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Übungen zur Einführung ins Privatrecht WS 2006/2007

PD Dr. Roland Müller, Rechtsanwalt


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CHECKLISTE ZUR LÖSUNG VON FÄLLEN IM OBLIGATIONENRECHT

I. Anspruchsmethode
- Ermittlung der zwischen den Parteien streitigen Punkte nach dem Grundsatz: Wer kann
was von wem aus welchem Rechtsgrunde verlangen?
- Aufsuchen der zur Durchsetzung geltend gemachten Ansprüche
- Zuordnung des Sachverhalts zu den in Betracht gezogenen Normen durch Überprüfung,
ob die Tatbestandsvoraussetzungen der in Frage kommenden Rechte und Rechtsverhält-
nisse gegeben sind.

II. Anspruchsgrundlagen
1. Vertragliche Anspruchsgrundlagen:
- Nominatvertrag
- Innominatvertrag

2. Gesetzliche Anspruchsgrundlagen:
- vertragsähnlich (Geschäftsführung ohne Auftrag, Art. 419 ff. OR)
- dinglicher Anspruch (Art. 641 Abs. 2 ZGB)
- unerlaubte Handlung (Art. 41 OR)
- ungerechtfertigte Bereicherung (Art. 62 OR)
- culpa in contrahende (ZGB 2)

III. Anspruchsberechtigung
1. Ist der Anspruch wirksam entstanden?
- Tatbestandsvoraussetzungen (vgl. IV) der Anspruchsgrundlagen prüfen
- Sachverhalt subsumieren
- Rechtshindernde Einwendungen prüfen: Nichtigkeitsgründe (OR 19, 20, 21)

2. Ist der Anspruch später untergegangen?


- Rechtsvernichtende Einwendungen prüfen: Erfüllung, Erlass, nachträgliche Unmöglichkeit

3. Kann der an sich bestehende Anspruch geltend gemacht werden?


- Rechtshemmende Einreden prüfen: Verjährung, Stundung, Einrede des nichterfüllten Ver-
trages, Einrede der Zahlungsunfähigkeit, Retentionsrecht

IV. Tatbestandsvoraussetzungen
1. Vertragsentstehung:
- Rechtsfähigkeit (ZGB 11)
- Handlungsfähigkeit (ZGB12)
- Konsens über essentialia negotii (OR 1)
- Verpflichtungswille
- Form der Willenserklärung (OR 11 ff.)
- Inhalt der Willenserklärung (OR 11 ff.)
→ Entscheid über das Zustandekommen des Vertrages
- Anfechtung des Vertrages möglich?
→ Definitiver Entscheid über das Zustandekommen des Vertrages
Übungen zur Einführung ins Privatrecht WS 2006/2007
PD Dr. Roland Müller, Rechtsanwalt
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2. Delikt (OR 41):


- Schaden
- Kausalzusammenhang, natürlicher und adäquater
- Widerrechtlichkeit (Erfolgsunrecht, Handlungsunrecht)
- Verschulden

3. Bereicherung (OR 62):


- Bereicherung des Belangten: lucrum emergens / damnum cessans
- Entreicherung des Klägers
- Kausalzusammenhang zwischen Bereicherung und Entreicherung
- Fehlen einer causa
- Bei OR 63: zusätzlich noch Irrtum
- Leistung hinsichtlich eines vermeintlichen Rechtsgrundes

4. Geschäftsführung ohne Auftrag, GoA (OR 419):


- Fremdheit des Geschäfts
- Fremdgeschäftsführungswille
- Hilfsbedürftigkeit
- Im Interesse des Geschäftsherrn

5. Täuschung (OR 28):


- Absichtlichkeit
- Vorspiegelung falscher Tatsachen oder Verschweigen von Tatsachen (Aufklärungspflicht
als Rechtspflicht zur Offenbarung ZGB 2)
- Kausalzusammenhang zwischen Täuschung und Vertragsschluss (Irrtum muss aber kein
wesentlicher sein)

6. Rechtsgewährleistung (OR 192 ff.):


- gültiger Kaufvertrag
- Traditio muss stattgefunden haben
- Rechtsmangel schon zur Zeit des Vertragsschlusses vorhanden
- Käufer muss mit einer Eviktion rechnen oder eine solche ist schon von statten gegangen

7. Sachgewährleistung (OR 197 ff.):


- gültiger Kaufvertrag
- entweder zugesicherte oder vorausgesetzte Eigenschaft
- Beschränkung der Tauglichkeit oder Minderwert
- Rechtzeitige Mängelrüge

8. Unmöglichkeit (OR 97):


- Schaden
- Verschulden
- Vertragswidrigkeit: Verletzung einer Hauptleistungspflicht, Nebenleistungspflicht oder Ne-
benpflicht
- Adäquate Kausalität

9. Schuldnerverzug (OR 102 ff.):


- Fälligkeit der Leistung
- Annahmebereitschaft des Gläubigers: vertragskonformes Angebot seiner Leistung oder
Vorleistungspflicht des Schuldners
- Mahnung
- Nachfristansetzung

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PD Dr. Roland Müller, Rechtsanwalt
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10. Erklärungsirrtum (OR 23 ff.):


- objektive Wesentlichkeit:
1) TB aus OR 24 I Ziff. 1-3 (error in negotio, error in objecto, error in persona, error in
quantitate)
2) oder aufgrund richterlicher Bewertung
- subjektive Wesentlichkeit: der sich auf den Irrtum berufende Kontrahent, hätte den Ver-
trag in erklärter Form so nicht geschlossen

11. Grundlagenirrtum (OR 24 I Ziff. 4):


- Irrtum bezüglich eines bestimmtes Sachverhalts
- Notwendige Grundlage des Vertrages
- Subjektive Wesentlichkeit: condicio sine qua non (Der sich auf den Irrtum berufende Kont-
rahent hätte den Vertrag nie so geschlossen, wenn er um den wahren Sachverhalt ge-
wusst hätte)
- Objektive Wesentlichkeit: Sachverhalt nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als
notwendige Grundlage des Rechtsgeschäfts zu betrachten
- Erkennbarkeit: Die Gegenpartei hätte nach Treu und Glauben den Irrtum bzw. Wesent-
lichkeit erkennen können, sollen, müssen
- Bei künftigen Sachverhalten ist die Vorhersehbarkeit dahin zu verstehen, dass es sich um
eine Tatsache handeln muss, deren Eintritt bei Abschluss des Vertrages als sicher an-
nehmen durften und mussten
(Achtung: Bei Unsicherheit kann je nachdem eine stillschweigende Resolutivbedingung
enthalten sein)

12. Übervorteilung (OR 21):


- objektiv: offenbares Missverhältnis
- subjektiv: handeln infolge Notlage, Unerfahrenheit oder Leichtsinn
Ausbeutung

13. Hilfspersonenhaftung (OR 101):


- funktioneller Zusammenhang
- hypothetische Kausalität
- TB von OR 97

14. Geschäftsherrenhaftung (OR 55):


- Subordinationsverhältnis
- Schaden
- Kausalzusammenhang: natürlicher und adäquater

V. Ratschläge allgemeiner Art für die Fallbearbeitung


1. Vorgegebenen Sachverhalt weder ergänzen noch uminterpretieren; wenn unklar, dann Vari-
anten erstellen
2. Keine Ausführungen zu nicht problematischen Punkten; kein Abschreiben von Lehrbüchern zu
allgemeinen Punkten
3. Konsequenz in der Argumentation; Variantenbildung deutlich kennzeichnen
4. Fragestellung genau beachten: Gutachtensstil und Urteilssteil auseinanderhalten
5. Zusammenfassung am Schluss anfügen mit klaren Entscheidungen

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