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Holger Wolff
(E-Mail: holger.wolff@mwea.de)
ist Mitgründer der beck et al. Gruppe und verantwortet als Geschäftsführer bei MaibornWolff et al das
Segment IT-Consulting innerhalb der Gruppe. Er hat unter anderem als Interimsmanager das EAM der
Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) konzipiert und aufgebaut.

Das Management komplexer


Unternehmensarchitekturen:
Lösungsorientierung und Werte als
zentrale Erfolgsfaktoren
„Enterprise Architecture Management” (EAM) bringt Strategie und Informationstechnologie zusammen. Durch professionelles
Architekturmanagement kann die Informationstechnologie eines Unternehmens alle wichtigen Geschäftsprozesse effizient unter-
stützen – soweit die Theorie. In der Praxis bleiben viele EAM-Implementierungen weit hinter den hoch gesteckten Erwartungen
zurück – der Begriff der „EA Crisis” macht die Runde. Die realen Ursachen für die Probleme im EAM liegen häufig jenseits gängi-
ger Patentrezepte. Dieser Beitrag liefert einen praxiserprobten Bezugsrahmen und zeigt, wie sich mit einem stabilen
Wertefundament für die Mitarbeiter in Architektur- und Planungsabteilungen und einem konsequent lösungsorientierten
Vorgehen überraschende Erfolge erzielen lassen.

EAM: wichtiger denn je ment. Hieraus erwächst auch die Haupt- Verhandlungen mit den Banken speziali-
Wie kaum ein anderer Begriff prägt aufgabe für das Enterprise Architecture siert und die Mitarbeiter in seinem Bereich
„Agilität” seit Jahren die Diskussion zu Management (EAM) – die nahtlose sind in ihre jeweiligen Konten vertieft. In
Enterprice Architecture Management Verknüpfung sämtlicher Architekturen eines unzähligen Meetings und in wochenlanger
(EAM), Service Oriented Architecture (SOA) Unternehmens, um die Komplexität be- Arbeit synchronisieren sich die Mitarbeiter
und Business Process Management (BPM). herrschbar zu machen (siehe Abb. 2). der Buchhaltung schließlich und führen
Der Terminus wird zum Mantra all jener, die Versetzen wir uns für ein kurzes ihre einzelnen Konten zu einem stimmigen
versuchen, mehr Dynamik in das bisweilen Gedankenexperiment in die Finanz- Gesamtbild zusammen. Das erlaubt eine
so träge Verändern von Geschäftsabläufen zu abteilung eines internationalen Konzerns. Darstellung, aus der sich eine Ergebnis-
bringen. Die Überlebensfähigkeit von Unter- Der Finanzvorstand muss eine Gewinn- prognose ableiten lässt und in der die
nehmen wird mehr denn je durch die prognose für den Vorstand erarbeiten. Der Finanzströme sichtbar werden. Der
Anpassungsfähigkeit an sich ändernde Vorstand möchte die strategische Planung Finanzvorstand befürchtet mittlerweile,
Marktbedingungen bestimmt und viele des Konzerns mit der Finanzplanung syn- dass der Konzern hier nicht gut aufgestellt
Firmen unternehmen große Anstrengungen, chronisieren und für verschiedene Zu- ist. Aber leider interessieren sich seine
ihre noch immer monolithisch geprägten kunftsszenarien geeignete Finanzierungs- Mitarbeiter mehr für Details der Konten als
Anwendungslandschaften zu flexibilisieren. konzepte erarbeiten lassen. Mit diesem für die Steuerung der Finanzströme.
Mit BPM rollt aktuell die nächste Auftrag versehen, machen sich 200 Erscheint Ihnen das absurd? Zu Recht!
Innovationswelle auf die Unternehmen zu. Mitarbeiter aus der Buchhaltung auf den Niemand kann sich ernsthaft eine solche
Auch hier zählt Agilität zu den Hauptzielen Weg. Jeder von ihnen kennt einige wenige Situation für die Finanzabteilung vorstel-
und -treibern. In diesem Zusammenhang der mehreren tausend Konten des len – außer vielleicht in einer Parodie der
werden massive strukturelle Eingriffe in Konzerns, diese aber dafür sehr detailliert. Schwachstellen für das Businesstheater auf
bestehende IT-Landschaften nötig, um die Es gibt allerdings niemanden in der der Weihnachtsfeier. In der IT aber hat man
gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Das Finanzabteilung, der einen aggregierten sich vielfach mit solchen Zuständen abge-
Management komplexer Unternehmens- und umfassenden „High-Level-Blick” über funden. Häufig werden immer noch
architekturen wird so zum zentralen die gesamten Finanzströme des Konzerns Zustände akzeptiert, die in jedem anderen
Erfolgsfaktor im strategischen IT-Manage- besitzt. Der Finanzvorstand hat sich auf die Unternehmensbereich seit Jahren bzw.

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Abb. 1: Enterprise Architecture Management – Einordnung und Abgrenzung.

Jahrzehnten professionalisiert sind. Das Abteilungen, in denen niemand einen mationsflüsse. Vor allem aber wissen wir
Management komplexer Unternehmens- Gesamtüberblick über die Anwendungs- nicht, wie sich diese Informationsflüsse im
architekturen wird in der Praxis mehr und landschaft besitzt. Wir treffen in unserer Unternehmen verändern müssen, um einen
mehr zum zentralen Erfolgsfaktor im stra- Beratungstätigkeit immer noch auf große in der Strategie definierten Sollzustand
tegischen IT-Management, ohne dass die und sehr große Unternehmen, die ihre abzubilden. Partiell wissen wir das natür-
meisten EAM-Teams diesen hohen Anwendungslandschaft gar nicht kennen lich immer für bestimmte Anwendungen,
Anspruch wirklich umsetzen können. und die nicht wissen, welche Anwendungen Produkte oder Komponenten. Aber wir
Viele Unternehmen haben in den vergan- sie konkret betreiben und wie die verfügen in immer noch viel zu vielen
genen Jahren Teams oder Abteilungen für Abhängigkeiten zwischen diesen Anwen- Unternehmen über kein schlüssiges
EAM ins Leben gerufen und dort die dungen aussehen. Gesamtbild. Dieser Zustand wird seit
Verantwortung für das Management der In den meisten Unternehmen haben wir Längerem diskutiert: Gartner spricht in
Unternehmensarchitektur angesiedelt. noch immer nicht genügend aggregierte diesem Zusammenhang von der „EA
EAM stellt im Idealfall einen Prozess bereit, Informationen über die zentralen Infor- Crisis” und prominente Vertreter der EA-
der die Geschäftsstrategie eines Unterneh-
mens in eine Soll-IT-Architektur übersetzt
und damit die informationstechnischen
Grundlagen zur Umsetzung dieser Strategie
schafft. EAM ermittelt aus den Schlüssel-
anforderungen und den künftig benötigten
Geschäftsfähigkeiten zur Umsetzung der
geplanten Strategie die bestehenden
Abweichungen, die das Delta zwischen der
heute vorhandenen und der zu implemen-
tierenden Soll-Anwendungslandschaft dar-
stellen. In der Folge profitiert nicht nur die
IT selbst von erfolgreich betriebenem
EAM, sondern vor allem auch das Business
in seiner Gesamtheit (siehe Abb. 3).
In vielen Fällen bleibt jedoch die
Wirksamkeit der EAM-Teams hinter den
Erwartungen zurück. In den meisten
Unternehmen gibt es eine Menge begabter
Architekten und Analysten, die sich in eini-
gen wenigen Anwendungen hervorragend Abb. 2: Enterprise Architecture Management – die Verzahnung aller Architekturen
auskennen. Noch immer gibt es IT- eines Unternehmens.

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verlangsamen oder erschweren die


Projektdurchführung erheblich. Die
Projektverantwortlichen suchen sich
Schleichwege in der Organisation. Eine
aufkeimende Schatten-IT konterkariert
das ordnende Element einer EA-
Strategie. Häufig geht eine anfänglich
erreichte Transparenz über die Gesamt-
landschaft wieder verloren, weil die
Nachführ-Prozesse unterlaufen werden
und sich das EA-Repository nicht auf
dem aktuellen Stand befindet.

Die Summe aller Probleme in gewachsenen


Landschaften tendiert ab einer gewissen
Unternehmensgröße gegen unendlich. EA-
Teams laufen Gefahr, dieses Problemfeld zu
analysieren, zu kommentieren und letztlich
zu verwalten. Nicht selten verbrauchen sie
Abb. 3: Ein ganzheitliches EAM stiftet Mehrwert für das gesamte Business und nicht
dabei so viele Ressourcen, dass für die
nur für die IT.
eigentliche Problemlösung wenig Raum
bleibt. Wenn nicht mit einer kulturell tief
Szene (Enterprise Architecture), wie John Implementierungsvorhaben ergebende verankerten Kultur der Lösungsorien-
Wu, von der „EA Identity Crisis”. Wie Gesamtlandschaft wieder ungeordnet tierung konsequent gegengesteuert wird,
manifestiert sich jedoch diese EA-Krise? In und ungerichtet aus den Partikular- droht deshalb eine „Analysis Paralysis”.
der Praxis beobachten wir drei immer wie- Interessen der einzelnen Projekte ent- Trotz großer Anstrengungen bleiben also
der auftretende Zustände: wickelt. die sichtbaren Resultate der Enterprise-
■ Die Bürokratisierungs-, Perfektions- Architekten in vielen Fällen weit hinter den
■ Das „Big Picture” fehlt: EAM bleibt und Governance-Falle droht: Die hoch gesteckten Erwartungen zurück. Die
weit hinter den ursprünglich hoch Enterprise-Architekten sehen ihre wich- bisher angebotenen Lösungen für die skiz-
gesteckten Erwartungen zurück. Statt tigste Aufgabe in der Implementierung zierten Problemfelder zielen häufig auf
EAM im Wortsinn zu betreiben, wer- einer möglichst präzisen EA-Gover- Strategien und Prozesse, auf Templates und
den einzelne Systeme entwickelt, oder, nance, die kontinuierlich weiterentwi- Werkzeuge. Sie artikulieren Forderungen
wie John Wu es ausdrückt: „The value ckelt und ausgebaut wird. Damit bele- an die Architekten mit appellativem
of Enterprise Architects is to identify gen sie die Projekte nach und nach mit Charakter. Gartner etwa fordert: „Stop
the big picture of the enterprise and to immer höheren Zusatzaufwänden und doing technical architecture!” Die Gründe
provide the enterprise definition for the
subject area expert, so they can design
the IT architecture from the aspect of
enterprise consideration. Stove-pipe-
systems are created due to lack of the
big picture. The enterprise is large and
everyone only touches a part of the
enterprise” (vgl. [Wu06]).
■ Die Umsetzung der vereinbarten Soll-
Architektur scheitert: EAM liefert zwar
eine konsistente Soll-Architektur, schei-
tert aber in der Überführung der Ist-
Architektur in diese Soll-Architektur
(siehe Abb. 4). Das passiert insbeson-
dere dann, wenn die Akzeptanz der
Enterprise-Architekten im Unterneh-
men zu gering ist, als dass eine wirksa-
me Steuerung der vielen einzelnen
Architekturentscheidungen in den IT-
Projekten durchsetzbar wäre. Die Soll-
Architektur ist dann zwar als Ziel defi-
niert, sie wird aber letztlich nie wirklich
erreicht, weil sich die aus den einzelnen Abb. 4: EAM und PPM.

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für das Scheitern sind aber jenseits der gän- ■ basierend auf den Bildern einer erfolg- erkunden, was sich früher bereits als
gigen und oft zitierten Ursachen zu finden, reichen Zukunft, Chance zeigte – um auch das zu nutzen.
sie liegen im Verhalten der handelnden ■ Ziele mit dem Arbeitsumfeld abgleicht,
Personen begründet. Eine Verhaltensän- ■ sich permanent mit kleinen Fort- Ein Beispiel aus der Praxis
derung der in EA-Prozessen agierenden schritten den Zielen annähert, die klei- Ein konkretes Beispiel aus der Praxis illu-
Menschen erreichen wir aber nicht, indem nen Erfolge kontinuierlich überprüft striert die lösungsorientierte Herangehens-
wir Forderungen aufstellen, sondern indem ■ und dabei stets die Erfolgserlebnisse weise an Aufgabenstellungen im EAM.
wir ihnen ganz konkret den Weg zur einer analysiert, um die dahinter stehenden Ein Team aus Enterprise-Architekten
erfolgreichen Verhaltensänderung aufzei- Erfolgsstrategien und Kompetenzen auf eines internationalen Logistikunterneh-
gen und sie bei den dabei nötigen Schritten die nächsten Schritte zu übertragen. mens hat den Auftrag, für eine bestimmte
begleitend unterstützen. Das Konzept der fachliche Domäne im Unternehmen ein
lösungsorientierten Beratung bietet genau Um in komplexen Situationen und Syste- Zielbild, also einen zukünftigen Bebau-
das: ein einfaches und dennoch sehr wirk- men erfolgreich zu sein, ist es nicht immer ungsplan der Anwendungslandschaft zu
sames Instrument, mit dem mittels kleiner hilfreich, sie modellieren und verstehen zu entwickeln. Gemäß der mit den Fach-
Verhaltensänderungen schnell und effektiv wollen. Häufig ist es hilfreicher, unvorein- bereichen abgestimmten Vorgehensweise
große Veränderungen in der Performance genommen zu beobachten, was alles wie sollen dafür aus der Business-Strategie die
von EA-Teams erreicht werden können. gewünscht funktioniert, um in kleinen strategischen Handlungsfelder und die
Schritten mehr davon zu tun (vgl. [Kib09]). erfolgsrelevanten Geschäftsfähigkeiten
Lösungsorientierung geht davon aus, dass abgeleitet werden. In einer Gap-Analyse
Lösungsorientierung werden die strategischen Handlungsfelder
Das Konzept der lösungsfokussierten Inter- ■ positive Veränderungen in komplexen und die relevanten Geschäftstätigkeiten mit
vention (Solution Focussed Brief Therapy, Situationen auf Basis kleiner Schritte den Fähigkeiten der Systeme der heutigen
vgl. [DSh90]) wurde in den 80er Jahren geschehen, Anwendungslandschaft verglichen. Aus
von Steve de Shazer und Insoo Kim Berg an ■ für diese Schritte nur wenige Infor- dem Ergebnis werden dann die ersten
der University of Milwaukee entwickelt. mationen über das, was bisher schon Schlüsse auf die künftige Soll-Bebauung
Ursprünglich für die Familientherapie ent- etwas besser funktionierte, genügen, gezogen. In einem Kick-Off-Meeting mit
worfen, kombiniert es viele Einflüsse aus ■ bei Analysen nicht die Frage „wie ist es dem Fachbereich sichten die Architekten
dem radikalen Konstruktivismus mit der bzw. wie kam es dazu?”, sondern die die vorhandenen Unterlagen. Dabei bemer-
Kommunikationstheorie von Watzlawick Frage „was macht den Unterschied zwi- ken, sie, dass die Business-Strategie nur aus
und Arbeiten von Wittgenstein (vgl. schen besser/schlechter aus?” ins einigen unzusammenhängenden Folien
[Pit67]). Durch ein weltweit stark gewach- Zentrum rückt, besteht und keine wirklich verwertbaren
senes Interesse an lösungsorientierter ■ anstelle des „theoretisch umfassend Dokumente existieren. Zu allem Überfluss
Praxis in den 80er und 90er Jahren erfolg- Verstehen Wollens” das konkrete Han- sind auch die Kerngeschäftsprozesse des
te die Übertragung aus dem Therapie- deln in kleinen Schritten tritt. Bereichs nicht dokumentiert und nicht in
bereich in die Management- und Organisa- ARIS hinterlegt, obwohl hier eigentlich alle
tionsberatung, in die Supervision und in Die Regeln des lösungsorientierten Ansat- Prozesse erfasst sein müssten – von einer
das Coaching. In Deutschland haben insbe- zes sind (vgl. [Spa07]): Abbildung der Kernprozesse auf die
sondere Insa Sparrer und Prof. Matthias Module der Kernanwendungen ganz zu
Varga von Kibéd lösungsorientierte Kon- ■ Repariere nicht, was nicht kaputt ist! schweigen.
zepte für die Organisations- und Manage- ■ Finde heraus, was gut funktioniert und Die Architekten notieren akribisch alle
mentberatung entwickelt. In der Orga- passt -- und mache mehr davon! Defizite und fordern beim Leiter dieser
nisationsforschung hat sich insbesondere ■ Fokussiere Lösungen und nicht Prob- Sparte eine konkret ausformulierte Busi-
Stobbe (vgl. [Sto08]) intensiv mit den leme! Vertiefe nicht das Problem- ness-Strategie und eine Dokumentation der
Konzepten von Steve de Shazer befasst und verständnis, sondern erkunde, wie es Kerngeschäftsprozesse an, wie es im
diese in die Führungslehre von Malik inte- ist, wenn es besser ist! Strategieentwicklungsprozess vorgeschrie-
griert. ■ Setze auf Interaktion statt auf isolierte ben ist. Die Verantwortlichen im Business
Stark vereinfacht zusammengefasst, liegt Individualität! Unser Verhalten entwi- fühlen sich bevormundet, empfinden die
der Schwerpunkt der lösungsfokussierten ckelt sich in der Interaktion mit ande- etwas forsch vorgetragenen Anliegen als
Arbeit in den vorhandenen oder zu finden- ren. wenig hilfreich und finden, die IT über-
den Ressourcen und Fähigkeiten der Klien- ■ Beachte und nutze das, was da ist – schreite mit diesen Forderungen ihre
ten (Organisationen wie Personen) und nicht das Fehlende: Nicht die Lücke Befugnisse als Dienstleister. Die Reaktion
nicht auf ihren Problemen und Defiziten zwischen „Ist” und „Soll” ermitteln fällt entsprechend gereizt aus. Nach dem
(Lösungs- statt Problemfokus). Der lö- sondern das, was – wenn auch nur sel- Austausch einiger langsam eskalierender
sungsorientierte Ansatz nach De Shazer ten – heute bereits etwas besser ist. E-Mails landet die Angelegenheit schließ-
(vgl. [DSh02]) fokussiert also nicht, was ■ Sieh die Chancen im Gestern, Heute lich beim Gesamtvorstand, der sich schnell
Probleme verursacht, sondern wie und Morgen! Chancen in der Zukunft auf die Seite des Bereichsvorstands schlägt
Lösungen konstruiert werden. und im Heute zu überlegen, ist ein ver- und der Bewältigung der aktuellen Nach-
Ein lösungsorientiertes Management trauter Gedanke. Eher unüblich ist es, frageschwäche in Zeiten der Wirtschafts-
beschreibt eine Vorgehensweise, die auch im „Gestern” bewusst das zu krise absoluten Vorrang einräumt – vor der

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Dokumentation von Prozessen und Projektliste zu erstellen. Der Bereichsvor- management (in Projekten) und EAM (auf
Strategien. Die Architekten reagieren ent- stand zeigt sich beeindruckt und verpflich- Domänen- oder Unternehmensebene).
täuscht und beleidigt – mit fehlendem tet sich dazu, für eine weitere und präzisere Enterprise-Architekten ziehen ihre Repu-
Management-Support und so eklatant ver- Iteration des Bebauungsplans nun doch tation, ihre Designkompetenz und ihre
weigerter Unterstützung im Business sei einen Mitarbeiter abzustellen, der das Autorität gegenüber den Projekten nur aus
EAM in diesem Konzern ein aussichtsloses EAM-Team künftig unterstützen wird. regelmäßigen Einsätzen in relevanten
Unterfangen und werde nie die gewünsch- Inspiriert vom Erfolg dieser ersten Businessprojekten. Unterbleibt dieses
ten Ergebnisse liefern. Maßnahmen beschließen die Architekten, Wechselspiel, d. h. dieser Dialog mit den
Nach einem intensiven lösungsorientier- diesen Weg auch auf die anderen fachlichen Projekten, verkommt das Architektur-
ten Coaching des gesamten Teams erfolgt Domänen anzuwenden. Die Strategie wird management zu einer klassischen „Elfen-
ein Neuanfang. Die Architekten durchfors- zunächst aus den wenigen vorhandenen beinturm-Stabsabteilung”, die über wenig
ten dabei zunächst auf eigene Faust das Quellen und einigen Interviews mit Ansehen gegenüber den anderen Abtei-
Intranet des Unternehmens sowie alle Schlüsselpersonen in Thesenform formu- lungen verfügt und keinen relevanten
öffentlich verfügbaren Dokumente des liert und dann in mehreren Iterationen Einfluss auf das reale Architekturgeschehen
fraglichen Bereichs und formulieren daraus immer weiter präzisiert und verfeinert. in den Projekten und im Unternehmen
ein Thesenpapier mit einer Handvoll Kern- Nach wenigen Monaten hat die IT eine besitzt. Ineffektive Architekturstäbe dieser
thesen zur Strategie des Bereichs. Mit die- Version 0.8 einer Enterprise-Roadmap fer- Art lassen sich leider in vielen
sen Thesen ausgerüstet, werden „auf dem tiggestellt und sich nebenbei noch viel Unternehmen beobachten. Wie lässt sich
kleinen Dienstweg” operative Mitarbeiter Respekt und Vertrauen in den Fachbe- das ändern? Durch einen permanenten
des Geschäftsbereichs befragt und um eine reichen zurückerobert. Projekteinsatz der Enterprise-Architekten
Verifikation oder Falsifikation der Thesen Die Lösungsorientierung stellt also einen und durch ein mit allen Mitarbeitern zu
gebeten. Nach einigen unaufwändigen und wichtigen Bezugsrahmen für eine wirksame erarbeitendendes Selbstverständnis: Eine
schnell vereinbarten Gesprächen ergibt sich Verhaltensintervention bei Enterprise- gut funktionierende Architekturgruppe:
schon ein deutlich konkreteres Bild der Architekten zur Verfügung. Idealerweise
Strategie. Mit einer etwa fünfseitigen Prä- wird sie flankiert durch ein stabiles ■ ist nicht überheblich, obwohl sie weiß,
sentation über die „Thesen zur Bereichs- Wertefundament. dass sie durch ihre umfassende Kennt-
strategie” wird die Leitung der Business- nis von übergreifenden Geschäfts-
Einheit um einen erneuten Termin gebeten. Mechanistisches Prozess - prozessen eine erhebliche Macht-
Beeindruckt von der Vorarbeit der IT, wird verständnis statt Interaktion stellung hat,
die Stimmung schnell konstruktiver, der EA-Teams tendieren dazu, im EA-Prozess, ■ drängt sich nicht nach jeder Aufgabe
Bereichsvorstand kommentiert ausgiebig die in den Standards und in den Richtlinien die und versucht nicht, ein Monopol auf
Thesen zur Bereichsstrategie und ergänzt die alleinige Lösung des Problems zu suchen. das Erbringen von IT-Leistungen zu
noch fehlenden oder falsch verstandenen Lösungen für die Unternehmensarchitektur errichten,
Aussagen. Aus einem auf 1,5 Stunden anbe- von morgen entstehen aber nicht (nur) ■ setzt dennoch konsequent Rahmenbe-
raumten Termin werden fast 4 Stunden – durch die Einführung von TOGAF-inspi- dingungen unter dem Gesichtspunkt
und nach einer intensiven Nacharbeit ver- rierten (The Open Group Architecture von Gesamtarchitektur, Betriebs-
fügt die IT schließlich über ein knapp 20- Framework) EA-Prozessen. Lösungen ent- sicherheit, Dokumentationsgrad und
seitiges Positionspapier zur Bereichs- stehen als Ergebnis vieler erfolgreicher Schnittstellenkonformität,
strategie. Mit diesem Papier gelingt eine kommunikativer, sozialer Interaktionen ■ behält die Zügel in der Hand, indem sie
Ableitung der erfolgsrelevanten Geschäfts- zwischen den EA-Teams und den Projekt- die Freiheitsgrade an die nachgewiesene
fähigkeiten in der Zukunft und eine erste teams in der IT, mit der Anwendungs- Professionalität der unterschiedlichen
Aussage, inwieweit die Anwendungs- entwicklung, mit externen Partnern sowie Projektteams anpasst,
landschaft heute bereits in der Lage ist, mit den Fachbereichen oder, wie John Wu ■ hilft den Projekten beim Aufbau kom-
Teile davon zu leisten. Getreu dem Motto es ausdrückt: „The enterprise architect petenter Teams mit informatischem
der Lösungsorientierung, „Wenn etwas facilitates the collaboration. It is easy to Wissen und unterhält zu diesen eine
funktioniert, tue mehr davon”, wird dieser understand the concept of collaboration, partnerschaftliche, kollegiale Bezieh-
pragmatische Entwurf auch auf die but it is very difficult to do. The secret is ung.
Geschäftsprozesse angewandt. Die Archi- that the architect must know how to intri-
tekten interviewen zunächst alle Anwen- gue the stakeholders to raise their curiosity Um ein professionelles EAM zu betreiben
dungsentwickler aus der IT, die mit and interest similar to the magic stones in und somit die Unternehmensstrategie und
Wartung und Betrieb der Anwendungen the story of Stone Soup” (vgl. [Wu06]). Auf IT in Einklang zu bringen, müssen sich
des Geschäftsbereiches befasst sind. Aus die Gestaltung dieser Interaktionen müssen Unternehmen deshalb verstärkt auf ein
den Gesprächen entsteht ein erster Entwurf wir vermehrt achten – in ihrer Effektivität lösungsorientiertes Vorgehen unter Berück-
einer Prozesslandkarte, die lange noch liegt der Schlüssel für ein erfolgreiches sichtigung eines stabilen Werterahmens
nicht perfekt ist, aber immerhin einen EAM. konzentrieren. Erst dann kann EAM einen
guten ersten Überblick verschafft. wichtigen Beitrag dazu leisten, um die vor-
Mit diesen beiden Artefakten gelingt es Kultur und Werte gegebene Geschäftsstrategie zu unterstüt-
der IT einen ersten Vorschlag zur Soll- Gutes EAM entsteht nur im permanenten zen und umzusetzen. Eine professionelle
Bebauung und eine daraus abgeleitete Wechselspiel aus operativem Architektur- EA ist dabei nicht als Selbstläufer, sondern

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vielmehr als ein andauernder Prozess zu ver- [DSh90] S. De Shazer, Wege der erfolgrei- [Pit67] G. Pitcher, Die Philosophie
stehen. Sie entsteht nur aus dem permanen- chen Kurztherapie. 2. Aufl. Stuttgart: Klett- Wittgensteins. Eine kritische Einführung in
ten Wechselspiel von operativem Cotta, 1990 den Tractatus und die Spätschriften, Alber,
Architekturmanagement in Projekten und [Göt03] A. Götz, J. Liddle, „Process Driven 1967
EAM auf Domänen- oder Unternehmens- Architecture” und „Business Process [Sha09] A. Sharma, P. Loh, Emerging
ebene. Der wichtigste Treiber für den Erfolg Management”, in: OBJEKTspektrum 6/2003 trends in sourcing of business services, in:
lässt sich letztlich in dem Ratschlag manife- [Kib09] M. Varga von Kibéd, Ganz im Business Process Management Journal
stieren, dass sich Unternehmen nicht auf die Gegenteil (6. überarbeitete Auflage), Carl 2/2009
Ursachen der Probleme konzentrieren soll- Auer Verlag, 2009 [Spa07] I. Sparrer, Einführung in Lösungs-
ten, sondern auf die Frage, wie angemessene [Moo08] L. Mooney, Aligning Strategy fokussierung und Systemische Strukturauf-
Lösungen geschaffen werden können. with Business Processes , Ebiz – The stellungen, Carl Auer Verlag, 2007
Insider's Guide to Business and IT Agility, [Sto08] M. Stobbe, Lösungsorientiertes
2008, siehe: www.ebizq.net/topics/human_ Management: Malik trifft de Shazer, Books
centric_bpm/features/ 10378.html on Demand, 2008
Literatur & Links
[Ora09] A. Oram, J. Viega, Beautiful [Wu06] J. Wu, Light Enterprise
[DSh02] S. De Shazer, Der Dreh: überra- Security, O'Reilly, 2009 Architecture (LEA), siehe: http://it .tool-
schende Wendungen und Lösungen in der [Öst96] H. Österle, Business Engineering: box.com/blogs/lea-blog/ the-ea-identity-crisis-
Kurzzeittherapie (7. korrigierte Auflage), Prozeß und Systementwicklung, Band 1, 8590
Carl-Auer-Systeme-Verlag, 2009 Springer Verlag, 1996

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