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Guntsetseg, Dolgor: Differential Case Marking in Mongolian.

Wiesbaden: Harrassowitz 2016. XIV, 204 S. 8° = Tunguso Sibirica


39. Brosch. € 48,00. ISBN 978-3-447-10611-5.

Stefan Georg
Der Gegenstand dieser Monographie - zugleich die revidierte Doktordissertation der
Verfasserin an der Universitä t Stuttgart - ist die syntaktische Erscheinung, dass
bestimmte Kasusrollen im Mongolischen (aber nicht nur dort) unterschiedliche
morphologische Exponenz aufweisen kö nnen. Im einzelnen sind damit die differenzielle
Objektmarkierung (mit dem Akkusativsuffix oder durch Nullmarkierung) und die
differenzielle Subjektmarkierung (mit den Kasusformen Genitiv, Akkusativ und Ablativ)
gemeint, deren syntaktische (semantische, pragmatische usw.) Bedingtheit in den
meisten grammatischen Darstellungen zwar mindestens mehr oder weniger ausfü hrlich
besprochen wird, jedoch kaum als erschö pfend verstanden gelten kann.
Mongolisch bezeichnet hier die khalkhamongolische Schriftsprache der Republik
Mongolei (zitiert in lateinischer Umschrift), die auch die Muttersprache der Verfasserin
ist. Dabei verlä sst sie sich keinesfalls auf ihre muttersprachliche Intuition allein, sondern
legt ihrer Untersuchung auch mit Informanten erhobene ("experimentelle") Daten
zugrunde.
Nach einer knappen aber gehaltvollen theoretischen Einfü hrung (1-11) in den
Gegenstand auf (moderat) typologischer Grundlage folgt zunä chst eine sehr gelungene
Kurzcharakteristik des Mongolischen fü r mit dieser Sprache weniger oder nicht
vertraute Leser, mit Abschnitten zu Phonologie, Morphologie und Syntax, sowie hier mit
besonderer Betrachtung der Wortstellung in einfachen und komplexen Sä tzen (12-33).
Ein eigenes Kapitel (34-67) ist der mongolischen Nominalphrase und ihren
Konstituenten gewidmet. Das wichtigste Ergebnis dieses Abschnitts (in dem wichtige
Konzepte wie Definitheit/Indefinitheit und Spezifizität ausfü hrlich und anhand eines
reichen Beispielmaterials diskutiert werden) ist die Referentiality Scale for Mongolian,
die fü r die weitere Diskussion der differenziellen Kasus- (Subjekt- und Objekt-)
Markierung eine zentrale Rolle spielt, und die wie folgt aussieht (nach abnehmender
Referenzialitä t, p. 67):

personal pronoun > proper name > definite NP > indefinite specific NP > indefinite
non-specific NP > very weak indefinite NP > pseudo-incorporated noun

Das erste Hauptkapitel (68-115) ist dann der differenziellen Objektmarkierung


gewidmet, wobei dieses Phä nomen zunä chst ausfü hrlich in seinen typologischen ("cross-
linguistic") Kontext gestellt wird (mit Beispielmaterial aus dem Persischen,
Rumä nischen, Spanischen, Ivrith usw. und souverä ner Beherrschung der einschlä gigen
allgemein-linguistischen Literatur). Viele grammatische Darstellungen und Lehrbü cher
des Mongolischen lehren, dass die Akkusativmarkierung bei definiten syntaktischen
Objekten zu erwarten ist (a), bei eindeutig indefiniten Objekten aber gewö hnlich fehlt
(b), manchmal jedoch durchaus auftritt (c), vgl. (p. 78):

a) Bi ene oxin-yg xar-san. "Ich sah dieses Mä dchen."

b) Bi neg oxin xar-san. "Ich sah ein Mä dchen."


c) Bi neg oxin-yg xar-san. "Id."

Diese Darstellung ist selbstverstä ndlich ü bermä ßig vereinfachend, und im weiteren
Verlauf der Arbeit gelingt es der Verfasserin, den tatsä chlichen, granulä reren, Prinzipien
fü r die Verteilung der Akkusativmarkierung, die mit dem Konzept der (In-) Definitheit
eben nicht erschö pfend erfasst werden kö nnen, deutlich nä her zu kommen. Ihre
Ergebnisse, knapp und klar zusammengefasst in Kapitel 8 (Summary, 193-198),
bestä tigen die Bedeutung der o.a. Referenzialitä tshierarchie fü r dieses Phä nomen - die
ersten drei Kategorien dieser Hierarchie sind obligatorisch akkusativmarkiert, wä hrend
nur die letzte in dieser Reihe, die der pseudoinkorporierten Nomina ("Bi oxin xar-san"),
niemals so behandelt wird. Die drei dazwischen liegenden Hierarchieelemente zeigen
optionale Akkusativmarkierung, deren Bedingtheit sehr ausfü hrlich anhand weiterer
Kriterien untersucht wird. Dabei ergibt sich, dass Spezifizität allein nicht ausreicht, die
Akkusativmarkierung bei indefiniten Objekten auszulö sen, sondern vielmehr die Absicht
des Sprechers (der ein indefinites, aber spezifisches, syntaktisches Objekt mit oder ohne
Akkusativmarkierung ausdrü cken kann), eine nichtspezifische Interpretation seitens des
Hö rers explizit auszuschließen. Die Rolle weiterer semantisch-pragmatischer Faktoren
wie Belebtheit und Topikalität ist schwieriger zu erfassen, die Arbeit bietet jedoch ein
reiches Beispielmaterial (und in Kapitel 5, Experimental studies on DOM, 116-134, ein
entsprechendes Kapitel ist auch zur differenziellen Subjektmarkierung vorhanden, 164-
192) sowie eine ausfü hrliche (und linguistisch-typologisch hervorragend informierte)
Diskussion dazu und versucht, einige Hypothesen eingehend zu testen. Dass die
Ergebnisse der Verfasserin hier zum Teil im Vagen ("vagueness of factors", p. 193)
bleiben mü ssen, liegt in der komplexen Natur der Sache und stellt keinesfalls einen
Mangel dieser Arbeit dar. Das reiche gebotene Material geht weit ü ber die in der
grammatischen Literatur zum Mongolischen bisher zu findenden Informationen hinaus
und lä dt alle Mitforschenden zur weiteren Hypothesenbildung (und zum Testen solcher
Annahmen) ein.
Das zweite Hauptkapitel (135-163) widmet sich dem ebenfalls weithin bekannten, aber
durchaus schwieriger zu erfassenden und zu behandelnden, Phä nomen der
differenziellen Subjektmarkierung im Khalkha.
In einer Nominativsprache wie dem Mongolischen ist der Begriff Subjekt relativ
unproblematisch und muss nicht intensiver begrü ndet werden (dass nicht-
nominativische Subjektmarkierungen keinesfalls als, auch nicht als "Spuren von",
Ergativitä t zu werten sind, macht die Verfasserin unmissverstä ndlich (und vielleicht fü r
dem Mongolischen ferner stehende Linguisten auch nicht ganz ü berflü ssigerweise) klar
(138). Solche Subjektmarkierungen treten im Mongolischen in "embedded clauses" auf,
d.h. niemals beim Subjekt der Hauptprä dikation, und das Prä dikat einer solchen
embedded clause ist, da Sprachen des in Eurasien (aber auch anderswo) verbreiteten
"altaischen" Typs keine echte Subordination kennen, stets in Form eines Verbalnomens
(Guntsetseg zieht dafü r die Bezeichnung "participle" vor, der Ausdruck "verbal noun" ist
aber nicht nur der Sprachgebrauch Poppes (139), sondern durchaus weiter verbreitet
und, wie ich meine, auch sinnvoller) oder eines Konverbs in den von der (finiten)
Hauptprä dikation abgeschlossenen Satz "eingebettet".
Dabei schließt die Verfasserin - vö llig zurecht - die Genitivmarkierung eingebetteter
"Subjekte" aus, da sich dieser Kasusgebrauch ganz zwanglos aus dem nominalen
Charakter der die Prä dikation tragenden Verbalnomina ergibt; so kann etwa (138)

Tujaa jerönxijlögč-ijn garga-san togtool-yg unš-san


als "eingebetteter Relativsatz" (mit genitivischer Subjektmarkierung) gelesen und
ü bersetzt werden:

"Tujaa hat den Erlass, den der Prä sident ausgegeben hat, gelesen".

Man kann diese Konstruktion aber auch "wortwö rtlich" unter weitgehender
Beibehaltung der mongolischen Konstruktion wie folgt paraphrasieren (wobei der
nominale Charakter des Verbalnomens garga-san mit attributiver Funktion gegenü ber
togtool ernst genommen wird):

"Tujaa hat den ausgegebenen Erlass des Prä sidenten ( = d. v. Pr. ausg. Erl.) gelesen."

Ä hnlich lä sst sich die ablativische Konstruktion in

Tujaa jerönxijlögč-öös garga-san togtool-yg unš-san

sehr wortgetreu wiedergeben als:

"Tujaa hat den vom Prä sidenten (Abl.) ausgegebenen Erlass gelesen."

Ä hnliches gelingt auch bei "eingebetteten Objektsä tzen (complement clauses)" wie (139):

Tujaa Dorž-ijn German ruu jav-sn-yg med-sen.

"T. wusste, dass D. nach Deutschland gegangen war.", paraphrasierbar als:

"T. wusste/kannte (trans.) D.s nach Deutschland Gegangensein (Akk.)."

Die eigentlich problematischen (und fü r das Mongolische typischen), weil nicht


zwanglos aus den nominalen Charakter (und der bei diesen gewö hnlich erhaltenen
verbalen Rektion) erklä rbaren, Fä lle sind die Akkusativmarkierungen in Fä llen wie
(gleichbedeutend mit dem genitivmarkierten Satz oben):

Tujaa Dorž-ijg German ruu jav-sn-yg med-sen.

und bei mit Konverben (hier: -megc ) "eingebetteten" Adverbialsä tzen wie (149):

Tujaa Dorž-ijg ir-megc jav-san.

"T. ging (weg), sobald D. kam."

Klare ("binä re") Regeln lassen sich dafü r nicht aufstellen, zu den von der Verfasserin
gefundenen (und experimentell bestä tigten, 164-192) Ergebnissen gehö ren jedoch
einige mehr oder weniger starke Tendenzen, die als originä re und unbedingt
bemerkenswerte Forschungsergebnisse dieser Arbeit hervorgehoben zu werden
verdienen.
Dazu gehö rt, dass Adjazenz (d.h. das direkte Aufeinanderfolgen, gewö hnlich am
absoluten Anfang des Satzes) des Haupt- und des "eingebetteten" Subjekts die
Akkusativmarkierung an letzterem deutlich begü nstigen (bei pronominalen Subjekten
auch verlangen), wä hrend dies bei nicht-adjazenten Subjekten weniger zu beobachten
bzw. kaum zu erwarten ist. Weiterhin spielt auch hier die Referenzialitä tshierarchie eine
wichtige Rolle, die etwa dahingehend zusammengefasst werden kann, dass
Konstituenten in den in Rede stehenden "eingebetteten" Strukturen umso mehr dazu
neigen, die Akkusativmarkierung aufzuweisen, je hö her (d.h. je weiter links) sie auf
dieser Hierarchie einzuordnen sind. Dass auch hier ein gewisses Maß an Vagheit
verbleibt, ist unvermeidlich, da Referenzialität eine nicht-binä re Kategorie an der Grenze
zwischen Semantik und Pragmatik ist und bei aus diesem Bereich gesteuerten
grammatikalischen Erscheinungen strenge, gar binä r (oder "aristotelisch")
formulierbare bindende Regeln kaum jemals aufstellbar sein dü rften.
Obwohl sowohl differenzielle Objekt-, als auch Subjektmarkierung auch in frü heren
Ü berlieferungsstadien des Mongolischen beobachtbar sind, spart diese Arbeit die
diachrone Perspektive aus. Man kö nnte dies sicherlich bedauern, sollte aber an dieser
Stelle nicht zu viel verlangen und demgegenü ber eher hervorheben, dass die Verfasserin
mit ihrer Monographie eine Grundlage fü r die Bearbeitung dieses Forschungsdesiderats
geschaffen hat, die so bislang noch nicht vorlag, und die sich als sehr fruchtbar fü r die
diachrone Erforschung des Phä nomens der differenziellen Subjektmarkierung in der
gesamten mongolischen Sprachgeschichte (und der gesamten mongolischen
Sprachfamilie) erweisen kö nnte (und auf S. 196 kü ndigt sie eine solche Untersuchung
selbst an).
Diese sehr kompetent konzipierte und ausgefü hrte Monographie, die wesentlich mehr
wichtige und interessante Beobachtungen bietet als hier erwä hnt oder gar angemessen
gewü rdigt werden kö nnen, kann allen wissenschaftlich oder sprachvermittelnd mit der
khalkhamongolischen Sprache Befassten nachdrü cklich zur Lektü re und Konsultation
empfohlen werden.

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