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DIE DEUTSCHE STANDARDSPRACHE:

ASPEKTE IHRER ENTSTEHUNG

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Prof. Dr. Marta Woźnicka Soziolinguistik

→ Die Standardsprache zeichnet sich durch eine große Polyvalenz aus

→ um 1800 → die deutsche Sprache (aufgrund der politischen Situation


Deutschlands – totale Zersplitterung) nur im Bereich der Schriftsprache
einheitlich; gesprochene Sprache - unterschiedliche Mundarten

→ Ende des 18. Jahrhunderts → die Standardsprache setzt sich allmählich


durch

→ mehrere „Entstehungstheorien“ der Standardsprache

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ANSÄTZE ZUR ENTSTEHUNG EINER ÜBERREGIONALEN SCHRIFTSPRACHE

→ Zersplitterung Deutschlands → die im Mittelalter verfassten Texte stark regional


begrenzt

→ Lösung, um überregional schriftlich miteinander zu kommunizieren

→ mittelalterliche Sprachformen mit überregionalen Aspekten:

• Sprache der Hanse → Verkehrssprache des Städtebundes von Norddeutschland und


Nordeuropa (das 14. und 15. Jhd.); basiert auf der Sprache Lübecks und seiner Umgebung
und enthält niederländische und westfälische Merkmale; um 1600 die Hanse von der nhd.
Schriftsprache abgelöst
• Prager Kanzleideutsch Karls IV. → das Prager Kanzleideutsch im 14. Jhd., in Kombination mit
humanistischen Tendenzen am Hof, → Basis der nhd. Schriftsprache nach Burdach
• Das Gemeine Deutsch → die ältere Forschung → eine überregionale Schreibsprache (Wien
bis Augsburg/Innsbruck bis Nürnberg) des 15. Jhd.; die neuere Forschung → eine stilistisch
schmucklose, einfache Stilform

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ERKLÄRUNGSMODELLE ZUR ENTSTEHUNG EINER EINHEITLICHEN SCHRIFTSPRACHE

1. Erklärungsmodell: „Theorie von der Kontinuität der deutschen Schriftsprache“:


→ entwickelt 1863 von Karl Müllenhoff
→ eine kon nuierliche Entwicklung vom 9. – 16. Jhd., gebunden an die kaiserlichen
Machtzentren (5 Etappen ):

• 1. Etappe: zurückführbar auf Karl den Großen; nach 800 entstand eine karlingische
Hofsprache; Basis → das Mainfränkische
• 2. Etappe: das Mittelhochdeutsch im 12. und 13. Jhd., aufgebaut auf der karlingischen
Hofsprache; Basis → im Südwesten
• 3. Etappe: das 14. Jhd.; Prag als Basis (es vermittelt zwischen Mittel- und Süddeutschland);
zwei Veränderungen → die mitteldt. Monophthongierung und die süddt. Diphthongierung
• 4. Etappe: das 15. Jhd. und 16. Jhd.; wechselseitiger Einfluss von Prag und dem
habsburgischen Wien
• 5. Etappe: Martin Luthers Bibelübersetzung auf der Grundlage der sächsischen Kanzlei

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2. Erklärungsmodell:

→ formuliert in den 80er Jahren des 19. Jhds. von Konrad Burdach

→ die deutsche Schri sprache → Neuschöpfung, unter einmaligen kulturellen


Umständen entstanden (das kaiserliche Prag um 1350, nämlich der
Frühhumanismus und die kaiserliche Kanzlei)

→ Schri sprache = Kultursprache

→ enge Kontakte zu den Humanisten in Italien → eine erhebliche Beeinflussung der


deutschen Schriftsprache bzw. Entstehung einer Basis für eine neue Schriftsprache

→ die nhd. Schri sprache → Schöpfung der Gebildeten

→ die Wiege der nhd. Schri sprache → in Prag am Hofe und in der Kanzlei Karls IV

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3. Erklärungsmodell:

→ formuliert von Theodor Frings

→ die Ursprünge der Entstehung einer einheitlichen Schri sprache im 11.–13. Jhd.,
zur Zeit der Kolonisierung von Obersachsen und Schlesien

→ Ausgleichssprache wurde entwickelt (für Sprecher aus Norden, Westen und Süden)

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ENTSTEHUNG EINER EINHEITLICHEN AUSSPRACHE

→ um 1800 → die deutsche Schriftsprache erlangte eine relativ einheitliche Form

→ Ende des 18. Jhds. → im Niederdeutschen orientierte man sich beim Sprechen am
geschriebenen Wort

→ das 19. Jhd. → auf den Bühnen Deutschlands eine relativ einheitliche Aussprache
(Mustersprache, Sprache der Schauspieler)

→ 1898 → Tagung bezüglich einer einheitlichen Aussprachenorm („Deutsche


Bühnensprache“) → die hochdeutschen Sprachformen ausgesprochen nach
norddeutschem Gebrauch; kein Zugang in den Alltag

→ 1912 → W. Vietor verfasste das „mustergültig gearbeitete Deutsche


Aussprachewörterbuch“; kein Zugang in den Alltag ← im Deutschunterricht nicht
behandelt

→ mit zunehmender Verbreitung von Rundfunk und Tonfilm → eine einheitliche


Aussprache im Alltag

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→ Einigung → in der hochdeutschen, d.h. in der oberdeutschen


und der mitteldeutschen Schriftlichkeit, die Niederdeutschen
übernehmen das Hochdeutsche vom 16. Jhd. an quasi als
„Fremdsprache“

→ Deutsch als überregionale Schri sprache → erst im 16.-18.


Jhd.

→ Deutsch mit überregionaler Aussprache → erst im 19. Jhd.

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ENTSTEHUNG DER STANDARDSPRACHE – EIN MINI-QUIZ

1. Die Sprache der Hanse war die Verkehrssprache des Städtebundes von
Norddeutschland und Nordeuropa hauptsächlich:

a. im 12. und 13. Jahrhundert


b. im 16. und 17. Jahrhundert
c. im 14. und 15. Jahrhundert

2. Laut Burdach ist ……… als Basis der neuhochdeutschen Schriftsprache anzusehen.

a. die Sprache der Hanse


b. Prager Kanzeleideutsch
c. Sächsisches Kanzeleideutsch

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ENTSTEHUNG DER STANDARDSPRACHE – EIN MINI-QUIZ

3. Um 1800 war die deutsche Sprache im Bereich ……….. durchaus einheitlich.

a. der Aussprache
b. der Dialekte
c. der Schrift

4. Laut Theodor Frings’ Modell gehen die Ursprünge der Entstehung einer
einheitlichen deutschen Sprache auf:

a. das 11.-13. Jahrhundert und die Zeit der Kolonisierung von Bayern und Thüringen.
b. das 11.-13. Jahrhundert und die Zeit der Kolonisierung von Oberschlesien.
c. das kaiserliche Prag um 1350.

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ENTSTEHUNG DER STANDARDSPRACHE – EIN MINI-QUIZ

5. Welche Behauptung ist falsch?

a. 1898 fand eine Tagung bezüglich einer einheitlichen Aussprachenorm statt, deren
Resultat „Deutsche Bühnenaussprache” war, die leider keinen Zugang in den Alltag
fand.
b. Über eine relativ einheitliche überregionale deutsche Aussprache kann man erst
im 18. Jahrhundert sprechen.
c. 1912 verfasste Wilhelm Viëtor das „mustergültig gearbeitete Deutsche
Aussprachewörterbuch“, das sich aber nicht durchsetzen konnte.

6. Die Verbreitung einer einheitlichen deutschen Aussprache war möglich mit

a. der Verbreitung von Rundfunk und Tonfilm


b. der Verbreitung von Internet
c. der Verbreitung von Printbüchern nach 1450.

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KONTROLLFRAGEN

1. Besprechen Sie mittelalterliche Sprachformen mit überregionalen Aspekten!

2. Besprechen Sie folgende Modelle zur Entstehung einer einheitlichen


Schriftsprache:

• das Modell von Müllenhoff


• das Modell von Burdach
• das Modell von Frings

3. Besprechen Sie den Prozess der Entstehung einer einheitlichen Aussprache!

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SPRACHE ALS DIASYSTEM

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Jede natürliche Sprache stellt kein homogenes, sondern ein


heterogenes System dar.

Innerhalb jeder Sprache gibt es eine Vielzahl von Varietäten.

Sprachliche „Varietäten“ = „Erscheinungsformen“ einer Sprache =


„Sprachen in der Sprache“ = sprachliche „Subsysteme“ =
„Nebensprachen“ = „Idiome“ = ….

Soziolekte, Dialekte, Sondersprachen, Stilschichten,


Gruppensprachen, …

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Ursache für die Existenz von sprachlichen


Varietäten →

Die innere Differenzierung der Sprache ist als


Folge und Ausdruck der jeweiligen
Sozialkultur zu verstehen.

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FÜNF Gesellschaftstypen und für sie charakteristische Form sprachlicher


Heterogenität (nach Gumperz 1972)

1. Horden von Jägern und Sammlern – die spontane Alltagssprache vs. die nicht
spontane Sprache
2. größere Stammesgesellschaften – Sprachstile von Spezialisten für bestimmte
Bereiche; Handelssprache
3. entwickelte Gesellschaften mit Stammesmerkmalen – Herrschergruppe (der
gehobene Stil) vs. übrige Bevölkerung (der niedrige Stil)
4. intermediäre Gesellschaften – die höchste Sprachvielfalt
5. hochurbanisierte Gesellschaften – die Sprachvielfalt nimmt zugunsten eines
Sprachausgleichs stark ab → nationale Einzelsprache

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Zabrocki (1970) →

Die Nationalsprachen werden zunehmend durch


internationale Sprachen ersetzt.

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Dimension der Varietät Erläuterung


1. diachronisch (Kriterium: ZEIT) Historische Stadien einer Sprache: Althochdeutsch,
Mittelhochdeutsch, Frühneuhochdeutsch,
Neuhochdeutsch
2. diatopisch (Kriterium: RAUM) An verschiedenen Orten des Sprachgebiets werden
unterschiedliche Dialekte gesprochen
3. diastratisch (Kriterium: In verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen
SOZIALSCHICHT) (gemäß Alter, Geschlecht, Beruf, …) werden
unterschiedliche Soziolekte verwendet
4. diaphasisch/diasituativ In verschiedenen Kommunikationssituationen
(Kriterium: SITUATION) werden verschiedene Varietäten verwendet

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Althochdeutsch

Dialekte
Soziolekte …

Mittelhochdeutsch

Dialekte
… ….

usw.

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ZEITDIMENSION bei der Beschreibung sprachlicher Varietäten

1. im Bezug auf das Alter der Sprecher


2. im Bezug auf das Alter der Sprachmittel

Variante ≠ Varietät

Als SPRACHLICHE VARIANTE gelten alternative Ausdrucksmöglichkeiten für ein und


dieselbe Sache, z.B. standradsprachlich Fleischer und Metzger.

Eine SPRACHLICHE VARIETÄT ist eine Ausprägung einer Sprache auf einer der
Dimensionen (diatopisch, diastratisch, …) der sprachlichen Variation, z.B. Dialekte
und Soziolekte sind Varietäten einer Sprache.

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SPRACHLICHE VARIETÄTEN charakterisieren Sprecher als


Angehörige einer bestimmten, mehr oder weniger stabilen
Gruppe bzw. als Träger bestimmter sozialer Rollen in bestimmten
Kommunikationssituationen.

Unmöglich ist die Abgrenzung der einzelnen Varietäten


voneinander – sie überschneiden sich und überlagern.
Möglich ist die Feststellung ihrer typischen sprachlichen
Merkmale.

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Abb. 2: VARIETÄTENSPEKTRUM (nach Löffler 1994)

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Ein soziolinguistisches VARIETÄTENMODELL (Löffler 2005: 79)

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Hoffmann 2007: 6

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HETEROGENITÄT DES DEUTSCHEN

Das Deutsche als ein Varietätenbündel:


• geschriebene Literatursprache
• gesprochene Hochsprache
• geschriebene/gesprochene Umgangssprache
• Dialekte usw.

Wer spricht eigentlich Deutsch?


• drei deutschsprachige Länder in Europa (Deutsch als Amts bzw. Ko-Amtssprache):
Deutschland (80 Mio.), Österreich (8 Mio.), Liechtenstein (35 000)
• eine offizielle Amtssprache in der Schweiz (zusammen mit dem Französischen,
Italienischen und Rätoromanischen) - 17 der 26 Kantone sind einsprachig Deutsch
(65,6%, Stand 2010)
• viele deutschsprachige Minderheiten in anderen Ländern (z. B. Belgien,
Luxemburg, Italien, Frankreich, Polen (ca. 58 000 deutsche Muttersprachler usf.)

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KONTROLLFRAGEN

1. Was ist die Ursache für die Existenz von unterschiedlichen sprachlichen
Varietäten?
2. Nennen Sie die Gesellschaftstypen nach Gumperz (1972) und
beschreiben Sie die für sie charakteristische Form sprachlicher
Heterogenität!
3. Was hat Zabrocki (1970) festgestellt?
4. Wie erfolgt die Aufteilung der Varietäten?
5. Warum gehört die diachronische Dimension eigentlich nicht in eine Reihe
mit den anderen?
6. Wie wird die Zeitdimension bei der Untersuchung sprachlicher Varietäten
berücksichtigt?
7. Was sind sprachliche Varietäten, was sind sprachliche Varianten?
8. Warum ist die Zuordnung zur jeweiligen Dimension nicht einfach?

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FACHSPRACHEN

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→ Lothar Hoffmann, Hans-Rüdiger Fluck, Thorsten Roelcke

→ mittelalterliche Fachsprachen (8. bis 14. Jahrhundert)


→ frühneuzeitliche Fachsprachen (14. bis 17. Jahrhundert)
→ neuzeitliche Fachsprachen (18. bis 20./21. Jahrhundert) → das 20. und 21.
Jhd.: Fachsprachen-Boom

→ drei wesentlich unterschiedliche Fachsprachenkonzeptionen:

• das systemlinguistische Inventarmodell


• das pragmalinguistische Kontextmodell
• das kognitionslinguistische Funktionsmodell

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DAS SYSTEMLINGUISTISCHE INVENTARMODELL

→ ausgearbeitet in den 50er Jahren

→ orientiert am lexikalischen Inventar und syntaktischen Regeln des


sprachlichen Systems

→ definiert FACHSPRACHE als

die Gesamtheit aller sprachlichen Mittel, die in einem fachlich begrenzbaren


Kommunikationsbereich verwendet werden, um die Verständigung
zwischen den in diesem Bereich tätigen Menschen zu gewährleisten.
(Hoffmann 1985: 53)

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→ Ist Fachsprache als einheitliches oder mehrheitliches System zu


definieren?

→ Trotz vieler differenter Fachsprache → eine ganze Reihe einzelsprachlicher


und sogar sprachuniversaler Gemeinsamkeiten

→ Fachsprachen als Varietäten einer Einzelsprache

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DAS PRAGMALINGUISTISCHE KONTEXTMODELL

→ die Fachsprachen auf die Ebene der Textäußerungen reduziert

→ anstelle des Begriffs Fachsprache ein anderer Begriff definiert: Fachtext

→ Fachsprachen: nicht mehr sprachliche Systeme, die der fachlicher


Kommunikation zugrunde liegen, sondern sprachliche Äußerungen und
Ergebnis fachlicher Kommunikation (FACHTEXT)

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DAS KOGNITIONSLINGUISTISCHE FUNKTIONSMODELL

→ ausgearbeitet in den 90er Jahren

→ sowohl die Form, als auch die Funktion sprachlicher Äußerungen sind von
den intellektuellen Anforderungen des Sprechenden abzuleiten

→ funktionale Eigenschaften wie Deutlichkeit, Verständlichkeit, Ökonomie,


Anonymität und Identitätsstiftung stehen im Mittelpunkt (FUNKTIOLEKT)

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DAS KOGNITIONSLINGUISTISCHE FUNKTIONSMODELL

Deutlichkeit – möglichst adäquater Bezug zu den fachlichen Gegenständen und Sachverhalten


sowie Abläufen und Verfahren

Verständlichkeit - möglichst fehlerfreie Vermittlung fachlicher Kenntnisse

Ökonomie – eine maximale fachliche Darstellung beim bestimmten sprachlichen Einsatz bzw. eine
bestimmte fachliche Darstellung durch einen minimalen sprachlichen Einsatz, falsch:
minimaler sprachlicher Einsatz bei maximaler fachlicher Darstellung

Anonymität – eine Zurücknahme der sprachlichen Kennzeichnung des fachlichen


Textproduzenten

Identitätsstiftung – durch Fachsprache identifizieren sich ihre Sprecher als Angehörige einer
bestimmten Gruppe

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FACHSPRACHEN

→ Ziel: schnelle und möglichst präzise Kommunika on unter


Fachleuten

• basieren selbstverständlich auf der jeweiligen Standard- oder


Gemeinsprache → entwickeln auf der Standardsprache au auend
den Fachwortschatz
• die Bedeutung von Fachtermini wird durch eine Definition
festgelegt und unterliegt selten Veränderungen
• Internationalismen (Ausdrücke lateinischer und griechischer
Herkunft in der Fachsprache der Medizin; viele Anglizismen in der
Fachsprache der Informatik)
• weitere Bestandteile der Fachsprache: Symbole, Formeln,
Graphiken

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FACHWORTSCHATZ

→ der wesentlichste Bereich fachsprachlicher Besonderheiten


→ Fachwortschatz = die Menge kleinster bedeutungstragender und
gleichzeitig verwendbarer sprachlicher Einheiten eines fachlichen
Sprachsystems (Terminus technicus, Fachwort), die innerhalb einer
Kommunikation eines bestimmten menschlichen Tätigkeitsbereichs
gebraucht werden
→ Merkmale des Fachwortschatzes:
• Exaktheit - ein möglichst adäquater Bezug fachsprachlicher Ausdrücke zu den Gegenständen,
Sachverhalten und Vorgängen des betreffenden menschlichen Tätigkeitsbereichs (Ausdruck
↔ Gegenstand, Sachverhalt, Vorgang)
• Eindeutigkeit (Monosemie) - – das Verhältnis von fachlichen Ausdrücken und Bedeutungen;
Fachwörter eines Fachwortschatzsystems weisen jeweils genau eine Bedeutung auf
(Monosemie) (Ausdruck ↔ Bedeutung)
• Fehlen der Metaphorik (?)
→ Der Fachwortschatz entwickelt sich rasch

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GLIEDERUNG DES FACHWORTSCHATZES

→ vier Gruppen: intra-, inter-, extra- und nichtfachlicher


Fachwortschatz

• interfachlicher Fachwortschatz – diejenigen Fachwörter, die ausschließlich


der betreffenden Fachsprache angehören;
• intrafachlicher Fachwortschatz - solche Fachwörter, die sowohl in dem
betreffenden als auch in anderen fachsprachlichen Systemen erscheinen;
• extrafachlicher Fachwortschatz – diejenigen Fachwörter, die anderen
fachsprachlichen Systemen zugehören, aber dennoch in Fachtexten des
betreffenden Faches geäußert werden;
• nichtfachlicher Fachwortschatz – die Menge von deren allgemeinen und
fachlich nicht weiter geprägten Wörtern.

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FACHSPRACHENGRAMMATIK
Allgemeines

→ fachliche Spezifika auf der Ebene der Grammatik sind deutlich weniger präsent
und bislang selten untersucht

→ die Unterschiede zwischen der allgemeinsprachlicher Grammatik und der


Fachsprachengrammatik sind fast nur quantitativer und nicht qualitativer Natur
(Selektion grammatischer Muster)

→ in den deutschen Fachsprachen überwiegen (der Standardsprache gegenüber)


synthetische Konstruktionen (im Bereich der Morphologie)

→ grammatische Merkmale der deutschen Fachsprachen finden sich im Bereich der


Wortbildungs- und Flexionsmorphologie als auch im Bereich der Syntax

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FACHSPRACHENGRAMMATIK - WORTBILDUNGSMORPHOLOGIE

→ Ausschöpfung bestimmter Wortbildungsmöglichkeiten: 1. Komposition, 2.


Derivation, 3. Kürzung, 4. Konversion

1. KOMPOSITION Zusammensetzung von Substantiven (mit einer Volkswirtschaft


hohen Anzahl an Gliedern) Facharztausbildung
Bildung von sog. Zwillingsverben durch trennschleifen
Zusammensetzung zweier Verben
Zusammensetzung von Verbstamm und Rechenanlage
Substantiv
Zusammensetzung aus Substantiv od. Adjektiv tiefkühlen
und einem Verb als Infinitiv oder farbabweisend
Partizipialkonstruktion
Zusammensetzung aus Substantiv und Adjektiv Großhirn – Kleinhirn
oder Adverb (verbunden mit der Bildung von schadstoffreich –
Antonymen) schadstoffarm

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FACHSPRACHENGRAMMATIK - WORTBILDUNGSMORPHOLOGIE

→ Ausschöpfung bestimmter Wortbildungsmöglichkeiten: 1. Komposition, 2.


Derivation, 3. Kürzung, 4. Konversion

1. KOMPOSITION Zusammensetzungen unter Verwendung von EG-Richtlinien


Abkürzungen oder Zahlen 3er-Pack
Komposita, die aus der Übersetzung Überschallgeschwin-
fremdsprachlicher Bildungen hervorgegangen digkeit aus supersonic
sind velocity
2. DERIVATION Derivate mit Suffixen:
-er Bohrer
-ung Bohrung
-heit Feinheit
-keit Trennbarkeit
-bar trennbar
Suffixoidbildungen mit:
-los ergebnislos
-frei bleifrei
-sicher feuersicher

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FACHSPRACHENGRAMMATIK - WORTBILDUNGSMORPHOLOGIE

→ Ausschöpfung bestimmter Wortbildungsmöglichkeiten: 1. Komposition, 2.


Derivation, 3. Kürzung, 4. Konversion

2. DERIVATION Derivate mit Präfixen (zur Kennzeichnung von


Verneinung oder Gegenteil):
Miss- Misswirtschaft
un- unproduktiv
in- ineffektiv
nicht- nichtsprachlich

3. WORTKÜRZUNGEN Kürzung am Wortende Lok aus Lokomotive


Kürzung am Wortanfang Bus aus Autobus
Kürzung in der Wortmitte Krad aus Kraftrad
Buchstabenkürzungen ADAC aus Allgemeiner
Deutscher Automobil-
Club
Lesekürzungen DIN aus Deutsches
Institut für Normung

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FACHSPRACHENGRAMMATIK - WORTBILDUNGSMORPHOLOGIE

→ Ausschöpfung bestimmter Wortbildungsmöglichkeiten: 1. Komposition, 2.


Derivation, 3. Kürzung, 4. Konversion

4. KONVERSION Substantivierung von Infinitiven Schmelzen


Drehen
Konvertierte Namen, die substantivisch zur Hertz
Bezeichnung wissenschaftlicher Entdeckungen Duden
oder technischer Neuerungen und Volt
Maßeinheiten herangezogen werden

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FACHSPRACHENGRAMMATIK - WORTBILDUNGSMORPHOLOGIE

→ Verteilung der Wortarten: besonders häufig Substantive und Adjektive, viel seltener Verben

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FACHSPRACHENGRAMMATIK - FLEXIONSMORPHOLOGIE

→ flexionsmorphologische Paradigmenselektion → Ziel: eher nicht erhöhte Deutlichkeit


fachsprachlicher Äußerungen, sondern Anonymisierung oder Objektivierung

Person und Numerus ↓


• Vermeidung der 1. Person
• Ersatzkonstruktionen → unbestimmte Pronomina und Verbformen im Sg. (man, es),
Pronomina und Verbformen im Plural (wir), lexikalische Stellvertreter (der Verfasser, die
Autoren)

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FACHSPRACHENGRAMMATIK - FLEXIONSMORPHOLOGIE

Konjugation ↓
• Modus: der Indikativ, der Imperativ in konkreten Textsorten (Gebrauchs- oder
Konstruktionsanweisungen), der Konjunktiv bei der Wiedergabe mündlicher oder
schriftlicher Äußerungen
• Tempus: Dominanz der Präsens, andere Tempora viel seltener
• Genus verbi: Aktiv häufiger als Passiv, ABER: der Gebrauch von Passiv- und
Reflexivkonstruktionen ist bei der fachlichen Kommunikation deutlich erhöht
• Infinite Verbformen zeigen ebenso eine erhöhte Vorkommenshäufigkeit

Deklination ↓
• der intensive Gebrauch von attributiven Genitiven (Genitivreihungen)
• Verringerung an Akkusativ- und Dativformen
• spezifische Pluralformen (Salz vs. Salze)

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FACHSPRACHENGRAMMATIK – SYNTAX

→ Selektion syntaktischer Konstruktionen → Ziel: Verständlichkeit, Ökonomie, Anonymität

→ Satzkomplexität, Satzgliedkomplexität (Die Senkung der Satzkomplexität führt zur Erhöhung


der Satzgliedkomplexität und umgekehrt)

→ Satz- und Satzgliedkomplexität → das 18. und 19. Jhd.; Tendenz zur Reduzierung der Satz-
und Satzgliedkomplexität → das 20. und 21. Jhd.

SATZARTEN ↓
• vor allem Aussagesätze
• Frage-, Aufforderungsätze in konkreten Textsorten (Betriebsanweisungen und Fragebögen)

NEBENSÄTZE ↓
• Konditionalsätze mit und ohne Konjunktion (wenn, falls)
• Finalsätze mit und ohne Konjunktion (damit, um…zu)
• Adversativsätze (kontrastbezeichnende Nebensätze) mit während
• Relativsätze
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FACHSPRACHENGRAMMATIK – SYNTAX

A ributreihungen ↓
• Adjektivattribute
• Präpositionalattribute
• Attributive Genitive
• Attributreihungen
• Appositionen

Weitere Eigentümlichkeiten auf der Satzebene ↓


• Funktionsverbgefüge (in Rechnung stellen anstatt berechnen, eine Untersuchung durchführen
anstatt untersuchen )
• Nominalisierungen (Drehung aus drehen, Bohrer aus bohren)
• Präpositionsgefüge (hinsichtlich, bezüglich, im Hinblick auf, in Bezug auf)
• Infinitivkonstruktionen
• Partizipialkonstruktionen
• Ellipsen
• Aufzählungen
• Asyndese (Zusammenfügen von Elementen ohne Zuhilfenahme von Konjunktionen)
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MERKMALE DER FACHKOMMUNIKATION NACH FLUCK (2000)

1. ein Zurücktreten konnotativer und emotiver Bedeutungskomponenten

2. die Tendenz zur distanzierten und unpersönlichen Darstellung

3. eine effiziente sprachökonomische Textgestaltung

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FACHSPRACHE DER MEDIZIN (Quelle: Thews: Psychologie des Menschen, S. 566)

Der wirkungsvollste Inspirationsmuskel ist das Diaphragma, das


über den N. phrenicus (aus C3-C5) innerviert wird.
Normalerweise wölbt sich das Zwerchfell kuppelförmig in den
Thoraxraum hinein; in Ausamtungsstellung liegt es in einer
Ausdehnung von 3 Rippenhöhen der inneren Thoraxwand an.
[…]

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DIE GLIEDERUNG DER FACHSPARCHEN

• horizontal (im Hinblick auf verschiedene Fächer und Fachbereiche)


• vertikal (in Bezug auf verschiedenartige Abstraktionsebenen innerhalb der
einzelnen Fächer selbst)
• nach der Textsorte

→ Die Fachsprache und Allgemeinsprache beeinflussen einander

→ Es sei wichtig, Fachinformationen und Fachwissen für die Öffentlichkeit


zugänglich zu machen

→ fachsprachliche und –kommunikative Persiflagen

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„Der vitruvianische Mensch“ von Leonardo da Vinci

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„Teddy im Kreis“ von Bheronardo da Plynci

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KONTROLLFRAGEN

1. Besprechen Sie unterschiedliche Fachsprachenkonzeptionen und


Modelle, die ihnen zugrunde liegen!
2. Was ist Fachwortschatz? Besprechen Sie Merkmale des
Fachwortschatzes!
3. Besprechen Sie morphologische und syntaktische Eigentümlichkeiten der
Fachsprachen!
4. Wodurch zeichnet sich nach Fluck (2000) Fachkommunikation aus?
5. Wie werden Fachsprachen gegliedert?

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RÄUMLICHE VARIETÄTEN

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Raumgebundene Varietäten:

• Mundarten oder Dialekte (Synonyme?)

• Landschaftliche Umgangssprachen (nicht dialektal)


→ Regiolekte (Mischungen zwischen der
Standardsprache und dem jeweiligen Basisdialekt)

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DIALEKT → aus dem Griech. ‚die dialektale [Sprache]’ (hä diálektos [phoné]),
drei Bedeutugsdimensionen:

1. Gespräch, Unterhaltung
2. generell: Redeweise
3. speziell: Redeweise von Personenkollektiven

Ursprünglich: mündliche Kommunikation bzw. deren besondere


Erscheinungsformen, also nicht: regionale Sprache

- den Befgriff übernehmen Römer: dialectus


- deutschsprachige Länder [18. Jhd.]: Mundart und Dialekt [Synonyme]
- Jacob Grimm [19. Jhd.]: Dialekt = größeres Verwendungsgebiet, Mundart = kleineres
Verwendungsgebiet
- Nationalsozialisten: Mundart
- die Sprecher selbst: Dialekt

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Die Schwierigkeit der Definition von Dialekt und


Mundart und die sehr verschiedenen
Verwendungsweisen beider Begriffe resultieren aus
der Vielfalt der Kriterien und deren achtlosen
Vermischung. (Löffler 1974: 8)

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Ein Dialekt ist (gegenwärtig) vor allem eine räumliche Varietät


der (deutschen) Sprache.
ABER: Es sind auch sprachliche Existenzformen, die eingebunden sind in vielfältige und
verschiedenartige gesellschaftliche und situative Bezüge!

• der SCHICHTSSPEZIFISCHE Aspekt


• der ALTERSSPEZIFISCHE Aspekt
• der GESCHLECHTSSPEZIFISCHE Aspekt
• das MEDIUM
• der SITUATIVE Aspekt

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• der SCHICHTSSPEZIFISCHE Aspekt: Unter- oder Oberschicht?

weder Unter- noch Oberschicht, aber in den Oberschichten wird der Dialekt seltener
verwendet; auch: Modeerscheinung

• der ALTERSSPEZIFISCHE Aspekt: junge, erwachsene oder alte


Menschen?

Verengung des Lebenskreises: Kinder und Senioren

• der GESCHLECHTSSPEZIFISCHE Aspekt: Frauen oder Männer?

weder Frauen noch Männer, nicht landschaftlich bedingt, je nach den sozialen
Rollen, die den Geschlechtern zukommen

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• das MEDIUM: geschriebene oder gesprochene Sprache?

gesprochene Sprache, keine kodifizierten Normen, der sprachliche Wandel


setzt sich einfacher und schneller durch

• der SITUATIVE Aspekt: in welchen Situationen?

- Gruppensprache (i.d.R. in einer relativ kleinen Gemeinschaft), verwendet


gegenüber den Angehörigen und nicht gegenüber den Fremden
- die im Alltag übliche Sprechweise: verwendet für bestimmte
Themenkreise, an bestimmte (handwerkliche und landwirtschaftliche)
Berufszweige gebunden; verwendet in der Privatsphäre und im häuslichen
Bereich
- Anschauungskraft, mangelnde Abstraktheit

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! Die Mundart kann nicht ein für allemal als eine bestimmte
Sprachform mit festen Charakteristika angesehen werden!

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→ Dialektologie

→ Dialektkarte

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Georg Wenker (1852-1911)

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→ 1876: „Dialectkarte der nördlichen Rheinprovinz“


→ 1878: „Sprachatlas der Rheinprovinz nördlich der Mosel sowie des Kreises Siegen“
→ 1881: „Sprachatlas von Nord- und Mitteldeutschland“
→ 1887: „Sprachatlas des deutschen Reiches“

→ Ferdinand Wrede (1863-1934)


→ Emil Maurmann (1864-1937)

→ 1888-1923: 1668 Karten


→ Das Erhebungsmaterial ist unter
https://www.regionalsprache.de einsehbar.
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„Wenkersätze“:
• die 42 rheinischen Sätze,
• die 38 westfälischen Sätze,
• die 40 Sätze Nord- und Mitteldeutschlands sowie der späteren Erhebung
Süddeutschlands

1. Im Winter fliegen die trockenen Blätter durch die Luft um.


2. Es hört gleich auf zu schneien, dann wird das Wetter wieder besser.
3. Thu (Tu) Kohlen in den Ofen, dass die Milch bald an zu kochen fängt.
4. Der gute alte Mann ist mit dem Pferde durch's Eis gebrochen und in das
kalte Wasser gefallen.

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http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Heutige_deutsche_Mundarten.PNG

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Niederdeutsch Mitteldeutsch (2. Oberdeutsch (2.


(ohne 2. LV.) LV. z. T) LV. vollständig)
dat dat das
Appel Appel Apfel
ik ich ich
Pund Pund Pfund

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1. Das Niederdeutsche: a. das Friesische, b. das


Niederfränkische, c. das Niedersächsische

2. Das Mitteldeutsche: a. das mitteldeutsche Fränkisch (das


Mittelfränkische (das Ripuarische und das Moselfränkische),
das Rheinfränkische), b. das Thüringische, c. das
Obersächsische, d. das Schlesische

3. Das Oberdeutsche: a. das oberdeutsche Fränkisch (das


Südfränkische und das Ostfränkische), b. das Alemannische
(das Schwäbische, das Nieder- und das Hochalemannische),
c. das Bayerische (das Mittel-, das Süd- und das
Nordbayerische)

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→ onomasiologische Karte

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1. Bayern
2. Hamburg
3. Rheinland-Pfalz
4. Sachsen
5. Berlin
6. Nordrhein-Westafallen
7. Baden-Württemebrg
8. Thüringen

Erkennen Sie diesen Dialekt?


https://www.youtube.com/watch?v=krNL5fnTxJc
https://www.youtube.com/watch?v=lYP-rmvyCrs
https://www.youtube.com/watch?v=QHY_PaCAf5k

Empfehlung: Nachtcafé - Markenzeichen Dialekt


https://www.youtube.com/watch?v=uypkiFLj5dk

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BELIEBTHEIT DER DEUTSCHEN DIALEKTE

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LANDSCHAFTLICHE UMGANGSSPRACHE = REGIOLEKTE

→ Zwischenform zwischen den ‘reinen’ Formen Mundart (Basisdialekt) und


Hochsprache

→ landschaftlich gefärbt

→ Geltung in einem weiteren Gebiet

→ nicht eine einheitliche Schicht (→klein- und großlandschaftliche Umgangssprachen)

Engel (1962): Kleinkreise, Provinzen, Großkreise, der deutsche Gesamtreich

Moser (1962): örtliche städtische Umgangssprachen, kleinlandschaftliche Umgangssprachen,


großlandschaftliche Umgangssprachen

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→ gesprochene Form (ähnlich wie der Dialekt!)

→ Eigentümlichkeiten in der Lautung, Morphologie, Wortbildung, Syntax, Lexik

→Entstehungszeit der Umgangssprache → Anfang des 19. Jahrhunderts (Campe);


Frühmittelalter, zumindest das 16. Jahrhundert (Moser 1956)

→ Sprache der Mittelschicht, der Oberschicht oder der Unterschicht?’

- Mittelschicht, das städitsche Bürgertum


- „höhere“ Kreise (Adelung 1782, Behagel 1927)
- Sprachform gebildeter Kreise (städtische Sprache); durch sprachliche Ausstrahlungskraft der
Städte und der gebildeten Kreise von den ländlichen Kreisen, dem Volk, der Unterschicht
übernommen (Beranek 1950)
- die Sprache der Unterschicht

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→ Umgangssprache → Sprache des Alltags = Alltagssprache (Porzig und


Moser 1960), im Gegensatz zur Hochsprache, die der Literatur,
Wissenschaft, den Massenmedien etc. (besonderen Bereichen)
vorbehalten wird

→ Umgangssprache → stillose Sprache, im Gegensatz zur Hochsprache, die,


lange ausschließlich als Schriftsprache verstanden, die Norm gesetzt hat

Umgangssprache: stillose, gesprochene Alltagssprache

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HOCHSPRACHE

→ auch: Standardsprache, Gemeinsprache

→ geographische Varietät der höchsten Stufe (verbindlich für das ganze


deutsche Sprachgebiet, d.h. sie hat überregionale Geltung und damit die
größte Verbreitung)

→ Gemeinsprache:
• Grundlage: die hochdeutsche Lautung (+ zufällig: norddeutsche Aussprache)
• Züge mehrerer Dialekte
• Sprache der Öffentlichkeit
• nicht landschaftlich gebunden, d.h. überregional
• nicht natürliche Sprache (der Sprecher spricht nicht spontan, sondern wählt entsprechende
Sprachmittel bewusst und sorgfältig aus)
• kodifizierte Sprache (der sprachliche Wandel setzt sich langsam durch)

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NEUERE FORSCHUNG

Voneinander abgehobene, diskontinuierliche Sprachschichten (Mundart –


Umgangssprache – Standardsprache) existieren nicht!

Eher: Durchdringung und Durchmischung von ideal eher als getrennt gedachten
Sprachschichten

Sprachvariantenraum – Raum, in dem alle möglichen Sprachformen nebeneinander,


übereinander und ineinander existieren

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WEITERE DIATOPISCHE VARIETÄTEN

→ Stadtsprachen

→ na onale Differenzierungen des Deutschen: das schweizerische, das


österreichische, das deutsche Deutsch (DACH-Länder: Länder, in denen Deutsch
den Status der Amts- bzw. Ko-Amtssprache hat)

→ das BRD- und das DDR-Deutsch

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KONTROLLFRAGEN

1. Was ist Dialekt? Besprechen Sie weitere Aspekte, die bei der Behandlung von
Dialekten von Relevanz sind!
2. Was ist Dialektologie, Dialektkarte, onomasiologische Karte? Was sind Isoglossen?
3. Was sind Wenkersätze?
4. Was gilt als das wichtigste Kriterium für Aussonderung der deutschen Dialekte?
5. Was ist Umgangssprache? Nennen Sie Merkmale der Umgangssprache!
6. In welchen Bereichen lassen sich Unterschiede zwischen der Umgangssprache
einerseits und der Hochsprache/der Mundart andererseits feststellen?
7. Wann ist die Umgangssprache entstanden?
8. Was ist Hochsprache? Was gilt als Basis für die Gemeinsprache?
9. Charakterisieren Sie Gemeinsprache!
10. Nennen Sie weitere diatopische Varietäten der deutschen Sprache!

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JUGENDSPRACHE UND SPRACHWANDEL (Neuland 2000: 120)
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→ GENDERLEKTE (Frauen-/Männersprache)

→ 60er Jahre – EMANZIPATIONSBEWEGUNG

→ 70er Jahre – FEMINISTISCHE LINGUISTIK (Robin Lakoff (1975): Language and


Women‘s Place)

→ Wichtige Vertreterinnen der feministischen Linguistik im deutschsprachigen Raum:


Senta Trömel-Plötz, Luise F. Pusch

→ Deborah Tannen (1990) > die Kommunikation zwischen den Geschlechtern ist mit
der interkulturellen Kommunikation zu vergleichen (das sog. Zwei-Kulturen-
Modell)

→ die Genderlinguistik als ein heftig umstrittenes Gebiet der Sprachwissenschaft

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GESCHLECHTSTYPISCHES SPRECHVERHALTEN

MÄNNERSPRACHE:

→ Gesellschaften = Männergesellschaften (jahrhundertelang) (Männer


bestimmten die Politik, den Handel, die Wissenschaft, die Kunst, auch die Entwicklung der Sprache)

→ die sich entwickelnde Sprache → (vor allem der Inhalt) eine stark auf
Männer bezogene Sprache

→ Information steht im Vordergrund, keine Emotionen und Gefühle

→ Kommunikation auf sachlicher Ebene (von Männern wird verlangt, dass ihre Sprache
direkt, kurz und knapp ist, und mit starken Ausdrücken artikuliert)

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Prof. Dr. Marta Woźnicka Soziolinguistik

→ Ausbau und Sicherung der Machtposition durch Sprache

→ statusorientierte Sprache (Gewinner-/Verlierer-Rollen)

→ Männer sind sprachlich: laut, dominant, aggressiv, einfacher,


emotionsloser, behauptender

→ Sie sprechen: hierarchisch orientiert, unterbrechen häufiger (vgl.


OPPERMANN/WEBER 1998)

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FRAUENSPRACHE:

→ sehr persönliche Sprache (zielt auf Bindung, menschliche Nähe, Akzeptanz des
Gesprächspartners)

→ persönliche Erlebnisse und Erfahrungen in Gesprächen (um die Fremdheit und die
Distanz zum Gesprächspartner zu überbrücken)

→ Verniedlichungen: das ist ja süß! (lassen ihre Sprache emotional und liebeswürdig
erscheinen; schwächen die Stärke der Aussage; werden verwendet, um andere nicht zu verletzen)

→ Unschärfemarkierer: irgendwie (, mit denen die Aussage in ihrer Gültigkeit eingeschränkt


wird)

→ Intensivierungsmittel: ehrlich (dienen der Betonung der Aussage)

→ weniger Vulgärausdrücke, Flüche, Zweideutigkeiten, Derbheiten, starke


Ausdrücke (Frauen sind eher bemüht, schön und höflich zu sprechen)

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Prof. Dr. Marta Woźnicka , Soziolinguistik

→ Übertreibungen: 1000 Gründe (um sich die Aufmerksamkeit der Gesprächspartner zu


sichern)

→ Frauen sprechen:

• unüberlegter
• offener
• mit Bestätigung anderer
• kommunikationsfördernder
• mit weniger Unterbrechung anderer
• mit mehr Fragen
• mit Rückfragen
• tendenziös unpräzise

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SEXSISMUS DER DEUTSCHEN SPRACHE

→ Verwendung maskuliner Wörter

→ Redewendungen und Ausdrücke, die auf dem männlichen Geschlecht


basieren: man, Otto Normalverbraucher, Vater Staat, ein Fachmann auf
seinem Gebiet

→ Lösungsvorschläge:

• Neutralisation
• das generische Femininum
• Beidbennenung

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NEUTRALISATION:

→ ein von Luise F. Pusch 1984 entworfener Lösungsansatz

→ beim Entfallen der Geschlechtsspezifikation gelten für beide Geschlechter


auch gleiche Chancen

→ die Sprecherin → die Sprecher (Frau)

„Die Sprecher, welche ihre langen Haare betont offen trug, wurde mit ihrer
Professor oft in der Cafeteria gesehen.“

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DAS GENERISCHE FEMININUM

→ ein von Luise F. Pusch 1990 entworfener, der Neutralisation


entgegengesetzter Lösungsansatz

→ Sprecher → Sprecherin (Frau und Mann)

„Der Sprecherin bei der Veranstaltung betonte, dass der Verwaltungsbeamtin


gute Arbeit geleistet hat.“

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BEIDBENENNUNG

→ ein von Senta Trömel-Plötz vorgeschlagener Lösungsansatz

→ Sprecher →
• die Sprecherin und der Sprecher
• mit Adjektiven weiblich/männlich

„Die Sprecherin und der Sprecher hielten einen famosen Vortrag.“


„Der weibliche und der männliche Sprecher hielten einen famosen Vortrag.“

→ aufwendig, aber bis heute gebraucht

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NEUERE VORSCHLÄGE FÜR GESCHLECHTERGERECHTE SPRACHE

• x, xier oder es anstelle von er, sie oder man

• Vermeidung von Wörtern, die das Geschlecht benennen: der Lehrer →


die Lehrperson, das Studenten(wohn)heim → das
Studierenden(wohn)heim

• das Gendersternchen bzw. der Unterstrich: Student*innen,


Student_innen usw.

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IST DIE DEUTSCHE SPRACHE WIRKLICH EINE SEXISTISCHE SPRACHE?

→ Analyse der Wörterbücher (Untersuchung der Geschlechterrollen in Bezug


auf Bedeutungsverwandtschaften, Syntagmen, Wortbildungen)

→ Bedeutungsverwandtschaften: fast zweimal so viele Begriffe für Mann als


für Frau

→ Syntagmen:

a. das Männliche:
• körperliche/charakterliche Stärke
• Mut
• Ansehen
• intellektuelle Begabung

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b. das Weibliche:
• das äußere Erscheinungsbild
• Charaktereigenschaften
• die soziale Rolle

→ Frauen – Objekt männlichen Handelns, vgl. Liebhaber vs. Geliebte

DIE DEUTSCHE SPRACHE IST EINE SEXISTISCHE SPRACHE!

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BRAUCHEN WIR EIN GENDERSTERNCHEN?

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BRAUCHEN WIR EIN GENDERSTERNCHEN?

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1. "Gdy nauka jest kobietą",


http://gdynaukajestkobieta.amu.edu.pl/o-projekcie/
2. Feminatywa w PL
3. www.tip-top.amu.edu.pl

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GENDERLEKTE – EIN MINI-QUIZ

1. Die feministische Linguistik geht zurück auf:

a. die 50-er Jahre des 20. Jahrhunderts


b. die 70-er Jahres des 19. Jahrhunderts
c. die 70-er Jahre des 20. Jahrhunderts

2. Welcher Satz ist falsch?

a. Als Vertreterinnen der feministischen Linguistik gelten u.a. Senta Trömel-


Plötz und Luise F. Pusch.
b. Typisch für die Männersprache ist, dass die Information im Vordergrund
steht und viele Emotionen und Gefühle zum Ausdruck gebracht werden.
c. Männer sind sprachlich lauter, dominanter und behauptender als Frauen.

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GENDERLEKTE – EIN MINI-QUIZ

3. Als NICHT charakteristisch für die Frauensprache gelten:

a. Verniedlichungen
b. Intensivierungspartikeln
c. Vulgärausdrücke

4. Welcher Satz ist RICHTIG?

a. Frauen vermeiden lexikalische Übertreibungen, weil sie sich dadurch die


Aufmerksamkeit ihrer Gesprächspartner sichern wollen.
b. Die Verwendung des Lexems der Sprecherin sowohl in Bezug auf Männer
als auch Frauen bezeichnet man als Neutralisation.
c. Die Frauensprache zeichnet sich durch eine größere Offenheit und
Unüberlegtheit als die Männersprache.
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GENDERLEKTE – EIN MINI-QUIZ

5. Die deutsche Sprache kann als sexistisch bezeichnet werden, weil

a. viele Untersuchungen gezeigt haben, dass Männer viel häufiger Dialekt


sprechen, als dies bei Frauen der Fall istweil das sprachliche Bild von
b. Frauen auf ihr äußeres Erscheinungsbild und soziale Rolle reduziert wird.
c. die Männersprache kurz und knapp ist und mit starken Ausdrücken
artikuliert wird.

6. Als Beispiel für die Neutralisation gilt

a. die Sprecher (Frau)


b. der Sprecherin (Frau und Mann)
c. der weibliche und männliche Sprecher

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Prof. Dr. Marta Woźnicka , Soziolinguistik

KONTROLLFRAGEN

1. Was sind „Genderlekte“? Womit beschäftigt sich die Genderlinguistik?


2. Charakterisieren Sie die Frauen-/Männersprache!
3. Besprechen Sie drei Lösungsvorschläge (die Neutralisation, das
generische Femininum, die Beidbenennung), die das Vorherrschen des
Maskulinen in der Sprache abzuschaffen versuchten!
4. Ist die deutsche Sprache eine sexistische Sprache? Wodurch kommt das
zum Ausdruck?

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WISSENSCHAFTSSPRACHE

1
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FUNKTIONALE CHARAKTERISTIK

HAUPTFUNKTION → KOMMUNIKATIONSMITTEL

1. bei der Verbreitung von Forschungsergebnissen

2. bei der Erklärung der gewonnenen Erkenntnisse

2
Prof. Dr. Marta Woźnicka Soziolinguistik

KOMMUNIKATIVE RAHMENBEDINGUNGEN DER


WISSENSCHAFTSKOMMUNIKATION

1. Kommunikationspartner → a. Fachleute, b. Fachleute und Studierende,


c. Fachleute und Laien

2. Regeln, Gesetzmäßigkeiten, Typologien, Klassifizierungen u.dgl.

3. Kommunikationskanal → vorwiegend schri lich

3
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GATTUNGSSPRACHEN

Riesel/Schendels (1975: 292):

1. die akademische Wissenschaftssprache

2. die populärwissenschaftliche Sprache

3. die didaktische Wissenschaftssprache (Hoffmann 2007: 23)

4
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TEXT- UND GESPRÄCHSSORTEN

• Dissertation
• Magisterarbeit
• Monographie
• Zeitschriftenaufsatz
• Rezension
• Vorlesung
• Seminarreferat und –gespräch u.dgl.

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1. theoretische Abstraktheit:
• Verwendung theoriegebundener Professionalismen
• Konstituierung terminologischer Wortfamilien
• Aufbau hierarchischer Begriffsstrukturen
• Verwendung von Akademismen
• Bildung von Derivaten mit Fremdsuffixen
• Verwendung von Mitteln des Verallgemeinerns
• Bildung agensloser Konstruk onen (→Deagentivierung)

2. strenge Systematik

3. die Vernetzung der Gedanken:


• Vor- und Rückverweisen
• Vorreiter zur Signalisierung des Übergangs zu einem neuen Gedanken

4. Übersichtlichkeit:
• Gliederungswörter
• Darstellung von Textteilen im Tabellen- und Spaltenmodus
• Hervorhebung von Textteilen durch Formatierungsattribute
• Strukturierung des Textes in Kapitel, Abschnitte und Absätze
• explizit gemachte Differenzierung zwischen Haupt- und Nebentexten

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5. Genauigkeit:
• Mittel der Redewiedergabe
• Vermeidung von Ausdrucksvariation im terminologischen Bereich
• Verwendung von Realienbezeichnungen

6. Konkretheit bzw. Anschaulichkeit:


• Anführen von Beispielen
• Aufnahme textergänzender Zeichen wie Abbildungen, Diagramme, Modelle,
Karten

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ZUR ABGRENZUNG VON WISSENSCHAFTSSPRACHE UND FACHSPRACHEN

WISSENSCHAFTSSPRACHE ≠ FACHSPRACHEN

1. die Wissenschaftssprache ist fachgebietsübergreifend (Es gibt keine


Wissenchaftssprache des Fachgebiets Chemie, Mathematik, Medizin, wohl aber die
Fachsprache der Chemie, der Mathematik, …)

2. die Fachsprachen sind kommunikationsbereichsübsergreifend


(Fachsprachen gehören auch zum sprachlichen Erscheinungsbild weiterer funktionaler
Varietäten, z.B. Behördensprache (z.B. Fachsprache des Rechtswesens) oder Pressesprache
(Wissenschaftsjournalismus))

3. bestimmte Fachsprachen können als Soziolekte aufgefasst werden

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KONTROLLFRAGEN

1. Besprechen Sie Hauptfunktionen der Wissenschaftssprache und


kommunikative Rahmenbedingungen der Wissenschaftskommunikation!
2. Nennen Sie Gattungssprachen der wissenschaftlichen Kommunikation
und einige Text- und Gesprächssorten der Wissenschaftssprache!
3. Nennen und besprechen Sie alle Stilprinzipien der Wissenschaftssprache!
Woran lassen sich diese Stilprinzipien erkennen?
4. Wie grenzt sich die Wissenschafts- von der Fachsprache nach Hoffmann
(2007) ab?

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1. Jugendsprache ist ein Soziolekt, Alterssprache nicht.

2. Jugendsprache stellt eine Gefahr für die deutsche Sprache dar.

1
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1.

→ JUGENDSPRACHE – mehr Soziolekt

→ ALTERSSPRACHE – mehr ‘Biolekt’ und weniger Soziolekt

→ GERONTOLEKT (=ALTERSSPRACHE; SENIORENSPRACHE) – geprägt durch


bestimmte Körperfunktionen bzw. deren Nachlassen

2
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2.

→ Bedeutet der Sprachwandel (beeinflusst durch die Jugendsprache) einen


Verlust von kultivierter Sprache oder Kulturverlust?

NEIN!!!

→ SPRACHE:

- ein Gebrauchsgegenstand, stets veränderbar und variabel


- kein autarkes Gebilde
- Sprache = permanenter Wandel und Veränderung

3
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DEFINITION DER JUGENDSPRACHE

JUGENDSPRACHE

→ ein Sammelbegriff für gruppenspezifische Sprechweisen im Jugendalter

→ein komplexes Gebiet des Sprachgebrauchs und keine kongruente Varietät der
Sprache

„Die Sprache der Jugend gibt es nicht!“ (Neuland 2000: 114)

4
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• Jugendsprache als internationales Phänomen

• Jugendsprache als historisches Phänomen

• Jugendsprache als Entwicklungsphänomen (Teil der Sozialisation)

• Jugendsprache als Gruppenphänomen („Der Sprachstil wird zum Symbol”


(Neuland 2000: 115))

• Jugendsprache als Medienphänomen

5
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MERKMALE DER JUGENDSPRACHE

• Wortverschiebungen

• Elativbildungen

• Wortaddition (Ad hoc-Bildungen)

• Neologismen (Wortneuschöpfungen)

• Anglizismen

• Fäkalismen und sexuelle Begriffe

• Kürzungen

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Mutter-Tochter-Dialog , ein Textbeispiel (Schlobinski 1993: 17)

Mama“, sagt sie, „easy, easy, ich hab jetzt keinen Bock auf
Aufräumen, wo der Planet wie irre sticht.“
Ich sage: „Was denn für einen Bock, was für einen Planet, wer
sticht denn? Kannst du deiner Mutter erklären, was das heißt?“
„Ja, mein Gott“, sagt sie, „du bist vielleicht schrill heute, immer
hast du die alten Kleber drauf. Ist das nicht vielleicht ein
schöner Sonnenschein und da soll ich noch in dem Zimmer
rumwurschteln, da hab ich kein Bock drauf und fertig.“
Ich sage: „Gut. Wenn dir das zu schönes Wetter ist, das
verstehe ich. Dann lässt du es und machst es heute Abend,
wenn es dunkel ist.“
„Nee“, sagt sie, „heute Abend drück ich ja mit Bobby in die
City.“
„Was machst du?“ sage ich, „In der Stadt rumstehen und
knutschen?“
„Aber drücken sagen die für ‘gehen’.“

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JUGENDWORT DES JAHRES

2008 Gammelfleischparty
2009 hartzen
2010 Niveaulimbo
2011 Swag
2012 YOLO Das Voting zum Jugendwort des Jahres 2021 unter:
2013 Babo
2014 Läuft bei dir https://www.langenscheidt.com/jugendwort-des-jahres
2015 Smombie
2016 fly sein

2017 I bims = ich bin es ( in der sog. Vong-Sprache → Internetphänomen, das teilweise in die deutsche
Jugendsprache einging → viele Anglizismen, Malapropismen, eine veränderte Grammatik und absichtlich
positionierte Rechtschreib- und Tippfehler aus)

2018 Ehrenmann/Ehrenfrau – eine Person, die etwas Besonderes für einen anderen tut!

2019 keine Wahl

2020 lost - verloren

8
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JUGENDWÖRTER
2008 Gammelfleischparty Party für Menschen über 30 Jahren, Ü30-Party

2009 hartzen Arbeitslos sein, „rumhängen“

Ständiges Absinken des Niveaus, aus dem Ruder laufende Partys


2010 Niveaulimbo
und sinnlose Gespräche unter Jugendlichen

2011] Swag Beneidenswerte, lässig-coole Ausstrahlung

Abkürzung von „you only live once“; 1. Aufforderung, eine Chance


2012 YOLO
zu nutzen, 2. Entschuldigung für falsches Verhalten

2013 Babo Boss, Anführer, Chef

Wenn jemand Erfolg oder Glück hat. „Du hast es drauf!“; cool,
2014 Läuft bei dir
krass; wird auch ironisch genutzt

Ein Kofferwort aus den Begriffen „Smartphone“ und „Zombie“.


Damit sind Menschen gemeint, die durch den ständigen Blick auf
2015 Smombie
ihr Smartphone so stark abgelenkt seien, dass sie ihre Umgebung
kaum noch wahrnehmen würden.

2016 fly sein Etwas oder jemand geht besonders ab 9


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STILBILDUNG, -VERBREITUNG UND –AUSLÖSCHUNG IN DER JUGENDSPRACHE

STILBILDUNG

→ Bricolage – Stil-Bastelei

→ Türkendeutsch (Kanakisch) → TRANSGRESSION

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A. Türkische Jugendliche, die fehlende Wörter oder grammatikalische


Schwächen umgehen:

• Integration türkischer Wörter ins Deutsche


• einfache Satzkonstruktionen
• Weglassungen
• Einheitsartikel: dem als Artikel für jeden Zweck

B. Jugendliche, bei denen eine „Sprachmischung“ durch Interaktion


stattfindet, Gründe:
• Zugehörigkeit zu multiethnischen Gruppen
• Prestige von manchen Migrantenjugendlichen
• Folge der Solidarität zu Menschen mit Migrationshintergrund

C. Türkendeutsch als Medienzitat → „ein gemeinsamer Erfahrungshorizont, eine


gemeinsam geteilte Medienkompetenz der Interaktionspartner“ (Androutsopoulos 2001:
330)

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Ein Textbeispiel zum Kanakischen (aus: Freidank 2001: 9)

Krass, Alder! War isch gestern Stadt, Alder,


weisstu. Mit Kumpeln. Alder, dem stand vor
Kaufhaus obern krasse Mottenbaik. Wollt isch
abrippen, Alder, abern kam dem Arschloch von
Fahrrade. Hab isch denn gesagt: „Alder, dem
Fahrrade is obern krassn, isch geb swei Hunnis,
Alder! […]

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STILVERBREITUNG

→ die Übernahme der Jugendsprache in die altersunabhängige Sprache –


selten! (Zimmermann 2005: 175)

→ Bedingungen zu einer S lverbreitung (nach Androutsopoulos 2005: 203):

• Akkommodation Erwachsener an Jugendliche


• Imitation massenmedialer Stereotype
• Mitnahme jugendsprachlicher Varianten ins Erwachsenenalter

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WAS wird am häufigsten übernommen?

• Bewertungen (cool, geil, ...)

• Gruß- und Abschiedswörter (Hi, Ciao, Hey, ...)

• Kategorisierungen (Macker, Gruftie)

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STILAUSLÖSCHUNG

→ wenn ein S l verbreitet wurde

→ wenn er für die Jugendlichen seinen Abgrenzungspoten al verliert

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JUGENDSPRACHE UND SPRACHWANDEL (Neuland 2000: 120)

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PHASEN DER JUGENDSPRACHE NACH ANDROUTSOPOULOS

1. Präadoleszenz (bis zum 11./12. Lebensjahr)

2. Adoleszenz (12. bis 19. Lebensjahr)

3. Postadoleszenz (bis zum 25. oder sogar 30. Lebensjahr)

von lateinisch adolescere - heranwachsen

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JUGENDSPRACHE - SOFATUTOR

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KONTROLLFRAGEN

1. Definieren Sie „Jugendsprache“!


2. Erklären Sie Jugendsprache als internationales, historisches Phänomen, als
Entwicklungs-, Gruppen- und Medienphänomen!
3. Besprechen Sie sprachliche (lexikalische) Merkmale der Jugendsprache!
4. Besprechen Sie die Spirale von Stilwandel der Jugendsprache und
Sprachwandel der Allgemeinsprache (nach Neuland)!
5. Was ist „Kanakisch“? Was sind Sprecher dieser Varietät? Was ist
„Transgression“?
6. Besprechen Sie Phasen der Jugendsprache (nach Androutsopoulos)!

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SPRACHE UND SOZIOLINGUISTIK

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WAS IST SPRACHE?

1. Wie würden Sie den Begriff Sprache definieren? Machen Sie Ihren eigenen
Definitionsvorschlag!
2. Geben Sie bitte einige Beispiele für unterschiedliche Sprachsysteme an!
3. Was drücken wir mittels unserer Sprache(n) aus? Wozu verwenden wir sie
(Funktionen)?

?
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SPRACHDEFINITIONEN

Funktionale Definitionen:
• das wichtigste Kommunikationsmittel
• Werkzeug des Denkens und Handelns

Mengentheoretische Definitionen:
• Menge von Gewohnheiten
• unendliche Menge von Sätzen endlicher Länge aus einer endlichen Menge von
Elementen

Pragmatische Definition:
• das wichtigste Mittel der Handlungssteuerung

Semiotische Definition:
• ein System von Zeichen (nach Ferdinand de Saussure)

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SPRACHLICHES ZEICHEN NACH FERDINAND DE SAUSSURE

Zeichen: Vorstellung (das Bezeichnete / die Bedeutung / signifikat) + Lautbild (das


Bezeichnende / die Form / signifikant)

Sprachliche Zeichen sind: binär (zweiseitig, bilateral), arbiträr und konventionell,


linear, asymmetrisch, gegliedert

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NATÜRLICHE vs. KÜNSTLICHE SPRACHEN

NATÜRLICHE SPRACHEN → entstanden aus einer historischen Entwicklung, z. B.: Deutsch,


Polnisch, Englisch, Spanisch, Gebärdensprache

KÜNSTLICHE SPRACHEN → künstlich, d.h. von einem Menschen oder einer Gruppe von
Menschen geschaffenes Sprachsystem, das unterschiedlichen Zwecken dienen kann:

Welthilfssprachen/Plansprachen, z.B.:
Solresol (basiert auf der musikalischen Tonspur)
Esperanto (auf der Basis der romanischen Sprachen)
Volapük (auf der Basis des Lateinischen, Deutschen, Französischen und Englischen)
Adamitik (auf der Basis des Ungarischen)
→ Zweck: interna onale Verständigung
formale Sprachen (z.B. Programmiersprachen wie HTML, Computersprachen) → Symbolsprache
für Computerprogramme
Geheimsprache → ein künstlich geschaffenes Sprachsystem u. a. zum Zwecke der Geheimhaltung
(im politischen Widerstand) oder als Ausdruck der Gruppenzugehörigkeit (z. B. Rotwelsch)

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SCHRIFTSPRACHEN vs. SCHRIFTLOSE SPRACHEN

Schriftsprachen
• mündlich (gesprochene Sprache) und schriftlich (geschriebene Sprache) realisiert
(ca. 1/3 aller Sprachen der Welt)
• sie verfügen oft über eine standardisierte Varietät (Standardsprache)

Schriftlose Sprachen
• ausschließlich mündlich realisiert (Sprache ohne geschriebene Sprachform)
• Sprecher → Analphabeten
• z. B. Tshangla (Bhutan)

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SPRACHWISSENSCHAFT

auch: Linguistik (engl. linguistics, frz. linguistique)

„eine wissenschaftliche Disziplin, deren Ziel es ist, Sprache und Sprechen unter allen
theoretisch und praktisch relevanten Aspekten zu beschreiben” (Bußmann 2008)

Sprache als Zeichensystem → Sprachwissenscha als Teilgebiet der Semiotik

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TEILDISZIPLINEN DER SPRACHWISSENSCHAFT

vergleichende Sprachwissenschaft

allgemeine/theoretische Sprachwissenschaft (SYSTEMLINGUISTIK)

angewandte Sprachwissenschaft (FUNKTIONSLINGUISTIK)

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TEILDISZIPLINEN DER SPRACHWISSENSCHAFT

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WAS IST SOZIOLINGUISTIK?

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1. Was ist Linguistik? Worauf weist sozio- hin?
2. Welche Eigenschaften bzw. Dimensionen der Sprache sind von Bedeutung für die
Soziolinguistik?

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SOZIOLINGUISTIK – BEGRIFFS- UND GEGENSTANDSBESTIMMUNG

diverse Definitionen des Begriffs Soziolinguistik

[…] das Forschungsinteresse der Soziolinguistik als Teildisziplin der Sprachwissenschaft


gilt der linguistischen Variabilität in Sprachen, Textsorten und anderen Varianten,
soweit sie kollektiv und regulär auftritt.
Steger 1973: 245

[Soziolinguistik ist die] Wissenschaft von den gesellschaftlichen Bedingungen der


Sprache. Der Gegenstandsbereich [der Soziolinguistik] […] kann durch die Frage
umschrieben werden: Wer spricht was und wie mit wem in welcher Sprache und
unter welchen sozialen Umständen mit welchen Absichten und Konsequenzen.
Dittmar 1973: 389

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SOZIOLINGUISTIK – BEGRIFFS- UND GEGENSTANDSBESTIMMUNG

Drei Forschungsschwerpunkte der Soziolinguistik nach Bußmann (2008: 634f.) =


„mehrere Soziolinguistiken”

1. eine primär soziologisch orientierte Richtung (Wann zu welchem Zweck spricht


wer welche Sprache mit wem?)
2. eine primär linguistisch orientierte Beschreibung und Erklärung der Heterogenität
und Variabilität sprachlicher Systeme
3. eine ethnomethodologisch orientierte Beschreibung sprachlicher Interaktion zur
Erzeugung und Erklärung sozialer Wirklichkeiten

Das Gemeinsame zwischen allen diesen Ansätzen:

Sprache wird als ein Konglomerat verschiedener Subsysteme und


Äußerungsvarianten verstanden, die von innersprachlichen und
außersprachlichen Faktoren bestimmt sind.

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SOZIOLINGUISTIK – BEGRIFFS- UND GEGENSTANDSBESTIMMUNG

Einige wichtige Forschungsbereiche der (germanistischen) Soziolinguistik:

1. Funktionsvarianten (Funktiolekte): Alltagssprache, Literatursprache, Fach- und


Wissenschaftssprachen
2. Raumvarianten: Dialekte einschließlich der Standardvarianten
3. Gruppenvarianten: Soziolekte
4. Mediale Varianten: Mediolekte
5. Interaktionsvarianten: Texttypen, Stile
6. Probleme des Sprachkontaktes (Diglossie, Multilingualismus)
7. Sprachliche Differenzen und Defizite (Sprachbarriere, Dialekt als Sprachbarriere)
8. Das Handeln in sozialen Situationen

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DIE DEUTSCHE STANDARDSPRACHE:
ASPEKTE IHRER ENTSTEHUNG

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→ Die Standardsprache zeichnet sich durch eine große Polyvalenz aus

→ um 1800 → die deutsche Sprache (aufgrund der politischen Situation


Deutschlands – totale Zersplitterung) nur im Bereich der Schriftsprache
einheitlich; gesprochene Sprache - unterschiedliche Mundarten

→ Ende des 18. Jahrhunderts → die Standardsprache setzt sich allmählich


durch

→ mehrere „Entstehungstheorien“ der Standardsprache

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ANSÄTZE ZUR ENTSTEHUNG EINER ÜBERREGIONALEN SCHRIFTSPRACHE

→ Zersplitterung Deutschlands → die im Mittelalter verfassten Texte stark regional


begrenzt

→ Lösung, um überregional schriftlich miteinander zu kommunizieren

→ mittelalterliche Sprachformen mit überregionalen Aspekten:

• Sprache der Hanse → Verkehrssprache des Städtebundes von Norddeutschland und


Nordeuropa (das 14. und 15. Jhd.); basiert auf der Sprache Lübecks und seiner Umgebung
und enthält niederländische und westfälische Merkmale; um 1600 die Hanse von der nhd.
Schriftsprache abgelöst
• Prager Kanzleideutsch Karls IV. → das Prager Kanzleideutsch im 14. Jhd., in Kombination mit
humanistischen Tendenzen am Hof, → Basis der nhd. Schriftsprache nach Burdach
• Das Gemeine Deutsch → die ältere Forschung → eine überregionale Schreibsprache (Wien
bis Augsburg/Innsbruck bis Nürnberg) des 15. Jhd.; die neuere Forschung → eine stilistisch
schmucklose, einfache Stilform

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ERKLÄRUNGSMODELLE ZUR ENTSTEHUNG EINER EINHEITLICHEN SCHRIFTSPRACHE

1. Erklärungsmodell: „Theorie von der Kontinuität der deutschen Schriftsprache“:


→ entwickelt 1863 von Karl Müllenhoff
→ eine kon nuierliche Entwicklung vom 9. – 16. Jhd., gebunden an die kaiserlichen
Machtzentren (5 Etappen ):

• 1. Etappe: zurückführbar auf Karl den Großen; nach 800 entstand eine karlingische
Hofsprache; Basis → das Mainfränkische
• 2. Etappe: das Mittelhochdeutsch im 12. und 13. Jhd., aufgebaut auf der karlingischen
Hofsprache; Basis → im Südwesten
• 3. Etappe: das 14. Jhd.; Prag als Basis (es vermittelt zwischen Mittel- und Süddeutschland);
zwei Veränderungen → die mitteldt. Monophthongierung und die süddt. Diphthongierung
• 4. Etappe: das 15. Jhd. und 16. Jhd.; wechselseitiger Einfluss von Prag und dem
habsburgischen Wien
• 5. Etappe: Martin Luthers Bibelübersetzung auf der Grundlage der sächsischen Kanzlei

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2. Erklärungsmodell:

→ formuliert in den 80er Jahren des 19. Jhds. von Konrad Burdach

→ die deutsche Schri sprache → Neuschöpfung, unter einmaligen kulturellen


Umständen entstanden (das kaiserliche Prag um 1350, nämlich der
Frühhumanismus und die kaiserliche Kanzlei)

→ Schri sprache = Kultursprache

→ enge Kontakte zu den Humanisten in Italien → eine erhebliche Beeinflussung der


deutschen Schriftsprache bzw. Entstehung einer Basis für eine neue Schriftsprache

→ die nhd. Schri sprache → Schöpfung der Gebildeten

→ die Wiege der nhd. Schri sprache → in Prag am Hofe und in der Kanzlei Karls IV

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3. Erklärungsmodell:

→ formuliert von Theodor Frings

→ die Ursprünge der Entstehung einer einheitlichen Schri sprache im 11.–13. Jhd.,
zur Zeit der Kolonisierung von Obersachsen und Schlesien

→ Ausgleichssprache wurde entwickelt (für Sprecher aus Norden, Westen und Süden)

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ENTSTEHUNG EINER EINHEITLICHEN AUSSPRACHE

→ um 1800 → die deutsche Schriftsprache erlangte eine relativ einheitliche Form

→ Ende des 18. Jhds. → im Niederdeutschen orientierte man sich beim Sprechen am
geschriebenen Wort

→ das 19. Jhd. → auf den Bühnen Deutschlands eine relativ einheitliche Aussprache
(Mustersprache, Sprache der Schauspieler)

→ 1898 → Tagung bezüglich einer einheitlichen Aussprachenorm („Deutsche


Bühnensprache“) → die hochdeutschen Sprachformen ausgesprochen nach
norddeutschem Gebrauch; kein Zugang in den Alltag

→ 1912 → W. Vietor verfasste das „mustergültig gearbeitete Deutsche


Aussprachewörterbuch“; kein Zugang in den Alltag ← im Deutschunterricht nicht
behandelt

→ mit zunehmender Verbreitung von Rundfunk und Tonfilm → eine einheitliche


Aussprache im Alltag

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→ Einigung → in der hochdeutschen, d.h. in der oberdeutschen


und der mitteldeutschen Schriftlichkeit, die Niederdeutschen
übernehmen das Hochdeutsche vom 16. Jhd. an quasi als
„Fremdsprache“

→ Deutsch als überregionale Schri sprache → erst im 16.-18.


Jhd.

→ Deutsch mit überregionaler Aussprache → erst im 19. Jhd.

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ENTSTEHUNG DER STANDARDSPRACHE – EIN MINI-QUIZ

1. Die Sprache der Hanse war die Verkehrssprache des Städtebundes von
Norddeutschland und Nordeuropa hauptsächlich:

a. im 12. und 13. Jahrhundert


b. im 16. und 17. Jahrhundert
c. im 14. und 15. Jahrhundert

2. Laut Burdach ist ……… als Basis der neuhochdeutschen Schriftsprache anzusehen.

a. die Sprache der Hanse


b. Prager Kanzeleideutsch
c. Sächsisches Kanzeleideutsch

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ENTSTEHUNG DER STANDARDSPRACHE – EIN MINI-QUIZ

3. Um 1800 war die deutsche Sprache im Bereich ……….. durchaus einheitlich.

a. der Aussprache
b. der Dialekte
c. der Schrift

4. Laut Theodor Frings’ Modell gehen die Ursprünge der Entstehung einer
einheitlichen deutschen Sprache auf:

a. das 11.-13. Jahrhundert und die Zeit der Kolonisierung von Bayern und Thüringen.
b. das 11.-13. Jahrhundert und die Zeit der Kolonisierung von Oberschlesien.
c. das kaiserliche Prag um 1350.

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ENTSTEHUNG DER STANDARDSPRACHE – EIN MINI-QUIZ

5. Welche Behauptung ist falsch?

a. 1898 fand eine Tagung bezüglich einer einheitlichen Aussprachenorm statt, deren
Resultat „Deutsche Bühnenaussprache” war, die leider keinen Zugang in den Alltag
fand.
b. Über eine relativ einheitliche überregionale deutsche Aussprache kann man erst
im 18. Jahrhundert sprechen.
c. 1912 verfasste Wilhelm Viëtor das „mustergültig gearbeitete Deutsche
Aussprachewörterbuch“, das sich aber nicht durchsetzen konnte.

6. Die Verbreitung einer einheitlichen deutschen Aussprache war möglich mit

a. der Verbreitung von Rundfunk und Tonfilm


b. der Verbreitung von Internet
c. der Verbreitung von Printbüchern nach 1450.

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KONTROLLFRAGEN

1. Besprechen Sie mittelalterliche Sprachformen mit überregionalen Aspekten!

2. Besprechen Sie folgende Modelle zur Entstehung einer einheitlichen


Schriftsprache:

• das Modell von Müllenhoff


• das Modell von Burdach
• das Modell von Frings

3. Besprechen Sie den Prozess der Entstehung einer einheitlichen Aussprache!

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Mutter-Tochter-Dialog , ein Textbeispiel (Schlobinski 1993: 17)

Mama“, sagt sie, „easy, easy, ich hab jetzt keinen Bock auf Aufräumen, wo der
Planet wie irre sticht.“
Ich sage: „Was denn für einen Bock, was für einen Planet, wer sticht denn?
Kannst du deiner Mutter erklären, was das heißt?“
„Ja, mein Gott“, sagt sie, „du bist vielleicht schrill heute, immer hast du die
alten Kleber drauf. Ist das nicht vielleicht ein schöner Sonnenschein und da soll
ich noch in dem Zimmer rumwurschteln, da hab ich kein Bock drauf und
fertig.“
Ich sage: „Gut. Wenn dir das zu schönes Wetter ist, das verstehe ich. Dann
lässt du es und machst es heute Abend, wenn es dunkel ist.“
„Nee“, sagt sie, „heute Abend drück ich ja mit Bobby in die City.“
„Was machst du?“ sage ich, „In der Stadt rumstehen und knutschen?“
„Aber drücken sagen die für ‘gehen’.“

Ein Textbeispiel zum Kanakischen (aus: Freidank 2001: 9)

Krass, Alder! War isch gestern Stadt, Alder, weisstu. Mit Kumpeln. Alder, dem
stand vor Kaufhaus obern krasse Mottenbaik. Wollt isch abrippen, Alder, abern
kam dem Arschloch von Fahrrade. Hab isch denn gesagt: „Alder, dem Fahrrade
is obern krassn, isch geb swei Hunnis, Alder! […]
SOZIALE VARIETÄTEN

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Hammarström (1967)

Die Hauptfunktion soziolektaler Merkmale besteht darin, die betreffenden
Gruppen von Menschen gegeneinander abzugrenzen und gleichzeitig die
Mitglieder jeder einzelnen Gruppe fester zusammenzuknüpfen

SOZIOLEKTE ↓

→ GRUPPENSPRACHEN – berufsabhängig, z.B. Berufs-, Fach-, Wissenschafts-,


Schichten- und Ständesprachen, etc.

→ SONDERSPRACHEN – nicht berufsbedingt, z.B. Gerontolekt,


Sex(o)lekt/Genderlekt, Situolekt, etc.

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Abb. 1: SOZIOLEKTE (nach Löffler 1994)

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Abb. 2: VARIETÄTENSPEKTRUM (nach Löffler 1994)

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Bernsteins Grundgedanke (DEFIZITHYPOTHESE, KODE-THEORIE)



Die soziale Differenzierung führt zu unterschiedlichen sprachlichen Kodes

ELABORIERTER KODE → leistungsfähiger


RESTRINGIERTER KODE → weniger leistungsfähig

MITTELSCHICHT → elaborierter Kode + restringierter Kode


ARBEITERSCHICHT → restringierter Kode

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RESTRINGIERTER KODE ELABORIERTER KODE

Syntaktisch einfache Sätze (kurz, wenig Syntaktisch anspruchsvolle, gegliederte


gegliedert) Sätze
Eingeschränkter Wortschatz Ausgebildeter, differenzierter Wortschatz

Wenig Adjektive und Adverbien Differenzierte und große Auswahl an


Adjektiven
Kaum Junktion Starke Junktion

Keine Fachbegriffe Verwendung von Ober- und Fachbegriffen

Häufig undeutliche Sprache (oft dialektal) Klare, deutliche Sprache


(Standardsprache)
Oft falsche Grammatik Korrekte Grammatik

Wenig Textkohäsion Starke Textkohäsion

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Der restringierte Kode:


• Was guckst Du?
• Watt kuckse?
• Sach mich dat nochma!
• Ey, Alter, was geht?
• Voll konkret!

Der elaborierte Kode:


• Warum sehen Sie mich so sonderbar an?
• Würden Sie das eventuell vollinhaltlich zurücknehmen?

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Labovs Grundgedanke (DIFFERENZHYPOTHESE)



die sprachlichen Unterschiede seien nicht mehr als Mangel (Defizite),
sondern als Andersartigkeit zu betrachten

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KONTROLLFRAGEN

1. Was ist ‘Soziolekt’? Was sind Hauptfunktionen der soziolektalen


Merkmale?
2. Wie unterscheidet sich ‘Gruppensprache’ von der ‘Sondersprache’?
3. Erklären Sie Defizithypothese von Bernstein!
4. Erklären Sie Differenzhypothese von Labov!

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DEFINITION DER ALTERSSPRACHE

„Insgesamt lässt sich ein spezifischer Altersstil, also ein


durch den Faktor Alter eindeutig (…) bestimmtes
Sprachverhalten von alten Menschen ebenso schwer
ausmachen wie ein spezifischer Jugendstil oder
Jugendton.“ (Cherubim 2001: 99)

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SPRACHLICHE UND KOMMUNIKATIVE ALTERSMARKER NACH THIMM

• Phonetische Altersmarker

• Sprechrate

• Lexikalische Marker:

- Fossilisierungen
- keine Innovationen
- nachlassendes Wortgedächtnis
- Steigerungspartikel

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• Themenwahl

- ausgeprägter Selbstbezug
- Vergangenheitsorientierung
- Erwähnung des eigenen Alters oder Rede von verschiedenen Altersgruppen
- Phänomene wie Krankheiten, Schwächen, Tod
- Positive Bewertung des Erlebten
- Verdrängung des Negativen
- Schwelgen in Erinnerungen

• Gesprächsverhalten

- Erklärungen von Begriffen, die nicht häufig verwendet werden


- Wiederholungen von z.B. Vorredneräußerungen
- Ergänzen bzw. Vervollständigen von Vorredneräußerungen
- Höflichkeit, größere Distanz

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ENTSTEHUNGSURSACHE UND ZIELE DER ALTERSSPRACHE

→ dient nicht der Abgrenzung zu anderen Gruppen

→ entsteht durch Altersdefekte und durch das Bedürfnis nach sozialer Nähe

→ posi ves Gesprächsverhalten: „[Sie geben sich sehr viel Mühe], ihrem Gegenüber
nicht nur gut zuzuhören, sondern diesem auch Verständnis zu signalisieren“ (Sachweh 2001:
146)

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KONTROLLFRAGEN

1. Definieren Sie die „Alterssprache“!

2. Besprechen Sie sprachliche und kommunikative Altersmarker nach


Thimm!

3. Was ist die Entstehungsursache und das Ziel der Alterssprache?

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