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Passivstrukturen im Spanischen
und im Deutschen

Ein kontrastiver Vergleich

Beatrix Hinrichs

0. Vorbemerkung modell. Der zentrale Begriff kontrastiver


Die kontrastive Analyse sprachlicher Beschreibungen ist dabei der des »ter-
Phänomene ist im Zusammenhang mit tium comparationis«, das auf der Basis
Fremdsprachenerwerb der Ausgangs- des ausgewählten Grammatikmodells
punkt für Fehleranalysen, insbesondere bestimmt wird. Auf der Grundlage die-
auf der linguistischen Ebene, und der ses Vergleichspunktes soll eine kontra-
Erklärung von Interferenzen. Auch für stive Untersuchung sprachlicher Phäno-
didaktisch-methodische Überlegungen, mene erfolgen.
sei es zur vorbeugenden Fehlerprognose, Ein tertium comparationis setzt ein ge-
sei es für die Entwicklung mehrsprachig meinsames Element bei zwei unter-
aufgebauter Lehrmaterialien, bieten die schiedlichen, zu vergleichenden Gegen-
Erkenntnisse der kontrastiven Linguistik ständen voraus. Daher muß eine kontra-
eine gute Basis. stive Analyse unweigerlich mit den Be-
Ohne also den Wert der kontrastiven griffen der »Bedeutung« eines sprachli-
Linguistik für die Bearbeitung fremd- chen Phänomens und der Übersetzungs-
sprachendidaktischer Fragestellungen äquivalenz operieren. Daß dies bei der
bestreiten zu wollen, möchte ich anhand indirekten und komplexen Beziehung,
des Vergleichs von Passivstrukturen im die zwischen der Übersetzungsäquiva-
Spanischen und im Deutschen im folgen- lenz und der Vergleichbarkeit von Gram-
den darlegen, welche Schwierigkeiten bei matiken besteht, problematisch sein
näherer Betrachtung der Literatur im kann, wird bei einem kontrastiven Ver-
kontrastiven Vergleich auftreten können. gleich eines mit »Passiv« bezeichneten
Strukturbereichs im Spanischen und im
1. Zum Beschreibungssystem Deutschen deutlich. Wird nämlich eine
Eine kontrastive Analyse wirft haupt- sozusagen globale Kategorie »Passiv«
sächlich zwei Probleme auf: als tertium comparationis gewählt – eine
Zunächst muß ein einheitliches Beschrei- Vorgehensweise, wie sie beispielsweise
bungssystem gefunden werden, d. h. ein Gauger (1978) gewählt hat –, so wird
den zu vergleichenden Sprachen glei- bald deutlich, daß die komplexen Zu-
chermaßen angemessenes Grammatik- sammenhänge zwischen dem semanti-

Info DaF 26, 4 (1999), 348–354


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schen Konzept des Passivs und seiner – Eine Handlung kann ausgedrückt wer-
grammatisch-syntaktischen Realisie- den ohne Agensangabe. Dies ist in
rung ein einheitliches Erfassen dieses zweigliedrigen Konstruktionen der
Phänomens erschweren. Zudem gibt es Fall wie z. B:
eine Vielzahl uneindeutiger Konstruk- Er wird gelobt.
tionen und Passivparaphrasen (d. h. in Die Agensangabe ist hier optional/fa-
der Oberflächenstruktur aktivische For- kultativ.
men mit passivischer Semantik), und Es ist aber auch genau das Gegenteil
häufig wird die Existenz des Passivs im möglich: In dreigliedrigen Passivkon-
Spanischen als eigenständige grammati- struktionen mit Agensangaben wie
sche Kategorie überhaupt ganz bestrit- z. B:
ten (z. B. Martinez Alvarez 1992 – siehe Er wird vom Lehrer gelobt.
unten). kann durch die dem Aktiv gegenüber
Ich werde im folgenden versuchen, diese andere Satzgliedfolge – die Subjekt-
Probleme im einzelnen darzustellen. Objekt-Vertauschung – eine andere
Thema-Rhema-Gliederung erreicht
1.1 Zu den Konstruktionen des soge- werden und dadurch eine besondere
nannten »Vorgangs-« und »Zustands- Betonung des Agens.
passivs« im Deutschen und im Spani- Das vorhergehende Beispiel zeigt, daß
schen das Passiv als Kategorie am ehesten im
Vergleich mit dem Aktiv erfaßt werden
Ich werde zunächst versuchen, das se- kann. Daher komme ich jetzt zum allge-
mantische Konzept des Passivs zu erläu- mein gebrauchten Oberbegriff dieser bei-
tern, und komme dann zu den beiden o. den Kategorien: Genus Verbi.
g. Formen der grammatischen Realisie-
rungen dieses Konzeptes im Spanischen 1.2.1 Genus Verbi
und im Deutschen. Allerdings lassen sich Bei der Beschreibung der Kategorien
dabei Rückgriffe auf die jeweils andere »Aktiv« und »Passiv« wird meistens der
Ebene nicht immer vermeiden; sie kön- Oberbegriff »Genus Verbi« gebraucht. In
nen nicht ganz voneinander getrennt den meisten Grammatiken wird dabei
werden, weil sich der diathetische Um- das Aktiv als das Grundgenus bezeich-
wandlungsprozeß sowohl auf der Aus- net. Einige Begründungen dafür sind:
drucksebene als auch auf der Inhalts- – alle Verben treten im Aktiv auf, aber
ebene vollzieht und diese beiden Ebenen nicht alle Verben können Passivkon-
sich gegenseitig bedingen. struktionen bilden
– Aktivstrukturen sind viel weniger
1.2 Zum Begriff des »Agens« komplex als Passivstrukturen
Ein zentraler Begriff bei Erläuterungen – aktivische Verbformen treten in den
von Passivstrukturen ist der des meisten indogermanischen Sprachen
»Agens«. Unter »Agens« wird die seman- zahlenmäßig weitaus häufiger auf als
tische Rolle des Urhebers bzw. Verursa- passivische Verbformen
chers einer Handlung verstanden. In No- – in der sprachgeschichtlichen Entwick-
minativsprachen wird das »Agens« in lung hat sich das Passiv morphologisch
Aktivsätzen durch das im Nominativ ste- nicht gleichzeitig mit dem Aktiv gebil-
hende Subjekt ausgedrückt. Die Katego- det, sondern erst später. Ursprüngliche
rie des Passivs eröffnet nun folgende Passivformen lassen sich nicht nach-
Möglichkeit: weisen.
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Vorausgesetzt also, daß das Aktiv das In den meisten Grammatiken zur deut-
Grundgenus ist, kann das Passiv im schen Sprache findet sich die erwähnte
zweiten Schritt als eine Konverse, in ei- Unterteilung in Vorgangs- und Zustands-
nem ähnlichen Sinn wie Transformation, passiv; das Aktiv ist demnach prozessual
charakterisiert werden (vgl. zu diesen und agensorientiert:
Punkten Hohn-Berghorn 1983). Er hängt die Wäsche auf.
Im Vergleich mit dem Aktiv können die Das Vorgangspassiv ist prozessual und
semantischen Konzepte des Passivs fol- bei Agensausblendung nicht agensorien-
gendermaßen zusammengefaßt werden: tiert:
Das Passiv drückt den gleichen Sachver- Die Wäsche wird aufgehängt.
halt in der objektiven Wirklichkeit aus Das Zustandspassiv ist nicht prozessual
wie das Aktiv (gleicher Denotationsbe- und nicht agensorientiert:
zug, Referenzidentität). In der Aktivkon- Die Wäsche ist aufgehängt.
struktion wird jedoch das Agens obliga-
Dabei gibt es folgende Möglichkeiten der
torisch genannt. Im Passiv ist die Agens-
Formenbildung:
angabe fakultativ, weswegen das Passiv
– Das Vorgangspassiv wird gebildet aus
entweder nicht agensorientiert oder im
den konjugierten Formen des Auxiliars
Gegenteil agensbetont erscheint. Die
werden und dem Partizip II des Voll-
kommunikative Funktion des Passivs
verbs.
läßt sich daher so beschreiben, daß in
einer Aussage eine Schwerpunktverlage- – Das Zustandspassiv wird gebildet aus
rung stattfindet in Hinblick auf das Ge- den konjugierten Formen des Kopula-
wicht, das den Konstituenten einer Aus- verbs sein und dem Partizip II des
sage zukommt, so daß in bestimmten Vollverbs.
Kommunikationssituationen die Passiv- Eine Abgrenzung des Zustandspassivs
statt der Aktivform gewählt wird. von anderen Formen ist nicht immer
So viel zum semantischen Konzept des einfach, weil hier Ähnlichkeiten vor-
Passivs, wie es in deskriptiven Gramma- kommen mit Formen, die mit denen des
tiken häufig beschrieben wird (z. B. Hel- Zustandspassivs fast identisch, aber
big-Buscha 1986; Duden 1988; Bußmann dennoch kein Passiv sind. Das liegt
1990). hauptsächlich daran, daß beim Zu-
standspassiv das Partizip II aus dem
2. Zur grammatischen Struktur des Pas- prozeßhaften Bereich des Verbalen her-
sivs austritt und sich den adjektivischen Prä-
dikativa annähert:
2.1 Das »Vorgangs-« und das »Zustands- Das Fenster ist geöffnet. (= Passiv)
passiv« im Deutschen Das Fenster ist offen. (= kein Passiv).
Es gibt diverse Möglichkeiten, die zuvor Das Zustandspassiv wird jedoch nicht
beschriebenen semantischen Konzepte vom Aktiv direkt, sondern über das Vor-
des Passivs auf der Ausdrucksebene zu gangspassiv abgeleitet:
realisieren. Ich gehe zunächst auf die Das Fenster ist geöffnet worden. (= Hand-
beiden Formen ein, die in Grammatiken lung)
meistens vereinfachend mit »Vorgangs- Das Fenster ist geöffnet. (= Resultat).
passiv« und »Zustandspassiv« bezeich- Kann zu einer Zustandspassiv-ähnlichen
net werden bzw. mit »pasiva de acción« Form kein Vorgangspassiv gebildet wer-
oder »pasiva con ser« und »pasiva de den, so liegt kein Zustandspassiv vor
estado« bzw. »pasiva con estar«. (vgl. Helbig; Buscha 1986).
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Was das Verhältnis zwischen den Ein- Es gibt für die Passivkonstruktionen im
heiten der syntaktischen Ebene – den Spanischen also keine speziellen Hilfs-
Satzgliedern – und den entsprechenden verben wie das deutsche Auxiliar werden
Einheiten der semantischen Ebene im des Vorgangspassivs; das Passiv wird
Aktiv und in der entsprechenden Pas- mit den Kopulaverben ser und estar ge-
sivtransformation angeht, so gilt gene- bildet, die im Zusammenhang mit Ad-
rell für Nominativsprachen, daß sich jektiven in adjektivischen Konstruktio-
durch die Transformation das Verhältnis nen der Zuordnung von Eigenschaften
des Subjekts im Nominativ (syntakti- dienen.
sche Ebene) zum Agens (semantische Grundsätzlich sind also die Konstruktio-
Ebene) ändert. Bei gleichbleibendem nen ser und estar + Partizip zweideutig,
Sachverhalt in der außersprachlichen weswegen die Existenz einer Kategorie
Wirklichkeit ist für das Aktiv die Identi- Passiv im Spanischen gelegentlich be-
tät von Agens und Subjektsnominativ stritten wird. So kann z. B. eine Aussage
charakteristisch, für das Passiv ihre wie
Nicht-Identität:
La clase fue aburrida.
Aktiv: Der Lehrer schenkt dem Schüler das
Buch. (Agens = Subjektsnominativ) bei gleicher Oberflächenstruktur zwei
verschiedene Tiefenstrukturen haben; ge-
Passiv: Das Buch wird dem Schüler vom
wissermaßen handelt es sich um Hom-
Lehrer geschenkt. (Agens nicht Subjektsno-
onymie: fuer kann einmal im Zusammen-
minativ).
hang mit aburrida als adjektivische Kon-
struktion aufgefaßt werden, oder aber als
2.2 Die grammatische Struktur des »pa-
passivische.
siva de acción« und »pasiva de estado«
im Spanischen Die verschiedenen Standpunkte zur Exi-
stenz des Passivs im Spanischen werden
Wenn für das Zustandspassiv im Deut-
von Martinez Alvarez wie folgt zusam-
schen gilt, daß es schwer gegen adjektivi-
sche Formen abzugrenzen ist, so gilt dies mengefaßt:
im Spanischen sowohl für das »pasiva de »a.) Existencia de la voz pasiva, aunque su
acción« als auch für das »pasiva de expresión se realice a través de estructuras
estado«. de naturaleza diferente; b.) Negación de la
pasiva como diátesis propiamente tal, por
Beide Passivformen werden im Spani- no existir un signo específico que la mani-
schen mit Kopulaverben gebildet, wo- fieste y c.) reconocimiento de la existencia
durch Passivkonstruktionen in der Ober- de la voz pasiva a través de un morfema
flächenstruktur adjektivischen Konstruk- exclusivo que la expresa« (Martinez Alva-
tionen gleichen: rez 1992: 185).
– Das »pasiva de acción« wird gebildet Das Problem der uneindeutigen Passiv-
mit dem Kopulaverb ser + Partizip. Das konstruktion ergibt sich bei einer Be-
Partizip gleicht sich dabei, wie Adjek- trachtungsweise der rein strukturellen
tive, in Genus und Numerus dem Sub- Linguistik, läßt sich aber durch folgende
stantiv an: Maßnahmen lösen:
La puerta es abierta. – Transformationsproben: Aktivtransfor-
– Das »pasiva de estado« wird gebildet mationen als methodisches Mittel, Pas-
mit dem Kopulaverb estar und dem sivstrukturen zu erkennen und klar
ebenfalls angeglichenen Partizip: von adjektivischen Konstruktionen zu
La puerta está abierta. unterscheiden
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– Anerkennung der Bedeutung des ziehung des sprachlichen Kontextes


sprachlichen Kontextes, so daß se- der Äußerung.
mantische Aspekte des Passivs er- – Im Deutschen gibt es für die Konstruk-
kennbar werden; z. B. eine eventuelle tion des Vorgangspassivs das Auxiliar
durative Semantik von ser in Passiv- werden ; im Spanischen fehlt ein solches
konstruktionen im Gegensatz zu Ad- Hilfsverb, beide Passivformen werden
jektivkonstruktionen, ähnlich der des mit den Kopulaverben ser und estar
Hilfsverbs werden im Deutschen (vgl. gebildet.
zu diesen Punkten Hohn-Berghorn – Das Partizip gleicht sich in der spani-
1983). schen Passivbildung in Numerus und
Martinez Alvarez anerkennt zwar eben- Genus dem Subjektsnominativ an, was
falls die durative Komponente in der ser seinen adjektivischen Charakter ver-
+ Partizip-Konstruktion, kommt aber stärkt; im Deutschen nicht.
dennoch endgültig zu dem Schluß:
3. Passivkonstruktionen mit dem spani-
»[…] no existe el paradigma de diátesis schen Reflexivpronomen se
pasiva en español, en el sentido de una
categoría gramatical verbal, sino más bien Weitere Konstruktionen im Spanischen,
un tipo de significado que adoptan algunos von denen einige ebenfalls in die Katego-
significantes no exclusivos« (Martinez rie »Passiv« aufgenommen werden, sind
Alvarez 1992: 192). die sogenannten reflexivischen Formen,
Tatsächlich sind wohl die Übergänge von Gauger (1978) »pasiva refleja« ge-
vom Partizip zum Adjektiv fließend, und nannt. Bei diesen Konstruktionen ent-
es gibt sicher Grenzbereiche, in denen die steht m. E. das grundsätzliche Problem,
daß die unterschiedliche Funktion des
Strukturen estar und ser + Partizip eher
Pronomens se das Herstellen einer ein-
als eine Fügung aus Kopula und Prädi-
heitlichen Basis für einen kontrastiven
kation und weniger als eine Passivkon-
Vergleich erschwert. Es müßte zunächst
struktion zu werten sind.
geklärt werden, welche Funktion das
Pronomen in so unterschiedlichen Kon-
2.3 Abschließender Vergleich der bei- struktionen ausübt wie z. B:
den Formen (1) En esa casa se come bien.
Bei einem abschließenden Vergleich der (2) El vaso se rompió.
beiden Formen – Vorgangs- und Zu- (3) Estas camisas se lavan facilmente.
standspassiv – ergeben sich folgende Ge- (4) Se buscan maestros.1,
meinsamkeiten und Unterschiede: um eine begründete Unterscheidung
– Sowohl im Deutschen als auch im Spa- zwischen passivisch/nicht passivisch
nischen gibt es Fälle, in denen Passiv- treffen zu können. Denn in der Tiefen-
konstruktionen nicht ganz eindeutig struktur sind diese Äußerungen zwar
von adjektivischen Konstruktionen un- passivisch; die Passivität liegt aber auf
terschieden werden können. Aktiv- der semantischen Ebene, während von
transformationen bzw. Rückführungen diesen Konstruktionen, wie ich behaupte,
vom Zustands- auf das Vorgangspassiv nur eine syntaktisch passivisch ist. Das
sind methodische Mittel zur Identifika- Pronomen se übt hier ansonsten ganz
tion der Strukturen; ebenso die Hinzu- unterschiedliche Funktionen aus, so daß

1 Beispielsätze aus Masullo 1992, 179.


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diese Konstruktionen keineswegs – wie Die Konstruktion (4) hingegen zählt Ma-
Gauger es tut – als »pasiva refleja« (vgl. sullo zum Passiv (Masullo 1992). In der
Gauger 1978) zusammengefaßt werden Tat läßt sich, sobald ein Objekt folgt, das
können1. Ich werde im folgenden versu- se nicht mehr ohne Bedeutungsunter-
chen, die syntaktisch passivische Struk- schied durch ein Indefinitpronomen er-
tur in der o. g. Auswahl von Konstruktio- setzen:
nen mit se zu identifizieren. Ich benutze Se buscan maestro.
dabei die Klassifizierung von Masullo *Unos buscan maestros.
(1992). Das se hat hier weder die Bedeutung
In Satz (1): En esa casa se come bien ent- eines Reflexiv- noch eines Indefinitpro-
spricht die Funktion des se der eines nomens, so daß offenbar die Konstruk-
Indefinitpronomens, ähnlich wie uno tionen se + Verb in der 3. Person Singular
oder das deutsche man: oder Plural + Akkusativ-Objekt als syn-
En esa casa uno come bien. taktisch und semantisch passivisch be-
Es handelt sich also nicht um eine Passiv- zeichnet werden können, und zwar als in
konstruktion, da es das Kriterium der Oberflächenstruktur subjektlose
»Agens nicht Subjektsnominativ« (s. o.) Passivkonstruktionen. Diesen subjektlo-
nicht erfüllt. sen Passivkonstruktionen (ohne syntak-
In Satz (2): El vaso se rompió, liegt die tisches Subjekt) entsprechen im Deut-
passivische Bedeutung in der Semantik schen m. E. am ehesten die Passivkon-
des Satzes. Die Konstruktion Subjektsno- struktionen mit formalem es am Satzan-
minativ + Reflexivpronomen + konju- fang:
giertes Verb als solche ist aktivisch- refle- Es werden Lehrer gesucht.
xivisch. Masullo bezeichnet diese Form Als wenig sinnvoll erscheint mir im kon-
als ergativ, da das Subjektsnominativ trastiven Vergleich Gaugers, reflexive
durch das reflexive se in romperse zum Passivformen in einer Art Wort für Wort-
Patiens wird (vgl. Masullo 1992). Übersetzung aus dem Spanischen ins
Satz (3) wird von Masullo als Medium Deutsche übertragen zu wollen wie:
bezeichnet, also eine Konstruktion mit »Se dice, que« – »Es sagt sich, daß…«
nicht agentivischem Subjekt, die sich aus (Gauger 1978: 28), um dann festzustellen,
einer ursprünglich mit dem Begriff lassen daß diese Formen im Deutschen nicht
verbundenen Form entwickelt hat, etwa existieren. Nicht nur weil, wie ich ver-
wie in: sucht habe zu zeigen, das se durchaus
Las camisas se dejan lavar bien. nicht durchweg reflexive Eigenschaften
Sie ist grammatisch also auch kein Pas- aufweist, die in dem deutschen Reflexiv-
siv; die passivische Bedeutung beruht pronomen sich ihre Entsprechungen fin-
auf der Semantik von sich lassen, und das den würden; sondern auch, weil es strit-
Pronomen se hat reflexivischen Charak- tig ist, ob Formen wie z. B.
ter. das rechnet sich

1 Masullo schreibt dem se-Pronomen bei unterschiedlicher Tiefenstruktur ein einheitliches


Charakteristikum zu, nämlich in Anlehnung an Chomskys GB-Theorie das eines
unspecific argumental clitics. Sie unterscheiden sich lediglich in den aus der Tiefenstruktur
übernommenen Theta-Rollen und den dadurch ausgelösten Kasus, bei unterschiedli-
cher Funktion in der Oberflächenstruktur: reziprok, reflexiv, passivisch, antipassivisch
etc. (vgl. Masullo 1992).
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als grammatisch falsch anzusehen sind weise sind also die eingangs erwähnte
oder nicht. Zumindest in einigen Fällen Bedeutungsgleichheit und Überset-
scheinen sich hier Abweichungen zu ent- zungsäquivalenz vorrangig auf semanti-
wickeln, die als Konkurrenzformen zu scher Ebene zu suchen.
den regelhaften Formen akzeptiert wer-
den1.
Literatur
Bußmann, Hadumod: Lexikon der Sprachwis-
4. Schluß senschaft. Stuttgart: Kröner, 1990.
Ich hoffe gezeigt zu haben, daß sich bei Hoberg, Rudolf: Der kleine Duden »Deutsche
einem kontrastiven Vergleich die Kate- Grammatik«. Mannheim; Wien; Zürich:
Dudenverlag, 1988.
gorie »Passiv« als tertium comparationis Gauger, Hans Martin: »Problemas de una
als problematisch erweist. Zumindest gramática contrastiva del español y del
lassen sich Subkategorien kaum vermei- alemán. Un ejemplo: la voz pasiva«, Ibero-
den, um einen sinnvollen kontrastiven romania 7 (1978), 18–27.
Vergleich durchführen zu können. Ob- Helbig, Gerhard; Buscha, Joachim: Deutsche
Grammatik. Ein Handbuch für den Auslän-
wohl schwerlich in Abrede gestellt wer- derunterricht. Leipzig: Enzyklopädie, 9.
den kann, daß eine semantische Katego- Aufl., 1986.
rie »Passiv« sowohl im Spanischen als Hohn-Berghorn, Maria: Periphrastische Pas-
auch im Deutschen existiert, ist der sivkonstruktionen im geschriebenen Spanisch
Nachweis eines syntaktischen Passivs in der Gegenwart. Würzburg 1983.
Martinez Alvarez, Victor E.: »Proposiciones
vielen Fällen nicht zweifelsfrei möglich; para una nueva vision de la voz pasiva en
vielleicht ist daher die Schlußfolgerung español«, Revista de lingüística teórica y
erlaubt, daß die Kategorie »Passiv« sich aplicada 30 (1992), 183–193.
sehr viel stärker auf der semantischen Masullo, Pascual Jose: »Antipassiv con-
Ebene realisiert, wofür auch spricht, daß structions in spanish«. In: Hirschbühler,
Paul; Koerner, Konrad (Hrsg.): Romance
zahlreiche Verben auch in syntaktisch languages and modern linguistic theory. Am-
aktivischen Konstruktionen eine passivi- sterdam; Philadelphia: Benjamins, 1992,
sche Semantik haben. Konsequenter- 174–193.

1 Die Regel besagt in diesem Fall, daß diese reflexiven Formen nur mit einem Modalfaktor
korrekt sind: *das Buch liest sich – das Buch liest sich gut.

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