt, und
zwar steht wie bei den Akronymen der Anfangsbuchstabe für den gekürzten Teil. Beispiel dafür sind S-Bahn (von
Schnellbahn) und O-Saft (von Orangensaft).

Wortkürzungen in Komposita
Wortkürzungen können genauso wie andere Wortstämme auch zur Bildung komplexerer Wörter verwendet
werden. Die Wörter Fernsehkrimi, Autohaus, Schnellbus, Zootier, AKW-Stilllegung usw. sind keine Kurzwörter,
sondern Determinativkomposita, in denen jeweils ein Bestandteil ein Kurzwort ist. Autohaus ist also erstmal ein
Determinativkompositum aus Auto und Haus. Haus ist ein Simplex, während Auto ein Kurzwort für Automobil ist.
Letzteres ist aus dem Französischen entlehnt und kann im Deutschen daher nicht weiter analysiert werden. Als
Strukturbaum lässt sich das so darstellen:

(DK) AutohausSubst

(KW) AutoSubst HausSubst

AutomobilSubst

Ähnliche Phänomene

Manchmal mit den Wortkürzungen verwechselt werden die folgenden kurzwortähnlichen Phänomene. Diese sind
aber keine Fälle von Kurzwortbildung.

1. Abkürzungen
Nicht zu den Kurzwörtern gehören reine Schreibabkürzungen wie Dr., mfG, Dipl. Ing. Diese kommen nur in der
geschriebenen Sprache vor und werden nicht gesprochen. Manchmal können sie zu den Kurzwörtern übergehen,
wenn, wie bei Prof. geschehen, eine zunächst als reine Schreibabkürzung verwendete Form, die zunehmend auch in
der gesprochenen Sprache verwendet wird. Im Fall von Prof ist das Kurzwort allerdings noch nur in salopper
Ausdrucksweise und nicht in der Anrede gebräuchlich. Sie werden vermutlich Ihren Professor nicht mit dem Satz
Guten Tag Herr Prof, ich wollte mal fragen, … ansprechen.

2. Kurzwortähnliche Wortschöpfungen
V.a. bei der Bezeichnung von neuen Produkten werden oft kurzwortähnliche Wortschöpfungen verwendet. Die
Erfinder dieser Produkt- oder Firmennamen greifen dabei durchaus auf Teile vorhandener Wörter zurück, doch die
angebliche Langform existiert nicht und hat, zumindest in derselben Bedeutung wie die vermeintliche Kurzform
auch nie existiert. Der Waschmittelname Persil soll aus den Teilen Natriumsilikat und Natriumperborat gekürzt
sein und vielleicht hat der Erfinder dieses Namens auch Teile der beiden Chemikalien als Vorbild genommen, doch
ein Kurzwort wäre es nur, wenn das Waschmittel erst Natriumperboratnatriumsilikat geheißen hätte und dieser
Name dann zu Persil gekürzt worden wäre. Gleiches gilt für den Schokoladennamen Milka, in dem die Wörter
Milch und Kakao stecken sollen. Zwar gibt es das Wort Milchkakao (als Getränkebezeichnung), aber dies war nie
eine Bezeichnung für eine Schokolade oder einen Schokoladenhersteller. Ein ähnlich gelagerter Fall ist der
Firmenname Haribo. Er ist angelehnt an den Namen des Gründers und dessen Wohnort, nämlich Hans Riegel aus
Bonn. Da die Firma aber immer Haribo (und nicht Hansriegelbonn) hieß, kann man nicht von Kurzwortbildung
sprechen.

3. Wortkreuzung
Viele Namen gibt es für die sog. „Wortkreuzung“. Neben „Kontamination“ und „Blending“ findet sich auch der
Terminus „Kofferwort“. Auch hier liegt keine Wortkürzung im eigentlichen Sinne vor, da die Ausgangswörter
nicht für denselben Begriff stehen. Beispiele dafür sind Robbery aus Robben und Ribéry, Kurlaub aus Kur und
Urlaub, Indiskretin aus indiskret und Kretin

4. Entlehnungen
Wörter wie NATO (North Atlantic Treaty Organization) oder Radar (Radio detecting and ranging) kann man im
Deutschen nicht als Wortkürzungen bezeichnen, obwohl sie im Englischen durchaus durch Wortkürzung
entstanden sind. Ins Deutsche wurden sie aber schon als gekürzten Formen entlehnt, während die Vollformen im
Deutschen nicht existieren.

Auch die Wörter Muli, Maggi und Kuli sind keine Kurzwörter, auch wenn sie manchmal dafür gehalten werden.

Muli ist der Plural von lat. mulus (‚Maultier‘) und wurde irgendwann als Singular uminterpretiert. Der Firmenname
Maggi ist einfach der Nachname des Firmengründers Julius Maggi.

Etwas komplizierter ist die Entstehung des Wortes Kuli, das heute meist mit kurzem u gesprochen wird und die
Bedeutung ‚Kugelschreiber‘ hat. Es kann aber aufgrund der Lautstruktur kein Kurzwort von Kugelschreiber sein.
1928 brachte die Firma Rotring einen füllerähnlichen Tintenschreiber auf den Markt und gab ihm den Namen
Tintenkuli, um damit zu symbolisieren, dass der Tintenkuli besonders robust und preiswert ist. Das Wort Kuli
bezeichnet nämlich südostasiatische Arbeiter, die auch außerhalb Asiens bei schwerer Arbeit und schlechten
Lebensbedingungen ausgebeutet wurden. Zunächst war Kuli ein Kurzwort für Tintenkuli. Nachdem in den späten
40er und frühen 50er Jahren der Tintenkuli mehr und mehr von den bis heute gängigen Kugelschreibern verdrängt
wurde, ging das Kurzwort auf diese über.
Das war’s für diesmal.

Bis nächste Woche können Sie die folgenden Wörter analysieren:

U-Haft, Plätzchenbacken, Fahrtrichtungswechselanzeiger

Eine schöne Woche und bis zum nächsten Mal


Robert J. Pittner

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