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Wilhelm Fink
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Internet: www.fink.de
ISBN 978-3-7705-4706-7
INHA l TSVERZEICHNIS
Abbildungen............................................................................................... 268
A nhang
Z e ittafel....................................................................................................... 305
Abbildungsnachweis................................................................................ 312
Personenregister. 321
V o rb e m e r ku n g der H e r a u sg e b e r
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bzw. bisher aufgefundenen und - mit einer nicht entzifferbaren Aus
nahme - hier veröffentlichten Briefen und Briefentwürfen fast genau
zwei Drittel an einem Ort liegen, nämlich im Nachlass von Schmitt,
der sich im Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchiv in Düsseldorf
befindet, hat eher ungünstig gewirkt. Dort finden sich fast ausschließ
lich Schreiben von Taubes, während die von Schmitt verfassten lange als
verloren oder zumindest verschollen gelten mussten. Doch erst sie er
öffnen das Gespräch, machen die Gegenstände wirklich deutlich, wei
sen schließlich zusammen mit denen aus der Hand von Taubes über
den engen Dialog hinaus. Geht man vom Befund in Düsseldorf aus, so
musste Taubes als ein Appelant an Schmitt wirken, der isoliert an ihn
herantrat, um Fragen abzuarbeiten, sich Unterstützung von einem klu
gen Außenseiter zu holen oder um für jenen als eine Form jüdisches
„gutes Gewissens“ zu wirken. Darum hat das Vorhaben, die zwischen
Taubes und Schmitt gewechselten Schreiben zu publizieren, erst dann
wirklich Gestalt annehmen können, als auch diejenigen von Schmitt
verfassten aufgefunden wurden.
Seit Sommer 2004 befindet sich im Zentrum für Literatur- und Kul-
turforschung Berlin (ZfL) eine Sammlung von über tausend Schreiben
von und an Taubes sowie ein ausgedehnter Bestand weiterer Dokumen
te. Sie stellt weltweit die einzige Sammlung ihrer Art dar und soll die
Basis einer zukünftigen Jacob Taubes Briefausgabe bilden. Dass sich
diese Sammlung über Jahrzehnte erhalten hat, ist insbesondere der Ini
tiative einer Mitarbeiterin von Taubes zu verdanken. Ina-Maria Gum-
bel, später Sekretärin an der FU Berlin, hatte schon in Studienjahren
für ihn gelegentlich Schreibarbeiten erledigt und wusste also von der
Existenz zahlreicher Ordner und Mappen, in denen Taubes als Insti
tutsleiter seine offizielle Post hatte ablegen lassen, freilich unter Beigabe
privater Briefe, Karten, Telegramme, Aerogramme, Notizzettel. Dieser
im Laufe vieler Jahre aus dem akademischen Alltagsgeschäft entstande
ne Bestand hatte sich Schicht um Schicht angelagert und zum materia
lisierten Gedächtnis eines bewegten Gelehrtenlebens zwischen den
Disziplinen sedimentiert. Nach Taubes’ Tod erschien diese Hinterlas
senschaft unter den Bedingungen der institutionellen Nachfolge als
vom Reißwolf bedroht. Zur Abwendung des drohenden Erinnerungs
verlustes durch die Unwiederbringlichkeit des Materials packte Gumbel
Ordner und Mappen in Umzugskartons und verstaute sie in einem Ab
stellraum der Villa in der Thielallee 43 in Berlin-Dahlem, dem ehe
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maligen Institut für Hermeneutik. Dort lagerten sie lange, um auf Ver
mittlung der Kinder, Tania und Ethan Taubes, schließlich nach
Berlin-Mitte zu gelangen.
In den Ordnern und Mappen konnten neben vielem, was zur intel
lektuellen Geschichte der Bundesrepublik der 1960er bis frühen 1980er
Jahre entscheidend beiträgt, auch die fehlenden Briefe Schmitts aufge
funden werden. Weiteres wurde durch intensive Recherche in anderen
Briefschaffen und Nachlässen wie denen von Hans Blumenberg, Ro
man Schnur oder Siegfried Unseld ergänzt oder von Korrespondenz
partnern wie Ernst-Wolfgang Böckenfbrde, Wolfgang Fietkau, Hans-
Dietrich Sander, Piet Tommissen - um die für den Zusammenhang
hier wichtigsten zu nennen - zur Verfügung gestellt. Sie bilden nicht
nur ein Netzwerk von Projektemachern für Zeitschriften, Konferenzen,
Arbeitstreffen —wobei von Taubes’ Vorhaben oft nur wenige reüssierten
und die meisten scheiterten - , sondern auch von Diskussionszusam
menhängen, die entlang wichtiger konfliktuöser Linien verlaufen.
Durch sie oder auch das von ihnen konstellierte Netz wird erkennbar,
was die Bundesrepublik (nicht nur) dieser Jahre umgetrieben hat: die
offenen Fragen der Nachwirkungen des Nationalsozialismus ebenso wie
das Verhältnis zu Juden in- und außerhalb Deutschlands. Das philolo
gisch nachzuzeichnen, ist das wichtigste Anliegen des vorliegenden
Bandes.
Darum wurden die zwischen Taubes und Schmitt gewechselten
Schreiben für den vorliegenden Band ergänzt: einmal um Briefe von
oder an Dritte und Vierte, die an Gesprächen oder Unternehmungen
wie Tagungen etc. beteiligt waren oder um die —wie im Fall des SPD-
Politikers Peter Glotz in seiner damaligen Eigenschaft als Wissenschafts
senator für (West-)Berlin - geworben wurde, zum anderen um Texte,
die Taubes selbst über Schmitt und das Problem der politischen Theo
logie veröffentlich hat —auch wenn einige von ihnen bereits bekannt
sind - , schließlich um das heute altmodisch wirkende Genre der Eintra
gungen in ein Gästebuch, von Frau Möhler freundlicherweise zur Ver
fügung gestellt. Einiges mag noch unentdeckt sein, doch das Ergebnis
langjähriger Arbeit und Bemühungen ist der vorliegende Band.
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E d i t o r i s c h f . P r in z ip ie n
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liegenden Edition nicht zugunsten von Normierung verschliffen wer
den.
In den wenigen Fällen überflüssig und sinnentstellend gesetzter Satz
zeichen (etwa zwischen Satzsubjekt und -prädikat) werden diese still
schweigend getilgt. Fehlende Satzzeichen sind nur dann im Dienste
besserer Lesbarkeit ohne Nachweis ergänzt, wenn Aufzählungen zwar
mit ihnen beginnen, sie aber nicht fortführen, oder wenn untergeord
nete Sätze oder Satzteile mit einem Komma anheben, aber nicht ge
schlossen werden. Dasselbe gilt auch im umgekehrten Falle, wenn am
Beginn untergeordneter Sätze das Komma fehlt, an ihrem Ende aber ei
nes steht. Satzenden sind nur dort stillschweigend mit einem Schluss
punkt vervollständigt, wo der Folgesatz mit einem Großbuchstaben be
ginnt und damit der Satzschluss klar indiziert ist. Runde Klammern,
die geöffnet, jedoch nicht geschlossen, oder nicht geöffnet, aber ge
schlossen wurden, sind in eckigen Klammern ergänzt. Ganz offenkun
dige und eindeutige Schreibfehler wurden stillschweigend korrigiert, in
sämtlichen Zweifelsfällen, die keine eindeutige Lesart zuließen, ist die
Korrektur ausgewiesen.
Auch alle sonstigen erforderlichen Ergänzungen durch die Herausge
ber, wie etwa eingefügte Worte oder Wortteile, stehen in eckigen Klam
mern.
Abkürzungen, auch ungebräuchliche und insbesondere solche von
Namen, die Taubes gleichsam als Signaturen verwendet (etwa C. S. für
Carl Schmitt), sind nicht ergänzt; sie werden erforderlichenfalls im
Kommentar aufgelöst.
Unterstreichungen in den Manuskripten werden als solche wiederge
geben.
Falsche Datumsangaben werden im Brieftext zwar korrigiert, ihre
Rektifizierung aber und die falsche Schreibung in den Erläuterungen
ausgewiesen. Fehler in Zitaten dagegen sind im Brieftext belassen, wer
den aber in den Anmerkungen korrekt angegeben. Es wurden sämtliche
Zitate in den Brieftexten anhand der entsprechenden Buchausgaben
überprüft.
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Ü berlieferung:
In knapper Form werden zuerst das Original des jeweiligen Textes aus
gewiesen, das in den meisten Fällen zugleich die Druckvorlage ist,
sodann sein Fundort und danach weitere Transkriptionen, Kopien,
Abschriften, soweit sie den Herausgebern in Archiven und Nachlässen
bekannt geworden sind. Erforderlichenfalls werden kurze Hinweise
zur Uberlieferungsgeschichte der Briefe gegeben, etwaige Erstdrucke
nachgewiesen und den Schreiben beigelegte Schriftstücke wie Zei
tungsartikel etc. verzeichnet. Wurden Entwürfe zu Briefen aufgefun
den, so sind diese samt ihren Fundorten angegeben.
Erläuterungen u n d Eierausgeber-Kommentare:
Zugunsten der besseren Lesbarkeit der Briefe wurde auf ein Verweis
system von Anmerkungsziffern und Anmerkungen verzichtet, das oft
in Editionen Verwendung findet. Die möglichst knapp gehaltenen
Erläuterungen und Kommentare der Herausgeber finden sich im
Anschluss an die jeweiligen Briefe, ihr Bezug zu den Briefstellen wird
über Lemmata hergestellt. Jegliche Herausgeber-Rede ist in Kursiv
schrift gehalten, sämtliche Zitate aus Publikationen, Briefen oder
sonstigen Dokumenten sowie bibliographische Angaben sind dagegen
recte gesetzt. Die Lemmata am jeweiligen Ende der Briefe geben bib
liographische Nachweise, Erläuterungen zu Personen (sofern es sich
nicht um allgemein bekannte Größen der Geistesgeschichte handelt;
entsprechend wird etwa Roman Schnur, nicht aber Ernst Troeltsch
erläutert), Hinweise zu Sachzusammenhängen, weiterfuhrende Zitate
vor allem aus nicht leicht zugänglicher Literatur und Übersetzungen
fremdsprachiger Worte, Wendungen oder Satzteile. Dabei wird Lite
ratur anhand von Ausgaben nachgewiesen, die Taubes und Schmitt
benutzt haben oder zumindest benutzt haben können. Der biblio
graphische Nachweis bei der Ersterwähnung einer Monographie,
eines Sammelwerkes oder Zeitschriftenaufsatzes ist immer vollstän
dig; bei weiteren Hinweisen auf dieselbe Publikation an späterer Stelle
steht ein Kurztitel sowie der Rückverweis auf den ersten Nachweis.
Dabei bezieht sich die Angabe „wie oben“ / „wie oben, Anm.“ auf
einen Verweis im selben Brief. Ist ein- und dieselbe Publikation in
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direkter Folge mehrfach nachzuweisen, so geschieht dies durch die
Abkürzung „ebd.“. Sämtliche weiteren, von den Herausgebern ver
wendeten Abkürzungen und Siglen können über das entsprechende
Verzeichnis erschlossen werden. Wo immer möglich werden im Sinne
eines materialen Kommentars auch weiterführende Textzeugen aus
Archiven und Bibliotheken wie Briefe, Vorlesungsverzeichnisse, Semi
narprotokolle etc. hinzugezogen, die in den Briefen Erwähntes zu
kontextualisieren helfen.
Im Falle der im dritten Teil des Bandes beigegebenen Texte von Jacob
Taubes zu Carl Schmitt und der politischen Theologie haben die Her
ausgeber auf Sacherläuterungen aller Art verzichtet. Die Texte selbst
sollen hier vor allem als Material zu den Korrespondenzen verstanden
werden.
Die Lemmata geben auch handschriftliche Zusätze und Glossen des
Briefempfängers und deren jeweiligen Ort auf der Seite wieder. So hat
Carl Schmitt die empfangenen Briefe mit Anmerkungen und Hinwei
sen versehen, oft auch mit Entwürfen seiner Antwort hauptsächlich in
der von ihm für den eigenen Gebrauch verwendeten Abwandlung der
Gabelsberger Kurzschrift. Unterstreichungen, die der jeweilige Brief
empfänger vorgenommen hat, werden nicht mitgeteilt.
Wenn nicht anders angegeben, werden Bibelstellen nach der 1984
revidierten Übersetzung von Martin Luther wiedergegeben.
Personenregister
DANK
Die lange Arbeit an dieser Edition wäre nicht möglich gewesen ohne
die Geduld und den Zuspruch, die finanzielle Förderung und die prak
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tische Hilfe vieler. Der Dank der Herausgeber richtet sich zuvörderst
an Ethan und Tania Taubes (New York), die Kinder und Rechte
inhaber am Nachlass von Jacob Taubes, sowie an Jürgen Becker (M ün
chen), den Testamentsvollstrecker des Nachlasses von Carl Schmitt,
für die großzügige Erlaubnis zum Abdruck der entsprechenden Texte
und die stete Bereitschaft zu helfen, dann auch an diejenigen, die
es gestattet und dazu beigetragen haben, dass Schreiben von ihnen
hier aufgenommen werden konnten, zu deren Erschließung sie auch
wesentlich beitrugen: Ernst-Wolfgang Böckenförde (Freiburg), Wolf
gang Fietkau (Mülheim), Hans-Dietrich Sander (Fürstenwalde) und
Piet Tommissen (t). Sehr zu danken für die Genehmigung von
Abdruckrechten ist in diesem Zusammenhang auch den Nachlassver
waltern von Hans-Joachim Arndt, Thor von Waldstein und Volker
Beismann, dem Verwalter des Nachlasses von Siegfried Unseld, Rai
mund Fellinger (Berlin), sowie Edith Möhler (Ottobrunn bei Mün
chen), der Witwe Armin Möhlers, besonders auch für das Ausfindig
machen der Eintragungen im Gästebuch. Unser großer Dank für
wichtige Informationen und freundliche Mithilfe geht an Peter Gente
(Chianmai, Thailand) und, einmal mehr, Edith Möhler, an Gert Gies-
ler (Berlin) für die nonchalante Großzügigkeit in Gesprächen und die
Überlassung der Fotografie Schmitts und an Henning Ritter (Wölfers
heim) für vielerlei Auskünfte, den langjährigen Vertrauten von Schmitt
und Taubes. Hans Gebhardt (Eckersdorf) nahm die mühevolle Arbeit
der Entzifferung von Carl Schmitts Gabelsberger Kurzschrift auf sich,
dafür sei ihm herzlich gedankt. In besonderer Weise gilt unser weiterer
Dank den Archivarinnen und Archivaren, die uns bei zahlreichen
Besuchen und Recherchen mit Rat und Tat so geduldig wie freundlich
unterstützt haben, in erster Linie den jeweiligen Leitern des Dezernats
für nicht-staatliches Archivgut des Nordrhein-Westfälischen Haupt
staatsarchiv in Düsseldorf: Axel Koppetsch, Anselm Faust und seit
2009 Matthias Meusch sowie ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbei
tern, sodann Jan Bürger, dem stellvertretenden Leiter der Archivabtei
lung im Deutschen Literaturarchiv Marbach, und seinen Mitarbei
tern im Handschriftenlesesaal Hildegard Dieke, Heidrun Fink und
Thomas Kemme, Anja Märke vom Referat für Nachlässe und Zeitge
schichtliche Sammlungen beim Bundesarchiv in Koblenz, Frank Leh
mann, dem stellvertretenden Leiter der Archivs der Freien Universität
Berlin, und seinem Mitarbeiter Gerd Walter, Christiane Münter von
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der Bibliothek des Zentrums für Kunst und Medientechnologie Karls
ruhe, Jutta Weber, der stellvertretenden Leiterin der Handschriften-
Abteilung der Staatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz Berlin, und
ihrem Mitarbeiter Falk Hoff, und Susan Klein von der Beinecke Rare
Book and Manuscript Library, New Haven. Im Zentrum für Literatur-
und Kulturforschung Berlin wurde die Arbeit an der Edition durch ein
Projekt ermöglicht, das die Direktorin, Sigrid Weigel, 2008 in das vom
BMBF geförderte Forschungsprogramm aufgenommen und mit Rat
und Tat begleitet hat. Ihr und den im Ministerium Zuständigen sei
dafür herzlich gedankt. Darüber hinaus haben etliche Mitarbeiter des
ZfL zum Gelingen der Edition beigetragen: allen voran Anja Schipke,
die bei Aufnahme und Einrichtung des Texts unermüdlich geholfen,
das Personenregister erstellt und ebenso wie Sultan Acikgüloglu bei der
Beschaffung von Literatur und Material zur Seite gestanden hat; Mari-
etta Damm, die die Edition auf die Einhaltung der Richtlinien hin
durchgesehen hat, und Sabine Zimmermann, die ihr dabei zur Seite
gestanden hat; allen Kolleginnen und Kollegen des Forschungsschwer
punkts I, die der wiederholten Vorstellung des Projekts geduldig
zuhörten und es immer kundig diskutierten; Ruth Hübner, Halina
Hackert-Lemke und Jana Lubasch aus der Bibliothek für die Beschaf
fung der Literatur. Bei der Kommentierung kniffliger Stellen und/oder
durch Hinweise haben uns entscheidend weitergeholfen: Karlheinz
Barck, Peter Berz, Claude Haas, Ernst Müller und vor allem Christina
Pareigis (alle ZfL) sowie Evelyn Adunka (Wien), Aleida Assmann
(Konstanz), Michael Brenner (München), Dana Holländer (Hamil
ton), Nitzan Lebovic (Bethlehem), Marcel Lepper (Marbach), Rein
hard Mehring (Heidelberg), Thomas Meyer, Mirjam Triendl-Zadoff
und Noam Zadoff (alle München). Schließlich ist Raimar Zons und
Andreas Knop vom Fink-Verlag für die grosse Geduld und Freundlich
keit sowie die viele Mühe bei Einrichtung, Gestaltung und Produktion
des Bandes zu danken.
H K O /T P /M T
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BRIEFE JACOB TAUBES - CARL SCHM ITT
1955 - 1980
1 TAUBES AN SC H M IT T
BOSTON, 2.8.1955
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ÜBERLIEFERUNG O: Hs, Aerogramm m it gedrucktem Briefkopf, HStA Düsseldorf,
Nachlass Carl Schmitt, RW 265-15959; Empf.: Professor Carl Schmitt / Brockhauser
weg 10 / Plettenberg II /Westfalen /West Germany. -E : Trajekte 20 (2010), S. 17-21.
den 2. August 1955] daneben von CSch eingefugt: beantwortet] 5/8 sow ie einige
nicht zu entziffernde Worte in Gabelsberger Stenogramm; Schmitts Antwortschreiben
liegt nicht vor
Möhler] Armin M öhler (1920-2003), Schweiz. Schriftsteller u n d Publizist, 1949 Pro
motion an der Univ. Basel bei KarlJaspers m it der Arbeit Die Konservative Revolution
in Deutschland 1918-1932, Stuttgart: Vorwerk 1950, 1949-1953 Privatsekretär von
Ernst Jünger, 1953-1961 Umzug nach Paris, Frankreichkorrespondent verschiedener
Schweiz. Zeitungen, dann zunächst Sekretär und 1964-1985 Geschäftsführer der Carl
Friedrich von Siemens Stiftung in M ünchen, 1967 Habilitation fü r Politikwissenschaft
an der Univ. Innsbruck. J T u nd M öhler kannten einander aus den gem einsam en Jahren
in Zürich u nd Basel.
Schnur] Roman Schnur (1927-1996), Jurist und Verwaltungsrechtler, 1953 Promo
tion an der Univ. Mainz, 1961 Habilitation fü r öffentliches Recht an der Univ. Hei
delberg, 1965 o. Prof, ß r Politische Wissenschaften an der Univ. Bochum, 1968 fü r
vergleichende Verwaltungswissenschaft und öffentliches Recht an der Verwaltungshoch
schule in Speyer, 1972-1993Ju r öffentliches Recht an der Univ. Tübingen; er legte auch
rechtshistorische un d -philosophische Arbeiten vor. Schnur nahm den Kontakt zu CSch
Anfatig 1951 auf, kurz bevor er sein erstes Staatsexamen ablegte. Bereits 1952/53 durch
CSch a u f J T aufmerksam gemacht, wandte er sich als Redakteur der Zeitschrift Archiv
für Rechts- und Sozialphilosophie erstmals 1955 an diesen.
zwei kleine aber ausserordentliche Arbeiten] Carl Schmitt: „Nehmen / Teilen /
Weiden. Ein Versuch, die Grundfragen jeder Sozial- und Wirtschaftsordnung vom
Nomos her richtig zu stellen“, in: Gemeinschaft und Politik 1 (1953), S. 17-27,
w iederveröffentlicht in : Carl Schmitt: Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren
1924-1954. Materialien zu einer Verfassungslehre, Berlin: Duncker & Humblot
1958, S. 489-504, sowie Carl Schmitt: „Die geschichtliche Struktur des heutigen
Welt-Gegensatzes von Ost und West. Bemerkungen zu Ernst Jüngers Schrift ,Der
gordische Knoten'“, in: Armin Möhler (Hg.): Freundschaftliche Begegnungen.
Festschrift für Ernst Jünger zum 60. Geburtstag, Frankfurt am Main: Vittorio Klo
stermann 1955, S. 135-167, wiederveröffentlicht in-, Carl Schmitt: Staat, Großraum,
Nomos. Arbeiten aus den Jahren 1916-1969, hg. mit einem Vorw. u. Anm. vers. v.
Günter Maschke, Berlin: Duncker 8c Humblot 1995, S. 523-551. Die Zusendung
der beiden Aufsätze durch CSch an J T erfolgte a u f Veranlassung Roman Schnurs, m it
dem J T in brieflichem Kontakt stand.
an Roman Schnur einige Anmerkungen darüber geschrieben] vgl. B rief 56
ich sandte heute einige Sonderabdrucke] Im Carl Schmitt-Nachlass finden sich das
a u f dem Titelblatt m it der Widmung für Carl Schmitt / mit herzlichem Gruss / J.
T. versehene Separatum von „On the Symbolic Order of Modern Democracy“, in:
Confluence. An International Forum 4 (1955), S. 57-71 (HStA Düsseldorf Nachlass
Schmitt, RW265-24581), sowie ein Sonderdruck von „Theology and Political Theory“,
in: Social Research 22 (Spring 1955), S. 57-68, der a u f S. 57 für Carl Schmitt [/] mit
Dank und Gruss [/] Jacob Taubes gewidm et ist (HStA Düsseldorf, Nachlass Schmitt,
RW265-24579); beide Aufsätze wurden von CSch m it Anstreichungen versehen.
“potlatch”] ein Fest nordamerikanischer Indianerstämme, a u f dem im Zeichen der
gegenseitigen Überbietung ein verschwenderischer Austausch von Geschenken stattfindet
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als “editor” einer “series”] J T war in den Jahren 1955 bis 1956 Jur den 1854 von der
American Unitarian Association gegründeten Verlag The Beacon Press ah Berater taug.
de Maistres: Essai (...) politiques] Joseph Marie de Maistre: Essai sur le principe
générateur des constitutions politiques, Petersbourg 1810, erschien 1847 ab Essay
on the Generative Principle of Political Constitutions in englischer Übersetzung in
lloston bei Little a n d Brown.
Essay über Katholizismus von Donoso] Juan Donoso Cortés: Ensayo sobre el cato
licismo, el liberalismo y el socialismo, Madrid 1851 (dt.: Essay über den Katholi
zismus, den Liberalismus und den Sozialismus, hg. u. übers, v. Günter Maschke,
Weinheim: VCA 1989), vgl. Carl Schmitt: Donoso Cortés in gesamteuropäischer
Interpretation. Vier Aufsätze, Köln: Greven 1950.
Bonald] Vicomte d e Louis-Gabriel-Ambroise de Bonald (1754-1840), firz. Politi
ker und Philosoph, Begründer des sogenannten Traditionalismus, w ie de Maistre und
Donoso Cortes Theoretiker der Gegenrevolution.
Pius IX] (eigtl. Giovanni Maria Mastai Ferretti, 1792-1878), ital. Geistlicher und
Theologe, Papst ab 1846. Unter seinem Pontifikat wurde 1870 das Dogma von der
Unfehlbarkeit des Papstes a u f d em von ihm einberufenen Ersten Vatikanischen Konzil
proklamiert; erließ 1864 den sogenannten Syllabus Errorum (lat., Verzeichnis der Irr-
tümer), der 80 Thesen enthält, die vom katholischen Lehramt alsfa b ch verurteilt werden.
Princeton, N. J. (...) Cambridge Mass.] Durch ein Rockefeller Fellowship w a rJT von
April 1953 bis April 1954 Research Fellow in Philosophy an der Harvard University,
wo er im akademischen Jahr 1954/55 ab Lecturer in Social Philosophy lerte, um von
/uli 1955 bis Ju li 1956 Visiting Assistant Professor an der Princeton University zu sein.
Von da an lehrte er bis 1966 an der Columbia University, New York, ah Assistent, seit
1959 ab Associate Professor o f Religion.
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nis zur Geschichte. Und wir blättern in Ihren «Verfassungsrechtlichen
Aufsätzen», die ich hier bei meiner Rückkehr zu meiner Freude vorge
funden habe! Es ist schade, dass Sie sich nicht zum Weg über Paris ent
scheiden können - aber wir verstehen Ihre Gründe. Weissen Saumur
haben wir auf Ihr Wohl getrunken, und hoffen, in Ihrem neuen Lebens
jahrzehnt bald einmal wieder Ihnen gegenübersitzen zu können.
Gute, herzliche, dankbare Wünsche - Ihr Arminius.
Sehr verehrter Herr Professor —es ist nicht nur Ihr Festtag, der Sie
unter uns fünf heute sehr stark anwesend sein läßt. In dem Kreise ist
kein Gespräch mit unserem Gast aus Amerika möglich, das nicht über
Meer und Land die Verbindung zu Ihnen knüpft. - Ich wünsche
Ihnen noch gute Wochen bei Alfonso und Anima —die ich herzlich zu
grüßen bitte ich hoffe, Sie in Ihrem neuen Lebensjahrzehnt bald
wiederzusehen. - Im westlichen Deutschland? -
Alle guten Wünsche, Gesundheit und Kraft
Ihr sehr ergebener
Hans-Joachim Arndt
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! ieber Herr Professor,
es ist sehr schade, dass Sie doch nicht nach Paris kommen werden.
Krstens hätte ich gerne Ihnen persönlich gratuliert zu Ihrem Herrn
Schwiegersohn (zu Anima sowieso!) und zweitens hätte ich Ihnen zu
gerne unsere Söhne vorgestellt (Den älteren mussten wir bei Animas
besuch ausser Haus geben, weil er sich so unmöglich benimmt, und
der andere schlief glücklicherweise ein).
So gratuliere ich Ihnen sehr herzlich zu Ihrem morgigen Geburtstag,
wünsche Ihnen noch eine recht schöne Zeit in Spanien und möchte
Sie bitten, Ihre Kinder herzlich von mir zu grüßen.
Ihre Edith Möhler
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of the Exception. An Introduction to the Political Ideas of Carl Schmitt between
1921 and 1936, Berlin: Duncker & Humblot 1970, eine Arbeit, die als Dissertation
von Otto K irchheim er an der Columbia University 1962 abgelehnt un d m it Auflagen
zum Um- und Neuschreiben belegt ivurde. Sie und Schwabs Übersetzung von Der
Begriff des Politischen aus dem Jahre 1976 machten CSch in den USA einem größeren
Leserkreis bekannt.
Kojeve] Alexatidre Kojeve (eigtl. Alexander Koschewnikow, 1902-1968). russ.-frz.
Philosoph und Wirtschafisbeamter, 1924 Promotion an der Univ. Heidelberg. 1928
Umzug nach Paris. Seine Vorlesungen über Hegels Phänomenologie des Geistes, die
er 1933-39 an der Ecole pratique des Hautes Etudes in Paris unter dem Titel La phi-
losophie religieuse de Hegel hielt und d ie von Raymond Queneau unter dem Titel
Introduction ä la lecture de Hegel, Paris: Gallimard 1947 (dt.: Hegel. Eine Ver
gegenwärtigung seines Denkens, Stuttgarr: W. Kohlhammer 1958) herausgegeben
wurden, prägten das intellektuelle Leben Frankreichs entscheidend, Kojeve war sowohl
m it J T als auch m it CSch seit M itte der 1950er Jahre persönlich bekannt.
Marées] Hans von Marées (1837-1887), M aler und Graphiker aus dem Kreis der
neuidealistischen Deutsch-Römer, von 1947-1979fa n d eine provisorische Ausstellung
ausgewählter Werke im Haus der Kunst in M ünchen statt.
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Apoll von Tenea] frühgriech. Plastik eines nackten Jünglings m it dem so genannten
archaischen Lächeln, jetz t in der Glyptothek in M ünchen
jacob liest jetzt in Berlin] Auf Einladung M ichael Landmanns unterrichtete J T in den
Monaten Ju n i und Ju li 1961 sowie im Snmmersemester 1962 a u f dem vakanten Lehr
stuhl im Fach Wissenschaft vom Judentum an der Philosophischen Fakultät der FU
lierlin. In dieser Z eit liefen bereits die Berujungsverhandlungen zwischen der FU und
ihm; von September 1962 bis Ju li 1963 vertrat J T diesen Lehrstuhl durch eine Fulb-
right-Gastprofessur; vom 1. Ju li 1963 an wurde er m it allen Rechten und Pflichten eines
( hdinarius, aber ohne Verbeamtung a u f Basis eines Privatdienstvertrages a u f Lebenszeit
angestellt. Da er seine Position an der Columbia University in New York nicht aujgeben
wollte, war ein Wechsel im jährlichen Turnus zwischen beiden Universitäten vereinbart
worden, der bis zum Wintersemester 1966/67 Bestand hatte, als sich J T schließlich Ju r
den ständigen Verbleib an der FU entschloss.
arcana] lat., Geheimnisse; hier auch Anspielung a u f eines der wichtigen Prinzipien
frühneuzeitlicher Politik und d ie Geheimhaltungspflicht staatlicher Bürokratie, vgl.
Ciarl Schmitt: Römischer Kathilizismus und politische Form, 2., bearb. Auf!., M ün
chen: Theatiner 1925, S. 47: Zu jeder großen Politik gehört das „Arcanum“.
Mss] Manuskripte
4 TAUBES AN SC H M IT T
O.O., O.D. (W O H L JU LI 1970)
E N TW U RF
Entwurf
27
Trauerspiel-Buch Benjamins. Beide Werke sind Analysen ,Zur Lehre
von der Souveränität“. Souveränität aber war im Zeitalter der liberalen
Auflösung ein verketzerter, ja mehr noch ein vergessener Begriff. Es läßt
sich also sowohl von Ihnen wie von Benjamin sagen, daß Sie ,nie anders
forschen und denken können als in einem ... theologischen Sinn“ (Ben
jamin im Brief an Rychner, 7. März 1931). bür Benjamin hieß dies in
Gemäßheit der talmudischen Lehren von den neunundvierzig Sinn
stellen jeder 'I horarolle. Für Sie, verehrter Herr Schmitt, hieß dies wohl
gemäß der symbolischen Interpretation der Heiligen Schrift, die im
katholischen Raume noch lebendig ist.
Soweit verstehe ich noch den Zusammenhang, nun aber beginnt mei
ne Frage. Für Benjamin konkretisierte sich seine Erfahrung von den
Hierarchien des Sinns“ in geschichtsphilosophischen Thesen des his
torischen Materialismus - sicherlich einer eigentümlichen Version
von historischem Materialismus. Eine nämlich, die die Theologie in
ihren Dienst nimmt (Geschichtsphilosophische Thesen I). Darum
konnte er .Hierarchien des Sinns“ noch in der abgegriffensten kom
munistischen Plattitüde entdecken, ja mehr davon dort erfahren als
im gängigen bürgerlichen Tiefsinn, der immer nur den einen der Apo
logetik besitzt. Alle historischen Studien waren für Benjamin Konst
ruktion auf eine “Jetztzeit” hin. Diese “Jetztzeit” war ihm Modell der
messianischen in einer ungeheuren Abbreviatur, darin die Geschichte
der ganzen Menschheit zusammengefaßt ist (Geschichtsphilosophi
sche Thesen XVIII).
Auch für Sie haben, so scheint es mir, die Studien, die die .Hierarchien
des Sinns“ in jeweils neuer Konstellation entfalten, einen konkret
gegenwärtigen Sinn. Sie, sehr verehrter Herr Schmitt, haben die Viel
falt der symbolischen Äußerungen der Tradition auf den konkreten
politischen Index abgeklopft, also auch im Hinblick auf eine “Jetzt
zeit”. Hier aber tut sich, so scheint es wenigstens dem Betrachter einer
so rücksichtslos vergangenen Epoche wie der zwanziger Jahre, ein
Abgrund auf. Akzeptiert man Ihre eigene Situationsanalyse vom Zeit
alter des Weltbürgerkriegs, so sind Sie und Benjamin auf den verschie
denen Seiten der Barrikaden gelandet. Beide verfaßten gegenrevoluti
onäre Schriften. Sie aber haben Ihren Geist der Gegenrevolution auch
noch ausdrücklich zur Verfügung gestellt, während Benjamin ver
suchte mit seiner .kleinen Schreibfabrik“ gegenrevolutionäre Motive
für die bessere Sache der Revolution einzusetzen.
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Die Frage, die Max Rychner an Benjamin stellte: “Die, cur hie?”, möch
te ich auch an Sie richten. Benjamin hat es sich nicht leicht gemacht in
seinem Bündnis mit dem historischen Materialismus. Er war bereit, sei
ne weitreichenden metaphysischen Einsichten in einer Phraseologie vor
zutragen, die denkbar nahe an die offizielle kommunistische herankam.
Er ließ sich auf dieses Verfahren ein, weil er unbedingt wehren wollte,
daß seine Gedanken der Gegenrevolution zugute kommen. Vielleicht
kann man sagen, daß auch Sie sich in den letzten Jahren der Weimarer
Republik und immer mehr so in den Hitlerjahren krampfhaft bemüh
ten, Ihre weitreichenden metaphysischen Einsichten in eine Phraseolo
gie zu kleiden, die sich von der nazistischen schwer unterscheiden läßt.
Ist es also nur ein Unterschied in der Entscheidung des einen nach links
und des anderen nach rechts? Oder liegt der Unterschied doch tiefer?
Hat Benjamin nicht durch seine kommunistische Engführung die meta
physische Substanz “gerettet” (Rettung ist ein Stichwort Benjamins),
und haben Sie nicht durch Ihre Entscheidung die metaphysische Subs
tanz Ihrer Reflexion auf’s Spiel gesetzt, wenn nicht gar verspielt?
Dies ist nicht als nörgelnde Kritik gemeint sondern eine nachdenkli
che Frage eines Jüngeren, der sich die zwanziger Jahre, trotz gängiger
Literatur über sie, kaum vorstellen kann. Waren die Wege nach links
und rechts für einen, der die metaphysische Substanz retten wollte,
gleich offen? Oszillierten Geister zwischen links und rechts nur weil
sie am Programm des Liberalismus verzweifelten? Gab es damals keine
Kriterien, die gut und böse klar auseinanderhielten? Der Brief Benja
mins an Sie, der doch nicht vom Stigma des Opportunismus geschla
gen ist, beweist, daß er in Ihnen eine wahlverwandte Art erkannt hat
te. Hatten Sie auch damals um 1930 herum genügend Freiheit, auch
in ihm einen wahlverwandten Geist zu entdecken? Oder waren Sie
durch die massive Freund-Feind-Stellung im Bürgerkrieg geblendet,
in ihm einen wahlverwandten Geist zu entdecken? Erstaunlich, daß
Sie im Hamlet-Buch vielleicht als erster zu Benjamins Trauerspiel-
Buch Steilung nehmen. Aber beim Hamlet schreiben wir schon 1956,
also ein Jahrzehnt nach der Nazi-Sintflut. W ie sah die Konstellation
von Ihrer Sicht 1930 aus? Konnten Sie in Benjamin, der eindeutig die
abgegriffenste kommunistische Plattitüde dem bürgerlichen Tiefsinn
vorzog, noch Geist von Ihrem Geist entdecken?
Entschuldigen Sie, verehrter Herr Schmitt, die Härte der Fragen. Sie
sollten nur einen Einstieg zur Orientierung bringen. Fern ist mir jede
29
persönliche Kritik. Soweit sie mitschwingt, ist sie Teil einer objektiven
geschichtlichen Situation, in der Sie selbst eine Rolle übernommen
hatten. Sollten diese Fragen Ihnen einige klärende Worte entlocken,
so wäre für uns Jüngere damit Verständnis für ein Rätselhaftes in unse
rer Geschichte gewonnen.
M it freundlichen Grüßen
Ihr
30
sehen v. Gershom Scholem u. Theodor W. Adorno, Frankfurt am Main: Suhrkamp
1966, S. 522-524, hier: S. 524: ich habe nie anders forschen und denken können als
in einem, wenn ich so sagen darf, theologischen Sinn - nämlich in Gemäßheit der
talmudischen Lehre von den neunundvierzig Sinnstufen jeder Tho ras teile. Nun;
H ierarch ien des Sin n s hat meiner Erfahrung nach die abgegriffenste kommu
nistische Plattitüde mehr als der heutige bürgerliche Tiefsinn, der immer nur den
einen der Apologetik besitzt.
in Ihrer politischen Theologie1] Carl Schmitt: Politische Theologie. Vier Kapitel
zur Lehre von der Souveränität, München / Leipzig: Duncker 8c Humblot 1922.
Die ersten drei Kapitel wurden zuerst veröffentlich als: „Soziologie des Souveräni-
tätsbegrififes und politische Theologie“, in: Hauptprobleme der Soziologie. Erin
nerungsgabe für Max Weber, Bd. 2, hg. v. Melchior Palyi, München / Leipzig:
Duncker & Humblot 1922, S. 3-35. Das vierte Kapitel erschien selbständig als: „Die
Staatsphilosophie der Gegenrevolution“, in: Archiv für Rechts- und Wirtschafts
politik 16 (1922), S. 121-131. Die 2., bearb. Aufl., München / Leipzig: Duncker
& Humblot 1934, mit einem neuen Vorwort, datiert November 1933, liegt allen
weiteren Nachdrucken u nd Übersetzungen seither zugrunde.
Trauerspiel-Buch] Walter Benjamin: Ursprung des deutschen Trauerspiels, Berlin:
Rowohlt 1928.
,Zur Lehre von der Souveränität1] so der Untertitel von Carl Schmitt: Politische
Theologie (w ie oben, Anm.)
talmudischen Lehren von den neunundvierzig Sinnsteilen jeder Thorarolle] zum
Wortlaut bei Benjamin vgl. oben, Anm.
in geschichtsphilosophischen Thesen des historischen Materialismus] Walter
Benjamin: Geschichtsphilosophische Thesen, in: Walter Benjamin: Schriften, hg. v.
Theodor W. Adorno u. Gretel Adorno unter Mitwirkung v. Friedrich Podszus, Bd.
1, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1955, S. 494-506.
Version (...) die die Theologie in ihren Dienst nimmt (Geschichtsphilosophische
Thesen 1)] Geschichtsphilosophische These 1, ebd., S. 494: Zu dieser Appara
tur kann man sich ein Gegenstück in der Philosophie vorstellen. Gewinnen soll
immer die Puppe, die man „historischen Materialismus“ nennt. Sie kann es ohne
weiteres mit jedem aufnehmen, wenn sie die Theologie in ihren Dienst nimmt, die
heute bekanntlich klein und häßlich ist und sich ohnehin nicht darf blicken lassen.
Alle historischen Studien (...) Konstruktion auf eine “Jetztzeit” hin] Geschichts
philosophische These XTV, ebd., S. 503: Die Geschichte ist Gegenstand einer Kon
struktion, deren Ort nicht die homogene und leere Zeit, sondern die von „Jetztzeit“
erfüllte bildet.
Diese “Jetztzeit” war ihm Modell der messianischen in einer ungeheuren Abbre
viatur (...) (Geschichtsphilosophische Thesen XVIII)] Geschichtsphilosophische
These XVIII, ebd., S. 505: Die Jetztzeit, die als Modell der messianischen in einer
ungeheuren Abbreviatur die Geschichte der ganzen Menschheit zusammenfaßt,
fällt haarscharf mit der Figur zusammen, die die Geschichte der Menschheit im
Universum macht.
mit seiner .kleinen Schreibfabrik1] vgl. B rief Benjamins an Scholem vom 17. April 1931,
in: Walter Benjamin: Briefe, Bd. 2, 1966 [wieoben, Anm.), S. 529-532, hier: S. 531.
Die Frage, die Max Rychner an Benjamin stellte: “Die, cur hic?”] lat., sage, warum
du hier bist; JT z itiert hier aus dem dem B rief Benjamins an Rychner vom 7. März 1931
vorangestellten Hinweis der Herausgeber, ebd,, S, 522: Die Abschrift des folgenden Brie
fes sandte Benjamin Scholem mit folgender Vorbemerkung ein: „Dies habe ich dem
31
Herausgeber der ,Neuen Schweizer Rundschau' auf seinen Artikel .Kapitalismus und
schöne Literatur' - eine Rezension der gleichnamigen Schrift von Brentano - geschrie
ben. Der Artikel wurde mir mit dem Motto: ,Dic, curhic? zugesandt. Walter“,
im Hamlet-Buch (...) zu Benjamins Trauerspiel-Buch Stellung nehmen] Carl
Schmitt: Hamlet oder Hekuba. Der Einbruch der Zeit in das Spiel, Düsseldorf
/ Köln: Eugen Diederichs 1956, S. 62-67. - ln seinem Handexemplar von Benja
mins Trauerspielbuch fin d et sich die Notiz CSchs: Mein Gespräch mit W. Benjamin:
„beispiellose Intensität des Gesprächs mit einer nicht zu überbietenden Ferne vom
Partner“ (so W. Benjamín 1929 über die Gespräche bei Proust) Artikel: „Zum Bilde
Prousts“ (HStA Düsseldoifi RW 265-26567). Die Notiz dürfte aus dem Jahre 1969
stammen, dem Erscheinungsjahr des fotom echanischen Nachdrucks der Ausgabe von
1963, der sich in der Bibliothek von CSch findet.
31.5.77
Der Benjamin Brief an Sie steht in der M itte der Diskussion. Freund
lich Jacob Taubes.
32
ÜBERLIEFERUNG O: Hs, Ansichtskarte; HStA Düsseldorf, Nachlass Carl Schmitt,
RW265-9881. - E: m it Auslassungen in Mohler/Schmitt, S.414-415, Nr. 378.
der verlorene Sohn Jakob Taubes] Anspielung sowohl a u f das Gleichnis Jesu vom
Sohn, der völlig heruntergekommen zum Vater zurückkehrt, von diesem w ieder auf
genom m en und m alle Rechte eingesetzt wird, vgl. Evangelium nach Lukas 15,11-
32, als auch a u f die zu diesem Zeitpunkt erreichte Genesung JTs von einem schweren
psychischen Zusammenbruch, den er M itte 1975 erlitten hatte. Ein halbes Jahr vor
diesem Schreiben hatte M öhler CSch mitgeteilt, ¡d]ass Taubes seit einem Jahr in der
Klapsmühle ist, werden Sie wissen, vgl. B rief von M öhler an CSch vom 18. November
1976 (O: HStA Düsseldorf, Nachlass Schmitt, RW265-9879, vgl. Mohler/Schmitt,
S. 411, Nr. 375, wo dieser Satz ausgelassen ist).
Der Benjamin-Brief an Sie] vgl. B rief 4, Anm.
Ortlosigkeit des Marxismus (...) Sander] K apitel der Dissertation von Hans-Diet
rich Sander: Marxistische Ideologie (wie B r ief 4, Anm.), die 1975 in 2., erw. Aufl.
erschienen ist. - Hans-Dietrich Sander (geh. 1928), Publizist, studierte 1948-1949 an
der Kirchlichen Hochschule in B erlin-Z ehlendorf un d 1949-1952 an der FU Berlin,
1950 bis 1951 Hospitant bei Bertolt Brecht am Berliner Ensemble, 1952 Umzug nach
Ostberlin, Arbeit als Dramaturg un d Kritiker, 1957 Bruch m it dem Kommunismus
und erneuter Umzug nach Westberlin, wo er als Literaturkritiker f i r Die Welt arbei
tete. 1969 Promotion an der Univ. Erlangen m it der Arbeit Marxistische Ideologie
und allgemeine Kunsttheorie (w ie B rief 4, Anm.). Seit den späten 1970er Jahren
zunehm ende Radikalisierung, d ie Sander m s Lager der nationalen dt. Rechten und zum
Bruch sowohl m it J T als auch CSch führte. M it letzterem stand Sander von M ai 1967
bis August 1978 in regem Briefverkehr; vgl. Schmitt/Sander; dabei unterrichtete San
der CSch detailliert auch über Vorhaben JTs. M it J T war Sander anlässlich des Treffens
im Hause Möhler bekannt geworden, aus dem die oben stehende Karte hervorging. Bei
einem weiteren Treffen m it Sander im August 1977 bot sich J T an, Sanders Habilitati-
onsbemühungen an der FU Berlin zu unterstützen.
Schranz] Franz Schranz (1894-1961), Arzt, war Begründer eines seit 1930 bestehen
den literarischen Zirkeb in Siedlinghaus im Sauerland, den CSch, ErnstJünger, Konrad
Weiss u.a. frequentierten.
Döderlein] Über den H egelforscher Johannes Ludwig Döderlein konnte näheres nicht
ermittelt werden, außer dass auch er im Kreis um Schranz verkehrte. J T lud den in
M ünchen ansässigen Döderlein am 15- Oktober 1919 zum H obbes-Kolbquium nach
Berlin: Ich würde mich sehr, sehr freuen, wenn Sie dazu kämen und werde, sobald
ich Materialien habe, sie Ihnen zusenden. Während sonst nur Vortragende einge
laden werden, käme es mir in Ihrem Fall äußerst gelegen, wenn Sie jenseits eines
Einzelvortrags in der Diskussion uns Jüngeren etwas von der sinnlichen Atmo
sphäre vermitteln, in der Carl Schmitts Politische Theologie im ersten Gang in
den zwanziger Jahren, Petersons Kritik in den dreißiger Jahren wucherten. Uber
Politische Theologie II weiß ich Einiges aus eigener Anschauung (O: ZfL, Nachlass
Jacob Taubes); außerdem sollte er am 30. Oktober 1979 einen Vortrag «¿er Außenseiter
der Geschichtsphilosophie an der FU Berlin halten.
33
6 TAUBES AN SC H M IT T
BERLIN, 17.11.1977
34
Von mir kommt ein Beitrag: “Nietzsche und Spinoza als Interpreten
des Apostels Paulus”, H. D. Sander wird Spinoza vor dem Forum der
Marxismen beleuchten. Also eine Konstellation ad Spinozam, die wie
das Sternbild des Bären vom Bären im Zirkus sich vom gängigen
Geschwätz ad Spinozam unterscheiden soll. Sind Sie mit von der Par
tie?
Mit gleicher Post geht an Sie eine xerocopie des “preface” von Leo
Strauss zur amerikanischen Ausgabe seiner Religionskritik. Vielleicht
entlockt Ihnen die Lektüre eine Anmerkung, eine Correctur oder
einen Hinweis. Auch dieser wäre Kassiber im KASSIBER der deut
schen (und französischen) geistigen Landschaft.
Es grösst Sie die Hand über einen Abgrund reichend
Ihr Jacob Taubes
1 Berlin 33, den I7.XJ.1977] darüber hs. Vermerk von Schmitt: Geantwortet]
29/11/77
Teil 5 aus Der Leviathan. 1938] Carl Schmitt: Der Leviathan in der Staatslehre
des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols, Hamburg:
Hanseatische Verlagsanstalt 1938, S. 79-97; das fü n fte Kapitel ist überschrieben: Die
souverän-repräsentative Person stirbt an der Trennung von Innen und Außen.
Unser Aperiodikon (...) KASSIBER] Einer der zahlreichen, nicht verwirklichten
Pläne JTs zu einer Zeitschrift; KASSIBER sollte in der von Axel Rätters und dem
ehemaligen Lektor des Suhrkamp Verlages Karl Markus M ichel gegründeten Syndikat
Autoren- und Verlagsgesellschaft in Frankfurt am Main erscheinen, was zu schweren
Konflikten zwischen J T und Siegfried 1Inseid, dem Leiter des Suhrkamp Verlages fiihrte,
fü r den J T beratend tätig war.
Rotwelsch für kataw ktiwa] Rotwelsch, die dt. Gaunersprache, bekannt vom Spät
m ittelalter bis heute, hat seine Bestandteile auch aus dem Jiddischen, der Sprache der
Juden M ittel- und Osteuropas, genom men. Kassiber ist ein solcher Jiddismus, abgeleitet
von kaswenen (schreiben) bzw. kessaw (Schrift). J T hat den Ausdruck hier a u f seine
älteren hebr. Formen zurückbezogen.
Benjamins Brief an Sie, 1930] vgl. B rief 4, Anm.
das “Archiv” in Frankfurt] Der in Frankfurt am Main gesam m elte Teil des Nach
lasses von Walter Benjamin umfasste die Materialien, die nach seinem Tod Theodor
W. Adorno übergeben wurden; zugleich Verweis a u f die Herausgabe der Gesammelten
Schriften von Walter Benjamin, die seit 1972 von den Adorno-Schülern R olf Tiede-
mann (geb. 1932) und Hermann Schweppenhäuser (geh. 1928) hauptverantivortlich
betreut wurde.
so Adorno an mich] Der entsprechende B rief liegt nicht vor.
35
Abdruck bei H. D. Sander] Hans Dietrich Sander: Marxistische Ideologie und
allgemeine Kunsttheorie (wie B rief 4, Anm.)
Vetera, die aber novissima sind] lat., Altes, das aber ganz neu ist; so w ie Benjamins
B rief an CSch waren auch die im folgenden erwähnten Publikationen unbekannt und
neu zu entdecken.
Vortrag Hermann Cohens] Der 1910 gehaltene Vortrag w urde posthum publiziert,
vgl. „Ein ungedruckter Vortrag Hermann Cohens über Spinozas Verhältnis zum
Judentum, eingeleitet von Franz Rosenzweig“, in: Festgabe zum zehnjährigen
Bestehen der Akademie für die Wissenschaft des Judentums, 1919-1929, Berlin:
Akademie Verlag 1929, S. 42-44.
aus den Vorentwürfen zu Spinozas Religionskritikl Leo Strauss: Die Religionskri
tik Spinozas als Grundlage seiner Bibelwissenschaft. Untersuchungen zu Spinozas
Theologisch-Politischem Traktat, Berlin: Akademie Verlag 1930 (Veröffentlichun
gen der Akademie für die Wissenschaft des Judentums, Philosophische Sektion,
Bd. 2). - M it Vorentwürfen m eint J T d ie der Schriß von 1930 vorausgehenden, the
matisch vorbereitenden Aufsätze von Strauss „Cohens Analyse der Bibel-Wissenschaft
Spinozas“, in: Der Jude 8 (1924), S. 295-314 und „Zur Bibelwissenschaft Spinozas
und seiner Vorläufer“, in: Korrespondenzblatt des Vereins zur Gründung und
Erhaltung einer Akademie für die Wissenschaft des Judentums 7 (1926), S. 1-22.
“preface” (...) Religionskritikl Leo Strauss: Preface to the English Translation, in:
ders.: Spinozas Critique of Religion, New York: Schocken Books 1965, S. 1-31 u.
271-273 (notes).
Ich höre dass R. Smend zu Ihrer (...) Spinoza interpretation sich geäussert hat]
A uf R udolf Smends Spinoza-Interpretation wurde J T durch Sander aufmerksam
gem acht (vgl. B rief58), diesen hatte zuvor CSch in einem B rief vom 3. November 1977
a u f die Bedeutung des nicht erhaltenen Schreibens Smends flir seine Hobbes-Deutung
hingewiesen: Kennt Taubes den Brief von Smend (vom Juli 1938, zu S. 88 meines
»Leviathan« von 1938)? Ich habe Ihnen einmal eine Fotokopie davon geschickt
(in: Schmitt/Sander, S. 41; zu dem verlorenen B rief vgl. Reinhard Mehring (Hg.):
.A uf der gefahrenvollen Straße des öffentlichen Rechts“. Briefwechsel Carl Schmitt
- Rudolf Smend 1921-1961. M it ergänzenden Materialien, Berlin: Duncker &
Humblot 2010, S. 99-100, hier: S. 99 u. Anm. 333.) Sander antwortete CSch am 7.
November 1977: Den Briet von Smend kennt Herr Taubes nicht. Ich sagte ihm nur,
dass ein solcher existiert (Schmitt/Sander, S. 415).
7A SC H M IT T AN TAUBES
PLETTENBERG, 29.11.1977
Plettenberg-Pasel
29/11/1977
Verehrter Herr Taubes,
Ihren Anruf vom 17. November erwidere ich dankbar und bereit. Die
adäquate Wellen-Länge muss sich noch ergeben. Diese Zeilen sind
36
nicht mehr als eine Empfangsbestätigung und - als Bestätigung —noch
etwas mehr. Ihr Anruf macht mir meine quälende Situation gegenüber
l.eo Strauss nachträglich (epi-metheisch) erst ganz bewusst. Der Auf
satz »Spinozas Critic of Religion« (von 1962) war mir unbekannt, als
ich meinen »Hobbes-Kristall« (1963) und meinen Essay »Die vollen
dete Reformation« (1963) veröffentlichte. Beides hatte Leo Strauss
zum Adressaten; bei dieser Art von »Dialog« war ich von Anfang an der
Besiegte.
Das lässt sich nicht schriftlich explizieren, am wenigsten handschrift
lich durch einen 90Jährigen. Ich darf deshalb schnell zum speziellen
Ihema Ihres Schreibens ein Wort erwidern:
Ihren Vorschlag, das 5. Kapitel meines »Leviathan« von 1938 in Ihrer
geplanten neuen Zeitschrift zu veröffentlichen, empfinde ich als eine
Auszeichnung, die etwas anderes und mehr ist als ein »pour le mérite«.
Was mir die Annahme unmöglich macht, ist meine Situation und die
meines zerstörten Image, meiner »Figur«, die mir in den letzten
Wochen und Monaten auf eine ziemlich brutale Weise ins Gesicht
geschleudert wird. Damit will ich Sie nicht aufhalten. Es hat über 20
Jahre gebraucht, um einen so einfachen, dokumentarisch klaren Fall
wie den des Walter-Benjamin-Briefes vom Dezember 1930, wenigs-
lens für einige, vereinzelte Interessenten philologisch zu klären. Darf
ich jetzt versuchen, meine Bitte um Ihr Verständnis für meine Zurück
haltung zu erklären?
Alles was mich heute noch angeht, wird für mich eine Frage Politischer
Iheologie. Auch Max Weber ist als Revanchist des Versailler Friedens
vertrages von 1918/9 am Ende seines Lebens offen das geworden was
er war; politischer Theologe. Bei mir bedeutet das etwas, was Hugo
Ball 1924 ausgesprochen hat: »in der Gewissensform seiner Begabung
erlebt er (CS.) seine Zeit«. Bei mir ist das eine spezifisch juristische
Begabung. M it andern Worten: ich vermag Nomos und Norm zu
unterscheiden, eine fundamentale, konstituierende Unterscheidung,
deren sich der heutige juristische Positivismus durch Selbstverstümme
lung selber beraubt hat.
I iir die neue Zeitschrift, die Sie planen, ist als Titel und Name das
Wort »Kassiber« vorgeschlagen. Zur Aura eines solchen Namens gehört
eine Parole, die für einen Juristen etwas anderes schreibfest macht als
liir jeden Andern. Vielleicht genügt diese Andeutung; sie ist kein Urteil
über Ihre Ziele und Intentionen. Ich spreche es aus, um einen Vor
37
schlag und eine Sendung wie die vom 17. November nicht »katego
risch« unbedankt zu lassen. Inzwischen bleibe ich bei Habakuk 2, 2 ft
und 2 Thess. 2, 6 ft. Abyssus vocat Abyssum. Zu Hermann Cohen (mir
stets präsent von 1912-1977) hoffentlich ein anderes mal; er bleibt
präsent, vor allem weil die Wert-Diskussion noch kaum begonnen hat;
Wert und Leben, zu diesem Ihema ist Cohen heute noch aktueller als
der wackere Schopenhauer, dessen Rechts- und Staatsphilosophie hun
dertprozentigen Hobbesianismus treuherzig sich aneignet.
Ich bleibe stets
Ihr
Carl Schmitt.
Ihren Anruf vom 17. November] gem ein t ist J T B riefvom 17. N ovember 1977, vgl.
B rief 6
epi metheisch |griech., zu spat denkend, gebildet nach Epimetheus, dem Bruder des
Prometheus, dem Vor(wärts) Denkenden; zugleich Verweis <z»y"Konrad Weiss: Der
christliche Epimetheus, Berlin: Edwin Runge 1933. Für CSch verkörpert Epimetheus
eine der drei Formen christlicher Existenz, vgl. Carl Schmitt: „Drei Möglichkeiten
eines christlichen Geschichtsbildes“, in: Blumenberg/Schmitt, S. 161-166. CSch
charakterisiert sich selbst öfter als christlichen Epimetheus, vgl. Carl Schmitt: F.x Cap-
tivitate Salus. Erfahrungen der Zeit 1945/47, Köln: Greven 1950, S. 12: Mein
Wesen mag wohl nicht ganz durchsichtig sein; aber mein Fall lässt sich benennen,
mit Hille eines Namens, den ein großer Dichter gefunden hat. Es ist der schlechte,
unwürdige und doch authentische Fall eines c h ristlic h e n E p im etheus.
Der Aufsatz »Spinozas Critic of Religion« (von 1962)] gem eint ist Leo Strauss:
Pretace to the English Translation (wie B rief 6, Anm.)
»Hobbes-Kristall« (1963)] Der von CSch selbst so genannte Hobbes Kristall fin det sich
in den 1963 hinzugefugten Corollarien seines im August 1927 erstmals publizierten Auf
satzes Der Begriff des Politischen, der als Buch 1932 erheblich erweitert und verändert
erschienen ist; vgl. Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem
Vorwort und drei Corollarien, 2. Aufl., Berlin: Duncker & Humblot 1963, S. 122.
38
meinen Essay »Die vollendete Reformation« ( 1965)] Carl Schmitt: „Die vollen
dete Reformation. Bemerkungen und Hinweise zu neuen Leviathan-Interpretatio
nen“, in: Der Staat. Zeitschrift für Staatslehre, öffentliches Recht und Verfassungs
geschichte 4 (1965), S. 51-69.
Ihren Vorschlag (...) zu veröffentlichen] vgl. B rief 6
pour le mérite] frz., für den Verdienst, von Friedrich II. 1740 in Preußen als Aus
zeichnung vor allem fu r militärische Tapferkeit eingefuhrter Orden: 1842 sch u f Fried
rich Wilhelm IV. einen Orden Pour le mérite fü r Wissenschaften und Künste.
Es hat über 20 Jahre (...) philologisch zu klären] Dieser Zeitraum ergibt sich aus der
ersten öffentlichen Erwähnung des Briefs von Benjamin, die CSch selbst 1956 machte,
vgl. Carl Schmitt: Hamlet oder Hekuba (w ie B rief 4, Anm.), S. 54.
Auch Max Weber (...) politischer Theologe] Vgl Max Weber: „Parlament und
Regierung im neugeordneten Deutschland“, in: ders.: Gesammelte politische
Schriften, hg. v. Johannes Winckelmann, 3. Auf!., Tübingen: J.C.B. Mohr 1971,
S. 306-443, hier: S. 348: Die ganze breite Masse der Deputierten fungiert nur
als Gefolgschaft für den oder die wenigen „leader“, welche das Kabinett bilden,
und gehorcht ihnen blind, so lange sie Erfolg haben. Das soll so se in . Stets
beherrscht das „Prinzip der kleinen Zahl“, d. h. die überlegene politische Manöv
rierfähigkeit k le in e r führender Gruppen, das politische Handeln. Dieser „cäsa-
ristische“ Einschlag ist (in M assen staaten ) unausrottbar. (H ervorhebungM . W.)
Hugo Ball (...) erlebt er (CS.) seine Zeit«] Hugo Ball: „Carl Schmitts Politische
Rheologie“, in: Hochland 21 (1924), S. 263-286, hier: S. 264: In der Gewissens-
lorm seiner Begabung erlebt er die Zeit. Balls Aufsatz, den CSch sehr schätzte, wurde
von J T w iederveröffentlicht in: Jacob I'aubes (Hg.): Der Fürst dieser Welt. Carl
Schmitt und die Folgen, Paderborn u.a.: Fink / Schöningh 1983, S. 100-115, das
Z.itat hier: S. 100.
eine Parole (...) als für jeden Andern] Hinweis von CSch a u f die juristische Bedeutung
von Kassiber - gem ein t ist der Strafiatbestand des heim lichen Schmuggels der Nachricht
eines Inhaftierten im oder aus dem Gefängnis heraus. Auch Hans Blumenberg, an den
J T offenbar eine Kopie des vorliegenden Briefes gesandt hatte, erhob heftigen Einspruch
gegen den Titel, vgl. seinen B rief an CSch vom 28. Dezember 1977, in: Blumenberg/
Schmitt, S. 152.
Ilabakuk 2, 2 ff] Der Herr aber antwortete mir und sprach: Schreib auf, was du
geschaut hast, deutlich auf eine Tafel, dass es lesen könne, wer vorüberläuft! / Die
Weissagung wird ja noch erfüllt werden zu ihrer Zeit und wird endlich frei an den
’ Iag kommen und nicht trügen. Wenn sie sich auch hinzieht, so harre ihrer; sie wird
gewiss kommen und nicht ausbleiben. / Siehe, wer halsstarrig ist, der wird keine
Ruhe in seinem Herzen haben, der Gerechte aber wird durch seinen Glauben leben.
2 Thess. 2, 6 ff] Zweiter Brief an die Thessalonicher 2,6-7: Und ihr wisst, was ihn
\den Widersacher Gottes] noch aufhält, bis er offenbart wird zu seiner Zeit. / Denn es
regt sich schon das Geheimnis der Bosheit; nur muss der, der es jetzt noch aufhält,
weggetan werden.
Abyssus vocat Abyssum] Psalm 42,8: Abyssus ad abyssum invocat in voce catarac-
tarum tuarum omnia excelsa tua et fluctus tui super me transierunt, lat.. Deine
Fluten rauschen daher, und eine Tiefe ruft die andere; alle deine Wasserwogen und
Wellen gehen über mich. - Der oben angeführte Notizzettel (HStA Düsseldorf, Carl
Schmitt-Nachlass, RW 265-21927, Bl. 5) verdeutlicht den assoziativen Zusammen
hang zwischen der G rußformel in JTs B rief an CSch (vgl B rief 6) und dem Zitat
aus den Psalmen in CSchs Antwort, nach mehreren gestrichenen Worten heißt es: am
39
Schluss Ihres Briefes trifft mich unmittelbar aber auch nicht unvermittelt. Ich habe
es begriffen und ich greife es auf. Abyssum. Aber was ist die Sprache der Abgründe.
[.danach mehrere Worte unleserlich un d gestrichen]
Hermann Cohen (...) 1912-1977)] Vgl. Carl Schmitt: Gesetz und Urteil. Eine
Untersuchung zum Problem der Rechtspraxis, Berlin: Otto I.iebmann, 1912, S.
59, Anm. 1: Die Ausführungen von Cohen in seiner „Ethik des reinen Willens“
sind durch H. Kantorowicz im Archfiv] fjür] Sozialw[issenschaft] N. F. 13, S. 602-
604 zurückgewiesen worden. Eine eingehendere Auseinandersetzung m it Cohen und
dem M arburger Neukantianismus fin d et sich erst in der zwei Jahre später erschienenen
Schrift Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, Tübingen: J. C. B.
Mohr / Paul Siebeck 1914, S. 12-14 u. 60-61.
der wackere Schopenhauer (...) Hobbesianismus] vgl. dazu die ablehnende Kritik in
Carl Schmitt: „Schopenhauers Rechtsphilosophie außerhalb seines philosophischen
Systems“, in: Monatsschrift fiir Kriminalpsychologie 10 (1913), S. 27-31
7B SC H M IT T AN TAUBES
PLETTENBERG, 26./27.11.1977
E N TW U RF
1. Entwurf
40
jetzt machen Sie, verehrter Herr Taubes, mir sehr konkret-topologi
sche Vorschläge für einen Beitrag zu einer neuen Zeitschrift, als deren
Namen Sie das Wort «Kassiber« vorgeschlagen haben. Ich bin, in mei
ner Essenz wie in meiner Existenz, gut oder schlecht], Jurist, Berufs-
jurist. Alle Human-Wissenschaft wird mir zur Rechts-Wissenschaft.
Von dort her mein lebhaftes Interesse an [ein Wort fehlt], vom »Wert
des Staates« 1914 (Vorwort S. 12/13) bis zur »Tyrannei der Werte«
(Ebracher Festgabe fiir Ernst ForsthofF, 1968, S. 49 Anm. 9). Hugo
Ball hat (1924) von mir gesagt: »In der Gewissensform seiner (sc.
juristischen) Begabung erlebt er (C.S.) die Zeit.« Das ist es. W ie erlebt
ein solches Subjekt heute - Herbst 1977 - das Wort »Kassiber«?
Ne simus faciles in verbis. Sie müssen mir mein Alter zugutehalten.
Ich denke nicht mehr schnell genug fiir meine Zeit, die keine Geduld
mehr kennt. Ich schreibe diese Zeilen, um einen Brief und eine Sen
dung wie Ihre vom 17. November nicht unbestätigt und unbedankt
zu lassen. Darf ich Ihnen ein Exemplar der amerikanischen Ausgabe
des »Begriffs des Politischen« beifügen, die 1976 erschienen ist? Ich
kann die USA-Aura nicht beurteilen. Mein Lebensthema bleibt, was
in den Schlussthesen von Politische Theologie II formuliert ist: homo
liomini res mutanda. Ich bin Berufs-Jurist und kein Berufsrevolutio
när. Am liebsten spräche ich mit Ihnen über Habakuk 2,2fF. Leider
kann ich kaum Hebräisch.
Stets Ihr
Carl Schmitt
1 Anlage
(Buch)
41
Aufsatz von Leo Strauss aus dem Jahre 1962] gem eint ist Leo Strauss: Preface to ehe
F.nglish Translation (wie B rief 6, Anm.)
»Die vollendete Reformation« (...) »Der Staat«, Bd. 4] vgl. B rief 7A, Anm.
Ich kannte ihn nicht (...) Glossar Seite 122).] gestrichen
mein »Hohbes Kristall«! v gl B rief 7A, Anm.
Beides] statt: Alles was ich zu Hobbes seit 1932 geäussert habe
mir sehr konkret-topologische Vorschläge] statt: mir gleich konkrete Vorschläge
vorgeschlagen haben.] vorgeschlagen ist. darüber, am oberen Bl-R attd von CSch
notiert: [x] Parole Wie Walter Benjamin weiss was ein Name bedeutet (Nehme -
Nahmen - Namen) - vgl. dazu Carl Schmitt: „Nomos - Nähme - Name“, in:
Siegfried Behn (Hg.): Der beständige Aufbruch. Festschrift für Erich Przywara,
Nürnberg: Glock und Lutz o.J. [1959], S. 92-105, w iederveröffentlicht in: Staat,
Großraum, Nomos (w ie B rief 1, Anm.). S. 573-591. Zum Hinweis a u f Benjamin vgl.
Walter Benjamin: Die Aufgabe des Übersetzers, in: ders.: Gesammelte Schriften,
Bd. 4,1: Kleine Prosa / Baudelaire-Übertragungen, hg. v. Tiiiman Rexroth, Frank
furt am Main: Suhrkamp 1991, S. 9-21.
»Wert des Staates« 1914 (Vorwort S. 12/13)] Carl Schmitt: Der Wert des Staates
und die Bedeutung des Einzelnen, Tübingen: J. C. B. Mohr / Paul Siebeck 1914.
»Tyrannei der Werte« (...) Forsthoff, 1968, S. 49 Anm. 9)] Carl Schmitt: „Die
Tyrannei der Werte“, in: Säkularisation und Utopie. Ebracher Studien. Ernst Forst
hoff zum 65. Geburtstag, Stuttgart: W. Kohlhammer 1967, S. 49, Anm. 9: [Max
Scheler:] Gesammelte Werke, Bd. 2, S. 24. Ortega, der in Marburg Philosophie
studiert hat, kannte die Marburger Neu-Kantianer gut und wußte, daß bei ihnen
keine materiale Wertethik zu holen war. In der „Ethik des reinen Willens“ von Her
mann Cohen (1. Aufl. 1904, 2. Aufl. 1907, Neudruck 1921) erscheint der Wert in
der Lehre von dei Tugend der Gerechtigkeit, aber mit dem klaren Bewusstsein, daß
„der Wert die Kategorie des Verkehrs“ ist und der Gebrauchswert zum Tauschwert
wird (S. 611 der Ausgabe von 1921). Die Tyrannei der Werte erschien erstmalig
als Privatdruck in lim itierter Aufl. fiir die Teilnehmer des Ebracher Seminars am 23.
Oktober 1959, ein unautorisierter und stark gekürzter Druck wurde veröffentlicht in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 146 v. 27. Juni 1964.
Hugo Ball (...) keine Geduld mehr kennt] gestrichen
Ne simus faciles in verbis.] lat., seien wir nicht leichtfertig im Gebrauch unserer
Worte, vgl. Carl Schmitt: Tyrannei der Werte, ebd., S. 24-25 u. 39-40
Darf ich Ihnen ein Exemplar (...) 1976 erschienen ist] gestrichen - Carl Schmitt:
The Concept of rhe Political. Translation, Introduction, and Notes by George
Schwab, with Comment s on Schmitts Essay by Leo Strauss, New Brunswick: Rut-
gers University Press 1976. Diese erste vollständige Übersetzung von CSchs Begriff des
Politischen fo lg t der 2. bearb. u. erw. Aufl., München / Leipzig: Dunckcr & Humblot
1932, die auf dem Titelblatt den Zusatz trägt: M it einer Rede über das Zeitalter der
Neutralisierungen und Politisierungen. Die Rede wurde in diese Ausgabe neu aufge
nommen; in ihrer ursprünglichen Fassung erschien sie ab „Die europäische Kultur im
Zwischenstadium der Neutralisierung“, in: Europäische Revue 5 (1929), S. 517-530.
homo homini res mutanda] lat., der Mensch ist für den anderen stets wechselhaft,
eine von CSch selbst geprägte Sentenz in einer ganzen Reihe ähnlicher Sinnsprüche,
vgl. Carl Schmitt: Politische Theologie II. Die Legende von der Erledigung jeder
Politischen Theologie, Berlin: Duncker 8c Humblot 1970, S. 126.
Leider kann ich kaum Hebräisch. |gestrichen
Stets] gestrichen
42
8 TAUBES AN SC H M IT T
BERLIN, 23.12.1977
Suhrkamp Verlag
Jacob Taubes
Erkelenzdamm 17, 1 Berlin 36
23.XII. 1977
Verehrter Herr Schmitt,
dass fast vier Wochen verstrichen sind, bis ich auf Ihre schwer befrach
teten Zeilen antworte, liegt einzig daran, dass Ihre Post - von aussen
so “unscheinbar” - in Berlin liegen blieb und mich erst vor zwei Tagen
erreichte. Morgen früh fahre ich nach Jerusalem - ohne Gershom
Scholem zu besuchen. Auf dem Weg zu ihm liegen einige Tote, die ich
so leicht nicht vergessen kann. Dennoch bin ich der “challenge” Gün
ter Zehms nicht ausgewichen und habe in vier Tagen für die WELT
ad Gershom Scholems 80. Geburtstag “respondiert”. Ein Drittel ist
geschnitten worden, aber das Stück doch “lang” genug, um auch mei
ne universitäts-politische Position in all ihrer Gebrochenheit darlegen
zu können. Vielleicht ersehen Sie aus dem Text dass es mir an Schmä
hungen und Verleumdungen an der Freien Universität nicht fehlt, die
übrigens schon ein Seminar trafen, das ich - für die FU nicht ohne
Risiko - einst “Carl Schmitt und Walter Benjamin” angekündigt
habe. Einiges PXs ist damals gebrochen worden und die Ignoranz als
Progress marschiert nicht —wenigstens in diesen Gefilden - erhobe
nen Hauptes durch die Hallen der Universität. Jedenfalls einige
“Sicherheiten” sind gebrochen worden.
Nicht ohne Absicht schreibe ich auf “Suhrkamp-papier”, denn ich
möchte einiges anschneiden, was vielleicht die “Figur” C. S. angeht.
Ich darf Einigkeit voraussetzen, dass die Diskussion um “Politische
Iheologie” heute von Amnesie, Ignoranz und Chuzpe markiert ist. All
dieser Spuk wäre mit einem Schlag zerstoben, wenn Sie erwägen wür
den, einen Band “abzusegnen”, der etwa so aussieht:
C. S. Politische Theologie
E. P. Monotheismus Aufsatz 1932 (?)
E. P. Monotheismus-schrift
C. S. Politische Theologie II
43
mit Vorwort von H. Blumenberg oder J. T. plus einige “kleine” Ergän
zungen u. a. Benjamin Brief.
Die gängige Diskussion ad Politische Theologie würde ich durch eis
kalte schweigende Verachtung “strafen”; nicht ’mal ignorieren! Sie
würden sich wundern, wie schnell die Mäuse sich verkriechen, wenn
die Katze wieder auftaucht - bei Suhrkamp natürlich als STW (Mate
rialienband, “Seminar” genannt usw STW = Suhrkamp Taschenbuch
Wissenschaft)! Sie, freilich, müssten bei “D+H” vorstellig werden,
dass er für eine “Taschenbuchausgabe” mit den Texten ’rausrückt. Für
E. P. Texte würde ich mich um Rechte kümmern. Sollte dieses Projekt
realisierbar sein, so wette ich, dass zwei Jahre später man fragen wird,
wer ist J. B. Metz oder D. Solle oder auch H. Maier in rebus “Politi
sche Theologie”? Sie müssen wissen, dass “D+H” einfach ausserhalb
eines ausser-juristischen Diskussionsrahmens bleibt. Dixi e t ... bespre
chen Sie doch die Frage mit H. D. Sander, der Ihnen ohne Abstrich
wohl gewogen ist.
Ich habe überdies H. D. Sander ein Projekt vorgetragen das auch eine
Minute Ihrer Überlegung wert ist: C. S. Materialien zur Literatur. Ich
kenne weniges ad Däubler, Konrad Weiss, insbesondere aber die
unvergleichliche Hamlet interpretation. Es gibt sicher einiges Ver
steckte, das mir entgangen ist, was aber H. D. Sander bibliographisch
eruieren könnte. Der Verlag wird Kopf stehen, wenn ich beides vor
schlage (erwähnt habe ich es schon), Habermas sein “gewaltiges” Wort
ad faschistische Intelligenz in den Raum der Berater brüllen usw usw,
aber auch das werde ich überstehen und - wie “wir” vom SDS s. A.
sagen - “unterlaufen” können.
Ad Spinoza: ceterum censeo — vielleicht in Metamorphose eines
“Gesprächs”, das H. D. Sander und ich mit Ihnen fuhren sollten?!
Dies wirklich nur in Eile und zwischen Zügen und Flugzeugen gesagt
und unter Druck einiger Lemuren des Geistes am Orte stehend, den
zu verlassen ich aber nicht gewillt bin. Denn es gibt in und an der
Freien Universität “Positionen” zu verteidigen trotz des Einmarsches
von unzähligen Plagiatoren.
Ihnen frohen Mut für 1978 wünschend bin ich stets Ihr
Jacob Taubes
44
ÜBERLIEFERUNG O: Hs, gedruckter Briefkopf mit hs. hinzugesetztem Namen
und eingefugter Adresse des Absenders; HStA Düsseldorf, Nachlass Carl Schmitt, RW
265-15961, Bl. 1-2; dem B rief lag der Artikel von J T bei Der liebe Gott steckt im
Detail (s. unten) samt Widmung: für Ci. S. als ganz kleine Gegengabe für vieles JT
23.XII.77. - K: DLA Marbach, Nachlass Hans Blumenberg.
45
“Suhrkamp-papier”] J T spielt a u f seine Beratertätigkeit fü r den Suhrkamp Verlag an
—dessen Briefpapier er w ie hier zu verwenden beliebte —, die er nach seinem im Som
m er des Jahres erfolgten Ausstieg aus der Leitung der Reihe Theorie in anderer Form
fortsetzte.
C. S. Politische Theologie] Carl Schmitt: Politische Theologie (wie B rief 4, Anm.)
E. P. Monotheismus 1932] Erik Peterson: „Kaiser Augustus im Urteil des antiken
Christentums. Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Theologie“, in: Hochland
30 (1932/33), S. 289-299. Dieser fü r einen breiten Leserkreis geschriebene Aufsatz ist
zusammen m it dem Beitrag „Göttliche Monarchie“, in: Theologische Quartalsschrift
112 (1931), S. 537-564 im nachfolgend erwähnten Traktat aufgegangen.
E. P. Monotheismus-schrift] Erik Peterson: Der Monotheismus als politisches Pro
blem. Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Theologie im Imperium Roma-
num, Leipzig: Jakob Hegner 1935, wiederveröffentlicht in-, dcrs: Theologische Trak
tate, München: Kösel 1951 (Hochland Bücherei), S. 45-147.
C. S. Politische Theologie II] Carl Schmitt: Politische Theologie II (wie B rief 7B,
Anm.)
Benjamin Brief] vgl. B rief 4, Anm.
J. B. Metz (...) “Politische Theologie”] Der kath. Theologe un d Schüler von Karl
Rahner Johann Baptist Metz (geb. 1928) suchte in Abgrenzung zur Politischen Theo
logie von CSch eine neue Politische T heologe zu begründen; vgl. ders.: .„Politische
Theologie“ in der Diskussion“, in: Helmut Peukert (Hg.): Diskussion zur „poli
tischen Theologie“, Mainz / München: Matthias-Grünewald-Verlag / Chr. Kaiser
Verlag 1969, S. 267-301. Im Jahr d er Abfassung des vorliegenden Briefes wurden M etz’
Thesen als Teilabdruck wiederveröffentlicht unter dem Titel Dogma als gefährliche
Erinnerung, in: ders.: Glaube in Geschichte und Gesellschaft. Studien zu einer
praktischen Fundamentalrheologie, Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag 1977, S.
176-180. - Dorothee Steffensky-Sölle, geb. Nipperdey (1929-2003), evang. Theologin,
vgl. dies.: Politische Theologie, Stuttgart: Kreuz-Verlag 1971. - Hans M aier (geb.
1931). 1970-1986 bayerischer Staatsminister Ju r Unterricht un d Kultus, 1976-1986
Präsident des Zentralkomitees der dt. Katholiken, vgl. ders.: Kritik der Politischen
Theologie, Einsiedeln: Johan nes Verlag 1970 (Kriterien 20).
“D+H”] der Verlag Duncker & Humblot, in dem zahlreiche Schriften von CSch
erschienen sind
Dixi e t ...] Dixi et salvavi animam meam, lat., Ich habe gesprochen und meine Seele
gerettet, vgl. Ezechiel 3,19.
H. D. Sander ein Projekt (...) C. S. Materialien zur Literatur] Über beide Pro
jekte, die Anthologie zur Politischen Theologie w ie den Sammelband über CSch und die
Literatur, hatte Sander CSch in einem am Vortag geschriebenen B rief unterrichtet und
dabei auch von einem Telefonat zu diesem Themenkomplex zwischen ihm und J T vom
21. Dezember 1977 berichtet, vgl. Schmitt/Sander, S. 420-421. Nach langem Zögern
antwortete CSch Sander am 19. Januar 1978: Suhrkamp kommt nicht in Frage; für
mich jedenfalls nicht (ebd., S. 428).
weniges ad Däublcr, Konrad Weiss (...) Hamlet interpretation] Seit 1912 war
CSch m it dem D ichter und Kunstkritiker Theodor Däubler (1876-1934) bekannt,
dessen Werk, v. a. dessen monumentales Versepos Nordlicht (begonnen 1901, erste Fass-
su n gin 3 Bdn. 1910) er zeitlebens bewunderte. Vgl. Carl Schmitt: Theodor Däublers
„Nordlicht“. Drei Studien über die Elemente, den Geist und die Aktualität des
Werkes, München: Georg Müller 1916; vgl. auch ders.: „Zwei Gräber (Sommer
1946)“, in: ders.: Ex Capdvitate Salus (w ieB rief 7A, Anm.) S. 35-53, bes. S. 45-51.
46
- Zu dem Journalisten un d katholischen Lyriker Konrad Weiss (1880-1940) vgl. ebd.,
S. 51-53. - Zu Hamlet oder Hekuba vgl. B rief 4, Anm.
S l)S s. A.] Sozialistischer Deutscher Studentenbund seligen Angedenkens
ceterum enseo] lat., im übrigen meine ich; Anfang der form elhaften Wendung, m it
der Cato d. A. im römischen Senat regelm äßig zur Zerstörung Karthagos auftief.
9 SC H M IT T AN TAUBES
PLETTENBERG, 10.2.1978
Verehrter Herr Taubes: wenn es denkbar ist, dass wir uns Ende Febru
ar sehen, werde ich alles tun, was von mir aus möglich ist, um eine sol
che persönliche Begegnung herbeizuführen. Das ginge aber nur hier
in Pasel, und unter vier Augen. Ich überlasse es Ihnen, die Zeit zu
bestimmen. Riskieren wir es. Herrn Dr. Sander verdanke ich die
Adresse, an die ich diese Zeilen schreibe.
Ihr
Carl Schmitt
10/2/1978
D 597 Plettenberg-Pasel 11c
Herrn Dr. Sander verdanke ich die Adresse] in seinem Schreiben an J T vom 12.
hebruar 1978 berichtet Hans-Dietrich Sander: Wenn nicht noch etwas dazwischen
kommt, wird es Ende Eebruar mit einem Besuch bei Carl Schmitt klappen. Er ist
mit einem Besuch einverstanden und hat Ihnen, wie er mir schrieb, darüber auch
nach Chantilly Mitteilungen gemacht. Allerdings möchte er kein Gespräch zu dritt,
sondern unter vier Augen. Ich finde das verständlich und vielleicht auch besser so.
Ich dachte mir schon, dass ich ihn dabei stören würde. Bitte, machen Sie nun kei
nen Rückzieher!!! (O: ZfL, Nachlass Jacob Taubes)
47
10 TAUBES AN SC H M IT T
PARIS, 21.2.1978
Verehrter Herr Schmitt,] darüber hs. Vermerk von CSch: beantwortet] 24/2/78
nach Chantilly zurückgekehrt] J T nutzte im Wintersemester 1977/78 ein Freise
mester, um sich m it Unterbrechungen von Ende November bis Ende März nach Les
Fontaines in Gouvieux bei Chantilly nahe Paris zurückzuziehen. Die D omaine Les
Fontaines war ursprünglich ein landwirtschaftliches Gut, das 1878 vom Pariser Zweig
der Familie Rothschild erw orben und zum Schloss umgebaut wurde. Später gelangte es
48
in den Besitz des Jesuitenordens, der es von 1970 bis 1998 ah Tagungszentrum Centre
Culturel des Fontaines m it ein er reich ausgestatteten Bibliothek verwendete. JTs wieder
holte Aufenthalte dort ließen das Gerücht entstehen, er selbst sei Jesuit geworden.
ex captivitate salus] Carl Schmitt: Ex Captivitate Salus (w ie B rief 7A, Anm.)
I M Cioran] Emile M ichele Cioran (1911-1995), rumän. Schriftsteller, der in seiner
lugend m it den antisemitischen und faschistischen Bewegungen Europas sympathisierte
und sich fü r die Legion Erzengel Michael - die sogenannte Eiserne Garde —seines
Ileimatlandes publizistisch einsetzte, w ie seit den 1990er Jahren bekannt ist. 1933-35
Humboldt-Stipendiat, er hörte u.a. an der Univ. Berlin bei CSch. Seit 1937 in Paris,
wo er ah freier Schriftsteller lebte und seit 1949 ausschließlich a u f Frz. publizierte;
Cioran war m it J T bekannt, zu dessen Festschrift zum sechzigsten Geburtstag Spiegel
und Gleichnis, hg. v. Norbert W. Bolz u. Wolfgang Hübener, Wiirzburg: Königs
hausen und Neumann 1983, er die Miszelle Einige Sätze ... verfasste (ebd., S. 423).
"Weisheit der Zelle”] C Schsgleichnam iger Essay wurde erstmalig in der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung vom 26. August 1950publiziert; er erschien im selben Jahr in
Carl Schmitt: Ex Captivitate Salus (w ie B rief 7A, Anm.), S. 55-78, m it dem Zusatz
April 1947.
1listoriographia in nuce] Carl Schmitt: „Historiographia in nuce: Alexis de Toc-
t|ueville (August 1946)”, ebd., S. 25-33.
apologia pro vita sua] lat., Verteidigung seines Lebens,' John Henry Newman:
Apologia pro vita sua. Being a Pamphlet, entitled „What, then, does Dr. Newman
mean“, London: Longman, Roberts & Green 1864; diese fü r viele wirkungsmächtige
GLiubensautobiographie sollte ihren 1845 zum Katholizismus konvertierten Verfasser
gegenüber Anfeindungen rechtfertigen, in denen ihm vor allem Opportunismus vorge
worfen wurde.
nostra res agitur] lat., es geht um unsere Sache; Variation der bekannten Wendung
des Horaz tua res agitur, vgl. ders.: Epistulae/Briefe 1, 18, 84.
silete] silete, theologi, in munere alieno, lat., Theologen, schweigt auf fremdem
Gebiet, einer d er Lieblingsaussprüche von CSch, vgl. Carl Schmitt: Der Nomos der
Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, Köln: Greven 1950, S. 96:
Am Anfang des neuen europäischen Völkerrechts steht ein Aufruf des Albericus
( ientilis, der den Theologen in der Frage des gerechten Krieges Schweigen gebietet:
„Silete Theologi in munere alieno!".
49
11 SC H M IT T AN TAUBES
PLETTENBERG, 24.2.1978
D 597 Plettenberg-Pasel 11 c
(Tel. 02391/3265)
den 24. Februar 1978
obiter dictum] lat., nebenbei Gesagtes, juristischer Terminus, der rechtliche Aus-
führungen eines Gerichts zur Urteilsfindung bezeichnet, die über das fü r das Urteil
Erforderliche hinausgehen; entsprechend beruht d ie gerichtliche Entscheidung nicht a u f
diesen Ausführungen.
»tout ce qui arrive est adorable«] frz., alles was geschieht ist gut, häufig verwendeter
Ausspruch CSchs, der a u f den von ihm sehr geschätzten frz. Schriftsteller und überzeug
ten Katholiken Leon Bloy (1846-1917) zurückgeht, vgl. ders.: Le mendiant ingrat.
Journal de l’auteur (1892-1895), Bd. 2, Paris: Mercure de France 1898, S. 218.
50
Diogenes] Diogenes von Sinope, griech. Philosoph des 4. vorchristl. Jahrhunderts, Kyni
ker, zeichnete sich durch seine Bedürfnislosigkeit un d seinen schlagenden Witz aus, w ie
viele Anekdoteti überliefern.
12 TAUBES AN SC H M IT T
BERLIN, 2.3.1978
31
Und was die durchschnittliche Aufklärung und den redlichen Atheis
mus post Nietzsche und Max Weber angeht, sagte ich letzten Freitag
der KASSIBER gruppe: wir müssen auch ihm gegenüber unsere “iro
nische Distanz” bewahren. “Auch der .redliche“ Atheismus könnte -
Gott behüte! - nicht wahr sein”. Was einigen zu denken gab. Dies nur
erwähnt, um Ihnen anzudeuten, dass auch die riskantesten Passagen
von Ex Captivitate salus übers Stossgebet und über Ihr Gebet für
Bodin und Hobbes nicht als literarische Floskeln gelesen, sondern
ernstlich gehört wurden.
Herzlich Ihr Jacob Taubes
52
Wahrheit und Wahrhaftigkeit ist (...) Siegel Gottes] vgl. Babylonischer Talmud,
Traktat Schabbat 55a: Rabbi Chanina sagte: Wahrheit ist das Siegel des Heiligen,
et sei gepriesen.
der .redliche1Atheismus] vgl. Friedrich Nietzsche: Zur Genealogie der Moral. Eine
Streitschrift, in: ders.: Werke, hg. v. Giorgi Colli u. Mazzino Montinari, Abt. 6, Bd.
2, Berlin / New York: De Gruyter 1968, S. 257-430, hier: S. 427 (Dritte Abhand
lung, 27): Der unbedingte redliche Atheismus [...] ist die Ehrfurcht gebietende
K atastrophe einer zweitausendjährigen Zucht zur Wahrheit, welche am Schlüsse
sich die Lüge im G laub en an G o tt verbietet.
T.tssagen von Ex Captivitate salus übers Stossgebet (...) Gebet für Bodin und Hob-
hes] Carl Schmitt: Ex Captivitate Salus (wie B rief 7A, Anm.J, S. 61: Das letzte Asyl für
einen von Menschen gequälten Menschen ist immer ein Gebet, ein Stoßgebet zu dem
gekreuzigten Gott. In der Schur des Schmerzes erkennen wir ihn und erkennt er uns.
sowie ebd., S. 67-68: Man soll nicht zuviel von seinen Freunden sprechen. Jeder die
ser beiden [= Thomas Hobbes und Jean Bodin\ ist mein Freund, so verschieden sie im
übrigen sein mögen, so fromm und abergläubisch der eine, so desillusioniert und auf
klärerisch der andere. Ich lasse es mir auch nicht verwehren, für ihre Seele zu beten.
I3A SC H M IT T AN TAUBES
PLETTENBERG, 13.3.1978
597 Plettenberg-Pasel 11 c
den 13. März 1978
53
Dieses Frühjahr hat meinem bescheidenen Rest von psychosomati
scher Vitalität arg zugesetzt. Die Erinnerung an das Jahr 1930 in Ber
lin und an Walter Benjamins Brief aus dieser Zeit (und mehrere solche
Contemporaneitäten, z. B. Bert Brechts »Massnahme«) hält mich
noch wach —nachdem §je mich mit Ihrem Brief neu belebt haben.
Ihr
Carl Schmitt
54
Ihr Brief aus Les Fontaines (vom 21. Februar)] vgl. B rief 10
meine über 40 Jahre lange (...) Auseinandersetzung über Thomas Hobbes mit
I ,co Strauss] CSch spielt hier in einer Verdichtung a u f seine Debatte der 1930er Jahre
tmt Leo Strauss an, vgl. ders.: „Anmerkungen zu Carl Schmitt .Der begriff des Politi-
■ilien1“, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 67 (1932), S. 732-749,
inwie a u f deren Fortsetzung in den 1960er Jahren, die freilich nicht explizit geführt
wurde, vgl. Briefe 7A und 7B, Anm.
h vive voix] de vive voix,frz., mündlich
llcrt Brechts »Massnahme«] Das Lehrstück Die Maßnahme von Bertolt Brecht m it
Musik von Hanns Eisler wurde am 13. Dezember 1930 in der alten Berliner Philhar
m onie in der B em burger Straße uraufgefuhrt.
liir Ihr Hobbes Material] J T kündigte am Institut fü r Philosophie der FU Berlin Jur
das Sommersemester 1978 die Vorlesung Die Anfänge bürgerlicher Aufklärung: Hob
bes und Spinoza (nur für Fortgeschrittene) an.
Abhandlung gegen W hite] Thomas Hobbes: Critique du De Mundo de Thomas
White, hg., eingel. u. komm. v. Jean Jaquot und Harold Whitmore Jones, Paris:
Vnn 1973. Die Handschrift dieses Texts von 1643 w ar bis dahin unentdecktgeblieben.
( ialilei] Dialogo di Galileo Galilei sopra i due Massimi Sisremi del Mondo Tole-
maico e Copernicano, Florenz: Landini 1632, dt.'. Dialog über die beiden haupt
sächlichsten Weltsysteme, das ptolemäische und das kopernikanische, Leipzig: B.
t .. Teubner 1891.
de Give] Thomas Hobbes: Elementa philosophica de Cive, Amsterdam: Elzevir
1647, erschien 1642 als Privatdruck.
„im deutschen Sprachraum“] E. G. Jacoby: „Der ,Anti-White‘ des Thomas Hob
bes“ (wie im B rief angegeben), S. 162: Aber ehe wir hierauf [a u f den B egriff der
Metaphysik] eingehen, muß der enge Zusammenhang des „Anti-White“ mit den
vielfältigen Vorarbeiten zu Hobbes’ Elementa Philosophica, insbesondere zu De Cor
pore, hervorgehoben werden. Zumal was die Quellenforschung betrifft, besteht in
dieser Hinsicht möglicherweise im deutschen Sprachraum ein gewisser Nachhol
bedarf, dem die vorzugsweise Beschäftigung mit der Politik des Hobbes (etwa seit
1,co Strauss und Carl Schmitt) alles andere als hat abhelfen können. Vgl. die Fuß
note: Hierzu A. Pacchi, Cinquant anni di studi hobbesiani, Rivista di Filosofia 57
(1966), S. 306-335, bes. S. 317ff.
13B SC H M IT T AN TAUBES
PLETTENBERG, 13.3.1978
E N TW U RF ZUM ANHANG VON 13A
13/3/78
l’S. für Ihr Leo-Strauss-Material.
I .ine verdienstliche und dankenswerte vollständige Edition eines (bis
her nur unvollständig bekannten) Hobbes-Aufsatzes gegen W hite aus
33
dem Jahre 1643 (also kurz nach De Cive) durch Jean Jacquot et
Harold Whitmore Jones, 1973 bei Vrin in Paris erschienen, wird in
einem Aufsatz des Archiv f. Geschichte der Philosophie, Bd. 5 9 ,1977.
Seite 156-166, von E. G. lacoby, Wellington (Neuseeland), Titel die
ses Jacoby-Aufsatzes
»Der Anti-White des Thomas Hobbes«
benutzt, um den Schwerpunkt der Hobbes-Forschung von der ..Poli
tik“ auf die philologisch-historische Forschung zu verlagern; in den
letzten 25 Jahren hat dieser Schwerpunkt „im deutschen Sprachraum“
(..etwa mit Leo Strauss und Carl Schmitt“!)! einen „gewissen Nach
holbedarf in der Hobbes-Forschung“ (sic) erzeugt, dem diese politi
sche Seite der Sache „alles andere als hat nachhelfen können“ (sic, p.
163 der Besprechung Jacobysf).]
14 TAUBES AN SC H M IT T
BERLIN, 8.4.1978
56
Ion dieses Jahr (Schaltmonat) [auf] April 21/28 die in Zürich ich ver
bringen muss, um meine Tochter im Augenblick in Israel nahe
I iberias und meinen Sohn, New York, zu vereinen.
I >ie Kirche nennt sich jetzt - in Frankreich stolz - “peuple nomade”,
obwohl sie ganz fest in französischer Erde beheimatet, wir jedoch haben
es in unseren Geist und in unser Fleisch eingetrieben, aber "sehnen” uns
(wirklich?!) nach nichts mehr als nach “Landnahme” und “Ruhe”
(tmchala und menucha. beides Grundvokabeln des Deuteronomions).
Viel über “katechontische” Form der Existenz nachgedacht, da hinein
auch das Mysterium Judaicum gehört. Die Hobbes/Spinoza Vorle
sung fürs Sommersemester abgesagt, weil ich zuerst mit Ihnen darü
ber sprechen will.
Ich melde mich, sobald ich klar sehe, wie meine Berliner Verpflich
tungen mich beanspruchen. Herzlich Ihr
J. Taubes
57
vgl. Dtn 4,21. M it hebr. mnucha, dt.: Ruhe, w ird dieser Besitz im Unterschied zur
Unruhe des Wüstenzuges charakterisiert, vgl. Dtn 12,9 (zu Beginn der Verkündigung
der Gesetze durch Moses): Denn ihr seid bisher noch nicht zur Ruhe und zu dem
Erbteil gekommen, das dir der Herr, dein Gott, geben wird.
“katechontische” Form der Existenz] Von katechon, griech. Aufhalter, Im deute-
ropaulinischen Zweiten Brief an die Thessalonicher bezeichnet diese rätselhafte Figur
ein e geheim nisvolle Macht, die die Ankunfi des Antichristen verzögert u nd som it das
Enden der Zeiten aufhält. JT z itiert in Carl Schmitt - ein Apokalyptiker der Gegen
revolution, in: Ad Carl Schmitt, S. 22 (vgl. Texte VII) eine Passage aus Der Nomos
der Erde, die CSchs Stellung zum katechon markiert: „Ich glaube nicht, daß für
einen ursprünglich christlichen Glauben ein anderes Geschichtsbild als das des
Kat echon überhaupt möglich ist. Der Glaube, daß ein Aufhalter das Ende der
Welt zurückhält, schlägt die einzige Brücke, die von der eschatologischen Lähmung
alles menschlichen Geschehens zu einer großartigen Geschichtsmächtigkeit wie der
des christlichen Kaisertums der germanischen Könige fuhrt.“ (vgl. Der Nomos der
Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, S. 29.) —Zu CSchs Diskussion
des katechon, vgl. Blumenberg/Schmitt, S. 138-140.
Hobbes/Spinoza Vorlesung] vgl. B rief I3A, Anm.
15 TAUBES AN SC H M IT T
PARIS, 18.9.1978
Jacob Taubes
Maison des Sciences de l’Homme
Fondation reconnue d’utilité publique
54, boulevard Raspail
75270 Paris cedex 06
Tél. 544 38 49
Paris, den 18. September 1978
58
hauen keine Wahl: Hitler hat uns zum absoluten Feind erkoren. Wo
aber keine Wahl besteht, auch kein Urteil, schon gar nicht über ande
re. Was nicht heisst, dass es mich nicht umtreibt zu verstehen was
eigentlich” (gar nicht im historistischen Sinn, sondern eher im escha-
lologischen des Ernstfalls) geschehen ist — wo die Weichen in die
Katastrophe (unsere und die Ihrige) gestellt wurden. Was uns doch
/um Ihema Politische Theologie bringt, zu jener “parthischen Atta-
t ke” Petersons.
1)ie brave und gediegene Arbeit der Heidelberger hat, wie ich Ihnen
schon andeutete, das Problem nur verdeutlicht. Alles Wichtige steht
schon in Politische Theologie II, freilich als Kritik Petersons - ohne zu
bemerken, dass die “Schwächen” Petersons seine Stärke, seine Aktua-
liiät —1935 - ist. Gewidmet Sancto Augustino, eingeleitet durch ein
( icbet dass dieser Kirchenvater in einer “Wende der Zeiten” (ich zitie
re aus dem Gedächtnis) uns auch heute beistehen möge, beschlossen
durch einen Hinweis auf Carl Schmitts “Politische Theologie” - mit
einem in die Anmerkung exilierten letzten (sic) Hinweis über die
theologische Unmöglichkeit einer politischen Theologie ... diese ganz
einmalige Einleitung und Ausleitung war (und ist) ganz an Sie gerich
tet (gewesen). Bei einem so bedeutenden Stilisten wie Peterson gilt
nicht (nur), was er oft wiederholt, also mit einem Computer aufgear
beitet werden kann (und soll), sondern vornehmlich gilt [es] aufzu
horchen, was einmalig, blitzartig eingeführt ist; seinen “Sprung” (von
Eusebius zu Augustin) gilt’s zu beachten. Als ob “Professor” Erik
Peterson [einen] solchen selbst nicht “bemerkt” hätte und hätte, wenn
er wollte, [den Text] nicht “besser”, akademisch zünftig zubereiten
können!
Einmalig sind, das haben Sie herausgefunden, der Ausdruck “Führer”,
einmalig der Hinweis auf “christliche Ideologie” für das Theologume-
non des Euseb. Erstaunlich auch der Hinweis auf Civitas Dei III 30,
der “historisch” nichts hergibt, aber 1935 brisant aktuell [war]: caecus
atque improvidus futurorum, verschlüsselt warnend an Sie sich wen
det - und Sie nicht erreicht. Sie haben keinen besseren Freund als
Peterson gehabt, den Sie auch auf den Weg zur Ecclesia gebracht
haben. “Treu sind die Wunden, die der Pfeil eines Freundes schlägt”
(kurz auf hebräisch: ne’emanim pizei ohew) sagt der Psalmist irgend
wo (hier im “Maison” [ist] keine Bibel zur Hand). Es ist kein “Parther-
l'feil”, sondern ein Christen-Pfeil der Pfeil Petersons.
59
Obwohl ich es gar nicht leicht nehme, dass das Naziprogramm vom
“positiven Christentum” sprach und man dies sowohl katholisch wie
protestantisch “ernst” nahm (nehmen wollte, aber auch konnte: Hitler
und Goebbels waren auch nie aus der “Kirche” ausgetreten, also wenn
ich recht verstehe, haben auch “Kirchensteuer” bis zu letzt bezahlt!), so
war doch mit der “Rassen’frage eine politische “Theo-zoologie” (der
Ausdruck stammt nicht von mir, sondern von Liebenfels, der ihn
“positiv” meint und an Hitler weitergibt) eingeleitet und eingeläutet,
die hätte aufhorchen lassen müssen. Oder nicht? Ich kann das nicht
vom Innenraum der Kirche her hören ... ich will nur “verstehen” ler
nen, wieso hier nicht die Grenze - empfunden wurde, trotz Röm 13-
Ich versuche mich gerade pflichtgemäss durch die neuere Hobbes iite-
ratur hindurch zu lesen und komme aus dem Staunen nicht heraus
wie vorbei am Text sie liest - wo doch Hobbes in Bild und Wort an
Deutlichkeit es nicht hat fehlen lassen, dass der “Leviathan” das Ver
hältnis des Commonwealth (zuerst) ecclesiastical (dann) civil bespricht.
Also muss ich zurück zu Ihrem nun vierzig (sic) Jahre alten Büchlein
über das Symbol des Leviathan und kann nur traurige Gedanken über
den Fortschritt in der Wissenschaft hegen. Ich weiss nicht ob man
Hobbes nicht noch mehr ä la lettre lesen muss als Sie vorschlagen.
Warum soll Leviathan als “literarischer Einfall” nur gelten? Es ist
Hobbes todernst wenn er vom great Leviathan jenem “mortal God”
spricht dem wir - und das ist der springende Punkt - “under the
immortal God” peace und defence verdanken. Darum ist auch that
Jesus is the Christ keine Floskel, sondern ein immer wiederkehrender
Satz. Darum ist die Staats maschine doch kein perpetuum mobile, ein
tausendjähriges Reich, sine fine, sondern sterblich also ein fragiles
Gleichgewicht von innen und aussen, sterblich also auch immer auf
der Strecke bleibend. Nicht erst der “erste liberale Jude” hat jene
“Bruchstelle” entdeckt, sondern der (vom “ersten liberalen Juden”
auch äusserst “geschätzte”) Apostel Paulus, an den ich mich wende in
den Wenden der Zeiten, hat innen und aussen, auch für “das Politi
sche” unterschieden. Ohne diese Unterscheidung sind wir ausgeliefert
an die Throne und Gewalten die in einem “monistischen” Kosmos
kein Jenseits mehr kennen. Die Grenzziehung zwischen geistlich und
weltlich mag strittig sein und ist immer neu zu ziehen (ein immer
währendes Geschäft der politischen Theologie), aber fällt diese Schei
dung dahin, dann geht uns der (abendländische) Atem aus, auch dem
60
Ihomas Hobbes, der wie immer power ecclesiastical and civil unter
st beider. Ihr Hinweis auf Barions Hinweis in der Savigny Zeitschrift
ersetzt Bibliotheken der Hobbes-“Literatur”.
Ich fahre nach Zürich, wo das Material für mich leichter zu finden ist
(ich kann hier weder Barion noch Kempf auftreiben) und will von
diesem Hinweis (der doch auch wohl Ihr Hobbes-büchlein verschär-
lend überholt) die Hobbes-Spinoza Vorlesung aufrollen - vor Studen-
len die bestens Strauss schlimmstens MacPherson als Leitfaden haben.
1)ic Vorlesung ist ein Wagnis in der marxoiden Atmosphäre, sie setzt
sich auch bewusst durch [den] Hinweis “nur für Fortgeschrittene”
vom Markt der Philosophicums-Studenten ab, den wir am Institut
bedienen, und wird wohl unter Ausschluss der Öffentlichkeit sich
vollziehen - was ihr nur zum Vorteil gereichen kann.
Seien Sie gewiss non jam frustra doces Carl Schmitt auch wegen der
Fehlgänge und Fehlschläge (auch auf den armen Julius Stahl dem ichs
j.i klammheimlich “gönne”). Vielleicht kommt noch der Moment, wo
wir über die mir jüdisch wie christlich bedeutsamste politische Theolo
gie Römer XI sprechen können. Dort fällt auch das Wort “Feind” und
/war im absoluten Sinn, aber, das scheint mir der springendste aller
Springpunkte, verstrebt mit “geliebt”. Dass diese Kapitel “dran” waren
1935 (und noch sind 1978) das hat Peterson, Ihr (nach aussen) Kritiker
und (nach innen) bester Freund, gewusst - und [das] unterscheidet ihn
turmhoch von den Existenzialismen seines bedeutendsten Zeitgenossen
in neutestamentlicher Exegese, Rudolf Bultmann. Über Peterson wird
manch einer noch den Weg nach Plettenberg finden —müssen.
Freundlich grüsst Sie Ihr
Jacob Taubes
Paris, den 18. September 1978] darüber hs. Notiz Schmitts: Expl. Nomos bestellt
29/9/78
Ihre freundliche ja freundschaftliche Aufnahme] CSchs Notizbuch des Jahres 1978
verzeichnet unter dem Datum des 4. bis 7. Septembers J T u nd Martin Kriele als
gem einsam e Besucher in Plettenberg.
61
“ein unvergleichlicher politischer Lehrer”] Carl Schmitt: Leviathan (w ie B rief 6,
Anm.), S. 131: Doch bleibt Hobbes auch in seinen Fehlschlägen ein unvergleichli
cher politischer Lehrer.
“parthischen Attacke” Petersons] Häufig gebrauchter Ausspruch von CSch, der sich
auf einen Bericht Herodots bezieht, demzufolge d ie Parther ihren Feinden selbst noch
beim Rückzug blutige Verluste zu fugten, indem d ie Bogenschützen die Pfeile gegen die
Fluchtrichtung abschossen, vgl. Carl Schmitt: Politische Theologie II (wie B rief 7B,
Anm.), S. 11: Barion spricht darin auch von Petersons Abhandlung, erklärt eine
Auseinandersetzung mit ihr für notwendig und nennt sie eine „parthische Attacke“.
Zu diesem Zitat v gl Hans Barion: „.Weltgeschichtliche Machtform?' Fine Studie
zur Politischen Theologie des II. Vatikanischen Konzils“, in: Epirrhosis. Festgabe
für Carl Schmitt, Bd. 1, hg. v. dems., Ernst-Wolfgang Böckenförde, Ernst Forsthoff
u. Werner Weber, Berlin: Duncker & Humblot 1968, S. 13-59, hier: S. 54, Barion
form uliert hier die Aufgabe einer Würdigung jen er Aufsätze von CSch über Politische
Theologie, die m it dem Essay Römischer Katholizismus und politische Form Zusam
menhängen und fä h rt fort: Wenn sie [- die Aufgabe] angefaßt wird, soll es gesche
hen in Auseinandersetzung mit E. Petersons parthischer Attacke auf Schmitt in der
Schrift „Der Monotheismus als politisches Problem“ (wie B rief 8, Anm.).
Die brave und gediegene Arbeit der Heidelberger]: Alfred Schindler (Hg.): Mono
theismus als politisches Problem? Erik Peterson und die Kritik der politischen
Theologie, Gütersloh: Mohn 1978. Der Band gin g aus der Arbeit über Erik Peterson
im evangelisch-theologischen Seminar d er Universität H eidelberg hervor.
seine Aktualität - 1935] Carl Schmitt: Politische Theologie II (wie B rief 7B, Anm.),
S. 16: Wenn im Jahre 1935 in Deutschland eine Abhandlung über die Formel „Ein
Gott - Ein Monarch“ erschien, so geriet sie von selbst in den Bereich einer gefährli
chen Aktualität, zumal sic ihren M onarchen gelegentlich (S. 52) auch einen F ührer
nannte.
Gewidmet Sancto Augustino (...) durch einen Hinweis] Erik Peterson: Der Mono
theismus (w ie B rief 8, Anm), S. 7: Sancto Augustino, lat., für den Hl. Augustinus.
Diese Widmung d er Erstausgabe von 1935 ist in spätere Ausgaben nicht aufgenomm en
worden, w ohl aber d ie Vorbemerkung, in der sich auch jen es von J T sogenannte Gebet
findet, vgl. ebd., S. 11: Der hl. Augustinus, der an allen geistigen und politischen
Wenden des Abendlandes sichtbar geworden ist, helfe mit seinen Gebeten den
Lesern und dem Verfasser dieses Buches! Zum Beschluss durch einen Hinweis, vgl.
ebd., S. 158, Anm. 168: Der Begriff der „politischen Theologie“ ist m. W. von Carl
Schmitt, Politische Theologie, München 1922 in die Literatur eingeführt worden.
W ir haben hier den Versuch gemacht, an einem konkreten Beispiel die theologische
Unmöglichkeit einer „politischen Theologie“ zu erweisen. Vgl. Carl Schmitt: Poli
tische Theologie II (w ie B rief 7B, A nm), S. 13-14.
“Sprung” (von Eusebius zu Augustin)] Carl Schmitt: Politische Theologie II (wie
B rief 7B, A nm), S. 47: Im Wesentlichen und Entscheidenden ist 1935 eine Kon
frontation des Bischofs Eusebius von Cäsarea mit dem hl. Augustinus neu hinzuge
kommen, als Übergang zu der Schlußthese mit Schlußanmerkung. Augustinus soll
mit seinem christlichen Begriff des „Friedens“ das geleistet haben, was die griechi
schen Kirchenväter, insbesondere Gregor von Nazianz, durch ihren Gottes-Begriff
und die Lehre von der Trinität geleistet hatten: die Befreiung des christlichen
Glaubens „aus der Verkettung mit dem Imperium Romanum“. Vgl. Erik Peterson:
Der Monotheismus (w ie B rief 8, A nm), S. 99: Doch die Lehre von der göttlichen
Monarchie musste am trinitarischen Dogma und die Interpretation der Pax Augu-
62
1 1 .in der christlichen Eschatologie scheitern. Damit ist nicht nur theologisch der
Monotheismus als politisches Problem erledigt und der christliche Glaube aus der
Vrikrttung mit dem Imperium Romanum befreit worden, sondern auch grund-
S.u/luh der Bruch mit jeder „politischen Theologie“ vollzogen, die die christliche
Velkütuligung zur Rechtfertigung einer politischen Situation missbraucht,
di i Ausdruck “Führer” (...) “christliche Ideologie”] Carl Schmitt: Politische Theo
logie 11 (w ie B rief 7B, Amn.), S. 62: Der F üh rer wird in Petersons Abhandlung (S.
■»,>) zu den Monarchen gerechnet: charismatische und erbdynastische Legitimität
IheKen ineinander, so daß am Ende Adolf Hitler und Kurt Eisner gemeinsam mit
K a ise r Franz Joseph und Wilhelm II. in einunddieselbe politisch-theologische Kate-
goiie der „Monarchen“ zusammengeraten. Vgl. Erik Peterson: Der Monotheismus
( wie B rief 8, Anm.), S. 52: [Eduard Norden] hat ferner im Anschluß an Zeller
ml die Polemik des sogen. Onatas hingewiesen, der gegenüber dem Monotheis
mus cinwendet, die Anhänger dieses Glaubens könnten die eigentliche Würde der
göttlichen Herrschaft nicht sehen, die darin bestände, daß man herrsche und Füh
let sei von g le ic h e n und über anderen stehe [...]. Vgl. ebd., S. 81-82: Bei aller
Bestimmtheit des Eusebius durch die antike Philosophie und Rhetorik kann man
dndi nicht verkennen, daß die Gesamtkonzeption, die Reich, Frieden, Monotheis
mus und Monarchie miteinander verknüpft, eine von Christen geschaffene Einheit
d.itstellt. Wie anders ein Heide über die Einheit des Reiches und die Einheit der
Kulte dachte, hat uns das Beispiel des Celsus gezeigt, der wohl letzthin den Anstoß
liir die Ausarbeitung dieser ganzen christlichen Ideologie gegeben hat.
( ivitas Dei III 30 (...) caecus atque improvidus futurorum] Erik Peterson: Der
Monotheismus (w ie B rief 8, Anm.), S. 77: Der Mangel an exegetischem Takt ist
.ttillallend, mit dem Eusebius ohne weiteres die sämtlichen prophetischen Weissa
gungen vom Völkerfrieden als im Römischen Reich in Erfüllung gegangen betrach
tet. Da hat Augustin in der Civitas dei III 30 doch anders gesprochen. Vgl. Carl
Schmitt: Politische Theologie II (w ie B rief 7B, Anm.), S. 89-90: Der Leser, der sich
die Mühe gibt, das Kapitel III 30 daraufhin nachzulesen, wird einigermaßen ent
täuscht. Er findet im III. Buch eine Schilderung der römischen Bürgerkriege. [...]
In dem zitierten Kapitel 30 nennt er die Namen Sulla, Caesar und Octavian; [...]
Im Anschluß daran enthält das Kapitel eine Klage überdas besondere Unglück, das
den unglücklichen C ic e ro im Bürgerkrieg getroffen hat. Cicero wird bedauert,
weil er so töricht war, mit Octavian zu paktieren, um die Freiheit der Republik
von Antonius zu retten, während Octavian mit Antonius paktierte, um Cicero und
die Freiheit zu töten; so „zukunftsblind und ahnungslos“ - usque adeo caecus
atq u e im p ro v id u s fu tu ro ru m - war dieser Heide Cicero, sagt Augustus. [...]
A h n un gslos und z u k u n ftsb lin d . Möglicherweise steckt bei Peterson in dem
1linweis auf das Schicksal Ciceros eine auffällige, zeitgeschichtliche Anspielung auf
Situationen der Zeit von 1935. Das wäre interessant als Beitrag zu den Möglich
keiten einer Meinungsäußerung in Zeiten politischer Zensur und manipulierter
Öffentlichkeit.
Freu sind die Wunden (...) sagt der Psalmist] Das Zitat kommt im hebräischen Wort
laut in der Bibel nicht in den Psalmen, sondern in Sprüche 27,6 vor, wörtlich übersetzt:
treu sind die Wunden des (geliebten) Freundes. Der Genetiv kann ab Genetivus
subjectivus aufgefasst werden, w ie J T es tut. In seiner Übersetzung nim m t er ein e erw ei
ternde Deutung vor, indem er in Treue zur Tradition der rabbinischen Bibelexegese den
Pfeil aus dem eigenen B rief aktualisierend in den heiligen Text einträgt. Der Pfeil hat
ihm vermutlich auch die Psalmen in den Sinn gebracht, denn dort spielt dieser ab Waffe
63
Gottes ein e Rolle - gegen den Feind gerichtet, vgl. Psaira 64,8: Da trifft sie Gott mit
dem Pfeil, plötzlich sind sie zu Boden geschlagen.
hier im “Maison”] Die Fondation Maison des Sciences de l’Homme wurde in den fr ü
hen 1960er Jahren von dem Industriellen un d Philosophen Gaston Berger (1896-1960)
a u f Anregung von Fernand Braudel (1902-1985) gegründet. Der österr. Soziologe Cle
mens Heller (1917-2002) war während der Leitung Braudels Administrator und wurde
nach dessen Tod Leiter (1985-1992). Der Bezug des Maison des Sciences de l’Homme
genannten Gebäudes 54 Boulevard Raspail im 6. Pariser Arrondissement erfolgte 1964.
J T hielt sich dort bei seinen Pariser Aufenthalten auf, vgl. seinen B rief an Heller vom
29. März 1978: Lieber Clemens Heller, 1. ich würde Sie bitten (auch dem Ersuchen
Bourdieus entsprechend) mir doch eine kleine Zelle (am 1. Stock womöglich) zu
zu weisen, in der ich auch Bücherbestände zurücklassen kann in absentia. Die Bitte
braucht ja nicht ad personam erfüllt zu werden, sondern ad Institution Fachrichtung
Hermeneutik am Institut f. Philosophie, FU, so dass auch andere [Wolf] Lepenies,
[Fritz] Kramer, dessen Vorschlag ad Heisenberg ich Ihnen vorlegte usw. usw. diesen
Raum als den[,] was man im Mittelalter in der Uni der „natio Germanica“ zugewie
sen [hatte,] nutzen könnten. (O: ZfL, Nachlass Jacob Taubes)
das Naziprogramm vom “positiven Christentum”! Punkt 24 des Programms der
NSDAP von 1920 erklärte, die Partei vertrete den Standpunkt eines positives Christen
tums, ohne dass jed och hier oder später ausgefubrt wurde, was darunter zu verstehen sei.
“Theo-zoologie”J Jörg Lanz von Liebenfels: Theozoologie oder die Kunde von den
Sodoms- \fflingen und dem Götter-Elektron. Line Einführung in die älteste und
neueste Weltanschauung und eine Rechtfertigung des Fürstentums und des Adels,
Wien / Leipzig / Budapest: Moderner Verlag 1905. Liebenfels zählte zu Hitlers w ich
tigsten Stichwortgebern während der Wiener Jahre.
trotz Rom 13] Im 13. Kapitel des Briefs an die Römer handelt der Apostel Paulus
grundlegend vom Verhältnis der Christen zur weltlichen Regierung, v g l Vers 1: Jeder
mann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt hat über ihn. Denn es ist keine Obrig
keit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet,
zu Ihrem nun vierzig (sic) Jahre alten Büchlein] Carl Schmitt: Der Leviathan (wie
B rief 6, Anm.). Das Buch erschien 1938. M öglicherweise spielt J T m it der Hervorhe
bung von vierzig auch a u f die Bedeutung dieser Zahl in d er Bibel an: die vierzigjährige
W üstenwanderung des Volkes Israel u nd Jesu vierzigtägiger Aufenthalt ebendort.
als “literarischer Einfall” nur gelten?] Carl Schmitt: „Der Staat als Mechanismus
bei Hobbes und Dcscartes“, in: Carl Emge (Hg.): Dem Gedächtnis an René Des
cartes (300 Jahre Discours de la Méthode). Erinnerungsgabe der Internationa
len Vereinigung fur Rechts- und Sozialphilosophie (zugleich Band 30 Heft 4 des
Archivs für Rechts- und Sozialphilosophie), Berlin: Verlag für Staatswissenschaf
ten und Geschichte 1937, S. 158-168, hier: S. 161: Das Bild vom Leviathan aber
bedeutet bei Hobbes etwas ganz anderes. Es malt - zum Unterschied vom späteren
„Behemoth“ - nicht einen Feind, denn es stellt den frieden- und sicherheit-brin-
genden Gott dar. Es ist auch kein politischer Freund-Mythus, dafür ist es wohl zu
schauerlich und abschreckend. Es ist, näher betrachtet, in der staatstheoretischen
Gesamtkonstruktion des Hobbes nicht mehr als ein aus gutem englischem Humor
geborener, halbironischer, literarischer Einfall; w iederveröffentlicht in: Carl Schmitt:
Staat, Großraum, Nomos (w ie B rief 1, Anm.), S. 139-151, hier: S. 142; vgl. auch
Carl Schmitt: Der Leviathan (wie B rief 6, Anm.), S. 42-43, Anm. 2.
jenem “mortal God” (...) peace und defence] Thomas Hobbes: Leviathan,
reprinted front the édition of 1651, with an essay by the late W. G. Pogson Smith,
64
( Ixlord: Clarendon Press 1909, S. 87 (part 2, chap. 17): This done, the Multitude
so united in one person, is called a COMMON-WEALTH, in latin CIVITAS. I his
is the generation ofthat great LEVIATHAN, or rather (to speak more reverently)
ol dial M o rtal! G od, to which wee owe under the Im m o rtall G od, our peace
,ind defence. Dt.: Ist dies geschehen, so nennt man diese zu einer Person vereinigte
Menge S taat, auf lateinisch c iv itas. Dies ist die Erzeugung jenes großen Levia-
lli.in oder besser, um es ehrerbietiger auszudrücken, jenes sterb lich e n G o ttes,
dem wir unter dem u n sterb lich e n G ott unseren Frieden und Schutz verdanken
( Thomas Hobbes: Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und
Ion blichen Staates, hg. u. eingel. v. Iring Fetscher, Darmstadt / Neuwied: Hermann
I uihtcrhand 1966, S. 134. Vgl. Carl Schmitt: Der Leviathan (wie B rief 6, Anm.),
S 10, Anm. 1.
tli.it Jesus is the Christ] Thomas Hobbes: Leviathan (wie oben, Anm.), S. 462 (part
V iliap. 43): The (U num N ecessarium ) Onely Article of Faith, which the Scrip-
■me- maketh simply Necessary to Salvation, is this, that JESUS IS THE CHRIST.
Hv ilie name of C h rist, is understood the King, which God had before promised
by die Prophets of the Old Testament [...]. Dt.: Das unum n ecessariu m , der ein
zige Glaubensartikel, den die Schrift für die Errettung schlechthin voraussetzt, lau-
n i: |csus ist der C h ristu s. Mit dem Namen C h ristu s ist der König gemeint,
ilrn Gott zuvor durch die Propheten des Alten Testaments in die Welt zu senden
versprochen hatte, damit er unter ihm über die Juden und über solche Menschen
.uulercr Völker, die an ihn glauben würden, ewig herrsche und ihnen das ewige
I eben schenke, das durch die Sünde Adams verlorengegangen war (Hobbes: Levia-
lli.in (w ie oben, Anm.), S. 450. Vgl. Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen (wie
B rief 7A, Anm.),S. 121-122.
»ine line] lat., ohne Ende
“erste liberale Jude”] JT greift hier eine Formulierung von CSch auf, die sich a u f Spi
noza bezieht; vgl. Carl Schmitt: Der Leviathan (w ie B rief 6, Anm.), S. 86.
Apostel Paulus] vgl. dazu Jacob Taubes: Die politische Theologie des Paulus. Vor
träge, gehalten an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft in
I leidelberg, 23.-27. Februar 1987, nach Tonbandaufzeichnungen redigierte Fas
sung v. Aleida Assmann, München: Fink 1993.
Ilarions Hinweis in der Savigny Zeitschrift! In Die vollendete Reformation (wie
B rief 7A, Anm.) geh t CSch im dritten Teil a u f eine Bemerkung von Hans Barion über
/lobbes’ Leviathan ein, d ie er einer langen Rezension Barions zu Friedrich Kempf:
I lie päpstliche Gewalt in der mittelalterlichen Welt: Eine Auseinandersetzung mit
Walter Ullmann, in: Saggi storici intorno al Papato dei Professori della Facoltä di
Storica F.cclesiastica, Rom 1959, S. 117-169 entnahm (Zeitschrift der Savigny-
Mlining für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung XLVI, Weimar 1960,
S. 481-501). - Hans Barion (1899-1973), kath. Kirchenrechtler, der wegen seiner
Nähe zum Nationalsozialismus 1934 vom Vatikan seines universitären Lehramtes ent
hoben wurde, erfuhr nach 1945 keine Wiedereinstellung und lebte als Privatgelehrter
und freier Schriftsteller, d er etwa Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils so sch a rf
w ie luzide kritisierte. Barion stand bis zu seinem Lebensende in regem freundschaftli
chen Austausch m it CSch.
die Hobbes-Spinoza Vorlesung] Die von J T bereits fü r das vorangegangene Semester
itniekündige, dann aber verschobene und im Vorlesungsverzeichnis des Wintersemesters
/978/79 w ieder aufgefiihrte Vorlesung Die Anfänge bürgerlicher Aufklärung: Hobbes
und Spinoza (für Fortgeschrittene), vgl. B rief 13A, Anm.
65
Strauss (...) MacPherson] Anspielung a u f Strauss: Die Religionskritik Spinozas (wie
B rief 6, Anm.) sowie d e rs.: The Political Philosophy of Hobbes. Its basis and its gen
esis, Oxford: Clarendon Press 1936, und. Crawford B. Macpherson: The Political
Theory of Possessive Individualism: Hobbes to Locke, Oxford: Oxford University
Press 1962 (d t . Die politische Theorie des Besitzindividualismus. Von Hobbes bis
Locke, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1967).
Julius Stahl] Friedrich Julius Stahl, eigtl. Friedrich Julius Jolson-U hlfelder (1802-
1861), Rechtsphilosoph und Politiker aus jü d isch er Familie, Staatsrechtler u nd Theore
tiker des preussischcn Konservatismus, ließ sich 1819 evangelisch taufen.
non jam frustra doces Carl Schmitt] lat., du hast nicht vergeblich gelehrt, Carl
Schmitt; Variation des letzten Satzes aus Carl Schmitt: Der Leviathan (w ie B rief 6,
Anm.), S. 132: Non jam frustra doces, Thomas Hobbes!
Römer XI (...) “geliebt”] Römer XI in A ergänzt zu: 1X-X1
Rudolf Bultmann] (1884-1976) evang. Theologe, 1910 theol. Lizentiat, 1912
Habilitation fü r Neues Testament an der Univ. Marburg, 1916 Extraordinarius an
der Univ. Breslau, 1920-21 Ordinarius an d er Univ. Gießen, 1921-51 Professor fü r
Neues Testament an d er Univ. Marburg. Bultmann stand dort in enger Verbindung m it
M artin H eidegger und entwickelte seine exegetische M ethode der existentialen Inter
pretation u n d das Programm der Entmythologisierung der neutestamentlichen Texte.
16 SC H M IT T AN TAUBES
PLETTENBERG, 12.10.1978
Verehrter Herr Taubes: Ihr Brief vom 18. September d. J. (aus Paris) ist
pünktlich hier eingetroffen. Seitdem habe ich einige Dutzend Antwor
ten im Kopfe rumoren. Wo soll das enden? Zunächst aber: an welche
Adresse soll ich schreiben? Oder darf ich mit einer Weiterführung des
mündlichen Gespräches rechnen? Das wäre natürlich das Beste. Ver
gessen Sie nicht, dass Sie mich mit einem Explosivstoff in Bewegung
gesetzt haben, den man nicht einfach auf Eis legen kann: das evange
lisch-theologische spezifisch-paulinische Messias-Bild des Tübingers
David Friedrich Strauss (Kern der Sache: damals war das Christentum
das „Grosse Neue“: heute ist es das Alte, also: was damals das Heiden
tum und das Judentum war, d.h. »Legitimität der Grossen-Neu=Zeit«
als das Grosse Neue comme tel. taliter qualiter. Und das ist ja erst die
»Exposition« zum Drama, also nur 1 Akt der Pol.-Theol.-Tragödie.[)]
66
An welche Adresse soll ich meine schriftliche Antwort richten? Ich
wciss noch nicht einmal, ob Sie mein Schreiben vom (13. etwa) März
il. |. (an [die] FU) erhalten haben. Auch hat das Semester begonnen
und Ihre Gedanken werden in andere Himmelsstriche tendieren als
ins Sauerland. M it Recht.
Alle guten Wünsche
Ihres Carl Schmitt
Ith habe durch den Verlag Duncker & Humblot ein Ex[em]pl[ar]
meines »Nomos der Erde« an Ihre Adresse (Institut) schicken lassen.
Anlage: 2 Seiten (52 mit Einführung [unsichere L esung auf Seite 35).
I.tlls Interesse ad libitum zur Ergänzung der Lektüre des Legalitäts-
Aufsatzes
67
17 TAUBES AN SCHMITT
BERLIN, 16.10.1978
Jacob Taubes
Freie Universität Berlin
Fachbereich 11 Philosophie 1 Berlin 33, den 16. Oktober 1978
und Sozialwissenschaften Gelfertstrasse 11
Institut für Philosophie Ruf: Durchwahl 838 21 07
68
IH I'AUBES AN SCHMITT
BERLIN, 19.10.1978
19.10.1978
Vm hrter Herr Schmitt,
dien H D Sander gesehen und mit ihm über Plettenberg, über unsere
( , espräche ad Peterson geredet. Ich habe ihm auch Ihre “RätseP’frage
.ml der Brücke genannt, wo ich doch das “Examen” bestand und die
IVterson antwort “rekonstruierte”. Er nun muss seine Aesthetik ich
die Politische Ihelogie von Hobbes bis Spinoza vortragen - aber wir
denken an Sie, vielleicht kommen wir November (Busstag) nach Plet-
it nberg. Wäre Ihnen das recht?
Ihr
Jacob Taubes
Plettenberg (...) “Rätsel”frage auf der Brücke] Hinweis JTs a u f seinen ersten,
gemeinsam m it Martin Kriele durchgefiihrten Besuch bei CSch vom 4. bis 7. September
des lahres, vgl. B rief 15, Anm. Die erwähnte “Rätsel”frage bezieht sich offenbar a u f
eine Episode dieser Begegnung.
»eine Aesthetik] Sander las an der EU Berlin im Rahmen seiner Gastdozentur im
Wintersemester 1978/79 über marxistische Ästhetik, vgl. Briefe 12, Anm.
November (Busstag) nach Plettenberg] Tatsächlich besuchte J T am 23. November
1978 CSch zum zweiten Mal, vgl. Briefe 20, 24 u. 25.
Ihr / Jacob Taubes] a u f d er gegenüberliegenden Kartenseite von CSch in Kurzschrifi
notiert: [x] Ich habe so viel zu fragen, auch nicht alles neues Zeug, auch nicht
»ekundär[es] [x]
69
19 SC H M IT T AN TAUBES
PLETTENBERG, 30.10.1978
E N TW U RF
30/10/78
20 LAUBES AN SC H M IT T
BERLIN, 2.11.1978
70
n.nli 1848 ausmessen kann, das allein bewog mich Ihnen auch jetzt
iimli Lektüre“pflichten” aufzuerlegen.
h li beginne nun wieder - mit einer neuen Generation den Vergleich
< S. / W. B. Aus dem ersten Gang gingen R. Faber und W. Fietkau
hervor, ob jetzt eine Saat aufgeht, wer weiss es zu denken.
I >.is Semester geht nicht vorbei, ohne dass ich noch einmal in Pasel
anklopfe und Sie —trotz all Ihrer Vorahnungen - munter im Geiste
. 1 1 1 1 reffe. Herzlich grüsst Sie Ihr
Jacob Taubes
71
21A SC H M IT T AN TAUBES
PLETTENBERG, 7.11.1978
E N TW U RF
7/11/78
Herzlichen Dank, lieber und verehrter Jacob Taubes, für die Colloqui
um-Mitteilung vom 1. Nov. 1978! Besitzen Sie ein Exemplar meiner
Schrift »Hamlet oder Hekuba« von 1956, mit dem »Exkurs 1 f«1 »Über
den barbarischen Charakter des Shakespearschen Dramas; zu Walter
Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels«? Keiner (auch kein
Keuner) hat beachtet, dass es schlechterdings unmöglich ist, das deut
sche Wort »Trauerspiel« in irgendeine nicht-deutsche Sprache zu
übersetzen, und was das eigentlich bedeutet. Ich frage mal Wolfgang
Fietkau und Herrn Prof. Herbert Kraft (Münster), Autor von »um
Schiller betrogen«. Alles strampelt sich tot, in der Sackgasse einer
Alternative von Diamat und Histomat; Thema für eine ewige Diskus
sion wie geschaffen; auch geeignet für das, was Ernst Troeltsch (der es
wissen musste) »die heimliche Religion« der Gebildeten des moder
nen Deutschland genannt hat (Politische Romantik, Seite 175, Anm.
1) also Politische Theologie der F.D.P.?! Ich habe einen apokalypti
schen Satz des jungen Hegel zitiert; in einem Aufsatz von 1929 über
Faschismus, der in meinem Seminar 1929/30 (in der Handelshoch
schule Berlin) im Gespräch war.
die Colloquium-M itteilung vom 1. Nov. 1978] G emeint ist JTs B rief vom 2. Novem
ber 1978, vgl. B rief 20; dem Schreiben war ein Exemplar des als Matrizendruck ver
vielfältigten R undbrief An die Mitglieder des Hermeneutischen Colloquiums WS
1978/79 vom 1. N ovember 1978 beigelegt (vgl. Text I).
»Hamlet oder Hekuba« (...) Ursprung des deutschen Trauerspiels«?] v g l B rief 4,
Anm.
Keuner] Brechts in den Jahren 1926 bis 1930 entwickelte und bis 1956 im m er wieder
aufgenom m ene Figur des Herrn Keuner als d ie eines modernen Jedermann, vgl. Bertolt
Brecht: Gesammelte Werke, Bd. 12: Prosa 2, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1967
(werkausgabe edition suhrkamp), S. 375-415.
unmöglich I im O doppelt unterstrichen
72
Alles strampelt sich tot] darüber eingefugt: Nov 78 nicht abgeschickt
I hrhert Kraft (...) »um Schiller betrogen«] Herbert Kraft: Um Schiller betrogen,
l’liillingcn: Neske 1978.
was Ernst Troeltsch (...) (Politische Romantik, Seite 175, Anm. 1)] Carl Schmitt:
l'oliiische Romantik, 2. bearb. u. erw. Aufl., München / Leipzig: Duncker & Hum-
blui 1925, S. 175, Anm., CSch erwähnt dort den romantisch-mystisch-ästhetisch-
,|uiiiuulistischen Protestantismus (...), den Troeltsch in seinen Ausführungen über
■Ite Religiosität der Romantik als „die heimliche Religion“ der Gebildeten des
modernen protestantischen Deutschland bezeichnet ([Ernst Troeltsch:] Die Sozi-
.illrhrcn der christlichen Kirchen und Gruppen, Tübingen 1912, S. 934), recte
Y 931: In dieser romantischen Religiosität, in dem mit der künstlerischen Dif-
li lonzicrung und dem philosophischen Immanenzgedanken verbundenen Spiri-
ni.ilisinus, wurzelt dasjenige, was der moderne Deutsche der Bildungsschicht vom
l’iolcstantismus sich aneignen, sein Verständnis der Religion überhaupt. Es ist die
heimliche Religion der Gebildeten.
eitlen apokalyptischen Satz (...) Aufsatz von 1929 über Faschismus] Carl Schmitt:
Wesen und Werden des fascistischen Staates“, in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzge
bung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reiche 53 (1929), S. 107-113,
hier: S. 111, Anm.: Man kann als Deutscher nur hoffen, daß dem deutschen Volk ein
weiteres Schicksal erspart bleibe, das der junge Hegel angedeutet hat: es ist ein höhe-
irs Geseß, daß dasjenige Volk, von dem aus der Welt ein neuer universeller Anstoß
gegeben wird, selbst am Ende vor allen übrigen zugrunde geht, und sein Grundsatz,
aber es selbst nicht, bestehe (Schriften zur Politik, Ausgabe Lasson, S. 96). Das bei
( Sch wiedergegebene Zitat stammt aus Hegels Schrift Die Verfassung Deutschlands aus
dem ¡ahre 1802, vgl. Georg Friedrich Wilhelm Hegel: Sämtliche Werke, Bd. 7: .Schrif
ten zur Politik und Rechtsphilosophie, hg. v. Georg lasson, 2., durchgesehene Aufl.,
Leipzig: Felix Meiner 1923 (Philosophische Bibliothek, Bd. 144), S. 1-154.
in meinem Seminar 1929/30 (in der Handelshochschule Berlin)] CSch wurde
■um Sommersemester 1928 a u f den Lehrstuhl für Staatsrecht an der Berliner Han
delshochschule berufen. Im Wintersemester 1929/30 behandelte er dort laut Semi
narbericht Rechtswissenschaft. Öffentlich-rechtliche Abteilung, in: Chronik der
I landels-Hochschule Berlin 1926-1930, Berlin: Büxenstein 1930, S. 70: [D]as
politische Verhältnis von Wirtschaft und Staat, mit Referaten über wirtschaftliche
Inkompatibilitäten, wirtschaftliche Neutralität des Staates; Staatsform und Wirt
schaftordnung; Staatstheorie von Hugo Preuß.
2 1B SC H M IT T AN TAUBES
PLETTENBERG, 7.11.1978
E N TW U RF
[. Taubes 7/11/78 (Anlage [x] Was habe ich getan? von 1956)
l ieber und verehrter Herr Taubes, herzlichen Dank! An Wolfg. Fiet-
kau habe ich einige Notizen zu Racines Krieger witwe Andromache
73
geschickt; wer aber weint heute noch um Krieger-witwen? Und wer,
seit Bert Brecht, um Hekuba? Mein Buch, Hamlet oder Hekuba, der
Einbruch der Zeit in das Spiel (1956) müsste doch eigentlich einen
Studenten ganz [x] West Berlin interessieren. Papst Paulus war ein
Hamlet; eine These: Polen ist Hamlet; aber ein polnischer Papst kann
eigentlich kein Hamlet mehr sein.
Alle guten Wünsche für Ihr Colloquium! Alle die brennen [m ehrere
Worte nicht entzifferbar] mit Öl gelöscht werden.
Stets Ihr alter C. S.
mit Dokument: 1956 was habe ich getan [ vertikaler P feil zeigt auf:]
beim Akt Hamlet oder Hekuba [darüber ein ige Notizen CSchs nicht
entzifferbar ]
Was habe ich getan? von 1956] Titel des Vortrags über sein Buch Hamlet oder
Hekuba, m it dem CSch am 12. Juni 1956 einen Diskussionsabend im Hause des
Verlegers Eugen Diedenchs in Düsseldorf eröffnete; erstmalig publiziert in: Dietsland-
Europa 2 (1957), S. 7-9, wiederveröffentlicht in: Mohler/Schmitt, S. 221-224.
Racines Krieger witwe Andromache] Die Trojanerin Andromache steht exemplarisch
fiir das Leid der Frauen im Krieg. Witwe Hektors, d er von Achilleus erschlagen worden
ist, muss sie beim Fall der Stadt Zusehen, w ie auch ihr Sohn grausam getötet wird.
Danach verschleppt Achilleus’ Sohn Neoptolemos sie a b Beute in seine Heimat. Jean
Racines 1667 in Paris uraufgefuhrte Tragödie Andromaque ist eine der bekanntesten
Bearbeitungen des Themas.
wer aber weint (...) um Hekuba?] In Shakespeares Hamlet w eint ein er d er Schauspie
ler in seiner Rolle über den Tod der trojanischen Königin Hekuba, was Hamlet Anlass
zu Erstaunen gibt, vgl. Carl Schmitt: Hamlet oder Hekuba (w ie B rief 4, Anm.),
S. 44. Zugleich H inweis a u f die sich im I. Weltkrieg auspriigende Tradition der Hekuba
- der Schwiegerm utter Andromaches - ab einem weiteren Symbol d er durch den Krieg
traumatisierten Frau u nd Mutter, paradigmatisch hierfür ist der seinerzeit w eit ver
breitete Roman von Clara Viebig: Töchter der Hekuba, Berlin: Fleischel 1917; auch
der frü h e Brecht thematisierte in Gedichten w ie etwa Moderne Legende (1914) oder
Mütter Vermisster (1916) deren Leid.
Papst Paulus (...) ein polnischer Papst] Papst Paul VI. (eigtl. Giovanni Maria Montini,
1897-1978), von 1963 an Papst, wirkte in seinen letzten Jahren zögerlich und hilflos. Der
polnische Papst ist Johannes Paul II. (eigtl. Kami Jo sef Wojtyla, 1920-2005), im Amt
seit 1978. - Polen ist Hamlet ist eine von CSchs beliebten, o f ad hoc vorgenommenen
Analogiebildungen zur ersten Zeile von Ferdinand Freiligraths Gedicht Hamlet von 1844:
Deutschland ist Hamlet. Ernst und stumm [/] In seinen Toren jede Nacht [/] Geht die
begrabne Freiheit um [/] Und winkt den Männern auf der Wacht. Vgl. Carl Schmitt:
Hamlet oder Hekuba (wie B rief 4, Anm.), S. 11.
Ihr Colloquium] vgl. B rief 20, Anm. u. 21A
74
22 I'AU BES AN SCH M ITT
10.11.1978
10.11.1978
Verehrter Herr Schmitt,
Wolfgang Fietkau hat mir eine Copie seiner Epistel an Sie eingesandt.
Sie sehen non iam frustra doces, Carl Schmitt. Wenigstens an der FU
doch der hellste Ort in Deutschland.
Ihr J. T.
( 'opie seiner Epistel an Sie] Fietkau legte seinem B rief an J T vom 30. Oktober 1978
sowohl ein Exemplar seiner soeben im Rowohlt Verlag erschienenen Monografie Schwa-
nengesang auf 1848 (w ie B rief 17, Anm.) als auch eine Kopie des Briefs an CSch bei,
den er anlässlich der Versendung seines Buches an diesen verfasst hatte. Von CSchs Reak
tion berichtet er in einem B rief an J T vom 18. November 1978: [D]er alte „Partisane“
hat, wie Sie beiliegend sehen, gleich geantwortet (was ich wirklich sehr nett finde!)
und sich in den mir zugedachten Marginalien zum Thema „Legale Weltrevolution“
nichts anmerken lassen, was, wenn ich den an Sie gerichteten Brief (vielen Dank
liir die Fotokopie!) richtig verstehe, dort doch weniger verblümt zum Ausdruck
gekommen ist. Daß C.S. der Vaterschaft, für die er da in Anspruch genommen
wird, nicht ganz ohne Argwohn begegnen würde, habe ich ja fast erwartet, ln der
litt scheint er das eine oder andere, lese ich die Antwort an Sie richtig, als gewissen
l’icks empfunden zu haben, und da müßte ich, ein bißchen unschlüssig, ob ich
mich über derlei Treffer freuen oder grämen sollte, am Ende doch eher freuen: der
l’crfidie, die er als „Anti-Vergilianismus“ heraushört, lag meinerseits nicht die Spur
von Absicht zugrunde. Dieser Aspekt der Sache hat sich rein immanent ergeben,
als mir bei der Cygne-Analyse langsam aufdämmerte, daß es sich hier abermals um
eine Art Äneis-Travestie handelte, die zu Baudelaires Zeiten als Genre ja schon gut
200 Jahre Geschichte hatte. Daß C.S. da eine Art „Hai? auf meine Art von Virgi-
1irät“ herauslesen könnte, wäre mir nie in den Sinn gekommen. Kapiert habe ich
cs erst, nachdem ich inzwischen Fabers „Verkündigung Vergils“ gelesen habe [...]
(die mich übrigens sehr beeindruckt hat und die ich gerne zitiert hätte). Nebenbei
bemerkt, ist die Retourkutsche „Carl OrfP ja auch nicht von schlechten Eltern.
Sollten Sie C.S. noch einmal sehen und sollte sich die Gelegenheit dazu ergeben,
fände ich es doch nett, wenn Sie ihn darüber aufklären würden, daß ich ihm da
wi rktich nichts Hämisches unterjubeln wollte ( O: ZfL, Nachlass Jacob Taubes). - Aus
75
dieser Bitte zur Richtigstellung ebenso w ie aus Fietkaus Besitz eines Autos, m it dem er
J T nach Plettenberg chauffierte, hat sich seine Teilnahme an dessen zweitem Besuch bei
CSch ergeben (persönliche Auskunft von Woljgang Fietkau).
non iam frustra doces, Carl Schmitt] vgl. B rief 15, Anm.
23 TAUBES AN SC H M IT T
BERLIN, 15.11.1978
Jacob Taubes
Freie Universität Berlin
Philosophisches Seminar während einer Sitzung des
(Hermeneutik) Akademischen Senats
1 Berlin 33, den 13. November 1978
Anf dem Grat 48 Gelfertstrasse 11
Ruf: Durchwahl 76 90 2003/2004
76
lysicren soll, b) Post an den Präsidenten, in der [ich] die Geschichte
des Fachbereichs 11 rekapituliere und glaube das Problem deutlich
formuliert zu haben.
I >ic Reform der Reform die jetzt ansteht kann leicht in eine gegenre
volutionäre Welle Umschlagen und wir verlieren dann die Loyalität
jener Studenten von der Art Fietkaus. Also wandelt man auf einem
schmalen Grat und ich kann nur hoffen dass wir nicht abstürzen. Sie
hören von mir sobald ich Zeit und Stunde weiß.
Herzlich grüsst Sie Ihr
Jacob Taubes
77
m ächtigen Mann machte, der am (anfangs so genannten) Philosophischen Seminar in
Judaistik und Religionssoziologe M itentscheidungsrecht besaß. Ende der 1970er Jahre
verlor er unter anderem im Zuge der Neustrukturierung des Fachbereichs 11 viel von
seinem Einfluss. Seit 1980 w ar er a u f die Philosophie und das von ihm geleitete (An-)
Institut fü r Hermeneutik beschränkt.
Protokoll der 2. Sitzung des Colloquiums] Ein zweiseitiges, als Matrizendruck ver
vielfältigtes und namentlich nicht gezeichnetes Ts (O: Ts; HStA D üsseldorf Nachbiss
Carl Schmitt, RW 265-21906); im Zentrum der Diskussion des Colloquiums (vgl.
B rief20, Anm.) stand der vorletzte Absatz von Walter Benjamins Lebenslauf, der später
als Lebenslauf [III] in: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 6, hg. v. Rolf Tiedemann
u. Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1985, S. 217-219,
hier: S. 219 veröffentlicht wurde.
Hamlet-buch] Carl Schmitt: Hamlet oder Hekuba (w ie B rief 4, Anm.)
Post an den Präsidenten] B rief JTs an den Präsidenten der Freien Universität Berlin
Eberhard Lämmert v. 10. November 1978 (K von Ts; HStA Düsseldorf, Carl Schmitt-
Nachlass, RW265-15953/1-2).
24 SC H M IT T AN TAUBES
PLETTENBERG, 24.11.1978
Lieber, verehrter I Ierr Taubes: diese beiden, für mich kostbaren Tage
Ihres Besuchs werden mich noch lebenslang beschäftigen; die bevöl
kerungsstatistische Dauer dieser meiner Lebens-,,Erwartung“ spielt
dabei keine Rolle. Herzlichen Dank! Für Ihre Geduld, und für Ihre
Nachsicht mit meiner Randsituation und meinen kaum noch zumut
baren Altersbeschwerden ganz besonderen Dank! Ich habe gestern
nachmittag vergessen, Ihnen die beigefügte Fotokopie der Däubler
Schrift von 1916 mitzugeben, und füge sie diesen meinen Zeilen bei;
machen Sie sich für Ihr Material eine Fotokopie und schicken Sie mir
das hier beigefügte Exemplar dann zurück. Die Buch-Schicksale alles
dessen was Däubler angeht, sind ungeheuerlich; ich darf Ihnen diese
Warnung nicht verschweigen. Eine Topographie im Wolfgang-Fiet-
kau-Stil wäre ein konstituierendes Europäisches Ereignis; auch unter
dem Gesichtspunkt der Bedingungen der Möglichkeit eines Nobel-
Preises bezw. einer Kandidatur, als heuristisch-fruchtbare Frage, nicht
etwa nur ironisch.
78
Nix limals alle guten Wünsche und herzlichen Dank für die Wohltat
dieses Besuches!
1111 aller Carl Schmitt
I iilnkopie der Däubler Schritt von 1916] Carl Schmitt: Theodor Däublers „Nord-
ln In“ (w ie Brief 8, Anm.) wurde erst 1991 w ieder neu aufgelegt, dieses M al bei Dunk-
kri & Humblot.
21 TAUBES AN SC H M IT T
ESSEN/BIELEFELD, 24.11.1978
79
ÜBERLIEFERUNG O: Hs, Karte; HStA Düsseldorf, Nachlass Carl Schmitt, RW265-
15971.
80
•/. I AUBES AN SCHMITT
HEREIN, 29.11.1978
|.u ob Taubes
I ific Universität Berlin
I .ich bereich 11 Philosophie 1 Berlin 33, den 29. 11. 1978
mul Sozialwissenschaften Gelfertstrasse 11
Institut ftir Philosophie Ruf: Durchwahl 838 21 07
den 29. 11. 1978] darunter von CSch eingefiigt: erhalten 1/12/78
Einbruch der Zeit ins Spiel] Der Einbruch der Zeit in das Spiel ist der Untertitel von
Carl Schmitt: Hamlet oder Hekuba (w ie B rief 4, Anm.).
81
das Gesamt des Unternehmens Hermeneutik in Frage gestellt) In den geistes- und
sozialwissenschaftlichen Fächern der FU Berlin un d ihren häufig wechselnden organisa
torischen Zusammenschlüssen tobten in den späten 1970er Jahren heftige akademische
und wissenschafispolitische Auseinandersetzungen, die in der Auflösung des Fachbereichs
11 Höhepunkt und Ende fa nd en und in deren Verlaufauch das von J T geleitete Institut
fü r Hermeneutik als bedroht erschien.
Brief an Senator Glotz) Im B rief an Peter Glotz vom 29. November 1978 weist J T
flH/Ereignisse der letzten Sitzung des Direktoriums des Philosophischen Instituts der
FU hin; dabei g in g es auch um die von Glotz betriebenen und von J T unterstützten
Pläne zu Neuberufungen, gegen d ie es am Institut groß e Widerstände gab: Sie können
die Idee Tugendhat / Theunissen in die Lade Ihrer Utopica verscharren. Eine Kopie
des Schreibens fin d et sich im HStA Düsseldorf, vgl. HStA Nachlass Carl Schmitt RW
265-15950/1-2. - Peter Glotz (1939-2005), Politiker der SPD, 1978-1981 Berliner
Senator fü r Wissenschaft und Forschung u nd in dieser Funktion sowohl durch seine,
von J T beratene Berufungspolitik verantwortlich fü r die N euordnung des Instituts fü r
Philosophie an der FU Berlin als auch fü r d ie 1981 erfolgte Gründung des Wissen
schaftskollegs zu Berlin.
Brief von Henning Ritter] Es handelt sich h ier um einen B rief vom 18. November
1978, den Ritter als Reaktion a u f einen Vortrag verfasste, den Sander am Abend zuvor
in JTs Hermeneutischem Colloquium gehalten hatte, vgl. dazu B rief 27, Anm. Eine
Fotokopie des Schreibens befindet sich im Nachlass von CSch (HStA Düsseldorf, Nach
lass Carl Schmitt RW265-11640/1-2).
Peter von Oertzen (...) in seinem Vortrag] Peter von Oertzen (1924-2008), Polito
loge und Politiker, 1953 Promotion an der Univ. Göttingen, 1962 Habilitation ebenda,
1963 Prof, an der Technischen Univ. Hannover, 1970-74fü r die SPD Niedersächsi
scher Kultusminister, 1974-1982 Prof, fü r Politikwissenschaft an der Univ. Hannover.
Besuch von Christian Meier] Christian M eier (geb. 1929), Althistoriker, 1956 Pro
motion an der Univ. Heidelberg, 1963 Habilitation fü r Alte Geschichte an der Univ.
Frankfurt am Main, 1966-1968 und 1973-1976 Prof, an der Univ. Basel, 1968-
1973 an der Univ. Köln. 1976-1981 an der Univ. Bochum, 1981-1997 Prof, an der
Univ. M ünchen, 1982-1996 Kurator des Historischen Kollegs M ünchen, 1996-2002
Präsident der Deutschen Akademiefü r Sprache u nd D ichtung in Darmstadt. M eier war
m it CSch seit Ende der 1960er Jahre gu t vertraut.
82
11 TAUBES AN SCHMITT
B E R L I N , 3 .1 2 .1 9 7 8
Jiicob Taubes
Freie Universität Berlin 1 Berlin 33, den 3.12.1978,
1‘liilosophisches Seminar 1. Adventssonntag
(I lermeneutik) Gelfertstrasse 11
Ruf: Durchwahl 838 2002
83
In der letzten Sitzung sprach Christian Meier] Christian Meiers öffentlichen Vor
trag in der 4. Sitzung des Hermeneutischen Colloquiums vom l. Dezember 1978 zum
Thema Aischylos und das Politische bei den Griechen hatte J T am 10. November
1978 in einem Schreiben an die M itglieder des Hermeneutischen Colloquiums ange
kündigt: Schon der Titel des Vortrags von Kollegen Meier knüpft an die Thesen von
Carl Schmitt an, fragt aber zurück in die Konstitution der griechischen Polis wie sie
in den “Eumenidcn” des Aischylos nicht nur geschildert wird, sondern darstellend
sich vollzieht. Frage, ob von diesem Ursprung her auch die in der Krisenkonstella
tion der Weimarer Republik geborene Ortsbestimmung des Politischen durch Carl
Schmitt nicht nur eingeholt als auch überholt werden könnte. Also: “exoterisch”
eine Interpretation der “Eumeniden” des Aischylos durch einen “Alt-historiker”,
“esoterisch” aber Noten zum Begriff des Politischen von Carl Schmitt durch einen
der wenigen theorie-durchfurchten deutschen Historiker. (0 : Ts; HStA Düsseldorf,
Nachlass Carl Schmitt, RW265-21906)
Protokoll der 3. Sitzung des Herrn. Colloquiums] Gemeint ist die Sitzung, in der
der Vortrag von Hans-Dietrich Sander (vgl. oben, Anm.) stattfand.
Fietkau am 15.12. hier] Laut Ankündigung w ar das Thema der 5. Sitzung des Her
meneutischen Colloquiums das Buch von Wolfgang Fietkau: Schwanengesang auf
1848 (wie B rief 17, Anm.) als “Kommentar" zu Carl Schmitts “Politischer Theolo
gie" [...]. Carl Schmitts knapper Kommentar zu dem Gedicht Baudelaires “Abel et
Cain” enthält Hinweise auf philologisch ebenso dunkle wie politisch kontroverse
Zusammenhänge, mit denen die “Forschung” (Walter Benjamin einmal ausgenom
men) so gut wie nichts hat anfangen können. W. Fietkau hat den Hinweis Schmitts
aufgenommen und zum Fundament seines “Rendevous am Louvre” von Marx,
Baudelaire, Proudhon und Victor Hugo gemacht. Der alte Partisane Carl Schmitt,
der eben Fietkaus Schrift gelesen hat, faßt sein Urteil in einem Wort zusammen:
“atemberaubend". Ich bitte die Mitglieder des Colloquiums, die Dissertation Fiet
kaus gründlich zu lesen, so daß wir den Atem gewinnen können, die Problem
konstellation, die Fietkau anvisiert, auch diskutieren zu können. (R undbrief an die
Mitglieder des Hermeneutischen Colloquiums vom 10. November 1978; O: HStA
Düsseldorf, Nachlass Carl Schmitt, RW265-21906).
Der Bürgerkrieg im Institut] J'T spielt hier a u f d ie heftigen Auseinandersetzungen am
Institut fü r Philosophie un d an dem auseinanderbrechenden Fachbereich 11 der FU
Berlin insgesamt an, vgl. B rief 26, Anm.
eine Studentin über C. S. zur Literaturtheorie] J T erläuterte das Programm dieser
Sitzung des H ermeneutischen Colloquiums: Nach den Weihnachtsferien wollen wir
im engen Kreis des Colloquiums das erstaunliche Büchlein von Carl Schmitt aus
dem Jahre 1956: Hamlet oder Hekuba. der Einbruch der Zeit in das Spiel (Eugen
Diederichs Verlag, Düsseldorf, heute heimatlos, denn Diederichs hat es vor die Tür
gesetzt!) diskutieren. Diese Schrift von Carl Schmitt enthält einen “Exkurs über den
barbarischen Charakter des Shakespearschen Dramas”, der 1956 (sic, wo Walter
Benjamin nicht Mode war) sich ausführlich mit Walter Benjamins „Ursprung des
deutschen Trauerspiels“ auseinandersetzt. Das Buch ist im Handel nicht erhältlich,
vielleicht noch in einigen Bibliotheken zu finden.” (R undbrief an die Mitglieder
des Hermeneutischen Colloquiums vom 10. November 1978; O: HStA Düsseldorf,
Nachlass Carl Schmitt, RW265-21906).
Gadamer, seinen Exkurs verteidigend oder korrigierend] Zu Gadamers Exkurs zu
Carl Schmitt: Hamlet oder Hekuba vgl. B rief 24; Anm. Hans-Georg Gadamer war
vom 22. bis 26. Januar 1979 Gast des Instituts Ju r Phibsophie der FU Berlin, in diesem
84
Zusammenhang w ar er zur Teilnahme an J T Colloquium fiir den 26. Januar 1979
ringeladen.
iln i juristischen Seminaren ad C.S.] Hinweis JTs a u f das Seminar zu Carl Schmitt,
das Ernst-W olfgangBöckenfördegemeinsam m it Wilhelm Hennis an der Univ. Freiburg
ahhielt; vgl. auch die Briefe zwischen J T und Böckenförde.
2K TAUBES AN SC H M IT T
BERLIN, 4.12.1978
4.12.1978
I ¡eher und verehrter Herr Schmitt,
wie Sie sich selbst überzeugen können, man kann unsere jungen Leu
te nicht ä la longue betrügen. Was Fietkau ad Gadanier sagt, trifft
doch ins Schwarze. Ich werde Fietkau bewegen Ihr Hamlet-Hekuba
huch mit Einleitung neu herauszugeben.
In liile herzlich J. T.
ÜBERLIEFERUNG O: Hs, a u f dem oberen Rand einer Fotokopie von Wolfgang Fiet-
kaus Schreibens an J T vom 30. November 1978 notiert, vgl. B rief 65; ZfL, Nachlass
Jacob Taubes.
85
29 TAUBES AN SC H M IT T
BAD HOM BURG V. D. HÖHE, 7.2.1979
86
»0 SC H M IT T AN TAUBES
(TETTENBERG, 19.2.1979
19/2/79
I Anlage
betr. Begriff des Politischen („Natur“ des Menschen)
(Ausgabe 1963, Seite 59 / [x] 47)
Anlage zu 19/2/79
die Fabel von den 2 Mäusen: Zwei Mäuse lebten miteinander in bit
terer Feindschaft und taten sich gegenseitig alles Böse an. Eines Tages
frass die Katze eine der beiden Mäuse. Die andere war hocherfreut
und fühlte sich zu einem persönlichen Dankbesuch bei der Katze ver
pflichtet. Bei dieser Gelegenheit wurde sie dann auch gefressen,
(interessiert, als Tier-Fabel, vielleicht Herrn oder Frau Kriele)
[Vorlage: ZfL HS, Entwurf in Düsseldorf HS Kurzschrift]
über den in Aussicht gestellten Aufsatz] J T hatte Böckenförde fü r die von diesem mit
herausgegebene Z eitschrift Der Staat. Zeitschrift für Staatslehre und Verfassungsge-
schichte, deutsches und europäisches öffentliches Recht eine Rezension von Alfred
87
Schindler (Hg.): Monotheismus als politisches Problem? (w ie B rief 15, Arttn.) zuge
sagt, diese aber nicht fertiggestellt; vgl. auch B rief61.
Programm für Homburg Februar 19801 vgl. B rief 29, Anm.
Begriff des Politischen (...) 1963, Seite 59 / [x] 47)] Carl Schmitt: Der Begriff des
Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien, 2. Auf!., Berlin:
Duncker & Humblot 1963, S. 59: Man könnte alle Staatstheorien und politischen
Ideen auf ihre Anthropologie prüfen und danach ein teilen, ob sie, bewußt oder unbe
wußt, einen „von Natur bösen“ oder einen „von Natur guten“ Menschen vorausset
zen. (...) Entscheidend isc die problematische oder die unproblematische Auffassung
des Menschen als Voraussetzung jeder weiteren politischen Erwägung, die Antwort
auf die Frage, ob der Mensch ein „gefährliches“ oder ungefährliches, ein riskantes
oder ein harmlos nicht-riskantes Wesen ist. Diese Überlegungen bezieht Schmitt im
Folgenden a u f d ie auffällig politische Deutbarkeit der Tierfabeln (ebd., S. 59-60).
Herrn oder Frau Kriele] Martin Kriele (geb. 1931), Jurist, 1962 Promotion und
1966 Habilitation an der Univ. Münster, 1967 Prof, fü r Allgemeine Staatslehre und
öffentliches Recht an der Univ. Köln, 1976-1988 Richter am Verfassungsgerichtshof
in Nordrhein-Westfalen, vertrat 1973 die Bundesregierung unter Willy Brandt im
Streit um die Ostverträge vor dem Bundesverfassungsgericht. Krieles erste Frau Christel
zeigte sich fü r CSchs Äußerungen über Fabeln interessiert (vgl. Briefe an CSch vom 30.
Oktober und 25. November 1962, HStA Düsseldorf, Nachlass Carl Schmitt, RW265-
84448 u. 84449).
31 TAUBES AN SC H M IT T
BERLIN, 1.3.1979
88
Wenn Sie den Brief an Glotz lesen, so erscheint auf S. 1 u. 14 der
Name Syberberg. Ein wirklich bedeutender Filmer. Er soll fürs Bun-
>|i s.iiehiv Zeugnisse von Zeitgenossen sammeln. Ich habe ihm Ihren
Namen genannt und ex captivitate salus nach München mitgegeben.
I i wird anrufen. Ich bitte ihn, wenn Sie es können, ihn zu empfan
gen.
I landet” hat hohes Interesse bei Siegfried Unseld gewonnen. Er
möchte es in die “Bibliothek Suhrkamp” [aufnehmen], jene vor
nehmste Reihe des Verlags wo Kleinodien von Wittgenstein u.a. ver-
nlieiulicht werden oder im Insel Verlag, der literarisch ausgerichtet ist.
I ieikau soll das Nachwort schreiben. Ich kann nur dringend raten
/u/uschlagen, nachdem Sie es mit dem Verwalter Ihres literarischen
I ibes besprochen haben. Nach der Mai-tagung 300 Jahre Hobbes will
it h gerne vorbei kommen.
Karlfried Gründer ab heute Professor der FU, gerade bei Frau von
Brentano der Geschäftsführenden Direktorin des Instituts. W ir haben
gestern ausführlich über C. S. gesprochen.
Herzlich grüsst Ihr
Jacob Taubes
I >okument, das Zeugnis ablegt (...) Colloquium ad Hobbes] liegt nicht vor
llrief an Glotz] ein siebzehnseitiges Schreiben an Peter Glotz vom 25. Februar 1979
(K: HStA Düsseldorf, Nachlass Carl Schmitt, RW265-21908)
Syberberg (...) Zeugnisse von Zeitgenossen sammeln] Hans-Jürgen Syberberg
gehörte zu den Kandidaten, die J T als senior fellow s fü r ein geplantes Institute o f
Advanced Studies vorgesehen hatte. Syberberg hatte unter dem Titel Ich klage an ein
Konzeptfü r eine Sammlung film ischer Portraits bedeutender lebender Zeitgenossen ent
worfen und im November 1978 an das Innenministerium in Bonn geschickt. Zu den
zu Portraitieremien gehörten neben anderen M arlene Dietrich, Katia Mann, Oskar
Kokoschka und Anna Seghers. Sein Projekt wurde von film ischen M emoiren angeregt,
die Joseph Goebbels zu Kriegszeiten in Auftrag gegeben hatte und die im Bundesarchiv
Koblenz aufbewahrt sind. - Hans-Jürgen Syberberg (geh. 1935), Filmregisseur, der m it
Filmen zur deutschen Geschichte wie Winifred Wagner und die Geschichte des Hau
ses Wahnfried 1914-1975 (1975) die bundesrepublikanische Öffentlichkeit spaltete;
seinen höchst umstrittenen, achtstündigen Film Hitler sah J T im Frühjahr 1979, wie
er im erwähnten B rief an Peter Glotz berichtete.
ex captivitate salusl Carl Schmitt: Ex Captivitate Salus (w ie B rief 7A, Anm.)
“Hamlet” hat hohes Interesse bei Siegfried Unseld gewonnen] Carl Schmitt:
I lamlet oder Hekuba (wie B rief 4, Anm.); vgl. B rief 71
89
Fietkau] Wolfgang Fietkau, vgl. B rief 17, Anm.
Mai ragung 300 Jahre Hobbes] JT p la n te zusammen m it Peter Glotz eine Tagung
zum Hobbesjubiläum, die schließlich vom 12.-14. Oktober 1980 an der FU Berlin
stattfand, vgl. Briefe 68, 69 u. 77 sowie Texte III u. IV.
Karlfried Gründer ab heute Professor der FU] vgl. B rief 12, Anm.
von Brentano] Margherita von Brentano (1922-1995), Philosophin, 1948 Promotion
an der Univ. Freiburg. Nach ihrer Tätigkeit im Südwestfunk arbeitete sie seit M itte
der 1950er Jahre an der FU Berlin, zuerst ab Assistentin von Wilhelm Weischedel, seit
1972 als Professorin fü r Philosophie. Intensiv in den politischen Auseinandersetzungen
der Zeit beteiligt, kämpfte sie - 1970 bis 1972 w ar sie erste Vizepräsidentin der FU
überhaupt - unter anderem fü r die G leichberechtigung von Frauen an der Universität.
M it ihr lebte JT, der in Briefen erklärte, vor allem auch ihretwegen habe er sichftir Ber
lin und gegen d ie USA entschieden, von 1967 bis 1975 in zweiter Ehe; vgl. den Brief
wechsel zwischen von Brentano und J T in Margherita von Brentano: Das Politische
und das Persönlich. Eine Collage, hg. v. Iris Nachum u. Susan Neiman, Göttingen:
Wallstein 2010, S. 459-470.
gesprochen] besprochen
32 TAUBES AN SC H M IT T
BERLIN, 5.5.1979
Erkelenzdamm 17, 1 B 36
5.V.1979
Lieber Herr Schmitt,
eben in Bad Homburg Post gesichtet und bin mit den Responsen zum
Colloquium sehr zufrieden. Der Altphilologe und Religionshistoriker
Hubert Cancik Tübingen wird über “Augustin als Konstantinischer
Theologe” sprechen. Was Peterson auf den Kopf stellt.
Mit Blumenberg lasse ich mich in ein Pokerspiel ein, das ich zu gewin
nen hoffe: er wird kommen. Freilich nicht zu Thema C. S. sondern
(wohl, wenn ich die Partie gewinne) “Politik der Mythologie und
Mythologie der Politik”. In dieser “Gegend” wird auch Christian M ei
er angesiedelt sein.
Von Böckenförde nichts gehört, was heisst, dass eine strikte Absage
vermieden ist. Ich rechne nur auf ihn als “Gast”. Als solcher ist er
herzlich eingeladen. W ir kommen dann - nach dem Kolloquium zur
“Berichterstattung” nach Plettenberg.
Die Rezension ad Politische Theologie wird im Juni erst geschrieben
werden können. Auch im Blick aufs Colloquium.
90
Im Augenblick bin ich an der schwierigen Operation Dreiteilung des
I uhbereichs “Philosophie und Sozialwissenschaften” in
a) Kommunikation und Psychologie
b) Soziologie
c) Philosophie und Humanwissenschaften
(i.e. Ethnologie, Religionswissenschaften, Theologien als Einzellehr-
stiihle “Weltanschauungslehrstuhl” Guardini, jetzt in zweifacher Aus
führung (auch protestantisch) da). Die Pointe ist der Transfer von
So/.ialwissenschaften zu Humanwissenschaften (sciences humaines)
als “Leitwissenschaft” oder “Rahmen”, was bedeutende Akzentver
schiebungen mit sich bringt die ich “begründen”, Glotz “exekutieren”
muss.
Herzlich Ihr Jacob Taubes
91
“Weltanschauungslehrstuhl'’ Guardini] Romano Guardini (1885-1968), kath.
Theologe und Religionsphilosoph, der von 1923 bis zu seiner Zwangsemeritierung durch
die Nazis 1939 an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität (der heutigen Hum
boldt Universität) den Lehrstuhlfiir Religionsphilosophie und Christliche Weltanschau
ung innehatte, nach dessen Vorbild an der 1949 neugegründeten FU Berlin katholische
w ie protestantische Professuren eingerichtet wurden.
33 SC H M IT T AN TAUBES
PLETTENBERG, 14.5.1979
E N TW U RF
92
Spiegel vom 14. Mai 1979 (Veröffent. Taubes)] Jacob Taubes: Linksfaschistische
( it-ncalogie von Bourgeoisie geliefert [Leserbrief], in: Der Spiegel 33 (1979), Nr.
.’0 v. 14. Mai, S. 8-9, bei JTs L eserbrief handelt es sich um eine Entgegnung a u f die
i in Spiegel 14 (1979) erschienene Buchbesprechung des Spiegel-Redakteurs Georg Woljf
Uber Ilelmut Schelsky: Die Hoffnung Blochs. Kritik der marxistischen Existenzphi-
losopliie eines Jugendbewegten, Stuttgart: Klett-Cotta 1979.
Ihre Informations-Schreiben (4/IV und 5/V)] Gemeint ist die Kopie eine hs. Rund-
»hreibens An die Mitgleider des Colloquiums [/] Politische Theorie und Herme
neutik: Politische Theologie vom 4. April 1979, J T hatte es von der Reimers Stiftung
in Had Homburg aus an CSch geschickt (RW 265-15954). Dieser vermerkte darauf.
I lokument erhalten 17/4/1979 [/] Poststempel Homburg [/| Der Mensch denkt,
( ,oti lenkt. Das erwähnte Schreiben vom 5- Mai 1979 vgl. B rief32.
1945/46 im Camp Berlin] CSch war nach dem Krieg interniert und verbrachte diesen
Zeitraum ab Gefangener der US Army in einem Lager in Berlin-Lichtefelde.
Pcterson-Aufsatz] CSch meint die von J T versprochene Besprechung, vgl. B rief30, Anm.
Nachdruck meines Vorwortes zur 2. Auflage (1925) meiner Pol. Romantik] Das
der Schrift Politische Romantik, 2. bearb. u. erw. Aufl., München / Leipzig: Dunk-
ker & Humblot 1925 a u fS . 3-28 neu hinzugefugte Vorwort war unter dem Titel
Romantik bereits in d er Zeitschrift Hochland 22 (1924), S. 157-171, erschienen.
Der Nachdruck im Gerstenberg Verlag kam nicht zustande.
Die weitaus wichtigste Stelle dieses Buches (...) auf Seite 175, Anm, 11 vgl. Brief21A
I ektüre W Benjamins von Werner Fuld] Werner Fuld: Walter Benjamin. Zwischen
den Stühlen. Eine Biographie, München: Carl Hanser Verlag 1979, Fuld setzt sich auf
den S. 147-148polemisch mit Benjamins Beschäftigung mit der „Politischen Theologie“
lies späteren faschistischen Machttheoretikers und preußischen Staatsrates von Nazis
Gnaden, Carl Schmitt (ebd., S. 147) und druckt den B rief Benjamins an CSch ab.
34 TAUBES AN SC H M IT T
BERLIN, 8.7.1979
93
ternacht. Diesmal sicher. Denn wir werden auf Ihren Geburtstag
einen Schluck Wein im Seminar trinken. So scheint mir Ihr Geburts
tag am sinnigsten erinnert, dass Ihr Werk im Spruch und Wider
spruch einer neuen Generation vermittelt wird.
Freitag sehe ich zum Mittagessen Herrn Senator Glotz, der vom Vor
schlag “Der sterbliche Gott - 300 Jahre nach dem ,Leviathan"’ mehr
als angetan ist und nun was tun will. Ich halte Sie auf dem laufenden
in dieser Angelegenheit.
Herzlich Ihr
Jacob Taubes
spricht Fietkau im Seminar ad C.S. und W.B., genauer W.B. als Leser von C.S.]
Im Hermeneutischen Colloquium vom 10. Ju li 1973 sprach Wolfgang Fietkau über
CSchs Hamlet oder Hekuba
Vorschlag “Der sterbliche Gott”] vgl. B rief 31, Anm.
35 TAUBES AN SC H M IT T
BERLIN, 11.7.1979
94
I 'BERLIEFERUNG O: Telegramm; HStA Düsseldorf, Nachlass Carl Schmitt, RW
.'(>‘>-15978.
\(> SC H M IT T AN TAUBES
PLETTENBERG, 20.7.1979
l ieber Herr Taubes: Ihnen und jedem der vier Congratulanten herzli
chen Dank! Ich verliere meine Zeit und gewinne meinen Raum - stets
Ihr Carl Schmitt —
gratus et memor.
20/7/1979
37 TAUBES AN SC H M IT T
15.8.1979
95
würden Sie mit Auto abholen, zurück bringen und auch sonst alles
tun, um es Ihnen, auch äusserlich, erträglich zu gestalten. Nicht um
zu drängen erwähne ich diese Möglichkeit, sondern um Sie Ihnen zur
Erwägung zu stellen.
M it Unseld, der vor kurzem [das] Bundesverdienstkreuz allerhöchster
Klasse um den Hals gebunden bekam, über “Hamlet oder Hekuba”
geredet. Er steigt ein in die renommierte “Bibliothek Suhrkamp” den
Juwel aufzunehmen. Auch für ihn nicht ohne Risiko. Das Geheul der
Habermasse klingt ihm und mir schon in den Ohren. Also “Risiko”
auf beiden Seiten. Aber ohne Risiko lässt sich der spirituale “Bürger
krieg” nicht überwinden. Dass dies eine Ihrer tiefsten Intentionen ist,
hat mich nach Plettenberg gebracht. Auch dafür und darob habe ich
einiges “riskiert” und in Berlin Kloppe bekommen. Es lohnt sich aber.
CS in “BS” just mit “Hamlet” wäre ein wichtiger Schritt in diese
Richtung.
Herzlich Ihr Jacob Taubes
Verehrter Herr Schmitt] daneben mehrere Zeilen unlesbarer Notizen von der Hand
CSchs in Gabelsberger Stenogramm
der zweite “H irtenbrief” zu “Politische Theologie III”, wie ein geistreicher Kri
tiker unser Unternehmen nennt] Gemeint ist der m it Datum vom 16 August 1979
versandte R undbrief an die M itglieder der Forschungsgruppe Politische Theologie und
Hermeneutik zum Colloquium Politische Theologie als hermeneutisches Problem
(vgl. B rief 72). - Der geistreiche Kritiker w ar JTs Kollege Wolfgang Hübener, w ie J T
im B rief an Hans-Dietrich Sander vom 15. Oktober 1979 mitteilte: Der Ausdruck
“Politische Theologie III” stammt von Wolfgang Hübener und ist in seiner Dop-
pelbödigkeit mit äußerster Ironie gesprochen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß
dies aperçu Grund für Absagen werden sollte. (O: TsD; ZfL. Nachlass Jacob Taubes)
“Hamlet oder Hekuba”] vgl. B rief 4, Anm.
“BS”] Bibliothek Suhrkamp
Geheul der Habermasse] Wortspiel m it dem Namen des Philosophen Jürgen Haber
mas, der ebenso w ie J T als Berater Ju r den Suhrkamp Verlag tätig war.
96
18 TAUBES AN SC H M IT T
BERLIN, 30.10.1979
I.ieber Herr Schmitt, erstaunt war ich und zufrieden “die Tyrannei der
Werte” in lutherischer Fassung zu sehen. Jüngel ist gescheit und kennt
christlich das Eine, das not tut.
Ihre Sendung erinnert mich, dass Unseld Ihnen in re “Hekuba"
geschrieben hat. Inzwischen ist die “Palastrevolution” vorbei und die
linksliberale Tyrannei gebrochen, so dass (ich bitte dies zu beachten),
sogar H D Sander mir ein Angebot macht, seine Geschichte der
1)DR-Lit. u.a.m. Unseld vorzuschlagen. Ich habe seinen Brief nicht
/.ur Hand, weil ich ihn H H Ritter als Curiosum zusandte. H H Ritter
selbst ist nun Lektor bei EVA (früher Gewerkschaft, jetzt Syndikat-
EVA) und würde sicher auch Hamlet wollen, wenn er “darf”. Sie
wären aber in “Bibliothek Suhrkamp” richtig untergebracht.
Herzlich grüsst Sie trotz Eile und Pressionen eines Wintersemesters
Ihr
Jacob Taubes
RUF: Durchwahl 838 21 07] darunter von CSch eingefiigt: beantwortet] 30/11/79
danach Notizen in Stenogramm
“die Tyrannei der Werte” (...) Jüngel] Eberhard Jüngel: „Wertlose Wahrheit.
Christliche Wahrheitserfahrung im Streit gegen die Tyrannei der Werte“, in: Carl
Schmitt / Eberhard Jüngel / Sepp Schelz: Die Tyrannei der Werte, hg. v. Sepp
Schelz, Hamburg: Lutherisches Verlagshaus 1979, S. 45-75; der Band enthält eine
unveränderte Neuauflage von Carl Schmitt: Tyrannei der Werte, ebd., S. 9-43.
dass Unseld Ihnen in re “Hekuba” geschrieben hat] Es ist unklar, a u f welches Schrei
ben Unselds an CSch sich J T beziehen könnte, denn fü r den Zeitraum zwischen den
Briefen vom 15. August 1979 (vgl. B rief 71) und vom 14. November 1979 (vgl. B rief
76) liegen keine weiteren Schreiben Unselds vor.
die “Palastrevolution” (...) Tyrannei] Gemeint sind die Vorgänge im Fachbereich 11
der FU Berlin, vgl. Briefe 22, 25 u nd 31, Anm.
97
H D Sander mir ein Angebot (...) Unseld vorzuschlagen | Hans-Dietrich Sander:
Geschichte der Schönen Literatur in der DDR. Ein Grundriß, Freiburg: Rombach
1972. Eine Neuauflage erschien 1982 im seihen Verlag.
H H Ritter] Joachim Ritters Sohn (Hanns) H enning (geh. 1943), dessen väterlicher
Freund CSch von frü h an war, studierte in den 1960er und 1970er Jahren bei J T in
Berlin und arbeitete für ihn u.a. als studentischer Tutor. Nach Jahren als freier Ver
lagsmitarbeiter —so ab 1979 bei EVA (Europäische Verlagsanstalt) - und Übersetzer
verantwortete Ritter von 1985 bis zu seiner Pensionierung 2008 die jed en M ittwoch
erscheinende Seite Geisreswissenschaften der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
39 SC H M IT T AN TAUBES
PLETTENBERG, 3.11.1979
98
( likumene, sive zum Pecca fortiter] lat., sei es zum „Sündige kräftig“, letzteres eine
\pnchwörtlich gew ordene Äusserung Luthers, der in einem B rief im August 1521 seinem
Mitstreiter Philipp M elanchthon riet: „Sei ein Sünder und sündige kräftig, aber ver
ii.iuc noch stärker und freue dich in Christus, der über Sünde, Tod und Welt Sieger
i m ." Im Gegensatz zur so genannten Werkgerechtigkeit sieht Luther die Rechtfertigung
allein in Gottes Gnade und dem menschlichen Glauben daran. CSch bedient sich dieser
pitrildoxen Formulierung Luthers, um die seiner M einung nach herrschende Fragwür
digkeit christlicher Ökumene zu ironisieren, die bekanntlich ein allgem ein Christliches
über die konfessionellen Grenzen hinaus herzustellen sucht.
I Inseid (...) jetzt die Lust verloren.) CSch hatte S iegfried Unseldam 20. August 1979
geantwortet, (vgl. B rief 73); nach J'I's Intervention schrieb Unseld an CSch am 14.
November 1979, (vgl. B rief 76).
Sanders Neudruck] vgl. BrieJ 38, Anm.
in Oakeshott’s letzter Publikation (...) „Leviathan: a myth“ von 1947) Michael
Oakeshott: „Dr. Leo Strauss on Hobbes“, in: Politica 2 (1936/37), S. 364-379,
iowie ders.: ,„The Collective Dream of Civilization'. On Hobbes’s ,Leviathan““, in:
The Listener. Published every Thursday by the British Broadcasting Corporation
17 ( 1947), S. 966-967; die Aufsätze wurden zusammen mit zwei weiteren Beiträgen
( lakeshotts in ders.: Hobbes on Civil Association, Oxford: Basil Blackwell 1975, S.
1.12-149 und 150-1 54, wiederveröffentlicht, dabei wurde der Titel des 1947 erschiene
nen Radiobeitrages zu Leviathan: A Myth geändert.
Seit 1938 (!) stecke ich m it Prof. Schelsky in einer typischen querelle allemande,
die - ironischer Weise - die Ironie des Hobbeschen „Leviathan“ betrifft.] vgl.
I lelmut Schelsky: „Die Totalität des Staates bei Hobbes“, in: Archiv für Rechts- und
So/.ialphilosophie 31 (1938), S. 176-193, hier: 190-191, Anm. 11: Carl Schmitt
möchte den Begriff des „Leviathan“ nicht ernst nehmen, weil er „zu schauerlich
und abschreckend“ wäre. W ir möchten jedoch Schmittes Erklärung für den nun
einmal bestehenden Titel des politischen Hauptwerkes von Hobbes, nämlich daß er
„nicht mehr als ein aus gutem englischen Humor geborener, halbironischer, litera-
i ischer Einfall“ sei, eher selbst für einen solchen Einfall halten, zumal da der einzige
Beleg, den Sch. außer der Tatsache anführt, daß dieser Begriff nicht in das System
seiner Hobbesdeutung paßt, doch recht zweideutig ist. Schelsky bezieht sich a u f Carl
Schmitt: Der Staat als Mechanismus (w ie B rief 15, Anm.). - Helmut Schelsky (1912-
1984), Soziologe, SA- u n d NSDAP-Mitglied, 1938-1940Assistent von Arnold Gehlen
in Königsberg, 1949 Direktor der Akademie fü r G emeinwirtschaft in Hamburg, 1953-
1960 Prof. f. Soziologie an der Univ. Hamburg, 1960-1965 an der Univ. Münster,
zugleich Direktor der Sozialforschungsstelle Dortmund.
99
40 TAUBES AN SCH M ITT
BERLIN, 11.11.1979
11.XI. 1979
Lieber Herr Schmitt,
nicht ohne Furcht und Zittern sende ich Ihnen eine Copie eines Auf
satzes ad Hobbes zum “300-Jubiläum” wie mir die Zeitung schrieb.
Ich habe versucht, ’was Vernünftiges daraus zu machen, zwischen Tür
und Angel.
Morgen nach Tübingen Ringvorlesung Staat und Religion, wo ich
über “Theokratie und Utopie” spreche. Stationen: 1) Richterbuch der
charismatische Hunger nach den Retterfiguren 2) Ezechiel 40-48, wo
der Königstitel zurück tritt und der Nachfolger Davids als “Nassi”,
Haupt der Amphyktionie, exponiert wird 3) rabbinisches Judentum
und sein Ernstfall in Israel heute.
Ad Suhrkamp. Montag 19. XI bin ich in Frankfurt und werde nach
dem Rechten sehen. “Hamlet” muss erscheinen.
Ab 2. Dezember bis Mitte Januar in Israel. 29.1. - 2 .II. Politische
Theologie bei Reimers-Stiftung in Bad Homburg. Ich halte Sie da auf
dem laufenden und melde mich deo volente für Sonntag 3. II. bei
Ihnen (schon vorsichtshalber jetzt) an, um Ihnen von Bad Homburg
zu berichten. Am 8.II. wieder nach Jerusalem.
Ich hoffe Sie sehen in dem Artikel auch mein Votum für C.S. Es
gehört in der Bundesrepublik schon einiger Mut dazu Hobbes im
Lichte von CS [als] gültig darzustellen. Gegen alle Schriftgelehrten
der Hobbes-exegese.
Stets Ihr
Jacob Taubes
100
UBPRLIEFERUNG O: Hs, gedruckter Briefkopf m it bs. Namen des Absenders und
Datum; HStA D üsseldorf Nachlass Carl Schmitt, RW 265-15981; a u f der Rückseite
am Rand einige kaum entzifferbare Notizen von CSch in Stenogramm.
I I.XI. 1979] von CSch rot unterstrichen, darunter eingefugt: beantwortet] 19/11/79
Furcht und Zittern] Hinweis a u f die 1843 erschienene Schrift Frygt og Bseven von
Soren Kierkegaard, die unter dem Titel Furcht und Zittern 1882 erstmals in der deut
schen Übersetzung von H. C. Ketels erschien. In ihr spricht Kierkegaard über den Glau
ben am Beispiel des Abraham und seiner Versuchung durch das Opfer Isaaks (Genesis
22).
eine Copie eines Aufsatzes ad Hobbes zum “300-Jubiläum”] Jacob Taubes: „Levia
than als sterblicher Gott. Zum 300. Todestag von Thomas Hobbes (4. Dezember)“,
in: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 278 v. Freitag, 30. November 1979, Fernausgabe,
S. 35-36.
Tübingen Ringvorlesung (...) in Israel heute] Im Wintersemester 1979/80fa n d an
der Universität Tübingen ein e religionswissenschaftlichen Ringvorlesung zum Thema
„Staat und Religion “ statt. Dort einen Vortrag über „ Theokratie u nd Utopie“ zu hal
ten, hatte Cancik J T am 19. M ai 1979 brieflich eingeladen (O: ZfL, Nachlass Jacob
Taubes). 1981 erschien im Patmos-Verlag der entsprechende, von Canciks Tübinger
Kollegen Burkhard Gladigow herausgegebene Sammelband Staat und Religion, in dem
jedoch kein Beitrag von J T enthalten ist. Es ist davon auszugehen, dass dieser seinen
Vortrag w ie häufig extemporierte und ihn nachträglich nicht verschriftlichte. Die im
Tolgenden aufgefuhrten drei Stationen des Vortrags betreffen drei Knotenpunkte der
politischen Theologie Israels, w ie J T sie von der Bibel bis zum Staat Israel verwirklicht
sehen wollte.
“Hamlet” muss erscheinen] Gemeint ist die Publikation von Hamlet oder Hekuba
(wie B riefs, Anm.) in der Bibliothek Suhrkamp.
tleo volente] lat., so Gott will
41 SC H M IT T AN TAUBES
PLETTENBERG, 19.11.1979
10 1
die dritte: Presse-Bericht aus Vatikanstaat Rom, über die Inthronisie-
rung Albert Einsteins.
Das ist viel für meinen alten Kopf. Nur noch einen Hinweis: meine
Leviathan-Bemühungen stehen seit 1932 unter dem Bestreben, mich
Leo Strauss verständlich zu machen; seine letzte briefliche M itteilung
an mich ist 1934 aus Paris an mich datiert; er hat später meinem
Freund George Schwab erlaubt seinen Strauss Aufsatz zu meinem
Begriff des Politischen, 197[6], abzudrucken. Lassen Sie mir Ihren
Leviathan-Aufsatz zuschicken; ich bin auch auf das allgemeine Echo
zum 300. Todestag neugierig. Non jam frustra doces, Thomas Hob-
bes? Ihr alter
Carl Schmitt
ÜBERLIEFERUNG O: Hs; ZfL, Nachlass Jacob Taubes. - J T sandte ein e K des Briefes
an Siegfried Unseld (DLA Marbach, Suhrkamp Archiv). —E ntwurf Hs, Notizen und
Stichworte in Stenogramm; HStA D üsseldorf Nachlass Carl Schmitt, RW265-21927,
Bl. 16.
102
12 SC H M IT T AN TAUBES
PLETTENBERG, 18.1.1980
EN TW URF
lieb er Herr Taubes:] daneben von CSch eingefiigt: diesen Text nicht abgeschickt! /
wohl aber es folgen nicht entzifferbare Notizen in Stenogramm
Siehe Rückseite!] a u f der Rückseite des Blattes befindet sich ein e Fotokopie des Hobbes-
Kristalls m it hs. Ergänzungen von CSch
30. Januar] Gemeint ist die vom 29. Januar bis 2. Februar stattfindende Tagung Der
Kürst dieser Welt - Carl Schmitt und die Folgen, vgl. B rief 29, Anm.
l.übbe] Hermann Lübbe (geh. 1926), Philosoph, 1951 Promotion a n d er Univ. Frei
burg, 1956 Habilitation an der Univ. Erlangen, 1963 Professor an der Univ. Bonn,
1963 Univ. Bielefeld, 1971-1991 Professor fü r Philosophie und Politische Theorie an
der Univ. Zürich, 1966-70 Staatssekretär in mehreren SPD geführten Landesregierun-
103
gen von Nordrhein- Westfalen, stand seit den 1950er Jahren in Verbindung m it CSch.
„Allah ist Gross“] arab., allahu akbar, der Beginn des Gebetsrufi der Muslime, der
auch im Gebet selbst mehrfach vorkommt. Die Formel stammt nicht aus dem Koran,
sondern aus der Überlieferung und w ird u.a. als S chlachtruf verwendet - von daher
seine Bekanntheit in der nicht-muslimischen Welt.
Jesus is the Christ] vgl. B rief Anm. 15.
da hat Claude de Saint Simon (...) recht] Claude Henri de Rouvery Comte de Saint-
Simon (1760-1825), frz. Philosoph und Protosozialist. Was CSch hier anfuhrt, fin det
sich so nicht bei Saint-Simon. Zum Vergleich von Titus m it Ludwig XVI., vgl. Claude
Henri de Saint-Simon: De la Réorganisation de la Société Européene [1814], in:
ders.: Œuvres, Bd. 1, Paris: Editions Anthropos, hier: S. 219-220.
Hegel : keine Revolution ohne vorherige Reformation] Georg Wilhelm Friedrich
Hegel: Werke 10: Enyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse
(1830). Dritter Teil: Die Philosophie des Geistes. M it den mündlichen Zusätzen,
Frankfurt am Main: Suhrkamp 1970, S. 360: Es ist nur für eine Torheit neuerer
Zeit zu achten, ein System verdorbener Sittlichkeit, deren Staatsverfassung und
Gesetzgebung ohne Veränderung der Religion umzuändern, eine Revolution ohne
eine Reformation gemacht zu haben, zu meinen, mit der alten Religion und ihren
Heiligkeiten könne eine ihr entgegengesetzte Staatsverfassung Ruhe und Harmonie
in sich haben [...] (§552, Zusatz); von CSch erstmals in ders.: „Die vollendete Refor
mation“ (wie B rief 7A, Anm.), S. 51-69 aufgenom m ener Gedanke; vgl. auch ders.:
Politische Theologie II (w ie B rief 7B, Anm.), S. 92.
Es geht nicht ohne (...) 1974] Randnotiz von CSch
KrtTÉXWÇ beim KttTfXOv] über beim eingefugt: sive. Katechos oder (= sive)
katechon sind nach christlicher Vorstellung Figuren des aufhaltenden Prinzips gegen
über dem nahenden Ende der Welt (vgl. B rief 14, Anm.).
Wolfgang Harich (...) 1974] vgl. Wolfgang Harich: Jean Pauls Revolutionsdich
tung. Versuch einer neuen Deutung seiner heroischen Romane, Berlin: Akademie-
Verlag 1974, S. 184; nicht wörtlich, aber der Sache nach; als Denkfigur der revolutio
nären Ungeduld ebd. wiederholt zu finden, etw a S. 118, 151, 177 u.ö.
104
43 TAUBES AN SC H M IT T
BERLIN, 7.2.1980
7.II.1980
Lieber Herr Schmitt,
nur in Eile nochmals Dank für [die] herzliche Aufnahme.
Anbei ein Einblick, was heute los ist an der Universität. Soll in FAZ
erscheinen.
Herzlich Jacob Taubes
105
44 SC H M IT T AN TAUBES
PLETTENBERG, O.D. (W O HL M ITTE M ÄRZ 1980)
106
45 TAUBES AN SC H M IT T
BF.RI.IN, 28.10.1980
Jacob Taubes
Freie Universität FU Berlin
Fachbereich Philosophie
und Sozial Wissenschaften (FB 11)
Institut für Philosophie (WE 5)
28.X. 1980
Lieber Herr Schmitt,
bevor ich im Semester untergehe und dann die Flucht nach Paris und
Jerusalem ergreife, ein Signal. Der Bericht an die Reimers Stiftung ist
nicht ohne Tücken. Da Kriele als zweiter Sprecher versagte (und noch
Sand ins Getriebe streute), so habe ich ihn - im Einverständnis mit
den Obrigkeiten der Reimersstiftung - unter den Fisch fallen lassen.
Dazu noch das Programm fürs nächste Semester. Es erscheint formi-
dabler als es in Wahrheit ist. Professor Salomon Pines, ein bedeuten
der Arabist und Philosophiehistoriker aus Jerusalem, hospitiert und
für ihn sind “Alternativen zum Paulinismus” und “Diesseits von Gut
und Böse” konzipiert, an denen ich allerdings teilnehmen muss. Vom
12.-14. Oktober war Carl Schmitt an der FU im Hobbescolloquium,
das Glotz und Lämmert organisierten. Darüber werden Sie von Sepp
Schelz gehört haben. Ich habe meine Unterlagen an Jürgen Busche
heute geschickt. FAZ war nicht eingeladen, weil Präsident Lämmert
von ihr sich beleidigt fühlt.
All das kann Sie doch nur noch am Rande interessieren.
Auf ein Gespräch nomos -> lex >Gesetz hoffe ich noch.
Ehrerbietend und herzlich Ihr
Jacob Taubes
107
28.X. 1980] darüber von CS hs eingefugt, dabei einige Worte in Stenogramm nicht
entzifferbar: bedankt ([xxx] WB) vgl. B rief 46
Bericht an die Reimers Stiftung] vgl. Jacob Taubes / Wolfgang Hübener: Bericht
der Forschungsgruppe .Politische Theorie und Hermeneutik' über das Colloquium
„Politische Theologie“ (1980) (vgl. Text V)
Salomon Pines (...) “Alternativen zum Paulinismus” und “Diesseits von Gut und
Böse”] Salomon (Shlomo) Pines (¡908-1990), geb. in Paris, von 1921 an in Ber
lin, Studium der Orientalistik in H eidelberg u nd Berlin, Promotion 1936 in Berlin,
1937-1939 Lehre am Institut d ’H istoire des Sciences et des l'echniques in Paris, 1940
Auswanderung nach Palästina, 1932 bis zur Emeritierung 1977 Lehrstuhl fü r Philoso
p h ie unter besonderer Berücksichtigung der Geschichte der jüdischen Philosophie an der
Hebrew Univ. Jerusalem, Verfasser zahlreiche Arbeiten zur Geschichte von Philosophie
und Naturwissenschaften des Mittelalters im Schnittpunkt zwischen griechischem, frü h
christlichem, arabischem u nd jüdischen Denken. J T und sein Kollege Wolfgang Hübener
setzten sich im folgenden Jahr fü r die Erteilung der Ehrendoktorwürde fü r Pines ein:
Herr Taubes und ich sind sich einig, daß das Lebenswerk eines Mannes, der auf
höchst unprätentiöse Art noch ein Stück des alten Glanzes der Berliner Philologie
zwischen den Kriegen repräsentiert, gerade an dem Ort, an dem er seine entschei
denden wissenschaftlichen Anregungen empfangen hat, durch eine Ehrenpromo-
tion gewürdigt werden sollte. (BriefW olfgang H übener an Hellmuth Bütow, den Spre
cher des Fachbereichs Philosophie und Sozialwissenschaften 1 an der FU Berlin, vom
13. März 1981, O: ZfL, Nachlass Jacob Taubes). Die Verleihung erfolgte am 15. Juni
1981. - Pines w ar bereits im M ai 1979 und im M ai 1980 a u f Einladung von J T fü r
4 Wochen als Gast am Institut fü r Philosophie der FU Berlin gewesen. Zum Mai 1981
wurde er erneut eingeladen: zu den von ihm angebotenen Lehrveranstaltungen gehör
ten die Seminare Diesseits von Gut und Böse. Zur philosophischen Interpretation
des .Sündenfalls' in Mittelalter und Neuzeit sowie Alternativen zum Paulinischen
Christentum in der Urkirchc; außerdem war seine Teilnahme am Hermeneutischen
Colloquium geplant, wo er schließlich einen Vortrag zum Thema Der Begriff nomos
bei Paulus halten sollte.
Darüber werden Sie von Sepp Schelz gehört haben] Sepp Schelz: „Am Ende der
Neuzeit ist der Staat ins Schleudern gekommen. Colloquium in Berlin: Naturzu
stand und Frieden - 300 Jahre nach Thomas Hobbes“, in: Deutsches Allgemeines
Sonntagsblatt, Nr. 43 v. 26. Oktober 1980, S. 16.
meine Unterlagen an Jürgen Busche heute geschickt] J T hatte am 27. November
1980 an Jürgen Busche geschrieben: Nun zu dem Hobbes-Colloquium um „Naturzu
stand und Frieden“ - 300 Jahre nach Thomas Hobbes, das vom 12. - 14. Oktober
in der Staatsbibliothek stattfand. Ich lege zunächst drei Rezensionen bei, die mir
begegnet sind, und einiges Material, das ich nicht weggeworfen habe. Und nun
einige meiner Kommentare, deren subjektiven Charakter Sie sicherlich in Rech
nung stellen werden.
Es begann mit einem Duett Illing über Hobbes und Glotz über die Unregierbarkeit
des Staates. Ilting ein braves Referat, aber eigentlich eine Zumutung angesichts
einer problemorientierten Gruppe. F.s wurde auch nicht mehr aufgenommen in
der Diskussion, während Glotz wie immer aporetisch das Problem darstellte. Am
Ende seiner Ausführungen nach einer „kollektiven Identität“ rief, durch die Europa
oder der Westen sich vom Osten unterscheiden soll. Hier habe ich eingehakt und
gewarnt für Europa eine „eindeutige“ Identität zu postulieren. Europa sei dadurch
ausgezeichnet, daß Spannungsmomente, Gebrochenheiten, Widersprüche in seine
108
Identität eingehen, und zwar von Anfang an, so daß jede eindeutige Adressierung
das spezifisch Komplexe des Europäischen verliert. Ich glaube, ich habe es Ihnen in
Frankfurt gesagt, es ging mir schon am Perserbild auf, das für die Griechen eindeu
tig zur Konstitution Europas gehört, während dieselben Perser in der nachexilischen
Prophetie und bei Esra und Nehemia positiv gewertet werden. Mehr noch, das
schlagende Beispiel einer Heiligen Schrift, die das Gesetz und die Aufhebung des
Gesetzes zumal enthält, ein Faktum, daran sich für mich jene Dynamik europä
ischen Geistes knüpft, über die Hegel und Weber nachgedacht haben. Uwe Schlicht
wandte gegen mich ein, wir bräuchten eine handgreifliche Identität, um dem Druck
der Fanatismen vom Osten und im eigenen Lager widerstehen zu können.
Interessant war Theunissens Versuch, die Alternativbewegungen theoretisch zum
Gegenspieler des Hobbesianischen und Hegelschen Staates zu machen. Ich war
auch in der Diskussion demgegenüber skeptisch, weil in den Alternativbewegun
gen mir nichts erscheint, was sozial oder geistig als das „ganz Andere“ zu bezeichnen
wäre. Wir, Theunissen und ich, haben uns geschichtsphilosophisch darauf geeinigt,
daß ein Vergleich unserer Epoche mit dem der Spätantike zutrifft, heute ein „Cäsa
rismus der Bürokratie“ (Taubes) in je verschiedener Weise Ost und West durch
herrscht, eine Prognose, die im 19. Jh. Bruno Bauer und in der ersten Hälfte des
20. Jh. Oswald Spengler populär machte, daß aber heute kein Paulus in Sicht ist,
der dem ganz Anderen, dem Anti-Cäsar, nach dem die Epoche sich sehnt, Bild und
Wirklichkeit verleihen kann.
Über den Rest des Colloquiums kann ich nur sagen, daß Löwenthal brilliant, Simi-
tis scharfsinnig war, daß Koselleck nur eine Frage stellte, auf die das Gremium
aber keine Antwort wußte. Gesetzt Österreich würde in einer Volksabstimmung
für Atomkraftwerke stimmen, aber jedes einzelne der österreichischen Länder die
Errichtung eines Kraftwerks verweigern, wer entscheidet dann darüber? Wie über
haupt das ganze Colloquium unter den Eitel gestellt werden kann: Carl Schmitt an
der FU. Ein Thema nicht ohne Reiz auch für Sie.
Freundlich grüßt Sie Ihr. (O: TsD; 7.fl., Nachbtss Jacob Taubes) - Jürgen Busche (geb.
1944), Journalist, Literaturkritiker, freier Autor, 1972 Redakteur bei der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung, 1987 Redakteur bei der H amburger Morgenpost, 1989-1990
Redenschreiber im Bundespräsidialamt, 1990 Leitung des Ressorts Innenpolitik bei
der Süddeutschen Zeitung, 1996 Chefredakteur der Wochenpost in Berlin, heute freier
Autor.
Gespräch nomos —>lex —>Gesetz] JT p la n te fü r das Sommersemester 1981, das Her
meneutische Colloquium zum Thema Metamorphosen philosophischer Grundbe
griffe: nomos abzuhalten; dabei war auch d ie Teilnahme von Shlomo Pines (vgl. oben,
Anm.) vorgesehen.
109
46 SC H M IT T AN TAUBES
PLETTENBERG, 2.11.1980
„Anbetung der 4 Tiere“] A uf CSchs Postkarte —w ie auch a u f der von M itte März
1980 (vgl. B rief 44) —ist a u f der Vorderseite ein Bild aus Santiago di Compostella ( wo
seine Tochter Anima lebte) abgebildet, das die O ffenbarung des Johannes (* Ap Johl
zum Thema hat. Hier ist die Auferstehung der Toten zu sehen. Zur Karte aus dem März
(vgl. B rief 44) merkte CSch handschriftlich an, sie zeige Ap Job 13,11: Und ich sah
ein zweites Tier aufsteigen aus der Erde; das hatte zwei Hörner wie ein Lamm und
redete wie ein Drache. Vier Tiere kommen in der O ffenbarung des Johannes nicht
vor. CSch hat sie m it den Symbolen der vier Reiche aus dem biblischen Buch Daniel
zusammengedacht. Hier w ie dort stehen sie fü r die im periale M acht: Roms oder jed er
anderen Herrschaft.
„Santander“ ein von Walter Benjamin gewählter Kassiber-Name] M it Agesilaus
Santander ist eine in zwei Versionen überlieferte Aufzeichnung überschrieben, die Ben
jam in am 12. und 13. Aug. 1933 a u f Ibiza verfasste; ihr Titel bezeichnet zw ei Namen,
die Benjamin, so die Fiktion der Aufzeichnungen, von seinen Eltern bekommen habe,
um sie als schriftstellerisches Pseudonym verwenden zu können, dam it er seinem Namen
nach nicht als Jude erkannt werde. Die Aufzeichnungen wurden erstmals veröffentlicht
in Gershom Scholem: „Walter Benjamin und sein Engel“, in: Zur Aktualität Walter
110
Benjamins. Aus Anlaß des 80. Geburtstages von Walter Benjamin hg. von Siegfried
l Inseid, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1972, S. 87-138, hier: S. 94-102.
I larich (...) „Verzögerung der revolutionären Erwartung“] Randnotiz von CSch. -
Vgl. Wolfgang Harich: Jean Pauls Revolutionsdichtung (wie B rief 43, Anm.).
Wie konnten Sie (...) auf Fichte hereinfallen?] vgl. den B rief an Hans-Dietrich San
der vom 4. März 1980, w ie B rief 44, Anm.
47 TAUBES AN SC H M IT T
BERLIN, 3.12.1980
Herrn Professor
Dr. Carl Schmitt
Pasel 11c
5970 Plettenberg
3.12.1980
Lieber und verehrter Herr Schmitt,
in bin in Berlin länger aufgehalten als es mir lieb ist, unter anderem
auch durch Koselleck, der heute ankam um zu verhandeln. Nicht nur
die Historiker, sondern auch die Hermeneuten haben, wie Sie sich
vorstellen können, ein hohes Interesse, ihn für Berlin zu gewinnen.
Die Chancen stehen nicht schlecht. Dann fliegt die Ihnen vielleicht
nicht bekannte, aber inzwischen berühmt gewordene Susan Sontag in
Berlin ein zu einem Autorenabend im Literarischen Colloquium, den
auch der SFB mitschneidet und mitfinanziert, wodurch ein solch
abenteuerliches Unternehmen überhaupt möglich wird. Von ihr
erwarte ich persönliche Nachricht über meine Kinder. Dann aber
geht’s über Suhrkamp Frankfurt direkt nach Paris.
111
Ich lege Ihnen die Blätter des Programms für das Kommentierte Vor
lesungsverzeichnis bei, aus denen Sie ersehen können, daß ich in ver
schiedenen Weisen um ein Thema zu kreisen gedenke. Darf ich Ihre
Aufmerksamkeit auf den Text des Hermeneutischen Colloquiums len
ken und S.O.S.-Signal geben. Bitte können Sie nach Paris noch vor
Weihnachten mir belehrende Zettel und Annotationen senden, wie
ich an das Colloquium rangehen soll. Ich bin fast ohne Literatur und
brauchte genauere Hinweise. Vielleicht kann jemand in Plettenberg
auf Diktat Ihnen beistehen, wenn Sie ohne jedwede Anstrengung
assoziativ mir Hinweise und Richtlinien geben.
Adresse: c/o Heller, Maison des Sciences de l’Homme (kann abge
kürzt werden: MSH)
54, Blvd. Raspail, F-75006 Paris.
Auf Ihre Post wartend will ich mich dem Paulus widmen und seinen
wirklichen Kommentatoren Bruno Bauer und Nietzsche. Das Collo
quium selbst kann ich erst in Angriff nehmen, sobald ich Ostermon
tag zurückkehre. Ich bin da auf Ihre Richtlinien fast angewiesen. In
einem indirekten Sinne wird es ja ein Carl Schmitt-Seminar.
Zu Weihnachten und dem Neuen Jahr wünsche ich Ihnen und mir,
daß wir uns noch im Sommer 1981 zu einem Gespräch treffen.
Herzlich grüßt Sie
Ihr Jacob Taubes
3.12.1980] darüber von CSch notiert: erhalten 6/X1I/1980, dann folgen einige teil
weise in Gabelsberger Stenogramm geschriebene, nicht entzifferbare Worte
Koselleck, der heute ankam um zu verhandeln] Reinhart Koselleck, vgl. B rief 25,
Anm. Die Berufimgsverhandlungen zwischen ihm u nd der EU Berlin blieben erfolglos.
Susan Sontag (...) im Literarischen Colloquium] Susan Sontag (¡933-2004), am e-
rik. Schriftstellerin, Film- und Theaterregisseurin, w ar m it J T seit der zweiten Hälfte
der 1950er Jahre g u t bekannt. - Das Am Sandwerder 5 am Wannsee gelegen e Litera
rische Colloquium Berlin wurde 1962 zur Förderung der Literatur gegründet. Der
Abend m it Susan Sontag fa n d am 4. Dezember 1980 unter dem Titel Bücher - Bilder
- Politik statt; neben Sontag w ar Günther Grass m it a u f der Bühne.
SFB] Sender Freies Berlin
Blätter des Programms für das Kommentierte Vorlesungsverzeichnis] Von d ie
sen Blättern ist die Ankündigung u nd der Kommentar zu der Vorlesung Paulus und
der spätantike Geist erhalten (HStA Düsseldorf, Nachlass Carl Schmitt, RW 265-
15984/5).
112
meine Kinder] vgl. B rief 14, Anm.
Paulus (...) Kommentatoren Bruno Bauer und Nietzsche] JT schätzte sowohl Bauer
w ie auch Nietzsche als nicht (nur) theologische Kommentatoren des Paulus, vgl. Jacob
Taubes: Die Politische Theologie des Paulus (wie B rief 15, Anm.), S. 27 (Bauer) u.
106-122 (Nietzsche).
113
BRIEFE AN DRITTE UND VIERTE /
BRIEFE VON DRITTEN UND VIERTEN
1948-1987
48 TAUBES AN MÖHLER
NEW YORK, 27.12.1948
Jacob Taubes
3080 B’way
NYC USA
New York, December 1948
Mein lieber Armin, verzeih’ dass ich noch nicht auf deine erste Karte
mit dem schönen lehrreichen Aufsatz über Jünger geantwortet habe.
Die Gründe kannst du dir ja selbst an den Fingern abzählen, erstens,
zweitens usf, es dreht sich immer um das Gleiche: seitige Strömungen
(Conferencen, Mädchen, Gesellschaft, Unterricht) lenken vom Pfeil
ab, auch ist man mürbe in solch einem Hexenkessel. Dein Gruss,
obwohl nur ein “Zehnzeiler”, war ein wohltuendes Zeichen. Lass’ dir
Zeit, ich bin nicht ungeduldig und freue mich mit jedem Wort. Auch
weiss ich, dass wir uns nicht vergessen, ich habe dafür einen Gradmes
ser: mich selbst. Es ist nicht einzusehen, warum ich “besser” als du
sein sollte. Wenn ich an dich denke, denkst du wohl an mich, es geht
ja auch nicht so - trotz Buber - um “Ich und du” sondern das was zwi
schen uns ist: Kreis, Gerade, Tangente, das Unendliche, wo Kreis und
Gerade zusammenfallen und das vergessen wir ja nur (leider nur zu
oft) wenn wir uns selbst vergessen.
Immer mehr steuere ich in die Mitte, es treibt mich ins —Nichts. Das
Nichts enthüllt sich als Mitte. Der Nullpunkt wird Mittelpunkt. Und
zwar möchte ich nicht durch die “Krise” des Nihilismus hindurch (das
noch ein harmloser Wunsch Nietzsches s. W ille z. Macht) sondern aus
dem Nichts her aufbauen. Im Nichts die Weiträumigkeit dessen zu
erfahren, darin alles Etwas erst seinen Grund erreicht. Die sich vor
dem Nichts fürchten, die wird es als Krankheit ersticken, die aber ins
Antlitz des Nichts blicken, deren Antlitz wird leuchten und die wer
den vom “sunder warumbe” her leben. Wer ins Antlitz des Nichts
geblickt, den wird eine Heiterkeit, eine serenitas umfangen, denn was
könnt’ ihn noch erschrecken. Das Schreckliche hat seine Schrecknis
abgelegt und das tremendum wandelt sich in ein fascinosum. Das
Antlitz des Nichts meint ja keine Leere, sondern die Fülle des Schwei
gens.
117
Ein Weihnachts- oder Neujahrsgeschenk erbitte ich mir: keinen Brief
aber eine in 15 Minuten niedergeschriebene Bibliographie des Nihi
lismus (auch oder gerade Aufsätze in Zeitschriften) nimm’s nicht zu
kurz. Hast du etwas ’mal über das in der mystischen Tradition bewahr
ten “Wissen” über das Nichts gelesen. Wo? Behandle mich —biblio
graphisch —als leeres Blatt.
Von Jaspers hört man, er habe eine 1100 Seiten dicke I-ehre über die
Wahrheit vom Stapel gelassen. Und niemand lacht?! - Jetzt Wälzer zu
schreiben, wo die Elemente im Werden sind. Das ist Inzucht, dagegen
kann man nur mit Zucht des Wortes antworten, dein Aufsatz zeichne
te sich darin aus. Kein Wort überflüssig. Wenn du nach Norden ziehst,
dann werden ja die Bindungen stärker werden. Es ist ja nicht gleich
gültig ob man am Rande oder in der Mitte des Geschehens wohnt.
Was immer man auch sagen mag, es scheint mir in der Schweiz keine
Bleibe, das ist ein Hotel, ein Ferienort, aber leben soll man, wo gelebt
wird mit allen Irrungen, Vergehungen und Segnungen des Lebens.
Karl Löwirh habe ich von dir erzählt, er ist sich trotz vieler Versuchun
gen treu geblieben - der einzige.
Herzlich Grüsse und gut Glück zum Examen dein Jacob
118
(las tremendum wandelt sich in ein fascinosum] vgl. Rudolf Otto: Das Heilige.
Uber das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen,
Breslau: Trewendt & Granier 1917, passim.
I 100 Seiten dicke U hre über die Wahrheit] Karl Jaspers: Von der Wahrheit, M ün
chen: Piper 1947 (Philosophische Logik 1).
dein Aufsatz] s. oben
49 TAUBES AN MÖHLER
NEW YORK, 20.9.1949
Lieber Armin, der kurzen Karte langer Sinn hat mich erfreut, zunächst
das Doctorat (d. h.: die Diss ist fertig - und wird gedruckt?) dann die
Richtung nach Deutschland ... das erfüllt doch Vision und Traum und
es könnte für den Augenblick nicht besser gewählt werden. Alles ist ver
ziehen, nur eines nicht: dass du meinen Vornamen verhunzt hast. Ich
habe in den Staaten meinen Namen Jacob “ehrenvoll” bewahren kön
nen und denke nicht daran ihn durch “Jack” kürzen und köpfen zu las
sen - und sicherlich nicht dass mein Freund Armin es tut - auch nicht
um Mitternacht. Es genügt ja ein Lebenszeichen in solch apokalypti
schen Zeiten und dann weiss man, dass die Fronten noch bestehen.
Ich bin im Seminar zwangsweise auf Maimonides (d. i.: mittelalterli
che Religionsphilosophie) versetzt worden und habe ein vorläufiges
Ms unter dem Titel: Gesetz und Vernunft: —ein Kapitel politischer
Theologie, erläutert am Codex Maimunis, abgeliefert. M . entpuppt
sich als Atheist und Gross-inquisitor grossen Stils, also gar nicht harm
los ... wie überhaupt die Geschichte der Philosophie weniger harmlos
ist als sie in der Auslegung Hegels und aller Philosophie-geschichte
seit Hegel scheinen will. Die “Weisheit” vom “Tode Gottes” ist nur
von N[ietzsche] preisgegeben worden - schon im Mittelalter versuch
ten einige jenseits der Zauber-Kreise der Religion, der Kunst und der
Politik im nackten Nullpunkt des Nichts zu leben ... Nihilismus ist
die ewige geheime Geschichte des Geistes ... freilich war die Teilung
von Esoterik und Exoterik eisern eingehalten: sub specie des M ittelal
ters nehmen sich die Versuche Ns eine neue Esoterik vor den Augen
119
des Publikums zu errichten zweideutig aus. Einerseits dürstet Nietz
sche nach Anerkennung, andererseits weiss er, dass Wahrheit nicht auf
dem Marktplatz gehandelt wird.
Ich glaube du würdest dich freuen meine Frau zu kennen, sie erfüllt
das Beste in mir und schneidet unerbärmlich die Wurzeln zu weniger
klaren und fast schlammigen Sumpfgebieten der Seele ab, sie ist schön
wie eine Prinzessin aus dem Märchenbuche und hat nichts von all
jenen “jüdischen” Eigenschaften, die dir wider die Nüstern gehen.
W ir treiben zusammen - Vorsokratik und Heraklit und Empedocles
sind unsere besten Freunde.
Ende Oct. / Anfang Nov. kommen wir nach Zürich auf unserem Weg
nach ... Jerusalem, wohin uns meine Sehnsucht... und ein fellowship
des Seminars führt. Ich hoffe wir werden nicht enttäuscht ... schreib
über deine deutschen Erfahrungen, ich werde dir auch berichten ...
Gottes ist der Orient, Gottes ist der Occident
Herzlich Jacob
120
rici) Nietzsche: Die fröhliche Wissenschaft, in: ders.: Werke. Kritische Gesamtaus
gabe, Abt. 5, Bd. 2, hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari, Berlin / New York:
De Gruyter 1973, S. 158-160, hier: S. 159 (Aph. 125. Der tolle Mensch).
Teilung von Esoterik und Exoterik] Diese Unterscheidung ist nach Leo Strauss: Per-
.secution and the Art of Writing (1941) fü r die Philosophie seit Plato wesentlich und
m eint die Trennung von der eigentlichen Lehre fü r d ie Wenigen im Vergleich zur Erzie
hung der Vielen.
sub specie] lat., unter der Annahme
ineine Frau] Die Eheschließung zwischen Jacob Taubes un d Susan Judith Feldman
erfolgte in New York am 5. Oktober 1949.
Jerusalem (...) fellowship des Seminars] Das Executive Committee o f the Board o f
Directors des Jewish Theological Seminary hatte J T im Namen seines Präsidenten Simon
Greenberg bereits M itte Mai 1949 ein fellow ship zur Fortsetzung seiner Studien in
/erusalem gewährt. Dieser travel grant sollte am 1. September 1949 beginnen und war
zunächst a u f ein Jahr befristet, enthielt aber die Option zur Verlängerung um ein wei
teres Jahr, die J T dann auch in Anspruch nahm. Zusammen m it seiner Frau Susan trat
er die Reise freilich erst Anfang November 1949 an.
Gottes ist der Orient, Gottes ist der Occident] Johann Wolfgang Goethe: Talis
mane, in: ders.: West-Östlicher Divan, in: ders.: Berliner Ausgabe, Poetische Werke,
Bd. 3, Berlin: Aufbau Verag 1960, S. 12: Gottes ist der Orient! / Gottes ist der
Okzident! / Nord- und südliches Gelände / Ruht im Frieden seiner Hände.
50 TAUBES AN MÖHLER
O.O., O.D. (NOV. 1949)
[.¡eher Armin,
wir kommen für wenige Tage nach Zürich auf unserem Wege nach
[erusalem. Man weiss ja nicht: kommst du von Zeit zu Zeit nach
Basel? W ir wären um den 25. Nov. in Zürich.
Die Reise gen Osten ins “heilige” Land begeistert uns. W ir hoffen
noch Wüste, Kamele, Maulesel den Jordan und einige Stätten heil zu
finden.
Ich höre Jünger hätte ein neues Buch in theologicis veröffentlicht - du
weißt ja wie ungebildet ich bin - vielleicht erfahre ich von dir darüber
sachlich und legitim.
Herzlich Jacob
121
ÜBERLIEFERUNG O: Hs, gedruckter Briefkopf der Cunard White Star R.M.S.
“Queen Elizabeth”; DLA Marbach, Nachlass Armin Möhler.
o.O., o.D.] Susan un d Jacob Taubes hatten ihre Reise von New York nach Jerusalem
Anfang Nov. ¡949 angetreten; der B rief wurde w ährend d er Reise abgefasst.
Lieber Armin] darüber von frem d er Hand, w ohl der Möhlers, m it Bleistift hinzuge-
setzt: Taubes, Zuerich, Bodmerstr. 12
Jünger (...) neues Buch in theologicis] Ernst Jünger: Strahlungen, Tübingen:
Heliopolis 1949.
51 TAUBES AN MÖHLER
JERUSALEM, 15.4.1950
Jerusalem 15.4.1950
Lieber Armin,
wenn ich auf das Datum deines letzten Briefes sehe (15.11.1949) so
weiss ich mich schuldig - doch du, gewohnt Briefe zu verzögern, wirst
mir diesmal verzeihen.
Zunächst: Glück auf in deiner Ehe —es ist doch das wichtigste Ereig
nis im Leben eines Menschen —ein immerwährendes Gericht. Obwohl
es doch “üblich” ist, dass man sich verheiratet kommt es nur als ein gar
grosses Wunder vor, dass zwei Menschen einander trauen, sich antrau
en lür die Spanne ihres Lebens. Trotz aller Einsamkeit waltet eine
Fuge der Gemeinsamkeit in der Welt: TO a v x t^ O U V CTU|i(p£QOV.
Nur ists täglich neu ein Wunder und Anlass zum Dank. Ich hoffe,
auch dir geht es so.
Dem Abendland kann man nicht entrinnen - die Reise von New York
nach Jerusalem bezeugt es deutlich. Die Technik der abendländischen
Völker umspannt das Leben in allen Erdteilen und hält das Leben des
Einzelnen und der Gemeinschaft in ihrem Griff. Freilich, wie kann
man die Geister beschwören, die man losgelassen? Das ist das Thema
Heideggers. Keiner unter den besonnenen Menschen ist so verzweifelt
wie er, keiner aber auch so unmächtig (trotz der Macht der Sprache
und der Einsicht). Ich zitiere aus den einleitenden Sätzen zu Hölder
lins: Wie wenn am Feiertage ... “Während dieser Jahrzehnte hat der
offene Aufruhr der [neuzeitlichen] Weltgeschichte begonnen. Ihr
122
( i;ing erzwingt die Entscheidung über das künftige Gepräge der unbe
dingt gewordenen Herrschaft des Menschen, der den Erdball im gan
zen sich unterwirft. Hölderlins Gedicht aber harrt noch der Deutung.”
Achte auf die Folge der Sätze. Die Weltgeschichte wird in eine letzte
“Entscheidung” gestellt. Das künftige Gepräge der unbedingt gewor
denen Herrschaft des Menschen steht in Frage. Und? —so fragt man,
was nun? Antwort: Hölderlins Gedicht aber harrt noch der Deutung.
Eine solche Folge von Sätzen befeuert den Mut der Zu-Mutung. Denn
in einer solchen Folge bekennt sich der Verfasser zur Meinung, dass
“Hölderlins Gedicht aber harrt noch der Deutung” das einzig nötige
Geschäft des Wissenden sei —dass von der Deutung des Gedichtes das
künftige Gepräge der ... Herrschaft des Menschen abhängt. Irgendwo
und irgendwie stimmt dieser Anspruch, aber irgendwie stimmt er auch
wieder nicht. Denn es hängt das Weltgeschick doch nicht an der rech
ten Deutung des Gedichtes: W ie wenn am Feiertage ... In den Sinn der
Worte Heideggers mischt sich auch ein Deut (aber ganz sicher)
Wahn[,] und Tiefsinn und Wahnsinn schlagen ineinander. Dies zur
Einleitung für Heideggers Holzwege, die mir Martin Buber für acht
Tage geliehen hat. Titel und jeder einzelne Aufsatz den Nagel auf den
Kopf treffend, die Themen die einzigen die not tun, die einen beson
nenen Menschen angehen: Wahrheit und Kunst, Wissenschaft, Hegel
Nietzsche, Wozu Dichter (Rilke) und Anaximander (Du hast mir vor
)ahren Teile des Wissenschaft-aufsatzes überlassen, wohl der schwächs
te in der Reihe der veröffentlichten Aufsätze). Es ist ja ein Ihema, das
sich durch alle Aufsätze zieht: der Nihilismus. Der Blick für den laten
ten Nihilismus der Geschichte der Metaphysik ist erleuchtend und
verdeckend zugleich. Erleuchtend ... darüber muss ich dir nicht weiter
schreiben, verdeckend, weil dann dem Umbruch im 19. Jahrhundert
zu wenig Rechnung getragen ist. Das 19. Jahrhundert ist eben die crux
aller historiosophischen Probleme - wie legen wir das Ende in Hegel
Marx - Kierkegaard aus? Löwith ahnte etwas vom Wesen der Wende.
Freilich sein “meaning of history” ist viel schwächer, eine abendländi
sche Eschatologie als umgekehrter Film (vom Ende bis Augustin und
NT) belastet mit der Schwäche eines umgekehrten Films spannungs
los, tastend.
Über Ernst Jünger habe ich im Abendland und Morgenland viel
gehört: Erich Brock hat, wie ich höre, in NSR sich auch öffentlich
geäussert. Er hat ein Recht gehört zu werden. Martin Buber war von
123
E. Brocks Aufsatz sehr beeindruckt (ich habe ihn nicht gelesen). Aber
in S. Schocken, dem Herausgeber Kafkas, hat [der] Jünger der Strah
lungen einen ganz begeisterten Leser gefunden. Schocken bespricht
mit jedem seiner Gäste das Werk Jüngers und befeuert alle sich daran
zu machen. - Du siehst die Welt ist sehr klein geworden, überall das
Selbe im Gewissen und Wissen der Menschen - auch Lukacz hat in
Israel seine Anhänger und Gegner. Wo immer man sich befindet die
Leitsätze, Schlagworte, Schriftsteller der Zeit beherrschen das Feld.
Man darf wohl von einem Zeit-Raum im eigentlichen Sinne reden —
auch ein Produkt der Technik. (Freilich ich weiss nicht sicher, ob man
es aufs Gonto der Technik setzen darf: auch im vorsokratischen Hellas
war’s nicht anders Ionien und Sizilien und Italien stehen im Dialog:
Heraklit —Parmenides, ebenso im Mittelalter - wie rasch wandern
Ideen und Schlagworte!)
Du schreibst von einem Aufsatz Jüngers über den Nihilismus für die
“Festschrift Heidegger”. Vor mir liegt: M artin Heideggers Einfluss auf
die Wissenschaften aus Anlass seines sechzigsten Geburtstages verfasst
von ... ein sehr enttäuschendes Buch (mit einem schrecklich langwei
ligen Aufsatz von Heinz-Horst Schrey über die Bedeutung der Philo
sophie M. H .’s für die Theologie) das H. ganz seiner Spannung entla
det und ihn dem Schweizer Spiesser mundgerecht macht als braven
Philosophen. Von Jünger ist —zum Glück nichts darin; welche Hei
deggerfestschrift hast du gemeint? Kann ich vom Nihilismus aufsatz
etwas mehr hören oder besser: sehen?
Du tatest mir einen grossen Dienst mich über die Erscheinungen in
Deutschland zu unterrichten. Wenn du mir ’was senden könntest
<Heideggers Sein u. Zeit Reinhardt: Parmenides wie überhaupt Gutes
in Philosophie, Theologie und Lit[eratur] (auf dein Urteil verlasse ich
[mich])> wäre ich dir dankbar. Die Rechnung kannst du meinen
Eltern in Zürich Bodmerstr. 12 Dr. Taubes stellen, die es dir m it Dank
umgehend erledigen werden.
Aber auch deinen Bericht über Deutschland erwarte ich immer. Erin
nerst du dich wie du mich nach Israel schicktest? Das Land vereinigt
asiatische Vegetation - und Wüste. Milch und Honig fliesst nicht,
aber die Wüste reicht bis ins Herz. Einige Schritte von unserem Haus
und du siehst die Wüste Judäas, das tote Meer und die Gebirge Moabs
steil ins tote Meer fallend. Jerusalem liegt auf einer Gebirgskette mehr
einer Festung denn einer Stadt gleichend.
124
I lud von mir? Schrieb ich dir, dass ich das Nichts zu meiner Sach’
erwählte? - Ob das Nichts sich zum Etwas wenden lässt? Das war
Schöpfung. Inzwischen erhole ich mich von den amerikanischen Jah
ren. Mein Thema, das weiss ich, ist auf richtiger Spur, ob aber die
Kräfte langen? Schreib’ bald - lass uns wieder miteinander reden und
schweigen
Dein Jacob
(acob Taubes
Beth Caspi
lälpioth —Jerusalem
Israel
Datum deines letzten Briefes (...) (15- 11. 1949)] liegt nicht vor
in deiner Ehe] vgl. B rief2, Anm.
griecb., Zusammenfügung der Gegensätze, Wendung
XÖ a V T lc O U V c tu p c p E O O v ]
aus Heraklit: Fragmente, 8 B 8 un d 18 B 51.
Heidegger (...) zu Hölderlins: W ie wenn am Feiertage] Martin Heidegger: Höl
derlins I lymne „Wie wenn am Feiertage ' , Halle an der Saale: Niemeyer 1941,
S. 5.
Heideggers Holzwege] Martin Heidegger: Holzwege, Frankfurt am Main: Victorio
Klostermann 1950. Im folgenden zählt JE einzelne Stücke des Buchs auf.
Buber] Martin Buber (1878-1965), Religiotisplnlosoph un d Schriftsteller, 1904 Pro
motion an der Univ. Wien, dann aktiv als Journalist und Kulturzionist, er erschloss die
ostjüdische Mystik des Chassidismus einem breiteren Publikum und begeisterte m it sei
nen Drei Reden über das Judentum (1911) die jüd ische Ju gen d Europas, 1923 Lehr
auftrag Ju r jüd ische Religionsichre und jüd ische Ethik an der Univ. Frankfurt, 1930-33
ebendort Honorarprofessor, 1938 Emigration nach Palästina und Prof, fiir Soziologie
an der Hebräischen Universität Jerusalem, wo er zu JTs wichtigen Lehrern zählte.
Teile des Wissenschaft-aufsatzes] Martin Heidegger: „Die Zeit des Weltbildes“
(w ie oben, Anm.), S. 69-104.
Löwith (...) “meaning of history”] Karl Löwith: Meaning in History. The Theo
logical Implications of the Philosophy of History, Chicago: The University of Chi
cago Press 1949.
abendländische Eschatologie als umgekehrter Film] Hinweis a u f die unterschied
liche Vorgangsweise von Löwith im Vergleich m it der eigenen Dissertation, vgl. Jacob
Taubes: Abendländische Eschatologie, Bern: Erancke 1947. Deren Narrativ fo lgt
dem historischen Verlauf der behandelten Texte, während Löwith von rückwärts her
erzählt.
Erich Brocks Aufsatz] Frü h Brock: „Zu Ernst Jüngers Tagebüchern von 1939 und
1940. .Gärten und Straßen““, in: Neue Schweizer Rundschau 9 (1942), S. 777-784.
S. Schocken] Salman Schocken (1877-1959), Kaufmann und Verleger, Zionist und
Förderer der neuhebräischen Literatur, 1931 Gründer des Schocken-Verlags in Berlin,
125
der nach der M achtergreifung durch die Nazis bis 1938 der einzig zugelassene jüdische
Verlag in Deutschland war, 1934 Einwanderung nach Palästina, wo er zu einer der
führenden Persönlichkeit in der Kulturpolitik des Landes wurde, etwa als zeitweiliger
Vorsitzender der Exekutive und Schatzmeister der Hebräischen Universität, vor allem
aber durch Übernahme der T a g e sz e itu H a a retz und Übersiedlung seines Verlages nach
Jerusalem und später New York. Er publizierte Kafkas Werke a u f Hebräisch.
Jünger der Strahlungen] Ernst Jünger: Strahlungen (wie B rief 50, Anm.).
Lukacz] Gemeint ist Georg Lukacs (1885-1971), nach seinem frü hen Interesse am
Neukantianismus, der Lebensphilosophie und dem Denken Max Webers marxistischer
Philosoph und Literaturwissenschaftler, nach seiner Rückkehr nach Ungarn wurde er
1948 an der Univ. Budapest Prof, fü r Ästhetik und Kulturphilosophie.
Aufsatz Jüngers über den Nihilismus] Ernst Jünger: Über die Linie, in-, Anteile.
Martin Heidegger zum 60. Geburtstag, Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann
1950, S. 245-284.
Martin Heideggers Einfluss (...) Anlass seines sechzigsten Geburtstages] Martin
Heideggers Einfluss auf die Wissenschaften. Aus Anlass seines sechzigsten Geburts
tages verfasst von Carlos Astrada, Kurt Bauch, Ludwig Binswanger, Robert Heiss,
Hans Kunz, Erich Ruprecht, Wolfgang Schadewaldt, Heinz-Horst Schrey, Emil
Staiger, Wilhelm Szilasi, Carl Friedrich von Weizsäcker, Bern: Francke 1949.
Aufsatz von Heinz-Horst Schrey] Heinz-Horst Schrey: „Die Bedeutung der Philo
sophie Martin Heideggers für die Theologie“, ebd., S. 9-21.
Heideggerfestschrift (...) Nihilismus aufsatz] Ernst Jünger: „Über die Linie“, in:
Anteile. Martin Heidegger zum 60. Geburtstag, Frankfurt am Main: Vittorio Klo
stermann 1950, S. 245-284.
Heideggers Sein u. Zeit] Martin Heidegger: „Sein und Zeit, Erste Hälfte“, in:
Jahrbuch für Phänomenologie und phänomenologische Forschung (Halle), Bd. 8,
1927, S. XI-438.
Reinhardt: Parmenides] Karl Reinhardt; Parmenides und die Geschichte der grie
chischen Philosophie, Bonn: Cohen 1916.
Eltern in Zürich] Chaim Hersch Zwi (1900-1966) und Fanny Taubes, geh. Blind
(1899-1957). Beide stammten aus ostjüdischen Familien, d ie seit Generationen Rab
biner hervorgebracht hatten. Der Vater leitete von 1936 bis 1965 als Rabbiner die
Israelitische Cultusgemeinde Zürich.
52 TAUBES AN M ÖHLER
JERUSALEM , 15.11.1951
Lieber Armin,
fast zwei Monate schon liegt die Kons. Rev. auf dem Tisch - nach aben
teuerlichen Wegen über Jerusalem - Zürich - Jerusalem: die sicherste
Adresse in so unsicheren Zeiten lautet: Hebrew University Jerusalem ...
126
nicht nur ich, sondern auch Freunde und Kollegen haben sich auf’s
Buch gestürzt und es ist wahrlich: tua res agitur, denn Israel ist von
sehr ähnlichen Fragen bewegt, und jene seltsame Mischung von Nati
on und geistiger (fast universeller) Berufung, in einem Wort: “auser
wähltes Volk” —von nationalem Aufbruch und sozialem Umbruch ist
die Luft schwanger ... Gemeinschaft gegen Gesellschaft ... “Kibbuz”
als soziale “freie” Ordnung der Commune gegen Amerikanismus (der
kämpfende Teil der Jugend will sich aus der Schnorrer-situation
gegenüber dem amerikanischen Judenvolk befreien) - alle diese Stich
worte werden dir genug andeuten (vielleicht noch eines: es gibt eine
F.litengruppe: Aleph, die Canaanäer —die nicht mehr “Juden” sein
wollen, sondern genährt vom Mythos der Erde, dieser Erde die Baale
und Ashtarot wieder erleben[)], wie überhaupt “Archäologie” in Israel
ein revolutionäres Thema und sehr beliebtes Fach ist Archäologie ver
sus Text der Geschichtsbücher des A. T. (die ja “Parteigeschichte” der
judaistischen Propheten sind. Wo aber bleiben die Sprüche und
Bücher der Baalspropheten? Das ist die Frage der neuen Generation!)
Die Kons. Rev. bietet viel, zu viel und weniger wäre mehr gewesen,
wenn eingehende Analysen von Jünger und insbes. von Carl Schmitt
die Schrift begleitet hätten. Der Fülle haftet Katalogsgeruch an (wie
einer der Leser meinte: eine “amerikanische” Dissertation wo relativ
augenfällige und einsichtige meist soziolog. Thesen mit einer Überfül
le von Material “belegt” werdenjj] ... das für eine neue Auflage oder
zur Fortsetzung: über C. S. soll bald eine eingehende Analyse erschei
nen. Seine kleine Apologie gelangte ins Land (ein Exemplar) ich war
tief benommen und kaufte mir Th. Däublers Nordlicht in einem
Antiquariat.
E. J. ist in Jerusalem gar nicht unbekannt, unbekannt aber auch nicht
E. Brocks offener Brief in NSR und auch ich war bestürzt über den
“Rückfall” in die Bibel denn die Bausteine der neuen Theologie kön
nen nimmer aus dem Schutt des Abendlandes stammen. Warum?
Weil über dem Abendland der Fluch des homo mensura satzes lastet:
das Ego geistert als Mass überall und ob du den Menschen im Eben
bild Gottes (Genesis) oder den Gott im Ebenbild des Menschen (Feu
erbach) erkennst, beide, dieser Gott und dieser Mensch sind im
Abbild des Ego gebildet (vergl. Fichte —> Herrn. Cohen —>Sartre): die
Ichheit ob “transcendental” od. “existential” immer ist’s “das liebe Ich”
das im Centro sich selbst findet...
127
In den Holzwegen (die gar nicht immer “sokratische Wege” gehen -
wie E. J. in den “Anteilen” meinte) deutet sich ein Versuch an aus dem
Gefängnis des Ich-Kerkers (sei er “theologisch”: Ich bin der Herr ... od.
philosophisch: Prometheus od. existential: Stirner - Sartre ...) auszu
brechen. Ein solches Denken wäre wohl eine “Einübung des Sterbens”
exercitia spiritualis jenseits von katholischer] oder protestantischer]
Confession, innseits im Centrum des Menschen, wo Mythen nicht
mehr begleiten und die nackte Leere der Armut allein unser Haus ist
... mich zieht’s immer mehr gen Osten zu Nagarjuna und den “Strah
lungen” der Leere des Mahayana - Vielleicht schneiden sich die Wege
im Versuch aus den “Nihilismen” den Weg ins nihil zu finden und in
diesem “nihil” auf diesem “Grund” sein Haus zu errichten ... Sind wir
noch einander treu??
Schreib bald an
Jacob
Kons. Rev.] Armin Möhler: Die konservative Revolution (wie B rief 1, Anm.)
tua res agitur] lat., Es geht um deine Sache, vgl. Horaz: Epistulae, 1,18,84.
“Kibbuz”] heb t, Sammlung, Kollektiv, ist d ie vorw iegend landwirtschaftliche Sied
lungsform in Palästina u nd dem Staat Israel a u f genossenschaftlicher Basis un d ohne
Privateigentum, m it der seit 1909 die N eubesiedelung und Kultivierung des Landes
durch chalutzim (Pioniere) vollzogen wurde. Von allen zionistischen Aktivitäten mar
kierte sie m it am deutlichsten den Bruch m it der „alten “jüdischen Existenz im Exil.
Aleph, die Canaanäer (...) Baalspropheten] J T bezieht sich hier a u f die von dem
israel. Dichter und Aktivisten Yonatan Ratosh (1908-1981, eigtl. Uriel Heilperin) 1939
gegründete Bewegung des Kanaanismus, der vor allem in den 1940er Jahren unter den
Juden Palästinas und dann w ieder fü r kurze Zeit nach dem Sechs- Tage-Krieg Anhänger
fand. Ratosh zufolge seien sowohl d ie jüdische Religion a b auch die jüdische National
bewegung zurückzuweben, vielm ehr gelte es im heutigen Palästina zu den vorbiblischen
Wurzeln zurückzukehren, d ie ein e gem einsam e Erbschaft des ganzen Nahen Ostens dar
stellten und darum den Frieden m it den Arabern ermöglichten. Deshalb sei auch die
Herrschaft der von den biblischen Propheten vertriebenen alten Götter und Göttinnen -
der Baale und Astarten (hier hebr. Ashtarot) - ab d er Personifikationen von Autochtho-
nie, Fruchtbarkeit und Orgiastik samt deren eigenen Propheten wieder einzusetzen. Die
seit 1950 erscheinende Zeitschrift Alef - benannt nach dem ersten Buchstaben des hebrä
ischen Alphabets - zeigte das andere, säkulare Interesse von Ratosh. Dort ließ er Über
setzungen wichtiger Autoren d er Weltliteratur w ie Stendhal Shaw und Camus drucken.
Seine kleine Apologie gelangte ins Land] Carl Schmitt: Ex Captivitate Salus (wie
B rief 7A, Anm.)
Th. Däublers Nordlicht] Theodor Däubler: Das Nordlicht, 3 Thle., München /
Leipzig: Müller 1910.
128
K. J.] Errat Jü n ger
1 Brocks offener Brief] Erich Brock: „Offener Brief an Ernst Jünger anläßlich
seines neuen Buchs .Strahlungen'“, in: Neue Schweizer Rundschau, 17 (1950), S.
478-492.
fluch des homo mensura satzes] homo mensura tenet, lat., der Mensch ist der
Maßstab (aller Dinge), dem Protagoras zugeschriebene Formel, vgl. Platon: Theai-
tetos, 151d-152a sowie l66d, zu ihrer Widerlegung 170c-172b sowie 178b-183c.
Ciott im Ebenbild ( ...) Sartre] Unter Aufnahme der biblischen Anthropologie (vgl
Genesis 1, 27: Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes
schuf er ihn) und d er Projektionsthese von Ludwig Feuerbach (vgl. ders: Vorlesungen
über das Wesen der Religion, Leipzig: Otto Wiegand 1851, S. 241: Denn nicht
Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, wie es in der Bibel steht, sondern der
Mensch schuf (...) Gott nach seinem Bilde) kritisiert J T h ie r d ie anthropozentrische
Philosophie, die er in die Epochenkonstellationen um 1800 (Johann Gottlieb Fichte),
um 1000 (Hermann Cohen) und um 1950 (Jean-Paul Sartre) stellt.
in den Holzwegen] Martin Heidegger: Holzwege (w ieB rief 51, Anm.).
“sokratische Wege” (...) wie E. J. in den “Anteilen” meinte] Ernst Jünger: „Über
die Linie“, in: Anteile. Martin Heidegger zum 60. Geburtstag, Frankfurt am Main:
Vittorio Klostermann 1950, S. 245-284, hier: S. 283: „Holzwege“ ist dafür ein
schönes, sokratisches Wort.
“theologisch” (...) Sartre] Ähnlich w ie oben kritisiert J T die Ich-Bezogenheit bibli
scher Theologie und abendländischer Philosophie, h ier allerdings an anderen Positionen
- den Philosophen Sartre ausgenommen: an der Selbstbezeichnung Gottes eingangs des
Dekalogs (vgl. Exodus 20,1: Ich bin der Herr, dein Gott), der mythischen Figur des
rebellischen Titanen Prometheus und dem radikalen Junghegelianer Max Stirner.
“Einübung des Sterbens”] der Sache nach Platon: Phaidon, 64a-67e
exercitia spiritualis] lat., geistliche oder geistige Übungen
Nagarjuna (...) Mahayana] Mahayana ist Sanskrit, wörtl.: großes Fahrzeug des Budd
hismus, der Weg dessen, der f t r alle Wesen, nicht nur Ju r sich selbst Erlösung vom Leiden
wünscht. Nagarjuna (ca. 2. Jh .) gilt im Zusammenhang des Mahayana als Begrün
der der Schule des Mittleren Weges (Madhyamaka), die extreme Haltungen radikal
ablehnt. Als Verfasser zahlreicher Abhandlungen entwickelte er unter anderem einen
B egriff von Leerheit (Sunyata), dessen Kern die Freiheit von Dauer und die Nichtexi
stenz alles Seienden bildet.
129
53 TAUBES AN MÖHLER
JERUSALEM, 14.2.1952
Lieber Armin,
Deine Zeilen haben mich aufrichtig gefreut, denn ich dachte schon,
du hättest mir die Kritik übelgenommen. Ich schrieb das letzte Mal,
wenn ich nicht irre, auf air-mail-papier und als der Bogen zu Ende
ging war ich erst mit dem “negativen” Teil fertig ... W ie gut, dass du
die Kritik so freundschaftlich aufgenommen.
in medias res: Carl Schmitt ist (neben Heidegger) die geistige Potenz,
die alles Intellektuellengeschreibsel um Haupteslänge überragt. Darü
ber besteht kein Zweifel. (Nebenbei: der Justizminister Israels hat, als
er mit Verfassungsfragen beschäftigt, von der Univ[ersitäts]-biblio-
thek dringend Schmitts Verfassungslehre verlangt. Als sich heraus
stellte, dass das Buch “oben” d. h. am Scopusberg, wohin wir keinen
Zutritt haben, blieb, wurde es speziell durch Soldaten herunterge
bracht - Soldaten, die jede vierzehn Tage durch die “Feindeslinien”,
geschützt von UNO, auf den Scopusberg fahren, um die Enklave:
Universitätsgebäude und Spital, die leer stehen, zu bewachen). Dass
beide: C. S. und M. H. die nationalsozialistische Revolution begrüsst,
ja “mitgemacht” haben, ist für mich noch immer ein Problem, das ich
mit Schlagworten wie: niedrig, schweinisch etc nicht niederschlagen
kann. Vor mir liegt eine Notiz über C. S.’s Aufsatz: der Führer schützt
das Recht (Deutsche Juristen Zeitung 1934) und ich weiss mir keinen
Rat damit. Worin bestand die “Verführung” des Nationalsozialismus?
Dass die liberal-humanistische Welt in ihren Fugen krachte, war das
genug Grund in die Arme der Lemuren zu stürzen?
Nach Jerusalem gelangte eine kleine Schrift (leider nicht zu mir, son
dern zu einem “Gegner” der Deutschen): ex captivitate salus. Andere
meinten “empört”: zu wenig Schuldbekenntnis, Auskneiferei ... Mir
schien es ein erschütternder Bericht, wenn nicht alles klärend, so doch
tief in die Seele blicken lassend; noch nie habe ich von einem unserer
Generation einen so intimen und doch so noblen (und auch wahrhaf
tigen) Bericht, in Selbst-abrechnung gelesen. Hätte doch M. H. den
Mut gehabt, mit sich so ins Gericht zugehen, nachdem die Rektorats
130
rede 1933 und anderes mehr - Verhältnis zu Husserl, Aufsatz in der
Siudentenzeitung (hast du dies ’mal gesehen? Könnte ich davon Copie
haben? Buber erzählte mir davon, Löwith schrieb in les temps moder
nes 1947 darüber) etc ... - “bleiben stahn”, er hätte der suchenden
lugend Deutschlands dadurch einen besseren Weg gewiesen, als durch
den “Feldweg” (ich konnte zuerst nicht glauben, dass diese ä la Stifter
marinierte Meditation von M. H. stamme und tippte auf einen
“Namensvetter”, als ich den Aufsatz in einer kathfolischen] Zeitschrift
“Wort u. Wahrheit” sah. Buber aber sagte mir: Taubes, Sie kennen
“Sein u. Zeit”, sie kennen nicht H. - und er hat recht gehabt).
Doch das führt uns zurück zu C. S. All das vorausgesetzt, komme ich
mit “der Nomos der Erde” nicht zurecht. Zugegeben die Grösse des
Ihemas, zugegeben, dass die europa-zentrische Ordnung des Völker
rechts (nur des Völkerrechts???) untergeht und der “alte Nomos der
Erde” versinkt, zugegeben dass “das Denken des Menschen sich wie
der auf die elementaren Ordnungen ihres terrestrischen Daseins rich
ten” muss —dann bleibt offen, ob das Werk dem “Thema” und der
“gegenwärtigen Situation”, die wahrhaftig “überwältigend” sind,
gewachsen ist. Warum? Das Wort vom neuen Nomos erinnert (und
soll erinnern??) an Joh 1334: an das Wort von ¿vxoAfjV Kttif|V
ÍH0COJJ.I... —die Parallele ist von C. S. gesehen, denn C. S. sieht “diese
einzigartige, alles beherrschende, grosse Parallele zwischen der Gegen
wart und der Zeitwende”, eine Parallele, die nicht mit den zahllosen
sonstigen geschichtlichen Parallelen verwechselt werden darf, von
denen es in den Geschichtsbüchern wimmelt, —kann sich aber der
neue Nomos der Erde mit dem Nomos Christi messen? Ich kenne den
nächsten Einwand (er liegt auf der Hand!): ja, aber Mensch, wie
kannst du “so” vergleichen? Joh 13,4 “gehört” in die Theologie, soweit
reicht die Kompetenz der Jurisprudenz nicht! Dann aber bleibt die
Lehre vom Recht die Antwort auf “den entscheidenden Fall” schuldig,
nämlich die Antwort auf die Frage nach dem Schicksal des Menschen
in der Constellation der Tyrannis, der totalen Gewaltherrschaft - und
infolgedessen die Antwort auf alle weiteren entscheidenden Fälle. Die
Folgerungen aus einem solchen: das Staatsrecht hört hier auf, hat ja C.
S. in der Einleitung (1933) zur Polit. Theologie selbst gezogen - das
erspart mir die Linien auszuziehen.
Die aussenpolitische “Variante" des Völkerrechts steht und fallt mit
der Frage: was Recht ist und dazu “muss” C. S. jetzt - nach der Tyran
131
nis, um einen milden Ausdruck zu brauchen, Stellung nehmen. Soll
nur das Ausland das “Material” über die KZ und Gaskammern sam
meln, oder ist es nicht Aufgabe derer, denen es um Deutschland von
innen her geht, mal Aug in Aug zu stehen mit dem was im Namen des
deutschen Volkes geschehen - und zu klären (wenn möglich): was
geschehen und warum es geschehen ist? Das wäre der “Grösse des
Themas” vom neuen Nomos der Erde doch entsprechender! Erde und
Meer - die Elemente bleiben ohne den Menschen doch “Materie”
(nicht einmal “Materie”). - Wenn der “Humanismus” abgewirtschaf
tet hat (von Plato bis Nietzsche - wie Heidegger sagt) so heisst doch
das nur, dass die Frage nach dem Menschen sich eben radikaler (als es
sich ein Humanismus träumen lässt) stellt. Und wer bestimmt die
Trennung der Gebiete: Iheologie, Jurisprudenz etc. ...? Das Curricu
lum der Universitäten, der Betrieb der liberalen Gesellschaft? Was ist
heute nicht “Theologie” (ausserdem theologischen Geschwätz)? Ist E.
Jünger weniger “Theologie” denn Bultmann oder Brunner? Kafka
weniger denn Karl Barth? Und sicher muss die Frage nach dem Recht
heute “theologisch” gestellt werden: d. h. es muss gefragt werden: wie
sieht ein Recht aus gesetzt dass der Atheismus unser Schicksal ist?
Muss ohne göttliches Recht das Abendland in Blut und Wahnsinn
ersticken, oder können wir aus uns selbst “aus der terrestrisch-sterbli
chen Situation des Menschen” Recht und Unrecht scheiden? Die
gegenwärtige Situation ist weit schwerer denn die Situation um die
Zeit<en>wende, weil wir eben, trotz der momentanen “hausse” an der
Religionsbörse (Restaurationsgerue, nichts mehr!) im entscheidenden
Sinne post Christum leben (aber die Probleme nicht so “einfach” und
“simpel”, wie Petras —und E. J. es sich vorgestellt haben. Das “M ini
mum” an Metaphysik heisst nicht “weniger”, sondern “elementarer”
in Sachen der Metaphysik).
Mir geht es im “Moment” (seit eineinhalb Jahren) um das Problem der
polit[ischen] Theologie, exemplifiziert an Maimonides. Das Problem
der politischen] Theologie ist ein Treffer ins Schwarze (stammt der Ter
minus von C. S.?), noch gar nicht ausgenutzt. Politische Theologie ist
vielleicht “das” Kreuz aller Theologie; ob sie damit fertig wird? Das
Christentum (Augustin vornehmlich) hat das Problem abgelehnt (wie
aller Chiliasmus, Antinomismus - hintenrum ist es dann doch ins
christl. Bewusstsein [gekommen], aber mit schlechtem Gewissen). Das
Judentum “ist” polit. Theologie - das ist sein “Kreuz”, weil Theologie
132
clwn doch nicht aufgeht in der Division durch: “politisch”, weil das
( iesetz eben doch nicht das Erste und Letzte ist, weil es “sogar” zwischen
Mensch und Mensch Verhältnisse gibt, die das Gesetz “überschreiten”,
“übertreten” —Liebe, Erbarmen, Verzeihen (gar nicht “sentimental”,
sondern “real”). Ich wüsste mit meinem elenden und oft krummen
leben keinen Schritt weiter (weiss auch übrigens nicht, wie einen
Schritt weiter zu gehen), ohne an “diese drei” mich zu klammern und
das fuhrt mich immer wieder - gegen meinen “Willen” - zu - Paulus.
I lerzlich Jacob
P. S. Wenn du bald schreibst (was nicht anzunehmen ist) so Jerusa
lem“0, nach Juni: 230 Dartmouthstreet Rochester 7, NY USA
den 14. Februar 1952] darüber von Möhlers Hand in eckigen Klammern eingefiigt:
Rabbiner Dr. Jakob Taubes, ca 30jährig / Hebrew Universiry, Jerusalem - M öhler
hatte den B rief am 28. Febr. 1952 an CSch weitergeleitet, in seinem Begleitschreiben
dazu heißt es: Mein lieber Herr Professor, / dieser Brief enthält ein interessantes
Dokument: einen vierseitigen Brief meines Rabbinerfreundes aus Jerusalem über C.
S. Was sagen Sie dazu, dass Sie zum Geburtshelfer der Verfassung Israels geworden
sind? Wenn Sie mir den Brief zurückschicken - wollen Sie ein paar Stichworte
notieren, wie Sie einem solchen Angriff sich stellen würden? Taubes weiss, dass
ich Sie kenne, und wird wohl auch annehmen, dass ich Ihnen den Brief zeige.
(Ich wies ihn auf Sie hin, als er mich vor etwa zwei Jahren fragte, was an Wichti
gem im heutigen Deutschland zu finden sei, ausserdem auf Benn, Blüher, Heide
gger, die Jüngers, und wenn ich mich recht erinnere, Hans Hanny Jahnn.) (HStA
D üsseldorf Nachlass Carl Schmitt, RW 265-9633; E in: Möhler, S. 116, Nr. 80).
Schm itt sandte den B rief am 14. April 1952 an M öhler zurück und antwortete: Tin
ganz erstaunliches, grosses Dokument ist der Brief von Jacob Taubes, den ich mir
habe abschreiben lassen. Ich habe ihn eigenen urteilsfähigen Bekannten gezeigt;
alle waren davon ergriffen. Ein alter, überaus gebildeter und erfahrener Journalist
133
aus der alten Monarchie (Rudolf Fischer) sagte nach der Lektüre: Holt’s mir die
Juden wieder her! Ich könnte Ihnen noch vieles von der Wirkung dieses Briefes
erzählen. Aber ich bin sicher, dass er den Nomos der F.rde nicht gelesen hat, sonst
wäre er auf das Johannes-Zitat auf S. 33 eingegangen. Ich möchte ihm gern alle 3
Publikationen schicken lassen, aber nicht von mir aus. Soll ich es in Ihrem Namen
tun? Die Prägung „Politische Theologie“ stammt tatsächlich von mir. (HStA Düs
seldorf, Nachlass Carl Schmitt, hier zit. nach: Möhler, S. 119, Nr. 83). Im B rief an
CSch vom 14. Mai 1952 geht Möhler a u f diese Ausführungen und schreibt: Rudolf
Fischers Ausruf zu Taubes’ Brief möchte ich übrigens gar nicht beistimmen, gerade
weil ich Taubes seit Jahren kenne. Auch bei ihm ist die Bewegtheit über den Dingen
gross, und durch sein Rabbinertum hat er Tiefgang, aber die Substanz ist auch bei
ihm nicht ruhig und überlegen. Ich muss sagen, dass ich vor ganz anderen Leuten
Respekt habe - Leute, die Fischet vielleicht blos ein Lächeln ablocken würden.
(HStA Düsseldorf, Nachlass Carl Schmitt, RW265-9639). Wie aus seinem im Nachlass
erhaltenem Versandbuch hervorgeht, schickte CSch Kopien des Briefes in den kommen
den Wochen und M onaten nach Erhalt an insgesamt 33 seiner Freunde un d Bekannten
(HStA Düsseldorf, Nachlass Carl Schmitt, RW255-19600).
dass du die Kritik so freundschaftlich aufgenommen] Möhlers Antwort a u f JTs
Schreiben vom 15.11.1951 liegt nicht vor.
Carl Schmitt] im O m it Buntstifi doppelt unterstrichen, w ohl von Möhlers Hand
Justizminister Israelsl Pinchas Rosen (1887-1978, geb. Felix Rosenblüth), Jurist,
gehörte 1948 zu den Gründungsvätern Israels, M itbegründer der Miflaga Progresivit
(Progressive Partei), Knesset-Abgeordneter von 1949 bis 1968, erster Justizminister Isra
els von M ai 1949 bis zum 8. Oktober 1951, dann von Dezember 1952 bis Februar
1953 u nd Januar 1958 bis N ovember 1961; die von J T auch in Ad Carl Schmitt,
S. 65-66 berichtete Episode ist a u f dessen erste Amtsperiode zu datieren.
Schmitts Verfassungslehre] Carl Schmitt: Verfassungslehre, München / Leipzig:
Duncker &c Humblot 1928.
Carl Schmitts Aufsatz (...) 1934] Carl Schmitt: „Der Führer schützt das Recht. Zur
Reichstagsredc Adolf Hitlers vom 13. Juni 1934“, in: Deutsche Juristen-Zeitung
39 (1934), Sp. 945-950; w iederveröjjcntlicht in ders.: Positionen und Begriffe im
Kampf mit Weimar - Genf - Versailles. 1923-1939, Hamburg: Hanseatische Ver
lagsanstalt 1940, S. 199-203.
ex captivitate salus] Carl Schmitt: F.X Captivitate Salus (wie B rief 7A, Anm.)
Rektoratsrede 1933] Martin Heidegger: Die Selbstbehauptung der deutschen Uni
versität. Rede, gehalten bei der feierlichen Übernahme des Rektorats der Universität
Freiburg i. Br. am 27.5.1933, Breslau: Wilhelm G. Korn 19.33; auszugsweise m it
dem Titel Die drei Bindungen auch erschienen in Völkischer Beobachter. Kampfblatt
der nationalsozialistischen Bewegung Großdeutschlands, Süddeutsche Ausgabe 46,
Nr. 201 v. 20. Juli 1934, Beiblatt.
Verhältnis zu Husserl] M it Antritt des Rektorats an der Universität Freiburg hatte
Heidegger den Konflikt zu Husserl abgebrochen; bei dessen einsamem Tod 1938 und
Einäscherung am 29. April des Jahres w ar niem and aus der Philosophischen Fakultät
aujser Gerhard Ritter anwesend. Anfang der 1940er Jahre ließ H eidegger die Widmung
an Husserl In Verehrung und Freundschaft a u f dem Vorsatzblatt von Sein und Zeit
a u f Druck des Verlages tilgen, beließ aber die in den Anmerkungen versteckte Dank
sagung.
Aufsatz in der Studentenzeitung (...) Löwith schrieb] Von den diversen Beiträgen
Heideggers in der Freiburger Studentenzeitung erwähnt Karl Löwith: „Les implicati-
134
ons politiques de la philosophie de Heidegger“, in: Les Temps Modernes 1 (1946),
S. 343-360, den Aufsatz „Schlageter“, in: Freiburger Studentenzeitung 14 (7. Seme
ster), Nr. 3 v. 1. }uni 1933, S. 1, sowie ders.: „Deutsche Studenten“, in: Freiburger
Studentenzeitung 15 (8. Semester), Nr. 1 v. 3. Nov. 1933, S. 1. Löwith zitiert ausser
dem vollständiglAzxun Heidegger: „Deutsche Männer und Frauen!“, ebd., Nr. la v .
10. Nov. 1933, S. 1, Heideggers Beiträge wurden m it Ausnahme des ersten nicht in den
entsprechenden Band der Gesamtausgabe übernommen, vgl. ders.: Gesamtausgabe, 1.
Abt, Bd. 16: Reden und andere Zeugnisse eines Lebensweges. 1910-1976, hg. v.
I iermann Heidegger, Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann 2000. —M it sei
nem Beitrag eröffnete Löwith die erste Nachkriegsdebatte über das Verhältnis Heideggers
u nd seiner Philosophie zum Nationalsozialismus. A uf Löwiths Stellungnahme folgten
Plädoyers fu r H eidegger von Maurice de Gandiilac: „Entretiens avec Martin Heide
gger“, in: Les Temps Modernes 1 (1946), S. 713-716 und Alfred de Towarnicki:
„Visite à Martin Heidegger“, ebd., S. 717-724, d ie wiederum kritische Entgegnungen
von Alphonse de Waehlens: „La philosophie de Heidegger et le Nazisme", in: Les
Temps Modernes 3 (1947), S. 115-127 sowie Eric Weil: „Le cas Heidegger“, ebd.,
S. 128-138, hervorriefen. Löwith antw ortete d a ra u f im folgenden Jahr m it dem Beitrag
„Réponse à M, de Waelhens,“ in: Les Temps Modernes 4 (1948), S, 370-373.
“bleiben stahn”] variiert die erste Zeile der vierten Strophe (Das Wort sie sollen lassen
stahn) aus dem von Martin Luther gedichteten und 1529 veröffentlichten Kirchenlied
Ein feste Burg ist unser Gott, Die altertüm elnde Wendung bleiben stahn ist im 19.
jahrhundert literarisch vereinzelt im Gebrauch, etwa bei Achim von Arnim oder Fried
rich Nietzsche.
“Feldweg” (...) “Wort u. Wahrheit”] Heidegger: „Der Feldweg“, in: Wort und
Wahrheit 5 (1950), S. 267-269.
Buber] vgl. B riefS 1, Anm.
“der Nomos der Erde”! Garl Schmitt: Der Nomos der Erde (wie B rief 10, Anm.)
die Grösse des Themas (...) “überwältigend” sind] ebd., Vorwort, [S. 6]: Da bleibt
nichts übrig, als das gewaltige Material zu sichten, den neuen Gedanken sachlich
darzulegen, unnützen Streit zu vermeiden und die Größe des Themas nicht zu ver
fehlen. Denn beides, das Thema selbst und seine gegenwärtige Situation, ist über
wältigend. Die bisherige, europa-zentrische Ordnung des Völkerrechts geht heute
unter. M it ihr versinkt der alte Nomos der Erde.
“diese einzigartige (...) Parallele zwischen der Gegenwart und der Zeitwende”]
ebd., S. 32
}oh 13, (...) tvxo A r)v K O tlf]V ô t ô w f l l ] Evangelium nach Johannes 13, 34: Ein
neues Gebot gebe ich [euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt
habe, damit auch ihr einander lieb habt].
die Antwort auf den “den entscheidenden Fall” (...) Einleitung (1933) zur Polit.
Theologie] Carl Schmitt: Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der
Souveränität, 2. bearb. Aufl., München / Leipzig: Duncker 6c Humblot 1934,
Vorbemerkung zur zweiten Ausgabe, [S. 7-8], hier [S. 8]: Diese letzte Epoche der
deutschen Staatsrechtswissenschaft ist dadurch gekennzeichnet, daß sie die staats
rechtliche Antwort auf den entscheidenden Fall, nämlich die Antwort auf den
preussischen Verfassungskonflikt mit Bismarck und infolgedessen auch die Antwort
auf alle weiteren entscheidenden Fälle schuldig geblieben ist. Um der Entscheidung
auszuweichen, prägte sie für solche Fälle einen Satz, der auf sie selbst zurückgefallen
ist und den sie nunmehr selbst als Motto trägt: „Das Staatsrecht hört hier auf.“ Das
der 2. Aufl. hinzugefugte Vorwort datiert vom Nov. 1933. Das von CSch explizit aus
135
gew iesene Zitat Das Staatsrecht hört hier auf, das auch JT anfuhrt, entstammt Georg
Meyer: Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, nach dem Tode des Verfassers in 7.
Aufl. bearbeitet v. Gerhard Anschütz, München / Leipzig: Duncker & Humblot
1919, S. 906.
Wenn der “Humanismus” (...) wie Heidegger sagt)| Paraphrase der grundlegen
den Annahme von Heideggers sogenanntem Humanismusbrief, vgl. Martin Heidegger:
Uber den „Humanismus“. Brief an Jean Beaufret, Paris, in: ders.: Platons Lehre
von der Wahrheit. M it einem Brief über den Humanismus, Bern: A. Francke 1947,
S. 53-119, hier bes. S. 56: Sie fragen: Comment redonner un sens au mot „Huma-
nisme“? Diese Frage kommt aus der Absicht, das Wort „Humanismus“ festzuhalten.
Ich frage mich, ob das nötig ist. Oder ist das Unheil, das alle Titel dieser Art anrich-
ten, noch nicht offenkundig genug? Ähnlich S. 93: Ihre Frage setzt nicht nur voraus,
daß Sie das Wort „Humanismus“ Festhalten wollen, sondern sie enthält auch das
Zugeständnis, daß dieses Wort seinen Sinn verloren hat.
Bultmann (...) Barth] Zu Bultmann, vgl. B rief 15, Anm. - Emil Brunner (1889-
1966), Schweiz, protest. Theologe, 1916-1924 als Pfarrer in der Schweiz tätig, von
1924 an P rof fiir systematische und praktische Theologie an der Univ. Zürich, Mitbe
gründer der dialektischen Theologie. Karl Barth (1886-1968), Schweiz, protest. Theo
loge, 1909-1921 als Pfarrer tätig, 1921-1925 Honorarprof. in Göttingen, 1925-1930
Prof, in Münster, 1930-1935 Prof, in Bonn, dann wegen Widerstand gegen den Natio
nalsozialismus aus dem Lehramt entlassen, 1945 M itglied im Nationalkomittee Freies
Deutschhnd, das fü r ein e sozialistische N euordnung Deutschlands eintrat. J T setzte
sich w iederholt m it Barths Theologie auseinander, insbesondere m it seiner D eutung des
Römerbriefi (1919 und völlig veränderte Neuaufl. 1922).
“aus der terrestrisch-sterblichen Situation des Menschen”] Kein Zitat aus Arbeiten
von CSch, vgl. aber der Sache nach Carl Schmitt: Der Nomos der Erde (w ie B rief 10,
Anm.), passim, sow ie ders.: Land und Meer. Eine weltgeschichdiche Betrachtung,
Leipzig: G. Cotta 1942, passim.
Petras] in Efä bchlich: Petrus. - Otto Petras (¡886-1945), protest. Theologe, gehörte
der Widerstandsbewegung gegen den Nationahozialismus um Ernst Niekisch an. ln sei
ner Abendländischen Eschatologie (w ie B rief 51, Anm.) verweist J T m ehrfach a u f
Petras Schrift Post Christum. Streifzüge durch die geistige Wirklichkeit, Berlin:
Widerstands-Verlag 1935. Petras w ird außerdem erw ähnt in Armin Möhler: Die
Konservative Revolution (wie B rief 1, Anm).
“Minimum” an Metaphysik] J T deutet hier ein e von Nicolai Hartmann geprägte
Denkfigur um, vgl. ders.: Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis, Berlin: De
Gruyter 1921, S. 131-132 (2. Teil, 1. Abschn.): Die Theorie hat begreiflich zu
machen, was an sich begreiflich ist. Sie hat das Unbegreifliche zu reduzieren, es auf
das kleinste unvermeidliche Maß zu bringen. Ist das Metaphysische eines Sachver
halts unvertilgbar, so ist es eben geboten, den irreduziblen Rest, das unauflösliche
Minimum an Metaphysik, genau zu umreißen und mit ihm, als ewigem „X“, wie
mit einer unbekannten Größe zu rechnen.
stammt der Terminus von C. S.?] CSch beanspruchte die Urheberschaft fü r
den Begrifft vgl. seine Bemerkung im B rief an M öhler v. 14. April 1952, vgl. oben,
Anm.
nach Juni (...) USA] J T sollte m it seiner Frau Susan allerdings erst im August des Jahres
in die USA zurückkehren, um dort ein e akademische Laufbahn zu beginnen. In der
ersten Z eit wohnten sie unter der Adresse 230 Dartmouth Street, Rochester 7, N. Y bei
seinem Schwiegervater Sandor Feldman.
136
E. J. Waidgang] Ernst Jünger: Der Waldgang, Frankfurt am Main: Vittorio Klo-
stermann 1951.
Z. T.] Zwi Taubes
54 TAUBES AN M ÖHLER
JERUSALEM, 20.4.1952
137
oläm haba, mit die immer während ankommende Welt oläm haba
tamid. W ie übrigens Löwith, den du als “Problemvater” mal bezeich
net hast, schon bemerkte bestehen zwischen Heidegger u. Franz
Rosenzweig ganz frappante Kongruenzen. Rosenzweigs “Stern der
Erlösung” 1921 erschienen, geschrieben im Krieg an der Front, wirk
lich an der Front in Mazedonien, auf Postkarten die er nach Hause
seiner Mutter sandte - ich sage Kongruenzen und (nach Löwith) ein
Unterschied: die Zeit ist nicht das Letzte.
Vergl. Löwith: M. Heidegger and Fr. Rosenzweig, orTemporality and
Eternity[,] in Philosophy and Phenomenological Research III (1942).
M ir geht es trotz Holzwege noch immer um Sfein] u. Z[eit] und um
das Problem] von Was ist Metaphysik. Übrigens habe ich um das
Problem der Frage mich versucht. Ich werde meine Frau, die in Paris
weilt, ersuchen dir eine Kopie (maschinenschrift) zu senden u. urteile
ob es für die Öffentlichkeit taugt. (40 S. für eine Zs. od. als Broschüre
od. erweiterungsbedürftig, für Kritik höchst offen.!)] Ich rechne auf
Gegenseitigkeit im “liebenden Streit”. Von mir das nächste Mal mehr.
Schreibe nach den Staaten, auf dass deine Post nicht den Umweg über
Jerusalem machen muss. Herzlich Jacob
Jüngers Waldgang| Ernst Jünger: Der Waldgang (wie B rief 53, Anm.)
“Arbeiter”) Ernst Jünger: Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt, Hamburg: Hansea
tische Verlagsanstalt 1932.
Ahasver] ln christlicher w ie jüdischer Folklore die Figur des „ewigen Ju den ' der bis ans
Ende d er Zeiten wandern muss.
W ie lautet der Satz (...) “Veränderungen” im Text?] Der von J T zitierte Satz fin d et
sich auch in der ersten Aufl. 1932; die dritte Aufl. desselben Jahres ist ein unveränderter
Nachdruck der ersten.
im Walde gelebt (...) Nä 21] Ernst Jünger: Der Waldgang (w ie B rief 53, Anm.),
S. 75-8.3, enthält eine M editation zur Überwindung der Todesfurcht (ebd., S. 78).
unser Lehrer Martin (...) Zeit und dem Sein] Martin Heidegger: Sein und Zeit
(wie B rief 51, Anm.).
Zu S. 137 (...) in uns gepflanzt hat”] Vgl. Ernst Jünger: Der Waldgang (w ie B rief
53, Anm.), S. 137: Demgegenüber ist es wichtig zu wissen, daß jeder Mensch
unsterblich ist, und daß ein ewiges Leben in ihm seine Stätte aufgeschlagen hat,
die unerforschtes und doch bewohntes Land für ihn bleiben, ja, die er leugnen
mag, doch welche keine zeitliche Macht zu brechen imstande ist. Der Zugang bei
138
vielen, ja, bei den Meisten mag einem Brunnen gleichen, in welchen seit Jahrhun
derten Iriimmer und Schutt geworfen sind. Räumt man das fort, so findet man am
( irunde nicht nur die Quelle, sondern auch die alten Bilder vor.
Ilahir] Bahir ist das früheste überlieferte Buch der Kabbala, der jüdischen Mystik, in
der es in seiner Bedeutung später durch den Zokar verdrängt wird. Die erste eingehende
I Untersuchung erfuhr das Buch Bahir durch die Dissertation von JTs Jerusalem er Leh
rer Gershom Scholem, der es auch ins Deutsche übersetzte, vgl. Gerhard (Gershom)
Scliolem: Das Buch Bahir. Ein Schriftdenkmal aus der Frühzeit der Kabbala. Auf
Grund der kritischen Neuausgabe, Leipzig: W. Drugulin 1923. In seiner erstmals
1941 publizierten u nd seither vielfach neu aufgelegten Arbeit Major Trends in Jewish
Mysticism, Jerusalem: Schocken 1941, S. 74-75 vertrat Scholem die Auffassung, das
Buch Bahir stamme aus der Provence wird sei dort, a u f älteren Quellen fußend, im 12.
//>. entstanden.
Löwith (...) Philosophy and Phenomenological Research III (1942)] Karl Löwith:
“M. Heidegger and Fr. Rosenzweig or Temporality and Eternity”, in: Philosophy
and Phenomenological Research. A Quarterly Journal (3) 1942/43, S. 53-77.
Holzwege (...) Was ist Metaphysik] Martin Heidegger: Holzwege (wie B rief 51,
Anm.). —ders.: Sein und Zeit (wie B rief 51, Anm.). - ders.: Was ist Metaphysik?
Öffentliche Antrittsvorlesung, gehalten am 24. Juli 1929 in der Aula der Universi
tät Freiburg i. Br., Bonn: Cohen 1929.
Rosenzweigs “Stern der Erlösung” 1921] Franz Rosenzweig: Der Stern der Erlö
sung, Frankfurt am Main: Kauffmann 5681 [1921].
um das Problem der Frage (...) 40 S. für eine Zs.] Aus Briefen zwischen J T und
seiner damals in l ’aris weilenden Frau Susan geh t hervor, dass das erwähnte Ms die
Grundlage von JTs AufsatzThe Development of the Ontological Question in Recent
German Philosophy. in: The Review of Metaphysics 6 (1952/53), S. 651-664, dar
stellt. J T hatte m it seiner Konzeption und Ausarbeitung Ende 1951 begonnen; am 22.
Februar erhielt Susan Taubes schließlich das a u f Deutsch verfasste Manuskript, typoskri-
bierte un d übersetzte es anschließend ins Englische; zu Entstehungs- un d Publikations
geschichte des Aufsatzes vgl. die Briefe JTs an Susan Taubes vom 29. Dezember 1951,
vom 7. Januar und 6. Mai 1952 sowie neben einigen undatierten Schreiben die Briefe
von Susan Taubes an J T vom 22. Februar und 4. März 1952; sie werden erscheinen in
Susan Taubes: Die Korrespondenz mit Jacob Taubes 1952, Bd. 1.2, hg. u. kommen
tiert v. Christina Pareigis, München / Paderborn: Fink (in Vorb., Publikation 2012).
Gegenseitigkeit im “liebenden Streit”] Vgl. Friedrich Hölderlin: „Heimkunft. An
die Verwandten“, in: ders.: Sämtliche Werke, Bd. 2: Gedichte nach 1800, hg. v.
Friedrich Beissner, Stuttgart: Kohlhammer 1953, S. 100-103, hier: S. 100: Lang
sam eilt und kämpft das freudigschauernde Chaos, / Jung an Gestalt, doch stark,
feiert es liebenden Streit. Diese Elegie von Hölderlin w ird zur Gänze zitiert in Martin
I leidegger: Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung, 2., verm. Aufl., Frankfurt am
Main: Vittorio Klostermann 1951, S. 9-12. Die Formel vom liebenden Streit fin d et
sich auch in Heideggers Uber den „Humanismus“. Brief an Jean Beaufret, Paris, in:
ders.: Platons Lehre von der Wahrheit. M it einem Brief über den Humanismus,
Bern: A. Francke 1947, S. 24; diese fü r JTs Denken zentrale Denkfigur geh t zurück a u f
die Wendung palintropos harmonia bei Heraklit, griech., gegenstrebige Vereinigung;
vgl. Die Fragmente der Vorsokratiker, griechisch u. deutsch v. Hermann Diels, hg.
v. Walther Kranz, Bd. 1, 6. Aufl., Berlin: Weidmann 1951, S. 162 (Fragment 51).
Schreibe nach den Staaten] O bwohl J T dieses Schreiben aus Jerusalem geschickt hat,
wo er noch bis Ende Ju n i ¡952 bleiben sollte, nannte er als Adresse Ju r künftige Schrei-
139
ben: Jacob Taubes / 230 Dartmouthstreet / Rochester 7 / N.Y. USA, vgl. B rief 53,
Anm.
55 TAUBES AN M OHLER
ROCHESTER, O.D. (1953?)
Abschrift
230 Dasmothstr.
Rochester 7, Ny
140
»las atomic age). Das sage E. J. mit Gruss von mir, der ich ja auch
nicht verhehle, wenn mich was stört - wie ein letzter Brief, der ohne
Antwort blieb. “Godenholm” soll auch E. Brock wieder versöhnen. Es
lat mir leid ihn das letzte Mal so wütend und so in Schmerz-Wut zer-
letzt zu sehen. Du siehst ihn wohl nie.
Wenn ich nicht irre schrieb ich Dir zuletzt, dass ich für eine Weile
nach den USA segle —und zwar weil meine Frau sich in Jersusalem
nicht wohl fühlt. Den Sommer verbrachten wir in Paris, den “ersten”
Winter in London, den “zweiten” in NYC u. R. - ich arbeite an einer
Uebersetzung des Theol. Polit. Trakt, für eine Gesamtausgabe Spi
nozas, die M r Ben Gurion persönlich leitet; denn er will Sp. zum
“Klassischen[”] Philosophen des saecularen Israel-Staates erheben.
Die “Beiden” passen auch zueinander. Die Orthodoxie, das Zent
rum!!), und die Nationalen haben mit Recht horror vor dem Maledic-
tus-Benedict und lassen sich nicht die Augen auswischen mit Phrasen
der “größte” Philosoph des Occidents, sogar Goethe (eine hohe Auto
rität bei Juden) hat das bezeugt!,] erstens pfeifen die Orthodoxen auf
Philosophie als “Kulturgut!”] und stellen die Frage scharf: Thora oder
Philosophie. Ich glaube C. S. würde die Seite der Orthodoxie neh
men, auch wenn er selbst nicht orthodox ist - so stehe ich jedenfalls.
Vor einigen Wochen erhielt ich ein Rockefeiler Stipendium für
1953/54, bin also fürs Jahr über Wasser plus ein wenig Prestige a
Conto. Susan Anima, meine Frau, war letztes Jahr in Paris, mit Jean
Wahl u. A. Camus befreundet - und hat Phil, bei u. a. Eric Weil, dem
neuen Stern am Pariser Himmel, studiert.
Einige Aufsätze von mir [sind aut] hebr. erschienen also unleserlich
für DichLJ sind nicht so wichtig - übliche Philosophie, ich bereite
“das” Buch über [das] Gesetz vor: Vom transnomistischen Menschen
- sehe ich zunächst auf Godenholm. Und Du - noch immer in Wilf-
lingen bei Riedlingen? Ich beneide Dich darum.
Inzwischen “verbrüdert” sich ja Dulles mit Adenauer - was denkt ihr
darüber als Kanonenfutter zu dienen? W ir sind sehr bedrückt in den
Staaten, ich schreibe 1931 - Mc Carthy hat ja leider meine Ahnung
bestätigt, dass es auch jüdische I.emuren gibt u. - wir in Europa 1933
gnadenhaft verschont blieben - und zum Opfer ausersehen wurden.
Mc Carthy aber wählte zwei Lausbuben Cohn und Shine, Stürmerna
men und Stürmergesichter und lässt sie durch Europa reisen und die
Idioten merken nicht, dass sie zum Gelächter werden und den jüdi-
141
sehen Namen in den Dreck ziehen. Cohn und Shine als Zensorer
urteilen [,] es liegen Exemplare der “American Legion” in den amerik.
Informationszentren auf. Man braucht nichts hinzuzufügen: der Witz
steckt in der Nachricht selbst. (Ein trauriger Witz aber für das Volk
der Juden, das noch nachträglich um den guten Namen im Kampf
gegen den Faschismus bestohlen wird). Schreib bald —schieb es nicht
lange heraus. Ich weiss, es ist nicht leicht, aber im Zeitalter der “Dis-
perior” muss man sich ein wenig zusammennehmen. - Habt Ihr
irgendwelche Nachrichten aus dem Osten? Siehst Du Löwith? Hel
mut Kuhn schickte mir seinen interessanten Heidegger-Aufsatz. Dar
über ein anderes Mal. Nun ist’s an Dir sende mir C. S. Adresse und
einige Details, was er tut. Ist er als “scapegoat” “ausersehen” oder hat
er sich wieder einordnen können. Der Fall Bense ist nicht uninteres
sant (vergl. letztes Archiv für Philosophie).
Herzlich
Jacob
142
Anm.), S. 867, Anm. 19. - Hans Urs von Balthasar: Apokalypse der deutschen
Seele. Studie zu einer Lehre von den letzten Haltungen, Salzburg / Leipzig: Pustet
1937-138].
“Godenholm” (...) Moltner] Ernst Jünger: Besuch auf Godenholm, Frankfurt am
Main: Vittorio Klostermann 1952. M oltner ist einer d er Protagonisten des Buchs.
“lecture” über “Theology and political Theory”] Die Druckfassung erschien unter
demselben Titel, vgl. Jacob Taubes: „Theology and Political Theory“, in: Social
Research 22 (1955), S. 57-68, dt. Übers. Theologie und politische Theorie, in:
dcrs.: Vom Kult zur Kultur, S. 257-267.
Donoso C. - C. S] vgl. dazu Carl Schmitt: Donoso Cortes (w ie Brief I, Anm.)
nach der “lecture” (...) Hans Joachim Arndt] vgl. zu dieser Episode das Schreiben von
Hans-Joachim Arndt an Armin M öhler (B rief 86)
Satz iiher C. S. u. M . H. aus einem Brief von Jacob Taubes an Armin Möhler]
Es handelt sich um B rief 53, gem eint ist der Satz: Carl Schmitt ist (neben Heideg
ger) die geistige Potenz, die alles Intellektuellengeschreibsel um Haupteslänge über
ragt.
I lans Kesting] gem eint ist Hanno Kesting (1925-1975), Soziologe, 1952 Promotion,
1952 Beginn der M itarbeit an der Dortmunder Sozialforschungsstelle der Univ. M ün
ster, 1958-1960 Dozent fü r Soziologie an der Hochschule fü r Gestaltung Ulm, 1960-
! 961 Leiter des Kulturressorts der Frankfurter Rundschau, 1962 Assistent von Arnold
Gehlen an der Techn. Hochschule Aachen, dort 1966 Habilitation, 1968 Prof, fü r
Soziologie an den Univ. Bochum; zusammen m it seinem H eidelberger Kommilitonen
Reinhart Koselleck übersetzte er Löwiths Meaning in History unter dem 7;W Weltge
schichte und Hcilsgeschehen. Die theologischen Voraussetzungen der Geschichts-
pliilosophie, Stuttgart: Kohlhammer 1953 ins Deutsche. Kesting stand seit seinem 16.
Lebensjahr in engem Kontakt m it CSch.
L. J.] Ernst Jünger
in NYC u. R.] New York City und Rochester, das im Staate New York gelegen ist.
Uebersetzung des Theol. Polit. Trakt. (...) Ben Gurion persönlich leitet] David
Ben Gurion (1886-1973). erster Premierminister Israels, M itbegründer der sozialde
mokratischen Arbeitspartei, hatte 1953 den Vorschlag gem acht, dass aus Anlass des drei
hundertsten Jahrestages der Verbannung und des Ausschlusses von Baruch de Spinoza
aus der Jüdischen Gemeinde Amsterdams der Bannfluch aufgehoben werden sollte und
zugleich eine Edition seiner gesam melten Werke a u f Hebräisch an der Hebrew Univ. in
Jerusalem angeregt.
Maledictus-Benedict] Wortspiel m it dem Vornamen Spinozas, d er als Benedikt ein
Gut Besprochener ist, im Gegensatz zum Maledictus, dem Verfluchten, ein Schick
sal, das Spinoza durch die jüd ische Gemeinde Amsterdams tatsächlich widerfahren
war.
sogar Goethe (...) hat das bezeugt] Goethe hatte im Jahre 1773 verm ittelt durch
Spinozas Pantheismus einen neuen Zugang zur Religion gefunden, w ie sich in seinen
Briefen an Jacobi bezeugt. Die Bedeutung Spinozas kommt im 14. Buch von Dich
tung und Wahrheit zum Ausdruck, wo es heißt: Die alles ausgleichende Ruhe Spi
nozas kontrastierte mit meinem alles aufregenden Streben [...] eben jene geregelte
Behandlungsart, die man sittlichen Gegenständen nicht angemessen finden wollte,
machte mich zu seinem leidenschaftlichen Schüler, zu seinem entschiedensten Ver
ehrer, vgl. Johann Wolfgang Goethe: Berliner Ausgabe, Bd. 13: Poetische Werke,
Autobiographische Schriften 1: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, Ber
lin: Aufbau-Verlag I960, S. 672-673.
143
Jean Wahl u. A. Camus] Jean Wahl (1888-1974), frz. Philosoph, von 1936-1942
und von 1946-1967 Prof, fiir Philosophie an d er Sorbonne, nach Internierung im Kon
zentrationslager Drancy von 1942-1945 Aufenthalt in den USA, wo er in New York
die Ecole Libre des Hautes Etudes mitbegründete, 1946 in Paris Gründung des Collège
Philosophique, von 1950 an Hg. der Revue de M étaphysique et Morale. —Albert Camus
(1913-1960), frz. Schrifisteller und Philosoph.
und hat Phil, bei] Danach deutet im O ein Leerraum m it Fragezeichen a u f ein fe h
lendes Wort hin.
Eric Weil] Eric Weil (1904-1977), frz. Philosoph, 1928 Promotion an der Univ.
Hamburg bei Emst Cassirer, 1952 zum maître d e recherches an der CNRS in Paris
ernannt, 1956-1968 Prof, fü r Philosophie an der Univ. Lille, 1968-1974 in Nizza.
Aufsätze von mir hebr.] J T hatte 1952 einige Rezensionen fü r die Zeitschrift Iyyun. A
Hebrew Philosophical Quarterly verfasst.
W ilflingen bei Riedlingen] Ende Ju li 1950 w ar Ernst Jünger, dessen Sekretär M öhler
damals war, in ein Schloss in Wilflingen bei Riedlingen am Rande der Schwäbischen
Alb gezogen; die Familie M öhler bewohnte darin ebenfalls eine Wohnung. 1951 bezog
Jü n ger dann die Oberfbrsterei im selben Ort.
“verbrüdert” sich Dulles mit Adenauer] John Poster Dulles (1888-1959) war seit
Januar 1953 amenk. Außenminister unter dem Präsidenten Dwight D. Eisenhower.
Anfang Februar 1953 kam Dulles zum Staatsbesuch nach Deutschland, Adenauers
Gegenbesuch erfolgte im April 1953, In den beiderseitigen Gesprächen war das Z iel der
deutschen Außenpolitik, das Besatzungsstatut abzulösen, was von amerikanischer Seite,
vor dem H intergrund des Koreakrieges (1950-53), nur um den Preis der W iederbewaff
nung Deutschlands zugestanden wurde; diese wiederum konnte nur im Rahmen einer
Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) oder der Nato erfolgen, in beiden Fäl
len also nicht m it einer souveränen Armee, sondern eingebunden in eine frem de, franzö
sisch oder amerikanisch kontrollierte Kommandostruktur. Die Rede von Deutschland als
Kanonenfutter amerikanischer Politik in der Auseinandersetzung m it der Sowjetunion
gehörte zu den Gemeinplätzen derjenigen Teile der bundesrepublikanischen Ö ffentlich
keit, die diesen Bestrebungen kritisch gegenüberstand.
Cohn and Shine] Die Juristen Roy Cohn (1927-1986) und D avid Schine (1927-
1996), seit 1952 als Berater im Dienste des republikanischen Senators Joseph McCarthy
(1908-1957); dabei inspizierten sie 1953 die Amerikahäuser in Deutschland a u f der
Suche nach kommunistischer Literatur, w obei sogar d ie Werke John Steinhecks und
Shakespeares a u f den Index gesetzt wurden.
Stürmernamen und Stürmergesichter] Anspielung a u f die von Julius Streicher hg.
NS-Zeitschrift Der Stürmer, d ie unter Z uhilfenahm e der Karikatur einen extremen
Antisemitismus verfolgte.
es liegen] Danach deutet im 0 ein Leerraum mit Fragezeichen a u f ein fehlendes Wort hin.
Exemplare der “American Legion”] Die US amerikanische M ilitär-Zeitschrift The
American Legion Magazine wurde von d er gleichnam igen, 1919 gegründeten patrio
tischen Veteranenvereinigung herausgegeben.
„Disperior“] B edeutung unklar; m öglicherweise ein e Vermischung von lat. dispersio,
Zerstreuung, Zerstörung m it engl, despair, Verzweiflung, eventuell auch von lat.
dcsperor, ich bin verzweifelt, - gem eint ist der heillose Zustand der Welt.
Helmut Kuhn (...) Heidegger-Aufsatz] Helmut Kuhn: „Heideggers .Holzwege “,
in: Archiv für Philosophie 4 (1952), S. 253-269, oder dcrs.: „Philosophie in Sprach-
not. [Rez. von] Einführung in die Metaphysik / Martin Heidegger“, in: Merkur 7
(1953), S. 935-949.
144
“scapegoat”] engl., Sündenbock
Der Fall Bensc (...) Archiv für Philosophie)] vgl. Jürgen v. Kempski: „Max Bense
als Philosoph“, in: Archiv für Philosophie 4 (1952), S. 270-280, Kempski hatte dem
l ‘hilosophen Max Bense d ie Wissenschaftlichkeit abgesprochen und die Rechtmäßigkeit
seines Professorentitels bezweifelt, hier: S. 280. —Max Bense (1910-1990), Physiker,
Philosoph, Publizist u nd Schriftsteller, 1937 Promotion an d er Univ. Bonn zum Dr.
phil. nat., die Habilitation blieb ihm in der Folge wegen seiner Gegnerschaft zum NS-
Regime verwehrt, von 1938 an Arbeit ah Physiker, 1949 Gastprofessur, 1950 außer
ordentliche P rof un d schließlich 1963 Ordinariat fiir Philosophie un d Wissenschafts
theorie an der TH Stuttgart, daneben 1953-1958 und 1965-1966 Unterricht an der
Hochschule fü r Gestaltung in Ulm, 1978 emeritiert.
56 TAUBES AN SCH N U R
BOSTON, 12.6.1955
145
gentsia [restliche dreieinhalb Z eilen d er Seite unlesbar ] 19. Jahrhundert:
“Die Insel hat sich von dem überkommenen, rein terranen Weltbild
und von den in dieses eingefügten Ordnungen abgelöst und ist dazu
übergegangen, die Welt folgerichtig vom freien Meere aus zu sehen”
(p. 160). Diesen Satz will ich als Verteidigung brauchen, wenn ich im
nächsten Semester Europäische Philosophie im 19s. Jhdt - ohne Eng
land —vortrage (was ich dann wirklich vortrage ist Exegese einiger
Kapitel der Hegelschen Phänomenologie ä la Kojeve m it Sauce ä la
Taubes). [Rest der Seite, ca. 5 Zeilen, unlesbar ]
W ie mir scheint, fehlt eine gründliche Studie über die Würze Vsoc
society, socialism etc? Oder irre ich? Dies sehr wichtig. Im angelsäch
sischen Kulturkreis setzt sich society vom Staat in der liberalistischen
Epoche ab, im deutschen Kreis erst mit der “sozialistischen” Bewe
gung: darum “society” im engl, einen liberalen Ton, im deutschen
einen marxistischen. Lässt sich diese Unterscheidung machen?
Ihr Jacob Taubes
146
*>7 TAUBES AN MÖHLER
BERLIN, 23.9.1966
23.9.1966
1 ieber Armin,
selten nur gelingt ein Gespräch und, ich meine, unser Gespräch mit
Marcel Hepp gelang. Jedenfalls schienen mir die Schranken bald
gefallen, und wir sprachen, als ob wir uns seit Jahren kennen würden.
Was ja auch im Gleichnis stimmt.
1)u weißt ja nicht, welch Vergnügen es ist, Rechtsintellektuellen zu
begegnen, eine seltene Species, die erhalten bleiben soll, damit wir uns
in der posthistorischen Welt nicht langweilen. Dich dürstet’s nach
Wirklichkeit, aber Wirklichkeiten lassen sich nicht beschwören. Es
mag weise sein, anzuerkennen, daß für die M itte Europas der apoka
lyptische Traum ausgeträumt ist. Die Schweiz war ja auch einmal
Großmacht, hat aber eingesehen nach irgendeiner Keilerei in Nord
italien, daß ihre Stunde als Großmacht vorbei ist, daß sie sich über
nommen hatte und fand nun ihr Gleichgewicht eben in jener Neutra
lität, die dir soviel zu schaffen macht. Gerade wo der “Weltgeist"
heute mit sich selbst entzweit ist, und der Osten wie der Westen mit
gleicher Legitimität den Anspruch auf Führung stellen ist es doch die
Chance zwischen und um die Weltmächte einen neutralen Gürtel zu
werfen, um die Apokalypse und deren Illusionen in Ost und West zu
neutralisieren. Wie ich sagte, was einst Burckhardt bewegte, die Nach
folge Rankes abzulehnen, bewegte mich, von New York nach Berlin
zu übersiedeln. Die Windstille Berlins bekommt dem Denken besser
als die Illusionen in New York nahe am Hebel der Macht zu sein.
Erschüttert hat mich Deine Bemerkung über Deine “Konversion” am
Tage des deutschen Einmarsches in Rußland. Wenn irgendwann, so
war an diesem Tage es endgültig besiegelt, daß die M itte Europas
nicht mehr die Hauptrolle in dem Welttheater spielen konnte. Hegel
hat ja bereits am Ende seiner Philosophie der Geschichte von Amerika
und Rußland als von den Mächten gesprochen, die am Horizont auf
tauchen. Bruno Bauer sah Rußland bereits als Weltmacht und sah
dabei weiter als Karl Marx. Ein Stück W irklichkeit steckte noch in der
national-bolschewistischen Prognose. Die Chance Europas wäre die
Verbindung mit dem bolschewistischen Rußland gewesen. Aber dies
147
ist durch Hitler verspielt worden. Ich verstehe nicht, wieso Du mit
dem Spürsinn für Wirklichkeiten daran vorbeigehst. Es wird also
neben der helvetischen Schweiz und Österreich eine Fränkische
Schweiz und eine Sächsische Schweiz geben. Wozu die großen Aufre
gungen, Nationalbewußtsein, Wiedervereinigung usw. usw? Du weißt
doch so gut wie ich, daß das alles Chimären geworden sind. Auch ich
will ein Stück Wirklichkeit. Träume nach rückwärts sind ebenso leer
wie Träume nach vorwärts. Dies Kunststück, Traum mit rückwärts
mit Traum nach vorwärts zu verbinden, hat sich im jüdischen Köpf
chen abgespielt, kann vielleicht religiös legitimiert werden, ist uns
aber auch nicht so wohl bekommen.
Viel noch hätte ich hinzuzufugen, aber ich will es auf das nächste Mal
in München verschieben und Dir nur noch danksagen für den Abend,
und daß Du Marcel Hepp ins Haus gebracht hast. Selbstverständlich
hat er nicht die Arbeit seines Bruders mir geschickt, und jetzt bin ich
bereits am Absprung nach den Vereinigten Staaten. Ich komme
Anfang November zurück. Solltest Du, Marcel Hepp oder sein Bru
der nach Berlin kommen, so meldet Euch. In einigen Wochen sende
ich Dir ein kleines Overbeck-Bändchen als Gegengabe. Du siehst, die
Baseler haben es mir angetan. Sieh Dir mal Overbecks Briefe an
Treitschke an. Ein Stück Treitschke steckt in Dir. Overbeck hat ja
auch sein Leben lang ihm die Freundschaft gehalten, obwohl ...
Herzlich Jacob
[.maschinenschriftlich :] Jacob Taubes
148
Overbeck-Bändchen] Franz Overbeck: Selbstbekenntnisse. Mit einer Einleitung
von Jacob Taubes, Frankfurt am Main: Insel 1966 (Sammlung insei 21).
( Kerbecks Briefe an Treitschke] vgl. Carl Albrecht Bernoulli: Franz Overbeck und
Friedrich Nietzsche. Eine Freundschaft. Nach ungedruckten Dokumenten und im
Zusammenhang mit der bisherigen Forschung dargestellt, Bd. 1, Jena: Eugen Die-
derichs 1908, S. 16.
die Arbeit seines Bruders] Bei der erwähnten Arbeit dürfte es sich um die bei Hans-
Imichim Schoeps angefertigte Dissertation Robert Hepps oder Teile daraus handeln, vgl.
ders.: Politische Theologie und theologische Politik. Studien zur Säkularisierung
iles Protestantismus im Weltkrieg und in der Weimarer Republik, Erlangen-Nürn
berg, Phil-Fak., Diss. v. 4.1.1968. - Robert Hepp (geb. 1938), Soziologe un d Publizist
der Neuen Rechten, nach Studium der Geschichte u nd Politischen Wissenschaften Pro
motion 1967 an der Univ. Erlangen, 1966-1977 Lehre an der Univ. des Saarlandes
und der Univ. Salzburg, 1977-1994 Prof, fü r Soziologie an der Univ. Osnabrück,
1995-2006 Prof, fü r Soziologie an der Univ Vechta, 2006 Emeritierung.
Hans-Dietrich Sander
Buttermelcherstr. 19
8000 München 5
7. November 1977
Lieber Herr Taubes,
in Sachen Schmitt habe ich am Wochenende einen Teilerfolg erzielen
können, nach dem es mir nun an der Zeit ist, dass Sie sich selbst mit
ihm in Verbindung setzen. Seine Anschrift: Pasel 11 c, 5970 Pletten
berg 2.
Er zeigte sich in seiner Antwort von Ihrem Vorschlag so fasziniert,
dass er schrieb, die Aussicht, von Leo Strauss noch etwas zum Thema
Spinoza zu erfahren, könnte ihn noch im Nachen Charons zu einem
Rückblick bewegen. Ein solches Gespräch hätte er sich seit Jahrzehn
ten gewünscht, aber „weder bei Christen, noch bei Juden, noch bei
Humanisten“ einen Partner finden können. Allerdings quäle ihn
„angesichts des Todes der Gedanke, noch einen solchen Partner zu
finden, weil es besser wäre, kein Gespräch darüber zu fuhren als ein
misslungenes versucht zu haben.“
149
Ich bitte Sie, Ihren ganzen geistigen Charme aufzuwenden, um diese
ehrenhaften Skrupel zu zerstreuen. Es wäre dabei auch nützlich, wenn
Sie ihm versicherten, dass ich selbst dabei keinen Schaden nehmen
werde.
Die Chancen stehen recht günstig. Nicht zuletzt deswegen, weil 1976
bei Rutgers University Press G. Schwabs Uebersetzung „The Concept
of the Political“ zusammen mit der damaligen Rezension von Leo
Strauss erschien.
Doch auch ohne einen „Rückblick“ wäre der Neuabdruck der Spino
za-Interpretation von 1938 (vielleicht zusammen mit dem Brief von
Rudolf Smend zu diesem Ihema) ein geistesgeschichtliches Ereignis
von unabsehbarer Tragweite. Man würde an die Zeitschrift fortan
allerhöchste Erwartungen knüpfen. Es ist freilich, und ich darf es
wohl sagen, weil ich auch nicht ohne Mut bin: tollkühn ...
Man müsste, um einen verständlichen Zusammenhang zu wahren,
aus dem „Leviathan“ von Carl Schmitt das ganze 3. Kapitel abdru-
cken, in dem die Spinoza-Interpretation steht. Es sind im Buch, das
einen kleinen Satzspiegel hat, 20 Seiten. In Ihrer Zeitschrift vermut
lich nur 8 Seiten. Es stehen darin auch die zitierten Sätze in dem
Gesprächsangebot, das C. Schmitt 1946 an Karl Mannheim richtete,
ohne ihn erreichen zu können (Ex captivitate salus, S. 21).
Es könnte mit diesem Vorhaben etwas nachgeholt werden, zu dem es
wegen des penetranten Philosemitismus in der BRD bis heute nicht
gekommen ist —trotz mancher, wiewohl recht vereinzelter Anstösse
von jüdischer Seite (z.B. Kurt Blumenfeld, Im Kampf um d[en] Zio
nismus - Briefe aus fünf Jahrzehnten, Deutsche Verlags-Anstalt Stutt
gart, 1976, S. 168 und 287).
Gestatten Sie, dass ich schon abbreche. Ich bin noch ganz berauscht,
von den Perspektiven, die Sie eröffnen wollen.
Herzliche Grüsse
Ihr Hans Dietrich Sander
Schwabs Uebersetzung (...) Rezension von Leo Strauss erschien] Carl Schmitt:
The Concept of the Political ( wie B rief 2, Anm.). - Leo Strauss: .Anmerkungen zu
Carl Schmitt .Der Begriff des Politischen“' (wie B rief I3A, Anm.) erschien unter dem
Titel „Comments on Carl Schmitts Der Begriff des Politischen“, ebd., S. 81-105
(wie B rief 2, Anm.).
150
Brief von Rudolf Smend zu diesem Thema] d er nicht erhaltene B rief Smends, a u f
den dieser in seinem Schreiben an Schmitt v. 10. Ju li 1938 hinweist, vgl. Reinhard
Mehring (Hg.): Briefwechsel Carl Schmitt - Rudolf Smend 1921-1961 (wie B rief
(t. Anm.), S. 99-100, hier: S. 99 und Anm. 333.
Kurt Blumenfeld, Im Kampf um d[en] Zionismus (...) S. 168 und 287] Kurt Blu-
menlcld: Im Kampf um den Zionismus. Briefe aus fünf Jahrzehnten, hg. v. Miriam
S.tmtmrsky und Jochanan Ginat, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1976, S. 168
und 287.
39 TAUBES AN MÖHLER
BERLIN, 2.3.1978
2.3.1978
1.¡eher Armin,
e ben erst in meiner Wohnung gelandet und finde Deine weil von Wut
(allez[?]) aber auch Schmerz (was auch mich schmerzt) geschriebene
Notiz vor.
Zur revolutionären Gestik und Herbert M. lässt sich einiges sagen.
Aber das bleibt einem Gespräch Vorbehalten. Aber was ich wirklich
nicht verdränge ist eine öffentliche W , wo ich vor Studenten angestif
tet von meiner Ex Frau Anna Paucker ad Armin Möhler gefragt wurde
und öffentlich geantwortet habe, warum les extrêmes se touchent und
warum radikales Denken, an die Wurzel gehend, mit [dem] rechts /
links Schema nicht dargestellt werden kann. Ich schlug vor [die] Ein
teilung bürgerkriegfs-] und postbürgerkriegs-Denken dessen Ursprung
Dir nicht ganz unbekannt sein kann. Daran erinnere ich mich und
auch andere die dabei waren. Deshalb nenne Ross und Reiter. Viel
leicht hat er es missverstanden vielleicht [habe] ich mich riskant aus
gedrückt usw. Also um Verdrängung im gängigen Sinne handelt es
sich nicht.
Dass Du zur Verteidigung der alten Professoren dich aufschwingst,
aber Armin! Die waren nicht heiss noch kalt, sondern laue Brüder —
ein Gedanke, jeder, bei ihnen so selten, wie ... Das hast Du nicht
nötig, auch als Stilfragendirektor. W ir sind von verschiedensten Posi
tionen angetreten um die Archäologie unseres Bewusstseins zu treiben
und nicht, auch über Faschismus nicht, uns mit den durchschnittli
chen Antworten der Herren “Sontheimer” aus dem juste milieu zu
151
begnügen. Das ist doch Fundament genug in einer Zeit wo alles
wankt. Rechtschaffenheit auch in Philologicis.
Herzlich Jacob
152
60 TAUBES AN KONRAD M ÜLLER/W ERNER-REIM ERS-
STIFTUN G
BERLIN, 30.5.1978
An die Werner-Reimers-Stiftung
Am Wingertsberg 4
(>380 Bad Homburg
153
habe, sind Aussagen eines Turisten über eine rechtstheoretisch und
rechtspraktisch sich aufdrängende, systematische Struktur-Verwandt
schaft von theologischen und juristischen Begriffen.
Diese aufschlussreiche und begrenzende Selbstaussage lässt kaum
ahnen, dass der Sprengstoff seines Themas weit über das Gebiet der
Jurisprudenz gewirkt hat. Walter Benjamins Trauerspiel-buch ist, wie
Walter Benjamin in einem von den Herausgebern der Briefe Benja
mins unterdrückten Briefe (Dezember 1930) an Carl Schmitt schreibt,
zutiefst von der Problematik Politische Theologie bestimmt. Benja
min lässt seine “kunstphilosophische Anschauung” mit Carl Schmitts
“staatsphilosophischer Anschauung” Übereinkommen. Benjamins
“Geschichtsphilosophische Thesen” sind ein durchgehender Dialog
und - im Zeitalter des Faschismus - [eine] eingehende Kritik der
Metaphorik und Grundvokabeln der Politischen Theologie der Zwan
ziger Jahre: Messianische Theorie der Revolution vs “Katechontische”
Theorie der Gegenrevolution.
Der Theologe und Kirchenhistoriker Erik Peterson hat Carl Schmitts
Thesen in verschiedenen Anläufen zuerst positiv gewürdigt, dann
1935 einer eingehenden Kritik unterworfen, auf die Carl Schmitt erst
1970 in Politische Theologie II zurückkam. Die letzte Position Erik
Petersons wird von Hans Maier in der 60-er Jahren aufgegriffen als das
Thema Politische Theologie sich zu einem Programm “linker” Polit-
theologen gemausert hatte.
Wer sich die Mühe macht, die gegenwärtig diskutierten Entwürfe
Politischer Theologie zu überprüfen, wird enttäuscht einen Verfall der
Reflexion und Amnesie der ursprünglichen Problemstellung feststel
len müssen. Es ist deshalb ein vornehmliches Ziel der sich konstituie
renden Forschungsgruppe erst die Bedingungen der Möglichkeit her
steilen zu können, das Terrain zu bestimmen darin das Problem
Politische Theologie wissenschaftstheoretisch legitim verhandelbar
wird und nicht zum Spielball wechselnder Ideologien wird.
Das Thema Politische Theologie erfordert eine besondere Abstim
mung der Aufgaben und und “Gesprächsrollen” der Teilnehmer. Des
halb bitten wir Sie, sehr verehrter Herr Professor Müller, noch in die
sem Semester einen Termin anzuberaumen, an dem Herr Kriele und
ich sowie von jüngeren prospektiven Teilnehmern Herr Dr. H. D.
Sander (München) und Dr. R. Faber (Hannover) uns zu einem vorbe
reitenden Gespräch treffen können, um die Tagung, die für M ai / Tuni
154
1979 geplant ist, gründlich vorzubereiten und den Rundbrief an die
prospektiven M itglieder des Colloquiums zu entwerfen und zu billi-
gen.
(Die Forschungsgruppe “Hermeneutik und Politische Theorie” hat
interimistisch mich zum “Verbindungsoffizier” zur Stiftung “erkoren”,
ein Amt, das ich nach der vorbereitenden Sitzung gerne abgebe: Tau
bes). W ir wären Ihnen verbunden, wenn wir bald auf einen Zwischen
bericht (Adresse Taubes) hoffen dürften und verbleiben mit Dank für
Ihre Mühe im Voraus
Kfiele
Jacob Taubes
Pannenberg
O. Marquard
I lerr Professor Müller] Konrad M üller (1912-1979), nach dem Studium der Rechts
wissenschaft in M arburg un d Güttingen Promotion bei R udolf Smend m it dem Thema
„Staatsgrenzen u nd evangelische Kirchengrenzen“, danach Tätigkeit im niedersächsi
schen Staatsdienst, von 1959 an als Staatssekretär im Kultusministerium, nach vor
zeitiger Versetzung in den Ruhestand im Vorstand der Werner-Reimers-Stiftung in Bad
Homburg v. d. Höhe un d Honorarprofessorfü r Bildungspolitik an der Univ. Hannover.
Kolloquium der Forschungsgruppe] Die Resultate und Diskussionen des neunten
Treffen der Forschungsgruppe erschienen in dem Band Text und Applikation. Theo
loge, Jurisprudenz und Literaturwissenschaft im hermeneutischen Gespräch, hg.
v. Manfred Fuhrmann, Hans Robert Jauß u. Wolfhart Pannenberg, München /
Paderborn: Fink 1981 (Poetik & Hermeneutik IX); JTs Beitrag wurde veröffentlicht
unter dem Titel Von Fall zu Fall. Erkenntnistheoretische Reflexion zur Geschichte
des Sündenfalls, ebd., S. 111-116.
Marquard] Odo M arquard (geb. 1928), Philosoph, 1954 Promotion an der Univ.
Ereiburg, 1955-1963 Assistent bei Joachim Ritter an der Univ. Münster, 1963 Habili
tation ebendort, 1964-1965 Privatdozent in Münster, 1965-1993 Prof, an der Univ.
Gießen.
Pannenberg] Wolfhart Pannenberg (geb. 1928), protest. Theologe, 1954 Promotion an
der Univ. Heidelberg, 1955 Habilitation ebendort, 1958-1961 Prof, fü r systematische
Theologie an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal, 1961-1968 Prof, an der Univ.
Mainz, 1968-1994 Prof, an der Univ. M ünchen, Aufbau des Instituts fü r Fundamen
taltheologie und Ökumene an der dortigen Theologischen Fakultät.
Alle prägnanten Begriffe (...) von Carl Schmitt zuerst 1922 ausgesprochen wor
den] Carl Schmitt: Politische Theologie (w ie B rief 4, Anm.), S. 37 (Kap. III: Politi
sche Theologie), im O riginal ohne Hervorhebung.
was ich zu dem Thema politische Theologie (...) juristischen Begriffen] Carl
Schmitt: Politische Theologie II (wie B rief 7B, Anm.), S. 101, Anm.
155
Walter Benjamins Trauerspiel-buch (...) von der Problematik Politische Theolo
gie bestimmt] vgl. dazu un d zu den folgenden Ausführungen JTs B riefen tw u rf an CSch
vom Ju li 1970 (vgl. B rief 4, Anm.)
Erik Peterson hat Carl Schmitts Thesen (...) Kritik unterworfen] vgl. B rief8, Anm.
von Hans M aier (...) aufgegrififen] vgl. B rief 8, Anm.
O. Marquard] danach fo lg t eine Beilage: Höchst vorläufige Liste projektiver Teil
nehmer am Colloquium: Politische Theologie, d ie geplante Teilnehmer verzeich
net, u nd zwar: Juristen: / Kriele (Köln) / Böckenförde (Freiburg) / Barion (Bonn)
/ Klaus Kröger (Giessen) / Theologen: / S. Moltmann (Tübingen) / S. B. Metz
(Bielefeld) / W. Pannenberg (München) / T. Koch (Regensburg) / K. M. Kodalle
(Regensburg) / Politologen: / Hans Maier (München) / N. Lobkowicz (München)
/ Historiker: / R. Koselleck (Bielefeld) / E. Nolte (Berlin) / Philosophieprofessoren:
Marquard (Giessen) / Gründer ( Bochum) / Lübbe (Zürich) / Jüngere Teilnehmer
(= noch nicht „Professoren“) / R. Faber (Hannover)* / H. D. Sander (München)**
/ Spaemann (München)
*) Dissertation: Die Verkündigung Vergils - Reich, Kirche, Staat - zur Kritik der
politischen Theologie, [Hildesheim:] Olms 1976. Habilitation: „Abendland“ als
Kampfbegriff
**) Marxistische Ideologie und allgemeine Kunsttheorie (Mohr Siebeck Tübingen
1973 2 [recte: 1975])
Der Staat
Zeitschrift für Staatslehre, Öffentliches Recht und
Verfassungsgeschichte
1000 Berlin 41 (Steglitz)
156
( )|> Petersons Pfeil ein parthischer Pfeil oder ein Freundespfeil war,
vermag ich selbst nicht zu sagen —dazu bin ich zu sehr schlichter
Jurist. M ir scheint aber, daß Ihre Argumente viel fair sich haben, und
sicher wird Carl Schmitt darüber still für sich sehr nachdenken.
Ihre Aufnahme des Begriffes Theo-zoologie für die Rassenbarbarei der
Nazis halte ich für sehr treffend. Auch ich frage mich - als Katholik - ,
warum dies die Kirche nicht hat aufhorchen und schreien lassen -
selbst ein so mutiger Christ wie Kardinal von Galen hat sich ja der
Judenpolitik der Nazis gegenüber verschwiegen. Auch der christliche
und katholische Antijudaismus, der aus der Gegenüberstellung Jude
Christ lebt, hätte eigentlich nicht verkennen dürfen, was mit der
Rassenideologie am Werke war. Aber gerade er war wohl, durch seine
Fingesponnenheit in Theologumena, insoweit blind geworden.
Was den zweiten Teil Ihres Briefes —Hobbes und die Unterscheidung
von ecclesiatical and civil (geistlich und weltlich) —betrifft, kann ich
Urnen nur zustimmen. Ebenso stimme ich Ihnen bei, daß die Unter
scheidung von außen und innen nicht erst von Spinoza erfunden wur
de, sondern ihren eigentlichen Grund im christlichen Glauben und
dem sich aus ihm ergebenden Weltverhältnis hat. Ich bin daher wegen
Ihrer Rezensionsabhandlung zur politischen Theologie für den STAAT
gar nicht bange, sondern vielmehr maßlos gespannt. Der katechonti
sche Index des Staates ist durchaus etwas, das im STAAT diskutiert
werden kann und sollte. Wiewohl ich nicht zu den Liquidatoren des
Staates als politischer Ordnungsform gehöre, weil ich ihn für eine
enorme politische Kulturleistung halte, ist er für mich andererseits eine
Einrichtung für Zwecke, die einen konkreten Anfang hat und daher
auch ein Ende haben wird. Ein Katechon kann der neuzeitliche Staat
wohl nicht sein, weil er aus seiner Entstehungssituation heraus auf die
Neutralitätserklärung gegenüber der religiösen Wahrheit festgelegt ist.
Um nun auch noch zum Technischen zu kommen: Der Schindler-
Band ist für Sie nach Paris bestellt, aber der Auftrag ist nicht sogleich
nach unserem Gespräch abgegangen, so daß er Sie erst in den nächs
ten Tagen erreichen wird. Ich bestelle Ihnen noch das neue Buch des
Theologen Metz, Glaube in Geschichte und Gesellschaft, in dem der
Begriff politische Theologie für etwas in Anspruch genommen wird,
das mit der klassischen politischen Theologie, wenn ich recht sehe,
wenig oder gar nichts zu tun hat. Aber auch das muß ja einmal klar
und fundiert gesagt werden. Flinweisen möchte ich noch auf die
157
Arbeiten von Klaus M. Kodalle, Politik als Macht und Mythos. Carl
Schmitts ’’Politische Theologie“, Stuttgart 1973 und die Abhandlung
von Hans Maier, Zur Kritik der politischen Theologie, Einsiedeln
1970. Schließlich ist noch U. Dannemann, Theologie und Politik im
Denken Karl Barths, Grünewald / Kaiser Verlag zu nennen - falls Sie
sie mit berücksichtigen wollen, bestelle ich gern ein Rezensionsexem
plar. Wenn mir sonst noch etwas zu Gesicht kommt, das für das The
ma relevant sein könnte, werde ich an Sie denken.
M it großem Interesse habe ich dem Brief an C.S. entnommen, daß
Sie eine Vorlesung Hobbes —Spinoza vorbereiten. Falls dabei ein Auf
satz abfallen könnte, der sich thematisch für den STAAT eignet - also
etwa die Problematik von Schmitts Leviathanbuch aufnimmt, möchte
ich mein Interesse für den STAAT sogleich anmelden; 1979 ist ja ein
Hobbes-Jubiläumsjahr (300. Todestag), und wir wollen da für den
Alten von Malmesbury etwas tun.
Soviel für heute. Einen kleinen Versuch zum Problem innen - außen
mit aktuellem Bezug schicke ich mit gesonderter Post.
M it freundlichen Grüßen bin ich
Ihr E. W. Böckenförde
für Ihren freundlichen Brief vom 20. September] liegt nicht vor
Ihres Briefes an Carl Schmitt vom 18. September] vgl. B rief 15
Petersons Pfeil ein parthischer Pfeil] vgl. B rief 15 sowie Anm.
Ihre Aufnahme des Begriffes Theo-zoologie] vgl. B rief 15 sowie Anm.
Kardinal von Galen] Clemens Augustinus G raf von Galen (1878-1946), kath. Geistli
cher, wurde 1933 zum B ischof und 1946zum Kardinal von Münster ernannt, setzte sich
nach 1933 gegen Rassenlehre, Verletzung kirchlicher Rechte und 1937fü r die Verbreitung
des päpstlichen Rundschreibens über die Falschlehren des Nationalsozialismus ein.
Rezensionsabhandlung (...) ftir den STAAT] vgl. B rief 30, Anm.
Der Schindler-Band] Alfred Schindler (Hg.): Monotheismus als politisches Pro
blem (wie B rief 15, Anm.)
Metz (...) mit der klassischen politischen Theologie, wenn ich recht sehe, wenig
oder gar nichts zu tun hat] Vgl. Johann Baptist Metz: Glaube in Geschichte und
Gesellschaft (B rief 8, Anm.), S. XI, wo es ohne N ennung von CSch oder Leo Strauss
heißt-. Die Ausarbeitung dieser praktischen Fundamentaltheologie geschieht als kri
tische Fortbildung des Ansatzes einer neuen politischen Theologie. Diese war nie -
wie etwa die klassische „politische Theologie“, auf die man die neue gern festgelegt
hätte, um sie zu ruinieren, ehe sie sich entfaltet hatte - von der Intention geleitet,
anderweitig bereits in Kraft gesetzte oder propagierte Politik religiös zu überhöhen
und deren Handlungsmuster einfach theologisch zu kopieren.
158
Klaus M. Kodalle, Politik] Klaus Michael Kodalle: Politik als Macht und Mythos.
Carl Schmitts "Politische Theologie“, Stuttgart: Kohlhammer 1973.
Hans Maier, Zur Kritik] Hans Maier: Kritik der Politischen Theologie (w ie B rief
8, Anm.)
1lannemann, Theologie und Politik] Ulrich Dannemann: Theologie und Politik
im Denken Karl Barths, München: Grünewald / Kaiser Verlag 1977.
eine Vorlesung Hobbes —Spinoza] Die im B rief an CSch vom 13. März 1978
erwähnte, fü r das Sommersemester 1978 angekündigte Vorlesung (vgl. B rief 13A,
Anm.), sie wurde von J T abgesagt (vgl. B rief 14, Anm.) un d schließlich fü r das Winter
semester 1978/79 erneut angekündigt (vgl. B r ief 15, Anm.).
Schmitts Leviathanbuch] Carl Schmitt: Der Leviathan (w ie B rief 6, Anm.)
eine Copie seiner höchst vorläufigen Antwort] B rief von CSch an J T vom 12. Okto
ber 1978, vgl. B rief 16
Wolfgang Fietkau Schwanengesang auf 1848] Wolfgang Fietkau: Schwanengesang
( wie B rief 17, Anm.)
159
63 ERNST-WOLFGANG BÖCKENFÖRDE AN TAUBES
FREIBURG, 20. OKT. 1978
Albert-Ludwigs-Universität
Institut für Öffentliches Recht
7800 Freiburg i. Br.
den 20. Okt. 1978
Sehr verehrter Herr Taubes,
nun habe ich Ihnen gleich für drei Briefe und eine Karte zu danken:
die Briefe vom 6., 9. und 16. Oktober und die Karte vom 18. Okto
ber. Leider kann ich nicht in gleicher Weise antworten, sondern muß
mich heute auf kurze Angaben beschränken, weil 85 Examensklausu-
ren und eine noch nicht ausgearbeitete Vorlesung vor mir hegen.
Ihre Anregung, Herrn Glotz den Reuchlin-Vortrag zu schicken, hatte
ich gleich ausgeführt, und zwar mit dem (vor allem in den Fußnoten
erweiterten) Druckexemplar, das nun bei Duncker & Humblot
erschienen ist. Aus Ihrer Karte entnehme ich, daß die Sache den
Adressaten (im doppelten Sinn) erreicht hat.
Vielen herzlichen Dank für Ihre Hinweise zur Literatur über Marx
und die Judenfrage und Ihre Gedanken zur katechon-Dimension des
(positiv) neutralen Staates. Gerade auf letzteres möchte ich, wenn die
Zeit es zuläßt, gerne zurückkommen. Ich halte die Frage nicht nur für
theologisch-wissenschaftlich interessant, sondern auch für die innere
Einstellung des katholischen Christentums zum modernen Staat von
zentraler Bedeutung.
Der Brief Carl Schmitts ist der Zwischenbescheid eines 90-jährigen
und m.E. ein sicheres Indiz dafür, daß er Ihren Brief im Kern positiv,
vielleicht als echte Infragestellung seiner Position, aufgenommen hat.
Andernfalls hätten Sie ein höfliches, aber kurzes Bestätigungs-und
Dankschreiben erhalten. Eine weitere Antwort wird allerdings eine
Zeitlang auf sich warten lassen, wenn sie überhaupt als schriftliche
zustandekommt.
Vielen Dank auch für Ihre Anfrage wegen eines Sammelbandes von
Aufsätzen Barions. Bemühungen darum habe ich seit einigen Jahren
unternommen, bisher leider ohne Erfolg, weil katholisch-theologisch
ausgerichtete Verlage nicht heranwollen, Herr Broermann (Duncker
& Humblot) die Sache aber für seinen Verlag für zu theologisch hält
160
(was vertretbar ist). Ein Sammelband in stw hätte natürlich eine
besondere Pointe, würde die Schultheologie und Kanonistik auch
zwingen, sich endlich mit Barions Position auseinanderzusetzen (sie
führt diese Auseinandersetzung bislang durch Verschweigen). Falls
Suhrkamp geneigt ist, hätte ich einen Vorschlag für den Inhalt auf
grund der vorangegangenen Bemühungen schnell parat. Allerdings
darf er keinen Umsatzrenner erwarten, sondern müßte bereit sein,
diesen Band von anderen mit durchziehen zu lassen.
Die von Ihnen angegebenen Bücher zur politischen Theologie werde
ich bei den Verlagen für Sie bestellen. Ich hoffe, daß Sie sie erhalten.
Für heute bin ich mit freundlichen Grüßen
Ihr gez. E.-W. Böckenförde (nach Diktat abwesend)
Briefe vom 6., 9. und 16. Oktober (...) Karte vom 18. Oktober] vgl. B rief 62 (16.
Oktober 1962), alle anderen Schreiben liegen nicht vor
Reuchlin-Vortrag (...) erschienen ist] bei dem erwähnten Druckexemplar handelt es
sich um Ernst-Wolfgang Böckenförde: Der Staat als sittlicher Staat, Berlin: Duncker
& Humblot 1978 (Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie,
Politik und Geistesgeschichte 14); d ie Vortragsfassung erschien später unter dem Titel
„Der Staat als sittlicher Staat. Vortrag bei der Entgegennahme des Reuchlin-Preises
der Stadt Pforzheim 1978 am 22. April 1978“, in: Sitzungsberichte der Heidelber
ger Akademie Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse 18,
Supplemente, Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter 2007, S. 164-183.
Marx und die Judenfrage] Karl Marx: „Zur Judenfrage“ (1844), in: ders. / Friedrich
Engels: Werke, Bd. 1, Berlin: Dietz Verlag 1970, S. 347-377.
Der Brief Carl Schmitts] Gemeint ist CSchs kurzes Schreiben vom 12. Oktober 1978
(vgl. B rief 16), m it dem dieser JTs ausführlichen B rief vom 18. September 1978 (vgl.
B rief 15) beantwortete.
Herr Broermann (Duncker & Humblot)] Johannes Broermann (1897-1984), Verle
ger, 1923 Promotion in Staatswissenschaften an der Univ. Münster, 1938-1984 Eigen
tüm er des Duncker dr H umblot Verlages; Broermann verlegte m it der Übernahme des
Verlages dessen Sitz von M ünchen zurück nach Berlin.
stw] suhrkamp taschenbuch Wissenschaft
161
64 TAUBES AN ERNST-WOLFGANG BÖCKENFÖRDE
BERLIN, 23.11.1978
23.11.1978
Verehrter Herr Böckenförde
Könnten Sie auch mich (plus Peter Glotz) mit [dem] Text Ihres FAZ
aufsatzes bedenken (Ist er “gekürzt” erschienen? Ich bezweifle es). Bei
C.S. 1) Ihren Reuchlin text gelesen, höchst aufregend, erbitte mir
Exemplar, 2) dass Sie u. Hennis ein C.S.-Seminar geben. Könnten Sie
mich da mit Protokollen bedenken, wie ich Ihnen auch Protokolle der
Weisen der Gelfertstrasse über C.S. u. W.B. übersende(n werde).
Herzlich grüßt Sie Ihr
J.T .
162
65 WOLFGANG FIETKAU AN TAUBES
ESSEN, 30.11.1978
Universität Essen
( ¡esamthochschule
l'B 3 Literatur- und Sprachwissenschaften
Essen, den 30.11. [19] 78
1.ieber Herr Taubes,
hoffentlich habe ich die beiden Bände, die ich inzwischen photoko
piert habe, Ihnen nicht über die Zeit vorenthalten. Schmitts Hamlet-
I lekuba Buch ist eine großartige Sache. Was diese Untersuchung mit
dem „Ursprung des dt. Trauerspiels“ verbindet, ist, über die themati
sche Verwandtschaft hinaus, der Versuch, den „Wahrheitsgehalt“ aus
dem „Sachgehalt“ zu erschließen, nicht umgekehrt. Angesichts dieser
fast Hölderlinisch pragmatischen Nüchternheit ist Gadamers schwam
mige Replik wahrhaft reaktionär: eine der vielen Strategien sozialer
Neutralisierung, die dem Produkt zuschreibt, was erst der ästhetische
Konsum, sprich: eine bestimmte Art schöngeistiges Kauderwelsch auf
dem Seminar-„Spiel“-Platz zustande bringt. M it ganz ähnlichen Argu
menten ist er übrigens vor einiger Zeit in der Neuen Züricher gegen
Szondis Celan-Studien, insbesondere die Rosa Luxemburg-These in
der Analyse von „Eden“ angetreten. (Wenn Sies interessiert kann ich
Ihnen den Artikel besorgen.)
Was den Besuch (eigentlich müßte ich ja sagen: die mir von C. S.
gewährte Audienz) in Plettenberg angeht, weiß ich mich sehr in Ihrer
Schuld. Daß wir bei dieser Gelegenheit unsere intellektuellen Fäden
wieder ein bißchen knüpfen können, empfinde ich als einen glückli
chen „Einbruch der Zeit“ in die akademische Isolierung, in der ich
mich hier befinde. Da, wie ich hoffe, mir am 15. 12. kein Dvoretzky
als Satanas incarnatus im Nacken sitzt, werde ich mich bemühen,
coram publico einen gescheiten Eindruck zu hinterlassen, würde es
aber fast vorziehen, mich zu meiner eigenen Opuskel eher indirekt zu
äußern. (Es steht ja sozusagen alles drin.) Vielleicht fallen mir bis
dahin noch ein paar gute Thesen zum Thema Ihrer Veranstaltung ein,
an denen man die Sache aufhängen kann.
Obwohl mein Berlin-Heimweh mich jedesmal am stärksten packt,
wenn ich wieder „da“ bin, merke ich doch, wie gut es mir getan hat,
163
das Wespennest ein paar Jahre lang verlassen zu haben. Von den
Genossen Filz und Schimmelpilz wollen wir nicht reden. Sie wachsen
und gedeihen nicht nur in Berlin-W. Verglichen mit einer bestimmten
Art vergifteter FU-Rapiere aber nehmen sich meine derzeitigen Esse
ner Querelen eher aus wie Kirmes-Raufhändel.
Bis bald,
sehr herzlich
Ihr WF
164
66 ERNST-WOLFGANG BÖCKENFÖRDE AN TAUBES
FREIBURG, 23.1.1979
Albert-Ludwigs-Universität
Institut für Öffentliches Recht
7800 Freiburg i. Br.
den 23.Jan.1979
Sehr verehrter, lieber Herr Taubes,
inzwischen liegt auch - etwas verspätet —das schriftliche Protokoll der
2. Sitzung des Carl-Schmitt-Seminars vor, in dem der Staatsbegriff bei
Carl Schmitt behandelt wurde. Ich füge es Ihnen bei.
Bei der Vorbereitung meiner Vorlesung ’’Geschichte der Rechts- und
Staatsphilosophie“ bin ich auf Thesen zu Hobbes gestoßen, die Sie
sicher interessieren werden, weil sie sich —schon 1966 —von der herr
schenden mechanistisch-rationalistischen Interpretation absetzen:
Kurt Schilling, Geschichte der sozialen Ideen, Stuttgart 1966 (Krö-
ner), S. 277 ff. Es würde mich interessieren, was Sie zu diesem Inter
pretationsansatz, der mir durchaus plausibel erscheinen mag, meinen.
Mit freundlichen Grüßen
ihr gez. E.-W. Böckenförde (nach Diktat abwesend)
165
67 TAUBES AN ERNST-WOLFGANG BÖCKENFÖRDE
BERLIN, 7.2.1979
Jacob Taubes
Werner-Reimers-Stiftung
Am Wingertsberg 4
D-6380 Bad Homburg v. d. H.
Tel.: (06172) 24058 / 24059
7.2.1979
Verehrter und lieber Herr Böckenförde
dies die erste “Frucht” unserer (brieflichen) Worte. W ir denken an Sie
in Sparte IV, wo H D Sander ein “Hauptreferat” vorbereitet, Sie
ergänzend daraus einen Stiefel machen können. Selbstverständlich
wären wir glücklich wenn Sie mit eigenem Vorschlag an uns herantre
ten. Aber ich ahne Ihre Lasten (auch Hamburg Ende 1979) und stelle
mich resigniert auf [einen] (erweiterbaren) Diskussionsbeitrag ein.
In re Rezension, insbesondere aber Hobbes Colloquium unter Signa
tur und dem Imprimatur Glotz, das “Der sterbliche Gott —Drei hun
dert Jahre nach Hobbes” heissen soll, nach Ende eines schweren
Semesters.
Herzlich grüsst Sie Ihr
Jacob Taubes
166
r.X TAUBES AN SCHM ITT/PETER GLOTZ
BERLIN, 14.6.1979
heranzutreten.
Warum bin ich so insistent? Ich meine, daß, nachdem soviel über die
Organisationsformen der Universität in der Öffentlichkeit diskutiert
wurde, nachdem Sie nicht nur geographisch mit dem Humboldt-Schloß
in Tegel in Verbindung gebracht wurden (es gibt noch viele “nachdems”,
die ich mir erspare), es nun Zeit ist, einige Brückenköpfe zu bauen, die
es einer Intelligentsia der Bundesrepublik erlauben, sich in dem viel dis
kutierten Berlin der FU zu treffen. Ich spreche nicht nur für mich, aber
will es an meinem eigenen Fach exemplarisch darstellen: Ich halte es für
unmoralisch, Berlin als subventionierte Toteninsel der Unseligen zu
betrachten, von der man so oft wie möglich wegschwirrt, um mit Kolle
gen in Frankfurt, Bad Homburg, Starnberg oder Paris Kontakt aufzu
nehmen. Das kann sich nur ändern, wenn wir Möglichkeiten erkunden,
einige kleine Gruppen von Mal zu Mal nach Berlin zu rufen.
300 Jahre nach Thomas Hobbes ist in der Tat ein Augenblick, um sich
neu zu orientieren. Ich würde das Colloquium, das wir anvisieren,
unter den Obertitel: “Orientierungen” stellen, ein Titel, der offen
genug ist, verschiedene Problembereiche zu umfassen, und auch ver
schiedenen Graden von Problembewußtsein Raum geben kann.
167
Im beiliegenden Memorandum skizziere ich im rohesten Umriß die
Möglichkeit einer solchen Tagung und nenne auf einem separaten
Blatt einige Namen, die in Erwägung gezogen werden sollen.
Zur Finanzierung des Projekts: Ob nicht [das] Aspen-Institut mit her
angezogen werden könnte? Vielleicht läßt sich Thyssen ansprechen?
Vielleicht aber sollte der Senat dieses Experiment selbst finanzieren,
um dann, wenn es gelingt, mit größerer Legitimation an andere Insti
tutionen herantreten zu können.
Ich setzte voraus, daß das Projekt Sie interessieren könnte. Wenn es
Sie interessiert, setze ich weiterhin voraus, daß Sie, mindestens teil
weise, mit von der Partie sind und nicht nur Segenssprüche am Anfang
oder am Ende beten.
M it freundlichen Grüßen
Ihr Jacob Taubes
P.S. Die Namensliste stelle ich erst nach Gespräch mit Glotz her.
auf dass Sie Einblick gewinnen in unsere Sorgen / herzlich Ihr / J.T.] hs., an CSch
adressierter Zusatz von J T
Ruf: Durchwahl 8382107 ] darunter von CS notiert: erhalten Mo 18/6/79. a u f dem
Rand, schw er entzifferbar, teilweise Stenogramm: 18/6/79 / Meine / Antwort: Lieber
Jacob Taubes [x] Europa [xxx] Memorandum 14/6/79! Benissimo! [x] F. C. Hood:
(Staat 1964) - CSchs Verweis aufY. C. Hood: (Staat 1964) bezieht sich a u f seinen
A uf atz „Die vollendete Reformation.“ (vgl. B rief7A, Anm. 2), in dem er sich a u f den
S. 51-54 kritisch m it F. C. Hood: The Divine Politics of Thomas Hobbes. An Inter
pretation of Leviathan, London: Oxford University Press 1964 auseinandersetzt.
P.S. Die Namensliste (...) mit Glotz her.] hs. Zusatz von J T a u f der K
168
69 TAUBES AN ERNST-WOLFGANG BÖCKENFÖRDE
BERLIN, 9.8.1979
vertraulich
9.8.1979
I,ieber Herr Böckenförde
aufgehoben ist nicht aufgeschoben. Senator Glotz lädt für 11. /
13.4.1980 zu “Der sterbliche Gott ...” ein. Sie erhalten einen beson
deren, sehr schönen Brief, so auch Koselleck u. Christian Meier. Ihr
Büchlein ist Sprungbrett für den Rundbrief von Glotz. Die Post geht
nach [dem] 5.9. nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub ab.
Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, stimmt auch für meine Schulden
an den “Staat”.
Übrigens nächste Woche in Bad Homburg sende ich [einen] “Hirten
brief” ad Politische Theologie III ,raus wie CS unser Bad Homburger
Colloquium zu nennen beliebt.
Viel wäre zu berichten, aber wir sind Sklaven nicht Herren der Uni
versität.
Ihr Jacob Taubes
Ihr Büchlein] Ernst-Wolfgang Böckenförde: Der Staat als sittlicher Staat (wie B rief
63, Anm.)
Rundbrief von Glotz] B riefan Ernst-Wolfgang Böckenförde v. 14. Sept. 1979.
ad Politische Theologie III (...) zu nennen beliebt] Diese inoffizielle, an den Titel
von CSchs Politische Theologie II angelehnte Bezeichnung des Colloquiums stammte
von Wolfgang Hübener, vgl. B rief 3 7 Anm.
169
70 TAUBES AN ERNST-WOLFGANG BÖCKENFÖRDE
BAD HOMBURG, 15.8.1979
Jacob Taubes
Werner-Reimers-Stiftung Am Wingertsberg 4
D-6380 Bad Homburg v. d. H.
Tel.: (06172) 24058 / 24059
15. August 1979
Lieber Herr Böckenförde,
anbei das zweite Zirkular in re Politische Theologie III, wie ein geist
reicher Historiker unser Unternehmen nennt. Allein schon, auf dass
ich meinen Beitrag an den “Staat” hinkriege! Meine “Leviathan”-Kol-
legen in Berlin werden mich dann offiziell mit dem linken Bann bele
gen.
Ich weiss, dass Sie zögern - aber ich bitte Sie den Reimerstermin als
“Probelauf” für uns, Koselleck, Kriele, Sie und mich, fürs Orientie
rungsgespräch Glotz im April (11./13.) anzusehen. Ich deutete Ihnen
schon an, dass anfangs September der Glotzbrief Sie erreicht (vertrau
lich). Warten Sie also [den] Glotzbrief ab und bedenken Sie das Hom-
burger-Colloquium im Geiste des kommenden Orientierungsgesprä
ches.
Ich bin über [die] Reimers Stiftung auch in den “Ferien” zu erreichen,
die mich zu den jüdischen Hohen Feiertagen 20.9./6.10. nach Jerusa
lem führen.
Freundlich grüsst Sie Ihr
Jacob Taubes
170
7 1 SIEGFRIED UNSELD AN SC H M IT T
FRANKFURT A M M AIN , 15.8.1979
Suhrkamp Verlag
am 15. August 1979
171
am 15. August 1979] darunter von CSch notiert: beantwortet] 20. Aug. 1979 dane
ben Pfeil, der a u f die Rückseite des Blattes weist, wo CSch in Gabelsberger Stenogramm
einen E ntwurf zu seinem Antwortschreiben aufgezeichnet hat
„Hamlet oder Hekuba (...) Spiel“] Carl Schmitt: Hamlet oder Hekuba ( wie B rief
4, Anm.)
daß Sie Addenda zu diesem Buch geschrieben haben] Genaues konnte nicht erm it
telt werden. Es können d ie zahlreichen, 5 Bl. umfassenden Eintragungen gem ein t sein,
die CSch in einem seiner Handexemplare von Hamlet oder Hekuba vornahm (RW
265-24327), sie erstrecken sich über das Vorsatz- u nd Titelbl. sowie die Zwischenbl.;
CSch hat bei diesem Exemplar zudem ein hs. beschriftetes Titeletikett a u f d ie Rück
seite des Schutzumschlags geklebt und den Band vom Ende her m it 2 weiteren Bl. hs.
Aufzeichnungen versehen. J T könnte allerdings auch an ein e Publikation von CSchs
Vorwort sowie dessen Hinweis für den deutschen Leser in Lilian Winstanley: Hamlet
Sohn der Maria Stuart, aus dem Englischen übersetzt von Anima Schmitt, Pfullin
gen: Günther Neske o.J. [1952], S. 7-25 u. 164-170 als Anhang zur geplanten Neu
ausgabe von Hamlet oder Hekuka gedacht haben.
Karlheinz Bohrer] Karlheinz Bohrer (geb. 1932), Literaturwissenschaftler u nd Lite
raturkritiker, 1961 Promotion in Germanistik an der Univ. Heidelberg, 1968-1974
Literaturkritiker un d verantwortlicher Redakteur des Literaturblattes der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung, 1978 Habilitation an d er Univ. Bielefeld, 1982-1997 Prof, fü r
Neuere deutsche Literaturgeschichte an der Univ. Bielefeld, 1997 emeritiert, 1984-
2011 Herausgeber der Zeitschrift Merkur.
Werner-Reimers-Stiftung Am Wingertsberg 4
Forschungsgruppe: Politische Theorie D-6380 Bad Homburg v.d.H.
und Hermeneutik TEL.: (06172) 240 58/240 59
Federführend: Martin Kriele 16. August 1979
Jacob Taubes Sa.
Liebe Kollegen,
ein hektisches Berliner Sommersemester ist Ende Juli 1979 zu Ende
gegangen, so daß ich erst jetzt dazu komme, Ihnen über die Fort
schritte und Planungen zum Projekt “Politische Theorie und Herme
neutik” zu berichten. Unser Arbeitstitel: “Politische Theologie als her-
meneutisches Problem” hat einen Kollegen, der einen hohen Sinn für
172
I',cistesgeschichtliche Zusammenhänge entwickelt hat, zur Formel:
“Politische Theologie III” verleitet. Das mag als Kritik des Projekts
gelten, aber auch als Ansporn jenen von Carl Schmitt geschriebenen
zwei Teilen - einen zeitgemäßen Appendix zu liefern.
Frfreulich war das Echo der zuerst angeschriebenen Kollegen, so daß
ich Ihnen heute eine Liste der Teilnehmer sowie Umrisse des Pro
gramms beilegen kann. Martin Kriele und ich waren interessiert und
sind bemüht, dies Colloquium nicht einsinnig zu orientieren und
gcgenstrebigen Intentionen [ein] Ohr zu leihen. Wenn ich die Ant
worten bis dato in eine (höchst vorläufige) Ordnung bringe, so erge
hen sich folgende Themenkreise zu den Interpretationsprinzipien
einer Politischen Theologie:
a) Lübbe (Zürich) wird die Auseinandersetzungen um die Erneuerung
der Flagge “Politische Theologie” in der Gegenwart analysieren, Frese
(Bielefeld) das ursprüngliche Programm der Politischen Theologie
Carl Schmitts mit benachbarten Ansätzen vergleichen bzw. kontras
tieren.
b) Von den Juristen und Historikern in unserem Kreis: Böckenförde
(Freiburg), Kriele (Köln), Kröger (Gießen) und Koselleck (Bielefeld)
erwarten wir einen Vergleich juristischer und theologischer Begriffe
auf dem Gebiet der Politischen Theologie. Wobei die Kontroverse
Hans Blumenberg/Carl Schmitt um die “Legitimität” der Neuzeit
(ein hoch juristisch-politischer Begriff) beachtet werden soll.
c) Die geschichtsphilosophische Funktion politischer Theologie kann
in vielfacher Weise angegangen werden. Von Carl Schmitt her ist
Donoso Cortes “in gesamteuropäischer Interpretation” vorgeführt
worden. Sein dänischer Bruder Sören Kierkegaard ist alles andere als
unpolitisch in seinem theologischen Dezisionismus. Auch hier wäre
im Blick auf 1848 eine gesamteuropäische Interpretation fällig. Kodal-
le (Hamburg) hat dieses Thema übernommen.
d) Der Rekurs auf die vorchristliche Antike ist nicht ein Geschäft
antiquarischen Charakters, sondern impliziert aktuell eine Kritik
jeder theistisch orientierten politischen Theologie. Im “Pluralismus
der Werte” tauchen polytheistische Tönungen schon bei Max Weber
auf. Marquard (Gießen) und Meier (Bochum) sind hier zuständig.
Von Max Weber her will/soll Tenbruck (Tübingen) den Wissen-
schafts(aber)glauben der Gegenwart (Comte und seine Folgen!) ana
lysieren.
173
e) Ein besonderes Kapitel stellt das Verhältnis Walter Benjamin/Carl
Schmitt dar: W. B. als Leser von C. S. und C. S. als Leser von W B.
Darüber werden Fietkau (Essen) und H. D. Sander (München) unter
sehr verschiedenen Gesichtspunkten sich äußern.
f) “Politische Theologie als Christologie” bringt uns aktuell zu einer
Untersuchung der politischen Funktion der Dialektischen 'Theologie
seit dem 1. Weltkrieg. Schellong (Paderborn) und Pannenberg (Mün
chen) wären hier zuständig. Die Kontroverse Peterson/Schmitt wird
vornehmlich Schindler (TLeidelberg) in geistesgeschichtliche Perspek
tive bringen, wobei Cancik (Tübingen) “Augustin als konstantini-
schen Theologen” provokativ zum Thema macht, um die sichere
Rückzugsstrategie Petersons auf Augustin zu erschüttern. Faber (Ber
lin) wird ihn “ideologiekritisch” sekundieren.
g) Keine polittheologische Diskussion kann an den zwei Brennpunk
ten christlicher Geschichts“philosophie” vorbei: Röm 13 und die Leh
re vom “Katechon”. Berger (Heidelberg) soll uns das Rüstzeug zum
Verständnis dieser Brennpunkte liefern und uns in ihre Interpretati
onsgeschichte einführen. Das Gespenst der Gnosis geht um als polit
theologische Interpretationswaffe zur Kritik der Neuzeit: Voegelin
und seine Schule haben ausgiebig dieses Arsenal benutzt, Blumenberg
hat dagegen die Legitimität der Neuzeit gerade darin verteidigt, daß es
ihr gelang, die Anfrage der Gnosis zu überwinden. Was hat es mit
Gnosis im Verhältnis zum christlichen Kirchentum auf sich? Welche
Erkenntnischance liegt eigentlich in der Übertragung der Konstellati
on: Spätantike Gnosis auf das Zeitalter der Moderne? - Ein Thema für
Koschorke (Heidelberg) und Taubes (Berlin).
h) Erstaunlich, daß in Carl Schmitts “Politische Theologie” wenig
oder fast nichts zum Pantheismus als politischem Problem gesagt
wird. Gebannt vom Entweder/Oder zwischen Theismus und Atheis
mus bleibt bei Carl Schmitt Genesis und Geschichte jener “Religion
der Gebildeten” des 19. und 20. Jahrhunderts unterbelichtet. In die
Politik der mittelalterlichen Philosophie und Mystik könnte Hübener
(Berlin) einiges Licht tragen. Pantheismus und Republikanismus wäre
eine gute Formel für Schleiermacher und seine Folgen, ein Thema, das
Spiegel (Frankfurt) bearbeitet. Der Spinoza-Kult und seine Funktion
für die “Religion der Gebildeten” im 19. Jahrhundert - das Thema für
Timm (Heidelberg) und Gründer (Berlin).
174
Ich habe nur vorläufig das Gelände abgetastet im Blick auf die einge-
troffenen Responsa und bitte die angesprochenen Autoren den Andeu
tungen Kontur zu geben. Im beiliegenden Memorandum unterrichte
ich Sie über das technische Procedere des Colloquiums.
Frau Söntgen teilt Ihnen auf separatem Blatt die genauen Daten des
Colloquiums mit. Ich wünsche Ihnen gute Erholung - auch zur
Arbeit für “Politische Theologie III”.
Ihr Jacob Taubes
hat einen Kollegen (...) Formel: “Politische Theologie III”] vgl. B rief37, Anm.
die Kontroverse (...) um die “Legitimität” der Neuzeit] Blumenberg hatte in seinem
Buch Die Legitimität der Neuzeit (wie B r ief 16, Anm.), S. 17-26 u. 57-61 die Gül
tigkeit der Kategorie der Säkularisierung fü r die Entwicklung zur Neuzeit bestritten;
er hatte dabei ausdrücklich a u f den Leitsatz aus Carl Schmitt: Politische Theologie
(w ie B rief 16, Anm.), S. 25 hingewiesen: Alle prägnanten Begriffe der modernem
Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe. CSch replizierte im Nachwort
zu seiner Politischen Theologie II (wie B rief 7A, Anm.), S. 109-126, woraufhin Blu
m enberg seine Kritik erneuerte und differenzierte in ders.: Säkularisierung und Selbst
behauptung, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1974, S. 103-120. Die Kontroverse
wurde während der fa h re 1971 un d 1978 auch brieflich ausgetragen, vgl. Blumen-
berg/Schmitt, S. 103-158.
Donoso Cortes “in gesamteuropäischer Interpretation”] w ie B rief 1, Anm.
“Pluralismus der Werte” (...) Max Weber] Nicht wörtlich, aber der Sache nach vgl.
Max Weber: „Vom inneren Beruf zur Wissenschaft“, in: ders.: Soziologie —Welt
geschichtliche Analysen - Politik, hg. u. erl. v. Johannes Winckelmann, Stuttgart:
Kröner 1956 (Kröners Taschenausgaben, Bd. 229), S. 311-339, hier: S. 328, bei
Weber ist von Polytheismus d ie Rede, wenn es darum geht, dass die verschiedenen
Wertordnungen der Welt in unlöslichem Kampf untereinander stehen. Der alte
John Stuart M ill [...] sagt einmal: wenn man von der reinen Erfahrung ausgehe,
komme man zum Polytheismus; eine ähnliche Formulierung fin d et sich in dem Auf
satz Zwischen zwei Gesetzen, in: ders.: Gesammelte politische Schriften, neu hg. v.
Johannes Winckelmann, 2„ erw. Aufl., Tübingen: Mohr 1958, S. 139-142, hier:
S. 142.
Kontroverse Peterson/Schmitt] vgl. B rief 8 sowie Anm.
Rom 13 und die Lehre vom “Katechon”] vgl. Briefe 14, 15, Anm. sowie 45, Anm.
175
73 SC H M IT T AN SIEGFRIED UNSELD
PLETTENBERG, 20.8.1979
Walter Benjamin als »Bindeglied«] vgl. Siegfried Unselds B rief an CSch (vgl. B rief71)
das ganze Problem Lilian W instanley (...) Artikel Georg Hensel] Vgl. Georg
Hensel: „Beim Zerhacken von Knoten. Hamlet zwischen Wissenschaft und Bühne“,
in: Frankfurter Allgemeine. Zeitung für Deutschland, Nr. 179 v. 19.8.1978, Bei
lage Bilder und Zeiten, S. 4: Sobald man sich in eine Hamlet-Interpretation ein
liest, werden die anderen ziemlich unwahrscheinlich. Wer könnte, hat er mit John
Erskine Hankins „Zeitgeschichtliches in ,Hamlet““ [in: W illi Erzgräber (Hg.): Ham
let-Interpretationen, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1977 (Wege
der Forschung, Bd. 214), S. 168-190] studiert, noch daran zweifeln, daß sich für
Shakespeares Zeitgenossen Hamlet den gleichen Problemen gegenübersah wie die
englische Königin Elisabeth? Daß, beispielsweise, Hamlets Zögern, Claudius zu
töten, dem Zögern der Königin entspricht, Maria Stuart hinrichten zu lassen. Daß
es, rundheraus gesagt, auch im „Hamlet“ um die Entscheidung ging, ob England
katholisch oder protestantisch sein sollte. Hankins benutzt, kritisiert und setzt die
176
Forschungen von Lilian Winstanley fort, die unter dem Titel „Hamlet, Sohn der
Maria Stuart“ 1952 deutsch erschienen und von Carl Schmitt (in den „Hamlet-
Interpretationen“ nicht erwähnten) Schrift „Hamlet oder Hekuba“ 1956 scharfsin
nig erweitert worden ist: die Tragödie „Hamlet“ als die Erhebung einer einmaligen
geschichtlichen Wirklichkeit, jenseits aller subjektiven Empfindungen, zum Mythos.
Docui, sed frustra] lat., ich habe gelehrt, aber vergebens; vgl. auch B rief 15, Anm.
Ihr Carl Schmitt] im stenografischen E ntwurf danach als Anlage verzeichnet: „Was
habe ich getan“; vgl. B rief 21B, Anm.
Jacob Taubes
Werner-Reimers-Stiftung
Am Wingertsberg 4
D-6380 Bad Homburg v. d. H.
Tel.: (06172) 24058 / 24059
8.10.1979
Linda Reisch] Linda Reisch (geh. 1950), Studium der Allgemeinen und Vergleichenden
Literaturwissenschaft bei Peter Szondi an der FU Berlin, danach im Berliner Senat fü r
Wissenschaft und Forschung tätig.
177
Krockow] Christian G raf von Krockow (1927-2002), Politikwissenschaftler und
Historiker, 1955 Promotion an der Univ. Göttingen, 1961-1963 Prof, ftir Politikwis
senschaft ebenda sowie an den Univ. Saarbrücken un d Frankfurt am Main, 1970-1973
Gründungsprof. an der Univ. Oldenburg.
Theunissen] M ichael Theunissen (geb. 1932), Philosoph, 1955 Promotion an der
Univ. Freiburg, 1964 Habilitation an der Univ. Berlin, 1967-1971 Prof, fu r Philo
sophie an der Univ. Bern, 1971-1980 an der Univ. Heidelberg, 1980-1998 Lehrstuhl
ftir theoretische Philosophie an der FU Berlin, J T setzte sich fu r die vom Wissenschafts
senator Peter Glotz betriebene spektakuläre Berufung Theunissens zusammen m it Ernst
Tugendhat und Lorenz Krüger ein, vgl. B rief 26, Anm.
Thesenpapier (...) Problemstellung fur Berlin] J T versuchte, Böckenförde fü r einen
Vortrag zum Politische Theologie III genannten Colloquium in Berlin zu gewinnen.
Werner-Reimers-Stiftung Am Wingertsberg 4
Forschungsgruppe: D-6380 Bad Homburg v.d.H.
Politische Theorie und Hermeneutik TEL.: (06172) 240 58/240 59
Federführend: Martin Kriele 10. Oktober 1979
Jacob Taubes 36.81/Sa.
Liebe Kollegen,
im letzten Rundbrief vom 16. August 1979 habe ich das Gelände zu
vermessen gesucht, in dem sich eine hermeneutische Aufklärung des
Problems “Politische Theologie” bewegen könnte. Ich habe damals
einige Themenkreise angezeigt, wie sie sich aus den noch vorläufigen
Antworten ergeben haben.
Wenn ich den Ertrag der inzwischen eingegangenen Antworten son
diere, so ergibt sich eine Straffung der Problemstellung für das erste
Colloquium, wo eine Kerngruppe entscheiden müßte, ob es wissen
schaftlich und organisatorisch lohnt, das Unternehmen weiterzufüh
ren.
I: Politische Theologie als Diagnose der Gegenwart
I.a) Akzentuiert werden soll eine philosophiegeschichtliche Diagnose
der Reprise der “Politischen Theologie” in der Gegenwart. Kriele
178
(Köln), Lübbe (Zürich) und Maurer (Berlin) leiten den Prozess dieser
diagnostischen Aufklärung des Problems ein.
b) Das Programm einer Politischen Theologie ist in den zwanziger
Jahren von Carl Schmitt formuliert worden. Es antwortete in
bestimmter Weise auf eine challenge der Epoche. Im Colloquium
geht es darum, den epochalen Index dieses Programms (im Vergleich
mit verwandten oder gegenstrebigen Ansätzen) genauer zu bestim
men. Frese (Bielefeld) wird diese Thematik einleiten. Fietkau (Essen)
und H. D. Sander (München) das (auch als Gegner) intime Verhältnis
der politheologischen Reflexion Walter Benjamins zum Programm
Carl Schmitts untersuchen. Taubes (Berlin) den “Theokratie”-begriff
bei Ernst Bloch und Walter Benjamin anvisieren. Schellong (Pader
born) wird das Problem der politischen Funktion der Dialektischen
Theologie seit Ende des I. Weltkrieges bis 1933 (Ende auch der für die
erste Phase der Dialektischen Theologie signifikanten Zeitschrift
“Zwischen den Zeiten”) untersuchen.
Der erste diagnostische Teil des Colloquiums soll in einem zweiten
Teil historisch untermauert werden. Denn das Programm der Politi
schen Theologie wurde Aug in Aug mit bestimmten Konstellationen
christlicher Geschichte exponiert.
II: Zur Genesis und Geschichte der Politischen Theologie
Berger (Heidelberg) wird die klassischen neutestamentlichen Topoi
jeder polittheologischen Reflexion exponieren. Die Kontroverse Erik
Peterson/Carl Schmitt, die 1970 Carl Schmitts Politische Theologie II
evozierte, wird von Schindler (einst Heidelberg, jetzt Bern) und zwei
er seiner Heidelberger Mitarbeiter Fellechner und Scholz vorgestellt
werden. Cancik (Tübingen) und Faber (Berlin) wollen mit dem The
ma “Augustin als Vertreter der konstantinischen Theologie” sowohl
historisch als auch ideologiekritisch eine Problemstellung formulie
ren, die die bekannten Abwehrstrategien und Rückzugsmanöver auf
eine pristine, vor keiner polittheologischen Nuance tingierten christ
lichen Theologie in Frage stellt.
III: Perspektiven und Alternativen
a) In der Perspektive Carl Schmitts scheint uns Genesis und Geschich
te jener “Religion der Gebildeten” (um einen Ausdruck von E. Tro-
eltsch zu übernehmen), die die Sensibilität der Moderne gegen alle
theokratische Aspiration schärft, unterbelichtet. Neben Ernst Tro-
eltsch scheint nur der Leipziger Historiker Johannes Kühn in einem
179
heute (fast) vergessenen Werk: Toleranz und Offenbarung, eine Unter
suchung der Motive und Motivformen der Toleranz im offenbarungs-
gläubigen Protestantismus, Leipzig 1923, einen “Versuch zur neueren
Religions- und Geistesgeschichte” unternommen zu haben, der auch
heute noch unser Thema angeht. In diese dunkle Vorgeschichte sollen
Hübener (Berlin) und Gründer (Berlin) einiges Licht in die Geschich
te des mittelalterlichen und protestantischen Spiritualismus (im Blick
aufs pro und contra der Religion der Gebildeten) bringen; Meyer
(Zürich) soll Fragmente zu einer Religionsgeschichte der Romantik
liefern, Spiegel (Frankfurt) das Problem “Pantheismus und Republika
nismus” anvisieren, darin sich die Frage nach Schleiermacher und sei
nen Folgen verbirgt und Timm (Heidelberg) die katalytische Funktion
des Spinoza-Kultes für die Religion der Gebildeten des 19. und 20.
Jahrhunderts beleuchten. Comte und seine Folgen für Wissenschaft als
neue Religionsform seit dem 19. Jahrhundert wird Tenbruck (Tübin
gen) thematisieren. In dieser Perspektive erscheint Kierkegaards theo
logischer Dezisionismus alles andere als unpolitisch. Kodalle (Ham
burg) wird Kierkegaards polittheologische Implikate erörtern, die in
Opposition zur vorherrschenden “Religion der Gebildeten” stehen,
b) Ein Rekurs auf die vorchristliche Antike ist in diesem Zusammen
hang kein Geschäft antiquarischen Charakters, sondern impliziert
eine folgenreiche These: indem die die Geschichte post Christum
natum zu Ende geht, gewinnen vorchristliche Problemstellungen an
“Aktualität” als Kritik jeder christlich orientierten politischen Theolo
gie. Im “Pluralismus der Werte” tauchen schon bei Max Weber poly
theistische Tönungen auf. Die Tödlichkeit der absoluten Ansprüche
in religiös und ideologisch besetzten Weltbürgerkriegen lassen den
Polytheismus als alternative Option neu in Erscheinung treten. Meier
(Bochum) und Marquard (Giessen) werden das Thema eines “aufge
klärten Polytheismus” historisch und diagnostisch behandeln, womit
Ende und Anfang des Colloquiums sich verknüpfen.
Indem die Forschungsgruppe (Kriele, Marquard, Pannenberg, Tau
bes) dem Letztgenannten die Vorbereitung überliessen (im mehrfa
chen Sinn des Wortes), konnten selbstverständlich Akzentuierungen,
vielleicht sogar Einseitigkeiten kaum vermieden werden, obwohl ich
mich bemüht habe, gegenstrebigen Tendenzen in solch einem kontro
versen, auch wissenschaftlich kontroversen Bereich zu Worte kom
men zu lassen.
180
Ausgegrenzt wurde das Gnosis-problem, weil es nicht nur am Rande
abgehandelt werden kann. Aufgeschoben aber ist nicht aufgehoben.
Sollte die Forschungsgruppe sich entschliessen, ihre Arbeit fortzuset
zen, so stünde diese Problemstellung hoch auf der Tagesordnung.
Unterbelichtet bleibt auch der juristische Aspekt des Problems, nicht
nur weil ich juristisch “unmusikalisch” bin, sondern weil von juristi
scher Seite die Signale nicht deutlich genug ankamen. Auch da bliebe
künftigen Tagungen noch ein weites Feld offen.
76 SIEGFRIED UNSELD AN SC H M IT T
FRANKFURT AM M AIN , 14.11.1979
SV Suhrkamp Verlag
am 14. November 1979
181
gedacht, Sie würden noch einmal darauf zurückkommen in der Frage,
wer diese Ausgabe einleiten könnte. Dürfte ich Sie bitten, darauf noch
einmal einzugehen?
M it freundlichen Grüßen
Ihr
Dr. Siegfried Unseld
am 14. November 1979] darüber von CSch notiert: erh[alten] 16/11/79 in der fo l
genden Zeile: beantwortet] 12/2/80
als „erste, spontane Reaktion“ erklärt] vgl. B rief 73
Dr. Siegfried Unseld] darunter notierte CSch den E ntwurf seiner Antwort an Unseld
Herrn Senator
Dr. Peter Glotz
Bredtschneiderstr. 5
1000 Berlin 19
Lieber Herr Schmitt, Unseld hat sich bei mir “entschuldigt”. Ich plä
diere für Fietkau. Anbei Zeugnis meiner Nebentätigkeiten. Ihr J.T.
182
Sehr geehrter Herr Senator,
lieber Herr Glotz,
erst jetzt, nachdem das Semester in Gang gekommen ist und eine Rei
mers-Tagung über Max Weber vorbei ist, nachdem insbesondere mein
Tübinger Vortrag über “Theokratie und Utopie” stattgefunden hat,
komme ich dazu, eine Skizze für das Colloquium “Der sterbliche Gott
- 300 Jahre nach Thomas Hobbes” (11. bis 13. April 1980) zu entwer
fen. Ich tue dies unter einigen Vorbehalten, von denen ich den wich
tigsten gleich an den Anfang stelle. Es handelt sich um einen höchst
vorläufigen Versuch, das Feld der Diskussion abzustecken. Dieser Ver
such verlangt Kritik und Korrektur durch gemeinsame Diskussion.
Auf keinen Fall sind Senator und Präsident auf die skizzierte Problem
stellung einzuschwören. Ich bitte Sie, sehr geehrter Herr Senator, die
sen Vorbehalt in Ihrer Einladung ausdrücklich zu nennen.
Hobbes ist durch den “Leviathan” berühmt und berüchtigt geworden.
Für das summarische und durchschnittliche Bewußtsein der moder
nen Intelligentsia, vielleicht sogar in der Erinnerung aller Gebildeten
unserer Epoche, gilt er als “Prophet des Leviathan”. Sogar der nüchter
ne Hegel, wenn er in seiner “Geschichte der Philosophie” auf Hobbes
zu sprechen kommt, nennt den Leviathan “ein sehr verrufenes Werk”.
Wenn ich das Thema von Thomas Hobbes in einem Satz zusammen
fassen soll, so kommt mir seine eigene Formel vom “Leviathan” als
sterblichem Gott in den Sinn. “Der sterbliche Gott” ist die provo
kanteste Formel des Thomas Hobbes für den “Leviathan”: “This is the
generation of that great Leviathan, or rather, to speak more reverently,
of that mortal god. to which we owe under the immortal God. our
peace and defence” (ch. 17). Vom Leviathan heißt es im Buche Hiob
Kapitel 41, Vers 24: Keine Macht auf Erden kann mit ihm verglichen
werden. Diesen Satz hat Hobbes zum Motto des Werkes erhoben. Am
Ende seines Lebens, als Hobbes die Geschichte des englischen Bürger
kriegs beschrieb, ist er noch einmal auf dieses Hiob-Kapitel zurückge
kommen. “Leviathan” und “Behemoth” sind die Brennpunkte seiner
Ellipse. Der Leviathan ist das einzige Korrektiv des Behemoth. Der
Staat ist das eine Ungetüm, die Revolution das andere.
Man muß sich von den Zwängen unserer Gegenwart befreien und
den Fallstricken polit-theoretischer Schablonen: absolutistisch, totali
tär, faschistisch, liberal usw. entgehen, also man muß alle vorschnellen
Aktualisierungen meiden, um zur Intention von Thomas Hobbes vor
183
stoßen zu können. Es schiene mir verwegen, auch nur in rohestem
Umriß ein System seiner Lehre rekonstruieren zu wollen. Die Versu
che der philosophischen Schriftgelehrten, den Gedanken von Hobbes
systematisch darzustellen, schrecken. Sie sind strittig untereinander
und jeder Versuch zur Synthese oder Konkordanz der gegenstrebigen
Meinungen kann als gescheitert angesehen werden. Ich halte mich an
Rousseau, der einmal mit hoher Absicht Hobbes “un auteur chrétien”
(contrat social IV, 8) nennt. Christlich ist seine Lehre vom Naturzu
stand, die ich eher als Lehre vom Naturstand des Menschen bezeich
nen würde. Als solcher ist er mehr in der christlichen Theologie als in
der politischen Philosophie daheim. Der Naturstand (state of nature)
wurde in theologischer Perspektive vom Gnadenstand (state of grâce)
unterschieden. Hobbes säkularisiert die fundamentalen Theologume-
na des Christentums.
Wenn Hobbes die Entstehung des Staates als Transfiguration des Men
schen vom natürlichen gnadenlosen Schöpfungstand zum bürgerli
chen “Gnaden’stand, der Prieden und Sicherheit verbürgt, beschreibt,
so geschieht dies in der Perspektive auf jenen “Caesar mit der Seele
Christi”, von dem Nietzsche in einem seiner illuminierten Augenbli
cke sprach. Der Naturstand des Menschen spiegelt den universalen
Bürgerkrieg: Naturrecht steht gegen Naturrecht, folglich Rechtssub
jekt gegen Rechtssubjekt, Wolf-Mensch gegen Wolf-Mensch. Indem
diese Wolf-Menschen sich dem “Leviathan” unterwerfen, geschieht die
Menschwerdung des Menschen. Die Menschwerdung des Menschen
geschieht unter der Signatur des “sterblichen Gottes”, dem Leviathan.
In der Fluchtlinie dieser Perspektive werden mir einige Umrisse seiner
Lehre deutlicher. Was Hobbes beschreibt, ist die Menschwerdung des
Menschen angesichts des erscheinenden “sterblichen Gottes” Levia
than, der Aug in Aug mit der Menschwerdung Gottes in Christus steht,
durch den christlich die Menschwerdung des Menschen sich vollzieht.
Dies war (und ist) ein philosophischer und theologischer Brocken, den
die bürgerliche Gesellschaft so nicht schlucken konnte. Sie schluckte
diesen Brocken, als er ihr von Hegel “auf Raten” geliefert wurde. Denn
nichts anderes als die Menschwerdung des Menschen Aug in Aug mit
der Menschwerdung Gottes beschreibt Hegel, auf Epochen verteilt, in
fast biedermeierlicher Gemütlichkeit in seinen Vorlesungen zur
“Rechtsphilosophie”. In dieser fast gemütlichen Form einer Geschichts
philosophie ist die provokante Lehre von Thomas Hobbes in Hegels
184
Programm vom Weltgeist als “Gang Gottes in der Welt” und vom Staat
als “erscheinendem Gott” eingegangen und hat mit Marx und Lenin
den Siegeszug durch Orient und Okzident angetreten.
Man kann natürlich in moralischer und religiöser Indignation Titel
und Programm von Hobbes ablehnen. Freilich von seinem Problem
läßt sich sagen: tarnen usque recurret. Die Erfahrungen des konfessio
nellen Bürgerkrieges sind unter den veränderten Bedingungen unseres
Jahrhunderts wieder aktuell geworden. In den Konstellationen der
konfessionellen Bürgerkriege erkennen wir unsere Epoche als Zeital
ter des ideologischen Weltbürgerkriegs wieder. Hobbes hat das 17.
Jahrhundert bewußt und denkend erlebt. Die Parteispaltungen des
konfessionellen Bürgerkriegs, denen er sich durch ein langes Leben
hindurch zu entziehen versuchte, waren gefährlich genug, ihn zu
bedrohen. Die meisten seiner Zeitgenossen waren vom Geist des Bür
gerkriegs angesteckt und sind an ihm zerbrochen.
Er gehört zu den ganz wenigen, die es verstanden, die Parteiungen von
innen und außen zugleich zu sehen. Deshalb konnte er eine Entschei
dung für das eine oder andere Regime hinausschieben bis sein Geist
sich geformt und seine Gedanken sich zum Werke verdichtet hatten.
Ich habe den tiefsinnigen und hinterlistigen Satz von Hobbes für
unsere “Orientierung” an den Anfang gestellt, weil er just in seiner
leicht ironischen Formulierung jene Fragen zusammenfaßt, die auch
heute noch das medusische Antlitz des “sterblichen Gottes” Staat
bestimmen. Wir, die wir an der Schwelle einer “nach-staatlichen Aera”
stehen, können vielleicht größere Gerechtigkeit einem freien Geist
wie Hobbes gegenüber walten lassen, wenn er aus den Schrecknissen
seiner Zeit zu dem Entweder-Oder gelangt: entweder Staat oder Bar
barei. W ir sind gezwungen zu fragen, wie das Humane im anrollen
den Zeitalter des Caesarismus gewahrt bleiben kann. Auf diese Frage
möchte ich in unserer “Orientierung” hinsteuern. So allgemein gestellt
ist sie zu vage. Deshalb erlaube ich mir, sie in drei folgende Fragen auf
zuschlüsseln:
I. Der Staat und die indirekten Gewalten: Leo Strauß hat 1930 schon
in seinem Werk “Die Religionskritik Spinozas” festgehalten, daß der
Kampf gegen das von der römischen Papstkirche erstrebte “Reich der
Finsternis”, also der Kampf gegen die indirekten Gewalten der eigent
liche Sinn der politischen Theorie von Hobbes ist. Das Problem der
“potestas indirecta” stellt sich heute in neuer Form. Das Problem ist
185
heute noch verwickelter, denn die Grenzen zwischen direkter und
indirekter Gewalt werden immer undeutlicher. Angesichts der
schrumpfenden staatlichen Souveränität, in Anbetracht der internati
onalen wirtschaftlichen Verflechtungen, die das staatliche Gewaltmo
nopol schwächen, lauert die Fragestellung von Hobbes uns auf. Über
nationale Interessenträger üben nicht nur indirekte, sondern auch
direkte Gewalt aus. Ist damit nicht der Kampf von Hobbes gegen die
“potestas indirecta” in verschärfter Weise gestellt?
2. Der Staat und der Caesarismus: Seit dem epochemachenden Buch
“Land und Herrschaft” von Otto Brunner wissen wir, daß der moder
ne Staat sich langsam aus den ganz un-staatlich strukturierten Herr-
Schaftsbeziehungen und Lebensordnungen des Mittelalters herausge
bildet hat. Wenn die Form des Staates historisch bedingt ist, also einen
datierbaren Anfang hat, dann gewinnt die Perspektive an Evidenz,
daß die Form des Staates auch ein Ende hat. Diese Perspektive
bestimmt im 19. Jahrhundert die Prognosen von Marx und Engels.
Selten war eine Formel so wirksam wie die marxistische Prognose: der
Staat “stirbt ab”. Selten aber wurde auch gefragt: was folgt auf die
Ordnungsform des Staates?
Pierre Naville, der einst Andre Breton dahin belehrte, daß die surrea
listische Revolte Phrase bleibt, wenn sie sich nicht in den Zusammen
hang der kommunistischen Revolution stellt, hat in den 70er Jahren
in einem monumentalen Werk die Geschichte der sozialistischen The
orie und deren Institutionen unter den Titel “Le nouveau Léviathan”
gestellt. In den Diskussionen und Kämpfen um die ökologische Frage
taucht für nachdenkliche Geister das Gespenst von Hobbes am Hori
zont auf. Denn wie lassen sich die berechtigten Anliegen des ökologi
schen Protests anders angehen als durch eine zentralisierte Staatsge
walt? Die Spannung zwischen zentralisierten Entscheidungen
einerseits und Bürgerinitiativen andererseits, die die Funktion des
Staates negieren, sind die Brennpunkte der Ellipse, um die unser Pro
blem heute sich dreht.
3. “Der neue Leviathan” und die Menschenrechte —vertauschte Fron
ten. Einigen von uns klingt noch im Ohr: “die Internationale erkämpft
das Menschenrecht”. Diese Schlußzeile des marxistischen “Eine feste
Burg ist unser Gott” bezieht sich, wenigstens in der deutschen Fas
sung des Lieds, zurück auf die Menschenrechtserklärung der Franzö
sischen Revolution. Die Päpste des 19. Jahrhunderts haben in der Tat
186
diesen “roten Faden” im Gewebe des modernen Bewußtseins ent
deckt, herausgehoben und unter finsterste Anklage gestellt. Ist es nicht
verwirrend für ein einfaches Menschenkind, dessen Bewußtsein bis
hin zur Französischen Revolution reicht, zu bemerken, daß heute ein
Papst in Polen aufs “Menschenrecht” pocht, während die Mitglieder
des polnischen ZK, die, wenn sie singen, die “Internationale” singen,
auf den Mund geschlagen sind? W ie ist dieser Wandel im Bewußtsein
zu erklären, wie kam es zu den vertauschten Fronten?
Ist es nur politische Taktik, daß gerade jetzt das Problem der Men
schenrechte auf die Tagesordnung der Öffentlichkeit kommt? Welche
Perspektiven eröffnen sich dadurch, daß eine autoritär organisierte
universale Kirche heute im Namen der Menschenrechte caesaristische
Regimes kritisiert? Schlägt das Thema Menschenrechte nicht auf die
Kirche selbst zurück? W ie kam es zu den vertauschten Fronten? Sind
die Fronten wirklich vertauscht?
Ich habe, sehr geehrter Herr Senator, nur einige Fragen skizziert, wie
sie sich mir aus der Problemstellung: Hobbes —heute ergeben. Ich
hoffe, ich brauche nicht betonen, daß ich kein philosophischer Exeget
des 17. Jahrhunderts bin. Vielleicht ist es aber von Vorteil, daß nicht
ein geeichter Hobbes-Interpret eine Problemstellung skizziert. Es
kann aber sein, daß mich der Schuh drückt, wo andere ausgetretene
Stiefel haben. Soviel sollte doch aber klar sein: der round table darf
nicht mit einem akademischen Colloquium verwechselt werden. W ir
treffen uns nicht zur Hobbes-Exegese und wollen uns nicht zu aus
führlich in historische Konstellationen verirren. Eher geht es darum,
im Blick auf Hobbes geistespolitische Orientierungen in unserer
( iegen wart zu suchen.
Dennoch, es wäre riskant, ohne jede Vorstrukturierung auf die Gunst
des Augenblicks zu vertrauen und ein Gespräch umstandslos in Gang
setzen zu wollen. Dafür ist auch meine eigene Skizze viel zu dürftig als
daß angenommen werden kann, von hier ließe sich die Diskussion
spontan eröffnen. Deshalb schlage ich Ihnen vor, drei Akzente zu set
zen, einen philosophischen, einen juristischen, einen historischen.
Diese Akzentsetzungen, von der Art etwa wie ich sie skizziert habe,
sollen Problemgruppen kristallisieren. Jede dieser Problemgruppen
soll einen Sitzungsleiter haben, der die Thematik seiner Gruppe etwas
vorstrukturiert. Für die philosophische Fragestellung schlage ich vor,
Michael Theunissen zu bitten, das Steuer zu übernehmen. Michael
187
Theunissens theologisch-politische Interpretationen Hegels müßten
konsequenterweise Aug in Aug mit Hobbes bringen. Insbesondere
scheint mir Michael Theunissen einem Problem auf der Spur, das im
Blick auf Hobbes und Hegel Sprengkraft besitzt, deren klassische Pro
blemstellung aufzusprengen. Das leidige Entweder-Oder zwischen
Verklärung des Staatsapparats oder Verklärung des Individuums in
altliberaler Manier zehrt noch von einer Idee der Person, die auf den
Einzelnen abstellt und wenig Sinn dafür hat, daß Person primär schon
intersubjektiv zu dechiffrieren ist. Die Berliner Schrift Theunissens:
“Der Andere” scheint mir in der gegenwärtigen Diskussion ein pro
funder Hinweis, daß das Problem Gemeinschaft -Individuum voll
kommen neu zu stellen ist. Ich wäre neugierig, wie dies theoretische
Problem “Intersubjektivität” auf die Komplexe “Staat” und “Gesell
schaft” abfärbt.
Ich würde Ihnen weiterhin vorschlagen, E. W. Böckenförde zu bitten,
den juristischen Arbeitskreis zu leiten. Seine Schrift “Der Staat als sitt
licher Staat”, eine erweiterte Fassung seines Vortrags bei der Verlei
hung des Reuchlin-Preises, hat Sie doch so beeindruckt, daß ein
Gespräch zwischen uns darüber in Gang kam, das vielleicht am
Anfang der Überlegung zu den “Orientierungen” steht, die Sie jetzt
im Sinne führen.
Für den historisch orientierten Arbeitskreis glaube ich nicht besonders
begründen zu müssen, wenn ich Ihnen vorschlage, an Koselleck und
Christian Meier heranzutreten und zu erkunden, ob sie bereit sind,
einen solchen Arbeitskreis zu leiten. Christian Meier ist als Althistori
ker “Spezialist” für jene Wende der Römischen Republik zum Caesa
rismus, die seit der Französischen Revolution als Vergleich zur moder
nen Entwicklung auftaucht. Daß Koselleck sich in tiefdringenden
Studien ums Problem “Neuzeit” in jenem emphatischen Sinne einer
Sattelzeit bemüht, wissen Sie so gut wie ich. Sein semantologischer
approach scheint mir von besonderem Gewicht im Blick auf eine frei
schwebende Diskussion, die Pfosten ins Gewölk des Gesprächs ram
men muß.
Das Procedere stelle ich mir etwa so vor: Am Anreisetag trifft sich
nach dem Abendessen der gesamte Kreis zu einer problemstellenden
Sitzung, in der die Themenkreise der drei Gruppen genauer umrissen
werden. Es scheint mir wichtig, daß gerade in der problemorientie
renden Sitzung Sie einleitend sprechen. Ich weiß, wie belastet Ihre
188
l iige und Nächte sind. Dennoch erlauben Sie mir darauf zu insistie
ren, daß Sie nicht nur mit von der Partie sind, sondern einleitend eine
Problemstellung skizzieren, wie sie sich aus den konkreten Entschei
dungskonstellationen Ihres Amtes und Ihrer Verantwortung ergibt.
Ich will Sie nicht auf Hobbes festlegen, aber Ihnen eine Fortsetzung
zur “Innenausstattung der Macht” entlocken, die diesem Colloquium
eine aktuelle Signatur gibt.
Am Konferenztage selbst geschieht die Arbeit in den drei Gruppen.
Sonnabend und Sonntag vormittag gelten als Konferenztage. Am
Sonntag nachmittag findet eine gemeinsame Sitzung der drei Grup
pen statt, womit der interne Teil des Colloquiums abgeschlossen ist.
An den Arbeitskreisen sollen etwa 1 0 —15 Personen teilnehmen. Es
bleibt selbstverständlich Ihnen überlassen, eine Liste der Teilnehmer
aufzustellen. Ich möchte nur ein allgemeineres Anliegen anbringen.
Es wäre schade, wenn auf der Theorie-Seite des Colloquiums nur das
rechts- oder linksliberale akademische juste milieu berücksichtigt
würde. W ichtig scheint es mir, daß auch freie Schriftsteller und freie
Geister, die nicht akademisch normiert sind, mit von der Partie sind.
Ich würde es auch begrüßen, wenn nicht nur “Lehrstühle” akade
misch vertreten sind, sondern eine Gruppe junger Doctores und Assis
tenten eine gewichtige Rolle spielt.
Offen möchte ich es lassen, ob ein Colloquium, das durch den Sena
tor für Wissenschaft und Forschung gemeinsam mit dem Präsidenten
der Freien Universität eingeladen wird, am Ende der Konferenz, also
Sonntag abend etwa, nicht doch noch eine halböffentliche Sitzung
haben soll, in der die Berichterstatter sowie einige Mitglieder des Col
loquiums “aus der Schule” plaudern können, also die Problemstel
lung, wie sie am Ende des Colloquiums sich ergab, vortragen und sich
Fragen aus dem Publikum gefallen lassen. Ein Publikum soll eingela
den werden, etwa fünfzig bis sechzig Personen, graduate students und
Intelligentsia der Stadt, die nicht nur aus der Zeitung erfahren sollen,
daß ein solches Colloquium stattgefunden hat.
Ich hoffe, sehr geehrter Herr Senator, lieber Herr Glotz, daß Sie diese
Skizze in jenem Geiste empfangen, in dem sie geschrieben ist. Eben
als Skizze, die nur in der Ausführung, durch Kritik und Korrektur sich
verwirklichen kann.
M it freundlichen Grüßen bin ich Ihr.
Jacob Taubes
189
ÜBERLIEFERUNG O: Ts m it hs., an CSch adressierten Zusatz von JT; HStA Düssel
dorf, Nachlass Carl Schmitt, RW265-15952, Bl. 1-5.
190
Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Frankfurt am Main: Suhrkamp,
S. 303 sowie ders.: Werke, Bd. 3: Phänomenologie des Geistes, Frankfurt am Main:
Suhrkamp, S. 493.
tarnen usque recurret] vgl. Horaz: Epistolae I, 10, 24 naturam expellas furca, tarnen
usque recurrat, lat., du magst die Natur mit Gewalt austreiben, sie wird doch stets
zurückkehren.
Schwelle einer “nach-staatlichen” Aera] J T bemerkt dazu in einem Schreiben zum
Hobbes-Colloquium: Sie sind vielleicht erstaunt, daß ich von einer „nachstaatlichen-
Ära“ spreche. Aber „wir“, Böckenförde (Freiburg), Christian Meier (Bochum) u.a.
wisssen wohl - seit Marx und Carl Schmitt (!), die, wie Sie sich erinnern werden,
Peter von Oertzen bei der Reichstags-Tagung „kontrastierte“ (welche Ehre für C.S.)
- , daß „Staat“ im klassischen Sinne mit der Epoche des Caesarismus zu Ende geht.
Zu von Oertzens Vortrag vgl. B rief 26.
Leo Strauß hat 1930 (...) Sinn der politischen Theorie von Hobbes] Vgl. Leo Strauss:
Die Religionskritik Spinozas (w ie B rief 6, Anm.), S. 75: Indessen deutet er [= Hobbes]
[...] bereits an, auf welche Weise er die dem Frieden von der Offenbarungs-Religion
her drohende Gefahr beheben will: die Politik ein Teil der Religion; die Religion kann
und darf niemals der Politik widersprechen; die Unterscheidung zweier Gewalten,
einer weltlichen und einer geistlichen, ist absurd. Diese Unterscheidung, die von der
Heiden grundsätzlich vermieden und erst von den Juden eingeführt wurde, hat ihren
Grund in dem Geister-Glauben, der zum Bestand der natürlichen Religion gehört;
sie besagt, daß es in den Reichen der christlichen Könige ein anderes Reich, ein Reich
von in der Finsternis spazierenden Geistern oder Gespenstern gebe; sie führt zu der
Absurdität, daß jeder Bürger zwei Gewalten gehorchen muß.
“Land und Herrschaft” von Otto Brunner] Otto Brunner: Land und Herrschaft.
Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Südostdeutschlands im M it
telalter, 2., ergänzte Aufl., Brünn / München / Wien: Rohrer 1942 (Veröffentli
chungen des Österreichischen Instituts für Geschichtsforschung 1), die Erstauflage
ist 1939 erschienen.
die marxistische Prognose: der Staat “stirbt ab”] Vgl. Friedrich Engels: Anti-Düh-
ring, in: Marx-Engels Werke, Bd. 20, S. 262; Engels’ Diktum wurde in der Folge
oftmals wiederholt, etw a im Kommunistischen Manifest.
Pierre Naville (...) Zusammenhang der kommunistischen Revolution stellt] vgl.
Pierre Naville: La révolution et les intellectuels, nouvelle édition revue et augmen
tée, Paris: Editions Gallimard 1975, S. 13-123. Walter Benjamin: „Der Surrealis
mus“, in: ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 2.1: Aufsätze, Essays, Vorträge, hg. v.
Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt am Main: Suhrkamp
1977, S. 295-310, hier: S. 303 weist a u f Navilles Kritik hin: „Der Gedanke an alle
menschliche Aktivität macht mich lachen“, diese Äußerung von Aragon bezeichnet
recht deutlich, welchen Weg der Sürrealismus von seinen Ursprüngen bis zu seiner
Politisierung zu machen hatte. M it Recht hat Pierre Naville, der dieser Gruppe
ursprünglich angehörte, in seiner ausgezeichneten Schrift „La Revolution es les
Intellectuels“ diese Entwicklung dialektisch genannt; v g l auch ebd., S. 308.
Le nouveau Leviathan] Pierre Naville: Le nouveau Léviathan, [partie] 2: Le salaire
socialiste, premier volume: Les rapports de production, Paris: éditions anthropos
1970 (sociologie et travail). Der erste Teil des Werkes erschien unter dem Titel I,e nou
veau Léviathan, [partie] I: De l’aliénation à la jouissance, Paris: Librairie Marcel
Rivière 1957 (Recherches de Sociologie du travail, publiée sous la direction de Piere
Naville, 3); eine Neuauflage des ersten Teils erschien 1967 bei éditions anthropos.
191
“Eine feste Burg ist unser Gott”] von M artin Luther w ohl vor 1529 geschriebenes
u nd komponiertes K irchenlied ( vgl. B rief 53, Anm.)
ein Papst in Polen aufs “Menschenrecht” pocht] Papst Johannes Paul II., der „pol
nische“ Papst, startete bald nach seiner Amtseinsetzung eine Kampagne gegen die M en
schenrechtsverletzungen des Ostblocks.
Theunissens theologisch-politische Interpretationen Hegels] Michael Theunis-
sen: Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat, Berlin:
De Gruyter 1970.
Theunissens: “Der Andere”] Michael Theunissen: Der Andere. Studien zur Sozial
ontologie der Gegenwart, Berlin: De Gruyter 1965.
E. W. Böckenförde (...) “Der Staat als sittlicher Staat”] Ernst-Wolfgang Böcken-
förde: Der Staat als sittlicher Staat (wie B rief 63, Anm.)
Christian Meier (...) Caesarismus] w enig später erschien als vorläufige Bilanz seiner
Forschungen der vergangenen Jahre Christian Meier: Die Ohnmacht des allmächti
gen Dictators Caesar. Drei biographische Skizzen, Frankfurt am Main: Suhrkamp
1980.
Koselleck (...) Sattelzeit] Mit der Denkfigur der Sattelzeit bezeichnet Reinhart Kosel-
leck die Epochenschwelle zwischen der späten Aufklärung u nd frühen M oderne, den
Zeitraum zwischen 1750 und 1870; vgl. ders.: Einleitung, in: Otto Brunner / Wer
ner Conze /ders. (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1, Stuttgart: Klett-Cotta
1979, S. XV.
78 SC H M IT T AN SIEGFRIED UNSELD
PLETTENBERG, 12.2.1980
597 Plettenberg-Pasel,
den 12. Februar 1980
Betrifft:
»Hamlet oder Hekuba«
(August 1979)
(14. November 1979)
Sehr geehrter Herr Unseld:
Ihrem erfreulichen Interesse an einer neuen Ausgabe meiner Schrift
„Hamlet oder Hekuba“ (von 1956) habe ich infolge der Altersbe
schwerden meines Jahrganges (1888) nicht prompt entsprechen kön
nen, wie ich es gern getan hätte. Durch das mir überaus wichtige, ja,
wesentliche Junktim mit dem Syndrom »Winstanley«, mit dem ich
Sie nicht behelligen kann, ist eine Reihe von Hemmungen eingetre
ten, die ich nicht mehr bewältigen kann. Ich bitte Sie deshalb, dem
192
noch in den ersten Überlegungen steckengebliebenen Anfang abzu
brechen und werde auch Herrn Taubes bitten, sich nicht weiter dar
um zu bemühen.
Für Ihr freundliches Interesse bin ich Ihnen aufrichtig dankbar. M it
allen guten Wünschen für Ihre publizistischen Unternehmungen und
Ziele, und mit freundlichen Grüssen
Ihr
Carl Schmitt
Piet Tommissen
Grimbergen, den 26. Juli 1985
193
veränderten Abdrucks Ihres Berliner Vortrages über C.S. Brauche ich
zu beteuern, dass ich nicht nur den Band, sondern vor allem den Auf
satz als besonders wichtige Beiträge zur C.S.-Forschung betrachte?
Freilich schätze ich den Aufsatz höher ein, und zwar aus dem Grunde,
dass Sie erstens wichtige Probleme berühren (oder soll ich sagen: DAS
wichtige Problem?), und zweitens persönliche Erfahrungen einflech
ten. Der Schlussfolgerung anlässlich Ihrer Züricher Enttäuschung im
Seminar des Historikers von Muralt stimme ich zu. Der Fall Albert
Salomon war mir bisher unbekannt; ich werde sein Buch aufzutreiben
versuchen und die diesbezüglichen Seiten vergleichen. Mit Benjamin
habe ich mich näher beschäftigt, weiss also um die Zusammenhänge.
Von Herrn Dr. Armin Möhler erhielt ich Anno dazumal einen Auszug
aus Ihrem Brief; C.S. hat mir weder den Brief gezeigt noch darüber
gesprochen. Von Kojeve besitze ich Bücher, aber sein Interesse für
C.S. höre ich im Aufsatz zum ersten Male. Kurzum: der Aufsatz ent
hält Fakten mit denen man künftighin Rechnung tragen sollte.
Gestatten Sie, dass ich heute bei Ihnen mit der Bitte vorspreche,
Näheres mitzuteilen über das von Ihnen zweimal genannte Gespräch
in Plettenberg? Ausserdem möchte ich gerne erfahren ob der Vortrag
eine Diskussion zur Folge hatte: im Anschluss am Vortrag oder viel
leicht in der ,T.A.Z‘? Darüber hinaus wäre es für meine Zwecke wich
tig, wenn einigermassen möglich, den Originaltext zu besitzen: lassen
Sie da bitte Grossmut walten. Und schliesslich noch eine Sonderbitte:
vergebens suche ich seit langem Ihr Buch (ich glaube aus dem Jahre
1949?); besitzen Sie kein überflüssiges Exemplar für einen richtigen
Leser?
Ich danke im voraus für Ihre Antwort und verspreche meinerseits
Auskunft über meine Forschungsergebnisse. Einstweilen bin ich, mit
sommerlichem Gruss, Ihr sehr ergebener]
194
ÜBERLIEFERUNG O : TsK, g e d r u c k te r B riefk o p f; HStA D ü s s e ld o r f Vorlass P ie t T om
m issen.
Bibliograph des (...) Staatsrechtlers Carl Schmitt] Piet Tommissen (geh. 1925),
belg. Nationalökonom und Schmittforscher, 1971 Promotion an der Wirtschaftshoch
schule Brüssel, 1972-1990 Prof, an der Handelshochschule Brüssel, bereits als Student
suchte Tommissen den Kontakt m it CSch. A uf Veranlassung und finanziert durch den
CSch Freundeskreis Academia Moralis legte er 1953 dessen erste Bibliographie vor, vgl.
Piet Tommissen: Versuch einer Carl-Schmitt-Bibliographie, Düsseldorf: Academia
Moralis 1953. Sie w urde fü r die CSch Festschrift von 1959 erweitert, vgl. Festschrift
für Carl Schmitt, zum 70. Geburtstag dargebracht von Freunden und Schülern, hg.
v. Hans Barion, Ernst Forsthoff und Werner Weber, Berlin: Duncker & Humblot
1959, S. 274-330.
.Der Fürst dieser Welt. - Carl Schmitt und die Folgen“] Jacob Taubes (Hg.): Der
Fürst dieser Welt (w ie B rief 7A, Anm.)
des leicht veränderten Abdrucks Ihres Berliner Vortrages über C.S.] In einer redak
tionellen Vorbemerkung in der tageszeitung vom 20. Ju li 1985, S. 10 heißt es: Jacob
Taubes, Professor an der Freien Universität Berlin, hielt am dortigen Institut für
Philosophie einen vielbeachteten Vortrag über Carl Schmitt. Sehr persönliche Erin
nerungen des emigrierten Rabbinersohnes - Jahrgang 1923 - an seine Begegnungen
mit dem Kronjuristen der Gegenrevolution und sicher Widerspruch provozierende
Reflexionen zur Position Carl Schmitts in der Geistesgeschichte —und nicht nur in
dieser —der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Jacob Taubes verstand seinen Vor
trag auch als Hommage an Carl Schmitt. W ir drucken ihn hier leicht verändert ab.
Schlussfolgerung (...) Im Seminar des Historikers von Muralt] vgl. Ad Carl
Schmitt, vgl. S. 8-10 - Leonhard von Muralt (1900-1970), Schweiz. Historiker, von
1940 an Prof, fü r Geschichte an der ETH Zürich.
Der Fall Albert Salomon] Vgl. Ad Carl Schmitt, S. 16-17; J T weist dort darau f
hin, dass das vierte Kapitel von Albert Salomons The Tyranny of Progress, deutsch
erschienen unter dem Titel F o rtsch ritt als S c h ic k sal und V erh än gn is —
B etrach tu n gen zum U rsp ru n g der S o z io lo g ie , Stuttgart]: Ferdinand Enke]
1957 —(...) voll im Schatten des vierten Kapitels der P o litisch en T h e o lo g ie Carl
Schmitts stehe u nd fü h rt zum Beleg an: Ein Vergleich der Seite 62 in Albert Salo
mons Buch mit der Seite 80 in Schmitts P o litisc h e r T h e o lo g ie wird jedem Leser
das deutlich machen. In beiden Fällen handelt es sich um eine Analyse des Gegen
satzpaares Proudhon / Bakunin versus Donoso Cortes. —Salomon: Fortschritt und
Schicksal, S. 62-65; d ie Analyse in Carl Schmitt: Politische Theologie (wie B rief 4,
Anm.), S. 55-56.
einen Auszug aus Ihren Brief] gem ein t ist der B rief an Armin M öhler vom 14.
Februar 1952 (vgl. B r ief 53)
Kojeve (...) sein Interesse für C.S.] vgl. Ad Carl Schmitt, S. 24-25
Ihr Buch (ich glaube aus dem Jahre 1949?)] Jacob Taubes: Abendländische Escha
tologie (wie B rief 51, Anm.) erschien 1947.
195
80 TAUBES AN PIET TOM M ISSEN
PARIS, 18.8.1985
14/8/85
Jacob Taubes
Maison des sciences de l’homme Fondation reconnue d’utilité
publique
54 boulevard Raspail, 75270 Paris Cédex 06 / tél. 5443849 /
télex MSH203104F
#291 (Sekretariat) # 380 (meine Nummer)
tel. 2220294
196
ters “ES” Bändchen: Hegel und die Französische Revolution [,] sprach
auch von seinem Spazierweg nach oben über eine kleine Brücke als
“Ritterweg”. C.S. hat die Freundschaft auch Joachim Ritters Sohn:
Henning Ritter angedeihen lassen.
Ich will den Vortrag in verbesserter und erweiterter Form herausbrin
gen. Wo? NZZ (Martin Meyer) wird sich wohl sperren nicht das Ori
ginal gehabt zu haben!! Vielleicht gehört auch eine erweiterte Fassung
in ein anderes Medium: MERKUR .
Man spricht gerade in Paris von einer Neuauflage der Abendländi
schen Eschatologie 1947. Das MSH ist mit einem Deutschen Verlag
Campus verbunden. Maschke wollte es für seinen Verlag, der aber
inzwischen zugrunde gegangen ist.
I Iber die Gespräche mit C.S. später, wenn ich wieder in Berlin bin.
Böckenförde weiss einiges darüber. Es ging um Juden /Judentumsfra
ge aber nicht wie bei Sombart mit Disraeli als Zeugen, sondern von
Petersons Theologie die ihn ausserordentlich beschäftigte wo Kirche
gebunden bleibt an Jude. Solange Jude, solange Kirche. Ist der letzte
Jude konvertiert verschwindet auch Kirche: das Reich Gottes bricht
an.
Sie kennen doch Petersons “Theologische Traktate”? C.S. kannte sie
auswendig. Während er von Löwith nur mit Verachtung sprach (kein
Grund, ausser dass Löwith C.S. als Occasionalist enttarnte!) wurde er
mit Peterson nicht fertig, auch nach PT II.
Erinnern Sie mich dass ich die Gespräche soweit erinnerlich darstellen
sollte.
1. Meine Berliner Adresse:
Hermeneutik, Thielallee 43 1000 Berlin 33 (8384277)
2. Meine Pariser Adresse: wie Briefkopf bis l.IX. Sind Sie beweglich
3. Von 2.IX -15IX in Les Fontaines BP205F60500
Chantilly, wo eine herrliche Bibliothek, herrliche Landschaft und
bedeutende Kenner des deutschen Idealismus u. seiner Folgen woh
nen: Père Régnier (Hegel)[,] Père Tilliette (der bedeutendste Schelling
Forscher heute). 16/17 IX jüdisches Neujahr, 18-21 IX Chantilly,
dann Frankfurt, Poetik u. Hermeneutik, Bad Homburg 23-28 IX, 28
IX —20 X Jerusalem, dann zur Arbeit in Berlin, via ein Seminar über
C.S. Mo 16/18 beginnend 21.X.
197
ÜBERLIEFERUNG O : H s; HStA D ü sseld o rf, Vorlass P ie t T om m issen.
#291 (Sekretariat) # 380 (meine Nummer)] ebenso w ie das Datum 14/8/85 hs.
von J T binzugefiigt
en route] frz., unterwegs
“Der Fürst dieser Welt”] vgl. B rief 7A, Anm.
PT] Politische Theologie
Ich war schon krank (...) wie das Vorwort bezeugt] J T hatte im September 1982
erneut einen psychischen Zusammenbruch erlitten und danach eine Herzinfarkt. Er
konnte seine Lehrtätigkeit erst im Sommersemester 1984 w ieder aufnehmen. Im Vor
wort von Jacob Taubes (Hg.): Der Fürst dieser Welt (wie B rief 7A, Anm.), S. 5
bemerkt J T dazu: Eine hartnäckige Krankheit hat mich für lange Zeit außer Gefecht
gesetzt. Norbert Bolz (Berlin) sprang ein und bereitete das verschlungene Manu
skript vor für den Druck.
C. S. Vortrag] J T hielt im Sommersemester 1985 einen Vortrag an der FU Berlin über
den bereits am 7. April verstorbenen CSch, der unter dem Titel Carl Schmitt - Ein
Apokalyptiker der Gegenrevolution in die tageszeitung v. 20. Ju li 1985, S. 10-11
erschien, vgl. Dokument VII.
im Brief W Benjamins (...) als Vermittler Albert Salomon] Walter Benjamin schrieb
an CSch, die Zusendung seines Buches über den Ursprung des deutschen Trauerspiels
erfolge auf Veranlassung von Herrn Albert Salomon; vgl. Walter Benjamin: Gesam
melte Briefe, Bd. 3 (w ie B r ief 4, Anm.), S. 558.
Joachim Ritters “ES” Bändchen: Hegel und die Französische Revolution] Joachim
Ritter: Hegel und die Französische Revolution, Frankfurt am Main: Suhrkamp
1965 (edition suhrkamp, 114).
Meyer] M artin M eyer (geb. 1951), Literaturwissenschaftler, Verfasser u.a. von Ernst
Jünger, München / Wien: Carl Hanser 1990, seit 1974 Redakteur der Neuen Zür
cher Zeitung un d seit 1992 C h ef des dortigen Feuilletons.
Merkur] Die Monatszeitschrift Merkur (damals m it Sitz in M ünchen), in der J T seit
den 1960ern gelegentlich publizierte. Zu jen er Z eit leitete sie Karlheinz Bohrer, ein
Vertrauter von JT, der auch den Sammelband Mythos und Moderne, Frankfurt am
Main: Suhrkamp 1983 herausgegeben hatte, in dem JTs Zur Konjunktur des Polythe
ismus erschien, vgl. ebd., S. 457-470.
MSH] Maison des Sciences d e Thomme
Neuauflage der Abendländischen Eschatologie (...) Maschke wollte es] Günter
Maschke (geb. 1943), Studium der Philosophie bei Ernst Bloch in Tübingen, M itglied
radikal linker Studentengruppierungen, 1966 M itglied des SDS, 1968-69 nach Ver
w eigerung von M ilitär- und Zivildienst Flucht nach Kuba, nach seiner Rückkehr inhaf
tiert, 1973-1985 Redakteur beim Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung,
in den 1970er Jahren H inwendung zur radikalen Rechten, Kenner und Editor von
Werken CSchs. Maschke leitete von 1980-1982 die dem seinerzeit in Köln ansässigen
H ohenheim Verlag angegliederte Edition Maschke, in der 1982 CSchs Der Leviathan
in der Staatslehre des Thomas Hobbes in zweiter, erw eiterter Auflage erschien. In
seinem Schreiben an J T vom 10. Ju n i 1981 regte Maschke eine Neuedition der Abend
ländischen Eschatologie an ( O: ZfL, Nachlass Jacob Taubes). JTs Dissertation wurde
freilich erst 1991 w ieder neu aufgelegt in: München: Matthes & Seitz (3. Aufl. mit
einem Nachw. von M artin Treml, Berlin: Matthes & Seitz 2007).
wie bei Sombart mit Disraeli] Vgl. Nicolaus Sombart: Jugend in Berlin 1933-1943.
Ein Bericht, München / Wien: Carl Hanser, 1984, S. 260-263. Sombart berichtet
198
von seinen Spaziergängen m it CSch, bei denen dieser ihm die Lektüre von Benjamin
Disraelis Roman Tancred, or the New Crusade (1847, dt. Ubers.: Tancred oder der
neue Kreuzzug 1914) nahegelegt un d Sombart das Buch m it den Worten übergeben
habe: »Wenn Du das gelesen hast, kannst Du über die Juden mitreden« (ebd., S.
261). —Nicolaus Sombart (1923-2008), Soziologe un d Autor, 1951 Promotion an der
Univ. H eidelberg bei Alfred Weber, 1954-1983 beim Europarat in Strassburg tätig
zuletzt als Leiter der Kulturabteilung, lebte danach als schriftstellerischer Bohemien und
Salonier in seiner Geburtsstadt Berlin.
Petersons “Theologische Traktate”?] w ie B rief 8, Anm.
dass Löwith C.S. als Occasionalist enttarnte] Vgl. Hugo Fiala [Pseudonym fü r Karl
Löwith ]: Politischer Dezisionismus, in: Internationale Zeitschrift für Theorie des
Rechts. Offizielles Organ des «Institut international de Philosophie du Droit et de
Sociologie juridique» 9 (1935), S. 101-123, bes. S. 101 u. 107.
PT II] Carl Schmitt: Politische Theologie II (w ie B rief 7B, Anm.)
Chantilly] vgl. B rief 10, Anm.
Père Régnier (Hegel)] Marcel Régenier (1900-1998), Philosoph und Geisdicher,
bekannt durch Arbeiten über Hegel.
Père Tilliette] Xavier Tilliette (geb. 1921), 1938 Eintritt in den Jesuitenorden, Stu
dium der Philosophie, Literatur, und Theologie, unterrichtete an der Sorbonne in Paris,
am Institut Catholique in Paris und an der Pontificia Université Gregoriana (Rom).
Poetik u. Hermeneutik, Bad Homburg 23-28 IX] nicht erm ittelt
haben Sie recht vielen Dank für die hochinteressante Antwort die hier
heute eintraf. Selbstverständlich habe ich mit besonderem Vergnügen
zur Kenntnis genommen, dass Sie eine überarbeitete und ergänzte
Fassung des Berliner Vortrags zu veröffentlichen beansichtigen. Ich
bin der Meinung, dass eine Zeitschrift das geeignete Medium wäre,
z.B. —wie Sie übrigens erwähnen - die Zeitschrift ,Merkur“, zumal
dort das C.S.-Kapitel Dr. Sombarts vorabgedruckt worden ist. Ausser
199
dem ist Ihr Vorhaben, die sog. ,Kojeve‘-Geschichte ausführlicher dar
zustellen, durchaus begrüssenswert. Dazu möchte ich noch schnell
sagen, dass ich gerne erfahren möchte, wann C.S. an weiland Prof.
Kojeve herangetreten ist; angesichts Ihrer Mutmassung, Kojeves
Hegel-Deutungen seien vom Schmitt’schen Begriff des Politischen
mitbestimmt gewesen, ist meine Neugier wohl berechtigt? Haben Sie
eine Ahnung ob es Nachfahren Kojeves gibt und wo sie eventuell
wohnhaft sind? Vielleicht gibt es Briefe von C.S. im Nachlass? —In
Sachen Albert Salomon bin ich ausserstande mitzureden, denn ich
kenne diesen Forscher nur dem Namen nach; war er vielleicht mit
dem Soziologen Gottfried Salomon-Delatour verschwestert? Hoffent
lich gelingt es mir, sein Buch aufzutreiben.
Die Zusammenfassung Ihrer Gespräche mit C.S. erwarte ich also
nach Ihrer Rückkehr in Berlin. Aber dessenungeachtet las ich schon
mit grossem Interesse, dass Sie sich mit ihm auch über Peterson unter
halten haben. Ich besitze, kenne und schätze die .Theologischen Trak
tate“. Übrigens besitze ich einige Briefkarten von Peterson an C.S. und
ausserdem einen Brief des nachmaligen Bonner Kirchenhistorikers
Neuss an C.S.: Peterson hat nach Kriegsende sein Bonner Guthaben
C.S. ohne weiteres angeboten! Dass Sie sich aber vor allem über
Judentum unterhalten haben, stellt für mich keine Überraschung dar.
Es ist ein immenses Thema und, offengestanden, bin ich mir noch
immer nicht im klaren über den Schmitt’schen Antisemitismus, unge
achtet der Interpretation Dr. Sombarts.
Sie erwähnen Chantilly, aber ich muss zu meinem Bedauern gestehen
nicht zu wissen, welche Bibliothek Sie meinen. Andererseits habe ich
Herrn Maschke vor einigen Tagen angerufen und von ihm erfahren,
dass Sie mit Dr. Sombart ein Berliner C.S.-Seminar planen. Gestatten
Sie, dass ich um Auskunft bitte und vor allem gerne erfahren möchte,
ob die Referate veröffentlicht werden? —Sonst noch zwei Fragen: gab
es in Berlin viele Hörer? gab es eine Diskussion nach Ihrem Vortrag?
ist es für meine Zwecke (C.S.-Bibliographie) lohnend auch den 2.
Band Ihrer Reihe zu erwerben?
M it freundlichem Gruß bin ich, Ihr sehr dankbarer und ergebener]
Prof. Dr. P. Tommissen
Reinaertlaan 5
B-1850 / Grimbergen (Belgique)
200
PS: Ich schicke separat ein schmales Bändchen über Aron; es enthält
aber zwei C.S.-Briefe!
die Zeitschrift ,Merkur“ (...) das C.S.-Kapitel Dr. Sombarts] Nicolaus Sombart:
„Gruppenbild mit zwei Damen. Zum Verhältnis von Wissenschaft, Politik und
Eros im wilhelminischen Zeitalter“, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europä
isches Denken 30 (1976), S. 972-990. Sombart arbeitete damals schon an seiner län
geren Studie, vgl. ders.: Die deutschen Männer und ihre Feinde. Carl Schmitt - ein
deutsches Schicksal zwischen Männerbund und Matriarchatsmythos, München /
Wien: Carl Hanser 1991.
sein Buch] Albert Salomon: The Tyranny of Progress (wie B rief 79, Anm.)
Gottfried Salomon-Delatour] Gottfried Salomon-Delatour (eigtl. Gotfr ie d Salomon,
1882-1964), Soziologe, Nationalökonom, 1916 Promotion bei Georg Sim m el an der
Univ. Straßburg, 1921-31 außerordentl. Prof, fü r Soziologie an der Univ. Frankfurt
am Main, 1933 Emigration, 1941-1943 Prof, an der New School fo r Social Research
in New York, während dieser Z eit nahm er den Geburtsnamen seiner M utter als zweiten
Nachnamen an, w ohl auch zur namentlichen Unterscheidung von Albert Salomon,
1946-1950 Prof, fü r Soziologie an der Columbia University New York, von 1958 an
in Frankfurt am Main.
»Theologischen Traktate“] Erik Peterson: Theologische Traktate ( wie B rief 8, Anm.)
Bonner Kirchenhistorikers Neuss] Wilhelm N euß (1880-1965), kath. Priester, Kir
chenrechtler, 1911 Promotion, 1913 Habilitation, 1917 außerordentl. Professur fü r
Kirchengeschichte an d er Univ. Bonn, 1918 ebendort Direktor des Seminarsfü r Christ
liche Archäologie un d Kunst, 1920 Prof, fü r Kirchengeschichte an der Univ. Bonn, m it
CSch bereits zu Zeiten d er Weimarer Republik befreundet.
Chantilly] vgl. B rief 10, Anm.
dass Sie m it Dr. Sombart ein Berliner C.S.-Seminar planen] M it Nicolaus Sombart
war J T erst bekannt, seitdem dieser 1982/83 Fellow am Wissenschafiskolleg zu Berlin
gewesen war. Sombart hatte in den Jahren danach mehrfach Lehraufträge an der FU
Berlin inne u nd schloss sich im Sommersemester 1986 einem der letzten von J T über
haupt gehaltenen Seminare an —eben über CSch —, das dieser u nd Norbert Bolz im
Semester davor begonnen hatten.
den 2. Band Ihrer Reihe] Jacob Taubes (Hg.): Religionstheorie und politische
Theologie, Bd. 2: Gnosis und Politik, München / Paderborn: Fink 1984.
ein schmales Bändchen über Aron] Paul Janssens / Piet Tommissen: Eigentijdse
geschiedenis. Een vraaggesprek met Raymond Aron, Brüssel: Economische Hoch
schul Sint-Aloysius 1985 (Ecclectica), enthält unter dem Titel Terugblick op Ray
mond Aron a u f den S. 50-52 zwei von Tommissen hg. Briefe von CSch an Raymond
Aron.
201
82 A RM IN MÖHLER AN PETER GENTE
M ÜN CHEN , 30.6.1986
202
gewesen, mit dem ihm noch ein Gespräch möglich war. Schon mit
Heidegger wäre ihm das unmöglich gewesen, von Benn ganz zu
schweigen. Taubes sieht offensichtlich Carl Schmitts exzentrische
Lage innerhalb der Konservativen Revolution nicht. Von allen bedeu
tenden Köpfen dieser geistigen Bewegung ist Carl Schmitt der einzi
ge, der nicht durch Nietzsche hindurchgegangen ist; dieser war ihm
nur eine Art von Juxbruder. Das hatte zur Folge, dass C.S. zum Teil
noch der diskutierenden Klasse angehörte und ein möglicher
Gesprächspartner für J.T. war. Ich erinnere mich, dass während der
Arbeit an der ’’Konservativen Revolution“ Jacob Taubes eine Art von
Kompass für mich war. Ich sprach damals die Hauptpunkte mit ihm
durch: waren wir gegenteiliger Meinung, so wusste ich, dass ich rich
tig lag. Es ist kennzeichnend, dass J.T. —wie die meisten C.S.-Bewun
derer —nur Schmitts Schriften der 20er Jahre wirklich ernst nimmt -
die Schriften, die während des Dritten Reiches erschienen, und das
nach 1945, was nicht Rechtfertigungsliteratur ist, beachtet er kaum.
Er hält also ”C.S. und das Dritte Reich“ für einen Unglücksfall. Nun,
wo C.S. tot ist und man ihm mit solchen Erkenntnissen nicht mehr
schaden kann, darf man wohl feststellen: bei allem instinktiven Anti
germanismus, in dem C.S. nun einmal befangen war, wollte er sich in
den Strom jenes Deutschen Aufstandes eingliedern, der mit Fichte an
die Oberfläche gebrochen war und in Hitler einen neuen Höhepunkt
erreichte. Hätte die SS ihm nicht den Weg blockiert, so hätte C.S. bis
zum Ende mitgemacht. A propos: man fragt mich oft, wer denn der
Feind sei, gegen den sich dieser Aufstand richte. Ich antworte meist
summarisch: der Liberalismus. Recht schön ist aber auch diese Defi
nition eines neu aufpolierten Liberalismus von Jacob Taubes:
’’Die Reform bestand —auf eine Formel gebracht - in der Abschaffung
des Fussballs und der Einführung des Thomismus, Jacques Maritain
und Leo Strauss...“
Daran hätte der alte Meister in Plettenberg seine Freude gehabt; er
hätte seine Selbst-Rechtfertigungs-Bücher in der Art von ”Ex Captivi-
tate Salus“ (1950) für eine Weile in die hintere Reihe des Regals
gestellt. Taubes hat diesen Schriften ähnliche Bedeutung eingeräumt
wie der ’’Geistesgeschichtlichen Lage des heutigen Parlamentarismus“
oder dem ’’Nomos der Erde“. Grosse Autoren sind sehr selten auch
Helden; man sollte sich an diejenigen ihrer Bücher halten, die nicht
unter täglicher Furcht geschrieben wurden.
203
Ein Letztes noch: wieso immer Carl Schmitt im Hinblick auf Max
Weber befragen? Wer an den ausserhalb der diskutierenden Klasse ste
henden Carl Schmitt herankommen will, tut gut daran, ihn einmal
im Hinblick auf jene beiden grossen Dichter zu erkennen, die seine
wichtigsten Mentoren waren: Konrad Weiss und Theodor Däubler.
M it freundlichen Grüssen
Ihr Armin Möhler
Jüngers Sekretär (...) ’’Kopie“ des Taubes-Briefes] vgl. Ad Carl Schmitt, S. 7-30,
hier: S. 20
Taubes sagt: (...) mit dem zu reden sich lohnt.“] vgl. Ad Carl Schmitt, S. 24
während der Arbeit an der ’’Konservativen Revolution] Armin Möhler: Die kon
servative Revolution (wie B rief 1, Anm.)
’’Die Reform bestand (...) Leo Strauss...“] vgl. Ad Carl Schmitt, S. 17
’’Geistesgeschichtlichen Lage des heutigen Parlamentarismus“] Carl Schmitt:
Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, München / Leip
zig: Duncker & Humblot 1923 (Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur
Philosophie, Politik und Geistesgeschichte, 1); die 2. erw. u. bearb. AufL erschien
ebd. 1926.
”Ex Captivitate Salus“ (1950)] Carl Schmitt: Ex Captivitate Salus (w ie B rief 7A,
Anm.)
Carl Schmitt im Hinblick auf Max Weber befragen?] vgl. Ad Carl Schmitt,
S. 11-13
204
83 HANS-JOACHIM ARN D T AN A RM IN MÖHLER
SCH RIESH EIM , 26.5.1987
Herrn
Univ.-Dozent
Dr. Armin Möhler
Liebigstr. 3
8000 München 22
Lieber Armin,
anbei das versprochene Buch zur Leihe; es trägt noch den Eigentü
mervermerk, den Du vor Jahren bei der ersten Lektüre eintrugst.
Sehr herzlichen Dank für die Übersendung der kleinen Jacob Taubes-
Schrift, von deren Existenz ich sonst so schnell nicht erfahren hätte.
Die bereits veröffentlichten Teil daraus kannte ich bereits, auch den
Brief von 1979, den Taubes hier in Heidelberg bei seinem Vortrag im
Februar 1987, kurz vor seinem Tode, kursieren ließ, und der mich auf
Umwegen erreichte. Merkwürdigerweise hat Taubes selbst weder bei
diesem Besuch in HD noch bei den offenbar vielen vorangehenden,
die ihn (wie sollte es anders sein?) wegen einer Frau hierher führten,
mich - benachrichtigt; nur eine briefliche Vorankündigung erging vor
vielen Jahren.
Ich hatte dann auch, wegen der mir bereits aus anderen Veröffentli
chungen (z.B. taz) bekanntgewordenen anekdotischen Bezugnahme
von Taubes auf mich, bereits früher darauf aufmerksam gemacht, daß,
womöglich wegen unvollständiger Erinnerung bei Jacob, etliche
Details falsch wiedergegeben werden. Möglicherweise hatte ich das
damals auch Dir mitgeteilt; ich wiederhole es aus dem Anlaß der
erschienenen Schrift nun noch einmal:
Es ist richtig, daß ich Jacob Taubes 1953 in einem Seminar bei dem
Politologen W illiam Yandell Elliott kennengelernt habe, dessen Assis
tent Henry Kissinger damals war. Nach dem Seminar gingen Taubes
und ich zusammen essen; er interessierte sich für mich, weil ich in der
Debatte nach seinem Vortrag einige Bemerkungen gemacht hatte. -
Meine Erinnerung geht dann allerdings nicht darauf, daß ich als erster
205
Taubes auf CS. ansprach. Vielmehr fragte er mich dasselbe, was in den
nunmehr gedruckt vorliegenden Äußerungen von ihm damals offen
bar seinen Geist okkupierte, nämlich: warum denn ausgerechnet Hei
degger und CS., die beiden nach seinem Dafürhalten klügsten Deut
schen, mit den Nationalsozialisten angebändelt hätten. Daraus
entwickelte sich dann ein ausgiebiges Gespräch, das - mit Unterbre
chungen, schließlich sehr langen —bis zu seinem Tode währte.
Es ist nun aber sehr unwahrscheinlich, daß ich bei diesem ersten
Gespräch, so wie von Taubes wiederholt berichtet, erwähnt haben soll
„Aber ich kenne doch Ihren Brief an Carl Schmitt!“, und daß es sich
dabei um Taubes’ Post an Armin Möhler hätte handeln müssen, „die
ihre Runde in der BRD gemacht hatte“. Im Jahre 1953 nämlich hatte
ich weder die persönliche Bekanntschaft mit Carl Schmitt gemacht
(die wurde erst 1955 von Hanno Kesting vermittelt), noch die mit
Armin Möhler (den lernte ich, durch Vermittlung von CS., erst 1957
kennen, als ich nach Paris kam). Natürlich hatte ich mich damals
bereits ausgiebig sowohl mit Schmitts als auch Möhlers Schriften
befaßt, aber ich kann mich nicht erinnern, daß sich irgendeine Gele
genheit hätte ergeben können, die mir eine solche intime M itteilung,
wie es Briefwechsel zwischen diesen beiden Personen sind, hätte
zugänglich machen können. Als einziger Kanal, der mir nun selbst in
der Erinnerung verschwunden ist, käme in Frage, daß Studienfreunde
und —bekannte aus Heidelberg (wo ich ein Semester im Sommer 1950
und ein weiteres im W inter ’51/’52 studiert hatte und dann ’52 pro
moviert wurde), die besser informiert waren als ich, einmal im
Gespräch eine Bemerkung über die Verbindung CS-Mohler-Taubes
bis 1952 (als ich Heidelberg verließ) hatten fallen lassen. Es kommen
da nur in Frage Nicolaus Sombart, Hanno Kesting oder Reinhart
Koselleck. Von den dreien hatte ich damals aber nur mit Koselleck ein
so enges Verhältnis, daß eine solche Indiskretion daraus hätte ent
springen können; mit Kesting war ich auf gutem Fuß, aber in gehöri
ger Ferne; gegenüber Sombart bestand und besteht bis heute eine
kühle Distanz.
Ich nehme eher an, daß bei Jacob Taubes in der Erinnerung einiges
durcheinander geraten ist, bzw. daß ihm im Laufe des wiederholten
Erzählens (er hat diese Anekdote offenbar sehr oft verbreitet) seine
eigene Narratio im unversehens zur einstigen W irklichkeit wurde.
206
Eine kleine Veröffentlichung, die ich über Dich, lieber Armin, nun
zur Kenntnis nehme, bestätigt mir übrigens einmal mehr, was es unter
anderem war, das mich mit Jacob Taubes so gut auskommen ließ: ähn-
lich wie bei „Rechten“ wurde bei ihm das Miteinander nicht nur von
der Gleit-Schiene des Theoretischen und Systematischen getragen,
sondern ebenso und vielleicht viel mehr vom konkreten Geschehen
des Begegnens zwischen konkreten Personen und des Miteinander-
Lebens. Eben deshalb spielt Anekdotisches in seinen Darstellungen
auch bis zum Schluß eine so große Rolle.
die Übersendung der kleinen Jacob Taubes-Schrift] gem eint ist Ad Carl Schmitt
HD] das Autokennzeichen von H eidelberg
„die ihre Runde in der BRD gemacht hatte“] Jacob Taubes: Carl Schmitt - Ein
Apokalyptiker der Gegenrevolution, in: Ad Carl Schmitt, S. 7-30, hier: S. 23.
W illiam Yandell Elliott] William Yandel Elliott (1896-1979), amerik. Historiker,
Politologe un d Präsidentenberater.
Henry Kissinger] Henry Kissinger (geb. 1923), amerik. Politologe und Politiker, 1952
Abschluss des Studiums d er Politikwissenschaft am H arvard College, 1954 Promotion
an der H arvard Univ., 1968-1973 nationaler Sicherheitsberater des republikanischen
Präsidenten Richard Nixon, 1973-1977 amerik. Außenminister, Friedensnobelpreis
1973.
207
TEXTE VON JACOB TAUBES
ZU CARL SCHM ITT UND ZUR
POLITISCHEN THEOLOGIE
I HERM ENEUTISCHES CO LLOQUIUM : POLITISCHE
THEOLOGIE ALS THEORIE VON REVOLUTION UND
GEGENREVOLUTION AM BEISPIEL VON WALTER BENJAMIN
UND CARL SC H M IT T [W S 1978/79] - PROTOKOLL DER
ERSTEN SITZUNG (1978)
211
Die aktual messianische Position Walter Benjamins läßt sich kurz mit
der VI. “Geschichtsphilosophischen These” umreißen, in der es heißt:
“Der Messias kommt ja nicht nur als Erlöser; er kommt als Überwin
der des Antichrist. Nur dem Geschichtsschreiber wohnt die Gabe bei,
im Vergangenen den Funken der Hoffnung anzufachen, der davon
durchdrungen ist: auch die Toten werden vor dem Feind, wenn er
siegt, nicht sicher sein. Und dieser Feind hat zu siegen nicht aufge
hört.” Während aus dem Iheologoumenon dieser These für Benjamin
die “heuristische” Maxime folgt, in jedem geschichtlichen Augenblick
eine revolutionäre Chance wahrnehmen zu sollen, ist für Carl Schmitt
der entscheidende geschichtsmächtige Begriff christlich (das heißt
immer) messianischer Reflexion “der des Aufhalters, des ,Kat-echon‘.
,Reich1bedeutet hier die geschichtliche Macht, die das Erscheinen des
Antichrist und das Ende des gegenwärtigen Aeon aufzuhalten vermag,
eine Kraft, qui tenet. gemäß den Worten des Apostels Paulus im
2. Thessalonicherbrief, Kapitel 2. [“]... Ich glaube nicht, daß für einen
ursprünglich christlichen Glauben ein anderes Geschichtsbild als das
des Kat-echon überhaupt möglich ist.” (C. S. Der Nomos der Erde,
S. 29).
In Konsequenz dieser Entgegenstellung gliedert sich für uns das For
schungs-Colloquium in drei Problembereiche: 1. Polytheismus,
Monotheismus und Pantheismus als politisches Problem bei C. S.
und W. B. 2.) Politische Theologie und Christologie —Beschleuni
gung und Verzögerung des Endes. 3.) Entmythologisierung der Kern
sätze politischer Theologie bei Schmitt und Benjamin oder Metamor
phose? —Zur Kritik eines Programms politischer Theologie heute.
Von welchem Standort soll die Möglichkeit einer politischen Theolo
gie heute kritisch anvisiert werden? Möglich ist einerseits das Problem
von einem immanent “theologischen” (offen oder kaschiert) Standort
[anzusehen]. Möglich ist andererseits das Problem anzugehen, wobei
von einem analytisch-metaphorologischen Standort die Strukturver
wandtschaft theologischer und juristischer Begriffe zu untersuchen
wäre. Diagnostisch wäre die Frage zu stellen: Was ist die Funktion
eines Programms politischer Theologie heute?
Da das Programm Carl Schmitts 1922 das Problem einer Politischen
Theologie exponierte, setzt das Colloquium bei einer Analyse seiner
Intentionen ein. Herr Dr. H. D. Sander wird noch im Monat Novem
ber Gast des Colloquiums sein zum Thema “Katechontik” und Prof.
212
Christian Meier (Bochum) wird Ende November/Anfang Dezember
zum Thema: Der Begriff des Politischen - in der Antike im Colloqui
um sprechen. Der Begriff des Politischen ist ein griechischer. Von
daher ist also Maß zu nehmen um vielleicht auch den Wandel zu
ermessen, den das Problem einer Politischen Theologie von der Antike
bis hin zur modernen (christlich und postchristlichen) Epoche durch
gemacht hat. Die Vorträge von Dr. H. D. Sander und von Prof. Chris
tian Meier sind öffentlich und werden im Institut für Philosophie
angeschlagen.
ÜBERLIEFERUNG Druckvorlage: TsK; Zfl, Nachlass Jacob Taubes. Das von J T ver
fasste un d gezeichnete Protokoll datiert vom 1. Nov. 1978. —TsK; HStA Düsseldorf,
Nachlass Carl Schmitt, RW265-21906. - TsK; DLA Marbach, Suhrkamp Archiv.
Durch den Satz Carl Schmitts: „Alle prägnanten Begriffe der moder
nen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe“ ist 1922 das
Thema „Politische Theologie“ klassisch exponiert. Der alte Partisane
Carl Schmitt hat 1970 in „Politische Theologie II“ den Ort seines
Einstiegs ins Problem präzisiert: „Alles, was ich zu dem Thema Politi
sche Theologie geäußert habe, sind Aussagen eines Juristen über eine
rechtstheoretisch und rechtspraktisch sich aufdrängende, systemati
sche Strukturverwandtschaft von theologischen und juristischen
Begriffen.“ Diese aufschlußreiche (weil begrenzende) Selbstaussage
läßt freilich kaum ahnen, daß der Sprengstoff des Themas weit über
das Gebiet der Jurisprudenz gewirkt hat.
Es ist nicht von ungefähr, daß eine erste Fassung der „Politischen
Theologie“ Carl Schmitts in der Erinnerungsgabe für Max Weber
erschienen ist. Carl Schmitt scheint damit einen Hinweis gegeben zu
213
haben, daß das Werk Max Webers, das in der Tat einer geistesge
schichtlichen Interpretation (auch heute noch) harrt, an seinen expo
niertesten Stellen, wie „Wissenschaft als Beruf“ und „Politik als
Beruf“, in das Problem einer Politischen Theologie einmündet. Walter
Benjamin hat, nach eigenem Zeugnis, seine „kunstphilosophische
Forschungsweise“ an Carl Schmitts „staatsphilosophischen“ Reflexio
nen zum Problem „Politische Theologie“ gemessen und exponiert.
Die Diskussion von Carl Schmitts „Politischer Theologie“ erreichte
einen ersten Höhepunkt in den Auseinandersetzungen Erik Petersons.
Der protestantische Neutestamentler und später konvertierte katholi
sche Theologe hat in verschiedenen Anläufen die Thesen Carl Schmitts
angegangen: anfangs positiv gewürdigt, seit 1935 aber als illegitime
Problemstellung kritisch zu „erledigen“ gesucht. Als das Thema „Poli
tische Theologie“ in den 60er Jahren als Programm linker Polittheolo-
gen akut wurde, lastete das Verdikt Petersons als Vor-urteil über den
Diskussionen. Darum ist Carl Schmitt 1970 auf jene „Legende“ der
30er Jahre zurückgekommen, dass durch Erik Peterson das Problem
„Politische Theologie“ endgültig erledigt worden sei.
Jenseits „innertheologischer“ Kontroversen, die geisteswissenschaft
lich und sozialwissenschaftlich nur als „Symptom“ gewertet werden
können, weil von außen keine Kriterien zur Verfügung stehen, zur
Unterscheidung von legitim und illegitim, ist das Problem einer „Poli
tischen Theologie“ in seiner ursprünglichen Fragestellung geschichts
philosophisch und hermeneutisch produktiv geworden. Die
„Geschichtsphilosophischen Fliesen“ Walter Benjamins dechiffrieren
sich, wenn sie als teils verschwiegene, teils offene Auseinandersetzung
mit den Thesen Carl Schmitts gelesen werden, in den oft verworrenen
Fronten des Weltbürgerkrieges gegen Ende der Weimarer Republik
und seit dem Siegeszug des Faschismus. In der Epoche der liberalen
Restauration nach dem 2. Weltkrieg hat Hans Blumenberg in seiner
„Legitimität der Neuzeit“ in metaphorologischer Perspektive die Pro
blematik Carl Schmitts aufzulösen versucht. Dagegen hat Carl
Schmitt in einem Appendix zu „Politische Theologie II“ (1970) Stel
lung bezogen und auf die implizierte geschichtsphilosophische These
von Blumenbergs Verteidigung der „Legitimität“ der Neuzeit verwie
sen.
Im ersten Gang soll der von Carl Schmitt ausgeblendete Rekurs auf
antike und germanische Mythologie und seine politische Funktion
214
behandelt werden. Ein „Lob des Polytheismus“ klingt mit in jenem
„Pluralismus der Werte“, der seit Max Weber Wissenschaft und Poli
tik als „Beruf1 bestimmt.
Unterbelichtet blieb auch bei Carl Schmitt und in der Kontroverse
Peterson/Schmitt die Funktion der (häretischen) Mystik und des Pan
theismus, der —im Spinoza-Kult der deutschen Religionen der „Gebil
deten“ —eine politische Theologie auf dem konfessionell neutralisier
ten Boden der Aufklärung entwickelte.
Im dritten Gang soll die Konstellation: Politische Theologie im ersten
Drittel des 20. Jahrhunderts, Leitfaden der politischen Christologie
der Dialektischen Theologie einerseits und der Kontroverse Peterson/
Schmitt im katholischen Raum andererseits bestimmt werden - nicht
als innertheologische Debatte, sondern als Beitrag zur Diagnose der
geistigen Situation der Epoche.
Im letzten Gang soll das Problem „Politische Theologie“ in geschichts
philosophischer Perspektive exponiert werden, wozu die Auseinander
setzung Carl Schmitt/Walter Benjamin den Rahmen liefern kann.
Die messianistische Position Walter Benjamins läßt sich mit der 6.
„Geschichtsphilosophischen These“ umreißen, in der es heißt: „Der
Messias kommt ja nicht nur als Erlöser; er kommt als Überwinder des
Antichrist. Nur dem Geschichtsschreiber wohnt die Gabe bei, im Ver
gangenen den Funken der Floffnung anzufachen, der davon durch
drungen ist: auch die Toten werden vor dem Feind, wenn er siegt,
nicht sicher sein. Und dieser Feind hat zu siegen nicht aufgehört.“
Während aus dem Theologoumenon dieser These für Benjamin die
akut messianistische Maxime folgt, in jedem geschichtlichen Augen
blick eine revolutionäre Chance wahrnehmen zu sollen, ist für Carl
Schmitt der entscheidende geschichtsmächtige Begriff christlicher
Reflexion „der des Aufhalters, des ,Kat-echon‘ ... ,Reich1bedeutet hier
die geschichtliche Macht, die das Erscheinen des Antichrist und das
Ende des gegenwärtigen Aeon aufzuhalten vermag, eine Kraft, qui
tenet gemäß den Worten des Apostels Paulus im 2. Thessalonicher-
brief, Kapitel 2 ... Ich glaube nicht, daß für einen ursprünglich christ
lichen Glauben ein anderes Geschichtsbild als das des Kat-echon
überhaupt möglich ist.“ (C.S. Der Nomos der Erde).
Da es ein vornehmliches Ziel der sich zu konstituierenden For
schungsgruppe ist, das Terrain zu bestimmen, darin das Problem
„Politische Theologie“ hermeneutisch legitim verhandelt werden kann
215
(um nicht zum Spielball wechselnder Ideologeme zu werden), soll der
Vergleich theologischer und juristischer Begriffe, der nach Aussage
Carl Schmitts seine Problemstellung erst formierte, strukturell analy
siert werden. Dabei müßten die Gesichtspunkte, die in der Debatte
Schmitt/Blumenberg thematisch wurden (die letztlich geschichtsphi
losophisch in eine Auseinandersetzung um Legitimität und Illegitimi
tät der Neuzeit münden) berücksichtigt werden.
ÜBERLIEFERUNG O: TsK; ZfL, Nachlass Jacob Taubes. —TsK; Beinecke Rare Book
a n d M anuscript Library, Arthur Allen Cohen Papers. - K: DLA Marbach, Nachlass
Hans Blumenberg. - Die Problemskizze la g dem von Taubes unterschriebenen u nd von
M artin Kriele ts. gezeichneten R undbrief an die M itglieder der Forschungsgruppe:
Politische Theorie und Hermeneutik vom 7. Februar 1979 bei (DLA Marbach,
Nachlass Hans Blumenberg): Liebe Kollegen,!/] mit beiliegender Problemskizze
(Anlage I) möchten wir Sie herzlich zu einem Kolloquium der sich am Rande von
„Poetik und Hermeneutik IX“ konstituierten Forschungsgruppe „Politische Theo
rie und Hermeneutik“ (M. Kriele, O. Marquard, W. Pannenberg, J. Taubes) einla-
den. [/] Das Thema der Tagung lautet: „Politische Theologie als hermeneutisches
Problem“. Da das Kolloquium nicht auf einen wohletablierten Forschungsstand
rekurrieren kann und auf einem konsolidierten Niveau der Reflexion und Theorie
einsetzen kann, sondern im Gegenteil erst das Terrain urbar gemacht werden muß,
wo das Problem Politische Theologie hermeneutisch legitim verhandelt werden
kann —ohne Spielball wechselnder Theologeme und Ideologeme zu werden - waren
wir der Meinung, die Problematik in einer gewissen theoretischen Pointierung und
am Leitfaden klassischer Konstellationen vorstellen zu sollen. [...] Die Spielregeln
der Tagung sowie die Art der Texte, an die wir denken, sollen in der Form etwa (wir
sagen etwa, weil die Konstanzer Perfektion von „Poetik und Hermeneutik“ kaum in
einem Sprung zu erreichen ist) denen von „Poetik und Hermeneutik“ gleichen. Das
Kolloquium fa n d vom 30. Januar bis zum 2. Februar 1980 in der Werner-Reimers-
Stiftung in Bad H omburg v. d. H. statt. Vgl. dazu auch den R undbrief von J T an die
Mitglieder der Forschungsgruppe: Politische Theorie und Hermeneutik vom 16.
August 1979 (vgl. B r ief 72).
216
III EINLADUNG ZUM HOBBES-COLLOQUIUM (1979)
2. November 1979
217
Ich selbst bin in letzter Zeit durch die Schrift von Professor Ernst-
Wolfgang Böckenförde “Der Staat als sittlicher Staat” (Duncker und
Humblot 1978) und kürzlich durch das Kursbuch 56 “Unser Rechts
staat”, insbesondere durch die Aufsätze von Hans Magnus Enzensber
ger “Geheimnisse der deutschen Demokratie” und Ulrich Preuß “Die
Aufrüstung der Normalität”, darauf gestoßen, daß Professoren und
Intellektuelle jetzt eine neue Ortsbestimmung des Staates oder genau
er der Ideologie des Staatsapparates versuchen.
Ein Versuch wie der unsrige, Partisanen der Theorie und Vertreter der
politischen Praxis zu einem “round table” zu vereinen, steht unter
dem resignierenden Zweifel des wirkungsmächtigsten, aber auch kon
troversesten Berliner Philosophen, daß “die Philosophie immer zu
spät” kommt. Dennoch scheint mir der Versuch wert, ein solches
Gespräch zu inaugurieren. Ortsbestimmungen zum Problem Staat
sollen nicht erst erscheinen, “nachdem die W irklichkeit ... sich fertig
gemacht hat” (Hegel). Vielleicht ist es möglich, Zeichen der Orientie
rung schon während der Fahrt zu setzen, um so die dumpfe und ver
wirrte Aktualität bewußt zu machen.
Ich habe Herrn Professor Jacob Taubes gebeten, in einem Memoran
dum eine Skizze für unsere Tagung zu entwerfen und erlaube mir, die
se Ihnen beizulegen. Seine Skizze bezeichnet Taubes selbst als “einen
höchst vorläufigen Versuch, das Feld der Diskussion abzustecken.
Dieser Versuch verlangt Kritik und Korrektur durch gemeinsame Dis
kussion. Auf keinen Fall sind Senator und Präsident auf die skizzierte
Problemstellung einzuschwören."
Die technischen Details, der genaue Ort und eine Tagungsordnung
der Tagung wird Ihnen in einem zweiten Rundbrief Ende November
/ Anfang Dezember geschickt. Ich hoffe sehr, daß Sie trotz dieser spä
ten Anfrage und Einladung am Colloquium teilnehmen können.
M it freundlichen Grüßen
bin ich Ihr
218
IV MEMORANDUM ZUM HOBBES-COLLOQUIUM
(1979, 3. FASSUNG)
“Der sterbliche Gott” ist die provokanteste Formel des Thomas Hob
bes für den “Leviathan”: “This is the génération of that great Levia
than, or rather, to speak more reverently, of that mortal god. to which
we owe under the immortal God. our peace and defence” (ch. 17).
Vom Leviathan heißt es im Buche Hiob Kapitel 41, Vers 24: Keine
Macht auf Erden kann mit ihm verglichen werden. Diesen Satz hat
Hobbes zum Motto des Werkes erhoben. Am Ende seines Lebens, als
Hobbes die Geschichte des englischen Bürgerkriegs beschrieb, ist er
noch einmal auf dieses Hiob-Kapitel zurückgekommen. “Leviathan”
und “Behemoth” sind die Brennpunkte seiner Ellipse. Der Leviathan
ist das einzige Korrektiv des Behemoth. Der Staat ist das eine Unge
tüm, die Revolution das andere.
Man muß sich von den Zwängen unserer Gegenwart befreien und
den Fallstricken polit-theoretischer Schablonen: absolutistisch, totali
tär, faschistisch, liberal usw. entgehen, also man muß alle vorschnellen
Aktualisierungen meiden, um zur Intention von Thomas Hobbes vor
stoßen zu können. Es schiene mir verwegen, auch nur in rohestem
Umriß ein System seiner Lehre rekonstruieren zu wollen. Die Versu
che der philosophischen Schriftgelehrten, den Gedanken von Hobbes
systematisch darzustellen, schrecken. Sie sind strittig untereinander,
und jeder Versuch zur Synthese oder Konkordanz der gegenstrebigen
Meinungen kann als gescheitert angesehen werden. Ich halte mich an
Rousseau, der einmal mit hoher Absicht Hobbes “un auteur chrétien”
(contrat social IV, 8) nennt. Christlich ist seine Lehre vom Naturzu
stand, die ich eher als Lehre vom Naturstand des Menschen bezeich
nen würde. Als solcher ist er mehr in der christlichen Theologie als in
der politischen Philosophie daheim. Der Naturstand (state of nature)
wurde in theologischer Perspektive vom Gnadenstand (state of grâce)
unterschieden. Hobbes säkularisiert die fundamentalen Theologume-
na des Christentums.
219
Wenn Hobbes die Entstehung des Staates als Transfiguration des
Menschen vom natürlichen gnadenlosen Schöpfungsstand zum bür
gerlichen “Gnaden’stand, der Frieden und Sicherheit verbürgt,
beschreibt, so geschieht dies in der Perspektive auf jenen “Caesar mit
der Seele Christi”, von dem Nietzsche in einem seiner illuminierten
Augenblicke sprach. Der Naturstand des Menschen spiegelt den uni
versalen Bürgerkrieg: Naturrecht steht gegen Naturrecht, folglich
Rechtssubjekt gegen Rechtssubjekt, folglich Wolf-Mensch gegen
Wolf-Mensch. Indem diese Wolf-Menschen sich dem “Leviathan”
unterwerfen, geschieht die Menschwerdung des Menschen. Die
Menschwerdung des Menschen geschieht unter der Signatur des
“sterblichen Gottes”, dem Leviathan.
In der Fluchtlinie dieser Perspektive werden einige Umrisse seiner
Lehre deutlicher. Was Hobbes beschreibt, ist die Menschwerdung des
Menschen angesichts des erscheinenden “sterblichen Gottes” Levia
than, der Aug in Aug mit der Menschwerdung Gottes in Christus
steht, durch den christlich die Menschwerdung des Menschen sich
vollzieht. Dies war (und ist) ein philosophischer und theologischer
Brocken, den die bürgerliche Gesellschaft so nicht schlucken konnte.
Sie schluckte diesen Brocken, als er ihr von Hegel “auf Raten” geliefert
wurde. Denn nichts anderes als die Menschwerdung des Menschen
Aug in Aug mit der Menschwerdung Gottes beschreibt Hegel, auf
Epochen verteilt, in fast biedermeierlicher Gemütlichkeit in seinen
Vorlesungen zur “Rechtsphilosophie”. In dieser gemütlichen Form
einer Geschichtsphilosophie ist die provokante Lehre von Thomas
Hobbes in Hegels Programm vom Weltgeist als “Gang Gottes in der
Welt” und vom Staat als “erscheinendem Gott” eingegangen und hat
mit Marx und Lenin den Siegeszug durch Orient und Okzident ange
treten.
Man kann natürlich in moralischer und religiöser Indignation Titel
und Programm von Hobbes ablehnen. Freilich von seinem Problem
läßt sich sagen: tarnen usque recurret. Die Erfahrungen des konfessio
nellen Bürgerkrieges sind unter den veränderten Bedingungen unseres
Jahrhunderts wieder aktuell geworden, ln den Konstellationen der
konfessionellen Bürgerkriege erkennen wir unsere Epoche als Zeital
ter des ideologischen Weltbürgerkriegs wieder. Hobbes hat das 17.
Jahrhundert bewußt und denkend erlebt. Die Parteispaltungen des
konfessionellen Bürgerkriegs, denen er sich durch ein langes Leben
220
hindurch zu entziehen versuchte, waren gefährlich genug, ihn zu
bedrohen. Die meisten seiner Zeitgenossen waren vom Geist des Bür
gerkriegs angesteckt und sind an ihm zerbrochen.
Er gehört zu den ganz wenigen, die es verstanden, die Parteiungen von
innen und außen zugleich zu sehen. Deshalb konnte er eine Entschei
dung für das eine oder andere Regime hinausschieben, bis sein Geist
sich geformt und seine Gedanken sich zum Werke verdichtet hatten.
Ich habe den tiefsinnigen und hinterlistigen Satz von Hobbes für unse
re “Orientierung” an den Anfang gestellt, weil er just in seiner leicht
ironischen Formulierung jene Fragen zusammenfaßt, die auch heute
noch das medusische Antlitz des “sterblichen Gottes” Staat bestim
men. Wir, die wir an der Schwelle einer “nach-staatlichen Aera” stehen,
können vielleicht größere Gerechtigkeit einem freien Geist wie Hob
bes gegenüber walten lassen, wenn er aus den Schrecknissen seiner Zeit
zu dem Entweder-Oder gelangt: entweder Staat oder Barbarei. Wir
sind gezwungen zu fragen, wie das Humane im anrollenden Zeitalter
des Caesarismus gewahrt bleiben kann. Auf diese Frage möchte ich in
unserer “Orientierung” hinsteuern. So allgemein gestellt ist sie zu vage.
Deshalb erlaube ich mir, sie in drei folgende Fragen aufzuschlüsseln:
1. Der Staat und die indirekten Gewalten: Leo Strauß hat 1930 schon
in seinem Werk “Die Religionskritik Spinozas” festgehalten, daß der
Kampf gegen das von der römischen Papstkirche erstrebte “Reich der
Finsternis”, also der Kampf gegen die indirekten Gewalten der eigent
liche Sinn der politischen Theorie von Hobbes ist. Das Problem der
“potestas indirecta” stellt sich heute in neuer Form. Das Problem ist
heute noch verwickelter, denn die Grenzen zwischen direkter und
indirekter Gewalt werden immer undeutlicher. Angesichts der
schrumpfenden staatlichen Souveränität, in Anbetracht der internati
onalen wirtschaftlichen Verflechtungen, die das staatliche Gewaltmo
nopol schwächen, lauert die Fragestellung von Hobbes uns auf. Über
nationale Interessenträger üben nicht nur indirekte, sondern auch
direkte Gewalt aus. Ist damit nicht der Kampf von Hobbes gegen die
“potestas indirecta” in verschärfterWeise gestellt? Aber auch innerhalb
national verfaßter Gesellschaft wird ja durch die die gesellschaftlichen
Großgruppen organisierenden Verbände indirekte Gewalt durch
Macht ausgeübt.
2. Der Staat und der Caesarismus: Seit dem epochemachenden Buch
“Land und Herrschaft” von Otto Brunner wissen wir, daß der moder
221
ne Staat sich langsam aus den ganz un-staatlich strukturierten Herr
schaftsbeziehungen und Lebensordnungen des Mittelalters herausge
bildet hat. Wenn die Form des Staates historisch bedingt ist, also einen
datierbaren Anfang hat, dann gewinnt die Perspektive an Evidenz,
daß die Form des Staates auch ein Ende hat. Diese Perspektive
bestimmt im 19. Jahrhundert die Prognosen von Marx und Engels.
Selten war eine Formel so wirksam wie die marxistische Prognose: der
Staat “stirbt ab”. Selten aber wurde auch gefragt: was folgt auf die
Ordnungsform des Staates?
Pierre Naville, der einst André Breton dahin belehrte, daß die surrea
listische Revolte Phrase bleibt, wenn sie sich nicht in den Zusammen
hang der kommunistischen Revolution stellt, hat in den 70er Jahren
in einem monumentalen Werk die Geschichte der sozialistischen The
orie und deren Institutionen unter den Titel “Le nouveau Léviathan”
gestellt. In den Diskussionen und Kämpfen um die ökologische Frage
taucht für nachdenkliche Geister das Gespenst von Hobbes am Hori
zont auf. Denn wie lassen sich die berechtigten Anliegen des ökologi
schen Protests anders angehen als durch eine zentralisierte Staatsge
walt? Die Spannung zwischen zentralisierten Entscheidungen
einerseits und Bürgerinitiativen andererseits, die die Funktion des
Staates negieren, sind die Brennpunkte der Ellipse, um die unser Pro
blem heute sich dreht.
3. “Der neue Leviathan” und die Menschenrechte —vertauschte Fron
ten. Einigen von uns klingt noch im Ohr: “die Internationale erkämpft
das Menschenrecht”. Diese Schlußzeile des marxistischen “Ein feste
Burg ist unser Gott” bezieht sich, wenigstens in der deutschen Fas
sung des Lieds, zurück auf die Menschenrechtserklärung der Franzö
sischen Revolution. Die Päpste des 19. Jahrhunderts haben in der Tat
diesen “roten Faden” im Gewebe des modernen Bewußtseins ent
deckt, herausgehoben und unter finsterste Anklage gestellt. Ist es nicht
verwirrend für ein einfaches Menschenkind, dessen Bewußtsein bis
hin zur Französischen Revolution reicht, zu bemerken, daß heute ein
Papst in Polen aufs “Menschen-recht” pocht, während die Mitglieder
des polnischen ZK, die, wenn sie singen, die “Internationale” singen,
auf den Mund geschlagen sind? W ie ist dieser Wandel im Bewußtsein
zu erklären, wie kam es zu den vertauschten Fronten?
Ist es nur politische Taktik, daß gerade jetzt das Problem der Men
schenrechte auf die Tagesordnung der Öffentlichkeit kommt? Welche
222
Perspektiven eröffnen sich dadurch, daß eine autoritär organisierte
universale Kirche heute im Namen der Menschenrechte caesaristische
Regimes kritisiert? Schlägt das Thema Menschenrechte nicht auf die
Kirche selbst zurück? W ie kam es zu den vertauschten Fronten? Sind
die Fronten wirklich vertauscht? —
Der round table darf nicht mit einem akademischen Colloquium ver
wechselt werden. W ir treffen uns nicht zur Hobbes-Exegese und wol
len uns nicht zu ausführlich in historische Konstellationen verirren.
Eher geht es darum, im Blick auf Hobbes geistespolitische Orientie
rungen in unserer Gegenwart zu suchen.
Das Procedere stelle ich mir etwa so vor: Am Anreisetag trifft sich
nach dem Abendessen der gesamte Kreis zu einer problemstellenden
Sitzung, in der die Themenkreise der drei Gruppen genauer Umrissen
werden. Es scheint mir wichtig, daß gerade in der problem-orientie-
renden Sitzung Sie einleitend sprechen. Ich weiß, wie belastet Ihre
Tage und Nächte sind. Dennoch erlauben Sie mir darauf zu insistie
ren, daß Sie nicht nur mit von der Partie sind, sondern einleitend eine
Problemstellung skizzieren, wie sie sich aus den konkreten Entschei
dungskonstellationen Ihres Amtes und Ihrer Verantwortung ergibt.
Ich will Sie nicht auf Hobbes festlegen, aber Ihnen eine Fortsetzung
zur “Innenausstattung der Macht” entlocken, die diesem Colloquium
eine aktuelle Signatur gibt.
Am Konferenztage selbst geschieht die Arbeit in den drei Gruppen.
Sonnabend- und Sonntagvormittag gelten als Konferenztage. Am
Sonntagnachmittag findet eine gemeinsame Sitzung der drei Gruppen
statt, womit der interne Teil des Colloquiums abgeschlossen ist. An
den Arbeitskreisen sollen etwa 10-15 Personen teilnehmen. Es bleibt
selbstverständlich Ihnen überlassen, eine Liste der Teilnehmer aufzu
stellen. Ich möchte nur ein allgemeineres Anliegen anbringen. Es wäre
schade, wenn auf der Theorie-Seite des Colloquiums nur das rechts-
oder links-liberale akademische juste milieu berücksichtigt würde.
W ichtig scheint es mir, daß auch freie Schriftsteller und freie Geister,
die nicht akademisch normiert sind, mit von der Partie sind. Ich wür
de es auch begrüßen, wenn nicht nur “Lehrstühle” akademisch vertre
ten sind, sondern eine Gruppe junger Doctores und Assistenten eine
gewichtige Rolle spielt.
Offen möchte ich es lassen, ob ein Colloquium, das durch den Sena
tor für Wissenschaft und Forschung gemeinsam mit dem Präsidenten
223
der Freien Universität eingeladen wird, am Ende der Konferenz, also
Sonntagabend etwa, nicht doch noch eine halböffentliche Sitzung
haben soll, in der Berichterstatter sowie einige Mitglieder des Collo
quiums “aus der Schule” plaudern können, also die Problemstellung,
wie sie am Ende des Colloquiums sich ergab, vortragen und sich Fra
gen aus dem Publikum gefallen lassen. Ein Publikum soll eingeladen
werden, etwa fünfzig bis sechzig Personen, graduate students und
Intelligentsia der Stadt, die nicht nur aus der Zeitung erfahren sollen,
daß ein solches Colloquium stattgefunden hat.
224
Thesen der 20er Jahre im Deutschland am Vorabend des Bürgerkriegs
und seinen Thesen 1970 in einem sich in seiner Geschichtslosigkeit
einrichtenden geteilten Land zu er“messen”. Politische Messungen am
Leitfaden des Funktionswandels politischer Theologie! Schmitts pro
vokativer Satz: “Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre
sind säkularisierte theologische Begriffe”, der das Thema “politische
Theologie” 1922 einleitete, legte die Wände zwischen den verschiede
nen Disziplinen nieder. Philosophen, Theologen, Juristen und Histo
riker waren in den Streit um Politische Theologie im ersten Gang
involviert. 1970 hat der alte Partisan Carl Schmitt in “Politische Theo
logie II” den Ort seines Einstiegs ins Problem präzisiert, exculpierend
eingegrenzt: “Alles, was ich zu dem Thema Politische Theologie geäu
ßert habe, sind Aussagen eines Juristen über eine rechtstheoretisch
und rechtspraktisch sich aufdrängende, systematische Struktur-Ver
wandtschaft von theologischen und juristischen Begriffen.” Der
Sprengstoff des Themas hatte aber nicht nur weit über das Gebiet der
Jurisprudenz gewirkt. War in den zwanziger Jahren Politische Theolo
gie Stichwort einer Theorie der Gegenrevolution, so ist in den sechzi
ger Jahren Politische Theologie zum Stichwort revolutionärer Theorie
und Praxis geworden, ln diese schwer zu bestimmende geistige Situa
tion (und Situierung) des Problems Politische Theologie sollte das
Colloquium analytisch und diagnostisch eingreifen.
Die Vorlagen für das Colloquium und die Voten in der Diskussion
waren kritisches Zeugnis dafür, daß das Problem “Politische Theolo
gie” durch die akademischen Erledigungen, sei es durch Erik Peterson
in den dreißiger Jahren, sei es durch Hans Blumenberg in den sechzi
ger Jahren nicht vom Tische ist, sondern in der Gegenwart an Boden
und vielleicht auch an Blut (Theokratie im Iran!) gewinnt. Es ging im
Colloquium nicht um eine museale Aufbereitung einer Geschichte der
Politischen Theologie, sondern um Eingriffe in die Problemstellung,
um einen Versuch, das kritische und sprengende Potential im Problem
aufzuarbeiten und seinen zeitgeschichtlichen Index genauer zu bestim
men. Die Diskussion verlief ausgesprochen kontrovers, insbesondere
dann resistent, wenn Autoren, was selten geschah, im Resümee oder in
Voten selbst polittheologisch argumentierten, anstatt sich auf der
Metaebene einer Analyse der verschiedenen Konstellationen zu bewe
gen, in denen polittheologische Aussagen geschichtlich relevant wur
den. Im Großen und Ganzen bewegten sich sowohl die schriftlichen
225
Beiträge als auch die Voten auf dem Niveau hoher Komplexität: einer
seits auf historischer Ebene, um die Sachverhalte zu klären, die in kon
kreten Konstellationen “Politische Theologie” thematisch werden las
sen, andererseits auf einer hermeneutisch diagnostischen Ebene, auf
der ideologiekritisch das Strittige und Konvergente insbesondere in
den drei Konfrontationen a) Carl Schmitt — Walter Benjamin, b)
Carl Schmitt - Erik Peterson, c) Carl Schmitt - Elans Blumenberg
exponiert wurde. Diese drei Kontroversen, die zentrales Thema des
Colloquiums waren, wurden entfaltet auf der Folie einerseits eines Ver
gleichs antiker (paganer)-politischer Theologie mit Politischer Theolo
gie im christlichen Zeitalter, andererseits wurde die “katholische Linie”
der Politischen Theologie von De Maistre bis Carl Schmitt ergänzt
durch Konstellationen Politischer Theologie im Protestantismus von
Kierkegaard bis hin zur Dialektischen Theologie Karl Barths. Zur
Sprache kam auch jener Strang von “Mystik und Politik”, der im Spi
ritualismus von Spinoza bis Schleiermacher pantheistisch quer zu den
konfessionellen Formen politischer Theologie in Europa den [x] für
die “Religion der Gebildeten” bildete und dessen polittheologische
Konsistenz und Virulenz bisher wenig beachtet wurde. Das Colloqui
um wurde bereichert durch eine Studie, die weniger prinzipiell als
exemplarisch “Zur Frage nach dem Politischen bei völkisch-religiösen
Gruppierungen” erstaunliches Material zur Religion und Polittheolo-
gie des Präfaschismus ausbreitete. Es herrschte Übereinstimmung, daß
die Forschungsgruppe in förderen Sitzungen solche materialgesättig
ten Exemplarstudien fördern soll. Im Ganzen hat jedenfalls das Collo
quium erreicht, was es ereichen wollte, und es ist der Mühe wert gewe
sen, die Tagung zu organisieren.
226
B ö c k e n fö rd e (F re ib u rg ), L ü b b e (Z ü ric h ) u n d E ic h e r (P a d e rb o rn ), d ie
a n d e r T a g u n g n ic h t te iln e h m e n k o n n te n , a b e r P a p ie re e in g e s a n d t
h a b e n , s o lle n b e i d e r V e r ö ffe n tlic h u n g b e rü c k s ic h tig t w e rd e n .
Schon während der Tagung im Februar 1980 ist bei den Teilnehmern
Konsensus hergestellt worden, daß die Forschungsgruppe “Politische
Theorie und Hermeneutik” um eine Kerngruppe herum von nicht
mehr als sieben Mitgliedern sich konsolidieren soll. Zur Kerngruppe
gehören: Cancik, Eicher, Hübener, Lübbe, Marquard, Pannenberg,
Taubes. In weiteren Gesprächen ist für das Frühjahr 1982 ein Collo
quium zum Thema “Gnosis und Politik” vorgeschlagen worden. W ir
sind befugt, im Namen der Kerngruppe den Antrag zu stellen. Die
philosophische Forschung zum Thema Gnosis hat mit der Veröffent
lichung “The Nag Hammadi Library”, General Editor James M.
Robinson, 1978, einen vorläufigen Abschluß erlangt, darin die bisher
nur zerstreut vorgelegten Fragmente und Schriften von Nag Hamma
di vorbildlich zusammengefaßt sind, so daß eine ideologiekritische
und sozialgeschichtlich orientierte Analyse heute auf sichererem
Grund exponiert werden kann als in der “geistesgeschichtlichen”
Gnosis-Diskussion der fünfziger Jahre (über den Einfluß der Gnosis
auf die Konstitution des modernen Bewußtseins: Eric Voegelin, “The
New Science of Politics” 1952 versus Hans Blumenberg, “Legitimität
der Neuzeit” 1961). Nicht die philologische Analyse, sondern eine
sozialgeschichtliche Interpretation der “gnostischen Versuchung” soll
im Mittelpunkt der Problematik von “Gnosis und Politik” stehen.
Neben der Kerngruppe von sieben Mitgliedern sollen noch maximal
13 Gäste meist aus Deutschland eingeladen werden, u.a. auch M it
glieder des Ostberliner Arbeitskreises Praxis an der Akademie und
Humboldt-Universität.
W ir wären dankbar, wenn die Werner-Reimers-Stiftung unser Anlie
gen in Erwägung ziehen könnte und bitten um baldigen Bescheid.
Sollte ein ausführlicher Antrag und Exposition der Problemstellung
“Gnosis und Politik” nötig erscheinen, so bitten wir, uns rechtzeitig zu
verständigen. Eine Planungsgruppe von vier Personen müßte sich spä
testens im April 1981 treffen, um für März/April 1982 die Einladung
ergehen zu lassen. Die Planungsgruppe für das Colloquium “Gnosis
und Politik” soll bestehen aus: Cancik (Tübingen), Kippenberg (Gro
ningen), Koschorke (Bern), Taubes (Berlin).
227
ÜBERLIEFERUNG Druckvorlage: TsK m it gedrucktem Briefkopf; BA Koblenz, Vor
lass Ernst-Wolfgang Böckenförde, N 1538/234. D er Bericht datiert vom 28. Okt. 1980;
fü r den Abdruck wurden die a u f dem Formular fu r Abschlussberichte geforderten Anga
ben w ie Veranstalter, Zeitraum etc. fortgelassen.
228
jenseits des Kanals. Die Prämissen, die ihr zugrunde liegen, spiegeln
einerseits die Erfahrungen von Gewalt und Terror; andererseits wer
den sie naturrechtlich überhöht. Der Mensch ist, im unbefriedeten
Zustand lebend, ein rücksichtslos und auf Kosten seines Nächsten
nach Selbsterhaltung strebendes Wesen. In „De Homine“ und „De
Cive“ hat Hobbes die anthropologischen Fundamente gelegt, auf
denen der „Leviathan“ konstruiert wird.
Die Konsequenzen aus diesem pessimistischen Blick, der kaum etwas
gemein hat mit den Sonnenseiten des „Siècle des lumières“, sind frei
lich durch und durch Konstrukt — im Atem einer Aufklärung, die
zuerst den Umgang mit den Himmelskörpern, dann die Physik der
Erde und schließlich die technischen Bedingungen der societas civilis
gelehrt hatte. Hobbes nennt den Staat, der nach außen und innen das
Monopol der Gewalt bei sich hält, Schutz seinen Bürgern gewährt,
den Frieden sichert und über die Formen der Gottesverehrung wacht,
eine machina machinorum. Es gehört zur Aura des Künstlichen, daß
der Staat des Hobbes durch einen Gesellschaftsvertrag zustande
gekommen ist. Vernunft hat bewirkt, daß die Menschen, des Kampfes
aller gegen alle müde, ihr natürliches Streben nach Selbsterhaltung
unter die Gewalt des Souveräns bringen. Dieser Souverän ist
geschmückt mit dem mythischen Bild vom Leviathan.
Der „Leviathan“ ist die politische Antwort auf eine bestimmte, histo
risch nachweisbare politische Herausforderung. Als er 1651, drei Jah
re nach der Beendigung des Dreißigjährigen Kriegs, in englischer
Sprache erschien, mußte sein Verfasser Verfolgung und Gefangennah
me gewärtigen. Keine der Parteiungen verstand die Zeichen, die von
dem Buch ausgingen und im Titelkupfer, einem Meisterwerk baro
cker Emblematik, symbolisiert waren. Aber der riesige Mann, der aus
vielen kleinen Menschen zusammengesetzt ist und Bischofsstab und
Schwert schützend über eine Stadt hält, ist nichts anderes als eine
Metapher für den Politik und Theologie verwaltenden Staat.
Damit ist die Wendung gegen die mit den Staaten konkurrierenden
Ansprüche der römischen Papstkirche unvermeidlich. Eindeutig hat
Hobbes ihr erst im „Leviathan“ Sprache gegeben; in den thematisch
verwandten Schlußkapiteln von „De Cive“ ist sie noch verhüllt. So
oder so: indem der Staat über äußere religiöse Betätigung gebietet,
verhindert er den Glaubenskrieg. Er ist als Staat zugleich das, und das
in seinem Bereich einzige, christliche Gemeinwesen.
229
Und dennoch ist der Anspruch des „Leviathan“ mehr als nur ein prag
matischer. Denn Hobbes zielt mit seiner Lehre auf den Idealstaat fern
aller historischen Kontingenz, dem Erbe Platons näher als jenem von
Hugo Grotius.
Entgegen allen Indizien, entgegen allen christlichen Beteuerungen
seines Autors, scheint der „Leviathan“ plötzlich allen geschichtlichen
Zuordnungen sich zu entziehen. Wenn Hobbes auf die Entstehung
des Staates zu sprechen kommt, hat er weniger die Genese des moder
nen Territorialstaats seit Renaissance und Reformation im Auge als
vielmehr den mythischen Beginn vor aller Geschichte. Und wie Reli
gion zum Wesen des Menschen gehört, so gehört es zum Wesen des
Staates, die Bindung an das Überirdische in sichere Bahnen zu lenken.
Der Boden freilich, der dem „Leviathan“ die zeitlose Dauer zu sichern
hat, ist nichts anderes als die Einsicht in die Natur des Menschen.
Deshalb die energische Zurückweisung der Gewaltenteilung und der
Kampf gegen das Widerstandsrecht. Während Montesquieu diese ver
kündet und Kant jenes rechtfertigt und die Staaten ihre Entwicklung
durchlaufen, wirft der „Leviathan“ einen geheimnisvollen Schatten.
Ist er die Prophezeiung des säkularisierten Industriestaates? Ist er die
prophetische Warnung vor dem Gesinnungsterror der neuzeitlichen
Revolutionen? — Thomas Hobbes ist am 4. Dezember 1679, im Alter
von 91 Jahren, gestorben. Der Satz, daß er es mit seinen Andeutungen
so halte wie Leute, die für einige Augenblicke das Fenster öffneten,
um es aus Furcht vor dem Sturm rasch wieder zu schließen, verweist
auf mehr als auf ein bewegtes Leben in bewegter Zeit.
Das 17. Jahrhundert ist die erste Periode der modernen Geschichte,
wo wir Land sehen. In den Konstellationen dieses Jahrhunderts erken
nen wir uns und unsere Probleme wieder. Hobbes hat diese Periode
bewußt und denkend erlebt. Die Parteispaltungen des konfessionellen
Bürgerkriegs, denen er sich durch ein langes Leben hindurch zu ent
ziehen versuchte, waren gefährlich genug, ihn zu bedrohen. Die meis
ten seiner Zeitgenossen waren vom Geist des Bürgerkriegs angesteckt
und sind an ihm zerbrochen. Er gehört zu den ganz wenigen, die es
verstanden, die Parteiungen von innen und außen zugleich zu sehen.
Deshalb konnte er eine Entscheidung für das eine oder andere Regime
hinausschieben, bis sein Geist sich geformt und seine Gedanken sich
zum Werke verdichtet hatten. Hobbes gehört zu jenen verwegenen
Geistern am Anfang der Moderne, die vor der Konsequenz ihres
230
Gedankens nicht zurückschrecken und eine Logik des Extrems wagen.
Auch wenn seine Logik des Extrems ihn an den Abgrund führt, faszi
niert er durch die klare Linienführung seines Gedankens. Darum keh
re ich, wenn auch widerwillig, immer wieder zu Hobbes zurück.
„Hobbes“, so beginnt Carl Schmitt sein bedeutendes Buch über den
„Leviathan“, „ist durch den ,Leviathan* berühmter und berüchtigter
geworden als durch sein ganzes übriges Werk. Für das summarische
Allgemeinbewußtsein ist er überhaupt im Ganzen nichts anderes als
ein ,Prophet des Leviathan*. Wenn Hegel sagen kann, das nach dem
Leviathan benannte Buch sei ,ein sehr verrufenes Werk*, so hat sicher
schon der Name zu diesem Rufe beigetragen. Die Zitierung des Levi
athan wirkt nämlich nicht als bloße Veranschaulichung eines Gedan
kens ... es wird vielmehr ein mythisches Symbol von hintergründiger
Sinnfülle beschworen.“ (Neuausgabe i. d. Edition Maschke, S. 9)
Vom Leviathan heißt es im Buch Hiob Kapitel 41, Vers 24: „Keine
Macht auf Erden kann mit ihm verglichen werden.“ Diesen Satz hat
Hobbes zum Motto des Werkes erhoben. Am Ende seines Lebens, als
Hobbes die Geschichte des englischen Bürgerkriegs beschrieb, ist er
noch einmal auf dieses Hiob-Kapitel zurückgekommen. „Leviathan“
und „Behemoth“ sind die Brennpunkte seiner Ellipse. Der „Levia
than“ ist das einzige Korrektiv des „Behemoth“. Der Staat ist das eine
Ungetüm, die Revolution das andere.
Mythische Symbole
Es erstaunt, wie selten die Interpreten und Exegeten von Hobbes auf
jene Kapitel des Hiob-Buches zurückgegriffen haben, denen er die
mythischen Titel seiner Werke entlehnt. Die mythischen Tiere aus
dem Abgrund, sei es das Tier aus der Erde, sei es das Tier aus dem
Meere, erscheinen in der Antwort Gottes an Hiob im Sturm. Diese
Antwort Gottes auf Hiobs Hader, die dem Menschen Hiob auch jede
Antwort verschlägt, sie ist das Alpha der Theo-Logik von Hobbes. Die
potentia absoluta des spätmittelalterlichen Willkürgottes, die in seiner
Lehre von der absoluten Souveränität Gottes mitschwingt, ist für
Hobbes im Hiob-Gott vorgezeichnet. Aus dem Arsenal seiner Rede
stammen die beiden mythischen Tiere aus dem Abgrund, durch die
Hobbes die beiden Pole menschlicher Verhältnisse bezeichnet.
Es schiene mir verwegen, auch nur in rohestem Umriß ein System sei
ner Lehre rekonstruieren zu wollen. Die Versuche der philosophi-
231
sehen Schriftgelehrten, den Gedanken von Hobbes systematisch dar
zustellen, schrecken. Sie sind strittig untereinander, und jeder Versuch
zur Synthese oder Konkordanz der gegenstrebigen Meinungen kann
als gescheitert angesehen werden. Keine der gängigen Spielmarken,
die eine philosophische Systematik zu vergeben hat, keiner der
,,-ismen“, mit denen nicht als Schlüssel hantiert wurde, um das Schloß
zu seinem Werk aufzusprengen.
Der erste, der die endlos vergebliche „philosophische“ Diskussion um
Hobbes hinter sich ließ, indem er an die mythische Ladung des Titels
seines Hauptwerkes erinnerte, war Carl Schmitt. Vor vier Jahrzehnten
hat er seinen Sinn an den Namen des Hauptwerks geheftet, wissend,
daß Name nicht Schall und Rauch ist. Von diesem Namen her hat
Carl Schmitt versucht, die tiefere Intention des Werkes von Hobbes
zu entwickeln. Dieser Tigersprung ins 17. Jahrhundert gelang Carl
Schmitt wohl aus tiefer Wahlverwandtschaft mit dem großen Englän
der. Daß die Interpretation von Carl Schmitt die schrecklichen Zei
chen seiner Zeit an sich trägt, gehört mit zum Schicksal — auch des
Autors des „Leviathan“.
Unbestritten freilich bleibt der Eingriff Carl Schmitts, wenn er auf
jenen Kupferstich hinwies, der die erste englische Ausgabe des „Levi
athan“ von 1651 begleitet. Zusammen mit dem Titel „Leviathan“ und
dem Motto aus dem Buch Hiob: non est p o testas su p er terram
q u ae co m p aretu r ei sichert die Emblematik des Kupferstichs dem
Werk des Hobbes auf den ersten Blick schon einen ganz ungewöhnli
chen Eindruck. Mehr noch: sie führt mitten in die Exegese:
„Ein riesenhafter großer Mann, der aus zahllosen kleinen Menschen
zusammengesetzt ist, hält mit dem rechten Arm ein Schwert, mit dem
linken einen Bischofsstab schützend über einer friedlichen Stadt. Unter
jedem Arm, dem weltlichen wie dem geistlichen, befindet sich eine
Reihe von je fünf Zeichnungen: unter dem Schwert eine Burg, eine
Krone, eine Kanone, dann Gewehre, Lanzen und Fahnen und schließ
lich eine Schlacht: dem entsprechen, parallel, unter dem geistlichen
Arm: ein Gotteshaus, eine Bischofsmütze, Bannstrahlen, zugespitzte
Distinktionen, Syllogismen und Dilemmen und schließlich ein Konzil.
Diese Zeichnungen stellen die typischen Macht- und Kampfmittel der
weltlich-geistlichen Auseinandersetzung dar. Der politische Kampf mit
seiner unaufhörlichen und unvermeidlichen, alle Gebiete menschlicher
Produktivität erfassenden Freund-Feind-Auseinandersetzung bringt
232
auf beiden Seiten spezifische Waffen hervor. Den Festungen und Kano
nen entsprechen auf der anderen Seite Einrichtungen und intellektuel
le Methoden, deren Kampfwert nicht geringer ist.“
Magnus Homo
Erstaunlich ist, daß der Leviathan sowohl im Titelbild als auch in den
erklärenden Texten von Hobbes in der Form eines Menschen erscheint.
W ir hätten beim Leviathan doch eher ein Seeungeheuer, ein Tier aus
dem Abgrund des Meeres erwartet, das die Sätze des Hiob-Buches in
ein emblematisches Zeichen umsetzt. Der Leviathan erscheint aber im
Emblem als majestätisch großer Mensch. Auch im Text spricht Hob
bes nebeneinander vom magnus homo und vom magnus Leviathan.
Die beiden Namen vertreten sich wechselseitig. Dies bedarf einer
Erklärung.
Der „große Mensch“ ist für Hobbes kein natürliches Wesen. Er wird
von ihm gleich zu Anfang des Werkes eingeführt als „übernatürlich“.
Übernatürlich, weil „künstlich“. Als ein animal artificíale wird der
Leviathan von Hobbes vorgestellt. Wer ist nun dieser künstliche homo
magnus, genannt Leviathan? Einen Hinweis liefert Hobbes im zwei
ten Buch, „de civitate“, Kapitel 17, der, wie es uns scheint, den Schlüs
sel hergibt, um das Tor zu dem vertrackten Werk aufzuschließen. In
diesem Kapitel konstruiert Hobbes die Entstehung des Staates. Der
Staat überwindet den Naturzustand, der vom Kampf aller gegen alle
durchherrscht ist. Durch einen virtuellen Vertrag eines jeden mit
jedem andern entsteht eine repräsentative Person oder Körperschaft,
die ihreseits die vertragschließende Menge zu einer neuen einheitli
chen Person erhebt: dem Staat. Darin liegt, so sagt Hobbes, das Mys
terium der Entstehung des Staates beschlossen.
Der entscheidende Satz zur Thematik der Entstehung des Staates lau
tet: „Dies ist die Erzeugung jenes großen Leviathan oder besser, um es
ehrerbietiger auszudrücken, jenes sterblichen Gottes, dem wir unter
dem unsterblichen Gott unseren Frieden und Schutz verdanken.“
Hobbes fährt an dieser Stelle fort und begründet seinen zentralen Satz
so:,
„Denn durch diese ihm von jedem Einzelnen im Staate verliehene
Autorität stehen ihm so viel Macht und Stärke zur Verfügung, die auf
ihn übertragen worden sind, daß er durch den erzeugten Schrecken in
die Lage versetzt wird, den Willen aller auf den innerstaatlichen Frie
233
den und auf gegenseitige Hilfe gegen auswärtige Feinde hinzulenken.
Hierin liegt das Wesen des Staates
Ich kann nicht glauben, daß Hobbes an dieser Stelle, die das Zentrum
seiner Lehre bezeichnet, das Bild des Leviathan en passant einbringt,
daß es sich — wie Carl Schmitt meint — nur „um einen aus gutem
englischen Humor geborenen halb-ironischen, literarischen Einfall“
handelt. Der hart-geschliffene Satz ist provokant und erinnert in sei
ner Positionsbestimmung des Leviathan an das scholastische Theolo-
gumenon über den Menschen als secundus deus. Vergegenwärtigt
man sich das Emblem des Leviathan, das Hobbes seinem Werk beige
geben hat, so gewinnt an dieser Stelle der Vergleich des Leviathan als
[eines] sterblichen Gottes mit Christus als sterblichem Gott an Evi
denz. Man braucht nur Schwert und Bischofsstab des magnus homo
zu vertauschen, also ihm den Bischofsstab in die Rechte und das
Schwert in die Linke zu geben, so gewinnt man eine perfekte Symbo-
lisierung der mittelalterlich-theokratischen Lehre von der societas
christiana als einem einzigen Corpus, dessen Haupt Christus ist und
dem beide Gewalten, die geistliche wie die weltliche, unterstehen.
Dieser ikonologische Hinweis, den der bedeutende Kanonist Hans
Barion wie in einem Nebensatz anläßlich einer Rezension eines Buches
zum Problem der päpstlichen Gewalt im Mittelalter am Rande hin
wirft, erleuchtet wie ein Blitz die Landschaft, in der sich die Szene des
„Leviathan“ entfaltet. Von hier wird deutlich, daß der Kampf um die
von der römischen Papstkirche erstrebte Theokratie, die von Hobbes
als „Reich der Finsternis“ exponiert wird, den eigentlichen Sinn seiner
politischen Iheorie ausmacht. An dieser Stelle läßt sich auch der Grad
des Verfalls der gängigen akademischen, genauer: aller nur polit-theo-
retischen Interpretation ermessen, wenn man bedenkt, daß in einigen
kurrenten Ausgaben des „Leviathan“, eingeleitet von namhaften Poli
tologen und Philosophiehistorikern, dieser vierte Teil als „nur“ zeitge
schichtlich interessant gestrichen wird. Vielleicht lernen diese Schrift
gelehrten der Politik und der Philosophiegeschichte durch die jüngsten
Ereignisse im Islam und in Israel, daß Theokratie als Utopikum in den
Offenbarungsreligionen latent lauert, so daß jener vierte Teil des
„Leviathan“ eine ungeahnte Aktualität gewinnt, um das Abc jeder
Politik post Christum natum zu verstehen. In dieser Epoche geht es in
der Politik um „Matter, Forme and Power of A Common Wealth,
Ecclesiasticall and Civil“, wie der Untertitel des „Leviathan“ das The-
234
ma des Werkes bestimmt, also um die Grenzziehung zwischen spiritu
aler und weltlicher Gewalt und um sonst nichts.
Die Unterscheidung und Trennung von geistlich und weltlich, die
zuerst als Waffe im Investiturstreit von päpstlicher Seite geschmiedet
wurde, ist zur Signatur abendländischen Selbstverständnisses gewor
den. Durch diese Unterscheidung ist das saeculum freigesetzt und
politische Ordnung als selbständige Gewalt erst auf ihre eigene Bahn
gebracht worden. Thomas Hobbes hat den rein politischen Sinn jedes
geistlichen Entscheidungsanspruchs erkannt. Die geistliche Gewalt ist
nicht weniger politisch als die weltliche. Deshalb muß auch sie durch
den Engpaß der Sanktion des Souveräns hindurch. M it sicherem Griff
hat Hobbes die Frage nach der Sanktion formal gestellt. Er ließ sich
nicht das Entweder-Oder souveräner Entscheidung, geschehe sie mit
geistlichem oder weltlichem Anspruch, wegdisputieren. Der Bogen
spannt sich vom „Dictatus papae“ Gregors VII. und der Bulle „Unam
Sanctam“ von Bonifaz VIII. zu dem „Leviathan“ von Thomas Hob
bes. Hobbes kehrt die Reihenfolge um und schreitet zu einer neuen
Grenzziehung zwischen geistlich und weltlich. Die Grenzen zwischen
geistlicher und weltlicher Gewalt sind in der Geschichte des Abend
landes labil. Freilich, auch wenn die geistliche Gewalt bei Hobbes
gegen die wechselnden Ansprüche der Papstkirche einerseits sowie die
Ansprüche der Presbyterianer und Independenten des puritanischen
Englands andererseits virtuell zum Utopicum wird, sich asymptotisch
dem Nullpunkt nähert, so bleibt bestehen, daß auch für Hobbes ohne
diese Grenzziehung heidnischer Caesarismus uns überfällt. Der
Unterritel des „Leviathan“ kommt nicht von ungefähr: er umspannt
das Thema des „Leviathan“.
Angriffe
Es ist kein Zufall, daß einer der schärfsten Angriffe gegen Hobbes in
unserer Zeit von einem Schüler Karl Barths geführt wurde. Dietrich
Braun hat 1963 Band I seiner Basler Dissertation unter dem Titel
„Der sterbliche Gott, oder Leviathan gegen Behemoth“ veröffentlicht.
Die Fronten sind allein schon durch den Titel klar bezeichnet und die
Grenzen so gezogen, wie Hobbes es selber tat. Der Autor stellt — so
der Untertitel seiner Schrift — „Erwägungen zu Ort, Bedeutung und
Funktion der Lehre von der Königsherrschaft Christi in Thomas Hob
bes’ ,Leviathan““ an.
235
Bekanntlich hat die dialektische Theologie Karl Barths und seiner
Schule ein höchst ambivalentes Verhältnis zur Politik. Es kann nicht
erstaunen, daß diese Schule in Hobbes den Antichrist entdeckt, der
die theologischen Gefilde subversiv unterwandert. Denn eines ist es,
wenn christliche Theologen seit Augustin den „Gottesstaat“ exponie
ren unter der Bedingung, daß andere — die Heiden nämlich — das
Geschäft der Politik besorgen. Ein anderes aber, wenn der Menschen
staat von Christen, die sich als „wanderndes Gottesvolk“ verstehen,
errichtet werden soll. Die Beschwörung Augustins durch christliche
Theologen heute, die mit dieser Beschwörung allein schon meinen,
das Problem einer Politischen Theologie zu erledigen, vergessen oder
verschweigen, daß sie selbst als weltliche Bürger im Menschenstaat
Verantwortung tragen und den Fragen, die Hobbes an sie gestellt hat,
nicht entgehen können.
Man muß sich von den Zwängen unserer Gegenwart befreien und
den Fallstricken polittheoretischer Schablonen: absolutistisch, totali
tär, faschistisch, liberal usw., entgehen, man muß alle vorschnellen
Aktualisierungen meiden, um ins Zentrum leviathanischer Christo-
Logik von Thomas Hobbes vorstoßen zu können. M it hoher Absicht
nennt einmal Rousseau (Contrat social IV, 8) Hobbes „un auteur
chrétien“. Christlich ist seine Lehre vom Naturzustand, die ich eher
als Lehre vom Naturstand des Menschen bezeichnen würde. Ais sol
cher ist er mehr in der christlichen Theologie als in der politischen
Philosophie daheim. Der Naturstand (state of nature) wurde in theo
logischer Perspektive vom Gnadenstand (state of grâce) unterschie
den. Hobbes säkularisiert die fundamentalen Theologumena des
Christentums. Indem er sie aber verweltlicht, bewahrt er sie. Wenn
Hobbes die Entstehung des Staates als Transfiguration des Menschen
vom natürlichen gnadenlosen Schöpfungsstand zum bürgerlichen
„Gnaden“-stand, der Frieden verbürgt, beschreibt, so geschieht dies in
der Perspektive auf jenen „Caesar mit der Seele Christi“, von dem
Nietzsche in einem seiner illuminierten Augenblicke sprach. Der
Naturstand des Menschen dramatisiert den universalen Bürgerkrieg:
Naturrecht steht gegen Naturrecht, folglich Rechtssubjekt gegen
Rechtssubjekt, folglich Wolf-Mensch gegen Wolf-Mensch. Indem der
Wolf-Mensch sich dem Leviathan unterwirft, geschieht erst die
Menschwerdung des Menschen. Vernunft ist die Summe dieser Trans
figuration. Menschwerdung — des Menschen unter der Signatur des
236
Leviathan steht für Hobbes Aug in Aug mit der Menschwerdung Got
tes in Christus. So ist es nicht verwunderlich, daß der kardinale Satz
von Hobbes im „Leviathan“, den er mehr als vierzigmal wiederholt,
lautet: th at Jesus is th e C h rist.
In der Fluchtlinie dieser Perspektive lassen sich die Umrisse seiner
Lehre deutlicher erkennen. Was Hobbes beschreibt, ist die Mensch
werdung des Menschen angesichts des erscheinenden „sterblichen
Gottes“: Leviathan — Christus. Diese Lehre war (und ist) ein philo
sophischer und theologischer Brocken, den die bürgerliche Gesell
schaft so nicht schlucken konnte. Sie schluckte diesen Brocken, als er
ihr von Hegel „auf Raten“ geliefert wurde. Denn nichts anderes als die
Menschwerdung des Menschen angesichts der Menschwerdung Got
tes, verteilt auf Epochen, beschreibt Hegel in fast biedermeierlicher
Gemütlichkeit in seinen Vorlesungen zur „Rechtsphilosophie“. In die
ser gemütlichen Form einer „Geschichtsphilosophie“ ist die Lehre von
Hobbes in Hegels Programm vom „Weltgeist“ und vom Staat als
„Erscheinendem Gott“ eingegangen.
Ich möchte Carl Schmitt, einem alten, aber auch im höchsten Alter
noch unruhigen Geist meine Ehrfurcht bezeugen, obwohl ich als
bewußter Jude zu denen gehöre, die von ihm als „Feind“ markiert
wurden.
Ich habe dieses Axiom Carl Schmitts nie übersehen. Was aber „Feind“
bei Carl Schmitt heißt, lehren freilich nicht seine großen und lautstar
ken Texte, sondern eher seine gebrochenen Konfessionen, die unter
dem Titel Ex C a p tiv ita te S a lu s, 1950 erschienen sind.
Carl Schmitt war Jurist, kein Theologe, aber ein Jurist, der den heißen
Boden betrat, von dem die Theologen abgetreten waren.
237
Theologen neigen dazu, den Feind als etwas zu definieren, das vernich
tet werden muß. Als Jurist meinte Carl Schmitt der tödlichen Konse
quenz jener theologischen Feindbestimmung entgehen zu können.
Aber zwischen 1933 und 1938 macht sich Carl Schmitt zum Sprecher
jener manichäischen Ideologie des Nationalsozialismus, die den Juden
zum Vernichter der arischen Rasse mythisierte.
Man stuft sich ein durch das, was man als Feindschaft anerkennt und
wie man mit dem „Feind“ umgeht. „Schlimm sind freilich die Ver
nichter, die sich damit rechtfertigen, daß man die Vernichter vernich
ten müsse“. Dieser Satz ist nicht nur ein Gericht über andere, er steht
auch Aug in Aug mit den Sätzen Carl Schmitts zur Judenfrage,
ln D ie d eu tsch e R ech tsw issen sch aft im K am pf gegen den
jü d isc h e n G eist, 1936, schwor er die Juristen auf den Führer Adolf
Hitler ein, der von sich sagen konnte: „Indem ich mich des Juden
erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn“. Es ist fraglich, ob Carl
Schmitt auch damals schon wußte, welcher „Herr“ es war, für dessen
Werk der Führer damals kämpfte: sicher nicht „der Gott Abrahams,
Isaaks und Jakobs“, aber auch nicht „der Gott der Philosophen“ (Pas
cal).
Diese Sätze waren mir freilich nicht bekannt als ich als Neunzehnjäh
riger Carl Schmitts P o litisc h e T h e o lo g ie zum ersten Mal las und
in einem Seminar für moderne Geschichte an der Universität Zürich,
geleitet von Professor Leonhard von Muralt, kommentieren sollte.
Ein Jahr vorher war Karl Löwiths Von H egel zu N ietzsch e im
Europa-Verlag Zürich erschienen. René König, damals Privatdozent
für Soziologie, hatte mich auf Löwith aufmerksam gemacht. Es fiel
mir wie Schuppen von den Augen, als ich Löwiths Kurve von Hegel
über Marx, Kierkegaard zu Nietzsche begriff.
Alles was ich bis dahin zur spiritualen und intellektuellen Geschichte
des 19. Jahrhunderts gelesen und gehört hatte, kam mir schal und
irrelevant vor. Es wurde mir klar, daß „wer die Tiefen des europäi
schen Gedankenganges von 1830 bis 1848 kennt, auf das meiste vor
bereitet (ist), was heute in Ost und West laut wird“.
Es wurde mir durch die Lektüre Löwiths neuer Interpretation jener
Vergessenen und Verschollenen des Vormärz deutlich, daß hier ein
Wegweiser zur Orientierung in die Situation des Weltbürgerkrieges
unserer Generation zu finden war.
238
Von Löwith bekam ich einen Hinweis auf Carl Schmitt, der im
4. Kapitel seiner P o litisc h en T h e o lo g ie die Fronten dieses Welt
bürgerkrieges absteckt: „Zur Staatsphilosophie der Gegenrevolution“
heißt dies Kapitel und handelt kurz, aber bündig von de Maistre,
Bonald und Donoso Cortes.
Die Pointe dieses Kapitels ist eine Gegenüberstellung von Proudhon
und Bakunin als Fürsprecher der Revolution auf der einen Seite und
Donoso Cortes als Exponent der Gegenrevolution auf der anderen.
Unvergesslich bleibt Carl Schmitts Hinweis auf den „Satanismus“
jener Zeit. „Satanismus“ stellt keine beiläufige literarische paradoxie
gesättigte Metapher dar, sondern ein starkes intellektuelles Prinzip.
Erinnert wird von Carl Schmitt an die Thronerhebung Satans in jenen
unvergeßlichen Zeilen Baudelaires, die das Anliegen einer Generation
verdichten:
„Race de Cain, au ciel monte
Et sur la terre jette Dieu!“
Über diese geistesgeschichtlich und weltgeschichtlich bedeutsame
Entgegensetzung um die Mitte des 19. Jahrhunderts wollte ich in dem
Seminar, das „Religion und Politik im 19. Jahrhundert“ zum Thema
hatte, berichten.
Ich verband Carl Schmitts Analyse jener Konstellation mit Karl
Löwiths Kurve von Hegel zu Nietzsche, die mir als eine Art philoso
phischer Kartographie erschien, auf deren Grundlage erst Historio
graphie tel quel, wie sie gängig betrieben wird, geschrieben werden
kann. Ich sprach vierzig Minuten. Darauf folgte ein langes, fast pein
liches Schweigen.
Dann meldete sich der Professor und erschlug jede kommende oder
keimende Diskussion, indem er erstens Carl Schmitt, dessen Thesen
aus dem vierten Kapitel der P o litisc h e n T h e o lo g ie ich referierte,
als „bösen M ann“ abwertete und zweitens eine Linienführung durch
die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, wie Karl Löwith sie vorschlug,
als „ungeheuer einseitig“ verwarf. Ich stand so am Ende der Seminar
sitzung vor einem Trümmerhaufen meiner Thesen. Keine alternative
Interpretation wurde zum Problem, das ich angerührt hatte, vorge
schlagen, sondern man ging in diesem Seminar stumpfsinnig weiter:
von Woche zu Woche, von Thema zu Thema.
Ohne es zu wollen hatte Professor Leonhard von Muralt mir eine Lek
tion verpaßt, wie recht Carl Schmitt hatte, wenn er Hobbes zitierte:
239
auctoritas non veritas facit legem (die Autorität, nicht die Wahrheit
macht das Gesetz).
Damals ist in mir jener Zweifel an die Autorität der Ordinarienuni
versität gelegt worden, dessen Saat in den sechziger und siebziger Jah
ren aufging. Meine traumatische Erinnerung an jenes Seminar ist
sicher daran beteiligt, daß ich in den sechziger Jahren als Ordinarius
Partei ergriff gegen die Ordinarienuniversität.
240
Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem Projekt Max Webers
und der Abhandlung von Carl Schmitt? In welchem Verhältnis steht
sein Projekt „Politische Theologie“ zum Werk Max Webers? Wer ist
eigentlich Carl Schmitt?
Wenn es einen Text gibt, der das Anliegen Max Webers in nuce zusam
menfaßt, so ist es seine „Vorbemerkung“ zu den G esam m elten A uf
sätzen zur R elig io n sso z io lo g ie . Die Vorbemerkung beginnt so:
„Universalgeschichtliche Probleme wird der Sohn der modernen euro
päischen Kulturwelt unvermeidlicher- und berechtigterweise unter der
Fragestellung behandeln: welche Verkettung von Umständen hat dazu
geführt, daß gerade auf dem Boden des Okzidents, und nur hier, Kul
turerscheinungen auftraten, welche doch —wie wenigstens wir uns
gern vorstellen — in einer Entwicklungsrichtung von universeller
Bedeutung und Gültigkeit lagen? Nur im Okzident gibt es Wissen
schaft in dem Entwicklungsstadium, welches wir heute als ,gültig“
anerkennen.“
Weber geht nun durch die Gebiete oder Regionen Wissenschaft,
Kunst, Musik, Architektur, Universität, bis er zu dem letzten Punkt
kommt, zur „schicksalsvollsten Macht unseres modernen Lebens,
dem Kapitalismus“.
Überall verfolgt er im Gang seiner Reflexion dieselbe Frage: warum
diese Rationalität im Okzident und nur im Okzident so formuliert
worden sei.
Vom Recht sagt Weber: „Für eine rationale Rechtslehre fehlen ander
wärts trotz aller Ansätze in Indien, trotz umfassender Kodifikationen
besonders in Vorderasien und trotz aller indischen und sonstigen
Rechtsbücher, die streng juristischen Schemata und Denkformen des
römischen und des daran geschulten okzidentalen Rechtes. Ein Gebil
de ferner wie das kanonische Recht kennt nur der Okzident.“
Wenn ich im Werke Carl Schmitts nach Sätzen suche, in denen er sein
Anliegen in Anknüpfung an die Generalthese von Max Weber kon
kret formuliert, so sind es die folgenden aus seinen Konfessionen Ex
C a p tiv ita te S alu s: „Wir sind uns der Rechtswissenschaft als einer
spezifisch europäischen Erscheinung bewußt. Sie ist nicht nur prakti
sche Klugheit und nicht nur Ffandwerk. Sie ist in das Abenteuer des
okzidentalen Rationalismus tief verstrickt. Sie stammt als Geist von
edlen Eltern. Ihr Vater ist das wiedergeborene römische Recht, ihre
241
Mutter die römische Kirche. Die Trennung von der Mutter wurde
nach mehreren Jahrhunderten schwieriger Auseinandersetzungen im
Zeitalter des konfessionellen Bürgerkrieges endlich vollzogen. Das
Kind hielt sich an seinen Vater, das römische Recht, und verließ die
Wohnung der Mutter. Es suchte ein neues Haus und fand es im Staat.
Die neue Wohnung war fürstlich, ein Palast der Renaissance oder des
Barock. Die Juristen fühlten sich stolz und den Theologen weit über
legen.“
Ich kann hier nicht ausführlicher zitieren, glaube aber genügend
Material vorgelegt zu haben, um deutlich zu machen, daß wir es hier
mit einer zentralen Aussage zum Selbstverständnis Carl Schmitts zu
tun haben. Er zeigt sich hier als legitimer und nicht als illegitimer
Sohn Max Webers, als welchen ihn J. Habermas denunzierte.
Donoso Cortes, der fast ein Jahrhundert vorher, in der Krise von 1848
Dezision über Diskussion stellte und mit seinem Aphorismus, die
liberale Bourgeoisie sei eine „clase discutidora“, eine diskutierende
Klasse, die schärfste Waffe in die Hände von Carl Schmitt legte, wenn
er ein Jahr nach der P o litisc h e n T h e o lo g ie konkret D ie g e is te s
g e sc h ic h tlic h e L age des h e u tig e n P a rla m e n ta rism u s
bestimmt, eine Streitschrift, die Karriere nicht nur während der Krise
242
der Weimarer Republik machte, sondern in den sechziger Jahren zum
Vademecum einer linken Intelligentsia wurde.
Zu Recht spricht man von einem linken Flügel in der Rezeption von
Carl Schmitt wenigstens seit den sechziger Jahren, in Wahrheit gibt es
aber schon in der Weimarer Zeit eine linke Rezeption. Der Jurist und
Schmitt-Schüler Otto Kirchheimer, das Mitglied des Instituts für
Sozialforschung in Frankfurt/Main wäre da zum Beispiel zu nennen.
Ich selbst bin nicht iuridisch versiert und habe die Schrift P o litisc h e
T h e o lo g ie primär nicht als eine iuridische Abhandlung, sondern als
theologisch-politischen Traktat gelesen und verstanden.
„Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte
theologische Begriffe. Nicht nur ihrer historischen Entwicklung nach,
weil sie aus der Theologie auf die Staatslehre übertragen wurden,
indem zum Beispiel der allmächtige Gott zum omnipotenten Gesetz
geber wurde, sondern auch in ihrer systematischen Struktur, deren
Erkenntnis notwendig ist für eine soziologische Betrachtung dieser
Begriffe. Der Ausnahmezustand hat für die Jurisprudenz eine analoge
Bedeutung wie das Wunder für die Theologie. Erst in dem Bewußt
sein solcher analogen Stellung läßt sich die Entwicklung erkennen,
welche die staatsphilosophischen Ideen in den letzten Jahrhunderten
genommen haben.“ (So die ersten Sätze des dritten Kapitels der P o li
tisch e n T h eo lo g ie .)
Schon früh hatte ich in Carl Schmitt eine Inkarnation des Dostojews-
kischen „Großinquisitors“ vermutet. In der Tat in einem stürmischen
Gespräch in Plettenberg 1980 sagte mir Carl Schmitt, wer nicht ein
sehe, daß der „Großinquisitor“ schlechthin Recht hat gegenüber all
den schwärmerischen Zügen einer jesuanischen Frömmigkeit, der
habe weder kapiert, was Kirche heißt, noch was Dostojewski —gegen
seine eigene Gesinnung - „durch die Gewalt der Problemstellung
gezwungen, eigentlich vermittelt“ habe.
Ich las Carl Schmitt immer mit Interesse, oft hingerissen von seiner
geistigen Brillanz und seiner stilistischen Prägnanz. Und doch spürte
ich in jedem Wort von Carl Schmitt ein mir Fremdes, jene Furcht und
Angst vor dem Sturm, der im säkularisierten messianischen W ind des
Marxismus lauerte. Carl Schmitt erschien mir als Großinquisitor
gegen die Häretiker.
243
Von Carl Schmitt reden, heißt auch vom Stilisten Carl Schmitt spre
chen. Seine Sätze sind markant und einprägsam: „Souverän ist, wer
über den Ausnahmezustand entscheidet“; oder „alle prägnanten
Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische
Begriffe“. Ich nenne nur diese zwei Sätze, die das erste und das dritte
Kapitel seiner P o litisc h en T h e o lo g ie einleiten und den Gang sei
ner Argumentation bestimmen. W ie Günter Maschke in seinem
Nachruf in der FAZ (17.4.85) bemerkte, mischen sich „schneidend
rationale“ und „apokalyptisch-fiebrige“ Elemente in seinem Stil. Carl
Schmitt läßt sich sowohl als Jurist als auch als Apokalyptiker der
Gegenrevolution lesen und verstehen. Mich sprach Carl Schmitt als
ein Apokalyptiker der Gegenrevolution an. Als Apokalyptiker wußte
ich und weiß ich mich ihm verwandt. Uns sind die Themen gemein
sam, wenn wir auch gegenstrebige Folgerungen ziehen.
1948 kam ich nach New York und stieß auf ein Stück anonymer Kar
riere der P o litisc h e n T h e o lo g ie Carl Schmitts, insbesondere jenes
vierten Kapitels „Zur Staatsphilosophie der Gegenrevolution“, die zu
den Arcana der Geistesgeschichte der Gegenwart gehört.
244
war inauguriert worden von dem Jewish Theological Seminary in
New York. Geleitet wurde sie von dessen Präsidenten Louis Finkei
stein.
1949 kam ich nach Jerusalem als Research-Fellow mit dem Warburg
Prize, unter der Schirmherrschaft von Gershom Scholem, dem Kab
balisten und Freund Walter Benjamins. Jerusalem war Ende der vier
ziger und in den fünfziger Jahren nicht nur eine geteilte Stadt, son
dern die Hebrew University war vom Skopusberg exiliert und
residierte in Klöstern der Innenstadt. Die große Bibliothek war einge
schlossen in die Enklave des Skopusberges, wohin 14tägig eine israeli
sche Wache unter Oberaufsicht der UNO kam und wechselte.
Gegen die offizielle Waffenstillstandsregelung, die besagte, daß nichts
von unten nach oben oder von oben in die Stadt gebracht werden
245
darf, setzte sich der Usus durch, daß die wachthaltenden Soldaten bei
Rückkehr vom Skopusberg in die Stadt ihre Hosen und Säcke mit
Büchern füllten. Bücher, die von der Universitätsbibliothek mit dem
E tikett,dringend1verlangt worden waren.
So geschah es, daß ich, der als Novize eine Vorlesung zur Philosophie
des 17. Jahrhunderts halten sollte, zum Bibliotheksdirektor ging und
ihm mein Problem auseinandersetzte: Ich brauchte für eine Descartes-
Vorlesung einen geschichtlichen und philosophischen Abriß zur
Vokabel „Gesetz“, der einerseits naturwissenschaftlich und anderer
seits iuridisch und theologisch sich artikuliere.
Die Vorverständnisse, in denen verschiedene Perspektiven von
„Gesetz“ amalgamiert sind, müssen genauer bestimmt werden. Einzig
in der V erfassu n g sleh re von Carl Schmitt gäbe es Erörterungen
zum Problem nomos / lex / Gesetz, die mir helfen könnten, das Prob
lem einzukreisen.
Der Oberbibliothekar hörte freundlich zu, aber erklärte mir, er sei
machtlos, den Gang meiner Buchbestellung zu beschleunigen. Es
könnte zwei bis drei Monate dauern bis ich dran komme. Was wenig
hilfreich war, denn in drei Monaten etwa war das Semester zu Ende.
W ie erstaunt war ich, als ich schon drei Wochen später, also kurz vor
Beginn des Semesters, zur Bibliothek beordert wurde und Carl
Schmitts V erfassu n g sleh re in Empfang nehmen konnte. Auf daß
nicht mein Kamm zu sehr anschwillt, erklärte mir der Oberbibliothe
kar: einen Tag, nachdem ich Carl Schmitts Verfassungslehre angefor
dert hatte, kam ein dringender Anruf vom Justizministerium, der Jus
tizminister Pinchas Rosen (früher Rosenblüth) brauche Carl Schmitts
Verfassungslehre zur Ausarbeitung einiger schwieriger Probleme in
den Entwürfen zur Verfassung des Staates Israel. Das Buch wurde also
sofort vom Skopusberg gebracht und kam nun schon vom Justizmi
nister an die Universitätsbibliothek zurück, wo man meine dringende
Bitte aufbewahrt hatte für „bessere Zeiten“.
246
Ich schrieb darüber meinem „schweizer“ Kommilitonen Armin Möh
ler und fügte der Anekdote eine allgemeine Reflexion zum Problem
faschistischer Intelligenz an.
Ich schrieb etwa: Martin Heidegger und Carl Schmitt seien für mich
die bedeutendsten Exponenten deutschen Geistes der späten zwanzi
ger und beginnenden dreißiger Jahre. Daß beide sich auf das Hitlerre
gime eingelassen haben, stellt mich vor ein Problem, das ich nicht mit
dem Hinweis auf den Appell an den inneren Schweinehund im Nazis
mus beschwichtigen kann. Ich erwähnte noch, daß beide aus dem
katholischen Raume stammten, wie übrigens Hitler und Goebbels
auch, und vom Geiste des Ressentiments gegen das protestantisch
jüdische Establishment bestimmt seien.
Armin Möhler war damals Sekretär Ernst Jüngers. Carl Schmitt
besuchte Ernst Jünger, hörte von meinem Brief und der story, ließ sich
eine Kopie1 meines Briefes an Armin Möhler geben und schickte ihn,
wie es seine Art war, an Freunde mit einem Begleitbrief, darin er sich
über diesen Brief eines „jungen jüdischen Intellektuellen“ äußert,
dem er zugesteht, daß er mehr von Carl Schmitt verstanden habe als
viele seiner langjährigen Mitarbeiter.
Ich aber hatte keine Ahnung von all dem, was sich in der sich formie
renden Bundesrepublik abspielte. Zurück aus Jerusalem in den USA,
war ich auf der Suche nach einer akademischen Stellung. Dazu gehört,
daß man vielerorts vorsingt, freilich in mehr offiziösen als offiziellen
Sitzungen. So kam es, daß ich in einem politologischen Theorie-Semi
nar der Harvard University einige Thesen über die Koinzidenz politi
scher und religiöser Symbolik vortrug, Gedanken, die an Carl Schmitt
anknüpften, aber darüber hinausgingen, weil ich (damals gab es ja
noch keine „linke“ politische Theologie) statt Apokalyptik der Gegen
revolution Apokalyptik der Revolution vortrug, freilich frei von den
Illusionen jener messianischen Marxisten wie Ernst Bloch und Walter
Benjamin. Ihre mystische Tonart im Marxismus behagte mir nicht,
weil ich zuviel Respekt vor dem marxistischen Koordinatensystem
habe, darin, so scheint es mir, schlechthin kein Ort für religiöse Erfah
1 [Anm. aus dem N achdruck in Ad Carl Schmitt:] Armin M öhler läßt als
Korrektur anmerken, daß er bis 1953 Jüngers Sekretär war und C .S. nicht
eine „Kopie“ des Taubes-Briefes sandte, sondern diesen selbst. (A. d. R.)
247
rung frei ist. Die Ideologiekritik frißt und zehrt an jeder religiösen
Substanz.
Das Anliegen von Ernst Bloch und Walter Benjamin erkenne ich wohl
— es wiederholt sich auf trivialisierten Ebenen linkskatholisch und
linksprotestantisch — , es schwingt heute mit im lateinamerikani
schen volkskirchlichen Christentum.
Aber trotz energischer geistiger Anstrengung des Begriffs und des Bil
des bei Ernst Bloch und Walter Benjamin bleibt ein Hiatus zurück,
der marxistisch nicht zu bewältigen ist.
M ir ging es damals, mir geht es noch heute um einen neuen Begriff
von Zeit zu konstruieren und eine neue Erfahrung von Geschichte
darzustellen, die mit dem Christentum als Eschatologie (die selbst
Frucht und Konsequenz der Apokalyptik des ersten vorchristlichen
Jahrhunderts ist) sich eröffnet.
„Reich bedeutet hier die geschichtliche Macht, die das Erscheinen des
Antichrist und das Ende des gegenwärtigen Äon aufzuhalten vermag,
eine Kraft, qui tenet, gemäß den Worten des Apostels Paulus im 2.
Thessalonicherbrief, Kapitel 2. Dieser Reichsgedanke läßt sich durch
viele Aussprüche germanischer Mönche aus der fränkischen und otto-
nischen Zeit — vor allem aus dem Kommentar des Haimo von Hal
berstadt zum 2. Thessalonicherbrief und aus dem Brief des Adso an
die Königin Gerberga — durch Äußerungen Ottos von Freising und
andere Belege bis zum Ende des Mittelalters dokumentieren. Man
darf hier sogar das Kennzeichen einer geschichtlichen Epoche erbli
cken. Das Reich des christlichen Mittelalters dauert solange, wie der
Gedanke des Kat-echon lebendig ist.
Ich glaube nicht, daß für einen ursprünglich christlichen Glauben ein
anderes Geschichtsbild als das des Kat-echon überhaupt möglich ist.
Der Glaube, daß ein Aufhalter das Ende der Welt zurückhält, schlägt
die einzige Brücke, die von der eschatologischen Lähmung alles
menschlichen Geschehens zu einer so großartigen Geschichtsmäch
tigkeit wie der des christlichen Kaisertums der germanischen Könige
248
führt.“ (D er N om os der Erde im V ö lk errech t des Jus P u b li
cum E uro p aeum , S. 29)
Carl Schmitt denkt apokalyptisch, aber von oben her, von den Gewal
ten; ich denke von unten her. Uns beiden gemeinsam aber ist jene
Erfahrung von Zeit und Geschichte als Frist, als Galgenfrist. Das ist
ursprünglich auch eine christliche Erfahrung von Geschichte.
Der Kat-echon, der Aufhalter, auf den Carl Schmitt setzt, ist schon
ein erstes Zeichen davon, wie christliche Erfahrung von Endzeit
domestiziert wird und sich mit der Welt und ihren Gewalten arran
giert.
Freilich, auch Geschichte als Frist kann vielfach gedeutet werden und
an Schärfe verlieren, sich abschleifen (Günther Anders: E n d zeit und
Z e iten en d e - G ed an k en üb er d ie ato m are S itu a tio n , 1972,
S. 211). Aber erst durch die Erfahrung vom Ende der Geschichte ist
Geschichte zu jener „Einbahnstraße“ geworden als die sich abendlän
dische Geschichte, jedenfalls für uns, darstellt.
Ich trug solch ketzerische Gedanken in einem Kreise vor, dem der
Assistenzprofessor Henry Kissinger Vorstand als major domus eines
älteren Herrn Professor Y. Elliott, über den ich sonst nichts weiß als
daß Henry lange Zeit sein Assistent war. Nach dem Vortrag kam ein
junger deutscher Fulbright Student auf mich zu: es wäre, so sagte er,
interessant und aufregend in Harvard einen intimen Freund von Carl
Schmitt zu hören. „Wie bitte, ich Freund von Carl Schmitt? Ich bin
Jude und von Carl Schmitt zum Erbfeind erhoben“. Darauf Hans Joa
chim Arndt, später Ordinarius für Politikwissenschaft in Heidelberg:
„Aber ich kenne doch Ihren Brief an Carl Schmitt!“ „Welchen Brief
denn?“, fragte ich, aber bald wurde mir klar, daß es sich um meine
Post an Armin Möhler handeln mußte, die ihre Runde in der BRD
gemacht hatte. Hans Joachim Arndt brachte nun meine Adresse mit
nach Plettenberg und seitdem erhielt ich von Zeit zu Zeit Sonderdru
cke und Bücher mit besonderen Inskriptionen, die zum Nachdenken,
zum Denken herausforderten. Ich las jede Zeile, dessen konnte Carl
Schmitt gewiß sein. Aber ich antwortete nicht. Schließlich stand nicht
wenig zwischen uns, unausgetragen, über das man nicht mir nichts dir
249
nichts hinwegblicken konnte: der Schatten seines aktiven Antisemitis
mus legte sich auf unser wie immer fragiles Verhältnis („Verhältnis“
dennoch, denn ich hatte die Post von Carl Schmitt ja nicht refüsiert,
sondern nur nicht beantwortet).
Ein Jahrzehnt später kam ich nach Berlin. 1967 war Alexandre Kojève
Gast unseres Instituts und hielt einen Vortrag vor einem Plenum, das
den Atem anhielt, als es hörte, die Geschichte sei nun an ihr Ende
gekommen und könne nur noch in Form eines Als-Ob „repetiert“
werden, Gedanken, die auf erheblichen Widerstand und moralische
Empörung bei solchen stießen, die irgendwie mit Fortschritt und
Futurologie in Verbund standen. Kojève war berüchtigt für das Mittel
des épater le bourgeois, berühmt für enigmatische Rhetorik, für Sätze,
die ex cathedra gesprochen, dennoch nur als Kommentar zu Hegels
„Phänomenologie des Geistes“ sich gaben.
Ich schaute verwundert drein, obwohl ich von Kojève einiges an Über
raschungen gewohnt war. Kojève fuhr fort: wohin denn soll man in
Deutschland fahren? Carl Schmitt ist doch der einzige, mit dem es zu
reden sich lohnt. Das gab mir einen Stich. Denn ich hatte es mir ver
sagt, Carl Schmitt zu besuchen und neidete irgendwie Alexandre
Kojève seine Unbefangenheit, mit Carl Schmitt zu verkehren.
250
wählten Volkes, das den Neid just der apokalyptischen Nationen
erregt, ein Neid, der Phantasmagorien in die Welt setzt und das
Lebensrecht des wirklich auserwählten Volkes bestreitet, bestreiten
muss.
Es ist für mich keine Frage, daß das Judenproblem Carl Schmitt
lebenslang verfolgte, daß 1936 für ihn nur ein Anlaß war, „zeitgemäß“
zu einem Problem Stellung zu nehmen, das für ihn ganz andere Tiefen
besaß. Er war Christ aus den Völkern, der mit Haß und Neid auf jene
blickte, „die da sind von Israel, welchem gehört die Kindschaft und
die Herrlichkeit und der Bund und das Gesetz und der Gottesdienst
und die Verheißungen; welchem auch sind die Väter und aus welchem
Christus herkommt nach dem Fleische.“ (Paulus, R ö m erb rief, Kapi
tel 9 in der Luther-Ubersetzung)
Christentum war für Schmitt „Judentum für die Völker“, gegen des
sen Macht aufzustehen er immer begehrte. Aber Schmitt sah immer
tiefer ein, wie ohnmächtig solch ein „Protest“ gegen Gott und die
Geschichte sei.
Erst spät, sehr spät, viel zu spät, entschloß ich mich, auf meinen Rou
tine-Reisen nach der Hauptstadt des 19. Jahrhunderts, in Dortmund
umzusteigen und ins Sauerland zu fahren.
In Plettenberg hatte ich die stürmischsten Gespräche, die ich je in
deutscher Sprache geführt habe. Es handelte sich um Historiographie
in nuce, gedrängt ins mythische Bild. Es ist das Vorurteil der Zunft,
daß mythische Bilder oder mystische Termini vage Orakel seien, bieg
sam und jedem W illen gehorsam, während die wissenschaftliche Spra
che des Positivismus die Wahrheit gepachtet habe. Nichts kann ferner
von den wirklichen Verhältnissen sein als dies historistische Vorurteil.
Im Kampf gegen den Historismus wußte sich Carl Schmitt einig mit
Walter Benjamin oder genauer: wußte Walter Benjamin sich einig mit
Carl Schmitt.
Eines der dunkelsten Kapitel der Geschichte der linken Intelligentsia,
aber ganz sicher eine der vielversprechendsten Konstellationen der
Weimarer Republik. Gershom Scholem hat darauf aufmerksam
gemacht, daß Walter Benjamin auch als historischer Materialist sich
— mit der einzigen Ausnahme Bert Brecht - intensiv nur mit soge
251
nannt reaktionären Autoren — Proust, Green, Jouhandeau, Baude
laire und George — beschäftigt hat.
Deutlich ist und kann auch vom Institut der Frankfurter nicht geleug
net werden, daß Walter Benjamin sich intensiv mit Carl Schmitt aus
einandergesetzt hat. Das Trauerspielbuch, das nach Benjamins Selbst
verständnis, zwar noch nicht materialistisch, aber bereits dialektisch
ist, zitiert mehrfach Carl Schmitt. Die ganze Konstruktion der Funk
tion des Souveräns im Drama des Barock ist transponiert aus der
P o litisc h e n T h e o lo g ie Carl Schmitts. Benjamin selbst bezeugt das
durch seine Zitate.
252
Ihr sehr ergebener
Walter Benjamin“
Ich kann jetzt nicht genauer auf den von Walter Benjamin gezogenen
Vergleich eingehen. Ich darf vielleicht mit einem Hinweis auf Walter
Benjamins achte geschichtsphilosophische These schließen. Dieser
Text, eine Art Testament Walter Benjamins, steht Aug in Aug mit den
Thesen Carl Schmitts.
„Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der .Aus
nahmezustand', in dem wir leben, die Regel ist. W ir müssen zu einem
Begriff der Geschichte kommen, der dem entspricht. Dann wird uns
als unsere Aufgabe die Herbeiführung des wirklichen Ausnahmezu
standes' ganz vor Augen stehen. Und dadurch wird unsere Position im
Kampf gegen den Faschismus sich verbessern.“
Die grundlegenden Vokabeln von Carl Schmitt werden von Walter
Benjamin hier eingeführt, aufgenommen und in ihr Gegenteil ver
kehrt. Der „Ausnahmezustand“, bei Carl Schmitt diktatorisch ver
hängt, von oben diktiert, wird bei Walter Benjamin zur Lehre von
einer Tradition der Unterdrückten. Die „Jetztzeit“, eine ungeheure
Abbreviatur messianischer Zeit, bestimmt sowohl Walter Benjamins
als auch Carl Schmitts Erfahrung von Geschichte, beiden eignet eine
mystische Geschichtsauffassung, deren wesentliches Lehrstück das
Verhältnis der heiligen Ordnung zur Ordnung des Profanen betrifft.
Die Ordnung des Profanen aber kann nicht an der Idee des Gottesrei
ches ausgerichtet werden. Darum hat Theokratie für sie —für Walter
Benjamin, Carl Schmitt und Ernst Bloch - keinen politischen, son
dern allein religiösen Sinn.
Verstehe ich überhaupt etwas von dem, was hier von Walter Benjamin
mit Blick auf Thesen Carl Schmitts als mystische Geschichtsanschau
ung konstruiert wird, so heißt dies: was äußerlich als Prozeß der Säku
larisierung, als Entsakralisierung und als Entgöttlichung des öffentli
chen Lebens abläuft, als ein Prozeß stufenweiser Neutralisierungen
sich bis hin zur .Wertfreiheit' der Wissenschaft als Index für die tech
nisch-industrielle Lebensform begreift, hat auch ein inneres Gesicht,
das von der Freiheit der Kinder Gottes im paulinischen Sinne zeugt,
also Ausdruck einer sich vollendenden Reformation ist.
253
Trotz aller Irrungen, Schwankungen in der Theorie und im Leben
Carl Schmitts bleibt auch bei mir jener Eindruck bestehen, den Hugo
Ball im H o ch lan d 1924 im ersten Paragraphen seiner Rezension von
Carl Schmitts P o litisc h e r T h e o lo g ie so formuliert hat:
„Carl Schmitt gehört zu den wenigen deutschen Gelehrten, die den
professionellen Gefahren eines zeitgenössischen Katheders gewachsen
sind. Ja ich stehe nicht an zu behaupten, daß er den Typus des neuen
deutschen Gelehrten überhaupt erst für sich erobert und inauguriert
hat. Wenn die Schriften dieses merkwürdigen Professors (um nicht
Konfessors zu sagen) nur dazu dienten, die katholische (universale)
Physiognomie ihres Verfassers erkennen und studieren zu lassen, es
würde vollauf genügen, ihnen einen überragenden Rang zu sichern.
Chesterton sagt einmal in einem schönen Essay ,Von den Idealen*,
daß unserer verworrenen und argen Zeit zur Sanierung keineswegs
der große Praktiker nottut, nach dem alle Welt verlangt, sondern der
große Ideologe. ,Ein Praktiker, das ist ein Mensch, eingewohnt in die
Alltagspraxis, in die Art, wie die Dinge gemeinhin funktionieren.
Wenn aber die Dinge nicht arbeiten, dann braucht man den Denker,
den Mann, der sowas wie eine Doktrin hat, warum die Dinge über
haupt funktionieren. Es ist unrecht, zu geigen, während Rom brennt,
aber es ist ganz in der Ordnung, die Theorie der Hydraulik zu studie
ren, während Rom brennt.* Carl Schmitt gehört zu denen, die ,die
Theorie der Hydraulik studieren*; er ist mit seltener Überzeugung
Ideologe; ja man kann sagen, daß er diesem Wort, das unter Deut
schen seit Bismarck eine üble Bedeutung hat, wieder zu Ansehen (sic!
J.T.) verhelfen wird.“
254
VIII DIE GESCHICHTE JACOB TAUBES - CARL SCHMITT
(1987/1993)
Vorbemerkung
Nun fügt es sich - das will ich vorausschicken daß in der letzten
Nummer der Abteilung „Geisteswissenschaften“ in der FAZ, die ich
erst nach meiner Ankunft in Heidelberg zu lesen bekam, eine Spalte
war unter dem Titel: „Ein Trauma“. Dort wird über eine in Zeitschrif
ten laufende Diskussion berichtet, in der eine Frau Kennedy in tribu-
nalisdscher Weise die Begriffsbildungen und Thesen von Jürgen
Habermas und der Frankfurter Schule an Schmitt anhängen will. Ich
kenne den Aufsatz nicht. Aber es besteht wohl ein Zusammenhang
zwischen Habermas’ S tru k tu rw a n d e l d er Ö ffe n tlic h k e it und
Kosellecks K ritik u n d K rise. Und da Koselleck allerdings durch
tränkt ist von Carl Schmitt, kommt auch Carl Schmitt zu Habermas.
Aber die Sache ist viel fundamentaler. Die Teilung Links und Rechts,
die seit 1933 ja tödlich war, also für die Linken, ... und nach dem
Krieg der Bürgerkrieg spiritual weiterging (jedenfalls komme ich aus
einer Stadt, wo man zuerst fragt: Ist er links oder ist er rechts? Daß ich
mit sowas Schwierigkeiten habe, kann ich nicht verhehlen.) Aber im
Moment des kulturellen Bürgerkrieges, das will ich auch gleich beken
nen, habe ich —das soll klar sein —klar gewählt. Damals war es die
Studentenbewegung, keine große Sache, aber es war etwas. Und da
hab’ ich eindeutig das bißchen Gewicht, das ich hatte, in die Waag
schale der Linken eingeworfen, obwohl ich mit vielem nicht einver
standen war. Da kommt es dann aber nicht darauf an, seine persönli
chen Meinungen zu pflegen, sondern sie zurückzustellen, um in einer
bestimmten Situation handlungsfähig zu werden, und dafür muß
man auf einer Seite sein.
Daß dieses Schema Links —Rechts nicht hält und daß in der Tat die
alte Frankfurter Schule in ganz intimem Verhältnis zu Schmitt stand
[sic], wenn man nicht nur die offiziellen Schulhäupter, also den Herrn
Horkheimer und den Musikus Adorno zählt, sondern den tiefsinni
geren Walter Benjamin, der noch im Dezember 1930 einen Brief an
Carl Schmitt schreibt, in dem er ihm sein T rau e rsp ie lb u c h zu
schickt, mit der Bemerkung:
255
Sie können ja erkennen, welchen Einfluß Ihre Schrift P o litisc h e
T h e o lo g ie methodisch und sachlich auf mein Buch hat, aber was Sie
nicht wissen können ist, daß Ihr Buch D ie D ik ta tu r und andere
mich tief bewegen, sodaß meine kunstphilosophischen Anschauun
gen und Ihre staatsphilosophischen Vorstellungen koinzidieren.
Als ich diesen Brief in die Hand bekam, rief ich Adorno an und fragte
ihn: Es gibt doch zwei Briefbände von Benjamin, wieso ist dieser Brief
nicht abgedruckt? So einen Brief gibt’s nicht, war die Antwort. Sag’
ich: Teddy, ich kenn’ die Schrift, ich kenn’ die Maschine, mit der Ben
jamin schreibt, erzählen Sie mir nichts, ich hab’ das hier! Kann nicht
sein. Typisch deutsche Antwort. Hab’ ich eine Kopie gemacht und sie
ihm eingeschickt. Und dort gibt es noch einen Archivar, Herrn Tiede-
mann, und ich krieg’ den Anruf von Teddy: Ja, es gibt so einen Brief,
aber er war verschollen. Ich hab’s dabei belassen.
Was ich sagen will, ist jetzt nicht, wie man Spuren verwischt, wer zur
Geschichte der Frankfurter Schule gehört und Hagiographien schrei
ben läßt unter Anleitung von Herrn Horkheimer, die von Jay und
anderen, sondern daß man evidente Sachen nicht mehr zur Kenntnis
nimmt, daß es ganz andere Konstellationen und Fronten gab 29/30,
als die, die nachher geschichtlich wurden.
256
kann - daß beim Schmitt in der Verfassungslehre es einen Exkurs über
,nomos‘ gibt. Ich ging zur Bibliothek und füllte einen Zettel aus, mir
per Eildienst, weil ich ja vortragen mußte, das Buch von Schmitt zu
besorgen. Na, der guckt mich an, der Beamte, mit Genuß und Sadis
mus, ha, das dauert drei Monate bis so n Zettel bearbeitet wird. Was
heißt drei Monate? In drei Monaten ist doch das Semester vorbei, hilft
mir doch nichts. Ich geh zum Oberbibliothekar und krieg’ dieselbe
Antwort. Vornehmer, freundlicher, er erklärt mir, wie das ist: Soldaten
fahren da in die Enklave, holen die Bücher, stecken sie in die Hosen,
bringen sie runter, und so weiter. Nun gut, dann nicht. Kann ja nicht
zaubern, und ich war resigniert. Drei Wochen später, keine drei
Wochen, krieg’ ich einen Anruf von der Bibliothek vom Oberbiblio-
thekar: „Kommen Sie, das Buch ist da!“ Ich hab’ nicht gefragt, war
um, wieso, ich war froh, das Buch ist da. Ich bin also hingegangen,
und damit mir der Kamm nicht schwillt, daß er etwa das Buch für
mich geholt hat, erzählte er mir die Geschichte, was passiert ist. Ein
Tag, nachdem ich den Eilantrag stellte, kam ein Anruf von dem Jus
tizministerium, Pinchas Rosen (früher: Fritz Rosenblut), er braucht
die Verfassungslehre, um an der Verfassung Israels, die es bis heute
nicht gibt (und nicht geben wird, weil zwischen der Orthodoxie und
den Säkularisten nicht eine Verfassungsformel zu finden ist), daran zu
arbeiten. Ich war baff. Rosen hatte es schon in die Bibliothek zurück
geschickt, „Jetzt kannst du’s haben“. Ich war dankbar.
Und nun geschah folgendes. Unschuldig wie ich bin, schrieb ich
damals einen Brief an Armin Möhler, ein auch nicht ganz unbekann
ter Mann, der mit mir studiert hatte in Zürich. Er war sozusagen der
Rechtsextreme und ich der Linksextreme. Les ex trêm es se
to u c h en t - jedenfalls über die Mitte haben wir dieselben Ansichten
gehabt. Und da schrieb ich ihm folgendes. Ich hab’ ihm zuerst die
Geschichte erzählt. Das ist passiert. Und ich schrieb - ich sag’: ich
halt’s im Koppe nicht aus - die Tatsache, daß die zwei Bedeutendsten
und Intelligentesten: der Philosoph Martin Heidegger und der Staats
rechtler Carl Schmitt, wie lange auch immer, überhaupt einen Flirt
mit den Nazis hatten. Irgend etwas kann ich da nicht verstehen,
irgend etwas entgeht mir am Nazismus, daß er überhaupt eine Faszi
nation von dieser Reichweite hatte. Armin Möhler war damals Sekre
tär von Ernst Jünger. Und Carl Schmitt besucht Ernst Jünger, und
Ernst Jünger erzählt ihm von dem Brief, und diesen Brief läßt sich
257
Carl Schmitt geben, und faul ist er ja nicht, wenn es um Propaganda
um sich selbst geht, er macht Kopien von diesem Brief: „Brief eines
jüdischen Intellektuellen, der mehr von mir versteht als alle und so
weiter.
Ich hatte keine Ahnung. Dann trieb mich mein Schicksal nach Ame
rika. Es war eine Entscheidung, und ich mußte mir eine Stelle suchen.
Und da - ich nehme an, hier ist das auch so üblich - man singt vor.
Man kann das brutal machen, und man kann’s vornehm machen, je
nachdem, wie man eingeladen ist. Ich war eingeladen in das Seminar
eines Politologen, Prof. Elliot, dessen einziger Beitrag zur Wissen
schaft ist, daß er das Wort ,organologisch‘ eingeführt hat. (Also, das,
was wir von Othmar Spann kennen, hat er in Amerika entdeckt.)
Sonst wüßte ich nicht, was über ihn zu berichten wäre, es sei denn,
daß er einen witzigen Assistenzprofessor hatte, der eigentlich die
Geschäfte des gesamten Lehrstuhls erledigte, und der hieß Kissinger.
Und der lud mich ein, nicht der Elliot, sondern der Kissinger. Der
hatte gehört, da dreht sich eine Figur, von der man nicht weiß, wer
das ist, der soll mal zu uns kommen. Und ich hielt einen Vortrag über
Politische Theologie, zur Kritik Carl Schmitts, nämlich daß die mys
tische Phase, also die demokratische Phase, von Schmitt übergangen
ist, und es bei ihm ein rein hierarchischer Katarakt ist in P o litisc h e
T h e o lo g ie I. Gut. Die Geschichte hat ein Heidelberger Flair. Es
kommt ein junger Mann auf mich zu und sagt mir: „Aber ich kenn’
doch Ihren Brief an Carl Schmitt!“ Ich? Ein Brief an Schmitt? Nie
geschrieben, weiß gar nicht, wo er wohnt. „Aber ich hab ihn doch
gelesen!“ Was steht denn da drin? Eben das war der Brief, den Armin
Möhler dem Jünger gab, und der Jünger dem Schmitt. Der junge
Mann war Hans-Joachim Arndt, Professor für politische Wissenschaft
in Heidelberg, damals Humboldt-Student in Harvard.
Also ich war ,geortet“, wie man das in diesen Kreisen nennt, und seit
dem bekam ich alle Werke von Schmitt zugeschickt mit Widmung,
mit Hinweisen, er ist da sehr genau, er schickt die Bücher mit pädago
gischen Hinweisen: „Das müssen Sie lesen“ und so weiter. Ich habe
nie geantwortet. Das war eine einseitige Korrespondenz. Dann hat
mich mein Schicksal, wenn man so sagen darf - ich hab mir damals
nicht geträumt, daß ich je Berlin sehen werde -, nach Berlin verschla
gen. Als man mich drängte von verschiedenen Seiten: „Schreib doch
mal ’ne Karte!“ antwortete ich: „Carl Schmitt versteht doch, was
258
Freund/Feind ist, er wird doch wissen, daß ich vor ihm als Feind ex
o fficio gelte als Jude, wie kannst du von mir fordern, daß ich ihm
eine Karte schreibe? Es ist alles in Ordnung: Er schickt mir seine
Sachen mit Widmungen, und ich antworte nicht. Er ist sicher, daß ich
es gelesen habe.“
Im Jahre ’67 lud ich, nach meinem Verständnis, den bedeutendsten
Philosophen der damaligen Generation und Flegel-Interpreten ein,
Alexander Kojeve.2 Ich weiß, die Universitäten teilen mein Urteil
nicht, aber das interessiert mich wie der vorjährige Schnee. Die Leute,
mit denen ich über Hegel nachdenke oder spreche, wissen, wer Kojeve
ist. Und er kam nach Berlin, von Peking kam er grade, wie er das
machte, weiß ich nicht, und ich hatte mich um ihn zu kümmern, was
ich gerne tat, und fragte ihn: „Soll ich Ihre Rückfahrt buchen, wohin
fahren Sie?“ Und da sagte er mir in der ihm eigenen Schroffheit: „Ich
fahre nach Plettenberg.“ Sagt er: „Mit wem sonst ist in Deutschland
zu reden?“ Hm, dachte ich, sieh mal an. Da drängt man mich schon
zwanzig Jahre, ich soll hinfahren, und Alexander Kojeve, den ich für
den bedeutendsten Philosophen halte, fährt hin. Das mag meine
Macke sein, geb ich zu, aber ich halte durch: ich bin nicht hingefah
ren.
Dann schrieb mir Hans Blumenberg: „Hören Sie doch endlich auf
mit dieser - wie hat er das gesagt? - tribunalistischen Einstellung; Sie,
Kojeve und Schmitt, bei Ihnen dreht sich’s ums Selbe, was soll das.“
Es ist ein seltener Brief der Freundschaft und der Intensität von Blu
menberg, für mich, meine ich, andere kriegen noch freundliche Briefe
heute. Und da hab’ ich mir gesagt: Hör mal, Jacob, du bist nicht der
Richter, gerade als Jude bist du nicht der Richter, denn du mußt doch
zugeben, wenn du was gelernt hast, dann hast du was von Schmitt
gelernt. Ich weiß von der Naziperiode. Ich weiß noch viel mehr, einen
Teil, den ich priesterlich mit Schweigen bedecke, der nicht in die
Öffentlichkeit gelangt. Du bist nicht der Richter, denn als Jude warst
du nicht in der Versuchung. W ir waren in dem Sinne begnadet, daß
wir gar nicht dabei sein konnten. Nicht, weil wir nicht wollten, son
dern weil man uns nicht ließ. Also, Sie können richten, weil Sie vom
Widerstand wissen, ich kann nicht sicher über mich selbst sein, ich
259
kann nicht sicher über irgendeinen sein, daß er vom Infekt der natio
nalen Erhebung nicht angesteckt wird und ein oder zwei Jahre ver
rückt spielt, hemmungslos, wie er war. Uber die Hemmungslosigkeit
von Carl Schmitt ist viel zu reden.
Also, all das war mir bekannt, fast alles, er hat noch selber Dokumen
te mir dann gezeigt, die mir die Haare zu Berge stehen ließen, die er
auch noch verteidigte. Ich kann das gar nicht nach-denken. Jedenfalls
der Schmitt, den ich traf, das war der nach der P o litisc h e n T h e o
lo g ie II, das heißt fünfunddreißig Jahre nach P o litisc h e r T h e o lo
g ie I, nach dem Angriff von Peterson. Als letztes großes Alterswerk
hat er sich auf diese Peterson-Kritik eingelassen, die ja ungeheuer wir
kungsvoll war. Von einem Kult war zwischen uns nie die Rede. Es war
Distanz, aber es war mir nicht unbedeutend, m it einem Staatsrechtler
von der Gewalt gesessen zu haben, und er ließ sich von mir erklären,
ganz spontan, nicht gewollt, nicht lehrhaft, die Hintergründe von
Römer IX-XI. Und er hat mir gesagt: „Bevor Sie sterben, sagen Sie das
einigen.“ Das ist mir heute, wo ich das vor Augen sehe, ein ungeheu
rer Satz.
Der Liberalismus ist nicht an Schmitt gestorben, eine Kritik des Par
lamentarismus hat die Linke genauso getragen, die radikale Linke. Er
war der Anti-Bolschewist. Wenn ich sein Werk überhaupt verstehen
will, so ist er der einzige, der konstatiert hat, was los ist, nämlich daß
ein Weltbürgerkrieg im Gange ist. Schon nach dem Ersten Weltkrieg.
Er hätte Leninist werden können, aber er hat das Zeug gehabt zu dem
einzig relevanten Anti-Leninisten. Daß das alles dann in dem Hitler
brei untergegangen ist, ist die fatalste, aber nicht die einzige Konse
quenz. Das heißt die Geschichte der Weimarer Republik trimmen auf
ein Ende hin. Das hat einen finalistischen Charakter. Das war eine,
und es ist die schlechteste der Möglichkeiten. Also, ich bin wahrlich
nicht berufen, deutsche Geschichte zu lehren oder gar zu verteidigen,
aber zu sagen, daß die deutsche Geschichte - sei’s von Luther her, sei’s
von Bismarck her, sei es von Karl dem Großen her, sei es von Schmitt
her —auf Hitler zuläuft, an sowas glaub ich nicht. Diese Genealogien
sind billig und kosten nichts, kann man sich leicht aufbauen.
Wär’s in Frankreich passiert, hätf ich Ihnen das mit Maurras bis
Gobineau vorführen können. Es ist überhaupt keine Kunst, Genealo
gien kosten nichts, nur Bibliothekszeit. Das ist nicht so, das waren
offene Möglichkeiten, die dann verschüttet wurden.
260
W ir reden hier nicht vom Charakter Schmitt. Da trau ich mir auch
nicht zu, jemanden zu richten, der den Frieden mit der Kirche
gemacht hat und in ihr gestorben ist und vom Bischof von Limburg
begraben wurde —also wer bin ich, da zu richten. Aber ich kann Ihnen
nur sagen, wenn wir jetzt zum Politischen kommen, daß Schmitt ’32
gewarnt hat. Er wollte die Kommunisten und Nazis ausschließen und
ein Präsidialregime für vier Jahre, nach dem § 48 usw. durchhalten,
bis diese radikalen Kräfte, die die Republik unterminieren, verschwin
den, oder mindestens ins Abseits geraten. Wissen Sie, also, wenn ich
zwischen Demokratie und der Regierung mit dem § 48, um die Nazis
zu verhindern, zu wählen hätte, da wär ich mir nicht im Zweifel gewe
sen.
Und dann nun das Letzte, das versteh’ ich auch nicht, aber ich geb’ es
Ihnen wieder. Es ist eines, Theologe zu sein, ein zweites Philosoph,
und es ist ein drittes, Jurist zu sein. Das - hab ich im Leben erfahren
—ist eine ganz andere Weise, die Welt zu begreifen. Der Jurist muß die
Welt, wie sie ist, legitimieren. Das liegt in der ganzen Ausbildung, in
der ganzen Vorstellung des Amtes des Juristen.
Er ist ein Clerk, und er versteht seine Aufgabe nicht darin, Recht zu
setzen, sondern Recht zu interpretieren. Das Interesse von Schmitt
war nur eines: daß die Partei, daß das Chaos nicht nach oben kommt,
daß Staat bleibt. Um welchen Preis auch immer. Das ist für Theologen
und Philosophen schwer nachzuvollziehen; für den Juristen aber gilt:
solange auch nur eine juristische Form gefunden werden kann, mit
welcher Spitzfindigkeit auch immer, ist es unbedingt zu tun, denn
sonst regiert das Chaos. Das ist das, was er später das Kat-echon
nennt: Der Aufhalter, der das Chaos, das von unten drängt, nieder
hält. Das ist nicht meine Weltanschauung, das ist nicht meine Erfah
rung. Ich kann mir vorstellen als Apokalyptiker: soll sie zugrunde
gehn. I have no s p ir itu a l in v estm e n t in the w o rld as it is.
Aber ich verstehe, daß ein anderer in diese Welt investiert und in der
Apokalypse, in welcher Form auch immer, die Gegnerschaft sieht und
alles tut, um das unterjocht und unterdrückt zu halten, weil von dort
her Kräfte loskommen können, die zu bewältigen wir nicht in der
Lage sind. Sie merken ja, was ich will von Schmitt —ihm zeigen, daß
die Gewaltentrennung zwischen weltlich und geistlich absolut not
wendig ist, diese Grenzziehung, wenn die nicht gemacht wird, geht
261
uns der abendländische Atem aus. Das wollte ich ihm gegen seinen
totalitären Begriff zu Gemüte führen.
Ich habe über das Problem sehr lange nachgedacht, und habe ein
Gemeinsames —tja, nehmen Sie das cum gran o sa lis, aber es ist sehr
ernst gemeint - ein Gemeinsames zwischen Carl Schmitt, Heideg
ger und Hitler gefunden. Können Sie sich etwas ausdenken? Dann
will ich sie doch als Rätselfrage stellen. Es gibt eine sehr tiefe Gemein
samkeit. Was ist das Gemeinsame zwischen Adolf Hitler als Person,
Heidegger als Person und Schmitt als Person? Ich will Ihnen ohne
alles Wenn und Aber sagen, was ich denke. Ich bin da sehr konkret.
Meine erste These ist: Die deutsche Kultur der Weimarer Republik
und der Wilhelminischen Zeit war protestantisch und ein wenig
jüdisch gefärbt. Das ist ein factu m b ru tu m . Die Universitäten
waren protestantisch. Ich m ein, es gab katholische Reservate, da
irgendwo in München so eine Gegenuniversität, und dann —was weiß
ich: Bonn und so weiter, aber das zählte doch nicht, schon gar nicht
in Exegese. C a th o lic a non su n t le g e n d a.
Meine zweite These ist: Alle drei sind abgestandene Katholiken. Das
ist nicht wenig. Um jetzt von den zwei Intellektuellen zu sprechen: Sie
sind auf dem Parkett der deutschen Universität nicht sicher und
erobern sich einen Platz in einem Gestus der Zerstörung und Vernich
tung des Vorangehenden, nämlich des protestantisch-jüdischen libe
ralen Konsensus, der etwa durch den Namen Ernst Cassirer einen ele
ganten, parfümierten Vertreter gehabt hat. Das sind Menschen, die
von einem Ressentiment geleitet sind, das ist das erste, die aber auch
mit dem Genie des Ressentiments die Quellen neu lesen. Heidegger,
der Jesuiten-Zögling, hat neu gelesen. Er hat Calvin gelesen, er hat
Luther gelesen, er hat Kierkegaard gelesen. Für uns —ich meine jetzt:
Sie und mich - war das Bildungsgut, wir hatten das sozusagen mitbe
kommen. Ein bißchen war man aufgeregt über Karl Barths Römer
brief, aber im Prinzip waren das Sachen, die zum Bildungsgut des
Kulturprotestantismus gehörten. Es hatte etwas Frisson, es war nicht
mehr der alte Troeltsch —gesprochen von den zwanziger Jahren —die
langweilige liberale Synthese, sondern es war was los!
Aber auch das war hereingenommen, das konnte man beim Tee
besprechen, denn das alles war ja sedimentiert in das, was man war.
Für ihn —Heidegger —war das aber alles neu. Und er las es mit ganz
anderen Augen, nämlich mit aristotelischen Augen. Und da kam was
262
ganz Phantastisches raus, ob richtig oder falsch, jedenfalls er las anders.
Und die kulturprotestantische, ein bißchen jüdische, im Prinzip aber
ungläubige Intelligenzija, Schickeria, Professoren der Philosophie,
sperrten den Mund auf.
Ich kann Ihnen nur folgendes erzählen: Der Jude Emmanuel Levinas,
der jetzt so hoch-bla-blat wird in den Medien als weiser Mann und so
weiter, hat mir folgendes erzählt. Er war damals im Kreise der Schüler,
die nach Davos mitzogen, wo Cassirer sich mit Heidegger traf. Es
waren ja sozusagen mittelalterliche Verhältnisse. Er kam natürlich aus
Freiburg, Phänomenologe und so weiter. Und die Studenten hatten
einen Abend nach der großen Disputation veranstaltet, wo Heidegger
übrigens die Hand dem Cassirer verweigert hat. Es war ein Fest, das
die Studenten bestritten, und Herr Emmanuel Levinas, der sehr
dickes, schwarzes Haar hatte, was man aber weiß pudern konnte, trat
auf als Cassirer. Sein Deutsch war ja ziemlich schwach, und er ging
über die Bühne und sagte nur zwei Worte, immer wiederholend:
„Humboldt - Kultur“. Und ein Gejohle ging los, das schon göring-
sche Züge hatte („wenn ich ,Kultur' höre, entsichere ich meinen
Revolver“). Das war Emmanuel Levinas. Das ist die Atmosphäre von
’31, so hat das ausgesehn.
Bei Schmitt dasselbe. Das war kein Jude, sondern ein legitimer katho
lischer Antisemit —über den katholischen Volksantisemitismus hat er
mir Lektionen erteilt. W ir beide hielten sehr wenig damals vom Vati
kanum 2, daß das was bringt an mentaler Veränderung. Ja, er war
auch Aufstreber von der geächteten Minderheit der Katholiken. Er
war eben kein Radbruch, der Feine, der hier saß und in Heidelberg
Rechtsphilosophie lehrte, er war kein Neo-Kantianer. Er kam aus dem
katholischen Kreis Summa. Da müssen Sie nur das erste Kapitel der
P o litisc h e n T h e o lo g ie lesen. Seine ersten Sätze sind ja das Lapi
darste, „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“.
Aber das ist doch so! Und dann kommt ein Kierkegaard-Zitat, das
umwerfend ist. Der Liberalismus hatte gesagt: Da hört das Staatsrecht
auf. Da beginnt aber das Problem erst! Im Weltbürgerkrieg. Anschütz,
sicher ein bedeutender Jurist, hat gesagt, und Kelsen hat in der A llg e
m ein en S ta a tsle h re 1925 geschrieben: Es gibt keine Gesetzlosig
keit, auch die schlimmste Diktatur ist Gesetz. (In der englischen Aus
gabe fehlt dieser erstaunliche Satz.) Hier war ein Mann, der
substantiell Fragen stellte, so wie Heidegger. Das war die Faszination.
263
Aber ich werde auf ein Gebiet geführt, in dem ich wirklich nur mir
Gedanken gemacht habe, aber mir in der Tat keine Kompetenz
zuschreiben kann, obwohl ich die, die sich als kompetent geben, als
Ignoranten sehe. Das ist eine andere Sache. Die meisten Bücher darü
ber sind unerträgliches Zeug, die von den wirklichen Kräften und
Krisen nicht die geringste Ahnung haben. Da wird ein demokrati
sches ABC abgehört, und jeder Privatdozent in der Politologie in sei
ner Antrittsvorlesung muß natürlich einen Tritt in den Arsch von Carl
Schmitt geben, daß Freund/Feind nicht die richtige Kategorie sei. Da
hat sich eine ganze Wissenschaft etabliert, um das Problem zu unter
drücken. Wenn man sich das überlegt —das ist ja lächerliches Zeug,
verglichen mit den Problemstellungen, die Schmitt in die Irre führten,
aber die mindestens Problemstellungen sind.
Dixi, und ich habe meine Seele nicht gerettet, aber ich habe Ihnen
erzählt, wie es gelaufen ist.
264
EINTRAGUNGEN IN DAS GÄSTEBUCH
DER FAMILIE MÖHLER
1958-1977
M a r t in T rem l
P a u l in is c h e F e in d s c h a f t
273
wenn Taubes sich in erbitterte, persönliche Verletzungen bereitwillig
in Kauf nehmende, akademische Kämpfe verstrickte, die er Ende der
1970er Jahre am notorischen Fachbereich 11 der Freien Universität
Berlin [im Folgenden: FU] gegen nahezu alle führte.
Doch verstanden es beide auch, geistig anzuziehen und intellektuell
anzuregen, wenn sie Debatten begannen oder in sie eingriffen und
Ideen aufnahmen, eben eine akademische Kardinaltugend aufs Beste
beherrschten: das Verknüpfen von Wissen zwischen den Fächern, um
persönliche oder sachliche Verbindungen für neue Fragen produktiv zu
machen. Gerade durch die Missachtung gesetzter Grenzen ihrer jewei
ligen Disziplin vermochten sie zu einer reicheren Erkenntnis vorzudrin
gen. Darin sind sie Pioniere: Schmitt am Schnittpunkt von staatlichem
Recht und christlicher Religion, Taubes in den Konstellationen jüdisch
christlicher Debatten jenseits aller konfessionell betriebenen Bemühun
gen um Dialog und Versöhnung. Weil ihr Einsatz als Denker —unge
achtet von Eskapaden und Eklats —ein geistig-existentieller war, wirken
ihre Impulse weiter, in den letzten Jahren sogar zunehmend, davon zeu
gen die amerikanischen Übersetzungen, die viele ihrer Schriften und
Texte erfahren haben, davon zeugt das Interesse, das sie gerade bei Jün
geren in Europa, Israel und den USA finden, die Philosophie, Jüdische
Studien, Kultur-, Literatur-, Religionswissenschaft betreiben. Was zog
und zieht an ihnen so sehr an?
Oft ist es schon der Ton. Liest man ihre Briefe und Bücher, ihre Auf
sätze und Gespräche, so erheischt Bewunderung, wie sie ihre Überle
gungen vortragen, lässt sich darin doch Dringlichkeit und Knappheit
der Zeit, Fülle und Kraft des Stoffs vernehmen. Ihre Texte vermögen
deshalb als so eindringlich zu wirken, weil sie vom Widerhall der ver
handelten Gegenstände selbst gebildet sind, denen nichts aufgenötigt
wird. Taubes und Schmitt gehören ebenso wenig einer Schule an, wie
sie selbst eine gegründet haben. Aber ohne Einfluss sind sie deshalb
nicht geblieben, eher im Gegenteil. Was sie redeten und schrieben, das
klingt in seinen besten Momenten gerade nicht akademisch blechern:
nicht wie „ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle“ —so der Apo
stel Paulus, als er seiner Gemeinde erklärte, wie es sich anhöre, „mit
Menschen- und Engelszungen“, aber ohne Liebe (agäpe ) zu reden (Ers
ter Brief an die Korinther 13,1).
Dass in den Momenten ihrer unseligen Einlassungen Taubes und
Schmitt gerade das taten, ist unbestritten. Wenn beide auch oft keine
274
Agape gegenüber Kollegen, Mitstreitern, Zuhörern übten, so waren sie
doch vom Eros für Autoren, Bücher, Stoffe getrieben. Das geschah
nicht zuletzt aus der Einsicht, dass Erkenntnis nicht umstandslos zu ha
ben sei. Darin liegt ein anti-egalitärer Anspruch, gewiss: aber man kann,
nimmt man christliche und jüdische Mystik beim Wort, behaupten,
dass es Hierarchien des Wissens gibt, die gefahrlos nicht zu erreichen
sind, selbst noch in ihrem Nachleben in der Dialektik der Säkularisie
rung. Nicht umsonst spielten beide in oft scherzhafter Weise auf For
men und Überlieferungen des Wissens der frühen Neuzeit an: Arkana,
die nicht nur „Staatsgeheimnisse“ oder das je Eigene, sondern auch ein
unausgesprochenes Mitschwingen in langen Traditionsketten bedeuten,
seien sie jüdisch oder katholisch, seien sie abendländisch oder europä
isch.
Auch haben Taubes und Schmitt bei allem Kalkül ihre Gegenstände
zumeist nicht aus Karrieregründen gewählt, sondern weil sie ihnen bren
nende Fragen eröffneten, mögen die darauf gegebenen Antworten heute
so problematisch sein wie die „Freund-Feind“-Unterscheidung Schmitts
oder die Universalisierung der Gnosis bei Taubes. Einmal gestellt, sind
sie doch unerledigt geblieben und verweisen auf Virulentes: was es mit
der Gerechtigkeit im Recht, mit dem Heil in der Philosophie, mit dem
Wissen für die Erlösung auf sich habe. Etwas von der Aura, die diese Fra
gen umgeben, hat Dieter Henrich, bis zum Wintersemester 1964/65
Kollege am Philosophischen Seminar der FU, in seinem noblen, doch
nichts beschönigenden Nachruf auf Taubes mitgeteilt:
Von ihm ging jenes Feuer aus, das sich nur an weit ausgreifenden Gedanken
entzündet. Und seine Rede ging stets darauf, alles und alle, die sich ihrer
Kräfte in eng gezogenen Kreisen versicherten, dem Maß solcher Gedanken
zu unterwerfen. Den Anspruch, unter den er sich so auch selbst stellte, hat
er in dem, was er erarbeitete, nicht eingelöst. Aber er war bewährt in den
Gesprächen, die er suchte und inspirierte und die er dann genoss, wenn
in ihnen die Dimensionen von Weltverwicklungen und von historischem
Geschick aufgeschlossen waren.
275
ne Land blickte (vgl. Deuteronomium 32,49), das er seiner Sünden
wegen nie betrat.
In ihrer Aufmerksamkeit glichen sich Taubes und Schmitt ebenso wie
in der Sensibilität für den Klang der Sprachen, in denen sie schrieben.
Sie waren keine Schriftsteller im eigentlichen Sinn - wenngleich sich
Schmitt in seiner Jugend als ein solcher versuchte und zeitlebens eine
Neigung zu Epigramm, Parodie, Reim besaß. Zur deutschen Literatur
geschichte zählen die Schattenrisse (vgl. Villinger), die er 1913 unter dem
Pseudonym des „Johannes Negelinus“ —eines der „Dunkelmänner“ der
Reformation —mitverfasste, und, wenngleich ambivalenter zu beurtei
len, auch „Die Fackelkraus“, ein Ergebnis der zeitweiligen Freundschaft
zum katholischen Dandy Franz Blei und Beitrag zu dessen Das große Bes-
tiarium der M odernen Literatur (zuerst 1920 als Privatdruck). Blei hatte
sein letztes Buch, das in Deutschland erscheinen konnte, Talleyrand oder
der Zynismus (1932), mit folgender Widmung versehen: „Für Carl
Schmitt in Freundschaft und Verehrung“. Danach frönte Schmitt seiner
literarischen Leidenschaft nur mehr in privaten Aufzeichnungen. Auch
hat er als einer der ersten den von ihm verehrten Dichter Theodor Däub-
ler kritisch gewürdigt und von diesem ein Wort bezogen, das sein Den
ken und das Selbstverständnis der eigenen Existenz erschließt: „Der
Feind ist meine eigene Frage als Gestalt“ (vgl. Ritter 2008).
Von Taubes gibt es zwar nichts Vergleichbares, aber sein Stil würde
eine eigene Untersuchung verdienen. Die Nähe zum Expressionismus ist
geradezu frappant - nicht so sehr als literarischer Bewegung, sondern als
Gestus der Reflexion. Es ist die des raschen Zugriffs, der brüsken Setzung
ohne lange Ausführung oder Erklärung, allesamt Elemente eines imperi
alen Stils des Lateinischen, das auch Schmitt beherrschte und das hier
Einzug in die deutsche Sprache hält wie das Hebräische in Luthers Bibel
übersetzung. Darin zeigt sich eine Ähnlichkeit der Epochen, wie Taubes
sie selbst zu ziehen pflegte: post 1500 und post 1900, ähnlich in nationa
lem Bestreben, apokalyptischer Endzeitstimmung und Judenhass.
Taubes erscheint geradezu als der letzte expressionistische Denker
des deutschen Judentums, der „den letzten Zipfel des davonfliegenden
jüdischen Gebetsmantels noch gefangen“ hat - wie Franz Kafka schrieb,
den Taubes selbst „den Raschi vor Auschwitz“ nannte, ihn also mit Sa-
lomon ben Isaak aus Troyes verglich, dem bedeutendsten Bibel- und
Talmudkommentator, dessen Auslegungen sich in allen Rabbinerbibeln
und Talmudausgaben finden.
276
Kafka ist der hellsichtige Schriftsteller des europäischen Judentums
vor der Vernichtung und Taubes einer seiner Exegeten, wie es auch Wal
ter Benjamin und Gershom Scholem waren. Dieser, Taubes’ verratener,
aber auch selbst verratender Jerusalemer Lehrer - auf die näheren Um
stände ist hier nicht einzugehen - , erklärte in einem Brief an Benjamin,
Kafka habe das Revers der kabbalistischen Lehre dichterisch ausge
drückt, indem er gerade nicht die von Gott erschaffene Welt gepriesen,
sondern ein „Nichts an Offenbarung“ bezeugt habe. Erich Auerbach, ein
anderer Stichwortgeber für Taubes, hat Kafka wegen „des Grauenhaften
und des Grotesken“ bei Apuleius, aber auch wegen der bei beiden be
gegnenden besonderen „Art der Erotik“ zu einer Zeit gewürdigt, als
Kafka - außerhalb zionistischer Kreise - noch weitgehend unentdeckt
war. Durch diesen Hinweis hat er auf die Nähe beider Schriftsteller hin
gewiesen: des antik römischen zum modern jüdischen, und so auf ele
gante Weise Rom mit Jerusalem versöhnt. Über Auerbach im Zusam
menhang mit Benjamin hielt Taubes an der FU ein Seminar im
Sommersemester 1978, zu Beginn der Hochzeit seines Briefwechsels
mit Schmitt. So schließen sich Kreise, stellen sich Korrespondenzen her,
die von beiden selbst gezogen, selbst verfasst sind.
Schließlich erweisen sich Taubes und Schmitt als vom Überschuss
ihrer Religionskulturen bewegt, die sich in der Moderne nicht erledigt,
sondern in säkularisierten Formen stets weiter behauptet haben. Damit
ist nicht der Einsatz für eine politische Theologie gemeint, sondern viel
mehr das Nachleben der Religion(en) überhaupt. Auch in Derivaten
und im Diminutiv bestehen sie fort, sie wirken außerhalb ihres konfes
sionellen Bereichs sogar in besonders anhaltender Weise. Hoffnungen,
Ängste, Wünsche bündeln sich in ihnen, nehmen in den symbolischen
Formen der Religionen Gestalt an, erfahren in ihnen eine Übersetzung
als kultureller Code, der selbst jedoch eine allgemeine Verbindlichkeit
erheischt. Darum kann man mit nur wenig Übertreibung sagen, dass
wir kulturell —nicht religiös - alle „Christen“ sind, wenngleich „schlecht
getauft“ —um ein Aperçu Sigmund Freuds aufzunehmen. Gemeint ist
eine Verhaltensweise zur Religion, die in ein Unbehagen an ihr um
schlägt, sie als „Abjekt“ (Julia Kristeva) zu erkennen meint und sich
projektiv an Vertretern anderer Religionen entlädt.
Taubes setzte auf das messianische Heilsversprechen des Judentums.
Es erstrebt nicht nur das Ende aller Verfolgungen, sondern Gerechtig
keit und Frieden auf Erden insgesamt, zusammengefasst in Bildern von
277
der Heimholung der zwölf Stämme Israels oder der Völkerwallfahrt
nach Zion. Diese Erlösung geht mit der Fülle des Wissens, mit ekstati
scher Selbsterkenntnis einher, die dann keiner Vermittlung mehr bedarf
und Reflexion als solche übersteigt. W ie Paulus sagt: „Wir sehen jetzt
durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu An
gesicht“ (Erster Brief an die Korinther 13,12).
Schmitt war von der christlichen Macht durch den „Aufhalter“ —im
neutestamentlichen Griechisch den katechon —fasziniert und je älter er
wurde, desto mehr, bis hin zur Identifikation. Der Katechon wird in die
Bibel durch eine pseudopaulinische Schrift eingeführt, in der eine böse
endzeitliche Figur, der „Widersacher“, von einem aufgehalten wird, der
dann nicht mehr näher beschrieben wird: dem Katechon (vgl. Zweiter
Brief an die Thessalonicher 2,6-7). Dadurch verschiebt sich aber auch
der „Tag des Herrn“ als das endzeitliche Gericht über den Kosmos: die
Vernichtung der meisten, die Errettung der wenigen —auch er ist aufge
halten. Der Katechon ist eine zutiefst katholische Figur, denn Luther
dachte eschatologisch viel beschleunigter, war für ihn doch der Wider
sacher als Antichrist in Gestalt des Papstes bereits gekommen (vgl.
Grossheutschi). Was sollte da noch ein Aufhalter bewirken?
Auf Zeitlichkeit bezogen, erweisen sich beide religionskulturelle Fi
guren als solche der Dehnung. Für das Konzept des Katechon ist das
ohne weiteres einsichtig, doch auch auf den Messianismus trifft es zu.
Kommt der Messias nach jüdischer Vorstellung jeden Moment und
birgt er in sich eine ungeheure Explosionskraft, so erfordert er doch ein
beständiges Warten. Wie Benjamin in einer Fassung von Über den Be
g riffd er Geschichte schrieb, die er Hannah Arendt überließ:
Die jüdische so genannte „Existenz“ hat das Gespannte, niemals sich wahr
haft Entladende, das nicht Ausgebrannte an sich, das, wo es sich in unserer
278
Geschichte entlädt, mit einem törichten Wort dann als Pseudo-Messianis
mus verschrien, oder sollte man sagen, entlarvt wird. (Scholem 1977)
Taubes war in dieser Hinsicht ein „schlechter“ Jude, weil er das Histori
sche existentiell auffasste. Er verausgabte sich bis zur Erschöpfung,
beschleunigte das Kommen des Messias weniger, als dass er es in kurzen
Momenten schockhafter Erfüllung - sei sie intellektuell, sei sie erotisch
- vorwegnahm und sich entladen ließ. Das ist „Pseudo-Messianismus“
- um ein „törichtes Wort“ zu gebrauchen. So nahm Taubes den Zug
eines Hochstaplers an, den viele an ihm beklagten. Freilich tragen ihn
alle Messiasprätendenten Israels an der Schwelle zur Moderne, von
Schabbtai Zwi bis Jakob Frank, sie haben alle diesen Makel des Nihilis
mus und der „Heiligkeit der Sünde“. M it Scholem kann man darin
sowohl eine Form religiöser Erfüllung als auch ein Zeichen der Eman
zipation des Judentums vom Ghetto erkennen (vgl. Scholem 1984). Aber
man erblickt darin ebenso das Obsoletwerden von Religion überhaupt,
die zum letzten Mal ihre spektakuläre, alle und alles verzaubernde, die
Verhältnisse umstürzende Macht zeigt, bevor sie im Säkulum stern
schnuppengleich vergeht. Die charismatischen „Gerechten“ (Zaddi-
kim) der ostjüdischen Mystik, des Chassidismus, stehen hingegen noch
vor dieser Schwelle, und der Preis, den ihre Anhänger dafür bezahlen,
ist ein Herausfallen aus der Zeit, die ihnen einzig als Heilszeit wahr
nehmbar wird. Auch Taubes erschien manchen - wenn er samt Entou-
rage in die Synagoge kam oder an häuslichen Feiern teilnahm (vgl. Nei
mari) —als ein solcher „Wunderrebbe“ (Michael Brenner) und in Mea
Schearim, dem chassidischen Viertel Jerusalems, hat er gerne verkehrt
und gebetet. Überhaupt haben chassidische Gelehrte seinen Familien
väterlicher- wie mütterlicherseits über Generationen angehört.
Im Unterschied zu Taubes, der vor allem in den letzten fünfzehn Jah
ren seines „Leben [s] in extremen Spannungen“ häufig an „psychischen
und physischen Krisen“ (Brentano ) litt, ohnehin aber äußerst labil war
und vierundsechzigjährig an Krebs starb, wurde Schmitt immer älter
und älter. Er war gleichsam Katechon seines eigenen Lebens und Ster
bens, atmete den Atem der katholischen Kirche bei allem Missbehagen
ihr gegenüber - jener mit Judentum und Islam antiken Religion Euro
pas. Schmitt wurde langsam und alt wie eine Schildkröte, seine Schrift
war nahezu unlesbar, und allen Versuchen, ihm doch noch einen Text
abzuringen, stand er ablehnend gegenüber. Auch Taubes sollte es nicht
279
gelingen. Aber Schmitt war zu Gesprächen bereit, die freilich unter ge
naue Bedingungen gestellt waren (vgl. Brief 9). Erst als wirklich Uralter
verlosch er, gebrochen vom Krebstod der einzigen Tochter. Dement ge
worden, hörte er Stimmen, die ihn bedrängten und verfolgten (vgl.
Hüsmert).
Orakel u n d Renegat
Schmitt, den von 1933 bis 1936 öffentlichen und eifrigen Propagan
disten des Nationalsozialismus - das nicht nur innerhalb der akademi
schen Welt, sondern auch für den juristischen Beruf insgesamt —, ihn
hat die SS zweimal ausmanövriert. Zuerst wurde er in seiner gesuchten
Wortführerschaft durch ihn persönlich diffamierende Artikel kaltge
stellt, die Das Schwarze Korps - die von Gunter d’Alquen, Mitglied des
Reichskultursenats, geführte Wochenzeitung der SS - Ende 1936
brachte, ein perfides, gleichwohl für das Regime übliches Unterneh
men. Darüber ist viel geschrieben worden, Be- und Entlastendes.
Weniger bekannt, wenn auch von Andreas Koenen und Ulrich H erbert
schon vor Längerem ausführlicher dargestellt, ist die Kritik, die
Schmitts Großraumtheorie der späten 1930er - die er nach dem Krieg
fortsetzte —durch Rezensionen von Werner Best erfuhr. Der Jurist und
- bevor er in Ungnade fiel - enge Mitarbeiter von Heydrich im Reichs
sicherheitshauptamt erklärte 1940/41 - damals als Chef der Innenver
waltung im besetzten Frankreich —, dass Schmitts Konzept nicht „völ
kisch“ gefasst und darum für den Nationalsozialismus unbrauchbar
sei. Von 1942 bis zum Kriegsende Reichsbevollmächtigter in Däne
mark ist Best ein radikaler „Weltanschauungstäter“, der sich in den
1950er Jahren in der Bundesrepublik —ebenso wie dAlquen - erneut
etablierten konnte, weil alle gegen ihn angestrengten Gerichtsverfah
ren wegen Verhandlungsunfähigkeit eingestellt wurden. Anders als
Best war Schmitt kein „revolutionärer“, sondern ein konservativer
Gefolgsmann des Nationalsozialismus. Trotz des Wirbels von 1936
behielt er seine Berliner Professur, trat als Redner auf Veranstaltungen
auf und wirkte in Vorhaben mit, die nicht nur akademische W ichtig
keit besaßen, sondern dem Nationalsozialismus zuarbeiteten. Immer
hin wusste aber der Romanist und Widerstandskämpfer Werner Krauss
—ein unverdächtiger Zeuge also —von Schmitt brieflich zu berichten,
280
dieser habe sich auf einer Tagung der Romanisten im „Kriegseinsatz“
(vgl. Hausmann) durch seine „geistvollen Zweideutigkeiten“ (Krauss
an Fritz Schalk, 19. Juni 1940, Kopie im Nachlass Werner Krauss
BBAW) vom Rest der Teilnehmer wohltuend abgehoben.
Von 1945 bis 1947 Häftling der US Army in Berlin-Lichterfelde
und Nürnberg lebte Schmitt danach bis an sein Lebensende in Pletten
berg im Sauerland, seinem Geburtsort, in innerer Opposition zur neu
en Ordnung und offiziell nicht wieder rehabilitiert im Unterschied zu
vielen anderen, die er penibel zu nennen wusste. Denn er war gegen
über allen an ihn gestellten Erwartungen der Büßfertigkeit und des Ein-
gestehens von Schuld uneinsichtig geblieben, renitenter Vertreter einer
„Schamkultur“, für die „nicht die Mahnung des individuellen Gewis
sens, sondern die Verachtung des Publikums“ (Lethen) das Verhalten re
guliert. Seine fortdauernde Kränkung schien er so virtuos wie besessen
durch permanente Selbstexplikationen zu kompensieren, von denen
auch der hier vorgelegte Briefwechsel mit Taubes voll ist.
Schmitt sah sich Anfang der 1950er Jahre - worauf H enning Ritter
hingewiesen hat - , einem Gleichnis von Francis Bacon folgend, als iustus
cadens coram impio, als „Gerechter, der angesichts des Frevlers fällt“,
oder: „Ich bin die Quelle, in die ein Schuft hineingetreten ist“ (Schmitt
1991). Schmitt lässt offen, ob es sich bei dem impius um Hitler,
d’Alquen, Best gehandelt habe - oder eher um einen derjenigen, die ihn
nach 1945 „verfolgten“. Der erste Präsident der Bundesrepublik und seit
1948 erste Vorsitzende der FDP, Theodor Heuss, kritisierte ihn seit den
frühen 1950er Jahren wiederholt öffentlich (vgl. Linder), dann auch in
seinen Erinnerungen. Gleiches taten in den ihren der Nationalbolsche
wist Ernst Niekisch oder der jüdische Deutschnationale Hans-Joachim
S choeps- ersterer nach 1945 Professor für Geschichte an der Humboldt
Universität in Ost-Berlin, letzterer seit 1947 an der Universität Erlan
gen, seit 1950 als Ordinarius für Geistes- und Religionsgeschichte. Tat
sächlich war Schmitt mit einer breiten, „gesamt“-deutschen Front der
Ablehnung konfrontiert, die sogar noch wuchs, je weiter die Ereignisse
zurücklagen —ein Umstand, der mit der endlichen Anerkennung der
Schoa in der Bundesrepublik insgesamt ebenso zu tun hatte, wie mit der
veränderten Reaktion der nachwachsenden Generation(en) darauf, die
nicht nur „wissen“, sondern auch „(ver)urteilen“ wollte(n).
Im Rückblick wird deutlich, dass Schmitt in der Bundesrepublik, zu
der er sich doch wie in innerer Emigration stellte und die er nur als eine
281
Existenz Deutschlands post mortem sehen wollte (vgl. Blasius), gleich
wohl als Orakel wirkte. Äußerlich geschah das durch das Prinzip redu
zierter Öffentlichkeit, weil seine raren Auftritte nur vor einem ausge
suchten Publikum, nach 1970 der angeschlagenen Gesundheit und des
hohen Alters wegen gar nicht mehr stattfanden. Er musste zu Hause be
sucht und gesprochen werden, Plettenberg wurde so zum Pilgerort.
Formal genügte Schmitt der Wirkung des Orakels durch die Lust am
Reimen und Ausloten der Resonanzen und Bedeutungen, eben dessen,
was er selbst die „immanente Orakelhaftigkeit unserer deutschen Spra
che“ (Schmitt 1950) nannte und meisterhaft beherrschte. Auch formu
lierte er Dinge nicht endgültig, gab Frageräume und Sichtschneisen
frei, war geistreich und „überaus anregend“ {Meier) —so wissen es seine
Besucher zu berichten.
Zwischen Tätern und Opfern zu unterscheiden, war seine Sache aber
nicht, und öfter distanzierte er sich von beiden. Wie er Reinhart Kosel-
leck —mit dem er seit den frühen 1950ern in regelmäßigem Kontakt
stand - einmal mitteilte, empfand er sich Taubes gegenüber, als noch
kein direkter persönlicher Kontakt bestand, als „gehemmt“, weil „fort
während allergische Reaktionen befürchten“ müssend (Schmitt an Ko-
selleck, 30. Januar 1974, HStA Düsseldorf). Dass seine Judeophobie
nicht persönlich, sondern vielmehr systematisch begründet und —wie
in solchen Fällen stets —von keinerlei Kenntnis des lebendigen Juden
tums bestimmt war, hat Raphael Gross nicht zuletzt an Schmitts Geset
zesbegriff zu zeigen versucht. Selbstverständlich gab es jüdische Freunde
und Schüler vor und nach den Weltkriegen in Deutschland, den USA
und Israel, und eine Abhandlung darüber ist noch nicht geschrieben
worden. Zum Orakel nach Plettenberg, von wo aus ein „ganzes Be
kanntschaftssystem“ {Meier) entstanden war, fuhr man eifrig, nicht nur
die Älteren, sondern auch die Jüngeren (vgl. van Laak). Schmitts im
Hauptstaatsarchiv Düsseldorf befindlicher Nachlass liest sich, was die
gewechselten Briefe angeht, partiell als ein who-is-who der Bundesrepu
blik. Am Ende suchten nicht nur Rechte, sondern auch Linke wie Tau
bes dort Auskunft und Rat.
Was Taubes selbst betrifft, so muss etwas ausgeholt werden, auch weil
über ihn —im Unterschied zu Schmitt (vgl. Mehring) —keine intellek
tuelle Biographie vorliegt (zu Materialien vgl. Faber u.a., Kopp-Oberste-
brink , Ritter 2008, Treml). Verglichen mit diesem, lebte Taubes in vie
lem ohnehin das genaue Gegenteil. Während Schmitt wie an einen Ort
282
gebannt war, reiste Taubes fast ununterbrochen zwischen Kontinenten
und Hauptstädten. In den Jahren seines persönlichen Kontaktes mit
Schmitt hielt er sich regelmäßig und für länger außer in Berlin vor al
lem in Paris und Jerusalem auf, wobei Frankfurt häufig, Zürich manch
mal auf dem Weg lag. Überall verfolgte er rast- und ruhelos Projekte,
knüpfte Netzwerke, verfasste zahllose Briefe, führte Telefonate —beina
he ein Jet Set Professor avant la lettre, während die bundesrepublikani
sche Geisteswissenschaft entweder immer noch provinziell geblieben
oder intellektuell auf amerikanische Aufbauhilfe ebenso wie auf Gesten
der Versöhnung mit Frankreich angewiesen war. Erst in den letzten
zwanzig Jahren hat sich das substantiell geändert.
In ein biblisches Bild gefasst, erscheint Taubes als unter die deut
schen Professoren gefallen wie Saul unter die Propheten (vgl. Erstes
Buch Samuel 10,10-12). Was er trieb, war mitunter närrisch anzusehen,
aber doch inspiriert. In einem Midrasch, dem jüdischen Prinzip und
Genre dekontextualisierender Bibelauslegung, lässt sich der Vergleich
noch weiterführen: Saul war der erste König Israels, Taubes der Inhaber
des Gründungslehrstuhls für Jüdische Studien in Deutschland über
haupt. Wirklich ähnlich waren sie sich darin, dass beide häufig der De
pression verfielen.
Taubes strebte vor allem einer paulinischen Figur nach. War dieser
als Erzjude einst ins Lager der Messiasanhänger übergelaufen, so er in
das der deutschen Professoren, wobei die Betonung auf beiden Worten
liegen muss: „deutsch“ als die Bezeichnung derjenigen, die wenige Jahre
zuvor die europäischen Juden ermordet, dabei zu- oder zumeist wegge
sehen hatten —diesem Schicksal war er selbst nur durch den Zufall des
Umzugs der engeren Familie in die Schweiz Mitte der 1930er Jahre ent
gangen, während viele seiner Verwandten umkamen - , „Professoren“
als ein Berufsstand, zu dem er eine ironische Distanz hielt, was in der
Unterstützung der Studentenbewegung der späten 1960er Jahre Erfül
lung fand. Damals hatte Taubes, zusammen mit seiner zweiten Frau,
der Philosophin Margeritha von Brentano, und mit Kollegen wie dem
Literaturwissenschaftler Peter Szondi und Gästen wie dem Philosophen
Herbert Marcuse, seine beste Zeit als Renegat, nicht nur an der FU.
Den unumstrittenen Berliner Höhepunkt stellte der Sommer 1967
dar. Im Juli, wenige Wochen, nachdem der Student Benno Ohnesorg
bei den Protesten gegen den Schah von Persien von einem Polizisten er
schossen worden war, leitete Taubes eine Podiumsdiskussion, an der un
283
ter anderem Marcuse und Rudi Dutschke teilnahmen (vgl. M arcuse
1980). Im selben Monat endastete er zusammen mit Szondi und ande
ren Kollegen Mitglieder der Kommune I, die in Flugblättern zur Brand
stiftung in Berliner Kaufhäusern aufgerufen hatten: „bum, ware-house,
burn“ (vgl. Szondi 1973). Für ihren Verteidiger Horst Mahler stellte
Taubes sie in einem später veröffentlichten Gutachten in die Tradition
des Surrealismus und der Ironie Kierkegaards, er erklärte aber auch in
so mehrdeutiger wie kritischer Weise:
Diese jungen turbulenten Bürger —und Bürger bleiben auch die Mitglieder
der „Kommune I“, denn keiner hat den Schritt in die ernste Welt der Arbei
ter getan und keiner wird ihn je auf Dauer tun —wollen die Kultur vernich
ten, weil man sie zu gebildeten Menschen erzogen hat: Ihr Hauptfeind bleibt
der Philister. ( Taubes 1967)
Das konnte man als nicht nur auf die „Kommune I“ gemünzt lesen,
sondern auf den bürgerlichen Selbsthass, der dem Faschismus in sei
ner Feindschaft gegen die Kultur Vorschub leistete, ebenso wie auf das
Unbehagen, das das Philiströse eben dieser Kultur zu transformieren
bestrebt war. Vor Prozessbeginn hatte Taubes Mahler aber brieflich
auch noch auf einen anderen Punkt hingewiesen, der ihm selbst als
wirklich problematisch erschien. Indem er sich indirekt, aber deutlich
mit dem Staat Israel für solidarisch erklärte, schrieb er,
daß, wie ich auch den AStA schon einmal wissen ließ, ein Engagement gegen
die Kriegsführung der USA in Vietnam für mich im gegenwärtigen Augen
blick unglaubwürdig ist, solange es sich nicht verbindet mit einem Engage
ment auch gegen Nasser und seinen pseudosozialistischen Faschismus. (Tau
bes an Mahler, 4. Juli 1967, Nachlass J. Taubes ZfL)
All das machte Taubes zur Reizfigur sowohl gegenüber den nicht-jüdi
schen Kollegen als auch gegenüber den wenigen jüdischen, die es gab.
Im Sommer 1960 hatte ihn einer der damaligen Lehrstuhlinhaber für
Philosophie an der FU, Michael Landmann - mit dem er später bitter
verfeindet war —, für den neu zu errichtenden Lehrstuhl für Wissen
schaft des Judentums / Judaistik vorgeschlagen, durchaus auch in der
Hoffnung, das jüdische Leben in West-Berlin zu erneuern. Nachdem
Taubes im Juni und Juli 1961 eine Gastdozentur wahrgenommen hat
te, war er noch im selben Sommer berufen worden, und die Verhand
lungen begannen. Im Sommersemester 1962 lehrte er wiederum als
284
Gast und im darauf folgenden akademischen Jahr als seine eigene Ver
tretung. Schließlich nahm er ein Jahr später den Ruf an. Zum jüdi
schen Establishment gerade West-Berlins, aber auch der Bundesrepu
blik insgesamt stand er jedoch durch die bewusst zur Schau gestellte
Amoralität bald in scharfem Kontrast. Selbst an der FU war er nicht
unumstritten. So schrieb Szondi an Adorno:
Ist man sein [= Taubes’, M.T.] Kollege, so lebt man mit Kompromissen und
reservationibus. Sie sind dazu nicht gezwungen. Konkreter: er hat, wenn ich
das richtig sehe, eine Neigung, seinen Studenten sowohl Adorno und Haber
mas als auch Gadamer und Henrich als seine Gäste zu präsentieren und im
Hin-und-her so zu tun, als stünde er, überlegen, über den beiden Seiten.
(Szondi 1993)
Taubes konnte mit Linken wie mit Rechten, mit Juden wie mit Chris
ten, mit Schmitt wie mit Marcuse. So erklärte er 1966 vergnügt:
„Rechtsintellektuelle“ seien „eine seltene Species, die erhalten bleiben
soll, damit wir uns in der posthistorischen Welt nicht langweilen“
(Brief 57). Im letzten der in diesen Band aufgenommenen Schreiben
(vgl. Brief 83) konstatierte der Verfasser, der Politologe Hans-Joachim
Arndt, Ähnliches, wenngleich freundschaftlich-positiv gewendet und
methodisch erhöht:
ähnlich wie bei „Rechten“ wurde bei ihm [= Taubes, M.T.] das Miteinan
der nicht nur von der Gleit-Schiene des Theoretischen und Systematischen
getragen, sondern ebenso und vielleicht viel mehr vom konkreten Geschehen
des Begegnens zwischen konkreten Personen und des Miteinander-Lebens.
Eben deshalb spielt Anekdotisches in seinen Darstellungen auch bis zum
Schluß eine so große Rolle
285
Grab von Jacob Taubes und seiner M utter Fanny,
Israelitischer Friedhof Oberer Friesenberg, Zürich (Foto M artin Treml)
286
dort auf dem großen Friedhof vor den Toren der Stadt begraben. Auf
dem Grabstein von Taubes Sohn in Zürich findet sich das bekannte Zi
tat aus dem Propheten Habakuk: „der Bewährte wird leben durch sein
Vertrauen, der Gerechte wird seines Glaubens leben“ (Habakuk 2,4). Es
ist hier doppelt übersetzt, zuerst, den Wortlaut des Hebräischen wah
rend, der Übersetzung Martin Bubers und Franz Rosenzweigs folgend,
dann derjenigen Luthers, so Judentum wie Christentum ausbalancie
rend und in ihren Lehren bestehen lassend. Tatsächlich handelt es sich
bei dem notorisch schwierigen Vers um einen, der schon im antiken Ju
dentum eifrig ausgelegt wurde, sich außer in den paulinischen Schriften
(vgl. Brief an die Galater 3,11, Brief an die Römer 1,17) auch bei den
späteren Rabbinen (vgl. Babylonischer Talmud Traktat Makkot 23b-
24a) und den radikalen Mönchen von Qumran am Toten Meer findet
(vgl. Pescher zu Habakuk 8,1). Der Vers, genommen aus der Antwort
Jahwes auf die Todesangst des Propheten angesichts der Bedrohung
Israels durch übermächtige Feinde - hier durch die Neubabylonier - ,
ist sowohl politische Theologie als auch Baustein einer Eschatologie
als Lehre von den letzten Dingen, deren Kommen unmittelbar bevor
steht.
Vielfältige Anfänge
287
Zwei Jahre später erschien im Merve Verlag —ebenfalls in Berlin —
unter dem Namen von Taubes der Band Ad Carl Schmitt. Der wenige
Monate zuvor Verstorbene hatte sich um diese Publikation nicht recht
gekümmert und selbst nur wenig dazu beigesteuert. Erarbeitet und lan
ciert wurde sie von Peter Gente mit Unterstützung von Armin Möhler,
die beide jedoch ungenannt blieben, sodass sie als von Taubes verant
wortet erscheinen musste. Ein Beispiel für diese Zusammenarbeit, die
im Sommer 1986 begonnen worden war, ist das hier aufgenommene
Schreiben Möhlers an Gente (vgl. Brief 82).
Die beiden bildeten ein selten ungleiches Paar. Gente, in den 1960ern
studentische Hilfskraft von Taubes an der FU, betrieb seit den 1970ern
einen linken Kleinverlag, der sich von der „Internationalen Marxisti
schen Diskussion“ der frühen Hefte weg- und unter dem Einfluss seiner
Partnerin Heidi Paris zum frankophilen Postmarxismus hingewandt
hatte (vgl. Bimstiel). Möhler, ein gebürtiger Schweizer, war hingegen
ein politisch rechtsstehender Publizist, der während des Kriegs in die SS
hatte eintreten wollen - was ihm misslang, weil er für einen Spion
gehalten wurde. Er war einer der wenigen lebenslangen Freunde von
Taubes, gleichsam „über die Linien“ hinweg, und dessen Geist schien in
Möhler und Gente gefahren oder hatte sie jedenfalls zusammenge
bracht.
Für den Band, der in erster Linie auf das link eju ste milieu West-Ber
lins zielte, das skandalisiert werden sollte, steuerte Möhler jenen in der
Folge berühmt gewordenen Brief vom 14. Februar 1952 (vgl. Brief 53)
bei, den er von Taubes aus Jerusalem erhalten und ihn sogleich an
Schmitt weitergeschickt hatte. Dieser ließ ihn in Abschriften zirkulie
ren, sodass der „Rabbiner Taubes“ - dies die häufige, aufs Religiöse
zielende Bezeichnung — unter Freunden und Schülern Schmitts ver
gleichsweise gut eingeführt war, wenn auch nicht bei allen, das zeigt
das Beispiel von Arndt (vgl. Brief 83). Taubes selbst besaß das Schreiben
jahrzehntelang gar nicht, wie aus einem Brief des Publizisten Sepp
Schelz hervorgeht, der es ihm höchst amüsiert in Kopie zu geben
versprach (Schelz an Taubes, 5. Dezember 1980, Nachlass J. Taubes
ZfL).
In dem Brief von 1952 stellte Taubes Schmitt prominent als „die geis
tige Potenz“ heraus, die - zusammen mit Heidegger - „alles Intellektuel
lengeschreibsel um Haupteslänge überragt“ (Brief 53). Auf Schmitt war
Taubes bereits im Jahr zuvor und ebenfalls von Jerusalem aus lobend zu
288
sprechen gekommen (vgl. Brief 52) —im selben Atemzug wie auf Jünger,
der in allen dieser frühen Schreiben an Möhler (vgl. Briefe 48, 50, 51,
52, 54 und 55) begegnet, so sie über reine Mitteilungen hinausgehen.
Wenn dessen Erwähnung in dem späteren Bericht an Gente als „natür
lich ein dramaturgischer Effekt“ (Brief 83) ausgegeben wird, so ist das ein
Urteil post festum, gefällt nach dem Bruch Möhlers mit Jünger, dessen
„Secretarius“ er einst gewesen war. An Jünger hatte Taubes Anfang der
1950er ein wirkliches Interesse, weil dieser mit Zuständen experimen
tierte, die mystischen Erfahrungen nahe kamen. Darum erwähnte er in
einem späteren Schreiben (vgl. Brief 55) auch den Roman Besuch a u f Go
denholm, der in der Beschreibung einer solchen Erfahrung gipfelt. Uber
einen gewissen Schwarzenberg, der die Rolle des Mystagogen spielt,
heißt es dort, nationalsozialistisches Vokabular vom „Verschleiss“ und
vor allem von der „In Dienststellung“ wie unbewusst aufnehmend:
289
Zugleich wird mit ihr der Gründungsmythos des rabbinischen Ju
dentums zitiert, nämlich die abenteuerliche Flucht des Johanan ben
Zakkai aus dem von den Römern belagerten Jerusalem im Ersten Jüdi
schen Krieg 66-70. Dieser habe sich in einem Sarg —als Toter also - aus
der heiligen Stadt und vor Vespasian bringen lassen, dem er dann die
Kaiserkrone vorhergesagt habe. Dafür sei er mit der Erlaubnis belohnt
worden, sich in Jawne aufzuhalten (vgl. Babylonischer Talmud Traktat
Gittin 56a-b). Dort, einer alten an der Küste zwischen Jaffa und Asch-
dod gelegenen Stadt, gründete Rabbi Jochanan ben Zakkai sein Lehr
haus. Aus ihm sind die Rabbinen, der Talmud, die gültigen Auslegungs
regeln der Halacha - das Insgesamt der Mitzvot —hervorgegangen, die
bis heute beibehalten und fortgesetzt worden sind.
Der Merve-Band überspannt einen weiten zeitlichen Bogen: von
1952 bis 1987, vom Brief an Möhler und dem TAZ-Artikel bis zu den
Paulus-Vorträgen in Heidelberg, Wochen vor seinem Tod, derart eine
Kontinuität der Beziehungen zwischen Taubes und Schmitt herstel
lend, freilich glättend und ungenau. Zu den Glanzstücken des Bandes
gehört ein weiterer Brief (vgl. Brief 15), den Taubes selbst zur Verfü
gung gestellt hatte. Irrtümlich wurde dieser beim Abdruck jedoch mit
einem falschen Datum versehen, tatsächlich ist er 1978 verfasst, bei ei
nem der regelmäßigen Aufenthalte an der Maison des Sciences de
l’Homme in Paris. Viele von denen, die den Merve-Band lasen, wurden
zum ersten Mal mit dem Philosophen Leo Strauss oder dem Theologen
Erik Peterson bekannt. Das alles war 1987 neu und höchst aufregend,
gerade auch wenn man bedenkt, dass Schmitt bis dahin an bundesdeut
schen Universitäten weitgehend persona non grata war, außer unter
Freunden wie Ernst-Wolfgang Böckenförde, der ihn im Wintersemester
1978/79 an der Universität Freiburg zum Gegenstand eines gemeinsa
men Seminars mit Wilhelm Hennis machte (vgl. Brief 64) - und in Se
minaren von Taubes. Dort wurde man mit seinem Denken seit langem
„geimpft“ (Wolfgang Fietkau), war man doch Mitglied des inner circle,
vor dem die Arkana ausgebreitet wurden.
Die Sichtweise von Taubes „mit“ Schmitt stützt sich bisher auf den
Merve-Band, der ins Italienische (1996) und Französische (2003), teil
weise auch ins Englische (2004) übersetzt worden ist. Darum erscheint
das tatsächlich erste Schreiben an Schmitt der Rezeption als ein zweiter
Anfang. Es liegt seit einem Jahr als Faksimile und in Umschrift vor (vgl.
Taubes 2010 = Brief 1). Taubes hatte Schmitt ein Aerogramm aus den
290
USA geschickt, wo er seit Mitte der 1950er Fuß zu fassen gezwungen
war, seitdem die Hebräische Universität Jerusalem durch den Bann
spruch Scholems für ihn verschlossen blieb. Er schrieb als Berater von
Beacon Press, einem Verlag, für den er ganze Reihen konzipierte, so
etwa thematische Textsammlungen, die jeweils ein bekannter Denker
mit auswählen und einleiten sollte. Für eine solche fragte er Schmitt, ob
dieser bereit sei, The Conservative Tradition zu übernehmen, in dem
Schriften der Theoretiker der Gegenrevolution auszugsweise enthalten
sein sollten. Welche Antwort er erhielt, ist unbekannt. Beide hatten
über Mittelsmänner auch Sonderdrucke ausgetauscht (vgl. Brief 56)
und standen so in loser Verbindung.
Zu dem von Taubes vorgeschlagenen Band kam es ebenso wenig wie
zu den meisten anderen, die er für Beacon Press geplant hatte. Immer
hin erschienen auf sein Betreiben dort zwei Schriften von Buber in eng
lischer Übersetzung, vor allem aber Herbert Marcuses Eros an d Civili-
zation (1955), ein wichtiges Buch auch der Studentenbewegung. Die
bundesdeutsche philosophische Szene hatte Marcuse 1964 - noch vor
seinen Auftritten in Berlin —mit dem am 15. Deutschen Soziologen tag
in Heidelberg gehaltenen Vortrag „Industrialisierung und Kapitalismus
im Werk Max Webers“ (vgl. M arcuse 1965) nachhaltig beeindruckt. „In
dieser Rede tauchen nahezu alle die kritischen Momente auf, die schon
in Marcuses Arbeiten aus den dreißiger und vierziger Jahren zu finden
sind“ ( Claussen). Von ihr aus sollten sich „folgenreiche Schübe in der
politischen Kultur der Bundesrepublik“ (Habermas) entzünden. Zu den
damaligen Zuhörern zählte auch Taubes, der Marcuse jedoch schon seit
Mitte der 1950er freundschaftlich verbunden war.
Die Kontaktversuche zu Schmitt stockten nach dem Brief von 1955
lange. Berücksichtigt man noch spätere Geburtstagswünsche in Sam
melschreiben (vgl. Briefe 2, 3, 5), so schwieg er seit Anfang der 1960er
immerhin fünfzehn Jahre lang. Aber in einem dieser Sammelschreiben
- dem frühesten von 1958 - gibt es auch den Satz: „Auf ihre Flaschen
post wartet immer jemand am anderen Ufer - auch wenn er schweigt“
(Brief 2). Taubes nahm hier eine Denkfigur auf, die die jüdischen Emi
granten vor allem der Frankfurter Schule für sich gefunden hatten (vgl.
Horkheimer) und kehrte sie um: nicht nur in ihrer Richtung - nun von
Deutschland in die USA —, sondern auch in ihrem Bezug - jetzt von
„Rechts“ nach „Links“. Schließlich existiert aus dieser Zeit auch noch
ein Briefentwurf von 1970, der Schmitt wiederum über einen Dritten
291
hätte erreichen sollen (vgl. Brief 4). Von Schmitt selbst ging nie eine In
itiative zum direkten Kontakt aus —auch das ziemt einem Orakel. Wo
mit aber das Erlahmen von Taubes zu tun hat, ist nicht sicher zu sagen.
Gewiss spielte das Zögern, Deutschland zu betreten, eine Rolle —da
rum plante man, sich zuerst nahe Paris, im Hause Möhler, zu treffen.
Zwei der hier veröffentlichten Eintragungen von Taubes ins dortige
Gästebuch geben darüber Nachricht. In der ersten bezeichnete er sich
selbst als „wandernder Jude“, der „im Hause Möhler - im Pariser Exil
—ein Heim“ fand (Eintrag vom 10. Juli 1958). In der zweiten stellte er
sich mit Schmitt und Jünger, die jeweils ein paar Tage zuvor Besucher
waren, zur Trinität zusammen: „„Der heilige Geist“ nach Vater C. S.
und dem Sohn E. J. Jacob“ (Eintrag vom 23. Juni 1960).
Taubes selbst war ohnehin mit Unbehaustheit geschlagen, einer Er
fahrung, dass er wie so viele als europäischer Jude nach den beiden
Weltkriegen nur Strandgut sei, ausgespieen von den großen Imperien,
die zerfallen waren, angespült in den Nationalstaaten. M argeritha von
Brentano sagte über sein Leben, es sei ein „unruhiges und zerrissenes Le
ben, das in jedem Sinne heimatlos“ war. Als Spross von Angehörigen
eines Nachfolgestaats der Habsburger Monarchie außerhalb der 1918
gegründeten Republik Österreich besaß Taubes lange nur einen polni
schen Pass - wie seine Familie insgesamt. Im September 1956 erhielt er
schließlich die amerikanische Staatsbürgerschaft und war in dieser Hin
sicht sorgenloser. Zurück in Europa entband ihn jedoch auch der neue
Status nicht von Erinnerungen. Aus Anlass seines ersten Besuchs über
haupt bekannte er: „Ich gehe mit sehr gemischten Gefühlen zum ersten
Mal nach D’land, aber Ffm is t ,Freistadt' - exterritorial [—] und Hork-
heimer - Adorno der einzige Zugang zum Deutschland, das ich meine“
(Taubes an Horkheimer, 6. Juni 1960, Nachlass Horkheimer Frankfurt
a. M.). Das offizielle „D’land“ - das er nur in Abbreviatur schrieb -
kontrastierte mit dem „Deutschland“ der Frankfurter Schule —das als
ausgeschriebenes einzig im Vollsinn Geltung besaß.
Zu vermuten steht aber, dass Taubes in all den Jahren seines Schwei
gens gegenüber Schmitt vor allem mit anderem beschäftigt war: politi
schen Einlassungen, akademischen Pflichten, privaten Querelen, wie
derholten Krankheiten. Seine eigene Arbeit bewegte sich —zumindest
was die Lehre betraf —in vornehmlich judaistischen Feldern, die er frei
lich geschichtsphilosophisch und religionssoziologisch reich auszulegen
verstand. Im Sommersemester 1973 kündigte er am Institut für Philo
292
sophie und in den Fachrichtungen Evangelische Theologie und Judais
tik eine „Übung für Fortgeschrittene“ unter dem Titel „Geschichte und
Theorie: Politische Theologie als Geschichtsphilosophie, zur Ge
schichtstheorie Carl Schmitts und Walter Benjamins“ an, wofür er -
wie er Schmitt später schrieb - „Schmähungen und Verleumdungen“
(vgl. Brief 8) habe einstecken müssen. Man darf vermuten, dass es die
erste akademische Veranstaltung an der FU mit Schmitt als Gegenstand
überhaupt war.
Taubes selbst durchlebte schwere gesundheitliche Krisen, die Mitte
1975 zu einem psychischen Zusammenbruch führten. Er galt als hoff
nungsloser Fall. Seine Kollegen an der Universität wähnten ihn für tot
und glaubten nicht mehr an eine Wiederkehr. Als er aber nach einer Be
handlung mit Elektroschocks dennoch 1977 wieder auftauchte —ein
Untoter, revenant - , wütete er hemmungslos, dämonische Schubkraft
aus der Kränkung ziehend, dass sein Erbteil zu Lebzeiten aufgeteilt wor
den war. Dabei schlug er maß- und rücksichtslos über die Stränge.
Genau in diese Zeit fällt der dritte Anfang seines Kontakts zu
Schmitt. Ihm gingen einige Zeilen in einem kurzen Schreiben von Mai
1977 voran, verfasst von Möhler, Taubes und anderen (vgl. Brief 5).
Der nächste „erste“ Brief datiert vom 17. November desselben Jahres
(vgl. Brief 6). Warum es zu ihm kam, darüber lässt sich streiten. Es ist
nicht unwahrscheinlich, dass Hans Blumenberg dabei von Einfluss war.
Von ihm hatte sich Taubes ein paar Monate zuvor Vorhalten lassen müs
sen, „den persönlichen Kontakt mit einem heute fast Neunzigjährigen
zu meiden, weil er vor fast einem halben Jahrhundert wahrhaft ab
scheuliche Dinge geschrieben hat“. Er, Blumenberg, befürwortete hin
gegen die „Anstrengungen, den Geist des moralischen Gerichts und der
Rache aus unseren Institutionen zu verbannen“. Er erklärte, „1971 den
Kontakt zu Carl Schmitt gesucht und gefunden“ zu haben (Blumen
berg an Taubes, 24. Mai 1977, Nachlass J. Taubes ZfL).
Zugleich war 1977 ein unheimliches Jahr für die Bundesrepublik
insgesamt, Höhepunkt des „Deutschen Herbsts“ mit Entführungen
und Ermordungen hoher Repräsentanten des Staats und seiner Institu
tionen, schließlich dem Tod inhaftierter Terroristen der RAF in Stamm
heim, die freigepresst werden sollten. Dieser gewaltsame Hintergrund
hat zumindest atmosphärisch eine Rolle gespielt und tönte manches im
sich schließlich ergebenden Briefwechsel, aber erörtert wurde er dort
ebenso wenig wie andere aktuelle politische Ereignisse. Wahrscheinlich
293
ist aber auch, dass Taubes nach seiner schweren Krankheit bewusst ge
worden war, dass nicht nur die verbleibende Lebenszeit Schmitts eng
begrenzt war, sondern auch ihn die Zeit drängte, wenn es zu Gesprä
chen und persönlichen Begegnungen zwischen beiden überhaupt noch
kommen sollte.
Tatkräftig unterstützt wurde er darin von Hans-Dietrich Sander (vgl.
Brief 58), der 1969 bei Hans Joachim Schoeps promoviert hatte. Ange
sichts der schieren Menge der Erwähnungen von Schmitt in der Arbeit
selbst, sei bei der Aussprache im Examen damals festgestellt worden,
„nun sei der ,alte Partisan1auch in die gegenwärtige Marxismus-Diskus
sion eingedrungen“ [Sander). Taubes hatte Sander aus Begeisterung
über dessen Kritik der Sozialwissenschaften am Philosophischen Insti
tut der FU zu installieren gedacht. Es gelang zwar nur für das Winter
semester 1978/79, stellte aber eine weitere offenkundige Provokation
dar, denn Sanders nationalistische Ausrichtung war für alle sichtbar.
Taubes schätzte an ihm noch einen anderen Zug, den er in das folgende
Selbstporträt eintrug:
Mir geht es darum - um mit Susan Sontag zu sprechen - styles of radical will
dem justen Milieu gegenüberzustellen. Ob diese radikalen Stile mit den Eti
ketten rechts / links belegt werden, ist mir zunehmend gleichgültig. (Taubes
an Sander, 15. Oktober 1979, Nachlass J. Taubes ZfL)
294
Wenige Tage nach dem Brief von Taubes antwortete Schmitt so er
freut wie freundlich, aber doch auch zurückhaltend: „Die adäquate
Wellen-Länge muss sich noch ergeben“ (Brief 7A). Am Zeitschriften
projekt mitzuarbeiten, schlug er kategorisch aus, indirekt auch von de
ren geplantem Titel abratend:
Für die neue Zeitschrift, die Sie planen, ist als Titel und Name das Wort
„Kassiber“ vorgeschlagen. Zur Aura eines solchen Namens gehört eine
Parole, die für einen Juristen etwas anderes schreibfest macht als ftir jeden
Andern. Vielleicht genügt diese Andeutung; sie ist kein Urteil über Ihre Ziele
und Intentionen. (Brief 7A)
295
haltend - und den Zweiten Brief an die Thessalonicher 2,6ff mit der
Lehre vom Katechon. Ein solcher Einklang, vor allem aber Nennung
und Paraphrase der Bibel auf diese Weise musste das Eierz von Taubes
höher schlagen lassen, zumal Psalm 42 in der Klage eines Leviten im
Exil vor Gott gipfelt, der ausruft: „Warum hast du mich vergessen?“
(Psalm 48,10). Katholik und Jude gewannen einander durch ihre inti
men Kenntnisse der Heiligen Schrift, auf die sie in für andere nur
schwer einsehbare Weise laufend Bezug nahmen.
Insgesamt fuhr Taubes dreimal nach Plettenberg, um mit Schmitt
unter vier Augen zu sprechen, darin dem französischen Philosophen
Alexandre Kojeve nacheifernd, der ihm gegenüber anno mirabile 1967
erklärt habe, von Berlin aus nach Paris - über Plettenberg zu fahren:
„Mit wem sonst ist in Deutschland zu reden?“ (Text VIII). Wie Taubes
selbst später erklärte, gab es dort „die stürmischsten Gespräche, die ich
je in deutscher Sprache geführt habe“ (Text VII). In einer für ihn unge
wohnten Diskretion hat er von ihnen jedoch nichts Konkretes mitge
teilt. Bewegend verlief vor allem der erste Besuch, auf den Taubes in je
nem Schreiben ausführlicher reagierte, das auch im Merve-Band zu
lesen war. Dort kam er noch einmal auf den „Abgrund“ zu sprechen,
zwar nicht wörtlich, aber der Sache nach. Als Abgrund erscheint hier
der Nationalsozialismus, in den beide Völker stürzten als in „die Katas
trophe (unsere und die Ihrige)“ (Brief 15), und die Weigerung von Tau
bes, über Schmitt zu Gericht zu sitzen, ist kein Vergeben, sondern die
Eröffnung eines Gesprächs —das mit dem Feind geführt wird. Damit
wollte er die von Schmitt gezogene Unterscheidung von „Freund und
Feind als Kriterium des Politischen“ und dem „Krieg als Erscheinungs
form der Feindschaft“ (Schmitt 1%3) zwar nicht aufheben, aber sie
paulinisch lesen, wie er selbst in einem kursorischen Hinweis am Brief
ende notiert, durch Rekurs auf den Römerbrief.
In dessen Kapiteln 9-11 finden sich die Überlegungen zum Volk Is
rael. Warum sei es so verstockt und nehme die Erlösung nicht an, die
durch den Messias Jesus doch gekommen sei? Das geschehe einzig aus
dem Grund, damit auch die Heiden errettet würden (vgl. Brief an die
Römer 11,11-16), gleichsam in einer List Gottes am eigenen Volk, von
dem nur die „Kinder der Verheissung“ (9,8) anerkannt würden. Damit
hat sich aber die Berufung vom „Fleisch“ gelöst —ohne dass dafür der
„Geist“ den Grund lieferte, das wäre vorschnell geurteilt. Diese Ent
scheidung liegt nämlich allein „an Gottes Erbarmen“ (9,16), der souve
296
rän über den Verlauf der Heilsgeschichte gebietet, wie auch schon die
Geschichten der biblischen Patriarchen gezeigt haben. Dort ist regelmä
ßig nicht der Erstgeborene Träger der Verheißung, sondern der Jüngere,
Schwächere (vgl. Moses): Isaak, nicht Ismael, Jakob, nicht Esau, Josef,
nicht seine Brüder. Paulus selbst hat dies in seine Ausführungen aufge
nommen, etwa mit dem Zitat aus dem Propheten Maleachi 1,2-3: „Ja
kob habe ich geliebt, aber Esau habe ich gehasst“ (Brief an die Römer
9,13).
Vor dem Hintergrund des Römerbriefs erfährt nun auch der Begriff
des „Feinds“ eine paulinische Wende. Denn die einzige Stelle, an der
dieser überhaupt gebraucht wird —und darauf bezog sich Taubes in sei
nem Schreiben (vgl. Brief 15) - ist der folgende Vers, der wiederum
vom Geschick des Volks Israel erzählt und eine Unterscheidung zwi
schen „Israel aus den Juden“ und „Israel aus den Heiden“ macht. Den
Mitgliedern der Kirche in Rom - also „Israel aus den Heiden“ —erklärt
Paulus: „Im Blick auf das Evangelium sind sie zwar Feinde um euretwil
len; aber im Blick auf die Erwählung sind sie Geliebte um der Väter wil
len“ (Brief an die Römer 11,28). Feinde und Freunde/Geliebte sind
hier nicht nur durch den Blickwinkel unterschieden, sondern in ihrer
heilsgeschichtlichen Funktion. Keine dieser beiden Gemeinschaften ist
jedoch verloren, „denn Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht
gereuen“ (11,29). Faszinierend ist hier, wie Taubes seinerseits eine List
ergreift: indem er den Katholiken Schmitt zu einem Angehörigen des
älteren Volks zählt, kann er mit Paulus gleichsam dessen „Ungehorsam“
erklären: „Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, da
mit er sich aller erbarme“ (11,32).
Worüber schrieben sich Taubes und Schmitt? Im Wesentlichen
tauschten sie sich über politische JJteologie aus, taten dies jedoch im ak-
klamatorischen Sinn, nicht als Analyse. Was man als bloßes name droping
missverstehen könnte, erweist sich eigentlich als Beschwören von Positi
onen. Besonders Schmitt war ständig um ein Austarieren und Nachstel
len seiner eigenen Stellungnahmen von einst und jetzt bemüht. Doch
auch Taubes folgte ihm darin nicht nur, sondern er stellte seinerseits die
Weichen neu, so vor allem in seinem häufigen Hinweis auf den Brief
Benjamins an Schmitt von 1930. Die Behauptung, Adorno habe ihn bei
der Herausgabe der zweibändigen Auswahl von Benjamins Briefen 1966
bewusst unterschlagen, ist falsch, wie so vieles, was er in dieser Angele
genheit verlauten ließ. Denn Adorno lag dieser Brief wohl nicht vor, der
297
erst durch Sanders Dissertation überhaupt im Wortlaut bekannt wurde,
wenngleich Schmitt seine schiere Existenz im „Exkurs 2“von Hamlet oder
Hekuba öffentlich gemacht hatte (vgl. Schmitt 1956). Allerdings zitierten
die Herausgeber des einschlägigen Bandes der Gesammelten Schriften
Benjamins ihn in ihren „Anmerkungen“ „nach einer im Benjamin-Ar
chiv vorhandenen Photokopie“ (Benjamin 1974). Wie sie dorthin ge
langte, ist bisher ungeklärt. Einen Akt der Zensur durch Adorno mag es
aber tatsächlich gegeben haben. So fehlen in der von ihm verantworteten
ersten Ausgabe von Benjamins Ursprung des deutschen Trauerspiels nach
dem Zweiten Weltkrieg alle Hinweise auf Schmitt in den ohnehin radi
kal zusammengestrichenen Fußnoten (vgl. Benjamin 1955).
Daraus, aber auch bereits aus dem Vorhergegangenen mag klar ge
worden sein, wie sehr nicht nur die Aufnahme des persönlichen Ge
sprächs zwischen Taubes und Schmitt, sondern auch dieses selbst als
eine Angelegenheit erscheint, in der die Zeit sich zu verflüssigen be
gann, um unter dem Zeichen des Aktuellen im Vergangenen wieder zu
sammenzufließen. Darunter ist nicht so sehr das Nachsinnen wirklich
alter Menschen über das weit Zurückliegende gemeint —was im Falle
Schmitts natürlich eine gewisse Wahrscheinlichkeit besitzt —, sondern
vielmehr der Rückbezug auf etwas, was noch nie so gewesen ist. Es sind
die Jahre vor dem Nationalsozialismus, auf die Taubes wie Schmitt sich
beziehen: freilich nicht so, wie sie gewesen sind, sondern so wie sie hät
ten sein können. Darauf insistierte auch Taubes (vgl. Text VIII). Der
Potentialis dieser Betrachtungsweise sucht das Unerlöste wieder in den
Blick zu bekommen. Dieser Tigersprung über den Abgrund bedeutet
ein Wieder(er)finden der Zeit davor: bevor im Nationalsozialismus der
„konfessionelle Bürgerkrieg“ eskalierte, dessen theoretisch glänzende,
weil ihn abwehrende Figur Thomas Hobbes war. Deshalb und nicht nur
aus Gründen des dreihundertjährigen Jubiläums kreisen um ihn viele
der hier veröffentlichten Schreiben sowohl zwischen Taubes und
Schmitt als auch von und an Dritte und Vierte.
Korrespondenzen stellten noch andere her, mit denen zwar keine
Briefe gewechselt wurden, die aber doch „dazugehörten“, so Bertolt
Brecht, wie Schmitts Interesse für sein Lehrstück Die M aßnahme zeigt
(vgl. Brief 13A). Brecht dichtete 1946 für eine Figur aus der Dreigro
schenoper, für Polly Peachum —Tochter von Londons Bettlerkönig und
heimlich Mackie Messer angetraut - , einen „Neuen Kanonen-Song“,
der so begann:
298
Fritz war SA und Karl war Partei
Und Albert bekam doch den Posten.
Aber auf einmal war all dies vorbei
Und man fuhr nach dem Westen und Osten.
Der Schmitt vom Rheine
Braucht die Ukraine
299
B i b l i o g r a p h i e d e r h i e r v e r w e n d e t e n L it e r a t u r
Carl Schmitt
300
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Trajekte. Zeitschrift des Zentrums für Literaturforschung Berlin 4
(2003/2004) Nr. 8, S. 22-31.
Susan Neiman: Slow Fire. Jewish Notes from Berlin. New York: Scho
cken 1992.
Henning Ritter: Der Mann, der zuviel wusste. In: Frankfurter Allge
meine Zeitung, 19. Januar 2008, S. Z 1-2.
Hans-Dietrich Sander: Marxistische Ideologie und allgemeine Kunst
theorie. Basel / Tübingen: Kyklos / Mohr 1970.
Gershom Scholem: Zum Verständnis der messianischen Idee im
Judentum. In: Ders.: Judaica 1. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1977,
S. 7-74.
Ders.: Der Nihilismus als religiöses Phänomen. In: Ders.: Judaica 4.
Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M .: Suhrkamp 1984, S. 129-
188.
Peter Szondi: Gutachten zur „Aufforderung zur Brandstiftung“. In:
Ders.: Uber eine „Freie (d.h. freie) Universität“. Stellungnahmen
eines Philologen. Hg. v. Jean Bollack. Frankfurt a. M .: Suhrkamp
1973.
Ders.: Briefe. Hg. v. Christoph König u. Thomas Sparr. Frankfurt a.
M .: Suhrkamp 1993.
Martin Treml: „Just als Erzjude . . Nachwort. In: Jacob Taubes:
Abendländische Eschatologie. Berlin: Matthes & Seitz 2007, S.
273-287.
303
[Michael Angele / Herbert Kopp-Oberstebrink / Ders.]: Netzwerker,
Projektemacher, Charismatiker. Die goldenen Jahre der Philoso
phie an der Freien Universität Berlin —Teil II: Ein Gespräch über
den abwesenden Herrn Taubes, In: der Freitag, Nr. 14, 14. Okto
ber 2010, S. 17.
304
ZEITTAFEL
19 5 0 - 19 5 2
In Briefen an Armin Möhler bekundet JT sein großes Interesse an
CSch. Dieser verschickt Abschriften von einem dieser Schreiben vom
14. Februar 1952 aus Jerusalem, das er selbst von Möhler erhalten
hatte, an Freunde und Schüler.
1954/55
Von Flans Joachim Arndt und Roman Schnur, die JT in den USA
bzw. Paris kennengelernt hat, erhält er Sonderdrucke von Texten
CSchs und schickt ihm seinerseits Seperata.
1955
2. August: JT lädt CSch in seinem ersten Brief zur M itarbeit an einer
Buchreihe bei Beacon Press in Boston ein. Er soll einen Band The
Conservative Tradition herausgeben und einleiten, wozu es aber nicht
kommt.
1958
28. Juni: Möhler berichtet CSch von seinem Wiedersehen mit JT
nach elf Jahren: „Den größten Teil der Zeit sprachen wir nur von
Ihnen.“ JT ist bereit, CSch in Paris zu sehen. Auch dazu kommt es
nicht.
1961/62
In zwei Briefen an Möhler äußert sich CSch kurz über JT und die
Theologie.
1962
11. Juni: JT fügt einem Geburtstagsgruß Möhlers an CSch einige per
sönliche Zeilen hinzu.
305
1970
Uber den Spiegel-Redakteur Dieter Brumm versucht JT im Juli CSch
einen Brief zukommen zu lassen. Das Unternehmen wird abgebro
chen, da CSch einen Herzinfarkt erlitten hat, in dessen Folge seine
Mobilität stark abnimmt und er künftig ausschließlich per Telefon
und Brief bzw. durch den Empfang von Besuchern in seinem Haus in
Plettenberg mit der Außenwelt kommuniziert.
19 7 3
Im Sommersemester leitet JT an der Freien Universität Berlin die
Übung „Geschichte und Theorie: Politische Theologie als Geschichts
philosophie, zur Geschichtstheorie Carl Schmitts und Walter Benja
mins (für Fortgeschrittene)“. Es ist die erste (und für viele Jahre einzi
ge) seiner Lehrveranstaltungen, in denen das Denken CSchs explizit
als Gegenstand im Titel erscheint. Dieser erhält durch einen der Teil
nehmer, Hans-Dietrich Sander, fortlaufend Bericht über die Diskussi
onen.
1975/76
Psychischer Zusammenbruch von JT und lange Klinikaufenthalte in
West-Berlin und Brooklyn (New York City).
19 7 7
JT nimmt nach seiner Wiederherstellung erneut die Tätigkeit als
Hochschullehrer an der Freien Universität Berlin auf. Im Fachbereich
11 toben heftige Fraktionskämpfe, in deren Mittelpunkt er bald durch
öffentliche Interventionen, Zirkularbriefe und ähnliches steht - und
von denen er auch CSch detailliert berichten wird. Erst Ende 1980,
mit dem Umzug (und der damit einhergehenden relativen Unabhän
gigkeit) der von JT geleiteten Fachrichtung Hermeneutik in die
Thielallee 43, beruhigt sich die Lage einigermaßen.
306
7. November: Hans-Dietrich Sander übermittelt JT CSchs Adresse.
1977/78
In seinem Forschungssemester zieht sich JT —mit einigen Unterbre
chungen —von Ende November 1977 bis Ende März 1978 nach
Chantilly zurück. Er ist häufig in Paris, wo er in der Maison des Sci
ences de l’Homme seinen Studien nachgeht.
19 7 8
Im Sommersemester leitet JT an der Freien Universität Berlin das Pro
seminar „Spinozas Theologisch-Politischer Traktat im Spiegel seiner
Rezeptionsgeschichte“ und verreist zwischen den Sitzungen häufig
nach Frankfurt, Zürich und anderswo.
27. Juni - 4. Juli: JT hält sich in Paris in der Maison des Sciences de
l’Homme auf.
307
23. November: JT ist gemeinsam mit Wolfgang Fietkau zu seinem
zweiten Besuch bei CSch in Plettenberg.
1978/79
Im Wintersemester leitet JT an der Freien Universität Berlin das Her
meneutische Colloquium „Politische Theologie als Theorie von Revo
lution und Gegenrevolution am Beispiel von Walter Benjamin und
Carl Schmitt“; zudem hält er die Vorlesung „Die Anfänge bürgerli
cher Aufklärung: Hobbes und Spinoza“.
19 7 9
Am Jahresbeginn reist JT nach Jerusalem und Paris.
Anfang Mai: JT reist nach Bad Homburg, um die Tagung „Der Fürst
dieser Welt —Carl Schmitt und die Folgen“ der Arbeitsgruppe Religi
onstheorie und Politische Theologie vorzubereiten.
1979/80
Vom 2. Dezember bis M itte Januar ist JT in Israel.
308
1980
29. Januar —2. Februar: Tagung „Der Fürst dieser Welt —Carl Schmitt
und die Folgen“ der Arbeitsgruppe Religionstheorie und Politische
Theologie in Bad Flomburg.
20. März: In der Frankfurter Rundschau wird JTs Aufsatz „Vom vaga
bundierenden Mythos der Sozialwissenschaften. Zur Geschichte vom
Anfang und Ende des Fachbereichs 11 der Freien Universität Berlin“
veröffentlicht.
12. —14. Oktober: Das von JT initiierte, von Peter Glotz und Eber
hard Lämmert organisierte Colloquium „Der sterbliche Gott —300
Jahre nach Thomas Hobbes“ findet an der Freien Universität Berlin
statt.
1982
21. Februar: Tod von Gershom Scholem in Jerusalem, der dorthin
nach seinem schweren Sturz im winterlichen Berlin zurückgekehrt
war, wo er Ehrenfellow im neugegründeten Wissenschaftskolleg war.
309
JT erleidet im September erneut einen psychischen Zusammenbruch
und muss sich stationär behandeln lassen. Er meldet sich im Januar
1983 an die Universität zurück, wegen eines schweren Herzinfarkts
kann er seine Lehrtätigkeit jedoch erst zum Sommersemester 1984
wieder aufnehmen.
19 8 3
17. Juni 1983: In Santiago de Compostella stirbt CSchs einziges Kind,
die Tochter Anima, die wie die Mutter Duschka an Krebs erkrankt
war. Beginn von CSchs Siechtum und zunehmendem geistigen Verfall.
1985
7. April: Tod von CSch in Plettenberg.
20. Juli: In der TAZ erscheint der Artikel „Carl Schmitt - Ein Apoka-
lyptiker der Gegenrevolution“; er basiert auf einem Vortrag, den JT
im Sommersemester am Institut für Philosophie der Freien Universi
tät Berlin gehalten hat.
19 8 6
Im Sommersemester hält JT eine einstündige Vorlesung über den Ers
ten Korintherbrief des Paulus. Da er im Wintersemester 1986/87 ein
Forschungssemester hat, sollte es seine letzte Veranstaltung an der
Freien Universität Berlin sein. Die für Sommersemester 1987 ange
kündigte Vorlesung zu Freuds M ann Moses kann nicht mehr stattfin
den, da bei JT im Herbst 1986 eine stark fortgeschrittene Krebser
krankung diagnostiziert wird.
19 8 7
23.-27. Februar: JT hält an der Forschungsstätte der evangelischen
Studienstiftung in Heidelberg vier Vorträge zum Römerbrief des Pau
lus, die 1993 veröffentlicht werden.
21. März: Tod von JT in Berlin. Er wird auf dem Israelitischen Fried
hof Oberer Friesenberg in Zürich im Grab neben seiner Mutter Fan
ny, geb. Blind, beigesetzt.
310
Mai: Im Berliner Merve-Verlag erscheint Ad Carl Schmitt, eine Aus
wahl von JTs Äußerungen zu CSch. Der Band ist seither in mehrere
Sprachen übersetzt und, was das Verhältnis CSch/JT angeht, kano
nisch geworden.
311
ABBILDUNGSNACHWEIS
312
VERZEICHNIS DER BRIEFE
UND TEXTE
313
22) Jacob Taubes an Carl Schmitt, 10.11.1978
23) Jacob Taubes an Carl Schmitt, 15.11.1978
24) Carl Schmitt an Jacob Taubes, 24.11.1978
25) JacobTaubes an Carl Schmitt, 24.11.1978
26) Jacob Taubes an Carl Schmitt, 29.11.1978
27) JacobTaubes an Carl Schmitt, 3.12.1978
28) Jacob Taubes an Carl Schmitt, 4.12.1978
29) Jacob Taubes an Carl Schmitt, 7.2.1979
30) Carl Schmitt an Jacob Taubes, 19.2.1979
31) Jacob Taubes an Carl Schmitt, 1.3.1979
32) Jacob Taubes an Carl Schmitt, 5.5.1979
33) Carl Schmitt an Jacob Taubes, Entwurf, 14.5.1979
34) Jacob Taubes an Carl Schmitt, 8.7.1979
35) Jacob Taubes an Carl Schmitt, 11.7.1979
36) Carl Schmitt an Jacob Taubes, 20.7.1979
37) Jacob Taubes an Carl Schmitt, 15.8.1979
38) JacobTaubes an Carl Schmitt, 30.10.1979
39) Carl Schmitt an Jacob Taubes, 3.11.1979
40) Jacob Taubes an Carl Schmitt, 11.11.1979
41) Carl Schmitt an Jacob Taubes, 19.11.1979
42) Carl Schmitt an Jacob Taubes, Entwurf 18.1.1980
43) Jacob Taubes an Carl Schmitt, 7.2.1980
44) Carl Schmitt an Jacob Taubes, o.D. (wohl M itte März 1980)
45) Jacob Taubes an Carl Schmitt, 28.10.1980
46) Carl Schmitt an Jacob Taubes, 2.11.1980
47) Jacob Taubes an Carl Schmitt, 3.12.1980
314
55) Jacob Taubes an Armin Möhler, o.D. [1953?]
56) Jacob Taubes an Roman Schnur, 12.6.1955
57) Jacob Taubes an Armin Möhler, 23.9.1966
58) Hans-Dietrich Sander an Jacob Taubes, 7.11.1977
59) Jacob Taubes an Armin Möhler, 2.3.1978
60) Jacob Taubes an Konrad Müller/Werner-Reimers-Stiftung,
30.5.1978
61) Ernst-Wolfgang Böckenförde an Jacob Taubes, 27.9.1978
62) Jacob Taubes an Ernst-Wolfgang Böckenförde, 16.10.1978
63) Ernst-Wolfgang Böckenförde an Jacob Taubes, 20.10.1978
64) Jacob Taubes an Ernst-Wolfgang Böckenförde, 23.11.1978
65) Wolfgang Fietkau an Jacob Taubes, 30.11.1978
66) Ernst-Wolfgang Böckenförde an Jacob Taubes, 23.1.1979
67) Jacob Taubes an Ernst-Wolfgang Böckenförde, 7.2.1979
68) Jacob Taubes an Carl Schmitt/Peter Glotz, 14.6.1979
69) Jacob Taubes an Ernst-Wolfgang Böckenförde, 9.8.1979
70) Jacob Taubes an Ernst-Wolfgang Böckenförde, 15.8.1979
71) Siegfried Unseld an Carl Schmitt, 15.8.1979
72) Jacob Taubes an die Mitglieder der Forschungsgruppe „Politi
sche Theologie und Hermeneutik“, Rundbrief, 16.8.1979
73) Carl Schmitt an Siegfried Unseld, 20.8.1979
74) Jacob Taubes an Ernst-Wolfgang Böckenförde, 8.10.1979
75) Jacob Taubes an die Mitglieder der Forschungsgruppe „Politi
sche Theologie und Hermeneutik“, Rundbrief, 10.10.1979
76) Siegfried Unseld an Carl Schmitt, 14.11.1979
77) Jacob Taubes an Carl Schmitt/Peter Glotz, 20.11.1979
78) Carl Schmitt an Siegfried Unseld, 12.2.1980
79) Piet Tommissen an Jacob Taubes, 26.7.1985
80) Jacob Taubes an Piet Tommissen, 18.8.1985
81) Piet Tommissen an Jacob Taubes, 16.8.1985
82) Armin Möhler an Peter Gente, 30.6.1986
83) Hans-Joachim Arndt an Armin Möhler, 26.5.1987
315
Dokumente und Texte
316
ABKÜRZUNGS- UND
SIGLENVERZEICHNIS
Abschr. Abschrift
Anm. Anmerkung
Aufl. Auflage
BA Koblenz Bundesarchiv Koblenz
BBAW Berlin-Brandenburgische Akademie der
Wissenschaften
Bd. / Bde. Band / Bände
bes. besonders
Bl. Blatt
bzw. beziehungsweise
CSch / CSchs Carl Schmitt / Carl Schmitts
ders. derselbe
d.h. das heisst
d.i. das ist
DLA Deutsches Literaturarchiv
E Erstdruck
ebd. ebenda, bezieht sich auf die vorhergehende
bibliographische Angabe
eigd. eigentlich
Empf. Empfänger
Entw. Entwurf
geb. geboren(e)
Hg. / hg. Herausgeber / herausgegeben
Hs Handschrift
hs. handschriftlich
HStA Düsseldorf Hauptstaatsarchiv Düsseldorf
insbes. insbesondere
JT / JTs Jacob Taubes / Jacob Taubes’
K Kopie
317
Korr. Korrektur(en)
M.A. Master of Arts
Ms Manuskript
Nr. Nummer
O Original
o.D. ohne Datum
o.O. ohne Ort
Prof. / apl. Prof. / Professor / ausserplanmäßiger Professor /
o. Prof. ordentlicher Professor
r recto
S. Seite(n)
s. siehe
Sp. Spalte(n)
Ts/TsD/TsK Typoskript / Typoskript-Durchschlag /
Typoskript-Kopie
ts. maschinenschriftlich
u.a. und andere(n) / unter anderem
Ubers. Übersetzung
Univ. Universität
u.ö. und öfter
V verso
v.a. vor allem
vgl. vergleiche
Vorb. Vorbereitung
[x] / [xxx] ein nicht entziffertes Wort / mehrere
nicht entzifferte Worte
ZfL Zentrum für Literatur- und Kultur
forschung Berlin
zit. zitiert
ZKM Zentrum für Kunst und Medien
technologie Karlsruhe
318
Siglen
Ad Carl Schmitt
Jacob Taubes: Ad Carl Schmitt. Gegenstrebige Fügung,
Berlin: Merve 1987.
Blumenberg/Schmitt
Hans Blumenberg / Carl Schmitt: Briefwechsel 1971-1978 und
weitere Materialien, hg. v. Alexander Schmitz u. Marcel Lepper,
Frankfurt am Main: Suhrkamp 2007.
van Laak/Villinger
Dirk van Laak / Ingeborg Villinger (Hg.): Nachlaß Carl Schmitt.
Verzeichnis des Bestandes im Nordrhein-Westfälischen Hauptstaats
archiv, Siegenburg 1993.
Mehring
Reinhard Mehring: Carl Schmitt. Aufstieg und Fall.
Eine Biographie, München: Beck 2009.
Mohler/Schmitt
Carl Schmitt —Briefwechsel mit einem seiner Schüler, hg. v.
Armin Möhler in Zusammenarbeit mit Irmgard Huhn u.
Piet Tommissen, Berlin: Akademie 1995.
Schmitt/Sander
Carl Schmitt / Hans-Dietrich Sander: Werkstatt-Discorsi.
Briefwechsel 1967-1981, hg. v. Erik Lehnert u. Günter Maschke,
Schnellrode: Antaios 2008
319
PERSONENREGISTER
321
Broermann, Johannes 160,161 Eicher, Peter 227
Brumm, Dieter 30 Einstein, Albert 102
Brunner, Emil 132, 136 Eisenhower, Dwight D. 144
Brunner, Otto 80, 186, 191, 221 Eisler, Hanns 55
Buber, Martin 1 1 7 ,1 1 8 ,1 2 3 ,1 2 5 , Eisner, Kurt 63
131, 135 Elisabeth I. 176
Bultmann, Rudolf 6 1 ,6 6 , 132, 136 Elliott, William Yandell 2 05,207,
Burckhardt, Jacob 147,148 249, 258
Busche, Jürgen 1 07 ,108,109 Empedokles 120
Bütow, Hellmuth 108 Engels, Friedrich 52, 186, 191,222
Enzensberger, Hans Magnus 218
Caesar 6 3 ,1 8 4 ,1 9 0 ,2 2 0 ,2 3 6 Eusebius v. Cäsarea 59, 62, 63
Calvin, Jean 262
Camus, Albert 128 ,1 4 1,14 4 Faber, Richard 71, 75, 94, 154, 156,
Cancik, Hubert 90, 91, 101, 174, 174, 179, 226
179, 227 Feldman, Sandor 136
Cassirer, Ernst 144, 262, 263 Fellechner, Ernst L. 179
Celan, Paul 45, 164 Feuerbach, Ludwig 127, 129
Celsus 63 Fichte, Johann Gottlieb 106,110,
Chesterton, Gilbert K. 254 111, 127, 129, 203
Cicero 63 Fietkau, Wolfgang 68, 71, 72, 73,
Cioran, Emile 48, 49, 50 75, 76, 77, 79, 83, 84, 85, 89, 90,
Cohen, Arthur Allen 120 93, 94, 159,171, 174,176, 179,
Cohen, Hermann 34, 36, 38, 40, 42, 182, 190
127, 129 Finkeistein, Louis 245
Cohn, Roy 141, 142, 144 Fischer, Rudolf 134
Comte, Auguste 173,180 Förster-Nietzsche, Elisabeth 118
Conze, Werner 80 Forsthoff, Ernst 4 1 ,4 2
Franz Joseph I. 63
Dannemann, Ulrich 158, 159 Frese, Jürgen 173,179
Däubler, Theodor 44, 46, 78, 79, Freiligrath, Ferdinand 74
127, 128, 204 Freising, Otto v. 248
David 100 Friedrich II. 39
Descartes, René 228, 256 Friedrich Wilhelm IV. 39
Diederichs, Eugen 74, 84 Fuld, Werner 92, 93
Dietrich, Marlene 89
Diogenes 50, 51 Gadamer, Hans-Georg 79, 80, 83,
Disraeli, Benjamin 197, 198, 199 84, 85, 163, 164
Döderlein, Johann Ludwig 33 Galen, Clemens Augustinus Graf
Donoso Cortes, Juan 2 1 ,2 3 ,1 4 0 , v. 157, 158
143, 173, 175, 195, 239, 242, 244 Galilei, Galileo 54, 55
Dostojewski, Fjodor 145, 243, 250 Gassendi, Pierre 228
Dulles, John Foster 141,144 Gast, Peter 118
Dutschke, Rudi 250 Gehlen, Arnold 99, 143
Dworetzsky, Elisabeth 164 Gerne, Peter 254
Dworetzsky, Irving 163, 164 George, Stefan 252
322
Gerberga 248 Heraldic 120, 124, 139
Gladigow, Burkhard 101 Herodot 62
Glazer, Nachum 120 Hess, Moses 106
Glazer, Ruth 120 Hildebrandt, Hermann 76
Glotz, Peter 81, 82, 89, 90, 9 1,94 , Himmelfarb, Milton 120
107, 108, 160, 162, 166, 169, 170, Hitler, Adolf 59, 60, 63, 64, 148,
177, 178 203, 238, 247, 260, 262
Gobineau, Arthur de 260 Hobbes, Thomas 42, 52, 53, 54, 55,
Goebbels, Joseph 60, 89, 247 56, 57, 58, 60, 61, 62, 64, 65, 66,
Goethe, Johann Wolfgang v. 141, 69, 88, 89, 90, 94, 99, 100, 101,
143 102, 108, 157, 158, 159, 165, 166,
Gotthelf, Jeremias 204 167, 168, 183, 184, 185, 186, 187,
Grass, Günther 112 188, 189, 190, 191,217, 219, 220,
Green, Julian 252 221, 222, 223, 228, 229, 230, 231,
Greenberg, Simon 121 232, 233, 234, 235, 236, 237, 239
Gregor VII. 235 Hölderlin, Friedrich 122, 123, 125,
Gregor v. Nazianz 62 139
Grotius, Hugo 230 Horaz 49
Gründer, Karlfried 5 1 ,5 2 ,8 9 ,9 0 , Horkheimer, Max 255, 256
94, 156, 174, 180 Hübener, Wolfgang 52, 94, 95, 96,
Guardini, Romano 91, 92 103, 108, 169, 174, 180, 226,
227
Habermas, Jürgen 44, 96, 242, Hugo, Victor 68, 84, 159
255 Humboldt, Wilhelm v. 263
Haimo v. Halberstadt 248 Huss, Hubert 52
Hankins, John Erskine 176 Husserl, Edmund 131, 134
Harich, Wolfgang 1 0 3 ,1 0 4,11 0 , Hutchins, Robert M. 245
111
Hartmann, Nicolai 136 Ilting, Karl-Heinz 108
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 26, Isaac 101,238
72, 73, 103, 104, 106, 109, 119,
123, 140, 142, 145, 146, 147, 183, Jacobi, Friedrich Heinrich 143
184, 188, 190, 192, 196, 197, 198, Jacoby, Eduard Georg 54, 56
217, 218, 220, 231, 237, 238, 239, Jacquot, Jean 54, 56
250, 259 Jahnn, Hans Hanny 133
Heidegger, Martin 66, 122, 123, Jakob 238
124, 125, 126, 130, 131, 132, 133, Jaspers, Karl 22, 118, 120, 250
134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, Jay, Martin 256
143, 176, 203, 206, 247, 257, 262, Jesus 33, 57, 60, 64, 65, 67, 80, 103,
263 104, 237
Heller, Clemens 64,11 2 Johannes Paul II. 74, 192
Heller, Hermann 162 Jonas, Hans 140, 142,
Hennis, Wilhelm 85,16 2 Jouhandeau, Marcel 252
Hensel, Georg 176 Jüngel, Eberhard 97
Hepp, Marcel 147, 148 Jünger, Ernst 22, 25, 33, 70, 117,
Hepp, Robert 148, 149 118, 120, 121, 122, 123, 124, 126,
323
127, 128, 129, 132, 133, 137, 138, Lämmert, Eberhard 78, 107, 217, 218
141, 143, 144, 202, 204, 247, 257, Landmann, Michael 27
258, 267 Leibniz, Gottfried Wilhelm 228
Leithes, Nathan 76, 77
Kafka, Franz 124, 126, 132 Lenin, W ladimir Iljitsch 185,220
Kandinsky, Wassily 204 Lepenies, W olf 64
Kant, Immanuel 230 Levinas, Emmanuel 263
Kantorowicz, Hermann 40 Lichtheim, George 45
Karl d. Große 260 Liebenfels, Jörg Lanz v. 60, 64
Kartagener, Manes 45 Lobkowicz, Nikolaus 156
Kelsen, Hans 263 Löwenthal, Richard 76, 77, 109
Kempf, Friedrich 61 Löwith, Karl 118, 123, 125, 131,
Kempski, Jürgen v. 145 134, 135, 138, 139, 140, 142, 143,
Kennedy, Ellen 255 197, 199, 238,239
Kesting, Hanno G. 140, 143, 206 Lübbe, Hermann 103, 156, 173,
Ketels, Heinrich Cornelius 101 179, 227
Kierkegaard, Sören 5 2 ,1 0 1 ,1 2 3 , Ludwig XVI. 104
173, 180, 226, 238, 262 Lukacs, Georg 124, 126
Kippenberg, Hans 227 Luther, Martin 57, 99, 135, 192,
Kirchheimer, Otto 26, 243 260, 262
Kissinger, Henry 205, 207, 249, 258
Koch, T. 156 MacPherson, Crawford B. 6 1 ,6 6
Kodalle, Klaus Michael 156,158, Mahler, Horst 76, 77
159, 173, 180 Maier, Hans 44, 46, 154, 156, 158,
Kojève, Alexandre 24, 26, 146, 194, 159
195, 196, 200, 204, 250, 259 Maistre, Joseph Marie de 21, 23,
Kokoschka, Oskar 89 226, 239
König, René 238 Mann, Katia 89
Koschorke, Klaus 174, 227 Mannheim, Karl 150
Koselleck, Reinhart 79, 80, 109, Marcuse, Herbert 151, 152
111, 112, 143,156, 169, 170, 173, Marées, Hans von 26
177, 188, 192, 196, 206, 224, 240, Maria Stuart 176
255 Maritain, Jacques 203, 245
Kraft, Herbert 72, 73 Marquard, Odo 153, 155,1 5 6,17 3 ,
Kramer, Fritz 64 180, 216, 227
Kriele, Christel 87, 88 Marx, Karl 52, 68, 81, 84, 106, 123,
Kriele, Martin 6 1 ,6 9 , 87, 88, 107, 147, 1 5 9 ,1 6 0 ,1 6 1 ,1 8 5 ,1 8 6 ,1 9 1 ,
153, 154, 155, 156, 170,173, 178, 220, 222, 238
180,216 Maschke, Günter 197, 198, 200, 244
Kristol, Irving 120 Maurer, Reinhart 179
Krockow, Christian Graf v. 177,178, Maurras, Charles 260
224 McCarthy, Joseph 141, 144
Kröger, Klaus 156, 173 McKeon, Richard 245
Krüger, Lorenz 178 Meier, Christian 8 1 ,8 2 ,8 3 ,8 4 ,9 0 ,
Kuhn, Helmut 142, 144 91, 169, 173, 180, 188, 191, 192,
Kühn, Johannes 179,181 213
324
Melanchthon, Phillip 99 Pauker, Marcel 152
Metz, Johann Baptist 44, 46, 156, Paul VI. 57, 74
157, 158 Paulus 35, 60, 64, 65, 108, 109, 112,
Meyer, Gerhard Moritz 77 113, 1 33 ,2 1 2 ,2 1 5 , 248
Meyer, Martin 180, 197, 198 Peterson, Erik 3 3 ,4 3 ,4 4 ,4 6 ,5 9 ,6 1 ,
Michel, Karl Markus 35 62, 63, 69, 87, 90, 101, 140, 142,
Miglio, Gianfranco 102 154, 156,157, 158, 174, 175, 179,
M ill, John Stuart 175 197, 199, 200, 214, 215, 224, 225,
Möhler, Armin 21, 22, 25, 33, 194, 226, 260
195, 247, 249, 257, 258 Petras, Otto 132, 136
Mohler, Edith 25 Pines, Shlomo (Salomon) 107, 108,
Moltmann, S. 156 109
Montesquieu, Charles-Louis de Secan- Pius IX. 2 1 ,2 3
dat 230 Plato 121 ,1 3 2,23 0
Mose ben Maimon (Maimon- Pontius Pilatus 79, 80
ides) 1 1 9 ,1 2 0,13 2 Preuß, Hugo 73
Moses 58, 103 Preuß, Ulrich 218
Murait, Leonhard v. 194, 195, 238, Protagoras 129
239 Proudhon, Pierre-Joseph 68, 84, 159,
195, 239, 244
Naville, Pierre 186, 191, 222 Proust, Marcel 32, 252
Neuß, Wilhelm 200, 201
Niekisch, Ernst 136 Queneau, Raymond 26
Nietzsche, Friedrich 35, 52, 67, 112,
113, 117, 119, 120, 123, 132, 135, Racine, Jean Baptiste 73, 74
140, 142, 184, 190, 203, 220, 236, Radbruch, Gustav 263
238, 239 Ranke, Leopold v. 147, 148
Nixon, Richard 207 Ratosh, Yonatan 128
Nolte, Ernst 156, 240 Régnier, Marcel 197, 199
Norden, Eduard 63 Reinhardt, Karl 124, 126
Reisch, Linda 177
Oakeshott, Michael 98, 99 Riegl, Alois 252
Octavian (s. Augustus) Rilke, Rainer Maria 123
Oertzen, Peter v. 81, 82, 191 Ritter, Gerhard 134
Orff, Carl 70, 75 Ritter, Henning 81, 82, 97, 98, 171,
Ortega y Gasset, José 42 176, 190, 197
Otero Varela, Alfonso 24, 25 Ritter, Joachim 5 2 ,9 8 ,1 5 5 ,1 9 6 ,
Overbeck, Franz 148, 149 197, 198
Robinson, James M . 227
Palyi, Melchior 240 Rosen, Pinchas 134, 246, 257
Pannenberg, Wolfhart 153,155, Rosenzweig, Franz 34, 138, 139
156, 174, 180,216, 227 Rothschild 48
Parmenides 124, 126 Rousseau, Jean-Jacques 184, 190,
Pascal, Blaise 238 219, 236
Paucker, Anna 151, 152 Rütters, Axel 35
Pauker, Ana 152 Rychner, Max 2 7 ,2 8 ,2 9 ,3 0 ,3 1
325
Saint Simon, Claude de 103, 104 Smend, Rudolf 34, 36, 150, 151,
Salin, Edgar 120 155, 162
Salomon, Albert 194, 195, 196, 198, Solle, Dorothee 44, 46
200, 201 ,2 4 4, 252 Soloviev, Wladimir 250
Salomon-Delatour, Gottfried 200, Sombart, Nicolaus 196, 197, 198,
201 199, 200, 201 ,2 0 6
Sander, Hans-Dietrich 33, 34, 35, Son tag, Susan 111, 112
36, 3 8 ,4 4 , 4 5 ,4 6 , 4 7 ,5 1 ,5 2 , 53, Söntgen 175
56, 57, 69, 82, 83, 84, 96, 97, 98, Sontheimer, Kurt 151,152
99, 106, 111, 154, 156, 166, 174, Spaemann, Robert 156
1 7 9 ,2 1 2,21 3 Spann, Othmar 258
Sartre, Jean Paul 127, 128, 129 Spengler, Oswald 109
Schellong, Dieter 174, 179 Spiegel, Yorick 174,180
Schelsky, Helmut 98, 99 Spinoza 34, 35, 36, 37, 38, 44, 55,
Schelz, Sepp 107, 108 57, 5 8 ,6 1 ,6 5 ,6 9 ,1 4 1 ,1 4 3 ,1 4 9 ,
Schickei, Joachim 77 157, 158, 159, 185, 221, 226, 256
Schiera, Pierangelo 102 Stahl, Julius 6 1 ,6 6
Schiller, Friedrich 72, 73 Steinbeck, John 144
Schilling, Kurt 165 Stendhal 128
Schindler, Alfred 87, 174, 179 Stifter, Adalbert 131
Schine, David 141, 142, 144 Stirner, Max 128, 129
Schleiermacher, Friedrich Daniel Strauß, David Friedrich 66, 67
Ernst 1 7 4 ,1 8 0,22 6 Strauß, Franz Josef 148
Schlicht, Uwe 109 Strauss, Leo 34, 35, 36, 37, 40, 42,
Schmalenbach, Hermann 120 53, 54, 55, 5 6 ,6 1 ,6 6 , 102, 149,
Schmitt Otero, Anima Louise 24, 25, 150, 158, 185, 191, 203, 204, 221,
32, 110 245
Schneider, Helmuth 91 Streicher, Julius 144
Schnur, Roman 2 1 ,2 2 Sulla 63
Schocken, Salman 124, 125 Syberberg, Jürgen-Hans 89
Schoeps, Joachim 149 Szondi, Peter 45, 68, 163, 164, 177
Scholem, Gershom 3 0 ,3 1 ,4 3 ,4 5 ,
1 3 9 ,2 1 1,24 5 ,25 1 Talleyrand-Perigord, Charles-Maurice
Scholz, Frithard 179 de 54
Schopenhauer, Arthur 38, 40 Taubes, Ethan 57, 111, 113, 164
Schranz, Franz 32, 33 Taubes, Fanny 124, 126
Schrey, Hans-Horst 124, 126 Taubes, Susan 21, 45, 57, 120, 121,
Schwab, George D. 24, 25, 26, 102, 122, 136, 138, 139, 141, 164
150 Taubes, Tania 57, 111, 113, 164
Schweppenhäuser, Hermann 35 Taubes, Zwi 124, 126, 133, 137
Seghers, Anna 89 Tenbruck, Friedrich 173, 180
Shakespeare, William 72, 84, 144, Theunissen, Michael 82, 109, 177,
176 178, 187, 188, 192, 224
Shaw, George Bernard 128 Tiedemann, Rolf 35, 256
Simitis, Spiros 109 Tilliette, Xavier 197, 199
Simmel, Georg 201 Timm, Hermann 174, 180
326
Titus 103, 104 Weil, Eric 141, 144
Treitschke, Heinrich v. 148, 149 Weischedel, Wilhelm 90
Troeltsch, Ernst 72, 73, 179, 181, Weiss, Josef 45
262 Weiss, Konrad 33, 44, 46, 47, 204
Tugendhat, Ernst 82, 178 White, Thomas 54, 55, 56
Whitmore Jones, Harold 54, 56
Ulrich, Peter 77 Wilhelm II. 63
Unseld, Siegfried 35, 89, 96, 97, 98, W illms, Bernard 56
99, 102, 182, 190 Winstanley, Lilian 176, 177, 192,
193
Voegelin, Eric 174, 227 Wittgenstein, Ludwig 89
Wolf, Dieter 25
Wahl, Jean 141,144 Wolff, Georg 93
Walser, Robert 204
Weber, Alfred 199 Zehm, Günther 43, 45
Weber, Max 37, 39, 52, 109, 126, Zeller, Eduard 63
173, 175, 180, 183, 190, 196, 204,
211 ,2 1 3, 214, 215, 240, 241, 242
327