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Lippen-Kiefer-Gaumenspalten

Zweithäufigste Fehlbildung überhaupt (nach dem Klumpfuß)


Inzidenz: auf 500 Neugeborene entfällt 1 orofaziale Spaltbildung

Lippenspalten
 Komplette Dehiszenz des M. orbicularis oris
 Mehr oder weniger ausgeprägte Deformierung des Naseneingangs
o Der Nasenflügel der erkrankten Seite weicht nach lateral ab
o Die spaltseitige Columellakante ist verkürzt
o Die Nasenspitze ist abgeflacht

Lippenkolobom:
 Einfachste Form der Lippenspalte
 Isolierte Spaltung der Lippenmuskulatur bei intakter Hautdecke
 Der Nasenflügel der betroffenen Seite ist lateralisiert

Unvollständige Lippenspalte:
 Nächst schwerere Form
 Spaltbildung reicht bis in das Lippenweiß hinein
 Der Nasenboden ist stets geschlossen
 Der Kiefer ist meist intakt
 Das Nasenseptum ist zur gesunden Seite hin verschoben

Vollständige Lippenspalte:
 Spaltbildung reicht bis in den Naseneingang hinein
 Der Nasenflügel der betroffenen Seite ist lateralisiert
 Das Lippenrot strahlt bogenförmig von der Oberlippe in den Naseneingang ein

Doppelseitige Lippenspalte:
 Dreiteilung der Oberlippe
 Hypoplastisches, muskelfreies Philtrum
 Beidseitig lateralisierte Nasenflügel

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Lippen-Kiefer-Spalten
Einseitig:
 Ähnliches Erscheinungsbild wie bei der einseitigen Lippenspalte
 Der Kieferknochen kann nur eingekerbt, aber auch vollständig bis zum Foramen
incisivum unterbrochen sein

Doppelseitig vollständig:
 Der Alveolarfortsatz ist meist erheblich deformiert und bis zum Foramen incisivum
gespalten
 Der vordere Nasenbodenanteil fehlt vollständig
 Die Columella ist gering ausgebildet
 Die Nasenflügel sind stark lateralisiert
 Das Os incisivum erscheint nach ventrokranial rotiert

Isolierte Gaumenspalten
 Liegen in der Mittellinie
 Sind formal doppelseitige Spalten
 Vollständige isolierte Gaumenspalten
o reichen von der Uvula bis zum Foramen incisivum
o das Vomer steht hoch und ist nicht mit dem Gaumendach verwachsen
 Funktionell ist besonders die Muskulatur der Gaumenaponeurose betroffen
o M. levator veli palatini
o M. tensor veli palatini
o M. palatopharyngeus
 Einfachste Form der isolierten Gaumenspalten: Uvula bifida

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Lippen-Kiefer-Gaumenspalten
Einseitig durchgehende LKG-Spalte:
 Ausgeprägte Asymmetrie der Nasen-Mund-Region
 Die Spalte betrifft die Lippe, den Nasenboden, den Kiefer, den harten und den
weichen Gaumen
 Die Nasenscheidewand ist weit auf die gesunde Seite verlagert
 Die Nase erscheint eingefallen und abgeflacht

Doppelseitige durchgehende LKG-Spalte:


 Stark protrudiertes Os incisivum
 Seitliche Schneidezähne fehlen oft vollständig
 Philtrum ist hypoplastisch, kreisrund und ohne Muskulatur

Multifaktorielle Genese
Exogene Faktoren:
 Alkoholkonsum
 Infektionen
 Ionisierende Strahlung
 Vitamin-A-Überdosierung
 Folsäure-Mangel
 Bestimmte Medikamente (Antikonvulsiva)
 Nikotinabusus

Endogene Faktoren:
 Genetische Veranlagung
 Wiederholungswahrscheinlichkeit steigt mit jeder Person, die innerhalb einer Familie
betroffen ist. Mit abnehmendem Verwandtschaftsgrad sinkt das Risiko
 Auch der Schweregrad der Spaltbildung beeinflusst die
Wiederholungswahrscheinlichkeit

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Postnatale Entwicklungsstörungen
 Da der M. orbucularis oris gespalten ist und keinen geschlossenen Ring bildet,
kommt es bei Kontraktion des Muskels zu fehlerhaften Wachstumsimpulsen und zu
einer Verbreiterung der Spalte
 Weil der äußere Funktionskreis/der Lippendruck fehlt, kommt es zu
o einer Fehlstellung der Kiefersegmente
o Dreh- und Kippständen der spaltbenachbarten Zähne
o Kreuzbissstellung im Eckzahnbereich
o Einem Kollaps der Seitenzahnsegmente
 Auch operativ erzeugte Narbenbildungen können Ursache für Wachstumsstörungen
sein

Sprachentwicklung nach Wirth


Bis 7. Woche Schreiperiode
6. Woche – 9. Monat 1. Lallperiode (Affektäußerung)
6.-9 Monat 2. Lallperiode (bewusste Nachahmung)
8.-9. Monat Zunehmendes Sprachverständnis
9.-10. Monat Zuordnung von lautlicher Äußerung , Geste und Situation
9.-12. Monat Beginn zweckbestimmter Äußerung
13.-15. Monat Entstehung der Symbolfunktion von Sprache
12.-18. Monat Einwortsätze (50 Wörter)
18.-24. Monat Zweiwortsätze & ungeformte Mehrwortsätze
1. Fragealter (200 Wörter)
3. Lebensjahr Geformte Mehrwortsätze (900 Wörter)
4. Lebensjahr Satzentwicklung & Vollzug des Spracherwerbs
2. Fragealter
6. Lebensjahr Komplexe & seltene Konstruktionen
10. Lebensjahr Verständnis schwieriger komplexer Satzkonstruktionen

Die Sprachentwicklung ist wichtig für die normale geistige & psychosoziale Entwicklung und
die soziale Integration!!!
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Störungen der Sprachentwicklung
 M. levator veli palatini & M. tensor veli palatini sind normalerweise in der Raphe-
Median-Ebene miteinander verwachsen
 Durch das Fehlen der muskulären Verbindung wird bei Aktivierung der Muskeln die
Spalte verbreitert
 Folge:
o Der Mundraum kann nicht gegen den Nasenrachenraum abgedichtet werden
o Verschluss- und Reibelaute können nicht gebildet werden → Ersatzlautbildung
o Luft geht beim Sprechen über die Nase verloren (offenes Näseln, Rhinophonia
aperta, Palatophonie)

Palatolalie
 Ersatzlautbildung
 B und P werden durch M-ähnliche Laute ersetzt
 D und T durch N-ähnliche Laute
 G und K können kaum gebildet werden

Hörstörungen
 Durch die Gaumenspalte ist die Funktion der Velummuskulatur gestört
 Folge: Öffnung der Eustachischen Röhre beim Schlucken oder Gähnen bleibt aus
 Folge: Belüftungsstörung des Mittelohrs, kein Druckausgleich
 Folge: Seromukotympanon (bei über 50% der Spaltpatienten!!!), Otitis media
 Folge: Schallleitungsschwerhörigkeit, Schäden im Innenohr

Zur Vermeidung von Hörstörungen ist es häufig notwendig, bereits im


Säuglingsalter eine Paracentese mit Einlage eines Paukenröhrchens
vorzunehmen!!!

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Interdisziplinäres Behandlungskonzept

Erste Untersuchung des Kindes und Direkt nach der Geburt, sobald es
Beratung der Eltern der Allgemeinzustand der Mutter
und des Kindes erlaubt
Präoperative kieferorthopädische Kurz nach der Geburt
Behandlung mit einer Gaumenplatte
Phoniatrische und pädaudiologische Beratung der Eltern bei der ersten
Untersuchung und Beratung Vorstellung in der interdisziplinären
Sprechstunde
HNO-ärztliche Betreuung, ggf. In regelmäßigen Abständen bis ins
Paracentese Erwachsenenalter
Lippenplastik 4.-6. Lebensmonat
Voraussetzung: 5-6 kg KG
Gaumenspaltplastik 1. Lebensjahr
Sprachheilbehandlung Falls erforderlich ab dem 4.
Lebensjahr
Kleine Korrekturen an Lippe und 5.-6. Lebensjahr
Naseneingang, sprachverbessernde
OPs (Velopharyngoplastik)
Beginn der Kfo-Behandlung Individuell abhängig vom
Ausbildungsgrad der Spaltbildung
Knöcherne Überbrückung des Vor Durchbruch des seitlichen
Kieferspaltes (sekundäre Schneide- oder Eckzahnes der 2.
Osteoplastik) Dentition (8.-11. Lebensjahr)
Endgültige Korrekturen an Nase und 15.-18. Lebensjahr
Gesichtsschädel
Prothetische Versorgung

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Chirurgische Primärbehandlung
 Ziel: Schaffung eines unauffälligen äußeren Erscheinungsbildes und physiologischer
intraoraler Verhältnisse
 Der OP-Zeitpunkt ist ein Kompromiss zwischen Kieferwachstum und
Sprachentwicklung
 Für eine altersentsprechende Sprachenentwicklung ist ein früher
Gaumenspaltverschluss erforderlich
 Für das Kieferwachstum ist es wünschenswert, operative Eingriffe am Gaumen
möglichst spät durchzuführen, damit es nicht zu narbenbedingten
Wachstumsstörungen (maxilläre Mikrognathie) kommt

Verschluss der Lippen-Kiefer-Spalte


 Vereinigung der Lippenweichteile
 Wiederherstellung des äußeren Funktionskreises
 Bei vorzeitigem Lippenspaltverschluss muss mit einer Wachstumshemmung des
vorderen OK-Anteils und einer OK-Kompression gerechnet werden
 In den europäischen Zentren hat sich das Intervall zwischen dem 4. & 6.
Lebensmonat als Zeitpunkt für den Lippenspaltverschluss etabliert

Verschluss des harten und weichen Gaumens


 Das sprachfunktionelle Ergebnis wird umso günstiger ausfallen, je früher normale
anatomische Verhältnisse im bereich des Gaumens vorliegen
 Eine Wachstumshemmung des OK als Folge der Gaumenspaltplastik wird umso
ausgeprägter auftreten, je früher die OP erfolgt
 Grund für eine OP im 12.-18. Lebensmonat ist die Forderung, dass mit Beginn der
Mehrwortsatzbildung die anatomischen Voraussetzungen für eine normale geistige
und soziale Entwicklung des Kindes sicherzustellen sind

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Chirurgische Sekundärbehandlung
Sprachverbessernde Operationen:
 Velopharyngoplastik, Pharynxadhäsionsplastik
 1-2 Jahre vor der Einschulung
 Indikation: ein ausreichender velopharyngealer Abschluss ist nicht möglich, weil
o das Gaumensegel zu kurz ist (velopharyngeale Insuffizienz)
o eine Funktionsstörung der Gaumenmuskulatur vorliegt (velopharyngeale
Inkompetenz)

Korrekturen an Oberlippe und Nase:


 Ziel: vollständige ästhetische und funktionelle Rehabilitation zum Zeitpunkt der
Einschulung
 Spalttypische Stigmata können nämlich die Sozialisierung in der Gruppe erschweren
und negative Folgen auf die psychosoziale Entwicklung des Kindes haben
 Die Behandlung geringgradiger Abweichungen sollte möglichst lange
hinausgezögert werden, weil die Erbegnisse von Korrekturoperationen durch das
noch ausstehende Wachstum verändert werden können
 Bei doppelseitigen Lippenspalten verbleibt häufig eine zu kurze Columella; in
diesem Fall kann 1 Jahr vor der Einschulung eine Verlängerung des Nasenstegs
vorgenommen werden
 Endgültige Korrekturen an der Nase zur Verbesserung der Ästhetik sollten erst nach
Abschluss des Wachstums mit 15-16 Jahren durchgeführt werden

Kieferspaltosteoplastik:
 Primäre Osteoplastik: Knochenverpflanzung im Gebiss der 1. Dentition
 Sekundäre Osteoplastik: Knochenverpflanzung im Wechselgebiss
 Tertiäre Osteoplastik: Knochenverpflanzung im Gebiss der 2. Dentition
 Ziele: Ausbildung eines regelrechten Kieferkammes im Spaltbereich, Stabilisierung
der Kiefersegmente und Unterstützung der Nasenflügelansätze

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 Bevorzugt wird die sekundäre Osteoplastik im Alter von 9-11 Jahren, um in
einer kombiniert chirurgisch-orthodontischen Behandlung den spaltseitigen Eckzahn
in den aufgefüllten Kieferbereich hineinzuentwickeln
 Dabei wird kurz vor Durchbruch des Eckzahnes Spongiosa vom anterioren
Beckenkamm in den Kieferspalt transplantiert
Lippenspaltverschluss
 Ziel:
o Wiederherstellung einer symmetrischen Oberlippe
o Harmonische Lippen-Rot-Weiß-Grenze
o Ausformung eines symmetrischen Naseneinganges
o Rekonstruktion von Philtrum, Armorbogen und Pounting
 Essentiell: Erhaltung & Verwaltung aller verfügbaren Gewebe, weil bei allen
Lippenspalten ein echtes Gewebedefizit besteht
 Allen Techniken ist gemeinsam, dass die Hypoplasie des medialen Lippenstumpfes
und die geringe Länge der Philtrumkante auf dieser Seite aus dem lateralen
Lippenstumpf aufgefüllt und ausgeglichen werden
 Zur Wiederherstellung des M. orbucularis oris müssen die fehlinserierenden
Muskelfasern vom Nasenseptum gelöst, horizontal ausgerichtet und miteinander auf
der gesamten Höhe der Lippe vereinigt werden
 Bei doppelseitigen LK-Spalten enthält das dem Zwischenkiefer anhaftende
Prolabium keine Muskelfasern, weshalb aus den lateralen Lippenstümpfen die
Muskulatur mobilisiert und in das muskellose hypoplastische Prolabium eingelagert
werden müssen

Verschluss einseitiger, unvollständiger Lippenspalten


Klassische Schnittführung nach Veau:
 Gerade Schnittführung, lineare Anfrischung der Spaltränder
 Vereinigung in der Mittellinie
 Anwendung: ausschließlich bei Minimalspalten
 Nachteil: lineare Narbe zeigt große Schrumpfungstendenz (→ Störung des
Armorbogens durch Hochziehen der Lippen-Rot-Weiß-Grenze)

Schnittführung nach Randall:

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 Prinzip der Winkelschnittführung
 Der medial verkürzte Lippenstumpf wird nach kaudal in eine physiologische Position
gebracht und der Gewebedefekt wird von lateral aufgefüllt (Technik des
Läppchenaustausches)
 Vorteil: Eine Verlürzung der Lippe durch die Narbe wird sicher vermieden

Schnittführung nach Millard:


 Bogenförmige Schnittführung von der Lippen-Rot-Weiß-Grenze bis unter den
Columellaansatz. Durch die Kaudalrotation des medialen Lippenstumpfes entsteht
ein Gewebedefizit, das durch einen unter dem Nasenflügelansatz entnommenen
Haut-Muskel-Lappen aufgefüllt wird

Schnittführung nach Pfeiffer:


 Wellenschnittverfahren mit Streckung der Schnittkanten
 Ziel: die spätere Narbe entspricht der Philtrumkante
 Nachteil: wie bei Veau longitudinale Schrumpfung
 Vorteil: gut ausgeformtes Vestibulum

Gaumenspaltverschluss
 Ziel:
o Dichter Verschluss ohne Restperforation
o Ausbildung eines ausreichend langen und funktionstüchtigen Velums
 Dazu muss die Velumuskulatur von ihrer abnormen Anheftung am harten Gaumen
gelöst und zu einer physiologischen Muskelschlinge vereinigt werden
 Bei allen Velumplastiken wird die Schleimhaut des medialen Spaltrandes von der
Spina nasalis posterior bis zur Uvulaspitze inzidiert
 Anschließend werden die folgenden 3 Gewebeschichten des Gaumens isoliert und
einzeln miteinander vernäht:
o nasale Schleimhaut
o Gaumenmuskulatur
o orale Schleimhaut

Einteilung:

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 Verschluss des harten Gaumens: Pichler-Plastik
 Verschluss des weichen Gaumens:
o Intravelare Velumspaltplastik nach Kriens
o Operationstechnik nach Widmaier
 Simultaner Verschluss von hartem und weichem Gaumen:
o Stiellappenplastik
o Brückenlappenplastik

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