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Arbeitsgemeinschaft Sachenrecht

Wintersemester 2021/22

Einheit 8: Grundlagen des EBV


Übersicht zum EBV - §§ 985 ff. BGB 2

Übersicht zum Eigentümer-Besitzer-Verhältnis


Das EBV besteht aus dem dinglichen Herausgabeanspruch gemäß §§ 985, 986 BGB
(Primäranspruch) und den schuldrechtlichen Folgeansprüchen gemäß §§ 987 ff. BGB
(Sekundäranspruch). Die §§ 987 ff. BGB sind anwendbar, wenn eine VindikaPonslage
(Anspruch aus § 985 BGB) im Zeitpunkt der schädigenden Handlung (oder Nutzung)
vorliegt. Beachte: inzidente Prüfungen!

(P) Anwendbarkeit der §§ 812 ff. BGB oder §§ 823 ff. BGB


Das EBV enYaltet grundsätzlich eine Sperrwirkung (§ 993 I a.E. BGB) für das
Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB) und das Deliktsrecht (§§ 823 ff. BGB) in Bezug
auf Nutzungs- und Schadensersatzansprüche. Eine Ausnahme besteht folgerichPg
(Wortlaut!) bei einem Herausgabeanspruch über §§ 823 I, 249 I BGB oder § 812 BGB
sowie bei einem Wertersatz-Anspruch über §§ 812, 818 II BGB. Bei vorsätzlicher
si^enwidriger Schädigung ist zudem § 826 BGB anwendbar.
Übersicht zum EBV - §§ 985 ff. BGB 3

SystemaPk

1) Nutzungsherausgabe- und Nutzungsersatzanspruch (des Eigentümers)


Der Eigentümer kann vom verklagten Besitzer gemäß § 987 I BGB die Herausgabe der
Nutzungen (nach Rechtshängigkeit, § 261 I ZPO) verlangen. Ein Anspruch auf
Nutzungsersatz besteht beim bösgläubigen Besitzer aus §§ 987 I, 990 I BGB. Der § 987
II BGB ist einschlägig bei schuldhae nicht gezogenen Nutzungen. Nutzungen des
unentgeltlichen Besitzers sind über § 988 BGB herauszugeben. Der redliche Besitzer
haeet nach §§ 993 I, 812 ff. BGB nur für Übermaßfrüchte.

2) Schadensersatzanspruch (des Eigentümers)


Der Eigentümer kann vom verklagten Besitzer (nach Rechtshängigkeit, § 261 I ZPO)
gemäß § 989 BGB Schadensersatz verlangen. Bei Bösgläubigkeit erfolgt Schadensersatz
über §§ 989, 990 I BGB und bei Verzug (§ 286 BGB) über §§ 989, 990 II, 286 BGB. Eine
Haeung des Besitzmi^lers richtet sich bei einem Fremdbesitzerexzess nach § 991
BGB. Der delikPsche Besitzer haeet nach §§ 992, 823 ff. BGB.
Übersicht zum EBV - §§ 985 ff. BGB 4

SystemaPk

3) Verwendungsersatzanspruch (des Besitzers)


Verwendungen sind Aufwendungen, die der Sache zugute kommen. Die §§ 994 ff. BGB sind keine
eigenständigen Anspruchsgrundlagen, sondern können vom Besitzer nur im Wege der Einrede des
§ 1000 BGB geltend gemacht werden. Beachte: Schutz des redlichen Besitzers!

a) Verwendungen des redlichen Besitzers


Verwendungen, die zur Erhaltung oder zur Bewirtschaeung der Sache objekPv erforderlich sind
(notwendige Verwendungen) sind über § 994 I BGB ersatzfähig. Verwendungen, die den Wert
oder die Gebrauchsfähigkeit der Sache steigern (nützliche Verwendungen) sind nur für den
redlichen Besitzer über § 996 BGB ersatzfähig. Dem Besitzer steht bei Luxusverwendungen
lediglich ein Wegnahmerecht gemäß § 997 BGB zu.

b) Verwendungen des nicht-redlichen Besitzers


Notwendige Verwendungen sind für den nicht redlichen Besitzer über §§ 994 II, 683 S.1, 670
BGB ersatzfähig. Dabei handelt es sich nach h.M. um einen parTellen Rechtsgrundverweis (der
FGW ist nicht zu prüfen). Nützliche Verwendungen kann er nicht ersetzt verlangen. Ihm steht aber
auch das Wegnahmerecht aus § 997 BGB zu. Beachte: kein Schutz des nicht-redlichen Besitzers!
Übersicht zu § 1004 BGB 5

Exkurs: Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch, § 1004 BGB


Der Anspruch auf GrundbuchberichPgung (§ 894 BGB) ist ein Spezialfall des BeseiPgungsanspruch aus § 1004 I 1 BGB und schließt diesen als lex
specialis aus. Beachte: "negatorisch" = Abwehranspruch.

Voraussetzungen
I. (nicht hoheitliche) EigentumsbeeinträchTgung
PosiPve Einwirkungen (z.B. §§ 906 ff. BGB) sind als BeeinträchPgung anerkannt. NegaPve Einwirkungen wie die Entziehung von Licht sowie ideelle
Einwirkungen sind nach h.M. nicht als BeeinträchPgung anerkannt. Beachte: Über den „quasi-negatorischen Unterlassungsanspruch“ aus §§ 1004 I
2, 823 I BGB analog werden alle absoluten Rechte geschützt!

II. Zeitpunkt der BeeinträchTgung


Bei § 1004 I 1 BGB muss die BeeinträchPgung noch fortdauern. Beim negatorischen UL-Anspruch aus § 1004 I 2 BGB muss entweder eine drohende
ErstbeeinträchPgung (vorbeugender UL-Anspruch aus § 1004 I 2 BGB analog) oder eine drohende ZweitbeeinträchPgung (= Wiederholungsgefahr)
vorliegen.

III. der Anspruchsgegner muss Handlungs- oder Zustandsstörer sein


IV. der AnspruchsberechPgte muss Eigentümer (bzw. Inhaber des Rechts) sein

V. Kein Ausschluss (Duldungspflicht)


Die EigentumsbeeinträchPgung indiziert die Rechtswidrigkeit des Zustandes. Sie enYällt, wenn der Eigentümer gemäß § 1004 II BGB zur Duldung
verpflichtet ist. Eine Duldung kann durch Vereinbarung, Gesetz (z.B. §§ 904 ff. BGB) oder krae nachbarschaelichem Gemeinschaesverhältnis (§ 242
BGB) vorliegen. Vorschrieen des öffentlichen Rechts wirken nur zwischen dem Bürger und der öffentlichen Hand und können deshalb nur in
diesem Verhältnis eine Duldungspflicht begründen. Beachte: bei der Verletzung des APR aus Art. 2 I, 1 I GG oder des Rechts am eingerichteten und
ausgeübten Gewerbebetriebs aus Art. 14 I GG ist die RWK durch eine umfassende Güter- und Interessenabwägung posiPv festzustellen.

VI. Keine Einreden


VII. Rechtsfolge
Der Eigentümer kann vom Störer die BeseiPgung (Satz 1) oder Unterlassung (Satz 2) verlangen.
Fall 1 - Sachverhalt 6

Dem Einzelhändler A sind mehrere Videorecorder gestohlen


worden. Einer davon wird J angeboten, der keinen Verdacht
schöpft und das Gerät kauft. Später verkauft er es über eine
Zeitungsanzeige an einen ihm Unbekannten weiter. Nunmehr
erfährt A davon. Welche Ansprüche hat A gegen J?
Fall 1 - Lösung 7

Ansprüche A gegen J?

A. Anspruch aus §§ 677 ff. BGB


(-), mangels Kenntnis des J von Fremdheit, § 687 I BGB.

B. Anspruch aus §§ 989, 990 I BGB


I. Anspruch entstanden
1. Vindikationslage (im Zeitpunkt der schädigenden Handlung)
=> Anspruch A gegen J aus § 985 BGB?

a) Anspruchsteller A = Eigentümer?
(+), ursprünglich war A Eigentümer (vgl. § 1006 II BGB) und der Eigentumserwerb
eines anderen nach §§ 929 ff. BGB ist wegen § 935 I 1 BGB nicht möglich.

b) Anspruchsgegner J = Besitzer?
(+), J übt tatsächliche Sachherrschaft im Sinne von § 854 I BGB aus.

c) kein Recht zum Besitz, § 986 BGB


(-), das Recht aus dem Kaufvertrag (§ 433 BGB) mit dem Dieb wirkt nur relativ.
Fall 1 - Lösung 8

1. Vindikationslage (+) - s.o.


2. Bösgläubigkeit, § 990 I BGB
(-), J wusste nichts vom Diebstahl.

II. Ergebnis
A hat gegen J keine Anspruch aus §§ 989, 990 I BGB.

C. Anspruch aus §§ 993 I, 812 ff. BGB


(-), da keine Übermaßfrüchte gezogen wurden.

D. Anspruch aus § 816 I 1 BGB


I. Anwendbarkeit der Vorschrift?
(P) Sperrwirkung des § 993 I a.E. BGB
(-), da § 816 I 1 BGB eine andere Zielrichtung verfolgt (Erlösherausgabe)
und die §§ 987 ff. BGB einen solchen Anspruch nicht vorsehen.
Fall 1 - Lösung 9

II. Verfügung eines Nichtberechtigten - s.o.


III. Dem Berechtigten gegenüber wirksam
Grundsätzlich: (-), da J dem Unbekannten wegen § 935 I 1 BGB kein
Eigentum an dem von A gestohlenen Videorekorder verschaffen konnte.

Aber: Die Geltendmachung des Anspruchs durch A ist die konkludente


Genehmigung der Verfügung des J an den Unbekannten nach § 185 II BGB.
Folglich ist die Verfügung des J dem Berechtigten A gegenüber wirksam!

IV. Rechtsfolge
(P) enge oder weite Auslegung von „das Erlangte“

V. Ergebnis
A hat gegen J einen Anspruch aus § 816 I 1 BGB.
Fall 2 - Sachverhalt 10

Porzellanhersteller P möchte seinen Absatz steigern. Er verschickt


daher an J, dessen Adresse er wahllos dem Telefonbuch
entnommen hat, eine formschöne Schüssel. In seinem
Anschreiben erklärt P, er biete das gute Stück für 199,- € an und
erwarte die Bezahlung binnen 10 Tagen. Bei Nichtgefallen bittet
er um Rücksendung der Ware. J ist an der Schüssel nicht
interessiert. Weil er in Eile ist, stellt er sie zunächst auf einem
niedrigen Flurschrank ab. Am gleichen Tag zerbricht die Schüssel,
als der J abermals in Eile durch den Flur hetzt und dabei aus
Unachtsamkeit an den Flurschrank stößt. Als P davon erfährt,
verlangt er von J 199,- €. Mit Recht?
Fall 2 - Lösung 11

Ansprüche P gegen J auf Zahlung von 199,- Euro?

A. Anspruch aus dem Kaufvertrag nach § 433 II BGB


I. Anspruch entstanden
Abschluss eines wirksamen Kaufvertrags zwischen P und J nach § 433 BGB?

1. Angebot, § 145 BGB


(+), Schreiben des P.

2. Annahme, § 147 BGB


Liegt in dem Verhalten des J, die Schüssel auf den Schrank zu stellen, eine konkludente
Annahmeerklärung?

§ 130 I 1 BGB (-), da kein Zugang der Willenserklärung bei P.

§ 151 S. 1 BGB (-), wegen § 241a I BGB!


J ist Verbraucher nach § 13 BGB und P ist Unternehmer nach § 14 BGB. Verhalten des J kann wegen §
241a I BGB daher nicht als Annahme gewertet werden!

3. Ergebnis
Mangels Annahmeerklärung des P liegt kein wirksamer Kaufvertrag nach § 433 BGB vor.

II. Ergebnis
P hat keinen Anspruch gegen J aus dem Kaufvertrag nach § 433 II BGB.
Fall 2 - Lösung 12

B. Anspruch aus §§ 989, 990 I BGB


I. Anwendbarkeit der Vorschriften?
(P) Sperrwirkung wegen § 241a I BGB

Wortlaut: „Durch die Lieferung (…) oder durch die Erbringung sonstiger Leistungen“ - Wortlaut stellt wohl eher auf
vertragliche Ansprüche ab; Ausschluss gesetzlicher Ansprüche ergibt sich nicht eindeutig aus dem Wortlaut des
Absatzes 1.

Systematik: Unterstützt wird diese Auslegung durch die systematische Stellung des § 241a I BGB im Schuldrecht.

Systematik: Umkehrschluss aus § 241a II BGB - der Anspruchsausschluss in Absatz 1 bezieht sich auch auf
gesetzliche Ansprüche.

Telos: Man könnte argumentieren, es sei für den Unternehmer unbillig, wenn er sämtliche Ersatzansprüche
verliere (Eigentumsschutz).

Telos: Jedoch hat er dieses Risiko selbst in Kauf genommen und ist nicht schutzwürdig!

Im Ergebnis: § 241a I BGB entfaltet einen umfassenden Verbraucherschutz!

II. Ergebnis
P hat keinen Anspruch gegen J aus §§ 989, 990 I BGB.

C. Anspruch aus § 823 I BGB


(-), wegen § 241a I BGB.
Fall 3 - Sachverhalt 13

J mietet sich bei der alten Dame D ein, die darauf besteht, dass J
sich ruhig verhält und abends keinen Besuch mitbringt. J aber
feiert häufiger kleine, wilde Partys, auf denen er die Teppiche,
Türen, Tapeten und Installationseinrichtungen der Wohnung
schwer beschädigt. D verlangt von J Schadensersatz für die
Zerstörungen an der Wohnung. Zu Recht?
Fall 3 - Lösung 14

Ansprüche D gegen J auf Zahlung von Schadensersatz?

A. Anspruch aus §§ 280 I, 241 II BGB


I. Schuldverhältnis, §§ 311 I, 535 BGB
II. Pflichtverletzung
(+), Nebenpflichtverletzung nach § 241 II BGB.
III. Vertretenmüssen, § 280 I 2 BGB
IV. Schaden, § 249 I, II 1 BGB
V. Ergebnis
D hat gegen J einen Anspruch aus §§ 280 I, 241 II BGB.

B. Anspruch aus §§ 989, 990 I BGB


I. Vindikationslage (= Anspruch D gegen J aus § 985 BGB?)
1. D = Eigentümerin (vgl. § 1006 II BGB)
2. J = Besitzer, § 854 I BGB
Fall 3 - Lösung 15

3. Kein Recht zum Besitz, § 986 I 1 1. Fall BGB?


Grundsätzlich: (+), Mietvertrag zwischen D und J nach § 535 BGB, da nach dem Inhalt Eigentum und
Besitz an dem Mietobjekt rechtmäßig auseinander fallen.

Aber: möglicherweise andere Wertung, weil J seine vertragliche Vereinbarung („ruhig zu sein“) im
Sinne von § 241 II BGB übertrat (sog. „Nicht-so-Berechtigter“)? Umstritten!

1. Ansicht:
Recht zum Besitz gilt nicht für Übertretungen. Folglich (-)

2. Ansicht:
Recht zum Besitz ist nicht durch Übertretung ausgeschlossen. Folglich (+)

Stellungnahme:
Aufgliederung ist in der Praxis schwierig. Geschädigter ist ohnehin ausreichend geschützt. J hatte
folglich mit dem Mietvertrag nach § 535 BGB ein Recht zum Besitz nach § 986 I 1 1. Fall BGB!

4. Ergebnis
Es besteht keine Vindikationslage.

II. Ergebnis
D hat gegen J keinen Anspruch aus §§ 989, 990 I BGB.
Fall 3 - Lösung 16

Ansprüche D gegen J auf Zahlung von Schadensersatz?

A. Anspruch aus §§ 280 I, 241 II BGB (+) - s.o.


B. Anspruch aus §§ 989, 990 I BGB (-) - s.o.

C. Anspruch aus § 823 I BGB


I. Anwendbarkeit wegen § 993 I a.E. BGB?
(+), weil ja gerade kein EBV vorliegt.
II. Rechtsgutverletzung (= Eigentum)
III. durch Verhalten des J
IV. Rechtswidrigkeit
V. Verschulden
VI. Schaden, § 249 I, II 1 BGB
VII. Ergebnis
D hat gegen J einen Anspruch aus § 823 I BGB.

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