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Inhaltsverzeichnis

A. Wesentliche Prüfungen 1
1. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2010 2
2. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2011 17
3. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2012 37
4. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2013 59
5. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2014 80
6. „Rennwagenkauf mit Problemen“ 94

B. Weitere Prüfungen 103


1. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2001 104
2. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2002 121
3. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2003 137
4. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2004 152
5. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2005 (nur Aufgaben) 162
6. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2006 171
7. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2007 185
8. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2008 197
9. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2009 224
A. Wesentliche Prüfungen

1
1. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2010

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Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2011

LÖSUNGSHINWEISE

Recht I A
Assessment-Stufe

Frühjahr 2011

Lehrstühle Prof. Geiser und Prof. Roberto

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Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2011

Aufgabe 1: Einzelfragen zum Privatrecht (30 Punkte)

a) Was bedeutet die sogenannte Ungewöhnlichkeitsklausel? (4 Punkte)


In der Praxis erfolgt meistens eine Globalübernahme der AGB, d.h. eine Vertragspartei erklärt ihre
Zustimmung zu den AGB der anderen Vertragspartei, ohne tatsächlich von ihrem Inhalt Kenntnis
genommen zu haben. Bei der Globalübernahme kommt nun die Ungewöhnlichkeitsregel zum Zug:
Demnach ist eine AGB-Bestimmung ungültig, wenn es sich um eine ungewöhnliche Bestimmung
handelt, mit der die Gegenpartei zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht rechnen musste
und auf die der geschäftsunerfahrene Kunde nicht besonders hingewiesen worden ist. Eine solche
ungewöhnliche Klausel wird nicht Teil der übereinstimmenden Willenserklärung bzw. des
Vertrags.

b) Wie kommt ein Vertrag zustande? (4 Punkte)


Zum Abschluss eines Vertrages ist die übereinstimmende gegenseitige Willensäusserung der
Parteien erforderlich. (Art. 1 OR). Damit ein Vertrag zustande kommt, muss die zeitlich erste
Willensäusserung (Antrag) der einen Vertragspartei mit der zeitlich zweiten Willensäusserung
(Annahme) der Gegenpartei übereinstimmen. Unter einem Vertrag wird demnach der Austausch
inhaltlich übereinstimmender Willenserklärungen von mindestens zwei Personen mit einem
rechtlichen Bindungswillen verstanden. Durch die übereinstimmende Willensäusserung legen die
Parteien den Vertragsinhalt fest, wobei sie sich über alle objektiv und die erkennbaren subjektiv
wesentlichen Vertragspunkte einigen müssen.

c) Die Abgrenzung von Arbeits-, Werkvertrag und Auftrag ist oft schwierig. Erläutern Sie die
grundsätzlichen Merkmale, welche diese Verträge jeweils voneinander unterscheiden
(12 Punkte)

Arbeitsvertrag Auftrag Werkvertrag


Arbeitszeit,
sorgfältiges
Geschuldete Leistung sorgfältiges Ergebnis
Tätigwerden
Tätigwerden
natürliche oder natürliche oder
Schuldner natürliche Person
juristische Person juristische Person
starkes Weisungsrecht
beschränkt; keine
Subordination sowie Treue- und typischerweise keine
Fürsorgepflicht
Fürsorgepflicht
Persönliche Leistung zwingend typisch oft zwingend

d) Was versteht man unter einer vorvertraglichen Haftung bzw. culpa in contrahendo (c.i.c)?
Geben Sie ein Beispiel. (5 Punkte).
Oft gehen einem Vertragsabschluss längere Vertragsverhandlungen voraus. Trotz fehlender
vertraglicher Bindung der Parteien entstehen bereits im Vorstadium eines Vertragsabschlusses

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Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2011

Pflichten für die Vertragsparteien. Mit dem Instrument der culpa in contrahendo wird das
Problem erfasst, wenn bei Vertragsverhandlungen einer Partei ein Schaden entsteht. Da der
Vertragsabschluss aber noch gar nicht erfolgt ist, kann hierfür nicht auf eine vertragliche
Grundlage zurückgegriffen werden. Deshalb wird in diesem Zusammenhang regelmässig von
einer vorvertraglichen Haftung gesprochen. Die Begründung dieser Lehre ist insbesondere vor
dem Hintergrund von Art. 2 ZGB zu sehen. Bei einem Verstoss gegen das Gebot von Treu und
Glauben im Geschäftsverkehr kann demnach eine aussergesetzliche Haftung aus culpa in
contrahendo begründet werden. Beispielsweise wenn eine Partei gar kein wirkliches Interesse
(mehr) an einem Vertragsabschluss hat und nur so tut, als ob oder wenn eine Partei gewissen
Aufklärungspflichten nicht nachkommt.

e) Welche Wirkung hat ein Bestätigungsschreiben? (5 Punkte)


Ein Bestätigungsschreiben hat primär die Funktion eines Beweismittels. Gibt das
Bestätigungsschreiben die mündliche Vereinbarung nicht richtig wieder, muss der Empfänger dem
Schreiben widersprechen, andernfalls führt das Bestätigungsschreiben nach herrschender
Meinung zu einer Umkehr der Beweislast, d.h. der Empfänger muss nachweisen, dass ein Vertrag
nicht oder zu anderen Bedingungen abgeschlossen wurde. Falls das Bestätigungsschreiben nicht
derart vom mündlich Vereinbarten abweicht, dass nach Treu und Glauben nicht mit dem
Einverständnis des Empfängers gerechnet werden darf, hat es gemäss Bundesgericht darüber
hinaus auch konstitutive Wirkung.

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Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2011

Aufgabe 2: Ärger im Atelier (40 Punkte)

Klaus, ein Styroporkünstler, beauftragte anfangs des Jahres 2010 die Gruben AG mit dem Bau eines
Ateliers. Die Gruben AG beauftragte ihrerseits die Kleckser AG mit dem Anstrich des Ateliers. Klaus
hatte seinerseits kurz zuvor Glaser G gebeten, die Standardscheiben für das Atelier zu liefern und
hatte die Scheiben im Voraus bereits bezahlt. Für das Einbauen der Scheiben waren die Arbeiter der
Gruben AG zuständig. Zudem erwarb Klaus ebenfalls im Januar 2010 von der Kunstgalerie AbArtig AG
eine Skulptur von der bekannten Künstlerin Less für CHF 52‘000.--, welche er in der Mitte des Ateliers
zur Inspiration platzieren lässt.

Bei der Lieferung der Fensterscheiben erwischt G statt des Rückwärtsganges den ersten Gang und
beschädigt den Gartenzaun von Klaus. Er muss komplett neu erstellt werden. Zudem verwendet die
Kleckser AG statt der ausgemachten Farbe eine Farbe, welche Lösungsmittel enthält, welches das
Rohmaterial von Klaus angreift. Er kann daher einen Lieferauftrag über CHF 5000.-- nicht einhalten.

Am 25. Januar 2011 leiht er die Skulptur der Künstlerin Less für eine Kunstaustellung aus. Ein
Kunstsachverständiger bemerkt anlässlich der Ausstellungseröffnung, dass es sich um eine Fälschung
handelt.

Welche vertraglichen Ansprüche kann Klaus gegen wen geltend machen? (Rückgriffsansprüche und
ausservertragliche Ansprüche sind nicht zu prüfen und werden dementsprechend nicht bewertet)

- Beschädigung des Gartenzauns (10 Pkt.): Anspruch gegenüber dem Glaser. Der Schutz des
Eigentums des Bestellers ist eine vertragliche Nebenpflicht aus dem Vertrag. Diese Pflicht wurde
schuldhaft verletzt, wodurch ein Schaden entstanden ist. Da auch der Kausalzusammenhang zwischen
Verschulden und Schaden offensichtlich gegeben ist, sind die Voraussetzungen für eine Haftung nach
Art. 97 OR gegeben.

- Schädliche Farbe/geplatzter Lieferauftrag (15 Pkt.): Anspruch gegenüber der Gruben AG. Der
Werkvertrag zum Bau des Ateliers besteht zwischen Klaus und der Gruben AG. Das Werk wurde
entgegen der Vereinbarung nicht mit der vereinbarten Farbe gestrichen, weshalb es einen Mangel
aufweist (Art. 368 OR). Es sind also die Ansprüche aus Werkvertrags-Gewährleistung (Art. 367 ff. OR)
zu prüfen.

Der Mangel ist ein versteckter (Art 370 Abs. 3 OR), weil er von Klaus nicht ohne weiteres entdeckt
werden konnte bzw. er erst durch das angegriffene Rohmaterial zutage trat. Der versteckte Mangel
ist umgehend nach Entdeckung desselben zu rügen. Die Ansprüche aufgrund des Mangels sind noch
nicht verjährt (Art. 371 OR), weshalb er sich jetzt zwischen Minderung und Nachbesserung
entscheiden kann (Art. 368 Abs. 2 OR). Ein Anspruch auf Wandelung hat er schon deshalb nicht, da
das Haus fest mit dem Boden verbunden ist (Art. 368 Abs. 3 OR).

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Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2011

Zusätzlich kann er Schadenersatz geltend machen (Art. 368 OR), da es sich um einen schuldhaft
verursachten Mangelfolgeschaden handelt. Dass der Fehler eigentlich nicht bei der Gruben AG,
sondern bei der Kleckser AG liegt, ist hier nicht weiter relevant, da die Kleckser AG den Fehler als
Hilfsperson der Gruben AG (Art. 101 OR) in funktionellem Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit als
Hilfsperson begangen hat und der Fehler auch der Gruben AG hypothetisch vorwerfbar wäre.

- Gefälschte Skulptur (15 Pkt.): Anspruch gegenüber der AbArtig AG. Die Echtheit der Skulptur ist als
konkludent zugesicherte, vorausgesetzte Eigenschaft anzusehen – ihr Fehlen also als ein Mangel im
Sinne des Sachgewährleistungsrecht (Art. 197 ff., 197 Abs. 1 OR). Da der Mangel ein versteckter ist,
(denn gemäss Sachverhalt erkannten auch die AbArtig AG und der Kunstaussteller den Mangel nicht,
sondern erst ein Kunstexperte) muss Klaus umgehend nach Kenntnisnahme desselben rügen (Art. 201
Abs. 3 OR). Da der Sachverhalt keinerlei Hinweise auf böse Intentionen des Verkäufers erkennen lässt,
verjähren die Sachgewährleistungsansprüche allerdings nach einem Jahr (Art. 210 Abs. 1 OR I). Falls
noch keine Verjährung eingetreten ist (nämlich bei ursprünglichem Kauf der Skulptur nach dem
25.1.2010), hat Klaus die Wahl zwischen Wandelung und Minderung (Art. 205 Abs. 1 OR); hingegen
kann er keine Ersatzlieferung verlangen, da es sich um einen Spezieskauf handelt (Art. 206 Abs. 1 OR
e contrario). Weiter kann er allfälligen Schadenersatz (Art. 208 Abs. 2/Art. 97 OR) geltend machen.

Falls allerdings die Ansprüche aus Sachgewährleistung schon verjährt sind, bleibt immer noch die
Möglichkeit der Anfechtung des Kaufvertrags aufgrund eines Grundlagenirrtums (Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4
OR). Dafür sind die objektive und subjektive Wesentlichkeit sowie deren Erkennbarkeit für die
Gegenpartei zu prüfen. Objektiv wesentlich ist die Echtheit der Skulptur bei einem solchen Kauf
regelmässig; auch die subjektive Wesentlichkeit ist gegeben, insbesondere da Klaus einen
entsprechend hohen und keinen offensichtlich zu tiefen Preis dafür bezahlt hat. Dadurch ist ebenfalls
die Erkennbarkeit für die Gegenpartei gegeben. Der Grundlagenirrtum kann also geltend gemacht
werden und ist – im Gegensatz zu den Ansprüchen aus Sachgewährleistung – sicher noch nicht
verwirkt (1 Jahr nach Entdeckung des Irrtums, Art. 31 Abs. 1 und 2 OR). Der Kaufvertrag ist für Klaus
somit unverbindlich und kann auf seine Anfechtung hin rückabgewickelt werden (Art. 23 OR).

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Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2011

Aufgabe 3: Motoren- statt Muskelkraft (50 Punkte)

Beat will sich mit den ersten grossen Löhnen nach dem Studium endlich etwas Luxus gönnen und
kauft sich als Ersatz für sein altes Fahrrad ein Motorrad (125 cm3). Als er bei der Garage MotoBike-AG
in der Nähe seiner Wohnung vorbei geht, findet er tatsächlich ein Model, welches ihm zusagt und
welches er auch gleich mitnimmt.

a) Es wird vereinbart, dass der Kaufpreis von CHF 10‘000.-- per Rechnung bis Ende Monat bezahlt
wird. Mitte des Folgemonats hat Beat immer noch nicht bezahlt. Wie kann die MotoBike-AG
vorgehen? Begründen Sie kurz, welches die beste Vorgehensweise ist. (13 Punkte)
Der Kaufvertrag (Art. 184 ff. OR) wurde von der MotoBike-AG bereits erfüllt. Für die Zahlung des
Kaufpreises wurde ein fester Termin (Verfalltagsgeschäft) vereinbart, weshalb Beat ohne Mahnung
(Art. 102 Abs. 2 OR) mit Ablauf desselben in Verzug nach Art. 102 ff. OR gerät. In diesem Fall kann
nun die MotoBike-AG die Wahlrechte nach Art. 107 ff. OR geltend machen. Da der Kaufgegenstand
allerdings bereits in den Besitz des Käufers übergegangen ist, kann sie nur dann vom Vertrage
zurücktreten, falls dies explizit vorbehalten wurde (Art. 214 Abs. 3 OR). Von den drei Möglichkeiten
des Art. 107 OR steht der MotoBike-AG deshalb nur das Beharren auf Erfüllung inkl. Schadenersatz
zur Verfügung (dem Sachverhalt lässt sich nämlich kein Vorbehalt bezüglich einer
Rücktrittsmöglichkeit entnehmen).

b) Beat erwirbt und bezahlt das Motorrad bei der MotoBike-AG. Nach drei Monaten blockiert das
Hinterrad während einer Autobahnfahrt aufgrund eines Kolbenfressers, weil eine mangelhafte
Dichtung nachgibt und Öl entweicht. Trotz eines Totalschadens wird Beat nur leicht verletzt,
verliert aber durch die notwendigen Arztbesuche immerhin drei Arbeitstage. Auch seine
Motorradbekleidung und sein Gepäck im Wert von CHF 3000.-- sind nicht mehr zu gebrauchen.
Besonders ärgerlich ist für ihn als selbstständig Erwerbenden aber der aus seiner Absenz
folgende Erwerbsausfall in Höhe von CHF 4000.--. Welche vertraglichen Ansprüche kann Beat
geltend machen? (18 Punkte)
Der Kaufvertrag (Art. 184ff. OR) wurde vorliegend vollständig erfüllt. Der Bruch einer Dichtung nach
bereits drei Monaten muss wohl auf einen Materialfehler und damit einen Sachmangel zurückgeführt
werden, weshalb die Voraussetzungen des Sachgewährleistungsrechts (Art. 197 ff. OR) zu prüfen sind:
Die korrekte Funktion der Dichtung/des Antriebs für den Personentransport ist offensichtlich eine
vorausgesetzte Eigenschaft des Motorrads, weshalb deren Versagen einen rechtserheblichen Mangel
darstellt (Art. 197 Abs. 1 OR). Der Mangel war Beat unbekannt (Art. 200 OR) und gemäss Sachverhalt
gibt es auch keine Anhaltspunkte für einen gültigen Ausschluss der Gewährleistung (Art. 199 OR).
Obwohl Beat erst nach drei Monaten rügt, muss dies als rechtzeitig angesehen werden, da der
Mangel offensichtlich ein versteckter war (Art. 201 Abs. 2 OR). Wichtig ist aber auch in diesem Fall,
dass die Rüge sofort nach der Entdeckung des Mangels erfolgt (Art. 201 Abs. 3 OR),. Eine Verjährung
der Rechte aus Sachgewährleistung (Art. 210 OR) ist noch nicht eingetreten. Nach gültig erfolgter
Rüge stellt das Sachgewährleistungsrecht grundsätzlich Wandelung, Minderung (Art. 205 OR) und
Ersatzlieferung (Art. 206 OR) zur Verfügung.

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Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2011

Eine Minderung des Kaufpreises ist auf Grund des Totalschadens ausgeschlossen (Art. 205 Abs. 3 OR).
Beat kann aber trotz Untergang des Motorrades (Art. 207 Abs. 1 OR) Wandelung und Schadenersatz
(Art. 208 OR) verlangen. Er muss dabei nur zurückgeben, was vom Motorrad verblieben ist und kann
bedingungslos Kaufpreis plus Zinsen (zurück-) verlangen (Art. 208 Abs. 2 OR). Bezüglich der weiteren
Schäden (Gepäck, Bekleidung und Verdienstausfall) ist zu unterscheiden, ob diese unter Art. 208 Abs.
2 OR (unmittelbarer Schaden verschuldensunabhängig geschuldet) oder Art. 208 Abs. 3 OR
(weiterer Schaden nur bei Verschulden geschuldet) zu subsumieren sind. In Bezug auf den
Verdienstausfall kommt Art. 208 Abs. 3 OR zur Anwendung, weshalb für die MotoBike-AG die
Möglichkeit eines Exkulpationsbeweises besteht. Entscheidet sich Beat für eine Ersatzlieferung – es
handelt sich ja um einen Gattungskauf – so sieht das Gesetz hierfür keine verschuldensunabhängige
Haftung des Verkäufers vor. Die Schadenersatzansprüche müssten diesfalls über Art. 97 OR, wonach
generell die Möglichkeit des Exkulpationsbeweises gewährt wird, geltend gemacht werden.

c) Beat ist vollauf zufrieden mit dem Motorrad und lässt darum auch die Service-Leistungen bei
der MotoBike-AG ausführen, so auch den ersten Ölwechsel. Dieser wird von Stebu ausgeführt,
einem Lehrling der MotoBike-AG. Wie es für die MotoBike-AG üblich ist, fährt Stebu das
Motorrad zu Beat nach Hause und stellt es dort ab. Stebu zapfte wohl das alte Öl ab, vergass
jedoch, neues Öl nachzufüllen. Beat fährt am nächsten Tag mit dem bereits leicht beschädigten
Motorrad zur Arbeit. Aufgrund des fehlenden Öls kommt es zu einem Kolbenfresser und Beats
Motorrad erleidet einen Lackschaden und ein Bremsgriff bricht ab. Prüfen Sie die vertraglichen
Ansprüche infolge des Unfalles, der durch den Kolbenfresser verursacht wurde. (11 Punkte)
Es handelt sich um einen Werkvertrag (Art. 363 ff. OR), der aber in der Hauptpflicht schlecht bzw. in
Abweichung zur ursprünglichen Vereinbarung erfüllt wurde. Es kommt deshalb werkvertragliches
Gewährleistungsrecht (Art. 368 OR) zur Anwendung. Analog zum Kaufrecht (Art. 207 OR) ist hier eine
Wandelung trotz Untergangs des Werkes möglich und (bei Verschulden) Schadenersatz forderbar. Der
Unternehmer haftet nach Art. 101 OR ohne eigenes Verschulden und ohne eigene
Exkulpationsmöglichkeit für den Schaden, der durch das Verschulden des Lehrlings eingetreten ist.
Dabei spielt auch keine Rolle, dass der Lehrling rechtmässig als Hilfsperson beigezogen wurde (Art.
364 Abs. 2 OR).

d) Auf dem von Beat ausgefüllten Auftragsformular für den Ölwechsel hat die MotoBike-AG
jegliche Haftung ausgeschlossen. Wann muss ein solcher Haftungsausschluss im Allgemeinen
und im konkreten Fall vereinbart werden? Ist ein solcher Haftungsausschluss in Bezug auf den
Sachverhalt zulässig? (5 Punkte)
Diese Vereinbarung ist Teil des Vertrages und mindestens für eine Partei subjektiv wesentlich. Der
eigentliche Vertragsschluss muss sie also bereits beinhalten. Hier wäre das vor/mit der
Unterzeichnung des Vertrages. Ja, ein solcher absoluter Haftungsausschluss bezüglich die Handlungen
der Hilfspersonen ist zulässig (Art. 101 Abs. 2 OR).

e) Wie wäre diesbezüglich die Rechtslage, wenn der Chef des Lehrlings, der gleichzeitig einziger
Verwaltungsrat und Inhaber der Garage ist, an Stelle des Lehrlings gehandelt hätte? (3 Punkte)

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Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2011

Ein Ausschluss der Haftung für grobe Fahrlässigkeit und/oder Absicht bezüglich seiner selbst ist
rechtswidrig (Art. 100 Abs. 1 OR). Der Vertrag wäre trotzdem zu Stande gekommen und nur der
Haftungsausschluss zu korrigieren (Teilnichtigkeit, Art. 20 OR).

Aufgabe 4: Einzelfragen zum Gesellschaftsrecht (15 Punkte)

a) Was ist ein partiarisches Rechtsgeschäft und welches ist das zentrale Abgrenzungskriterium
gegenüber einer Gesellschaft? Machen Sie ein Beispiel. (4 Punkte)
- Vertrag (2-seitiger Schuldvertrag – Austauschvertrag; synallagmatischer Vertrag)
- Entgelt einer Partei abhängig vom Erfolg der anderen (=aleatorische Vergütung)
- aber kein animus societatis
- Beispiele: partiarisches Darlehen (mit Zins je nach Geschäftsverlauf); Arbeitsvertrag oder
Auftrag mit Gewinnbeteiligung

b) Wann wird aus einer einfachen Gesellschaft eine Kollektivgesellschaft? (3 Punkte)


- Grundsätzlich: wenn sie ein kaufmännische Unternehmen führt (Handelsregistereintrag hier
nicht konstitutiv)
- Bei einer nicht-kaufmännischen Kollektivgesellschaft durch Handelsregistereintrag (Handels-
registereintrag hier konstitutiv)
- wenn sie eine juristische Person zum Gesellschafter hat: gar nicht

c) Erklären und begründen Sie das Prinzip des numerus clausus im Gesellschaftsrecht. (4 Punkte)
ERKLÄRUNG:
- Formzwang: Es steht eine begrenzte Anzahl zulässiger Gesellschaftsformen zur Verfügung
(insgesamt acht, mit den Gesellschaften für die kollektive Kapitalanlage zehn) und die
Gesellschafter müssen sich einer dieser Formen bedienen.
- Formfixierung: Das Gesellschaftsrecht ist im Grundsatz zwingend und nur bei abweichender
Anordnung dispositiv. Trotz dieses Grundsatzes besteht für die Gesellschafter ein erheblicher
Spielraum für von der gesetzlichen Regelung abweichende Ausgestaltung.

BEGRÜNDUNG:
- Schutz des Rechtsverkehrs (Gesellschaft äussert nicht nur Wirkungen für Vertragspartner,
sondern auch für Aussenstehende – Gläubiger, Schuldner)
- Schutz der Gesellschafter (Gesellschafter sollen vor willkürlicher Behandlung durch die
Mehrheit geschützt werden)

d) Nennen Sie typische Regelungsbereiche eines Aktionärsbindungsvertrages. (4 Punkte)


- Ausübung von Stimmrechten
- Zusammensetzung des Verwaltungsrates
- Vereinbarung von Vorkaufs- bzw. Kaufrechten an Aktien

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Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2011

- Auferlegung von Konkurrenzverboten


- Treuepflichten

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Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2011

Aufgabe 5: Statuten (15 Punkte)

Kommentieren Sie folgende Statutenbestimmungen einer AG.

a) Die Generalversammlung ist nur beschlussfähig, wenn 80 % des Aktienkapitals vertreten ist.
(4 Punkte)
- Das Gesetz enthält kein Beschlussfähigkeits- / Präsenzquorum mehr (Art. 703 f. OR)
- Gefahr der Handlungsunfähigkeit bei zu hohen Präsenzquoren, v.a. bei Gesellschaften mit
breit gestreutem Aktienbesitz
- Statutenbestimmung ist zulässig (Art. 703, 704, 627 Ziff. 11 OR)

b) Aktionäre, die zusammen 20 % des Kapitals vertreten, können die Einberufung einer
ausserordentlichen Generalversammlung beantragen. (2 Punkte)
Gemäss Art. 699 Abs. 3 OR können Aktionäre, die 10 % des Kapitals vertreten, die Einberufung
einer Generalversammlung beantragen, auch wenn in den Statuten 20 % steht. Die Bestimmung
der Statuten ist damit unbeachtlich.

c) Die Generalversammlung ist zuständig für die Festlegung der Unternehmensstrategie. (5


Punkte)
- Im Bereich der Unternehmensstrategie ist die Generalversammlung nur zuständig für die
Festlegung des Gesellschaftszwecks (Art. 698 Abs. 2 Ziff. 1 i.V.m. Art. 626 Ziff. 2 OR)
- im Übrigen wird die Unternehmensstrategie zwingend durch den Verwaltungsrat festgelegt
(Art. 716a Abs. 1 Ziff. 1 OR)
- dies ist ein Ausfluss des Paritätsprinzips
- die Statutenbestimmung ist ungültig/unzulässig, da sie gegen die Grundstrukturen der AG
verstösst (Art. 706b Ziff. 3 OR)

d) Jeder Aktionär ist verpflichtet, die Interessen der Gesellschaft mit aller Sorgfalt zu wahren und
alles zu unterlassen, was der Gesellschaft Schaden zufügen könnte. (4 Punkte)
- Gemäss Art. 680 Abs. 1 OR hat der Aktionär nur eine einzige Pflicht, nämlich die Liberierung
der von ihm gezeichneten Aktien. Die statutarische Auferlegung weiterer Pflichten ist
unzulässig.
- Als Gegengewicht findet das Informationsrecht des Aktionärs über die Angelegenheiten der
AG seine Schranken an den entgegenstehenden (Geheimhaltungs-)Interessen der AG (Art. 697
Abs. 2 OR).

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Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2011

Aufgabe 6: Der Konzern (30 Punkte)

Der Darbuda-Konzern ist folgendermassen strukturiert:


Die Darbuda Holding AG ist zu 100% im Besitz der Familie Hagenbuch. Zum Darbuda-Konzern
gehören die folgenden drei Aktiengesellschaften:
• Darbuda Service AG (100% der Aktien im Eigentum der Darbuda Holding AG)
• Darbuda Produktion AG (80% der Aktien im Eigentum der Darbuda Holding AG; die übrigen 20%
gehören elf verschiedenen Aktionären)
• Darbuda Handel AG (60% der Aktien im Eigentum der Darbuda Holding AG; die restlichen 40%
werden ausserbörslich gehandelt und sind breit gestreut)
In allen vier Gesellschaften ist Klaus Hagenbuch Präsident, sein Sohn Peter Mitglied des
Verwaltungsrats. Daneben hat bei jeder Gesellschaft der jeweilige Geschäftsführer Einsitz im
Verwaltungsrat.

Die Darbuda Handel AG erzielt im Jahr 2010 einen hohen Gewinn, die übrigen Gesellschaften
operieren dagegen wie in den Vorjahren in der Verlustzone. In der Verwaltungsratssitzung vom 12.
Dezember 2010 wird im Rahmen der provisorischen Abschlussgestaltung die Auszahlung von
geschäftsmässig nicht begründeten Managementhonoraren in Höhe von je CHF 800'000.-- an die
Darbuda Service AG und die Darbuda Produktion AG beschlossen, da dies im Konzerninteresse
geboten erscheint.

Aktionär Marco Gyr der Darbuda Handel AG erfährt im Januar 2011 von diesem Beschluss und
wendet sich an Peter Hagenbuch. Er macht geltend, der Beschluss verletze die Interessen der
Darbuda Handel AG und sei gesetzwidrig. Wie ist die Rechtslage? Prüfen Sie die denkbaren
gesellschaftsrechtlichen Klagen, die Marco Gyr im Zusammenhang mit dem Beschluss des
Verwaltungsrats zur Verfügung stehen könnten.

In der Schweiz fehlt ein systematisch kodifiziertes Konzernrecht. Das schweizerische Recht geht von
der Fiktion selbständiger und unabhängiger Gesellschaften aus. Die Gesellschaften im Konzern sind
als alleinstehende Rechtsformen zu betrachten.

Problematisch ist die Interessenverfolgung im Konzern. Der Kern der Probleme liegt in der
unterschiedlichen rechtlichen und wirtschaftlichen Betrachtungsperspektive eines Konzerns. Es
können folgende Probleme auftauchen: Interessenkonflikte, Gewinnverlagerungen zwischen
Konzerngesellschaften, Haftung der Konzern-Muttergesellschaft gegenüber Minderheitsaktionären
und Gläubigern einer Tochtergesellschaft.

Zunächst verfolgt jede einzelne Gesellschaft ihre eigenen Interessen, auch in einer Holding- bzw.
Konzernstruktur. Darüber hinaus besteht aber auch ein über diesen einzelnen Interessen stehendes
Konzerninteresse, das sich aus dem Gesamtinteresse aller Gesellschaften zusammensetzt. Die
Rechtsprechung (BGE 130 III 213 ff.) hat mit aller Deutlichkeit festgehalten, dass das
Gesellschaftsinteresse gegenüber dem Konzerninteresse den uneingeschränkten Vorrang hat.

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Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2011

In casu hat der Verwaltungsrat der Darbuda Handel AG gemäss Art. 716a Abs. 1 Ziff. 3 OR die
unentziehbare Aufgabe der Finanzkontrolle sowie der Finanzplanung. Der Verwaltungsrat der
Darbuda Handel AG muss primär die finanziellen Interessen dieser Gesellschaft vertreten und nur
sekundär jene des Konzerns.

Anfechtungsklage
Bei der Übertragung der Beträge auf die anderen Tochtergesellschaften handelt es sich um einen
Entscheid des Verwaltungsrates, der zum Bereich der unentziehbaren Aufgaben des Verwaltungsrates
gehört (vgl. Art. 716a Abs. 1 Ziff. 3 OR). Es stellt sich die Frage, inwiefern gegen den Entscheid etwas
unternommen werden kann.

Gemäss Art. 706 Abs. 1 OR kann der Verwaltungsrat und jeder Aktionär Beschlüsse der
Generalversammlung, die gegen das Gesetz oder die Statuten verstossen, beim Richter mit Klage
gegen die Gesellschaft anfechten. In casu handelt es sich jedoch um einen Verwaltungsratsbeschluss
und nicht um einen Beschluss der Generalversammlung. Betreffend Verwaltungsratsbeschlüsse sieht
das Gesetz aber keine Anfechtungsmöglichkeiten vor.

Nichtigkeitsklage
Es stellt sich die Frage, ob eine Nichtigkeitsklage möglich wäre. Nach Art. 714 OR gelten für
Beschlüsse des Verwaltungsrates sinngemäss die gleichen Nichtigkeitsgründe wie für die Beschlüsse
der Generalversammlung. Gemäss Art. 706b Ziff. 3 OR sind insbesondere Beschlüsse der
Generalversammlung nichtig, welche die Grundstrukturen der Aktiengesellschaft missachten oder die
Bestimmungen zum Kapitalschutz verletzen. Letztere betreffen etwa die Unter-pari-Emission, die
Rückgewähr von einbezahltem Aktienkapital sowie die Verletzung der Vorschriften über den Erwerb
eigener Aktien.

Dem Sachverhalt ist nicht zu entnehmen, dass ein Verstoss gegen die Grundstrukturen der
Aktiengesellschaft stattgefunden hätte. Ein Beschluss des Verwaltungsrates, der die Bestimmungen
zum Kapitalschutz verletzt haben könnte, kann aus den Angaben des Sachverhalts ebenfalls nicht
abgeleitet werden, denn die Bezahlung von Honoraren oder Rechnungen an Schwestergesellschaften,
seien diese begründet oder unbegründet, greifen nicht in den Bereich des Kapitalschutzes ein.

Schlussfolgernd kann auch von einer Nichtigkeitsklage gemäss Art. 714 i.V.m. Art. 706b Ziff. 3 OR
abgesehen werden, da die Tatbestandsmerkmale hierfür nicht erfüllt sind.

Rückerstattungsklage
In Anbetracht der Aktionärsrechte könnte die Gewinnverlagerung auf die Schwestergesellschaften zu
einer Rückerstattungspflicht gemäss Art. 678 OR führen. Nach Art. 678 Abs. 1 OR sind Aktionäre und
Mitglieder des Verwaltungsrates sowie diesen nahestehende Personen, die ungerechtfertigt und in
bösem Glauben Dividenden, Tantiemen, andere Gewinnanteile oder Bauzinse bezogen haben, zur
Rückerstattung verpflichtet. In casu können die Schwestergesellschaften als nahestehende Personen
der Verwaltungsratsmitglieder betrachtet werden, da beide VR-Mitglieder auch im Verwaltungsrat
der Schwestergesellschaften sitzen. Dass die Honorarzahlungen nicht gerechtfertigt sind, ergibt sich

14
Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2011

aus dem Sachverhalt. Schwieriger zu beurteilen ist in casu der böse Glaube. Zudem handelte es sich
nicht direkt um einen Bezug von Gewinnanteilen, sondern um eine Ausschüttung, die verschleiert im
Gewande eines Austauschgeschäftes vorgenommen wurde. Die Rückerstattung gemäss Abs. 1 ist
daher wohl zu verneinen.

Gemäss Art. 678 Abs. 2 OR sind Aktionäre und Mitglieder des Verwaltungsrates sowie diesen
nahestehende Personen auch zur Rückerstattung anderer Leistungen der Gesellschaft verpflichtet,
soweit diese in einem offensichtlichen Missverhältnis zur Gegenleistung und zur wirtschaftlichen Lage
der Gesellschaft stehen. Als erste Voraussetzung gilt das Missverhältnis zwischen Leistung und
Gegenleistung. Ein Missverhältnis als solches liegt dann vor, wenn die Nachteile des betreffenden
Geschäfts dessen Vorteile für die Gesellschaft überwiegen. Ein Missverhältnis liegt meistens vor, wenn
die Leistung einem unabhängigen, nicht nahestehenden Dritten nicht oder nicht zu den gleichen
Konditionen erbracht würde ( sog. Drittvergleich). Als zweite Voraussetzung gilt die Offensichtlichkeit
des Missverhältnisses. Das ist dann der Fall, wenn es offen zutage tritt, sodass es für jedermann, der
das Verhältnis vernünftig beurteilt, ersichtlich ist. In casu handelt es sich um vorgebliche
Management-Honorarzahlungen von 1,6 Mio. CHF, die ohne entsprechende Gegenleistung gewährt
wurden. Somit ist ein Missverhältnis gegeben. Betreffend die Frage der Offensichtlichkeit, kann
gesagt werden, dass mit gesundem Menschenverstand das Missverhältnis erkennbar ist, da die
Gegenleistung nicht nur weniger wert ist, sondern gänzlich fehlt. Dass die Zahlungen allenfalls im
Interesse des Konzerns und insbesondere auch der Darbuda Handel AG geboten waren, vermag das
offensichtliche Missverhältnis nicht aufzuheben. Alles im Konzerninteresse liegende hätte mittels
eines Darlehens (zu marktkonformen Zinsen und Sicherheiten) erfolgen können.

Der Aktionär Marco Gyr ist aktivlegitimiert. Er kann aber nur auf Leistung an die Gesellschaft klagen
(vgl. Art. 678 Abs. 3 OR). Passivlegitimiert sind in casu die VR-Mitglieder und die jeweiligen
Schwestergesellschaften. Die Verjährung von fünf Jahren gemäss Art. 678 Abs. 4 OR ist noch nicht
eingetreten. Marco Gyr kann daher eine Rückerstattungsklage einreichen.

Verantwortlichkeitsklage
Es stellt sich die Frage, ob die Verwaltungsratsmitglieder der Darbuda Handel AG eine
Pflichtverletzung begangen haben. Gemäss Art. 754 Abs. 1 OR sind die Mitglieder des
Verwaltungsrates und alle mit der Geschäftsführung oder mit der Liquidation befassten Personen
sowohl der Gesellschaft als auch den einzelnen Aktionären und Gesellschaftsgläubigern für den
Schaden verantwortlich, den sie durch absichtliche oder fahrlässige Verletzung ihrer Pflichten
verursachen.

Für eine erfolgreiche Verantwortlichkeitsklage müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:


- Es muss ein Schaden entstanden sein;
- Es muss eine Pflichtwidrigkeit bzw. Pflichtverletzung stattgefunden haben;
- Zwischen der Pflichtverletzung und dem Schaden muss ein adäquater Kausalzusammenhang
gegeben sein;
- Und die Pflichtverletzung muss schuldhaft (absichtlich oder fahrlässig) begangen worden sein;

Der Schaden wird als ein Verringern der Aktiven oder Vermehren der Passiven definiert. Durch die
fiktiven Management-Honorare wird die Darbuda Handel AG finanziell geschwächt, d.h. die Aktiven

15
Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2011

der Gesellschaft werden verringert. Die Zahlung bedeutet für die Gesellschaft einen unmittelbaren
Schaden, für die Aktionäre dagegen "nur" einen mittelbaren, weil aufgrund der Gewinnverschiebung
Gewinn und damit Dividenden entsprechend tiefer ausfallen können.

Die Pflichtwidrigkeit ergibt sich aus Art. 717 Abs. 1 OR, wonach die Mitglieder des Verwaltungsrates
sowie Dritte, die mit der Geschäftsführung befasst sind, ihre Aufgaben mit aller Sorgfalt erfüllen und
die Interessen der Gesellschaft in guten Treuen wahren müssen. Aus der Rechtsprechung ergibt sich,
dass die Konzerninteressen im Vergleich zu den Interessen der einzelnen Gesellschaften nachrangiger
Natur sind. Da mit den fiktiven Management-Honoraren die Konzerninteressen den Interessen der
Tochtergesellschaft vorgezogen wurden, verletzen die Verwaltungsratsmitglieder die Pflicht, wonach
sie die Interessen der Gesellschaft wahren müssten.

Die übrigen Voraussetzungen (Kausalzusammenhang, Verschulden) sind ohne weiteres zu bejahen,


sodass Marco Gyr mit Aussicht auf Erfolg eine Verantwortlichkeitsklage nach Art. 754 Abs. 1 OR
anstrengen kann.

Gemäss Art. 756 OR sind neben der Gesellschaft auch die einzelnen Aktionäre aktivlegitimiert. Der
Anspruch des Aktionärs geht auf Leistung an die Gesellschaft. Die Verwaltungsratsmitglieder haften
in casu gemäss Art. 759 Abs. 1 OR solidarisch. Die Verjährung ist noch nicht eingetreten (vgl. Art. 760
Abs. 1 OR).

16
2. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2011

17
Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2012

LÖSUNGSHINWEISE

Recht I A
Assessment

Frühjahr 2012

Lehrstuhl Prof. V. Roberto

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Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2012

Aufgabe 1: Vertragsentstehung (12 Punkte)

Thomas ist in der Volvo-Garage von Vera. Die folgenden Szenen spielen sich alternativ ab. Bezeich-
nen Sie auf dem Aufgabenblatt die jeweils richtige Lösung (je 3 Punkte).

a) Thomas möchte einen Volvo XC60 bestellen, sagt aber aus Zerstreuung "Volvo XC90". Da
Thomas schon die Prospekte des XC60 bei Vera bestellt hatte und auch die Offerte für den XC60
erstellt wurde, geht Vera davon aus, dass Thomas sich versprochen hatte und "Volvo XC60" sa-
gen wollte.

a. Der Vertrag ist bezüglich eines Volvos XC60 zustande gekommen und nicht anfechtbar;
b. der Vertrag ist bezüglich eines Volvos XC90 zustande gekommen und nicht anfechtbar;
c. der Vertrag ist bezüglich eines Volvos XC60 zustande gekommen, aber anfechtbar;
d. der Vertrag ist bezüglich eines Volvos XC90 zustande gekommen, aber anfechtbar;
e. der Vertrag ist nicht zustande gekommen.

b) Thomas bestellt schriftlich einen Volvo XC90 in der Ausführung KINETIC. Da Vera weiss, dass
diese Ausführung in den nächsten Monaten nicht lieferbar ist, schreibt sie Thomas zurück, sie
könne einen "Volvo XC90 in der Ausführung SUMMUM" liefern.

a. Der Vertrag ist bezüglich eines Volvos XC90 in der Ausführung KINETIC zustande ge-
kommen und nicht anfechtbar;
b. der Vertrag ist bezüglich eines Volvos XC90 in der Ausführung SUMMUM zustande ge-
kommen und nicht anfechtbar;
c. der Vertrag ist bezüglich eines Volvos XC90 in der Ausführung KINETIC zustande ge-
kommen, aber anfechtbar;
d. der Vertrag ist bezüglich eines Volvos XC90 in der Ausführung SUMMUM zustande ge-
kommen, aber anfechtbar;
e. der Vertrag ist nicht zustande gekommen.

c) Thomas bestellt telefonisch einen Volvo XC60, was Vera, in Gedanken noch beim Krimi vom
Vorabend, bestätigt. Später stellt sich heraus, dass Vera "Volvo XC90" verstanden hatte.

a. Der Vertrag ist bezüglich eines Volvos XC90 zustande gekommen und nicht anfechtbar;
b. der Vertrag ist bezüglich eines Volvos XC60 zustande gekommen und nicht anfechtbar;
c. der Vertrag ist bezüglich eines Volvos XC90 zustande gekommen, aber anfechtbar;
d. der Vertrag ist bezüglich eines Volvos XC60 zustande gekommen, aber anfechtbar;
e. der Vertrag ist nicht zustande gekommen.

d) Thomas möchte, nachdem er die verschiedenen Modelle angeschaut hat, einen Volvo XC90
bestellen, sagt aber aus Zerstreuung "Volvo XC60" und Vera versteht "Volvo XC60".

a. Der Vertrag ist bezüglich eines Volvos XC90 zustande gekommen und nicht anfechtbar;
b. der Vertrag ist bezüglich eines Volvos XC60 zustande gekommen und nicht anfechtbar
c. der Vertrag ist bezüglich eines Volvos XC90 zustande gekommen, aber anfechtbar;
d. der Vertrag ist bezüglich eines Volvos XC60 zustande gekommen, aber anfechtbar;
e. der Vertrag ist nicht zustande gekommen.

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Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2012

Aufgabe 2: Vertragsgültigkeit (20 Punkte)

Beurteilen Sie auf dem Aufgabenblatt in wenigen Worten die Gültigkeit der nachstehenden Ver-
träge.

a) Nora geht mit ihrer Kollegin Bea einen Cappuccino trinken. Dabei erwähnt Nora, dass sie gerne
ein Ferienhaus in den Bergen kaufen würde. Bea, die ein selten genutztes Ferienhaus in Davos
hat, bietet Nora den Kauf des Hauses für CHF 1.4 Mio. an. Nora ist einverstanden. Der Kauf wird
mit einem weiteren Cappuccino und einem von beiden unterzeichneten Vertrag an Ort und Stel-
le besiegelt. (4 Punkte)

Gemäss Art. 216 Abs. 1 OR sind Grundstückkaufverträge öffentlich zu beurkunden. Diese Formvor-
schrift wurde gemäss Sachverhalt nicht eingehalten. Rechtsfolge dieses Formmangels ist nach Art. 11
Abs. 2 OR die Nichtigkeit/Ungültigkeit des Rechtsgeschäfts.

b) Die 35-jährige Emma verkauft der sechzehnjährigen Caroline ihren Brilliantring für CHF 15'000.-.
Caroline zieht den Ring sofort an und verspricht Emma, am nächsten Tag das Geld vorbeizubrin-
gen. (4 Punkte)

Vertragsparteien sind zum Vertragsabschluss berechtigt, wenn sie handlungsfähig sind. Handlungsfä-
higkeit ist die Fähigkeit, durch seine Handlungen Rechte und Pflichten zu begründen (Art. 12 ZGB),
bspw. einen Kaufvertrag abzuschliessen. Die Handlungsfähigkeit setzt sich aus den Komponenten
„Urteilsfähigkeit“ und „Mündigkeit“ zusammen. Gemäss dem Sachverhalt ist Caroline urteilsfähig,
jedoch noch nicht mündig. Daher ist sie beschränkt handlungsunfähig und grundsätzlich nicht dazu
berechtigt, ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters einen Kaufvertrag abzuschliessen (Art. 19
Abs. 1 ZGB). Allerdings können unmündige Urteilsfähige unter bestimmten Voraussetzungen selbst-
ständig Rechtsgeschäfte tätigen (Vgl. hierzu Art. 323 Abs. 1 ZGB, wonach der beschränkt Handlungs-
unfähige über den Erwerb aus eigener Arbeit selbstständig verfügen darf).

c) Brigitte verkauft David ihre Wohnung für CHF 850'000.- Dem Notar geben sie als Kaufpreis CHF
650'000.- an. Einige Wochen nachdem das Grundstück im Grundbuch überschrieben und der
Kaufpreis von CHF 850'000.- bezahlt wurde, bereut David den Kauf. (4 Punkte)

Bei diesem Grundstückkauf wird nicht der vereinbarte Kaufpreis beurkundet. Die Rechtsfolgen eines
solchen Kaufs (sog. „Schwarzkaufs“) sind:
- Das beurkundete Geschäft ist wegen Simulation nichtig (Art. 18 OR), da nicht der von den Partei-
en gewollte, sondern ein fiktiver „Simulationspreis“ beurkundet wurde.
- Das vereinbarte (dissimulierte) Geschäft ist wegen Formmangels ungültig (Art. 11 Abs. 2 und Art.
216 Abs. 1 OR).
Die Berufung auf den Formmangel ist jedoch rechtsmissbräuchlich und verstösst gegen das Gebot von
Treu und Glauben, wenn der Vertrag von beiden Seiten erfüllt wurde (Art. 2 Abs. 2 ZGB). Trotz
Schwarzkauf ist Brigitte rechtmässige Eigentümerin des Grundstücks geworden (freilich drohen ihr
Straf- und Steuerfolgen).

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Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2012

d) Martin bestellt bei Sandro 200 Gramm Kokain mit einem Reinheitsgehalt von mindestens 40%
für CHF 60.-/Gramm. (4 Punkte)

Ein Vertrag ist widerrechtlich im Sinne von Art. 19 Abs. 2 und Art. 20 Abs. 1 OR, wenn er gegen zwin-
gende Gesetzesvorschriften verstösst. Mit dem „Kokaindeal“ verstossen Martin und Sandro gegen
eine Vorschrift des öffentlichen Rechts (Verbot des Drogenhandels). Rechtsfolge davon ist, dass der
Vertrag aufgrund des widerrechtlichen Inhaltes nach Art. 20 Abs. 1 OR (ex tunc) nichtig ist.

e) Peter will einmal quer über den Zürichsee rudern. Als er etwa in der Mitte des Sees angelangt
ist, springt ein grosser Fisch ins Boot, worauf Peter vor Schreck die Ruder fallen lässt, welche
rasch vom Boot weggetrieben werden. Hans, der von seinem Motorboot aus das Missgeschick
beobachtet hat, bietet Peter an, ihm die Ruder zurückzuholen, wenn Peter ihm CHF 2'500.- da-
für bezahlt. Peter willigt in den Kauf ein. (4 Punkte)

Es stellt sich die Frage, ob der Tatbestand der Übervorteilung gemäss Art. 21 Abs. 1 OR gegeben ist.
Laut Sachverhalt liegt ein offenbares Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vor, Peter
befindet sich in einer Notlage und Hans will diese Situation ausnutzen. Folglich ist der Vertrag für den
Übervorteilten (Peter) einseitig unverbindlich. Die Anfechtung muss innerhalb eines Jahres nach Ab-
schluss des Vertrages erklärt werden (Art. 31 Abs. 1 OR).

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Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2012

Aufgabe 3: Autokauf (17 Punkte)

Emil kauft im Namen von Robert einen Hyundai ix35 bei der Autogarage "TopCar" für CHF 36'000.-.

a) Robert hatte Emil gesagt, er solle einen Hyundai ix35 für nicht mehr als CHF 32'000.- erwerben.
Wie ist die Rechtslage, sofern Robert die CHF 36'000.- nicht bezahlen will bzw. er bereit ist,
diesen Preis zu bezahlen? (5 Punkte)

Es stellt sich die Frage, ob eine Stellvertretung nach Art. 32 OR vorliegt. Damit Emil Robert verpflich-
ten kann, muss zunächst ein vertretungsfreundlicher Vertrag vorliegen. Weiter ist vorausgesetzt, dass
Emil urteilsfähig ist, in Roberts Namen handelt und über eine Vertretungsbefugnis verfügt. Als prob-
lematisch erweist sich im vorliegenden Fall einzig die letzte Voraussetzung, denn Emil ist nur zum Kauf
eines Autos für CHF 32‘000.- ermächtigt. Wenn er nun das Auto für CHF 36‘000.- erwirbt, handelt er
ohne Ermächtigung, d.h. es besteht keine Vertretungsbefugnis. Aufgrund dieser Vollmachtsüber-
schreitung wird weder Robert noch Emil direkt durch den Vertragsabschluss verpflichtet. Folglich ist
der Kaufvertrag schwebend unwirksam.

Für Robert bestehen nun zwei Möglichkeiten: Einerseits kann er den Vertrag nach Art. 38 OR nach-
träglich genehmigen, wodurch er an den Kaufvertrag gebunden und demzufolge zur Zahlung von CHF
36‘000.- verpflichtet wird. Andererseits kann er eine nachträgliche Genehmigung ablehnen, wodurch
für ihn keinerlei Erfüllungspflichten entstehen.

Die „Topcar“ ihrerseits kann – im Falle einer Nichtgenehmigung – Emil auf Schadenersatz gemäss Art.
39 OR belangen. In erster Linie kann die „Topcar“ Ersatz des negativen Vertragsinteresses geltend
machen, d.h. Emil hat ihr den aus dem Dahinfallen des Vertrages erwachsenen Schaden zu ersetzen
(Art. 39 Abs. 1 OR). Trifft Emil ein Verschulden, so kann der Richter – wo es der Billigkeit entspricht –
auch Ersatz des positiven Vertragsinteresses verfügen. Diesfalls ist die „Topcar“ so zu stellen, wie
wenn der Vertrag ordentlich erfüllt worden wäre.

b) Variante 1: Robert hatte "TopCar" informiert, dass Emil für ihn ein Auto bestellen wird, ohne
nähere Angaben zur Autowahl zu machen. Robert hatte Emil gesagt, er solle einen Hyundai ix35
für nicht mehr als CHF 32'000.- erwerben. Wie ist die Rechtslage, sofern Robert die CHF 36'000.-
nicht bezahlen will bzw. er bereit ist, diesen Preis zu bezahlen? (6 Punkte)

In diesem Fall greift Art. 33 Abs. 3 OR. Demnach besteht eine Vollmacht zum Schutz gutgläubiger
Dritter insoweit, als sie der Vertretene kundgegeben hat, selbst wenn sie im Innenverhältnis nicht im
kundgegebenen Umfang besteht.

In casu hat Robert die „Topcar“ vorgängig über den Autokauf informiert, ohne jedoch Andeutungen
bezüglich einer Einschränkung der Vollmacht zu machen. „Topcar“ ist somit gutgläubig und darf da-
von ausgehen, dass Emil ermächtigt ist, den Kaufvertrag für CHF 36‘000.- abzuschliessen. Zwischen
Robert und „Topcar“ kommt also ein rechtsgültiger Vertrag zustande und Robert ist verpflichtet, die
CHF 36‘000.- zu bezahlen.

22
Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2012

Die Differenz zwischen dem von der Vollmacht noch gedeckten Maximal- sowie dem effektiven Kauf-
preis (CHF 4000.-) kann Robert gegenüber Emil gestützt auf Art. 398 i.V.m. 97 Abs. 1 OR geltend ma-
chen, da dieser den Auftrag unsorgfältig ausgeführt hat.

c) Variante 2: Kurz bevor Emil zur "TopCar" geht, teilt Robert Emil mit, er wolle nun doch kein
Auto kaufen. Emil kauft das Auto gleichwohl für CHF 32'000.-. Wie ist die Rechtslage? (6 Punkte)

Grundsätzlich kann der Vollmachtgeber (Robert) eine durch Rechtsgeschäft erteilte Ermächtigung
jederzeit beschränken oder widerrufen (Art. 34 Abs. 1 OR).

Im Falle, dass die „Topcar“ von der Vertretungsbefugnis Emils wusste, d.h. Robert ihr mitgeteilt hat,
dass Emil für ihn ein Auto bestellen wird, beurteilt sich die Situation wie folgt:
Gemäss Art. 34 Abs. 3 OR kann der Vertretene, wenn er die Vollmacht tatsächlich oder ausdrücklich
kundgegeben hat, deren gänzlichen oder teilweisen Widerruf gutgläubigen Dritten nur entgegen hal-
ten, wenn er ihnen auch diesen Widerruf mitgeteilt hat. Vorliegend lassen sich dem Sachverhalt kei-
nerlei Hinweise entnehmen, wonach Robert die „Topcar“ darüber in Kenntnis gesetzt hätte, dass er
kein Auto mehr kaufen möchte. Folglich darf die gutgläubige „Topcar“ davon ausgehen, dass Emil
bevollmächtigt ist, den Kaufvertrag über das Auto im Namen von Robert abzuschliessen. Robert ist
demnach verpflichtet, den Kaufpreis von CHF 32‘000.- zu begleichen. Da Emil entgegen dem Willen
von Robert gehandelt und damit den Auftrag unsorgfältig ausgeübt hat, kann Robert Emil nach Art.
398 OR i.V.m. Art. 97 Abs. 1 OR belangen.

Ist davon auszugehen, dass der „Topcar“ die Vertretungsbefugnis in keiner Weise bekannt war, so
gestaltet sich die Situation wie folgt:
Emil handelt ohne Ermächtigung, da Robert ihm diese entzogen hat. Aufgrund dieses Handelns ohne
Ermächtigung wird weder Robert noch Emil direkt durch den Vertragsabschluss verpflichtet. Für Ro-
bert bestehen nun wiederrum zwei Möglichkeiten: Einerseits kann er den Vertrag nach Art. 38 OR
nachträglich genehmigen, wodurch er an den Kaufvertrag gebunden und demzufolge zur Zahlung von
CHF 32‘000.- verpflichtet wird. Andererseits kann er eine nachträgliche Genehmigung ablehnen,
wodurch für ihn keinerlei Erfüllungspflichten entstehen.
Die „Topcar“ ihrerseits kann – im Falle einer Nichtgenehmigung – Emil auf Schadenersatz gemäss Art.
39 OR belangen. In erster Linie kann die „Topcar“ Ersatz des negativen Vertragsinteresses geltend
machen, d.h. Emil hat ihr den aus dem Dahinfallen des Vertrages erwachsenen Schaden zu ersetzen
(Art. 39 Abs. 1 OR). Trifft Emil ein Verschulden, so kann der Richter – wo es der Billigkeit entspricht –
auch Ersatz des positiven Vertragsinteresses verfügen. D.h. „Topcar“ ist so zu stellen, wie wenn der
Vertrag ordentlich erfüllt worden wäre.

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Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2012

Aufgabe 4: Vertragsprobleme (35 Punkte)

Prüfen Sie in den folgenden Fällen die vertraglichen Ansprüche, insbesondere die Frage, ob die
Ansprüche verjährt bzw. verwirkt sind (auf den Unterschied zwischen Verjährung und Verwirkung
müssen Sie nicht eingehen).

a) Dominik kauft im Sommer-Ausverkauf 2011 bei "obi" eine Schneefräse. An Weihnachten 2011
kommt es zum lang ersehnten Schneefall. Leider kann Dominik bloss die ersten Meter der Ein-
fahrt mit der neuen Schneefräse räumen, da der Motor aus unerklärlichen Gründen ausfällt. Am
Tag nach Weihnachten informiert er "obi". Wie ist die Rechtslage? (6 Punkte)

Dominik hat im Sommer-Ausverkauf 2011 mit „obi“ einen Kaufvertrag (Art. 184 ff. OR) über eine
Schneefräse abgeschlossen. Aufgrund des Funktionsausfalls der Schneefräse an Weihnachten 2011
stellt sich die Frage, ob er Ansprüche aus kaufvertraglicher Sachgewährleistung geltend machen
kann.

Nach Art. 197 Abs. 1 OR liegt ein Sachmangel vor, wenn zum Zeitpunkt des Gefahrenübergangs die im
Kaufvertrag zugesicherten Eigenschaften fehlen oder der Kaufgegenstand Mängel aufweist, die sei-
nen Wert oder seine Tauglichkeit zum vorausgesetzten Gebrauch aufheben oder erheblich mindern.
Gemäss Sachverhalt liegt ein Sachmangel nach Art. 197 Abs. 1 OR vor, da der Motor der Schneefräse
ausfällt. Die Tauglichkeit der Schneefräse zum vorausgesetzten Gebrauch ist durch den Mangel auf-
gehoben.

Gemäss Art. 201 Abs. 1 OR hat der Käufer eine Prüfungs- und Rügeobliegenheit. Er muss die Ware
unmittelbar nach dem Empfang prüfen und allfällige Mängel sofort anzeigen (Mängelrüge). Unter-
lässt der Käufer die Mängelrüge, gilt die Ware als genehmigt und der Käufer verliert sowohl Gewähr-
leistungs- als auch Schadenersatzansprüche.

Im vorliegend Fall kann einerseits von einem offenen Mangel (Art. 201 Abs. 1 OR) ausgegangen wer-
den. Ein offener Mangel ist ein Mangel, der bei übungsgemässer Prüfung erkennbar ist. Bei offenen
Mängeln muss der Käufer die Mängelrüge sofort, d.h. innert der handelsüblichen Fristen erheben.
Diesfalls ist der Anspruch nicht verwirkt (Art. 201 Abs. 1 OR), da die Prüfung erst beim ersten Schnee-
fall an Weihnachten 2011 („sobald nach dem üblichen Geschäftsgange tunlichst ist“) erfolgen konnte.

Andererseits kann auch ein versteckter Mangel (Art. 201 Abs. 3 OR) angenommen werden. Ein ver-
steckter Mangel ist ein Mangel, der im Zeitpunkt des Gefahrenübergangs zumindest im Keim angelegt
ist, der jedoch bei übungsgemässer Überprüfung nicht erkennbar war. Liegt ein versteckter Mangel
vor, so muss die Rüge sofort nach Entdeckung erfolgen, spätestens aber nach Ablauf eines Jahres (Art.
210 Abs. 1 OR). Dominik entdeckt den Mangel an Weihnachten 2011. Mit der Mitteilung an „obi“
einen Tag nach Weihnachten, rügt er sofort nach Entdeckung. Der Anspruch ist nicht verwirkt bzw.
verjährt (Art. 201 Abs. 2 und 3 OR sowie Art. 210 Abs. 1 OR).

24
Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2012

b) Ingrid kauft im Frühling 2010 von Nadine einen gemäss Vertrag "unfallfreien" Occasionswagen.
Nach den Sommerferien im Jahr 2011 bringt Ingrid den Wagen zum Service in eine Garage. Die-
se muss neben dem Service noch einige weitere Reparaturen vornehmen, die allesamt nur von
einer schweren Kollision herrühren können. Nach den Weihnachtsferien 2011/12 will Ingrid ihre
Ansprüche gegenüber Nadine geltend machen. Nadine wusste, dass der Wagen vor dem Ver-
kauf an Ingrid in einen schweren Unfall verwickelt war; sie selbst hatte ihn ja wieder in Stand
stellen lassen. Wie ist die Rechtslage? (10 Punkte)

Ingrid hat mit Nadine einen Kaufvertrag über einen Occasionswagen nach Art. 184 ff. OR geschlossen.
Es stellt sich die Frage, ob Ingrid als Käuferin des Occasionswagens Mängelansprüche aus der kauf-
vertraglichen Sachgewährleistung geltend machen kann.

Nach Art. 197 Abs. 1 OR liegt ein Sachmangel vor, wenn zum Zeitpunkt des Gefahrenübergangs die im
Kaufvertrag zugesicherten Eigenschaften fehlen oder der Kaufgegenstand Mängel aufweist, die sei-
nen Wert oder seine Tauglichkeit zum vorausgesetzten Gebrauch aufheben oder erheblich mindern.
Da der Occasionswagen nicht unfallfrei ist, fehlt ihm eine zugesicherte Eigenschaft. Es liegt i.c. ein
Sachmangel nach Art. 197 Abs. 1 OR vor.

Nach Art. 201 Abs. 1 OR besteht eine Prüfungs- und Rügeobliegenheit des Käufers. Bei einem ver-
steckten Mangel muss die Anzeige gemäss Art. 201 Abs. 3 OR sofort nach der Entdeckung erfolgen,
andernfalls gilt die Sache als genehmigt. Ein versteckter Mangel ist ein Mangel, der im Zeitpunkt des
Gefahrenübergangs zumindest im Keim angelegt ist, der jedoch bei übungsgemässer Überprüfung
nicht erkennbar war. Als entdeckt gilt ein Mangel erst, wenn er zweifelsfrei festgestellt wurde.

Im vorliegenden Fall wäre der Anspruch verjährt, da schon mehr als ein Jahr seit der Ablieferung an
den Käufer vergangen ist (Art. 210 Abs. 1 OR). Jedoch liegt eine absichtliche Täuschung vor, da Nadi-
ne wusste, dass der Wagen vor dem Verkauf an Ingrid in einen Unfall verwickelt und somit nicht mehr
„unfallfrei“ war. Nach Art. 203 OR findet bei absichtlicher Täuschung des Käufers durch den Verkäufer
keine Beschränkung der Gewährleistung wegen versäumter Anzeige statt. Zudem kann der Verkäufer
gemäss Art. 210 Abs. 3 OR die grundsätzlich mit Ablauf eines Jahres eintretende Verjährung nicht
geltend machen, wenn ihm eine absichtliche Täuschung des Käufers nachgewiesen wird.
Somit ist der Anspruch i.c. nicht verjährt bzw. verwirkt (vgl. Art. 210 Abs. 3 und 203 OR).

c) Eveline bestellt im März 2011 bei der Schreinerei "Holzwerk AG" eine nach ihren Wünschen
schön geschwungene Gartensitzbank. Die Holzwerk AG hat die verwendeten Bretter bei der Sä-
gerei "Säge AG" bestellt, die Schrauben beim Eisenwarenhändler "Eisen AG". Die verwendeten
Hölzer sind jedoch von minderwertiger Qualität, was die Holzwerk AG nicht wusste. Die Bank
beginnt deshalb schon im Sommer 2011 zu faulen. Im November 2011 reklamiert Eveline bei
der Holzwerk AG. Wie ist die Rechtslage? (8 Punkte)

Es handelt sich um einen Werkvertrag nach Art. 363 ff. OR, da die Bank ein Werk darstellt und der
Erfolg geschuldet ist. Es stellt sich die Frage, ob Eveline Werkmängelansprüche nach Art. 367 ff. OR
geltend machen kann.
Ein Werkmangel liegt vor, wenn zugesicherte Eigenschaften fehlen oder das Werk Mängel aufweist,
die seinen Wert oder seine Tauglichkeit zum vorausgesetzten Gebrauch aufheben oder erheblich min-

25
Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2012

dern (Art. 368 i.V.m. Art. 197 OR). I.c. liegt ein Werkmangel vor, da die Tauglichkeit zum vertragsge-
mässen Gebrauch eingeschränkt ist.

Nach Art. 367 Abs. 1 OR obliegt dem Besteller die sofortige Prüfungs- und Rügepflicht nach Abliefe-
rung des Werks. Da es sich vorliegend um einen versteckten Mangel handelt, welcher bei einer ord-
nungsgemässen Prüfung nicht entdeckt werden konnte und erst später aufgetreten ist, hat die Anzei-
ge nach Art. 370 Abs. 3 OR jedoch sofort nach deren Entdeckung zu erfolgen.
Eveline hat den Mangel nicht sofort nach Entdeckung gerügt (Art. 370 Abs. 3 OR), darum sind ihre
Mängelansprüche verwirkt (Genehmigungsfiktion: Die Mängel wurden aufgrund verpasster Rüge
genehmigt).

Bezüglich Verjährung verweist Art. 371 Abs. 1 OR auf die Verjährungsregeln des Kaufrechts. Der An-
spruch ist nicht verjährt, weil ein Jahr seit Ablieferung noch nicht verstrichen ist (Art. 210 Abs. 1 OR).
Eveline kann keine Mängelansprüche aus Werkvertrag mehr geltend machen, da der Anspruch zwar
nicht verjährt, jedoch aber verwirkt ist (Art. 371 Abs. 3 OR).

Variante 1:
Als sich Eveline im April 2012 wieder einmal auf die Bank setzt, bricht die Bank zusammen, weil
die verwendeten Schrauben einen Materialfehler haben und während des Winters durchgeros-
tet sind. Den Materialfehler kannte weder die Holzwerk AG noch die Eisen AG. Glücklicherweise
erlitt Eveline durch den Vorfall keine Verletzungen. Wie ist die Rechtslage? (5 Punkte)

Es ist wiederum zu prüfen, ob Eveline die Werkmängelansprüche geltend machen kann.


Wie vorgängig liegt ein Werkmangel vor (Art. 368 i.V.m. Art. 197 OR; Tauglichkeit zum vertragsge-
mässen Gebrauch), welcher wiederum einen versteckten Mangel darstellt und nach Art. 370 Abs. 3
OR sofort nach Entdeckung gerügt werden müsste.

Ob die Rüge rechtzeitig stattfand oder nicht ist i.c. jedoch unerheblich, da der Anspruch gemäss Art.
371 Abs. 1 i.V.m. Art. 210 Abs. 1 OR bereits verjährt ist. Bei versteckten Mängeln verjähren die Män-
gelgewährleistungsansprüche ein Jahr nach der Ablieferung. Eveline kann also keine Mängelansprü-
che mehr geltend machen (Art. 371 Abs. 1 i.V.m. Art. 210 Abs. 1 OR).

d) Carmen kauft im Januar 2010 in der Galerie "Art4U" für CHF 3.7 Mio. eine Skulptur des Künst-
lers Alberto Giacometti. Im Dezember 2011 erfährt sie, dass gegen den Inhaber von Art4U ein
Strafverfahren wegen Betrügereien läuft. Carmen lässt unmittelbar eine Expertise erstellen,
wodurch sie herausfindet, dass es sich bei der erworbenen Skulptur um eine Fälschung handelt.
Wie ist die Rechtslage? (6 Punkte)

Es handelt sich im beschriebenen Fall um einen Kaufvertrag gemäss Art. 184 ff. OR. Zu prüfen sind die
Ansprüche aus kaufrechtlicher Sachgewährleistung.

Nach Art. 197 Abs. 1 OR liegt ein Sachmangel vor, wenn zum Zeitpunkt des Gefahrenübergangs die im
Kaufvertrag zugesicherten Eigenschaften fehlen oder der Kaufgegenstand Mängel aufweist, die sei-
nen Wert oder seine Tauglichkeit zum vorausgesetzten Gebrauch aufheben oder erheblich mindern.
Vorliegend liegt ein Mangel vor, da die Echtheit der Skulptur den Wert der Kaufsache erheblich zu
beeinflussen vermag und die Echtheit als zugesichert zu verstehen ist.

26
Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2012

Nach Art. 201 Abs. 1 OR besteht eine Prüfungs- und Rügeobliegenheit des Käufers.
Bei einem versteckten Mangel muss die Anzeige gemäss Art. 201 Abs. 3 OR sofort nach der Entde-
ckung erfolgen, andernfalls gilt die Sache als genehmigt. Ein versteckter Mangel ist ein Mangel, der
im Zeitpunkt des Gefahrenübergangs zumindest im Keim angelegt ist, der jedoch bei übungsgemässer
Überprüfung nicht erkennbar ist. Als entdeckt gilt ein Mangel erst, wenn er zweifelsfrei festgestellt
wurde. Carmen lässt sofort eine Expertise erstellen, um Gewissheit über die allfällige Mangelhaf-
tigkeit zu erlangen. Liegt tatsächlich eine Fälschung vor, müsste sie den versteckten Mangel rügen.
Im vorliegenden Fall ist jedoch problematisch, dass der Anspruch bereits verjährt ist, da schon mehr
als ein Jahr seit der Ablieferung an den Käufer vergangen ist (Art. 210 Abs. 1 OR).

Erhärtet sich jedoch der Verdacht auf Betrug, dann liegt eine absichtliche Täuschung vor (Art. 210
Abs. 3; Art. 28 OR). In diesem Fall wäre der Anspruch noch nicht verjährt (vgl. Art. 210 Abs. 3 OR und
Art. 203 OR).

Ausserdem kann Carmen sich auf einen Grundlagenirrtum berufen (Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR). Dieser ist
innert einem Jahr ab Entdeckung geltend zu machen. Vorausgesetzt werden für den Grundlagenirr-
tum die folgenden Kriterien:
o Subjektive Wesentlichkeit
o Objektive Wesentlichkeit
o Erkennbarkeit

Mit Gewissheit kann Carmen den Vertrag aufgrund eines Grundlagenirrtums oder absichtlicher Täu-
schung anfechten. Allenfalls kann sie auch Sachgewährleistungsansprüche geltend machen.

27
Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2012

Aufgabe 5: Die Geburtstagsparty (36 Punkte)

Zum zwanzigsten Geburtstag organisiert Anna ein Fest für 100 Personen, welches um 17 Uhr be-
ginnt und im Saal des Restaurants Hecht stattfindet, den sie für CHF 500.- den ganzen Abend nut-
zen kann. Beim italienischen Spezialitätenladen "Ritardo" bestellt sie auf Rechnung, zahlbar inner-
halb 10 Tagen nach Lieferung, verschiedenartige Vorspeisen für CHF 2'000.-, lieferbar zwischen
13.30 und 14.30 Uhr. Bei der Konditorei Manser bestellt sie ein Dessertbuffet, wobei der Konditor-
Lehrling Konrad für den ganzen Abend am Fest anwesend sein muss, um das Vorspeisenbuffet ab-
zuräumen, das Dessertbuffet aufzubauen und die Gäste zu bewirten. Beim Feuerwerkspezialisten
Beat bestellt sie speziell für das Fest hergestellte Feuerwerkskörper, welche um Mitternacht aus
den beiden "A" des Namens "AnnA" auf einer Tortenattrappe explodieren sollen.

a) Was für Verträge hat Anna mit Ritardo, Manser und Beat abgeschlossen? Begründen Sie kurz.
(10 Punkte)

Anna hat mit Ritardo einen Kaufvertrag (Art. 184 ff. OR) abgeschlossen. Aus dem Sachverhalt geht
hervor, dass es sich um Spezialitäten aus dem Verkaufssortiment Ritardos handelte, die jedenfalls
nicht in wesentlicher Weise speziell für Anna, sondern serienmässig produziert wurden.

Anna hat mit der Konditorei Manser einen zusammengesetzten Vertrag (Vertragsverbindung) abge-
schlossen (Merkmal: Wenn mehrere grundsätzlich selbständige Verträge miteinander verbunden
werden). Dieser enthält Auftragselemente (Konrad soll das Buffet aufbauen, abräumen sowie die
Gäste bewirten) sowie kaufvertragliche Elemente (einzelne seriell herzustellende Desserts liefern).

Alternativlösung (bei korrekter Argumentation ebenfalls volle Punktzahl möglich): Anna hat mit der
Konditorei zwei Verträge oder einen Innominatvertrag (gemischten Vertrag) mit Elementen verschie-
dener gesetzlich geregelter Verträge abgeschlossen. Nämlich: Kaufvertrag (Lieferung einzelner im
wesentlichen seriell/standardmässig herzustellender Desserts) oder alternativ bei guter Begründung
Werkvertrag (Lieferung individuell, ganz nach den Bedürfnissen von Anna herzustellender Desserts)
sowie Auftrag (Arbeitsleistung in Form von Abräumen der Vorspeisen und Aufbauen des Dessertbuf-
fets sowie Bewirtung der Gäste).

Anna hat mit Beat einen Werkvertrag (Art. 363 ff. OR) abgeschlossen. Die Feuerwerkskörper sind eine
Spezialanfertigung nach den besonderen Wünschen von Anna; es ist ein Erfolg geschuldet.

b) Leider entwickelt sich das Fest wenig erfreulich. Die Vorspeisen werden bis zum vereinbarten
Zeitpunkt nicht geliefert. Um 17.15 Uhr schickt Anna deshalb Konrad zum nahe gelegenen La-
den "Tokio", um Sushi im Wert von CHF 30.- pro Person für alle Partygäste zu besorgen. Wie ist
die Rechtslage in Bezug auf die Kosten der Sushi-Bestellung? Begründen Sie Ihre Antwort.
(10 Punkte)

Es wurde eine bestimmte Liefer-/ Erfüllungszeit vereinbart, nämlich am Tag X (Annas Geburtstag)
zwischen 13.30 und 14.30 Uhr. Ritardo musste klar sein, dass die Einhaltung des Liefertermins wichtig
war und Anna und ihre Gäste nicht beliebig lang auf die Vorspeisen warten konnten und wollten. Es
handelt sich somit um ein Verfalltags- (die Leistung war bis spätestens 14.30 Uhr zu erbringen) bzw.
(relatives) Fixgeschäft (aus der Vereinbarung geht hervor, dass Anna zumindest bei einer grösseren

28
Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2012

Verspätung nicht mehr an das Geschäft gebunden sein wollte). Um 14.30 Uhr war die Lieferung damit
spätestens fällig. Der vorleistungspflichtige Ritardo geriet entsprechend dem Verfalltagscharakter des
Geschäfts gemäss Art. 102 Abs. 2 OR sogleich, ohne vorherige Mahnung, in Verzug. Um die besonde-
ren Verzugsfolgen von Art. 107 ff. OR geltend machen zu können, muss der Gläubiger dem Säumigen
grundsätzlich eine angemessene Frist zur nachträglichen Erfüllung ansetzen (Art. 107 Abs. 1 OR). Von
der Ansetzung einer solchen Nachfrist kann gemäss Art. 108 OR aber in verschiedenen Fällen abgese-
hen werden, so z.B. wenn sich aus dem Vertrag die Absicht der Parteien ergibt, dass die Leistung ge-
nau zu einer bestimmten oder bis zu einer bestimmten Zeit erfolgen soll (Ziff. 3), was hier der Fall ist.
Anna braucht somit aufgrund des Vorliegens eines relativen Fixgeschäfts (Indiz: Vorspeisen lieferbar
zwischen 13.30 und 14.30) keine Nachfrist zu setzen, denn es war ein bestimmter Zeitpunkt verein-
bart, bis zu dem spätestens zu liefern war.

Anna stehen daher nun die drei Wahlmöglichkeiten von Art. 107 Abs. 2 OR zu. Vorausgesetzt sie teilt
dies Ritardo etwa im Rahmen einer Nachfrage, wo die Speisen denn bleiben, unverzüglich mit, kann
sie sich mit Vorteil für den Verzicht auf Vertragserfüllung unter Aufrechterhaltung des Vertrages so-
wie Schadenersatz wegen Nichterfüllung (Erfüllungsschaden, sog. positives Interesse) entscheiden.
Denn diesfalls kann Anna die Preisdifferenz von CHF 1000.- (die Sushi kosten CHF 3000.-) als Schaden-
ersatz von Ritardo einfordern, dem sie diesfalls die Kosten für die Vorspeisen (CHF 2000.-) natürlich
auch nicht mehr bezahlen muss (Differenztheorie; nach der Austauschtheorie kann sie stattdessen
einen Schaden von CHF 3000.- geltend machen und diesen mit den CHF 2000.- für die ausgebliebenen
Vorspeisen verrechnen, was auf dasselbe hinausläuft). Würde sie stattdessen vom Vertrag zurücktre-
ten, könnte sie dagegen nur den Vertrauensschaden (sog. negatives Interesse) geltend machen (Er-
satz allfälliger Auslagen usw., Art. 109 Abs. 2 OR). Ritardo kann sich gegebenenfalls mittels des Exkul-
pationsbeweises von der Schadenersatzpflicht befreien.

c) Das Dessertbuffet wurde rechtzeitig geliefert und Anna hatte auch schon einen Tiramisu-Becher
leer gegessen. Im Spital stellt sich heraus, dass sie eine Salmonellenvergiftung erlitten hat. Die
Heilungskosten wegen der Vergiftung betragen CHF 2'000.- und der Verdienstausfall wegen der
zusätzlichen Tage der Arbeitsunfähigkeit CHF 3'000.- Die Ursache lag in den Eiern, welche die
Konditorei beim Bauernhof Bünzli bezieht. Aus diesem Grund lehnt die Konditorei auch jede
Haftung ab und verweist Anna an den Bauer Bünzli. Welche vertraglichen Ansprüche kann Anna
geltend machen? (16 Punkte)

Anna kann nur gegen die Konditorei Manser vertragliche Ansprüche erheben, steht sie doch nur mit
dieser, nicht aber mit dem Bauer Bünzli in einem Vertragsverhältnis. Letzterem gegenüber bestehen
allenfalls – hier nicht weiter zu untersuchende – ausservertragliche Ansprüche.

Das Dessert und insbesondere das Tiramisu ist naheliegenderweise als Kaufvertrag zu beurteilen.
Wird es als Werkvertrag aufgefasst, sind statt der kauf- die werkvertraglichen Mängelrechte
(Art. 367 ff. OR) zu prüfen. Auch hier sind grundsätzlich Wandelung oder Minderung möglich, wobei
sich Manser hier anders als beim Kaufvertrag auch bei Wandelung bezüglich sämtlicher, also auch der
unmittelbaren Mangelfolgeschäden gegebenenfalls exkulpieren kann. Nachbesserung fiele hier aus-
ser Betracht.

29
Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2012

Dass das Tiramisu lebensmittelhygienisch einwandfrei (insbes. salmonellenfrei) ist, ist eine vorausge-
setzte (konkludent zugesicherte) Eigenschaft. Die Verunreinigung mit Salmonellen stellt daher einen
rechtserheblichen Mangel dar, womit die Voraussetzungen des Sachgewährleistung (Art. 197 ff. OR)
zu prüfen sind. Der Mangel war Anna unbekannt (Art. 200 OR) und gemäss Sachverhalt gibt es auch
keine Anhaltspunkte für eine Beschränkung der Gewährspflicht (Art. 199 OR). Der Mangel war vor der
Verspeisung nicht zu erkennen, sondern erst durch die aufgetretene Erkrankung. Anna muss den ver-
steckten Mangel sofort nach dessen Entdeckung rügen (Art. 201 Abs. 3 OR). Eine Verjährung der
Rechte aus Sachgewährleistung (Art. 210 OR) ist noch nicht eingetreten.

Nach gültig erfolgter Rüge stehen Anna grundsätzlich Wandelung, Minderung (Art. 205 OR) und Er-
satzlieferung (Art. 206 OR) zur Verfügung. Ersatzlieferung macht hier keinen Sinn und wäre wohl auch
gar nicht erwünscht und Minderung fällt ausser Betracht, da der Preis wohl auf null zu mindern wäre
(vgl. Art. 205 Abs. 3 OR). Zudem wäre die Schadenersatzpflicht bei diesen beiden Möglichkeiten gene-
rell verschuldensabhängig. Anna kann aber trotz des Untergangs des Desserts (Art. 207 Abs. 1 OR)
Wandelung und Schadenersatz nach Art. 208 OR verlangen. Sie muss dabei nur zurückgeben, was
vom Dessertbuffet bzw. dem Tiramisu übriggeblieben ist und kann verschuldensunabhängig den
Kaufpreis samt Zinsen zurückverlangen bzw. muss das gewandelte Dessert nicht bezahlen (Art. 208
Abs. 2 OR). Bezüglich der Mangelfolgeschäden und deren -kosten (Heilungskosten, Verdienstausfall)
ist zu unterscheiden, ob diese unter Art. 208 Abs. 2 OR (unmittelbarer Schaden, ebenfalls verschul-
densunabhängig geschuldet) oder Art. 208 Abs. 3 OR (weiterer Schaden, Möglichkeit des Exkulpati-
onsbeweises) zu subsumieren sind. Die Grenzziehung ist umstritten, massgeblich ist die Länge der
Kausalkette, je unmittelbarer der Schaden, desto eher ist Abs. 2 anwendbar. In Bezug auf die Hei-
lungskosten kann auf unmittelbaren Schaden plädiert werden, in Bezug auf den Verdienstausfall
kommt dagegen eher Art. 208 Abs. 3 OR zur Anwendung. Manser könnte etwa ein eigenes Verschul-
den treffen, wenn er bzw. seine Angestellten wussten oder hätten wissen können und müssen, dass
die verwendeten Eier salmonellenverseucht sind oder er sie nicht sorgfältig genug behandelt hat.

30
Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2012

Aufgabe 6: Gesellschaftsrecht (30 Punkte)

Eliane Egger, Frieda Fröhlich und Gerda Gschwend sind Gesellschafterinnen der Kollektivgesell-
schaft "Egger & Co". Zweck der Gesellschaft ist die Planung und Durchführung von exklusiven Par-
ties inklusive dem passenden Catering-Service. Sie beschäftigt neben den Gesellschafterinnen noch
drei weitere Personen. Im Jahre 2010 erzielte sie einen Umsatz von CHF 1.1 Mio. und einen Rein-
gewinn von CHF 35'000.-
Im Herbst 2011 unterzeichnet Frieda Fröhlich für die Kollektivgesellschaft ohne Wissen ihrer Mitge-
sellschafterinnen einen Kaufvertrag über eine neue Kücheneinrichtung, welche alles umfasst, was
man sich nur träumen kann. Das neue Küchensystem ist ausgelegt auf ein Cateringunternehmen
mit einem Umsatz von bis zu CHF 10 Mio., verfügt über die neusten technischen Details und ist
entsprechend luxuriös und teuer. Insgesamt kostet das ganze Paket CHF 178'000.- Frieda ist über-
zeugt, dass für ihr Unternehmen nur das Beste gut genug ist; deshalb hat sie von den fünf ihr von
der Deluxe Kitchen AG offerierten Varianten die mit Abstand teuerste gewählt (die andern Offer-
ten beliefen sich auf CHF 75'000.-, CHF 88'000.- resp. CHF 106'000.-).
Als Eliane und Gerda vom Vertrag Kenntnis erhalten, sind sie entsetzt. Sie werfen Frieda vor, ohne
Absprache mit ihnen dieses viel zu teure Geschäft abgeschlossen zu haben, und lehnen es ab, dafür
geradezustehen. Der Deluxe Kitchen AG schreiben sie im Namen der Gesellschaft einen Brief, wo-
rin sie mitteilen, sie hätten das Geschäft nicht genehmigt, weshalb die Egger & Co. daraus auch
nicht verpflichtet sei.

a) Wie ist die Rechtslage zwischen der Egger & Co und der Deluxe Kitchen AG? (8 Punkte)

Diese Frage betrifft das Aussenverhältnis der Kollektivgesellschaft.


Es gilt der Grundsatz der Einzelvertretungsbefugnis sofern keine entgegenstehende Regelung getrof-
fen wurde (Art. 563 OR).
Der Umfang der Vertretungsmacht umfasst alle Rechtshandlungen, die der Zweck mit sich bringen
kann (Art. 564 OR). Die bundesgerichtliche Rechtsprechung legt den Zweckbegriff weit aus: Alles was
vom Zweck nicht geradezu ausgeschlossen ist, fällt unter den Zweck. Eine Beschränkung der Vertre-
tungsbefugnis hat gegenüber gutgläubigen Dritten keine Wirkung (Art. 564 Abs. 2 OR).
Der Kauf eines Küchensystems ist ein Rechtsgeschäft, das der Zweck dieser KG mit sich bringen kann.
Es liegt in der Natur der Sache, dass auf dem Markt unterschiedliche Produkte angeboten werden, mit
unterschiedlichen Leistungen und Preisen. Die vier offerierten Systeme sind zwar preislich sehr unter-
schiedlich, aber offenbar alle auf die Bedürfnisse der KG abgestimmt. Der Kauf der Küche fällt also
unter den Zweck der KG.

Wie erläutert gilt nach Art. 563 OR gilt der Grundsatz der Einzelvertretung, sofern das Handelsregister
keine entgegenstehende Eintragung enthält. I.c. sind dem Sachverhalt keine Hinweise auf eine solche
HR-Eintragung zu entnehmen. Folglich darf angenommen werden, dass Frieda einzelvertretungsbe-
rechtigt ist. Das Geschäft liegt damit im Rahmen der Vertretungsmacht von Frieda und der Kaufver-
trag bindet die KG (vgl. Art. 567 Abs. 1 OR).

b) Wie ist die Rechtslage zwischen Eliane, Frieda und Gerda? (8 Punkte)

Diese Frage betrifft das Innenverhältnis der Kollektivgesellschaft.

31
Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2012

Primär gilt der Gesellschaftsvertrag (Art. 557 Abs. 1 OR). Der Sachverhalt gibt keine Hinweise diesbe-
züglich. Es darf angenommen werden, dass die dispositive gesetzliche Regelung zur Anwendung
kommt: Art. 557 Abs. 2 OR verweist für die Vertretungsbefugnis im Innenverhältnis auf das Recht der
einfachen Gesellschaft, wenn Art. 558-561 OR dazu keine abweichenden Regeln enthält.

Es stellt sich die Frage, ob der Kauf des Küchensystems ein gewöhnliches (Art. 535 Abs. 1 und 2 i.V.m.
Art. 557 Abs. 2 OR) oder ein aussergewöhnliches Geschäft (Art. 535 Abs. 3 i.V.m. Art. 557 Abs. 2 OR)
darstellt:
- Für gewöhnliche Geschäfte gilt das Prinzip der Einzelgeschäftsführungsbefugnis mit Widerspruchs-
recht (Vetorecht) der übrigen Gesellschafter vor Vollendung des Geschäftsführungsaktes (Art. 535
Abs. 1 und 2 OR).
- Für aussergewöhnliche Geschäfte ist Einstimmigkeit erforderlich (Art. 535 Abs. 3 OR) resp. ein Ge-
sellschaftsbeschluss nach Art. 534 OR nötig (i.c. gibt es keine Hinweise auf eine abweichende Rege-
lung betreffend das Quorum für Gesellschaftsbeschlüsse, also ist hier Einstimmigkeit erforderlich). Ein
Geschäft kann aussergewöhnlich sein nach Art oder nach Ausmass.

Im vorliegenden Fall ist das Geschäft aussergewöhnlich nach Ausmass (Investition von CHF 178'000.-,
bei Umsatz von CHF 1.1 Mio. und Reingewinn von CHF 35'000.-). Folglich gilt im Innenverhältnis für
das Geschäft das Einstimmigkeitsprinzip. Frieda hat also mit ihrem Alleingang eine Kompetenzüber-
schreitung im Innenverhältnis begangen.

Frieda ist den übrigen Gesellschaftern gegenüber für den aus diesem Vertragsabschluss entstandenen
Schaden verantwortlich. Ausserdem kann ihr u.U. die Vertretungsmacht als Massnahme zur Ein-
schränkung der Handlungsmöglichkeiten entzogen werden (Art. 565 OR).

c) Inwiefern würde sich die Rechtslage ändern, wenn Eliane, Frieda und Gerda zusammen eine
GmbH hätten, welche in den Statuten keine Bestimmung zur Geschäftsführung hat? (8 Punkte)

Innenverhältnis: Bei der GmbH sind grundsätzlich alle Gesellschafter zur Geschäftsführung befugt,
d.h. es gilt das Prinzip der Selbstorganschaft, wobei den Gesellschaftern diese Kompetenz nicht ein-
zeln, sondern nur gemeinsam zukommt (Art. 809 Abs. 1 OR). Dies gilt, sofern die Statuten keine ent-
gegenstehenden Vereinbarungen enthalten. Gemäss Sachverhalt enthalten die Statuten keine davon
abweichende Regelung. Hat die Gesellschaft mehrere Geschäftsführer, so entscheiden diese mit der
Mehrheit der abgegebenen Stimmen, sofern die Statuten keine andere Regelung enthalten (Art. 809
Abs. 4 OR). Da Letzteres nicht der Fall ist, braucht es im Innenverhältnis somit einen Gesellschafterbe-
schluss mit einfacher Mehrheit, unabhängig davon, ob es sich um ein gewöhnliches oder ein ausser-
gewöhnliches Geschäft handelt. Dies ist ein erheblicher Unterschied zur Regelung im Kollektivgesell-
schaftsrecht, wo jeder Kollektivgesellschafter einzeln, für sich allein zur Geschäftsführung zuständig
ist. Frieda hat also mit ihrem Alleingang eine Kompetenzüberschreitung im Innenverhältnis begangen.

Aussenverhältnis: Bei einer GmbH ist jeder Geschäftsführer zur Vertretung berechtigt (dispositive
Regelung, vgl. Art. 814 Abs. 1 und 2 OR). Gemäss Sachverhalt enthalten die Statuten keine davon
abweichende Regelung. Der Umfang und die Beschränkung der Vertretungsmacht (im Gesetz steht
Vertretungsbefugnis) richtet sich nach Art. 814 Abs. 4 OR nach den Vorschriften des Aktienrechts.
Gemäss Art. 718a Abs. 1 OR können die zur Vertretung befugten Personen alle Rechtshandlungen
vornehmen, die der Zweck der Gesellschaft mit sich bringen kann. Gemäss Art. 718a Abs. 2 OR gilt das

32
Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2012

Prinzip der Einzelvertretung, sofern im Handelsregister keine gemeinsame Vertretung eingetragen ist,
was vorliegend nicht der Fall ist. Somit ist die Rechtslage in Bezug auf das Aussenverhältnis gleich wie
bei der KG.

Für Verbindlichkeiten der GmbH haftet nur das Gesellschaftsvermögen (Art. 794 OR), d.h. im Aussen-
verhältnis gegenüber Dritten ist jede persönliche Haftung der Gesellschafter ausgeschlossen (Art. 772
Abs. 1 OR).

33
Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2012

Aufgabe 7: Gesellschaftsrecht (6 Punkte)

Der Wohngenossenschaft Abendrot gehören 20 Mitglieder an. Die Statuten sehen eine Nach-
schusspflicht von CHF 7'500.- pro Mitglied vor. Walter Wacker, Verwalter der Genossenschaft, liest
in der Zeitung, dass das neben der Siedlung Abendrot gelegene Grundstück günstig zum Verkauf
steht. Wacker will diese Chance nutzen. Die Genossenschaft verfügt aber nicht über genügend li-
quide Mittel, um das Grundstück zu erwerben. Deshalb fordert Wacker die Mitglieder auf, ihrer
Nachschusspflicht innert 30 Tagen nachzukommen. Die Genossenschafterin Rita Rösli hat vor einer
Woche ihrem Enkel eine exklusive Uhr gekauft, weshalb sie nun etwas sparen muss. Rita Rösli
wendet sich nun an Sie und fragt, ob es eine Möglichkeit gibt, dass sie den Nachschuss nicht leisten
muss.

Gemäss Art. 871 Abs. 1 OR können die Statuten die Genossenschafter an Stelle oder neben der Haf-
tung zur Leistung von Nachschüssen verpflichten. Diese dürfen jedoch nur zur Deckung von Bilanzver-
lusten dienen. Vorliegend geht es um den Kauf eines Grundstücks, also nicht um die Deckung eines
Bilanzverlustes. Rita Rösli muss daher die CHF 7'500.- nicht nachschiessen.

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Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2012

Aufgabe 8: Gesellschaftsrecht (30 Punkte)

Die Generalversammlung der TurboBike AG fasst folgende Beschlüsse:

1. Das Aktienkapital wird von CHF 100’000 auf CHF 150’000 erhöht. Aktionäre, die nicht aktiv im
Unternehmen mitarbeiten, sowie Aktionäre, welche nicht dem TurboBikeRace-Verein angehören,
sind vom Bezugsrecht ausgeschlossen.

2. Um die Formalitäten zu vereinfachen, wird die Generalversammlung in Zukunft nur noch durch-
geführt, wenn ein Aktionär, der mindestens 10% der Aktien besitzt, schriftlich die Durchführung
verlangt; andernfalls gelten die vom Verwaltungsrat zusammen mit dem Geschäftsbericht den
Aktionären zugestellten Anträge als stillschweigend durch die Aktionäre bewilligt.

Unter dem Traktandum "Varia" informiert der Verwaltungsrat die an der Generalversammlung
anwesenden Aktionäre, er habe an der letzten Verwaltungsratssitzung beschlossen, den Gesell-
schaftszweck der TurboBike AG zu ändern. Neu soll nicht mehr Produktion und Vertrieb von Elekt-
rofahrrädern, sondern die Organisation und Durchführung von BMX-Rennen Hauptzweck der Ge-
sellschaft sein. Andreas findet das gar nicht gut, liest dem Verwaltungsrat in einem engagierten
Votum die Leviten und klärt diesen auf, für diesen Beschluss sei der Verwaltungsrat gar nicht zu-
ständig. Der Verwaltungsratspräsident verweist in seiner Replik in sachlichem Ton auf die unüber-
tragbaren Aufgaben des Verwaltungsrates, zu denen unter anderem die Festlegung der Strategie
und damit auch des Gesellschaftszwecks gehöre.

Fragen:

a) Andreas, Aktionär der TurboBike AG, besitzt 5% des Aktienkapitals und ist mit den Beschlüssen
der Generalversammlung nicht einverstanden. Er fragt Sie an, ob er etwas dagegen tun kann.
Was geben Sie für eine Auskunft? (15 Punkte)

Ad 1 .materiell.:
Bezugsrecht, Art. 652b Abs. 1 OR; jeder Aktionär hat Anspruch auf den Teil der neu ausgegebenen
Aktien, der seiner bisherigen Beteiligung entspricht.
Ausschluss vom Bezugsrecht nur zulässig, wenn:
ein formeller Beschluss der GV mit qualifiziertem Quorum vorliegt (Art. 704 Abs. 1 Ziff. 6 OR),
- ein wichtiger Grund (Bezugsrechtsausschluss muss sachlich begründet sein) vorliegt (Art. 652b Abs. 2
OR) und
- der Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre gewahrt wird (Ungleichbehandlung zulässig, wo
sie ein angemessenes Mittel zu einem gerechtfertigten Zweck darstellt) (Art. 652b Abs. 2 OR).

Pflicht der Aktionäre (Art. 680 OR ):


- Liberierungspflicht
- Keine Treuepflicht
In casu: Eine Ungleichbehandlung in der Gewährung des Bezugsrechts wegen Nicht-Mitarbeit im Un-
ternehmen resp. wegen Nichtangehörens zum TurboBikeRace-Verein ist daher sachlich nicht gerecht-
fertigt (0.5 Pt.), der Ausschluss vom Bezugsrecht ist gesetzwidrig.

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Lösungshinweise Recht I A - Assessment Frühjahr 2012

Ad 1 .formell.:
- Anfechtung des GV-Beschlusses beim Gericht, wenn ein solcher gegen das Gesetz oder die Statuten
verstösst, durch jeden Aktionär möglich (Art. 706 Abs. 2 Ziff. 2 OR)
- Einzuhaltende Frist: 2 Monate nach der GV (Art. 706a Abs. 1 OR)
Ad 2 .materiell.:
- Generalversammlung muss zwingend jedes Jahr stattfinden
- Nichtdurchführung wäre gesetzeswidrig: Art. 699 Abs. 2 OR

Ad 2 .formell.:
- Nichtiger Beschluss (inkl. Definition dessen, was man unter Nichtigkeit zu verstehen
hat) i.S.v. Art. 706b Ziff. 3 OR
- Nichtigkeit kann jederzeit geltend gemacht werden, man ist an keine Frist gebunden

b) Würde Ihre Antwort anders lauten, wenn Andreas 26% des Aktienkapitals besässe? Begründen
Sie! (5 Punkte)

Nein. Diese Klagen stehen jedem Aktionär zu.

c) Was halten Sie von der Argumentation des Verwaltungsratspräsidenten und von Andreas be-
treffend Zuständigkeit zur Festlegung des Gesellschaftszwecks? Kann Andreas etwas gegen den
Verwaltungsratsbeschluss unternehmen? Was raten Sie ihm? (10 Punkte)

Zuständig für die Festlegung des Gesellschaftszwecks ist zwingend die GV, denn es handelt sich um
eine Statutenänderung (Art. 698 Abs. 2 Ziff. 1 i.V.m. Art. 626 Ziff. 2, vgl. auch Art. 704 Abs. 1 OR).
Diese explizite Zuständigkeitsnorm geht der Regelung von OR 716a Abs. 1 Ziff. 1, wonach der VR für
die Oberleitung der Gesellschaft (Strategie) zuständig ist, vor.
Verwaltungsratsbeschlüsse sind zwar nicht anfechtbar. Der VR-Beschluss ist aber gemäss Art. 714
i.V.m. Art. 706b OR nichtig, da er die Grundstrukturen der AG missachtet. Andreas kann beim Gericht
auf Feststellung der Nichtigkeit klagen.

36
3. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2012

37
Assessment - Rechtswissenschaft I A (1,170)
Prüfung HS 2012
Musterlösung

Vorbemerkungen:

- Aufgaben 1, 2 und 8 waren auf dem Aufgabenblatt zu lösen.


- Aufgaben 3 bis 7 und 9 bis 11 waren auf den Prüfungsbögen (Karopapier) zu lösen.
- Die Punkteverteilung sowie die Punktezusammenzählung sollen von den Korrigieren-
den möglichst im freigelassenen Rand vorgenommen werden. Ebenso allfällige Be-
merkungen zur Korrektur.
- Die Antworten der Studierenden müssen i.d.R. begründet und – wo möglich – mit
Hinweis auf die einschlägigen Rechtsnormen versehen sein.

Aufgabe 1 – Einzelfragen (18 Punkte)

1. Aus welchen Gründen kann eine Obligation entstehen? Nennen Sie die dazu-
gehörigen Gesetzesbestimmungen. (3 Punkte)

Lösungsvariante 1 (erwartet)

• Vertrag (Art. 1 ff. OR) (1 Punkt)


• Unerlaubte Handlung (Art. 41 ff. OR) (1 Punkt)
• Ungerechtfertigte Bereicherung (Art. 62 ff. OR) (1 Punkt)

Lösungsvariante 2 (u.U. max. 1 Bonuspunkt)

• Rechtsgeschäft
o einseitig (z.B. Testament)
o zwei-/mehrseitig (Vertrag oder Beschluss) (Art. 1 ff. OR)
• Gesetz
o unerlaubte Handlung (Art. 41 ff. OR)
o ungerechtfertigte Bereicherung (Art. 62 ff. OR)
o andere Entstehungsgründe (z.B. culpa in contrahendo)

2. a) Was sind Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)? (2 Punkte)

AGB sind Vertragsbestimmungen, die im Hinblick auf eine Vielzahl von Verträgen eines be-
stimmten „Typs“ generell vorformuliert werden.

b) Nennen Sie mindestens drei Vorteile, die sich für Unternehmen durch die Verwen-
dung von AGB ergeben. (3 Punkte)

• Rationalisierungseffekt (1 Punkt)
o Begründung: Grosse Teile eines Vertrags müssen nicht mehr im Einzelnen
ausgehandelt werden.

38
• Spezialisierungseffekt (1 Punkt)
o Begründung: Das Rechtsverhältnis wird oft umfassend geregelt, weshalb we-
niger häufig auf dispositives Recht oder Lückenfüllung zurückgegriffen werden
muss.
• Risikoüberwälzung (1 Punkt)
o Begründung: Belastende Normen des dispositiven Rechts können zu Unguns-
ten des Konsumenten wegbedungen werden.

3. a) Erklären Sie den Grundsatz der Vertragsfreiheit! (2 Punkte)

• Jedermann kann frei entscheiden, ob, mit wem und mit welchem Inhalt er einen Ver-
trag abschliessen will. (1 Punkt)
• Der Grundsatz der Vertragsfreiheit ist Voraussetzung für eine freie Marktwirtschaft
und wird durch die Bundesverfassung garantiert. (1 Punkt)
o Art. 27 BV (u.U. max. 1 Bonuspunkt)

b) Nennen Sie mindestens vier Einzelfreiheiten, die den Begriff der Vertragsfreiheit
ausmachen. (4 Punkte) (u.U. max. 1 Bonuspunkt)

• Abschlussfreiheit (1 Punkt)
o Besagt, dass jeder frei ist, einen bestimmten Vertrag abzuschliessen bzw. auf
einen bestimmten Vertragsabschluss zu verzichten.
• Partnerwahlfreiheit (1 Punkt)
o Gewährt die Freiheit, den Vertragspartner frei zu wählen sowie Verträge mit
bestimmten Personen nicht abzuschliessen.
• Inhaltsfreiheit (1 Punkt)
o Gewährt die Freiheit, den Inhalt des Vertrages, also die Ausgestaltung von
Leistung und Gegenleistung sowie sämtliche anderen Bedingungen eines
Vertrags, beliebig festlegen zu können. Insbesondere müssen die Parteien
nicht einen im Besonderen Teil des OR geregelten Vertragstyp wählen, son-
dern können auch neue Vertragstypen kreieren (sog. Typenfreiheit).
 Typenfreiheit als Teilgehalt der Inhaltsfreiheit (u.U. Bonuspunkte)
• Aufhebungs- und Änderungsfreiheit (1 Punkt)
o Gewährt die Freiheit, einen abgeschlossenen Vertrag durch Vereinbarung
wieder aufzuheben oder abändern zu dürfen.
• Formfreiheit (1 Punkt)
o Bedeutet, dass Verträge grundsätzlich in beliebiger Form abgeschlossen wer-
den dürfen.

4. Worin liegt der Unterschied zwischen zwingenden und dispositiven Rechtsnormen?


(4 Punkte)

• Zwingende Rechtsnormen
o Gehen nach ihrem Wortlaut/ihrer Bedeutung vertraglichen Vereinbarungen
vor. (1 Punkt)
o Es können keine vom Gesetz abweichenden Vereinbarungen geschlossen
werden. Abweichende Vereinbarungen wären unwirksam. (1 Punkt)
• Dispositive Rechtsnormen
o Die Parteien können den betreffenden Punkt vom Gesetz abweichend regeln,
wobei dann die Parteivereinbarung vorgeht. (1 Punkt)
o Die gesetzliche Regelung kommt zur Geltung, wenn die Parteien den betref-
fenden Punkt nicht selbst geregelt haben. (1 Punkt)

39
Aufgabe 2 – Vertragsentstehung (20 Punkte)

Folgende Szenen spielen sich alternativ im Audi-Verkaufsgeschäft von Christian ab.

Beurteilen Sie direkt auf dem Aufgabenblatt in Stichworten, ob im konkreten Fall ein gültiger
und für alle Vertragsparteien verbindlicher Vertrag zustande kommt oder nicht. Geben Sie
auch die jeweils einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen an!

Variante 1:
Anton bestellt beim Autohändler Christian schriftlich einen Audi RS3-Sportback in der Aus-
führung Coupé, da ihm das Cabriolet weniger gut gefällt und es erst noch einiges teurer ist.
Da Christian weiss, dass die Ausführung Coupé in den nächsten Monaten nicht lieferbar ist,
schreibt er Anton zurück, er sei einverstanden und liefere ihm nächstens den gewünschten
„Audi RS3-Sportback in der Ausführung Cabriolet“. (4 Punkte)

Lösungsvariante 1 (erwartet):
Es ist kein Vertrag zustande gekommen, da Christian den Antrag von Anton (Ausführung
Coupé) mit einer anderslautenden Willenserklärung (Ausführung Cabriolet) retourniert. Viel-
mehr handelt es sich bei Christians Willenserklärung um einen neuen Antrag (Coupé vs.
Cabriolet als wesentlicher Vertragspunkt).

Lösungsvariante 2 (bei guter Begründung max. 2 Punkte):


Die Unterscheidung zwischen der Ausführung Coupé und der Ausführung Cabriolet kann
lediglich Inhalt eines unwesentlichen Vertragspunktes sein. Demzufolge kommt der Vertrag
trotzdem zustande (Art. 2 OR).

Variante 2:
Senta, 17-jährig, ist von dem schnittigen Ausstellungsmodell Audi RS3-Sportback derart an-
getan, dass sie mit Christian sogleich vereinbart, dieses zum Sonderpreis von CHF 50‘000.-
zu kaufen. (4 Punkte)

• Senta ist mit 17 Jahren noch nicht mündig und damit noch nicht voll handlungsfähig
(Art. 13 f. ZGB). (1 Punkt)
• Senta ist jedoch urteilsfähig (Art. 16 ZGB). Sie ist folglich beschränkt handlungsunfä-
hig. (1 Punkt)
• Möglichkeiten, dass der Vertrag mit Christian zustande kommt:
o Nachträgliche Genehmigung durch den gesetzlichen Vertreter (Art. 19 Abs. 1
ZGB) (1 Punkt)
 Bis dahin befindet sich das Rechtsgeschäft in einem Schwebezustand,
wobei Christian an den Vertrag gebunden bleibt. (max. 1 Bonuspunkt)
o Senta hat den Audi vom eigenen Lohn gekauft, womit keine Zustimmung
durch den gesetzlichen Vertreter erforderlich ist (Art. 323 Abs. 1 ZGB). (1
Punkt)

Variante 3:
Roman möchte bei Christian einen Audi S3-Sportback bestellen, spricht jedoch vor lauter
Aufregung im Rahmen des Verkaufsgesprächs die ganze Zeit von einem „Audi A6“. Per
Handschlag wird schliesslich der Kauf eines neuen Audi A6 zur Tatsache. (4 Punkte)

• Innerer Wille von Roman: Audi S3-Sportback (0,5 Punkte)


• Erklärter Wille von Roman: Audi A6 (0,5 Punkte)

40
• Roman hat seinen Willen unrichtig ausgedrückt und Christian hat den inneren Willen
von Roman nicht richtig erkannt (0,5 Punkte)
• Zwischenfazit: Es liegt kein natürlicher Konsens vor. Demzufolge ist eine Auslegung
nach dem Vertrauensprinzip erforderlich (Wie durfte und musste Christian als Erklä-
rungsempfänger und vernünftige Person die Willenserklärung verstehen?). (1 Punkt)
• Erfolgt nun die Auslegung nach dem Vertrauensprinzip, gelangt man zum Ergebnis,
dass wohl ein normativer/rechtlicher Konsens über einen Audi A6 zustande gekom-
men ist. (0,5 Punkte)
• Fazit:
o Der Vertrag kommt über einen Audi A6 zustande (1 Punkt)
 Roman kann den Vertrag allenfalls wegen eines Erklärungsirrtums an-
fechten (Art. 23 f. OR). (u.U. 0,5 Bonuspunkte)
 Unter Umständen kann Roman Christian gegenüber schadenersatz-
pflichtig werden (Art. 26 OR). (u.U. 0,5 Bonuspunkte)

Variante 4:
Doris bestellt telefonisch einen Audi S3-Sportback, was Christian, noch völlig übernächtigt
vom Formel 1 Rennen des Vorabends, bestätigt. Später stellt sich heraus, dass Christian
„Audi A3-Sportback“ verstanden hatte. (2 Punkte)

• Innerer Wille von Doris: Audi S3-Sportback (0,5 Punkte)


• Erklärter Wille von Doris: Audi S3-Sportback (0,5 Punkte)
• Doris hat ihren Willen richtig ausgedrückt, wobei Christian den inneren und richtig
ausgedrückten Willen von Doris zwar bestätigt, jedoch nicht richtig erkannt hatte. (0,5
Punkte)
• Zwischenfazit: Es liegt kein natürlicher Konsens vor. Demzufolge ist eine Auslegung
nach dem Vertrauensprinzip erforderlich (Wie durfte und musste Christian als Erklä-
rungsempfänger und vernünftige Person die Willenserklärung verstehen?). (1 Punkt)
• Erfolgt nun die Auslegung nach dem Vertrauensprinzip, gelangt man zum Ergebnis,
dass wohl ein normativer/rechtlicher Konsens über einen Audi S3-Sportback zustan-
de gekommen ist. (0,5 Punkte)
• Fazit:
o Der Vertrag kommt über einen Audi S3-Sportback zustande (1 Punkt)
 Christian kann den Vertrag allenfalls wegen eines Erklärungsirrtums
anfechten (Art. 23 f. OR). (u.U. 0,5 Bonuspunkte)
 Unter Umständen kann Christian Doris gegenüber schadenersatz-
pflichtig werden (Art. 26 OR). (u.U. 0,5 Bonuspunkte)

Variante 5:
Patrick, 18-jährig, gefällt der bei Christian ausgestellte Audi S3-Sportback derart gut, dass er
diesen unbedingt haben will. Er entscheidet sich spontan, die kürzlich geerbte Ferienwoh-
nung in Zermatt (Marktwert CHF 200‘000.-) als Gegenleistung für den Audi S3-Sportback im
Wert von CHF 50‘000.- anzubieten. Autohändler Christian, der aufgrund der bekannten Feri-
endestination ein lukratives Geschäft wittert, willigt ein und fertigt sofort einen schriftlichen
Vertrag aus, den beide unterzeichnen. (6 Punkte)

• Es stellt sich die Frage, ob ein Tauschvertrag gemäss Art. 237 f. OR zwischen Patrick
und Christian zustande gekommen ist. (1 Punkt)
• Hindernisse für das Zustandekommen:
o Formmangel (max. 2 Punkte)
 Auf den Tauschvertrag sind die Bestimmungen des Kaufvertrags an-
wendbar (Art. 237 OR).

41
 Kaufverträge, die ein Grundstück zum Gegenstand haben, bedürfen zu
ihrer Gültigkeit der öffentlichen Beurkundung (Art. 216 Abs. 1 OR).
 In casu: Patrick und Christian haben lediglich einen schriftlichen Ver-
trag (einfache Schriftlichkeit) abgeschlossen. Infolgedessen ist der
Vertrag nicht rechtsgültig zustande gekommen (Art. 657 Abs. 1 ZGB
i.V.m. Art. 11 Abs. 2 OR und Art. 216 Abs. 1 OR).
o Übervorteilung (Art. 21 OR) (max. 1,5 Punkte)
 Kumulativ zu erfüllende Voraussetzungen
• Offenbares Missverhältnis zwischen der Leistung und der Ge-
genleistung: In casu Faktor 4!
• Unerfahrenheit: In casu 18-jähriger Patrick
• Ausbeutungsabsicht: In casu „wittert Christian ein lukratives
Geschäft“
 Je nach Argumentation (max. 1,5 Punkte)
• Falls Übervorteilung bejaht wird, resultiert eine einseitige Un-
verbindlichkeit des Vertrags für Patrick daraus. Er kann bereits
Geleistetes von Christian zurückverlangen.
• Dazu ist jedoch die Geltendmachung dieses Anspruchs durch
Patrick innert Jahresfrist seit Vertragsschluss nötig.

42
Aufgabe 3 – Komplizierter Autokauf (12 Punkte)

Ist ein Vertrag zustande gekommen? Falls ja, mit wem? Beurteilen Sie sowohl den Grundfall
als auch die beiden Varianten.

Grundsachverhalt:
Reto beauftragt Beatrice, für ihn einen Mini-Cooper (Wert CHF 50‘000.-) zu kaufen. Hierfür
begibt sich Beatrice zum Autohändler Jakob. Dort angekommen sagt Beatrice zu Jakob: „Ich
möchte einen Mini-Cooper im Wert von CHF 50‘000.- kaufen.“ Jakob sagt: „Einverstanden.“
(6 Punkte)

• Voraussetzungen der direkten Stellvertretung (je 0,5 Punkte)


o Vertretungsbefugnis (Art. 32 Abs. 1 OR)
o Handeln im Namen des Vertretenen (Art. 32 Abs. 1 OR)
o vertretungsfreundlicher Vertrag
o Urteilsfähigkeit des Vertreters i.S.v. Art. 16 ZGB
• In casu: Beatrice handelt nicht im Namen von Reto (1 Punkt), sondern handelt vor-
dergründig in eigenem Namen (1 Punkt). Da es Jakob keine Rolle spielt, mit wem er
den Vertrag schliesst, kommt der Vertrag zwischen Reto und Jakob über den Mini-
Cooper zustande (Art. 32 Abs. 2 OR) (2 Punkte).

Variante 1:
Beatrice sagt zu Jakob: „Ich möchte für Reto einen Mini-Cooper im Wert von CHF 50‘000.-
kaufen.“ Jakob sagt: „Einverstanden.“ (2 Punkte)

Der Vertrag kommt zwischen Reto und Jakob über den Mini-Cooper zustande. (max. 2 Punk-
te)
Es sind alle Voraussetzungen der direkten Stellvertretung erfüllt:
• Vertretungsbefugnis von Beatrice für den Kauf eines Mini-Cooper im Wert von CHF
50‘000.- für Reto
• Handeln von Doris im Namen von Reto
• Kaufvertrag als vertretungsfreundlicher Vertrag
• Urteilsfähigkeit von Doris ist anzunehmen, da in der Aufgabenstellung keine ander-
weitigen Hinweise zu finden sind

Variante 2:
Beatrice sagt zu Jakob: „Ich möchte für Reto einen Mini-Cooper Works im Wert von CHF
65‘000.- kaufen.“ Jakob sagt: „Einverstanden.“ (4 Punkte)

Die Vertretungsbefugnis von Beatrice erstreckt sich auf einen Mini-Cooper im Wert von CHF
50‘000.- Sie hat allerdings keine Befugnis, einen Mini-Cooper Works im Wert von CHF
65‘000.- für Reto zu kaufen. Sie überschreitet damit ihre Vertretungsbefugnis (1 Punkt). Das
Rechtsgeschäft entfaltet folglich grundsätzlich keine Wirkungen für Reto (1 Punkt), es sei
denn:
• Reto genehmigt den Vertrag nachträglich, womit der Vertrag zwischen Reto und Ja-
kob über den Mini-Cooper Works doch zustande kommen kann (Art. 38 Abs. 1 OR).
(1 Punkt)
Genehmigt Reto den Vertrag nicht nachträglich, so wird Beatrice gegenüber Jakob schaden-
ersatzpflichtig (Art. 39 Abs. 1 OR). (1 Punkt)

43
Aufgabe 4 – Vertragsqualifikation (10 Punkte)

Qualifizieren Sie die folgenden Vertragsverhältnisse mit einer kurzen Begründung und unter
Angabe der einschlägigen Gesetzesbestimmungen.

1. Hanna bringt ihren Dackel Bello zum Hunde-Salon von Eva. Sie erklärt vor Ort, wie
Bello zurechtgemacht werden soll: So verlangt sie unter anderem, dass sie die pro-
minent hervorstehenden Schnauzhaare von Bello gestutzt haben möchte. Eva sagt,
dass Hanna ihren Bello in einer Stunde abholen könne. (2 Punkte)

Es wurde ein klar beurteilbarer Erfolg vereinbart, der ohne weiteres handwerklich erfüllt wer-
den kann. Der Vertrag mit einem Coiffeur wird deshalb als Werkvertrag – mit geschuldetem
Erfolg – qualifiziert (Art. 363 ff. OR)

2. Mario hat sich eine üble Grippe eingefangen. Da er nächste Woche aber unbedingt
beim wichtigen Meisterschaftsspiel seiner Fussballmannschaft mittun möchte, ruft er
seinen Arzt Wilfried zu sich nach Hause und erklärt ihm, dass er um jeden Preis bis
zum grossen Spiel vollständig gesund sein müsse. Wilfried erklärt sich einverstan-
den. (2 Punkte)

Zwischen Mario und Wilfried wurde ein Auftragsverhältnis begründet (Art. 394 ff. OR).
Wilfried verpflichtet sich, die ihm übertragenen Geschäfte im Interesse von Mario zu verrich-
ten. Geschuldet ist nicht im Sinne eines Erfolges die Heilung, sondern das sorgfältige Tätig-
werden von Wilfried im Hinblick auf die Heilung (Art. 398 Abs. 2 OR). Eine Vergütung hierfür
ist geschuldet, wenn sie verabredet oder üblich ist (Art. 394 Abs. 3 OR).

3. Konrad verliebt sich auf einem seiner Spaziergänge in ein Grundstück am Bodensee.
Nach einem Blick in das Grundbuch setzt er sich mit dem Eigentümer Egon in Ver-
bindung und bietet ihm für das besagte Grundstück zwei Millionen Franken – Egon
nimmt das Angebot an. (2 Punkte)

Konrad und Egon wollen einen Grundstückkaufvertrag abschliessen (Art. 216 ff. OR). Hat ein
Kaufvertrag jedoch ein Grundstück zum Gegenstand, so kommt er nur gültig zustande, so-
fern die Formvorschrift der öffentlichen Beurkundung eingehalten wird (Art. 216 Abs. 1 OR).
Folglich kommt in casu zwischen Konrad und Egon kein gültiger Vertrag zustande.

4. Mirko hat schon lange ein Auge auf eine seltene Rolling-Stones-CD seines Kumpels
Alfred geworfen. Als er ihm für das Unikat CHF 100.- bieten will, winkt Alfred ab – an-
statt der CHF 100.- wolle er für seine CD lieber das Woodstock-Shirt von Mirko. Mirko
erklärt sich damit einverstanden. (2 Punkte)

Zwischen Mirko und Alfred ist ein Tauschvertrag zustande gekommen (Art. 237 f. OR). Dabei
wird ein Gegenstand nicht gegen Geld, sondern gegen einen anderen Gegenstand einge-
tauscht. Auf den Tauschvertrag sind ferner die Vorschriften über den Kaufvertrag anwendbar
(Art. 237 OR).

44
5. Miriam bewirbt sich für eine Stelle als Kellnerin im Café Odeon. Beim Vorstellungsge-
spräch erklärt ihr der Besitzer des Odeon, dass sie jeweils dienstags und freitags ar-
beiten müsse und seine Anweisungen zu befolgen habe. Miriam schlägt ein. (2 Punk-
te)

Miriam hat einen Arbeitsvertrag abgeschlossen (Art. 319 ff. OR). Wichtiges Erkennungs-
merkmal eines Arbeitsvertrags ist das Unterordnungsverhältnis zwischen Arbeitgeber und
Arbeitnehmerin. Die Abgrenzungskriterien des Arbeitsvertrags zum Auftrag sind:
• Verpflichtung zu bestimmten Arbeitszeiten
• Weisungsabhängigkeit
• Verpflichtung zur Tätigkeit an einem bestimmten Arbeitsplatz
Diese Merkmale helfen u.a. bei der Feststellung eines Unterordnungsverhältnisses.

45
Aufgabe 5 – Vertragsverletzung I (15 Punkte)

Vom Galeristen G kauft die B-Bank eine wertvolle Skulptur für CHF 400‘000.-. Die Parteien
einigen sich, den Kaufpreis geheim zu halten. Als A, Angestellter des G, die Skulptur anlie-
fert, ist ein Interessent anwesend, der seinerseits der B-Bank zu einem früheren Zeitpunkt für
die Skulptur schon CHF 450‘000.- angeboten hat. Da erwähnt A den Kaufpreis von CHF
400‘000.-, worauf der Interessent sein Angebot auf CHF 420‘000.- reduziert.

Welche vertraglichen Ansprüche kann die B-Bank geltend machen?

• Zwischen Galerist G und der B-Bank wurde ein Kaufvertrag abgeschlossen (Art. 184
ff. OR). (1 Punkt)
• In Frage kommt eine Vertragsverletzung, da die vereinbarte Geheimhaltung des
Kaufpreises nicht erfolgte. (1 Punkt)
o Es liegt demnach eine nichtgehörige Erfüllung/positive Vertragsverletzung des
Vertrags vor. Anspruchsgrundlage: Schadenersatz nach Art. 97 Abs. 1 OR (2
Punkte)
o Bei der Vereinbarung zur Geheimhaltung des Kaufpreises handelt es sich um
eine vertragliche Nebenpflicht
o Verletzt wurde in casu folglich eine vertragliche Nebenpflicht (1 Punkt)
o Da die Pflichtverletzung jedoch nicht von Galerist G persönlich, sondern von
seinem Angestellten A begangen wurde, stellt sich die Frage, ob das Verhal-
ten des A dem G zurechenbar ist.
• Zu prüfen ist demnach, ob A als Hilfsperson des G tätig geworden ist und letzterer für
die Handlungen des A haftbar gemacht werden kann. Anspruchsgrundlage: Haftung
für Hilfspersonen nach Art. 101 OR (2 Punkte)
o A ist mit Wissen und Wollen von G tätig geworden. (A ist ein Angestellter von
G und wurde wohl von G zur Auslieferung der Skulptur beauftragt.) (1 Punkt)
o A wurde von G zur Erfüllung einer Schuldpflicht (Kaufvertrag, Auslieferung)
beigezogen (1 Punkt)
o A hat die Vertragsverletzung „in Ausübung seiner Verrichtungen“ verursacht,
d.h. es besteht ein funktioneller Zusammenhang zwischen der Ausübung der
Arbeitstätigkeit des A für G und der Vertragsverletzung. Auch die Hilfsperson
unterliegt hier der vertraglichen Geheimhaltungspflicht. (1 Punkt)
• Weiter ist die hypothetische Vorwerfbarkeit zu prüfen (1 Punkt)
o Die hypothetische Vorwerfbarkeit ist in casu gegeben. Denn hätte sich G
selbst nicht an die Geheimhaltungspflicht gehalten, würde er haften.
• Die Vertragsverletzung ist folglich G zuzurechnen. (1 Punkt)
• Anspruchsgrundlage der positiven Vertragsverletzung ist – wie oben bereits erwähnt
– Art. 97 OR (positive Vertragsverletzung)
o Das Verschulden wird bei diesem Tatbestand vermutet (Exkulpationsbeweis
des Schuldners bleibt möglich)
o In casu kann das Verschulden als gegeben betrachtet werden. Es erfolgt kei-
ne Exkulpation. (1 Punkt)
• Als Schaden kann in casu grundsätzlich das positive Interesse angenommen werden.
Demnach wäre der Schaden die Differenz des Ist-Zustandes zur Situation, „als ob der
Vertrag pflichtgemäss erfüllt worden wäre“. (1 Punkt)
• Der Schaden beträgt demnach CHF 30‘000.-. Die B-Bank könnte folglich vom Gale-
risten G CHF 30‘000.- als Schadenersatz verlangen. (1 Punkt)

46
Aufgabe 6 – Vertragsverletzung II (15 Punkte)

A kauft für die Neueröffnung seines Brezelstandes 500 Stück Tiefkühlbrezel bei der B-AG.
Sie vereinbaren, dass die Brezel nicht später als am 5. August 2012 geliefert werden dürfen,
da A sie unbedingt am Tage der Neueröffnung am 6. August benötigt.
Als A am Abend des 5. August 2012 die Brezel noch immer nicht erhalten hat, entscheidet er
sich dazu, die benötigten Brezel bei C zu kaufen. Dieser schafft es dann auch tatsächlich,
die langersehnte Ware bis am Morgen des 6. August 2012 zu liefern. Doch die prompte Lie-
ferung von C hat ihren Preis – A muss für die Brezel von C CHF 2‘000.- mehr bezahlen, als
dies bei Einhaltung des Liefertermins durch die B-AG der Fall gewesen wäre.
Am 7. August 2012 liefert schliesslich die B-AG die Tiefkühlbrezel. Obwohl sich A bereits
anderweitig eingedeckt hat, besteht die B-AG darauf, dass A die Ware abnimmt.

Wie ist die Rechtslage?

Lösungsvariante 1 (15 Punkte)

• Zwischen A und der B-AG ist ein Kaufvertrag gemäss Art. 184 ff. OR über 500 Stück
Tiefkühlbrezel zustande gekommen. (1 Punkt)
• In Frage kommt eine Vertragsverletzung, da vereinbart wurde, dass die Tiefkühlbre-
zel „nicht später als am 5. August 2012 geliefert werden dürfen“. (1 Punkt)
• Die B-AG liefert die Tiefkühlbrezel jedoch erst am 7. August und befindet sich somit
in Schuldnerverzug. (1 Punkt)
• Der Kaufvertrag zwischen A und B-AG wird im kaufmännischen Verkehr
abgeschlossen. (2 Punkte)
o A kauft die Brezel, um sie anschliessend weiterzuverkaufen. (Kauf zwecks
Weiterverkauf als Definition des kaufmännischen Verkehrs) (1 Punkt)
• Im kaufmännischen Verkehr wird bei Nichteinhalten eines verabredeten Liefertermins
der Verzicht des Käufers vermutet – er kann Schadenersatz wegen Nichterfüllung
verlangen (Art. 190 Abs. 1 OR). (2 Punkte)
• Möchte der Käufer an der Lieferung festhalten, so hat er dies dem Verkäufer nach
Ablauf des vereinbarten Termins unverzüglich anzuzeigen (Art. 190 Abs. 2 OR). (2
Punkte)
• Da A gegenüber der B-AG das Festhalten an der Lieferung nach dem 5. August 2012
nicht unverzüglich angezeigt hat, hätte diese davon ausgehen müssen, dass A auf
die Lieferung der Brezel verzichte. (1 Punkt)
• A muss die Ware von der B-AG am 7. August 2012 folglich nicht mehr annehmen. (1
Punkt)
• Vielmehr kann A von der B-AG die Differenz zwischen dem Kaufpreis und dem Preis,
um den er sich einen Ersatz für die nicht gelieferten Brezel erworben hat, als Scha-
denersatz verlangen (Art. 191 Abs. 1 und Abs. 2 OR). (positives Vertragsinteresse =
Differenz zwischen Ist-Zustand und Situation „als ob der Vertrag pflichtgemäss erfüllt
worden wäre“) (2 Punkte)
• A wird demnach von der B-AG die Preisdifferenz von CHF 2‘000.- (Aufpreis aufgrund
der Bestellung bei C) als Schadenersatz verlangen. (1 Punkt)

47
Lösungsvariante 2 (falls der kaufmännische Verkehr nicht erkannt wurde, max. 10
Punkte)

• Zwischen A und der B-AG ist ein Kaufvertrag gemäss Art. 184 ff. OR über 500 Stück
Tiefkühlbrezel zustande gekommen. (1 Punkt)
• In Frage kommt eine Vertragsverletzung, da vereinbart wurde, dass die Tiefkühlbre-
zel „nicht später als am 5. August 2012 geliefert werden dürfen“. (1 Punkt)
• Die B-AG liefert die Tiefkühlbrezel jedoch erst am 7. August und befindet sich somit
in Schuldnerverzug (Art. 102 f. OR). (1 Punkt)
• Es sind folglich die Voraussetzungen des Verzugs zu prüfen (Art. 102 OR) (max. 2
Punkte):
o Fälligkeit
o pflichtwidrige Nichtleistung
o Mahnung durch den Gläubiger
 In casu wurde ein bestimmter Verfalltag vereinbart (Verfalltagsge-
schäft). Daher ist keine Mahnung erforderlich (Art. 102 Abs. 2 OR).
• Grundsätzlich müsste A der sich im Verzug befindenden B-AG eine Nachfrist anset-
zen, damit ihm die Wahlrechte nach Art. 107 OR zustehen (Art. 107 Abs. 1 OR). In
casu ist eine Nachfristansetzung aber nicht erforderlich, weil die Parteien vereinbart
haben, dass die Leistung genau bis zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolgen soll (re-
latives Fixgeschäft, Art. 108 Ziff. 3 OR). (max. 1 Punkt)
• A stehen demnach folgende Wahlrechte zu (max. 2 Punkte):
o A kann entweder an der Leistung durch die B-AG festhalten, d.h. die Erfüllung
sowie den Ersatz des Verspätungsschadens verlangen (Art. 103 OR; Art. 107
Abs. 2 OR) oder
o A verzichtet auf die Leistung der B-AG.
• Verzichtet A auf die Leistung der B-AG, so stehen ihm wiederum folgende Wahlrech-
te zu (Art. 107 Abs. 2 OR) (max. 2 Punkte):
o Festhalten am Vertrag und Fordern von Ersatz für den aus der Nichterfüllung
entstandenen Schaden (Art. 107 Abs. 2 OR) (positives Vertragsinteresse =
Differenz zwischen Ist-Zustand und Situation „als ob der Vertrag pflichtge-
mäss erfüllt worden wäre“) oder
o Rücktritt vom Vertrag und Fordern von bereits Geleistetem bzw. Verweigerung
der eigenen Leistung (Art. 107 Abs. 2 OR i.V.m. Art. 109 OR) (negatives Ver-
tragsinteresse = Herstellung der Situation beim Gläubiger, „wie wenn er den
Vertrag nie geschlossen hätte“)

48
Aufgabe 7 – Kugelsichere Fensterscheiben? (30 Punkte)

Die U-Bank erteilt am 5. Oktober 2010 der X-AG den Auftrag, die alten Fenster ihrer Filiale
zu ersetzen. Da der Fensterrahmen der U-Bank mit 3x4 Metern die Standardmasse bei wei-
tem übersteigt und sie als Bank überdies spezialangefertigtes schussfestes Panzerglas be-
nötigt, werden die Scheiben von der X-AG extra für die U-Bank hergestellt.

Im Verlauf des Winters bilden sich vereinzelt kleine gräuliche Flecken auf dem Glas, die bei
näherer Betrachtung zwar unschön anzusehen sind, ansonsten aber nicht weiter stören. Die
Entfernung dieser Flecken könnte relativ kostengünstig veranlasst werden.

1. Um was für einen Vertrag handelt es sich zwischen der X-AG und der U-Bank? (5
Punkte)
2. Welche Ansprüche kann die U-Bank gegen die X-AG geltend machen? (10 Punkte)
3. Im Oktober 2012 wird die U-Bank überfallen. Mit einfachen Handfeuerwaffen zer-
schiessen die Täter zuerst die von der X-AG gelieferten Fensterscheiben, danach
räumen sie den Tresor aus und flüchten unerkannt.
Wie verändert sich die Rechtslage bei dieser Sachverhaltsvariante? (15 Punkte)

Korrekturhinweis: Massgeblich ist das neue per 1.1.2013 in Kraft getretene Gewährleis-
tungsrecht!

Lösungsvariante 1

Teilaufgabe 1.

• Zwischen der U-Bank und der X-AG ist ein Werkvertrag zustande gekommen (Art.
363 ff. OR). (2 Punkte)
o Beim Werkvertrag verpflichtet sich der Unternehmer gegenüber dem Besteller
zur entgeltlichen Herstellung eines Werkes (Art. 363 OR). Der Unternehmer
schuldet das Werk (den Arbeitserfolg), der Besteller die Vergütung. (1 Punkt)
o Im Sachverhalt sprechen folgende Hinweise für das Vorliegen eines Werkver-
trags: (2 Punkte)
 Ohne den konkreten Vertrag hätte die X-AG keine Scheiben in der Art
der von der U-Bank benötigten hergestellt (die Fensterscheiben wur-
den eigens für die U-Bank hergestellt)
 Grosser Fensterrahmen, welcher die Standardmasse bei weitem über-
steigt
 spezialangefertigtes schussfestes Panzerglas

Teilaufgabe 2.

• Im Zusammenhang mit den Flecken auf dem Glas kommen Gewährleistungsansprü-


che in Frage. (1 Punkt)
• Entsprechend müssen die Voraussetzungen der Gewährleistung geprüft werden (Art.
367 Abs. 1 OR):
o Werkmangel (1 Punkt)
 In casu liegt nur ein minder erheblicher Werkmangel vor (Flecken tre-
ten nur vereinzelt auf, sind klein und stören nicht weiter)
o Ablieferung des Werkes ist erfolgt (1 Punkt)
o Rechtzeitige Prüfung des Werks und Rüge des Mangels durch den Besteller
(1 Punkt)
 In casu liegt ein versteckter Mangel vor. Dieser muss sofort nach Ent-
deckung gerügt werden (Art. 370 Abs. 3 OR). (1 Punkt)
• Sodann müssen die Ansprüche des Bestellers abgeklärt werden (Art. 368 OR):

49
o Wandelung (Art. 368 Abs. 1 OR) (1 Punkt)
 In casu wohl nicht möglich aus folgenden zwei Gründen: (1 Punkt)
• Der Mangel ist minder erheblich (Art. 368 Abs. 2 OR)
• Errichtung des Werkes auf Grund und Boden des Bestellers
bzw. Integration in ein unbewegliches Werk / Entfernung wohl
nur mit unverhältnismässigen Nachteilen möglich (Art. 368 Abs.
3 OR)
o Minderung (Art. 368 Abs. 2 OR) (1 Punkt)
 Wäre in casu wohl möglich, sofern im Interesse der U-Bank
o Nachbesserung (Art. 368 Abs. 2 OR) (1 Punkt)
 Wäre in casu ebenfalls möglich, da keine Verursachung übermässiger
Kosten
 Die Nachbesserung wäre wohl am ehesten im Sinne der U-Bank
o Zusätzlich könnte die U-Bank gemäss Art. 368 Abs. 2 OR von der X-AG
Schadenersatz verlangen, sofern ein solcher nachweisbar eingetreten ist und
der X-AG ein Verschulden nachgewiesen werden kann. (1 Punkt)

Teilaufgabe 3.

• Im Zusammenhang mit dem Bankraub bzw. den nicht schussfesten Fensterscheiben


kommen Gewährleistungsansprüche in Frage. (1 Punkt)
• Entsprechend müssen die Voraussetzungen der Gewährleistung geprüft werden (Art.
367 Abs. 1 OR):
o Werkmangel (1 Punkt)
 In casu liegt wohl aus folgenden Gründen ein erheblicher Werkmangel
vor: (1 Punkt)
• Die Fensterscheiben weichen von der vertraglich geschuldeten
Beschaffenheit ab, da sie sich problemlos zerschiessen lassen
• Nicht kugelsichere Fensterscheiben wären ganz grundsätzlich
für eine Bank nicht zumutbar
o Ablieferung des Werkes ist erfolgt (1 Punkt)
o Rechtzeitige Prüfung des Werks und Rüge des Mangels durch den Besteller
(1 Punkt)
 In casu liegt ein versteckter Mangel vor. Dieser muss sofort nach Ent-
deckung gerügt werden (Art. 370 Abs. 3 OR). (1 Punkt)
• Sodann müssen die Ansprüche des Bestellers abgeklärt werden (Art. 368 OR):
o Wandelung (Art. 368 Abs. 1 OR) (1 Punkt)
 In casu wohl möglich. Zwar erfolgte die Errichtung des Werkes auf
Grund und Boden des Bestellers bzw. wurde in ein unbewegliches
Werk integriert, jedoch resultieren aus einer Entfernung keine unver-
hältnismässigen Nachteile mehr, wenn lediglich noch die Scherben
zusammengekehrt werden müssen (Art. 368 Abs. 3 OR). (1 Punkt)
o Minderung (Art. 368 Abs. 2 OR) (1 Punkt)
 Ist in casu wohl keine Lösung
o Nachbesserung (Art. 368 Abs. 2 OR) (1 Punkt)
 Wäre in casu wohl höchstens im Sinne einer Nachlieferung denkbar
o Zusätzlich könnte die U-Bank von der X-AG Schadenersatz für das von den
Räubern gestohlene Geld verlangen, sofern der Raub des Geldes als Mangel-
folgeschaden anerkannt wird und der X-AG der Exkulpationsbeweis nicht ge-
lingt. (1 Punkt) (Zur Annahme eines Verschuldens des Unternehmers in die-
sem Zusammenhang: vgl. BsK Art. 368 N 94 f.)
• Schliesslich ist noch die Frage der Verjährung zu prüfen:
o Bei den Fensterscheiben handelt es sich vorerst um bewegliche Werke, wel-
che jedoch bestimmungsgemäss in ein unbewegliches Werk integriert worden
sind. (1 Punkt)

50
o Infolgedessen gilt gemäss Art. 371 Abs. 1 OR die fünfjährige Verjährungsfrist.
(2 Punkte)
 Entsprechend sind die Ansprüche der U-Bank gegenüber der X-AG
noch nicht verjährt. (1 Punkt)

51
Lösungsvariante 2 (falls Kaufvertrag angenommen wird, max. 10 Punkte)

Teilaufgabe 1.

• Wird der Vertrag zwischen der U-Bank und der X-AG als Kaufvertrag qualifiziert, so
gibt es dafür keine Punkte.

Teilaufgabe 2. (max. 3 Punkte)

• Im Zusammenhang mit den Flecken auf dem Glas kommen Sachgewährleistungsan-


sprüche in Frage (Art. 197 ff. OR). (1 Punkt)
o Die Fleckenfreiheit kann wohl als vorausgesetzte Eigenschaft betrachtet wer-
den (Skript S. 119), welche eine Fensterscheibe grundsätzlich erfüllen sollte.
o Damit bei vorausgesetzten Eigenschaften ein Anspruch des Käufers auf
Sachgewährleistung entstehen kann, muss der vorliegende Mangel der Kauf-
sache ihren Wert oder ihre Tauglichkeit zum vorausgesetzten Gebrauch auf-
heben oder erheblich mindern (Art. 197 Abs. 1 OR). (1 Punkt)
 Diese Voraussetzung ist in casu wohl nicht erfüllt, da die Flecken we-
der auffällig (nur bei näherer Betrachtung unschön anzusehen) noch
ansonsten weiter störend sind und nur vereinzelt auftreten (Sachver-
halt).
 Entsprechend liegt kein Sachmangel vor und die X-AG muss keine
Sachgewährleistung gewähren. (1 Punkt)

Teilaufgabe 3. (max. 7 Punkte)

• Im Zusammenhang mit der mangelnden Schussfestigkeit der Fensterscheiben kom-


men Sachgewährleistungsansprüche in Frage (Art. 197 ff. OR). (1 Punkt)
o Die Schussfestigkeit ist in casu eine zugesicherte Eigenschaft der Fenster-
scheiben.
o Da die Räuber die Scheiben problemlos zerschiessen können, fehlt eine zu-
gesicherte Eigenschaft. Die Scheiben leiden folglich an einem Sachmangel
(Art. 197 Abs. 1 OR).
 Da die mangelnde Schussfestigkeit jedoch erst im Falle des Überfalls
zu Tage trat, handelt es sich um einen verdeckten Mangel. (1 Punkt)
• Der Mangel war zwar im Zeitpunkt des Gefahrenübergangs im
Keim angelegt, jedoch bei übungsgemässer Überprüfung für
den Käufer nicht erkennbar (Art. 201 Abs. 2 OR).
o Die U-Bank muss den verdeckten Mangel sofort nach Entdeckung bei der X-
AG rügen (Art. 201 Abs. 3 OR). (1 Punkt)
o Die U-Bank muss zudem die Gewährleistungsansprüche innerhalb der Ver-
jährungsfrist von zwei Jahren geltend machen (Art. 210 Abs. 1 OR). (1 Punkt)
 Rüge nach dem 5. Oktober 2012: Die Verjährung ist eingetreten.
 Rüge vor dem 5. Oktober 2012: Die Verjährung ist noch nicht eingetre-
ten.
• Bei Annahme, dass Sachgewährleistungsansprüche bereits verjährt sind: (max. 3
Punkte)
o Zu prüfen ist, ob unter Berufung der U-Bank auf Grundlagenirrtum etwas zu
erreichen wäre.
 Grundlagenirrtum nach Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR
• Objektive Wesentlichkeit der Schussfestigkeit der Scheiben
(nach Treu und Glauben ist Schussfestigkeit notwendige
Grundlage des Vertrages)

52
• Subjektive Wesentlichkeit (U-Bank betrachtet den Umstand,
dass die Scheiben schussfest sind, als notwendige Grundlage
des Vertrages)
• Erkennbarkeit der subjektiven Wesentlichkeit
• Bei Annahme, dass Sachgewährleistungsansprüche noch nicht verjährt sind: (max. 3
Punkte)
o Wandelung (Art. 205 Abs. 1 OR und Art. 207 f. OR)
 Eine Wandelung wäre in casu wohl möglich, weil die Schussfestigkeit
der Fensterscheiben für die U-Bank subjektiv wesentlich für den Ver-
tragsschluss war. Überdies kann die Schussfestigkeit in casu auch als
zugesicherte Eigenschaft betrachtet werden.
 Schadenersatz
• unmittelbarer Schaden: verschuldensunabhängig (Art. 208 Abs.
2 OR)
• mittelbarer Schaden: verschuldensabhängig / Exkulpations-
möglichkeit des Verkäufers (Art. 208 Abs. 3 OR)
• Geld, welches von den Räubern aus dem Tresor gestohlen
wurde: unmittelbarer oder mittelbarer Schaden?
o Minderung (Art. 205 Abs. 1 OR) und Schadenersatz (Art. 97 OR)
o Nachlieferung / Ersatzleistung (Art. 206 OR) und Schadenersatz (Art. 97 OR)
o Nachbesserung (falls vertraglich vereinbart)

53
Aufgabe 8 – Einzelfragen Gesellschaftsrecht (32 Punkte)

1. Was bedeuten die positive und die negative Publizitätswirkung des Handelsregisters?
(6 Punkte)

Positive Publizitätswirkung:
Die Einwendung, dass jemand eine gegenüber Dritten wirksam gewordene Eintragung nicht
gekannt hat, ist ausgeschlossen (Art. 933 Abs. 1 OR). Es besteht damit eine gesetzliche
Fiktion, dass jedermann die Eintragungen im Handelsregister kennt. Auf die Unkenntnis des
Registerinhaltes kann man sich deshalb nicht berufen.

Negative Publizitätswirkung:
Wurde eine Tatsache, deren Eintragung vorgeschrieben ist, nicht eingetragen, so kann sie
einem Dritten nur entgegengehalten werden, wenn bewiesen wird, dass sie diesem bekannt
war (Art. 933 Abs. 2 OR).

2. a) Was versteht man unter dem Paritätsprinzip? (2 Punkte)

Das Paritätsprinzip betrifft Aktiengesellschaften und besagt, dass jedem ihrer Organe be-
stimmte unentziehbare und unübertragbare Aufgaben zur ausschliesslichen Bearbeitung
zukommen.

b) Welches sind die Hauptregeln im Aktienrecht, die Ausfluss dieses Prinzips sind?
Nennen Sie die entsprechenden Gesetzesartikel und ihren wesentlichen Inhalt. (6
Punkte)

OR 698 Abs. 2 (für die Generalversammlung): die Festsetzung und Änderung der Statuten;
die Wahl von Verwaltungsrat und Revisionsstelle; die Genehmigung des Geschäftsbe-
richts (Jahresbericht, Jahresrechnung, Konzernrechnung), der Gewinnverwendungsbe-
schluss; die Entlastung von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung; weitere Gegenstände ge-
mäss Gesetz oder Statuten, wie bspw. Kapitalerhöhung, -herabsetzung, Sonderprüfung,
Auflösung, Fusion
OR 716a (für den Verwaltungsrat): die Oberleitung der Gesellschaft und Erteilung der nöti-
gen Weisungen (Verantwortung für die Strategie); die Organisation (Regelung seiner eige-
nen Tätigkeit, Delegation von Kompetenzen, Organisationsreglement); die Ausgestaltung
von Rechnungswesen, Finanzkontrolle und Finanzplanung; die Ernennung und Abberufung
der mit der Geschäftsführung und Vertretung betrauten Personen; die Oberaufsicht über
die Geschäftsführung (namentlich hinsichtl. Befolgung der Gesetze, Statuten, Reglemente,
Weisungen); der Geschäftsbericht, die Vorbereitung der Generalversammlung, die Ausfüh-
rung ihrer Beschlüsse; Benachrichtigung des Richters im Fall der Überschuldung
Oder auch: Die „vier S“: Strategies (Oberleitung); Systems (Festlegung von Organisation,
Rechnungswesen, Finanzkontrolle, Finanzaufsicht); Staff (Ernennung und Abberufung der
mit der Geschäftsführung und Vertretung betrauten Personen); Supervision (Oberaufsicht)
OR 728a (bei ordentlicher Revision) bzw. OR 729a (bei eingeschränkter Revision) (für
die Revisionsstelle): Prüfung von Jahresrechnung, gegebenenfalls Konzernrechnung, Ge-
winnverwendungsantrag und Existenz des internen Kontrollsystems (Letzteres nur bei or-
dentlicher Revision).

54
3. a) Was versteht man unter der sog. Vinkulierung? (3 Punkte)

Vinkulierung ist die Beschränkung der freien Veräusserlichkeit von Namenaktien (es gibt
sie nicht bei Inhaberaktien).

b) Können Namenaktien bei nicht-börsenkotierten Gesellschaften vinkuliert werden?


Erläutern Sie. (5 Punkte)

Eine Vinkulierung ist möglich durch die Statuten, OR 685b Abs. 1. Voraussetzung ist das
Vorliegen eines wichtigen Grundes (der in den Statuten genannt sein muss), im Hinblick
auf Zweck oder Selbständigkeit des Unternehmens. An dessen Stelle kann auch ein Über-
nahmeangebot zum wirklichen Wert stehen („Escape Clause“).

4. a) Was ist ein partiarisches Rechtsgeschäft? (2 Punkte)

Ein Vertrag, und zwar ein zweiseitiger Schuldvertrag (Austauschvertrag, synallagmatischer


Vertrag), bei dem das Entgelt einer Partei abhängig vom Erfolg der andern ist (sog. aleato-
rische Vergütung); wodurch ein gemeinsames Interesse am Erfolg (Gewinn) begründet
wird.

b) Welches ist das zentrale Abgrenzungskriterium zwischen partiarischem


Rechtsgeschäft und Gesellschaft? (2 Punkte)

Gegenüber der Gesellschaft fehlt es aber am animus societatis (Bereitschaft bzw. Streben
der Parteien zum Erreichen eines gemeinsamen Zwecks; „Wille zur Gemeinschaftsbil-
dung“)

5. Was versteht man im Gesellschaftsrecht unter dem sog. Durchgriff? (6 Punkte)


(BGE 113 II 31)

Bei juristischen Personen gilt der Grundsatz, dass ihre rechtliche Selbständigkeit als Rechts-
subjekt stets zu beachten ist (ihre Trennung von ihren Gesellschaftern, Mitgliedern, Inhabern
usw.). Anders gesagt, die juristische Person haftet grundsätzlich selbst und allein für ihre
Verbindlichkeiten, es haften nicht auch ihre Mitglieder/Gesellschafter/Inhaber).
Wenn die Verwendung der juristischen Person (ihre Ausgestaltung, die Berufung auf ihre
rechtliche Selbständigkeit) rechtsmissbräuchlich ist, dann haftet auch der Gesellschafter (o-
der die Mitglieder, Inhaber usw., allgemein, die Personen, die „hinter“ der Gesellschaft ste-
hen und diese so missbrauchen) für die Verpflichtung aus den Verbindlichkeiten der Gesell-
schaft.

55
Aufgabe 9 – Der vermögende Anton (8 Punkte)

Kommanditär Anton haftet gemäss Handelsregistereintrag für eine Kommanditsumme von


CHF 350'000. Fünf Jahre nach der Gründung fällt die Kommanditgesellschaft in Konkurs. Die
Gläubiger der Kommanditgesellschaft freuen sich darauf, dass sie für ihren Forderungsaus-
fall im Konkurs der Gesellschaft auf den vermögenden Anton greifen können.
Ist ihre Freude berechtigt?

Hinsichtlich des Haftungsumfangs gegenüber den Gläubigern ist allein die im Handelsregis-
ter eingetragene Kommanditsumme massgebend (1 Punkt). Sie ist nicht mit der Kommandit-
einlage gleichzusetzen (1 Punkt), die ausschliesslich das Innenverhältnis betrifft (1 Punkt).
Die Kommanditsumme hingegen wird ins Handelsregister eingetragen (Art. 41 Abs. 2 lit. g
HRegV) (1 Punkt) und hat Wirkung im Aussenverhältnis (1 Punkt). Die geleistete Kommandi-
teinlage hat nur insofern Bedeutung für die Haftung im Aussenverhältnis, als Letztere im Um-
fang der bereits erbrachten Einlage entfällt (1 Punkt). Wenn also Kommanditär Anton seine
Kommanditeinlage im Betrag von 350‘000 bereits geleistet hat, kann nicht auf weiteres Ver-
mögen von Anton gegriffen werden (2 Punkte).

56
Aufgabe 10 – Skyfall AG (12 Punkte)

Kommentieren Sie die folgenden Statutenbestimmungen der börsenkotierten Skyfall AG,


insbesondere im Hinblick auf deren Gültigkeit.

a) Die Aktionäre sind verpflichtet, die Interessen der Gesellschaft mit aller Sorgfalt zu
wahren und alles zu unterlassen, was der Gesellschaft Schaden zufügen könnte. (4
Punkte)

• Gemäss Art. 680 Abs. 1 OR hat der Aktionär nur eine einzige Pflicht, nämlich die
Liberierung der von ihm gezeichneten Aktien. (2 Punkte) Die statutarische Auferle-
gung weiterer Pflichten ist unzulässig. (1 Punkt)
• Als Gegengewicht findet das Informationsrecht des Aktionärs über die Angelegenhei-
ten der AG seine Schranken an den entgegenstehenden (Geheimhaltungs-
)Interessen der AG (Art. 697 Abs. 2 OR) (1 Punkt)

b) Für Entscheide über den Kauf von Grundstücken im Ausland muss der Verwaltungs-
rat die Zustimmung der Generalversammlung einholen. (4 Punkte)

• Unzulässig. (2 Punkte)
• Paritätsprinzip: (1 Punkt) Jedem Organ sind von Gesetzes wegen bestimmte unent-
ziehbare und unübertragbare Aufgaben zugewiesen. (1 Punkt)
• Vgl. Aufgaben des Verwaltungsrates gemäss Art. 716a OR.

c) Jeder Verwaltungsrat ist einzeln zur Vertretung der Gesellschaft befugt. Die Verwal-
tungsräte können im Namen der Gesellschaft alle Rechtshandlungen vornehmen, die
zum gewöhnlichen Betrieb der gemeinschaftlichen Geschäfte gehören. (4 Punkte)

• Satz 1 zulässig. (1 Punkt) Gemäss Art. 718 Abs. 1 OR vertritt der Verwaltungsrat die
Gesellschaft nach aussen. Bestimmen die Statuten oder das Organisationsreglement
nichts anderes, so steht die Vertretungsbefugnis jedem Mitglied einzeln zu – Wieder-
holung des Gesetzes! (1 Punkt)
• Satz 2 unzulässig. (1 Punkt) Die Verwaltungsräte können im Namen der Gesellschaft
alle Rechtshandlungen vornehmen, die der Zweck mit sich bringen kann. Art. 718a
OR ist zwingend. (1 Punkt)

57
Aufgabe 11 – Jahresbilanz der Xemmaxx AG (8 Punkte)

Die letzte Jahresbilanz der Xemmaxx AG enthält folgende Bilanzpositionen (alles CHF):
Anlagevermögen 30‘000, Umlaufvermögen 30‘000, Verlustvortrag 130'000, Fremdkapital
55‘000, Aktienkapital 100‘000, Gesetzliche Reserve 40‘000.
Welche Massnahmen hat der Verwaltungsrat zu ergreifen?

1. Kapitalverlust? (1 Punkt) - Kapitalverlust ist eingetreten, wenn die Hälfte von Aktienkapital
und gesetzlicher Reserve nicht mehr durch Aktiven gedeckt sind, der Tatbestand von
Art. 725 Abs. 1 OR. (1 Punkt)
In casu – ja (1 Punkt): 60‘000 Aktiven decken nicht die erforderlichen 70'000 (Aktienkapital +
gesetzliche Reserve = 140‘000, davon ½). - Regelung, Art. 725 Abs. 1: Generalversamm-
lung; Sanierungsmassnahmen beantragen (1 Punkt)

2. Beobachtung der weiteren Entwicklung seit der letzten Jahresbilanz  Überschuldung


(Art. 725 Abs. 2)? - Überschuldung: Fremdkapital ist nicht mehr durch Aktiven gedeckt. (1
Punkt)
- In casu: Deckung knapp (55'000 Fremdkapital bei 60'000 Aktiven):  es besteht begründe-
te Besorgnis einer Überschuldung. (1 Punkt)  Folge, Art. 725 Abs. 2: Zwischenbilanz zu
Fortführungs- und Veräusserungswerten zu erstellen, Prüfung durch Revisionsstelle, 
ergibt sich aus der Zwischenbilanz, dass die Forderungen der Gläubiger weder zu Fortfüh-
rungs- noch zu Veräusserungswerten gedeckt sind, so hat der Verwaltungsrat den Richter zu
benachrichtigen, sofern nicht Gesellschaftsgläubiger im Ausmass der Unterdeckung im Rang
hinter alle anderen Gesellschaftsgläubiger zurücktreten. (1 Punkt) Ist das nicht der Fall, so
eröffnet der Richter auf die Benachrichtigung hin grundsätzlich den Konkurs, Art. 725a
Abs. 1 Satz 1. (1 Punkt)

58
4. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2013

59
MUSTERLÖSUNG
EINFÜHRUNG INS PRIVATRECHT
HERBSTSEMESTER 2013

Prüfungseinsicht vom 13. März 2014

60
TEIL I – OR ALLGEMEINER UND BESONDERER TEIL

Vertragsentstehung (16 Punkte)

1.1 Thierry bestellt die Erstauflage (1970) des Heftes «Tim und Struppi – Der Sonnentempel», was
Sven – in Gedanken schon bei der nächsten Comicmesse – bestätigt. Später stellt sich heraus,
dass Sven die neue Auflage (2010) verstanden hatte.
Wählen Sie die richtige Lösung aus und begründen Sie Ihre Antwort. (4 Punkte)
☐ Der Vertrag ist nicht zustande gekommen.
☒ Der Vertrag ist bezüglich der Erstauflage zustande gekommen, aber anfechtbar.
☐ Der Vertrag ist bezüglich der neuen Auflage zustande gekommen, aber anfechtbar.

Der zustande gekommene (normative) Konsens bezog sich auf die alte Auflage des Heftes.

Da die Bedeutung des Erklärten nicht dem Willen des Erklärenden entspricht, liegt ein Erklä-
rungsirrtum vor und der Vertrag kann nach Art. 24 Abs. 1 Ziff. 2 OR angefochten werden.

1.2 Thierry möchte das neuste «Tim und Struppi»-Heft bestellen, sagt aber aus Versehen «das
neuste ‹Donald Duck›». Da Thierry immer «Tim und Struppi»-Hefte bestellt, geht Sven davon
aus, dass Thierry sich versprochen hatte und «Tim und Struppi» sagen wollte.
Wählen Sie die richtige Lösung aus und begründen Sie Ihre Antwort. (4 Punkte)
☐ Der Vertrag ist nicht zustande gekommen.
☒ Der Vertrag ist bezüglich dem neusten «Tim und Struppi»-Heft zustande gekommen.
☐ Der Vertrag ist bezüglich dem neusten «Donald Duck»-Heft zustande gekommen.

Der Wille beider Parteien bezieht sich auf das «Tim und Struppi»-Heft, womit (natürlicher)
Konsens vorliegt und ein Vertrag zustande kommen ist.

Die falsche Bezeichnung hindert das Zustandekommen nicht (Art. 18 Abs. 1 OR).

1.3 Thierry ist im Comicladen von Sven. Er bestellt ein Exemplar «Tim und Struppi – Die Juwelen
der Sängerin», da Sven dieses Heft nicht mehr im Lager hat, bietet er Thierry den Kauf des Hef-
tes «Tim und Struppi – Der geheimnisvolle Stern» an.
Wählen Sie die richtige Lösung aus und begründen Sie Ihre Antwort. (4 Punkte)
☒ Der Vertrag ist nicht zustande gekommen.
☐ Der Vertrag ist bezüglich des Heftes «Tim und Struppi – Die Juwelen der Sängerin» zustan-
de gekommen, aber anfechtbar.
☐ Der Vertrag ist bezüglich des Heftes «Tim und Struppi – Der geheimnisvolle Stern» zustan-
de gekommen, aber anfechtbar.

Der Wille von Thierry bezieht sich auf das Heft «Tim und Struppi – Die Juwelen der Sängerin»
und der Wille von Sven auf das Heft «Tim und Struppi – Der geheimnisvolle Stern». Somit liegt
kein Konsens vor.

Der Vertrag ist nicht zustande gekommen.

Vielmehr handelt es sich bei Svens Willenserklärung um einen neuen Antrag.

1.4 Thierry möchte das neuste «Tim und Struppi»-Heft bestellen, sagt aber aus Versehen «das
neuste ‹Donald Duck›». Sven liefert das neuste «Donald Duck».

61
Wählen Sie die richtige Lösung aus und begründen Sie Ihre Antwort. (4 Punkte)
☐ Der Vertrag ist nicht zustande gekommen.
☐ Der Vertrag ist bezüglich dem neusten «Tim und Struppi»-Heft zustande gekommen, aber
anfechtbar.
☒ Der Vertrag ist bezüglich dem neusten «Donald Duck»-Heft zustande gekommen, aber an-
fechtbar.

Wenn der wirkliche Wille des Erklärenden von dem Erklärten abweicht und der Erklärungs-
empfänger dies bei der gebotenen Sorgfalt nicht erkennen konnte, kommt das Vertrauensprin-
zip zur Anwendung. Danach gilt die Willenserklärung, wie sie eine vernünftige Person als Er-
klärungsempfänger nach Treu und Glauben verstehen durfte und musste. Sven durfte die Wil-
lenserklärung so verstehen, wie sie von Thierry abgegeben wurde.

Da die Bedeutung des Erklärten nicht dem Willen des Erklärenden entspricht, liegt ein Erklä-
rungsirrtum vor und der Vertrag kann nach Art. 24 Abs. 1 Ziff. 2 OR angefochten werden.

62
Allgemeine Fragen zum Privatrecht (10 Punkte)

Bitte beginnen Sie Aufgabe 2 auf einer neuen Seite!

2.1 Wie unterscheiden sich relative von absoluten Rechten? (4 Punkte)

Relative Rechte (z.B. eine Obligation) berechtigen und verpflichten nur diejenigen Personen,
welche an dem jeweiligen Rechtsgeschäft beteiligt sind.

Absolute Rechte wirken gegen alle (erga omnes). Sie verschaffen dem Berechtigten eine aus-
schließliche, rechtlich geschützte Herrschaft über einen bestimmten Bereich, die von jedermann
zu respektieren ist.

In anderen Worten: Obligatorische (relative) Rechte «kleben» an der Person, absolute Rechte
«kleben» an der Sache.

2.2 Irma Müller wohnt im Sommer im sonnigen Kanton Tessin und im Winter in St. Gallen. Wo hat
sie ihren Wohnsitz? Nach welchen Kriterien kann diese Frage beurteilt werden? (6 Punkte)

Der Wohnsitz bestimmt sich nach zwei Komponenten (objektive Komponente: physischer Auf-
enthalt; subjektive Komponente: Absicht dauernden Verbleibs). Beide müssen gegen aussen in
Erscheinung treten und für Dritte erkennbar sein. Die tatsächliche Absicht einer Person ist nicht
massgebend für die Bestimmung des Wohnsitzes, sondern was die Umwelt als «Mittelpunkt
der Lebensbeziehungen» jener Person zu erkennen glaubt.

Kriterien sind (wobei das Gesamtbild entscheidend ist):

• Selbstzweck des Aufenthaltes an einem bestimmten Ort;


• Besitz einer geeigneten Wohngelegenheit;
• regelmässige Rückkehr dorthin
• Angehörige oder Freunde
• Verkehr mit den Behörden

Für die Bestimmung des Wohnsitzes von Irma Müller gibt der Sachverhalt zu wenig her.

Bemerkung: Jede Person muss einen Wohnsitz haben (Art. 23 Abs. 1 ZGB); jede Person hat aus-
schliesslich einen Wohnsitz (Art. 23 Abs. 2 ZGB) (Notwendigkeit und Ausschliesslichkeit des
Wohnsitzes).

63
Allgemeine Fragen zum Vertragsrecht (14 Punkte)

Bitte beginnen Sie Aufgabe 3 auf einer neuen Seite!

3.1 Erläutern Sie die grundsätzlichen Merkmale, in welchen sich Arbeits-, Werkvertrag und Auf-
trag voneinander unterscheiden? (8 Punkte)

Arbeitsvertrag Auftrag Werkvertrag

Geschuldete Leistung sorgfältiges Tätigwerden sorgfältiges Tä- Erfolg


tigwerden

Subordination starkes Weisungsrecht typischerweise typischerweise


sowie Treue- & Fürsor- keine keine
gepflicht

Persönliche Leistung zwingend vertragsabhängig typischerweise


(z.B. Anwalt ja, nicht
Spital nein)

3.2 Was verstehen Sie im Zusammenhang mit der Kontrolle von AGB unter «Ungewöhnlichkeits-
regel» und was unter «Vorrang der Individualabrede»? (6 Punkte)

Ungewöhnlichkeitsregel:

In der Praxis erfolgt meistens eine Globalübernahme der AGB, d.h. eine Vertragspartei erklärt
ihre Zustimmung zu den AGB der anderen Vertragspartei, ohne tatsächlich von ihrem Inhalt
Kenntnis genommen zu haben. Bei der Globalübernahme kommt die Ungewöhnlichkeitsregel
zum Zug.

Demnach ist eine AGB-Bestimmung ungültig, wenn es sich um eine ungewöhnliche, überra-
schende Bestimmung handelt, mit der die Gegenpartei zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses
nicht rechnen musste und auf die der geschäftsunerfahrene Kunde nicht besonders hingewie-
sen worden ist. Eine solche ungewöhnliche Klausel wird nicht Teil der übereinstimmenden
Willenserklärung bzw. des Vertrags.

Von der Ungewöhnlichkeitsregel erfasst sind insbesondere geschäftsfremde Klauseln, die zu


einer wesentlichen Änderung des Vertragscharakters oder -typs führen.

(BGE 135 III 225 E. 1.3: «Von der global erklärten Zustimmung zu allgemeinen Vertragsbedin-
gungen sind indessen alle ungewöhnlichen Klauseln ausgenommen, auf deren Vorhandensein
die schwächere oder weniger geschäftserfahrene Partei nicht gesondert aufmerksam gemacht
worden ist, da davon auszugehen ist, dass ein unerfahrener Vertragspartner ungewöhnlichen
Klauseln, die zu einer wesentlichen Änderung des Vertragscharakters führen oder in erhebli-
chem Masse aus dem gesetzlichen Rahmen des Vertragstypus fallen, nicht zustimmt. Je stärker
eine Klausel die Rechtsstellung des Vertragspartners beeinträchtigt, desto eher ist sie als un-
gewöhnlich zu qualifizieren.»)

64
Vorrang der Individualabrede:

Bei einem Widerspruch zwischen ausgehandelten Vertragsklauseln (oder besonderen mündli-


chen Abreden) und den AGB gelten die individuell ausgehandelten Bestimmungen.

65
Die Renovation (80 Punkte)

Bitte beginnen Sie jede Teilaufgabe der Aufgabe 4 auf einer neuen Seite!

Albert beauftragt die Generalunternehmung Schnell AG im März 2013 mit der Renovation seines
Hauses. Die Umbauarbeiten umfassen die Privatwohnung und die Büroräumlichkeiten im Unterge-
schoss. Um die notwendigen Umbaubewilligungen hat sich die Bauanwältin Beatrice gekümmert. Das
Verlegen der Fliesen delegiert die Schnell AG an die Plättli AG. Während der Renovation lagert Albert
seine Möbel in einem eigenen Raum der BoxSystem AG, welchen er für CHF 800/Monat mietet und
mit einem Schloss absichert, damit sich niemand an seinen Möbeln zu schaffen machen kann. Dieses
Schloss erwirbt er bei der Schloss-und-Riegel-AG.

Bereits im Winter 2013/14 bemerkt Albert, dass etliche Fliesen lose sind. Es stellt sich heraus, dass
Bodenleger Christof von der Plättli AG die Fliesen mit dem falschen Fliesenkleber verlegte. Die Plättli
AG ist zwar bereit, die losen Fliesen nochmals zu befestigen; Albert müsste aber eine Woche auszie-
hen und im Hotel Central (mit Vollpension) wohnen, was ihn CHF 250/Tag kosten würde. Weil auch
das Büro in dieser Zeit nicht benutzbar wäre, würde er nachweisbar einen Erwerbsausfall von CHF
11'000 erleiden.

4.1 Welche Vertragsbeziehungen bestehen zwischen den genannten Beteiligten? Wo finden sich die
anwendbaren Gesetzesbestimmungen? (16 Punkte)

Albert – Schnell AG: Werkvertrag (Art. 363 ff. OR)

Schnell AG – Plättli AG: Werkvertrag (Art. 363 ff. OR)

Albert – Beatrice: Auftrag (Art. 394 ff. OR)

Albert – BoxSystem AG: Mietvertrag (Art. 253 ff. OR)

Albert – Schloss-und-Riegel AG: Kauf (Art. 184 ff. OR)

Albert – Hotel Central: Innominatvertrag/Gastaufnahmevertrag (ggf. analog Art. 253 ff. OR)

4.2 Welche vertraglichen Ansprüche kann Albert aufgrund der losen Fliesen geltend machen? Re-
gressansprüche und ausservertragliche Ansprüche können ausser Acht gelassen werden.
(12 Punkte)

Vertragsverhältnis Albert – Schnell AG ist massgebend: Werkvertrag (Art. 363 ff. OR)

Es ist zu prüfen, ob eine Gewährleistungspflicht der Schnell AG nach Art. 367 ff. vorliegt.

Werkmangel: Liegt vor, wenn Werk nach Verkehrsauffassung fehlerhaft ist oder von der ver-
traglich geschuldeten Beschaffenheit abweicht (Art. 368 Abs. 1 und 2 OR). Da sich vorliegend
die Fliesen aufgrund der falschen Verklebung gelöst haben, liegt ein Werkmangel vor.

Ablieferung des Werks: Der Unternehmer muss das Werk nach Fertigstellung abliefern. Vor der
Ablieferung haftet der Unternehmer nach Art. 97 OR. Die Ablieferung setzt die Vollendung des
Werks voraus. Vorliegend wurden die Arbeiten der Schnell AG abgeschlossen, das Werk gilt
als vollendet.

Prüf- und Rügeobliegenheit: Prüfung des Werks sobald es nach dem üblichen Geschäftsgang
tunlich ist und den Unternehmer von den Mängeln sofort in Kenntnis setzen, ansonsten die
Mängelrechte verfallen (Art. 367 Abs. 1 OR). Beim vorliegenden Mangel handelt es sich um ei-

66
nen versteckten Mangel (Art. 370 Abs. 1). Für Albert war es zum Zeitpunkt der Fertigstellung
nicht erkennbar (auch bei ordnungsgemässer Prüfung nicht), dass die Fliesen nicht richtig ge-
klebt worden sind und sich aufgrund dessen lösten. Versteckte Mängel sind sofort nach ihrer
Entdeckung zu rügen (Art. 370 Abs. 3 OR).

Die Verjährungsfrist beträgt zwei Jahre (Art. 371 Abs. 1 Satz 1). Haben jedoch Mängel eines be-
weglichen Werkes, das bestimmungsgemäss in ein unbewegliches Werk integriert worden ist,
die Mangelhaftigkeit des Werkes verursacht, beträgt die Verjährungsfrist fünf Jahre (Art. 371
Abs. 1 Satz 2). Vorliegend ist die fünfjährige Frist massgebend. Seit der Ablieferung sind erst
wenige Wochen vergangen, die Verjährung stellt somit kein Problem dar.

Rechtsfolgen

Folgende Ansprüche stehen Albert zu (Art. 368 OR):

• Wandelung: Albert kann die Annahme des Werks nicht verweigern resp. den Vertrag
wandeln, weil das Werk auf dem Grund und Boden des Bestellers errichtet wurde und
seiner Natur nach nur mit unverhältnismässigen Nachteilen entfernt werden kann
(Art. 368 Abs. 3 OR).

• Minderung: Albert kann einen dem Minderwert entsprechenden Abzug am Werklohn


machen (Art. 368 Abs. 2 OR) und bei Verschulden Schadenersatz («Mangelfolgescha-
den») verlangen.

• Nachbesserung: Albert kann verlangen, dass der Unternehmer (vorliegend die Schnell
AG) das Werk nachbessert (Art. 368 Abs. 2 OR). Dies immer unter der Voraussetzung,
dass die Nachbesserung für den Unternehmer keine übermässigen Kosten verursacht.
Zusätzlich kann er bei Verschulden Schadenersatz («Mangelfolgeschaden») verlangen.
Bleibt trotz der Verbesserung ein Minderwert vorhanden, bleibt insofern die Minde-
rung bestehen.

Vorliegend wäre die Nachbesserung angebracht. Der Nutzen für Albert ist wohl beträchtlich,
weil er erst dann seine Wohnung wieder ordnungsgemäss bewohnen kann. Zusätzlich kann
Albert die Kosten, die ihm durch den Aufenthalt im Hotel entstanden sind, sowie den Erwerb-
sausfall gegenüber der Schnell AG aufgrund von Art. 368 Abs. 2 OR als Mangelfolgeschaden
geltend machen.

4.3 Die Plättli AG vereinbart mit dem Grosshändler Dornbach AG, dass die gewünschten Fliesen
am Donnerstag, 16. Januar 2014, zwischen 17.30 und 20 Uhr geliefert werden. Aufgrund eines
internen Kommunikationsfehlers bei der Dornbach AG werden statt der Fliesen am Donners-
tag, 16. Januar 2014, um 19 Uhr Zementplatten geliefert. Bodenleger Christof ruft sofort bei der
Dornbach AG an und weist auf den Fehler hin. Die Mitarbeiterin der Dornbach AG teilt Chritof
mit, man gehe der Sache nach. Derzeit seien allerdings keine Fliesen verfügbar; diese seien
vermutlich in zwei Monaten wieder lieferbar.

Wie ist die Rechtslage zwischen der Plättli AG und der Dornbach AG? (10 Punkte)

Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein Verzugsproblem.

Art. 190 OR findet im kaufmännischen Verkehr Anwendung, d.h. wenn Waren zum Zweck des
Weiterverkaufs gekauft werden. Vorliegend kann der kaufmännische Verkehr bejaht werden,
da die Plättli AG die Fliesen bestellt, um sie anschliessend an Albert weiter zu verkaufen.
Art. 190 OR findet somit grundsätzlich Anwendung.

67
Voraussetzungen von Art. 190 OR:

• Bestimmter Liefertermin: Es muss ein bestimmter Liefertermin verabredet worden sein


analog dem Verfalltagsgeschäft nach Art. 102 Abs. 2 OR. Vorliegend gegeben, weil Lie-
ferung auf 16. Januar 2014, 17.30 – 20.00 Uhr festgelegt wurde.

• Verzug: Der Verkäufer muss mit der Lieferung in Verzug gekommen sein. Vorliegend
hat die Dornbach AG nicht zur vereinbarten Zeit geliefert. Aufgrund der Vereinbarung
eines bestimmten Liefertermins ist keine Mahnung nötig, der Schuldner gerät mit Ab-
lauf des Tages in Verzug.

Rechtsfolgen:

Nach Art. 190 OR greift die Vermutung Platz, dass der Käufer auf die Lieferung verzichtet und
Schadenersatz wegen Nichterfüllung beansprucht (d.h. das positive Vertragsinteresse) nach
Art. 190 Abs. 1 OR i.V.m. Art. 107 Abs. 2 OR. Eine Geltendmachung ist nicht notwendig. Der
Käufer kann aber auch am Vertrag festhalten, muss es aber unverzüglich dem Verkäufer erklä-
ren (Art. 190 Abs. 2 OR).

4.4 Die Plättli AG bestellt Fliesen beim Grosshändler Dornbach AG. Nach Abschluss des Kaufver-
trags werden diese in der Lagerhalle bereitgestellt, damit sie Christof von der Plättli AG am
folgenden Morgen abholen kann. Aufgrund eines Hallenbrandes in der Nacht werden die Flie-
sen jedoch stark verformt.

Wie ist die Rechtslage zwischen der Plättli AG und der Dornbach AG? (10 Punkte)

Kaufvertrag (Art. 184 ff. OR)

Die Regeln zur Gefahrentragung (Art. 119 und 185 OR) sind nur auf den zufälligen Untergang
der Leistung (d.h. es liegt kein Verschulden vor) anwendbar. Bei Verschulden des Verkäufers
ist die Regelung der Gefahrentragung nicht anwendbar; der Verkäufer haftet nach Art. 97
OR ff.

Wenn die Leistung aufgrund von Umständen, die der Schuldner nicht zu verantworten hat, un-
tergeht, so erlischt die Forderung (Art. 119 Abs. 1 OR). Die Unmöglichkeit hat bei zweiseitigen
Verträgen zur Folge, dass der freigewordene Schuldner für die bereits empfangene Gegenleis-
tung aus ungerechtfertigter Bereicherung haftet bzw. die noch nicht erfüllte Gegenforderung
verliert (Art. 119 Abs. 2 OR). Ausgenommen sind Fälle, in denen das Gesetz oder vertragliche
Vorschriften etwas anderes vorsehen (Art. 119 Abs. 3 OR).

Art. 185 OR sieht (als lex specialis) für das Kaufrecht eine von Art. 119 OR abweichende Rege-
lung vor.

Sofern keine besondere Verhältnisse oder Abreden bestehen, gehen Nutzen und Gefahr beim
Vertragsschluss auf den Erwerber über (Art. 185 Abs. 1 OR). Bei einem Gattungskauf muss die
Sache zudem ausgeschieden worden sein oder wenn sie versendet werden soll, zur Versendung
abgegeben worden sein (Art. 185 Abs. 2 OR).

Vorliegend handelt es sich bei den Fliesen um Gattungsware. Durch die Bereitstellung in der
Lagerhalle wurde die Ware ausgeschieden. Somit ist Nutzen und Gefahr im Zeitpunkt der Aus-
scheidung auf die Plättli AG übergegangen.

Die Plättli AG schuldet den Kaufpreis (Art. 184 ff. OR)

68
4.5 Albert ist gelernter Bodenleger und möchte deshalb die Fliesen selbst verlegen. Dazu bestellt er
im März 2013 die Keramikfliesen des italienischen Herstellers Biaggi beim Grosshändler Dorn-
bach AG. Im Winter 2013/14 bemerkt Albert, dass die Fliesen sich zu verfärben beginnen. Es
stellt sich heraus, dass diese bei der Herstellung falsch behandelt wurden und so ein Material-
fehler entstand. Damit die Fliesen wiederum neu verlegt werden können, muss Albert ins Hotel
Central ziehen und seine Möbel in einem Raum der BoxSystem AG unterbringen. Er erleidet
zudem einen Erwerbsausfall von CHF 8'000.

Welche vertraglichen Ansprüche hat Albert in diesem Fall gegenüber der Dornbach AG? Wel-
cher Anspruch ist für ihn am vorteilhaftesten? Regressansprüche und ausservertragliche An-
sprüche können ausser Acht gelassen werden. (20 Punkte)

Vertragsverhältnis Albert – Dornbach AG massgebend: Kaufvertrag nach Art. 184 ff. OR

Es ist zu prüfen, ob eine Gewährleistungspflicht der Dornbach AG vorliegt. Diese ist in


Art. 197 ff. OR geregelt und setzt Folgendes voraus:

Vorhandensein eines Sachmangels (Art. 197 OR):

• Prüfungs- und Rügeobliegenheit (Art. 201 OR): Prüfung unmittelbar nach Empfang
(nach üblichem Geschäftsgang tunlich/je nach Branchenbezug) und Anzeigen etwaiger
Mängel sofort nach Entdeckung. Unterlässt Albert die Mängelrüge, gilt die Ware als
genehmigt und er verliert die Ansprüche (Art. 201 Abs. 2 OR). Weil es sich um einen
versteckten Mangel handelt und dieser allmählich erkennbar ist, beginnt die Rügefrist
an jenem Zeitpunkt, wo der Mangel offensichtlich wird.

• Nicht vorausgesetzt ist ein Verschulden des Verkäufers. Dieser haftet auch dann, wenn
er den Mangel nicht gekannt hat und wenn ihm diese Unkenntnis nicht als Fahrlässig-
keit zur Last gelegt werden kann (Art. 197 Abs. 2 OR).

Rechtsfolgen:

Albert stehen folgende Möglichkeiten zur Auswahl (Art. 205 ff. OR):

• Wandelung: Anspruch auf Schadenersatz im Umfang des unmittelbaren Schadens


(Art. 208 Abs. 2 OR)

Vorliegend kann Albert verschuldensunabhängig die Kosten des Hotels und der Un-
terbringung der Möbel als Schaden ersetzt verlangen (unmittelbarer Schaden). Da es
sich bei der Dornbach AG um einen Grossisten handelt, dürfte ihn kein Verschulden
bzgl. der Mängel treffen und ein Ersatz des mittelbaren Schadens, d.h. des Erwerbsaus-
falls, entfallen. Für Albert ist es am vorteilhaftesten, die Wandelung geltend zu machen,
weil nur in diesem Fall (nicht aber bei der Minderung und Nachlieferung) der unmit-
telbare Schaden verschuldensunabhängig zu ersetzen ist.

• Minderung nach Art. 205 Abs. 1 OR

• Nachlieferung nach Art. 206 Abs. 1 OR

Verjährung:

In Art. 210 Abs. 1 und 2 OR sind zwei verschiedene Verjährungsfristen vorgesehen: Die Verjäh-
rung von beweglichen Sachen beträgt zwei Jahre (Art. 210 Abs. 1 OR). Haben Mängel einer be-
weglichen Sache, welche bestimmungsgemäss in ein unbewegliches Werk integriert worden

69
sind, die Mangelhaftigkeit des Werkes verursacht, dann beträgt die Verjährungsfrist fünf Jahre
(Art. 210 Abs. 2 OR).

Vorliegend wurden die Fliesen bestimmungsgemäss in das Haus integriert und haben dessen
Mangelhaftigkeit verursacht. Es ist also die fünfjährige Frist massgebend. Die Mängelrechte
sind nicht verjährt.

Grundlagenirrtum:

Es ist zu prüfen, ob Grundlagenirrtum nach Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR geltend gemacht werden
kann:

Der Grundlagenirrtum ist wesentlich, wenn:

• subjektive Wesentlichkeit;
• objektive Wesentlichkeit; und
• Erkennbarkeit bejaht werden.

Weder Albert noch ein Dritter würde zu diesem Preis Fliesen erwerben, die sich bereits nach
zwei Jahren verfärben und dies ist für den Verkäufer auch erkennbar. Die Wesentlichkeit ist
folglich zu bejahen.

Die Geltendmachung von Mängelrechten (Art. 205 ff. OR) ist vorteilhafter als die Ver-
tragsanfechtung (Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR). Bei den Mängelrechten besteht die Möglichkeit,
Schadenersatz zu fordern. Beim Grundlagenirrtum hingegen besteht die Gefahr, mit Schaden-
ersatzforderungen konfrontiert zu werden.

4.6 Albert bestellt die Fliesen nicht selbst bei der Dornbach AG, sondern beauftragt seinen Freund
Fredy mit dem Kauf. Albert bittet Fredy, für ihn 300 m2 Fliesen zum Preis von maximal
CHF 150/m2 zu bestellen. Fredy ist von besonderen Goldfliesen jedoch auf Anhieb so begeistert,
dass er davon 300 m2 zu einem Preis von CHF 390/m2 in Alberts Namen bestellt.

a) Kommt ein Vertrag zwischen Albert und der Dornbach AG zustande? Wieso bzw. wieso
nicht? (6 Punkte)

Es ist zu prüfen, ob eine direkte Stellvertretung nach Art. 32 ff. OR vorliegt:

Für das Zustandekommen der Vertretungswirkung sind folgende Voraussetzungen zu erfüllen:

• Handeln in fremdem Namen


• Vertretungsmacht
• Vertretungsfreundlicher Vertrag
• Urteilsfähigkeit des Stellvertreters

Handeln in fremdem Namen: Der Vertreter muss gegenüber dem Dritten in fremdem Namen
handeln, indem eine ausdrückliche oder stillschweigende Erklärung vorliegt (Art. 32 Abs. 1
OR).

Gemäss Sachverhalt handelt Fredy in fremdem Namen.

Vertretungsmacht: Besteht in der Rechtsmacht des Vertreters, für den Vertretenen zu handeln.
Sie beruht auf Rechtsgeschäft, Gesetz oder aufgrund der Stellung als Organ einer juristischen
Person.

70
Vorliegend hat Albert aufgrund Rechtsgeschäft Fredy als Stellvertreter eingesetzt, indem er ihm
eine Vollmacht erteilt hat (gewillkürter Vertreter). Den Umfang der Vollmacht (Art. 33 Abs. 2
OR) hat Albert auf den Kauf von 300 m2 Fliesen zum Preis von maximal CHF 150/m2 be-
schränkt. Indem Fredy jedoch einen Vertrag über 300 m2 zu einem Preis von CHF 390/m2 einge-
gangen ist, hat er die Vollmacht (Vertretungsbefugnis) überschritten. Für den vorliegenden
Kauf liegt somit keine Vertretungsmacht vor, so dass auch keine Vertretungswirkung eintreten
kann.

Falls der Vertretene den Vertrag nach Art. 38 OR nachträglich genehmigt, kommt der Vertrag
dennoch zustande. Bis zu diesem Zeitpunkt ist der Vertrag schwebend unwirksam.

Fazit: Aufgrund der Überschreitung der Vollmacht durch Fredy ist kein gültiger Vertrag zu-
stande gekommen, es sei denn, Albert genehmige den Vertrag nachträglich.

b) Kommt ein Vertrag zwischen Albert und der Dornbach AG zustande, wenn Albert der
Dornbach AG vorgängig mitteilt, dass Fredy in seinem Auftrag 300 m2 Fliesen kaufen wer-
de? Wieso bzw. wieso nicht? (6 Punkte)

Es ist zu prüfen, ob eine direkte Stellvertretung nach Art. 32 ff. OR vorliegt:

Für das Zustandekommen der Vertretungswirkung sind folgende Voraussetzungen zu erfüllen:

• Handeln in fremdem Namen


• Vertretungsmacht
• Vertretungsfreundlicher Vertrag
• Urteilsfähigkeit des Stellvertreters

Handeln in fremdem Namen: Der Vertreter muss gegenüber dem Dritten in fremdem Namen
handeln, indem eine ausdrückliche (Art. 32 Abs. 1 OR) oder stillschweigende Erklärung (Art. 32
Abs. 2 OR) vorliegt.

Vorliegend hat Albert aufgrund Rechtsgeschäft Fredy als Stellvertreter eingesetzt, indem er ihm
eine Vollmacht erteilt hat (gewillkürter Vertreter). Den Umfang der Vollmacht (Art. 33 Abs. 2
OR) hat Albert auf den Kauf von 300 m2 Fliesen zum Preis von maximal CHF 150/m2 be-
schränkt. Fredy ist einen Vertrag über 300 m2 zu einem Preis von CHF 390/m2 eingegangen und
hat damit die Vollmacht überschritten (Vertretungsbefugnis).

Wird die Ermächtigung vom Vollmachtgeber einem Dritten mitgeteilt, so beurteilt sich ihr Um-
fang diesem gegenüber nach Massgabe der erfolgten Kundgebung (Art. 33 Abs. 3 OR).

Die Dornbach AG durfte aufgrund Alberts Mitteilung davon ausgehen, dass Fredy Vertre-
tungsmacht für das fragliche Geschäft besass. Aufgrund des Gutglaubensschutzes tritt die Ver-
tretungswirkung also trotz fehlender Vertretungsmacht ein.

Fazit: Aufgrund Alberts Vollmachtkundgabe durfte die Dornbach AG auf eine Vertretungs-
macht schliessen. Die vorliegend auf dem Gutglaubensschutz beruhende Vertretungswirkung
ist somit trotz Fehlen der Vertretungsmacht eingetreten. Der Vertrag zwischen der Dornbach
AG und Albert ist gültig zustande gekommen.

71
TEIL II – GESELLSCHAFTSRECHT

Vinkulierung (10 Punkte)

Bitte beginnen Sie Aufgabe 5 auf einer neuen Seite!

Die Swotsch Gruppe hat Inhaber- und Namenaktien ausgegeben. Diese sind an der Börse SIX Swiss
Exchange kotiert. Ihre Statuten sehen für beide Aktienarten folgende Vinkulierung vor:

«Der Verwaltungsrat lehnt den Eintrag eines Erwerbers als Aktionär mit Stimmrecht ab, wenn dieser allein
oder zusammen mit verbundenen Personen bereits über 5 % oder mehr des Aktienkapitals (direkt oder indirekt
gehalten) verfügt oder soweit er nach der Eintragung über mehr als 5 % verfügen würde.»

5.1 Was bedeutet Vinkulierung?

Grundsätzlich gilt, dass Aktien frei veräusserlich sind und ohne jedwede Zustimmung an eine
beliebige Person übertragen werden können.

Bei Namenaktien kann die Übertragbarkeit eingeschränkt werden. Diese Beschränkung der
freien Veräusserlichkeit nennt man Vinkulierung.

Das Gesetz trifft eine wesentliche Unterscheidung für die Voraussetzungen sowie die Rechts-
folgen zwischen börsenkotierten und nicht börsenkotierten Namenaktien.

Bei Inhaberaktien ist der Grundsatz der freien Veräusserlichkeit zwingend.

Ferner kennt das Gesellschaftsrecht eine gesetzliche Vinkulierung für nicht voll liberierte Na-
menaktien. Diese dürfen bloss mit Zustimmung der Gesellschaft übertragen werden, es sei
denn dem Erwerb liegt ein Erbgang, eine Erbteilung, eine güterrechtliche Auseinandersetzung
oder eine Zwangsvollstreckung zugrunde; die Zustimmung darf dabei nur verweigert werden,
wenn die Zahlungsfähigkeit des Erwerbers fragwürdig scheint (Art. 685 OR). Kotierte Aktien
gehen bei börsenmässigem Erwerb mit der Übertragung auf den Erwerber über; bei ausserbörs-
lichem Erwerb mit Einreichung des Gesuchs um Anerkennung als Aktionär (Art. 685f Abs. 1
OR). Die Gesellschaft kann in der Folge lediglich darüber entscheiden, ob dem Erwerber das
Stimmrecht zukommen soll oder nicht; die vermögensmässigen Rechte stehen ihm in jedem Fall
zu. Dementsprechend hat er auch Anspruch auf Eintragung als «Aktionär ohne Stimmrecht»
ins Aktienbuch (Art. 685f Abs. 3 OR).

5.2 Beurteilen Sie die Gültigkeit der Vinkulierungsbestimmung im vorliegenden Fall.

Allgemeine Voraussetzungen für die Vinkulierung börsenkotierter Namenaktien

Bei börsenkotierten Namenaktien kann die Gesellschaft einen Erwerber nur aus drei Gründen
als Aktionär ablehnen, wobei primär der erste praktisch von Bedeutung ist:

1. Die Statuten sehen eine prozentuale Limite vor, welche beim Erwerb der Aktien über-
schritten wird (Art. 685d Abs. 1 OR).

2. Die Gesellschaft fordert vom Erwerber eine Bestätigung darüber, dass er die Aktien im
eigenen Namen und auf eigene Rechnung erwirbt, welche dieser nicht geben will
(Art. 685d Abs. 2 OR).

72
3. Die Statuten bestimmen, dass Ausländer vom Erwerb ausgeschlossen sind, soweit und
solange deren Anerkennung die Gesellschaft hindern könnte, durch Bundesgesetze ge-
forderte Nachweise über die Zusammensetzung des Aktionärskreises zu erbringen
(Art. 4 SchlB BG über die Revision des Aktienrechts vom 4. Oktober 1991).

Nicht möglich ist die Ablehnung bei Aktienerwerb durch Erbgang, Erbteilung oder eheliches
Güterrecht (Art. 685d Abs. 3 OR).

Vinkulierung im Fall der Swotsch Gruppe

Bei den Inhaberaktien der Swotsch Gruppe ist die Vinkulierungsbestimmung ungültig, da die
Übertragbarkeit bei diesen überhaupt nicht eingeschränkt werden kann.

Die Statutenbestimmung die Namenaktien betreffend ist hingegen gültig. Diese wird vom Tat-
bestand von Art. 685d Abs. 1 OR erfasst.

73
Vertretungsmacht (10 Punkte)

Bitte beginnen Sie Aufgabe 6 auf einer neuen Seite!

Vergleichen Sie den Umfang der Vertretungsmacht des Verwaltungsrates einer Aktiengesellschaft mit
jener des Gesellschafters einer einfachen Gesellschaft!

Die Vertretungsmacht ist eine Frage des Aussenverhältnisses.

Aktiengesellschaft

Art. 718 Abs. 1 OR: Verwaltungsrat vertritt die Gesellschaft nach aussen; sofern die Statuten
oder das Organisationsreglement nichts anderes bestimmen, kommt jedem Mitglied die Vertre-
tungsmacht einzeln zu.

Art. 718a Abs. 1 OR: Inhaltlich beurteilt sich die Vertretungsmacht nach dem Zweck der Gesell-
schaft. Die befugten Personen können sämtliche Handlungen vornehmen, die der Zweck der
Gesellschaft mit sich bringen kann. Bloss jene Geschäfte, die vom Gesellschaftszweck geradezu
ausgeschlossen werden, sind nicht gedeckt. Als solchen Fall wird regelmässig das Beispiel der
faktischen Liquidation der Gesellschaft durch den Verwaltungsrat genannt.

Art. 718a Abs. 2 OR: Die Gesellschaft kann die Vertretungsmacht durch Einträge im Handelsre-
gister gestalten und etwa die Vertretung auf eine bestimmte Niederlassung beschränken oder
die Kollektivzeichnung eintragen.

Dieser Eintrag wirkt aufgrund der positiven Publizitätswirkung des Handelsregisters (Art. 933
Abs. 1 OR) gegenüber jedermann. Fazit, dass Vertretungsmacht beim Verwaltungsrat weiter
geht Hinweis, dass Statuten den Gesellschaftszweck festlegen

Einfache Gesellschaft

Art. 543 Abs. 2 OR: Grundsätzlich kann ein Gesellschafter die anderen nur verpflichten, wenn
diese ihm eine entsprechende Vertretungsmacht erteilt haben oder aber sein Verhalten nach-
träglich genehmigen. Es kommen mithin die Bestimmungen zur Vertretung nach Art. 32 ff. OR
zum Tragen (Art. 543 Abs. 2 OR). Die Erteilung der Vertretungsmacht kann dabei entweder
durch den Gesellschaftsvertrag, einen entsprechenden Beschluss oder konkludentes Verhalten
erfolgen.

Die so erteilte Vollmacht bestimmt sodann den Umfang der Vertretungsmacht. Art. 543 Abs. 3
OR: Vermutung zum Verkehrsschutz, wonach gutgläubige Dritte darauf vertrauen dürfen, dass
dem einzelnen Gesellschafter die Vertretungsmacht zukommt, wenn diesem die Geschäftsfüh-
rung überlassen wurde. Damit verweist der Artikel auf Art. 535 OR.

Art. 535 Abs. 1 OR: Die Geschäftsführungsbefugnis steht – andere Abreden vorbehalten – allen
Gesellschaftern zu. Geben die Gesellschafter nach aussen hin zu verstehen, dass ein Gesell-
schaftsverhältnis besteht, und machen sie keine Andeutungen, dass die Geschäftsführungsbe-
fugnis in irgendeiner Weise beschränkt ist, darf der gutgläubige Dritte davon ausgehen, dass
dem einzelnen Gesellschafter grundsätzlich Vertretungsmacht zukommt. Ausführungen, wo-
nach sich die Aussergewöhnlichkeit beurteilt und gutes Beispiel hierzu

Bezüglich des Umfangs gilt es zu unterscheiden:

• Handlungen, die nicht über den gewöhnlichen Betrieb der gemeinschaftlichen Geschäf-
te hinausgehen: Hier gilt das Prinzip der Einzelvertretung mit Widerspruchsrecht der

74
übrigen Gesellschafter (Art. 535 Abs. 2 OR). Vertritt ein Gesellschafter die Gesellschaft
bei solchen Geschäften, so sind diese im Aussenverhältnis infolge der gesetzlichen
Vermutung des Art. 543 Abs. 3 OR gedeckt.

• Handlungen, die über den gewöhnlichen Betrieb der gemeinschaftlichen Geschäfte


hinausgehen: Hier ist die Einwilligung aller Gesellschafter erforderlich (Art. 535 Abs. 3
OR), es sei denn, es genüge dafür gemäss Gesellschaftsvertrag Stimmenmehrheit (Art.
534 Abs. 2 OR). Vertritt ein Gesellschafter die Gesellschaft bei solchen Geschäften, so
sind diese im Aussenverhältnis durch die gesetzliche Vermutung des Art. 543 Abs. 3
OR nicht gedeckt.

Die einfache Gesellschaft kann sich nicht ins Handelsregister eintragen lassen. Damit hat sie
auch keine Möglichkeit, die eingeschränkte Vertretungsmacht eines Gesellschafters, namentlich
deren Beschränkung auf Kollektivvertretung, anzumelden und so aufgrund der positiven Pub-
lizitätswirkung eine Einschränkung der Vertretungsmacht zu erreichen.

75
Endlich in Pension (40 Punkte)

Bitte beginnen Sie Aufgabe 7 auf einer neuen Seite!

Hubert Kradolfer arbeitet seit bald 30 Jahren als selbständiger Metzger. Seinen als Einzelunternehmen
geführten Betrieb verstärkt seit einiger Zeit sein Sohn Angelo als einziger Mitarbeiter. Da sich Kradol-
fer sen. Gedanken über seine Pensionierung macht, sucht er das Gespräch mit Angelo, um die Nach-
folge zu regeln. Nach langen Diskussionen wird klar, dass sich Angelo noch nicht sicher ist, ob er den
Metzgerbetrieb übernehmen will oder doch noch eine andere Laufbahn einschlägt. Hubert möchte
sein Einzelunternehmen daher derart umstrukturieren, dass er es später auf einfache Art und Weise
entweder seinem Sohn oder einem Dritten überlassen kann. Aus diesem Grund entschliesst er sich,
eine Aktiengesellschaft zu gründen, in welche er sein Einzelunternehmen einbringen möchte.

Die Bilanz des Einzelunternehmens per 31. Dezember 2013 zeigt Bankguthaben von CHF 15'000, For-
derungen aus Lieferung und Leistung von CHF 35'000, ein Anlagevermögen von CHF 30'000 sowie
ein Fremdkapital von CHF 20'000.

7.1 Welche Besonderheiten gilt es in Bezug auf die Gründung der Aktiengesellschaft zu beachten?
(8 Punkte)

Dieser Vorgang stellt eine Sacheinlage oder ggf. eine Sachübernahme dar und ist besonderen
Gründungsvorschriften unterworfen. Diese sollen sicherstellen, dass die eingebrachten Güter
dem Wert der ausgegebenen Aktien entsprechen, das Aktienkapital durch das Vermögen ge-
deckt ist und damit das Haftungssubstrat der Gläubiger nicht schon im Augenblick der Grün-
dung oder kurz danach abgetragen wird. Im Einzelnen sieht das Gesetz folgende Besonderhei-
ten für die Gründung vor:

• Sacheinlagen müssen gestützt auf einen schriftlichen oder öffentlich beurkundeten


Sacheinlagevertrag geleistet werden (Art. 634 Ziff. 1 OR).

• Die Gesellschaft muss nach ihrer Eintragung ins Handelsregister sofort als Eigentüme-
rin über die eingelegten Sachen verfügen können oder einen bedingungslosen An-
spruch auf Eintragung im Grundbuch haben (Art. 634 Ziff. 2 OR).

• Die Gründer müssen einen Gründungsbericht verfassen, in dem sie Rechenschaft über
Art und Zustand der Sacheinlagen sowie die Angemessenheit der Bewertung ablegen
(Art. 635 Ziff. 1 OR). Der Bericht muss bei der Gründung vorliegen (Art. 634 Ziff. 3 OR).

• Der Gründungsbericht ist von einem zugelassenen Revisor zu prüfen und dessen Voll-
ständigkeit sowie Richtigkeit schriftlich zu bestätigen (Art. 635a OR). Die Prüfungsbe-
stätigung muss ebenfalls bei der Gründung vorliegen (Art. 634 Ziff. 3 OR).

• Die Statuten müssen den Gegenstand und dessen Bewertung sowie den Namen des
einlegenden Aktionärs und die ihm zukommenden Aktien enthalten (Art. 628 Abs. 1
OR). Die entsprechende Bestimmung in den Statuten kann von der Generalversamm-
lung nach zehn Jahren aufgehoben werden (Art. 628 Abs. 4 OR).

• Der Gegenstand der Sacheinlage und die dafür ausgegebenen Aktien sind ins Handels-
register einzutragen (Art. 642 OR).

7.2 Kann Hubert mit den vorhandenen Mitteln eine Aktiengesellschaft gründen? (6 Punkte)

Das Gesetz sieht vor, dass das Aktienkapital einer Aktiengesellschaft mindestens CHF 100'000
zu betragen hat (Art. 621 OR) und bei der Gründung eine Einlage von mindestens 20 Prozent

76
des Nennwertes jeder Aktie geleistet werden muss (Art. 632 Abs. 1 OR). In jedem Fall müssen
die geleisteten Einlagen aber CHF 50'000 betragen (Art. 632 Abs. 2 OR).

Hubers Umwandlungsbilanz sieht wie folgt aus:

Aktiven Passiven

Bank 15'000 Fremdkapital 20'000


Forderungen L & L 35'000 Eigenkapital 60'000
Anlagevermögen 30'000

80'000 80'000

Die Nettoaktiven, die in die Aktiengesellschaft eingebracht werden können, betragen damit
CHF 60'000 (CHF 80'000 Aktiven minus CHF 20'000 Fremdkapital). Nach den oben gemachten
Ausführungen, genügt dies, um die Aktiengesellschaft zu gründen.

Die zum Mindestkapital bestehende Differenz von CHF 40'000 wird als Forderung der Gesell-
schaft gegen den Aktionär auf der Aktivseite in die Bilanz aufgenommen. Das Aktienkapital
auf der Passivseite dafür mit CHF 100'000 ausgewiesen.

Als Hubert am Stammtisch von einem Kollegen erfährt, dass er eine Revisionsstelle benennen muss,
ist er empört. Er will nicht, dass fremde Leute in seinen Unterlagen stöbern, und erachtet die Kosten
einer Revision als zu hoch.

7.3 Welche Formen der Revision kennen Sie? Kann Hubert eine Aktiengesellschaft gründen, ohne
eine Revisionsstelle zu bezeichnen? (6 Punkte)

• Ordentliche Revision (Art. 728 ff. OR)

• Eingeschränkte Revision (Art. 729 ff. OR)

Ist eine Gesellschaft nicht zur ordentlichen Revision verpflichtet, sieht das Gesetz vor, dass un-
ter gewissen, weiteren Voraussetzungen gänzlich auf die Durchführung einer Revision verzich-
tet werden kann (sog. opting-out). Diese weiteren Voraussetzungen sind, dass einerseits alle
Aktionäre einem solchen Vorgehen zustimmen und andererseits die Gesellschaft nicht mehr als
zehn Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt hat (Art. 727a Abs. 2 OR).

Die Kradolfer Metzgerei mit Tradition AG müsste lediglich eine Revisionsstelle wählen, die ei-
ne eingeschränkte Revision durchführt. Bei der Gründung ist Hubert zudem der einzige Aktio-
när der Gesellschaft, Angelo der einzige Mitarbeiter. Alle drei Voraussetzungen sind also erfüllt
und Kradolfer kann seine Aktiengesellschaft gründen, ohne eine Revisionsstelle zu bezeichnen.

Nach langem Überlegen hat sich Angelo entschieden, von seinem Vater die Mehrheit der Aktien der
inzwischen gegründeten Kradolfer Metzgerei mit Tradition AG zu übernehmen. Da Hubert sich nicht
sicher ist, wie sein Sohn sich in Zukunft verhalten wird, will er vorläufig 49 % der Aktien behalten
und nimmt vor der Übertragung der Aktien an Angelo, im Rahmen einer ausserordentlichen Gene-
ralversammlung, folgende Bestimmungen in die Statuten auf:

«Jeder Aktionär ist verpflichtet, die Interessen der Gesellschaft mit aller Sorgfalt zu wahren
und alles zu unterlassen, was der Gesellschaft Schaden zufügen könnte.» (4 Punkte)

77
Art. 680 Abs. 1 OR enthält die einzige, dem Gesellschaftsrecht entspringende Aktionärspflicht,
nämlich die Liberierung der gezeichneten Aktien. Eine weitergehende Verpflichtung ist statuta-
risch – so schon der Gesetzeswortlaut – nicht möglich. Die Statutenbestimmung ist daher un-
gültig.

«Aktionäre, die zusammen 40% des Kapitals vertreten, können die Einberufung einer aus-
serordentlichen Generalversammlung beantragen.» (4 Punkte)

Art. 699 Abs. 3 OR sieht vor, dass Aktionäre, die alleine oder zusammen 10 Prozent des Aktien-
kapitals auf sich vereinigen, die Einberufung einer Generalversammlung verlangen können.

Die Bestimmung ist dahingehend zwingend, dass statutarisch lediglich Erleichterungen wie
etwa ein niedrigerer Schwellenwert, die Einräumung eines Individualrechts oder aber die Ertei-
lung des Einberufungsrechts an Partizipanten möglich sind.

Die Statutenbestimmung ist daher ungültig.

7.4 Kommentieren Sie die einzelnen Statutenbestimmungen, insbesondere im Hinblick auf deren
Gültigkeit!

Mit 67 Jahren beginnt sich bei Hubert Kradolfer das Alter langsam bemerkbar zu machen. Er ent-
scheidet sich, seine Aktien zu verkaufen, und ist froh, dass sich sein Sohn schliesslich doch noch dazu
entschieden hat, den Familienbetrieb fortzuführen. Diesem fällt es jedoch schwer, die Kunden zu hal-
ten, und die Geschäfte gehen immer schlechter. Nach kurzer Zeit verfügt die Kradolfer Metzgerei mit
Tradition AG nur noch über Anlagevermögen von CHF 40'000 sowie Forderungen aus Lieferung und
Leistung von CHF 10'000. Demgegenüber stehen Fremdkapital von CHF 48'000, das Aktienkapital von
CHF 100'000, gesetzliche Reserven von CHF 22'000 sowie ein Verlustvortrag von CHF 120'000.

7.5 Liegt eine Situation vor, in welcher der Verwaltungsrat handeln muss? Erläutern Sie die Grün-
de. (12 Punkte)

Die Bilanz der Kradolfer Metzgerei mit Tradition AG sieht nun wie folgt aus:

Aktiven Passiven

Forderungen L & L 10'000 Fremdkapital 48'000


Anlagevermögen 40'000 Aktienkapital 100'000
Verlustvortrag 120'000 Gesetzliche Reserven 22'000

170'000 170'000

Ein Kapitalverlust (Art. 725 Abs. 1 OR) liegt vor, wenn die Hälfte des Aktienkapitals und der
gesetzlichen Reserven durch das Nettovermögen nicht mehr gedeckt ist. Ist dies der Fall, hat
der Verwaltungsrat unverzüglich eine Generalversammlung einzuberufen und ihr Sanie-
rungsmassnahmen zu beantragen.

Vorliegend betragen das Aktienkapital CHF 100'000 und die gesetzlichen Reserven CHF 22'000;
insgesamt also CHF 122'000. Die Hälfte davon sind CHF 61'000. Die Aktiven betragen
CHF 50'000 (CHF 10'000 aus Forderungen aus Lieferung und Leistung sowie CHF 40'000 aus
dem Anlagevermögen). Davon in Abzug zu bringen sind CHF 48'000 Fremdkapital, sodass Net-
tovermögenswerte von CHF 2'000 vorliegen. Diese decken die oben berechneten CHF 61'000
nicht.

78
Damit liegt ein Kapitalverlust i.S.v. Art. 725 Abs. 1 OR vor. Der Verwaltungsrat hat unverzüg-
lich eine Generalversammlung einzuberufen und Sanierungsmassnahmen zu beantragen.

Besteht zudem begründete Besorgnis einer Überschuldung (Art. 725 Abs. 2 OR), hat der Ver-
waltungsrat eine Zwischenbilanz zu erstellen und diese einem zugelassenen Revisor zur Prü-
fung vorzulegen. Eine Überschuldung liegt vor, wenn das Fremdkapital nicht mehr zu 100 Pro-
zent durch die Aktiven gedeckt ist.

Bei der Kradolfer Metzgerei mit Tradition AG betragen die Aktiven CHF 50'000 und das
Fremdkapital CHF 48'000. Die Aktiven sind also um CHF 2'000 höher und decken das Fremd-
kapital noch. Damit ist momentan keine Überschuldung i.S.v. Art. 725 Abs. 2 OR gegeben.

Mit der Besorgnis wird offensichtlich an einem subjektiv zu beurteilenden Element angeknüpft;
gerade deshalb kann nicht bloss auf die Bilanz abgestellt werden, sondern es sind auch weitere
Elemente zu berücksichtigen, wie etwa anhaltende Verluste, verschlechterte Liquiditätslage o-
der herabgesetzte Kreditlimiten durch die Banken.

Die Bilanz der Kradolfer Metzgerei mit Tradition AG zeigt, dass die Gesellschaft über keine li-
quiden Mittel mehr verfügt. Zudem besteht nach dem bisherigen Geschäftsgang Besorgnis,
dass weitere Verluste drohen. Der Verwaltungsrat müsste also trotzdem eine Zwischenbilanz
erstellen bzw. die hier dargestellte Bilanz einem Revisor zur Prüfung vorlegen, sofern nicht auf
einen solchen verzichtet wurde.

79
5. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2014

80
MUSTERLÖSUNG
EINFÜHRUNG INS PRIVATRECHT
HERBSTSEMESTER 2014

PRÜFUNGSEINSICHT VOM 12. MÄRZ 2015

81
TEIL I – OR ALLGEMEINER UND BESONDERER TEIL

Vertragsqualifikation (12 Punkte)

1.1 Julia stolpert über eine Unebenheit auf ihrem alten Teppichboden, fällt hin und zieht sich dabei
eine Platzwunde zu. Sie lässt sich von ihrem Hausarzt behandeln, der die Wunde zunäht.
Wählen Sie die richtige Lösung aus und begründen Sie Ihre Antwort. (4 Punkte)
☐ Zwischen Julia und dem Arzt besteht ein Werkvertrag.
☒ Zwischen Julia und dem Arzt besteht ein Auftrag.
☐ Zwischen Julia und dem Arzt besteht ein Innominatvertrag.

Der Arzt schuldet lediglich sorgfältiges Tätigwerden und keinen Erfolg, d.h. Heilung
(Art. 394/398 OR).

1.2 In einem Elektrofachgeschäft (Flat AG) kauft Julia einen neuen 3D-Fernseher für CHF 2'000 und
vereinbart mit dem Verkäufer, dass dieser auch von der Flat AG geliefert und montiert wird.
Wählen Sie die richtige Lösung aus und begründen Sie Ihre Antwort. (4 Punkte)
☒ Zwischen Julia und der Flat AG besteht ein Kaufvertrag.
☐ Zwischen Julia und der Flat AG besteht ein Werkvertrag.
☐ Zwischen Julia und der Flat AG besteht ein Innominatvertrag.

Die Montage des Fernsehers ist von untergeordneter Bedeutung und bloss eine Nebenpflicht.
Daher ist der ganze Vertrag als Kaufvertrag zu qualifizieren (Art. 184 OR).

1.3 Für die Einweihungsfeier der neu gestalteten Wohnung bestellt Julia beim Cateringservice
McSnack AG Fingerfood und Getränke. Franziska, eine Angestellte der Firma, ist während der
gesamten Feier anwesend, um die Gäste mit Essen und Trinken zu versorgen.
Wählen Sie die richtige Lösung aus und begründen Sie Ihre Antwort. (4 Punkte)
☐ Zwischen Julia und der McSnack AG besteht ein Kaufvertrag.
☐ Zwischen Julia und Franziska besteht ein Arbeitsvertrag.
☒ Zwischen Julia und der McSnack AG besteht ein Innominatvertrag.

Der Vertrag lässt sich keinem dem Gesetz bekannten Typus zuschreiben. Die Lieferung von
Fingerfood und Getränken ist wohl kaufähnlich, die Bewirtung eher auftrags- u.U. auch werk-
vertragsähnlich. Es handelt sich daher um einen Innominatvertrag (gemischter Vertrag).

82
Allgemeines zum Privat- und Vertragsrecht (24 Punkte)

Beantworten Sie Aufgabe 2 auf den separaten Blättern und beginnen Sie auf einer neuen Seite!

2.1 Welches sind die Entstehungsgründe eines Schuldverhältnisses? (3 Punkte)

- Vertrag
- Unerlaubte Handlung
- Ungerechtfertigte Bereicherung
- Geschäftsführung ohne Auftrag

Alternativ:
- Vertrag
- Gesetz
- unerlaubte Handlung
- ungerechtfertigte Bereicherung
- Geschäftsführung ohne Auftrag
- Richterrecht (z.B. culpa in contrahendo, Vertrauenshaftung)

2.2 Welche Wirkung hat ein unwidersprochen gebliebenes kaufmännisches Bestätigungsschreiben?


(6 Punkte)

Mit einem Bestätigungsschreiben bestätigt der Absender dem Empfänger, den Abschluss und
Inhalt eines (mündlichen) Vertrags. Das Schreiben hat primär die Funktion eines Beweismittels.
Im bürgerlichen Verkehr führt das Bestätigungsschreiben mangels Widerspruchs lediglich zur
Umkehrung der Beweislast. Im kaufmännischen Verkehr gilt die Fiktion der Richtigkeit, d.h.
bleibt es unwidersprochen, kann der Beweis des Gegenteils nicht mehr geführt werden (konsti-
tutive Wirkung). Je krasser/grösser die Abweichung zwischen Bestätigungsschreiben und
mündlich Vereinbartem, desto eher wird vom Empfänger erwartet, dass er reagiert.

2.3 Können Antrag oder Annahme widerrufen werden? (6 Punkte)

Grundsätzlich kann eine einmal gemachte Willenserklärung nicht mehr widerrufen werden.
Das Gesetz kennt jedoch Ausnahmen von diesem Grundsatz:

Art. 9 OR kennt zwei Ausnahmen: 1) Wenn der Widerruf vor oder mit der Erklärung beim
Empfänger eintrifft. 2) Wenn der Widerruf zwar später eintrifft, aber der Empfänger vom Wi-
derruf vor der ursprünglichen Erklärung erfährt.

Bestimmungen zum Konsumentenschutz: siebentägiges Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften


und ähnlichen Verträgen nach Art. 40a ff. OR

83
2.4 Welche Arten gesetzlicher Formvorschriften kennen Sie? Was zeichnet diese aus? Geben Sie je
ein Beispiel für ein Rechtsgeschäft, das der entsprechenden Form bedarf. (9 Punkte)

Form Charakteristikum Beispiel

Einfache Schriftlichkeit Abfassung in Schriftform mit Zession, Schenkungsverspre-


eigenhändiger Unterschrift chen, Konkurrenzverbot im
aller aus dem Vertrag ver- Arbeitsrecht, Auftrag zur Ehe-
pflichteten Parteien und Partnerschaftsvermittlung

Qualifizierte Schriftlichkeit Zusätzlich zur Schriftlichkeit Testament, Abzahlungsver-


werden qualifizierende Ele- trag, Lehrvertrag, Kündigung
mente gefordert (z.B. Abfas- von Wohn- und Geschäfts-
sen von Hand, nicht mit Ma- räumen
schine; Erfordernis bestimm-
ter Angaben wie etwa beim
Lehrvertrag; Verwendung
eines amtlichen Formulars)

Öffentliche Beurkundung Eine öffentliche Urkundsper- Bürgschaft (wenn Haftungsbe-


son zeichnet die zu beurkun- trag über CHF 2'000), Grund-
denden Tatsachen oder Wil- stückgeschäfte
lenserklärungen in einem
gesetzlich geregelten Verfah-
ren auf.

84
Es kommt immer anders … (10 Punkte)

Bitte beginnen Sie Aufgabe 3 auf einer neuen Seite!

3.1 Peter verpflichtet sich, dem Kunstliebhaber Thomas gegen Zahlung eines bestimmten Preises
Eigentum an Picassos «Guernica» zu verschaffen. Als Thomas die Übergabe verlangt, erklärt
ihm Peter, dass er das Gemälde nicht liefern könne.
Wie ist die Rechtslage? (5 Punkte)
Hinweis: Das Gemälde ist Eigentum des Königreichs Spanien. Gehen Sie davon aus, dass
Schweizer Recht zur Anwendung kommt.

Da das Gemälde im Eigentum des spanischen Staates steht, kann Peter nicht darüber verfügen,
wohl könnte dies aber die spanische Regierung. Es liegt ein Fall der anfänglichen subjektiven
Unmöglichkeit vor. Dies ändert nichts an der Gültigkeit des Vertrags, sodass Art. 20 OR nicht
anwendbar ist. Die Rechtsfolgen richten sich nach Art. 97 Abs. 1 OR. Ein Verschulden wird
vermutet, der Exkulpationsbeweis gelingt nicht, da Peter wusste, dass er nicht über das Gemäl-
de verfügen kann. Thomas kann Schadenersatz in Höhe des positiven Interesses (Erfüllungs-
schaden) geltend machen.

3.2 An einer Skulpturenausstellung unter freiem Himmel im st. gallischen Bad Ragaz schliesst
Thomas einen Kaufvertrag mit dem Künstler Jeff über eine einmalige Plastik aus Messing. Hef-
tige Unwetter in der darauffolgenden Nacht führen zur Zerstörung des Kunstwerks. Einige Ta-
ge später kommt der Künstler zu Thomas und verlangt die Bezahlung des Kaufpreises. Thomas
vertritt die Auffassung «keine Skulptur, kein Geld».

Wie ist die Rechtslage? (5 Punkte)

Die Skulptur wird nach Vertragsschluss durch ein Unwetter zerstört, d.h. keine der Parteien
trägt am Untergang ein Verschulden. Die Erfüllung ist daher nachträglich unverschuldet un-
möglich geworden. Nach Art. 119 Abs. 1 OR erlischt die Forderung von Thomas auf Lieferung
der Plastik. Gemäss Art. 119 Abs. 2 OR erlischt im Grundsatz auch die Gegenforderung von Jeff
auf Zahlung des Kaufpreises. Art. 119 Abs. 3 OR behält jedoch eine anderweitige gesetzliche
(oder vertragliche) Gefahrtragungsvorschrift vor. Eine solche findet sich für das Kaufrecht in
Art. 185 Abs. 1 OR. Nach diesem gehen Nutzen und Gefahr bei Speziessachen – andere Abre-
den oder besondere Verhältnisse vorbehalten – mit Abschluss des Vertrags auf den Käufer
über. Für den Untergang durch Zufall hat daher Thomas einzustehen. Er erhält keine Skulptur
und muss den ausstehenden Kaufpreis bezahlen.

85
Hopfen und Malz verloren (74 Punkte)

Bitte beginnen Sie jede Teilaufgabe der Aufgabe 4 auf einer neuen Seite!

Die Bierbrau AG möchte die Bierproduktion erhöhen und lässt zu diesem Zweck durch die Install AG
eine zweite Abfüllanlage anfertigen und einbauen. Von der Prodfix AG werden 500 neue Getränkekis-
ten geliefert, um eine erste Charge möglichst schnell ausliefern zu können. Als Karl, der Lastwagen-
fahrer der Prodfix AG, seine Lieferung abladen will, beschädigt er das Eingangstor der Bierbrau AG.
Es entsteht ein Schaden von CHF 5'000.–. Auch stellt sich heraus, dass Rico, der Installateur der Install
AG mit zwölf Jahren Berufserfahrung, die Anlage nicht korrekt einbaut. Ein luftdichtes Verschliessen
der Flaschen ist nicht möglich, weshalb der Bierbrau AG ein Auftrag von CHF 6'000.– entgeht.

4.1 Welche Vertragsbeziehungen bestehen zwischen den oben genannten Beteiligten? Welches sind
die anwendbaren Gesetzesbestimmungen? (10 Punkte)

- Bierbrau AG–Install AG: Werkvertrag (OR 363 ff.)


- Bierbrau AG–Prodfix AG: Kaufvertrag (OR 184 ff.)
- Karl–Prodfix AG: Arbeitsvertrag (OR 319 ff.)
- Rico–Install AG: Arbeitsvertrag (OR 319 ff.)

4.2 Welche vertraglichen Ansprüche kann die Bierbrau AG geltend machen? Rückgriffsansprüche
und ausservertragliche Ansprüche sind nicht zu prüfen. (24 Punkte)

Bierbrau AG gegen Prodfix AG wegen des Eingangstors

Die Prodfix AG hat gemäss Art. 101 Abs. 1 OR i.V.m. Art. 97 Abs. 1 OR für den Schaden einzu-
stehen, den ihre Hilfspersonen verursachen. Bei Karl handelt es sich um eine solche Hilfsper-
son. Er handelt in Erfüllung einer Schuldpflicht, es besteht ein funktioneller Zusammenhang
zwischen seinem Verhalten und dem Schaden, die Schädigung tritt nicht nur bei Gelegenheit
ein. Art. 97 OR verlangt ferner eine Vertragsverletzung: Der Schutz des Eigentums des Bestel-
lers ist eine vertragliche Nebenpflicht aus dem Kaufvertrag; diese wird verletzt. Der Schaden
beträgt CHF 5'000.–. Das Fehlverhalten von Karl ist natürlich und adäquat kausal für die Schä-
digung, da sein Handeln nicht weggedacht werden kann, ohne auch die Schädigung dahinfal-
len zu lassen und diese der allgemeinen Lebenserfahrung und dem gewöhnlichen Verlauf der
Dinge entspricht. Schliesslich ist Karls Verhalten der Prodfix AG hypothetisch vorwerfbar.

Die Bierbrau AG kann von der Prodfix AG Schadenersatz für das beschädigte Eingangstor ver-
langen.

Bierbrau AG gegen Install AG wegen der fehlerhaften Produktionsanlage

Rico hat die Abfüllanlage nicht korrekt installiert, weshalb die Bierflaschen nicht korrekt ver-
schlossen und verkauft werden können. Wegen der Schlechterfüllung sind die werkvertragli-
chen Gewährleistungsansprüche zu prüfen.

Das Werk ist für die Bierbrau AG unbrauchbar und weist einen erheblichen Mangel i.S.v.
Art. 368 Abs. 1 OR auf. Gegebenenfalls liegt auch ein minder erheblicher Mangel vor, weil eine
Reparatur des Mangels möglich scheint. Die Bierbrau AG trifft eine Prüf- und Rügeobliegen-
heit, der innerhalb der nach Geschäftsgang üblichen Frist nach Ablieferung nachzukommen ist
(Art. 367 Abs. 1 OR). Ob dieser Obliegenheit nachgekommen wurde, kann aufgrund des Sach-
verhalts nicht beurteilt werden. Geht man von einem offenen Mangel aus, weil eine Abfüll-
strasse im Rahmen der Prüfungsobliegenheit ein paar Mal getestet werden muss, wobei man

86
den Mangel rasch entdecken würde, müsste die Mängelanzeige sogleich erfolgen. Nimmt man
einen versteckten Mangel an, da er von der Bierbrau AG nicht ohne Weiteres entdeckt werden
konnte, muss die Anzeige erst nach Entdeckung erfolgen (Art. 370 Abs. 3 OR). Die Verjährung
nach Art. 371 OR ist vermutungsweise noch nicht eingetreten.

Zu den Ansprüchen der Bierbrau AG: Die Abfüllanlage ist fest mit Grund und Boden verbun-
den und könnte nur mit unverhältnismässigen Aufwendungen durch die Install AG wieder
entfernt werden. Die Wandelung kommt daher nicht in Betracht, auch wenn es sich um einen
erheblichen Mangel handelt (Art. 368 Abs. 3 OR). Nach Art. 368 Abs. 2 OR kann die Minderung
oder, sofern es keine übermässigen Kosten verursacht, die Nachbesserung verlangt werden.
Der Bierbrau AG ist zu raten, die Nachbesserung zu verlangen. Der Bierbrau AG ist ein Auftrag
in Höhe von CHF 6'000.– entgangen. Es handelt sich hierbei um einen Mangelfolgeschaden, der
bei Verschulden ebenfalls zu ersetzen ist (Art. 368 Abs. 2 OR i.V.m. Art. 101 Abs. 1 OR).

Die Geltendmachung obiger Ansprüche gestaltet sich schwieriger als erwartet; die Verantwortlichen
sehen ihre Schuld nicht ein. Deshalb beauftragt die Bierbrau AG die Anwältin Cornelia mit der Ange-
legenheit. Diese kennt sich im fraglichen Rechtsgebiet nicht besonders aus und überträgt den Fall dem
darauf spezialisierten Dominik. Aufgrund einer Unachtsamkeit seines Sekretariats verpasst er aller-
dings eine Frist, sodass die gerichtliche Durchsetzung der Ansprüche nicht mehr möglich ist.

4.3 Welche vertraglichen Ansprüche hat die Bierbrau AG gegenüber Cornelia? (10 Punkte)

Es handelt sich beim vorliegenden Vertragsverhältnis um einen Auftrag (OR 394 ff.). Cornelia
hat den Auftrag im Interesse der Bierbrau AG an den besser qualifizierten Dominik übertragen.
Da die Übertragung im Interesse der Bierbrau AG erfolgt, ist Dominik Substitut und nicht
Hilfsperson. Es stellt sich die Frage, ob Cornelia zur Übertragung befugt war oder nicht. Im ers-
ten Fall haftet sie bloss für gehörige Sorgfalt bei Auswahl und Instruktion des Dritten (Art. 399
Abs. 2 OR). Im andern Fall haftet sie, wie wenn die Handlungen ihre eigenen gewesen wären
(Abs. 1), d.h. Schadenersatzhaftung aus Art. 97 Abs. 1 OR. Zulässig ist die Übertragung, wenn
eine Ermächtigung vorliegt, die Umstände es erfordern oder diese der Übung entspricht
(Art. 398 Abs. 3 OR). Der Beizug eines Spezialisten fällt regelmässig in den Anwendungsbereich
der Übung. Der Beizug von Dominik war zulässig.

Cornelia haftet der Bierbrau AG also bloss für die gehörige Auswahl und Instruktion von Do-
minik, nicht aber für die Unsorgfältigkeit seines Sekretariats (ausser dessen schlechte Arbeits-
weise ist ihr bekannt, was aber nicht vermutet werden kann).

Die Bierbrau AG bestellt einige Wochen später bei der Glas AG 10'000 Bierflaschen, lieferbar bis spä-
testens 15. Mai 2014. Als die Flaschen am 23. Mai immer noch nicht eingetroffen sind, verlangt die
Geschäftsführerin der Bierbrau AG die Lieferung.

4.4 Welche vertraglichen Ansprüche kann die Bierbrau AG gegen die Glas AG geltend machen und
wie hat sie hierbei vorzugehen? (10 Punkte)

Es liegt ein Kaufvertrag (Art. 184 OR) vor. Die Forderung der Bierbrau AG auf Lieferung der
Flaschen wird gemäss vertraglicher Vereinbarung am 15. Mai 2014 fällig. Es liegt ein Verfall-
tagsgeschäft (qualifizierter Fälligkeitstermin) i.S.v. Art. 102 Abs. 2 OR vor. Die Glas AG befindet
sich daher ohne Mahnung im Verzug, da sie die Flaschen bis zum vereinbarten 15. Mai nicht
geliefert hat. Weil ein synallagmatischer Vertrag vorliegt, gehört zu den Verzugsfolgen auch
das Wahlrecht von Art. 107 OR, wobei die Bierbrau AG keine Nachfrist ansetzen muss, da es
sich um ein relatives Fixgeschäft handelt («spätestens bis 15. Mai 2014»; Art. 108 Ziff. 3 OR).

87
Zu prüfen ist nun, ob die kaufrechtliche Sonderbestimmung von Art. 190 OR greift. Liegt
kaufmännischer Verkehr vor und befindet sich der Verkäufer in Verzug, so wird vermutet, dass
der Käufer auf die Lieferung verzichtet und stattdessen Schadenersatz wegen Nichterfüllung
(Erfüllungsschaden) fordert (Abs. 1). Da die Bierbrau AG die Flaschen zum Weiterverkauf
kauft, ist kaufmännischer Verkehr zu bejahen. Bereits erwähnt wurde, dass es sich um ein rela-
tives Fixgeschäft und damit um einen bestimmten Liefertermin handelt, sowie dass die Glas
AG im Verzug ist.

Wollte die Bierbrau AG die Lieferung verlangen, müsste sie dies sofort nach Terminablauf
kundtun (Art. 190 Abs. 2 OR). Die Geschäftsführerin der Bierbrau AG meldet sich über eine
Woche nach Terminablauf. Sie kann die Lieferung nun nicht mehr verlangen. Sie erhält jedoch
den Erfüllungsschaden (positives Vertragsinteresse) ersetzt.

Das Restaurant Rössli ist seit Jahren Kunde der Bierbrau AG. Jonas tätigt für den Gastrobetrieb jeweils
unter Vorlage einer Vollmachtsurkunde die Einkäufe. Nach einem Zerwürfnis widerruft sein Vorge-
setzter Paul die Vollmacht. Jonas kauft trotzdem bei der Bierbrau AG 1'000 Flaschen Spezialbier ein.

4.5 Ist ein Vertrag zustande gekommen? Wenn ja, zwischen welchen Parteien? Wenn nein, gegen
wen kann die Bierbrau AG etwaige Schadenersatzforderungen geltend machen? (8 Punkte)

Anwendbar sind die Bestimmungen zur Stellvertretung (OR 32 ff.). Damit die Wirkungen der
direkten Stellvertretung beim Vertretenen eintreten, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt
sein: Vertretungsbefugnis, Handeln im Namen des Vertretenen, Vertretungsfreundlichkeit des
Vertrags, Urteilsfähigkeit des Vertreters. Jonas hat gemäss Sachverhalt keine Vertretungsbefug-
nis, weshalb kein Vertrag zwischen dem Restaurant Rössli und der Bierbrau AG zustande
kommt. Jonas als Vertreter wird nicht Vertragspartei (Art. 39 OR). Allerdings ist er der Bierbrau
AG nach Art. 39 Abs. 1 und 2 OR im Umfang des negativen Vertragsinteresses schadenersatz-
pflichtig.

Als sich die Lage bezüglich Jonas Einkauf geklärt hat, bestellt Paul für eine bald anstehende private
Gartenparty bei der Bierbrau AG 50 Flaschen alkoholfreies Bier, lieferbar sobald als möglich. Die Bier-
brau AG liefert wie immer pünktlich, allerdings Starkbier.

4.6 Welche rechtlichen Möglichkeiten hat Paul? (12 Punkte)

Bierbrau AG und Paul schliessen einen Gattungskauf über 50 Flaschen alkoholfreies Bier ab.
Die Bierbrau AG liefert Starkbier statt alkoholfreies Bier. Sie liefert damit nicht mangelhafte
Ware, sondern die falsche Sache (Aliud). Da die Bierbrau AG den Vertrag noch nicht erfüllt hat,
kommen die Regeln des OR AT über den Schuldnerverzug zur Anwendung (Art. 102 ff. OR).
Verzug erfordert zunächst, dass eine Forderung fällig ist und nicht geleistet wurde. Paul muss
die Bierbrau AG durch Mahnung in Verzug setzen (Art. 102 Abs. 1 OR; es liegt kein Verfall-
tagsgeschäft vor). Zudem muss Paul eine angemessene Nachfrist zur Erfüllung ansetzen
(Art. 107 Abs. 1 OR).

Nach Ablauf der Frist steht Paul das Gläubigerwahlrecht von Art. 107 Abs. 2 offen: Er kann an
der Lieferung festhalten und Ersatz des Verspätungsschadens verlangen; er kann auch unver-
züglich erklären, auf die nachträgliche Leistung zu verzichten und (bei Verschulden der Bier-
brau AG) Schadenersatz wegen Nichterfüllung (positives Vertragsinteresse) verlangen oder
vom Vertrag zurücktreten, wobei ihm bei Verschulden der Bierbrau AG wiederum Schadener-
satz (negatives Vertragsinteresse) zusteht.

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TEIL II – GESELLSCHAFTSRECHT

Nachschusspflicht (12 Punkte)

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Hans Huber möchte von Ihnen wissen, ob und wie er für sich und seine Mitgesellschafter eine Nach-
schusspflicht festlegen kann. Was antworten Sie Huber für folgende Rechtsformen?

5.1 Aktiengesellschaft

Die einzige Pflicht des Aktionärs ist, die von ihm gezeichneten Aktien zu liberieren (Art. 680
Abs. 1 OR). Auch durch die Statuten kann er nicht zu mehr als zur Leistung seiner Einlage ver-
pflichtet werden. Folglich besteht keine Möglichkeit der statuarischen Festlegung einer Nach-
schusspflicht der Aktionäre. Es kann jedoch mittels eines Aktionärsbindungsvertrags (ABV) ei-
ne solche Nachschusspflicht unter den Aktionären vereinbart werden. Der ABV bedarf der
übereinstimmenden Willenserklärungen der Vertragspartner und entfaltet nur Wirkung unter
diesen. Hans Huber kann somit eine Nachschusspflicht einzig vertraglich festlegen, wozu es
des Einverständnisses der übrigen Aktionäre bedarf.

5.2 GmbH

Für Gesellschafter der GmbH ist die Festlegung einer Nachschusspflicht möglich, indem eine
solche in den Statuten vorgesehen wird (Art. 795 Abs. 1 OR; Art. 772 Abs. 2 OR). Die Nach-
schusspflicht ist auf das Doppelte des Nennwerts eines Stammanteils beschränkt (Art. 795
Abs. 2 OR). Gemäss Art. 795a OR können Nachschüsse eingefordert werden, wenn die Summe
von Stammkapital und gesetzlichen Reserven nicht mehr gedeckt ist, die Gesellschaft ihre Ge-
schäfte ohne diese zusätzlichen Mittel nicht ordnungsgemäss weiterführen kann oder die Ge-
sellschaft aus in den Statuten umschriebenen Gründen Eigenkapital benötigt.

5.3 Genossenschaft

Nachschusspflichten können in den Statuten festgelegt werden; die Nachschüsse sind aber nur
zur Deckung von Bilanzverlusten zu verwenden (Art. 871 Abs. 1 OR). Die Nachschusspflicht
kann beschränkt oder unbeschränkt sein.

5.4 Kollektivgesellschaft

Die Kollektivgesellschaft hat kein Grundkapital, in das ein Nachschuss erbracht werden könn-
te. Die Gesellschafter haften unbeschränkt (d.h. mit ihrem ganzen Vermögen), solidarisch und
subsidiär, eine Nachschusspflicht könnte das Haftungssubstrat daher ohnehin nicht weiter er-
höhen (Art. 568 Abs. 1 OR).

89
Haftung des Kommanditärs (5 Punkte)

Bitte beginnen Sie Aufgabe 6 auf einer neuen Seite!

Sven ist als Kommanditär mit einer Kommanditsumme von CHF 150'000 im Handelsregister einge-
tragen. Drei Jahre nach der Gründung fällt die Kommanditgesellschaft in Konkurs. Die Gläubiger der
Kommanditgesellschaft freuen sich darauf, dass sie für ihren Forderungsausfall im Konkurs der Ge-
sellschaft wenigstens auf die CHF 150'000 des vermögenden Sven greifen können. Sven seinerseits
schaut gelassen in die Zukunft. Er habe ja schon CHF 140'000 in die Gesellschaft eingelegt, die restli-
chen CHF 10'000 könne er aus der Portokasse nehmen.

Wie beurteilen Sie die Rechtslage?

Die Haftung des Kommanditärs gegenüber Dritten ist beschränkt auf die im Handelsregister
eingetragene Kommanditsumme (Art. 608 Abs. 1 OR). Bei Auflösung der Gesellschaft (Auflö-
sung durch Eröffnung des Konkurses Art. 619 OR i.V.m. Art. 574 Abs. 1 OR) kann verlangt
werden, dass die Kommanditsumme in die Konkursmasse eingeworfen wird, soweit sie noch
nicht geleistet oder dem Kommanditär wieder zurückerstattet worden ist (Art. 610 Abs. 2 OR).
Der Kommanditär bezahlt aber nur einmal. Sven hat bereits CHF 140'000 in die Gesellschaft
eingelegt. Die restlichen CHF 10'000 muss er noch leisten.

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Skiresort St. Gallen (43 Punkte)

Bitte beginnen Sie Aufgabe 7 auf einer neuen Seite!

Der russische Grossinvestor Igor besuchte im Sommer 2013 St. Gallen und verliebte sich sofort in das
Stadtbild. Unverständlich blieb ihm, wieso an den Hängen von Freuden- und Rosenberg im Winter
nicht Ski gefahren wird. Überzeugt davon, eine Marktlücke entdeckt zu haben, gründet er einige Ak-
tiengesellschaften: Die Muttergesellschaft «St. Gallen Skiresort Holding AG» hält je 100 % an der «SGS
Slope AG» (Betreiberin der Pisteninfrastruktur) und der «SGS Finance AG» (Finanzierungsgesell-
schaft). An der «SGS Hospitality AG» (Betreiberin der Gastronomieanlagen in der Stadt) hält sie 60 %;
die weiteren 40 % wurden dem lokal ansässigen Hotelier Franz im Rahmen einer Sacheinlage ausge-
geben. Die Aktien der Holding sind vollständig im Besitz von Igor. Dieser ist auch bei allen vier Akti-
engesellschaften einziger Verwaltungsrat.

Die Geschäfte in der ersten Wintersaison gingen schlecht; die Erfolgsrechnungen 2013/2014 konnten
alle gerade mit einer schwarzen Null geschlossen werden. Für den Winter 2014 will Igor das Angebot
verbessern und eine Verbindungsseilbahn zwischen den beiden Hügeln bauen. Als Teil des Finanzie-
rungsplans soll das Aktienkapital der SGS Slope AG um CHF 1 Mio. erhöht werden. Das Geld soll
vollumfänglich von Igors Freundin Petra eingeschossen werden.

7.1 Wie muss vorgegangen werden, um Petra an der SGS Slope AG zu beteiligen? (13 Punkte)

Um Petra an der SGS Slope AG zu beteiligen, muss eine ordentliche Kapitalerhöhung nach
Art. 650 ff. OR durchgeführt werden.

Dazu muss die Generalversammlung einberufen werden. Diese hat den Beschluss über die Er-
höhung des Aktienkapitals um CHF 1 Mio. zu fassen. Der Beschluss ist gemäss Art. 650 Abs. 2
OR öffentlich zu beurkunden. Alternativ kann auch eine Universalversammlung nach Art. 701
OR den Beschluss fassen.

Den Aktionären steht ein Bezugsrecht nach Art. 652b OR zu. Gemäss Art. 652b Abs. 2 OR kann
dieses aus wichtigen Gründen durch den Beschluss der Generalversammlung ausgeschlossen
werden, namentlich bei der Übernahme von Unternehmen, Unternehmensteilen oder Beteili-
gungen sowie bei Beteiligung der Arbeitnehmer. Hier liegt kein wichtiger Grund i.S.v.
Art. 652b Abs. 2 OR vor. Somit ist der Ausschluss des Bezugsrechts unzulässig, der Mutterge-
sellschaft steht ein Bezugsrecht zu. Diese wird jedoch zugunsten von Petra auf das Bezugsrecht
bzw. die Zeichnung der neu auszugebenden Aktien verzichten.

Sodann hat Petra die Aktien gemäss Art. 652 OR zu zeichnen. Im Anschluss hat sie die Einlage
von CHF 1 Mio. zu leisten, in casu offensichtlich in bar («Geld soll eingeschossen werden»). Der
Verwaltungsrat (mit Igor als einzigem Mitglied) muss den Kapitalerhöhungsbericht von Art.
652e OR verfassen, welcher nach Art. 652f OR von einem zugelassenen Revisor zu prüfen ist,
der in einer schriftlichen Prüfungsbestätigung bestätigt, dass der Kapitalerhöhungsbericht voll-
ständig und richtig ist. Nach Vorliegen des Kapitalerhöhungsberichts und der Prüfungsbestäti-
gung des Revisors sind durch den Verwaltungsrat die Statuten zu ändern (Art. 652g OR) und
die in Art. 652g Abs. 1 Ziff. 1–3 OR enthaltenen Feststellungen zu machen. Anschliessend hat
nach Art. 652h OR ein Handelsregistereintrag bezüglich der Statutenänderung und der Feststel-
lungen des Verwaltungsrats zu erfolgen.

91
Igors Marketing in seiner Heimat funktioniert. Zahlreiche Gäste residieren in den Hotels, geniessen
den Spa-Bereich und die Haute cuisine der Anlage. Einziger Wermutstropfen: Der Schnee bleibt aus,
sodass die SGS Slope AG 2014/2015 einen Verlust von CHF 800'000 erwirtschaftet.

Für Franz geht die Rechnung derweil auch nicht auf. Die zahlreichen Gäste hatten ihn einen satten
Gewinn in der SGS Hospitality AG erwarten lassen. Insgeheim hat er sich bereits über die Verwen-
dung seiner Dividende Gedanken gemacht. Erstaunt stellt er bei Erhalt der Unterlagen zur General-
versammlung fest, dass die Erfolgsrechnung der SGS Hospitality AG einen Verlust von CHF 100'000
ausweist. Unter der Position «Management Fee der St. Gallen Skiresort Holding AG» findet er einen
Aufwand von CHF 900'000. Im Vorjahr betrug dieser CHF 100'000. Franz konfrontiert Igor mit seiner
Entdeckung. Dieser entgegnet ihm: «Wir haben den Differenzbetrag über die Muttergesellschaft in die
SGS Slope AG transferiert, um diese finanziell zu stärken. Wir sind ein Konzern! Es ist egal, in welcher
Gesellschaft wir unsere Mittel halten.» Tatsächlich entsprach der Marktwert der Leistungen der
St. Gallen Skiresort Holding AG für die SGS Hospitality AG wie im Vorjahr einem Betrag von
CHF 100'000.

7.2 Was halten Sie von Igors Aussage? (10 Punkte)

In der Schweiz fehlt ein systematisch kodifiziertes Konzernrecht. Das Recht geht weitgehend
von der Fiktion selbständiger und unabhängiger Gesellschaften auch im Konzern aus. Im Kon-
zern verfolgt zunächst jede einzelne Gesellschaft ihre Interessen; darüber hinaus besteht aber
auch ein über diesen einzelnen Interessen stehendes Konzerninteresse, das sich aus dem Ge-
samtinteresse aller Gesellschaften zusammensetzt.

Problematisch ist der Widerspruch zwischen diesen Interessen. Vorliegend wirkt sich eine Ver-
lagerung von Vermögen von der SGS Hospitality AG zu der SGS Slope AG nachteilig für die
SGS Hospitality AG aus, da sie deshalb einen Verlust verzeichnet. Die Management Fee von
CHF 900'000 zugunsten der SGS Slope AG liegt aber im Gesamtinteresse des Konzerns. Nach
bundesgerichtlicher Rechtsprechung hat das Interesse der einzelnen Gesellschaft den uneinge-
schränkten Vorrang gegenüber dem Konzerninteresse. Die Organe der SGS Hospitality AG ha-
ben allein deren Interessen und nicht diejenigen anderer Konzerngesellschaften bzw. des Kon-
zerns wahrzunehmen. Die Zahlung ist daher nicht rechtens.

Die Aussage von Igor widerspricht also dem schweizerischen Konzernrecht, welches vom
Trennungsprinzip ausgeht, und ist daher falsch.

7.3 Kann Franz Igor haftbar machen? (20 Punkte)

Es ist zu prüfen, ob Igor mit der Verantwortlichkeitsklage nach Art. 754 OR haftbar gemacht
werden kann. Als Mitglied des Verwaltungsrats ist Igor passivlegitimiert. Art. 754 OR setzt für
eine Haftung von Igor voraus, dass der SGS Hospitality AG durch die schuldhafte Verletzung
einer aktienrechtlichen oder einer in einem andern Gesetz geregelten Pflicht natürlich und adä-
quat kausal ein Schaden entsteht.

Pflichtverletzung: Gemäss Art. 717 Abs. 1 OR müssen Mitglieder des Verwaltungsrats ihre
Aufgaben sorgfältig erfüllen und die Interessen der Gesellschaft wahren. Igor hat seine Treue-
pflicht nach Art. 717 OR verletzt, indem er der SGS Hospitality AG einen Aufwand für Leistun-
gen der St. Gallen Skiresort Holding AG von CHF 900'000 verrechnet hat, obwohl diese tatsäch-
lich nur einem Wert von CHF 100'000 entsprachen.

Schaden: Der Gesellschaft ist ein Schaden von CHF 800'000 entstanden.

92
Adäquater Kausalzusammenhang: Die überhöhte Verrechnung hat zum Eintritt des Schadens
geführt (Ursache-Wirkungs-Beziehung). Somit ist der natürliche Kausalzusammenhang gege-
ben. Dieser ist auch adäquat kausal, hat die überhöhte Verrechnung doch nach dem gewöhnli-
chen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens den Eintritt des Schadens objektiv be-
günstigt.

Verschulden: Das Verschulden beurteilt sich nach einem objektiven Massstab, d.h. massgebend
ist diejenige Sorgfalt, die ein gewissenhafter und verständiger Mensch desselben Verkehrskrei-
ses unter den gleichen Umständen als erforderlich ansehen würde. Von einem Verwaltungsrat
kann objektiv erwartet werden, dass er weiss, dass das von Igor gewählte Vorgehen eine
Pflichtverletzung darstellt, womit auch das Verschulden (Absicht oder Fahrlässigkeit) zu beja-
hen ist.

Der Schaden tritt im Vermögen der SGS Hospitality AG ein (direkter Schaden der Gesellschaft).
Da Franz selbst keinen direkten Schaden erleidet (er ist lediglich indirekt geschädigt), stellt sich
die Frage nach seiner Aktivlegitimation. Gemäss Art. 756 OR sind Aktionäre in einem Verant-
wortlichkeitsprozess ausserhalb des Konkurses ohne Weiteres zur Klage legitimiert. Die Klage
geht aber auf Leistung an die Gesellschaft.

Fazit: Die Voraussetzungen für eine Haftung nach Art. 754 OR sind bei Igor erfüllt. Igor haftet
der SGS Slope AG für den Schaden von CHF 800'000.

93
5. „Rennwagenkauf mit Problemen“

94
d
Rennwagenkauf mit Problemen
Die Studierenden der Assessment-Stufe an der Universität St. Gallen
hatten im Frühling 2002 im Fach Obligationenrecht unter anderem die
nachfolgende Aufgabe zu lösen. Bei der Beurteilung wurde berücksich­
tigt, dass es sich für Studierende nach dem ersten Semester um einen
eher anspruchsvollen Fall handelte. In der Musterlösung werden zahl­
reiche mögliche rechtliche Aspekte ausgeführt, für die es Punkte gab.
Natürlich konnte die Maximalnote auch mit weniger ausführlichen
Antworten erzielt werden.
Stephanie Hrubesch-Millauer
Vito Roberto

A. Sachverhalt B.Frage 1
1. Aufgabenstellung
A kauft vom Rennteam B vier Rennwa­
gen. Sie schliessen am 30. November 2000 B liefert A die Wagen 1 und 2 am 15.
einen schriftlichen Vertrag und halten die Dezember 2000. Den Wagen 3 liefert B
jeweiligen Daten und Angaben im Vertrag nicht. B sagt, dass er den Wagen in eine
fest. B soll A drei Rennwagen, nämlich Ausstellung gegeben habe, wo er bis zum
Wagen 1 bis 3, zwei Wochen nach Ver­ 31. Januar 2001 ausgestellt werde. Er habe
tragsschluss liefern. Den Wagen 4 soll B schon seit Jahren versucht, einen seiner
erst am 15. Mai 2001 frei Haus liefern, Wagen in solch eine Ausstellung zu geben,
denn der Wagen ist noch nicht fertig auf­ und nun endlich habe er die Chance dazu
gebaut. einen Tag nach dem Verkauf erhalten. Er
• Porsche 911 GT 3 RS, Baujahr 2000, sei auf die Publicity angewiesen und habe
2000 km, für Fr. 250 000.-, unfallfrei, neu­ dies bei Vertragsschluss nicht wissen kön­
wertig, perfekter Zustand (Wagen 1). nen. Er verspreche, den Wagen sofort
• Porsche 911 GT 3 Cup, Baujahr 1999, danach A zu liefern. A nimmt die Wagen 1
für Fr. 225 000.-, Auto ist garantiert nur und 2 an und zahlt B vertragsgemäss Fr.
zwei Rennen gefahren, garantiert nur 475 000.- für die beiden Autos. Er sagt, er
1500 km insgesamt, perfekter Zustand wolle seinen GT 2 (Wagen 3) sofort
(Wagen2). haben, ihn gehe die Ausstellung nichts an.
• Porsche 911 GT 2, Baujahr 1996, für Welche rechtlichen Möglichkeiten ste­
Fr. 200 000.-, sehr schnell, Motor hat ga­ hen A in Bezug auf den Wagen 3 zur Ver­
rantiert 630 PS, Motor ist neu revidiert fügung? Erläutern Sie die Möglichkeiten
(Kolben und Ventile neu) (Wagen 3). ausführlich. [10 Punkte]
• Porsche 911 RSR, Baujahr 1973 für Fr.
175000.-. Der Wagen wird auf Basis II. Lösung
der neuwertigen original Porsche Roh­
karosse aus dem Jahre 1973, Nummer 1. Allgemeines
WPOZZZ1973RSR18, gebaut (Wagen Hinsichtlich des Wagens 3 haben die Par­
4). teien einen Kaufvertrag abgeschlossen.

95
ius.full 1/03
Die Hauptpflicht des Verkäufers besteht in der ferung 20Tage nach Vertragsschluss» oder «innerhalb
Übergabe des Kaufgegenstandes und in der Eigen­ von 30 Tagen»3• Von einer vorgängigen Mahnung
tumsverschaffung (Art. 184 Abs. 1 OR). Hauptpflicht kann auch dann abgesehen werden, wenn sie zweck­
des Käufers ist die Zahlung des Kaufpreises (Art. los' oder dem Gläubiger nicht zumutbar ist5•
184 Abs. 1 und Art. 211 Abs. 1 OR). Ist vertraglich B hätte den Wagen «zwei Wochen nach Vertrags­
nichts anderes bestimmt, so ist der Kaufpreis Zug um schluss» liefern müssen. Ob dieser Liefertermin als
Zug gegen Ü bergabe des Kaufgegenstandes zu Verfalltag zu qualifizieren ist, kann offen gelassen
bezahlen (Art. 184 Abs. 2 und Art. 213 Abs. 1 OR). werden. Denn wird dies verneint, so befindet sich B
B liefert die Wagen 1 und 2 vertragsgemäss am 15. gleichwohl in Verzug, da A unmissverständlich klar
Dezember. Beim Wagen 3 kommt es dagegen zu macht, dass er den Wagen 3 sofort haben will. Diese
einer Verzögerung. Da die Leistung noch möglich ist, Aufforderung stellt eine Mahnung da�.
ist ein Schuldnerverzug zu prüfen'. Dieser liegt vor, Sodann stellt sich die Frage, ob A eine Nachfrist
wenn der Schuldner trotz Leistungsmöglichkeit nicht ansetzen muss7• Grundsätzlich hat der Schuldner
leistet, die Leistung fällig ist und - falls kein Verfall­ gemäss der Regelung in Art. 107 Abs. 1 OR dem
tags- oder Fixgeschäft vorliegt - gemahnt wurde. Gläubiger im Verzugsfall eine angemessene Frist zur
Handelt es sich um ein «Zug-um-Zug-Geschäft», nachträglichen Erfüllung anzusetzen. Mahnung und
muss der Gläubiger seinerseits die Erfüllung anbie­ das Ansetzen einer Nachfrist können (und werden in
ten (Art. 82 OR). der Regel auch) mit einer einzigen Willenserklärung
In Art. 190 und 191 OR stellt das Gesetz für den erfolgen. Nun gibt es aber gemäss Art. 108 Fälle, bei
kaufmännischen Verkehr Sondervorschriften für den denen der Gläubiger von einer Nachfrist absehen
Verzug in der Übergabe der Sache auf. Im nicht­ kann. Dies gilt unter anderem, wenn aus dem Verhal­
kaufmännischen Verkehr gelten für den Verzug des ten des Schuldners hervorgeht, dass sie sich als
Verkäufers die allgemeinen Regeln über den Schuld­ unnütz erweisen würdeK. Und eben dies ist vorliegend
nerverzug in Art.102 ff. OR. gegeben, da B A unmissverständlich mitteilt, dass er
den Wagen 3 nicht liefern werde, da er diesen ja bis
2. Verzug und Nachfrist Ende Januar 2001 in eine Ausstellung gegeben habe.
Damit der Käufer Ansprüche wegen verspäteter Lie­
ferung geltend machen kann, muss ein Verzug vorlie­ 3. WaJdrechte von A
gen. Vorliegend stellt sich die Frage, ob A mahnen A stehen infolgedessen die sogenannten Gläubiger­
muss. Wurde für die Erfüllung ein bestimmter Verfall­ wahlrechte zu: Er kann entweder auf Erfüllung des
tag verabredet, so braucht es keine Mahnung; viel­
mehr kommt der Schuldner bereits mit Ablauf dieses 3 PETER GAUCH I WALTER R. SCHLUEP I HEINZ
Tages in Verzug (Art. 102 Abs. 2 OR). l'ypische Bei­ REY, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner
spiele sind Klauseln wie «Erfüllung am 23.11.», «Lie- Teil, Band II, 7. A„ Zürich 1998, Rz. 2946; SCHWENZER
(Fn. 1) Rz. 65.10 ff.
4 Der Schuldner erklärt unmissverständlich, dass er nicht
INGEBORG SCHWENZER, Schweizerisches Obligatio­ leisten werde. Somit erweist sich eine Mahnung als über­
nenrecht, Allgemeiner Teil, 2. A., Bern 2000, Rz. 63.11. Ver­ flüssig. Vgl. BGE 94 II 32; 97 Il 64: 110 11143 f.
zug und Unmöglichkeit schliessen sich damit gegenseitig aus. 5 Beispiel: Der Schuldner verhindert mit Absicht die Zustel­
2 In der Literatur ist umstritten, wann ein kaufmännischer lung einer Mahnung.
Verkehr angenommen werden soll: So stellen z.B. Berner 6 Als Mahnung ist die unmissverständliche Aufforderung
Komm / GIGER, Rz. 15 f. zu Art. 190 OR und BaslerKomm zur Erbringung der Leistung zu verstehen, vgl. GAUCH I
/KOLLER. Rz. 7 ff. zu Art. 190 OR nur darauf ab, ob ein SCHLUEP/REY (Fn. 3) Rz. 2939; SCHWENZER (Fn. 1)
Kauf zum Zwecke des Weiterverkaufs vorliegt (auch durch Rz. 65.08.
einen Privatmann). MAX KELLER I KURT SIEHR. Kauf­ 7 Die Mindestdauer einer angemessenen Frist kann nicht all­
recht,3. A„ Zürich 1995, 32 f. und ZürcherKomm/SCHÖ - gemein. sondern nur für den Einzelfall festgelegt werden;
LE, Rz. 19 zu Art. 190 OR hingegen verlangen einen vgl. BernerKomm/WEBER, Rz. 70 ff. zu Art. 107 OR.
gewerbsmässigen Kauf zum Zweck des Weiterverkaufs. 8 Siehe Art. 108 Ziff. 1 OR. Neben der Leistungsverweig


Vorliegend wird in Bezug auf den ganzen Sachverhalt und rung kommt z.B. auch eine nicht aufzuholende Verzög
e auch
sämtliche Fragen nicht vom kaufmännischen, sondern vom rung der Leistungsvorbereitung in Betracht, welch
werden kann.
nichtkaufmännischen Verkehr ausgegangen. innerhalb der Nachfrist nicht aufgeholt
96 21

ius.full 1/03
-

d
RENNWAGENKAUF MIT PROBLEMEN

Vertrages beharren und Ersatz des Verzugsschadens nur dann zu ersetzen, wenn er sich nicht exkulpieren
verlangen (Art. 107 Abs. 1 OR), oder er verzichtet kann. Dies kann B vorliegend nicht, hat er doch im
auf die Vertragserfüllung•. Im letzteren Fall kann er Wissen, dass der Wagen zwei Wochen nach Vertrags­
wiederum wählen: Er kann am Vertrag festhalten schluss an A hätte geliefert werden müssen, den Por­
und Schadenersatz wegen ichterfüllung (sog. posi­ sche GT 2 in eine Ausstellung gegeben. Da A den
tives Vertragsinteresse bzw. Erfüllungsinteresse) for­ Wagen mit Gewinn hätte weiterverkaufen können,
dern (Art. 107 Abs. 2 OR) oder vom Vertrag zurück­ liegt ein Schaden vor. Und ein adäquater Kausalzu­
treten und Ersatz aus dem Dahinfallen des Vertrages sammenhang zwischen der Vertragsverletzung und
(sog. negatives Vertragsinteresse bzw. Vertrauens­ dem Schaden ist ebenfalls zu bejahen.
schaden) geltend machen (Art. 109 OR). Der A hätte den Porsche GT 2 Anfang Januar 2001 für
Schuldner kann sich von der Schadenersatzpflicht Fr. 245 000.- weiterverkaufen können. Er kann somit
befreien, wenn er nachweist, dass ihn kein Verschul­ die Differenz12 zwischen Fr. 200000.- und Fr.
den trifft (Beweislastumkehr beim Verschulden). 245 000.- ( Fr. 45 000.-) sowie etwaige Auslagen für
=

die Umtriebe, die ihm durch den Vertragsbruch ent­


C.Frage 2 standen sind, von B als Schadenersatz fordern.

1. Aufgabenstellung
2. Ungünstigere Vorgehensweisen
Welche Vorgehensweise würden Sie A empfehlen, Ungünstig(er) wäre es für A, den Rücktritt vom Ver­
wenn B den Wagen, wie angekündigt, in die Ausstel­ trag über den Wagen 3 zu erklären: Er wäre dann so
lung gibt und A den GT 2 (Wagen 3) am 8. Januar zu stellen, als ob er den Vertrag nie geschlossen hätte
2001 für Fr. 245 000.- hätte weiterverkaufen können? (negatives Vertragsinteresse). Der entgangene
Begründen Sie Ihre Auffassung. [6 Punkte] Gewinn von Fr. 45 000.- könnte er dann nicht gel­
tend machen. A hätte bloss Anspruch auf Ersatz der
II. Lösung Aufwendungen, die er im Zusammenhang mit dem
Vertragsabschluss getätigt hat.
1. Beste Vorgehensweise Schliesslich stünde ihm auch das «Beharren auf
Die beste Möglichkeit für Aist es zu erklären, dass er Erfüllung des Vertrages und Ersatz des Verzugsscha­
gestützt auf Art. 107 Abs. 2 OR auf die nachträgliche dens» zu. Er könnte so dem B eine Nachfrist setzen
Leistung verzichte, am Vertrag aber festhalte und und nach deren Verstreichen immer noch zu anderen
vollen Ersatz des aus der Nichterfüllung entstande­ Rechtsbehelfen greifen.
nen Schadens verlange. Diesfalls hat er Anspruch auf
Ersatz des Erfüllungs- bzw. positiven Interesses, d.h. D.Frage 3
er ist so zu stellen, als ob B die Leistung vertragsge­
1. Aufgabenstellung
mäss (gehörig und rechtzeitig) erbracht hätte. Der zu
ersetzende Schaden besteht aus dem Wert der ausge­ Kurz nachdem B wieder abgefahren ist, wird A über­
bliebenen Leistung und dem Verspätungsschaden10, raschenderweise geschäftlich ins Ausland geschickt.
hierunter fällt auch der entgangene Gewinn". In der Hektik hat er keine Zeit, die erhaltenen
Die Voraussetzungen für den Schadenersatzan­ Wagen 1 und 2 genauer anzuschauen. Erst im März
spruch liegen vor: Obwohl Art. 107 OR das Verschul­ 2002 kommt A dazu, diese auf einer Rennstrecke zu
den nicht erwähnt, hat der Schuldner den Schaden bewegen. Bei der dafür notwendigen Vorbereitung
der Rennwagen stellt sein Renningenieur fest, dass
9 Verzichtet der Gläubiger auf die nachträgliche Leistung, so der Wagen 1 schon einen Unfall hatte. A muss erfah­
muss er dies unverzüglich mitteilen, damit die Parteien ren, dass der Wagen einen mehrfachen Überschlag
Klarheit über das weitere Schicksal des Vertrages haben. bei einem Rennen in Hockenheim hatte. Dabei
Zu beachten ist, dass die einmal getroffene Wahl der Aus­ wurde das Auto erheblich beschädigt, der Überroll­
übung eines Gestaltungsrechts oder der Verzicht auf die käfig und der Rahmen wurden verbogen. Der Scha­
Leistung unwiderruflich sind. Vgl. EUGEN BUCHER,
den wurde allerdings fachmännisch nach allen
Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 2. A.,
Zürich 1988,373. Regeln der Kunst repariert. Der Schaden war nach
10 GAUCH I SCHLUEP I REY (Fn. 3) Rz. 3053 ff. der Reparatur von einem Laien nicht zu erkennen.
11 So anstelle vieler: ALFRED KOLLER, Schweizerisches Nur ein Fachmann hätte den Schaden erkennen kön­
Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, Band I, Bern 1996, N nen. B war Fachmann und musste also vom Schaden
1168. wissen.

97
22 ius.full 1/03
Was kann A machen? Er möchte den Wagen soll möglichst bald wissen, ob der Käufer die Sache
eigentlich nicht, da er diesen mit dem Schaden später beanstandet oder nicht'5•
nur schwer würde verkaufen können. Allerdings sind Kommt der Käufer der Prüfungs- und Rügeoblie­
die GT 3 RS (Modell des Wagen 1) nur sehr schwer genheit nicht nach, gilt die gekaufte Sache als geneh­
zu bekommen und für Fr. 150 000.- würde er den migt, sofern es sich nicht um Mängel handelt, die bei
Wagen schon behalten wollen. [10 Punkte] einer übungsgemässen Untersuchung nicht erkenn­
bar waren (Art. 201 Abs. 2 OR). Im letzteren Fall
II. Lösung muss der Käufer die Mängel sofort nach ihrer Ent­
deckung rügen (Art. 201 Abs. 3 OR).
1. Vorausgesetzte und zugesicherte Eigenschaften Der Wagen 1 hatte einen Unfall, bei dem Käfig
Weist die Kaufsache einen Mangel auf, der den Wert und Rahmen verbogen wurden. Da der Schaden
der Sache oder die Tauglichkeit zum vorausgesetzten allerdings gemäss Sachverhalt nach der vorgenom­
Gebrauch beeinträchtigt (Fehlen einer vorausgesetz­ menen Reparatur von einem Laien nicht zu erken­
ten Eigenschaft), oder fehlt ihr eine zugesicherte nen war, ist von einem geheimen Mangel auszuge­
Eigenschaft, so stehen dem Käufer die kaufrecht­ hen. Die Frage, ob A den Wagen rechtzeitig unter­
lichen Gewährleistungsansprüche zur Verfügung sucht (und den Mangel gerügt) hat, kann somit offen
(Art. 197 ff. OR). Vorliegend wurde hinsichtlich des gelassen werden. Denn selbst wenn A nicht auf seine
Wagens 1 im Vertrag ausdrücklich die Eigenschaft Geschäftsreise gegangen wäre und den Wagen «nach
«unfallfrei» erwähnt, weshalb eine zugesicherte dem üblichen Geschäftsgang» - also z.B. noch im
Eigenschaft fehlt. Ob bei Unfallautos generell eine Laufe des Dezembers 2000 - geprüft hätte, wäre der
mangelhafte Erfüllung zu bejahen wäre, kann daher Mangel für ihn als Laien nicht erkennbar gewesen'6•
offen bleiben. Anders als bei den vorausgesetzten Eine Genehmigung wegen unterlassener rechtzeiti­
Eigenschaften ist es bei zugesicherten Eigenschaften ger Rüge ist daher zu verneinen.
unerheblich, ob deren fehlen «den Wert der Sache
oder ihre Tauglichkeit zu dem vorausgesetzten 3. Verjährung der Ansprüche
Gebrauche aufhebt oder erheblich vermindert». Bei beweglichen Sachen verjähren die Gewähr­
leistungsansprüche ein Jahr nach Ablieferung (Art.
2. Prüfungs- und Rügeobliegenheit 210 Abs. 1 OR)'7• Die Verjährungswirkung tritt
Wird die Ware vorbehaltlos angenommen, so ist zu selbst dann ein, wenn es sich um versteckte Mängel
vermuten, dass die Ware grundsätzlich mangelfrei handelt, die innerhalb eines Jahres gar nicht ent­
ist13• Gemäss Art. 201 Abs. 1 OR hat der Käufer, deckt werden konnten. A hat den Porsche GT 3 RS
sobald es nach dem üblichen Geschäftsgang tunlich am 15. Dezember 2000 in Empfang genommen; der
ist, die Beschaffenheit der empfangenen Sache zu Mangel wurde aber erst im März 2002, also 15
prüfen und, falls sich Mängel ergeben, dem Verkäu­
fer sofort Anzeige zu erstatten, d.h. Mängelrüge zu 15 BaslerKomm / HONSELL, Rz. 1 zu Art. 201 OR; HEIN­
erheben". Die Vorschrift trägt der raschen Abwik­ RICH HONSELL, Schweizerisches Obligationenrecht,
klung von Kaufverträgen Rechnung. Der Verkäufer Besonderer Teil, 6. A. Bern 2001, 80; KELLER I SIEHR
(Fn. 2),82.
16 Zur Heranziehung eines Fachmannes, eines Autoexperten
U Die Streitfrage, ob der Austauschtheorie oder der Diffe­ oder eines Renningenieurs war A nicht verpflichtet.
renztheorie der Vorzug zu geben ist, spielt praktisch bloss 17 Gemäss Rechtsprechung und herrschender Lehre handelt
dann eine Rolle, wenn die Gegenleistung des Gläubigers in es sich um eine Verjährungsfrist, nicht um eine Verwir­
einer Sachleistung besteht. Handelt es sich wie hier um kungsfrist: BGE 82 II 422 f.; 94 II 36: 104 II 357; Berner
eine Geldleistung, kann ohnehin verrechnet werden. Siehe Komm I GIGER, Rz. 9 zu Art. 210 OR; BaslerKomm I
zu dieser Problematik GAUCH/ SCHLUEP I REY (Fn. HONSELL, Rz. 2 zu Art. 210 OR. A.M. GUHL/ KOL­
3) Rz. 3061 ff. LER, Das Schweizerische Obligationenrecht, 9. A„ Zürich
13 EUGEN BUCHER. Obligationenrecht, Besonderer Teil, 2000. § 42 Rz. 31 und SUCHER (Fn. 13) 94 f. Die Verjäh­
3. A„ Zürich 1988, 93. rung beseitigt die Klagbarkeit einer Forderung durch
14 Die Untersuchung der Kaufsache nach Art. 201 Abs. 1 OR Ablauf einer gewissen Zeil: Danach kann ein Gläubiger
ist trotz des Wortlautes («Der Käufer soll prüfen und
„. „. die Forderung grundsätzlich nicht mehr gegen den Willen
Anzeige machen») eine Obliegenheit und keine Pf1icht. des Schuldners durchsetzen, obwohl sie noch als Natural­
erw�r­
Der Käufer. der dieser Obliegenheit nicht nachkommt. obligation weiterbesteht. Läuft hingegen ei ne V
alb der Fnst
wird nicht schadenersalzpf1ichtig, sondern erleidet «nur» kungsfrist unbenutzt ab, erlöscht das innerh
einen rechtlichen Nachteil. geltend zu ma chende Recht.

98 23

ius.full 1/03
d
RENNWAGENKAUF MIT PROBLEMEN

Monate später, durch den Renningenieur entdeckt, 5. Vertragsanfechtung wegen Täuschung


so dass die Sachmängelansprüche grundsätzlich Nach herrschender Ansicht hat der Käufer neben
verjährt wären. den Ansprüchen aus Sachgewährleistung alternativ"
Gemäss Art. 210 Abs. 3 OR ist jedoch für den Fall auch das Recht, den Vertrag anzufechten (Art. 23 ff.
der absichtlichen Täuschung nicht die kurze (einjäh­ OR)23• A kann daher den Kaufvertrag wegen absicht­
rige) Verjährungsfrist, sondern die allgemeine Regel licher Täuschung (Art. 28 OR) anfechten. Vorausge­
über die Verjährung (Art. 1 2 7 OR) anwendbar••. Ein setzt ist, dass die absichtliche Täuschung ursächlich
täuschendes Verhalten kann in der Vorspiegelung für den Vertragsabschluss war, d.h. der Getäuschte
falscher Tatsachen oder im Verschweigen vorhande­ den Vertrag ohne die Täuschung nicht oder zumin­
ner Tatsachen bestehen••. Vorliegend hat B A eine dest nicht zu denselben Bedingungen geschlossen
Eigenschaft (Unfallfreiheit) des Porsche zugesichert, hätte. A hätte im Falle der Anfechtung Anspruch auf
deren Fehlen ihm bewusst war, weshalb die Gewähr­ Rückerstattung des bezahlten Preises in der Höhe
leistungsansprüche nicht verjährt sind. von Fr. 250 000.- samt Zins und könnte darüber hin­
aus Schadenersatz geltend machen. Die kaufrechtli­
4. Die Gewährleistungsansprüche che Sachgewährleistung dürfte für A indes die gün­
Liegt ein Fall der Gewährleistung wegen Sachmän­ stigere Lösung darstellen, da er den Wagen 1 zu
gel vor, so stehen dem Käufer grundsätzlich folgende einem herabgesetzten Preis behalten möchte.
Ansprüche zu: Wandelungs-, Minderungs- und (bei
Gattungssachen) Nachlieferungsanspruch (Art. 205 E. Frage 4
f. OR), anders als beim Werkvertrag dagegen nicht
1. Aufgabenstellung
ein Nachbesserungsanspruch.
Da es sich beim gebrauchten (wenn auch neuwer­ Wie bei der vorstehenden Aufgabe schon erwähnt,
tigen) Porsche GT 3 RS um einen Stückkauf han­ kommt A erst im März 2002 dazu, den Wagen 2 auf
delt20, kommt eine Nachlieferung nicht in Betracht. A einer Rennstrecke zu bewegen. Sein Renningenieur
kann daher - unter Vorbehalt von Art. 205 Abs. 2 OR erfährt dabei, dass dieser sowohl in Le Mans als auch
- zwischen Wandelung und Minderung wählen. Da am Nürburgring das 24-Stunden-Rennen gefahren
er das Auto eigentlich gerne behalten würde, wird er ist Qeweils ca. 5000 km) und an weiteren sieben Ren­
Ersatz des Minderwertes, den der Wagen infolge des nen im Porsche Cup Suisse (jeweils 300 km), was von
Mangels aufweist, verlangen. Er macht einen Min­ einem Laien nicht zu erkennen war. B wusste von
derwert von Fr.100000.- (Kaufpreis Fr. 250 000.- ab­ diesen vielen gefahrenen Kilometern auch nichts.
züglich Preis von Fr. 150 000.-, zu dem A den Wagen
behalten würde) geltend. Ob eine Minderung in die­
18 In Anwendung von Art. 127 OR beträgt die Verjährungs­
ser Höhe gerechtfertigt ist, ist mittels der relativen
frist zehn Jahre. Vgl. hierzu BGE 107 II 231 ff.
Minderungsmethode zu berechnen21•
19 BGE 116 II 434 f.
20 Vgl. HONSELL (Fn. 15) 34: Stückkauf liegt immer dann
1 NHALTLICHE FEHLER vor, wenn «sich die Parteien auf einen konkreten, bereits
individualisierten Leistungsgegenstand einigen, den sie
• Bei Frage 1 wurden Mahnung und Fristansetzung oft vermischt (inkl. der jeweili­ genau kennen oder der bei Vertragsschluss präsent ist.»

gen Ausnahmen in Art. 102 Abs. 2 und 108 OR). Auch wurde der Schuldnerverzug 21 Vgl. GUHL I KOLLER (Fn. 17) § 42 Rz. 45; kritisch hierzu
HONSELL (Fn. 15) 99. Da der Sachverhalt aber weder den
vielfach bloss festgestellt, ohne diesen zu begründen.
objektiven Wert der mangelfreien noch der mangelhaften
• Meistens wusste man, dass ein Vorgehen nach Art. 107 Abs. 2 OR wahlweise zum
Sache angibt, kann über die Angemessenheit des Minde­
positiven oder negativen Vertragsinteresse führt, ohne indessen erläutern zu kön­
rungsbetrages keine Aussage gemacht werden.
nen, was diese Begriffe tatsächlich meinen und welcher den entgangenen 22 Zur Anspruchskonkurrenz mit Art. 97 OR siehe bei der
Gewinn in Aufgabe 2 mit umfasst. nachstehenden Frage.
• Viele Studierende übersahen, dass versteckte Mängel ebenfalls nach einem Jahr 23 BGE 56 II 426; 81 II 217; 82 II 420; 97 II 45; 98 II 20 f.; 106

verjähren - selbst wenn man sie in dieser Zeit gar nicht entdecken konnte - und II 33; 107 II 421; 109 II 104; 109 II 322; 114 II 131. In BGE
nur bei absichtlicher Täuschung eine längere Verjährungsfrist gilt. 98 II 21 bezeichnet das Bundesgericht diese Lösung als
«Norm des Gewohnheitsrechts>>. Einzig im Viehkauf lässt
• übersehen wurde oft auch die Alternativität der Gewährleistungsansprüche zu
das Bundesgericht die Alternativität nicht zu - vgl . BGE 70
der Vertragsanfechtung.
II 48 und 111 II 70. Die Alternativität der Rechtsbehelfe
• Bei Frage 5 ging man vielfach stillschweigend von einem Kaufvertrag aus - trotz wird von folgenden Autoren bejaht: KELLER I SIEHR
der ausdrücklichen Frage in der Aufgabenstellung nach dem Vertragstyp. (Fn. 2) 108; BernerKomm I GIGER, Rz. 59 ff. zu Vorb. Art.
197 - 210 OR; BUCHER (Fn. 13) 109.

99
24 ius.full 1/03
Was kann A machen? Erläutern Sie sämtliche kurzen Verjährungsfrist von Art. 210 Abs. 1 OR25•
Möglichkeiten, die A zur Verfügung stehen bzw. wes­ Weshalb man zunächst Anspruchskonkurrenz zwi­
halb nicht. [10 Punkte] schen spezieller und allgemeiner Norm zulassen will,
um dann aber gleichwohl alle Besonderheiten der
II. Lösung spezielleren Norm auf die allgemeine zu übertragen,
was die Anspruchskonkurrenz faktisch wieder aus­
1. Gewährleistungsrechte sind verjährt schliesst, ist nicht nachvollziehbar.
Im Vertrag wurde ausdrücklich vereinbart, dass der Die Anwendung von Art. 97 OR kommt im vor­
Porsche GT 3 Cup «garantiert nur 1500 km» und liegenden Fall folglich nicht in Betracht, da der
«garantiert nur an zwei Rennen» gefahren sei. Diese Anspruch gernäss Art. 210 Abs. l OR bereits verjährt
Angaben im Kaufvertrag stellen verbindliche Zusi­ ist. Selbst für den Fall, dass man eine alternative
cherungen über diese Eigenschaften dar, weshalb ein Anwendung von Art. 97 OR ohne die strengen Vor­
Sachmangel vorliegt. aussetzungen der Sachgewährleistungsordnung
Ob es sich bei diesen fehlenden Eigenschaften um befürwortet26, kommt ein Anspruch gestützt auf Art.
offene oder versteckte Mängel handelt, ist unerheb­ 97 OR nicht in Betracht, da dieser ein Verschulden
lich. Denn A hat den Wagen 2 - wie auch den Wagen voraussetzt. Der Verkäufer müsste daher schuldhaft
1 - nicht sofort, sondern erst im März 2002, also rund mangelhafte Ware geliefert haben, um ersatzpflichtig
15 Monate nach Ablieferung, geprüft. Gemäss Art. zu werden. Vorliegend ist dies nicht der Fall, da B
210 Abs. 1 OR verjähren Gewährleistungsansprüche gemäss Sachverhalt von den vielen gefahrenen Kilo­
wegen Mängel der Sache «mit Ablauf eines Jahres metern selber auch nichts wusste.
nach deren Ablieferung an den Käufer, selbst wenn
dieser die Mängel erst später entdeckt, es sei denn, 3. Vertragsanfechtung wegen Grundlagenirrtums
dass der Verkäufer eine Haftung auf längere Zeit Zu prüfen bleibt die Anfechtung wegen eines Irr­
übernommen hat». Von einer Verlängerung der Ver­ tums gemäss Art. 23 ff. OR. Nach ständiger Recht­
jährung ist im vorliegenden Fall gemäss Sachverhalt sprechung kann der Käufer bei sachlich mangelhaf­
nicht auszugehen, weshalb die Sachgewährleistungs­ ter Erfüllung nicht nur Gewährleistungsansprüche
ansprüche (Wandelung und Minderung) verjährt geltend machen, sondern auch den Vertrag wegen
sind. Anders als beim Wagen 1 liegt bezüglich des eines Willensmangels im Sinne von Art. 23 ff. OR
Wagens 2 gemäss Sachverhalt keine absichtliche anfechten27• Die Berufung auf einen Irrtum ist insbe­
Täuschung seitens des Verkäufers vor, da B nichts sondere dann von grosser praktischer Bedeutung,
von der höheren Kilometerzahl wusste. wenn der Käufer die strengen Sachgewährleistungs­
voraussetzungen der rechtzeitigen Mängelrüge und
2. Anspruch aus Art. 97 OR ist auch verjährt der kurzen Verjährungsfrist nicht eingehalten hat. In
Rechtsprechung und ein Teil der Lehre lassen neben der Literatur wird diese Rechtsprechung überwie­
der Sachmängelgewährleistung auch Schadenersatz­ gend (und zu Recht) abgelehnt28• Hauptkritikpunkt
ansprüche nach Art. 97 ff. OR zu2'. Die mangelhafte ist gerade die Ausschaltung der strengen Vorschrif-
Erfüllung eines Kaufvertrages stelle - so die Begrün­
dung - einen besonderen Fall der nicht gehörigen 26 So BernerKomm I GIGER, Rz. 26 ff. zu Vorb. Art. 197 -
Erfüllung dar. An sich widerspricht dies dem Grund­ 210 OR; KELLER I SIEHR (Fn. 2) 106 f.
27 Anstelle vieler: BGE 98 11 20 f.:107 II 421:108 II 104; 109 II
satz, dass spezielle Bestimmungen den allgemeinen
322; 114 II 133 ff. In BGE 98 II 21 wird diese Lösung als
vorgehen. Das Bundesgericht unterstellt freilich die
«Norm des Gewohnheitsrechts» bezeichnet. Im Viehkauf
Klage auf Schadenersatz nach Art. 97 Abs. 1 OR der hingegen wendet das Bundesgericht seltsamerweise das
Mängelrügeobliegenheit des Art. 201 OR und der Gewährleistungsrecht exklusiv an: BGE 70 II 48; 111 II 70.
Zu beachten ist. dass beim Gattungskauf das Problem
24 Vgl. vorne Antwort zu Frage 3. eines mit Sachmängelrecht konkurrierenden Irrtums nur
25 BGE 58 II 207; 63 II 405:82 11139:90 II 88; 95 11125: 96 II dann auftauchen kann, wenn die gesamte Gattung mangel­
117: 107 II 161; 108 II 104; 114 II 134. BernerKomm I haft ist. sich also der Irrtum auf eine Eigenschaft der gan­
GIGER, Rz. 20 ff.; KELLER I SIEHR (Fn. 2) 105 ff. Ande­ zen Gattung bezieht; ansonsten liegt kein Irrtum bei Ver­
rer Meinung: BaslerKomm/ WIEGAND, Rz. 28 zu Art. 97 tragsschluss. sondern eine mangelhafte Lieferung vor.
OR: BaslerKomm I HONSELL. Rz. 6 zu Vorb. Art. 197 - 28 PETER GAUCH/ WALTER R. SCHLUEP I JÖRG
210 OR: HO SELL (Fn. 15) 106 L GUHL/ KOLLER SCHMID. Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemei­
(Fn. 17) § 42 Rz. 62; Berner Komm I WEBER. Rz. 110 ff. zu ner Teil, Band I, 7. A., Zürich 1998. Rz. 807; BaslerKomm I
HONSELL, Rz. 9 ff. zu Vorb. Art. 197 - 210 OR; Basler
Vorb. Art. 97 - 109 OR.

100 25

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d
RENNWAGENKAUF MIT PROBLEMEN

ten der Sachmängelhaftung, namentlich der Art. 200 Rennen für A subjektiv wesentlich für den Vertrags­
Abs. 2, 201 und 210 OR. schluss war.
Folgt man der Auffassung des Bundesgerichts, ist Liegt ein Willensmangel vor, so ist nach dem
zu prüfen, ob die Voraussetzungen für einen Irrtum Wortlaut des Art. 23 OR der Vertrag für die irrende
(genauer: einen Grundlagenirrtum29), vorliegen. Der Partei unverbindlich. Die Unverbindlichkeit muss
Irrtum muss ein wesentlicher sein - ansonsten liegt innerhalb eines Jahres ab Kenntnis des Irrtums gel­
bloss ein rechtlich unbeachtlicher Motivirrtum vor tend gemacht werden (Art. 31 OR). Nach einer
(Art. 23 und 24 Abs. 2 OR). Wesentlichkeit liegt vor, rechtswirksamen Anfechtung sind die erbrachten
wenn nach allgemeiner Verkehrsanschauung (objek­ Leistungen zurückzuerstatten. Sachleistungen, die
tive Wesentlichkeit) sowie aus der Sicht des Erklä­ der Verkäufer erbracht hat, können mit der Eigen­
renden (subjektive Wesentlichkeit) die Bindung an tumsklage («Vindikation») gemäss Art. 641 Abs. 2
die nicht gewollte Erklärung als unzumutbar ZGB zurückverlangt werden. Geldleistungen des
erscheint30• Käufers sind nach dem Bereicherungsrecht gemäss
A hätte den Kaufvertrag über den Wagen 2 wohl Art. 6 2 ff. OR zurückzuerstatten. A muss somit den
nicht oder zumindest nicht zu diesem Preis abge­ Wagen 2 zurückgeben und kann im Gegenzug den
schlossen, wenn er von den vielen gefahrenen Kilo­ Kaufpreis zurückverlangen.
metern gewusst hätte, womit die subjektive Wesent­ Falls A seinen Irrtum hätte bemerken können,
lichkeit gegeben ist. Gleiches gilt hinsichtlich der kommt eine Haftung gemäss Art. 26 OR in Betracht:
objektiven Wesentlichkeit, da der Wert des Autos Danach hat der fahrlässig Irrende dem Vertragspart­
erheblich vom irrtümlich vorgestellten Sachverhalt ner Ersatz des aus dem Dahinfallen des Vertrages
(weniger gefahrene Kilometer und Rennen) erwachsenen Schadens zu leisten, d.h. das negative
abhängt; auch ein Dritter hätte den Vertrag nicht zu Vertragsinteresse zu ersetzen. Hätte B den Irrtum
diesem Preis abgeschlossen. von A ebenfalls bemerken müssen, so wird der
Rechtsprechung und ein Teil der Lehre fordern Ersatz nach Art. 44 OR reduziert oder die Haftung
überdies als zusätzliche Voraussetzung zu Recht, entfällt ganz32•
dass die subjektive Wesentlichkeit für die andere
Partei erkennbar ist31• Im vorliegenden Fall hätte es F.Frage 5
für B wohl erkennbar sein müssen, dass der Kilome­
1. Aufgabenstellung
terstand von 1500 km und die Anzahl gefahrener
B liefert den Wagen 4 am 15. Mai 2001 vertragsge­
mäss an A. Der Wagen ist perfekt aufgebaut und ent­
TAKTISCHE FEHLER
spricht voll und ganz den vertraglichen Vereinbarun­
• Viele Studierende schreiben umfangreiche theoretische Ausführungen (bzw. brei­ gen. A verweigert die Annahme. Er sagt, er sei stink­
ten ihr «Lehrbuchwissen» aus), ohne auf den konkreten Sachverhalt einzugehen, sauer auf B, denn er habe den Wagen 3 nicht verein-
d.h. die spezifischen Fragen zu beantworten. Mit allgemein gehaltenen Darlegun­
gen kann bloss ein Teil der Punktzahl erreicht werden. So wurden etwa bei Frage 2 Komm I SCHWENZER, Rz. 9 zu Vorb. Art. 23 - 31 OR;
die verschiedenen Möglichkeiten beim Schuldnerverzug (nochmals) kurz ausge­ HONSELL (Fn. 15) 111 ff. mit der ausführlichsten Argu­
führt, ohne aber zu erläutern, welche aus welchen Gründen die beste Vorgehens­ mentation. Der Rechtsprechung folgend hingegen: Berner
weise ist. Komm/ GIGER, Rz. 60 zu Vorb. Art. 197 - 210 OR;
• Manche Studierende konnten aus Zeitgründen bloss einen Teil der Fragen beant­
BUCHER (Fn. 13) 109; GUHL/ KOLLER (Fn. 17) § 42
Rz. 63- anders hingegen: KOLLER (Fn. 11) N 1125.
worten. Oft wurden diese dafür übermässig ausführlich abgehandelt. Aufgrund
29 Ein Erklärungsirrtum kommt gemäss Sachverhalt nicht in
des Umstandes, dass für jede Aufgabe bloss eine bestimmte Anzahl Punkte zu
Betracht.
vergeben ist, dürfte diese Strategie wenig erfolgreich sein. Dies gilt insbesondere 30 SCHWENZER (Fn. 1) Rz. 37.02. Vgl. zur subjektiven
dann, wenn man die Zeit überdies noch für lange theoretische Ausführungen ver­ Wesentlichkeit BGE 53 II 153; 95 II 409, zur objektiven
wendet. Erfolgsträchtiger ist es, sich zu Beginn der Prüfung pro Aufgabe ein Zeit­ Wesentlichkeit BGE 118 II 62 und 118 U 301.
budget zu erstellen und in dieser Zeit die für die Lösung wesentlichen Ausführun­ 31 BGE 97 II 46 f.; 105 II 22; 110 II 303; SCHWENZER (Fn.
gen zu machen. 1) Rz. 37.27; BernerKomm / SCHMIDLIN, Rz. 75 ff. zu
Art. 23/24 OR; BaslerKomm / SCHWENZER, Rz. 23 zu
• Oft wurde die Verjährung sowohl in Frage 3 als auch Frage 4 verneint oder in bei­
Art. 24 OR. Offen gelassen in BGE 114 II 139. A.M.: KOL­
den Fragen bejaht. Entsprechend kam man bei Fragen zu gleich lautenden Lösun­
LER (Fn. 11) N 1078 ff.; GAUCH I SCHLUEP / SCHMID
gen. Studierende sind gut beraten, in solchen Situationen den Fehler nicht in der
(Fn. 28) Rz. 781.
Aufgabenstellung, sondern in der eigenen Lösung zu vermuten. 32 Vgl. hierzu KOLLER (Fn. 11) N 1162 (mit anschaulichem
Beispiel).

101
26 ius.full 1/03
barungsgemäss geliefert und die anderen Wagen bezeichnen somit ein und denselben Vorgang, von
seien auch nicht ok. Er verweigere damit endgültig zwei Seiten aus betrachtet»36• Von der Abnahme ist
die Abnahme. Er zahle keinen Rappen und wolle die Genehmigung des Werkes gemäss Art. 370 OR
den Wagen nicht mehr. zu unterscheiden37• Letztere folgt zeitlich der Abnah­
Was für einen Vertrag haben A und B bezüglich me und ist eine Willenserklärung des Bestellers, das
des RSR (Wagen 4) geschlossen? Begründen Sie abgelieferte Werk als vertragsgemäss gelten zu las­
Ihre Antwort. [4 Punkte] sen.
Kann B verlangen, dass A den Wagen abnimmt? B liefert den Wagen 4 vereinbarungsgemäss am
[2 Punkte) 15. Mai 2001. Da die Ablieferung seitens des Unter­
Kann B verlangen, dass A den vereinbarten Preis nehmers und die Abnahme seitens des Bestellers ein
bezahlt? [2 Punkte] und denselben Vorgang darstellen, hat A mit der
Ablieferung den Wagen bereits abgenommen. Über­
II. Lösung dies ist zu beachten, dass A das gehörig angebotene
Auto, das keine Mängel hat, auch annehmen muss,
1. Art des Vertrages ansonsten er in Annahmeverzug gerät (Art. 91 OR).
In Betracht kommt ein Kauf- oder ein Werkvertrag. Es wäre für A nur möglich gewesen, vom Werkver­
Beim Kaufvertrag steht die Verpflichtung des Ver­ trag zurückzutreten, solange das Werk noch unvoll­
käufers zur Übergabe der Sache und der Eigentums­ endet war (Art. 377 OR). Und dies auch nur gegen
verschaffung im Vordergrund33, während beim Werk­ Vergütung der bereits geleisteten Arbeit und gegen
vertrag der Unternehmer ein messbares Arbeitsre­ volle Schadloshaltung von B.
sultat schuldet. Der Vertrag über eine erst herzustel­
lende Sache ist Werkvertrag, «wenn die Sache Ein­ 3. Anspruch auf vereinbarten Preis
maligkeitscharakter aufweist und nicht rou­ Gemäss Art. 372 Abs. 1 OR hat der Besteller die Ver­
tinemässig hergestellt wird»34• gütung bei Ablieferung des vollendeten Werkes zu
Der Porsche RSR (Wagen 4) ist noch nicht (fer­ bezahlen. Das bedeutet, dass das Entgelt im Zeit­
tig) gebaut und soll dem A erst fünf Monate nach punkt der Ablieferung fällig wird, also nicht früher
Vertragsschluss, am 15. Mai 2001, geliefert werden. (vor der Ablieferung) und auch nicht später (z.B. erst
Das Rennauto wird nicht serienmässig hergestellt, nach der Prüfung der Sache durch den Besteller)38•
sondern speziell für den Besteller angefertigt, so dass Da Wagen 4 gemäss Sachverhalt keine Mängel hat,
ein Werkvertrag zwischen A und B vorliegt. Kauf wird der vereinbarte Preis in der Höhe von Fr.
käme bloss in Betracht, wenn der Wagen schon bei 175 000.- mit Ablieferung bzw. Abnahme fällig. W
Vertragsschluss fertig gebaut wäre oder es sich um
ein industrielles Serienprodukt handelt. Beides ist
nach dem Sachverhalt jedoch zu verneinen.

2. Anspruch auf Abnahme des Wagens


Den Unternehmer trifft neben der Herstellungs­
pflicht auch eine Ablieferungspflicht. Ablieferung 36 GAUCH (Fn. 34) Rz. 97 f. mit weiteren Verweisen.
bedeutet die in der Absicht der Vertragserfüllung 37 Zu beachten ist, dass die Terminologie bezüglich Abnahme,
Annahme und Genehmigung in der Lehre uneinheitlich
vorgenommene Übergabe des beendeten (wenn
und verwirrend ist. Während z.B. HONSELL (Fn. 15) 286 f.
auch gegebenenfalls mangelhaften) Werkes an den
die Annahme als tatsächliche Entgegennahme von der
Besteller35• Dieser Ablieferung entspricht - aus der Abnahme als Genehmigung unterscheidet, setzen sowohl
Sicht des Bestellers - die Abnahme des Werkes. GAUCH (Fn. 34) Rz. 97 ff. als auch BaslerKomm I ZIN­
«Ablieferung und Abnahme im Sinne des Gesetzes DEL / PULVER, Rz. 3 zu Art. 370 OR die Abnahme und
die Annahme gleich und bezeichnen die Billigung des Wer­
33 So Art. 184 Abs. 1 OR. Vgl. hierzu auch Antwort zu Frage l. kes als Genehmigung. In Übereinstimmung mit der neue­
34 BUCHER (Fn. 13) 202. l m Einzelfall kann die Abgrenzung ren bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 115 II 458
heikel sein. da das Kaufobjekt auch eine künftige, d.h. bei f.; anders allerdings: BGE 89 II 235.; unklar: BGE 97 II 354)
Vertragsschluss noch nicht existierende Sache sein kann. und dem Wortlaut von Art. 370 Abs. 1 OR folgend wird
Man spricht von «Kauf über eine künftige Sache». Siehe hier zwischen Ab- bzw. Annahme einerseits und Genehmi­
zur Abgrenzung PETER GAUCH. Der Werkvertrag, 4. A., gung andererseits unterschieden.
Zürich 1996. Rz. 127 ff. 38 GAUCH (Fn. 34) Rz. 1153; BaslerKomm I ZINDELI
35 So z.B. BGE 107 II 52 f. und 115 II 458. PULVER, Rz. 2 zu Art. 372 OR.

102 27

ius.full 1/03
B. Weitere Prüfungen

103
1. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2001

104
UNIVERSITÄT ST. GALLEN – HOCHSCHULE FÜR WIRTSCHAFTS-
RECHTS- UND SOZIALWISSENSCHAFTEN (HSG)

PRÜFUNG ASSESSMENTSTUFE FRÜHJAHR 2002

PRIVATRECHT / GESELLSCHAFTSRECHT

Prof. Dr. Vito Roberto


Prof. Dr. Thomas Geiser
Dr. Andreas Binder

MUSTERLÖSUNG
Administrative Weisungen

1. Auf der ersten Seite der Arbeit sind folgende Angaben zu machen:
− Name und Vorname der Kandidatin / des Kandidaten
− Muttersprache

2. Die Seiten der Arbeit sind zu nummerieren.

3. Für die Beantwortung der einzelnen Aufgaben ist jeweils ein neues Blatt zu benützen und der
Name und Vorname der Kandidatin / des Kandidaten anzugeben.

4. Achten Sie auf korrekte Darstellung und ausformulierte Sätze; Nichtbeachtung dieser Vorgabe
führt zu Punkteabzügen.

5. Lassen Sie auf allen Seiten einen Rand frei.

6. Die Antworten sind gut leserlich zu schreiben. Unleserliches gilt als nicht geschrieben.

7. Alle Lösungen sind zu begründen, und zwar, so weit vorhanden, unter Hinweis auf die mass-
gebenden Rechtsnormen. Die Angabe von Artikeln allein genügt nicht.

8. Es sind ausschliesslich die gestellten Fragen zu beantworten. Exkurse werden nicht bewertet.
Es werden nur Antworten berücksichtigt, die sich bei der entsprechenden Fragenziffer befin-
den. Es ist also unzulässig, Antworten im Zusammenhang mit der Beantwortung anderer Fra-
gen zu geben.

9. Das Umschlagblatt ist nicht als Lösungsblatt zu benützen.

10. Diese Aufgabenblätter sind ebenfalls abzugeben!

105
INSGESAMT SIND 120 PUNKTE ERZIELBAR.

A. Einzelfragen Privatrecht (32 PUNKTE)

1. Wie ist ein BGE aufgebaut? 4 PUNKTE


• „Titel“ bzw. offizielle Zitierweise
• Rubrum
• Regesten (Leitsätze): Kurzfassung der zur Entscheidung gelangten erhebli-
chen Rechtsfragen; Kernaussage des Entscheids, dreisprachig
• Sachverhalt
• Erwägungen

2. Was verstehen Sie unter Gender Studies in den Rechtswissenschaften? 2 PUNKTE


„Gender“ wird in der Regel mit „Geschlecht“ oder „sozialem Geschlecht“ übersetzt
und „Gender Studies“ bezeichnen demgemäss die Geschlechterforschung, bzw.
die Frauen- und Geschlechterforschung.

Ziel der Gender Studies: kritische wissenschaftliche Analyse des geltenden


Rechts, Erfassung struktureller Bedingungen für Tun und Lassen von Frauen und
Männern (z.B. sexistische Arbeitsbedingungen erkennen), Erfassung und Beseiti-
gung der Geschlechterblindheit, Weiterentwicklung der Rechtsgleichheitskonzepte
usw.

3. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit ist im schweizerischen Recht veran-


kert.

a) Welche „Einzelfreiheiten“ umfasst die Vertragsfreiheit? 2 PUNKTE


• Abschlussfreiheit,
• Partnerwahlfreiheit,
• Inhaltsfreiheit (Typenfreiheit),
• Formfreiheit,
• Aufhebungs- und Änderungsfreiheit

b) Können diese Einzelfreiheiten eingeschränkt werden? 2 PUNKTE


Ja, die genannten Freiheiten gelten nur dem Grundsatz nach. Das Gesetz sieht
verschiedene Schranken vor (Art. 19 Abs. 2, Art. 20 Abs. 1 OR, Art. 27 Abs. 2
ZGB):
• durch das Erfordernis eines möglichen Vertragsinhalts
• durch zwingende Normen der Privatrechtsordnung
• durch das öffentliche Recht
• usw.
So wird die Inhaltsfreiheit z.B. durch zwingende Bestimmungen und die Formfrei-
heit durch Formvorschriften usw. eingeschränkt.

106
4. Zählen Sie die wichtigsten Theorien zur Abgrenzung von Privatrecht –
Öffentliches Recht auf. Machen Sie jeweils ein Beispiel. 4 PUNKTE
• Subordinationstheorie
• Interessentheorie
• Funktionstheorie
• Modale Theorie

• Beispiel Subordinationstheorie: Wo der Staat hoheitlich auftritt Bsp. Militär-


dienst / Enteignung eines Grundstücks
• Beispiel Interessentheorie: Rechtsnormen, die ausschliesslich oder vorwiegend
öffentliche Interessen wahrnehmen, gehören zum Öffentlichen Recht Bsp.
Lärmvorschriften
• Beispiel Funktionstheorie: Für Aufgaben, die der öffentlichen Verwaltung durch
Gesetz übertragen wurden, gilt Öffentliches Recht Bsp. Universitätsgesetz
• Beispiel Modale Theorie: Rechtsnormen, die zu öffentlich-rechtlich ausgestalte-
ten Sanktionen führen, gehören dem Öffentlichen Recht an. Dasselbe gilt na-
türlich auch vice versa. Bsp. Viele Sanktionen des Bundesgesetzes über den
Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland sind zivilrechtlich aus-
gestaltet.

5. Woran erkennt man bei einer Rechtsanwendung, ob eine Regelung pri-


vatrechtlich oder öffentlich-rechtlich ist? 2 PUNKTE
• Faustregel: Wenn die Norm eine vertragliche oder vertragsähnliche Be-
ziehung zwischen zwei ungleichen Parteien regelt, liegt öffentliches
Recht vor.

• Es liegt ein Subordinationsverhältnis vor, der Staat tritt hoheitlich auf.

• Gleichstellung spricht für Privatrecht, es sei denn die beiden Parteien


erfüllen mit ihrem Vertrag eine öffentliche Aufgabe.

• Beim Vorliegen zwingender Bestimmungen ohne Eingreifen des Staates


von Amtes wegen handelt es sich um eine privatrechtliche Regelung.

• Ist das Eingreifen in das Verhältnis der beiden Parteien durch einen Ver-
waltungsakt vorgesehen oder von Amtes wegen möglich, handelt es
sich um eine öffentlich-rechtliche Regelung.

107
6. Erläutern Sie die Begriffe Dissens und Konsens. 6 PUNKTE

KONSENS: Stimmen die ausgetauschten Willen resp. Willensäusserung


überein resp. die Parteien sind sich einig, liegt Konsens vor.

NATÜRLICHER (TATSÄCHLICHER) KONSENS:


Stimmen bei den ausgetauschten Willenserklärungen jeweils der wirkliche und
der erklärte Wille überein und werden die Erklärungen richtig verstanden,
liegt ein natürlicher Konsens vor
Drückt sich eine Partei oder beide Parteien unrichtig aus, verstehen sich die
Parteien aber gleichwohl richtig, liegt ebenfalls ein natürlicher Konsens vor.
Wille unrichtig ausgedrückt, hätte aber richtig erkannt werden müssen.

NORMATIVER KONSENS: Ergibt sich aufgrund der nach dem Vertrauensprin-


zip ausgelegten Willenserklärung eine übereinstimmende Willensäusserung,
so spricht man von einem normativen (rechtliche) Konsens.

DISSENS: Es liegt weder ein natürlicher noch ein normativer Konsens vor,
resp. die Willensäusserungen stimmen nicht überein, die Vertragsparteien sind
sich nicht einig.
Es ist auch kein Vertrag zustande gekommen.

OFFENER DISSENS: Die Parteien sind sich bewusst, dass ihre Willenserklä-
rungen nicht übereinstimmen („to agree to disagree“).

VERSTECKTER DISSENS: Parteien sind sich nicht bewusst, dass ihre Willenser-
klärungen nicht übereinstimmen.

7. Annabelle schliesst mit Claudius einen Kaufvertrag im Namen von Berta


ab, ohne im Besitz der erforderlichen Vertretungsmacht von Berta zu
sein.
Unter welchen Voraussetzungen / in welchen Fällen entfaltet das Rechts-
geschäft für den Vertretenen Wirkung? 4 PUNKTE

• Art. 38 OR: Berta, die Vertretene, genehmigt das Rechtsgeschäft nachträglich

• Art. 33 Abs. 3 OR: Berta, die Vertretene, gibt dem Dritten eine Vollmacht
kund, die sie überhaupt nicht erteilt hat. Bei Claudius wurde ein falscher
Rechtsschein erweckt.

• Art. 34 Abs. 3 OR: Vollmacht wird gegenüber der Vertreterin, Annabelle, ganz
oder teilweise widerrufen, jedoch ohne Mitteilung des Widerrufs an Claudius,
dem sie ausdrücklich oder stillschweigend vorher kundgegeben wurde. Ein
falscher Rechtsschein wurde beim Dritten nicht zerstört

• Art. 37 OR: Wenn das Erlöschen der Vollmacht dem Bevollmächtigten, Anna-
belle, nicht bekannt geworden ist und auch der Dritte, Claudius, davon keine

108
Kenntnis hatte, wird der Fortbestand der Vollmacht von Gesetzes wegen fin-
giert.

8. Sie beauftragen den Anwalt Müller in einer gerichtlichen Streitigkeit. 6 PUNKTE

a) Der Anwalt Müller trägt die gerichtliche Frist falsch in seine Agenda ein,
weshalb er den Gerichtstermin verpasst und der Streit verloren wird. Wel-
che Rechte haben Sie gegen ihn? 2 PUNKTE

Kann die Erfüllung des Auftrages gem. Art. 394 ff. OR nicht gehörig bewirkt
werden gem. Art. 398 OR, so hat der Anwalt Müller für den daraus entstehenden
Schaden Ersatz zu leisten gem. Art. 97 Abs. 1 OR.

b) Die Sekretärin von Anwalt Müller (Frau Huber) trägt die gerichtliche Frist
falsch in ihre Agenda ein, weshalb der Streit verloren wird. Welche Rechte
haben Sie gegen Rechtsanwalt Müller? 2 PUNKTE

Art. 101 OR i.V.m. Art. 398 OR: Der Vertragsschuldner, Anwalt Müller, muss für
den Schaden einstehen, den seine Hilfsperson / Erfüllungsgehilfe dem Ver-
tragsgläubiger, also Ihnen, in Ausübung seiner Verrichtungen zugefügt hat (funkti-
oneller Zusammenhang). Eine Haftung des Anwalts Müller setzt voraus, dass die
Handlung der Sekretärin auch ihm vorgeworfen werden könnte, wenn er sie selbst
vorgenommen hätte (hypothetische Vorwerfbarkeit).

c) Rechtsanwalt Müller gibt den Fall, da er keine Ahnung von wirtschafts-


rechtlichen Fällen hat, an den auf Wirtschaftsfälle spezialisierten Anwalt
Schneider, welcher die Frist verpasst. Welche Recht haben Sie gegen
Rechtsanwalt Müller? 2 PUNKTE

Von der Verwendung einer Hilfsperson ist die Substitution, d.h. die Übertra-
gung des Auftrages oder eines Teilauftrages zur selbständigen Erledigung an ei-
nen Dritten – zu unterscheiden.
Gemäss Art. 398 Abs. 3 OR ist dies durchaus möglich.
Massgeblich ist zudem, dass der Beizug des Dritten im Interesse des Auftragge-
bers erfolgte.

Rechtsanwalt Müller haftet bei erlaubter Substitution nur für gehörige Sorgfalt bei
der Auswahl und der Instruktion des Dritten, also des Rechtsanwaltes Schnei-
der, Art. 399 Abs. 2 OR.

Ist demgegenüber eine Substitution gemäss Art. 398 Abs. 3 OR nicht zulässig, so
haftet Rechtsanwalt Müller „für dessen Handlungen, wie wenn es seine eigenen
wären“ (Art. 399 Abs. 3 OR).

109
B. Ein Rennwagenkauf mit (kleinen) Problemen (44 Punkte)

A kauft von dem Rennteam B vier Rennwagen. Sie schliessen am 30. No-
vember 2000 einen schriftlichen Vertrag und halten die jeweiligen Daten und
Angaben im Vertrag fest. B soll drei Rennwagen, nämlich Wagen 1 bis 3,
dem A zwei Wochen nach Vertragsschluss liefern. Den Wagen 4 soll B erst
am 15. Mai 2001 frei Haus liefern, denn der Wagen ist noch nicht fertig auf-
gebaut.

• Porsche 911 GT 3 RS, Baujahr 2000, 2.000 km, für Fr. 250‘000.- unfallfrei,
neuwertig, perfekter Zustand (Wagen 1)

• Porsche 911 GT 3 Cup, Baujahr 1999, für Fr. 225‘000.-, Auto ist garantiert
nur 2 Rennen gelaufen, garantiert nur 1‘500 km insgesamt, perfekter Zu-
stand (Wagen 2)

• Porsche 911 GT 2, Baujahr 1996, für Fr. 200‘000, sehr schnell, Motor hat
garantiert 630 PS, Motor ist neu revidiert (Kolben + Ventile neu) (Wagen 3)

• Porsche 911 RSR, Baujahr 1973 für Fr. 175'000.-. Der Wagen wird auf Ba-
sis der neuwertigen original Porsche Rohkarosse aus dem Jahr 1973,
Nummer WPOZZZ1973RSR18, gebaut (Wagen 4)

B liefert die Wagen 1 und 2 am 17. Dezember 2000 dem A. Den Wagen 3 lie-
fert B nicht. B sagt, dass er den Wagen in eine Ausstellung gegeben habe;
dort würde der Wagen bis zum 31. Januar 2001 ausgestellt werden. Er habe
schon seit Jahren versucht, einen seiner Wagen in solch eine Ausstellung
zu geben, und nun endlich habe er die Chance dafür einen Tag nach dem
Verkauf erhalten. Er sei auf die Publicity angewiesen und habe dies bei Ver-
tragsschluss nicht wissen können. Er verspreche, den Wagen sofort danach
dem A zu liefern. A nimmt die Wagen 1 und 2 an und zahlt dem B vertrags-
gemäss Fr. 475‘000.- für die beiden Autos. Er sagt, er will seinen GT 2 (Wa-
gen 3) sofort haben, ihn gehe die Ausstellung nichts an.

1. Welche rechtlichen Möglichkeiten stehen A in Bezug auf den Wagen 3 zur


Verfügung? Erläutern Sie die Möglichkeiten ausführlich. 10 PUNKTE
Hier geht es um das Institut des Schuldnerverzuges – Art. 102 ff. OR

Folgende Voraussetzungen müssen erfüllt sein: Leistung ist noch möglich - Forde-
rung ist fällig - Gläubiger hat den Schuldner grundsätzlich gemahnt - egal, ob
Schuldner Verschulden an der Verspätung trifft – Gläubiger bietet Erfüllung sei-
nerseits an (Art. 82 OR):

Muss A mahnen (Art. 102 ff. OR)? Im konkreten Fall muss A nicht mahnen, da
nach Art. 102 Abs. 2 OR (oder nach Art. 190 Abs. 1 OR) ein Fixgeschäft vorliegt.
Um die besonderen Verzugsfolgen von Art. 107 ff. OR nutzen zu können, muss
der Gläubiger dem Säumigen grundsätzlich eine angemessene Frist zur nachträg-
lichen Erfüllung ansetzen (Art. 107 Abs. 1 OR). Von der Ansetzung einer Nachfrist

110
kann gemäss Art. 108 OR aber in verschiedenen Fällen abgesehen werden, so
z.B.
• wenn aus dem Verhalten des B hervorgeht, dass sie sich als unnütz erweist
(Ziff. 1),
• wenn infolge des Verzugs des B die Leistung für den A nutzlos geworden ist
(Ziff. 2),
• wenn sich aus dem Vertrag die Absicht der Parteien ergibt, dass die Leistun-
gen genau zu einer bestimmten oder bis zu einer bestimmten Zeit erfolgen soll
(Ziff. 3).

A braucht keine Nachfrist mehr zu setzen, es war ein bestimmter Tag verabredet
und A erklärte dem B, dass er eine Erfüllung wünsche und B legte ihm unmissver-
ständlich dar, dass er jetzt nicht leisten werde (Art. 108 Ziff. 1 OR).

Dem A stehen nun folgende Wahlmöglichkeiten gemäss Art. 107 Abs. 2 OR zu:

• Beharren auf Erfüllung des Vertrages und Ersatz des Verzugsschadens:


Rechtsfolgen richten sich nach Art. 103 – 106 OR.

• Verzicht auf Vertragserfüllung unter Aufrechterhaltung des Vertrages


und Verlangen von Schadenersatz wegen Nichterfüllung: Voraussetzun-
gen des Schadenersatzes: Vertragsverletzung (Verzug) – Schaden – Ver-
schulden des B (wird vermutet; Exkulpationsbeweis) – Adäquater Zusammen-
hang

• Verzicht auf Vertragserfüllung und Rücktritt vom Vertrag: Art. 109 OR:
Der Gläubiger kann die versprochene Gegenleistung verweigern. Sodann
kann er in diesem Fall lediglich für denjenigen Teil des Schadens Ersatz be-
anspruchen, der durch das Dahinfallen des Vertrages entstanden ist (Ersatz
der Auslagen usw.).

Variante: Schuldnerverzug im kaufmännischen Verkehr nach OR 190 f.:


Schuldnerverzug nach OR 190 f. Voraussetzung kaufmännischer Verkehr. Wahl-
rechte nach OR 190. Verzicht auf Lieferung und Schadenersatz wegen Nichterfül-
lung OR 190 Abs. 1. Beharren auf der Erfüllung OR 190 Abs. 2: Rechtsfolgen
nach OR 103 – 106. Schadenersatz wegen Nichterfüllung OR 190 Abs. 1 i.V.m.
OR 191 Abs. 1 und 2 (OR 107 Abs. 2): Voraussetzungen OR 97.

2. Welche Vorgehensweise würden Sie A empfehlen, wenn B den Wagen,


wie angekündigt, in die Ausstellung gibt und A den GT 2 (Wagen 3) am 8.
Januar 2001 für Fr. 245'000.- hätte weiterverkaufen können? Begründen
Sie Ihre Auffassung. 6 PUNKTE

Verzicht auf die Vertragserfüllung unter Aufrechterhaltung des Vertrages


und Verlangen von Schadenersatz wegen Nichterfüllung. Wahlmöglichkeit
gemäss Art. 107 Abs. 2 OR: Der Schadenersatz wegen Nichterfüllung soll den
Gläubiger gleichstellen, wie wenn der Vertrag ordnungsgemäss erfüllt worden wä-
re. Beste Möglichkeit für A ist es also, am Vertrag über den Wagen 3 festzuhal-
ten und Schadenersatz wegen Nichterfüllung zu fordern, ihm ist das positive

111
Vertragsinteresse (Erfüllungsschaden) zu ersetzen. Er kann somit die Differenz
von Fr. 200'000.- zu Fr. 245'000.- (= Fr. 45'000.-) von B als Schadenersatz for-
dern. (Möglich auch: Fr. 200'000 geben und Fr. dann 245'000 nehmen; Aus-
tauschtheorie).

Ungünstig(er) wäre es für A, den Rücktritt vom Vertrag über den Wagen 3 zu
erklären: er wäre dann so zu stellen, als ob er den Vertrag nie geschlossen hätte
(negatives Vertragsinteresse). Fr. 45'000.-, wie beim positiven Vertragsinteres-
se, können nicht geltend gemacht werden.

Natürlich stünde ihm auch das „Beharren auf Erfüllung des Vertrages und Er-
satz des Verzugsschadens“ zu. Er könnte so dem B noch eine Nachfrist setzen
und nach deren Verstreichen immer noch zu anderen Rechtsbehelfen greifen.

Variante Schuldnerverzug im kaufmännischen Verkehr nach OR 190 f.: Ver-


zicht auf Vertragserfüllung unter Aufrechterhaltung des Vertrages und Verlangen
von Schadenersatz wegen Nichterfüllung OR 190 Abs. 1 i.V.m. OR 191 Abs. 1
und 2: positives Vertragsinteresse. Wahlmöglichkeit gemäss OR 190. Natürlich
steht ihm auch Beharren auf Erfüllung des Vertrages nach OR 190 Abs. 2 zu,
wenn er dies unverzüglich erklärt.

Variante: Art. 97 OR

Kurz nachdem B wieder abgefahren ist, wird A überraschenderweise ge-


schäftlich ins Ausland geschickt. In der Hektik hat er keine Zeit, die erhalte-
nen Wagen 1 und 2 genauer anzuschauen. Erst im März 2002 kommt A dazu,
die Wagen auf einer Rennstrecke zu bewegen. Bei der dafür notwendigen
Vorbereitung der Rennwagen stellt sein Renningenieur folgendes fest:

Der Wagen 1 hatte schon einen Unfall. A muss erfahren, dass der Wagen
einen mehrfachen Überschlag bei einem Rennen in Hockenheim hatte. Dabei
wurde das Auto erheblich beschädigt, der Käfig und der Rahmen wurden
verbogen. Der Schaden wurde allerdings fachmännisch nach allen Regeln
der Kunst repariert. Der Schaden war nach der Reparatur von einem Laien
nicht zu erkennen; nur ein Fachmann hätte den Schaden erkennen können.
B als Fachmann wusste von dem Schaden.

3. Was kann A machen? Er möchte den Wagen eigentlich nicht, da er die-


sen mit dem Schaden später nur schwer wird verkaufen können. Aller-
dings sind die GT 3 RS (Modell des Wagen 1) nur sehr schwer zu be-
kommen und für Fr. 150‘000.- würde er den Wagen schon behalten wol-
len. 10 PUNKTE

Art. 197 ff. OR: Gewährleistung wegen Mängel der Kaufsache (Sachgewährleis-
tung)

B haftet gemäss Art. 197 Abs. 1 OR dem A sowohl für zugesicherte Eigenschaf-
ten als auch dafür, dass die Sache nicht körperliche oder rechtliche Mängel habe,
die ihren Wert oder ihre Tauglichkeit zu dem vorausgesetzten Gebrauch aufheben

112
oder erheblich mindern. Eine Eigenschaft, welche zugesichert wurde, wurde nicht
eingehalten: B gab vor, dass der Wagen 1 unfallfrei sei; der Wert des Wagens ist
so vermindert.

Art. 200 OR kommt nicht zur Anwendung, da A den Mangel beim Vertragsab-
schluss nicht gekannt hat.

Gemäss Art. 201 OR besteht eine Prüfungs- und Rügeobliegenheit des Käufers.
Danach hätte A die Wagen unmittelbar nach Empfang prüfen und allfällige Mängel
sofort anzeigen müssen (sog. Mängelrüge). Unterlässt der Käufer die Mängelrü-
ge, gilt die Ware als genehmigt und der Käufer verliert sowohl Gewährleistungs-
als auch Schadenersatzansprüche.

Versteckte Mängel, die bei Abnahme und ordentlicher Prüfung nicht erkennbar
sind oder erst später zutage treten, müssen sofort nach Entdeckung gerügt wer-
den (OR 201 Abs. 1 und 2). Gemäss Art. 203 OR findet bei absichtlicher Täu-
schung eine Beschränkung der Gewährleistung wegen versäumter Anzeige aber
nicht statt.

An sich verjähren Klagen auf Gewährleistung wegen Mängel der Sache mit Ab-
lauf eines Jahres nach deren Ablieferung an den Käufer, selbst wenn dieser die
Mängel erst später entdeckt, es sei denn der Verkäufer eine Haftung auf längere
Zeit übernommen hat (Art. 210 Abs. 1 OR). Eine Haftung des Verkäufers auf län-
gere Zeit liegt gemäss Sachverhalt nicht vor. Aber: Gemäss Art. 210 Abs. 3 OR
kann die mit Ablauf eines Jahres eintretende Verjährung der Verkäufer, also B,
nicht geltend machen, wenn ihm eine absichtliche Täuschung des Käufers nach-
gewiesen wird.

Nach Art. 205 Abs. 1 OR hat A die Wahl zwischen der Wandelungs- und Minde-
rungsklage:
• Wandelung gemäss Art. 208 OR: Der Kaufvertrag wird rückgängig gemacht,
bereits erbrachte Leistungen, d.h. die Zahlung, können zurückgefordert wer-
den. Wandelungsklage ist angemessen, wenn die Mängel wesentlich sind: .
• Minderung des Kaufpreises: Zur Berechnung des Minderwertes können ver-
schiedene Methoden herangezogen werden; nach herrschender Meinung ist
der Minderwert nach der sog. relativen Methode zu berechnen. Berech-
nung:
objektiver Wert des mängelfreien Kaufgegenstandes = vereinbarter Kaufpreis
objektiver Wert des Kaufgegenstandes im tatsächlichen Zustand Minderungspreis X

A möchte den Wagen für Fr. 150'000.- anstatt für die bezahlten Fr. 250'000.-
behalten. Minderungspreis wäre also Fr. 100'000.-. Könnte gemäss Berech-
nung möglich sein.

• Nachlieferung gemäss Art. 206 OR bei Gattungssachen: Nicht ganz klar, ob


der Wagen 1 als eine Gattungssache qualifiziert werden kann. Dies ist sehr
wahrscheinlich zu verneinen.

• Irrtumsanfechtung: A kann bei schweren Mängeln den Vertrag auch wegen


Grundlagenirrtum nach Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR anfechten.

113
• Absichtliche Täuschung gemäss Art. 28 OR ist auch möglich.

Der Wagen 2 ist sowohl in Le Mans als auch am Nürburgring das 24-
Stunden-Rennen gelaufen (jeweils ca. 5‘000 km) und an weiteren sieben
Rennen im Porsche Cup Suisse (jeweils 300 km), was von einem Laien nicht
zu erkennen war. B wusste von diesen vielen gefahrenen Kilometern auch
nichts.

4. Was kann A machen? Erläutern Sie sämtliche Möglichkeiten, die A zur


Verfügung stehen, bzw. weshalb nicht. 10 PUNKTE

Klagen auf Gewährleistung wegen Mängel der Sache verjähren mit Ablauf
eines Jahres nach deren Ablieferung an den Käufer, selbst wenn dieser die
Mängel erst später entdeckt, es sei denn der Verkäufer hat eine Haftung auf län-
gere Zeit übernommen (Art. 210 Abs. 1 OR). Eine Haftung des Verkäufers B auf
längere Zeit liegt gemäss Sachverhalt nicht vor.

Art. 210 Abs. 3 OR kommt nicht zum Zug, da B auch nichts von den vielen gefah-
renen Kilometern wusste . Somit kann A weder eine Minderungs- noch eine
Wandelungsklage gemäss Art. 205 Abs. 1 OR geltend machen.

Zu prüfen bleibt die Anfechtung wegen Irrtum gemäss Art. 23 ff. OR.

Gemäss Art. 23 und 24 OR ist der Vertrag für denjenigen unverbindlich, der sich
beim Abschluss in einem wesentlichen Irrtum befunden hat. Wesentlich ist ein Irr-
tum, wenn man davon ausgehen kann, dass der Irrende bei Kenntnis des wahren
Sachverhalts die Erklärung nicht oder nur mit einem anderen Inhalt abgegeben
hätte. Zudem müssen folgende Voraussetzungen für einen Grundlagenirrtum er-
füllt sein:

• Subjektive Wesentlichkeit des Irrtums – bei Kenntnis der wahren Sachlage


hätte A den Vertrag nicht oder nicht zu diesen Bedingungen geschlossen;

• Objektive Wesentlichkeit des Irrtums – nach Treu und Glauben durfte A den
vorstellten Sachverhalt als notwendige Grundlage des Vertrages betrach-
ten;

• Erkennbarkeit des Irrtums für die Gegenpartei – die grundlegende Bedeu-


tung, welche A dem fälschlich vorgestellten Sachverhalt beimisst, hätte für
B erkennbar sein müssen.

Hier kann von einem wesentlichen Irrtum ausgegangen werden, A hätte den Wa-
gen 2 objektiv und subjektiv nicht zu diesem Preis gekauft, wenn er den gefahre-
nen Kilometerstand gewusst hätte. Im Vertrag wurde denn auch ausdrücklich fest-
gehalten, dass der Wagen nur „garantiert 1'500 KM insgesamt“ gelaufen sei. Art.
24 Abs. 1 Ziff. 4 OR ist hier anwendbar:

Die Geltendmachung der Unverbindlichkeit für Willensmängeln ist in Art. 31 OR


festgehalten. Zur Anfechtung des Vertrages ist nur derjenige berechtigt, welcher

114
dem Willensmangel unterlegen ist. Die Anfechtungserklärung ist innert eines Jah-
res ab sicherer Kenntnis des Irrtums abzugeben. Bei erfolgreicher Geltendma-
chung gilt der Vertrag von Anfang an (ex tunc) als unwirksam. Erbrachte Leistun-
gen sind somit zurückzuerstatten. Neben der Rückabwicklung sind noch allfällige
Schadenersatzansprüche der Parteien abzuklären..

5. Was für einen Vertrag haben A und B bezüglich des RSR (Wagen 4) ge-
schlossen? Begründen Sie Ihre Antwort. 4 PUNKTE
Hier liegt ein Werkvertrag gemäss Art. 363 ff. OR vor. Beim Werkvertrag ver-
pflichtet sich der Unternehmer gegenüber dem Besteller zur entgeltlichen Herstel-
lung eines Werkes. Der Werkbegriff ist weit zu verstehen. Die Bestellung des
Porsche RSR, welcher erst gebaut wird und eine erhebliche Arbeitsleistung benö-
tigt, ist als Werkvertrag zu qualifizieren.

Abgrenzung zum Kaufvertrag: Ein Kaufvertrag liegt vor, wenn der Vertragspart-
ner zwar eine Sache herstellt, aber auch ohne konkreten Vertrag tätig geworden
wäre. Allfällige Arbeitsleistungen gelten beim Kaufvertrag als untergeordnete Ne-
benpflichten.

6. Kann B verlangen, daß A den Wagen abnimmt? 2 PUNKT


Mängel liegen bei diesem Wagen gemäss Sachverhalt nicht vor. A muss das
gehörig angebotene Auto annehmen, ansonsten er in Annahmeverzug gerät
(Gläubigerverzug vgl. Art. 91 OR).
Vom Vertrag zurücktreten könnte A nur, solange das Werk noch unvollendet ist
(Art. 377 OR). Vorliegend ist der Wagen 4 aber schon vollendet.

7. Kann B den vereinbarten Preis verlangen? 2 PUNKT


Ja, gemäss Art. 372 Abs. 1 OR hat A die Vergütung bei Ablieferung des Wa-
gens 4 zu zahlen. Nach Ablieferung des Wagens hat A dessen Beschaffenheit zu
prüfen, bei Mängeln zu rügen, ansonsten das abgenommene Werk genehmigen
(Art. 367 – 370 OR). Mängel liegen bei diesem Wagen gemäss Sachverhalt nicht
vor.

115
C. Einzelfragen Gesellschaftsrecht (24 Punkte)

1. Vergleichen Sie die folgenden Gesellschaftsformen 2 PUNKTE


• Kollektivgesellschaft Rechtsgemeinschaft
• AG Körperschaft
• GmbH Körperschaft
• Verein Körperschaft

in Bezug auf die Zuordnung zu Rechtsgemeinschaften bzw. Körperschaften.

2. Vergleichen Sie die folgenden Gesellschaftsformen 4 PUNKTE


• Kollektivgesellschaft Vertrag resp. Austausch übereinstimmender Willenser-
klärungen
• AG Handelsregistereintrag (resp. alternative Ausführungen
zur Gründung, gem. Art. 629 OR)
• GmbH Handelsregistereintrag (resp. alternative Ausführungen
zur Gründung, gem. Art. 779 ff. OR)
• Verein Statuten (resp. alternative Ausführungen zur Gründung
gem. Art. 60 ff. ZGB)

in Bezug auf die Entstehung.

3. Vergleichen Sie die folgenden Gesellschaftsformen 8 PUNKTE


• Kollektivgesellschaft:
Die Gesellschafter haften für alle Verbindlichkeiten der Gesellschaft solida-
risch und mit ihrem ganzen Vermögen, also unbeschränkt (eine entgegen-
stehende Verabredung hat Dritten gegenüber keine Wirkung, Art. 568 Abs. 1
OR). Der einzelne Gesellschafter haftet jedoch nur subsidiär; er kann erst be-
langt werden, wenn die Gesellschaft aufgelöst oder erfolglos betrieben worden
ist, oder wenn er selber in Konkurs gerät. Geregelt ist dies in Art. 568 Abs. 1 –
3 OR.

• AG:
Keine, nur Liberierung der selbst gezeichneten Aktien resp. Art. 680 OR

• GmbH:
Die Gesellschafter haften für alle Verbindlichkeiten der Gesellschaft solida-
risch, jedoch nur bis Höhe des eingetragenen Stammkapitals, welches nicht
einbezahlt (oder wieder abgezogen) wurde (Art. 772 in Verbindung mit Art.
802 Abs. 1 und 2 OR).

Diese Haftung ist nur subsidiär wie bei der Kollektivgesellschaft; primär haftet
den Gläubigern das Gesellschaftsvermögen.
Statuten können Nachschusspflicht vorsehen (Art. 803 OR).

116
• Verein:
Für die Verbindlichkeiten des Vereins haftet ausschliesslich das Vereins-
vermögen.
Wurde in den Statuten unterlassen, die Beiträge der Mitglieder frankenmässig
festzusetzen, haben sie die zur Verfolgung des Vereinszweckes und zur De-
ckung der Vereinsschulden nötigen Beiträge zu gleichen Teilen zu leisten (Art.
71 Abs. 2 ZGB; Risiko, wenn Mitgliederbetrag in Statuten nicht festgesetzt!)

in Bezug auf die Haftung der Gesellschafter.

4. Was ist eine Quasi-Fusion? 2 PUNKTE


Sog. Aktientausch, Shares for Shares; bei der Quasi-Fusion erwirbt die über-
nehmende Gesellschaft von den Aktionären die Aktien der übernommenen Ge-
sellschaft und entschädigt die Aktionäre nicht in Form von Geld, sondern durch
Ausgabe eigener Aktien (Erwerb (aller) Aktien einer AG gegen Hingabe von
Aktien des Erwerbers). Die Quasi-Fusion ist keine Fusion im rechtlichen Sinn,
bleiben doch beide Gesellschaften bestehen; die Quasi-Fusion führt zur Konzern-
bildung.

5. Nennen Sie stichwortartig Gründe für die relative Attraktivität der GmbH
gegenüber der AG für kleine Unternehmen. 4 PUNKTE

• Mindestkapital Fr. 20'000.- • weniger strenge Nationalitäts- und


• Mindestliberierung Fr. 20'000.- Wohnsitzerfordernisse
• Statutarische Nebenleistungspflich- • strenge gesetzliche Vinkulierung
ten (Treuepflichten, Konkurrenz- • Gesellschafterversammlung kann
verbote, Abstimmungsabsprachen, durch schriftliche Abstimmung (Ur-
gegenseitige Vorrechte auf gegen- abstimmung) ersetzt werden
seitige Übernahme der Anteile) • Erwerb eigener Anteile
• Revisionsstelle fakultativ • erschwerte Handelbarkeit der An-
• Selbstorganschaft (gemeinsame teile
Geschäftsführung & Vertretung • schlanke Statuten
durch Gesellschafter) • keine Sonderprüfung möglich
• grössere Flexibilität in Geschäfts- • Flexibilität in Organisation von Ge-
führung und Vertretung (Art. 716a schäftsführung und Vertretung
OR!) • qualifizierte Gründung / qualifizierte
• Austritt und Ausschluss möglich Kapitalerhöhung weniger streng
• Auflösungsklage es einzelnen (umstritten)
Gesellschafter möglich • einfachere Organisation
• nur 2 Gründer

6. Was bedeuten die positive und die negative Publizitätswirkung des Han-
delsregisters? 2,5 PUNKTE
Positive Publizitätswirkung: Die Einwendung, dass jemand eine gegenüber Dritten
wirksam gewordene Eintragung nicht gekannt hat, ist ausgeschlossen (Art. 933
Abs. 1 OR). Es besteht damit eine gesetzliche Fiktion, dass jedermann die Ein-
tragungen im Handelsregister kennt. Auf die Unkenntnis des Registerinhaltes kann
man sich deshalb nicht berufen.

117
Negative Publizitätswirkung: Wurde eine Tatsache, deren Eintragung vorgeschrie-
ben ist, nicht eingetragen, so kann sie einem Dritten nur entgegengehalten wer-
den, wenn bewiesen wird, dass sie diesem bekannt war (Art. 933 Abs. 2 OR).

7. Was ist eine stille Gesellschaft? 1,5 PUNKTE


Bei der stillen Gesellschaft handelt es sich um eine einfache Gesellschaft mit
der Besonderheit, dass sie nach aussen nicht als Gesellschaft in Erschei-
nung tritt. Es liegt eine reine Innengesellschaft vor.

Nach aussen in Erscheinung tritt ausschliesslich der Hauptgesellschafter. Dieser


handelt im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Der stille Gesellschafter tritt
nach aussen nicht in Erscheinung.

118
D. Die Statuten der Publicus AG (20 Punkte)

Die Statuten der Publicus AG, deren Aktien an der Börse kotiert sind, enthal-
ten u.a. folgende Bestimmungen:

Art. 2: Die Gesellschaft bezweckt den Kauf von unüberbauten und überbau-
ten Grundstücken im In- und Ausland. 2 PUNKTE

Enge Zweckumschreibung; Zweckumschreibung korrekt. Enge Zweckumschrei-


bung bedeutet relativ enge Vertretungsmacht der vertretungsberechtigten Perso-
nen (Art. 718a OR).

Art. 5: Die Namenaktien sind nur mit Zustimmung des Verwaltungsrates


übertragbar. Der Verwaltungsrat kann die Zustimmung verweigern:
a) wenn der Erwerber ein Konkurrent der Gesellschaft ist; 2 PUNKTE

Unzulässige Vinkulierung (Beschränkung der freien Veräusserlichkeit


der Aktien) bei börsenkotierter Gesellschaft. Gemäss Art. 685d Abs. 1
OR kann die Gesellschaft einen Erwerber als Aktionär nur ablehnen,
wenn die Statuten eine prozentmässige Begrenzung der Namenaktien
vorsehen, für die ein Erwerber als Aktionär anerkannt werden muss, und
diese Begrenzung überschritten wird.

b) soweit der Erwerber mit dem Kauf mehr als 5% der Aktien der Ge-
sellschaft besitzen würde. 2 PUNKTE

Zulässig bei börsenkotierter Gesellschaft. Vgl. Art. 685d Abs. 1 OR.

Art. 9: Der Verwaltungsrat fasst seine Beschlüsse mit der absoluten Mehr-
heit der abgegebenen Stimmen. Bei Stimmengleichheit hat der Vorsitzende
den Stichentscheid. 2 PUNKTE

Korrekt . Vgl. Art. 713 OR.

Art. 11: Für Entscheide über den Kauf von Grundstücken im Ausland muss
der Verwaltungsrat die Zustimmung der Generalversammlung einholen. 2 PUNKTE

Unzulässig. Paritätsprinzip: Jedem Organ sind von Gesetzes wegen bestimmte


unentziehbare und unübertragbare Aufgaben zugewiesen. Vgl. Aufgaben des
Verwaltungsrates gemäss Art. 716a OR.

119
Art. 14: Jeder Verwaltungsrat ist einzeln zur Vertretung der Gesellschaft be-
fugt. Die Verwaltungsräte können im Namen der Gesellschaft aller Rechts-
handlungen vornehmen, die zum gewöhnlichen Betrieb der gemeinschaftli-
chen Geschäfte gehören. 4 PUNKTE

Satz 1 zulässig. Gemäss Art. 718 Abs. 1 OR vertritt der Verwaltungsrat die Ge-
sellschaft nach aussen. Bestimmen die Statuten oder das Organisationsreglement
nichts anderes, so steht die Vertretungsbefugnis jedem Mitglied einzeln zu – Wie-
derholung des Gesetzes!

Satz 2 unzulässig. Die Verwaltungsräte können im Namen der Gesellschaft alle


Rechtshandlungen vornehmen, die der Zweck mit sich bringen kann. Art. 718a
OR ist zwingend.

Art. 18: Der Verwaltungsrat kann die Aktionäre jederzeit auffordern


a) ihre Aktien voll zu liberieren; 1,5 PUNKTE

Zulässig. Liberierung der gezeichneten Aktien ist die einzige Pflicht


des Aktionärs (Art. 680 Abs. 1 OR).

b) neues Aktienkapital im Umfang des bisherigen Aktienbesitzes zu


zeichnen und zu liberieren; 1,5 PUNKTE

Unzulässig gemäss Art. 680 Abs. 1 OR; der Aktionär kann auch durch
die Statuten nicht verpflichtet werden, mehr zu leisten als den für den
Bezug einer Aktie bei ihrer Ausgabe festgesetzten Betrag.

c) der Gesellschaft ein Darlehen in Höhe von 50% des Nennwertes


ihrer Aktien zu geben. 1,5 PUNKTE

Unzulässig gemäss Art. 680 Abs. 1 OR (0,5 Punkte); der Aktionär


kann auch durch die Statuten nicht verpflichtet werden, mehr zu leis-
ten als den für den Bezug einer Aktie bei ihrer Ausgabe festgesetzten
Betrag.

Art. 19: Wenn ein Aktionär mehr als 90% der Stimmrechte der Gesellschaft
besitzt, kann er den restlichen Aktionären jederzeit zwangsweise ihre Aktien
zum jeweils aktuellen Börsenkurs abkaufen. 1,5 PUNKTE

Unzulässig; es gibt im Börsengesetz eine Möglichkeit des sog. Squeeze out, aller-
dings nur bei Aktienbesitz von mind. 98% und nur unmittelbar im Anschluss an ein
öffentliches Kaufangebot (Art. 33 BEHG).

Kommentieren Sie die einzelnen Statutenbestimmungen, insbesondere deren Gül-


tigkeit bzw. deren Zweckmässigkeit.

120
2. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2002

121
Musterlösung zur Prüfung Recht I A Assessmentstufe Frühjahr 2003

A.

Einzelfragen Privatrecht Insgesamt: 30 PUNKTE

Beantworten Sie die Aufgaben A 1 und 2 direkt auf diesem Aufgabenblatt.

1. Sind in den folgenden Fällen die Sachmängel-Ansprüche verjährt bzw.


verwirkt, oder können sie noch geltend gemacht werden? (Auf den Un-
terschied zwischen Verjährung und Verwirkung müssen Sie nicht einge-
hen.) Geben Sie auch die massgeblichen Vorschriften an.
(a) A kauft am 1. März 2001 bei B einen gemäss Vertrag „unfallfreien“ Occasions-
wagen. Am 10. Oktober 2002 bringt A den Wagen zum Service in eine Garage. Die-
se muss neben dem Service noch einige weitere Reparaturen vornehmen, die alle-
samt nur von einer schweren Kollision herrühren können. Am 1. März 2003 will A
seine Ansprüche gegenüber B geltend machen. B wusste davon, dass der Wagen
vor dem Verkauf an A in einen schweren Unfall verwickelt war; er selbst hatte ihn ja
wieder auf Vordermann gebracht.
Antwort: Nicht verjährt bzw. verwirkt; 210 Abs. 3 und 203 ......................................... 1 PUNKT
Erläuterung: A ist Käufer, also Gläubiger der Kaufsache und Mängelansprüche; dass es sich
um einen Unfallwagen handelt, ist ein Mangel (zugesicherte Eigenschaft); es ist unerheblich,
ob eine sofortige Beschaffenheitsprüfung nötig war (201 Abs. 1) oder ein versteckter Mangel
vorlag (201 Abs. 3), weil eine absichtliche Täuschung vorlag (203); i. ü. auch keine Verjäh-
rung, aus gleichem Grund, 210
(b) A kauft im Januar 2002 bei B einen Rasenmäher. Im Mai 2002 steht der Rasen
zum ersten Mal hoch genug, um ihn mähen zu können. A bemerkt dabei, dass die
Höhenstufenregelung (3 versch. Schnitthöhen) nicht funktioniert, was erst im Ein-
satz auf echtem Rasen erkennbar ist. Am nächsten Tag informiert er B, der den
Mangel nicht gekannt hat.
Antwort: Nicht verjährt bzw. verwirkt, 201 Abs. 2, 3 .......................................................... 1 PUNKT
Erläuterung: Schlechtfunktion ist ein Mangel (Tauglichkeit zum vertragsgemässen Ge-
brauch); hier ein versteckter Mangel (201 Abs. 3), sofortige Anzeige ist erfolgt, Genehmi-
gungsfiktion/Verwirkung tritt nicht ein
Alternative (sofern begründet): Nicht verjährt bzw. verwirkt, 201 Abs. 1
Erläuterung: Der Mangel kann auch als offener Mangel betrachtet werden; allerdings mit der
Anmerkung, dass die Prüfung (lt. Sachverhalt erst im Mai möglich) dann zu erfolgen hat,
„sobald es nach dem üblichen Geschäftsgange tunlich ist“; in casu war sie erst im Mai mög-
lich; daher ist die Rüge im Mai noch rechtzeitig
(c) A bestellt am 1. April 2001 bei B ein Gartenhäuschen. Dieses wird im Garten
des A aufgebaut und in den Boden einbetoniert. Die verwendeten Holzwände – be-
stehend aus zusammengefügten Holzlatten – waren dabei ungenügend verleimt,
was weder A noch B wusste. Das Häuschen wird am 3. Mai 2001 fertiggestellt. Auf-
grund der starken Regengüsse im Juni 2002, dringt – zum ersten Mal - Wasser ins
Gartenhäuschen des A ein und beschädigt den Boden. Dieser will sofort seine An-
sprüche gegen B geltend machen.
Antwort Variante 1: Nicht mehr geltend zu machen; 371 Abs. 1, 210 Abs. 2............. 1 PUNKT
Erläuterung: A ist Besteller, also Gläubiger des Werks und der Mängelansprüche; mangeln-
de Verleimung ist Mangel (Tauglichkeit zum vertragsgemässen Gebrauch);
(Die genaue Abgrenzung des Begriffs „unbewegliches Bauwerk“ gem. Art. 371 Abs. 2 war

122
nicht vorauszusetzen; deshalb kamen 2 Lösungswege in Betracht)
Ausgehend davon, dass es sich nicht um ein „unbewegliches Bauwerk“ handelte: dann 371
Abs. 1, Verweis auf den Verjährungsregeln des Kaufrechts; dort 201 Abs. 3: versteckter
Mangel, keine Genehmigungsfiktion/Verwirkung eingetreten - aber 1 Jahr ab Ablieferung
verstrichen, somit verjährt, 210 Abs. 2

Erläuterung: zunächst wie oben; ausgehend davon, dass es sich um ein „unbewegliches
Bauwerk“ handelte: längere Verjährungsfrist
(d) A kauft bei B am 10. August 2002 eine Kaffeemaschine. Am 30. November
2002 probiert A die Maschine zum ersten Mal aus und stellt fest, dass der Kolben so
verzogen ist, dass er gar nicht auf die Kaffeemaschine passt. Am 10. Januar 2003
will A seine Ansprüche gegen B geltend machen.
Antwort: nicht mehr geltend zu machen (verjährt bzw. verwirkt) 201 Abs. 2............... 1 PUNKT
Erläuterung: Unpassender Kolben ist Mangel (Tauglichkeit zum vertragsgemässen Ge-
brauch); sofortige Beschaffenheitsprüfung und Mängelanzeige war erforderlich (201 Abs. 1)
und wurde versäumt, der Mangel war nicht versteckt: Genehmigungsfiktion/Verwirkung ein-
getreten

123
2. Der Verwaltungsrat einer Bank bestellt telefonisch bei einem Reinigungsser-
vice Reinigungskräfte zum Aufräumen nach einem Sponsorship-Anlass. Die
Putzfrauen erscheinen zum Termin und übergeben dem Hausmeister, der als
einziger noch in der Bank ist, einen Vordruck, in dem es u. a. heisst: „Die Haf-
tung für Unordnung wird ausgeschlossen.“ Der Hausmeister legt dieses auf
den Tisch des Verwaltungsrats. Beim Putzen bringen die Putzfrauen durch
grobe Unachtsamkeit ein Durcheinander in die Akten. Deswegen können an-
derntags Bankorders nicht rechtzeitig ausgeführt werden und der Bank ent-
steht erheblicher Schaden.

Kann sich die Putzfirma auf den Haftungsausschluss berufen? 2 PUNKTE


Art. 1 OR
Bei dem Vordruck handelt es sich um AGB. Diese müssen in den Vertrags einbezo-
gen werden, um Wirkung zu erlangen. In casu sind sie nicht Vertragsbestandteil
geworden, denn sie waren der Bank bei Abschluss des Vertrages (mündlich am
Telefon) nicht bekannt.
Lösungsvariante: Wurde der Vordruck nicht für AGB gehalten (mit Begründung,
z.B. weil sein Einsatz für eine Mehrzahl von Fällen in Frage gestellt wurde), so
wäre darin ein Antrag auf Änderung des (bereits telefonisch abgeschlosse-
nen) Vertrags zu sehen; dieser wurde seitens der Bank nicht angenommen.
Auf den Haftungsausschluss kann sich die Firma nicht berufen.

124
Kreuzen Sie bei den folgenden Aufgaben A 3 – 13 die richtigen Antworten an.
Es darf jeweils nur eine Antwort angekreuzt werden.
Achtung: Bei mehreren Kreuzen gilt die gesamte Antwort als falsch!

3. Welche der folgenden Fälle betrifft die Gültigkeit des Vertrages im Sinne
von Art. 19/20 OR? 2 PUNKTE
x Vertrag verstösst gegen das Persönlichkeitsrecht
o Mangelhafte Vertragserfüllung
o Kaufsache wird während des Transports zum Käufer zerstört

4. Welches der folgenden Tatbestandselemente ist eine Voraussetzung für


den Schuldnerverzug gemäss Allgemeinem Teil des OR? 2 PUNKTE
o Verschulden des Schuldners
x Fälligkeit der Forderung
o Nachfristansetzung durch den Gläubiger

5. Welche der folgenden Haftungsgrundlagen setzt kein Verschulden voraus? 2 PUNKTE


o Schadenersatz nach OR 97
x Kaufrechtliche Sachgewährleistung nach OR 197 ff.
o Schadenersatz nach OR 41

6. Welche der folgenden Haftungsgrundlagen setzt kein Verschulden voraus? 2 PUNKTE


o Haftung für Zufall beim Schuldnerverzug
o Haftung für den Verspätungsschaden beim Schuldnerverzug
x Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen beim Schuldnerverzug

7. Welche der folgenden Haftungsgrundlagen setzt kein Verschulden voraus? 2 PUNKTE


x Ersatz des unmittelbaren Schadens bei Wandlung wegen mangelhafter Kaufsache
o Ersatz des mittelbaren Schadens bei Wandlung wegen mangelhafter Kaufsache
o Ersatz des Mangelfolgeschadens neben Wandlung bei mangelhaftem Werk

8. In welchem Fall kann der Gläubiger weder Nachbesserung noch Nachlie-


ferung verlangen? 3 PUNKTE
o Der Garagist repariert an einem Ford Mondeo die Kurbelwelle, wobei diese
nach der ersten Fahrt nach der Reparatur erneut bricht.
Erläuterung: Werkvertrag; Mangel liegt vor; Gewährleistungsansprüche nach
Art. 368, darunter Nachbesserung, Abs. 2

125
x Meier bestellt bei Huber den roten Fiat Punto (Jahrgang 2000, 15’000 km), den
er bei ihm auf dem Hof stehen gesehen hat. Kaufpreis ist CHF 6’700.--; ansonsten
wird nichts weiter abgemacht. Der Motor des Wagens ist defekt, so dass das Auto
bereits nach einer Woche auf der Strasse stehen bleibt.
Erläuterung: Kaufvertrag; Mangel liegt vor; Gewährleistungsansprüche nach Art.
197, 205 f., es ist Spezieskauf, daher kein Nachlieferungsanspruch, 206 Abs. 1
o A lässt von B seinen Wohnwagen nach seinen eigenen Ideen ausbauen. An-
statt eines 1,20 m breiten Bettes baut B ein 1,0 m breites Bett ein.
Erläuterung: Werkvertrag; Mangel; Gewährleistungsansprüche nach Art. 368, dar-
unter Nachbesserung, Abs. 2
o A bestellt bei Interio einen Tisch aus der Serie „Nordica“. Da die Beine ungenü-
gend verleimt sind, bricht der Tisch nach 3 Monaten zusammen.
Kaufvertrag, Mangel; Gewährleistungsansprüche 197, 205 f., es ist Gattungskauf
daher Nachlieferungsanspruch, 206 Abs. 1

9. In welchem der folgenden Fälle wird der Vertretene V nicht aufgrund der
Handlung des Stellvertreters verpflichtet? 3 PUNKTE

o Der Stellvertreter S handelt mit Ermächtigung des Vertretenen V, unterschreibt


jedoch mit seinem eigenen Namen. Der Vertragspartner P, der schon einige Ge-
schäfte mit S als Vertreter für V abgeschlossen hat, ist von Anfang an davon ausge-
gangen, dass V verpflichtet wird.
Erläuterung: S handelt mit Vollmacht und in fremdem Namen (aus den Umständen
ersichtlich, daher offenkundig; ausdrückliche Erklärung ist entbehrlich, Art. 32 Abs. 2
OR, 1. Variante); somit wird der Vertretene verpflichtet.
x Der Stellvertreter S hat von V die Ermächtigung, ihn zu vertreten. Beim Ver-
tragsabschluss mit dem Vertragspartner P handelt S jedoch im eigenen Namen,
obwohl er weiss, dass P immer grossen Wert darauf legt, mit wem er Geschäfte ab-
schliesst.
Erläuterung: S handelt mit Vollmacht, aber nicht in fremdem Namen – weder aus-
drücklich, noch aus den Umständen ersichtlich (Art. 32 Abs. 2 OR, 1. Variante); dem
Vertragspartner ist auch nicht gleichgültig, mit wem der Vertrags zustande kommt: V
wird nicht verpflichtet.
o V erteilt S die Ermächtigung, dass dieser die üblichen Geschäfte bis
CHF 20'000.-- abschliessen darf. Dem Vertragspartner P sagt V: „S ist mein Stell-
vertreter“. S schliesst im Namen von V mit P einen Vertrag über CHF 30'000.-- ab.
Erläuterung: S handelt mit Vollmacht und in fremdem Namen. Zwar ist das Rechts-
geschäft von der limitierten Vollmacht im Innenverhältnis nicht gedeckt (33 Abs. 2).
Die ausdrücklich erklärte Aussenvollmacht ist jedoch nicht limitiert; dem Dritten ge-
genüber ist die Limite also nicht massgeblich, 33 Abs. 3. Der Vertretenen wird ver-
pflichtet.

10. Wann schützt die Zivilrechtsordnung den „Guten Glauben“ einer Person? 2 PUNKTE
x Nur in bestimmten Fällen, die in der Regel im Gesetz ausdrücklich vorgesehen
sind.
o Immer, wenn der Vertragspartner dieser Person gegen Treu und Glauben ge-
handelt hat.

126
o Immer, wenn die Person ein Rechtsgeschäft vornimmt und dabei einen
Rechtsmangel, wegen dem das Geschäft unwirksam wäre, nicht kennen kann.

11. Ein Mieter kündigt am 28. März per Einschreiben den Mietvertrag für seine
Wohnung zum nächstmöglichen Termin. Die vertragliche Kündigungsfrist be-
trägt, wie ortsüblich, 3 Monate auf das Ende jedes Kalender-Quartals. Das
Einschreiben wird am 29. März ausgetragen. Der Vermieter ist nicht anzutref-
fen, aber seine Sekretärin nimmt das Schreiben entgegen. Der Vermieter findet
und öffnet es erst am 5. April.
Bis wann muss der Mieter Miete zahlen? 2 PUNKTE
o Bis 31. März
x Bis 30. Juni
o Bis 30. September
Erläuterung: Zugang des Kündigungschreibens am 29. März, da es an diesem Tag
in den Machtbereich des Empfängers gelangt. Das ist rechtzeitig zur Kündigung mit
dreimonatiger Frist auf das nächste Quartalsende, also 30. Juni

12. Welche der folgenden Anforderungen ist eine Voraussetzung für die Ver-
rechnung durch einseitige Erklärung? 2 PUNKTE
o Die Forderungen müssen auf dem gleichen Vertrag beruhen.
x Die Forderungen müssen gegenseitige Forderungen zwischen den gleichen
Parteien sein.
o Die Forderungen müssen gleich gross sein; die teilweise Verrechnung mit einer
kleineren Forderung gegen eine grössere ist ausgeschlossen.

13. Durch welchen der folgenden Vorgänge erlöschen Forderungen? 2 PUNKTE


o Verjährung
o Mahnung
x Verrechnung

127
B. Fall Privatrecht: LernSpass Insgesamt: 50 PUNKTE

Jede Fragestellung ist als gesonderte Aufgabe zu prüfen.


Gehen Sie davon aus, dass die „Universität“ eine juristische Person ist, welche
durch ihre Organe wirksam vertreten worden ist.
Eine Universität stellt ihre Funktionen auf ihr Computernetzwerk um. Mit dem orts-
ansässigen Software-Entwickler „DS DATENSCHMIEDE AG“ werden mehrere Ver-
träge über die Entwicklung und Installation verschiedener, speziell für die Univer-
sität massgeschneiderter Software-Programme geschlossen:

1. Im Januar 2001 wird das Programm „UNIMAIL“ für den E-Mail-Verkehr be-
stellt. Alle am Markt erhältlichen Standardanwendungen hatten Probleme mit der
Netzwerksoftware der Universität verursacht. Für die Entwicklung und Installation
von UNIMAIL wird eine pauschale Vergütung von CHF 120‘000 vereinbart.

1.(a) Die Anwendung soll zu Semesterbeginn Mitte Oktober 2001 einsatzfähig


sein. Deshalb wird der Termin für Installation und Probelauf auf den
30. September 2001 vereinbart. Niemand von DS erscheint zum Termin. Am Te-
lefon erklärt der Projektleiter der Firma, die Software sei fertiggestellt. Leider sei
aber der Mitarbeiter nicht verfügbar, der die installieren sollte. Die Universität bie-
tet einen neuen Termin für den 5. Oktober an, eine weitere Verzögerung sei aber
nicht mehr akzeptabel. Auch am 5. Oktober kommt jedoch niemand.

Welche Rechte hat die Universität, und was muss sie dafür unternehmen? 12 PUNKTE

1.(b) Im September hat die Universität andere Anbieter kontaktiert. Ein Anbieter
ist bereit, für alles in allem nur CHF 100‘000 eine Lösung zu erstellen, die auch im
Universitäts-Netzwerk problemlos läuft und UNIMAIL in jeder Hinsicht ersetzen
kann. Allerdings hat die Universität in Vorbereitung der Installation von UNIMAIL
selbst bereits für CHF 20‘000 Server-Bauteile einbauen lassen, die nicht mehr an-
derweitig verwendbar sind. Sie sucht nun die kostengünstigste Lösung.

Welches Vorgehen ist der Universität von ihren Rechtsberatern zu empfeh-


len? Begründen Sie die Empfehlung. 11 PUNKTE
Hinweis: Aufgaben 1.a und 1.b wurden zusammengefasst bewertet; die für beide zusam-
men erreichbare Punktzahl war 23.
Es handelt sich um einen Werkvertrag (geschuldet war auf einen Erfolg gerichtete
Arbeitsleistung), Art. 363. Nichtleistung, genauer Spätleistung: daher Schuldner-
verzug: zu prüfen. Hierzu die Vorschriften des AT.
Exkurs: Im Werkvertragsrecht findet sich in Art. 366 eine Verzugsvorschrift für
den speziellen Fall des sog. Herstellungsverzugs. In casu war das Werk fertig-
gestellt und mit der Installation nur noch abzuliefern. Lösungsansätze nach 366
waren – unter Berücksichtigung des vorauszusetzenden Kenntnisstands - ver-
tretbar, soweit erkennbar die Installation als Teil der eigentlichen Werkleistung
betrachtet wurde, und soweit die aus dem Wortlaut des Artikels zu entnehmen-
den Voraussetzungen konsequent angewandt wurden.
Fälligkeit der Werkleistung: Mit Eintritt des vereinbarten Termins 30. 9. Alle Teillei-
stungen (auch Installation/Probelauf, falls als Teil der Werkleistung betrachtet) wa-
ren an diesem Tag zu erbringen.

128
Für Verzugseintritt grundsätzlich Mahnung erforderlich, 102 Abs. 1; hier aber ent-
behrlich: Verfalltagsgeschäft, Leistungszeit ist kalendermässig bestimmt; Art. 102
Abs. 2. Allgemeine Verzugsfolgen: Verzugsschadensersatzanspruch, 103
Abs. 1; Haftung für Zufall, 103; - verschuldensabhängig, aber Beweislastumkehr,
103 Abs. 2: das Verschulden wird vermutet; der Sachverhalt bietet keine Anhalts-
punkte für eine Exkulpation, deshalb ist von Verschulden auszugehen.
In casu kein Anspruch auf Verzugszins, 104, weil keine Geldschuld vorliegt.
Zur Geltendmachung der Rechte aus besondern Verzugsfolgen ist grundsätzlich ei-
ne Nachfristsetzung erforderlich, 107 Abs. 1 (Nicht entbehrlich nach Art. 108 Ziff. 3
(relatives Fixgeschäft): Die Voraussetzungen sind hier strenger als für das Verfall-
tagsgeschäft (Skript S. 102). In casu wurde der Termin so angesetzt, dass der Uni-
versität im Notfall noch eine Zeitreserve bis Mitte Oktober verblieb, innerhalb derer
die Leistung noch erbracht werden konnte.) Fristsetzung ist erfolgt durch Vorgabe
des neuen Termins auf 5.10.
Nach nutzlosem Fristablauf hat der Gläubiger das Wahlrecht aus Art. 107 Abs. 2,
109. (Einstufige Darstellung – 3 Möglichkeiten, wie i. f. in dieser Musterlösung –
oder zweistufige Darstellung - „Wahlrecht 1. über das Schicksal der Leistung, 2.
über das des Vertrags“ – hier gleichwertig)
1. Beharren auf Leistung, nebst fortgesetztem Anspruch auf Verzugsschadener-
satz (ab Verzugseintritt, s.o.)
2. Ablehnung der Leistung bei Aufrechterhaltung des Vertragsverhältnisses,
damit besteht Anspruch auf Ersatz des Erfüllungsschadens (auch „positives Inter-
esse“ genannt). Das bedeutet: „Gläubiger wird so gestellt, als ob der Vertrag ord-
nungsgemäss erfüllt worden wäre“. Zu ersetzen wäre der Wert der ausgebliebenen
Leistung, die Leistungs- (Zahlungs-) Pflicht des Gläubigers entfällt aber grundsätz-
lich nicht. Die eigenen Aufwendungen von Fr. 20'000 für Serverbauteile werden
nicht ersetzt, denn sie wären auch gemacht worden, wenn der Vertrag ordnungs-
gemäss erfüllt worden wäre. Um zu ihrem Programm zu gelangen, muss die Univer-
sität also mindestens Fr. 120'000 aufwenden (getätigte Ausgaben für Serverbauteile
und Kosten des neuen Programms)
3. Rücktritt vom Vertrag und Ersatz des sog. Vertrauensschaden (auch „negati-
ves Interesse“), Art. 107 Abs. 2 und 109. Das bedeutet: „Gläubiger wird so gestellt,
wie wenn der Vertrag gar nicht zustande gekommen wäre“. Es entfällt die Zah-
lungspflicht (bzw. bereits Geleistetes kann zurückgefordert werden). Die eigenen
Aufwendungen der Uni für die Serverbauteile wären nicht gemacht worden, wenn
der Vertrag nicht zustande gekommen wäre, d.h. wurden „im Vertrauen auf den
Vertrag gemacht“ – sie sind als Vertrauensschaden zu ersetzen. Hier muss die Uni
für das funktionsfähige Programm also nur Fr. 100‘000 aufwenden (Kosten der
Neuanfertigung). Dies ist als die kostengünstigste Lösung zu empfehlen.
Alternative Lesart des Sachverhalts:
Teilaufgabe B.1.b konnte auch so verstanden werden, dass ein Zeitpunkt vor
Eintritt der Fälligkeit zu untersuchen war. Soweit erkennbar davon ausgegan-
gen wurde, wurden alternative, folgerichtige und gemäss dem vorauszusetzen-
den Kenntnisstand fehlerfreie Lösungen gleichwertig bewertet: Um sich vom
Vertrag zu lösen, bedurfte die Universität eines Rücktrittsrechts. Im Werkver-
tragsrecht ist nach Art. 377 der Rücktritt jederzeit möglich, solange das Werk
unvollendet ist. Das durfte für September angenommen werden. Jedoch ist die
bereits geleistete Arbeit zu vergüten und der Unternehmer schadlos zu hal-
ten. Hier war von einer erheblichen Forderung auszugehen. Zudem besteht
kein Ersatzanspruch wegen der somit nutzlosen Serverbauteile. Mit der Ein-
sparung von Fr. 20.000 im Werklohn ist also durch einen solchen Rücktritt kein
finanzieller Vorteil zu erzielen, der Rücktritt daher nicht zu empfehlen.

129
2. Im Februar 2001 hatte die Universität die beiden Programme „LERNSPASS“
und „LERNFORM“ für je CHF 300‘000 bestellt. Sie sollten für etwa 4'000 Studieren-
de einen persönlichen, durch Passwort geschützten Zugang auf ihren Lernstoff für
das jeweils laufende Semester gewähren.

2.(a) LERNSPASS wurde fristgerecht fertiggestellt und im Beisein der Universi-


tätsmitarbeiter installiert. Bereits beim ersten Aufstarten zeigt sich aber, dass die
Studierenden in das Programm nicht einloggen können. Die Universität benötigt
die Software so schnell als möglich für den Lehrbetrieb. DS meint, die Behebung
würde das ganze Team eine Woche lang beschäftigen. Wenn die Universität das
wolle, müsse sie es extra bezahlen.

Welche Rechte hat die Universität? Welche davon sind für die Universität am
vorteilhaftesten? 11 PUNKTE
Werkvertrag; geschuldet ist auf einen Erfolg gerichtete Arbeitsleistung.
Im Umstand, dass Studierende nicht einloggen können, liegt ein Mangel (Tauglich-
keit zum vorausgesetzten Gebrauch). Dieser Mangel ist offenkundig, so dass gem.
Art. 367 Abs. 1 der Universität die sofortige Prüfung und Mängelrüge obliegt (dem
Sachverhalt ist zu entnehmen, dass diese erfolgt ist).
Gewährleistungsrechte nach Art. 368
Abs. 1: Wandelung, Abs. 2 Minderung – beide Ansprüche bestehen (zur Wande-
lung: der Mangel ist erheblich), entsprechen aber offenbar nicht den Interessen der
Universität; zudem bei Verschulden Ersatz von allfälligem Mangelfolgeschaden
(dem Sachverhalt nicht zu entnehmen)
Abs. 2: unentgeltliche Nachbesserung; die Kosten sind nicht übermässig – die
Universität kann die Nachbesserung beanspruchen, ohne „extra zu bezahlen“

2.(b) LERNFORM wird hingegen wie vorgesehen im Oktober 2001 in Betrieb ge-
nommen. Als aber zur Examensvorbereitung im Februar 2003 erstmals 900 Stu-
dierende gleichzeitig in der Anwendung arbeiten, bricht sie zusammen. Es zeigt
sich nunmehr, für alle Beteiligten überraschend, dass das Programm für die vor-
gesehenen 4‘000 Studierenden definitiv nicht ausreichend belastbar ist.

Die Universität möchte das Programm unentgeltlich überarbeiten lassen oder die
gezahlte Vergütung ganz oder teilweise zurückerhalten.

Kann sie darauf Anspruch erheben? 7 PUNKTE


Werkvertrag. Es liegt ein versteckter Mangel vor. Die sofortige Prüfungs- und
Mängelrügeobliegenheit besteht ab Entdeckung, Art. 370 Abs. 3.
Nach entspr. Mängelrüge würden die Mängelgewährleistungsansprüche gem.
Art. 368 Abs. 1 und 2 bestehen: Wandelung, Minderung oder Nachbesserung. Je-
doch sind sie gem. Art. 371 Abs. 1, 210 Abs. 1 verjährt; für vorsätzliche Täuschung
besteht kein Anhaltspunkt. Daher sind die Ansprüche nicht mehr geltend zu ma-
chen.

3. Die Universität hatte alle diese Vereinbarungen mit Frau Hacker, einer
Angestellten der DS, verhandelt und abgeschlossen. Bereits beim ersten Vertrag
hatte sich die Universität vom Verwaltungsrat der DS eine schriftliche Vollmacht
vorlegen lassen, in der es hiess:

130
„Frau Hacker ist zum Abschluss aller Vereinbarungen mit der Universität
über die Herstellung und Bereitstellung von Software-Anwendungen im Na-
men der DS DATENSCHMIEDE AG ermächtigt.“

Im April 2001 vereinbarte die Universität mit Frau Hacker im Namen von DS die
Entwicklung einer weiteren Software-Anwendung „STUD-INFO“ für nur CHF 15‘000.
Im August erkundigt sich die Universität nach dem Entwicklungsstand von STUD-
INFO. Bei DS weiss man gar nichts von dem Auftrag. Als die Universität den unter-
schriebenen Vertrag vorlegt, erläutert der Verwaltungsrat der DS, dass Frau Hak-
ker schon im März 2001 die Vollmacht für Vertragsabschlüsse mit der Universität
entzogen worden war. Man bedaure, dass dies der Universität nicht mitgeteilt
worden sei. DS könne das Programm STUD-INFO dennoch herstellen; dafür sei
aber ein neuer Vertrag nötig, und wegen der knappen Zeit würde der Auftrag jetzt
CHF 50'000 kosten. Die Universität braucht die Software.

Muss sie auf den Vorschlag eingehen? 9 PUNKTE


Stellvertretung, Art. 32 ff; Voraussetzungen:
Handeln in fremdem Namen, Art. 32 Abs. 1; hier: ja
Vollmacht; hier: (Spezial-) Vollmacht ursprünglich eingeräumt, Umfang ausrei-
chend, 33 Abs. 2 und 3
Aber: widerrufen; Widerruf grundsätzlich möglich, 34 Abs. 1
In casu war die Vollmacht ausdrücklich kundgetan; damit war auch die Mitteilung
des Widerrufs erforderlich, 34 Abs. 3. Hier wurde der Widerruf aber nicht ange-
zeigt; die Uni war gutgläubig, der Widerruf kann ihr nicht entgegengehalten wer-
den. Der Vertrag ist zustandegekommen, Uni muss auf den Vorschlag nicht einge-
hen, sondern kann aus dem Vertrag STUD-INFO für 15'000 verlangen.

131
C. Fall Gesellschaftsrecht 17 PUNKTE

Simon Meister, Hanin Schöni und Philippe Roux sind Gesellschafter der Kollektiv-
gesellschaft Meister Schöni Roux. Die Gesellschaft bezweckt die Erbringung von
Personalselektionsdienstleistungen. Sie beschäftigt neben den Gesellschaftern 3
weitere Personen. Im Jahre 2001 erzielte sie einen Umsatz von CHF 1.3 Mio. und
einen Reingewinn von CHF 40'000.

Im Herbst 2002 unterzeichnet Philippe Roux für die Kollektivgesellschaft ohne


Wissen seiner Mitgesellschafter einen Kaufvertrag über ein neues IT-System, wel-
ches hardware- als auch softwaremässig alles umfasst, was man sich nur träumen
kann. Das IT-System ist ausgelegt auf ein Unternehmen mit einem Umsatz von bis
zu CHF 20 Mio. und entsprechend komplex und teuer. Insgesamt kostet das gan-
ze Paket CHF 220'000. Philippe Roux ist überzeugt, dass für ihr Unternehmen nur
das Beste gut genug ist; deshalb hat er von den drei ihm von der IT Solutions AG
offerierten Varianten die mit Abstand teuerste gewählt (die andern Offerten belie-
fen sich auf CHF 60'000 resp. CHF 110'000).

Als Hanin Schöni und Simon Meister vom Kaufvertrag Kenntnis erhalten, sind sie
entsetzt. Sie werfen Philippe Roux vor, ohne Absprache mit ihnen dieses viel zu
teure Geschäft abgeschlossen zu haben, und lehnen es ab, dafür geradezuste-
hen. Der IT Solutions AG schreiben sie im Namen der Gesellschaft einen Brief,
worin sie ihr mitteilen, sie hätten das Geschäft nicht genehmigt, weshalb die Mei-
ster Schöni Roux daraus auch nicht verpflichtet sei.

Wie ist die Rechtslage?


1. Aussenverhältnis:

Umfang der Vertretungsmacht: umfasst alle Rechtshandlungen, die der Zweck mit
sich bringen kann (OR 564). Gemäss Bundesgericht ist das sehr weit auszulegen:
Alles, was vom Zweck nicht geradezu ausgeschlossen ist. Der Kauf eines IT-
Systems ist ein Rechtsgeschäft, das der Zweck der KG mit sich bringen kann (jedes
moderne Unternehmen braucht ein IT-System). Es liegt auch in der Natur der Sa-
che, dass auf dem Markt unterschiedliche Produkte angeboten werden, mit unter-
schiedlichen Leistungen und Preisen. Die 3 offerierten Systeme sind zwar preislich
sehr unterschiedlich, aber offenbar alle auf die Bedürfnisse der KG abgestimmt.

Ist P.R. einzelvertretungsberechtigt? Nach OR 563 gilt der Grundsatz der Einzel-
vertretung, sofern das Handelsregister keine entgegenstehende Eintragung ent-
hält. In casu sind dem Sachverhalt keine Hinweise auf eine solche HR-Eintragung
zu entnehmen. Folglich darf angenommen werden, dass P. R. einzelvertretungsbe-
rechtigt ist.

Das Geschäft ist damit im Rahmen der Vertretungsmacht von P. R., und der
Kaufvertrag bindet die KG.

2. Innenverhältnis

Primär gilt der Gesellschaftsvertrag (OR 557 Abs. 1), in casu bietet der Sachver-
halt dazu keine Hinweise. Also darf angenommen werden, dass die dispositive

132
gesetzliche Regelung zur Anwendung kommt. OR 557 Abs. 2 verweist auf das
Recht der einfachen Gesellschaft.

Ist der Kauf eines IT-Systems ein gewöhnliches (OR 535 Abs. 1 und 2) oder au-
ssergewöhnliches Geschäft? (OR 535 Abs. 3)
- Für gewöhnliche Geschäfte gilt das Prinzip der Einzelgeschäftsführungsbefugnis
mit Widerspruchsrecht der übrigen Gesellschafter vor Vollendung des Geschäftsfüh-
rungsaktes. In casu kein rechtzeitiger Widerspruch.
- Für aussergewöhnliche Geschäfte ist nach OR 535 Abs. 3 Einstimmigkeit erfor-
derlich; (bzw. präziser: ist ein Gesellschaftsbeschluss nach OR 534 nötig; in casu
gibt es keine Hinweise auf eine abweichende Regelung betreffend das Quorum für
Gesellschaftsbeschlüsse, also ist hier Einstimmigkeit erforderlich).

Ein Geschäft kann aussergewöhnlich sein nach Art oder nach Ausmass. - In casu
ist es aussergewöhnlich nach Ausmass (Investition von CHF 220'000, bei Umsatz
von CHF 1.3 Mio. und Reingewinn von CHF 40'000). Folglich gilt im Innenverhältnis
für das Geschäft das Einstimmigkeitsprinzip. P. R. hat also mit seinem Alleingang
eine Kompetenzüberschreitung im Innenverhältnis begangen.

Als Rechtsfolge daraus ist P. R. den übrigen Gesellschaftern gegenüber für den
diesen entstandenen Schaden verantwortlich. (U. U. kann ihm auch aus wichtigen
Gründen die Vertretungsmacht entzogen werden, OR 565)

133
D. Einzelfragen Gesellschaftsrecht 23 PUNKTE

1. a) Was ist der Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance des
Unternehmerverbandes economiesuisse?
b) Nennen Sie drei Problemkreise, zu denen er Regelungen enthält. 4 PUNKTE

Unverbindliche Empfehlungen, Leitlinien bzw. Regelwerk, gerichtet an Publi-


kums- (Aktien-) Gesellschaften (börsenkotierte Gesellschaften), welches inhaltli-
che Aussagen zur Corporate Governance enthält, d.h. über die gute Führung und
Kontrolle eines Unternehmens/das „wie“ der Unternehmensführung, bzw. darüber,
dass und wie ein Unternehmen im Interesse der Aktionäre zu führen ist
Problemkreise:
Rechte der Aktionäre (Informations-, Mitwirkungs-, Entscheidungsrechte);
Verwaltungsrat: Aufgaben, Zusammensetzung, Organisation, Arbeitsweise,
Interessenkonflikte, Wissensvorsprünge in Verwaltungsrat, Geschäftsleitung;
Umgang mit diesen
Kontrollsystem (internes Kontrollsystem, Compliance, externe Revisionsstelle)
Offenlegung bestimmter Informationen (wie auch die SWX Börsen-Richtlinie)

2. a) Was ist ein partiarisches Rechtsgeschäft?


b) Welches ist das zentrale Abgrenzungskriterium zwischen partiarischem
Rechtsgeschäft und Gesellschaft? 3 PUNKTE

Ein Vertrag, und zwar ein zweiseitiger Schuldvertrag (Austauschvertrag, synallag-


matischer Vertrag), bei dem das Entgelt einer Partei abhängig vom Erfolg der an-
dern ist (sog. aleatorische Vergütung); wodurch ein gemeinsames Interesse am
Erfolg (Gewinn) begründet wird. Gegenüber der Gesellschaft fehlt es aber am ani-
mus societatis (Bereitschaft bzw. Streben der Parteien zum Erreichen eines ge-
meinsamen Zwecks; „Wille zur Gemeinschaftsbildung“)

3. Was versteht man im Gesellschaftsrecht unter dem sog. Durchgriff? 2 PUNKTE


Vgl. BGE 113 II 31
Bei juristischen Personen gilt der Grundsatz, dass ihre rechtliche Selbständig-
keit als Rechtssubjekt stets zu beachten ist (ihre Trennung von ihren Gesellschaf-
tern, Mitgliedern, Inhabern usw.). Anders gesagt, die juristische Person haftet
grundsätzlich selbst und allein für ihre Verbindlichkeiten, es haften nicht auch ihre
Mitglieder/Gesellschafter/Inhaber)
Wenn die Verwendung der juristischen Person (ihre Ausgestaltung, die Berufung
auf ihre rechtliche Selbständigkeit) rechtsmissbräuchlich ist, dann haftet auch
der Gesellschafter (oder die Mitglieder, Inhaber usw., allgemein, die Personen, die
„hinter“ der Gesellschaft stehen und diese so missbrauchen) für die Verpflichtung
aus den Verbindlichkeiten der Gesellschaft

4. Wann wird aus einer einfachen Gesellschaft eine Kollektivgesellschaft? 3 PUNKTE

Grundsätzlich immer dann, wenn sie ein kaufmännisches Unternehmen führt.


(Der Handelsregistereintrag ist nicht konstitutiv.) Sofern es sich um eine nicht-
kaufmännische Kollektivgesellschaft handelt, wird sie es durch Handelsregi-

134
stereintrag (in diesem Fall ist er konstitutiv). Hat sie dagegen eine juristische
Person zum Gesellschafter, so wird sie es gar nicht (d.h. sie bleibt einfache Ge-
sellschaft, trotz kaufmännischer Tätigkeit), weil eine juristische Person nicht Mitglied
einer Kollektivgesellschaft sein kann.

5. a) Was versteht man unter dem Paritätsprinzip?


b) Welches sind die Hauptregeln im Aktienrecht, die Ausfluss dieses Prinzips
sind? Nennen Sie die entsprechenden Gesetzesartikel und ihren wesentlichen
Inhalt. 4 PUNKTE
OR Art. 698, 716a, 728
a) Das Paritätsprinzip betrifft Aktiengesellschaften und besagt, dass jedem ihrer
Organe bestimmte unentziehbare und unübertragbare Aufgaben zur aus-
schliesslichen Bearbeitung zukommen.
b)
OR 698 Abs. 2 (für die Generalversammlung): die Festsetzung und Änderung der
Statuten; die Wahl von Verwaltungsrat und Revisionsstelle; die Genehmigung des
Geschäftsberichts (Jahresbericht, Jahresrechnung, Konzernrechnung), der Ge-
winnverwendungsbeschluss; die Entlastung von Verwaltungsrat und Geschäftslei-
tung; weitere Gegenstände gemäss Gesetz oder Statuten, wie bspw. Kapitalerhö-
hung, -herabsetzung, Sonderprüfung, Auflösung, Fusion
OR 716a (für den Verwaltungsrat): die Oberleitung der Gesellschaft und Erteilung
der nötigen Weisungen (Verantwortung für die Strategie); die Organisation (Rege-
lung seiner eigenen Tätigkeit, Delegation von Kompetenzen, Organisationsregle-
ment); die Ausgestaltung von Rechnungswesen, Finanzkontrolle und Finanzpla-
nung; die Ernennung und Abberufung der mit der Geschäftsführung und Vertre-
tung betrauten Personen; die Oberaufsicht über die Geschäftsführung (nament-
lich hinsichtl. Befolgung der Gesetze, Statuten, Reglemente, Weisungen); der Ge-
schäftsbericht, die Vorbereitung der Generalversammlung, die Ausführung ihrer Be-
schlüsse; Benachrichtigung des Richters im Fall der Überschuldung
Oder auch: Die „vier S“: Strategies (Oberleitung); Systems (Festlegung von Orga-
nisation, Rechnungswesen, Finanzkontrolle, Finanzaufsicht); Staff (Ernennung und
Abberufung der mit der Geschäftsführung und Vertretung betrauten Personen); Su-
pervision (Oberaufsicht)
OR 728 (für die Revisionsstelle): Prüfung von Buchführung, Jahresrechnung und
Gewinnverwendungsantrag

6. Darf ein Verein ein kaufmännisches Unternehmen betreiben? Erläutern Sie


kurz. 2 PUNKTE

Ja – wenn er damit einen nicht-wirtschaftlichen Zweck verfolgt, ZGB 61 Abs. 2. Da-


gegen ist es unzulässig bei Verfolgung eines wirtschaftlichen Zwecks (Rechtspre-
chung/ZGB 60 Abs. 1)

7. a) Was versteht man unter der sog. Vinkulierung?


b) Können Namenaktien bei nicht-börsenkotierten Gesellschaften vinkuliert
werden? Erläutern Sie kurz. 3 PUNKTE

a) Vinkulierung ist die Beschränkung der freien Veräusserlichkeit von Namenak-


tien (es gibt sie nicht bei Inhaberaktien). Sie ist möglich durch die Statuten,
OR 685b Abs. 1. Voraussetzung ist das Vorliegen eines wichtigen Grundes (der in

135
den Statuten genannt sein muss), im Hinblick auf Zweck oder Selbständigkeit des
Unternehmens. An dessen Stelle kann auch ein Übernahmeangebot zum wirkli-
chen Wert stehen („Escape Clause“).

8. Was ist eine Absorptionsfusion? 2 PUNKTE

Art. 748: Eine Fusion - also eine vertraglich vereinbarte Vereinigung (Verschmel-
zung) von juristischen Personen zu einer rechtlichen Einheit (einer einzigen juristi-
schen Person), mit Aktiven und Passiven, ohne Liquidation (Universalsukzessi-
on) - wobei eine schon bestehende juristische Person eine andere übernimmt.

136
3. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2003

137
Lösungsskizze für Privatrechtsprüfung der Assessmentstufe Frühjahr 2004

A. EINZELFRAGEN zum Privatrecht/Obligationenrecht (18 Pkt.)


Frage 1 (15 Pkt.):
a. Was versteht man unter zwingenden, was unter dispositiven Rechts-
sätzen?
Zwingende Rechtssätze:
- Gelten ohne Rücksicht auf den Willen der Beteiligten
- Können von den Beteiligten nicht abgeändert oder ausser Kraft gesetzt werden
Dispositive Rechtssätze:
- Erlauben den Beteiligten, eine abweichende Regelung zu treffen
- Wenn keine Regelung durch die Beteiligten, dann kommt dispositives Recht als
„Reserverecht“ zur Anwendung

b. Um welches der beiden Arten von Rechtssatz handelt es sich (be-


gründen Sie jeweils kurz) bei:
Art. 100 Abs. 1 OR
- zwingende Bestimmung – zwingender Charakter ergibt sich aus dem Wortlaut
Art. 101 Abs. 1 OR
- dispositive Bestimmung – gemäss Art. 101 Abs. 2 OR
Art. 127 OR
- zwingende Bestimmung – ergibt sich aus Art. 129 OR
Art. 205 Abs. 1 OR
- dispositive Bestimmung – lässt sich dem Wortlaut entnehmen
Art. 216 Abs. 1 OR
- zwingende Bestimmung – zwingender Charakter ergibt sich aus dem Wortlaut

Frage 2 (3 Pkt.):
Was ist unter den Regesten, dem Sachverhalt und den Erwägungen eines in der
amtlichen Sammlung publizierten Bundesgerichtsentscheides zu verstehen?
Regeste:
- Enthält die Kernaussagen
Sachverhalt:
- Gibt Umstände des Falles wieder – nur soweit, als sie zur Urteilsbegründung von
Bedeutung waren
Erwägungen:
- Enthalten die rechtlichen Ausführungen zum Fall

138
Lösungsskizze für Privatrechtsprüfung der Assessmentstufe Frühjahr 2004

B. EINZELFRAGEN zum Gesellschaftsrecht (23 Pkt.)


1. Darf die Generalversammlung über die Strategie einer AG ent-
scheiden? (3 Pkt.)
- Nein, ausser bei der Zweckumschreibung in den Statuten
- ABER: Strategiefestlegung unübertragbare Aufgabe des Verwaltungsrates
(Art. 716a Abs. 1 Ziff. 1 OR)

2. Welche Personen unterliegen der aktienrechtlichen


Verantwortlichkeit? (5 Pkt.)
- Art. 752 OR: Personen, die einen unrichtigen oder irreführenden
Emissionsprospekt oder eine ähnliche Mitteilung erstellt oder verbreitet
- haben
Art. 753 OR: Gründer, Mitglieder des Verwaltungsrates und alle Personen,
die bei der Gründung mitwirken
- Art. 754 Abs. 1 OR: Mitglieder des Verwaltungsrates und alle mit der Ge-
schäftsführung oder mit der Liquidation befassten Personen
- Art. 755 OR: Alle mit der Prüfung der Jahres- und Konzernrechnung, der
Gründung, der Kapitalerhöhung oder Kapitalherabsetzung befassten Perso-
nen
- Materielles Organ / Faktisches Organ - „Personen, die tatsächlich Organen
vorbehaltene Entscheide treffen oder die eigentliche Geschäftsführung be-
sorgen und so die Willensbildung der Gesellschaft massgebend mitbestim-
men“. Wer effektiv für eine AG Entscheidungen von grundlegender unter-
nehmerischer Tragweite treffen oder daran massgebend mitwirken kann,
unabhängig davon, ob ihm formell eine entsprechende Position eingeräumt
worden ist oder nicht
Zum Beispiel: Stille Verwaltungsräte, Hauptaktionäre, Geschäftsführer

3. Sind die Corporate Governance-Regeln in der Richtlinie SWX


(Schweizer Börse) betreffend Informationen zur Corporate Go-
vernance für Aktiengesellschaften verbindlich? (3 Pkt.)
- Nur anwendbar auf börsenkotierte Aktiengesellschaften
- Zwingend offenzulegen: Entschädigungen, Beteiligungen und Darlehen (von
VR, GL)
- Sonst verbindlich im Sinne von „comply or explain“ (Offenlegen oder be-
gründen weshalb nicht)

139
Lösungsskizze für Privatrechtsprüfung der Assessmentstufe Frühjahr 2004

4. Erklären und begründen Sie das Prinzip des numerus clausus


im Gesellschaftsrecht! (4 Pkt.)
- Formzwang – es steht eine begrenzte Anzahl zulässiger Gesellschaftsfor-
men zur Verfügung, dies im Gegensatz zur Vertragsfreiheit
- Formfixierung – inhaltliche Ausgestaltung ist beschränkt.
Begründung:
- Schutz des Rechtsverkehrs (Gesellschaft äussert nicht nur Wirkungen für
Vertragspartner, sondern auch für Aussenstehende – Gläubiger, Schuldner)
- Schutz der Gesellschafter (Gesellschafter sollen vor willkürlicher Behand-
lung durch die Mehrheit geschützt werden)

5. Vergleichen Sie den Umfang der Vertretungsmacht des Kom-


plementärs einer Kommanditgesellschaft mit jener des Gesell-
schafters einer einfachen Gesellschaft! (8 Pkt.)
Vertretungsmacht – Frage des Aussenverhältnisses
Art. 603 OR: Vertretung der Kommanditgesellschaft durch unbeschränkt haften-
de Gesellschafter (Komplementäre) nach den Regeln der Kollektivgesellschaft.
Umfang der Vertretungsmacht bei der Kommanditgesellschaft:
- Umfang ergibt sich aus dem Zweck der Gesellschaft (Art. 564 Abs. 1 OR)
- Sehr weite Auslegung durch das Bundesgericht; alles, was vom Zweck nicht
geradezu ausgeschlossen wird

Umfang der Vertretungsmacht bei der einfachen Gesellschaft:


- Art. 543 Abs. 2 OR: Grundsätzlich Vollmacht notwendig, durch welche Ver-
tretungsmacht und Umfang bestimmt werden
- Art. 543 Abs. 3 OR: Vermutung, dass, wenn nichts Spezielles vereinbart
wurde, Regelung von Art. 535 Abs. 2 OR zum Zuge kommt
- Art. 535 Abs. 2 OR: Prinzip der Einzelvertretung (mit Widerspruchsrecht der
übrigen Gesellschafter) für gewöhnlichen Betrieb der gemeinschaftlichen
Geschäfte
- Art. 535 Abs. 3 OR: Für Handlungen, welche über den gewöhnlichen Betrieb
der gemeinschaftlichen Geschäfte hinausgehen, ist die Einwilligung aller
Gesellschafter notwendig

140
Lösungsskizze für Privatrechtsprüfung der Assessmentstufe Frühjahr 2004

C. FALL 1 (Obligationenrecht) (43 Pkt.)


Anton ist EDV-Verantwortlicher der Alpha AG. Er kauft namens der Alpha AG bei der
Computer-World AG eine neue EDV-Anlage mit einem IBM-Server, zehn Compaq-PC’s
und 5 Hewlett Packard-Drucker, Softwareprogramme für die PC’s sowie einer
Kühlungsan-lage im Serverraum (aufgrund der hohen Betriebstemperaturen des
Servers), inklusive Installation, Verkabelung und Betriebskontrolle der ganzen Anlage
für CHF 200'000.-, wobei die Anlage am 31. Dezember 2003 betriebsbereit sein muss.
Frage 1 (4 Pkt.): Zwischen wem und wem ist ein Vertrag zustande gekommen?
Begründen Sie kurz die Antwort.
Stellvertretung mittels ausdrücklicher Erklärung (Art. 32 Abs. 1 OR) - Voraussetzun-
gen:
- Handeln in fremdem Namen
- Vollmacht
Sind die Voraussetzungen erfüllt, dann kommt der Vertrag zwischen dem Vertrete-
nen und dem Dritten zustande.
! In casu: Da eine rechtsgültige Stellvertretung vorliegt, kommt der Vertrag zwi-
schen der Alpha AG (Vertretene) und der Computer-World AG (Dritter) zustande.
Frage 2 (12 Pkt.):
Aufgrund des Weihnachtsgeschäfts kam es bei den Lieferanten der Computer-
World zu Verspätungen, weshalb am 5. Januar die Anlage noch nicht bereitge-
stellt werden kann. Aufgrund der fehlenden Anlage entstand der Alpha AG ein
erheblicher Schaden. Wer kann unter welchen Voraussetzungen welche
Ansprüche geltend machen?
(Vorfrage - Art des Vertrages: Kaufvertrag.)
1
[Hinweis :Geschuldet war hauptsächlich die Lieferung serienmässiger Gegenstände und
Software. Die Installations-, Verkabelungs- und Testarbeiten sind dem untergeordnet und
rechtfertigen nicht die Qualifikation als Werkvertrag, auch nicht die Annahme eines separaten
Werkvertrags.]
Art der Vertragsverletzung: Leistung verspätet (aber nicht unmöglich): In Frage
kommt Schuldnerverzug, der für den Kaufvertrag als solchen nicht speziell geregelt
ist. Er ist nach den allgemeinen Vorschriften der Art. 102ff. OR zu beurteilen (Skript
S.134; zu Art. 190f. OR, die innerhalb des Kaufvertrags den Sonderfall des kaufmän-
nischen Verkehrs betreffen, weiter unten)
Schuldnerverzug ist - pflichtwidrige Nichtleistung trotz Fälligkeit und (grundsätzlich)
Mahnung durch den Gläubiger.
Voraussetzungen des Schuldnerverzugs im vorliegenden Fall:
Fälligkeit? - Gegeben, Liefertermin; unproblematisch.
Mahnung?
- entbehrlich, falls es sich um ein Verfalltagsgeschäft handelt, Art. 102 Abs. 2 OR
- Verfalltag: kalendermässig bestimmter oder bestimmbarer Leistungstermin

1
D ie in der M usterlösung zu A ufgabe C 2 kursiv hinzugefügten H inw eise dienen der zusätzlichen Erläuterung
und sind nichtTeildieser M usterlösung.

141
Lösungsskizze für Privatrechtsprüfung der Assessmentstufe Frühjahr 2004

- Folge: Schuldner gerät mit Ablauf dieses Tages in Verzug


- das trifft hier zu " Verfalltagsgeschäft liegt vor " Mahnung entbehrlich
Zwischenergebnis: Computer World befindet sich bereits ohne Mahnung im Ver-
zug.
Rechtsfolgen ("allgemeine Verzugsfolgen"): Art. 103ff. OR:
- Schadenersatz wegen verspäteter Erfüllung (Verspätungs- oder Verzugsscha-
den), Art. 103 Abs. 1 OR, sowie Haftung für Zufall
- Dieser ist verschuldensabhängig, jedoch wird das Verschulden vermutet; also
die Beweislast umgekehrt: Der Schuldner muss sich exkulpieren – beweisen,
dass er unverschuldet in Verzug geraten war -, um die Schadenersatzpflicht ab-
zuwenden. (In diesem Fall besteht kein Anhaltspunkt für eine Exkulpations-
möglichkeit.)
[Hinweis: Insbesondere nicht – ohne weiteres – im Lieferausfall der Vor-Lieferanten bei einer
Verpflichtung über erst noch zu beschaffende Sachen; das könnte allenfalls in Betracht kom-
men falls bei gehöriger Sorgfalt keine Fehleinschätzung der Liefer- und Beschaffungsfristen,
keine Zweifel an der rechtzeitigen Erfüllbarkeit in Betracht kamen, darüber sagt der Sachver-
halt aber nichts – es bleibt deshalb bei der vom Gesetz angeordneten Vermutungswirkung.

- (Verzugszins kommt nicht in Betracht: keine Geldschuld)


Weitere Ansprüche, ihre Voraussetzungen (vgl. Fragestellung!): Die "besonderen"
oder "speziellen Verzugsfolgen" der Art. 107 ff. OR
Voraussetzung: Grundsätzlich Ansetzung einer Nachfrist, Art. 107 Abs. 1 OR, und
deren erfolgloses Verstreichen, Abs. 2. Alpha AG müsste also eine Nachfrist setzen.
[Hinweis: Der Sachverhalt enthält keinen Anhaltspunkt, dass dies schon geschehen ist.]
Nach Art. 108 OR ist die Nachfrist unter bestimmten Umständen entbehrlich: - für
Ziff. 1 und 2 gibt der Sachverhalt keinen Anhaltspunkt. - Zu Ziff. 3 ist aber zu fragen,
ob der Liefertermin zugleich auch die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt:
- Art. 108 Ziff. 3 OR betrifft das sog. relative Fixgeschäft. Die
Voraussetzungen hiefür sind strenger bzw. gehen weiter als jene an das Verfall-
tagsgeschäft nach Art. 102 Abs. 2 OR.
[Hinweis: Es kann also nicht einfach vom einen auf das andere geschlossen werden Hier geht
es darum, ob der Gläubiger sich bereits mit dem Vertrag vorbehalten hat, bei Verstreichen des
Termines die Leistung nicht mehr annehmen zu müssen (vgl. die Folge – Gläubigerwahl-
recht!).

- Indizien können Formulierungen wie "genau am", "nicht später als" o. ä. sein,
oder dem Schuldner bei Vertragsschluss bekannte besondere Umstände. Dass
die Leistung zu einem bestimmten Tag geliefert werden musste, genügt allein
nicht.
Unter diesen Voraussetzungen (verstrichene bzw. entbehrliche) Nachfrist stehen
dem Gläubiger folgende Rechte zur Wahl zu, Art. 107 Abs. 2 OR und 109 Abs. 1
und 2 OR:
- Er kann weiterhin auf der Erfüllung beharren sowie weiterhin [wie schon nach
allgemeinen Verzugsfolgen!] den Verspätungsschaden geltend machen,
Art. 107 Abs. 2 OR, 1. Variante i. V. m. Art. 103 Abs. 2 OR.

142
Lösungsskizze für Privatrechtsprüfung der Assessmentstufe Frühjahr 2004

- Er kann statt dessen die Leistung ablehnen, ohne aber zugleich das Vertrags-
verhältnis zu Fall zu bringen, und auf dieser Grundlage Schadenersatz verlan-
gen, und zwar für den Erfüllungsschaden ("des aus der Nichterfüllung entstan-
denen Schadens" oder das sog. "positive Interesse"; Art. 107 Abs. 2 OR, 2. Vari-
ante): Er ist durch den Schadenersatz in den gleichen Vermögensstand zu ver-
setzen, als wäre der Vertrag ordnungsgemäss erfüllt [!] worden.
- Er kann drittens vom Vertrag zurücktreten (Art. 107 Abs. 2 OR, 3. Variante),
wodurch er nicht nur die Leistung ablehnt, sondern das Vertragsverhältnis als sol-
ches zu Fall bringt. Etwa schon erbrachte Leistungen sind rückabzuwickeln
(Art. 109 Abs. 1 OR). Er kann zudem auf dieser Grundlage den Ersatz des "aus
dem Dahinfallen des Vertrages erwachsenen Schadens", des sog. Vertrauens-
schadens oder "negativen Interesses" fordern (Art. 109 Abs. 2 OR). Der Gläubi-
ger ist in den gleichen Vermögensstand zu versetzen, als hätte er den Vertrag
nicht geschlossen.
[Dieses Gläubigerwahlrecht kann auch in 2 Schritten dargestellt werden: Danach kann der
Gläubiger zunächst über das Schicksal der Leistungspflicht des Schuldners entscheiden:
Bleibt sie bestehen (wie oben 1. Variante), oder wird die Leistung abgelehnt; im letzteren Fall
sodann über das Schicksal des Vertrages: Bleibt er bestehen (dann Schadenersatz auf dieser
Grundlage, 2. Variante), oder wird er zu Fall gebracht (dann Schadenersatz entsprechend, wie
oben 3. Variante)]

Lösungsvariante zu Art. 190 OR:


Da es sich um einen Kaufvertrag handelt, kann statt dessen die Verzugsregelung der
Art. 190 , 191 OR in Betracht kommen. Voraussetzung ist zunächst, dass es sich
um den Sonderfall des kaufmännischen Verkehrs handelt, Art. 190 Abs. 1 OR. Das
ist prinzipiell dann der Fall, wenn es sich um einen Kauf zum Zweck des Weiter-
verkaufs handelt. Das ist im Sachverhalt nicht der Fall, denn
die Alpha AG wollte die Kaufgegenstände bei sich installieren und verkabeln lassen.
Es bleibt insoweit bei der Regelung der Art. 102 ff. OR.
Unter Umständen kann kaufmännischer Verkehr bei Geschäften auch weitergehend
angenommen werden, sofern sie zwischen Unternehmen getätigt werden. Bejaht
man mit dieser Begründung kaufmännischen Verkehr, ergeben sich folgende Fra-
gen und Rechtsfolgen aus Art. 190 f., wobei hier nur einzelne Aspekte des Verzugs
geregelt sind und im übrigen auch der allgemeine Teil zur Anwendung kommt.
Für diese Lösungsvariante waren Voraussetzungen und Rechtsfolgen, soweit dafür nicht auf
die Kenntnisse über Verzug nach dem Allgemeinen Teil zurückzugreifen war, zum grossen
Teil direkt aus dem Gesetz zu entnehmen.
Es muss ein bestimmter Lieferungstermin vereinbart worden sein (Art. 190 Abs. 1
OR; wie Verfalltag nach Art. 102 Abs. 2 OR): Das ist hier der Fall.
Der Käufer muss in Verzug gekommen sein. Da hierüber Art. 190 OR keine weite-
ren Vorgaben macht, richtet sich das nach Art. 102 ff. OR, hier ohne Mahnung durch
den Liefertermin/Verfalltag. Gleichfalls nach Art. 102 ff. OR ergeben sich daraus die
allgemeinen Verzugsfolgen, namentlich der Anspruch auf Ersatz des Verspä-
tungsschadens (vgl. Art. 191 Abs. 1 OR oder auch Art. 103 OR).
[Hinweis: Auch der Schadenersatz nach Art. 191 OR setzt, nach den allgemeinen Regeln,
Verschulden voraus, obwohl es der Vorschrift selbst nicht zu entnehmen ist.]
Hieran schliesst Art. 190 OR sogleich Regelungen zu den besonderen Verzugs-
folgen an, d. h. eine Nachfrist ist nicht erforderlich.

143
Lösungsskizze für Privatrechtsprüfung der Assessmentstufe Frühjahr 2004

[Im kaufmännischen Verkehr wird, anders als nach Art. 107, 108 OR, davon ausgegangen,
dass es sich beim Liefertermin zugleich auch um ein relatives Fixgeschäft handelt.]
Im Ergebnis hat der Gläubiger hier sogleich ein Wahlrecht (Art. 190 Abs. 1 und
Abs. 2 OR): Der Käufer kann auf die Leistung verzichten und Schadenersatz we-
gen Nichterfüllung (also das positive Interesse) beanspruchen (Art. 190 Abs. 1
OR). - Anders als nach Art. 107 OR (wo das unverzüglich erklärt werden muss) wird
es aber hier vermutet, der Käufer muss also dafür nichts erklären. - Er ist in diesem
Fall so stellen, als ob der Vertrag ordnungsgemäss erfüllt worden wäre. (Ein Fall
des Erfüllungsschadens ist in Art. 191 Abs. 2 OR ausdrücklich geregelt – die Diffe-
renz zwischen dem vereinbarten Kaufpreis und dem Preis einer Ersatzanschaffung
(Deckungskauf).
[Abs. 3 erleichtert den Nachweis eines solchen Schadens, ohne den Deckungskauf tatsächlich
vorgenommen zu haben - allein die Marktpreise genügen schon zum Nachweis.]
Stattdessen kann er auch auf der Erfüllung beharren. Dies muss er aber dann un-
verzüglich erklären (Art. 190 Abs. 2 OR in Umkehr von Art. 107 Abs. 2 OR).
[Auch beim Schuldnerverzug im kaufmännischen Verkehr besteht in Anwendung des Allge-
meinen Teils zum dritten das Recht, vom Vertrag zurückzutreten; das ist allerdings umstritten.]

Frage 3 (5 Pkt.):
Die Anlage wurde – abweichend von Frage 3 – rechtzeitig auf den 31. Dezember
2003 bereitgestellt. Am 5. Januar bemerkt Anton, dass die Drucker nicht von
Hewlett Packard, sondern von Canon sind. Wer kann welche Ansprüche gel-
tend machen?
Beim Erwerb von HP-Druckern handelt es sich im Folgenden um einen Kaufvertrag
und nicht um einen Werkvertrag. Der Werkvertrag ist ein Vertrag über eine erst her-
zustellende Sache, bei der es um ein individuelles Exemplar handelt, das speziell für
den Besteller angefertigt und nicht serienmässig hergestellt wurde. Die Produktion
von Druckern erfolgt jedoch in der Regel serienmässig. Dem Sachverhalt sind keine
Hinweise zu entnehmen, dass es sich um Einzelanfertigungen handeln würde. Auch
der Kauf mit einer allfälligen Nebenpflicht zur Montage- bzw. Einrichtungspflicht ist in
toto als Kaufvertrag zu qualifizieren.
Gegenstand des Kaufvertrages waren Hewlett Packard-Drucker. Geliefert wurden
jedoch Drucker von Canon.
Definition:
- Falschlieferung (Aliudlieferung):
Liegt bei einer Gattungsschuld vor, wenn die gelieferte Sache aus einer anderen
Gattung stammt (Abgrenzung zur Schlechtlieferung)

!Subsumtion: Es handelt es sich um einen Gattungskauf. Vorliegend wurde nun


nicht die vereinbarte Gattung „Hewlett Packard“ geliefert. Es liegt somit eine Falsch-
lieferung vor.

144
Lösungsskizze für Privatrechtsprüfung der Assessmentstufe Frühjahr 2004

- Falschlieferung – es tritt keine Erfüllung ein. Alpha AG hat immer noch einen
Erfüllungsanspruch gegenüber der Computer World AG (aus Kaufvertrag / OR
107)
- Verzug nach OR 102ff.: Ersatz des Verspätungsschadens
Anspruch der Computer World AG aus OR 62ff. (ungerechtfertigte Bereicherung)
!Rückforderung der Computer.

Frage 4 (7 Pkt.):
Im Oktober desselben Jahres fällt der Computer-Server aus und kann trotz er-
heblicher Anstrengungen nicht mehr aufgestartet werden. Verärgert über die
Server-Probleme sendet Anton der Computer-World AG ein
Reklamationsschreiben, in dem er sich auch noch über die Qualität von 2 PC’s
beschwert, die mit zerkratzten Bildschirmen geliefert wurden. Wer kann welche
Ansprüche hinsichtlich des Servers und der Bildschirme geltend machen?
Bezüglich der Qualifikation des Vertrages vgl. Anfang der Lösung zu C3.
Bildschirme:
- Mangel – Kratzer auf den Bildschirmen
- Offener Mangel - bei üblicher Prüfung der Beschaffenheit der eingegangenen
Ware hätten die Kratzer entdeckt werden können
- Art. 201 Abs. 1 OR: Mängelrüge des Käufers
- unmittelbar nach Empfang der Ware
! In casu ist die Rüge des Mangels – Kratzer – zu spät erfolgt (Art. 201 Abs. 1 OR),
denn 10 Monate sind seit der Lieferung der Bildschirme vergangen. Die Sache gilt
nun als genehmigt (Art. 201 Abs. 2 OR) und die Alpha AG kann diesbezüglich keine
Ansprüche mehr geltend machen.
Server:
- Versteckter Mangel – die nicht mehr zum Gebrauch tauglichen Server
- Art. 201 Abs. 3 OR
- Mängelrüge – unverzüglich nach Entdeckung des Mangels
- Versteckter Mangel: Art. 201 Abs. 3 OR – hier hat die Anzeige des Mangels un-
verzüglich nach dessen Entdeckung zu erfolgen
! In casu erfolgte die Mängelrüge somit rechtzeitig, da die Alpha AG gemäss SV so-
fort nach Entdeckung des Mangels ein Schreiben an die Computer World AG ge-
schickt hat.
- Verjährung: Art. 210 Abs. 1 OR – beginnt mit der Ablieferung der Sache zu lau-
fen – Dauer 1 Jahr – gemäss Sachverhalt sind knappe 10 Monate seit Ablieferung
verstrichen
! In casu erfolgte die Rüge noch rechtzeitig, Anspruch noch nicht verwirkt.
Die Alpha AG hat folgende Möglichkeiten:
- Wandelung (Art. 205 Abs. 1 OR)
- Minderung (Art. 205 Abs. 1 OR)

145
Lösungsskizze für Privatrechtsprüfung der Assessmentstufe Frühjahr 2004

- Ersatzlieferung bei Gattungssachen möglich (Art. 206 OR)


- Schadenersatz

Frage 5 (10 Pkt.):


Das Schlimmste kommt aber Ende Jahr. Die Kühlungsanlage im Server-Raum
ist defekt, wobei sich später herausstellt, dass es sich um einen Materialfehler
handelt, welcher von der Computer-World AG nicht bemerkt werden konnte,
weshalb es in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr zu einem Brand
kommt. Das Mobiliar im Wert von CHF 50'000 auf dem Stockwerk, in dem sich
der Server-Raum befindet, ist aufgrund der Brandfolgen zerstört oder nicht
mehr brauchbar. Die Alpha AG muss für eine Woche bis zur Behebung der
Brandschädigungen den Betrieb stilllegen und erleidet infolgedessen einen
Verlust von CHF 80'000. Wer kann welche vertraglichen Ansprüche geltend
machen? Prüfen Sie sämtliche möglichen Ansprüche (ohne Rückgriff [Re-
gress])!
Kühlungsanlage:
- Mangel – Art. 205 OR
- Wandelung nach Art. 207 Abs. 1 OR
- Art. 208 Abs. 2 OR:
- Verkaufspreis+Zinsen
- Kein Verschulden erforderlich
Server / Mobiliar:
- Art. 208 Abs. 2 OR:
- Kein Verschulden
- Unmittelbarer Schaden – 50000 zu ersetzen
Stilllegung des Betriebes:
- Entgangener Gewinn (80'000) / Mittelbarer Schaden
- Art. 208 Abs. 3 OR
- Verschulden notwendig
! In casu kein Verschulden vorhanden; Computer World AG hat entgangenen Ge-
winn nicht zu ersetzen.

Frage 6 (5 Pkt.):
Wegen des Brandes ist auch die Polizei im Haus. Sie bemerkt aufgrund eines
Firmenaufklebers, dass es sich bei den Compaq-PCs um dieselben Exemplare
handelt, deren Diebstahl die Firma Media Mark angezeigt hatte. Es stellt sich
heraus, dass Computer-World und Media Markt ein gemeinsames Lager nut-
zen. Weil Computer World keine solchen PCs mehr an Lager hatte, hatte deren
Angestellter einfach die der Media Markt gehörenden PCs ohne deren Einver-

146
Lösungsskizze für Privatrechtsprüfung der Assessmentstufe Frühjahr 2004

ständnis aus deren Regalen entnommen. Media Markt verlangt die PCs zurück
(gutgläubiger Eigentumserwerb kommt nicht in Betracht).
Welche vertraglichen Ansprüche kann Alpha AG gegen die Computer World
geltend machen?
Rechtsmängelhaftung:
- Die Alpha AG kann einen Anspruch aus Rechtsgewährleistung gegenüber der
Computer World AG geltend machen (Rechtsmängelhaftung). Die Rechtsgewähr-
leistung ist in den Art. 192 ff. OR geregelt. Es handelt sich hierbei um eine ver-
schuldensunabhängige Haftung. Die Computer World AG war nicht Eigentümerin
der Kaufsache (PC’s), vielmehr gehörten diese dem Media Markt, und zwar be-
reits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses (vgl. Art. 192 Abs. 1 OR)
- Die Alpha AG kann die in Art. 195 OR vorgesehenen Ansprüche gegenüber der
Computer World AG geltend machen, da es sich um eine vollständige Entweh-
rung handelt. Alle PCs gehörten dem Media Markt.
Nach Art. 195 Abs. 1 OR:
- Ziff. 1: Rückerstattung des bezahlten Preises samt Zinsen ...
- Ziff. 2: Ersatz der für die Sache gemachten Aufwendungen ...
- Ziff. 3: Ersatz aller durch den Prozess veranlassten gerichtlichen und
aussergerichtlichen Kosten ...
- Ziff. 4: Ersatz des sonstigen durch die Entwehrung unmittelbar verursachten
Schadens ...
Zudem kann die Alpha AG gemäss Art. 195 Abs. 2 OR den weiteren Schaden von
der Computer World AG fordern. Die Computer AG ist verpflichtet, diesen zu erset-
zen, sofern sie nicht beweist, dass ihr keinerlei Verschulden zur Last falle.
In casu wird ihr dieser Beweis nicht gelingen, da sie kein Verschulden trifft. Ihr Ange-
stellter nahm gemäss Sachverhalt die dem Media Markt gehörenden PCs aus dem
Lager ohne das Einverständnis des Media Markts.

147
Lösungsskizze für Privatrechtsprüfung der Assessmentstufe Frühjahr 2004

D. FALL 2 (Obligationenrecht) (18 Pkt.)


Beat gibt der Generalunternehmung Bau-AG im September 03 den Auftrag,
seine Wohnung umzubauen. Es soll ein Parkett verlegt, die Wände neu gestri-
chen und das Badezimmer renoviert werden. Die Bau-AG zieht für den Parkett
die Firma Parag hinzu und für die Malerarbeiten die Firma Malag.
Im Winter 03 / 04 verformt sich der Parkett, weil Handwerker Müller von der
Firma Parag den Parkett nicht richtig verleimt hatte. Um dies zu beheben,
musste Beat für eine Woche aus der Wohnung ausziehen und in einem Hotel
wohnen. Sodann war der Maler Kraft der Firma Malag während der Arbeiten
schlecht gelaunt und begann aus nichtigem Grund einen Streit mit Beat, wel-
cher damit endete, dass sich Beat mit einem gebrochenen Nasenbein in ärztli-
che Behandlung begeben musste.
Welche Vertragsbeziehungen bestehen zwischen den Beteiligten, und wer kann
welche vertraglichen Ansprüche geltend machen (ohne Rückgriff [Regress])?
Mögliche Vertragsbeziehungen:
Beat und Bau-AG
- Werkvertrag (Art. 363ff. OR)
- Grundmerkmal ist das Erbringen eines bestimmten Arbeitserfolges und nicht nur
ein blosses Tätigwerden – in casu das Verlegen des Parketts
Bau-AG und Parag
- Parag ist ein Subunternehmen – zwischen ihr und der Bau-AG besteht ein
Werkvertrag (Art. 363ff. OR)
- Geschuldeter Arbeitserfolg: Verlegen des Parketts
Bau-AG und Malag
- Malag ist ein Subunternehmen – zwischen ihr und Bau-AG besteht ein Werkver-
trag (Art. 363ff. OR)
- Geschuldeter Erfolg: Das Streichen der Wände
Firma Parag und Handwerker Müller
- Handwerker Müller ist Angestellter der Parag – es liegt somit ein Arbeitsverhältnis
(Art. 319ff. OR) vor
Firma Malag und Maler Kraft
- Maler Kraft ist Angestellter der Malag – es liegt somit ein Arbeitsverhältnis (Art.
319ff. OR) vor

Ansprüche bzgl. Schaden am Parkett


- Vertragsverhältnis Beat – Bau-AG massgebend (Werkvertrag, Art. 363ff. OR)
- Prüfpflicht nach Art. 367 Abs. 1 OR - sobald es nach dem üblichen Geschäfts-
gange tunlich ist
- Werkmangel: Liegt vor, wenn Werk nach Verkehrsauffassung fehlerhaft ist oder
von vertraglich geschuldeten Beschaffenheit abweicht (Art. 368 Abs. 1 und 2 OR)
- Art. 370 Abs. 3 OR : Versteckte Mängel müssen sofort nach deren Entdeckung
gerügt werden, ansonsten das Werk als genehmigt gilt

148
Lösungsskizze für Privatrechtsprüfung der Assessmentstufe Frühjahr 2004

!In casu: Beim vorliegenden Mangel handelt es sich um einen versteckten Mangel
– für Beat war es zur Zeit der Fertigstellung nicht erkennbar (auch bei ordnungsge-
mässer Prüfung nicht), dass das Parkett nicht richtig verleimt worden war und sich
aufgrund dessen verformte. Beat muss den Mangel sofort nach Entdeckung mittei-
len.
- Verjährung: Art. 371 Abs. 1 i.V.m. Art. 210 Abs. 1 OR
! In casu: Seit dem „Einbau“ des Parketts bis hin zur Entdeckung des Mangels ist
noch kein Jahr verstrichen, womit Beats Ansprüche noch intakt sind.
- Mögliche Ansprüche von Beat: Art. 368 OR :
- Art. 368 Abs. 3 OR
- Schadenersatzanspruch erfasst nur Schäden, die durch den Mangel des
Werkes entstanden sind (Mangelfolgeschaden), kommt nur bei Verschulden
des Unternehmers in Frage – tritt neben Wandelung, Minderung bzw. Nach-
besserung
- Wandelung – hiefür müsste ein erheblicher Mangel vorliegen (Art. 368 Abs.
1 OR)
- Minderung – hier kann der Besteller den Minderwert verlangen
- Nachbesserung - kann verlangt werden, sofern die Kosten dafür nicht un-
verhältnismässig (Kosten Unternehmer – Nutzen des Betroffenen gegenein-
ander abwägen) hoch für den Unternehmer ausfallen
!In casu: Nachbesserung wäre angebracht. Der Nutzen für Beat ist wohl beträcht-
lich, weil er erst dann, seine Wohnung wieder ordnungsgemäss bewohnen kann.
Zusätzlich kann Beat die Kosten, die ihm durch den Aufenthalt im Hotel entstanden
sind gegenüber der Bau-AG aufgrund von Art. 368 Abs. 2 OR als Mangelfolgescha-
den geltend machen.
Ansprüche bzgl. gebrochenem Nasenbein:
- Vertragliche Nebenpflicht – Kunden keine Verletzungen zuzufügen
- Zurechnung nach Art. 101 OR:
- Hilfsperson – Drittperson, die mit Wissen und Wollen des Schuldners zur Er-
füllung einer Schuldpflicht beigezogen wird. Und die anstelle oder neben dem
Schuldner handelt
- In Erfüllung einer Schuldpflicht tätig
- Schaden in Ausübung de Verrichtung verursacht (funktioneller Zusammen-
hang)
- Hypothetische Vorwerfbarkeit

149
Lösungsskizze für Privatrechtsprüfung der Assessmentstufe Frühjahr 2004

E. FALL 3 (Gesellschaftsrecht) (18 Pkt.)


Die Generalversammlung der Sportecco AG fasst folgende Beschlüsse:
1. Das Aktienkapital wird von CHF 100'000 auf CHF 200'000 erhöht. Aktionäre,
die nicht aktiv im Unternehmen mitarbeiten, sowie Aktionäre, die auch am
lokalen Konkurrenzunternehmen beteiligt sind, sind vom Bezugsrecht aus-
geschlossen:
2. Um die Formalitäten zu vereinfachen, wird die Generalversammlung in Zu-
kunft nur noch durchgeführt, wenn ein Aktionär, der mindestens 10% der
Aktien besitzt, schriftlich die Durchführung verlangt; andernfalls gelten die
vom Verwaltungsrat zusammen mit dem Geschäftsbericht den Aktionären
zugestellten Anträge als stillschweigend durch die Aktionäre bewilligt.
Aktionärin H, die mit den Beschlüssen nicht einverstanden ist, fragt Sie an, ob
Sie dagegen etwas tun kann. Was geben Sie für eine Auskunft?
Ad 1 „materiell“:
Bezugsrecht – Art. 652 Abs. 1 OR; jeder Aktionär hat Anspruch auf den Teil der neu
ausgegebenen Aktien, der seiner bisherigen Beteiligung entspricht.
Ausschluss vom Bezugsrecht nur zulässig, wenn:
- Aufhebung nur unter besonderen Bedingungen
- Formeller Beschluss der GV mit qualifiziertem Quorum vorliegt (Art. 704 Abs. 1
Ziff. 6 OR)
- Ein wichtiger Grund (Bezugsrechtsausschluss muss sachlich begründet sein) vor-
liegt (Art. 652b Abs. 2 OR) und
- Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre gewahrt wird
(Ungleichbehandlung zulässig, wo sie ein angemessenes Mittel zu einem
gerechtfertigten Zweck darstellt).

Pflicht der Aktionäre (Art. 680 OR ):


- Nur Liberierungspflicht
- ABER: Keine Treuepflicht

!In casu: Eine Ungleichbehandlung in der Gewährung des Bezugsrechts wegen


Nicht-Mitarbeit im Unternehmen resp. wegen Beteiligung am Konkurrenzunterneh-
men ist daher sachlich nicht gerechtfertigt, der Ausschluss vom Bezugsrecht gesetz-
widrig

Ad 1 „formell“:
- Anfechtung des GV-Beschlusses beim Gericht, wenn ein solcher gegen das Ge-
setz oder die Statuten verstösst, durch jeden Aktionär möglich (Art. 706 Abs. 2
Ziff. 2 OR)
- Einzuhaltende Frist: 2 Monate nach der GV (Art. 706a Abs. 1 OR)

150
Lösungsskizze für Privatrechtsprüfung der Assessmentstufe Frühjahr 2004

Ad 2 „materiell“:
- Generalversammlung muss zwingend jedes Jahr stattfinden.
- Nichtdurchführung wäre gesetzeswidrig: Art. 699 Abs. 2 OR
Ad 2 „formell“:
- Nichtiger Beschluss (inkl. Definition, dessen, was man unter Nichtigkeit zu ver-
stehen hat) i.S.v. Art. 706b Ziff. 3 OR
- Nichtigkeit kann jederzeit geltend gemacht werden, man ist an keine Frist gebun-
den

151
4. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2004

152
Musterlösung Assessment Privatrecht 2005
28.02.2005 0940

FRAGEN OR (20)

Aufgabe 1. (10 Punkte)


Punkte)
a) Welche rechtlichen Grundlagen bzw. welche Informationsquellen ziehen die Gerichte her-
an, wenn sie einen Fall entscheiden müssen?
- Gesetze
- Gewohnheitsrecht
- Rechtsprechung ["Regel …, die es als Gesetzgeber aufstellen würde"]
- Literatur bzw. ("bewährte") Lehre/Doktrin
(Reader S. 9 ff.)

b) Wo findet sich im Gesetz eine diesbezügliche Bestimmung?


Art. 1 [Abs. 1, 2 und 3] ZGB

c) In einem Lehrbuch finden Sie in einer Fussnote folgende Angabe: "BGE 124 III 321, E.2.b".
Was sagt Ihnen diese Angabe über die Art der zitierten Quelle und darüber, wo Sie diese auf-
finden können?
- Bundesgerichtsentscheid;
- amtliche Sammlung/publizierte BGE;
- Jahrgang bzw. Band + Rechtsgebiet + Seite;
- in den Erwägungen
(Reader S. 41)

Aufgabe 2. (5 Punkte)
Punkte)
Was bedeutet die sogenannte „Ungewöhnlichkeitsregel“?
- AGB-Bestimmung [einseitig]; Globalübernahme.
- ungewöhnliche Klausel; d.h. Gegenpartei musste nicht damit rechnen
- [Nur] die Klausel wird nicht Teil der übereinstimmenden Willenserklärung/des Vertrags

(Skript S. 67 f.; Frage/Antwort B.7


vertiefend Koller, Reader S. 50 f.; PRA-72-53, Reader S. 52 f.)

Aufgabe 3. (5 Punkte)
Punkte)
Wie kommt ein Vertrag zustande? Antworten Sie kurz.
2 oder mehr gegen-/wechselseitige, [inhaltlich] übereinstimmende Willenserklärungen über alle objek-
tiv wesentlichen Punkte und die bekanntermassen subjektiv wesentlichen Punkte.
(Skript S. 54 ff, 59 f.;
vertiefend Frage/Antwort B.3)

KURZFÄLLE OR (50)

Aufgabe 4 (18 Punkte


Punkte)
Die B-Bank verfügt über eine unternehmenseigene Kunst- und Münzensammlung. Für eine
Ausstellung ihrer Sammlung schliesst B folgende Verträge ab:

153
a) Die Galerie G. stellt für vier Wochen die Räumlichkeiten zur Verfügung.
Mietvertrag, OR 253 ff

b) Ein Schreiner soll innerhalb von drei Wochen die Räumlichkeiten mit den nötigen Einbau-
ten und Ausrüstungen zur Aufhängung der Bilder versehen, für Fr. 200 pro Quadratmeter aus-
gerüsteter Wandfläche.
Werkvertrag OR 363 ff

c) Ein Anwalt soll alle zu der Ausstellung erforderlichen Verträge durchsehen, verhandeln und
abschliessen. Er bekommt Fr. 300/Stunde.
Auftrag OR 394 ff

d) Eine Studentin wird während der Ausstellungszeit jeweils von 10 bis 18.30 Uhr die Besucher
betreuen.
Arbeitsvertrag
Skript D.3.2.4, S. 157; D.4.1.2, S. 163

e) Ein Einrichtungshaus soll 30 Lampen vom Typ "Picture-Spot" zu je 150 Fr. liefern und mon-
tieren.
- Kaufvertrag mit Nebenpflicht
- Hauptleistung: Lieferung [Eigentumsverschaffung] der Lampen. Offensichtlich keine Herstellung (Typ)
- Arbeitsleistungen hier untergeordnete Nebenpflicht.
Skript D.3.2.2, S. 156

f) Eine Bäckerei wird für die Vernissage dafür sorgen, dass die Gäste mit belegten Brötchen
und Getränken versorgt werden – für 300 belegte Brote sowie Kaffee, Tee und Mineralwasser
nach Bedarf sowie einer durchgehend für den Service anwesenden Person aus der Bäckerei
wird ein Pauschalpreis von CHF 3000.- vereinbart.
- Innominatvertrag
- Gemischter Vertrag oder auch zusammengesetzter Vertrag/Vertragsverbindung/kombinierter Vertrag
- [Gemischter Vertrag] ein einheitlicher Vertrag enthält mehrere charakteristische Hauptleistungen oder
andere Elemente verschiedener Vertragstypen.
Alternativ [kombinierter Vertrag] mehrere, grundsätzlich selbständige Verträge, die miteinander verbun-
den werden, um eine Abhängigkeit zwischen ihnen zu schaffen.
- Hier (einzelne Elemente sollten zur Begründung erwähnt und typisiert werden, nicht notwendig in aller
Genauigkeit), etwa: Lieferung (Kauf) + Werk-/Arbeitsleistung (belegte Brote, Getränke vorbereiten) +
Arbeitsleistung (Serviceperson)
Skript D.5.2.2. S. 171

Bestimmen Sie jeweils die Vertragsart; in den Fällen e) und f) je mit kurzer Begründung.

Aufgabe 5. (32 Punkte)


Punkte)
Beurteilen Sie die nachstehenden Verträge auf ihre Gültigkeit hin unter Angabe der massge-
benden Gesetzesbestimmungen

a) Die achtzehnjährige Anna verkauft dem Beat ihr Fahrrad für CHF 400.- Beat ist aufgrund
einer geistigen Behinderung völlig ausserstande, die Bedeutung des Kaufs und der Zahlung zu
erfassen.
- Unwirksam/nichtig
- Beat handlungsunfähig, weil urteilsunfähig;
- ZGB 16, 17 bzw. 16, 13 bzw. 18.
Skript A.3.1.3, S. 26

b) Carmen will Daniels 3-Zimmer-Wohnung kaufen. Nachdem sie sich nach endlosen, bis in
den Abend dauernden Diskussionen endlich über den Preis geeinigt haben, unterschreiben sie
noch am selben Abend den Vertrag.

154
- nichtig/unwirksam,
- 216 I Formvorschrift verletzt
- öffentliche Beurkundung / blosse Schriftform genügte nicht
- 11 2 [1]

Skript B.4.2 und 4.3, insb. 4.3.3., sowie 4.4.1, S. 71 ff

c) Emil verkauft Franz 400 Gramm Kokain.


- nichtig/unwirksam,
- 20 1
- widerrechtlicher Vertragsinhalt; Rauschgifthandel/verkauf ungesetzlich

d) Das Berghotel „Piz Profit“ ist seit drei Tagen eingeschneit, so dass die Gäste nicht abreisen
können. Gregor, der Hotelwirt, ist bereit, die Gäste auch weiterhin unterzubringen, verdrei-
facht aber aufgrund der speziellen Situation die Unterkunftspreise.
- anfechtbar
- 21
- offenbares Missverhältnis Leistung - Gegenleistung (arg.: Ausgangslage)
- und Ausbeutung einer Notlage

e) Heidi verkauft Ivo (der seiner Freundin ein Geschenk machen will) 50 Milliliter Parfum für
CHF 200.- Im Discounter erhält man das gleiche Produkt für CHF 120.-
- Wirksam [Kaufvertrag]
- 19 I
- Vertragsinhaltsfreiheit; Würdigung des Wertverhältnisses der Leistungen ist grundsätzlich Sache der
Parteien
- hier jedenfalls kein offenbares Missverhältnis (Übervorteilung/Sittenwidrigkeit)

f) Namens und auf Rechnung von Jasmin kauft Karin von Laura die Rechtsprechungsbände des
Bundesgerichts der letzten 50 Jahre zum Preis von CHF 3500.- Jasmin hatte Karin gesagt, sie
dürfe nicht mehr als CHF 3000 für die Bände ausgeben.
- Vertrag [Kaufvertrag] schwebend unwirksam; keine Bindung
- Aber Genehmigung möglich
- 38 OR
- Vertretung: (im fremden Namen), aber ohne Vertretungsbefugnis, da Vollmachtüberschreitung
- [keine Erfüllungspflicht aber] Schadenersatzanspruch Laura gegen Karin 39

g) Markus möchte 12 Flaschen Burgunder bei Nicole bestellen; er verspricht sich aber und sagt
Brunello.
- Vertrag zustandegekommen über Brunello (Vertrauensprinzip);
- Anfechtbar durch Markus
- 23
- Erklärungsirrtum Markus;
- 24 I Ziff. 2;

h) Moritz bestellt 12 Flaschen Burgunder bei Nadine; diese verhört sich und versteht Brunello
und stimmt zu.
- Vertrag zustandegekommen über Burgunder (Vertrauensprinzip);
- Erklärungsirrtum: Nadine meint, Brunello zu verkaufen (= ihr Geschäftswille), ihre Erklärung lautet
aber auf den Burgunder (nämlich schlicht: "Einverstanden").
- Wesentlich? 23
 Nein. [Insbesondere keiner der Fälle des 24]
- …25 II Ist Moritz zum Kauf auch des Brunellos bereit, muss Nadine sich am Vertag festhalten lassen
- …26 Schadenersatz bei Anfechtung wegen fahrlässigem Irrtum

155
Skript B.6.1, 6.2.1, S. 82 ff

FALL OR (zusammen: 50 Punkte)


Punkte)

Aufgabe 6. (15 Punkte)


Punkte)
Am 1. Oktober 2003 kauft die B-Bank für ihre Sammlung vom Privatsammler P zwei einzigarti-
ge römische Münzen, eine mit dem Bild des Kaisers Nero, die andere mit Kaiser Titus, für je
Fr. 12'000.

(a) Die Nero-Münze stellt sich im Januar 2004 als wertlose Fälschung heraus. Auch P hatte das
nicht gewusst. Welche Rechte hat die Bank?
- Mangel
- Sachmängelgewährleistung, OR 197 ff
- Prüfung "sobald nach dem üblichen Geschäftsgange tunlich", 201/1
- Hier: Versteckter Mangel, 201/2;
- Anzeige sofort
- nicht genehmigt/Gewährleistung gegeben
- Wandelung, 208 II

(b) Erst beim Besuch eines Spezialisten im Februar 2005 erweist sich auch die Titus-Münze als
Fälschung. Was kann die Bank tun?
- Mangel; Sachmängelgewährleistung, OR 197 ff: zwar auch hier: Versteckter Mangel, 201/2; Anzeige so-
fort
- aber verjährt, 210
[Verkäufer gutgläubig (keine Sachverhalts-Überinterpretation!)  210 III scheidet aus]
- Keine Gewährleistung
- Irrtumsanfechtung (nach BGE; a A teilw. Lehre)
- Irrtum über Eigenschaft: Motiv-/Grundlagenirrtum?
- Hier Grundlagenirrtum 24 I Ziff. 4
- Echtheit einer Münze im Antikhandel objektiv wesentlich + hier subjektiv wesentlich + dies erkennbar
- fristgerecht (Jahresfrist ab Entdeckung, Feb. 2005, 31 I)

Aufgabe 7. (20 Punkte)


Punkte)
Seit 11 Jahren kauft die B-Bank regelmässig vom Galeristen G die Bildtafeln einer Serie, die
dieser seinerseits jeweils zuvor der Künstlerin abkaufte. Auch nach dem Tod der Künstlerin
(welcher dem Galeristen schon bekannt ist, nicht aber der Bank) schliesst die Bank mit dem
Galeristen noch je einen Kaufvertrag über die 12. und die 13. Tafel der Serie zu je Fr. 300'000,
und bezahlt im Voraus.

a) Die 12. Tafel hatte der Galerist selbst noch nicht gekauft. Sie gehört nun den Erben der
Künstlerin, die zwar bereit sind, sie der Bank zu verkaufen; aber keinesfalls dem Galeristen,
mit dem sie zerstritten sind. Auch verlangen sie den aktuellen Marktpreis von Fr. 400'000.

b) Eine 13. Tafel wurde gar nie geschaffen.

Welche Ansprüche hat die Bank?


a) Kaufvertrag;
- Anfängliche subjektive Unmöglichkeit
- Die Tafel kann vom Galeristen nicht geliefert/übereignet werden (er kann sie auch nicht beschaffen)
- Die Erben können das aber
Skript S. 79, 112ff
- = Vertragsverletzung

156
- Verschulden [Übernahmeverschulden] (vermutet, keine Exkulpation … er wusste vom Tod/hätte nach-
fragen müssen)
- Schadenersatz nach 97 I
- Erfüllungsschaden/positives Interesse: So zu stellen, als wäre erfüllt
- Anspruch auf Fr 100’000

b) Kaufvertrag;

- anfängliche objektive Unmöglichkeit, 20 I


- da es die Tafel gar nicht gibt, kann der Vertrag von niemandem erfüllt werden
- Nichtig,
- Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht, 62 ff
- Leistungskondiktion 62 II
- Schadenersatz allenfalls aus c.i.c.

Skript 6.3.2.2, S. 45 f

Aufgabe 8. (15 Punkte)


Vom Händler H kauft die B-Bank ein Bild für Fr. 200'000. Über den Kaufpreis wird Still-
schweigen vereinbart. Als M, Mitarbeiter des H, das Bild anliefert, ist ein Interessent anwesend,
der seinerseits der B-Bank zu einem früheren Zeitpunkt für das Bild schon 250'000 angeboten
hat. Da erwähnt M den Kaufpreis von 200'000 - worauf der Interessent sein Angebot auf
220'000 reduziert.
- Schlechterfüllung
- Geheimhaltungsklausel ist vertragliche Nebenpflicht.
- Nebenpflicht verletzt

Hilfspersonenhaftung 101
- Schädiger Hilfsperson?
- mit Wissen und Wollen des Schuldners
- zur Erfüllung einer Schuldpflicht Kaufvertrag, Anlieferung) beigezogen
- in Ausübung ihrer Verrichtung = funktioneller Zusammenhang: Auch die eingeweihte Hilfsperson un-
terliegt hier der vertraglichen Geheimhaltungspflicht, hatte also nicht nur zu liefern, sondern auch "zu
schweigen"
- hypothetische Vorwerfbarkeit?  Ja. Hätte H selbst verraten, würde er haften.
- Verletzung dem H zuzurechnen

Schadenersatz nach 97 (positive Vertragsverletzung)


- Verschulden? (vermutet) gegeben
- Schaden: Grundsätzlich positives Interesse: Als ob [pflichtgemäss] erfüllt
- Differenz zu erstatten

Skript C.2.3 S 115 ff; C.2.5.1 119 ff

FRAGEN GESELLSCHAFTSRECHT (30 Punkte)


Punkte)

Frage 1 (4 Punkte)
Welches ist das entscheidende Abgrenzungskriterium einer Gesellschaft gegenüber einem Aus-
tauschvertrag?
- OR 530 I
- animus societatis = Wille zur Gemeinschaftsbildung
- Gemeinsame Zweckbestimmung
- Zusammenfügen von Leistungen/gemeinsamer Einsatz vom Mitteln und Kräften

157
- Interessengemeinschaft statt Interessengegensatz (kein "do ut des")
Sk 177; Folien E 3 bis 5 Vorlesung)

Frage 2 (8 Punkte)
Was ist eine beabsichtigte Sachübernahme? Wieso ist sie wie die Sacheinlage qualifizierten
Gründungsvorschriften unterworfen? Welche qualifizierten Vorschriften sind dies?
Eine Sachübernahmegründung liegt vor, wenn die Gesellschaft von den Gründern oder Dritten Vermö-
genswerte übernimmt oder zu übernehmen beabsichtigt, wobei die Vermögenswerte im Gegensatz zur
Sacheinlage nicht zwecks Erfüllung der Einlage eingebracht werden, sondern gegen Entgelt. Es genügt,
wenn für die Sachübernahme eine feste Absicht für die nächste Zukunft besteht und eine fast sichere Aus-
sicht auf deren Verwirklichung besteht (sog. beabsichtigte Sachübernahme).
Sachübernahmen beinhalten die gleiche Gefahr der Schwächung des Grundkapitals wie Sacheinlagen, je-
denfalls bei Geschäften mit den Gründern oder diesen nahestehenden Dritten.

Bei Sachübernahmegründungen ist gesetzlich vorgeschrieben, dass ein Gründungsbericht der Gründer
vorliegt (Art. 634 Ziff. 3 und 635 Ziff. 1 OR), eine Prüfungsbestätigung eines Revisors vorliegt (Art. 635a
OR), die Statuten den Gegenstand der Sachübernahme, den Namen des Veräusserers und die Gegenleis-
tung der Gesellschaft angeben (Art. 628 Abs. 2OR) und im Handelsregister der Gegenstand der Sach-
übernahme und die Gegenleistung der Gesellschaft eingetragen wird (Art. 641 OR).

Sk 226 ff.; Sk Fragen Teil F Frage 1; Folie F 5 Vorlesung

Frage 3 (5 Punkte)
Die Bilanz der Gregorini AG sieht wie folgt aus: Umlaufvermögen 30, Anlagevermögen 40,
Fremdkapital kurzfristig 20, Fremdkapital langfristig 20, Aktienkapital 100. Was halten Sie von
dieser Bilanz? Besteht aus rechtlicher Sicht Handlungsbedarf?
Unterbilanz/Kapitalverlust?
- wenn 1/2 von Aktienkapital [+ gesetzlichen Reserven] nicht mehr durch Netto-Vermögenswerte (Akti-
ven abzüglich Fremdkapital) gedeckt
- OR 725 I
- 1/2 des Aktienkapitals (50) nicht mehr durch Nettovermögen (30) gedeckt
- VR muss unverzüglich GV einberufen und Sanierungsmassnahmen vorschlagen

Sk 231 f.; Folie F 4 Vorlesung

Frage 4 (5 Punkte)
Nennen Sie typische Regelungsbereiche eines Aktionärbindungsvertrages.
Vereinbarungen/ Regelungen betreffend
- die Ausübung von Stimmrechten
- die Zusammensetzung des Verwaltungsrates
- die Vereinbarung von Vorkaufs- bzw. Kaufrechten an Aktien
- die Auferlegung von Konkurrenzverboten
- und Treuepflichten.
Sk 269 f.; Folien F 26 und 14 Vorlesung

Frage 5 (8 Punkte)
Nennen Sie stichwortartig acht (8) Gründe für die relative Attraktivität der GmbH gegenüber
der AG für kleine Unternehmen. Erläutern Sie jeweils in ein bis zwei Sätzen.

- Mindestkapital Fr. 20'000.-


[773; geringerer Kapitalaufwand gegenüber AG - 100'000 621]

- Mindestliberierung Fr. 10'000.-;


[774; geringerer Kapitalaufwand gegenüber AG - 50'000 632 II]

158
- Statutarische Nebenleistungspflichten
[gegenüber der unabdingbaren Beschränkung der Aktionärspflichten auf Liberierungspflicht 680 I]
- Treuepflichten,
- Konkurrenzverbote,
- Abstimmungsabsprachen,
- gegenseitige Vorrechte auf gegenseitige Übernahme der Anteile;
[hier können auch die einzelnen Pflichten/Regelungspunkte jeweils einen Punkt ergeben]

- Revisionsstelle fakultativ;
[819, gegenüber Erfordernis professioneller Revision bei AG, 727a ff = Kosten]

- Selbstorganschaft
[grunds. gemeinsame Geschäftsführung & Vertretung durch Gesellschafter/811 I/
Gesellschafter = "geborene" Geschäftsführer/
gegenüber blosser (Ab-) Wählbarkeit der Aktionäre in den VR - Vorteil z.B. für Gründer];

- grössere Flexibilität in Geschäftsführung und Vertretung


[vollständig übertragbare Geschäftsführung,
gegenüber unentziehbaren VR-Aufgaben = zwingenden Vorgaben bei der AG Art. 716a OR!];

- Austritt und Ausschluss möglich;


[OR 822 II - unentziehbares Austrittsrechts aus wichtigem Grund,
zudem statutarisch erweiterbar;
während Aktionär im Konfliktfall "auf seinen Anteilen sitzen bleibt";
Ausschluss - z. B. bei Vertrauensbrüchen, 822 III]

- Auflösungsklage des einzelnen Gesellschafter möglich;


[822 II - auch aus persönlichen Gründen, jeder Gesellschafter ohne Mindest-Kapitalanteil]

- nur 2 Gründer;
(775 -- 3 bei AG, 625 I)

- weniger strenge Nationalitäts- und Wohnsitzerfordernisse;


[für GF Nationalität irrelevant, nur mind. 1 mit Wohnsitz in CH; 813;
strenger bei AG  708]

- strenge gesetzliche Vinkulierung;


[Schutz vor Übertragung/Kontrollverlust für Klein-/Familienunternehmen;
gegenüber nur eingeschränkter Vinkulierungsmöglichkeit bei der AG - "Geld oder Grund"]

- Gesellschafterversammlung kann durch schriftliche Abstimmung (Urabstimmung) ersetzt werden;

- Erwerb eigener Anteile;


[fast ohne Beschränkung, anders als AG;
Vorteile: z. B. bei Zwangsvollstreckung gegen einen Gesellschafter, bei Austritt/Ausschluss, Kaduzie-
rung]

- erschwerte Handelbarkeit der Anteile;


[fehlender Wertpapiercharakter der GmbH-Stammanteile
blosse Beweisurkunden 789 III;
Formerfordernis öffentliche Beurkundung 791 III]

- qualifizierte Gründung / qualifizierte Kapitalerhöhung weniger streng (umstritten);

- einfachere Organisation:
- schlanke Statuten;
- keine Sonderprüfung möglich;
- Flexibilität in Organisation von Geschäftsführung und Vertretung)

R Teil F Frage 2 zu GmbH-Texten; Folien F 29 bis 31 Vorlesung; Prüfung 2002

159
FALL GESELLSCHAFTSRECHT (30 Punkte)
Punkte)
Der Allowa-Konzern ist wie folgt strukturiert:

Die Allowa Holding AG ist zu 100% im Besitz der Familie Windmüller. Zum Allowa-Konzern
gehören die folgenden drei Aktiengesellschaften:
• Allowa Service AG (100% der Aktien im Eigentum der Allowa Holding AG)
• Allowa Produktion AG (80% der Aktien im Eigentum der Allowa Holding AG; die übrigen
20% gehören elf verschiedenen Aktionären)
• Allowa Handel AG (60% der Aktien im Eigentum der Allowa Holding AG; die restlichen
40% werden ausserbörslich gehandelt und sind breit gestreut)
In allen vier Gesellschaften ist Peter Windmüller Präsident, sein Sohn Reto Mitglied des Ver-
waltungsrats. Daneben hat bei jeder Gesellschaft der jeweilige Geschäftsführer Einsitz im Ver-
waltungsrat.

Die Allowa Handel AG erzielt im Jahr 2004 einen hohen Gewinn, die übrigen Gesellschaften
operieren dagegen wie in den Vorjahren in der Verlustzone. In der Verwaltungsratssitzung
vom 12. Dezember 2004 wird im Rahmen der provisorischen Abschlussgestaltung die Auszah-
lung von geschäftsmässig nicht begründeten Managementhonoraren in Höhe von je CHF
800'000 an die Allowa Service AG und die Allowa Produktion AG beschlossen, da dies im
Konzerninteresse geboten erscheint.

Aktionär Jürg Huber der Allowa Handel AG erfährt im Januar 2005 von diesem Beschluss und
wendet sich an Peter Windmöller. Er macht geltend, der Beschluss verletze die Interessen der
Allowa Handel AG und sei gesetzwidrig. Wie ist die Rechtslage? Prüfen Sie die denkbaren ge-
sellschaftsrechtlichen Klagen, die Jürg Huber im Zusammenhang mit dem Beschluss des Ver-
waltungsrats zur Verfügung stehen könnten.
- Verpflichtung auf Gesellschaftsinteresse, nicht auf Konzerninteresse
- Problem der Interessenverfolgung im Konzern/Gesellschafts- oder Konzerninteresse?
- Argumentation aus 716a unentziehbare Aufgaben, Organhaftung 754 I/Rechtsprechung des BGer
 Verpflichtung auf Gesellschaftsinteresse, nicht auf Konzerninteresse)

Sk 267: offengelassen;
Folien F 23 und 25 Vorlesung;
Vorlesung mündlich: expliziter Hinweis, dass ge-
mäss Bundesgericht Verpflichtung auf Gesell-
schaftsinteresse klar vorgeht;
- in Betracht: Anfechtungsklage (OR 706):
- aber: VR-Beschlüsse sind nicht anfechtbar/nur für GV-Beschlüsse
- Ergebnis: nein,
Sk 253 f.; Folie F 17 Vorlesung
- in Betracht: Nichtigkeitsklage:
- Voraussetzung: Verstoss gegen aktienrechtliche Grundordnung, Grundsstrukturen der AG (OR 714
i.V.m. 706b; Verweis vom VR auf die Regelung zum GV-Beschluss )
- nein, hier nicht gegeben
Sk 253 f.; Folie F 17 Vorlesung
in Betracht: Rückerstattungsklage (OR 678):
Ja, wenn Leistungen in offenbarem Missverhältnis zur Gegenleistung und zur wirtschaftlichen Lage der Ge-
sellschaft (Tatbestand), Abs. 2
es genügt eine begründete Subsumtion (Ergebnis untergeordnet)
 i.c. ersteres gegeben, Passivlegitimiert sind Schwestergesellschaften Allowa Service AG resp. Allowa
Produktion AG als dem Aktionär Allowa Holding AG nahestehende Personen.
Klage geht auf Leistung an Gesellschaft.
Sk 267: kurz; Vorlesung mündlich: kurz

160
in Betracht: Verantwortlichkeitsklage (OR 754):
- Voraussetzungen: allgemeine haftpflichtrechtliche
 Schaden
 Rechtsgutsverletzung: auch Vermögen, sofern die verletzte Pflicht (auch) Vermögen als
solches schützt
 Pflichtverletzung (Verletzung aktienrechtlicher Pflichten; hier: Wahrung der Konzern-
statt Gesellschaftsinteressen)  Rechtswidrigkeit
 adäquater Kausalzusammenhang
 Absicht/Fahrlässigkeit … Verschulden
- im Ergebnis: Ja. /jedenfalls begründete Subsumtion
- Passivlegitimiert: P. Windmüller, R. Windmüller, Geschäftsführer der Allowa Handel AG.
- Klage geht auf Leistung an Gesellschaft.
Sk 245 ff.; Folien F 12 und 13 Vorlesung

161
5. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2005 (nur
Aufgaben)

162
Prüfungen Assessment-Stufe - Frühjahr 2006

Name: Vorname:

Muttersprachen(n): Matrikel-Nr.:

Prüfungsfach: Rechtswissenschaft I A (schriftliche Prüfung)

1,170

Datum I Zeit: I 08:00- 11:00

Raum:

Verantwortlich: Binder, Andreas; Geiser Thomas; Roberto Vito

Umfang (Teile bzw. Seiten): 7 Seiten (exkl. Deckblatt)

Bemerkungen:

Formell

1. Füllen Sie die F elder auf dieser Seite (Name, Muttersprache, Matrikelnummer, Raum) aus.
2. Schreiben Sie ausschliesslich dokumentenecht mit dunkler Farbe; Bleistift, roter oder heller
Buntstift etc. gilt als nicht geschrieben.
3. Unleserliches gilt als nicht geschrieben.
4. Lösen Sie alle Aufgaben auf den bereitgestellten Prüfungsbögen; Aufgabenblätter und anderes
Papier werden nicht gewertet.
5. Lassen Sie rechts einen Rand von Sem zur Korrektur frei.
6. Verwenden Sie für jede Hauptaufgabe einen neuen Prüfungsbogen und bezeichnen Sie ihn auf
der ersten Seite oben links mit der Aufgabennummer; auf jedem Bogen wird ausschliesslich die
derart bezeichnete Hauptaufgabe korrigiert!
7. Für jede Aufgabe wird nur bewertet, was unter der entsprechenden Aufgabennummer steht;
Verweise auf andere Antworten werden nicht berücksichtigt.
8. Bezeichnen Sie jeden Bogen mit Namen und Matrikelnummer.
9. Nummerieren Sie alle Prüfungsbögen und zählen Sie sie am Ende durch.

Materiell

1. Beantworten Sie nur die gestellten Fragen; Exkurse werden nicht gewertet.
2. Alle Antworten sind zu begründen und wo möglich mit Hinweis auf die einschlägigen Rechts-
normen zu versehen; die alleinige Angabe von Artikeln genügt nicht.
3. Achten Sie auf korrekte Darstellung und ausformulierte Sätze; mehrdeutige Aussagen werden
nicht gewertet.

VIELGLÜCK

Diese Aufgabe ist mit den Lösungen abzugeben

163
Aufgabe 1: Einzelfragen AT & Vertragsrecht (23 Pkt)
Beginnen Sie die Aufgabe 1 auf einem neuen Prufungsbogen, den Sie auf
der Vorderseite, oben links mit der Aufgabennummer bezeichnen. Das-
selbe gilt fur weitere Bogen betreffend Aufgabe 1. Nur Aufgabe 1 wird
auf diesen Bogen korrigiert!

a) Unerlaubte Handlung (3 Pkt)


Eine Haftung beruht unter anderem auch auf der Beziehung zwischen Ursache und Wir-
kung. Beschreiben und Benennen Sie die Bedingungen, welche diese Beziehung erfüllen
muss, um eine Haftung begründen zu können.

b) Vertragsentstehung (8 Pkt)
Welche Punkte prüfen Sie allgemein, um festzustellen, ob ein Vertrag gültig zustandege-
kommen ist?

c) Vertrage auf Arbeitsleistung (12 Pkt)


Die Abgrenzung von Arbeits-, Werkvertrag und Auftrag ist oft sch wierig. Erläutern Sie
die grundsätzlichen Merkmale, welche diese jeweils voneinander unterscheiden.

1/7

164
Aufgabe 2: Einzelfragen Gesellschaftsrecht (1 5 Pkt)
Beginnen Sie die Aufgabe 2 auf einem neuen Prufungsbogen, den Sie auf
der Vorderseite, oben links mit der Aufgabennummer bezeichnen. Das-
selbe gilt fur weitere Bogen betreffend Aufgabe 2. Nur Aufgabe 2 wird
auf diesen Bogen korrigiert!

a) Einfache Gesellschaft (3 Pkt)


Weshalb wird die einfache Gesellschaft als Auffangbecken im Gesellschaftsrecht be-
zeichnet?

b) Kollektivgesellschaft (6 Pkt)
Vergleichen Sie den Umfang der Vertretungsmacht eines Kollektivgesellschafters mit je-
ner des gesch äftsführenden Gesellschafters einer einfachen Gesellschaft.

c) Konzernrecht (6 Pkt)
Was ist ein Konzern? Welches sind die zentralen rechtlichen Problembereiche im Kon-
zern? Erläutern Sie diese jeweils kurz.

2(7

165
Aufgabe 3: Fallgruppe Motorradliebhaber (70 Pkt)

Beginnen Sie die Aufgabe 3 auf einem neuen Prufungsbogen, den Sie auf
der Vorderseite, oben links mit der Aufgabennummer bezeichnen. Das-
selbe gilt fur weitere Bogen betreffend Aufgabe 3. Nur Aufgabe 3 w ird
auf diesen Bogen korrigiert!

Anton will sich den täglichen Automobil-Stau auf dem Arbeitsweg nicht mehr zumuten
und beschliesst, auf ein Motorrad umzusteigen. Tatsächlich entdeckt er ein passendes Mo-
dell, eine Honda XL125 a CHF 8'000.-, im Katalog der Moto-Garage AG. Er spricht dort
persönlich vor und möchte eine solche Honda kaufen.

a) Fall Barzahlung Pkt)


Der Verkäufer teilt mit, dass er Anton umgehend informiere, sobald er seine neue Honda
XL125 in etwa zwei Wochen abholen könne. Unser Käufer freut sich über diese Nachricht
und bezahlt sofort bar den Kaufpreis.

1) Variante 1: Nach drei Wochen hat Anton immer noch nichts vom Verkäufer gehört
und wird ungeduldig. Mit Entsetzen entdeckt er in der Tageszeitung, dass dasselbe
Modell bei der Moto-Discount AG für CHF 7'400.- im Angebot ist.

Welche Vergehensweisen stehen Anton grundsätzlich zur Verfügung? Begründen


Sie kurz, welche Vergehensweise die für ihn vorteilhafteste wäre.

2) Variante 2: Tatsächlich meldet der Verkäufer nach genau zwei Wochen den Eingang
von Antons neuer Honda. Dessen Freude hält aber nicht lange an, denn bei der
Abholung muss er feststellen, dass das bereitgestellte Modell nicht eine XL125,
sondern das Off-Road-Modell XR125 ist. Als Motorradliebhaber weiss Anton, dass
dieses von Honda mit einem Listenpreis von CHF 4'500.- geführt wird.

Erläutern Sie kurz, ob und inwiefern Unterschiede im Vergleich zu Variante 1 beste-


hen.

b) Fall Rechnung (10 Pkt)


Die Honda XL 125 ist tatsächlich direkt im Geschäft verfügbar und Anton nimmt sie um-
gehend mit. Es wird Bezahlung per Rechnung bis Ende des Monats vereinbart. Mitte des
Folgemonats hat Anton allerdings noch nicht bezahlt.

Wie kann die Moto-Garage AG vorgehen? Begründen Sie kurz, welches die beste Verge-
hensweise ist.

c) Fall Kolbenfresser (15 Pkt)


Anton erwirbt und bezahlt das Moto rrad bei der Moto-Garage AG. Nach vier Monaten
blockiert das Hinterrad während einer Autobahnfahrt aufgrund eines Kolbenfressers,
weil eine mangelhafte Dichtung nachgibt und Öl entweicht. Trotz eines Totalschadens
wird Anton nur leicht verletzt, verliert aber durch die notwendigen Arztbesuche immer-

3/7

166
hin drei Arbeitstage. Auch seine Motorradbekleidung und sein Gepäck im Wert von
CHF 2'000.- sind nicht mehr zu gebrauchen. Besonders ärgerlich ist für ihn als Selbstän-
digerwerbender aber der aus seiner Absenz folgende -Erwerbsausfall in Höhe von
CHF 3'000.-.

Welche vertraglichen Ansprüche kann Anton geltend machen?

d) Fall lwechsel (25 Pkt)


Anton erwirbt das Motorrad bei der Moto-Garage AG und ist zufrieden, weshalb er auf
deren Service-Leistungen vertraut. Auch für den ersten Ölwechsel nimmt er deshalb ger-
ne ihre Dienste in Anspruch. Loli, ein Lehrling der Moto-Garage AG, führt den Auftrag
aus. Wie es in dieser Firma für gute Kunden üblich ist, fährt er das Motorrad zu Anton
nach Hause und stellt es dort ab.

1) Leider stellt er es auf einer unebenen Stelle ab, so dass es in der Nacht umfällt, der
Bremsgriff verbiegt und der Lack einige Kratzer davon trägt.

Prüfen Sie die vertraglichen Ansprüche betreffend der Schäden infolge des Urnfallens
des Motorrades.

2) Loli zapfte wohl das alte Öl ab, vergass jedoch, neues Öl nachzufüllen. Anton fährt
am nächsten Tag mit dem bereits leicht beschädigten Motorrad zur Arbeit. Aufgrund
des fehlenden Öls kommt es zu einem Kolbenfresser und Anton erleidet dieselben
Schadensfolgen wie in Teilaufgabe c).

Prüfen Sie die Ansprüche infolge des Unfalles, der durch den Kolbenfresser verur-
sacht wurde.

3) Auf dem von Anton ausgefüllten Auftragsformular für den Ölwechsel hat die Moto-
Garage AG jegliche Haftung ausgeschlossen.

Wann muss ein solcher Haftungsausschluss im allgemeinen und im konkreten Fall


vereinbart werden?

Ist ein solcher Haftungsausschluss in Bezug auf den Sachverhalt zulässig?

Wie wäre diesbezüglich die Rechtslage, wenn der Chef des Lehrlings, der gleichzeitig
einziger Verwaltungsrat und Inhaber der Garage ist, anstelle des Lehrlings gehandelt
hätte?

4/7

167
Aufgabe 4: Fallgruppe Weinpanscher (40 Pkt)
Beginnen Sie die Aufgabe 4 auf einem neuen Prufungsbogen, den Sie auf
der Vorderseite, oben links mit der Aufgabennummer bezeichnen. Das-
selbe gilt fur weitere Bogen betreffend Aufgabe 4. Nur Aufgabe 4 wird
auf d iesen Bogen kor rigiert!

Der Einkäufer der Weinhandlung Vino AG besucht im Herbst 2003 die Ausstellung des
Grossisten Alpha AG und erblickt einige Flaschen seltener, französischer Spitzenweine.
Um sich die Gelegenheit nicht entgehen zu lassen, erw irbt er diese vor Ort und fährt sie
im eigenen PKW ins Lager seines Arbeitgebers. Im Frühling 2005 berichten die Medien,
dass in Frankreich eine Betrügerbande aufgeflogen ist, welche billigen Wein mit Etiketten
von französischen Spitzenweinen versehen und namentlich in die Schweiz veräussert hat.

a) Fall Nachsorge (12 Pkt)


Kann die Vino AG vertragliche Ansprüche geltend machen, falls Sie ebenfalls Opfer
dieser Betrügerbande geworden ist? Gegen wen? Erläutern Sie Ihre Antwort!

b) Fall Vorsorge (28 Pkt)


Um in Zukunft besser gegen Weinpanscher geschützt zu sein, beschliesst der Verwal-
tungsrat der Vino AG, den französischen Weinhändler France Vin SA zu erwerben. Als
der Mehrheitsaktionär der Vino AG von dieser Entscheidung erfährt, verbietet er dem
Verwaltungsrat umgehend, diese Akquisition zu tätigen und unterstreicht dies mit der
Androhung von Verantwortlichkeitsansprüchen.

1) Variante 1: Erläutern Sie die Rechtslage bezüglich des Verbots des Mehrheitsaktio-
närs und der in Aussicht gestellten Verantwortlichkeitsklage.

2) Variante 2: Der Verwaltungsrat hat den Vertrag bereits unterschrieben. Kann der
Mehrheitsaktionär de n Vertrag anfechten? (Eine kurze Begründung genügt )

3) Die Verwaltungsräte haben "Kollektivunterschrift" und zwei der drei Verwaltungs-


räte sind Mitinhaber der France Vin SA. Wie ist die Rechtslage bezüglich des Kauf-
vertrags?

5(7

168
Aufgabe 5: Fallgruppe Gesellschaftsrecht (32 Pkt)

Beginnen Sie die Aufgabe 5 auf einem neuen Prufungsbogen, den auf
der Vorderseite, oben links mit der Aufgabennummer bezeichnen. Das-
selbe gilt fur weitere Bogen betreffend Aufgabe 5. Nur Aufgabe 5 wird
auf diesen Bogen korrigiert!

Die Wetze! Sanitär AG ist ein Familienunternehmen, dessen Aktien in zweiter Generation
zu gleichen Teilen durch die fünf Geschwister Marcel, Peter, Franz, Judith und Dora
Wetze! gehalten werden. Im Verwaltungsrat sitzen Marcel, Peter und Ju dith Wetze!. Am
6. Juni letzten Jahres w urden eine Verwaltungsratssitzung sowie die ordentliche General-
versammlung für das Geschäftsjahr 2004 durchgeführt und dabei verschiedene Beschlüs-
se gefasst. Kommentieren Sie diese!

a) Auszuge Beschlussprotokoll der Verwaltungsratssitzung (20 Pkt)

aa)Jahresrechnung
Die Jahresrechnung 2005 wird einstimmig genehmigt .

bb) Bonus
Angesichts des erfreulichen Geschäftsergebnisses 2004 wird einstimmig beschlossen, eine
vertraglich nicht geschuldete Bonuszahlung von je CHF 30'000 an d ie zwei Mitglieder der
Geschäftsleitung zu bezahlen .

cc) Reorganisation
Um Kos ten zu sparen, w ird mit zwei gegen eine Stimme beschlossen, der Generalver-
sammlung den Verzicht auf die Wahl einer Revisionsstelle für das Geschäftsjahr 2005 zu
beantragen; sämtlichen Aktionären w ird stattdessen volles Einsichtsrecht in alle Angele-
genheiten der Gesellschaft gewährt.

dd) Kapitalerhohung
Zur Stärkung der Eigenkapitalbasis der Gesellsch aft beschliesst der Verwaltungsrat
einstimmig d ie Durchführung einer o rdentlichen Kapitalerhöhung von CHF 300'000 unter
Ausschluss des Bezugsrechts der nicht im Verwaltungsrat einsitzenden Aktionäre.

b) Auszuge Beschlussprotokoll der Generalversammlung (12 Pkt)

aa) Wah len


Die Verwaltungsräte Marcel, Peter und Judith Wetze! und die Geschäftsleitungsmitglie-
der Rolf H änni und Anna Zimmermann werden in globo für eine neue Amtsperiode von
zwei Jahren mit vier gegen eine Stimme (Dora) wiedergewählt

bb) Budget
Das Budget 2006 und die Mittelfristplanung 2006 bis 2008 werden mit folgenden Auflagen
mit vier gegen eine Stimme (Dora) genehmigt:
1) Der Geschäftsbereich "Handel mit Sanitärneben artikeln" wird bis sp ätestens
31.12.2005 verkauft o der stillgelegt;

6(1

169
2) Die Investition in ein neues ERP-System wird genehmigt;
3) Die Nettoverschuldung muss bis Mitte 2006 auf Null abgebaut sein.

cc) Entlastung
Den Verwaltungsräten w ird mit drei (Marcel, Peter und Judith) zu zwei (Franz und Dora)
Stimmen Entlastung (Decharge) erteilt.

7/7

170
6. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2006

171
Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2007 (mit Lösungen)

Aufgabe 1: Niemand ist unfehlbar (30 P.)


Lösen Sie Aufgabe 1 ausschliesslich auf dem Aufgabenblatt. Notizen auf Prü-
fungsbogen werden nicht gewertet.

Kreuzen Sie jeweils die richtige Antwort an!

a) Was bewirkt ein Formmangel?

o Der Vertrag ist nichtig;


o Der Vertrag kann angefochten werden;
o Der Vertrag ist schwebend unwirksam, kann aber genehmigt werden;
o Der Vertrag ist gültig, da es sich bei Formmängeln bloss um nebensächliche Mängel
handelt.

Ein form-mangelhafter Vertrag ist nach Gesetz nicht gültig, also nichtig (OR
11.2) und eben nicht „nur“ anfechtbar. Sinn und Zweck einer (gesetzlichen)
Formvorschrift ist der Schutz der Parteien vor Übereilung oder unsachgemässer
Abfassung, Rechtssicherheit auch für Dritte und Vereinfachung der Registerfüh-
rung. Einen Vertrag anfechten bzw. genehmigen könnten aber nur die Parteien,
was die betroffenen Dritten in Rechtsunsicherheit belassen würde. Aufgrund der
genannten Funktionen des Formzwangs steht eine „Nebensächlichkeit“ ebenfalls
ausser Frage.
Ein Mangel an gesetzlicher Form ist von der gewillkürten Form (OR 16) zu un-
terscheiden. Grundsatzlich treten bei Nichteinnhaltung der vertraglich vorbe-
haltenen Form dieselben Rechtsfolgen ein, wie bei Verstoss gegen eine gesetzliche
Formvorschrift.

b) Anna Reich hat an einer Vernissage der Künstlerin Flora Farb ein Bild erworben. Als sie
eine Woche später das Bild abholen will, ist es beschädigt, weil ein Angestellter der
Wirbelwind Spedition AG, die von Flora Farb mit den Aufräumarbeiten beauftragt
wurde, das Bild beschädigte.

o Anna Reich muss das Bild bezahlen, weil Nutzen und Gefahr bereits übergegangen sind.
o Anna Reich muss das Bild nicht bezahlen, weil Nutzen und Gefahr nicht übergegangen
sind.
o Anna Reich muss das Bild bezahlen, weil Flora Farb nicht für die Beschädigung durch
Angestellte der Wirbelwind Spedition AG verantwortlich ist.
o Anna Reich muss das Bild nicht bezahlen, weil Flora Farb für die Beschädigung durch
Angestellte der Wirbelwind Spedition AG aufgrund von Art. 101 Abs. 1 OR verantwort-
lich ist.
o Anna Reich muss das Bild bezahlen, wenn die Wirbelwind AG in ihrem Vertrag mit Flora
Farb jegliche Haftung ausgeschlossen hatte.
o Anna Reich muss das Bild nicht bezahlen, weil Flora Farb für die Beschädigung durch
Angestellte der Wirbelwind Spedition AG aufgrund von Art. 55 Abs. 1 OR verantwortlich
ist.

Ein Vertragsverhältnis betrifft grundsätzlich nur die beteiligten Parteien. Was


Wirbelwind Spedition AG und Flora Farb untereinander vereinbaren, kann die

1/13
172
Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2007 (mit Lösungen)

Position von Anna Reich deshalb nicht beeinflussen. Der Übergang von Nutzen
und Gefahr beim Kauf kommt nur zum Tragen, wenn der Verkäufer für den
Schaden nicht verantwortlich gemacht werden kann. In casu ist davon auszu-
gehen, dass mindestens die sachgerechte Behandlung nach der Vernissage als
Nebenpflicht im Vertrag enthalten war. Diese wurde verletzt, weshalb eine
vertragliche Haftung zur Anwendung kommt. Diese richtet sich im Falle des
Beizugs von Hilfspersonen nach OR 101.1. OR 55 ist hingegen nicht anwend-
bar, da es sich um eine selbständige Hilfsperson handelt.

c) Allgemeine Geschäftsbedingungen sind ungültig ...

o ... falls sie mehrdeutig sind;


o ... falls sie die Vertragsgegenseite nicht besser stellen;
o ... falls sie erheblich vom Gesetz abweichen;
o ... falls sie überraschende und ungewöhnliche Bestimmungen enthalten.

Mangels einer speziellen Regelung in der Schweizer Gesetzgebung gelten AGB


als „einfacher“ Vertragsinhalt. Ein Vertrag, charakterisiert durch gegenseitig
übereinstimmende Willenserklärungen, kann eine Seite besser stellen oder auch
erheblich von (dispositiven) Gesetzesbestimmungen abweichen. Unlauter im
Sinne von UWG 8 sind solche AGBs ebenfalls nicht (siehe „irreführend“).
Mehrdeutige AGB werden nach der Unklarheitsregel zuungunsten des Autors
(contra stipulatorem) ausgelegt. Falls aber überraschende und ungewöhnliche
Bestimmungen enthalten sind, kann nicht davon ausgegangen werden, dass
beide Vertragsparteien diesen bewusst zugestimmt haben.

d) Ein Werkvertrag ist dadurch charakterisiert, dass ...

o ... ein sorgfältiges Tätigwerden geschuldet ist;


o ... ein vertraglich vereinbarter Erfolg geschuldet ist;
o ... der Vertrag schriftlich abgeschlossen werden muss;
o ... die Herstellung einer körperlichen Sache geschuldet ist.

Ein Werkvertrag ist dadurch charakterisiert, dass ein Werk geschuldet ist (OR
363); dieses muss nicht zwingend körperlich sein (zB. Musikstück). Im Gegen-
satz zum Auftrag, der „lediglich“ sorgfältiges Tätigwerden verspricht, ist beim
Werkvertrag das Werk – nicht aber die Tätigkeit im Fokus. Eine spezielle
Formvorschrift existiert nicht.

e) Wird ein vierjähriger schwarzer Saab 911 Cabrio gekauft, jedoch ein vierjähriger
schwarzer BWM Cabrio geliefert, kann der Käufer folgenden Anspruch geltend
machen:

o Ersatzanspruch gemäss Art. 206 OR;


o Wandelungsanspruch gemäss Art. 205/208 OR;
o Schadenersatz wegen verschuldeter Unmöglichkeit gemäss Art. 97 Abs. 1 OR;
o den Verkäufer mahnen, bzw. falls ein Verfalltagsgeschäft vorliegt, eine Nachfrist ansetzen
gemäss Art. 102 ff. OR.

2/13
173
Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2007 (mit Lösungen)

Ersatzanspruch nach OR 206 und Wandelung sind Instrumente der Sachge-


währleistung, kommen also bei Mängeln der Kaufsache zum Zuge. In casu
wurde aber kein „mangelhafter“ Saab, sondern eben kein Saab – also etwas ganz
anderes (sog. Aliud) geliefert. Dass eine Unmöglichkeit der Vertragserfüllung
vorliegt, ergibt sich nicht aus dem Sachverhalt. Vielmehr ist von einem
„gewöhnlichen“ Verzug auszugehen und – da es sich nicht um kaufmännischen
Verkehr handelt – nach OR 102ff vorzugehen.

f) Anton Durstig ist im Verkaufslokal des Weinhändlers Beat Süffig. Die folgenden
Szenen spielen sich alternativ ab:
Anton möchte 10 Flaschen Brunello bestellen, sagt aber aus Zerstreuung „20 Flaschen
Brunello“, und Beat versteht „20 Flaschen Brunello“.
o Der Vertrag ist bezüglich 10 Flaschen Brunello zustandegekommen, aber anfechtbar;
o Der Vertrag ist bezüglich 20 Flaschen Brunello zustandegekommen, aber anfechtbar;
o Der Vertrag ist nicht zustandegekommen.

Es ist ein Konsens und damit ein Vertrag zustandegekommen, der auf 20
Flaschen lautet. Anton erklärte aber irrtümlich und kann den Vertrag deshalb
nach OR 23ff anfechten.

Anton bestellt „10 Flaschen Brunello“, was Beat, in Gedanken schon beim neuesten
Jahrgang, bestätigt. Später stellt sich heraus, das Beat „10 Flaschen Barolo“
verstanden hatte.
o Der Vertrag ist bezüglich 10 Flaschen Brunello zustandegekommen, aber anfechtbar;
o Der Vertrag ist bezüglich 10 Flaschen Barolo zustandegekommen, aber anfechtbar;
o Der Vertrag ist nicht zustandegekommen.

Der zustandegekommene Konsens bezog sich auf Brunello. Der erklärte Akzept
entspricht aber nicht dem gewollten, womit wiederum ein Irrtum vorliegt und
Beat den Vertrag nach OR 23ff anfechten kann.

Anton bestellt „eine Flasche Brunello“; da Beat jedoch keinen Brunello mehr im Lager
hat, „bestätigt“ er Anton den Kauf „einer Flasche Barolo“
o Der Vertrag ist bezüglich einer Flasche Brunello zustandegekommen;
o Der Vertrag ist bezüglich einer Flasche Barolo zustandegekommen;
o Der Vertrag ist nicht zustandegekommen.

Offerte und Akzept stimmen nicht überein. Damit ist kein Vertrag zustande-
gekommen, weil nur übereinstimmende Willensäusserungen einen solchen
entstehen lassen.

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2007 (mit Lösungen)

Anton möchte eine Flasche Brunello bestellen, sagt aber aus Zerstreuung „eine Kiste
Brunello“. Da Anton immer einzelne Flaschen bestellt, geht Beat davon aus, dass
Anton sich versprochen hatte und „eine Flasche Brunello“ sagen wollte.
o Der Vertrag ist bezüglich einer Flasche Brunello zustandegekommen;
o Der Vertrag ist bezüglich einer Kiste Brunello zustandegekommen;
o Der Vertrag ist nicht zustandegekommen.

Der Wille beider Parteien bezieht sich auf eine Flasche, womit Konsens und
Vertrag in diesem Punkte zustandekommen. Die falsche Bezeichnung hindert
nicht, denn „falsa demonstratio non nocet“.

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2007 (mit Lösungen)

Aufgabe 2: Feste feiern, wie sie fallen (30 P.)


Beginnen Sie die Aufgabe 2 auf einem neuen Prüfungsbogen, den Sie auf der
Vorderseite, oben links mit der Aufgabennummer bezeichnen. Dasselbe gilt für
weitere Bögen betreffend Aufgabe 2. Nur Aufgabe 2 wird auf diesen Bögen
korrigiert!

a) Das Quartierfest
Die Bäckerei Dorfplatz wird am 1. August einen Stand am Quartierfest betreiben. Da ihre
eigenen Kapazitäten für die Bedürfnisse dieses Anlasses nicht ausreichend sind, kauft die
Dorfplatz-Bäckerei von der Grossbäckerei Brotprodukte AG zweitausend Frischbackgipfel
für je CHF 0.20, lieferbar am 30. Juli. Da die Gipfel am 31. Juli nachmittags noch nicht
eingetroffen sind, beginnt die Dorfplatz bei anderen Lieferanten, Frischbackgipfel zu
erwerben. Es gelingt ihr dank guter Beziehungen, von verschiedenen Lieferanten insge-
samt zweitausend Gipfel zu kaufen zu einem Durchschnittspreis von CHF 0.35 je Gipfel.
Die Dorfbäckerei fordert von der Grossbäckerei den Mehrbetrag, den sie für die Gipfel
aufwenden musste. Die Grossbäckerei wendet ein, sie schulde nichts, da keine Nachfrist
angesetzt wurde.

Wie ist die Rechtslage?

Die Bäckerei Dorfplatz schloss mit der Protprodukte AG einen Kaufvertrag


(OR 184ff) über 2000 Gipfel à CHF 0.20 mit Verfalldatum 30.7. Da es sich um
Waren für den Weiterverkauf handelt, sind innerhalb des Kaufrechts die
besonderen Vorschriften über den kaufmännischen Verkehr zu beachten. Diese
sehen für den Fall des Verzugs im Gegensatz zu den allgemeinen Vorschriften
(Allgemeiner Teil, OR 102f) die Vermutung des Verzichts und Schadenersatz
wegen Nichterfüllung vor (OR 190f).
Die Bäckerei Dorfplatz durfte deshalb ohne weiteres einen Deckungskauf
vornehmen und die Differenz zum vereinbarten Preis als Schaden geltend
machen. Der Schaden beläuft sich auf 2000 x CHF 0.15 = CHF 300.

b) Das Firmenjubiläum
Die Bäckerei Dorfplatz feiert dieses Frühjahr das 10-jährige Firmenjubiläum. Sie lässt bei
der Grosskonditorei spezielle Schockoladen-Marzipan-Süsswaren herstellen, die in der
Beschriftung auf das Jubiläum hinweisen. Um das Publikum auf das Jubiläum aufmerk-
sam zu machen, sollen die Süsswaren in der zweiten Märzhälfte und im April an die
Stammkundschaft verschenkt werden. Liefertermin ist der 15. März. Als am 17. März
noch nichts geliefert ist, ist die Inhaberin der Dorfbäckerei auch nicht unglücklich. Denn
in der Zwischenzeit ist sie nicht mehr überzeugt, dass die eher teure Marketingaktion
sinnvoll ist. Denn wenige Tage zuvor hat sie hohe Nachsteuern erhalten, auf die sie ihre
Buchhaltungs- und Steuerberatungsgesellschaft Buhag nie hingewiesen hatte. Sie schreibt
daher der Grosskonditorei, dass die Dorfbäckerei auf die Lieferung verzichtet.

Wie ist die Rechtslage?

Im Gegensatz zur Teilaufgabe a wurde hier ein Werkvertrag (OR 363ff) ge-
schlossen; geschuldet ist die gehörige Herstellung der Süsswaren und nicht

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2007 (mit Lösungen)

„nur“ die Übertragung des Eigentums. Im Werkvertragsrecht finden sich keine


speziellen Regelungen für den kaufmännischen Verkehr und keine Regelungen
für den Fall des Verzuges, weshalb der allgemeine Teil des OR (OR 102ff)
anzuwenden ist.

Immerhin wurde ein Liefertermin vereinbart, weshalb die Grosskonditorei ohne


Mahnung in Verzug gesetzt wird (OR 102). Nach den Regeln des Allgemeinen
Teils ist hier aber eine Nachfrist (Ein Fall von OR 108 liegt nicht vor) erforder-
lich, bevor allenfalls vom Vertrage zurückgetreten werden darf. Da dies hier
nicht geschehen ist, muss die Grosskonditorei den Verzicht nicht akzeptieren.

c) Der Kater danach


Verärgert über die Liquiditätsprobleme aufgrund der unverhofften Nachsteuerrechnung
kündigt die Bäckerei Dorfplatz den Vertrag mit der Buchhaltungs- und Steuerberatungsge-
sellschaft Buhag fristlos. Die Buhag wendet ein, dass der Vertrag gemäss den Vertragsbe-
dingungen nur mit einer Kündigungsfrist von 3 Monaten auf Ende des Jahres gekündigt
werden kann.

Wie ist die Rechtslage?

Zwischen der Bäckerei Dorfplatz und der Buhag besteht ein Auftrag (OR 394ff).
Der Aufftragnehmer verpflichtet sich darin zum sorgfältig tätig werden im
Sinne des Auftraggebers, verspricht aber nicht einen bestimmten Erfolg (wie
beim Werkvertrag zuvor).
Gemäss OR 404 ist ein Auftrag jederzeit kündbar. Diese Vorschrift ist – nach
Praxis des Bundesgerichts – zwingender Natur und kann deshalb im Vertrag
selbst nicht abgeändert werden. Die Gegenpartei kann lediglich, im Falle einer
Kündigung zur Unzeit, auf Schadenersatz pochen. Für das Vorliegen einer
„Unzeit“ gibt es in casu aber keinerlei Anhaltspunkte.
Die Kündigung ist also gültig.

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2007 (mit Lösungen)

Aufgabe 3: Emil richtets (60 P.)


Beginnen Sie die Aufgabe 3 auf einem neuen Prüfungsbogen, den Sie auf der
Vorderseite, oben links mit der Aufgabennummer bezeichnen. Dasselbe gilt für
weitere Bögen betreffend Aufgabe 3. Nur Aufgabe 3 wird auf diesen Bögen
korrigiert!

Emil ist in einer mittelgrossen Unternehmung für die Post, für Botengänge, für kleinere
interne Reparaturen, für das Anschliessen der Computer, die Bestuhlung der Sitzungsräu-
me und ähnliches zuständig. Er gibt jeweils bei einem Grossisten für Büromaterial Bestel-
lungen auf, da der hierfür zuständige Buchhalter meistens nicht dazu kommt, sich darum
zu kümmern. Mit der heutigen Lieferung kamen unter anderem 40 Diktiergeräte und 400
Diktierbändchen.
Die Unternehmensleitung hatte letzte Woche jedoch beschlossen, Spracherkennungssoft-
ware zu erwerben, damit die Mitarbeiter nicht mehr Bändchen diktieren und die Sekreta-
riate diese tippen müssen; vielmehr können die Briefe damit direkt in den Computer
diktiert werden. Dieser Beschluss wurde dem Buchalter mitgeteilt, der Emil jedoch nicht
informierte.
Der Geschäftsführer lässt die gelieferten Diktiergeräte und –bändchen zurückschicken,
wobei er in einem Begleitschreiben lediglich darauf hinweist, dass Emil ohne Vollmacht
gehandelt hat.

a) Wie beurteilen Sie aus rechtlicher Sicht den Inhalt des Begleitschreibens?

Der Grossist ging offensichtlich davon aus, dass Emil in (echter) Vertretung des
Unternehmens handelte (OR 32ff). Dazu müssen insbesondere zwei Bedin-
gungen erfüllt sein:
Emil muss im Namen und auf Rechnung der Unternehmung handeln. Dies
hat er getan.
Emil muss ermächtigterweise in fremdem Namen handeln. Diese Ermächti-
gung ist – darauf beruft sich ja der Geschäftsführer – nicht explizit erfolgt.
Allerdings hat Emil bereits mehrfach Bestellungen im Namen der Unterneh-
mung aufgegeben, ohne dass der Geschäftsführer dagegen eingeschritten wäre.
Durch dieses Verhalten (und den guten Glauben aller Beteiligten) ist auch bei
der letzten Bestellung von einer Anscheins- bzw. Duldungsvollmacht
auszugehen.
Da in casu also eine ermächtigte, echte Vertretung vorliegt, ist der Vertrag
gültig zustandegekommen.

b) Falls der Vertrag nicht zustande gekommen ist, welche Rechte hätte dann der Grossist
gegen Emil?

Falls der Vertrag aufgrund mangelnder Ermächtigung nicht zustandegekommen


wäre, richtete sich die Haftung von Emil nach OR 39. Demnach ist der falsus
procurator zu Schadenersatz verpflichtet. Der Umfang der Haftung beläuft
sich auf das negative Interesse – der Grossist wäre also so zu stellen, als hätte
es den Vertrag gar nie gegeben. Falls Emil schuldhaft gehandelt hätte, wäre
sogar das positive Interesse zu vergüten – der Grossist also so zu stellen, wie
wenn der Vertrag erfüllt worden wäre.

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2007 (mit Lösungen)

c) Falls der Vertrag zustande gekommen ist, könnte dann der Vertrag aufgrund eines
Irrtums angefochten werden? Wenn ja, aufgrund welcher Art von Irrtum, wenn nein,
warum nicht?

Irren im Sinne von OR 23f können nur handelnde Personen, in casu also der
Grossist und Emil. Letzterer ist aber nicht Vertragspartei, weshalb sein Irrtum
den Vertrag eigentlich nicht berühren könnte. Deshalb wird der Irrtum des
Vertreters dem Vertretenen, einer Partei, zugerechnet. Es wäre also grund-
sätzlich möglich, dass der Vertrag zwischen Grossist und Unternehmen
aufgrund eines Irrtums von Emil einseitig unverbindlich bleibt.
Unter Irrtum werden zwei unterschiedliche Tatbestände zusammengefasst:
Ein Erklärungsirrtum (echter Irrtum) liegt dann vor, wenn innerer Wille und
die Äusserung dieses Willens nicht übereinstimmen. Dies ist nach dem Sach-
verhalt offensichtlich nicht der Fall, da Emil den Kaufvertrag abschliessen wollte.
Weiter wird ein wesentlicher Motivirrtum (Grundlagenirrtum) angenommen,
wenn das Objekt des Irrtums vom Irrenden subjektiv wesentlich sowie kausal für
den Vertragsschluss ist und objektiv als Grundlage für den Vertrag angesehen
werden kann. Auch diese Voraussetzungen sind offensichtlich nicht gegeben.
Der Vertrag kann folglich nicht aufgrund eines Irrtums angefochten werden.

Variante 1:
Der Geschäftsführer beauftragt und bevollmächtigt Emil, für das Unternehmen 40 Dik-
tiergeräte zu einem Preis von je höchstens CHF 80 zu kaufen. Emil erkundigt sich bei ver-
schiedenen Geschäften, doch kann man diese nirgends für weniger als CHF 100 erwerben.
Am günstigsten sind solche Geräte bei der Beta AG. Er bestellt bei der Beta AG daher 35
Diktiergeräte zu einem Preis von CHF 100. Als der Geschäftsführer davon erfährt, ist er
ausser sich.

d) Wie ist die Rechtslage?

Im Gegensatz zur Voraufgabe besteht in dieser Variante eine explizite Voll-


macht zum Erwerb von 40 Geräten à CHF 80. Emil überschreitet diese
Vollmacht nicht nur in Bezug auf den Preis eines Gerätes, sondern auch in
Hinsicht auf den Gesamtbetrag.
Wegen der absichtlichen Vollmachtsüberschreitung durch Emil kann eine
Anscheinsvollmacht nicht greifen. Der Vertrag bleibt deshalb bis zu einer
Genehmigung oder Ablehnung durch die Unternehmung in der Schwebe (OR
38).
Sollte der Vertrag durch das Unternehmen abgelehnt werden, richtete sich die
Haftung des Emils als falsus procurator nach OR 39. Siehe dazu die Ausfüh-
rungen unter b.

Variante 2:
Emil kann die Diktiergeräte für CHF 80 bei der Beta AG erwerben. Grund für den tiefen
Preis ist ein kleiner Fabrikationsfehler, der sich auf die Wiedergabequalität auswirkt; man
versteht zwar alles, aber die Stimme ist etwas verstellt. Der Verkäufer der Beta AG hatte
Emil ausdrücklich auf diesen Mangel hingewiesen; Emil hat jedoch dem Geschäftsführer

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2007 (mit Lösungen)

nichts gesagt. Die Sekretariate sind unzufrieden, da es oftmals nicht klar ist, wer auf das
Bändchen gesprochen hat.

e) Der Geschäftsführer fragt Sie, welche Ansprüche gegen die Beta AG geltend gemacht
werden können? Begründen Sie die Antwort.

Es handelt sich um einen erfüllten Kaufvertrag, dessen Objekte – die


Kaufsachen – Mängel aufweisen. Es sind deshalb die Ansprüche aus Sach-
gewährleistung (OR 197ff) zu prüfen.
Von einem Mangel spricht man im Falle einer Abweichung einer vorausge-
setzten oder versprochenen Eigenschaft. Im normalen Geschäftsverkehr kann
wohl vorausgesetzt werden, dass die Aufnahme eines Diktiergeräts „unverstellt“
wiedergegeben werden kann. Es liegt also ein Mangel vor.
Der Verkäufer einer Sache haftet auch für Mängel, die er nicht kannte.
Hingegen wäre es unverständlich, wenn der Käufer ihm bekannte Mängel
nachträglich rügen könnte. Das Gesetz schliesst eine Sachgewährleistung in
diesen Fällen deshalb explizit aus (OR 200.1).
Wohl weiss das Unternehmen – als eigentliche Vertragspartei – nichts von den
Mängeln, doch wurde Emil durch die Beta AG darauf hingewiesen, ja der Preis
sogar damit begründet. Wie bereits bei Teilaufgabe c (oben) wird das Wissen
des Vertreters dem Vertretenen zugerechnet.
Es können deshalb keine Ansprüche gegen die Beta AG geltend gemacht werden.

Variante 3:
Emil erwirbt auftragsgemäss 40 Diktiergeräte für CHF 80. Grund für den tiefen Preis ist
ein Jubiläumsrabatt der Beta AG in der Höhe von 20%. Im Verlaufe der Zeit kommt es im-
mer wieder zu Problemen mit den Geräten. Manchmal blockieren sie aus unerfindlichen
Gründen und manchmal ist die Aufnahmelautstärke zu tief oder zu hoch. Etwa ein Jahr
nach dem Kauf hat der Geschäftsführer genug von diesen Geräten.

f) Welche Ansprüche kann er gegen die Beta AG geltend machen?

Wie in der Voraufgabe handelt es sich um mangelhafte Ware. Im Gegensatz zur


Voraufgabe handelt es sich hier aber um dem Käufer unbekannte Mängel. Die
Sachgewährleistung (OR 197ff) ist deshalb nicht per se ausgeschlossen. Ein
„Jubiläumsrabatt“ bedeutet für den Käufer nicht, dass er minderwertige Ware
erhält.
Der Käufer kann bei mangelhaften Sachen zwischen Wandelung, Minderung
oder Nachlieferung wählen und evtl. Schadenersatz fordern (OR 205ff). Die
sachverhaltliche Preisreduktion würde bei der Minderung berücksichtigt.
Alle Ansprüche aus Sachgewährleistung verjähren bzw. verwirken
unabhängig von einer erfolgten Rüge nach einem Jahr (OR 210). Ob diese Frist
verstrichen ist, lässt der Sachverhalt offen.
Um Ansprüche aus Sachgewährleistung anmelden zu können, muss das Kauf-
objekt umgehend nach Erwerb gemäss den Gepflogenheiten geprüft und erkannte
Mängel gerügt werden. Nicht sofort ersichtliche Mängel sind umgehend nach
Entdeckung zu rügen (OR 201). Dies ist im behandelten Sachverhalt offenbar
nicht erfolgt.

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2007 (mit Lösungen)

Unabhängig davon, ob Ansprüche aus Sachgewährleistung noch geltend


gemacht werden können, könnte der Vertrag aufgrund eines Irrtums (OR 23f)
angefochten werden. Im gegebenen Sachverhalt ist jedoch eher nicht von einem
solchen auszugehen.

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2007 (mit Lösungen)

Aufgabe 4: Allgemeines Gesellschaftsrecht und


Personengesellschaften (30 P.)
Beginnen Sie die Aufgabe 4 auf einem neuen Prüfungsbogen, den Sie auf der
Vorderseite, oben links mit der Aufgabennummer bezeichnen. Dasselbe gilt für
weitere Bögen betreffend Aufgabe 4. Nur Aufgabe 4 wird auf diesen Bögen
korrigiert!

a) Welches sind die charakteristischen Merkmale einer Gesellschaft?

Eine Gesellschaft charakterisiert sich als vertragliche Verbindung von zwei


oder mehr Personen, um mit gemeinsamen Mitteln einen gemeinsamen
Zweck zu verfolgen. Wesentlich ist der Wille zur Gemeinschaftsbildung
(animus societatis).

b) Vergleichen Sie Kollektivgesellschaft, AG, GmbH und Verein in Bezug auf die
Haftung der Gesellschafter!

In der Kollektivgesellschaft haften die Gesellschafter subsidiär,


unbeschränkt und solidarisch. Entgegenstehende Abreden entfalten keine
Wirkung (OR 568.1), wohl aber besteht im Innenverhältnis eine Regress-
möglichkeit (OR 568).
Die Aktiengesellschaft kennt keine Haftung der Gesellschafter. Im Gegenteil
sind die Aktionäre ausschliesslich zur Liberierung verpflichtet; weitere Pflichten
können nicht überbunden werden (OR 680).
Die GmbH kennt im Grundsatz keine Haftung der Gesellschafter. Ausnah-
men finden sich in der solidarischen Haftung bis zur Höhe des Stammkapitals
(OR 772 & 802) sowie in der Möglichkeit, eine Nachschusspflicht zu statuieren
(OR 803).
Der Verein nach ZGB 60ff kennt seit der Gesetzesrevision vom 1. Juni 2005
ebenfalls im Grundsatz keine Haftung der Mitglieder mehr (OR 75a). Aus-
nahmen können in den Statuten aber vorgesehen werden.

c) Was bedeuten die positive und die negative Publizitätswirkung des Handelsregisters?
Definieren Sie die Begriffe und erläutern Sie sie je an einem Beispiel!

Die positive Publizitätswirkung des HR (OR 933.1) bedeutet, dass die Ein-
wendung, dass jemand eine Dritten gegenüber wirksam gewordene Eintragung
nicht gekannt hat, ausgeschlossen ist. Was im HR eingetragen ist, gilt für
jedermann, unabhängig, ob er von der Eintragung Kenntnis hat.
Die negative Publizitätswirkung des HR (OR 933.2) bedeutet, dass wenn
eine Tatsache, deren Eintragung vorgeschrieben ist, nicht eingetragen wurde, sie
einem Dritten nur entgegengehalten werden kann, wenn bewiesen wird, dass sie
diesem bekannt war. Was im HR nicht eingetragen ist, gilt nicht, ausser wenn
jemand ausserregisterlich trotzdem Kenntnis von der Tatsache hat (bösgläubig
ist).
Wenn jemand nach HR Kollektivunterschrift zu zweien hat und er mir gegen-
über einen Vertrag alleine zeichnet, ist dieser nicht gültig zustandegekommen
(auch wenn er behauptet, einzelzeichungsberechtigt zu sein; positiv).

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182
Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2007 (mit Lösungen)

In Vertragsverhandlungen darf ich auch davon ausgehen, dass eingetragene VR


auch eine entsprechende Vertretungsmacht innehaben, obwohl insgeheim – ohne
mein Wissen – diese vielleicht schon abgewählt wurden (negativ).

d) Wieso unterscheidet man im Gesellschaftsrecht zwischen Innenverhältnis und Aus-


senverhältnis?

Im Innenverhältnis, zwischen den Gesellschaftern, soll soweit möglich der


Vertragsfreiheit gefolgt werden. Die Gesellschafter sollen sich intern möglichst
nach ihren Bedürfnissen organisieren können.
Im Aussenverhältnis, dem Verkehr zwischen der Gesellschaft und Dritten,
besteht hingegen ein überwiegendes Interesse nach standardisierten Regeln, um
Rechtssicherheit zu gewähren. Das Gesetz sieht deshalb einen numerus clausus
an Gesellschaftsformen und standardisierten Vertretungsregeln vor.

Aufgabe 5: Kapitalgesellschaften (30 P.)


Beginnen Sie die Aufgabe 5 auf einem neuen Prüfungsbogen, den Sie auf der
Vorderseite, oben links mit der Aufgabennummer bezeichnen. Dasselbe gilt für
weitere Bögen betreffend Aufgabe 5. Nur Aufgabe 5 wird auf diesen Bögen
korrigiert!

a) Über welche vermögensmässigen Rechte, Mitwirkungsrechte und Schutzrechte ver-


fügt der Aktionär?
Nennen Sie die einzelnen Rechte und erläutern Sie diese je mit ein bis zwei Sätzen!

siehe Vorlesungsunterlagen, Teil Aktienrecht.

b) Die Statuten der Indesys AG enthalten in Art. 8 eine Treuepflicht der Aktionäre. Was
halten Sie davon?

Eine solche Bestimmung ist ungültig, da einem Aktionär keine besonderen


Pflichten aufgebunden werden dürfen (OR 680). Die Aktionäre können
natürlich untereinander einen Aktionärsbindungsvertrag schliessen, der
zusätzliche Pflichten festschreibt. Dieser Vertrag gilt allerdings nicht für
(Neu-)Aktionäre, die – ohne dem Vertrag beizutreten – Aktien erwerben. Auch
können Dritte nicht auf die im Vertrag vereinbarten Pflichten pochen.

c) Was versteht man im Gesellschaftsrecht unter dem sog. Durchgriff? Erläutern Sie
diesen anhand eines Beispiels.

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2007 (mit Lösungen)

Im Grundsatz stehen juristische Personen als eigenständige Rechtssubjekte


im Rechtsverkehr (i.Ggs. zu Rechtsgemeinschaften). Ausnahmsweise kann diese
Regel aber durchbrochen werden und die „Hintermänner“ zur Rechenschaft
gezogen werden, falls die Berufung auf die Eigenständigkeit der juristischen
Person selbst rechtsmissbräuchlich erfolgt.

d) Wieso ist das Risiko eines Verwaltungsrates, mit einer Verantwortlichkeitsklage kon-
frontiert zu werden, im Konkurs der AG viel höher als ausserhalb des Konkurses?
Gibt es Situationen, in denen das Risiko auch ausserhalb eines Konkurses hoch ist?

Ausserhalb des Konkurses sind nur Aktionäre aktivlegitimiert, dürfen also


klagen. Aufgrund der fehlenden Treuepflicht der Aktionäre stehen diesen aber
nur ungenügende Informationen für eine Klage zur Verfügung. Zusätzlich
lautete die Klage auf Leistung an die Gesellschaft, weshalb einem schlecht
abschätzbaren, indirekten Nutzen ein erhebliches Kostenrisiko gegenübersteht.
Im Konkurs sind dagegen nicht nur Aktionäre, sondern auch Gläubiger
aktivlegitimiert. Diese haben im Rahmen der Konkursverwaltung ausserdem
direkten Einblick in die Geschäftsakten, wodurch ihnen alle notwendigen
Informationen zur Verfügung stehen.

Vergleichbare Konstellationen können sich bei einem sog. Kontrollwechsel


(einem Wechsel im Aktionariat mit neuem Mehrheitsaktionär) oder einem
vollständigen Wechsel von Verwaltungsrat/Management ergeben, da diese
„neue“ Besetzung selbst ebenfalls vollen Einblick geniesst und keine
Hemmungen hat, gegen das alte Management Forderungen geltend zu machen.

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7. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2007

185
Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2008

Aufgabe 1: Einzelfragen zum Privatrecht (30 P.)


Beginnen Sie die Aufgabe 1 auf einem eigenen Prüfungsbogen, den Sie auf der
Vorderseite, oben links mit der Aufgabennummer bezeichnen. Dasselbe gilt
für weitere Bögen betreffend Aufgabe 1. Nur Aufgabe 1 wird auf diesen
Bögen korrigiert!

a) Was bedeutet der Grundsatz von Treu und Glauben und wo ist er geregelt? (3 P.)

Der Grundsatz von Treu und Glauben ist in ZGB 2 Abs. 1 geregelt. Er
findet in der Gesetzesanwendung sowie bei Rechtsgeschäften
Anwendung. Im ersten Fall verbietet er die Gesetzesumgehung im Sinne
einer zweckwidrigen Nutzung eines Rechtsinstituts. Bspw. geniesst die
«Scheinehe» eben nicht den Schutz, der einer Ehe eigentlich zusteht.
Rechtsgeschäftlich wird der Grundsatz von Treu und Glauben im
Vertrauensprinzip/normativen Konsens umgesetzt; ich darf mich deshalb
zB. nicht widersprüchlich verhalten.

b) Was versteht man unter Rechtsmissbrauch? Nennen Sie ein Beispiel! (4 P.)

Ein Rechtsmissbrauch ist eine zweckwidrige bzw. gegen den Grundsatz


von Treu und Glauben verstossende, krass stossende Inanspruchnahme
einer Rechtsposition. Als Beispiele können die nutzlose Rechtsausübung
aus niederen Beweggründen oder eben das widersprüchliche Verhalten
(venire contra factum proprium) genannt werden.

c) Welche Wirkung hat ein Bestätigungsschreiben? (4 P.)

Ein Bestätigungsschreiben hat primär die Funktion eines Beweismittels.


Mangels Widerspruchs führt es lediglich zur Umkehrung der Beweislast.
Das Bundesgericht hat allerdings entschieden, dass falls eine Abwei-
chung nicht derart ist, dass nach Treu und Glauben nicht mehr mit dem
Einverständnis des Empfängers gerechnet werden kann, dem Bestäti-
gungsschreiben durchaus auch konstitutive Wirkung zugesprochen
werden kann.

d) Was versteht man unter einer vorvertraglichen Haftung bzw. Culpa in contrahendo
(c.i.c.)? Geben Sie ein Beispiel! (4 P.)

Unter c.i.c. versteht man eine aussergesetzliche Haftungsgrundlage zum


Ersatz eines Schadens aus Verstoss gegen Treu und Glauben in
Vertragsverhandlungen. Beispielsweise falls eine Partei gar kein
wirkliches Interesse an einem Vertragsabschluss hat, also nicht ernsthaft
verhandelt.

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186
Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2008

e) Was ist der Unterschied zwischen dem positiven Vertragsinteresse (Erfül-


lungsschaden) und dem negativen Vertragsinteresse (Vertrauensschaden)? (4 P.)

Unter dem positiven Vertragsinteresse versteht man, dass der Gläubiger


so gestellt werden soll, wie wenn der Vertrag korrekt erfüllt worden
wäre. Das negative Interesse soll ihn so stellen, wie wenn der Vertrag nie
geschlossen worden wäre.

f) Welches Vertragsinteresse (d.h. welche vertragliche Schadensdefinition) ist in der


Regel grösser? Geben Sie ein Beispiel, in welchem diese Regel ausnahmsweise nicht
gilt! (5 P.)

Im Normalfall ist das positive Vertragsinteresse grösser, weil bspw. eine


gekaufte Sache mit Gewinn hätte weiterveräussert werden können.
Ausnahmsweise kann das negative Vertragsinteresse grösser sein, wenn
bspw. ein verlustbehaftetes Folgegeschäft vorgesehen gewesen wäre oder
falls sich Preisänderungen über die Zeit seit Vertragsabschluss ergeben
haben. Immer können aber mindestens die nutzlosen Aufwendungen
geltend gemacht werden.

g) Peter Klempner ist selbständiger Sanitärinstallateur und schliesst in seinen


Allgemeinen Geschäftsbedingungen jeweils die Haftung für sich und für seine
Lehrlinge für jedes Verschulden aus. Ist das zulässig? (6 P.)

Der Haftungsausschluss für eigenes grobes Verschulden ist nichtig (OR


100.1). Für Hilfspersonen ist er hingegen sowohl für grobes Verschulden
wie sogar auch Absicht möglich (101.2). Auf alle Fälle haftet P aber für
die sorgfältige Auswahl, Instruktion und Überwachung der Hilfsperson.

Wenn P dies in seine AGB schreibt muss er dafür sorgen, dass diese
Vertragsbestandteil werden. Die Schweiz kennt keine eigentliche AGB-
Gesetzgebung, weshalb deren Inhalt relativ frei bestimmbar ist. Eine
Einschränkung findet sich in der sog. Ungewöhnlichkeitsregel. Musste
der Kunde nun wirklich nicht mit einer Klausel rechnen und hätte er den
Vertrag in Kenntnis derselben nicht geschlossen, wird sie ungültig.

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187
Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2008

Aufgabe 2: Freude am Fahrzeug (40 P.)


Beginnen Sie die Aufgabe 2 auf einem eigenen Prüfungsbogen, den Sie auf der
Vorderseite, oben links mit der Aufgabennummer bezeichnen. Dasselbe gilt
für weitere Bögen betreffend Aufgabe 2. Nur Aufgabe 2 wird auf diesen
Bögen korrigiert!

Brigitte kauft bei der Autohaus AG anfangs Februar einen neuen hellgrauen Mercedes der
A-Klasse, mit 2.0 Liter-Motor und eingebauter Freisprechanlage. Sie leistet gleich eine
Anzahlung in Höhe von 20% des Kaufpreises. Mitte März wird das Fahrzeug geliefert.
Innerhalb von 30 Tagen nach der Lieferung muss Brigitte den Restpreis zahlen. Die
Freude am neuen Wagen ist jedoch getrübt, da Brigittes Mutter anfangs März schwer
erkrankt ist. Sie löst daher auch die Nummernschilder für den Mercedes nicht ein,
sondern fährt weiterhin mit dem alten Fiat.

a) In welchem Zeitpunkt wurde Brigitte Eigentümerin des Fahrzeugs? Begründen Sie


Ihre Antwort! (6 P.)

B wird mit Übergabe der Sache Eigentümerin, also Mitte März (ZGB
922). Im Falle eines Autos genügt selbstverständlich schon die Übergabe
des Schlüssels und damit der Verfügungsgewalt.

Es besteht ein Kaufvertrag, wonach A der B das Eigentum am Auto zu


verschaffen, sie dafür den Kaufpreis zu begleichen hat. Der Kaufvertrag
stellt den Rechtsgrund, die Übergabe die Erfüllung dar. Die beiden
Obligationen des synallagmatischen Vertrags bestehen aufgrund des
Vertrags, sind aber nicht direkt voneinander abhängig. Auch wenn das
Auto also noch nicht voll bezahlt ist, geht das Eigentum schon über. Um
das zu verhindern, hätten A und B explizit einen Eigentumsvorbehalt
vereinbaren müssen.

b) Welche Möglichkeiten hat die Autohaus AG, wenn Brigitte den Restpreis nicht
innerhalb der erwähnten 30 Tage bezahlt? (10 P.)

B fällt ohne weiteres in Verzug (OR 102). A kann Erfüllung (also den
Kaufpreis), Zinsen und evtl. Schadenersatz verlangen (OR 104). Das
Rücktrittsrecht des Verkäufers ist aber beschränkt (OR 214.3), da kein
entsprechender Vorbehalt vereinbart wurde.

Variante:
Anfangs Juli meldet sich Brigitte bei der Autohaus AG. Sie teilt dem Verkäufer mit, dass
das Fahrzeug nicht ganz dem entspricht, was vertraglich vereinbart wurde.

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188
Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2008

c) Welche Rechte hat Brigitte, wenn das Fahrzeug einen 1.6 Liter-Motor hat? (12 P.)

Sie ist einen Gattungskauf für ein bestimmtes Modell eingegangen. Da


jetzt ein anderes Modell geliefert wurde, das also einer anderen Gattung
angehört, handelt es sich um einen sogenannten Aliud. A hat deshalb
seine Verpflichtung aus dem Vertrag also noch gar nicht erfüllt!

Um ihre Rechte aus dem Vertrag zu wahren, muss B die A in Verzug


setzen. Die Voraussetzungen dazu sind Fälligkeit der Forderung,
Pflichtwidrigkeit und eine Mahnung (OR 102). Fälligkeit und
Pflichtwidrigkeit ergeben sich aus dem Sachverhalt ohne weiteres; B
muss also noch mahnen und eine angemessene Nachfrist setzen (OR
107). Erst wenn diese verstrichen ist, kann sie sich zwischen Beharrung
auf Erfüllung des Vertrags (und Ersatz des Verzugsschadens) und
ihrem Rücktritt (plus Schadenersatz) entscheiden (OR 109).

d) Welche Rechte hat Brigitte, wenn das Fahrzeug keine eingebaute Freisprechanlage
hat? (12 P.)

Im Gegensatz zur Teilaufgabe c wurde hier eine Sache der richtigen


Gattung geliefert. Dieser fehlt aber eine zugesicherte Eigenschaft,
nämlich die Freisprechanlage. Es handelt sich also um eine
Schlechterfüllung, weshalb die Regeln der Sachgewährleistung (OR
197ff) zur Anwendung kommen.

Zur Wahrung der Rechte aus Sachgewährleistung muss B ihren Prüf-


und Rügepflichten nachkommen (OR 201). Dh. sie muss das Fahrzeug
umgehend nach Erhalt prüfen und allfällige Mängel – soweit diese nicht
versteckt sind – dem Verkäufer melden. Damit sichert sie sich ihr Recht
auf Wandelung, Minderung oder Nachlieferung (OR 205.1).

Das Fehlen einer Freisprechanlage ist eine offensichtliche Abweichung,


die von B umgehend hätte bemerkt werden müssen. Da sie ihrer Prüf-
mindestens aber ihrer Rügepflicht nicht nachgekommen ist, gilt das
Fahrzeug als genehmigt. Sie kann deshalb keine Ansprüche mehr geltend
machen.

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2008

Aufgabe 3: Glas und Kunst (50 P.)


Beginnen Sie die Aufgabe 3 auf einem eigenen Prüfungsbogen, den Sie auf der
Vorderseite, oben links mit der Aufgabennummer bezeichnen. Dasselbe gilt
für weitere Bögen betreffend Aufgabe 3. Nur Aufgabe 3 wird auf diesen
Bögen korrigiert!

Andrea beauftragte anfangs des Jahres 2007 die Bau AG mit dem Bau ihres Gewächs-
hauses. Die Bau AG beauftragte ihrerseits die Farb AG, den Anstrich des Gewächshauses
zu übernehmen. Andrea hatte ihrerseits kurz zuvor Glaser G gebeten, die Standard-
scheiben für das Gewächshaus zu liefern, und hatte diese Scheiben im Voraus bereits
bezahlt; für das Einbauen der Scheiben waren die Arbeiter der Bau AG zuständig. Sodann
erwarb Andrea ebenfalls im Januar 2007 von der Kunstgalerie Proartis AG eine Skulptur
vom bekannten Künstler Moore für CHF 65'000.-, welche sie in der Mitte des
Gewächshauses prominent auf einem Podest als Dekoration platzieren lässt.

Bei der Lieferung der Fensterscheiben erwischt G statt des Rückwärtsganges den ersten
Gang und beschädigt den Gartenzaun von Andrea. Er muss komplett neu erstellt werden.
Zudem verwendet die Farb AG statt der ausgemachten Bio-Farbe eine für Pflanzen giftige
Farbe, wodurch Orchideen von Andrea eingehen und sie einen Lieferauftrag von über
5000.- nicht einhalten kann.

Am 23. Januar 2008 leiht sie die Skulptur für eine Kunstausstellung aus. Ein Kunst-
sachverständiger bemerkt anlässlich der Ausstellungseröffnung, dass es sich um eine
Fälschung handelt.

a) Welche Vertragsbeziehungen bestehen zwischen den Beteiligten, d.h. zwischen


Andrea, der Bau AG, dem Glaser G, der Farb AG und der Proartis AG? (10 P.)

Zwischen A, B, F, G, P bestehen folgende Vertragsbeziehungen:

A-B: Werkvertrag (OR 363ff), da der Werkerfolg geschuldet ist;


A-G: Kaufvertrag (OR 184ff), da die Eigentumsübertragung geschuldet ist;
B-F: Werkvertrag (OR 363ff), da der Werkerfolg geschuldet ist;
A-P: Kaufvertrag (OR 184ff), da die Eigentumsübertragung geschuldet ist;

b) Welche vertraglichen Ansprüche kann Andrea geltend machen?


(Rückgriffsansprüche und ausservertragliche Ansprüche sind nicht zu prüfen!, 40 P.)

Nach ausdrücklicher Anweisung sind Rückgriffs- und ausservertragliche


Ansprüche nicht zu prüfen! Alle ausservertraglichen
Entstehungsgründe (insb. des zweiten Abschnitts des ersten Titels, zB.
OR 41) fallen deshalb ausser betracht. Es verbleiben:

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2008

I Beschädigung des Gartenzauns durch G (10 P.)


Der Schutz des Eigentums des Bestellers ist eine vertragliche
Nebenpflicht aus dem Vertrag. Diese Pflicht wurde schuldhaft verletzt,
wodurch ein Schaden entstanden ist; auch der Kausalzusammenhang ist
offensichtlich, weshalb die Haftungsvoraussetzungen (OR 97) gegeben
sind.

II Giftige Farbe/geplatzte Lieferung durch Bau AG (15 P.)


Der Werkvertrag zum Bau des Gartenhauses besteht zwischen A und B.
Das Werk wurde entgegen der Vereinbarung nicht mit BIO-Farbe
gestrichen, weshalb es einen Mangel aufweist (OR 368). Es sind also die
Ansprüche aus Werkvertrags-Gewährleistung (OR 367ff) zu prüfen.

Der Mangel ist ein versteckter (OR 370.3), weil er von A nicht ohne
weiteres entdeckt werden konnte. Sie hat ihn umgehend nach
Entdeckung gerügt, was bei versteckten Mängeln genügt. Ihre
Ansprüche sind auch noch nicht verjährt (OR 371), weshalb sie sich jetzt
zwischen Minderung und Nachbesserung entscheiden kann (OR 368.2).
Einen Anspruch auf Wandelung hat sie nicht, da das Haus fest mit dem
Boden verbunden ist (OR 368.3).

Zusätzlich kann sie Schadenersatz geltend machen (OR 368), da es sich


um einen schuldhaft verursachten Mangelfolgeschaden handelt. Dass der
Fehler eigentlich nicht bei B liegt, ist hier nicht weiter relevant, da F den
Fehler in funktionellem Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit begangen hat
und dieser auch der B hypothetisch vorwerfbar wäre.

III Gefälschte Skulptur bei Proartis AG (15 P.)


Die Echtheit der Skulptur kann als vorausgesetzte Eigenschaft gelten –
ihr Fehlen also als ein Mangel im Sinne des Sachgewährleistungsrecht
(OR 197ff, insb. 197.1). Da der Mangel ein versteckter ist, denn
offensichtlich bedurfte es eingehender Untersuchungen, muss A
umgehend nach Kenntnis rügen (OR 201.3). Da der Sachverhalt
keinerlei Hinweise auf böse Intentionen des Verkäufers erkennen lässt,
verjähren die Sachgewährleistungsansprüche allerdings nach einem Jahr
(OR 210.1). Falls noch keine Verjährung eingetreten ist, hat A nach
Sachgewährleistungsrecht die Wahl zwischen Wandelung oder
Minderung (OR 205.1); hingegen kann sie keine Ersatzlieferung
verlangen, da es sich um einen Spezieskauf handelt. Weiter kann sie
Schadenersatz (OR 208.2/97) geltend machen.

Falls allerdings die Ansprüche aus Sachgewährleistung schon verjährt


sind, wäre immer noch eine Vertragsanfechtung aufgrund
Grundlagenirrtums (OR 23.4) zu prüfen. Dafür sind die objektive
Wesentlichkeit, die subjektive Wesentlichkeit und deren Erkennbarkeit

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2008

für die Gegenpartei zu prüfen. Objektiv wesentlich ist die Echtheit der
Skulptur bei einem solchen Kauf regelmässig; auch subjektiv ist diese
gegeben, insb. da kein offensichtlich zu tiefer Preis bezahlt wurde.
Dadurch ist ebenfalls die Erkennbarkeit für die Gegenpartei gegeben. Der
Grundlagenirrtum kann also erstellt werden und ist – im Gegensatz zu
den Ansprüchen aus Sachgewährleistung sicher – noch nicht verjährt
(OR 31.1).

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2008

Aufgabe 4: Allgemeines Gesellschaftsrecht (24 P.)


Beginnen Sie die Aufgabe 4 auf einem eigenen Prüfungsbogen, den Sie auf der
Vorderseite, oben links mit der Aufgabennummer bezeichnen. Dasselbe gilt
für weitere Bögen betreffend Aufgabe 4. Nur Aufgabe 4 wird auf diesen
Bögen korrigiert!

a) Inwiefern unterscheiden sich Rechtsgemeinschaften und Körperschaften? Teilen Sie


die jeweiligen Gesellschaftsformen des schweizerischen Rechts den Rechtsge-
meinschaften oder den Körperschaften zu. (12 P.)

Rechtsgemeinschaften haben keine eigene Rechtspersönlichkeit; Rechte


und Pflichten stehen den Gesellschaftern gemeinschaftlich zu, die in
Vertretung der Rechtsgemeinschaft handeln.

Körperschaft haben hingegen eigene Rechtspersönlichkeit; Rechte und


Pflichten stehen ihr selbst zu. Sie handelt selbst, durch ihre Organe.

Rechtsgemeinschaften sind:
Einfache Gesellschaft
Kollektivgesellschaft
Kommanditgesellschaft

Körperschaften sind:
Aktiengesellschaft
Kommanditaktiengesellschaft
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Genossenschaft
Verein

b) Für welche Gesellschaftsformen hat der Handelsregistereintrag bezüglich der


Gründung konstitutive Wirkung, m.a.W. welche Gesellschaftsformen entstehen erst
mit der Eintragung im Handelsregister? (12 P.)

Nicht-kaufmännische Kollektivgesellschaft (OR 553)


Nicht-kaufmännische Kommanditgesellschaft (OR 595)
Aktiengesellschaft (OR 643)
Gesellschaft mit beschränkter Haftung (OR 783)
Genossenschaft (OR 838)
Kommanditaktiengesellschaft (OR 764 II iVm 643)

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2008

Aufgabe 5: Kapitalgesellschaften (36 P.)


Beginnen Sie die Aufgabe 5 auf einem eigenen Prüfungsbogen, den Sie auf der
Vorderseite, oben links mit der Aufgabennummer bezeichnen. Dasselbe gilt
für weitere Bögen betreffend Aufgabe 5. Nur Aufgabe 5 wird auf diesen
Bögen korrigiert!

a) Was bedeutet der Begriff "Vinkulierung" im Aktienrecht? Welche grundlegende


Unterscheidung trifft das Aktienrecht hinsichtlich der Voraussetzungen und
hinsichtlich der Wirkungen einer Vinkulierung? (12 P.)

Im Grundsatz sind Aktien frei veräusserlich. Für Inhaberaktien ist dieser


Grundsatz zwingend, während das Gesetz für Namenaktien Ausnahmen
zulässt. Die Beschränkung der freien Veräusserlichkeit von Namenaktien
nennt man Vinkulierung (OR 685a ff).

Die wesentliche Unterscheidung wird zwischen börsenkotierten und


nicht börsenkotierten Namenaktien getroffen. Die Übertragung nicht-
kotierter Namenaktien kann untersagt werden, wenn ein wichtiger, in
den Statuten genannter Grund vorliegt oder angeboten wird, die Aktien
zum wirklichen Wert zu übernehmen (OR 685b.1). Im Falle von
börsenkotierten Namenaktien kann eine Eintragung nur abgelehnt
werden, wenn:
a) in den Statuten eine prozentmässige Begrenzung genannt ist und
diese überschritten würde (OR 685d.1);
b) die Statuten Ausländer als Erwerber ausschliessen, soweit und
solange deren Anerkennung die Gesellschaft daran hindern könnte,
durch Bundesgesetze geforderte Nachweise über die – schweizerische –
Zusammensetzung des Aktionariats zu erbringen (Art. 4
Schlussbestimmungen zum 26. Titel des OR).

Nicht kotierte Namenaktien gehen erst an den Erwerber über, wenn der
VR dem Aktienverkauf zugestimmt hat. Bis dahin verbleiben alle
Aktionärsrechte beim Veräusserer (OR 685c I). Kotierte Namenaktien
gehen bei börsenmässigem Erwerb mit Übertragung über (OR 685f); bei
ausserbörslichem Erwerb mit der Einreichung des Gesuchs um
Anerkennung als Aktionär.

b) Roland Huber ist CEO der Unimos AG, einer börsenkotierten Aktiengesellschaft mit
Sitz in Zürich. Zudem ist Roland Huber Verwaltungsratspräsident der in der Schweiz
domizilierten Tochtergesellschaft Unimatic (Suisse) AG. Die Unimos AG besitzt von
der Unimatic (Suisse) AG 89% des Aktienkapitals.

Über die Unimatic (Suisse) AG wird im Januar 2007 der Konkurs eröffnet. Gläubiger
der Unimatic (Suisse) AG machen einen Schadenersatzanspruch gegen die Mitglieder
des Verwaltungsrates der Unimatic (Suisse) AG geltend mit der Begründung, die

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194
Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2008

Unimatic (Suisse) AG hätte ohne entsprechenden Rechtsgrund Geld in Höhe von


CHF 11.7 Mio. an ihre – ebenfalls konkursite – Schwestergesellschaft in Spanien
transferiert.

Roland Huber nimmt zu diesem Vorwurf wie folgt Stellung:

"Der Unimos-Konzern ist eine Einheit. Egal ob linke Hosentasche oder rechte
Hosentasche - das Geld gehörte vor und nach der Transaktion dem Unimos-Konzern.
Ich verstehe den Vorwurf der Gläubiger nicht!"

Kommentieren Sie diese Aussage von Roland Huber! (12 P.)

In der Schweiz fehlt ein systematisch kodifiziertes Konzernrecht. Das


Recht geht noch weitgehend von der Fiktion selbständiger und
unabhängiger Gesellschaften auch im Konzern aus. In diesem
Widerspruch zwischen rechtlicher und wirtschaftlicher Struktur liegt der
Kern der Probleme begründet, die sich bei der rechtlichen Behandlung
des Konzerns ergeben.

Im Konzern verfolgt zunächst jede einzelne Gesellschaft ihre Interessen;


darüber hinaus besteht aber auch ein über diesen einzelnen Interessen
stehendes Konzerninteresse, das sich aus dem Gesamtinteresse aller
Gesellschaften zusammensetzt. Das Bundesgericht hat in neuster
Rechtsprechung mit aller Deutlichkeit festgehalten, dass das Gesell-
schaftsinteresse gegenüber dem Konzerninteresse den uneingeschränkten
Vorrang hat. Die Organe einer Gesellschaft haben allein deren Interessen
und nicht diejenigen anderer Konzerngesellschaften bzw. des Konzerns
zu wahren.

Werden folglich Gelder von einer Konzerngesellschaft auf eine andere


Konzerngesellschaft übertragen, müssen sich die jeweiligen verantwort-
lichkeitsrechtlichen Organe gemäss Art. 754 Abs. 1 OR vergewissern, ob
dies im Interesse ihrer jeweiligen Konzerngesellschaft ist.

Die Aussage von Roland Huber widerspricht also dem heutigen


schweizerischen Konzernrecht, welches primär vom Trennungsprinzip
ausgeht. Das Bild von der „rechten und linken Hosentasche“ ist daher
falsch.

c) Hans Spiess, welcher eine Namenaktie à nominal CHF 100.- an der mit CHF 100'000.-
Aktienkapital ausgestatteten SIS-AG besitzt, ist ein sehr misstrauischer Mann. Er hat
das allgemeine Gefühl, dass bei SIS-AG nicht alles mit rechten Dingen zugeht.

Welche rechtliche Möglichkeiten hat Hans Spiess, um über die SIS-AG Informationen
zu erlangen? Erläutern Sie die verschiedenen Möglichkeiten kurz. (12 P.)

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2008

Als erste Massnahme kann Hans Spiess verlangen, dass ihm der
Geschäftsbericht und der Revisionsbericht der SIS-AG zugestellt wird
(OR 696). An der kommenden Generalversammlung kann Hans Spiess
vom Verwaltungsrat Auskunft über die Angelegenheiten der SIS-AG
und von der Revisionsstelle über Durchführung und Ergebnis ihrer
Prüfung verlangen. Angesichts seiner fehlenden Treuepflicht wird das
Informationsrecht von Hans Spiess jedoch beschränkt durch
Geschäftsgeheimnisse und andere schutzwürdige Interessen der SIS-AG
(OR 697).

Ist Hans Spiess mit der vom Verwaltungsrat erteilten Auskunft des
Verwaltungsrates unzufrieden, kann er der Generalversammlung
beantragen, bestimmte Sachverhalte durch einen Sonderprüfer abklären
zu lassen, sofern dies zur Ausübung seiner Aktionärsrechte erforderlich
ist. Stimmt die Generalversammlung dem Antrag von Hans Spiess zu,
so wird in der Folge der Sonderprüfer durch das Gericht eingesetzt (OR
697a). Stimmt die Generalversammlung dem Antrag von Hans Spiess
nicht zu und will er trotzdem eine Sonderprüfung durchführen lassen, so
muss Hans Spiess zusammen mit anderen Aktionären, welche zu-
sammen mindestens 10 Prozent des Aktienkapitals vertreten, innert
dreier Monate das Gericht ersuchen, einen Sonderprüfer einzusetzen
(OR 697b).

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8. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2008

197
Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2009 ­ Lösungshinweise

Aufgabe A: Fragen zum Recht im Allgemeinen (10 Pkt.)

1. Was bedeutet der Grundsatz der Billigkeit im Recht?

a) Der Preis der Rechtsdurchsetzung, z.B. Anwalts- und Ge- a


richtskosten darf nicht so hoch sein, dass ärmere Perso-
nen ihn sich nicht mehr leisten können; b
b) Abweichung von einer generellen Norm in der Rechtsan-
c
wendung, weil der Schadenersatzpflichtige ansonsten
zahlungsunfähig wird; d
c) Abweichung von einer generellen Norm in der Rechtset-
zung, weil das Verfahren ansonsten stossend aufwändig Θ
würde;
% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
d) Abweichung von einer generellen Norm in der Rechtsan-
wendung, um der speziellen Einzelfallsituation gerecht zu
werden.

siehe auch die abgegebene Unterlage „Einführung in die Rechtswissenschaft“, S. 1

2. Welches sind Elemente der Rechtssicherheit?

a) Sachgerechtheit a
b) Strafsicherheit
b
c) Orientierungssicherheit
d) Gerechtigkeit c

% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

Rechtssicherheit beinhaltet „sicher sein, über das was Recht ist“ (Orientierungssicherheit) sowie „das, was
Recht ist, auch durchsetzen zu können“ (Durchsetzbarkeit). Die Durchsetzung muss jedoch nicht mittels
Strafen erfolgen, sondern kann auch – insbesondere im Privatrecht – nur die Feststellung eines Rechts und
allenfalls Schadenersatz beinhalten. Dass eine Lösung sachgerecht oder gar gerecht ist, kann ein Ziel der
Rechtsordnung sein, lässt sich aber nicht mit der Sicherheit in Verbindung bringen.
siehe auch die abgegebene Unterlage „Einführung in die Rechtswissenschaft“, S. 1

3. Welches Organ gehört zur Judikative?

a) Bundesversammlung a
b) Kleiner Rat
b
c) Friedensrichter
d) Grosser Rat c

% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

Zu unterscheiden ist die grundsätzliche Angehörigkeit eines Organs zu einer Gewalt und Abweichungen
von dieser Regel. Bundesversammlung sowie Grosser Rat (auf kantonaler Ebene) haben wohl einzelne judi-
kative Aufgaben, v.a. politischen Charakters, gehören als Organ aber zur gesetzgebenden Macht, der Legis-
lative. Entsprechendes gilt für die Organe der Exekutive, hier das Beispiel des kleinen Rats. Ein eigentliches
Organ der Judikative, das nicht nur ausnahmsweise solche Aufgaben wahrnimmt, ist unter den gegebenen

1/24
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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2009 ­ Lösungshinweise

Optionen ausschliesslich der Friedensrichter.


siehe auch die abgegebene Unterlage „Einführung in die Rechtswissenschaft“, S. 5

4. Was ist ein Gesetz?

a) Ein staatlicher Erlass mit generell-abstrakten Normen; a


b) Ein staatlicher Erlass mit abstrakt-konkreten Normen;
b
c) Ein staatlicher Erlass mit individuell-abstrakten Normen;
d) Ein staatlicher Erlass mit individuell-konkreten Normen. c

% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

siehe auch die abgegebene Unterlage „Einführung in die Rechtswissenschaft“, S. 8

5. Wie ist ein internationaler Staatsvertrag in die Hierarchie der Erlasse einzuordnen?

a) Grundsätzlich haben Staatsverträge Verfassungsrang; a


b) Staatsverträge sind auf Stufe Bundesgesetz, aber auch auf
Stufe der Verfassung zu finden; b

c) Da Staatsverträge nicht von der Legislative, sondern von c


der Exekutive abgeschlossen werden, haben sie
grundsätzlich den Rang einer Verordnung der Exekutive; d

d) Das Parlament entscheidet von Fall zu Fall, auf welcher


Θ
Stufe ein Staatsvertrag anzusiedeln ist.
% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

In der Schweiz haben Staatsverträge grundsätzlich den Rang eines Bundesgesetzes. Einzelne grundlegende
Verträge, wie bspw. die Europäische Menschenrechtskonvention, werden trotzdem auf Verfassungsebene
angesiedelt. Dieser Zuordnung liegt jedoch kein politischer Entscheid, bspw. des Parlaments, zugrunde.
siehe auch die abgegebene Unterlage „Einführung in die Rechtswissenschaft“, S. 7

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2009 ­ Lösungshinweise

Aufgabe B: Fragen zum ZGB (10 Pkt.)

1. Welche Aussage gilt für die Auslegung von Gesetzen?

a) Die verschiedenen Amtssprachen sind gleichwertig; sollte a


aber ein Widerspruch zwischen den Sprachversionen eines
Gesetzes auftreten, kann man sich auf diejenige Fassung b
berufen, die in der eigenen Sprache verfasst ist;
c
b) Es gilt das Vertrauensprinzip, dh. es gilt so, wie ich es in
gutem Glauben verstehen durfte (Gutglaubensschutz); d
c) Qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers lässt sich dem
Text mittels der grammatikalischen Methode entnehmen; Θ

d) Das Bundesgericht hat sich für einen Methodenpluralismus


% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
bei der Auslegung von Gesetzen entschieden, wobei der
teleologischen und grammatikalischen Methode oft ein
besonderes Gewicht verliehen wird.

Die Auslegung von Gesetzen zielt auf den objektiven Sinn einer Norm – den Willen des Gesetzgebers. Wie
ein Einzelner – auch der Richter! ­ die Norm subjektiv versteht, spielt keine Rolle. Qualifiziertes Schweigen
lässt sich deshalb auch nicht alleine durch den Wortlaut (grammatikalische Methode) erkennen. Den objek-
tiven Sinn eines Gesetzes kann also nur durch die Anwendung mehrerer Methoden, einem Methodenplura-
lismus, erkannt werden.

2. Wie ist vorzugehen, wenn das Gesetz eine Lücke aufweist, also einen konkreten Sachverhalt auch mit
Auslegung nicht umfasst?

a) Der Richter richtet sich nach Präjudizien höherer Gerichte a


(Richterrecht), bzw. legt die Frage der nächsthöheren
Instanz zur Entscheidung vor (sog. Vorlageverfahren); b
b) Falls das Gesetz schon in Revision ist, wartet der Richter
c
deren Erlass ab, um sicherzustellen, dass sein Entscheid
gesetzesgemäss bleibt; d
c) Der Richter muss die Lücke selbst schliessen, also gemäss
seinem gerichtlichen Ermessen (ZGB 4) einen Θ
Billigkeitsentscheid treffen;
% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
d) Falls sich keine Lösung findet, setzt der Richter eine eigene
Regel auf, wie er sie als Gesetzgeber aufstellen würde, und
entscheidet nach dieser.

3. Welches Verhalten wäre rechtsmissbräuchlich?

a) Der Versand einer Mahnung für eine offene Rechnung, a


obwohl ich das Geld noch gar nicht brauche;
b) Der Versand einer Mahnung für eine offene Rechnung, ob- b
wohl ich weiss, dass der Schuldner eigentlich nicht mehr
c
zahlungsfähig ist;
c) Widersprüchliches Verhalten, indem ich dem Gläubiger d
immer wieder mündlich die Bezahlung zusichere, mich
schliesslich aber auf die Verjährung berufe; Θ

d) Verkauf eines billigen Modeschmucks zu sehr hohen


% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
Preisen (krasses Missverhältnis).

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2009 ­ Lösungshinweise

4. Welche Aussage trifft auf ein siebenjähriges Kind zu, das diesen Herbst in die Primarschule eintrat?

a) Es kann keinen Vertrag über den Kauf einer Spielkonsole a


abschliessen, da es diesbezüglich handlungsunfähig ist;
b) Es kann statt eines Bustickets, ohne Wissen der Eltern – b
wenn es das eigene Taschengeld zum Fahrgeld der Eltern
c
dazu gibt – ab und zu das Taxi nehmen;
c) Es kann mit dem eigenen Taschengeld – ohne Wissen der d
Eltern – einen Apfel am Schulkiosk kaufen;
Θ
d) Da es – aufgrund Kindesalters (ZGB 16) – nicht urteilsfä-
hig ist, kann es kein Vermögen haben; sein Eigentum
% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
(Schul- und Spielsachen, Sparheft von den Grosseltern) ist
rechtlich gesehen dasjenige der Eltern.

Jeder Mensch ist rechtsfähig, kann also eigenes Vermögen haben. Hier in Frage steht jedoch die (be-
schränkte) Handlungsfähigkeit des Kindes. Ein Vertrag, bezüglich welchem es handlungsunfähig ist, bleibt bis
zur Genehmigung in einem Schwebezustand, in welchem nur die handlungsfähige Partei gebunden ist. Es
kann also – mit Genehmigung der Eltern – eine Spielkonsole kaufen. Hingegen ist es nicht statthaft, das
Fahrgeld der Eltern entgegen deren Instruktionen zu verwenden. Über das eigene Taschengeld kann es im
Rahmen dessen verfügen, was die Eltern erwartunsgemäss unterstützen würden; dies gilt insbesondere für
zweckdienliche, kleine Ausgaben.

5. Das Vermögensrecht...

a) ... umfasst das Obligationenrecht und das Sachenrecht; a


b) ... definiert Obligationen, also die Geldschuld gegenüber
Besitzern; b

c) ... definiert über sog. dingliche Rechte, wer wem was aus c
welchem Grunde schuldet;
d) definiert über das Sachenrecht, dass ein Vertrag über d

illegale Sachen ungültig ist.


Θ

% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

Das Vermögensrecht beinhaltet das Obligationenrecht und das Sachenrecht. Es klärt, welche Inhalte Ver-
träge (nicht) aufweisen dürfen – im Rahmen des Obligationenrechts – und wer wem was aus welchem
Grunde schuldet – also die Obligationen – wobei keinesfalls nur Geld geschuldet wird.

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2009 ­ Lösungshinweise

Aufgabe C: Fragen zum OR – Allgemeiner Teil (30 Pkt.)

1. Was gilt betreffend der Entstehung von Obligationen?

a) Obligationen können aus Vertrag, unerlaubter Handlung a


und ungerechtfertigter Bereicherung entstehen;
b) Obligationen entstehen nur aus Rechtsgeschäft; dieses b

kann ein-, zwei- oder mehrseitig sein;


c
c) Alle Gründe zur Entstehung einer Obligation sind im OR
aufgeführt (numerus clausus); d

d) Der Beschluss einer Generalversammlung kann keine


Θ
Obligation begründen.
% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

2. Nach welchen Kriterien können Rechtsgeschäfte klassifiziert werden?

a) Rechtsgeschäfte können danach klassifiziert werden, ob sie a


einseitig, also als Beschluss, zwei- oder mehrseitig, also als
Vertrag ausgestaltet sind; b
b) Rechtsgeschäfte können nach der Zahl der notwendigen
c
Willenserklärungen klassifiziert werden;
c) Rechtsgeschäfte können als Verfügungsgeschäft klassifiziert d
werden, wenn damit ein Vertrag über Vermögen (Verfü-
gung über Vermögen) geschlossen wird; Θ

d) Rechtsgeschäfte können danach klassifiziert werden, ob sie


% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
obligatorische, freiwillige oder deklaratorische Wirkung
entfalten.

Ein Rechtsgeschäft entfaltet nicht rein deklaratorische Wirkung – ansonsten wäre es kein Rechtsgeschäft.
Das Verfügungsgeschäft bezeichnet die Erfüllung eines vorhergehenden Verpflichtungsgeschäfts, unabhängig
davon, ob es dabei um Vermögenswerte geht. Hingegen können Rechtsgeschäfte nach der Zahl der not-
wendigen Willenserklärungen klassifiziert werden. Dabei ist die unter der ersten Option vorgenommene
Einschränkung auf Beschlüsse und Verträge aber falsch. Korrekte Beispiele einseitiger Rechtsgeschäfte wä-
ren letztwillige Verfügungen, Gestaltungsrechte (Bspw. Kündigungen) etc.

3. Wie stehen die Vorschriften des Allgemeinen Teils des OR zu denjenigen des Besonderen Teils?

a) Die Vorschriften des Allgemeinen Teils bleiben unbeacht- a


lich, sofern Vorschriften des Besonderen Teils auf den
Sachverhalt anwendbar sind; b
b) Die Vorschriften des Besonderen Teils regeln die jewei-
c
ligen Vertragsverhältnisse in sich abschliessend;
c) Die Vorschriften des Allgemeinen Teils können nicht allei- d
ne interpretiert werden, sondern bedürfen der Ergänzung
durch die besonderen Vorschriften eines Vertragstyps aus Θ
dem Besonderen Teil;
% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
d) Die Vorschriften des Besonderen Teils gelten nur für be-
stimmte Vertragstypen, während diejenigen des Allgemei-
nen Teils nicht derart eingeschränkt sind.

Allgemeiner und Besonderer Teil des OR greifen ineinander; ein jeder ist nicht in sich abschliessend. Im
Allgemeinen Teil werden Grundsätze aufgestellt, die gelten, insoweit im Besonderen Teil keine andere
Regel aufgestellt wird. Der Allgemeine Teil wird aber keinesfalls aufgehoben, sobald auch nur einzelne

5/24
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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2009 ­ Lösungshinweise

Bestimmungen auf einzelne Teile eines Sachverhalts anwendbar sind. Vielmehr bleiben seine Grundsätze
insofern gültig, als sie nicht spezifisch geändert werden.

4. Wie stehen Antrag und Annahme zueinander?

a) Eine Annahme muss sämtliche Vertragspunkte des a


entsprechenden Antrags enthalten;
b) Die Annahme auf einen missverständlich formulierten An- b
trag begründet immer einen Vertrag, wenn der Wille des
c
Offertstellers nach Vertrauensprinzip verstanden wurde;
c) Die Annahme eines Antrags muss immer umgehend d
mitgeteilt werden, um einen Vertrag zu begründen;
Θ
d) Schweigen auf einen Antrag stellt nie eine Annahme dar.
% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

Um einen Vertrag zu begründen, müssen inhaltlich übereinstimmende Willenserklärungen ausgetauscht


werden. Die Übereinstimmung muss die objektiv und subjektiv wesentlichen Punkte betreffen, nicht aber
sämtliche Vertragspunkte.

5. Was gilt bezüglich der Formvorschriften für Verträge?

a) Das Gesetz sieht einfache und qualifizierte Schriftlichkeit a


sowie öffentliche Beurkundung als Formen vor;
b) Wird eine gesetzliche Formvorschrift nicht eingehalten, b

z.B. beim Kauf einer Liegenschaft, hat das strafrechtliche


c
Konsequenzen;
c) Man kann sich vertraglich nicht verpflichten, eine andere d
als eine gesetzliche Form einzuhalten;
Θ
d) Allgemeine Geschäftsbedingungen müssen die gesetzliche
Form der einfachen Schriftlichkeit erfüllen.
% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

Das Gesetz sieht die in der ersten Option genannten Formen vor. Hingegen steht es den Vertragsparteien
frei, eigene Formvorschriften für ihr Verhältnis zu definieren – es herrscht Form- und Inhaltsfreiheit. Dies
gilt auch für Allgemeine Geschäftsbedingungen, die in der Schweizer Rechtsordnung – im Gegensatz zum
benachbarten Ausland – nicht gesondert geregelt sind.

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2009 ­ Lösungshinweise

6. Unter welchen Umständen kann kein Vertrag geschlossen werden?

a) Bei anfänglicher, objektiver Unmöglichkeit und/oder Wi- a


derrechtlichkeit der versprochenen Leistung ist der
Vertrag nichtig; b
b) Bei nachträglicher, unverschuldeter Unmöglichkeit ist nie
ein Vertrag zustandegekommen; c

c) Wenn die Vereinbarung ein offenbares Missverhältnis der d


Leistungen beinhaltet und die Ausbeutung einer Notlage
vorliegt, kann kein Vertrag geschlossen werden; Θ
d) Vertraglich können Eingriffe in den höchstpersönlichen
Bereich (z.B. körperliche Unversertheit) nicht vereinbart % 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

werden.

Ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit kann vertraglich vereinbart werden, z.B. eine Operation beim
Arzt. Höchstpersönliche Bereiche sind also nicht prinzipiell verschlossen. Bei Option b und c wurde je-
weils ein Vertrag geschlossen, auch wenn dessen Schicksal nachträglich geändert wird.

7. Welche Punkte müssen geprüft werden, um Schadenersatz aufgrund unerlaubter Handlung zu verlangen?

a) Erhöhtes Schädigungspotential, Schaden, Kau- a


salzusammenhang
b) Natürlicher Kausalzusammenhang, Rechtsgutverletzung, b
Schuld
c
c) Rechtswidrigkeit, Schuld, Schaden, Kausalzusammenhang
d) Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts, Schaden, d
Schuld
Θ

% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

8. Unter welchen Voraussetzungen ist ein Willensmangel anzunehmen?

a) Wenn die eine Partei eine Notlage der anderen ausnützte, a


um einen Vertrag mit offenbarem Missverhältnis der
Leistungen abzuschliessen; b
b) Wenn der Wille einer Partei in wesentlichen Punkten,
deren subjektive Relevanz für die Gegenpartei erkennbar c

war, falsch gebildet wurde, und der Vertrag ohne diesen


d
Mangel nicht geschlossen worden wäre;
c) Wenn der Wille beider Parteien korrekt gebildet und Θ
übermittelt wurde, eine Partei jedoch anschliessend ihren
Willen abändert; % 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

d) Wenn der Wille von beiden Parteien korrekt übermittelt


wurde, der übereinstimmende, wirkliche Wille aber
bewusst von der Übermittlung abweicht.

Option b beschreibt einen Irrtum, also einen Willensmangel; a eine Übervorteilung, die nicht einen Mangel
des Willens darstellt, sondern die (bewusste) Ausnützung einer Notlage.

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204
Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2009 ­ Lösungshinweise

9. Wann kann eine Obligation erfüllt werden?

a) Ab dem Zeitpunkt der Fälligkeit kann eine Obligation er- a


füllt werden, d.h. abgesehen von Spezialvorschriften
und/oder ­vereinbarungen innert 30 Tagen nach b
Vertragsschluss;
b) Ab dem Zeitpunkt der Erfüllbarkeit kann eine Obligation c

erfüllt werden, d.h. sofort nach Vertragsschluss oder nach


d
Vereinbarung;
c) Ab dem Zeitpunkt der Zahlbarkeit kann eine Obligation Θ
erfüllt werden, d.h. sobald die Gegenpartei ihre Leistung
mindestens angeboten hat; % 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

d) Eine Obligation kann erfüllt werden, sobald man vom


Gläubiger die notwendigen Daten (Kontonummer,...) er-
halten hat; widrigenfalls ist ein Schuldnerverzug zu prüfen.

Option b beschreibt einen Irrtum, also einen Willensmangel; a eine Übervorteilung, die nicht einen Mangel
des Willens darstellt, sondern die (bewusste) Ausnützung einer Notlage.

10. Wie kann ein Vertragsverletzungsverfahren nach OR AT – ohne freiwillige, gesetzlich nicht zwingende
Schritte des Gläubigers – ablaufen?

a) Fälligkeit, Nachfrist des Gläubigers, Mahnung, Klage auf a


Erfüllung und Schadenersatz;
b) Schuldnerverzug, Rücktritt des Gläubigers, Klage auf b
Schadenersatz;
c
c) Mahnung, Betreibung, Rücktritt, Klage auf Ersatz des
positiven Interesses; d
d) Mahnung, Nachfrist, Klage auf Erfüllung und Ersatz des
negativen Interesses. Θ

% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

Option a ist falsch, weil eine (zusätzliche?) Mahnung nach Ablauf der Nachfrist gesetzlich nicht vorgesehen
ist; sie wäre also ein freiwilliger Schritt des Gläubigers. Die Optionen c und d sind jeweils falsch, weil sie
das falsche Vertragsinteresse als Ersatzgrundlage angeben: Erfüllung und positives Interesse, Rücktritt und
negatives Interesse gehören zusammen. Option b ist möglich, falls ein Fixgeschäft vereinbart wurde.

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205
Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2009 ­ Lösungshinweise

Aufgabe D: Fragen zum OR – Besondere Vertragsverhältnisse (30 Pkt.)

1. Anton und Beat möchten sich je einen neuen Fernseher gönnen. Anton bestellt sich beim örtlichen Händler
ein ganzes Heimkino, das zwei Wochen später bei ihm zuhause aufgestellt werden soll. Beat hingegen geht
zu einem entfernten Discounter, der seinen Traumfernseher gerade im Sonderangebot verkauft und nimmt
ihn direkt mit. Welche Aussage ist korrekt?

a) Anton und Beat haben gleichartige Verträge geschlossen, a


da beide Eigentum gegen Geld tauschen;
b) Während Beat sofort Eigentümer seines Fernsehers wird, b
ist Anton bis zur vollständigen Bezahlung der Rechnung
nur Mieter seines Heimkinos; c

c) Der zufällig anwesende dritte Kunde, der Beat auf dem d


Parkplatz beim Heben des Fernsehers ins Fahrzeug hilft,
haftet als Hilfsperson des Discounters für evtl. Schäden; Θ
d) Nutzen und Gefahr für ihre jeweiligen Fernseher gehen bei
Anton und Beat mit Vertragsschluss über. % 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

Tatsächlich haben A und B je einen Kaufvertrag geschlossen; die Lieferung muss als vertragliche Neben-
pflicht gesehen werden. Eine Abweichung von der gesetzlichen Regelung über den Übergang von Nutzen
und Gefahr wird im Sachverhalt nicht erwähnt, weshalb OR 185 unverändert zur Anwendung kommt.
Demnach gehen Nutzen und Gefahr nicht bei Vertragsschluss über.

2. Beat (aus Teilaufgabe 1) schliesst den frisch erstandenen Fernseher zu Hause an. Dieser funktioniert aber
nicht. Seinem technikkundigen Nachbarn fällt sofort auf, dass das neue Gerät nur für analogen Empfang
ausgelegt ist – der Kabelanbieter aber nur noch digitale Kanäle anbietet. Um das Gerät überhaupt nutzen zu
können, müsste Beat sich eine zusätzliche Set- Top-Box besorgen, was er aber nicht möchte. Was gilt nun?

a) Es handelt sich um einen Fall von Sachgewährleistung, falls a


sich Beat beim Kauf hat beraten lassen und erwähnt hat,
dass sein Kabelanbieter nur noch digitale Kanäle anbietet; b
b) Es handelt sich um einen Fall von Rechtsgewährleistung, da
Beat keine analogen Kanäle empfangen darf; c

c) Es handelt sich um eine Nichterfüllung des Vertrags, d


weshalb Schuldnerverzug vorliegt;
d) Es handelt sich bei diesem Fernseher um ein Aliud, d.h. Θ
Beat kann den Fernseher umtauschen.
% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

3. Anton (aus Teilaufgabe 1) will sein Heimkino komplett mit Möbeln etc. ausstatten. Darauf angesprochen,
vermittelt der örtliche Händler noch während der Bestellung den Kontakt mit der Innenarchitektin Grace.
Mit Grace vereinbart Anton anschliessend die Ausstattung des Raums; sie zeichnet für ihn die Pläne und
beauftragt in seinem Namen einen von Anton selbst bestimmten Schreiner mit der Herstellung der Möbel.
Was gilt nun bezüglich der Vertragsverhältnisse?

a) Durch die Empfehlung der Innenarchitektin ändert sich die a


Qualifikation des Vertrags zwischen Anton und dem
Händler; b
b) Zwischen Grace und Anton besteht ein Werkvertrag be-
züglich der Ausstattung des Raumes – sie hat also für die c

Optik desselben eine Gewährleistung zu übernehmen;


d
c) Zwischen Grace und Anton besteht ein Auftragsverhältnis,
das u.a. die Instruktion des Schreiners umfasst; Θ
d) Zwischen Anton und dem Schreiner besteht ein Auftrag
bezüglich der notwendigen Arbeiten. % 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

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206
Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2009 ­ Lösungshinweise

Die „Optik“ eines Raumes ist eine Geschmacksfrage und deshalb rechtlich kaum fassbar; im Gegensatz
bspw. zur Planerstellung. Beim Engagement eines Architekten für die Erstellung von Plänen, Kostenkalku-
lation etc. handelt es sich tatsächlich um einen Werkvertrag mit Gewährleistung für die handwerkliche
„Korrektheit“ derselben. Bauaufsicht und künstlerische Arbeiten fallen hingegen unter Auftragsrecht, weil
nur ein „sorgfältiges Tätigwerden“ geschuldet sein kann.

4. Anton (aus Teilaufgabe 3) ist Mieter seiner Wohnung, in der jetzt auch das Heimkino eingerichtet wird.
Welche Pflichten und/oder Folgen ergeben sich für ihn aus dieser Konstellation?

a) Durch die Einbauten erhöht sich der Wert der Wohnung, a


weshalb der Vermieter den Mietzins erhöhen kann;
b) Vor dem Einbau der neuen Möbel ist zwingend die schrift- b
liche Einwilli gung des Vermieters einzuholen; ansonsten
kann letzterer mit gesetzlicher Frist kündigen; c

c) Anton darf gar kein Heimkino einbauen lassen, weil er zur d


Rücksichtnahme auf die Mieter der angrenzenden Woh-
nungen gezwungen ist; Θ
d) Entstehen durch den Einbau Schäden an der Wohnung,
muss Anton diese dem Vermieter ersetzen. % 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

Ohne schriftliche Einwilligung des Vermieters muss Anton die Wohnung bei Auszug wieder in den Zustand
versetzen, in welchem sie zuvor war (OR 260a). Eine Kündigung mit gesetzlicher Frist ist hier nicht
möglich (OR 257f)

5. Oma Müller bringt ihren American Staffordshire zum Hunde-Friseur. Sie erklärt vor Ort, wie ihr Liebling
zurechtgemacht werden soll; insbesondere möchte sie die dunklen Partien des Fells schwarz gefärbt haben.
Als sie den Hund nach drei Stunden abholen möchte, teilt man ihr lapidar mit, dieser sei davongelaufen. Man
wisse nicht, wo er sich befinde. Wie stellt sich die Situation von Oma Müller dar?

a) Da es sich um einen Auftrag handelt, kann der Salon jeder- a


zeit vom Vertrag zurücktreten (OR 404); dies hat er wohl
in dem Zeitpunkt der Entdeckung des Verschwindens b
getan, weshalb er rechtlich nichts weiter unternehmen
muss; c

b) Oma Müller hätte selbst vor Ort bleiben und auf den
d
Hund aufpassen müssen, da sie als Tierhalterin haftet (OR
56); Θ
c) Bei der Beaufsichtigung des Tiers handelt es sich um eine
vertragliche Nebenpflicht des Salons; dieser haftet deshalb % 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
aus Vertrag;
d) Oma Müller und der Salon haben einen Werkvertrag
zugunsten eines Dritten, des Hundes, geschlossen.

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2009 ­ Lösungshinweise

6. Oma Müller (aus Teilaufgabe 5) ist sehr erleichtert, als kurz darauf ein Passant den Hund entdeckt und
zurück in den Salon bringt. Doch die Erleichterung ist nur kurz, da sie mit Entsetzen feststellt, dass nicht nur
die dunklen Partien, sondern das ganze Fell schwarz gefärbt wurden. Wie stellt sich ihre Situation nun dar?

a) Da es sich um einen Auftrag handelte, musste der Salon a


nur sorgfältig tätig werden; der Vertrag ist gültig erfüllt;
b) Zwischen Oma Müller und dem Salon besteht ein Werk- b
vertrag; die Abweichung stellt einen Werkmangel an Lebe-
wesen dar, weshalb Oma Müller Genugtuung verlangen c

kann;
d
c) Da es sich um einen rechtswidrigen Eingriff in das Eigen-
tum von Oma Müller handelt, muss sie den Salon wegen Θ
unerlaubter Handlung (OR 41) auf Schadenersatz
verklagen; % 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

d) Es handelt sich um den Fall eines Werkmangels, weshalb


Oma Müller Minderung oder – wenn nicht übermässig
teuer – Nachbesserung verlangen kann.

Es wurde ein klar beurteilbarer Erfolg vereinbart, der ohne weiteres handwerklich beurteilt werden kann.
Der Vertrag mit einem Coiffeur wird deshalb als Werkvertrag – mit geschuldetem Erfolg – quallifiziert.
siehe auch Scriptum, S. 136

7. Oma Müller (aus Teilaufgabe 5) besucht einen Züchter, um einen zweiten American Staffordshire als Spiel-
kameraden für ihren Hund zu kaufen. Zusammen mit dem ersten Hund geht sie durch die – recht grosse –
Zucht und sucht sich eines der vielen Welpen aus, das offensichtlich auch bei ihrem ersten Hund elterliche
Gefühle weckt. Nach den notwendigen Formalitäten und Untersuchungen bringt der Züchter den Neuer-
werb bei Oma Müller zuhause vorbei. Doch statt des ausgesuchten Welpen liefert er ein farblich fast
identisches. Welche Aussage ist korrekt?

a) Der Kaufvertrag wurde erfüllt, da Oma Müller einen Gat- a


tungskauf über ein Staffordshire Welpen abgeschlossen hat
und ihre Sonderwünsche (Färbung) erfüllt sind; b
b) Da nicht das im Vertrag bestimmte Welpen geliefert
wurde, hat der Züchter den Vertrag noch nicht erfüllt; c

c) Oma Müller muss, um ihre Ansprüche zu wahren, den d


Züchter sofort bei Lieferung auf den Fehler aufmerksam
machen; ansonsten hätte sie das falsche Welpen ge- Θ
nehmigt;
d) Zur Entscheidung, ob der Vertrag gültig erfüllt wurde, % 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

muss zuerst untersucht werden, ob Gefahr und Nutzen


auf Oma Müller übergegangen sind.

Es handelt sich um einen Spezieskauf, der Züchter muss also genau das bestimmte Welpen liefern. Liefert
er – wie hier – ein falsches, ist der Vertrag unerfüllt. Dabei ist es nicht notwendig, sofort zu reklamieren.
Im Gesetz ist nichts derartiges festgehalten.

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208
Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2009 ­ Lösungshinweise

8. Harry Hasler darf unentgeltlich den Ferrari eines Bekannten benutzen, um mit seiner Freundin eine Ausfahrt
zu geniessen. Während derselben tankt er bei der Hugo Stoff AG, vergisst ob der schönen Augen seiner
Freundin aber zu bezahlen. Als er das bemerkt, ist er völlig erschüttert und kehrt sofort zurück. Hugo Stoff
ist ebenfalls nicht begeistert und will – obwohl Harry Hasler das sofort anbietet – kein Geld mehr entgegen-
nehmen, sondern die Polizei rufen. Was gilt bezüglich der Vertragsverhältnisse?

a) wischen Harry Hasler und seinem Bekannten besteht ein a


Mietvertrag;
b) Zwischen Harry Hasler und Hugo Stoff AG besteht ein b
Kaufvertrag;
c
c) Da der Kaufvertrag zwischen Harry Hasler und Hugo Stoff
AG noch nicht gültig abgeschlossen wurde, kann letztere d
die Annahme des Geldes verweigern, ohne in
Gläubigerverzug zu fallen; Θ
d) Die Freundin ist Solidarschuldnerin mit Harry Hasler für
die Bezahlung des Benzins. % 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

9. Harry Hasler (aus Teilaufgabe 8) will den Ferrari zurückbringen. In der Tiefgarage touchiert er dabei einen
Betonpfeiler. Welche rechtlichen Folgen ergeben sich aus dem Schaden?

a) Harry Hasler muss den Schaden aufgrund einer a


vertraglichen Schadenersatzhaftung ersetzen;
b) Harry Haslers Bekannter, der Eigentümer des Ferraris, b
kann Wandelung aus Sachgewährleistung verlangen;
c
c) Da die Tiefgarage bereits wieder dem Gewaltbereich des
Bekannten zuzurechnen ist, liegen Nutzen und Gefahr d
wieder bei diesem;
d) Wer den Schaden tragen muss, entscheidet sich anhand Θ
der Schadenshöhe.
% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

10. Gabrielle möchte sich von ihrem Ehemann Carlos Solis scheiden lassen. Sie bestellt den Rechtsanwalt Jesse
Metcalfe zu sich nach Hause und erläutert ihm, dass – was auch immer es koste – sie in einem halben Jahr
geschieden sein müsse. Jesse Metcalfe übernimmt den Fall, warnt aber, dass es schwierig werde, Carlos zu
einer Lösung zu bewegen. Welche Aussage ist korrekt?

a) Zwischen Gabrielle Solis und Jesse Metcalfe wurde ein a


Auftragsverhältnis begründet;
b) Zwischen Gabrielle Solis und Jesse Metcalfe wurde ein b
Werkvertrag begründet, da die erfolgreiche Scheidung
geschuldet ist; c

c) Es handelt sich um einen Vertrag zulasten Dritter, in casu d


Carlos Solis;
d) Es handelt sich um einen sittenwidrigen Vertrag, da ein Θ
Eingriff in den höchstpersönlichen Bereich Dritter
versprochen wurde. % 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2009 ­ Lösungshinweise

Aufgabe E: Fragen zum OR – Gesellschaftsrecht (20 Pkt.)

1. Bei welcher der nachfolgenden Konstellationen liegt ein partiarisches Rechtsgeschäft vor?

a) Bei einer einfachen Gesellschaft; a


b) Bei einer stillen Gesellschaft;
b
c) Bei einer Festhypothek;
d) Bei einem Auftrag mit Gewinnbeteiligung des c
Auftragnehmers.
d

% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

2. Wer haftet im Aussenverhältnis für die Schulden einer stillen Gesellschaft?

a) Jeder Gesellschafter, primär und unbeschränkt; a


b) Jeder Gesellschafter, subsidiär und solidarisch;
b
c) Nur der stille Gesellschafter;
d) Jeder Gesellschafter mit Ausnahme des stillen c
Gesellschafters.
d

% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

3. Was ist der Unterschied zwischen Kommanditsumme und Kommanditeinlage?

a) Kein Unterschied, die Begriffe kann man synonym a


verwenden;
b) Kommanditsumme betrifft das Innenverhältnis, b
Kommanditeinlage betrifft das Aussenverhältnis;
c
c) Kommanditeinlage betrifft das Innenverhältnis,
Kommanditsumme betrifft das Aussenverhältnis; d
d) Mit der Kommanditeinlage haftet man primär, mit der
Kommanditsumme subsidiär. Θ

% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2009 ­ Lösungshinweise

4. Welche Gesellschafter können nur natürliche Personen sein?

a) Gesellschafter der einfachen Gesellschaft; a


b) Gesellschafter der Aktiengesellschaft;
b
c) Gesellschafter der Kollektivgesellschaft;
d) Gesellschafter der Kommanditgesellschaft. c

% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

5. Für welche Gesellschafter ist die Haftung von Gesetzes wegen unbeschränkt?

a) Für die Kommanditäre einer Kommanditgesellschaft; a


b) Für die Gesellschafter einer GmbH;
b
c) Für die Gesellschafter einer Aktiengesellschaft;
d) Für die Komplementäre einer Kommanditgesellschaft. c

% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

6. Welches Recht hat ein Aktionär nicht?

a) Das Recht zum Bezug neuer Aktien bei einer a


Kapitalerhöhung;
b) Das Einsichtsrecht in die Geschäftsunterlagen der b
Gesellschaft;
c
c) Das Recht, eine Anfechtungsklage gegen gesetzwidrige
Verwaltungsratsbeschlüsse zu erheben; d
d) Das Recht auf Dividende.
Θ

% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

Der Aktionär hat ein Einsichtsrecht, welches aber beschränkt werden kann. Und er hat ein Recht zur
Anfechtung von gesetzes- oder statutenwidrigen Generalversammlungsbeschlüssen. Hingegen hat er kein
Recht zur Anfechtung von gesetzes- oder statutenwidrigen Beschlüssen des Verwaltungsrates. Etwas
anderes gilt für nichtige Verwaltungsratsbeschlüsse (OR 714), bei deren Vorliegen er eine gerichtliche
Feststellungsklage ergreifen kann.

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2009 ­ Lösungshinweise

7. Welche Gesellschafter unterstehen einer Treuepflicht?

a) Die Gesellschafter einer Aktiengesellschaft; a


b) Die Gesellschafter einer Aktiengesellschaft, soweit die
Statuten eine Treuepflicht vorsehen; b

c) Die Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter


c
Haftung;
d) Jene Gesellschafter einer Aktiengesellschaft, welche d
Vorzugsaktien besitzen.
Θ

% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

8. Welche Aussage zur Vinkulierung trifft zu?

a) Bei Namenaktien gibt es Konstellationen, bei denen von a


Gesetzes wegen eine Vinkulierung gilt;
b) Bei Inhaberaktien gibt es die Möglichkeit einer b
statutarischen Vinkulierung;
c
c) Nur Inhaberaktien können vinkuliert werden;
d) Inhaber- und Namenaktien können vinkuliert werden. d

% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

9. Was ist eine Stiftung?

a) Eine Gesellschaft; a
b) Eine Körperschaft;
b
c) Eine Anstalt;
d) Eine vertragsmässige Verbindung von mindestens zwei c
Personen.
d

% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2009 ­ Lösungshinweise

10. Welche Wirkung hat das Handelsregister?

a) Negative Publizitätswirkung; a
b) Reglementarische Publizitätswirkung;
b
c) Konstitutive Glaubenswirkung;
d) Statutarische Vermutungswirkung. c

% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

Bis auf die Option a handelt es sich um Phantasiebezeichnungen.

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2009 ­ Lösungshinweise

Fall F: Branchenverzeichnis ai Funghi (40 Pkt.)


Das Ehepaar Lecker führt ein italienisches Restaurant. Die Ehefrau, Soganz Lecker, ursprünglich aus Sizi-
lien, übernimmt die Küche, der Ehemann, Choge Lecker, den Service. Das Restaurant läuft sehr gut und
die ganze Familie hilft tatkräftig, ohne formelle Anstellung mit.

Soganz Lecker bestellte beim Gastro-Ausstatter Grosse Küche AG neue Spaghetti-Teller. Diese wurden
speziell in der Form des Familienwappens der Leckers geformt und bemalt. Kurze Zeit nach der Lie-
ferung werden viele Kunden krank. Soganz Lecker vermutet, dass die für die Bemalung verwendete Farbe
daran Schuld ist.

1. Wie und unter welchen Voraussetzungen können Leckers den Gastro- Ausstatter in die Pflicht
nehmen? (12 Pkt.)
Die Teller wurden von der Grosse Küche AG speziell für die Leckers hergestellt,
nicht etwa „nur“ mit dem Wappen bedruckt. Es handelt sich deshalb unzweifel-
haft um einen Werkvertrag nach OR 363ff. Ein Kaufvertrag könnte nur angenom-
men werden, falls die individualisierte Leistung der standardisierten nachstehen
würde (untergeordnete Nebenpflichten, s. Scriptum S. 136).
Leckers wollen die Teller sicher die Teller loswerden und den bezahlten Preis
zurückerhalten. Zu Prüfen ist deshalb werkvertragliches Gewährleistungsrecht (OR
368). Dieses ist ähnlich, nicht aber identisch mit den kaufrechtlichen Gewährleis-
tungsansprüchen nach OR 197ff.
Um Ansprüche geltend zu machen, muss das Werk mangelhaft sein. Dies ist es,
wenn vereinbarte oder vorausgesetzte Eigenschaften fehlen. Eine Toxizität der für
Geschirr verwendeten Farbe, bzw. das Fehlen der gesundheitlichen Unbedenk-
lichkeit fällt unter diese Kategorie. Für den Anspruch aus Gewährleistung ist un-
erheblich, ob der Unternehmer davon wusste oder schuldhaft gehandelt hat.
Schliesslich ist anzunehmen, dass es sich für Leckers um einen versteckten Mangel
handelt, der nicht ohne weiteres ersichtlich ist.
Weiter ist Voraussetzung, dass das Werk abgeliefert wurde und Leckers ihren
Prüf­ und Rügeobliegenheiten nach OR 370.3 nachgekommen sind. Wie bereits fest-
gestellt, handelt es sich um einen versteckten Mangel, den Leckers bei Abliefe-
rung nicht feststellen konnten. Es ist aber wichtig, dass die Rüge jetzt, nach Ent-
deckung, ohne Verzug erfolgt. Ansonsten hätten sie ihre Ansprüche verwirkt.
Bei werkvertraglicher Gewährleistung wird nun nach Erheblichkeit des Mangels
unterschieden. Falls der festgestellte Mangel erheblich ist, kann der Besteller
Wandlung erklären (OR 368.1); damit würde der Vertrag rückabgewickelt. Ist der
Mangel dagegen minder erheblich, kann der Besteller auch Minderung erklären.
Nur wenn es nicht mit übermässigen Kosten verbunden ist, kann er auch eine
unentgeltliche Nachbesserung verlangen (OR 368.2). Ohne grosse Ausführungen im
Sachverhalt muss davon ausgegangen werden, dass der Mangel die Einsatztaug-
lichkeit des bestellten Geschirrs aufhebt, also durchaus erheblich ist.
Weitergehende Ersatzansprüche können Leckers geltend machen, falls die Grosse
Küche AG schuldhaft gehandelt, also fahrlässig oder vorsätzlich die Toxizität ver-
ursacht hat (ebenfalls OR 368). Hingegen ist es für Leckers nicht vielverspre-
chend, aufgrund unerlaubter Handlung (OR 41) vorzugehen und „Körperverlet-
zung“ geltend zu machen. Körperlich geschädigt sind nicht Leckers, sondern

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2009 ­ Lösungshinweise

deren Kunden. Ausserdem bietet sich die Gewährleistung aufgrund der


einfacheren Voraussetzungen an.
Bereits mehrmals rief um die Mittagszeit – das Restaurant war jeweils randvoll – Hugo Listig von der
Abzock-Werber AG an und wollte Leckers Eintrag in einem Branchenverzeichnis prüfen. Choge Lecker
machte jeweils deutlich, dass er weder einen solchen Eintrag wünsche noch Werbung buchen wolle.
Letzte Woche, es waren gerade noch Schulferien, half der fünfzehnjährige Sohn im Service aus, als ihn
der erneute Anruf von Hugo Listig erreichte. Er wusste nichts von der Vorgeschichte und dachte sich
auch nichts dabei, einen einfachen, anscheinend bestehenden Eintrag zu korrigieren; zumal ihm Hugo
Listig am Telefon versicherte, dass das kostenlos sei. Die Vorlage „Korrektur/Eintrag Branchen-
verzeichnis“ kam per Fax. Tatsächlich hatte sich in der Postadresse ein kleiner Fehler eingeschlichen!
Der Sohn unterschrieb die Korrektur und faxte sie zurück.

Heute trifft bei Leckers überraschend eine Rechnung über CHF 8400 für einen zweijährigen Eintrag im
Branchenverzeichnis der Abzock-Werber AG ein. Choge Lecker ist entrüstet und reklamiert telefonisch bei
Hugo Listig. Dieser wimmelt ab und meint, schliesslich habe er einen unterschriebenen Vertrag, der die-
sen Betrag explizit nenne. Die Korrektur sei wohl kostenlos gewesen, nicht aber die Eintragung für zwei
Jahre! Leckers sollten zahlen, sonst müsse er wohl oder übel ein Inkasso-Büro beauftragen. Tatsächlich
enthielt der Fax 28 Zeilen „Kleingedrucktes“, worin u.a. eine Monatsgebühr von CHF 350 und eine
zweijährige Mindestlaufzeit genannt werden.

2. Geben Sie drei Möglichkeiten an, wie sich die Leckers gegen den Anspruch der Abzock-Werber AG
erfolgreich wehren können. (9 Pkt.)
Hier gibt es eine Vielzahl möglicher Antworten, die alle bewertet wurden, inso-
fern eine Antwort auf die Frage gegeben wurde.
Beispiel 1: Stellvertretung
Um das Restaurant gültig vertreten zu können, muss der Sohn urteilsfähig sein, in
fremdem Namen handeln, vertretungsbefugt sein und der Vertrag muss vertretungs-
freundlich sein (OR 32). Die Urteilsfähigkeit ist bei einem 15jährigen zu bejahen.
Der Sohn handelte im Namen des Restaurants und auf dessen Rechnung. Das ab-
geschlossene Geschäft gilt ausserdem als vertretungsfreundlich. Nicht gegeben ist
hingegen die Vertretungsbefugnis. Eine Vollmacht wurde nicht erteilt und kann auf-
grund der Umstände auch nicht gutgläubig vermutet werden. Ohne nachträgliche
Genehmigung nach Art. 38 OR sind Leckers nicht gebunden.
Beispiel 2: Täuschung
Die Familie Lecker kann sich auch unter Berufung auf eine absichtliche Täuschung
(OR 28.1) gegen die Ansprüche wehren. Dazu müssen eine Täuschungshandlung,
ein kausal bewirkter, beliebiger Irrtum sowie eine Täuschungsabsicht gegeben sein.
Hugo Listig täuscht den Sohn, indem er von einem kostenlosen Geschäft spricht.
Die Gestaltung der Vertragsvorlage unterstützt diese Täuschung. Dies verleitet den
Sohn dazu, den Fax zu unterschreiben und zurückzusenden. Listig handelt mit Ab-
sicht, will er seine "Kunden" doch gerade zum Abschluss des zweijährigen Ein-
trages verleiten. Somit sind alle Tatbestandsmerkmale erfüllt und der Vertrag ist
wegen absichtlicher Täuschung anfechtbar.
Beispiel 3: Ungültigkeit von AGB
Die 28 Zeilen "Kleingedrucktes" sind als Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)
aufzufassen. Der Sohn hatte Gelegenheit, diese zu lesen, hat sie aber nicht tat-
sächlich gelesen, womit eine sog. Globalübernahme vorliegt. Hierbei erlangen die
AGBs grundsätzlich Gültigkeit, sofern keine Sonderregel eingreift. Vorliegend ist

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2009 ­ Lösungshinweise

die von Lehre und Rechtsprechung basierend auf dem Vertrauensprinzip ent-
wickelte sog. Ungewöhnlichkeitsregel relevant. Klauseln, die ungewöhnlich, d.h.
überraschend oder geschäftsfremd sind, erlangen im Falle einer Globalübernahme
keine Geltung. I.c. muss es als ungewöhnlich gelten, wenn in Allgemeinen Ge-
schäftsbedingungen eine Monatsgebühr von 350 CHF und eine Mindestvertrags-
laufzeit von zwei Jahren festgelegt werden. Die betreffenden Bestimmungen
erlangen somit keine Gültigkeit.
Häufiger genannt, aber nicht gewertet werden konnten Ausführungen, wieso sich
Leckers nicht wehren könnten oder sollten. Auch Ausführungen zu Haustürge-
schäften (OR 40a) konnten nicht gewertet werden, da es sich zweifelsohne nicht
um einen „familiären oder persönlichen Gebrauch“ handelt; diese Konsumenten-
schutzvorschrift kommt bei Firmen nicht zur Anwendung. Allgemeine Ausfüh-
rungen zu Treu und Glauben sowie Culpa in Contrahendo konnten ebenfalls
nicht gewertet werden.
Während Sie für Ihren Mandanten tätig sind, meldet sich die GanzKorrekt Inkasso GmbH & Co KG bei den
Leckers. Sie verlangt die Begleichung der Rechnung sowie CHF 1500 für die Inkasso-Kosten.

3. Unter welchen Bedingungen kann die GanzKorrekt Inkasso die vermeintliche Schuld von Leckers bei
der Abzock-Werber AG eintreiben? (4 Pkt.)
Offensichtlich wird eine Leistung aus Vertrag verlangt. Ein solcher gilt nur inter par-
tes, also zwischen den Vertragsparteien. Ohne weiteres kann die GanzKorrekt
Inkasso – sie ist nicht Partei des (vermeintlichen) Vertrages zwischen Leckers
und Abzock-Werber AG – also keinen Anspruch geltend machen.
Um solch eine „fremde“ Forderung einzutreiben gibt es rechtlich zwei Möglich-
keiten. Erstens kann die Forderung mittels einer Zession (OR 164 ff.) abgetreten
werden. Damit würde das Inkassounternehmen an die Stelle des ursprünglichen
Gläubigers treten. Voraussetzung ist, dass nicht Gesetz, Vereinbarung oder die Na-
tur des Rechtsverhältnisses entgegenstehen. Hier handelt es sich um eine einfache
Geldschuld, die regelmässig zediert wird. Zu beachten ist aber die gesetzliche
Formvorschrift (OR 165).
Weiter ist es möglich, dass die Abzock-Werber AG die GanzKorrekt Inkasso
beauftragt (OR 394 ff.) bzw. die GanzKorrekt Inkasso in Vertretung der Abzock-
Werber AG (OR 32 ff.) die Forderung eintreibt. Dazu ist es allerdings notwendig,
im Namen und auf Rechnung des Vertretenen zu handeln.

4. Angenommen, es stellt sich später heraus, dass die Schuld der Leckers gar nicht besteht.
GanzKorrekt Inkasso will von den Leckers aber die eigenen Aufwändungen bezahlt haben, weil ihr
letztere nicht mitgeteilt haben, dass sie die Schuld bestreiten. Müssen diese die Arbeit der
GanzKorrekt Inkasso bezahlen? Wieso bzw. wieso nicht? (5 Pkt.)
Diese Forderung der GanzKorrekt Inkasso braucht einen Rechtsgrund, um durch-
setzbar zu sein. Vertragliche Ansprüche könnten sich aus dem Ursprungsvertrag
oder einem eigenen Vertrag zwischen Leckers und dem Inkassounternehmen ab-
leiten. Dem Sachverhalt lässt sich nicht entnehmen, dass der Ursprungsvertrag
überhaupt eine entsprechende Pflicht der Leckers enthielt – geschweige denn
eine, die bei Aufhebung des Vertrags bestehen bliebe. Bliebe zu prüfen, ob ein
eigener Vertrag entstanden ist. Dies kann nur der Fall sein, wenn übereinstim-
mende Willenserklärungen mit Bindungsabsicht ausgetauscht wurden. Dies ist

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2009 ­ Lösungshinweise

nicht der Fall; insbesondere kann aus der Aufforderung des Unternehmens keine
Pflicht zur expliziten Ablehnung oder unverzüglichen Meldung gelesen werden. Auch
ein konkludenter Akzept bleibt ausgeschlossen.
Mangels vertraglicher Grundlage wären andere Entstehungsgründe für Obligationen
zu prüfen:
Eine unerlaubte Handlung fällt mangels rechtswidriger Handlung der Leckers ausser
Betracht;
Eine ungerechtfertigte Bereicherung der Leckers liegt nicht vor;
Andere Entstehungsgründe sind aus dem Sachverhalt ebenfalls nicht ersichtlich.
Es kann deshalb festgestellt werden, dass es keine Rechtsgrundlage für die For-
derung der GanzKorrekt Inkasso gibt. Leckers müssen deshalb nicht zahlen.

5. Choge Lecker fürchtet, dass die Rechnung noch viel weiter steigen kann und möchte erstmal be-
zahlen, um Ruhe zu haben. Er meint, man könne das Geld ja dann später wieder zurückholen. Was
empfehlen Sie ihm? Wieso? (6 Pkt.)
Die Empfehlung muss lauten, nicht zu zahlen.
Nicht nur explizite Willensäusserungen, sondern auch konkludente Handlungen
können Rechtsverhältnisse schaffen, also bspw. einen Vertrag begründen (OR 1).
Durch die (kommentarlose) Bezahlung der Forderung akzeptieren Leckers diese
und „genehmigen“ so den Vertrag mit den Bedingungen, die ihnen bekannt sind.
Eine Anfechtung der Vertragsentstehung wird damit faktisch unmöglich.
Auch wenn Leckers den Betrag mit ausdrücklichem Hinweis auf die Nicht-Aner-
kennung des Vertrags leisten, versetzen Sie sich in eine nachteiligere Position.
Dies, weil die Beweislast im Konfliktfall bei der Partei liegt, die etwas fordert
(ZGB 8). Im Gegensatz zur Situation vor der Zahlung träfe die Beweislast dann
Leckers.
Die Sache zieht sich in die Länge und jede Seite beharrt auf ihrer Position. Unerwartet wird da ein
dickes Buch an das Ehepaar Lecker geliefert – zusammen mit einer Rechnung über CHF 850. Es handelt
sich um besagtes Branchenverzeichnis! Choge Lecker ist sich diesmal aber sicher, dass von einer Bestel-
lung nichts in dem Fax stand. Nach Rücksprache mit seiner Frau ruft Herr Lecker eine Woche später
Hugo Listig an. Am Telefon meint dieser, dass es doch logisch sei, dass er mit einem Eintrag auch das
Verzeichnis selbst bestellt habe! Ausserdem sei es jetzt sowieso zu spät, weil die Leckers das Verzeichnis
ja angenommen und nicht sofort reklamiert hätten.

6. Müssen Leckers das Buch bezahlen? Wieso bzw. wieso nicht? (4 Pkt.)
Nein, Leckers müssen auch das Buch nicht bezahlen. Die Forderung eines
Kaufpreises bedarf einer Rechtsgrundlage.
Zu prüfen ist, ob eine solche durch den (bestrittenen) Ursprungsvertrag zustande-
gekommen ist. Hugo Listig bringt vor, dass es „logisch“ sei, dass Leckers auch ein
Exemplar bestellt haben. Tatsächlich steht dies aber nicht im Wortlaut des ausge-
tauschten Faxes. Um im Ursprungsvertrag inkludiert zu sein, müsste die Bestel-
lung in den gegenseitigen Willenserklärungen enthalten sein. Es lässt materiell nicht
ernsthaft argumentieren, dass das Buch als Nebenpunkt (OR 2) gelte, der keiner
Einigung bedarf. Auch eine Usanz, eine Bestellung (statt Belegexemplar) zu ver-
knüpfen, wäre angesichts der Betragsrelationen nicht anzunehmen. Selbst wenn

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2009 ­ Lösungshinweise

der Ursprungsvertrag gültig wäre, würde der Konsens also die Bestellung nicht
umfassen.
Hugo Listig führt weiter an, durch die Annahme der Lieferung bzw. die nicht um-
gehend erfolgte Reklamation sei es „zu spät“. Er könnte damit meinen, durch die
Annahme sei ein neuer, eigener Vertrag über die Lieferung des Buchs zustandege-
kommen. Tatsächlich kann ein Vertrag durch stillschweigende Annahme einer Of-
ferte (OR 6) geschlossen werden. Dazu bedarf es einer besonderen Natur des Ge-
schäfts oder besonderer Umstände. Diese sind hier jedoch nicht ersichtlich, insbe-
sondere besteht offensichtlich kein länger dauerndes Geschäftsverhältnis.
Selbst wenn man von einem stillschweigenden Akzept ausginge, könnte der Ver-
trag jedoch innert angemessener Frist abgelehnt werden. Aufgrund der Natur der
„bestellten“ Sache und der zugrundeliegenden Terminfreiheit scheint eine Wo-
che – mit Rücksprache zur Absicherung der Nicht-Bestellung – als durchaus ange-
messen. Aus dem Verhalten der Leckers ist also kein Vertrag entstanden.

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2009 ­ Lösungshinweise

Fall G: Wie gewonnen, so zerronnen...


Katja Hürzeler und Manuel Wolf sind Aktionäre der TAR Finanz AG. Diese hat in den letzten Jahren jeweils
erfolgreich gewirtschaftet, und die Aktionäre interessierten sich deshalb nicht wirklich für interne De-
tails. Im vergangenen Jahr hat sich die TAR Finanz AG aber massiv verspekuliert. Sie erlitt deswegen
grosse Verluste, welche zu einer dünnen Eigenkapitaldecke und grossen Liquiditätsengpässen führten.
Der Verwaltungsrat der TAR Finanz AG möchte aufgrund dieser Entwicklungen das Eigenkapital auf-
stocken. Und er findet tatsächlich einen ausländischen Investor, der sich gerne mit 20% am Aktienkapital
der Gesellschaft beteiligen möchte.

1. Ist es möglich, den ausländischen Investor rasch an der TAR Finanz AG als neuen Aktionär zu
beteiligen? Wie ist vorzugehen? (10 Pkt.)
Es gibt drei Varianten, den Investor im Rahmen einer Kapitalerhöhung an der AG
zu beteiligen. Jede Variante wurde als korrekt gewertet, nicht aber die Ver-
mengung verschiedener Varianten.
Variante 1: ordentliche Kapitalerhöhung (OR 650)
Für eine ordentliche Kapitalerhöhung bedarf es eines Beschlusses der Generalver-
sammlung, der öffentlich beurkundet wird.
Das Bezugsrecht der Altaktionäre muss in diesem Beschluss aufgehoben werden
(OR 652b). Dies ist möglich, wenn ein sachlicher/wichtiger Grund vorliegt und die
Altaktionäre gleich behandelt werden. Vorliegend stellt sich also die Frage, ob ein
genügender Grund vorliegt, denn auch bei Zeichnung der neuen Aktien durch die
Altaktionäre wird der TAR Finanz AG das neue Kapital zugeführt. Zwei Aspekte
sprechen aber für die Zulässigkeit des Bezugsrechtsausschlusses: Erstens der Fak-
tor Gewissheit. Beim ausländischen Investor ist schon im Zeitpunkt des Beschlus-
ses sicher, dass er neue Aktien zeichnet, bei den Altaktionären dagegen nicht; das
Bezugsrecht beinhaltet ja keine Pflicht zur Zeichnung neuer Aktien. Und zweitens
der Faktor Zeit, denn bei Zeichnung der neuen Aktien durch den Investor lässt
sich das Verfahren der Kapitalerhöhung wesentlich beschleunigen. Der Aspekt
der Gleichbehandlung wäre dann näher zu prüfen, wenn der Investor schon bisher
Aktionär der TAR Finanz AG war. Der Beschluss der Generalversammlung muss
mit einem qualifizierten Mehr gefällt werden (OR 704.1.6).
Nach dem Beschluss der Generalversammlung liegt es am Verwaltungsrat, die
Zeichnung der neuen Aktien zu organisieren (OR 652). Das Resultat fasst er in
einem Kapitalerhöhungsbericht (OR 652e) zusammen, welcher durch einen Revisor
geprüft wird (OR 652f).
Schliesslich beschliesst der Verwaltungsrat eine Statutenänderung (OR 652g) und
lässt die Kapitalerhöhung im Handelsregister eintragen (OR 652h).
Variante 2: genehmigte Kapitalerhöhung (OR 651)
Statt die Kapitalerhöhung selbst zu beschliessen, kann die Generalversammlung
den Verwaltungsrat in den Statuten dazu ermächtigen. Dazu ist ebenfalls ein Be-
schluss mit qualifiziertem Mehr (OR 704.1.4) und eine öffentliche Beurkundung (OR
647) notwendig. Die Statuten werden vom Verwaltungsrat dann jeweils aktuell
gehalten (OR 651a).
Zum Ausschluss des Bezugsrechts der Altaktionäre sowie dem weiteren
Verfahren gilt das oben gesagte.
Variante 3: bedingte Kapitalerhöhung (OR 653)
Eine bedingte Kapitalerhöhung ist von der GV mittels qualifiziertem Mehr (OR
704.1.4) zu beschliessen und öffentlich zu beurkunden (OR 647). Bei einer beding-

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2009 ­ Lösungshinweise

ten Kapitalerhöhung werden Gläubigern von neuen Anleigensobligationen (oder


Arbeitnehmern) Rechte auf den Bezug neuer Aktien (Wandel- oder Options-
rechte) eingeräumt (OR 653). Neben dem Ausschluss des Bezugsrechts ist zudem
das Vorwegzeichnungsrecht aufzuheben (OR 653c), wozu ebenfalls ein qualifiziertes
Mehr notwendig ist (OR 704.1.6) (im Weiteren zum Ausschluss, siehe oben). Die
Wandel- oder Optionsberechtigten werden durch das Gesetz geschützt (OR
653d).
Die Ausübung der Rechte muss schriftlich erfolgen (OR 653e), worauf eine Prüfung
der Kapitalerhöhung erfolgen muss (OR 653f), bevor der Verwaltungsrat die
Statuten entsprechend anpasst (OR 653g) und im Handelsregister eintragen lässt
(OR 653h).
Werden die Rechte nicht ausgeübt, stellt der Verwaltungsrat dies nach Prüfung
entsprechend fest und streicht die Statutenbestimmung (OR 653i).
Eine Vinkulierung ist in diesem Zusammenhang nicht zu prüfen, weil es sich um
originären Erwerb von Aktien handelt. Als Vinkulierung bezeichnet man eine Be-
schränkung der Übertragbarkeit von Aktien, die hier aber nicht zur Diskussion
steht.
Katja Hürzeler und Manuel Wolf sind ob der negativen finanziellen Entwicklung der TAR Finanz AG er-
zürnt. Sie haben auch den Verdacht, es sei etwas nicht in Ordnung – und zwar seit Jahren! Doch der
Präsident und Delegierte des Verwaltungsrats, Pierre Ricci, wimmelt ihre telefonischen Fragen ab.

2. Welche Möglichkeiten haben Katja Hürzeler und Manuel Wolf, um ihren Verdacht zu klären? Wie
müssen sie vorgehen? (15 Pkt.)
Als Aktionäre stehen den beiden Informationsrechte zu. So haben sie das Recht auf
Einsicht in den Geschäftsbericht und den Revisionsbericht (OR 696), die ihnen auf
Verlangen unverzüglich zugestellt werden müssen. Falls die Gesellschaft nur einer
eingeschränkten Revision untersteht, können Aktionäre von mind. 10% eine
ordentliche Revision verlangen (OR 727.2).
An der Generalversammlung haben sie als Aktionäre ein Auskunftsrecht über die
Angelegenheiten der Gesellschaft und zudem das Recht auf Einsicht in Geschäftsbü-
cher und Korrespondenz. Mangels Treuepflicht eines Aktionärs, sind diese Rechte
jedoch stark beschränkt (OR 697).
Haben Katja Hürzeler und Manuel Wolf ihr Auskunfts- und Einsichtsrecht wahrge-
nommen und benötigen sie zur Ausübung ihrer Rechte vertiefte Abklärungen, kön-
nen sie eine Sonderprüfung (OR 697a) verlangen. Die Prüfung wird dann von der
Generalversammlung (OR 697a) oder – bei Glaubhaftmachung einer Gesetzesver-
letzung sowie einer Schädigung von Gesellschaft oder Aktionären durch eine
Aktionärsminderheit – vom Richter angeordnet (OR 697b).
Schliesslich besteht unter Umständen auch die Möglichkeit, den Sachverhalt im
Rahmen eines Verantwortlichkeitsprozesses gegen den Verwaltungsrat und/oder
gegen die Revisionsstelle zu klären (OR 754/755).
Schliesslich erfahren die Aktionäre Katja Hürzeler und Manuel Wolf, dass die Gesellschaft seit Jahren
dubiose Geschäfte getätigt hat, aus denen der TAR Finanz AG Verluste in Höhe von CHF 1 Mio. entstan-
den und welche überdies gegen das Geldwäschereigesetz verstiessen, weshalb die TAR Finanz AG von
den Aufsichtsbehörden zur Zahlung einer Geldbusse von CHF 200'000 verpflichtet worden war. Die
Geschäfte wurden jeweils von Pierre Ricci abgeschlossen. Die beiden weiteren Verwaltungsratsmitglieder
der TAR Finanz AG, Rolf Blumer und Gerd Böckers, hatten davon Kenntnis. Sie haben die Angelegenheit
auch einmal an einer Verwaltungsratssitzung kurz zur Sprache gebracht und Pierre Ricci gebeten, er solle

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Prüfung Recht 1A – Frühjahr 2009 ­ Lösungshinweise

dies doch in Zukunft nicht mehr tun. Pierre Ricci hat ihnen darauf zu verstehen gegeben, sie sollten sich
bitte aus dieser Angelegenheit heraushalten, ansonsten er schon dafür sorgen werde, dass sie an der
nächsten Generalversammlung abgewählt würden. Und so liessen die eingeschüchterten Verwaltungsräte
Blumer und Böckers zu, dass Pierre Ricci auch weiterhin die gesetzwidrigen Geschäfte tätigte.

3. Können Katja Hürzeler und Manuel Wolf einen Anspruch gegen Pierre Ricci, Rolf Blumer und Gerd
Böckers geltend machen? Mit welcher Begründung? Wie müssen Sie vorgehen? (15 Pkt.)
Ja, sowohl gegen Pierre Ricci als aktiv Handelnden wie auch gegen Rolf Blumer und
Gerd Böckers kann ein Anspruch geltend gemacht werden. In Frage steht ein An-
spruch aus Verantwortlichkeit für Verwaltung und Geschäftsführung (OR 754). Dazu
muss durch die schuldhafte Verletzung einer spezifisch aktienrechtlichen oder
sonstigen Pflicht, der Gesellschaft kausal ein Schaden entstanden sein.
Pierre Ricci verstösst in seiner Geschäftsführungstätigkeit gegen das Geldwäsche-
reigesetz und begeht damit eine Pflichtverletzung. Eine strafbare Handlung stellt
zudem eine Verletzung der aktienrechtlichen Treuepflicht (OR 717) dar. Die beiden
anderen Mitglieder verstossen gegen ihre Pflicht zur Oberaufsicht über die Ge-
schäftsführung, welche eine unübertragbare Aufgabe des Verwaltungsrats ist (OR
716a.5). Allen dreien ist der Sachverhalt bekannt, die Gesetzesverletzung und de-
ren Duldung erfolgt vorsätzlich und damit schuldhaft. Der Gesellschaft ist bereits
ein Schaden von mindestens CHF 1.2 Mio., wahrscheinlich mehr, entstanden.
Durch die Fortführung der illegalen Tätigkeit ist zudem mit noch höheren Bussen
zu rechnen. Zwischen den Pflichtverletzungen und dem entstandenen Schaden
besteht eine natürlicher Kausalzusammenhang, und dieser ist auch adäquat kausal.
Die Voraussetzungen für eine Haftung nach OR 754 sind damit bei allen drei
Verwaltungsräten gegeben.
Aktionäre sind in einem Verantwortlichkeitsprozess ausserhalb des Konkurses ohne
Weiteres zur Klage legitimiert (aktivlegitimiert, OR 756) und können direkt gegen
die Mitglieder des Verwaltungsrats (als Passivlegitimierte) klagen; die Klage lautet auf
Leistung an die Gesellschaft (OR 756). Die Verwaltungsräte haften solidarisch für
den der Gesellschaft entstandenen Schaden (OR 759). Klageort ist der Sitz der
Gesellschaft (GStG 29).
Einige Prüfungsantworten gingen davon aus, die Gesellschaft stehe im Konkurs.
Davon ist im Sachverhalt jedoch nicht die Rede, weswegen entsprechende Aus-
führungen nicht gewertet werden konnten. Ein Vorgehen gegen Pierre Ricci oder
die anderen Verwaltungsräte nach OR 41 ist deswegen nicht erfolgsverspre-
chend, weil der beschriebene Schaden unmittelbar der Gesellschaft und nur mittel-
bar den Aktionären entstanden ist; für diese Konstellation bietet OR 41 den
Aktionären keine Anspruchsgrundlage.

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222
223
9. Assessmentprüfung Privatrecht Herbstsemester 2009

224
LÖSUNGSHINWEISE
Recht I A

Assessment-Stufe
Frühjahr 2010

Lehrstuhl Prof. Roberto

225
Teil A: Kurzfragen (insgesamt 10 Punkte)
Aufgabe 1:

Welcher der aufgeführten Sachverhalte stellt keinen Rechtsmissbrauch dar? (2 Punkte)


 Errichtung einer turmhohen Mauer mit der einzigen Absicht, dem Nachbar Schatten zu
bescheren.
 Der Schuldner sichert dem Gläubiger zu, dass keine verjährungsunterbrechende Handlung
notwendig sei, da er die Schuld demnächst begleichen und sich nicht auf die Verjährung
berufen werde. Der Schuldner beruft sich anschliessend entgegen seinen früheren Äusse-
rungen auf die Verjährung.
 Ein erkrankter Mieter wird am Tag des Ablaufs der Miete ausgewiesen, obwohl der Ver-
mieter die Wohnung noch nicht sofort braucht.
 Der Verkauf eines alten Autos zu einem massiv überhöhten Preis.

Wo ist der Rechtsmissbrauch im Gesetz geregelt? (bitte präzise Angabe der Normbestim-
mung)

Art. 2 Abs. 2 ZGB

Aufgabe 2:

Moritz trifft Fritz an einer Party. Nach einem längeren Gespräch über Film und Musik bietet
Moritz dem Fritz seine CD's von Justin Timberlake zum Verkauf an. Dabei versprechen sich
beide und reden von Timberland. Welche der folgenden Aussagen trifft zu? (2 Punkte)
 Der Vertrag ist zustande gekommen über Timberland.
 Der Vertrag ist zustande gekommen über Timberlake.
 Der Vertrag ist schwebend unwirksam über Timberlake.
 Es ist kein Vertrag zustande gekommen.

Wo ist diese Problematik im Gesetz geregelt? (bitte präzise Angabe der Normbestimmung)

Art. 18 Abs. 1 OR

Aufgabe 3:

Über welche Produkte kann eine bald 16-jährige Gymnasiastin durch alleiniges Handeln einen
rechtsverbindlichen Vertrag abschliessen? (2 Punkte)
 Motorrad-Roller 50ccm
 Konzertticket
 Kaugummi-Packung
 Sprachaufenthalt im Ausland für 6 Monate

226
Unter welcher Voraussetzung können alle vier Verträge durch alleiniges Handeln Rechtsver-
bindlichkeit erlangen?

Antwort: Durch die Genehmigung der Eltern


oder:
Nach Art. 323 Abs. 1 ZGB auch dann, wenn das Kind Geld aus eigenem Erwerb ausgibt oder
Geld von den Eltern zur Ausübung eines Berufes oder eigenen Gewerbes bekommt.

Aufgabe 4:

Mathew bestellt in seiner Funktion als Angestellter des Lebensmittelladens MIGROOP


Früchte für den Laden. Auf dem Bestellformular kreuzt Mathew 250 kg Pfirsiche, anstatt 250
kg Aprikosen an. Welche der folgenden Aussagen trifft zu? (2 Punkte)
 Es liegt ein Erklärungsirrtum vor; es ist ein Vertrag über 250 kg Pfirsiche zustande ge-
kommen.
 Es liegt kein Erklärungsirrtum vor; es ist ein Vertrag über 250 kg Pfirsiche zustande ge-
kommen.
 Es liegt ein Erklärungsirrtum vor; es ist ein Vertrag über 250 kg Aprikosen zustande ge-
kommen.
 Es liegt kein Erklärungsirrtum vor; es ist ein Vertrag über 250 kg Aprikosen zustande ge-
kommen.

Wo ist diese Problematik im Gesetz geregelt? (bitte präzise Angabe der Normbestimmung)

Art. 24 Abs. 1 Ziff. 2 OR

Aufgabe 5:

Ugla, eine unattraktive Schauspiel-Studentin, möchte die Rolle einer gutaussehenden Darstel-
lerin übernehmen. Weil sie befürchtet, die Stelle wegen ihres Aussehens nicht zu erhalten,
überredet Ugla ihre Kommilitonin Bella, an das Casting zu gehen und den Vertrag für sie zu
unterschreiben. Wer hat sich verpflichtet? (2 Punkte)
 Ugla hat sich verpflichtet, weil der Produzent hätte erkennen müssen, dass Bella unter
fremdem Namen handelt.
 Bella hat sich verpflichtet, weil der Produzent nicht erkennen musste, dass sie unter frem-
dem Namen handelt. (BK-Zäch, Art. 32 N173)
 Bella hat sich verpflichtet, weil es dem Produzent gleichgültig war, mit wem er den Ver-
trag schliesst.
 Es ist kein Vertrag zustande gekommen.

227
Wo ist diese Problematik im Gesetz geregelt? (bitte präzise Angabe der Normbestimmung)

Art. 32 OR

228
Teil B: Kurzfälle (insgesamt 30 Punkte)
Aufgabe 6:

Peter Garten hat ein Abonnement der Zeitschrift RASENGRÜN, das er aufgrund mangelnder
Zufriedenheit kündigen möchte. Wann gilt sein Kündigungsschreiben rechtlich als zugestellt:
(6 Punkte)

a) falls Peter der Sekretärin des Verlags die Kündigung telefonisch mitteilt?
Antwort: Im Zeitpunkt, in dem die Sekretärin Kenntnis erhält oder sinngemäss wie z.B.
„sofort“

b) falls Peter einen uneingeschriebenen Brief an den Verlag abschickt?


Antwort: Im Zeitpunkt, in dem er in den Briefkasten des Adressaten gelegt wird.

c) falls Peter einen eingeschriebenen Brief an den Verlag abschickt, wobei der Pöstler den
Brief wegen eines Betriebsausflugs nicht direkt aushändigen kann und deshalb eine Abho-
lungseinladung in den Briefkasten wirft?
Antwort: Im Zeitpunkt, in dem der Empfänger den Brief abholt oder, wenn er ihn nicht ab-
holt, nach Ablauf der 7 tägigen Abholfrist.

Aufgabe 7:

Welche Bestimmungen kommen bei den folgenden Beispielen zum Zuge und welches sind in
Stichworten die Rechtsfolgen? (12 Punkte)

a) Claudia verpflichtet sich zum Verkauf eines bestimmten Grundstücks an Alfons, dessen
Eigentümer er bereits ist.
Antwort: Anfängliche objektive Unmöglichkeit (oder: "nichtig"), denn man kann nichts
kaufen, das einem schon gehört. Art. 19 und/oder Art. 20 OR.

b) Renato kauft von seinem Nachbarn Peter ein Auto, dessen Karosserie in der Nacht vor der
Übergabe wegen eines Sturms erhebliche Hagelschäden erleidet, weshalb Renato das
Fahrzeug nicht mehr will.
Antwort: Nachträglich unverschuldete Unmöglichkeit, doch weil die Gefahr bereits auf
den Käufer übergegangen ist, muss Renato den vollen Kaufpreis bezahlen (oder: "kann
nicht zurücktreten"). Art. 119 Abs. 3 i.V.m. Art. 185 Abs. 1 OR.

c) Isabelle lässt ihre Ferienwohnung durch den Handwerker Meister umbauen. Kurz vor Ab-
schluss der Arbeiten brennt das Chalet, in dem sich die Wohnung befindet, nachts auf-
grund eines Kurzschlusses in der zentralen Stromanlage im Keller nieder.
Antwort: Nachträglich unverschuldete Unmöglichkeit, doch Meister hat Anspruch auf
Vergütung der geleisteten Arbeit und der Auslagen. Art. 376 und/oder Art. 378 OR.

Aufgabe 8:

229
Marc beabsichtigt, beim Volvohändler V-Import-AG einen Volvo XC70 Kombi 2.4 D5
Summum AWD Modell 2010 Automat zu kaufen. Marc hat eine Offerte vom Händler, wo-
nach der Liefertermin in ca. 2-3 Monate ist. Im Übrigen werde das Auto mit vier Felgen und
Pneus und ohne Vollservice geliefert.

Welche Bestimmungen kommen bei den folgenden Fällen zum Zuge und welches sind in
Stichworten die Rechtsfolgen? (12 Punkte)
a) Marc ruft an und sagt: „Ich kaufe das Auto, falls es achtfach bereift ist und der erste Ser-
vice gratis ist“
Antwort: Es handelt sich dabei um einen neuen Antrag/Offerte. Der Vertrag ist mangels
übereinstimmender Willenserklärungen nicht zustande gekommen. Art. 1 und/oder Art. 3
und/oder Art. 5 OR.

b) Marc schreibt einen Brief und teilt mit: „Ich kaufe den XC60 zum angegebenen Preis und
den erwähnten Konditionen“ [Erläuterung: Der XC60 ist das etwas kleinere und günstigere
Modell]
Antwort: Nach Vertrauensprinzip muss der Verkäufer erkennen, dass sich Marc verschrie-
ben hat, weshalb der Vertrag über den Volvo XC70 zustande gekommen ist. Art. 18 Abs. 1
OR.

c) Es wird das Vorgängermodell Volvo XC70 Kombi 2.4 D5 Summum AWD Modell 2007
Automat geliefert.
Antwort: Aliudlieferung, d.h. die Lieferung der richtigen Kaufsache steht nach wie vor aus.
Art. 102 ff. OR

230
Teil C: Komplexer Fall (insgesamt 80 Punkte)
RENOVATION MIT TÜCKEN

Grundsachverhalt:

Silvio gibt der Generalunternehmung Konstruktion AG im Dezember 2008 den Auftrag, seine
Wohnung mit angebauten Büroräumlichkeiten nach den Plänen, die Architekt Brunner ange-
fertigt hatte, umzubauen. Es sollen ein Parkett verlegt, die Wände neu gestrichen und das Ba-
dezimmer renoviert werden. Die Konstruktion AG zieht für den Parkett die Firma Bodenleger
AG hinzu. Für die Zeit während der Renovation muss Silvio seine Wohnung grösstenteils
räumen. Er hat dazu mit der Storage AG eine Vereinbarung getroffen, dass sie ihm für CHF
500/Monat einen Raum überlässt, in dem er seine Möbel einstellen kann. Um seine Möbel vor
Diebstahl zu schützen, erwirbt er bei der Secura AG ein qualitativ hochwertiges Schloss. Er
selbst fährt während der Umbauzeit in die Ferien, da er sein Büro ohnehin nicht benutzen
könnte.

Im Sommer 2009 verformt sich das Parkett, weil Handwerker Kunz von der Firma Bodenle-
ger AG das Parkett nicht richtig verleimt hatte. Um dies zu beheben, muss Silvio für eine
Woche aus der Wohnung ausziehen und für CHF 200/Tag für Zimmer mit Halbpension im
Hotel Aurora wohnen; im übrigen erleidet er wegen der Unbenutzbarkeit des Büros einen
Ertragsausfall von CHF 4'000. Als Silvio mit Handwerker Kunz den verformten Parkett be-
sichtigt, beginnt Kunz aus nichtigem Grund einen Streit mit Silvio, welcher damit endet, dass
sich Silvio mit einem Nasenbeinbruch zu seinem Hausarzt in Behandlung begeben muss.

Aufgabe 9:

Welche Vertragsbeziehungen bestehen zwischen den Beteiligten und wo finden sich die an-
wendbaren Gesetzesbestimmungen? (12 Punkte)

Antwort:

Silvio und Konstruktion AG


- Werkvertrag
- Art. 363 ff. OR
Silvio und Storage AG
- Mietvertrag
- Art. 253 ff. OR
Silvio und Brunner
- Werkvertrag
- Art. 363 ff. OR
Silvio und Aurora
- Innominatvertrag/Gastaufnahmevertrag
- Art. 1 und 97 ff. OR, analog Art. 253 ff. OR
Silvio und Hausarzt
- Auftrag
- Art. 394 ff. OR

231
Silvio und Secura AG
- Kaufvertrag
- Art. 184 ff. OR
Konstruktion AG und Bodenleger AG
- Werkvertrag
- Art. 363 ff. OR
Bodenleger AG und Handwerker Kunz
- Arbeitsvertrag
- Art. 319 ff. OR

Aufgabe 10:

Welche vertraglichen Ansprüche kann Silvio wegen des Schadens am Parkett geltend ma-
chen? (Kurze Begründung genügt. Rückgriffsansprüche und ausservertragliche Ansprüche
sind nicht zu prüfen.) (12 Punkte)

Antwort:

- Vertragsverhältnis Silvio - Konstruktion AG ist massgebend: Werkvertrag (Art. 363 ff. OR)
- Es ist zu prüfen, ob eine Gewährleistungspflicht der Konstruktion AG vorliegt.
- Diese ergibt sich aus Art. 367 ff. OR, die folgendes voraussetzen:

- Werkmangel: Liegt vor, wenn Werk nach Verkehrsauffassung fehlerhaft ist oder von der
vertraglich geschuldeten Beschaffenheit abweicht (Art. 368 Abs. 1 und 2 OR).
- I.c. hat sich der Parkett aufgrund der schlechten Verleimung verformt. Es liegt ein Werk-
mangel vor.

Ablieferung des Werks: Der Unternehmer muss das Werk nach Fertigstellung abliefern. Vor
der Ablieferung haftet der Unternehmer nach Art. 97 OR. Die Ablieferung setzt die Vollen-
dung des Werks voraus.
- I.c. wurden die Arbeiten der Konstruktion AG abgeschlossen, das Werk gilt als vollendet.

- Prüf- und Rügeobliegenheit: Prüfung des Werks sobald es nach dem üblichen Geschäfts-
gang tunlich ist und den Unternehmer von den Mängeln sofort in Kenntnis setzen, ansonsten
die Mängelrechte verfallen.
- Beim vorliegenden Mangel handelt es sich um einen versteckten Mangel. Für Silvio war es
zur Zeit der Fertigstellung nicht erkennbar (auch bei ordnungsgemässer Prüfung nicht), dass
das Parkett nicht richtig verleimt worden war und sich aufgrund dessen verformte. Versteckte
Mängel sind sofort nach ihrer Entdeckung zu rügen (Art. 370 Abs. 3 OR).

- Verjährung: Tritt analog dem Kaufvertrag ein Jahr nach Ablieferung an den Käufer ein
(Art. 371 Abs. 1 i.V.m. Art. 210 Abs. 1 OR.
- I.c. ist seit Ablieferung noch kein Jahr vergangen, sondern erst wenige Wochen. Die Verjäh-
rung stellt somit kein Problem dar.

Rechtsfolgen
- Folgende Ansprüche stehen Silvio zu (Art. 368 OR):

232
1. Wandelung: Silvio kann die Annahme des Werks nicht verweigern resp. den Vertrag wan-
deln (Art. 368 Abs. 3 OR)..

2. Minderung: Silvio kann einen dem Minderwert entsprechenden Abzug am Werklohn ma-
chen (Art. 368 Abs. 2 OR) und bei Verschulden SE („Mangelfolgeschaden“ ) verlangen.

3. Nachbesserung: Silvio kann verlangen, dass der Unternehmer (i.c. die Konstruktion AG)
das Werk nachbessert (Art. 368 Abs. 2 OR). Dies immer unter der Voraussetzung, dass die
Nachbesserung für den Unternehmer keine übermässigen Kosten verursacht. Zusätzlich kann
er bei Verschulden SE („Mangelfolgeschaden“) verlangen. Bleibt trotz der Verbesserung ein
Minderwert vorhanden, bleibt insofern die Minderung bestehen.

- I.c. wäre Nachbesserung angebracht. Der Nutzen für Silvio ist wohl beträchtlich, weil er erst
dann seine Wohnung wieder ordnungsgemäss bewohnen kann. Zusätzlich kann Silvio die
Kosten, die ihm durch den Aufenthalt im Hotel entstanden sind, sowie den Erwerbsausfall
gegenüber der Konstruktion AG aufgrund von Art. 368 Abs. 2 OR als Mangelfolgeschaden
geltend machen.

Aufgabe 11:

Kann Silvio wegen des gebrochenen Nasenbeins vertragliche Ansprüche geltend machen?
Warum bzw. warum nicht? (Kurze Begründung genügt. Rückgriffsansprüche und ausserver-
tragliche Ansprüche sind nicht zu prüfen) (4 Punkte)

Antwort:

- Es handelt sich nicht um einen Werkmangel, sondern um die Verletzung einer vertraglichen
Nebenpflicht.
- Da jedoch nicht die Konstruktion AG direkt, sondern Handwerker Kunz gehandelt hat, ist
eine Zurechnung nach Art. 101 OR zu prüfen:

- Es muss die sog. hypothetische Vorwerfbarkeit vorliegen, d.h. das Verhalten der Hilfsper-
son muss dem Schuldner zum Verschulden gereichen, falls es sich um sein eigenes Verhalten
handeln würde.
- Art. 101 OR setzt sodann voraus, dass die Schädigung in Ausübung der Verrichtung ver-
ursacht wird bzw. in funktionellem Zusammenhang zur übertragenen Verrichtung steht.
- I.c. kann nicht von einer Schädigung in Ausübung der Verrichtung gesprochen werden, da
die schädigende Handlung nicht eine Nicht- oder Schlechterfüllung der Schuldpflicht darstellt
- die Konstruktion AG haftet daher nicht für das gebrochene Nasenbein.

233
Variante 1:

Silvio ist gelernter Bodenleger und möchte deshalb das Parkett selbst verlegen. Dazu erwirbt
er am 17. Oktober 2008 das Nussbaum-Parkett beim Parkett-Grossist Bauwerk AG. Im Okto-
ber 2009 bemerkt Silvio, dass sich der Parkett aufgrund eines Materialfehlers zu verfärben
beginnt. Erneut muss Silvio ins Hotel Aurora ziehen und seine Möbel in einem Raum der Sto-
rage AG unterbringen; überdies erleidet er einen Erwerbsausfall von CHF 4'000.

Aufgabe 12:

Welche vertraglichen Ansprüche kann Silvio gegenüber der Bauwerk AG geltend machen
(Rückgriffsansprüche und ausservertragliche Ansprüche sind nicht zu prüfen)? (18 Punkte)

Antwort:

- Vertragsverhältnis Silvio – Bauwerk AG massgebend: Kaufvertrag nach Art. 184 ff. OR


- Es ist zu prüfen, ob eine Gewährleistungspflicht der Bauwerk AG vorliegt. Diese ist in Art.
197 ff. OR geregelt und setzt folgendes voraus:

- Vorhandensein eines Sachmangels (Art. 197 OR):


- I.c. liegt durch die Verfärbung des Parketts ein Sachmangel vor, die den Wert des Parketts
mindestens erheblich mindert.

- Prüfungs- und Rügeobliegenheit (Art. 201 OR): Prüfung unmittelbar nach Empfang (nach
üblichem Geschäftsgang tunlich/je nach Branchenbezug) und Anzeigen etwaiger Mängel so-
fort nach Entdeckung. Unterlässt Silvio die Mängelrüge, gilt die Ware als genehmigt und er
verliert die Ansprüche (Art. 201 Abs. 2 OR).
- Vorliegend handelt es sich um einen versteckten Mangel.

- Verschuldensunabhängige Gewährleistung
- Nicht vorausgesetzt ist ein Verschulden des Verkäufers. Dieser haftet auch dann, wenn er
den Mangel nicht gekannt hat und wenn ihm diese Unkenntnis nicht als Fahrlässigkeit zur
Last gelegt werden kann (Art. 197 Abs. 2 OR).

- Verjährung von einem Jahr ab Ablieferung an den Kunden gem. Art. 210 Abs. 1 OR. Ob
die Verjährung eingetreten ist, ist unsicher.

Rechtsfolgen
- Silvio stehen folgende Möglichkeiten zur Auswahl (Art. 205 ff. OR):

1. Wandelung: Anspruch auf SE im Umfang des unmittelbaren Schadens (Art. 208 Abs. 2
OR) und, wenn die Exkulpation des Schuldners scheitert, auch des mittelbaren Schadens (Art.
208 Abs. 3 OR).
- I.c. kann Silvio verschuldensunabhängig die Kosten des Hotels und der Unterbringung der
Möbel als Schaden ersetzt verlangen (unmittelbarer Schaden). Da es sich bei der Bauwerk AG
um einen Grossisten handelt, dürfte ihn kein Verschulden bzgl. der Mängel treffen und ein
Ersatz des mittelbaren Schadens, d.h. des Erwerbsausfalls, entfallen.

2. Minderung nach Art. 205 Abs. 1 OR und SE nach Art. 97 OR:

3. Nachlieferung nach Art. 206 Abs. 1 OR, wenn es sich um eine Gattungssache handelt und
SE nach Art. 97 OR:

234
Bei Minderung und Nachlieferung scheitert der SE am fehlenden Verschulden des Grossisten.

Falls verjährt
- Im Falle der Verjährung ist zu prüfen, ob ggfs. Grundlagenirrtum nach Art. 24 Abs. 1 Ziff.
4 OR geltend gemacht werden kann:
- Der Grundlagenirrtum ist wesentlich, wenn die:

 subjektive Wesentlichkeit
 objektive Wesentlichkeit
 und Erkennbarkeit vorliegt.
Weder Silvio noch ein Dritter würde zu diesem Preis ein Parkett erwerben, das sich be-
reits nach einem Jahr verfärbt und dies ist für den Verkäufer auch erkennbar. Die Wesent-
lichkeit ist folglich zu bejahen und der Vertrag kann angefochten werden.

235
Variante 2:

Silvio vereinbart mit der Bauwerk AG, dass das gewünschte Nussbaum-Parkett am Mittwoch,
10. Dezember 2008, zwischen 08.00 und 10.00 Uhr geliefert wird. Aufgrund eines internen
Kommunikationsfehlers bei der Bauwerk AG geht der Liefertermin unter und das Parkett
wird am vereinbarten Datum nicht geliefert.

Aufgabe 13:

Wie ist die Rechtslage? (14 Punkte)

Antwort:
- Vertragsverhältnis Silvio – Bauwerk AG massgebend: Kaufvertrag nach Art. 184 ff. OR.
- Vertragsverletzung in Form eines Schuldnerverzugs nach Art. 102 ff. OR vorliegend.
- Schuldnerverzug meint die pflichtwidrige Nichtleistung trotz Fälligkeit und (grundsätzlich)
Mahnung durch den Gläubiger. Der Schuldnerverzug setzt folglich voraus:

- Fälligkeit: Der Zeitpunkt, ab wann der Gläubiger die Leistung verlangen kann.
- I.c. ist die Lieferung des Parketts am 10. Dezember 2008 zwischen 08.00 und 10.00 Uhr
fällig.

- Mahnung: Der Gläubiger muss dem Schuldner regelmässig eine Mahnung zukommen las-
sen. Unter einer Mahnung versteht man die einseitige, an den Schuldner gerichtete Erklärung
des Gläubigers, dass er die Leistung verlange. Die Mahnung ist empfangsbedürftig. Eine
Ausnahme besteht bei einem Verfalltagsgeschäft: Der Schuldner gerät bereits mit Ablauf des
Tages und ohne Mahnung in Verzug (Art. 102 Abs. 2 OR). Es liegt ein Verfalltagsgeschäft
vor (Art. 102 Abs. 2 OR), wenn ein kalendermässig bestimmter/bestimmbarer Leistungster-
min verabredet wurde.
- I.c. haben die Parteien einen bestimmten Termin zur Erfüllung verabredet; es liegt deshalb
ein Verfalltagsgeschäft vor. Eine Mahnung ist überflüssig.

Allgemeine Verzugsfolgen nach Art. 103 ff. OR:


- Silvio kann für die Verspätung seiner Leistung SE verlangen nach Art. 103 OR („Ver-
spätungsschaden“). Der Schuldner haftet dabei ebenfalls für den Zufall.
- Verschuldensabhängiger SE , das Verschulden wird jedoch vermutet (Art 103 Abs. 2 OR).
Der Schuldner muss sich exkulpieren um die SE-Pflicht abzuwenden.

Besondere Verzugsfolgen nach Art. 107 ff. OR:


- Grundsätzliches Ansetzen einer Nachfrist nach Art. 107 Abs. 1 OR
- Ansetzen einer Nachfrist ist nach Art. 108 OR entbehrlich, wenn
1. aus dem Verhalten des Schuldners hervorgeht, dass sie unnütz wäre.
2. infolge Verzug des Schuldners die Leistung nutzlos geworden ist.
3. wenn die Leistung zu einer bestimmten Zeit erfolgen soll

- Art. 108 Ziff. 3 OR betrifft das Fixgeschäft. Dieses definiert sich dadurch, dass nur inner-
halb einer gesetzten Frist geleistet werden kann und somit eine nachträgliche Erfüllung un-
möglich sein soll. Die Folgen der Nichteinhaltung eines Stichtages sind insofern schwer, als
nach der Frist nicht mehr gegen den Willen Gläubigers geleistet werden kann. Es wird das
relative („normale“) Fixgeschäft und das qualifizierte Fixgeschäft unterschieden, wobei bei
Letzterem die Erfüllung nach Ablauf des Stichtages überhaupt nicht mehr möglich ist.

236
- I.c. liegt kein relatives Fixgeschäft vor, weil die Parteien verabredet haben, dass die Liefe-
rung zu einer bestimmten Zeit zu erfolgen habe. Das Ansetzen einer Nachfrist ist deshalb un-
entbehrlich (Art. 108 Ziff. 3 OR).

- Silvio stehen alternativ nach Ablauf der Nachfrist folgende Möglichkeiten zur Verfügung:

1. Er kann am Vertrag festhalten, die Erfüllung und zusätzlich SE wegen verspäteter Erfül-
lung fordern (Art. 107 Abs. 2 1.Alternative i.V.m. Art. 103 OR)

2. Er kann am Vertrag festhalten, aber auf die Leistung verzichten und SE wegen Nichterfül-
lung nach Art. 107 Abs. 2 2.Alternative OR verlangen. Es handelt sich hierbei um den Erfül-
lungsschaden in Form des positiven Vertragsinteresses. Silvio wird so gestellt, wie wenn der
Vertrag erfüllt worden wäre. Je nach Lehrmeinung ist der Schaden nach der Austausch- resp.
Differenztheorie zu berechnen (Guhl, S.256 ff.).

3. Er kann vom Vertrag zurückzutreten und Ersatz des negativen Vertragsinteresses („Ver-
trauenssschaden“) verlangen (Art. 107 Abs. 2 3.Alternative i.V.m. Art. 109 Abs. 2 OR). Sil-
vio ist so zu stellen, wie wenn der Vertrag nie geschlossen worden wäre. Schon erbrachte
Leistungen sind rückabzuwickeln.

237
Variante 3:

Die Bodenleger AG (aus dem Grundsachverhalt) vereinbart mit der Bauwerk AG, dass das
gewünschte Nussbaum-Parkett am Mittwoch, 10. Dezember 2008, zwischen 08.00 und 10.00
Uhr geliefert wird. Aufgrund eines internen Kommunikationsfehlers bei der Bauwerk AG
werden statt des Parketts am Mittwoch, 10 Dezember 2008, um 9.30 Uhr Schieferplatten ge-
liefert. Handwerker Kunz ruft sofort bei der Bauwerk AG an, wo ihm mitgeteilt wird: Erstens
gehe man der Sache nach und zweitens sei derzeit kein Nussbaum-Parkett verfügbar; aber
man könne den gewünschten Parkett in ca. 3 bis 4 Wochen vermutlich wieder liefern.

Aufgabe 14:

Wie ist die Rechtslage? (10 Punkte)

Antwort:

- Der einzige Unterschied zur Variante 2 besteht darin, dass nicht Silvio sondern die Bodenle-
ger AG das Parkett bestellt. Es ist deshalb zu prüfen, ob Art. 190 OR Anwendung findet

- Art. 190 OR findet im kaufmännischen Verkehr Anwendung, d.h. wenn Waren zum Zweck
des Weiterverkaufs gekauft werden.
- I.c kann der kaufmännische Verkehr bejaht werden, da die Bodenleger AG das Parkett be-
stellt, um es anschliessend an Silvio weiter zu verkaufen. Art. 190 OR findet somit grundsätz-
lich Anwendung.

- Folgendes wird von Art. 190 OR vorausgesetzt:


- Bestimmter Liefertermin: Es muss ein bestimmter Liefertermin verabredet worden sein,
analog dem Verfalltagsgeschäft nach Art. 102 Abs. 2 OR.
- I.c. gegeben, weil Lieferung auf 10. Dez. 2008, 08.00 – 10.00 Uhr festgelegt wurde.

- Verzug: Der Verkäufer muss mit der Lieferung in Verzug gekommen sein.
- I.c. hat die Bauwerk AG nicht zur vereinbarten Zeit geliefert. Aus Art. 190 OR ergeben sich
keine weiteren Anforderungen an den Verzug, weshalb Art. 102 ff. OR heranzuziehen sind.
Aufgrund der Vereinbarung eines bestimmten Liefertermins ist keine Mahnung nötig, der
Schuldner gerät mit Ablauf des Tages in Verzug.

Rechtsfolgen
1. Nach Art. 190 OR greift die Vermutung Platz, dass der Käufer auf die Lieferung verzichtet
und SE wegen Nichterfüllung beansprucht (d.h. das pos. VI) nach Art. 190 Abs. 1 OR i.V.m.
Art. 107 Abs. 2 OR. Eine Geltendmachung ist nicht notwendig.

2. Der Käufer kann aber auch am Vertrag festhalten, muss es aber unverzüglich dem Verkäu-
fer erklären (Art. 190 Abs. 2 OR).

- Ob auch im kaufmännischen Verkehr in Anwendung der Verzugsfolgen von Art. 107 ff. OR
vom Vertrag zurückgetreten werden kann, ist umstritten.

238
Variante 4:

Silvio bestellt das Nussbaum-Parkett nicht selbst bei der Bauwerk AG, sondern beauftragt
seinen alten Schulkollegen Georg mit dem Kauf. Silvio teilt Georg mit, dass er für ihn 100m2
Nussbaum-Parkett kaufen soll, wobei der Preis CHF 180/m2 nicht übersteigen dürfe. Georg
gefällt ein spezielles Nussbaum-Parkett jedoch so gut, dass er davon 100m2 zu einem Preis
von CHF 195/m2 erwirbt.

Aufgabe 15:

Wie ist die Rechtslage? (6 Punkte)

Antwort:

- Es ist zu prüfen, ob eine direkte Stellvertretung nach Art. 32 ff. OR vorliegt.


- Für das Zustandekommen der Vertretungswirkung sind folgende Voraussetzungen zu erfül-
len:
 Handeln in fremdem Namen
 Vertretungsmacht
 Vertretungsfreundlicher Vertrag
 Urteilsfähigkeit des Stellvertreters

- Handeln in fremdem Namen: Der Vertreter muss gegenüber dem Dritten in fremdem Na-
men handeln, indem eine ausdrückliche oder stillschweigende Erklärung vorliegt.
- Ausnahmsweise tritt die Vertretungswirkung auch ein, obwohl der Vertreter nicht in frem-
dem Namen handelt: Wenn es dem Dritten gleichgültig ist, mit wem er den Vertrag schliesse,
oder wenn der Dritte auf das Vertretungsverhältnis schliessen musste (Art. 32 Abs. 2 OR).
- I.c.: Der Sachverhalt enthält keine Angabe, ob Georg in fremdem Namen handelt. Da es der
Bauwerk AG jedoch gleichgültig sein dürfte, mit wem sie den Vertrag schliesst, kann auch
ohne Handeln in fremdem Namen eine Vertretungswirkung eintreten.

- Vertretungsmacht: Besteht in der Rechtsmacht des Vertreters, für den Vertretenen zu han-
deln. Sie beruht auf Rechtsgeschäft, Gesetz oder aufgrund der Stellung als Organ einer juristi-
schen Person.
- I.c. hat Silvio aufgrund Rechtsgeschäft Georg als Stellvertreter eingesetzt, indem er ihm eine
Vollmacht erteilt hat (gewillkürter Vertreter). Den Umfang der Vollmacht (Art. 33 Abs. 2 OR
) hat Silvio auf den Kauf von 100m2 Nussbaum-Parkett à maximal CHF 180.-/m2 beschränkt.
Indem Georg jedoch einen Vertrag über 100m2 Parkett à CHF 195.-/m2 eingegangen ist, hat er
die Vollmacht überschritten. Für den vorliegenden Kauf liegt somit keine Vertretungsmacht
vor, so dass auch keine Vertretungswirkung eintreten kann.
- Falls der Vertretene den Vertrag nach Art. 38 OR nachträglich genehmigt, kommt der Ver-
trag dennoch zustande. Bis zu diesem Zeitpunkt ist der Vertrag schwebend unwirksam.

- Fazit: Aufgrund der Überschreitung der Vollmacht durch Georg ist kein gültiger Vertrag
zustande gekommen, es sei denn der Silvio genehmige den Vertrag nachträglich.

239
Variante 5:

Die Bodenleger AG (aus dem Grundsachverhalt) lässt einen ihrer Mitarbeiter wie immer bei
der Bauwerk AG Parkett einkaufen. Dieser bestellt 100m2 Nussbaum-Parkett à CHF 140/m2,
obwohl der Geschäftsleiter der Bodenleger AG dem Mitarbeiter mitgeteilt hatte, dass er Par-
kett für maximal CHF 130/m2 einkaufen soll, weil ansonsten die Gewinnmarge zu klein aus-
fällt.

Aufgabe 16:

Wie ist die Rechtslage? (4 Punkte)

Antwort:

- Es ist zu prüfen, ob der Mitarbeiter als direkter Stellvertreter der Bodenleger AG nach Art.
32 ff. OR gehandelt hat.
- Für das Zustandekommen der Vertretungswirkung sind folgende Voraussetzungen zu erfül-
len:

 Handeln in fremdem Namen


 Vertretungsmacht
 Vertretungsfreundlicher Vertrag
 Urteilsfähigkeit des Stellvertreters

- Auf die ersten drei Voraussetzungen (Handeln in fremdem Namen, Urteilsfähigkeit des Ver-
treters und vertretungsfreundlicher Vertrag) ist mangels Anhaltspunkte im Sachverhalt nicht
näher einzugehen. Sie sind als gegeben zu betrachten.

- Vertretungsmacht: Die Duldungsvollmacht umschreibt die Konstellation, wenn dem Ver-


tretenen der Wille zur Vollmachtserteilung fehlt, er aber davon Kenntnis hat, dass ein anderer
als sein Vertreter auftritt und nicht dagegen einschreitet. In diesem Fall nimmt die Rechtspre-
chung eine stillschweigende Vollmachtserteilung an den Vertreter an (Gauch/Schluep, Rz.
1411).
- I.c.: Die Bodenleger AG hat ihrem Mitarbeiter nicht explizit eine Vollmacht ausgestellt, die
Bestellungen des Mitarbeiters jedoch über längere Zeit hinweg stillschweigend akzeptiert
(siehe den Wortlaut der Aufgabenstellung: „…wie immer…“). Indem die Bodenleger AG den
Mitarbeiter gewähren liess ohne einzuschreiten, liegt eine stillschweigende Vollmachtsertei-
lung und somit eine Duldungsvollmacht vor.
- Der Umfang der Bevollmächtigung beurteilt sich nach dem Inhalt der Bevollmächtigung, die
nach dem Vertrauensprinzip auszulegen ist , soweit nicht feststeht, dass der Vertreter den
Vollmachtgeber tatsächlich richtig verstanden hat (Gauch/Schluep, Rz. 1355).
- I.c.: Da der Mitarbeiter seit längerer Zeit regelmässig bei der Bauwerk AG Parkett bestellt,
darf die Bauwerk AG nach dem Vertrauensprinzip davon ausgehen, dass er zum Bezug von
Parkett zum Preis von CHF 140.-/m2 ermächtigt ist.
- Es liegt eine Vertretungsmacht vor.

240
Teil D: Fragen Gesellschaftsrecht (insgesamt 30 Punkte)
Aufgabe 17:

Wieso ist eine beabsichtigte Sachübernahme wie die Sacheinlage qualifizierten Gründungs-
vorschriften unterworfen? Welche qualifizierten Vorschriften sind dies? (7 Punkte)

Antwort:

Sachübernahmen von Aktionären oder diesen nahestehenden Personen beinhalten die gleiche
Gefahr der Schwächung des Grundkapitals wie Sacheinlagen (Art. 628 Abs. 2 OR), nämlich
dass wertlose oder überbewertete Vermögenswerte in die Gesellschaft eingebracht werden.
Das überbewertete Einbringen von Sachen oder Rechten führt dazu, dass das Aktienkapital
bereits bei bzw. im Fall der beabsichtigten Sachübernahme kurz nach der Gründung tatsäch-
lich nicht durch das Nettovermögen gedeckt ist, das Haftungssubstrat der Gläubiger damit
schon bei oder kurz nach der Gründung teilweise oder ganz ausgehöhlt ist. Damit eine beab-
sichtigte Sachübernahme vorliegt, muss es sich um ein Geschäft von grösserer wirtschaftli-
cher Bedeutung handeln, für das im Zeitpunkt der Gründung eine feste Absicht für die nächste
Zukunft und eine fast sichere Aussicht auf dessen Verwirklichung besteht.

Das Aktienrecht sieht deshalb für diese Gründungsart spezielle Vorschriften vor. Bei beab-
sichtigten Sachübernahmegründungen sind folgende qualifizierte Vorschriften zu beachten:

• Es muss ein Gründungsbericht der Gründer vorliegen, der über die Art und den Zustand
der Sachübernahmen und die Angemessenheit der Bewertung Rechenschaft gibt (Art. 634
Ziff. 3 und Art. 635 Ziff. 1 OR),
• Es muss eine Prüfungsbestätigung eines zugelassenen Revisors vorliegen, die schriftlich
bestätigt, dass der Gründungsbericht vollständig und richtig ist (Art. 635a OR),
• Die Statuten müssen den Gegenstand der Sachübernahme, den Namen des Veräusserers
und die Gegenleistung der Gesellschaft angeben (Art. 628 Abs. 2 OR),
• Im Handelsregister muss der Gegenstand der Sachübernahme und die Gegenleistung der
Gesellschaft eingetragen werden (Art. 642 OR).

241
Aufgabe 18:

Die Bilanz der Josef Huber AG sieht wie folgt aus (Angaben in CHF): Umlaufvermögen
650'000, Anlagevermögen 1'370'000, Fremdkapital kurzfristig 860'000, Fremdkapital lang-
fristig 1'200'000, Aktienkapital 1'000'000. Was halten Sie von dieser Bilanz? Besteht aus
rechtlicher Sicht Handlungsbedarf? Gegebenenfalls welcher bzw. weshalb nicht? (10 Punkte)

Antwort:

Es liegt eine Überschuldung nach Art. 725 OR vor. Bei einer Überschuldung ist das Fremd-
kapital nicht mehr zu 100% durch die Aktiven gedeckt. Besteht begründete Besorgnis einer
Überschuldung, hat der VR eine Zwischenbilanz zu erstellen und diese einem zugelassenen
Revisor zur Prüfung vorzulegen. Ergibt sich aus der Zwischenbilanz, dass die Forderungen
der Gesellschaftsgläubiger weder zu Fortführungs- noch zu Veräusserungswerten gedeckt
sind, so hat der Verwaltungsrat den Richter zu benachrichtigen , sofern nicht Gesellschafts-
gläubiger im Ausmass dieser Unterdeckung im Rang hinter alle anderen Gesellschaftsgläubi-
ger zurücktreten. (Art. 725 Abs. 2 OR). Der Richter eröffnet auf Benachrichtigung hin den
Konkurs , kann ihn aber auf Antrag des VR/eines Gläubigers aufschieben. (Art. 725a OR)

Aufgabe 19:

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ein Verein entsteht? (6 Punkte)

Antwort:

Art. 60 Abs. 1 ZGB setzt voraus:


1. Der Wille, als Körperschaft zu bestehen
2. Dieser Wille muss sich aus den schriftlichen Statuten ergeben

242
Aufgabe 20:

Kommanditär S haftet gemäss Handelsregistereintrag für eine Kommanditsumme von CHF


200'000. Drei Jahre nach der Gründung fällt die Kommanditgesellschaft in Konkurs. Die
Gläubiger der Kommanditgesellschaft freuen sich darauf, dass sie für ihren Forderungsausfall
im Konkurs der Gesellschaft wenigstens auf die CHF 200'000 des vermögenden S greifen
können.

Ist ihre Freude berechtigt? (7 Punkte)

Antwort:

Hinsichtlich der Haftungsumfangs gegenüber den Gläubigern ist allein die im Handelsregister
eingetragene Kommanditsumme massgebend. Sie ist nicht mit der Kommanditeinlage gleich-
zusetzen, die ausschliesslich das Innenverhältnis betrifft. Die Kommanditsumme hingegen
wird ins Handelsregister eingetragen (Art. 41 Abs. 2 lit. g HRegV) und hat Wirkung im Aus-
senverhältnis. Die geleistete Kommanditeinlage hat nur insofern Bedeutung für die Haftung
im Aussenverhältnis, als Letztere im Umfang der bereits erbrachten Einlage entfällt. Wenn
also Kommanditär S. seine Kommanditeinlage im Betrag von 200‘000 bereits geleistet hat,
kann nicht auf weiteres Vermögen von S. gegriffen werden.

243
Teil E: Fall Gesellschaftsrecht (insgesamt 30 Punkte)
Aufgabe 21:

(Kommentieren Sie die einzelnen Statutenbestimmungen, insbesondere im Hinblick auf deren


Gültigkeit.)

Die Statuten der Galactica AG, deren Aktien an der Börse kotiert sind, enthalten unter ande-
rem folgende Bestimmungen:

a) Art. 5: Die Namenaktien sind nur mit Zustimmung des Verwaltungsrates übertragbar.
Der Verwaltungsrat kann die Zustimmung verweigern:

5.1) wenn der Erwerber ein Konkurrent der Gesellschaft ist; (3 Punkte)
Antwort:
Unzulässige Vinkulierung (Beschränkung der freien Veräusserlichkeit der Aktien) bei
börsenkotierter Gesellschaft. Gem. Art. 685d Abs. 1 OR kann die Gesellschaft einen
Erwerber als Aktionär nur ablehnen, wenn die Statuten eine prozentmässige Begren-
zung der Namenaktien vorsehen, für die ein Erwerber als Aktionär anerkannt werden
muss, und diese Begrenzung überschritten wird.

5.2) soweit der Erwerber mit dem Kauf mehr als 5% der Aktien der Gesellschaft besit-
zen würde. (3 Punkte)
Antwort:
Zulässig bei börsenkotierter Gesellschaft. Art. 685d Abs. 1 OR

b) Art. 10: Aktionäre, die zusammen 20% des Kapitals vertreten, können die Einberufung
einer ausserordentlichen Generalversammlung beantragen. (5 Punkte)
Antwort:
Gem. Art. 699 Abs. 3 OR können Aktionäre, die 10% des Kapitals vertreten , die Ein-
berufung einer GV beantragen.

c) Art. 12: Die Generalversammlung ist zuständig für die Festlegung der Unternehmens-
strategie. (5 Punkte)
Antwort:
- Im Bereich der Unternehmensstrategie ist die GV nur zuständig für die Festlegung
des Gesellschaftszwecks (Art. 698 Abs. 2 Ziff. 2 OR)
- Im Übrigen wird die Unternehmensstrategie zwingend durch den VR festgelegt (Art
716a Abs. 1 Ziff. 2 OR)
- Dies ist ein Ausfluss des Paritätsprinzips.

d) Art. 13: Jeder Aktionär ist verpflichtet, die Interessen der Gesellschaft mit aller Sorg-
falt zu wahren und alles zu unterlassen, was der Gesellschaft Schaden zufügen könnte.
(5 Punkte)
Antwort:
- Gemäss Art. 680 Abs. 1 OR hat der Aktionär nur eine einzige Pflicht, nämlich die
Liberierung der von ihm gezeichneten Aktien. Die statutarische Auferlegung weiterer
Pflichten ist unzulässig.

244
- Als Gegengewicht findet das Informationsrecht des Aktionärs über die Angelegen-
heiten der AG seine Schranken an den entgegenstehenden (Geheimhaltungs)Interessen
der AG (Art. 697 Abs. 2 OR)

e) Art. 17: Der Verwaltungsrat fasst seine Beschlüsse mit der absoluten Mehrheit der
abgegebenen Stimmen. Bei Stimmengleichheit hat der Vorsitzende den Stichentscheid.
(5 Punkte)
Antwort:
Diese Bestimmung ist korrekt. Art. 713 OR

f) Art. 20: Jeder Verwaltungsrat ist einzeln zur Vertretung der Gesellschaft befugt. (4
Punkte)
Antwort:
Diese Bestimmung ist zulässig. Gemäss Art. 718 Abs. 1 OR vertritt der Verwaltungs-
rat die Gesellschaft nach aussen. Bestimmen die Statuten oder das Organisationsreg-
lement nichts anderes, so steht die Vertretungsbefugnis jedem Mitglied einzeln zu. Es
handelt sich bei dieser Bestimmung um eine Wiederholung des Gesetzes.

(Kommentieren Sie die einzelnen Statutenbestimmungen, insbesondere im Hinblick auf deren


Gültigkeit.)

245

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