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1.

III.3. Zuordnungsbeziehungen zwischen Flexionssemem und


Flexionsformativ
(Inhalt und Form)
Im Bereich der Flexionsmorpheme wird häufig ein Morphem nicht durch eine
entsprechende Laut- / Schriftform angezeigt, sondern durch verschiedene Formative,
sog. Formativalternanten . Es handelt sich dabei um Formvarianten mit gemeinsamer
Bedeutung oder Funktion. Dazu gehören z.B. die Formativvarianten des
Pluralmorphems von Substantiven: -e, -er, -(e)n, -s Tag-e, Büch-er, Bauer-n,
Student-en, Kino-s oder die schwache, starke und gemischte Bildung der
Tempusstämme des Verbs: mach-te, schrieb-& (& = Nullstelle ).
Die meisten Flexionsformative sind – isoliert betrachtet – polysem
(mehrdeutig). So zeigt das Formativ – en folgende Morpheme an:
1) Infinitiv : leg-en
2) die 1. und 3. Person Pl. wir/sie leg-en
3) Partizip II: geleg-en
4) Akk./Dat./Gen. Sing., Nom./Akk./ Dat./Gen. Pl. von Substantiven:
den/dem/des Menschen, die/die/ den/der Mensch en.
Solche Mehrdeutigkeit wird im syntaktischen Zusammenhang aufgehoben, z.B.
in Verbindung mit Personalpronomen oder Artikelwörtern.

III.4. Strukturen von Flexionsformativen und Mittel der Formbildung


Formative, die dem Wortstamm hinzugefügt werden, erscheinen als:
1. Affixe, nämlich als Endungen oder Suffixe und als Vorsilbe oder Präfix ge-.
Affixe sind kontinuierliche Formative, die dem Wortstamm allein oder kombiniert in
ununterbrochener Folge angefügt werden. Das sind in erster Linie die Suffixe -e,
-en, -er, -(e)s, -(e)t, -(e)st, -(e)ns, -(e)nd, -em . Die mit Hilfe der Affixe
gebildeten grammatischen Formen sind in der Regel synthetische (einfache) Formen
und gelten zusammen mit dem Wortstamm als semantisch-morphologische Einheit
(z.B. klopf-te-t, Kind-er-n, schön-er-en). Dieses Mittel der Formbildung wird die
äußere Flexion genannt.
2.
2. Diskontinuierliche Formative treten durch Formative anderer Klassen voneinander
getrennt auf und bilden häufig analytische (zusammengesetzte) Formen , die als
semantische Einheiten gelten, z.B. "habe gelesen" im Satz "Ich habe dieses Buch
schon gelesen". Die Form "habe" besitzt in dieser Verbindung keine
Eigenbedeutung, und auch die Form "gelesen" ist im Bestand dieses Satzes kein
grammatisch vollständiges Wort. Jede von diesen Formen hat die Gestalt eines
selbständigen Wortes, was sie eigentlich, vom geschichtlichen Standpunkt aus,
wirklich waren. Und nur in ihrer Einheit weisen sie sowohl lexikalische als auch
grammatische Bedeutung auf: die Vergangenheitsform des Verbs " lesen". Das Wort
"habe" ist ein diskontinuierliches Formativ in Verbindung Partizip II- Formativen:
ge -les-en . Die analytischen Formen des Verbs gehören zu den wichtigsten Mitteln
der strukturellen Gestaltung des deutschen Satzes, indem sie im selbständigen Satz
Distanzstellung einnehmen und auf diese Weise den Rahmen des Satzes bilden.
Analytisch werden im Deutschen gebildet:
1) die zusammengesetzten Zeitformen des Indikativs und Konjunktivs: Perfekt,
Plusquamperfekt, Futur I und II, Konditionalis I und II: bin gelaufen, hatte
gesehen, werden helfen, würde gemacht haben usw.;
2) alle Zeitformen des Passivs: bist angerufen worden, wäre bewiesen worden;
3) die Formen des Infinitivs II Aktiv und der beiden Infinitive des Passivs:
geschrieben haben, geschrieben werden, geschrieben worden sein;
4) die Kasus- und Pluralformen der Substantive: das Buch – dem Buch – die Bücher;
5) die Formen des Superlativs der Adjektive und der Adverbien: am schönsten, aufs
beste.
Abhängig davon, welche Formen in der Sprache vorwiegen: synthetische oder
analytische, werden die Sprachen in synthetische und analytische eingeteilt. Das
Russische ist z.B. eine synthetische Sprache, weil der größte Teil der Formen
mittels Morpheme und Vokalwechsel gebildet wird, das Englische – eine
analytische, das Deutsche – synthetisch-analytische.
3. Formative, die dem Wortstamm nicht angefügt werden, sondern durch
Lautwechsel in Erscheinung treten, rechnet man der sog. inneren Flexion zu. Das
Wesen der inneren Flexion besteht darin, dass das Grundmorphem außer der
3.
lexikalischen Bedeutung des Wortes noch bestimmte grammatische Bedeutungen
zum Ausdruck bringt. Z.B.: das Grundmorphem "gab" in der Wortform "gabst"
bezeichnet nicht nur lexikalische Bedeutung des betreffenden Wortes, sondern auch
(dank dem Vokal a) die grammatische Bedeutung des Präteritums und des Indikativs
(vergleichen Sie: geben, gibst, gäbe, gegeben ).
Die innere Flexion wird isoliert verhältnismäßig selten gebraucht, häufiger
erscheint sie in Verbindung mit verschiedenen Arten von kontinuierlichen
Formativen: das Buch – die Büch-er, ich nehme – du nimm-st, kurz – kürz-er.
Im Deutschen werden drei Arten der inneren Flexion unterschieden:
1. Der Ablaut; 2. Der Umlaut; 3. Die Brechung.
Der Ablaut ist der alte indoeuropäische Vokalwechsel im Grundmorphem, der
dem ganzen System der starken Verben zugrunde liegt und der Bildung der
Grundformen dient: verlieren – verlor –verloren, finden – fand – gefunden, nehmen
– nahm – genommen; lat. facio – feci, russ. несу – нёс.
Der Umlaut = der Vokalwechsel а, o, u, au zu ä, ö, ü, äu. Sein
Anwendungsgebiet:
1) bei der Bildung der Pluralformen vieler Substantive: die Mutter – die Mütter,
der Vater – die Väter, das Buch – die Bücher, der Garten – die Gärten;
2) die Steigerungsstufen vieler Adjektive und Adverbien: kurz – kürzer – der
kürzeste;
3) Präteritum Konjunktiv der starken Verben: ich flöge, du kämest, er gäbe;
4) die 2. und 3. Person Sing. Präsens Indikativ der starken Verben: du läufst, er
schläft.
Die Brechung (der Vokalwechsel e zu і) dient der Bildung:
1) der 2 . und 3. Person Sing. Präsens Indikativ : ich gebe – du gibst, er gibt; ich
nehme – du nimmst, er nimmt;
2) der Singularform des Imperativs der starken Verben mit dem Stammvokal e: Gib!
Nimm! Lies! Iss!
Einige Wörter bilden ihre Formen des grammatischen Paradigmas von
verschiedenen Stämmen. Diese Art der Formbildung wird Suppletivität genannt.
Suppletiv werden im Deutschen gebildet:
4.
1) die Formen der Personalpronomen: ich – meiner, mir, mich; ich – wir; du –
ihr, er – seiner, ihm, ihn;
2) die Formen der Steigerungsstufen einiger Adjektive und Adverbien: gut – besser
– am besten, viel – mehr – am meisten, bald – eher – am ehesten;
3) die Formen des Verbs " sein": ich bin – wir sind – ich war.

III. 5. Probleme der Wortklassengliederung


Der gesamte Wortschatz der Sprache gliedert sich in bestimmte lexikalisch-
grammatische Wortklassen, die auch Wortarten genannt werden. Unter einer Wortart
versteht man eine Menge von Wörtern einer Sprache mit bestimmten gemeinsamen
Merkmalen, durch die sich diese Menge von anderen Mengen mit jeweils eigenen
Merkmalen unterscheidet. Die Wortart wird in der Sprachwissenschaft als eine
Grundkategorie der grammatischen Beschreibung betrachtet. Von der
Sprachwissenschaft wird die Forderung erhoben, der Wortklasseneinteilung in der
Grammatik grammatische Kriterien zugrunde zu legen. Solche Kriterien beziehen
sich auf die Funktionsweise der Wörter in sprachlichen Äußerungen sowie deren
Zugehörigkeit zu bestimmten Teilsystemen der Grammatik. Eine grammatische
Klassifizierung des Wortbestandes berücksichtigt eine Gesamtcharakteristik der
Wortklassen mindestens unter semantischem, syntaktischem und morphologischem
Aspekt. Bei der Aufgliederung der Wortarten gelten folgende Kriterien:
1. die verallgemeinerte abstrahierte Bedeutung;
2. die morphologische Struktur;
3. die syntaktische Funktion.
Unter verallgemeinerter Bedeutung versteht man in der Sprachwissenschaft
jenen gemeinsamen semantischen Gehalt, auf den sich alle denkbaren Wörter der
betreffenden Wortklasse bringen lassen, wenn man von ihrer individuellen
Eigenbedeutung absieht. So z.B. fasst man die verallgemeinerte Bedeutung des
Substantivs als "Dingbedeutung" auf, wenn man unter "Ding" alles versteht, was
"gegenständlich" gedacht werden kann. Als verallgemeinerte Bedeutung des Verbs
gelten gewöhnlich die "Tätigkeit" und der "Zustand" einer Person oder eines
Gegenstandes, oder, allgemeiner ausgedrückt, der Vorgang. Das Adjektiv sei eine
5.
Wortart, die zur Bezeichnung von Eigenschaften, Beschaffenheiten und Relationen
diene, die nicht selbständig existierend gedacht werden können.
Die gemeinsame grammatische Bedeutung aller Wörter einer Wortart ist damit
verbunden, dass ihnen die gleichen grammatischen Kategorien eigen sind. So ist das
Substantiv durch die grammatischen Kategorien des Kasus, des Genus (Geschlechts),
des Numerus, der Bestimmtheit / Unbestimmtheit von den anderen Wortklassen zu
unterscheiden. Es gibt aber auch Ausnahmen. Einige Wörter besitzen ein
lückenhaftes Paradigma, was verschiedene Gründe hat. Einige Substantive haben
z.B. keine grammatische Kategorie des Numerus (der Himmel, der Frieden, die
Milch), oder nicht jedes Adjektiv kann gesteigert werden (blind, tot, eisern ), nicht
jedes Verb hat die Kategorie der Person ( es regnet). Das geschieht aus dem
einfachen Grund: die lexikalische Bedeutung des Wortes widersetzt sich der
grammatischen Bedeutung der Wortform.
Die morphologische Prägung des Wortes ist auf seine syntaktische Funktion
völlig abgestimmt. Nach der syntaktischen Funktion gliedern sich alle Wörter in
satzgliedwertige und nichtsatzgliedwertige (Funktionswörter).
Die satzgliedwertigen Wortarten werden weiterhin durch ihren Satzgliedwert
gekennzeichnet. So erscheint das finite Verb im Satz immer in der syntaktischen
Funktion des Prädikats. Andere Wortarten erscheinen in mehreren syntaktischen
Funktionen. So kann z.B. das Substantiv in verschiedenen Kasusformen Subjekt,
Objekt, Attribut, Adverbiale und Prädikativ sein.
Die nichtsatzgliedwertigen Wortarten haben auch bestimmte syntaktische
Funktionen und eine bestimmte syntaktische Distribution (Verteilung der
sprachlichen Elemente in der Rede in Bezug auf ihre sprachliche Umgebung). Die
Präposition steht immer in Verbindung mit einem Substantiv oder Pronomen ( zu
mir, ins Kino, mit Vergnügen).
Dass drei verschiedene Kriterien bei der A uf g l i e d e r u n g des Wortschatzes in
Wortarten geltend gemacht werden, wird oft als ein Mangel hervorgehoben. Unter
großer Zahl von Gelehrten besteht die Meinung: der Einteilung solle ein
einheitliches Scheidungsmerkmal zugrunde liegen. HELBIG hält für das primäre
Einteilungsmerkmal die syntaktische Funktion des Wortes. Eine rein morphologische
6.
Klassifizierung schlagen FLÄMIG und ENGEL vor. Die Versuche, eines der
genannten Einteilungskriterien zu verabsolutisieren, erweisen sich als verfehlt.
MOSKALSKAJA geht einen Schritt weiter, indem sie kategorielle
Wortklassenbedeutung, syntaktische Funktion und morphologische Prägung des
Wortes nicht als gesonderte Merkmale des Wortes, sondern als Komponenten einer
Gesamtcharakteristik betrachtet, aus der sich das Funktionieren des Wortes in der
Rede ergibt.

III.6. Die Klassifikation der Wortarten


Die moderne Grammatik verfügt über keine einheitliche Klassifikation der
Wortarten. Über die Zahl und Ordnung von Wortarten gibt es unter den
Sprachwissenschaftlern mannigfache Meinungsunterschiede. Es kommt meistens
darauf an, ob man einige Wortarten (Numeralien, Pronomen, Modalwörter, Artikel)
in einer Gruppe zusammengefasst oder getrennt behandelt.
Die traditionelle deutsche Grammatik unterscheidet 9-10 Wortarten (in
Klammern – die verbreitesten deutschen Fachausdrücke, die den lateinischen
entsprechen):
1. das Substantiv (Hauptwort, Dingwort);
2. das Adjektiv (Eigenschaftswort, Beiwort);
3. das Numerale (Zahlwort);
4. das Pronomen (Fürwort);
5. das Adverb (Umstandswort);
6. das Verb (Zeitwort, Tätigkeitswort);
7. die Präposition (Verhältniswort, Vorwort);
8. die Konjunktion (Bindewort);
9. die Interjektion (Empfindungswort)
Umstritten ist die Frage nach dem grammatischen Status des Artikels. Solche
Grammatiker wie MOSKALSKAJA, ADMONI, SCHMIDT, SCHENDELS halten den
Artikel für eine selbständige Wortart. Andere dagegen (ERBEN, JUNG,
BRINKMANN, SINDER, STROJEWA) behandeln den Artikel als Begleitwort im
7.
Bereich des Substantivs. Die Vertreter des 2. Standpunktes begründen ihre Meinung
folgenderweise:
1) der Artikel hat keine lexikalische Bedeutung und ist kein selbständiges Wort;
2) jede Wortart bildet eine lexikalisch-grammatische Wortklasse; der Artikel
bildet keine Wortklasse, hat keine eigenen grammatischen Kategorien, hat kein
selbständiges System der Wortbildung.
Von den 9-10 Wortarten der traditionellen deutschen Grammatik bleiben bei
allen Revisionsversuchen der Klassifikation nur das Substantiv und das Verb
unangefochten. Hinsichtlich aller anderen Wortarten bestehen abweichende
Meinungen.
Nach der Art der Bedeutungsweise und des Funktionierens werden folgende
"Wortartkomplexe" unterschieden:
1. Vollwörter (Begriffswörter, die Wortarten im eigentlichen Sinne, die
Autosemantika);
2. Funktionswörter (Hilfswörter, Dienstwörter, die Synsemantika);
3. Interjektionen.
Die Autosemantika sind in der Sprache in der absoluten Überzahl. Ihr
strukturelles Kennzeichen ist, dass sie als Satzglieder fungieren. Die Autosemantika
werden weiter unterteilt in:
1) nominative (benennende) Wortarten, die die Erscheinungen der
außersprachlichen Welt bezeichnen – das sind Substantive, Adjektive, Verben,
Adverbien;
2) verweisende Wörter – die Pronomen; ihre wortartliche Eigenart besteht darin,
dass sie die Erscheinungen der Wirklichkeit nicht nennen, sondern auf sie
verweisen;
3) zählende (numerative) Wörter – die Numeralien; sie nennen auch keine
Erscheinungen der Außenwelt. Sie haben eine autosemantische Bedeutung,
indem sie das Zählen ermöglichen.
Die Synsemantika haben keine nominative Funktion, sie dienen zum Ausdruck
verschiedener Beziehungen und verbinden die autosemantischen Wörter im Satz.
8.
Das sind Konjunktionen, Präpositionen, Partikeln. Sie fungieren im Satz nicht als
Satzglieder, sondern stellen die Verbindungen zwischen den Satzgliedern her.
Die Interjektionen bilden nach der Meinung der meisten Sprachforscher eine
ganz besondere Wortart. Sie drücken den Charakter der Empfindung aus, der durch
die Situation und / oder den Kontext verdeutlicht wird.

Fragen und Aufgaben zur Selbstkontrolle:


1. Was versteht man unter einem Morphem?
2. Welche Arten von Morphemen unterscheidet man?
3. Wie werden die Bedeutung und die Form eines Morphems bezeichnet?
4. Aus welchen Morphemen können Wortstämme bestehen? Führen Sie Beispiele an!
5. Was drücken Flexionsmorpheme aus?
6. Wie kann die Morphemverteilung im Wort dargestellt werden?
7. Was versteht unter der Flexion?
8. Worin liegt der grundsätzliche Unterschied zwischen der Flexion und der Wortbildung?
9. In welcher Wechselbeziehung stehen Flexionssemem und Flexionsformativ?
10.Wodurch unterscheiden sich Flexionsformative ihrer Struktur nach?
11.Welche grammatischen Mittel der Formbildung gibt es im Deutschen?
12.Auf welche Weise können diese Mittel die grammatischen Bedeutungen zum Ausdruck
bringen?
13.Geben Sie eine umfassende Charakteristik dieser Mittel!
14.Was versteht man unter einer Wortart?
15.Welche Kriterien liegen der Aufgliederung der Wortarten zugrunde?
16.Welche Schwierigkeiten entstehen bei der Aufgliederung des Wortbestandes in Wortarten?
17.Was versteht man unter verallgemeinerter Bedeutung einer Wortart? Bestimmen Sie die
Allgemeinbedeutung des Substantivs, des Verbs und des Adjektivs!
18.Wie kann man die morphologische Prägung einer Wortart definieren?
19.Wie würden Sie erklären, warum es verschiedene Klassifikationen der Wortarten gibt?
20.Wie wird der Artikel in verschiedenen Konzeptionen behandelt?
21. Erläutern Sie die Bedeutung und die Funktion der Autosemantika und der
Synsemantika!
9.

IV.6. Die Kategorie des Modus (Sagweisen, Aussageweisen) und das


System der Modi im Deutschen

Diese Kategorie gehört zu den prädikativen (kommunikativ-grammatischen)


Kategorien des Verbs. F.SOMMER versteht unter Modus "eine subjektive, nach
Wille und Vorstellung orientierte Stellungnahme des Sprechenden zum
Verbalvorgang", H.BRIMKMANN bestimmt den Modus folgenderweise: "die
Geltung … die der Sprecher seiner Aussage gibt", J.ERBEN definiert den Modus als
Ansicht des Sprechenden "über Realität oder Realisierung des geschilderten
Geschehens oder Seins". O.MOSKALSKAJA bestimmt diese Kategorie so: "durch
den Modus des Verbs charakterisiert der Sprechende das gesch ilderte Geschehen und
somit seine gesamte Aussage hinsichtlich der Realität: das Geschehen wird entweder
als tatsächlich statthabend / stattgehabt / stattzuhabend hingestellt (der Indikativ)
oder aber als in Wirklichkeit nicht statthabend, sondern nur möglich / möglich
gewesen, unter gewissen Bedingungen realisierbar / realisierbar gewesen, unsicher,
ungewiss, erwünscht usw. (der Konjunktiv). W.ADMONI bestimmt den Modus als
kommunikativ-grammatische Kategorie und unterscheidet zwei Arten der
Beziehungen zum Kommunikationsprozess und zum Sprechenden als der handelnden
Person dieses Prozesses, die in dem modalen System des deutschen Verbs zum
Ausdruck kommen: 1) die Ein schätzung der Realität des von dem Verb bezeichneten
Vorgangs, die von Seiten des Sprechenden erfolgt (die Modalität im engeren Sinne ),
und 2) die Aufgabe, die der Satz im Kommunikationsprozess erfüllt (diese Abart der
Modalität bezeichnet ADMONI als Kommunikationsaufgabe).
10.
Gewöhnlich werden im Deutschen drei Modi unterschieden: der Indikativ, der
Konjunktiv und der Imperativ (W.ADMONI, W.SCHMIDT, W.JUNG, W.FLÄMIG,
G.HELBIG u.a.). In der Fachliteratur kommt aber auch die Überzeugung auf, dass
der Imperativ nicht mit dem Indikativ und dem Konjunktiv in eine grammatische
Kategorie zusammengehört, sondern ihnen als eine ganz selbständige kategorielle
Form gegenübersteht (GLINZ, BARCHUDAROW, MOSKALSKAJA u.a.) Das wird
unter Beweis gestellt, indem folgendes behauptet wird: Die Gegenüberstellungen
a) Imperativ - Indikativ
Konjunktiv
b) Konjunktiv - Indikativ
beruhen auf verschiedenen differenzierenden Merkmalen:
1) Der Imperativ ist an einen besonderen Satztyp gebunden, wo weder der
Indikativ noch der Konjunktiv normalerweise vorkommen;
2) Der Imperativ ist seiner Bedeutung gemäß auf die 2. Person Singular / Plural
und die inklusive 1. Person Plural ( Gehen wir!) beschränkt;
3) Der Imperativ hat keinen Anteil am Tempussystem und an der Abwandlung
nach dem Genus.

IV.6.1. Der Indikativ (Wirklichkeitsform)


Der Indikativ charakterisiert das Geschehen als "wirklich“, bezeichnet (mit
Ausnahme einiger Konstruktionen: Futurum II, zum Teil Futurum I, Konstruktionen
mit Modalverben) die Einschätzung des Vorgangs als einen realen, der in der realen
Wirklichkeit stattfindet, stattgefunden hat oder stattfinden wird. Die Verbindung mit
einer Negation verleiht dem Indikativ eine entgegengesetzte, verneinende, aber
ebenso reale, bestimmte, eindeutige modale Bedeutung.
Die Leistung des Indikativs wird aus seiner Opposition zum Konjunktiv
hergeleitet:
1. Der Indikativ hat kein spezielles Bildungsmorphem, während der Konjunktiv
durch ein bestimmtes Morphem – das Suffix - e – ausgedrückt wird.
Infolgedessen hat die Präsensform des Konjunktivs einen Dreimorphembestand,
während die entsprechende Form des Indikativs den Zweimorphembestand hat:
11.
du komm-st – du komm-e-st
2. Die Personalendungen im Präsens und allen analytischen Formen sind
unterschiedlich:
er komm-t – er komme
3. Die Unterschiede zwischen beiden Modi liegen auch im Vorhandensein oder
Ausbleiben der inneren Flexion:
du gibst – du gebest
du liest – du lesest
4. Die Zeitformen des Konjunktivs und des Indikativs unterscheiden sich
wesentlich in ihrem Gebrauch. Zwischen der zeitlichen Bedeutung des
Indikativs und des Konjunktivs gibt es keine Parallelität: z.B.
1) Es war warm – a) Wirklichkeitsform b) auf die Vergangenheit
bezogen;
2) Ich möchte, es wäre warm – a) Möglichkeitsform b) auf die Gegenwart
bezogen.
5. Die Zahl der Zeitformen des Indikativs und deren des Konjunktivs ist
unterschiedlich: Der Indikativ hat 6 Zeitformen, der Konjunktiv – 8.

IV.6.2. Der Konjunktiv (Möglichkeitsform)


Die Darstellung des Konjunktivs ist in der Fachliteratur am wenigsten
einheitlich. Es gibt sogar eine Meinung, die Erscheinung des deutschen Konjunktivs
lasse sich überhaupt nicht in sichere Regeln fassen. Die Linguisten, die den
entgegengesetzten Standpunkt vertreten, behaupten, dass die Verwendung des
Konjunktivs im heutigen Sprachgebrauch sich einer rationalen Erfassung entziehe.
Aber die ganze Wahrheit wird offenbar von keiner dieser extremen Auffassungen
getroffen. Die Anwendungsweisen dieses Modus sind sehr vielfältig. Grundsätzlich
aber müssen zwei Hauptanwendungsgebiete unterschieden werden: der Konjunktiv in
Hauptsätzen und seine Übertragung auf Gliedsätze einerseits und der Konjunktiv in
der indirekten Darstellung andererseits.
12.
Die Leistung des Konjunktivs wird ebenfalls aus seiner Opposition zum
Indikativ hergeleitet. Während der Indikativ ein Geschehen oder Sein als gegeben,
als wirklich hinstellt, bezeichnet der Konjunktiv allgemein einen geringeren
Sicherheitsgrad der Aussage. Der Konjunktiv dient zum Ausdruck eines Wunsches,
Zweifels, einer Möglichkeit, Vermutung, Unsicherheit, Ungewissheit und anderer
Schattierungen. Wesentlich ist (nach Walter FLÄMIG), dass die verschiedenen
Zeitformen des Konjunktivs keine verschiedene Zeitbedeutung haben: sie
unterscheiden sich nicht temporal, sondern vielmehr modal, d.h. nach der
Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Verwirklichung des entsprechenden
Sachverhalts. Deshalb spricht man heute vom Konjunktiv I (Präsens, Perfekt, Futur
I und II) oder dem Konjunktiv der 1. Stammform und vom Konjunktiv II
(Präteritum, Plusquamperfekt, Konditionalis I und II) oder dem Konjunktiv der 2.
Stammform.
Das Hauptanwendungsgebiet des Konjunktivs I ist die indirekte Rede; er drückt
dort etwas "Vermitteltes" aus, eine Aussage, zu der der Sprecher nicht Stellung
nimmt, bei der er sich neutral verhält:
Er sagte, der Lehrer sei krank.
Er habe beim Ausflug mitgemacht.
Er werde mich immer unterstützen.
Wenn es heißt, dass es die Funktion des Konjunktivs I sei, fremde Rede zu
kennzeichnen, und der Konjunktiv I als der Modus der indirekten Rede zu gelten
habe, so meint man damit nicht, dass in der indirekten Rede nur Konjunktiv I
vorkommt. Die Untersuchungen von S.JÄGER am sog. Corpus haben ergeben, dass
der Anteil des Indikativs und des Konjunktivs II in der indirekten Rede weit höher
ist, als es sich mit der Annahme des Konjunktivs I als Normalmodus verträgt. So
machen nach JÄGER die Indikativformen immerhin 15% aus. Noch höher ist der
Anteil der Formen des Konjunktivs II, denn von den 85% Konjunktivformen
insgesamt sind 36% – d.h. mehr als ein Drittel – Formen des Konjunktivs II. Nun
wird ins Feld geführt, dass der Indikativ und der Konjunktiv II nur unter bestimmten
Bedingungen in der indirekten Rede möglich sind. W.JUNG und viele andere
Sprachwissenschaftler geben an, dass der Indikativ vor allem nach redeeinleitenden
13.
Verben in der 1. Person Präsens steht und der Konjunktiv II benutzt wird, wenn der
Konjunktiv I sich vom Indikativ morphologisch nicht unterscheidet (sog.
Ersatzfunktion). Es kommt aber hinzu, dass beide Einschränkungen sehr
problematisch sind. Redeeinleitende Verben in der 1. Person Präsens sind relativ
selten und erklären nicht die Frequenzverhältnisse beim Indikativ. Auch die
Ersatzregel für den Konjunktiv II hat kaum mehr als einen orientierenden Wert,
denn sie wird sehr oft nicht eingehalten (nach JÄGERS Angaben in jedem zweiten
Fall). Es gibt jedoch den umgekehrten Fall, dass eine Konjunktiv II – Form gewählt
wird, auch wenn eine eindeutige Konjunktiv I – Form zur Verfügung steht.
Besonders von FLÄMIG ist nun versucht worden, für diese Fälle eine Erklärung zu
geben. Dabei müssen zunächst dialektale Unterschiede im Gebrauch des Konjunktivs
außer Acht gelassen werden: so bevorzugt man im Süden den Konjunktiv I, im
Norden – den Konjunktiv II. Abgesehen davon wird man im Anschluss an FLÄMIG
folgenden Unterschied generalisieren können:
1. Beim Indikativ in der indirekten Rede identifiziert sich der Sprecher mit der
Aussage: Der Schriftsteller behauptet, dass Heine der größte deutsche Dichter
ist .
2. Beim Konjunktiv I in der indirekten Rede neutralisiert der Sprecher die
Aussage: Der Schriftsteller behauptet, Heine sei der größte deutsche Dichter.
3. Beim Konjunktiv II in der indirekten Rede distanziert sich der Sprecher von
der Aussage: Der Schriftsteller behauptete, Heine wäre der größte deutsche
Dichter.
Die Wahl der entsprechenden Zeitform des Konjunktivs hat keinen absoluten,
sondern nur relativen Zeitcharakter:
Konjunktiv I
Gegenwart Präsens Konjunktiv
Vergangenheit Perfekt Konjunktiv
Zukunft Futurum I Konjunktiv

Konjunktiv II
Gegenwart Präteritum Konjunktiv,
Konditionalis I
Vergangenheit Plusquamperfekt Konjunktiv,
Konditionalis II
14.
Zukunft Präteritum Konjunktiv,
Konditionals I

Im Unterschied zum Konjunktiv I stellt der Konjunktiv II eine Aussage als nur
gedacht, als nur vorgestellt hin. Sein Hauptanwendungsgebiet liegt im Konditional-
und Wunschsatz. Innerhalb des Konjunktivs II differenzieren die Tempora in Bezug
auf die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Verwirklichung:
1. Der Konjunktiv Präteritum drückt die Potentialität aus, weil er sich auf
Gegenwärtiges oder Zukünftiges bezieht: Wenn ich heute / morgen Zeit hätte,
würde ich kommen.
2. Der Konjunktiv Plusquamperfekt drückt die Irrealität aus, weil er sich auf
Vergangenes bezieht und deshalb die Möglichkeit zur Unmöglichkeit geworden
ist: Wenn ich gestern Zeit gehabt hätte, wäre ich gekommen.
Diese Differenzierung trifft auch für den Wunschsatz zu:
1. Wenn der Briefträger doch bald käme (potentiell: Der Briefträger kann noch
kommen ) ;
2. Wenn der Briefträger doch heute gekommen wäre (irreal: Der Briefträger ist
schon vorbei).

IV.6.3. Der Imperativ (Aufforderungsform)


Der Begriff dieses Modus wird oft nur als Befehl aufgefasst. Da der Imperativ
auch eine Bitte, einen Rat, eine Aufmunterung, eine Mahnung, einen Aufruf, ein
Verbot, eine Warnung, eine Aufforderung u .a. ausdrücken kann, wäre es
sachgemäßer, den Imperativ als Modus der Aufforderung zu bezeichnen. Solche
Meinung vertritt J.KRASCHENINNIKOWA, die in ihrer Schrift "Der Modus der
Aufforderung im Deutschen" die Vielseitigkeit dieses Modus darlegt. P.GREBE,
Autor der Duden-Grammatik definiert den Imperativ als den Modus, der "keine
objektive, sondern eine subjektive, vom Willen einer Person abhängige
Notwendigkeit" ausdrückt.
Der Imperativ dient vor allem zum Ausdruck der Kommunikationsaufgabe, er ist
das wichtigste Mittel zur Bildung der Aufforderungssätze. Der Imperativ ist an den
15.
Redemoment gebunden, deswegen entspricht es seinem Wesen, dass er nur eine
Zeitform kennt – das Präsens. Anders ausgedrückt, die Formen des Imperativs
werden vom Präsens abgeleitet.
Der Appell gehört zu den ältesten Funktionen der Sprache, deshalb weist er eine
primitiv-undifferenzierende Gestalt auf. Morphologisch ausgeprägt ist nur die
2.Person Singular und Plural, und auch die Höflichkeitsform: Komm! Kommt!
Kommen Sie! Die Form der 1. Person Plural bekommt auch eine Art Imperativs:
Lesen wir! (der Adhorativ).
In der Regel verzichtet man auf die Personenangabe, was es sich aus dem
unmittelbaren Vorhandensein des angesprochenen Partners ergibt. Wenn aber die
angesprochene Person besonders hervorgehoben werden soll, kann sie auch genannt
werden: Kümmere du dich um deine Angelegenheiten!
Wegen ihrer Semantik können viele Verben im Imperativ nicht gebraucht
werden, weil solche Aufforderung unlogisch wäre. Derartige Verben sind z.B.:
bekommen, gelten, geraten, kennen, kriegen , vermissen, wohnen, auch solche, die
ein unwillkürliches Tun bezeichnen : bluten, fallen, schwitzen , und die
unpersönlichen Verben: frieren, regnen, schneien, geschehen usw.
Einige Verben bilden fast ausschließlich verneinte Imperativformen, weil sie
selbst negative Bedeutung haben und eine positive Aufforderung in Widerspruch zur
Moral oder Logik geriete: Stiehl nicht! Verschluck dich nicht!
Keinen Imperativ bilden auch die Präteritopräsentia außer "wissen".
Neben den Imperativformen gibt es noch andere Mittel zum Ausdruck des
Modus Aufforderung:
1. Die Umschreibungen des Imperativs mit Modalverben: Ihr dürft nicht so laut
sein! Ihr wollt gleich aufhören!
2. Der kategorische Indikativ des Präsens und des Futurums als energische
Befehlsform: Du bleibst hier! Sie fahren nicht weiter. Sie werden jetzt
arbeiten!
3. Der Konjunktiv I (Präsens): Man behalte diese Worte! Man nehme 10 Gramm
Salz, man löse dieses in einem Glas Wasser auf usw.
16.
4. Das unpersönliche Passiv: Jetzt wird gearbeitet! Hier wird nicht geraucht!
Jetzt wird gegessen und getrunken!
5. Das Partizip II: Weggetreten! Still gestanden!
6. Der elliptische Infinitiv: Wegtreten!
7. Der Infinitiv mit „zu“ und „haben“: Du hast zu schweigen!
8. Einzelne elliptische Substantive, Adjektive, Adverbien: Vorsicht! Achtung!
Tempo! Still! Schnell! Vorwärts! Los! Halt!
9. Gliedsätze, es kann auch ein dass-Satz sein: Dass du mir nicht sofort
verschwindest!
10. Satzgefüge mit einem Verb der Aufforderung: Ich verlange, dass ich gehört
werde!

IV.7. Die grammatische Kategorie der Genera verbi


Die Genera des Verbs (lat. genus = Geschlecht, Art und Weise, Verhältnis) werden
durch die Formen des Aktivs und des Passivs ausgedrückt. Die beiden
Darstellungsweisen ermöglichen dem Sprecher, ein und denselben Sachverhalt in
verschiedener Perspektive sprachlich auszudrücken. Durch die Wahl geeigneter
Aktiv- / Passivstrukturen können die am Sachverhalt beteiligten Aktanten
(Mitspieler), insbesondere Träger, Urheber oder Ursache eines Geschehens (Agens;
lat.= handelnd) und von einem Geschehen Betroffene oder durch ein Geschehen
Bewirktes (Patiens lat. = duldend) ausdrücklich benannt, nur beiläufig erwähnt oder
völlig ausgeschaltet werden. Sachverhalte werden dadurch agensbezogen,
agensabgewandt oder agensunabhängig dargestellt. Aktivischer und passivischer
Ausdruck sind jeweils mit unterschiedlichen Satzstrukturtypen gekoppelt, die durch
ein unterschiedliches Zuordnungsverhältnis der Aktanten charakterisiert sind.

IV.7. 1. Das Aktiv

gilt als die neutrale Grundform der Genera des Verbs. Im Allgemeinen ist die
Darstellung im Aktiv agensbezogen: D e r Täter oder Urheber wird genannt und tritt
als Subjekt im Nominativ in Erscheinung: Peter sucht seinen Schlüssel. Er hilft
17.
seinem Freund. Man sorgt für seine Eltern. Das Aktiv erlaubt aber auch eine
nichtagensbezogene oder agensunabhängige Wiedergabe von Sachverhalten: Die
Geschäfte schließen 18 Uhr (werden geschlossen).

IV.7.2. Das Passiv

steht zur Verfügung, wenn es gilt, Täter, Urheber oder Ursache (Agens) eines
Sachverhalts in einer Äußerung ungenannt zu lassen: Der Schlüssel wird gesucht.
Dem Freunde wurde geholfen. Für die Verletzten ist gesorgt worden . Sofern in
Passivsätzen ein Täter erwähnt wird, geschieht dies durch eine präpositionale
Wortgruppe, niemals durch das syntaktische Subjekt: Die Schlüssel wurden von uns
gefunden. Ob eine Agensposition im Passivsatz als beiläufige oder betonte
Bezeichnung des Täters aufzufassen ist, hängt u.a. vom Textzusammenhang ab: Die
Schüler wurden von mir wegen ihrer Unaufmerksamkeit getadelt (Agens beiläufig
erwähnt). Die Schüler wurden vom Schulleiter persönlich ausgezeichnet (Agens
hervorgehoben).
Das Deutsche verfügt über ein Vorgangs- und ein Zustandspassiv.
Das Vorgangspassiv kennzeichnet einen Vorgang, der an einem Aktanten
vollzogen wird; einen Prozess, für den durch die Passivcharakteristik eine
Begrenzung oder ein Abschluss nicht angezeigt wird: Der Flughafen wird
ausgebaut. Dem Künstler wurde applaudiert. Über die Anweisung ist diskutiert
worden. Es wurde gelacht.
Das Zustandspassiv kennzeichnet einen Zustand als Ergebnis eines Vorgangs,
ein Resultat, das einen Prozess begrenzt oder abschließt : Der Flughafen ist
ausgebaut. Dem Kranken war geholfen. Für die Verletzten ist gesorgt.
Die Struktur Finitum von sein + Partizip II (ist beleuchtet) wird von manchen
Grammatikern als adjektivisches Prädikativ erklärt.

IV.7.3. Passivstrukturen
Passivsätze sind geregelte Abwandlungen von Aktivsätzen. In Passivsätzen mit
transitiven Verben wird das Patiens, das Akkusativobjekt des Aktivsatzes, durch das
18.
syntaktische Subjekt ausgedrückt: Der Schlüssel (Patiens, Subjekt) wurde von
meinem Bruder (Agens, Präpositionale Gruppe) gefunden. (Vorgangspassiv). Der
Schlüssel ist gefunden (Zustandspassiv).
Die Kategorie der Genera verbi unterscheidet sich von den anderen Kategorien
des Verbs dadurch, dass ihr Geltungsbereich geringer ist, weil nicht alle Verben
genusfähig sind. Das Passiv bilden die meisten transitiven Verben, die eine Agens-
Patiens-Beziehung ausdrücken. Eine Ausnahme sind nur einige genusunfähige
transitive Verben, z.B .: haben, besitzen, umfassen, anhaben, erhalten, bekommen,
kriegen, erfahren, wissen, kennen, enthalten, kosten, wiegen usw. Obwohl all diese
Verben zu den transitiven zählen, bezeichnen sie keine Handlung. Nicht passivfähig
sind intransitive Verben mit sein-Perfekt ( gehen, laufen, entstehen, fallen).
Intransitiva mit haben-Perfekt bilden Passivformen, wenn sie eine aktive Tätigkeit
ausdrücken, aber nur in der 3.Person Singular in dem sogenannten subjektlosen Satz:
Über diesen Fall wurde lange gestritten. Dem Verletzten wird von Passanten geholfen.
Dem Verletzten – Adressat, Dativobjekt, von Passanten – Agens, präpositionale
Gruppe. Ein Zustandspassiv kann in der Regel nur dann gebildet werden, wenn auch
ein Vorgangspassiv möglich ist. Voraussetzung ist jedoch im Allgemeinen ein
resultativer Charakter des Verbs.
Abhängig vom kommunikativen Bedeutungsgehalt werden drei Arten der
passiven Konstruktionen unterschieden:
1. agensbezogene oder das sogenannte dreigliedrige Passiv;
2. agensabgewandte oder das sog. zweigliedrige Passiv;
3. agensunabhängige Konstruktionen oder subjektlose Passivsätze.
Eine dreigliedrige passivische Satzstruktur entsteht bei der Nennung von zwei
am Geschehen beteiligten Aktanten: des Patiens und des Agens: Die Schüler wurden
vom Direktor ausgezeichnet.
Die statistische Analyse deutscher Texte ergibt folgende Angaben: die
Gebrauchsfrequenz der Passivsätze ohne Agens gegenüber der der Passivsätze mit
Agens ist 6:1. Die Möglichkeit der Aussparung des Agens im Passiv satz ist ein
wichtiges Kennzeichen des Passivs gegenüber dem Aktiv. Das ist ausschlaggebend
bei der Bevorzugung der Passivform des Satzes.
19.
BRINKER: "Passiv wird in den Fällen gewählt, in denen man das Agens nicht
nennen will oder nicht konkret angeben kann".
ERBEN: "Die Darstellungsform des Passivs erlaubt vom Vorgangsträger, der im
Aktiv genannt werden müsste, abzusehen und ihn unerwähnt zu lassen".
Die Aussparung des Agens hat verschiedene Ursachen:
1. Das Agens ist bereits im Vortext genannt worden und die wiederholte
Nennung ist überflüssig.
2. Das Agens ist nicht bekannt oder ist in allgemeinen Zügen bekannt, aber nicht
konkret angebbar.
3. Im Mittelpunkt der Darstellung stehen der Vorgang selbst, seine Folgen,
seine Bedeutung für das Patiens oder die Umgebung, während das Agens für
die Erzählung unwesentlich ist.
Das zweigliedrige Passiv ist nicht die einzige Möglichkeit der Aussparung des
Agens. Sein Synonym ist der unbestimmt-persönliche man-Satz: Er wurde gelobt.
Man lobte ihn. Der Passivsatz wird aber viel häufiger gebraucht als der man-Satz,
was auf ihre Inadäquatheit vom Standpunkt der kommunikativen Satzperspektive
zurückzuführen ist.
Der subjektlose Passivsatz ist meistens eingliedrig. Durch Aussparung des
Agens und des Patiens rückt die Handlung selbst in den Mittelpunkt. Der subjektlose
Passivsatz wird oft das "unpersönliche Passiv" genannt, weil die entsprechenden
Sätze mit es" beginnen können: Hier wird nicht geraucht. Es wird hier nicht
geraucht.

IV.8. Die Nominalformen des Verbs (die infiniten Formen)

Dazu gehören beide Partizipien (I und II) und vier bzw. sechs Infinitive. Was
den Bedeutungsgehalt des Infinitivs I und des Partizips I anbetrifft, so ist er dem der
finiten Formen gleich: sie bezeichnen auch den Verlauf einer Tätigkeit, einen
Prozess, aber ohne Bezugnahme auf den Täter, und überhaupt ohne unmittelbare
Berührung mit dem Kommunikationsprozess. Sie haben keine Kategorie der Person
und des Modus, und die Kategorie des Tempus (der Zeit) erscheint bei ihnen auf den
20.
Moment des Redeaktes bezogen, sondern als Gleichzeitigkeit mit dem Moment, der
vom finiten Verb bezeichnet wird : Ich sehe das lachende Mädchen – Ich sah das
lachende Mädchen.
Das Partizip II und der Infinitiv II entfernen sich in ihrem Bedeutungsgehalt
von dem der finiten Formen, indem sie den Prozess als schon beendet, zu einer
Eigenschaft des Subjekts oder des Objekts der Handlung darstellen: mein
zurückgekehrter Freund, das gelesene Buch. Er soll sich den Film angesehen haben .
Auf diese Weise kommt bei diesen Formen die Semantik der Vollendung, des
Resultats zum Vorschein, die Semantik, die für die Kategorie der verbalen
Aktionsart charakteristisch ist. Die Gegenüberstellung Infinitiv I – Infinitiv II
einerseits und Partizip I und Partizip II andererseits dient zur Darstellung der
relativen Zeit und der damit verbundenen Aktionalität : Er glaubt (glaubte), mich gut
zu verstehen – Gleichzeitigkeit, Dauer ; Er glaubt (glaubte), mich gut verstanden zu
haben – Vorzeitigkeit, Abschluss der Handlung . Der abfahrende Zug – Dauer, der
abgefahrene Zug – Abschluss.
Den Nominalformen des Verbs ist außerdem die Kategorie des Genus eigen : Er
behauptet, mich angerufen zu haben – Er behauptet, von mir angerufen worden zu
sein. Das lesende Mädchen – Aktiv, das gelesene Buch – Passiv.
Während die Funktion der finiten Formen die Bildung des Prädikats ist, sind die
Funktionen der infiniten Formen viel mannigfaltiger. Sie dienen:
1. zur Bildung der zusammengesetzten analytischen Formen des Verbs : sie ist
gekommen, er hatte gearbeitet, wir werden gelobt, sie werden arbeiten . In
diesem Gebrauch sind die infiniten Formen in den grammatisch-semantischen
Einheiten die Träger der lexikalischen Bedeutung .
2. Auf syntaktischer Ebene können diese infiniten Formen des Verbs in
verschiedenen nominalen Wortklassen auftreten : Der Infinitiv (besonders in
den Fällen mit der Partikel zu) nähert sich dem Substantiv: Er hofft zu reisen –
Er hofft auf die Reise. Das Partizip übernimmt die Funktionen des Adjektivs,
sowohl die attributiven, als auch die prädikativen: Das Mädchen ist reizend.
Der Lehrer ist belesen. Sie grüßte ihn lächelnd. Er arbeitet angespannt. Die
Tür bleibt geöffnet.
21.
Die morphologische Struktur der finiten und der infiniten Formen ist auch sehr
unterschiedlich. Die finiten Verben werden konjugiert, d.h. nach den Personen,
Zahlen, Zeitformen, Modi und Genera verändert. Der Infinitiv bleibt unverändert
(in diesem Fall wird er gewöhnlich von der Partikel zu begleitet). Wenn die
Infinitive substantiviert werden, richten sie sich nach der starken Deklination: das
Lesen, des Lesens usw. Die Partizipien entsprechen in ihrer Formbildung den
Adjektiven: sie treten sowohl in Kurzform als auch dekliniert auf: das gelesene
Buch, ein gelesenes Buch, das Buch ist gelesen . Wenn auch die infiniten
Verbalformen substantiviert bzw. adjektiviert werden, behalten sie Fügungspotenzen
des Verbs: Die Delegation ist in Odessa eingetroffen – Die in Odessa eingetroffene
Delegation.
Die infiniten Formen sind sowohl morphologisch als auch syntaktisch
Mischformen: sie vereinigen verbale und nominale Eigenschaften.

Fragen und Aufgaben zur Selbstkontrolle:


1. Warum nennt H.Glinz das Verb "das Kraftzentrum" des Satzes?
2. Welche grammatischen Kategorien hat das deutsche Verb?
3. Erklären Sie den Unterschied zwischen den logisch-grammatischen und kommunikativ-grammatischen Kategorien!
4. Wie und nach welchen Kriterien werden die deutschen Verben klassifiziert?
5. Worin liegt der semantische Unterschied zwischen Vollverben und Modalverben?
6. Welche Gruppen von Verben werden vom syntaktischen Standpunkt aus unterschieden?
7. Nennen Sie die Hauptmerkmale der starken Verben!
8. Womit ist die Einteilung der Verben in terminative und kursive verbunden? Was für Verben sind das?
9. Wie wird die Aktionsart im deutschen Verbalsystem ausgedrückt?
10. Was ist ein lückenhaftes Paradigma? Welche Verben besitzen es?
11. Was wird durch das grammatische Tempus ausgedrückt?
12. Welche Tempora werden zu absoluten und relativen gezählt? Wodurch unterscheiden sie sich?
13. Nennen Sie die Formen der Relativität der Zeiten!
14. Welche Gebrauchsweisen hat das Präsens?
15. Welche temporalen Bedeutungen werden durch das Präteritum und das Perfekt ausgedrückt?
16. Worin liegt der Unterschied in ihrem Gebrauch?
17. Nennen Sie die Haupt- und die Nebenbedeutung des Plusquamperfekts! Führen Sie Beispiele an!
18. Welche temporalen und modalen Bedeutungen haben Futurum I und II?
22.
19. Was drückt die Kategorie des Modus aus? Was für eine Kategorie ist das?
20. Auf welcher Opposition beruht die Kategorie des Modus? Charakterisieren Sie die Oppositionsglieder dieser
Kategorie!
21. Welche modalen Bedeutungen werden durch den Konjunktiv ausgedrückt?
22. An welche Tempusformen sind diese Bedeutungen gebunden?
23. Worin besteht die Leistung des Konjunktivs in der indirekten Rede?
24. Wie ist der Tempusgebrauch des Konjunktivs in der indirekten Rede?
25. Wie wird der Modus der Aufforderung im Deutschen ausgedrückt?
26. Was drücken die Genera des Verbs aus?
27. Welche kommunikativen Gründe bestimmen die Entscheidung des Sprechers für aktivische oder passivische
Ausdrucksweise?
28. Welche Arten der passivischen Satzkonstruktionen unterscheidet man im Deutschen?
29. Wodurch zeichnet sich das subjektlose Passiv aus?

30. Welche grammatischen Kategorien sind den Nominalformen des Verbs eigen?

I. Das Substantiv
Schwerpunkte für die Diskussion:
V.1. Wesensbestimmung und grammatische Kategorien. Funktion im Satz
V.2. Die Kategorie des Genus (des grammatischen Geschlechts)
V.3. Die Kategorie des Numerus
V.4. Die Kategorie des Kasus
V.4.1. Der Nominativ
V.4.2. Der Akkusativ
V.4.3. Der Dativ
V.4.4. Der Genitiv
V.5. Die Kategorie der Bestimmtheit und der Unbestimmtheit

V.1. Wesensbestimmung und grammatische Kategorien. Seine Funktion


im Satz
Substantive (Haupt- oder Dingwörter) machen über die Hälfte des
Gesamtwortschatzes im Deutschen aus. Durch Substantive werden Individuen,
Objekte, Denkinhalte (Konkreta und Abstrakta) als sprachliche Gegenstände gefasst
und benannt. Die verallgemeinerte Wortklassenbedeutung des Substantivs als
Wortart ist also der Ausdruck der Gegenständlichkeit im weitesten Sinne. Jeder
23.
Begriff und jede Vorstellung, die in der Form eines Substantivs zum Ausdruck
gelangen, werden als ein Ding, als eine Substanz aufgefasst. Das Substantiv kann
doch auch Geschehnisse, Zustände, Eigenschaften und Beziehungen bezeichnen,
z.B.: die Schönheit, die Größe, die Begegnung, die Liebe usw. Es wird
folgenderweise erklärt: der Mensch fasst in seinem Bewusstsein die Denotate dieser
Substantive als Substanzen auf, was auch in der Sprache widerspiegelt wird:
abstrakte Substantive haben in der Regel dieselben grammatischen Kategorien wie
konkrete.
Das deutsche Substantiv verfügt über folgendes System von grammatischen
Kategorien:
1. Kategorie des Genus
2. Kategorie des Numerus
3. Kategorie des Kasus
4. Kategorie der Bestimmtheit und der Unbestimmtheit.
Diese Kategorien sind aufs engste mit der verallgemeinerten
Wortklassenbedeutung des Substantivs und seinem Funktionieren im Satz
verbunden. Im Unterschied zu den anderen Wortarten, die meistens auf bestimmte
Satzgliedfunktionen angewiesen sind, ist der Satzgliedwert der Substantive fast
universell, d.h. es hat eine syntaktische Verwendbarkeit in allen Satzgliedpositionen.
Als Aktant in Valenzstrukturen des finiten Verbs, sowie des Substantivs oder des
Adjektivs oder valenzunabhängig kann es im Prinzip alle Satzglieder repräsentieren.
Als Subjekt des Satzes kongruiert das Substantiv mit dem finiten Verb in Person und
Numerus.
Das Substantiv ist deklinierbar. Durch den Kasus wird die syntaktische Funktion
des Substantivs in der Konstituentenstruktur des Satzes angezeigt. Das Genus ist
eine Kategorie besonderer Art. Im Gegensatz zu den anderen Kategorien des
Substantivs, die in seiner Formveränderlichkeit und in den dadurch gebildeten
oppositionellen Formen ihren Ausdruck finden, ist das Genus ein unveränderliches
Charakteristikum eines Substantivs; dagegen sind Numerus und Kasus der jeweiligen
Satzfunktion entsprechend veränderlich. Der Artikel kann als Genus-, Numerus-,
Kasusanzeiger zum Paradigma des Substantivs gerechnet werden. Vor allem aber
24.
charakterisiert er Substantive im Hinblick auf die Merkmale Bestimmtheit /
Unbestimmtheit.

V.2. Die Kategorie des Genus (des grammatischen Geschlechts)


Das Genus ist eine lexisch-grammatische klassifizierende Kategorie des
Substantivs, weil es der formalen Gliederung des Substantivbestandes in drei
grammatische Formklassen ohne Abbildcharakter dient: Maskulina (Sg. Maskulinum
– "männlich"), Feminina (Sg. Femininum – "weiblich") und Neutra (Sg. Neutrum –
"sächlich"). Die meisten Substantive sind genusfest, d.h. jedes Substantiv muss
einem der drei Genera angehören. Es gibt allerdings eine kleine Anzahl von
Wörtern, deren Geschlecht schwankt: der / das Bonbon, der / das Bereich, der / die
Wulst, der / das Kompromiss u.a.
Die deutsche Kategorie des Genus wird ausgedrückt durch:
1. den bestimmten Artikel;
2. artikelartige Pronomen;
3. attributive Adjektive, d.h. nicht durch die Struktur des Substantivs selbst, sondern
durch die Struktur der kongruirenden Glieder der Substantivgruppe, z.B. des
Artikels: der Strauß, die Maus, das Haus.
Manche wortbildende Morpheme weisen aber auch eindeutig auf ein bestimmtes
Genus hin, z.B. auf ein Maskulinum die Suffixe -ling, -ist, -ant, -ismus, -1er u.a.; auf
ein Femininum: -heit, -keit, -schaft, -ung, -in, -tät, -tion; auf ein Neutrum: -chen,
-lein, -tum.
Die Einteilung nach dem Genus der Substantive, die Lebewesen bezeichnen
weist einen Zusammenhang des grammatischen Geschlechts mit dem biologischen
auf. Das natürliche (biologische) Geschlecht (Sexus) als Bedeutungsmerkmal von
Substantiven hat im Unterschied zum Genus A bbildcharakte r; die überwiegende
Mehrheit der männlichen Lebewesen sind Maskulina: der Mann, der Vater der Junge,
der Greis, der Sohn , die der weiblichen Lebewesen – Feminina : die Frau, die
Mutter, die Tochter, die Tante usw. Die Form "das Weib" bildet die Ausnahme. Die
Herkunft dieses Wortes ist ungeklärt. Die Verkleinerungen auf -chen und -lein sind
25.
Neutra, ohne Rücksicht auf das natürliche Geschlecht : das Männlein, das Mädchen,
das Söhnchen.
Es gibt aber auch eine beträchtliche Anzahl von Substantiven, deren Genus
weder semantisch motiviert, noch durch die Wortstruktur bestimmt ist. Das sind
solche Substantive wie z.B. das Jahr, der Baum, der Tag, die Hand usw. Gerade bei
solchen Substantiven tritt die grammatische strukturelle Funktion des Genus
besonders deutlich zum Vorschein, und nämlich: die klassifizierende Funktion. Die
Verteilung der Substantive in drei Geschlechter ist mit dem Deklinationstyp und mit
dem Typ der Pluralform verbunden.
Die Bedeutung des Genus der Substantive für den grammatischen Bau erstreckt
sich auf die Syntax, da das Genus die Grundlage für die Kongruenz in der
attributiven Wortgruppe bildet : eine junge Frau, ein kluges Kind, dieser begabte
Student, ein guter Rat usw.

V.3. Die Kategorie des Numerus

Im Hinblick auf die Kategorie des Numerus sind zwei strukturell-semantische


Klassen der Substantive zu unterscheiden:
1). zählbare (numerusfähige) Substantive, die sowohl die Singular, als auch die
Pluralform haben können: das Kind – die Kinder, der Baum – die Bäume, die Idee –
die Ideen;
2) unzählbare (numerusunfähige) Substantive, die meistens nur die Singularform
besitzen: das Obst, das Leben, der Himmel, das Bewusstsein usw. oder nur die
Pluralform: die Eltern, die Ferien, die Geschwister usw. Die Kategorie des Numerus
beruht also auf der Opposition: ein Gegenstand – viele Gegenstände von derselben
Gattung. Dabei geht es um die Namen für konkrete Gegenstände, und zwar
Gattungsnamen: der Mensch / die Menschen , das Haus / die Häuser, der Baum / die
Bäume. Viele abstrakte Substantive besitzen auch die Fähigkeit zur Zählbarkeit: die
Idee / die Ideen, der Gedanke / die Gedanken , die Eigenschaft / die Eigenschaften
usw.
26.
Bei der Bedeutung der Pluralform muss unterschieden werden, ob es sich um
eine gegliederte Vielheit, d.h. eine Summe von Einheiten oder eine undifferenzierte
Ganzheit handelt: z.B. das Gebüsch (eine unzerlegbare, nichtgegliederte Ganzheit) –
die Büsche (eine differenzierte Summe von Einheiten), das Gebirge – die Berge; das
Laub – die Blätter usw. Als Bezeichnungen einer undifferenzierten Ganzheit haben
die Stoffnamen nur die Singularform: der Wein, das Wasser, die Milch, das Öl.
Sobald aber der Stoff nach den Sorten oder Arten gegliedert wird, bekommen die
Stoffnamen die Pluralform: die Weine = Weinsorten; die Stähle = Stahlsorten usw.
Es gibt eine große Schicht von unzählbaren Substantiven, die nur die
Singularform haben, – die sog. Singulariatantum. Dazu gehören:
1. die sog. Unika: die Erde, der Mond, die Sonne, der Himmel usw.
2. die meisten Kollektiva: das Proletariat, der Adel, die Studentenschaft , das
Bauerntum, das Laub, das Wild ; Sammelnamen auf ge-: das Geflügel, das Geschirr,
das Gebüsch, das Gebirge; Vorgangsnamen: das Gerede, das Getue .
3. eine bedeutende Anzahl von Singulariatantum bilden die Stoffnamen : das Fleisch,
die Milch, das Fett, das Eisen, der Gummi, der Sauerstoff . Keinen Plural besitzen
die Namen für Naturprodukte, die nicht gezählt werden : das Korn, der Hafer, das
Gras, das Heu, der Kohl.
4. unzählbare Abstrakta: das Bewusstsein, die Achtung, die Wärme, die Ankunft, die
Freundschaft u.a.
5. Adjektiv- und Verbalabstrakta: das Schöne, das Neue, das Laufen, das Kämpfen,
das Wachen u.a.
Ihnen steht eine bedeutend geringere Gruppe von Substantiven, die nur die
Pluralform besitzen und die Pluraliatantum genannt werden. Das sind:
1. Einige Kollektiva und Personennamen, bei denen die Pluralform motiviert ist:
die Eltern, die Geschwister, die Zwillinge, die Drillinge;
2. geographische Namen: die Alpen, die Karpaten, die USA, die Apenninen ;
3. die Namen einiger Feste : die Ostern, die Pfingsten, die Weihnachten ;
4. die Namen für einige Krankheiten : die Masern, die Blattern, die Röteln;
5. Einige Wörter, deren Pluralformen unmotiviert sind : die Ferien, die Kosten, die
Spesen;
27.
Zur Bildung des Plurals dienen im Deutschen folgende Mittel:
1. die pluralbildenden Morpheme:
-(e)n – bei allen drei Geschlechtern: der Bär – die Bären, die Tafel – die Tafeln,
das Auge – die Augen;
-e – bei allen drei Geschlechtern: der Berg – die Berge, die Kuh – die Kühe, das
Werk – die Werke;
-er – bei Maskulina und Neutra: der Geist – die Geister, das Gesicht – die
Gesichter;
-s – bei Fremdwörtern und einigen anderen Wörtern aller drei Geschlechter: das
Porträt – die Porträts, der Park – die Parks, die Bar – die Bars, die Mama –die
Mamas, das Mädel – die Mädels;
2. die innere Flexion (der Umlaut), die entweder allein, oder im Anschluss an die
äußere Flexion auftritt: die Mutter – die Mütter, der Kasten – die Kästen, das Land
– die Länder, das Haus – die Häuser, die Gans – die Gänse, die Frucht – die
Früchte, der Gast – die Gäste;
3. es gibt eine Anzahl von Substantiven, die in ihrer Struktur die
Gegenüberstellung Singular – Plural nicht zum Ausdruck bringen. Es sind:
– Maskulina und Neutra mit Grundmorphemen, die mit -er, -el, -en enden: der Jäger
– die Jäger, das Zeichen – die Zeichen, der Lehrer – die Lehrer;
– Neutra mit Verkleinerungssuffixen - chen, -lein: das Mädchen - die Mädchen, das
Männlein – die Männlein;
– Sammelnamen mit dem Präfix ge- und Suffix -e: das Gebäude – die Gebäude;
Bei solchen Substantiven übernehmen die syntaktischen Mittel die Aufgabe, den
Singular vom Plural zu unterscheiden: Das Mädchen kommt – Die Mädchen kommen .
4. die Verschiebung der Betonung bei einigen internationalen Wörtern : der Traktor
– die Traktoren, der Professor – die Professoren .

V.4. Die Kategorie des Kasus

Die Veränderung der Substantive nach den Kasus (Deklination) verleiht ihnen
ihr vielfältiges Funktionieren im Satz. Die Kasus dienen zum Ausdruck der
28.
syntaktischen Beziehungen zwischen den nominalen Satzgliedern und dem Prädikat
des Satzes sowie zum Ausdruck der syntaktischen Beziehungen zwischen den
Substantiven in der Wortfügung. Diese Funktion erfüllen sowohl reine Kasus als
auch Präpositionalkasus. Die Präpositionen konkretisieren durch ihre lexikalische
Bedeutung die Beziehungen, die der Kasus nur in sehr allgemeiner Form angibt. Die
grammatische Bedeutung der Kasus ist sehr abstrakt. Von der satzgliedgestaltenden
Rolle der Kasus ausgehend, unterscheidet man die primäre Kasusfunktion und die
sekundären Kasusfunktionen.
Das Deutsche verfügt über folgendes Kasussystem:
1. Der Nominativ (l.Fall, Werfall, Nennfall);
2. Der Genitiv (2.Fall, Wesfall, Besitzfall);
3. Der Dativ (3.Fall, Wemfall, Zweckfall);
4. Der Akkusativ (4.Fall, Wenfall, Zielfall).
Strukturell-morphologisch wird der Kasus durch die kasusbildenden Morpheme
und den Artikel ausgedrückt. Der Artikel spielt dabei eine wichtigere Rolle, denn
die Zahl der Kasusendungen ist gering, und nicht jeder Kasus hat eine Endung.

V.4.1. Der Nominativ

In seiner primären Funktion tritt der Nominativ auf als:


1. das grammatische Subjekt;
2. der "Benennungsnominativ";
3. der Vorstellungsnominativ;
4. der vokativische Nominativ;
5. der "emotionale" Nominativ.
Als Subjektskasus ist der Nominativ das notwendige Hauptglied eines jeden
zweigliedrigen Satzes, das zusammen mit dem finiten Verb den strukturellen
Satzkern bildet. Der Subjektsnominativ nennt den Gegenstand einer Äußerung
unabhängig davon, ob er Agens oder Patiens ist.
Der Benennungsnominativ wird als Name für einen Gegenstand oder eine
Erscheinung verwendet in:
29.
1) Wortlisten, Wörterbüchern: der Mensch, das Buch, die Zeit
2) den sog. Existenzialsätzen, die nur aus Substantiven im Nominativ oder mit
einem Attribut bestehen : Ein heftiger Krach und der Wagen senkte sich.
In diesen Sätzen bleibt das Prädikat aus, weil als Gehalt des Prädikats die Existenz
als selche, das Sein selbst erscheint. So genügt die Form des Nominativs in
Verbindung mit der Satzintonation, um einen vollständigen Satz zu bilden.
3) Titeln von Büchern, Filmen, Dramen usw. "Panzerkreuzer Potjemkin",
"Die Räuber" (F. Schiller)
Mit dem Subjektsnominativ hängt der sog. Vorstellungsn о m і nativ zusammen,
eine stilistische Figur – die Prolepse eines im weiteren genannten Satzgliedes: Eine
schwere, tiefe Trauer, sie erfüllt mein Herz (Kellermann).
Der sog. vokativische Nominativ (Anredenominativ) wird zwar in den Satz
eingebettet, steht aber in keiner syntagmatischen Beziehung zu den anderen Wörtern
im Satz, ist also syntagmatisch unabhängig: Meine Damen und Herren! Kommen Sie
bitte! Kollegen! Anna, nimm Platz!
Der "emotionale " Nominativ wird als Ausdruck der Gemütsbewegungen gebraucht
und nähert sich den Interjektionen: Teufel! Donnerwetter!
Alle anderen Funktionen sind sekundär. Das sind: seine Funktion als:
a) ein Teil des nominalen Prädikats (das Prädikativ): Diedrich Heßling war ein
weiches Kind .
b) ein prädikatives Attribut: Als junges Mädchen verließ sie ihre Heimatstadt; Er
arbeitet als Lehrer.
c) eine Apposition: Peter Müller, mein bester Freund, kommt morgen an.
d) das Adverbiale des Vergleichs: Du benimmst dich wie ein fünfjähriges Kind.

V.4.2. Der Akkusativ

Die primäre syntaktische Funktion des Akkusativs ist die Bezeichnung des
direkten Objekts. Das direkte Objekt bezeichnet einen Begriff, der von der Tätigkeit
des Subjekts geschaffen wird oder auf den sich die Tätigkeit richtet. Ein Substantiv
im Akkusativ hat folgende Bedeutungen:
30.
1. Akkusativ des Zieles bezeichnet einen Gegenstand, der in Folge einer
Handlung entsteht:
Ich schreibe einen Brief.
2. Akkusativ des Inhalts enthält eine genauere Angabe der verbalen Tätigkeit.
Diese Art des Akkusativs bildet meistens mit dem Verb eine stehende
Wortfügung: Boot fahren, einen Walzer tanzen, Sport treiben usw. Manche
Fügungen können tautologisch sein, die Tautologie wird doch durch das
adjektivische Attribut aufgehoben:
bittere Tränen weinen = bitter weinen, den Heldentod sterben = als Held
sterben.
3. Der freie Akkusativ bringt räumlichen und zeitlichen Bezug zum Ausdruck:
Er ging einen langen Weg. Er steigt die Treppe hinunter. Wir fahren ein Stück
mit der Straßenbahn. Ich habe den ganzen Tag gearbeitet. Er bleibt hier einen
Monat.
4. Der absolute Akkusativ ist eine zweigliedrige Struktur, die von keinem
Satzglied regiert wird. Er steht frei und unabhängig im Satz und entspricht
inhaltlich einer Partizipialgruppe oder einem Nebensatz:
Er sprach, die Zigarette im Mund. Er stand, den Blick in die Ferne. Er saß,
den Hut auf dem Kopf.

V.4.3. Der Dativ

Die Hauptfunktion des reinen Dativs ist wie die des Akkusativs die Funktion
des Objekts. Den Bedeutungsunterschied zwischen Akkusativ und Dativ als
Objektkasus gibt die traditionelle Grammatik in den Termini direktes Objekt
(Akkusativobjekt) und indirektes Objekt (Dativobjekt) wieder.
BRINKMANN: "Der Dativ nennt eine Person (oder das persönlich Gedachte),
der das verbale Geschehen zugewendet ist".
Als obligatorischer Mitspieler tritt das Dativobjekt in Verbindung mit den
Verben des Sich-Zuwendens, Zuneigens, des Zustrebens, Zusagens usw. und mit dem
nominalen Prädikat auf, sowie nach Adjektiven, die den genannten Verben ähnliche
31.
Bedeutung haben: behilflich, schädlich, dankbar, böse, gehorsam, nahe, gleich,
verwandt, teuer, treu usw.:
Er begegnet seinem Freund. Sein Gesicht kommt mir bekannt vor. Das neue
Gemälde gefällt mir. Ich vertraue dir. Ich bin ihr dankbar.
Eine Sonderart des Dativobjekts ist der sog. freie Dativ . Der freie Dativ
bezeichnet eine Person, die an der Handlung interessiert ist, deshalb heißt er auch
der Dativ des Interesses. Zum Unterschied von dem notw endigen Dativobjekt ist der
freie Dativ für die Vollständigkeit des Satzes nicht unbedingt erforderlich. Im
Rahmen des freien Dativs unterscheidet man nach der Bedeutung:
1. dativus commodi bezeichnet die Person, für die das Geschehen günstig oder
ungünstig ist:
Mir ist zu dunkel hier. Die Sache ist mir klar. Die Wohnung ist ihm groß
genug.
2. dativus sympatheticus bezeichnet die interessierte Person, zu der das Subjekt
oder das Objekt des Satzes im Verhältnis der Zugehörigkeit stehen. Oft steht
der dativus sympatheticus in Verbindung mit den Benennungen für Körperteile;
er lässt sich in den Genitiv oder das Possessivpronomen transformieren: Die
Hände zitterten mir. (Vgl. Meine Hände zitterten). Mir schmerzt der Kopf. Er
strich ihr das Haar. Das Herz blutet mir.
3. dativus ethicus bringt eine emotional gefärbte lebhafte Beteiligung der Person
an dem Geschehen zum Ausdruck. Gewöhnlich steht im Dativ das
Personalpronomen der 1. oder 2. Person:
Dass du mir nicht rechtzeitig nach Hause kommst! Das nenne ich mir Glück.
Falle mir nicht!

V.4.4. Der Genitiv

Seine syntaktische Hauptfunktion ist die des Attributs . Der Genitiv stellt als
adnominaler Kasus das Substantiv in Beziehung zu einem anderen Substantiv, dem
Bezugswort. W.SCHMIDT nennt den Genitiv "den Kasus der adnominalen
32.
Determination". Die traditionelle Grammatik unterscheidet folgende Bedeutungen
des Genitivs:
1. genitivus possessivus oder Genitiv des Besitzes oder der Zugehörigkeit
bezeichnet:
a) das Besitzverhältnis im engeren Sinne : der Hund des Jungen, die Tasche des
Schülers;
b) die Zugehörigkeit zu einer Organisation, Gemeinschaft, Epoche, zu einem
Millieu, Lande usw.: der Direktor des Betriebs, der Dozent der Universität, die
Bürger der Ukraine;
c) das Abstammungsverhältnis : der Artikel des Wissenschaftlers, der Entwurf des
Architekten, der Sohn eines Bauern;
d) das Verhältnis eines Teils zum Ganzen (genitivus partitivus): das Zentrum der
Stadt, der Anfang der Rede, das Ende des Liedes, das Fenster des Zimmers;
e) das Verhältnis eines Merkmals : die Tapferkeit des Soldaten, die Schönheit der
See;
2. Genitivus qualitatis gibt eine Beschaffenheit, eine Qualität des vom Bezugswort
Bezeichneten an: ein junger Mann festen Blicks und ruhigen Betragens (Goethe),
der Stoff bester Qualität, ein Abteil erster Klasse, alle Menschen guten Willens.
Hierher gehört auch die Wiederholung des Bezugswortes als Genitiv der Steigerung.
Er kommt in der gehobenen Stilschicht als Mittel einer Steigerung des
Substantivinhaltes vor: das Lied der Lieder, die Nacht der Nächte, das Buch der
Bücher usw.
3. Genitivus subjectivus tritt an Verbalsubstantive und bezeichnet das Agens der
Handlung: die Hilfe des Arztes (der Arzt hilft), die Heimkehr des Sohnes. Genitivus
subjectivus kommt vorwiegend bei Verbalsubstantiven aus reflexiven Verben vor:
die Freude der Kinder (die Kinder freuen sich), die Erinnerungen des alten Mannes,
die Entwicklung der Wissenschaft usw.
4. Genitivus ob j ectivus wird ebenfalls mit Verbalsubstantiven gebraucht und
bezeichnet das Patiens der Handlung: die Erforschung der Wahrheit (die Wahrheit
wird erforscht), die Lösung der Aufgabe, die Befriedigung der Bedürfnisse;
33.
Die sekundäre Funktion des Genitivs ist die des Objekts. Das Genitivobjekt wird
heute selten verwendet. Als einziges Objekt steht es nur bei einer verhältnismäßig
kleinen Anzahl von Verben: bedürfen, gedenken, harren, sich besinnen: keines
Beweises bedürfen, des Verstorbenen gedenken, des Freundes harren. Viele Verben
mit Genitivrektion gehören der gehobenen Stilebene an. Einige Adjektive in
prädikativer Funktion regieren ebenfalls das Genitivobjekt: z.B . bewusst, mächtig,
schuldig, überdrüssig, wert, würdig usw.: Das ist nicht der Rede wert. Er ist der
Zukunft gewiss. Der Schüler ist des Lobes würdig.
Der freie Genitiv (im adverbialen Gebrauch) erscheint als:
1) Zeitangabe: eines Tages, eines Abends, Morgens, Sonntags.
2) Ortsangabe: Wohin des Wegs?
3) Adverbiale der Art und Weise: schnellen Schrittes, fröhlichen Mutes;
Feste ungegliederte Verbindungen sind: der Meinung sein, guter Laune sein,
guter Dinge sein usw.

V.5 . Die Kategorie der Bestimmtheit und der Unbestimmtheit

Die Kategorie der Bestimmtheit und der Unbestimmtheit wird durch die
Verbindung des Substantivs mit dem Artikel, d.h. auf analytische Weise
ausgedrückt. Der Artikel erscheint nicht als Träger einer lexikalischen Bedeutung,
sondern als ein Ausdrucksmittel der grammatischen Bedeutungen im Paradigma des
Substantivs. Die Wahl zwischen einer "d-Form" (der, die, das), einer "ein-Form"
oder einer O-Form des Artikels dient zum Ausdruck der Kategorie der Bestimmtheit
und der Unbestimmtheit des Substantivs, was die Grundfunktion des Artikels ist.
Die grammatische Bedeutung der Bestimmtheit und Unbestimmtheit hängt damit
zusammen, dass die Bedeutung des Substantivs, wie aller anderen Wörter einen
verallgemeinerten Charakter hat. Beim Gebrauch im Satz wird diese Bedeutung
durch die Sprechsituation konkretisiert. Jeder Gegenstand unterscheidet sich von
den anderen durch Merkmale, die nur ihm eigen sind, die seine individuellen
Besonderheiten ausmachen. Der Artikel erfüllt im Deutschen die Funktion, die
34.
Bedeutung des Substantivs den konkreten Forderungen der Sprechsituation gemäß
mehr oder weniger einzuschränken.
Die grammatische Bestimmtheit besteht darin, ein Ding als Gesamtheit aller
seiner Merkmale – überhaupt oder für die gegebene Sprechsituation zu
kennzeichnen; im letzteren Fall wird das Ding von den übrigen Dingen derselben
Gattung abgesondert.
Die grammatische Unbestimmtheit besteht darin, ein Ding als zu einer
bestimmten Gattung gleichartiger Dinge gehörend zu kennzeichnen. Das geschieht
im Singular mittels des unbestimmten Artikels und im Plural sinngemäß durch die
Nullform des Artikels.
Die Bedeutung der Bestimmtheit oder der Unbestimmtheit hängt meist nicht von den
Merkmalen der Dinge selbst ab, sondern von der Stellungnahme des Sprechenden,
von der gesamten Sprechsituation.

Fragen und Aufgaben zur Selbstkontrolle:


1. Wie ist die verallgemeinerte Wortklassenbedeutung des Substantivs?
2. Welche grammatischen Kategorien hat das deutsche Substantiv?
3. Welche syntaktischen Funktionen kann das Substantiv erfüllen? Wovon hängt
das ab?
4. Wodurch unterscheidet sich das Genus von den anderen Kategorien des
Substantivs?
5. Durch welche grammatischen Mittel wird die Kategorie des Genus
ausgedrückt?
6. Hat das Genus Abbildcharakter? Erklären Sie es!
7. Welche Substantive haben keine grammatische Kategorie des Numerus?
8. Wie kann sich die Bedeutung der Pluralform unterscheiden?
9. Welche Substantive heißen Singularia- und Pluraliatantum?
10. Welche grammatischen Mittel dienen zur Bildung des Plurals?
11. Wie ist die Bedeutung des Kasus? Wozu dienen die Kasus?
12. Wie wird der Kasus im Deutschen ausgedrückt?
13. Nennen Sie die primären und sekundären Funktionen des Nominativs!
35.
14. Was bezeichnet das direkte Objekt?
15. Welche Bedeutungen kann ein Substantiv im Akkusativ haben? Führen Sie
Beispiele an!
16. Wie ist die Hauptfunktion des reinen Dativs?
17. Welche Bedeutungen hat der freie Dativ?
18. In welchen Funktionen kann der Genitiv verwendet werden? Was ist seine
Hauptfunktion?
19. Nach welchen Kriterien wird der Genitiv klassifiziert?
20. Auf welcher Opposition beruht die Kategorie der Bestimmtheit und der
Unbestimmtheit?
21. Worin besteht die grammatische Bestimmtheit?
22. Worin besteht die grammatische Unbestimmtheit?

II. DAS ADJEKTIV


Schwerpunkte für die Diskussion:

VI.1. Grammatische Kategorien. Funktion im Satz


VI.2. Semantisch-grammatische Klassen der Adjektive
VI.3. Die Kategorie der Komparation

VI. 1. Grammatische Kategorien des Adjektivs. Seine Funktion im Satz


Das Adjektiv ist nach Substantiv und Verb die drittgrößte Wortart und macht
etwa 1/6 des Gesamtwortschatzes der deutschen Sprache aus.
36.
Die verallgemeinerte Wortklassenbedeutung des Adjektivs ist die Eigenschaft
im weitesten Sinne. Das sind die Benennungen äußerer Merkmale und innerer
Eigenschaften von Menschen, Tieren, Gegenständen, von abstrakten gegenständlich
gedachten Erscheinungen, Charakteristiken einer Handlung, Geschehensart oder
Umstände.
Das deutsche Adjektiv hat vier grammatische Kategorien: Genus, Numerus,
Kasus und Komparation (oder Graduierung). Die ersten drei von ihnen sind auch
dem Substantiv eigen, aber die betreffenden Adjektivkategorien unterscheiden sich
grundsätzlich von den gleichnamigen Substantivkategorien. Beim Adjektiv drücken
diese Kategorien keine realen Modifizierungen seiner Semantik aus, weil sich der
Begriff der Eigenschaft nach Geschlecht, Zahl und Kasus nicht verändern kann,
sondern sie spiegeln nur die entsprechenden Kategorien des Substantivs, mit dem
das Adjektiv kongruiert, wider. Sie haben also keinen unmittelbar semantischen,
sondern syntaktischen Inhalt, deshalb haben die Kategorien des Kasus, Genus und
Numerus relativen Charakter.
Mit der Semantik des Adjektivs ist die Kategorie der Komparation verbunden.
Sie hat zum Unterschied von den anderen Kategorien des Adjektivs absoluten
Charakter und findet Ausdruck in den Vergleichsformen des Adjektivs.
Eine Besonderheit im Formenbestand der Adjektive ist die flexionslose Form. In
allen solchen Verwendungen kennt das Adjektiv keine Kategorien des Kasus,
Numerus und Genus und ist als reiner Stamm zu sehen, z.B.: Die Kirschen sind rot
und saftig. Er trinkt Kaffee warm.
Eine weitere Besonderheit des Adjektivs ist die variable Flexion: das Adjektiv
ist an keinen beständigen Deklinationstyp gebunden, sondern es wird nach dem
Bestand der attributiven Wortgruppe schwach oder stark dekliniert.
Im syntaktischen Bereich des Verbs erscheinen Adjektive als valenzabhängige
oder freie Satzglieder gewöhnlich undeklinier t, im Bereich des Substantivs stehen
sie als Gliedteile dekliniert, wenn sie dem Substantiv vorangehen. Zahlreiche
Adjektive können sowohl prädikative und adverbiale als auch attributive Funktionen
übernehmen: Das Kind ist/bleibt/erscheint gesund. Als Prädikativ stehen Adjektive
37.
valenzabhängig in Verbindung mit kopulativen Verben, sie charakterisieren das
Subjekt.
Als Adverbialien erscheinen Adjektive vorwiegend valenzunabhängig, wobei sie
die Art eines Geschehensverlaufs charakterisieren: Der Lehrer spricht deutlich
(deutliches Sprechen).
Prädikativer und adverbialer Gebrauch des Adjektivs wird im Deutschen nicht
durch die Wortform unterschieden. Auf welches der Partnerwörter ein Adjektiv
bezogen werden muss, ist aus seiner Vereinbarkeit zu erschließen:
Peter trinkt seinen Tee schnell (schnelles Trinken) – das Adverbiale
Peter trinkt seinen Tee missmutig (missmutiger Peter) – prädikatives Attribut
Peter trinkt seinen Tee heiß (heißer Tee) – Objektsprädikativ.
Attributiv werden Adjektive vor allem in der Substantiv- und
Präpositionalgruppe gebraucht (z.B. ein neues Modell, in bester Eintracht ), seltener
erscheinen sie in der Adjektiv- oder Adverbgruppe (z.B. gut lesbar).

VI.2. Semantisch-grammatische Klassen der Adjektive

Es ist immer wieder versucht worden, die Adjektive nach ihrem Inhalt und
ihren grammatischen Eigenheiten einzuteilen. Diese Einteilungsversuche stoßen
allerdings auf manche Schwierigkeiten, da die Grenzen oft schwer zu ziehen sind,
weil viele Adjektive polysem sind und demzufolge verschiedenen Gruppen
zugehören können. Gewöhnlich unterscheidet man nach O.BEHAGEL die
semantisch-grammatischen Klassen der absoluten und der relativen Adjektive. Die
absoluten oder, wie sie auch genannt zu werden pflegen, die qualitativen geben fü В
sich allein einen vollständigen Sinn, während die relativen allein zu allgemein sind
und einer genauerer Bestimmung bedürfen. Die qualitativen Adjektive nennen
Farben (rot, gelb), Größe (groß, klein), Gewicht (schwer, leicht), Alter (jung, alt),
Geschmack (bitter, sauer), physische Eigenschaften ( gesund, nass), innere
Merkmale (böse, gut, klug, schlau ). Die meisten (doch nicht alle) qualitativen
Adjektive haben ein volles Paradigma: sie werden dekliniert, sie besitzen
Steigerungsstufen, sie können attributiv und prädikativ gebraucht werden.
38.
Syntaktisch gesehen, unterscheiden sich absolute Adjektive von den relativen
dadurch, dass die relativen zwei obligatorische "Leerstellen" haben, d.h. dass sie
außer dem substantivischen Wort, auf das sie sich beziehen, noch mit einer
Bestimmung verbunden werden müssen ( ähnlich – wem? Hans ist seinem Vater
ähnlich; gestimmt – wie? Die Mutter ist heiter gestimmt; verwandt – mit wem? Er
war mit ihr verwandt ). Die absoluten Adjektive sind dagegen
nichtergänzungsbedürftig.
Innerhalb dieser beiden Hauptgruppen können verschiedene semantische
Untergruppen gebildet werden. W.ADMONI unterscheidet neben den absoluten und
relativen Adjektiven (er nennt sie qualitative und syntaktisch-relative) noch zwei
andere Arten von relativen Adjektiven und zwar: die semantisch-relativen und die
etymologisch-relativen.
Unter semantisch-relativen (oder beziehungsverweisenden bei MOSKALSKAJA)
versteht man solche Adjektive, die einen Gegenstand dadurch charakterisieren, dass
sie ihn in Bezug zu einem anderen Gegenstand, einem bestimmten Ort, einer Zeit
usw. setzen: menschlicher Körper, betriebliches Eigentum, landwirtschaftliche
Produktion, gestriger Unfall, die spanische Literatur.
Die beziehungsverweisenden Adjektive weisen sowohl syntaktische als auch
morphologische Eigenheiten auf:
1) Die meisten davon kommen nur in attributiver Verwendung vor ( der dortige
Bürgermeister, der morgige Tag, die heutige Versammlung, der gestrige Gast);
2) In Verbindung mit dem überwiegenden attributiven Gebrauch werden sie fast
ausnahmslos in flektierter Form verwendet ;
3) Entsprechend ihrer Bedeutung haben sie keine Kategorie der Komparation.
Die etymologisch-relativen Adjektive sind solche, "deren Grundmorphem nicht
adjektivisch ist, sondern anderen Redeteilen entnommen ist" (W.ADMONI). Hierher
gehören u.a. die Stoffadjektive ( hölzern, golden).
Aber die Abgrenzung der semantisch-relativen von den etymologisch-relativen
Adjektiven ist nicht immer leicht, da auch die ersteren oft nichtadjektivische
Grundmorpheme haben.
39.
Nach der Beziehung zur Kategorie der Komparation lassen sich im Rahmen der
qualitativen Adjektive ebenfalls zwei Gruppen unterscheiden:
1) vergleichsfähige Adjektive ( groß – größer – am größten);
2) vergleichsunfähige Adjektive ( tot, lebendig, nackt, blind, maximal, minimal ).
Die Vergleichsfähigke іt / unfähigkeit ist durch die lexikalische Bedeutung des
Adjektivs bedingt.

VI.3. Die Kategorie der Komparation

Die Komparation (die Graduierung) gilt als primäre Kategorie des Adjektivs.
Durch Komparationsmorpheme werden Gradunterschiede oder verschiedene Stufen
eines Merkmals ausgedrückt. Den Bedeutungsunterschieden liegen
Merkmalsunterschiede der objektiven Wirklichkeit zugrunde, sie haben
Abbildcharakter. Die Komparation tritt sowohl bei prädikativer und adverbialer wie
auch bei attributiver Verwendung in Erscheinung.
Der Positiv gilt als Grundstufe der Komparationsformen, in der Adjektive
einfach genannt werden: Die Jungen lernen fleißig . Beim Vergleich wird durch den
Positiv Gleichheit der verglichenen Größen ausgedrückt: Die Jungen lernen so
fleißig wie die Mädchen . Durch lexikalische Elemente können Adjektive in der
Grundstufe graduell modifiziert werden, z.B.: sehr schnell, blitzschnell .
Der Кomparativ ist eine Vergleichsstufe, die einen Vergleich mit mindestens
einem Bezugsobjekt voraussetzt; dabei wird Ungleichheit der verglichenen Größen
zum Ausdruck gebracht. Der Komparativ bezeichnet einen höheren Grad als den des
Vergleichswertes: Die Mädchen lernen fleißiger als die Jungen . Komparativformen
können lexikalisch modifiziert werden (z.B. etwas fleißiger, wesentlich schneller ,
einen Meter weiter ). Im Falle "eine ä1tere Frau" wird der Komparativ " älter" nicht
mit "alt" verglichen, sondern mit "jung", d.h. die Vergleichsgrundlage bildet nicht
der Positiv, sondern ein Gegenwort. Eine ältere Frau ist älter als eine junge Frau,
aber nicht so alt wie eine alte Frau. Auf solche Weise ist eine Bezugsreihe " jung –
älter – alt" anzusetzen.
40.
Der Superlativ – die Höchststufe, bezeichnet den höchsten Grad unter den
verglichenen oder vergleichbaren Werten, wobei ein Vergleich mit mehr als zwei
Werten zugrunde liegt: Peter ist am fleißigsten / der fleißigste von allen Schülern .
Eine lexikalische Modifizierung der Superlativformen ist auch möglich: der
allerschnellste Läufer, der mit Abstand beste Vorschlag.

Fragen und Aufgaben zur Selbstkontrolle:


1. Wie ist die verallgemeinerte Wortklassenbedeutung des Adjektivs?
2. Welche grammatischen Kategorien hat das deutsche Adjektiv?
3. Welche Kategorien des Adjektivs haben relativen Charakter? Warum?
4. In welcher Form und Funktion erscheinen Adjektive im syntaktischen Bereich des Verbs und
des Substantivs?
5. Erläutern Sie den prädikativen und adverbialen Gebrauch der Adjektive!
6. Warum stoßen die Einteilungsversuche der Adjektive auf Schwierigkeiten?
7. Welche semantisch-grammatischen Klassen der Adjektive unterscheidet man?
8. Welche syntaktischen und morphologischen Besonderheiten haben die
beziehungsverweisenden Adjektive?
9. Wodurch ist die Vergleichsfähigkeit/unfähigkeit der qualitativen Adjektive bedingt?
10.Auf welcher Opposition beruht die Kategorie der Komparation?
11.Was für eine Kategorie ist das? Hat sie Abbildcharakter?
12.Welche Bedeutungsunterschiede drücken die Komparationsformen aus?
13.Wie können die Komparationsformen modifiziert werden?

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