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Prof. Dr.

med Flockerzi
Experimentelle und klinische Pharmakologie und Toxikologie

Besonderheiten
der Pharmakotherapie
im höheren Lebensalter

Medizin des Alterns und


des alten Menschen
(Querschnittsbereich 7)

Klinische Pharmakologie/
Pharmakotherapie
(Querschnittsbereich 9)
Prof. Dr. med Flockerzi
Experimentelle und klinische Pharmakologie und Toxikologie

Besonderheiten
der Pharmakotherapie
im höheren Lebensalter

81 Jahre

63 Jahre

81 Jahre
Besonderheiten
der Pharmakotherapie
im höheren Lebensalter
1. Physiologische Veränderungen im Alter und deren Bedeutung für die Pharmakokinetik
und Pharmakodynamik von Medikamenten

2. Mit dem Alter nimmt die Zahl der Einzeldiagnosen zu, damit die Zahl der verordneten
Medikamente und damit die Zahl der unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAWs)

3. Polypharmakologie/Polypharmazie

4. Pharmakodynamische Besonderheiten: Unerwünschte Wirkungen auch ohne


Überdosierung

5. Referenzlisten zum Arzneimittelgebrauch in der Geriatrie

6. Wie geht man vor?

7. Was soll man beachten?


1 Physiologische Veränderungen im Alter und deren Bedeutung für die Pharmakokinetik
und Pharmakodynamik von Medikamenten
ab 45 geht’s bergab:
Abnahme der Leistungsparameter
von Niere, Lunge und Herz

Glomeruläre
Filtration
Verbeleibende Funktionen in %

Herz-
index

Vital-
kapazität

Alter (Jahre)
dazu können im höheren Alter
die vier „Is“ kommen:
 Intellektueller Abbau
 Instabilität
 Immobilität
 Inkontinenz
1 Physiologische Veränderungen im Alter und deren Bedeutung für die Pharmakokinetik
und Pharmakodynamik von Medikamenten
ab 45 geht’s bergab:
Niere
Abnahme der Leistungsparameter
von Niere, Lunge und Herz

Prozent sklerotischer Glomeruli


Glomeruläre
Filtration männl.
Verbeleibende Funktionen in %

Herz-
index

weibl.

Alter (Jahre)
Am J Kidney Dis (1999) 34: 884-888
Vital-
kapazität

Alter (Jahre)
dazu kommen im höheren Alter
die vier „Is“:
 Intellektueller Abbau
 Instabilität
 Immobilität
 Inkontinenz
1 Physiologische Veränderungen im Alter und deren Bedeutung für die Pharmakokinetik
und Pharmakodynamik von Medikamenten
... ohne dass sich Niere
diese Abnahme im
GFR nimmt ab ...
Wert des Serum-

Prozent sklerotischer Glomeruli


kreatinins
widerspiegelt:
Da die Muskelmasse männl.
im Alter abnimmt,
wird zwar weniger
Kreatinin gebildet,
dessen Konzentra- weibl.
tion wegen der
abnehmenden GFR
allerdings konstant
bleibt. Alter (Jahre)
Am J Kidney Dis (1999) 34: 884-888
1 Physiologische Veränderungen im Alter und deren Bedeutung für die Pharmakokinetik
und Pharmakodynamik von Medikamenten

Statt Kreatinin-Wert deshalb Abschätzung der alterskorrigierten Kreatinin-Clearance mit der


Cockroft-Gault-Formel:
(140-Alter) x Körpergewicht (kg) x 0,85 (Frauen)*
GFR (mg/dL) = Serum-Kreatinin (mg/dL) x 72

*(1 für Männer)


oder
MDRD-Formel*: GFR (mL/min/1,73 m2) = 186 x (SerumKrea)1,154 x (Alter)0,203 x 0,742

*Modification of Diet in Renal Disease (Levey AS, Greene T, Kusek JW, Beck GJ, MDRD Study Group: Simplified
equation to predict glomerular filtration rate from serum creatinine J Am Soc Nephrol 2000;11: A0828)
1 Physiologische Veränderungen im Alter und deren Bedeutung für die Pharmakokinetik
und Pharmakodynamik von Medikamenten
Arzneimittel, die direkt oder deren Metabolite über die Niere ausgeschieden werden

bei eingeschränkter Nierenfunktion (GFR*)


Morphin Dosisanpassung; bei GFR < 30 kontraindiz.
ACE-Hemmer Lisinopril, Enalapril
Aminoglykoside Gentamycin, Tobramycin
Antidiabetika Metformin
Antimykotika Fluconazol, Flucytosin
Virostatika Aciclovir, Gancyclovir und andere
Nucleosidanaloga
Betablocker Atenolol, Nadolol, Sotalol
Betalaktame Penicilline, Cephalosporine, Imipeneme
Digoxin
H2-Blocker
Lithium
Muskelrelaxanzien
Zytostatika Methotrexat, Carboplatin, Cisplatin
*GFR, Glomeruläre Filtrationsrate, normal: > 90 [ml/min/1,73 m2]
1 Physiologische Veränderungen im Alter und deren Bedeutung für die Pharmakokinetik
und Pharmakodynamik von Medikamenten
Arzneimittel, die direkt oder deren Metabolite über die Niere ausgeschieden werden

bei eingeschränkter Nierenfunktion (GFR*)


Morphin Dosisanpassung; bei GFR < 30 kontraindiz.
ACE-Hemmer Lisinopril, Enalapril
Aminoglykoside Gentamycin, Tobramycin
Antidiabetika Metformin
Antimykotika Fluconazol, Flucytosin
Virostatika Aciclovir, Gancyclovir und andere
Nucleosidanaloga
Betablocker Atenolol, Nadolol, Sotalol
Betalaktame Penicilline, Cephalosporine, Imipeneme
Digoxin
H2-Blocker
Lithium
Muskelrelaxanzien
Zytostatika Methotrexat, Carboplatin, Cisplatin
*GFR, Glomeruläre Filtrationsrate, normal: > 90 [ml/min/1,73 m2]
1 Physiologische Veränderungen im Alter und deren Bedeutung für die Pharmakokinetik
und Pharmakodynamik von Medikamenten
Arzneimittel, die direkt oder deren Metabolite über die Niere ausgeschieden werden

bei eingeschränkter Nierenfunktion (GFR*)


Morphin Dosisanpassung; bei GFR < 30 kontraindiz.
ACE-Hemmer Lisinopril, Enalapril Dosisanpassung ab GFR < 60
Aminoglykoside Gentamycin, Tobramycin Dosisanpassung ab GFR < 60
Antidiabetika Metformin Dosisanpassung; bei GFR < 30 kontraindiz.
Antimykotika Fluconazol, Flucytosin Dosisanpassung; bei GFR < 30 kontraindiz.
Virostatika Aciclovir, Gancyclovir und andere Dosisanpassung; bei GFR < 30 kontraindiz.
Nucleosidanaloga
Betablocker Atenolol, Nadolol, Sotalol Dosisanpassung; bei GFR < 30 kontraindiz.
Betalaktame Penicilline, Cephalosporine, Imipeneme Dosisanpassung
Digoxin Dosisanpassung
H2-Blocker
Lithium Dosisanpassung; bei GFR < 30 kontraindiz.
Muskelrelaxanzien Dosisanpassung
Zytostatika Methotrexat, Carboplatin, Cisplatin Dosisanpassung; bei GFR < 30 kontraindiz.
*GFR, Glomeruläre Filtrationsrate, normal: > 90 [ml/min/1,73 m2]
1 Physiologische Veränderungen im Alter und deren Bedeutung für die Pharmakokinetik
und Pharmakodynamik von Medikamenten
● Alter nimmt zu, Lebergewicht und Leberdurchblutung nehmen ab

Therapiewoche (1994) 44: 272-282


Br J Clin Pharmacol (1995) 40: 203-207
1 Physiologische Veränderungen im Alter und deren Bedeutung für die Pharmakokinetik
und Pharmakodynamik von Medikamenten
● Alter nimmt zu, Lebergewicht und Leberdurchblutung nehmen ab

Therapiewoche (1994) 44: 272-282


Br J Clin Pharmacol (1995) 40: 203-207

Br J Clin Pharmacol (1979) 7: 49-54


Kinetik von Propranolol
Plasmakonzentration-Zeit-
Kurve nach 40 mg p.o.
1 Physiologische Veränderungen im Alter und deren Bedeutung für die Pharmakokinetik
und Pharmakodynamik von Medikamenten
● Alter nimmt zu, Lebergewicht und Leberdurchblutung nehmen ab

Medikamente, die überwiegend in der Leber metabolisiert werden


Betablocker Metoprolol, Propranolol, Labetalol
Calciumkanalblocker Amlodipin, Diltiazem, Felodipin, Isradipin, Nicaripin.
Nifedipin, Nimodipin, Nitrendipin, Verapamil
Psychopharmaka Desipramin, Doxepin, Imipramin, Sulpirid
Sedativa / Hypnotika Clomethiazol, Midazolam, Triazolam
Opiate / Opiat-Antagonisten Morphin, Naltrexon
Sonstige Bromocriptin, Tizanidin

Arzneistoffe mit hohem „first pass metabolism“ Initial- und Erhaltungsdosis um ca 50% senken
Vorwiegend via Cytochrome abgebaute Arzneistoffe Erhaltungsdosis um 20 - 40% senken
Arzneistoffe, die konjugiert werden Kinetik bleibt unverändert
2 Mit dem Alter nimmt die Zahl der Einzeldiagnosen zu, damit die Zahl der verordneten
Medikamente und damit die Zahl der unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAWs)
2 Mit dem Alter nimmt die Zahl der Einzeldiagnosen zu, damit die Zahl der verordneten
Medikamente und damit die Zahl der unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAWs)

Zahl der
pro Tag
eingenommenen
Medikamente

Alter (Jahre)
2 Mit dem Alter nimmt die Zahl der Einzeldiagnosen zu, damit die Zahl der verordneten
Medikamente und damit die Zahl der unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAWs)

Multimorbidität im Alter
in jüngeren Jahren eher eine einzige Diagnose
bei den 65- bis 69-Jährigen ca 5-6 Diagnosen
bei den 80- bis 84-Jährigen ca 8-9 Diagnosen
2 Mit dem Alter nimmt die Zahl der Einzeldiagnosen zu, damit die Zahl der verordneten
Medikamente und damit die Zahl der unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAWs)

Multimorbidität im Alter
in jüngeren Jahren eher eine einzige Diagnose
bei den 65- bis 69-Jährigen ca 5-6 Diagnosen
bei den 80- bis 84-Jährigen ca 8-9 Diagnosen

[Data from Scottish National Health Service]


Barnett et al. (2012) Lancet 380, 37
Dumbreck et al. (2015) BMJ 350:h949
2 Mit dem Alter nimmt die Zahl der Einzeldiagnosen zu, damit die Zahl der verordneten
Medikamente und damit die Zahl der unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAWs)

Multimorbidität im Alter
in jüngeren Jahren eher eine einzige Diagnose
bei den 65- bis 69-Jährigen ca 5-6 Diagnosen
bei den 80- bis 84-Jährigen ca 8-9 Diagnosen
mit der Zahl der Diagnosen steigt die Zahl der Medikamente

[Data from Scottish National Health Service]


Barnett et al. (2012) Lancet 380, 37
Dumbreck et al. (2015) BMJ 350:h949
2 Mit dem Alter nimmt die Zahl der Einzeldiagnosen zu, damit die Zahl der verordneten
Medikamente und damit die Zahl der unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAWs)

Multimorbidität im Alter
in jüngeren Jahren eher eine einzige Diagnose
bei den 65- bis 69-Jährigen ca 5-6 Diagnosen
bei den 80- bis 84-Jährigen ca 8-9 Diagnosen
mit der Zahl der Diagnosen steigt die Zahl der Medikamente
mit der Zahl der Medikamente steigt die Zahl der unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAWs)

Zahl der Patienten mit UAWs [%]

Zahl der gleichzeitig verabreichten Medikamente


2 Mit dem Alter nimmt die Zahl der Einzeldiagnosen zu, damit die Zahl der verordneten
Medikamente und damit die Zahl der unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAWs)

Multimorbidität im Alter
in jüngeren Jahren eher eine einzige Diagnose
bei den 65- bis 69-Jährigen ca 5-6 Diagnosen
bei den 80- bis 84-Jährigen ca 8-9 Diagnosen
mit der Zahl der Diagnosen steigt … die Zahl der Medikamente
… die Zahl der unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAWs)
… die Hospitalisierungsdauer Zahl der Patienten mit UAWs [%]

Zahl der gleichzeitig verabreichten Medikamente

… die Mortalität
[%]

Zahl der gleichzeitig verabreichten Medikamente

Verspohl J, Interaktionen – Einführung mit Rezeptbeispielen aus der Praxis (2011) Zahl der gleichzeitig verabreichten Medikamente
3 Polypharmakologie/Polypharmazie: In Leitlinien etabliert

FANTA 4
3 Polypharmakologie/Polypharmazie: In Leitlinien etabliert

FANTA 4
3 Polypharmakologie/Polypharmazie: In Leitlinien etabliert

Senkung der Sterblichkeit bei allen Patienten

Herzinsuffizienz
(HFrEF)

ESC-Leitlinie Chronische Herzinsuffizienz - 2021


3 Polypharmakologie/Polypharmazie: In Leitlinien etabliert

Senkung der Sterblichkeit bei allen Patienten

Herzinsuffizienz
(HFrEF)

ESC-Leitlinie Chronische Herzinsuffizienz - 2021

ACE-I, ACE-Hemmer
ARNI, AT1-Blocker und Neprilysin Inhibitor

BB, β- Blocker

MRI, mineralocorticoid receptor antagonist

SGLTi2, sodiumglucose co-transporter 2 inhibitor


Definition der Herzinsuffizienz (HI) entsprechend der linksventrikulären Ejektionsfraktion (LVEF)
Abkürzung HFrEF HFmrEF HFpEF
Linker
Ventrikel

HI mit HI mit „mid-range“ Herzinsuffizienz mit


erniedrigter Ejektionsfraktion Ejektionsfraktion erhaltener Ejektionsfraktion
LVEF < 40 % 40 - 49 % ≥ 50 %
● Großes Herz Zwischenstadium ● Kleines Herz
● Exzentrisches Remodelling ● Konzentrisches Remodelling
● Problem der Ejektion: ● Problem der Füllung:
Ventrikel füllt sich mit Blut, kann die Wand des linken Ventrikels ist
aber nur weniger als 40% seines steif und oft dickwandig; infolge
Volumens vor dem erneuten dessen füllt sich der Ventrikel nur mit
Auffüllen auswerfen. einer kleinen Menge Blut. Selbst
wenn er sein gesamtes Volumen
auswirft, reicht dies nicht aus, um
den Bedarf des Körpers zu decken.
Häufigkeit ≈ 60% ≈ 24% ≈ 16%
Weitere ● Erhöhte Serumkonzentration der natriuretischen Peptide
Diagnose- (BNP >35 ng/L, NT.proBNP<125 ng/L)
kriterien ● und ein weiteres Zeichen: Linksventrikuläre Hypertrophie
oder linksatriale Dilatation bzw. diastolische Dysfunktion
Inhibitoren: The „FAB-Four“

Fluconazol
Amiodaron
Bactrim
FLAGYL (Metronidazol)
Inhibitoren: The „FAB-Four“

Fluconazol
Amiodaron
Bactrim
FLAGYL (Metronidazol)

Foto: Universal Music


Inhibitoren: The „FAB-Four“

Fluconazol
Amiodaron
Bactrim
FLAGYL (Metronidazol)
Inhibitoren der Inaktivierung erhöhen den Plasmaspiegel

Sulfoylharnstoffe: Glibenclamid
At1-Antagonisten: Candesartan, Irbesartan, Losartan, Valsartan
Statine: Fluvastatin, Rosuvastatin

Inhibitoren: The „FAB-Four“

Fluconazol CYP2C9
Amiodaron
Bactrim (Cotrimoxazol)
FLAGYL (Metronidazol)

Metabolite
3 Polypharmakologie/Polypharmazie: In Leitlinien etabliert

UAWs bei Leitlinien-gerechter Therapie kardiovaskulärer Erkrankungen

Hyperkaliämie Erhöhtes Blutungsrisiko

Bradykardie QT-Zeitverlängerung
3 Polypharmakologie/Polypharmazie: In Leitlinien etabliert

UAWs bei Leitlinien-gerechter Therapie kardiovaskulärer Erkrankungen

Hyperkaliämie Erhöhtes Blutungsrisiko

ACE-I / AT1-Ant. ↔ K+-sparende Diuretika TAH* ↔ Orale Antikoagulantien


ACE-I/ AT1-Ant. ↔ Aliskiren Amiodaron ↔Phenprocoumon
SSRI ↔ Orale Antikoagulantien

*Thrombozytenaggregationshemmer

Bradykardie QT-Zeitverlängerung

Betablocker ↔ Diltiazem/Verapamil
Betablocker ↔ Digitalis-Glykoside Antiarrhythmika ↔ andere QT-Zeit-
Betablocker ↔Amiodaron verlängernde
Metoprolol ↔ Paroxetin (SSRI) Arzneimittel
3 Polypharmakologie/Polypharmazie: In Leitlinien etabliert

Senkung der Sterblichkeit bei allen Patienten

Herzinsuffizienz
(HFrEF)

ESC-Leitlinie Chronische Herzinsuffizienz - 2021

Arterielle
Hypertonie

ESC-Leitlinie arterielle Hypertonie - 2018


3 Polypharmakologie/Polypharmazie
Arterielle Hypertonie Fortsetzung: QUARTET Studie

Primärer Endpunkt nach 12 Wochen:


Änderung des durchschnittlichen
unattended automatic office systolic blood
pressure in Woche 12

Irbesartan 150mg

Monotherapie
vs
Quadpill

Irbesartan Amlodipin
37.5 mg 1.25 mg

Indapamid Bisoprolol
0.625 mg 2.5 mg

Chow CK et al., Lancet 398 (2021)


3 Polypharmakologie/Polypharmazie
Arterielle Hypertonie Fortsetzung: QUARTET Studie

Irbesartan 150mg

Monotherapie
vs
Quadpill

Irbesartan Amlodipin
37.5 mg 1.25 mg

Indapamid Bisoprolol
0.625 mg 2.5 mg

Chow CK et al., Lancet 398 (2021)


3 Polypharmakologie/Polypharmazie
Optimizing drug treatment in elderly
Medikament 1 people: the prescribing cascade
UAW werden als
[Rochon & Gurwitz (1997) BMJ
Symptome einer neuen
315:1097]
Erkrankung interpretiert
Medikament 2
UAW werden als
Symptome einer neuen
Erkrankung interpretiert

Medikament 3

35
3 Polypharmakologie/Polypharmazie
Optimizing drug treatment in elderly
Medikament 1 people: the prescribing cascade
UAW werden als
[Rochon & Gurwitz (1997) BMJ
Symptome einer neuen
315:1097]
Erkrankung interpretiert
Medikament 2
UAW werden als
Symptome einer neuen
Erkrankung interpretiert

Medikament 3

Medikament 1 Symptom 1 Medikament 2 Symptom 2 Medikament 3


Antibiotikum Übelkeit Metoclopramid Parkinsonoid L-Dopa
Hydrochlorothiazid Hyperurikämie Allopurinol Exanthem Corticosteroidsalbe
Antihistaminikum
SSRI Agitiertheit Niedrig-potentes Parkinsonoid L-Dopa
Neuroleptikum
NSAID Blutdruckanstieg Zusätzliches Nach Absetzen des Sturz mit allen
Antihypertensivum NSAID fällt der Konsequenzen
Blutdruck
Amitryptilin Inkontinenz/ Oxybutynin plus Inkontinenz nimmt
Obstipation Laxans weiter zu
36
Amlodipin Knöchelödeme Diuretikum
4 Pharmakodynamische Besonderheiten: Unerwünschte Wirkungen auch ohne Überdosierung

Höhere Benzodiazepine Verstärkte oder verlängerte Sedierung,


Empfindlichkeit Antidepressiva Verwirrtheitszustände
Neuroleptika
Verminderte β-Blocker z.B. im Hinblick auf Blutdruck-senkende Wirkung
Empfindlichkeit
Verminderte Nitrate Es kommt zum orthostatischen Blutdruckabfall
Gegenregulations- Antidepressiva
mechanismen Neuroleptika
L-DOPA
Diuretika
Vasodilatantien
Paradoxe Reaktionen Coffein Arzneimittel zeigen das Gegenteil der erwarteten Effekte
4 Pharmakodynamische Besonderheiten: Unerwünschte Wirkungen auch ohne Überdosierung

Höhere Benzodiazepine Verstärkte oder verlängerte Sedierung,


Empfindlichkeit Antidepressiva Verwirrtheitszustände
Neuroleptika
Verminderte β-Blocker z.B. im Hinblick auf Blutdruck-senkende Wirkung
Empfindlichkeit
Verminderte Nitrate Es kommt zum orthostatischen Blutdruckabfall
Gegenregulations- Antidepressiva
mechanismen Neuroleptika
L-DOPA
Diuretika
Vasodilatantien
Paradoxe Reaktionen Coffein Arzneimittel zeigen das Gegenteil der erwarteten Effekte

aus Graefe, Lutz, Bönisch: Pharmakologie & Toxikologie, 2016


5 Referenzlisten zum Arzneimittelgebrauch in der Geriatrie

Zusammenstellung von und Hinweise auf unangemessene Arzneimittelverordnungen


wegen
● unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAWs)
● Ungünstiger Pharmakokinetik
● Zweifelhaften Nutzens
● Risikos der Abhängigkeit

Die Beers-Liste (Mark Beers, 1991) PRISCUS-Liste


Arch Intern Med (1991) 151: 1825-1832 Dtsch Ärztebl Int (2010) 107: 543-551
Arch Intern Med (1997) 157: 1531-1533 Dtsch Ärztebl Int 2023; 120: 3–10
Arch Intern Med (2003) 163: 2716-2724
J Am Geriatr Soc (2023) 71: 2052-2081
6 Wie geht man vor?

41
6 Wie geht man vor?

76-jähriger Patient
Medikationsplan
• KHK, Z.n. Myokardinfarkt1 Bisoprolol 5mg1 1-0-0
• Persistierendes Vorhofflimmern, Z.n. elektronischer Amiodaron 200 mg2 1-0-0
und pharmakologischer Kardioversion (Amiodaron)2 Apixaban 2.5 mg2 1-0-1
• Kardiovaskuläre Risikofaktoren: Zustand nach Torasemid 10 mg3 2-0-0
Nikotin-Abusus (30py), arterielle Hypertonie, Xipamid 10 mg3 1-0-0
Hyperlipidämie, Adipositas3 Kalium retard 1-1-1-1
• Diabetes Mellitus mit Nephropathie, Poly- Insulin lispro4 Plan
neuropathie, Mikro-/Makroangiopathie4
6 Wie geht man vor?

76-jähriger Patient
Medikationsplan
• KHK, Z.n. Myokardinfarkt1 Bisoprolol 5mg1 1-0-0
• Persistierendes Vorhofflimmern, Z.n. elektronischer Amiodaron 200 mg2 1-0-0
und pharmakologischer Kardioversion (Amiodaron)2 Apixaban 2.5 mg2 1-0-1
• Kardiovaskuläre Risikofaktoren: Zustand nach Torasemid 10 mg3 2-0-0
Nikotin-Abusus (30py), arterielle Hypertonie, Xipamid 10 mg3 1-0-0
Hyperlipidämie, Adipositas3 Kalium retard 1-1-1-1
• Diabetes Mellitus mit Nephropathie, Poly- Insulin lispro4 Plan
neuropathie, Mikro-/Makroangiopathie4
Prednisolon 5 mg5 1-0-0
• Rhematoide Arthritis5, Zustand n. Gastritis6 Pantoprazol 40 mg6 1-0-1
Metoclopramid 10 mg6 1-1-1
6 Wie geht man vor?

76-jähriger Patient
Medikationsplan
• KHK, Z.n. Myokardinfarkt1 Bisoprolol 5mg1 1-0-0
• Persistierendes Vorhofflimmern, Z.n. elektronischer Amiodaron 200 mg2 1-0-0
und pharmakologischer Kardioversion (Amiodaron)2 Apixaban 2.5 mg2 1-0-1
• Kardiovaskuläre Risikofaktoren: Zustand nach Torasemid 10 mg3 2-0-0
Nikotin-Abusus (30py), arterielle Hypertonie, Xipamid 10 mg3 1-0-0
Hyperlipidämie, Adipositas3 Kalium retard 1-1-1-1
• Diabetes Mellitus mit Nephropathie, Poly- Insulin lispro4 Plan
neuropathie, Mikro-/Makroangiopathie4
Prednisolon 5 mg5 1-0-0
• Rheumatoide Arthritis5, Zustand n. Gastritis6 Pantoprazol 40 mg6 1-0-1
• Depressive Störung7 Metoclopramid 10 mg6 1-1-1
Citalopram 20 mg7 1-0-0
Melperon 50 mg7 0-0-1-1
6 Wie geht man vor?

76-jähriger Patient
Medikationsplan
• KHK, Z.n. Myokardinfarkt1 Bisoprolol 5mg1 1-0-0
• Persistierendes Vorhofflimmern, Z.n. elektronischer Amiodaron 200 mg2 1-0-0
und pharmakologischer Kardioversion (Amiodaron)2 Apixaban 2.5 mg2 1-0-1
• Kardiovaskuläre Risikofaktoren: Zustand nach Torasemid 10 mg3 2-0-0
Nikotin-Abusus (30py), arterielle Hypertonie, Xipamid 10 mg3 1-0-0
Hyperlipidämie, Adipositas3 Kalium retard 1-1-1-1
• Diabetes Mellitus mit Nephropathie, Poly- Insulin lispro4 Plan
neuropathie, Mikro-/Makroangiopathie4
Prednisolon 5 mg5 1-0-0
• Rheumatoide Arthritis5, Zustand n. Gastritis6 Pantoprazol 40 mg6 1-0-1
• Depressive Störung7 Metoclopramid 10 mg6 1-1-1
Jetzt Citalopram 20 mg7 1-0-0
• Deckplattenkompressionsfraktur mit Lumboischialgie Melperon 50 mg7 0-0-1-1
• Akute Schmerzexazerbation8 Novaminsulfon 500 mg8 1-1-1-1
Hydromorphon 16 mg8 1-0-1
Gassner, Krankenhauspharmazie 38:513-5 (2017) Folsäure 5 mg 1-0-0
6 Wie geht man vor? Interaktionscheck: ABDA Datenbank, ADI

Interaktionspartner Interaktionspartner Relevanz Datenlage


Amiodaron Melperon hinreichend
Kontraindiziert
Citalopram Amiodaron schwach
Apixaban Amiodaron gut
Apixaban Citalopram hinreichend
Schwerwiegend
Melperon Citalopram schwach
Citalopram MCP schwach
Pantoprazol Xipamid hinreichend
Xipamid Prednisolon hinreichend
Torasemid Prednisolon hinreichend
Pantoprazol Torasemid hinreichend
Mittelschwer
Bisoprolol Amiodaron Schwach
Melperon MCP schwach
Citalopram Xipamid schwach
Citalopram Torasemid schwach

46
6 Wie geht man vor? Interaktionscheck: ABDA Datenbank, ADI

Interaktionspartner Interaktionspartner Relevanz Datenlage


Amiodaron Melperon hinreichend
Kontraindiziert
Citalopram Amiodaron schwach
Apixaban Amiodaron gut
Apixaban Citalopram hinreichend
Schwerwiegend*
Melperon Citalopram schwach
Citalopram MCP schwach

* die Interaktion kann potentiell lebensbedrohlich sein oder zu schwerwiegenden (evtl. irreversiblen)
Folgen für den Patienten führen

47
6 Wie geht man vor? Interaktionscheck: ABDA Datenbank, ADI

Interaktionspartner Interaktionspartner Relevanz Datenlage


Amiodaron Melperon hinreichend
Kontraindiziert
Citalopram Amiodaron schwach
Apixaban Amiodaron gut
Apixaban Citalopram hinreichend
Schwerwiegend*
Melperon Citalopram schwach
Citalopram MCP schwach

* die Interaktion kann potentiell lebensbedrohlich sein oder zu schwerwiegenden (evtl. irreversiblen)
Folgen für den Patienten führen

48
6 Wie geht man vor?

Unkritisches „Absetzen“ der Medikamente ist nicht die Lösung

Ziele ● die Qualität der medikamentösen Therapie verbessern/ optimieren


● Arzneimittelrisiken und Alternativen erkennen

Hilfestellung mit „Interaktionsprogrammen“


potenzielle von klinisch relevanten Interaktionen unterscheiden
je größer die Zahl irrelevanter Meldungen, desto ausgeprägter die
„Alarmmüdigkeit“

49
6 Wie geht man vor?

Immer als Ziel vor Augen haben:


● Arzneimittelrisiken erkennen und reduzieren, wobei unkritisches „Absetzen“ der
Medikamente nicht die Lösung ist. Vielmehr
● die Qualität der medikamentösen Therapie verbessern/ optimieren:
● Klare Diagnose
● Nicht-pharmakologische Möglichkeiten ausschöpfen
● Patient/Patientin und Angehörige informieren über Krankheit und Notwendigkeit der
Therapie

Kostenfreier „Interaktionscheck“ im Netz:


www.drugs.com/drug_interactions.php

www.fachinfo.de
7 Was soll man beachten?

− Einmal jährlich Medikationscheck: Alle Medikamente mitbringen lassen/


bei Hausbesuch Medikamentenschublade inspizieren
− Sind alle Medikamente noch indiziert?
− Gibt es Probleme mit der Verträglichkeit?
− Symptome aufgrund von Wechselwirkungen?
− Werden rezeptfreie Präparate (over-the-counter [OCT-) Präparate) regelmäßig „nebenher“
eingenommen?
− Einmal jährlich Nierenfunktion überprüfen
− Bei Gerinnungshemmern (NOAKs, Phenprocoumon) und Thrombozytenaggregationshemmern:
Blutungsprobleme?
− Neue Symptome: Neue Krankheit oder unerwünschte Wirkung verordneter Medikamente?
− Bei neuen Medikamenten: Vorsicht wegen bisher unbekannten unerwünschten Wirkungen!
− Nach Stürzen fragen, Stürze beachten
− Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten?
7 Was soll man beachten?

Bei der Umsetzung:


- Die 1 x täglich-Einnahme ist einfacher als 2 x oder 3 x täglich
- gegebenenfalls Kombinationspräparate bevorzugen, um die Zahl der einzunehmenden
Medikamente zu reduzieren
- Medikamentenlisten überprüfen
- Dosierhilfen
- Tropfen statt Tabletten
- Start low, go slow

- Bei jedem Termin die Fragen stellen:


- Wird das Medikament weiter benötigt?
- Versteht die Patientin/ der Patient die Therapie?
- Ist die Patientin/ der Patient in der Lage, die Therapie durchzuführen
Ein frohes Weihnachtsfest
und
nur Erfreuliches für 2024!

ende
Quellen

• Chow CK, Atkins ER, Hillis GS, et al.: Initial treatment with a single pill containing quadruple
combination of quarter dose of blood pressure medicines versus standard dose monotherapy in
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