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15 Bilanzkennzahlen, die dich zu einem besseren Anleger machen

Bernd Schmid, Motley Fool Investmentanalyst


Wenn du dir wünschst, bessere Investitionsentscheidungen zu treffen, bist du am richtigen Ort.
Auf  den folgenden Seiten werde ich dir erklären, wie du eine Unternehmensbilanz wie ein
Foolisher Investment-Jedi analysieren kannst. Denn auch wenn die Bilanzanalyse nicht
jedermanns Sache ist, die Finanzen eines Unternehmens geben dir wichtige Erkenntnisse, wie
es um das Unternehmen steht und was das Management richtig oder falsch macht.

Die gute Nachricht ist, dass es gar nicht so schwierig ist. Alles was du dafür brauchst ist ein
grundlegendes Verständnis der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV), das richtige
Gerüst, um diese auseinanderzunehmen, Mathematik auf Grundschulniveau, gesunden
Menschenverstand und Übung. Das erste gehen wir hier kurz durch. Mit den 15 Kennzahlen hast
du das richtige Gerüst. Der Rest liegt nur an dir.
Besonders hilfreich ist dieses Gerüst bei der Analyse von Unternehmen in investitionsintensiven
Industrien und Unternehmen mit eigener Produktion (wie zum
Beispiel Adidas, Daimler oder ThyssenKrupp). Aber auch Unternehmen im Handel- oder
Dienstleistungssektor kannst du damit durch die Mangel nehmen (wie zum Beispiel
die Deutsche Post oder Fresenius). Nur für Finanzunternehmen (wie zum Beispiel
die Allianz oder die Deutsche Bank) sind sie aufgrund der Besonderheiten der Industrie weniger
geeignet.
Aber damit kannst du immer noch den Großteil aller öffentlichen Unternehmen
auseinandernehmen. Und auch wenn ich lediglich DAX Konzerne als Beispiele anführe, dieses
Gerüst ist für kleinere Unternehmen genauso und sogar besser geeignet – denn am meisten
sagen die Kennzahlen aus, wenn du sie auf einzelne Geschäftsbereiche anwendest, was bei
größeren Konzernen schwierig sein kann. Weiterhelfen werden sie dir trotzdem auch bei diesen.

Jetzt aber genug geredet, steigen wir ein.

Die Komponenten einer Bilanz und einer GuV

Lass uns erst noch einmal die generellen Bestandteile einer Unternehmensbilanz anschauen, die
wir später mit unseren Kennzahlen auseinandernehmen werden. In der folgenden Grafik siehst
du links den Aufbau einer Bilanz und rechts den einer GuV.
Der linke Teil der Bilanz (die Aktivseite) stellt die Mittelverwendung eines Unternehmens dar, also
in welcher Form das Kapital im Unternehmen eingesetzt ist. Je weiter du nach unten gehst, desto
„flüssiger“ ist die Kapitalform. Ganz oben findest du das Anlagevermögen, die Investitionen eines
Unternehmens. Hier findest du in erster Linie die Materiellen Vermögenswerte (wie zum Beispiel
Gebäude oder Maschinen) und darunter weitere Investitionen, wie zum Beispiel die Beteiligung
an anderen Unternehmen. Dann kommt das Umlaufvermögen, welches im Allgemeinen
untergliedert ist in

 Vorräte (zum Beispiel Rohmaterial oder noch nicht verkaufte Produkte)

 Forderungen (zum Beispiel gegenüber Kunden, die auf Kredit bezahlt haben)

 Liquide Mittel (Bargeld oder liquidierfähige Wertpapiere)

Auf der rechten Seite der Bilanz (der Passivseite) findest du die Mittelherkunft eines
Unternehmens, also wie die linke Seite finanziert wurde. Ganz oben ist das Eigenkapital – das
Geld, das die Besitzer eingebracht haben und welches das Unternehmen im Laufe der Jahre
erwirtschaftet hat. Dann kommt das Fremdkapital, also die Schulden. Diese sind unterteilt in
langfristiges Fremdkapital – wie zum Beispiel die Kredite einer Bank – und kurzfristiges
Fremdkapital, das man unterteilen kann in

 Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen (Zahlungen, die an Lieferanten


anstehen)

 Sonstige Verbindlichkeiten, die im kommenden Jahr anstehen

Die Summe aller Posten auf der Aktivseite ist immer gleich der Summe aller Posten auf der
Passivseite (denn links steht ja, wo das Geld steckt und rechts, wo es herkommt). Man nennt
diese Summen auch die Bilanzsumme.

Die GuV auf der rechten Seite sollte relativ selbsterklärend sein (ansonsten kannst du dir den
oben verlinkten Artikel noch einmal anschauen).

Zusätzlich zur Bilanz und GuV wird die Kapitalflussrechnung (Cashflow Statements)
veröffentlicht. Diese können sehr unterschiedlich aufgebaut sein. Für uns reicht es aber zu
verstehen, dass der Cashflow immer in folgende drei Arten unterteilt ist:

 Cashflow aus operativer Geschäftstätigkeit

 Cashflow aus Investitionstätigkeit

 Cashflow aus Finanzierungstätigkeit

Uns interessiert in erster Linie, wie es um das Geschäft des Unternehmens steht, daher kommt in
den Kennzahlen lediglich der operative Cashflow vor.

Und voila! Das ist schon alles, was du verstehen musst. Also weiter im Programm!
Die Kennzahlen

Die 15 Kennzahlen sind in vier Kategorien unterteilt, die unterschiedliche Fragen beantworten
werden.

Kategorie Frage, die die Kennzahlen beantworten


Wie solide ist das Unternehmen finanziert?Wie solide setzt das
Vermögens- und Kapitalstruktur
Unternehmen sein Kapital ein?
Hat das Unternehmen ausreichend liquide Mittel, um seine kurzfristigen
Liquiditätssituation
Verbindlichkeiten bedienen zu können?
Wie effizient ist die Organisation und generiert das Unternehmen
Effizienz und Rendite
ausreichend Gewinn und Cashflow aus seinem Umsatz?
Ist das Unternehmen stark genug, um sich selbst aus seinem operativen
Operative Stärke
Geschäft zu finanzieren?
Und hier sind sie im Überblick.

# Kategorie Kennzahl Kurzbeschreibung


1 Vermögen Kapitalumschlag Wie viel Umsatz generiert ein Euro Kapital.
undKapital Wie viel Prozent des Gesamtkapitals steckt in
2 Anlagenintensität
Sachanlagen.
Wie viel Prozent des Gesamtkapitals wird durch
3 Eigenkapitalquote
Eigenkapital gestellt.
Wie viel Prozent des Fremdkapitals machen
4 Kreditorenquote
Zahlungsverpflichtungen an Lieferanten etc. aus.
Liquidität Wie hoch sind liquide Mittel im Vergleich zu anstehe
5 Liquidität II. Grades
Zahlungsverpflichtungen.
Die Differenz in Tagen zwischen durchschnittlichem
6 Cash-Zyklus Rechnungseingang und der Zahlung eigener
Rechnungen.
Waren für wie viele Produktionstage stecken in den
7 Vorratsreichweite
Lagerhallen.
Effizienz und Vertriebsgemein- Wie viel Prozent des Umsatzes machen Vertriebs- u
8
Rendite kostenintensität Gemeinkosten aus.
Wie viel Prozent des Umsatzes wird in Forschung
9 Forschungsintensität
gesteckt.
Wie viel Prozent des Umsatzes bleiben am Ende dem
10 Nettomarge
Unternehmen als Gewinn.
Wie viel Gewinn erwirtschaftet ein Unternehmen als
11 Eigenkapitalrendite
Prozent des Geldes, das Investoren eingebracht hab
Wie viel Prozent des Umsatzes fließen am Ende als
12 Cashflow Marge
Liquidität in das Unternehmen.
Operative Wie gut deckt das operative Ergebnis die fälligen
13 Zinsdeckungsquote
Stärke Zinszahlungen.
Wie viele Jahre würde es dauern, alle Schulden mit d
14 Dynamische Verschuldung
operativen Cashflow zu tilgen.
Investiert das Unternehmen genug in den Erhalt sein
15 Investitionsquote
Anlagen.
Dabei orientiere ich mich an dem Buch Bilanzanalyse und Bilanzplanung von Bernd Heesen, wo
du auch einen Großteil dieser Kennzahlen so oder so ähnlich wieder findest. Das liegt aber nicht
daran, dass ich faul bin, mir meine eigenen Gedanken zu machen, sondern daran, dass sie die
wesentlichsten Elemente einer Unternehmensbilanz auf eine besonders erkenntnisreiche Art und
Weise miteinander verknüpfen. Wenn du über diesen Bericht hinaus noch mehr Kennzahlen
kennenlernen und von viel wertvollem praktischem Wissen profitieren möchtest, dann kann ich
dir das Buch nur empfehlen.
Jetzt sind wir aber endgültig so weit, los geht’s!

Vermögens- und Kapitalstruktur

1. Kapitalumschlag
Berechnung
Kapitalumschlag = Umsatz / durchschnittliche Bilanzsumme

(Rechts kannst du dir ein Bild davon machen, wo diese Komponenten in der Bilanz genau
stecken. Der Zähler ist grau markiert und der Nenner blau.)

Die durchschnittliche Bilanzsumme ist der Durchschnitt der Bilanzsummen aus der betrachteten
und der Vorjahresperiode. Den Durchschnitt nehmen wir, da die Bilanz eine Stichtagsbetrachtung
ist (des letzten Tags der Periode), die GuV aber über die Periode hinweg „gewachsen“ ist, also
von dem Tag an, nachdem die Bilanz der Vorperiode bestimmt wurde, bis zu dem Tag, an dem
die Bilanz dieser Periode bestimmt wurde.

Bedeutung
Wie häufig wird das Kapital auf Basis des Umsatzes umgeschlagen, oder anders: Wie viel
Umsatz generiert ein Euro Kapital.

Richtwert
Je größer der Kapitalumschlag, desto besser.

Interpretation
Denn je größer, desto effektiver managt ein Unternehmen sein Kapital. Allerdings hängen die
Möglichkeiten dazu sehr stark von der Industrie ab, in der sich das Unternehmen befindet. Ein
Bergbauunternehmen wie K+S wird einen relativ geringen Kapitalumschlag haben (sehr teure
Anlagen in der Bilanz), ein Onlinehändler wie Zalandodagegen einen vergleichbar hohen.
Den Kapitalumschlag kann ein Unternehmen auch anderweitig erhöhen. Zum Beispiel indem es
weniger in seine Anlagen investiert, als es abschreibt. Dann verringern sich nämlich das
Anlagevermögen und damit die Bilanzsumme, was bei konstantem Umsatz zu einer höheren
Kennzahl führt. Das ist jedoch nicht nachhaltig.
Oder es könnte sein, dass das Unternehmen einen Teil seiner Maschinen einfach langfristig
geleast hat. Diese könnten (unter Umständen) nicht in den Büchern unter Anlagevermögen
stehen (wo sie zumindest bei langfristigen Leasingverträgen hingehören), sondern als Ausgaben
direkt in die GuV wandern. Dadurch kann ein Management seine Bilanzsumme ebenfalls
künstlich verkleinern (man sagt auch „verkürzen“.)

2. Anlagenintensität
Berechnung
Anlagenintensität = Materielle Vermögenswerte / Bilanzsumme

Bedeutung
Wie groß der Anteil von Maschinen, Gebäuden etc. am insgesamt eingesetzten Kapital des
Unternehmens ist.

Richtwert
Eine höhere Anlagenintensität ist im Allgemeinen besser.

Interpretation
Je höher die Anlagenintensität, desto mehr Kapital hat ein Unternehmen in seine Anlagen
investiert und desto wettbewerbsfähiger kann das Unternehmen sein (zum Beispiel, weil
aktuellere Maschinen eine höhere Effizienz bedeuten können). Mehr Investitionen bedeuten auf
der anderen Seite weniger Flexibilität.

Auch hier würde das oben genannte Beispiel mit den geleasten Maschinen die Kennzahl wieder
beeinflussen (verringern). Um ganz korrekt zu rechnen, müsstest du langfristig geleaste
Maschinen gegebenenfalls entsprechend in das Anlagevermögen hineinrechnen. Das setzt
allerdings vertiefte Buchhaltungskenntnisse voraus. In unserem Fall reicht es erst einmal aus
festzustellen, dass dies der Fall sein könnte, um dann das Management entsprechend zu
hinterfragen – das für solche Dinge auf jeden Fall eine gute Begründung parat haben sollte.
Wenn nicht, dann solltest du misstrauisch werden.

Falls du dich wunderst, weshalb wir hier nicht das gesamte Anlagevermögen hineinrechnen (wie
es eigentlich in den Lehrbüchern steht): Das liegt daran, dass im „sonstigen Anlagevermögen“
auch Dinge wie Beteiligungen an anderen Unternehmen stecken, welche relativ geringen
Einfluss auf das operative Geschäft des Unternehmens haben, das wir analysieren. Daher sehe
ich diese Dinge gerne herausgerechnet. Du kannst die Kennzahlen gerne auf beide Arten
berechnen und dann die Unterschiede genauer betrachten.

3. Eigenkapitalquote
Berechnung
Eigenkapitalquote = Eigenkapital / Bilanzsumme

Bedeutung
Gibt an, wie viel Prozent des Gesamtkapitals durch Eigenkapital gestellt wird.

Richtwert
Je höher die Eigenkapitalquote, desto solider ist die Finanzierungsbasis eines Unternehmens.

Interpretation
Aber Eigenkapital ist immer teurer als Fremdkapital, daher ist ein gesunder Mix wünschenswert.
Eine Quote von über 50 % ist daher nicht unbedingt notwendig. Bei unter 20 % kann man sich
hingegen schon mal Sorgen machen (obwohl das bei kapitalintensiven Industrien auch
vorkommen kann, siehe zum Beispiel Deutsche Telekom).

4. Kreditorenquote
Berechnung
Kreditorenquote = Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen / gesamtes Fremdkapital

Bedeutung
Wie viel Prozent des Fremdkapitals stammt aus Zahlungsverpflichtungen gegenüber Lieferanten.

Richtwert
Je höher, desto höher ist der Liquiditätsbedarf, aber desto kostengünstiger ist das Fremdkapital.
Interpretation
Wenn man nicht gerade Aldi heißt, wollen Lieferanten normalweise innerhalb weniger Wochen
bezahlt werden, also bedeutet eine höhere Kreditorenquote auch höheren Liquiditätsbedarf. Zu
hoch im Vergleich zu den Liquiden Mitteln darf die Kreditorenquote also nicht sein.

Allerdings stellen die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen zinsfreies Fremdkapital
dar, daher lohnt es sich, die Lieferanten nicht zu früh zu zahlen – also ist auch hier eine
ausgewogene Quote wünschenswert.

Liquiditätssituation

5. Liquidität II. Grades


Berechnung
Liquidität II. Grades = (Forderungen aus Lieferungen und Leistungen + liquide Mittel) /
kurzfristiges Fremdkapital

Bedeutung
Diese Kennzahl ist weit verbreitet und ist auch bekannt als das „Quick Ratio“. Sie sagt dir, wie
gut das Unternehmen seine kurzfristig anstehenden Zahlungsverbindlichkeiten (< 1 Jahr) mit
Bargeld und den bald zur Verfügung stehenden liquiden Mitteln (Forderungen) nachkommen
kann.

Richtwert
Ein Wert knapp über 100 % ist meistens gesund, viel mehr muss nicht sein.

Interpretation
Ein Wert von 100% bedeutet, dass die (bald) zur Verfügung stehende Liquidität theoretisch
genau ausreicht, um allen anstehenden Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Dann ist eine
Insolvenz innerhalb des nächsten Jahres relativ unwahrscheinlich. Bei Werten von deutlich unter
100 % kann es kritisch werden, auf jeden Fall aber solltest du dir die Liquiditätssituation mit Hilfe
des Cash-Zyklus genauer anschauen.

6. Cash Zyklus
Mit dem Cash-Zyklus betrachten wir die Liquiditätssituation nicht statisch, wie oben, sondern
dynamisch. Das heißt, dass wir jetzt wissen wollen, nach wie vielen Tagen das Unternehmen
seine offenen Rechnungen bezahlt bekommt im Vergleich zur Zahlung eigener Rechnungen.
Diese beiden Dinge – wir nennen sie auch Kreditorenziel und Debitorenziel – müssen wir also
zuerst berechnen.

6a. Kreditorenziel
Berechnung
Kreditorenziel = Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen / (Herstellungskosten +
Veränderung der Vorräte im Vergleich zur Vorperiode) * 365

Bedeutung
Nach wie vielen Tagen zahlt das Unternehmen im Schnitt seine Lieferanten.

Richtwert
Höher ist besser, es sei denn man überstrapaziert die Lieferanten – oder man kann Skontos
ziehen.

Interpretation
Je später das Unternehmen seine Lieferanten bezahlt, desto länger bleiben liquide Mittel im
eigenen Unternehmen – und das ohne dafür Zinsen zu zahlen, das ist doch prächtig (so lange
man seine Lieferanten nicht überstrapaziert)!

Wo du nachdenklich werden solltest ist, wenn die Forderungen schneller wachsen als der
Umsatz, also wenn das Debitorenziel überproportional wächst. Dann könnte es sein, dass das
Unternehmen mit einer aggressiven Buchhaltung arbeitet, um die Zahlen zu verschönern (google
mal nach „Bill-and-Hold“ Transaktionen).

6b. Debitorenziel
Berechnung
Debitorenziel = Forderungen / Umsatz * 365 Tage

Bedeutung
Nach wie vielen Tagen erhält das Unternehmen von seinen Kunden im Schnitt das Geld aus
einem Verkauf.

Richtwert
Je geringer, desto besser.

Interpretation
Je früher Forderungen gegenüber Dritten in Cash umgewandelt werden, desto sicherer ist die
Liquidität und desto besser ist es (du möchtest ja nicht, dass dein Unternehmen seine Kunden
finanziert, indem es seine Forderungen erst nach langer Zeit einfordert).

6c. Reichweite liquide Mittel (ich weiß, du erwartest jetzt den eigentlichen Cash-Zyklus.
Der kommt gleich danach und du wirst sehen, weshalb wir diese Kennzahl noch
vorgezogen haben)
Berechnung
Reichweite liquide Mittel = Liquide Mittel / Herstellungskosten * 365

Bedeutung
Für wie viele Tage reichen die jetzt zur Verfügung stehenden liquiden Mittel aus, eine
kontinuierliche Produktion sicherzustellen, sollte es zu Schwierigkeiten beim
Forderungsmanagement kommen (Kunden zahlen nicht).

Richtwert
Sollte mindestens so hoch wie der Cash Zyklus (siehe unten) sein.

Interpretation
Wichtig wird diese Kennzahl für uns in Verbindung mit dem Cash-Zyklus, bei dem wir diese
Kennzahl mit den vorherigen beiden verknüpfen.

6d. Der Cash-Zyklus


Berechnung
Cash-Zyklus = Kreditorenziel – Debitorenziel

Bedeutung
Salopp gesagt: Finanziert das Unternehmen seine Lieferanten oder wird es von seinen
Lieferanten finanziert.

Richtwert
Ein positiver Cash Zyklus ist besser.

Interpretation
Ein positiver Cash-Zyklus bedeutet, dass das Unternehmen seine Lieferanten durchschnittlich
später zahlt, als es Geld von seinen Kunden einfordert. Das ist eine wünschenswerte Situation,
denn das bedeutet zusätzliche Liquidität, für die das Unternehmen keine Zinsen zahlt.
Ist der Cash Zyklus hingegen negativ, ist das Gegenteil der Fall. In diesem Fall sollte das
Unternehmen ausreichend Liquide Mittel parat haben, um die Differenz auszugleichen
(ansonsten kann es kritisch werden, wenn ein Kunde mal verspätet bezahlt). Genau deswegen
haben wir oben die „Reichweite der liquiden Mittel“ berechnet, denn diese sagt dir genau das.

Besonders interessant wird die Betrachtung des Cash-Zyklus, wenn die vorhin besprochene
Liquidität II. Grades deutlich unter 100 % liegt. Eigentlich sagten wir, dass dies nicht so gut sei.
Allerdings musst du dir selbst bei einer geringen Liquidität zweiten Grades wenig Sorgen
machen, so lange der Cash-Zyklus stimmt.

Stell dir, um das zu veranschaulichen, noch einmal die Supermarktkette Aldi vor. Aldi bezahlt
seine Lieferanten (so munkelt man) im Schnitt erst sechs Monate, nachdem die Waren bereits im
Supermarkt liegen. Aber du und ich als Aldi-Kunden müssen die Waren sofort an der Kasse
bezahlen, wenn wir sie mit nach Hause nehmen wollen. Aldi zahlt für Waren seiner Lieferanten
also erst lange Zeit, nachdem die Kunden schon für dieselben Waren bezahlt haben. In diesem
Fall kann die Liquidität II. Grades deutlich unter 100 % liegen, da aber das Debitorenziel sehr
hoch ist, besteht deswegen kein erhöhtes Insolvenzrisiko.

7. Vorratsreichweite
Berechnung
Vorratsreichweite = Bestände / Herstellungskosten * 365

Bedeutung
Wie viele Tage verbringt für die Produktion eingekaufte Ware im Unternehmen (Lager und
Produktion). Also wie effektiv ist ein Unternehmen dabei, seine Vorräte zu Umsatz zu machen.

Richtwert
Eine niedrigere Vorratsreichweite ist im Allgemeinen besser.

Interpretation
Die Vorräte verschlingen wertvolles Kapital. Besonders verderbliche Güter und solche, die über
Zeit schnell an Wert verlieren, sollten nur möglichst kurz im Unternehmen bleiben.

Erhöht sich die Vorratsreichweite über eine Periode hinweg, kann das unterschiedliche Ursachen
haben. Einerseits könnte das Management mit einer höheren Nachfrage rechnen und sich
deshalb mit einer Aufstockung der Vorräte auf eine größere Produktion vorbereiten. Auf der
anderen Seite führt eine geringere Nachfrage in der entsprechenden Periode ebenfalls zu einer
Erhöhung der Vorratsreichweite (weniger Waren wurden zu Umsatz gemacht und liegen deshalb
noch im Lager).

Welches von beidem zutrifft, kannst du bei Produktionsunternehmen mit einer weiteren Analyse
herausfinden. Sind Rohmaterialien schneller gewachsen als der Umsatz, könnte ersteres der Fall
sein. Sind hingegen die Fertigerzeugnisse schneller gewachsen als der Umsatz, ist letzteres
wahrscheinlicher.

Was du mit der Vorratsreichweite noch tun kannst, ist folgendes: Subtrahiere den Cash-Zyklus
von ihr und du erhältst die sogenannte „Geldumschlagdauer“, beziehungsweise den „Cash
Conversion Cycle“. Dieser sagt aus, wie viele Tage vergehen zwischen der Bezahlung von
Lieferungen über die Produktion bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Geld vom Kunden eintrifft.

Effizienz und Rendite

8. Vertriebsgemeinkostenintensität
Berechnung
Vertriebsgemeinkostenintensität = Vertriebsgemeinkosten / Umsatz

Bedeutung
Wie viel Prozent des Umsatzes wird für Vertriebs- und Verwaltungsorganisation aufgewendet.

Richtwert
Je geringer, desto besser.

Interpretation
Je geringer die Vertriebsgemeinkostenintensität, desto effizienter sind Vertriebs- und
Verwaltungsorganisation eines Unternehmens. Bei stark wachsenden Unternehmen ist diese
Kennzahl höher als bei langsam wachsenden Unternehmen, da bereits Kapazität für die Zukunft
besteht. Du kannst diese Kennzahl für ein besseres Verständnis natürlich in
Vertriebskostenintensität und Gemeinkostenintensität aufteilen.
9. Forschungsintensität
Berechnung
Forschungsintensität = Forschungsaufwand / Umsatz

Bedeutung
Wie viel Prozent des Umsatzes fließen in Forschung und Entwicklung des Unternehmens.

Richtwert
Eine höhere Forschungsintensität kann für nachhaltiges Wachstum sorgen.

Interpretation
Die Forschungsintensität ist ein Indikator für die Innovationstätigkeit eines Unternehmens und
wie sehr der zukünftige Erfolg eines Unternehmens von neuen Produkten abhängig ist.
Besonders in wettbewerbsintensiven oder sich schnell verändernden Industrien kann die höhere
Investition eines Unternehmens in Innovation den Unterschied ausmachen. Allerdings nur dann,
wenn diese in Erfolg umgemünzt werden kann, also zum Beispiel in Form von höheren
Nettomargen oder stärkerem Umsatzwachstum.

Wenn ein Unternehmen nichts oder nur wenig in F&E investiert, dann solltest du herausfinden
mit welcher anderen Strategie es seine Marktposition langfristig erhalten oder ausbauen möchte.

10. Nettomarge
Berechnung
Nettomarge = Jahresüberschuss / Umsatz

Bedeutung
Wie viel Prozent des Umsatzes am Ende als Gewinn für das Unternehmen übrig bleibt – also wie
profitabel arbeitet das Unternehmen. Diese Kennzahl wird auch Umsatzrendite oder
Umsatzrentabilität genannt.
Richtwert
Je höher, desto besser.

Interpretation
Natürlich möchtest du langfristig möglichst hohe Erträge deiner Unternehmen sehen. Aber auch
wachsende, noch nicht profitable Unternehmen können eine gute Investition sein. Ein
Paradebeispiel hierfür ist Amazon, das seit nun zwei Jahrzehnten immer und immer mehr
investiert, ohne dabei merkliche Gewinne zu erwirtschaften.
Langfristig möchtest du natürlich auch bei diesen Unternehmen eine positive Nettomarge sehen.
Ob das wahrscheinlich ist, das kannst du mit den folgenden beiden Kennzahlen abschätzen.

11. Eigenkapitalrendite
Berechnung
Eigenkapitalrendite = Jahresüberschuss / durchschnittliches Eigenkapital

Bedeutung
Wie viel Gewinn erwirtschaftet das Unternehmen im Vergleich zu dem Kapital, das
Unternehmensbesitzer (also du als Aktionär) eingebracht haben (in Form von direkt
eingezahltem Kapital und nicht ausgeschütteten Gewinnen des Unternehmens).

Richtwert
Na klar gilt hier ebenfalls: je höher, desto besser. Werte um 20% sind hervorragend.

Interpretation
Und die Eigenkapitalrendite ist eine besonders wichtige Kennzahl, wenn du in Aktien investierst.
Denn wie oben schon geschrieben sagt sie dir, wie viel Gewinn das Unternehmen für jeden Euro
Kapital erwirtschaftet, den du am Unternehmen besitzt. Das ist zwar nicht das Geld, das du für
deine Aktien bezahlt hast (außer in welchem Sonderfall? Genau, wenn der Preis, zu dem du die
Aktien kaufst, exakt dem Buchwert entsprechen), aber das Geld, das dir theoretisch bleiben
würde, wenn das Unternehmen heute liquidiert werden würde.

Darum eignet sich diese Kennzahl auch besonders gut zum Vergleich über Unternehmen
hinweg, egal welcher Industrie sie angehören oder wie groß sie sind. Denn egal in welcher
Industrie, was einem Unternehmensbesitzer am Ende doch am wichtigsten ist, ist die Rendite,
die er für das Geld erhält, das er in das Unternehmen eingezahlt hat: die Kapitalrendite.
12. Cashflow Marge
Berechnung
Cashflow Marge = Cashflow aus laufender Geschäftstätigkeit / Umsatz

Was du auf der rechten Seite siehst entspricht nicht exakt der Berechnung. Allerdings entspricht
die Summe aus Jahresüberschuss und den Abschreibungen dem sogenannten „Bankers
Cashflow“, der gerne auch als Annäherung für den operativen Cashflow genommen wird, wenn
keine Cashflow Statements vorliegen – und er ist bei „übersichtlichen“ und nicht so schnell
wachsenden Unternehmen eine gute Annäherung. Allerdings nehmen wir für unsere Zwecke hier
immer den operativen Cashflow aus den Finanzberichten.

Bedeutung
Wie viel Prozent des Umsatzes fließen als Liquidität an das Unternehmen.

Richtwert
Sollte höher sein als die Nettomarge.

Interpretation
Je höher desto besser, denn je mehr Liquidität das Unternehmen selbst generiert

 desto weniger angewiesen ist es auf die Finanzierung Dritter

 desto mehr Investitionen kann es aus eigenen Mitteln finanzieren

 desto mehr Liquidität kann zur Ausschüttung an Investoren verwendet werden.

Die Cashflow Marge sollte nicht (konsistent) niedriger sein als die Nettomarge. Denn das würde
bedeuten, dass der Gewinn nicht in Form von Cash an das Unternehmen fließt.

Besonders bei nicht oder nur gering profitablen Wachstums-Unternehmen (Amazon) solltest du
zusätzlich beobachten, ob die Cashflow Marge über die Zeit gehalten werden kann. Denn dann
fließen steigende Umsätze auch proportional als Liquidität in das Unternehmen und eine (noch)
negative Nettomarge muss nicht unbedingt schlimm sein.

Operative Stärke
13. Zinsdeckungsquote
Berechnung
Zinsdeckungsquote = Betriebsergebnis / Zinsen

Bedeutung
In den Worten von Bernd Heesen aus seinem Buch „Bilanzplanung und Bilanzgestaltung”: Um
welchen Faktor übersteigt das Betriebsergebnis die Aufwendungen für die Finanzierung des
operativen Geschäfts (Zinsen).

Richtwert
Auch hier gilt wieder: je höher, desto besser. Laut Heesen sind industrieabhängig Werte von über
fünf als gut bis sehr gut zu werten. Bei Werten von unter drei wird es kritisch, denn das würde
bedeuten, dass über ein Drittel des operativen Ergebnisses für Zinszahlungen fällig ist.

14. Dynamische Verschuldung

Berechnung
Dynamische Verschuldung = Gesamtes Fremdkapital / Cashflow aus operativer
Geschäftstätigkeit

(rechts siehst du wieder den Bankers Cashflow eingeblendet)

Bedeutung
Wie viele Jahre würde es dauern, alle Schulden des Unternehmens mit dem Cashflow aus
operativer Geschäftstätigkeit zu tilgen.

Richtwert
Je geringer, desto besser.

Interpretation
Je geringer die dynamische Verschuldung, desto besser ist das Unternehmen in der Lage, seine
Schulden zu bedienen. Auch hier möchte ich wieder auf Erfahrungswerte von Heesen
zurückgreifen, laut denen Werte von über drei gut sind (im Handel und im
Dienstleistungsgewerbe sind niedrigere Werte wünschenswerter als im produzierenden
Gewerbe).

15. Investitionsquote
Berechnung
Investitionsquote = Investitionen / Abschreibungen

Die Investitionen kannst du wie folgt berechnen:

Investitionen = Anlagevermögen Periode T – Anlagevermögen Periode T-1 + Abschreibungen


auf das Anlagevermögen

Wichtig: Rechne hier nur mit den Abschreibungen auf das Anlagevermögen – andere
Abschreibungen, wie zum Beispiel aufgrund von veralteten Vorräten, solltest du aus den
Gesamtabschreibungen vorher herausrechnen.

Bedeutung
Investiert das Unternehmen ausreichend in den Erhalt oder Aufbau seiner Anlagen.

Richtwert
Sollte größer als 1 sein. Je höher, desto besser für das langfristige Wachstum.

Interpretation
Eine Investitionsquote von größer eins bedeutet, dass das Unternehmen mehr in seine Anlagen
investiert, als es diese abschreibt. Das heißt, es baut Anlagevermögen auf; das Unternehmen
wächst. Ist die Investitionsquote über mehrere Perioden kleiner eins, investiert das Unternehmen
nicht genug in den Erhalt seiner Anlagen. In diesem Fall solltest du die Strategie des
Managements hinterfragen und den Grund der Desinvestition herausfinden.

Etwas, das du bei der Interpretation aller Kennzahlen beachten solltest


Das war eine Menge, nicht? Trotzdem noch drei Hinweise zur Anwendung:

1. Betrachte Kennzahlen immer über mehrere Perioden


Du solltest Kennzahlen nicht nur für eine Periode analysieren, sondern immer auch deren
Entwicklung über mehrere Perioden hinweg. Denn dann siehst du auch, wohin sich ein
Unternehmen entwickelt (hat). Ich arbeite meistens mit drei bis fünf Perioden, um einen schnellen
Einblick zu erhalten und 10 Perioden, wenn ich ganz genau nachschauen möchte.

2. Die typischen guten oder schlechten Werte einzelner Kennzahlen sind sehr
industrieabhängig
Daher eignen sie sich nur bedingt, um zwei Unternehmen unterschiedlicher Industrien
miteinander zu vergleichen. Sie können dir aber trotzdem einen Eindruck zu den Unterschieden
zweier Industrien und deren Eigenschaften geben – und so eventuell auch darauf, in
Unternehmen welcher Industrie es sich mehr zu investieren lohnt und in welche weniger. Das
bedeutet auch:

3. Analysiere unterschiedliche Geschäftseinheiten eines Unternehmens separat, sofern


möglich
Denn die Konsolidierung der Zahlen verschiedener Geschäftsbereiche verwischt die
Charakteristika von unähnlichen Geschäften. Denk dabei zum Beispiel an Siemens, das im
Energiesektor, Gesundheitswesen, Dienstleistungsgeschäft und weiteren Zweigen unterwegs ist.
Wenn du die Bilanzen der einzelnen Geschäftsbereiche unabhängig betrachtest, wirst du mit
sehr großer Wahrscheinlichkeit teilweise deutliche Unterschiede in den Kennzahlen feststellen.
Natürlich hast du nicht immer (und bei größeren Unternehmen sehr oft nicht) die einzelnen
Bilanzen zur Hand – dann kannst du selbstverständlich auch mit den konsolidierten
Finanzberichten arbeiten, nur solltest du das bei der Wertung der einzelnen Kennzahlen immer
im Kopf haben.

Übung macht den Meister

Das war’s jetzt aber, du hast es geschafft und kannst loslegen! Solltest du einen Großteil dieser
Kennzahlen zum ersten Mal gesehen haben, dann bist du jetzt zwar ganz bestimmt ziemlich
erschlagen. Allerdings wirst du feststellen, dass du sehr schnell ein Händchen für die
Bilanzanalyse entwickelst, wenn du diesen Ansatz ein paar Mal geübt und die ersten
Erfahrungswerte gesammelt hast.

Oder willst du erst ein paar Beispiele sehen? Dann schlage ich vor, dass du mir auf Fool.de
folgst, denn dort werde ich regelmäßig Bilanzanalysen nach diesem Schema durchführen.

Und dir jetzt viel Spaß beim Entdecken deiner nächsten erfolgreichen Investition!

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