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Institut 7: Gesang, Lied, Oratorium

„Ein Blick auf die Mezzosopran-Lieder von Nazife Güran“

Künstlerische Masterarbeit
Feride Büyükdenktaş

Matrikel-Nr.:01473279
Studium: Gesang

Betreuer: Ao.Univ.Prof. Mag.phil. Dr.phil. Harald Haslmayr

Graz, Mai 2018


Vorwort und Einleitung
Als ich noch mein Bachelor-Studium in Istanbul absolvierte, bin ich zum ersten Mal in
Kontakt mit Nazife Gürans Mezzosopran Lieder gekommen. Seit damals habe ich ein
besonderes Interesse an diesen Stücken. Gürans perfekte Schreibtechnik in Prosodie
ermöglicht der Sängerin, die Sprache auf sehr natürliche Art und Weise zu benutzen, fast so,
als ob sie diese sprechen würde. Als eine türkische Künstlerin bin ich von Herzen dankbar,
dass sie mir diese Freiheit gab, klassische Kunstlieder in meiner Muttersprache zu singen.
Meine Motivation für diese Arbeit ist die Liebe, die ich für ihre Musik und ihre künstlerische
Persönlichkeit verspüre.

Diese Arbeit umfasst die folgenden Themen:


• Einen Überblick über den Beginn der abendländischen Musik in der Türkei
• Nazife Gürans Leben
• Die Analysen der fünf Lieder aus dem Mezzosopran-Liederbuch

Mein Ziel mit dieser Arbeit ist es mehr Menschen über sie und ihre Musik zu informieren, da
sie, als eine türkische Komponistin, leider nicht sehr bekannt ist. Es existieren sehr wenige
Informationen über ihr Leben und ihre Werke, so dass es für jemanden schwer wäre, über sie
zu recherchieren. Um mehr über sie zu erfahren, hatte ich zum Glück die Chance, mit
Menschen zu sprechen, die Nazife Güran persönlich kennengelernt haben. Besonders dankbar
bin ich hierbei der Musikwissenschaftlerin Nejla Melike Atalay und meiner alten
Gesangslehrerin in Istanbul, Frau Professor Şebnem Ünal, die mir bei meiner Recherche sehr
geholfen haben.
Schließlich habe ich die Hoffnung, dass diese Arbeit für interessierte Menschen in Zukunft
von Nutzen sein könnte.
Abendländische Musik in der Türkei
Ab dem 18. Jahrhundert sieht man die ersten Einflüsse europäischer Kunstmusik in der
Türkei. Die west- und mitteleuropäische Art der Lebensführung begann alle Bereiche des
osmanischen Lebens zu beeinflussen. Töchter der osmanisch-bürgerlicher Familien erhielten
Klavierunterricht und damalige Istanbuler Zeitungen zeigten, dass der Markt für Klaviere
aufblühte. Die osmanische Dynastie, die in ihrer Tradition monophoner osmanischer
Kunstmusik gewesen war, gründete am Hof des Sultans eine Militärkapelle europäischen Stils
und schaffte im Rahmen der Heeresreform die Janitscharenkapelle ab. Bis Anfang des 20.
Jahrhunderts hatte sich die Militärkapelle des Sultans zu einem Sinfonieorchester gewandelt.
Die Meister der traditionell-osmanischen Kunstmusik am Hof des Sultans befürchteten durch
diese Konkurrenz einen Bedeutungsverlust ihrer eigenen Kunstpraxis. Dieser „Alaturka-
Alafranga“ Zwiespalt zwischen Monophonie und Polyphonie markiert eine Bruchlinie im
heutigen Musikleben der Türkei, der noch immer präsent ist.1

Oper
Im Osmanischen Reich hörte man auch Oper. Die Sultane interessierten sich besonders für die
italienische Oper und luden die Operntruppen aus Europa sowohl zum Palast und als auch zu
den Theatern in Istanbuls ein. Einige Opern Verdis wurden kurz nach ihrer italienischen
Premiere in Istanbul präsentiert, und erst danach in anderen europäischen Zentren wie Paris
oder Berlin.
Aber die Gründung der Oper in der Türkei begann zum ersten Mal mit Mustafa Kemal
Atatürk und nur nach seinem Tod vollendete. Nachdem er 1923 die Republik Türkei
gegründet hatte, führte er die gesellschaftliche Modernisierung, die schon in osmanischen
Zeiten begonnen hatte, mit seinen revolutionären Reformen in allen Bereichen fort. Die

1
Aydın,Yiğit: Bruchlinien : Nach den Zusammenstößen im türkischen Musikleben des 20. Jahrhunderts stehen
die heutigen Komponisten des Landes vor einer Vielzahl stilistischer Herausvorderungen, Neue Zeitschrift für
Musik,174(4),28-31
Für eine Zusammenfassung westlicher Musik in der Türkei siehe Greve,Martin: Die Musik der imaginären
Türkei, Stuttgart/Weimar 2003,S.304-318.
Für das letzte Jahrhundert des Osmanischen Reichs siehe Ortaylı,Ilber: Imparatorluğun En Uzun Yılı, Istanbul
2007
Über die Militärkapelle am osmanischen Hof und das Opernleben im Istanbul des 19. Jahrhunderts siehe
Say,Ahmet: The music makers in Turkey, Ankara, S.30-31
Gründung von Konservatorien und Universitäten, deren Professoren meistens aus dem
westlichen Ausland kamen2, die Entsendung von Künstlern für eine Ausbildung ins Ausland
sowie staatliche Förderung von Philharmonie- und Theaterinstitutionen ermöglichten den
Aufbau klassischen Musik und Oper in der Türkei. Mustafa Kemal Atatürk, mit seiner klaren
Voraussicht, hatte ein besonderes Interesse an der Oper. Schon 1913, als er noch ein
osmanischer Offizier war, besuchte er in seinen ersten Tagen die Oper während seiner
siebenmonatigen Stationierung in Sofia, Bulgarien. Nach der Vorstellung sagte er Şakir
Zümre, der damalige Stadtrat des bulgarischen Parlaments und ein guter Freund von Mustafa
Kemal; „Jetzt verstehe ich, warum sie die den Balkankrieg gewonnen haben.“3 Er sah und
dachte, dass die Oper als das Gesammtkunstwerk, mit der Wagners Aussage, der Anordnung
und Disziplin ist. Am 19. Juni 1934, als der Schah von Iran, Mohammed Reza Pahlavi, die
Türkei besuchte, ließ Staatspräsident Mustafa Kemal Atatürk die Oper „Özsoy“ aufführen.
Zweifellos hatten die Erinnerung aus Sofia einen Einfluss.4 In den 1930er Jahren erlebte
neben der westlichen Musik auch die klassische türkische Musik einen Höhepunkt. In den
weiten Gärten und Lokalen hörte das Publikum die Werke,mit großem Interesse.

Die „Türkischen Fünf“


Die „Türkischen Fünf“ ist die erste Komponistengeneration, deren Angehörige am Anfang
der 1900er Jahren geboren wurden. Sie gingen aus der Musikreform von Mustafa Kemal
Atatürk hervor, die unmittelbar nach der türkischen Republikgründung 1923 verwirklicht
wurde. Das Ziel der neuen Kulturpolitik war, eine Nationalkunst zu schaffen, die sich
international auswirken sollte. Im Rahmen dieser Disziplin wurden die fünf Komponisten,
Ahmed Adnan Saygun, Ulvi Cemal Erkin, Cemal Reşit Rey, Hasan Ferit Alnar und Necil

2
Viele Künstler und Akademiker, die Nazi-Deutschland verließen, wurden in Hochschulen und Universitäten
der Zeit gearbeitet. ( Z.B: Eduard Zuckmayer, Paul Hindemith) Ortaylı,Ilber: Gazi Mustafa Kemal Atatürk,
Istanbul 2018,326-330
3
Ortaylı,Ilber: Gazi Mustafa Kemal Atatürk, Istanbul 2018, S.93-101
4
„Özsoy“ oder „Fereydun“ ist erste türkische Oper in einem Akt von A.Adnan Saygun. Das Libretto stammt von
Münir Hayri Egeli und basiert auf die Geschichte der Zwillingsbrüder Tur und Iraj in drei Teilen. Das von
Atatürk [3] vorgeschlagene Thema bezieht sich auf das berühmte poetische Werk Shahnameh, das um 1000 n.
Chr. Vom persischen Dichter Ferdowsi verfasst wurde. Tur symbolisiert das türkische Volk, das in "Tūrān" lebt,
alle Länder nördlich und östlich des Oxus, während Iraj das im Iran lebende iranische Volk symbolisiert und
wurde am 19. Juni 1934 im Ankara, Theater Halk Evi uraufgeführt.

Ortaylı,Ilber: Gazi Mustafa Kemal Atatürk, Istanbul 2018,93-101,326-330.


Kazım Akses, mit Staatsstipendien an Orten wie Paris, München, Wien und Prag ausgebildet,
um traditionelle Kulturelemente mit den europäischen Methoden zu verbinden. Französische
Impressionisten und Postromantiker deutschsprachigen Raums sowie osteuropäischen
Komponisten wurden Vorbilder für viele unter ihnen. Aber als Teil ihrer Verantwortung
mussten sie ihre Schüler ihr Wissen beibringen.5 Das damalige musikalische Zentrum verlegte
Mustafa Kemal Atatürk nach Ankara und westliche Musiker wie Paul Hindemith, Joseph
Marx wurden zum Aufbau eines europäischen Musiksystems geholt. In diesem Sinne gehört
Nazife Güran, die erste türkische Komponistin, zur zweite Komponistengeneration und spielte
eine aktive Rolle mit den Musikern des klassischen Mimar Sinan Konservatorium, das einzige
ernsthafte Hochschule ihrer Zeit, im Kunstleben Istanbuls.

5
Eckle,Barbara „ Istanbul Hören, Einblicke in die Zeitgenössische Musikszene der türkischen Metropole“, Neue
Zeitschrift für Musik,174(4),19-23
Nazife Aral Gürans Leben

5.September 1921 ,Wien – 15.November 1993 , Istanbul


Selahaddin Nusret (Aral) ,war ein türkischer Diplomat und lernte Ayşe Aliye Aral, die
Tochter des damaligen türkischen Botschafters Hüseyin Hilmi Paşa, in Wien kennen.Die
beiden heirateten und Nazife Aral Güran wurde am 5.September 1921geboren. Hüseyin Hilmi
Paşa , der gesundheitliche Probleme hatte, arbeitete sieben Jahre in Wien und nach seinem
Tod kehrte die Familie in die Türkei zurück.
Zuerst wurde ihr Vater auf die Insel Lesbos berufen, welches die Heimat von Hüseyin Hilmi
Paşa war. Mit ihren eigenen Wörter „The clear blue color of the sea, the fresh green oft the
olive trees and the classical music that my mother Ayşe Aliye Aral played ,filled my soul“1Ihre
Mutter war ihre erste Klavier-Lehrerin und spielte eine wichtige Rolle bei der frühzeitigen
Klavierausbildung. Als nächstes zog die Familie nach Kaukasien, wo sie ihre musikalische
Grundausbildung bei Şuşik Abbas2 erhielt . „The sweet jingle of horses pulling sleighs in the
Caucasus, the operas I went to, and the nostalgia for my homeland, were now a part of my
soul, and had begun flowing from the piano keys. “3
Nachdem die Familie wieder nach Istanbul zurück gekehrt war, machte Nazife Güran ihre
Ausbildung am Gymnasium Işık, und nahm sowohl Klavier als auch
Kompositionsunterrichten bei Cemal Reşit Rey, ein Komponist, der zu den „Türkischen
Fünf“ gehörte und Professor für Klavier und Komposition am Konservatorium von Istanbul
war.

Berliner Jahre
1939 begann sie ihr Klavierstudium bei Prof. Rudolf Schmidt an der staatlichen
akademischen Hochschule für Musik in Berlin. Während einer Tournee spielte hierbei Prof
Schmidt ihre Kompositionen am Klavier, die in Prag aufgenommen wurden. Parallel dazu
lernte sie viel Wissen über das Komponieren sowohl von Prof. Paul Höffer , der mit seinen

1
Idil,Ece/Ülkü,Metin/Güran,Nazife : „Nurdan Bir Hale“, Kalan Müzik, 2006
„Die klare blaue Farbe des Meers ,die frische grün der Olivenbäume und die klassische Musik, die meine Mutter
spielte , füllte meine Seele.“
2
Ihre erste Werke wurde von Şuşik Abbas mit der Bitte ihrer Mutter transkribiert.
3
Idil,Ece/Ülkü,Metin/Güran,Nazife : „Nurdan Bir Hale“, Kalan Müzik, 2006

„Die liebliche Glockenklänge der Pferde , die in Kaukasien Schlitten zogen, die Opernvorstellungen , die ich sah
, und die Sehnsucht nach meiner Heimat begann zu fließen von der Taste der Klaviers.“
Kantaten und Oratorien berühmt war , als auch von anderen Professoren .Ihre ersten Konzerte
gab sie beim Berliner Rundfunk , mit der schriftlichen Anerkennung und Ermutigung des
Botschafters Hüsrev Gerede.4 Sie beurteilte ihre Berliner Jahre als äußerst wichtigen Schritt in
der Entwicklung ihrer Musik. Und sie sagte „The excitement, sadness, and waves of anxiety,
the death of our Atatürk and the Second World War created storms in my young soul, and
gave birth to new compositions.“5 1942, 6 Monate vor ihrer Diplomprüfung, musste die
Familie wegen des zweiten Weltkriegs Berlin verlassen und kehrte nach Ankara zurück, wo
die Komponistin drei Jahre lang ihr Studium für den Kontrapunkt, die Form und die
Orchestrierung bei Dr. Ernst Praetorius fortsetzte.
Von 1945 bis 1949 lebte sie in Alexandria. „Sometimes, on hot summer evenings, I would
wake up to the mournful voices oft the criers, sometimes to men serenading with mandolins or
guitars.In the mornings I would wake up to the sound of the adhan“6 Als Folge einer Reise
nach Kairo, zum Nil, in die Wüste, zu den Pyramiden und Sphinx erschienen Kompositionen
wie Sphinx Sonata, Mehlika Sultan Konzert Etüde usw. Als Güran wieder in Ankara zurück
war, arbeitete sie für die türkisch-amerikanische Frauenvereinigung , und gab als Gründerin
Konzerte , um den Verein zu fördern. Darüber hinaus komponierte sie ein Stück („Korea
Marsch“) für den koreanischen Krieg, dass heute noch in koreanisch-türkischen Hochzeiten
gespielt wird.

Diyarbakır Jahre
1952 heiratete sie den Kinderarzt Ismail Y. Güran und zog nach Diyarbakır, wo sie 1953
ihren Sohn, Ali Nusret, zur Welt brachte und sechs Jahre lang ihrem Mann bei seiner Arbeit
unterstützte.

4
Hüsrev Gerede (19.Mai 1884, Edirne;20.März 1962,Istanbul)war ein türkischer Militär, Politiker und Diplomat
und ein enger Vertrauter von Mustafa Kemal Atatürk.
5
Idil,Ece/Ülkü,Metin/Güran,Nazife : „Nurdan Bir Hale“, Kalan Müzik, 2006
„ Die Aufregung, Traurigkeit, und Wellen der Sorge, der Tod des unseren Atatürks und der Zweite Weltkrieg
erzeugten Gewitter in meiner jungen Seele ,und brachten neue Kompositionen zur Welt.“
Nämliche Werke : Atamın Hatırası ( Die Erinnerung des meinen Atatürks ) , Boğaziçi ( Der Bosporus ) ,
Karadeniz Konser Etütleri ( Etüde des Konzerts Schwarze Meeres ) ; ihre erste Lieder Akşam ( Abend ) , Çoban
( Schäfer ) , Şehit Çocuğuna Ninni ( Wiegenlied für das Kind des toten Soldaten ) usw.
6
Idil,Ece/Ülkü,Metin/Güran,Nazife : „Nurdan Bir Hale“, Kalan Müzik, 2006
„An manch heißen Sommerabenden hörte ich traurige, weinende Stimmen der Menschen oder die Serenaden,
die von den Mandolinen oder Gitarren begleitet wurden. Morgens wachte ich zum Klang des Gebetrufs auf.“
Sie gründete 1960 das Diyarbakır Philharmonie Orchester und einen Kinderchor, den sie
selbst leitete. Diese beiden Projekte wurden in der UNESCO Woche 1963 mit staatlichen
Preisen ausgezeichnet. Während dieser Woche hörte sie vom Tod John F. Kennedy und in der
selben Nacht komponierte sie die „Kennedy Nocturne“, welches sie bei ihrem nächsten
Konzert spielte. Diese Komposition befindet sich heute in der Auslage des Kennedy
Museums. Ihr Beitrag zum kulturellen Leben Diyarbakırs sowie ihre gemeinsamen
medizinischen Initiativen mit ihrem Ehemann waren sehr wichtige Impulse, sowohl für die
östliche Türkei ,als auch für das gesamte Land, da in den 1950er Jahren, ein wesentlich
größeres West-Ost-Gefälle bei der Entwicklung des Landes existierte als heute.7Danach
kehrte sie noch einmal nach Istanbul zurück und zog mit ihrer Familie darauf hin nach
Deutschland, wo sie 1969 an der Musikhochschule Köln die staatliche Musiklehrer Prüfung
bestand, sich immer mehr für das Gesang und die Lieder interessierte und im Rahmen des
Rundfunk Kölns Konzerte gab.

Späte Zeit in Istanbul


Zuletzt ließ sie sich in Istanbul nieder und fing am Çemberlitaş Mädchengymnasium als
Musiklehrerin zu arbeiten an. Neben ihren Konzerten veranstaltete sie 1986 in ihrer Wohnung
Arbeitsgespräche mit anderen Komponistinnen. Dabei diskutierten die Künstlerinnen neues
Musikverständnis, musikalische Probleme und eigene Stücke. Die Teilnehmerinnen waren
Dozentinnen des Staatlichen Konservatoriums der Mimar Sinan Universität.8 Sie partizipierte
an dem 50.Jahrestag der türkischen Republik mit ihren Werken, welche gedruckt und
veröffentlicht wurden. Am 15.November 1973 trat sie gemeinsam mit der Vereinigung der
türkisch-amerikanische Universitäten, dem österreichischen Kulturinstitut, dem türkisch-
amerikanischen Kulturinstitut, sowie dem türkisch-japanischen Freundschafts- und
Kulturverein zusammen auf und gab sowohl solo als auch begleiteten Konzerte. Ihr
Schaffenswerk unterteilte Güran in fünf Kategorien: Werke über nationale Themen, religiöse

7
Atalay, Nejla Melike:“Nazife Aral Güran“ in Lexikon, Musik und Gender, Kreuziger, Herr.Anette, /Unseld,
Melanie (Ed.) ,Metzler, Bärenreiter.
8
Atalay, Nejla Melike:“Nazife Aral Güran“ in Lexikon, Musik und Gender, Kreuziger, Herr.Anette, /Unseld,
Melanie (Ed.) ,Metzler, Bärenreiter.
Die Geigerin Gönül Gökdoğan, die Pianistin Judith Uluğ, die Sopranistin Yıldız Dağdelen
Werke, Klavierwerke, Lieder, Kinderlieder und musikalische Spiele9. Diese Fülle von
Kompositionstypen umfasste ihr ganzes Leben und spiegelt den Reichtum ihrer inneren
Haltung wider: die Liebe zur Menschheit, ihre Nähe zu allen Kulturen, ihre Leidenschaft für
Musik, und ihre Hingabe zu Mustafa Kemal Atatürk, ihrer Religion und ihrem Leben. Die
schönen, einfachen Tage des alten Istanbuls, die neuen, freien Stimmen der Republik, die
Brücke, gebaut am Klavier, über den Fluss der Zeit, den Eindruck von zwei Epochen, in die
Tiefe geöffnet, in den Aralsee hinein; ein Lichtstrahl, der vom Meer glitzerte, berührte ihr
Klavier. Und am 15. November 1993, während der Probezeit für die Uraufführung des
Orchesterstücks „Mehlika Sultan“, schloss Nazife Güran, selbst ein Lichtstrahl, ihre Augen
für immer.
„Kunst bedeutet für mich, dass Vergünstigungen, die von Gott gewährt wurden- Stimme, Text,
Bild, Bewegung des Menschen mit seinen Ideen und Gefühlen-,durch verschiedene
Vorgangsweisen in unterschiedlichsten Bereichen zum Ausdruck gebracht werden können.
Fragestellungen künstlerischer Art können individuell, gesellschaftlich, national oder
transnational behandelt werden“10

9
Atalay, Nejla Melike:“Nazife Aral Güran“ in Lexikon, Musik und Gender, Kreuziger, Herr.Anette, /Unseld,
Melanie (Ed.) ,Metzler, Bärenreiter.
Werke: Ausgaben: Atatürk Gençliğine Marşlar (Die Märsche für die Atatürk Jugend), Istanbul 1973.Piyano
Eşliğinde Mezzo-Soprano için Liedler (Klavierbegleitung für die Mezzo-Sopranlieder), Istanbul 1976.Akşam
(Abend),Lied für S. (1940). Mehlika Sultan, Ballade für St.und Kl.(1949), Istanbul 1981.Anıtkabir’e Doğru
(Richtung Anit Kabir), Marsch für Orch. (1953). Blätter aus der Geschichte für Kl. Solo, Nr.1: Sonnenaufgang in
Istanbul (1963),Nr.2: Türkische Reiter (1963),Nr.3: Dame mit Schleier (1964),Rimsting /Chiemsee 1989. Iftar
Sofrası (Ende einer Fastentagstafel) für 4St. Chor (1972). Konser Etüdleri: Dantel, Gölde Akisler ve
Boğaziçinde Gezi ( Konzertetüden: Spitzen, Widerspiegelungen im See und Spaziergang am Bosphorus) für Kl.
Solo (1979),Istanbul 1979.
10
Atalay, Nejla Melike:“Nazife Aral Güran“ in Lexikon, Musik und Gender, Kreuziger, Herr.Anette, /Unseld,
Melanie (Ed.) ,Metzler, Bärenreiter.
Merdiven und Ahmet Haşim
Ahmet Haşim wurde 1884 in Bagdad geboren und starb im Juni 1933 in Istanbul. Er war einer
der herausragendsten Schriftsteller und „Dichter der symbolischen Bewegung“ in der
türkischen Literatur. Als der Sohn einer prominenten Familie eignete sich Haşim Kenntnisse
der französischen Literatur an und seine Vorliebe für Poesie am Galatasaray Gymnasium in
Istanbul. Nach einem kurzen Jurastudium arbeitete er für die Tabakbehörde der Regierung.
Später diente er als offizieller Regierungsübersetzer. Nach dem Militärdienst im ersten
Weltkrieg arbeitete er für die osmanische Staatsschuldenverwaltung und bekleidete danach
verschiedene Lehrämter. In den Jahren 1924 und 1928 unternahm er Reisen nach Paris, wo er
führende französische Literaten traf. Haşims frühe Poesie wurde im klassischen osmanischen
Stil geschrieben, aber nach seinem Studium der Poesie von Charles Baudelaire und der
symbolistischen Poesie von Arthur Rimbaud, Stéphane Mallarmé und anderen veränderte sich
sein poetischer Stil. 1909 trat er in den literarischen Zirkel der „Fecr-i âti”
(“Morgendämmerung der Zukunft“) ein, entfernte sich aber allmählich von dieser Gruppe und
entwickelte seinen eigenen Stil. Nach dem Vorbild französischer Meister strebte Ahmet
Haşim die Entwicklung der türkischen symbolistischen Bewegung an. In einem Artikel für
die französische Publikation „Mercure de France“, aus dem Jahr 1924, erklärte er über die
türkische Literatur, dass Poesie die vermittelnde Sprache zwischen einfacher Rede und Musik
sei. Seine Werke scheinen zuweilen absichtlich unklar; dennoch schafft er Bilder und
Stimmungen von großer Schönheit und Sensibilität. Zu seinen berühmtesten
Gedichtsammlungen gehören „Göl Saatleri“ (1921; „Die Stunden des Sees“) und „Piyale“
(1926; „Der Weinbecher“).1 „Merdiven“ (Die Treppe) ist, als eines seiner berühmtesten
Gedichte, das Eröffnungsgedicht aus dem Buch „Piyale“.

Merdiven
Ağır ağır çıkacaksın bu merdivenlerden,
Eteklerinde güneş rengi bir yığın yaprak
Ve bir zaman bakacaksın semâya ağlayarak

Sular sarardı… yüzün perde perde solmakta,


Kızıl havaları seyret ki akşam olmakta…

1
Haşim,Ahmet: Britannica Academic
Eğilmiş arza, kanar, muttasıl kanar güller,
Durur alev gibi dallarda kanlı bülbüller,
Sular mı yandı, neden tunca benziyor mermer?

Bu bir lisân-ı hafidir ki ruha dolmakta,


Kızıl havaları seyret ki akşam olmakta…

Dieses Gedicht ist ein Bespiel für den sehr sparsamen Gebrauch von Wörtern in ihrer Form.
Deshalb ist die Bedeutung des Textes, mit ihrer pluralistischen Funktionalität, sowohl für die
Leser ihrer eigenen Sprache als auch für die Übersetzer ziemlich schwer zu verstehen. Die
Doppeldeutigkeit der Wörter in ihrer ursprünglichen Sprache wiederzugeben, ist die
Hauptschwierigkeit bei den Übersetzungen dieses Gedichtes. Aufgrund der Unterschiede in
der türkischen und deutschen Sprachstruktur wurde der Text so verarbeitet, dass die poetische
Bedeutung eingeschränkt ist, weil er keine ausreichende Äquivalenz bieten kann. Dieses
Gedicht wurde von Annemarie Schimmel ins Deutsche übersetzt und Nazife Güran
komponierte ihr Werk auch auf Deutsch mit der Übertragung einmal von Dieter Glade und
einmal mit eigener Übersetzung. 2

Die Treppe (Annemarie Schimmel)


Langsam, ganz langsam wirst du die Treppe hinaufgehn,
An deinem Saume sonnenfarbige Blätter…
Wirst eine Weile weinend zum Himmel hinaufsehn-

Gelblich die Wasser, bleicher wird dein Gesicht


Abend ist, Abend – schau in das rötliche Licht!

Rosen, wie sie verblutend zur Erde sich neigen,


Blutige Nachtigallen wie Flammen auf Zweigen…
Brennen die Wasser? Was ähnelt der Marmor der Bronze?

Eine verborgene Sprache im Herzen nun spricht –


Abend, ist Abend – schau in das rötliche Licht!3

2
N.Güran komponierte Merdiven 1943, kurz nach ihrer Rückkehr aus Berlin in die Türkei wegen des Krieges
3
Schimmel,Annemarie: “Türkische Gedichte vom 13. Jahrhundert bis in unsere Zeit”,1973,S.142
Ahmet Haşims „Merdiven“ (Die Treppe) symbolisiert das Leben eines Menschen und
beschreibt mit einer Abendszene den Tod. Nazife Güran verband diese Poesie mit der Musik
in so, dass es fast unmöglich ist, sie getrennt zu denken. Die Komponistin gibt keine Tonart
an, sondern schreibt alle Vorzeichen separat. Am Anfang ist die tonale Umgebung zunächst
unklar und lässt sich nicht konkret als Dur oder Moll klassifizieren. Dieser Stil erinnert an
eine Improvisation. Zusätzlich wechselt Güran das Metrum oft von 9/8 zu 6/8 und umgekehrt
und die Tessitur setzt sich in der Mittellage, von H bis G, mit einer statischen Lyrik-
Deklamation.

Merdiven beginnt „andante espressivo“ ( . :80) mit je einer viertel und achtel wiederholten
H-Note. Im nächsten Takt kommt eine neue Stimme mit demselben Rhythmus dazu, einen
Schritt höher. Dieser Rhythmus, mit abwechselnden Viertel- und Achtelnoten, führt durch das
ganze Lied wie ein Pulsschlag. Beide Stimmen bewegen sich fast ausschließlich schrittweise
fortan, immer mit diesem Puls-Rhythmus. Ab T. 3 kommen neue Stimmen mit liegenden
Tönen in der rechten Hand dazu, die sich schrittweise in den folgenden Takten „poco a poco
crescendo“ konstant erhöhen und letztendlich eine melodische Phrase mit steigendem
Quartsprung und absteigenden Terzsprung bilden. Über die 7 Takte des Vorspiels landen wir
fast unbemerkt in der tonalen Umgebung von e-moll.
Die Struktur der Begleitung beschreibt das Hinaufsteigen der Treppe, metaphorischerweise
das Leben, langsam und schwer, genau wie es in der Poesie zu hören ist: „Ağır ağır
çıkacaksın bu merdivenlerden“ (Langsam, ganz langsam wirst du die Treppe hinaufgehn).
Die auftaktige Gesangslinie beginnt „sostenuto“ und „piano“ im 8. Takt. Die erste Verszeile
wird bis Takt 26 intensiv dargestellt. Mit dem Wort „ağlayarak“ (weinend), das
„drammatico“ betont wird, erscheint ein neues „weinendes“ Motiv im Klavier zum ersten
Mal. Dieses kommt dann immer wieder vor. Mit „piu mosso“ im Takt 26 beginnt die
schrittweise Phrase jetzt mit Cis, die Dynamik steigert sich von „piano“ zu „mezzoforte“ und

das Tempo wird ebenfalls schneller ( .:100). Allmählich wird dieser Ton schrittweise

ausgefüllt bis der Eindruck von einer Harmonik in fis-moll (Takt 30) entsteht, die jedoch nur
für wenige Takte bleibt. Beim „sforzando“ (Takt 36) ist zwar der Ton Fis betont, es wird hier
jedoch als scharfe Dissonanz gegen das H (Pulsschlag- Motiv) im Bass empfunden. Mit dieser
zunehmenden Spannung spürt man die Angst der/die Protagonist/in vor dem Tod. Im Text
werden die ersten Signale der Abendszene angedeutet: „Sular sarardı“ (Gelblich die Wasser –
Reflexion der Abenddämmerung). Durch die Wiederholung der Passage „yüzün perde perde
solmakta“ (bleicher wird dein Gesicht), in „crescendo-decrescendo“ wird ein Gefühl der
Panik vermittelt. Der darauf folgende Vers ist der entscheidendste Höhepunkt des Gedichts:
„Kızıl havaları seyret ki, akşam olmakta..“ (Abend ist, Abend- schau in das rötliche Licht)4
Dieser Satz wird mit einem Oktavenintervalle-Sprung ein zweites Mal betont (Takte 37-40).
Obwohl die Lage für eine Mezzosopran-Stimme ziemlich hoch ist, wird die Stelle von der
Komponistin „con grazia“ und „meno mosso“ markiert. Meiner Meinung nach verstärkt
dieser dynamische Effekt die Intensität. In den Wiederholungen des „olmakta“ mit
diminuendo kommt die Musik mit einem kurzen ritardando ins Tempo I (T. 42) zurück, mit
einem vorläufigen tonalen Zentrum in A-Moll. Ab Takt 43 wird eine expressive
Abendbeschreibung vorbereitet. Die fünf Takte (T. 43-47) im Klavier sind wie eine leicht
komprimierte Version des ersten, siebentaktigen Klaviervorspiels, mit derselben Melodie in
der rechten Hand, die „poco a poco crescendo“ in Richtung D-Moll fortgesetzt wird. In den
folgenden vier Takten (T. 49-52) steigt das Tempo „poco a poco accelerando“. Das
Pulsschlag-Motiv wird fragmentiert und bewegt sich jeden Takt sprunghaft. Deswegen - und

durch „fortepiano“ Akzente - wirkt die Musik immer nervöser. Takt 52 (in tempo, .:100)
wirkt wie ein “negativer” Höhepunkt. Hier wird eine neue cantabile Melodie, fast wie ein
Anthem, die sich zwischen fis und dis wendet, “piano” eingeführt. Der Hauptmerkmal dieser
Melodie ist ein schrittweiser Auftakt (Viertel-Achtel), der mit einem Terzsprung hinunter zum
nächsten Takt führt. Ein “crescendo” in Takt 56 führt zum erneuten Einsatz des Gesangs im
Takt 57 mit dem Text, „Eğilmiş arza, kanar muttasıl, kanar güller“ (Rosen, wie sie verblutend
zur Erde sich neigen). Die Gesangsstimme mischt sich nahtlos mit der neuen Klaviermelodie.
Das Ritardando auf „güller“ (die Rosen) führt die Sängerin dazu, sich für die Deklamation des
Wortes besonders viel Zeit zu nehmen. Das Wort wird genau mit dem Terzsprung der neuen
Melodie betont. Ich nenne diese Melodie deswegen die “Rosenmelodie”.
Der dramatischste Teil des Werkes ist von Takt 71 bis 83. In T. 71 beginnt ein langes
Zwischenspiel im Klavier. Hier zum ersten Mal gibt es keinen durchgängigen Pulsschlag-
Rhythmus. Die linke Hand führt mit der Rosen-Melodie, begleitet in der rechten Hand bei
unruhigen, synkopiert-wiederholten Dreiklang-Akkorden. Neue Sechszehntel in der linken

4
Die deutsche Übersetzung ist hier nicht gut genug, um die genaue Bedeutung zu geben.
Kızıl havalar heißt hier das Abendrot und sagt; „Schau an diese Dämmerung, Abend ist hier.“
Akşam: Abend, Olmakta: Passieren (im dauernden Gegenwart -it is happening now- )
Hand drängen die Melodie vorwärts. Das Zwischenspiel beginnt “piano” und führt, “poco a
poco accelerando” und mit einem großen “crescendo” zum erneuten “forte” Einsatz des
Gesangs in Takt 78. Hier gibt es eine ganz starke Verbindung mit dem Text, da die Strophe
zum ersten Mal die Frage stellt: „Sular mı yandı? Neden tunca benziyor mermer„ (Brennen
die Wasser? Was ähnelt die Marmor der Bronze?). Das ist der Moment, indem sich der/die
Protagonist/in in großem Zögern verliert. Nach der ersten Frage kommt es zu einem Stillstand
der Musik und Zeit (Fermate im Takt 79). Ab T. 80 kommen die Stimme (nach einer kurzen
Pause) und das Klavier zusammen: die “Rosenmelodie” klingt im “unisono”. Fast unbemerkt
setzt sich das Pulsschlag-Motiv in der linken Hand wieder ein. Diese großartige dramatische
Szene, die „forte“ markiert ist, fährt mit der zweiten Frage wieder im legato fort und betont
ausdrücklich das Wort „mermer“ (Marmor). Alles, was danach kommen wird, im Sinne des
Lebens ist eine absolute Akzeptanz. Es ist jetzt Abend und eine Rückkehr ist nicht mehr
möglich. Vielleicht symbolisieren die Taktwechsel in T. 86 – 90 (zwischen 6/8 und 9/8) die
letzten emotionalen Gezeiten der Person. Elemente der “Rosenmelodie” kreisen in sich und
führen nicht weiter. Ab Takt 91 erlebt die Person „die verborgene Sprache“ in ihrer Seele als
hoffnungslos. Hier folgt eine Art musikalische Reprise, mit schrittweisen Bewegungen in der

Stimme und im Klavier. Das Tempo kehrt auf .:80 zurück. Obwohl im Takt 100 auf der

letzten Silbe des Wortes „olmakta“ (happening) ein starker „fortepiano“-Akzent wie ein
Schlag erscheint, versinkt die Dynamik zum „piano“ und „pianissimo“. Das Lied endet wie es
beginnt, aber mit dem Unterschied, dass diesmal die Treppen hinunterführen. Die letzten 8
Takte, ein “pianissimo” Nachspiel im Klavier, sind durch das chromatische “weinende”
Motiv geprägt. Das Lied endet jedoch ganz klar und ruhig in e-moll, als ob die Person sich
mit ihrem Schicksal abgefunden hat.
Gece Deniz / Das Meer am Abend
Nazife Güran widmete dieses Lied ihrer Mutter und erster Klavierlehrerin, A. Aliye Aral. Den
Text für das Lied schrieb sie selbst und komponierte diesen einmal auf Türkisch und einmal
auf Deutsch:20

Gece deniz Wie still das Meer


Ne kadar sessiz am Abend ist
Dalgalar bile uykuda… Sogar die Wellen schlafen so tief…

Gece deniz, Wie einsam das Meer


Ne kadar kimsesiz am Abend ist
Vapurlar bile uzakta… Und auch die Schiffe sind weit entfernt…

Ufukta… Am Horizont…
Pırıldar bir yıldız glitzert ein Stern
Sakin, mahsun ve yalnız. Ruhig, traurig und allein.

Die Komposition befindet sich Des-Dur, in ¾, im „andante sostenuto“ ( :69), dessen


Klavierbegleitung mit den beschreibenden Des-Dur Akkorden in Form von Arpeggio, in
Quintolen und Triolen, einen ruhigen („tranquillo“) Wellen-Effekt zeugt. Der Stil kann im
Publikum aufgrund seiner Fauré-Debussy-artigen Struktur an einer französischen Melodie
erinnern. Bei manchen Zuhörern könnte es zum Nachdenken über Massenets „Meditation“
führen.
Die Melodielinie der Stimme, die fluid und legato ist, liegt in der Mittel-Lage und beginnt im
3. Takt mit dem Auftakt auf der Tonika. Es wird in langen Tönen gesungen und sich ebenfalls
„wellenartig“ mit gelegentlichen Sprüngen von Quarten (Takt 4) und Terzen (Takte 6-7)
entwickeln. Der Charakter des Rhythmus deklamatiert den Text perfekt. Nazife Güran ist eine
der türkischen KomponistInnen, die immer auf die Prosodie beachtet hat. Deswegen fühlt es
sich ganz natürlich, ihre Lieder zu singen. Der auftaktige Eintritt des Gesangs steht hier in

20
Das Kompositionsdatum ist nicht bekannt, da keine Informationen in der Ausgabe des „Piano eşliğinde Mezzo-
Soprano için Liedler“ (Lieder für Mezzo Sopran mit Klavierbegleitung), Istanbul 1976, veröffentlicht wurde.
Aus unserem heutigen Wissen ist bekannt, dass die Komponistin, nachdem sie ihre Lieder komponiert hatte,
diese jahrelang immer wieder überarbeitet hat.
direktem Zusammenhang mit der Betonung des Wortes. Aber das lange Halten der
unbetonten Silben kann als eine Textfärbung betrachtet werden, um die ruhig-gewellte
Wasser-Beschreibung zu verdeutlichen. Dazu helfen auch die „crescendi-decrescendi“
Markierungen. (z.B. im Takt 5: „ne kadar sessiz“ /„wie still“ und ganz am Ende „uzakta“ /
„weit entfernt“). Die lange Phrase, die 10 Takte dauert, hat eine Ganzschluss-Kadenz (Takt 9,
auf der Tonika D-T). Die Harmonie des Zehn-Takte-Satzes ist einfach: T-SG-T-DD6 / 5-D-T.
Weiters enthält dieser einen Wiederholungsatz von Takt 11-18 und Teil A dieses dreiteiligen
Liedes endet im Takt 17, dessen Kadenz im Ganzschluss auf der Tonika ist (Oktavlage). Im
18. Takt beginnt eine harmonische Entwicklung in Form einer erweiterten Kadenz, die auch
wie eine Ausweichung wirken kann. Ab dem 19. Takt ist das Tempo beweglicher

(Più mosso :84). Teil B dauert 7 Takte (19-25). Die Melodie bewegt sich mit crescendo in
Sekundschritten aufwärts und im 21. Takt gibt es einen Höhepunkt auf dem Ton es, von dort
aus geht es zurück zum as. Takt 19 beginnt auf der Subdominante Ges-Dur, von der aus eine
chromatische Alteration der Bassnote (ges wird zu g) in Takt 20 einen Es-Septakkord (der
zunächst wie eine Doppeldominante zu Des-Dur wirkt) erzielt, der jedoch, statt sich nach as
aufzulösen, zu einem Septakkord auf F tonlich erweitert wird (sowohl die Bassnote als auch
die höchste Note rücken jeweils eine Sekunde auseinander). Diese Figur Ges-Dur - Es7 - F7
ist harmonisch sehr außergewöhnlich, da die harmonische Farbe durch die plötzliche
Einführung der Töne g und a sehr aufgehellt wird. Beide sind vom „üblichen“ Tonmaterial
von Des-Dur sehr weit entfernt. Diese harmonische Farbe bringt hier ein neues „Licht“ in die
Stelle, und verbindet auf diese Weise die Musik mit dem Text („ ufukta parıldar bir yıldız“-
am Horizont glitzert ein Stern). Diese Zwischendominante im Takt 21 löst sich in 22 zur
Tonikaparallele b-moll auf, die wiederum harmonisch sehr reizvoll über eine
Subdominantvariante in 23 (ges-moll) zu zwei Takten Dominantseptakkord As7 ab 24 führt,
der sich in 26 zur Tonika Des-Dur auflöst. Darauf folgend kommt es zu einer Wiederholung
des ersten Teils A (26-46). Er wird wörtlich bis Takt 40 wiederholt und endet mit dem lange-
gehaltenen Wort „uzakta“ („weit entfernt“), mit seiner ständigen „arpeggio“ Begleitung.
Yarını Bekleyen Köy
(Gedicht: Cavidan Tümerkan)21

Der Text des Liedes hat keine deutsche Übersetzung. Ich möchte zuerst das Gedicht mit
meiner eigenen Erklärung verdeutlichen.

Hakkari’nin doğusunda bir köy var


Gözle görülmez

Seslensen duyulmaz
Gitsen gidilmez.

Hakkari’nin doğusunda bir köy var


Günsüz güneşsiz

Yazları kış,
Kışları, hele kışları
Amansız.

Hakkari’nin doğusunda bir köy var.


…siz…sız.

„Yarını bekleyen köy“ bedeutet „Dorf, das auf morgen wartet.“ Dieses Dorf, das östlich von
Hakkari22 liegt, wartet auf das „Morgen“ aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen.

„Hakkari’nin doğusunda bir köy var


Gözle görülmez“
„Es gibt ein Dorf östlich von Hakkari
Unsichtbar.“

21
Fatma Cavidan Tümerkan: Geboren am 12. März 1922, in Istanbul. Türkische Dichterin und Literatur
Lehrerin.
22
Hakkari ist eine türkische Stadt im Südosten Anatoliens. Die Stadt liegt in einer bergigen Landschaft mit
weiteren 122 Dörfern.
„Seslensen duyulmaz
Gitsen gidilmez.“
„Unhörbar (duyulmaz), obwohl du rufen würdest
Nicht erreichbar (gidilmez), obwohl du dorthin gehen würdest“

„Hakkarı’nin doğusunda bir köy var


Günsüz,güneşsiz“
„Es gibt ein Dorf östlich von Hakkari,
das keinen Tag und keine Sonne hat.“

„Yazları kış
Kışları, hele kışları
Amansız.“
„Sein Sommer ist winterlich
sein Winter, besonders sein Winter ist
Gnadenlos.“

„Hakkari’nin doğusunda bir köy var


…siz…sız.“
„Es gibt ein Dorf östlich von Hakkari
„siz/sız“: Hier gibt es ein Wortspiel, das die letzten Silben der Wörter „güneşsiz“ und
„amansız“ betont, um die Bedeutung des „nicht habens“ zu verstärken. Da dieses Dorf aus
den Augen der Menschen sehr weit entfernt ist, wird es von ihnen nicht umsorgt.
Für die Türkei ist dieses politische Thema sehr typisch, da kleine Dörfer immer weniger
geachtet werden und immer weniger Unterstützung erhalten. Man kann hier bei dieser
Themenwahl der Komponistin ihre Sensibilität gegenüber ihrem Land beobachten.

Das Lied beginnt in 5/4, „andantino“ ( : 96) mit einem Vorspiel in Duolen, dessen Motiv in
Form von Arpeggio während des Liedes immer wiederholt wird. Man kann den Charakter
dieses Motives mit dem Dorf identifizieren. Obwohl die Komponistin das Stück in es-moll
verfasst hat, endet überraschenderweise das Lied im allerletzten Moment in b-moll, da sie
statt sechs Erniedrigungs-Vorzeichen fünf markiert hat. Der Erste von drei Teilen der
Komposition, Teil A, ist von Takt 1 bis 23. Nach einer zwei taktigen Einführung beginnt der
Gesang „piano“ im 3.Takt, fünften Stufe der Tonart. Die crescendi-decrescendi sowohl auf
den Satz „bir köy var“ (es gibt ein Dorf) als auch seine Klavierbegleitung sind bemerkbar. Die
Komponistin spielt mit der Melodie und Harmonie oft chromatisch und sie gibt ihr in dieser
Weise eine besondere Klang-Farbe, die sehr nervös klingt. Auch die fast-obsessiven
Wiederholungen der Wörter in diesem chromatischen Stil tragen zur dunklen Atmosphäre bei.
Ich finde diese plötzlichen chromatischen Änderungen schaffen eine Symbolik im Stil von
Fauré, da sie in Verbindung mit dem Text einen negativen Effekt erzeugen (z.B in den Stellen
wie „gidilmez“ oder „amansız“– T.8-9,15-16,28-29). Im 18. Takt wiederholt sich der erste
Teil mit kleinen Varianten. Es gibt eine zwei-taktige Modulation zum b-moll im 21.Takt

(A Tempo). Ab T.23 wird das Tempo „allegretto“ ( : 112), das Metrum 4/4, und die Tonart
wendet sich nach a-moll. Aber aufgrund der chromatischen Bewegungen kann man die
Harmonie auch als unklar beurteilen. Hier beginnt Teil B mit „agitato“ Triolen in der rechten
Hand, gefolgt von einem chromatischen sechzehntel-Motiv in der Linken. Das neue
chromatische Motiv steigert sich hier mit jedem Takt und springt auch ab T.28 auf die rechte
Hand über. Der Höhepunkt wird in diesem Abschnitt schließlich mit „sforzando“ Akzenten in
Takt 32 erreicht. In diesem Teil ändert sich die ganze Stimmung des Stücks und schafft eine
stürmische Szene, in der der wilde und gnadenlose Winter in diesem Dorf beschrieben wird.

Nach einer Viertelpause beginnt der Gesang den letzten Satz des B-Teils in „andante“ ( : 80).
Dieser Teil wird in einer Spur von moll im „piano“ und „tristamente“ gesungen, und klingt
fast wie ein Rezitativ (T 32-34). Ab Takt 35 kehrt die Musik zum A Teil nach es-moll zurück.
Der Text wiederholt sich mit der ersten Verszeile und das Lied endet „smorzando“ mit den
immer leiser gesungenen Silben „siz..sız“ pianopianissimo.

Hayalimdeki Bahçe / Garten meiner Träume

Text: Nazife Güran


Die Komponistin widmete dieses Stück ihrem Ehemann, Ismail Yılmaz Güran und
verfasste den Text des Liedes auf Türkisch. Die deutsche Übersetzung erfolgte von Dr. Dieter
Glade.23

23
Ich finde die Übertragung dieses Textes kompliziert. Aus diesem Grund bevorzuge ich meine eigene
Erklärung.
Sıra dağlar, karlı dağlar
Çetin dağlar, gümüş dağlar
Yol verin, geçit verin
Uzaklara gideyim.

Hayalimdeki bahçeye bir ulaşsam,


Yaseminler ve güllerle bir dolaşsam,
Akan sular, berrak sular
Ve şakrak bülbüller
Söylediğim şarkıları dinleseler…

Hain dağlar, gaddar dağlar,


Yaslı dağlar, sağır dağlar
Sisli dağlar…

Diyorlar ki:
„Ancak ölüm kavuşturur
Seni o huzur bahçesine“

Dieses Lied handelt von einem „Traumgarten“, dessen Weg durch die Berge versperrt ist. Im
Subtext wird es erklärt, dass man nur nach dem Tod dorthin gelangen kann. In diesem Sinne
kann dieser Garten ein Paradies symbolisieren.

A:
„Sıra dağlar, karlı dağlar, çetin dağlar, gümüş dağlar“: Die weiß beschneiten, harten,
silbernen Berge,
„Yol verin, geçit verin uzaklara gideyim.“: Lass mich durch, ich will weit weg gehen.

B:
„Hayalimdeki bahçeye bir ulaşsam“: Ich wünschte, ich könnte den Garten meiner Träume
einmal erreichen.
„Yaseminler ve güllerle bir dolaşsam“: Wandeln durch die Jasminen und Rosen,
„Akan sular, berrak sular ve şakrak bülbüller, söylediğim şarkıları dinleseler.“ Fließende,
klare Gewässer und die Nachtigallen könnten meine Lieder hören, die ich singen würde.
C:
„Hain dağlar, gaddar dağlar, sağır dağlar, sisli dağlar..“ Verräterberge, gnadenlose und taube
Berge, neblige Berge…

D:
„Diyorlar ki: „Ancak ölüm kavuşturur seni o huzur bahçesine.“: Sie sagen: nur der Tod wird
dich mit dem Garten des Friedens wiedervereinigen.

Dieses Lied hat ein 24-taktiges Vorspiel sowie fünf Teile (A-B-C-D-A). Dieses modal-
komponierte Stück klingt wie eine Volksmelodie und steht in h-moll.

VORSPIEL (T.1-24, ¾, „Moderato“)


Im Vorspiel hören wir das Hauptmotiv des Stücks. Es gibt einen Tonwechsel von T.16 zu
e-moll, jedoch kehrt ab T.17 die Harmonie in h-moll zurück und bewegt sich bis zum Eintritt
des Gesangs zwischen der Tonika sowie der VI. Stufe. Dieses Spiel (T-VI) erinnert mich an
Chopins „Trauermarch“ (Op.35, 3.Satz, Lento „Marche funèbre”). Interessanterweise geht es
im Hintergrund des Textes auch um das Todesthema, dass mich zum Nachdenken anregt.

TEIL A: „BERGTHEMA” (T.25-41, ¾, “Andante-moderato”)


Die erste Strophe des Gedichtes wird hier in Triolen und Halbenoten gesungen. Die Melodie,
die wir im Vorspiel in der rechten Hand hören, wird diesmal von dem Gesang in einer
eigenen rhythmischen Art interpretiert. Der Text beschreibt die „weiß beschneiten“ Berge und
die Absicht des Protagonisten wegzugehen. Die Komponistin verwendet 2-taktige Sequenzen,
um den Satz „yol verin, geçit verin“ (lass mich durch) zu betonen. Diese Sequenzen erhöhen
sich schrittweise 3 Mal „più mosso“ und „poco a poco crescendo“ (T.34-39) und erreichen
ihren Höhepunkt im T.41 mit einer Modulation zu gis-moll. Der Wunsch der Person für das
Weggehen ist auf diese Weise ganz stark „fortissimo“ betont.

TEIL B: „GARTENTHEMA“ (T.42-74, 2/4 – 5/4, „Allegro ma non troppo“)


Das Klavier beginnt eine neue „semplice“ Melodie im beweglichen Tempo. In diesem Teil
wird die zweite Strophe erzählt. Die Komponistin lässt uns hier oft Dur spüren, obwohl sie
den Abschnitt in moll komponiert hat. Dafür verwendet sie die relevanten Dur-Tonarten
(z.B. T.45-47 gis-moll – H-Dur). Vielleicht drückt Güran damit die Hoffnung der Person aus,
die nicht von ihrer „Realität“ sondern von ihrer Traumwelt spricht. Sie schildert, wie schön es
wäre dort zu sein. Ab T.48 wendet sich die Tonart zu cis-moll. Es gibt einen Echo-Effekt des
Gesangs in der Klavierbegleitung in Takt 51 (Nachtigal-Motiv) in einer Form einer hinunter-
gehenden harmonischen moll-Tonleiter und danach kehrt die Harmonie zu gis-moll (T.52-58)
zurück. Diese hinuntergehende Bewegung wiederholt sich in T. 54 in einer zerstörten
Variante und ändert sich mit einer chromatischen Modulation nach a-moll. Ich betrachte diese
Stelle als einen emotionalen Zusammenbruch, da nach diesem Teil alles dramatischer wird.
Wir spüren nur die ersten Signale dafür, was als Nächstes kommen wird. Von Takt 55 bis 59
wiederholt sich der Satz „Hayalimdeki bahçeye bir ulaşsam“ (Ich wünsche, ich könnte den
Garten meiner Träume einmal erreichen). In T.58 (4/4) bereitet sich die Phrase für eine
weitere Modulation zu c-moll vor. Ab T. 60 (5/4) beschreibt der Text ein letztes Mal die
Wünsche dieser Person, wie glücklich sie wäre, wenn sie diesen Ort erreichen könnte.
Deswegen hören wir wieder Dur-Illusionen während einer moll-Tonart
(cis moll- es-Dur T.61-62). Ab T.64 sind wir in f-moll und hören noch einmal das Echo für
die Nachtigallen im T.66. Die Bass-Note entwickelt sich abwärts in einem natürlichen c-moll
Tonleiter (T.69-74), um b-moll mit einem großen crescendo zu erreichen (T.74, „fortissimo“).
Der B Teil des Liedes endet hier.

TEIL C: „BERGTHEMA-LEGGIERO“ (T.75-99, Alla breve, „Allegro-moderato“)


Bei diesem Teil handelt es sich um die dritte Strophe des Gedichtes, die eine fragile
Atmosphäre schildert. Sein neuer rhythmischer Charakter führt wiederholte-Achtelnoten in
der rechten und Viertelnoten in der linken Hand ein. Im Pedal bleibt b immer als Bass-Note.
Im Takt 78 beginnt der Gesang mit dem Auftakt in „pianissimo“ sowie im f-Ton und erhöht
sich chromatisch mit jedem Wort (die subjektive Beschreibung der Berge) bis T.85. Bei der
Repetition der Phrase in T.89 wechselt die Tonart zu f-moll und betont alle Silben in „forte“.
In T.92 gibt es noch einen Tonwechsel zu Des-Dur, wobei sich zwei Takte später die
Harmonie auf D-Dur steigert. Die Stimmung des B-Teils beruhigt sich am Ende der Phrase
„pianissimo“ in T.96. Die Harmonie moduliert sich zu es-moll („sisli dağlar“ -neblige Berge)
und dieser Teil endet in Takt 97.

TEIL D: „TODESTHEMA“ (T.100-136, ¾, „Allegro- moderato“)


Teil D erzählt die letzte Strophe und beginnt „con anima“ mit einem romantisch-klingenden
es-moll Zwischenspiel. Es gibt harmonische „Unterbrechungen“, wie z.B. in der linken Hand
bei T.107 oder T.116. Warum gestaltet die Komponistin diese Effekte? Sind sie vielleicht die
Wahrnehmung der „Realität“ oder eine Erinnerung an den Tod? Ab Takt 109 wechselt die
Tonart zu fis-moll und die Gesangslinie “drammatico“ beginnt. In der Wiederholung der
Phrase ist die Intensität im Rahmen des Subtexts stärker, obwohl die Dynamik „piano“ und
„tranquillo“ gegeben ist („ancak ölüm kavustur seni o huzur bahçesine“- nur der Tod wird
dich mit dem Garten des Friedens wiedervereinigen,T.117) Bei dem Nachspiel dieses Teils
kehrt die Tonart von fis-moll zu h-moll (T.132) zurück und schließt den Teil in T.136 mit
einer Fermate auf der Viertelpause.

WIDERHOLUNG DES A-TEILS: (T.137-157,3/4, „Andante-moderato“)


Teil A wiederholt sich in diesem Abschnitt. Es entwickelt sich noch einmal eine Sequenz bei
der Stelle „yol verin geçit verin“ (lass mich durch, T.145-152) und das Stück endet mit dem
lang-gehaltenen Wort „gideyim“ (gitmek: das gehen) in „forte“.

Titreşim

Text: Deniz Banoğlu24

Bir şey var havada,


Aramızda ince ince ürperiyor.
Bir şey var,
Bir titreşim gel diyor
Kimden kime belli değil.
Hangimizden kanatlanıyor bu umut?
Bir şey var ki dile gelmez
Bir şey var,
Adeta somut.
Bir şey var havada,
Aramızda ince ince ürperiyor.

Titreşim bedeutet „Vibration“. Der Text erzählt folgendes:


„Es gibt etwas zwischen uns, es schwingt in der Luft.
Ein Funke ruft, es ist nicht klar von wem zu wem.
Eine Hoffnung spannt ihre Flügel aus, aber von wem?
Es gibt etwas, ungesagt aber spürbar…“

24
Türkische Journalistin und Schriftstellerin. (22.05.1940, Istanbul)
Dieses „Liebeslied“ befindet sich in gis-moll, in ¾ „Tempo di Valse“. Das 16-taktige Vorspiel
repräsentiert das Hauptthema des Stücks zweimal. Wir sehen hier eine Mischung aus
westlichen und östlichen Stilen, da die Komponistin die orientalischen Elemente mit dem
europäischen Valse-Tempo zusammenbringt. Dafür verwendet sie einen „phrygischer -
dominant-Modus“; der eigentlich dem türkischen „Hicaz Maqam“ sehr ähnlich ist
(z.B. T.6-7).
In Takt 17, mit dem Beginn des Gesangs widerholt sich das Hauptthema auch zweimal. Das
ist der A Teil. (T.17-32 – „Bir şey var havada, aramızda ince ince ürperiyor“ – es gibt etwas
zwischen uns, es schwingt in der Luft.)
Zwischen den Takten 33 und 48 verwendet Güran verminderte-Dominante (für Fis7), die der
Harmonie eine Farbe von H-Dur (T.34-43) und C-Dur (T.44-G7) geben. Danach kommt es
zwischen den Takten 47-48 zu einer Vorbereitung der Modulation nach d-moll. Die Sätze „bir
şey var- es gibt etwas“ und „bir titreşim- eine Vibration“ wiederholen sich in diesem Teil und
schaffen eine aufregende Stimmung. Ich beurteile diesen Abschnitt als B-Teil.
Im C-Teil (T.49-73) wendet sich die Harmonie mit der Phrase „ kimden kime belli değil – es
ist nicht klar von wem zu wem..“ nach d-moll und entwickelt sich bei der Repetition des
Wortes „hangimizden-von wem“ (T.56-59) wieder chromatisch. Schließlich wird nach dieser
chromatischen Stelle die Dominante von d-moll in T.60 erreicht. Auf das Wort
„kanatlanıyor“25 kommt eine „fliehende“ „Hicaz-Melodie“ sowohl im Gesang und als auch
im Klavier, als ob die Stimme und ihre Begleitung das Motiv voneinander kopieren (T.60-73).
Ab Takt 74 beginnt der D-Teil (T.74-95) und die Harmonie moduliert sich nach fis-moll. Der
Text erzählt von „etwas“, dass noch nicht gesagt, aber spürbar und fast konkret ist („Bir şey
var ki dile gelmez. Bir şeyt var adeta somut.“). Bei der Wiederholung des Satzes „bir şey var
adeta somut“ gibt es noch einmal eine schrittweise Entwicklung in der Melodie und
Harmonie. Dieser Teil endet auf das Wort „somut- konkret“.
Ab T.96 kehrt die Harmonie in gis-moll zurück und die Repetition des A-Teils beginnt mit
Varianten (T.96-118). Das Klavier begleitet bei den ersten Sätzen des Textes („Bir şey var
havada, aramızda ince ince ürperiyor“- es gibt etwas zwischen uns, es schwingt in der Luft.)
die Stimme tonlich wie ein diamentraler Spiegel. Die Phrasen des Gesangs hören bei T.111
auf, und das Lied endet mit einem 7-taktigen Nachspiel.

25
Kanatlanmak ist ein Verb und bedeutet die Flügel ausspannen (z.B. wie Vögel). Hier spannt die Hoffnung, als
Subjekt des Satzes, ihre Flügel aus, um zu fliehen.
NOTENBEISPIELE
Quellenverzeichnisse

Aydın,Yiğit: Bruchlinien : Nach den Zusammenstößen im türkischen Musikleben des


20. Jahrhunderts stehen die heutigen Komponisten des Landes vor einer Vielzahl
stilistischer Herausvorderungen, Neue Zeitschrift für Musik,174(4),28-31
Für eine Zusammenfassung westlicher Musik in der Türkei siehe Greve,Martin: Die
Musik der imaginären Türkei, Stuttgart/Weimar 2003,S.304-318.
Für das letzte Jahrhundert des Osmanischen Reichs siehe Ortaylı,Ilber:
Imparatorluğun En Uzun Yılı, Istanbul 2007
Über die Militärkapelle am osmanischen Hof und das Opernleben im Istanbul des 19.
Jahrhunderts siehe Say,Ahmet: The music makers in Turkey, Ankara, S.30-31
Ortaylı,Ilber: Gazi Mustafa Kemal Atatürk, Istanbul 2018,326-330, S.93-101, 93-
101,326-330.
Eckle,Barbara „ Istanbul Hören, Einblicke in die Zeitgenössische Musikszene der
türkischen Metropole“, Neue Zeitschrift für Musik,174(4),19-23
Britannica Academic (Ahmet Haşim)
Schimmel,Annemarie: “Türkische Gedichte vom 13. Jahrhundert bis in unsere
Zeit”,1973,S.142
Idil,Ece/Ülkü,Metin/Güran,Nazife : „Nurdan Bir Hale“, Kalan Müzik, 2006

Atalay, Nejla Melike:“Nazife Aral Güran“ in Lexikon, Musik und Gender, Kreuziger,
Herr.Anette, /Unseld, Melanie (Ed.) ,Metzler, Bärenreiter.

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