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Guten Tag meine Damen und Herren,


schön, dass Sie wieder dabei sind.

Konfixe

Heute wollen wir uns zwei Morphemklassen zuwenden, die nicht ganz unproblematisch sind. Als Erstes
betrachten wir die „Konfixe“ (auch „Confixe“).

Dabei handelt es sich um Elemente, die sich in der Komposition (Psycho-schocker, Platz-wart, Disko-thek)
und bei der Affigierung (fanat-isch) wie Wortstämme verhalten, aber nicht frei vorkommen, also keine
Wortstämme sind. Trotzdem tragen sie (in Gegensatz zu den Affixen) eine relativ konkrete, eindeutig
zuzuordnende Bedeutung, d.h. zusammengefasst, sie sind wie die Affixe gebundene Morpheme, aber meist
(dummerweise nicht immer) nicht besonders reihenbildend. Von der Bedeutung und von ihrem
morphologischen Verhalten her ähneln sie weit eher Wortstämmen als Affixen.

Die meisten Konfixe sind fremdsprachlichen Ursprungs. Man stellt sich vor, dass sie auf eine bestimmte Art
und Weise in unser Lexikon aufgenommen wurden:

Zunächst hat man morphologisch komplexe Fremdwörter entlehnt (z.B. Bibliothek und bibliophil), die ein
gemeinsames Element (biblio) enthalten. Durch einen Vergleich der beiden Fremdwörter hat man die
morphologische Struktur durchschaut, d.h. man hat das gemeinsame Element biblio erkannt und außerdem
bemerkt, dass in beiden Wörtern die Bedeutungskomponente ‚Buch / Bücher‘ drinsteckt. Mit biblio und den
beiden Restelementen thek und phil hat man nun drei neue Elemente, die man ins Lexikon aufnehmen kann.
Die Bedeutungen der Elemente thek und phil lassen sich aus der Bedeutung der Wörter Bibliothek (‚Raum für
Bücher‘) und bibliophil (‚Bücher liebend‘) erschließen. Sind die Elemente erst einmal im Lexikon des
Deutschen, kann man sie dann weiterbenutzen.

Diese durch diverse Vergleiche gewonnenen Einheiten werden nämlich dann als wortstammähnliche Elemente
im Lexikon abgespeichert und zunächst untereinander (Astro-naut, Aero-plan, tele-gen usw.) dann mit
Wortstämmen (Turbo-abitur, Agrar-reform, Semi-finale, Agrar-land usw.) zu Komposita kombiniert und als
Basis für Suffigierungen (agrar-isch, fanat-isier), verwendet.

Bei einigen Elementen ist die Einordnung strittig, z.B.: ultra-konservativ, hyper-modern, Pro-Seminar,
prä-natal, para-militärisch, Erz-bischof, Trans-jordanien, non-verbal, post-operativ, auto-gen, neo-liberal,
Mikro-welle. Die Erstglieder der oben angeführten Beispiele werden manchmal als Konfixe, manchmal aber
auch als entlehnte Präfixe bezeichnet. Das liegt daran, dass die Kriterien, die man zur Unterscheidung
heranziehen kann, nicht besonders scharf sind. Dies trifft v.a. auf das Kriterium „eher konkrete vs. eher
abstrakte Bedeutung“, aber auch auf das Kriterium „Reihenbildung“ zu. Auch die Frage, inwieweit man die
Einordnung der entlehnten Elemente in der Ausgangssprache berücksichtigen soll, ist umstritten. Die
Einordnung als Konfix ist erst dann eindeutig, wenn sich das Element mit einem Affix verbindet, denn eine
Kombination aus zwei Affixen gibt es nicht.
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Manchmal trifft man die Einordnung als Präfix nur deshalb, weil das entlehnte Element in der
Ausgangssprache als ein solches gilt. Ob die Präfixkriterien auch im Deutschen erfüllt sind, wird dann nicht
weiter diskutiert.

Zum andern kann aber auch eine Diskussion der im Deutschen existenten Beispiele zu uneindeutigen
Ergebnissen führen. Präfixe zeichnen sich (wie schon gesagt) durch Reihenbildung und eine relativ unkonkrete
Bedeutung aus, während Konfixe nicht reihenbildend sein müssen (wohl aber können) und eine konkretere
Bedeutung haben. Nehmen wir z.B. das akzentuierte Element Erz-, das in der Bedeutung ‚der erste‘ aus dem
Griechischen entlehnt und im Deutschen nicht mehr sehr reihenbildend ist (Man darf es nicht mit dem
Steigerungsglied erz- wie in erzkonservativ, erzfaul usw. verwechseln. Darüber sprechen wir nächste Woche.).
Wörter wie Erzschelm, Erzkanzler usw. sind heute kaum mehr gebräuchlich und auch die heute noch
gebräuchlichen Wörter wie Erzbischof, Erzengel, Erzdiözese, Erzherzog, Erzrivale oder Erzfeind sind schon
sehr alt. Neubildung mit dem Präfix / Konfix Erz- gibt es nicht und die Anzahl der Bildungen ist
verhältnismäßig gering, so dass man nicht von Reihenbildung sprechen kann. Die Bedeutung der einzelnen
Wörter (diese sind alle mehr oder weniger lexikalisiert) ist nur noch schwer durchschaubar. Man kann also
auch nicht entscheiden, ob Erz- eine konkrete oder eher abstrakte Bedeutung trägt. Trotzdem wird Erz- meist
kommentarlos als Präfix bezeichnet. Die Bildungen, bei denen das Substantiv Erz in der Bedeutung
‚metallhaltiges Gestein‘ drinsteckt (z.B. Erzbergwerk, Erzabbau, erzhaltig usw.), gehören natürlich nicht
hierher-

Einige ehemalige nicht-native Konfixe wurden zu selbständigen Wörtern, was die folgenden Sätze zeigen:

Die Prüfung lief super.


Die Wohnung ist ja mini.
Das ist mega.
Er ist ein Pseudo.

Es gibt auch Konfixe deutschen Ursprungs, z.B. stief, schwieger, wart. Diese waren (sofern man das überhaupt
noch zurückverfolgen kann) früher frei vorkommende Morpheme, also Wortstämme. Als Wortstämme sind sie
ausgestorben, aber da sie noch in verschiedenen Komposita erhalten geblieben sind, haben wir sie offenbar als
Konfixe abgespeichert, mit denen wir durchaus auch neue Wörter bilden können. Man denke nur an das im
Nationalsozialismus gebildete Wort Blockwart, das zu einer Zeit entstand als das Substantiv *Wart längst
ausgestorben war.

Schwieger-: -mutter, -vater, -sohn, -tochter


Stief-: -mutter, -vater, -sohn, -tochter, -kind
Platz- Zeug-, Forst-, Kassen-, Haus-, Tor- -wart
Ur-: -großvater, -oma, -vogel, -zeit, -mensch

Von den oben angeführten Konfixen sind zwei (stief-, ur-) so alt, dass man ihre Herkunft nicht mehr
nachvollziehen kann.
Bei ur- kann man außerdem diskutieren, ob Beispiele wie Uroma nicht ein anderes Konfix enthalten als
Beispiele wie Urzeit. Eindeutig nicht hierher gehören allerdings Wörter wie urgesund, uralt usw., die
eindeutig Szeigerungsbildungen (s.o.) sind.
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Schwieger ist ein ausgestorbenes Wort für Schwägerin, während der Zusammenhang zwischen –wart und dem
Verb wart (‚pflegen von Maschinen‘) noch heute durchsichtig ist.

Unikale Morpheme

Ein ähnliches Phänomen sind die „Unikalen Morphemen, nur dass diese bloß noch in einem einzigen
Wortbildungsprodukt vorkommen, z.B.: Him-beere, Nacht-i-gall, Un-flat, ent-behr. Dabei ist die
ursprüngliche Bedeutung nicht mehr erkennbar (him: ‚Hirschkuh‘, gall: ‚Sänger‘, flat: ;Sauberkeit‘, behr:
‚versehen sein mit‘).

Die Abgrenzung zu den Konfixen ist problematisch, weil manche dieser Elemente in zwei oder drei Wörtern
vorkommen, z.B.: Bräuti-gam, mono-gam, poly-gam / winz-ig, Winz-ling (nicht verwandt mit Winz-er).

Obwohl es strenggenommen unsinnig ist, Elemente wie -gam oder winz- als „unikal“ zu bezeichnen, stehen
diese aufgrund der schwer oder nicht mehr durchschaubaren Bedeutung den unikalen Morphemen näher als
den Konfixen.

Wenden wir uns nun noch der Lautkette bio zu.

In Biologie (‚Lehre vom Leben‘) und Biodiversität (‚Vielfalt des Lebens‘) bedeutet bio- ‚Leben‘. Bio- kommt
in dieser Bedeutung nicht frei vor, verhält sich ansonsten aber wie ein Wortstamm, ist also ein Konfix.
Dasselbe Konfix steckt auch in biologisch, das eine Suffigierung von Biologie ist.
In Biolehrer und Biounterricht steckt ein anderes Bio, nämlich ein Kurzwort für Biologie, das auch frei
vorkommt und ein Substantiv ist (Bio fällt heute aus.).
Auch in Biofleisch und Bioapfel steckt ein Kurzwort, aber ein anderes. Es kommt zwar auch frei vor (Der Apfel
ist bio.), ist aber ein Adjektiv. Allerdings kann man die Ausgangsform nicht genau identifizieren. Es handelt
sich auf jeden Fall um eine Adjektivphrase, deren erster Teil biologisch ist (z.B. biologisch hergestellt /
biologisch angebaut / biologisch produziert o.ä.).

Doch nun noch die Analysen der Wörter, die Sie vorbereitet haben:

(Suffig) AufmerksamkeitSubst

(Suffig) aufmerksamAdj -keitSuffix

(TV) aufmerkV -samSuffix

auf merkV
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Weitgehend unproblematisch ist die Analyse des Wortes Aufmerksamkeit, lediglich das Verb aufmerk ist wohl
mittlerweile nicht mehr sehr gebräuchlich, so dass es nicht weiter verwundern würde, sollten Sie es nicht mehr
gekannt haben. Man hat es dafür verwendet, ein Verhalten zu bezeichnen, bei dem jemand anfängt auf etwas
oder jemanden aufmerksam zu werden, bzw. diese/diesen/dieses zu beachten.

(DK) HochschulleiterSubst

(DK) Hochschul(e)Subst (Suffig) LeiterSubst

hochAdj SchuleSubst leitV -erSuffix

Bei dem Wort Hochschulleiter liegt ein DK vor, dessen erster Bestandteil Hochschule ist. Das unbetonte e von
Hochschule ist dabei weggefallen, was offenbar der Ausspracheerleichterung und der Sprachökonomie (man
spart eine Silbe) dient.
Das Wort Schule sieht so aus als wäre es eine Suffigierung des Verbstamms schul, was aber ausgeschlossen
werden kann, da das Substantiv aus dem Lateinischen entlehnt ist. Das Verb ist also durch lexikalische
Konversion vom Substantiv abgeleitet, wobei das e am Stammende weggefallen ist.
Das Wort Leiter (so wie es hier analysiert wurde) bezeichnet eine männliche Führungskraft. Das
sprossenhaltige Steigwerkzeug (die Leiter) ist zumindest synchron nicht weiter analysierbar.

(DK) BushaltestelleSubst

(Schwanzwort) BusSubst (DK) HaltestelleSubst

OmnibusSubst haltV eFE (Suffig) StelleSubst

stellV -eSuffix

Das Wort Omnibus ist aus ein aus dem Lateinischen entlehntes Pronomen (‚für alle‘) und kann im Deutschen
nicht weiteranalysiert werden.
Eine Haltestelle ist eine ‚Stelle, an der ein Verkehrsmittel hält‘. Daher steckt hier eindeutig das Verb halt und
nicht das Substantiv Halt drin. Ob das Verb vom Substantiv abgeleitet ist oder umgekehrt lässt sich synchron
nicht entscheiden. Sprachgeschichtlich gesehen scheint das Verb primär zu sein.
Stell hat sprachgeschichtlich betrachtet mit steh (‚stehend machen‘) zu tun, aber die Bildungsweise lässt sich
nicht mehr nachvollziehen.
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(DK) BundesgartenschaueröffnungSubst

(DK) BundesgartenschauSubst (Suffig) EröffnungSubst

(LexKonv) BundSubst esFE (DK) GartenschauSubst (Präfig) eröffn(e)V -ungSuffix

bindV GartenSubst (LexKonv) SchauSubst er-Präfix öffneV

schauV

Rein theoretisch wäre hier auch eine Analyse aus Bundesgarten und Schau möglich, doch die Bedeutung des
Wortes (‚Gartenschau des Bundes/auf Bundesebene‘) macht ganz deutlich, dass nur obige Analyse richtig ist.
Ein DK aus Bundesgarten und Schau würde nämlich ‚Schau mit Bundesgärten‘ bedeuten.
Bund ist eine Lexikalische Konversion von bind. Das Verb bind hat mehrere Stämme (ich binde / ich band /
ich habe gebunden), wobei der Perfektstamm mit dem Substantiv lautgleich ist.
Die Ableitungsrichtung bei schauV / SchauSubst ist morphologisch nicht erkennbar. Aufgrund der Semantik (das
Substantiv bezeichnet ‚etwas, das man (an)schaut‘) kann man aber davon ausgehen, dass das Substantiv primär
ist.
Falsch wäre es, das Substantiv Eröffnung als Präfigierung aus er- und Öffnung zu analysieren, da er- ein Präfix
ist, das nur vor Verbstämme tritt.

(Akronym) BVBSubst

(DK) BallspielvereinSubst Borussia

(DK) BallspielSubst (LexKonv) VereinSubst

BallSubst SpielSubst (Präfig) vereinV

ver-Präfix (LexKonv) einV

einZahlwort

BVB ist ein Akronym für Ballspielverein Borussia. Borussia ist eine latinisierte Form von Preußen, kein
wirkliches Latein.
Ballspielverein bedeutet ‚Verein für Ballspiele‘, was obige Analyse bestätigt. Wäre es ein DK aus Ball und
Spielverein müsste es ‚Spielverein für Bälle‘ bedeuten.
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Das Substantiv Verein ist eine Lexikalische Konversion vom Verb verein, das man im Gegensatz zum
Substantiv als Präfigierung analysieren kann. Das Substantiv kann man nicht als Präfigierung analysieren, da
es kein Substantiv ein gibt und ver- ein reines Verbpräfix ist.
Das Verb ein bedeutet ‚zu einem machen‘, daher kann man davon ausgehen, dass das Zahlwort primär ist.

(DK) MassenarbeitslosigkeitSubst

MasseSubst nFE (Suffig) ArbeitslosigkeitSubst

(Suffig) arbeitslosAdj -(ig)keitSuffix

ArbeitSubst -(s)losSuffix

Arbeitslosigkeit ist eine Suffigierung von arbeitslos, wobei man sich streiten kann, ob ig eine
Suffixerweiterung ist oder ob -igkeit als Allomorph zu -heit und -keit zu sehen ist. Die gleiche Frage stellt sich
bei s in arbeitslos.
Ob Arbeit vom Verb arbeit abgeleitet ist oder umgekehrt, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen.

(DK) AutoablagenplüschtierbesitzerSubst

(DK) AutoablagenplüschtierSubst (Suffig) BesitzerSubst

(DK) AutoablageSubst nFE (DK) PlüschtierSubst (Präfig) besitzV -erSuffix

(KW) AutoSubst (Suffig) AblageSubst PlüschSubst TierSubst be-Präfix sitzV

AutomobilSubst (TV) abliegV -eSuffix

ab liegV

Bei so langen Wörtern gibt es theoretisch meist mehrere Möglichkeiten, wie man das Wort aufteilen kann. Um
die richtige herauszufinden, muss man eine Paraphrase der Bedeutung betrachten. Paraphrase heißt, dass man
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die Bedeutung des Wortes mit den infragekommenden Bestandteilen wiedergibt, nicht dass man eine
Bedeutungsangabe aus einem Wörterbuch oder dem Internet betrachtet. Solche Bedeutungsangaben sind für
Leute gemacht, die das Wort (und meist auch die Bestandteile) nicht kennen. Diesen muss man die Bedeutung
natürlich anders erklären. Sie müssen aber überprüfen, ob die gewählte Wortbildungsstruktur die Bedeutung
des Wortes erzeugt oder nicht.
Das Wort Autoablagenplüschtierbesitzer bedeutet ‚Besitzer eines Autoablagenplüschtieres‘. Deshalb kommt
nur die gewählte Aufteilung in Frage. Würde man das Wort z.B. in Autoablage und Plüschtierbesitzer
unterteilen, ergäbe sich als Bedeutungsparaphrase ‚Plüschtierbesitzer für Autoablagen‘, was natürlich nicht die
richtige Bedeutung dieses Wortes ist.
Ein Autoablagenplüschtier ist ein ‚Plüschtier, das man auf die Autoablage legt‘. Unter einer Autoablage
versteht man übrigens die kleine ‚Ablagefläche, die sich bei PKWs mit Stufenheck hinter der hinteren Sitzbank
befindet‘.
Auto ist ein Kopfwort und kommt von Automobil, was aus dem Französischen entlehnt ist, also im Deutschen
nicht weiteranalysiert werden kann.
Das Wort Ablage ist durch eine Suffigierung des Verbs ablieg entstanden, und zwar durch die Suffigierung des
Präteritumstamms. Aufgrund der Bedeutung könnte man glauben, Ablage käme vom Verb ableg, doch wird
dieses Wort schwach flektiert (ich lege ab – ich legte ab – ich habe abgelegt), hat also keinen Stamm mit a und
kommt daher nicht infrage.
Semantisch schwer durchschaubar ist das Verb besitz. Im wörtlichen Sinne bedeutet es ‚auf etwas sitzen und
dadurch einen Besitzanspruch haben‘.

(DK) EheanbahnungsinstitutSubst

(DK) EheanbahnungSubst nFE InstitutSubst

EheSubst (Suffig) AnbahnungSubst

(TV) anbahnV -ungSuffix

an bahnV

Das Verb bahn bedeutete ursprünglich ‚einen Weg machen/roden‘, ist also keine Konversion vom Substantiv.
Vielmehr ist dieses vom Verb abgeleitet.

Außerdem können Sie bis nächste Woche noch die folgenden Wörter analysieren:

Rindfleischetikettierungsdurchführungsgesetz und Krankenkassenbeitrag

Bis zum nächsten Mal


Robert J. Pittner

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