BERTHOLD LEIBINGER

INNOVATIONSPREIS 3. Preis 2012

Echtzeit-Regelung mittels
schneller Bildverarbeitung
optimiert das Laserschweißen
Andreas Blug, Fraunhofer IPM, Freiburg
Felix Abt, Universität Stuttgart
Leonardo Nicolosi, TU Dresden

Laserschweißprozesse sind aus der modernen Produktion nicht mehr wegzudenken. Sie er-
möglichen z.B. im Karosseriebau das schnelle und flexible Schweißen an schwer erreichbaren
Stellen. Dennoch ist bis heute die Frage der Echtzeit-Prozessregelung zur Qualitätssicherung
bei diesem wichtigen und zukunftsweisenden Produktionsverfahren nur unbefriedigend
gelöst. Mit Hilfe einer neuartigen Kameratechnik können erstmals unvermeidliche Prozess-
schwankungen ausgeglichen und so die Qualität der Schweißnaht sichergestellt werden.

1 Laserschweißen
Eine Regelung schneller industrieller Prozes-
se scheitert nicht selten an der Bildverarbei-
tung. So auch beim Laserschweißen: Hier
müssen über 10 000 Bilder pro Sekunde
ausgewertet und in Regelsignale umgewan-
delt werden. In Tiefschweißprozessen, wie
sie gerade im Automobilbau häufig verwen-
det werden, wird ein Laserstrahl auf Intensi-
täten >10 000 W/mm2 fokussiert. In diesem
Regime verdampfen metallische Werkstoffe
wie Stahl oder Aluminium und es entsteht
eine Dampfkapillare (engl. Keyhole), d.h. ein
mit Metalldampf gefüllter Hohlraum, in der
das Laserlicht aufgrund von Mehrfachrefle-
xion effizient absorbiert wird.
Der obere Teil von Bild 1 skizziert den
Querschnitt eines solchen Schweißpro-
zesses anhand eines I-Naht-Überlapp-
Schweißstoßes. Die dabei erzeugte Schmel-
ze umströmt die Dampfkapillare und bil-
det nach der Erkaltung die Schweißnaht,
welche die beiden überlappenden Bleche
verbindet. Daher ermöglichen Tiefschweiß-
prozesse besonders schlanke Schweißnäh-
te bei hohen Vorschubgeschwindigkeiten.
Die Stabilität der Dampfkapillare beruht
jedoch auf einem komplexen physikali-
schen Gleichgewicht zwischen der flüssi-
gen Phase und der Gasphase. Daher kann
es im Laufe des Prozesses zu Störungen
kommen, die ein Regelsystem innerhalb
weniger Millisekunden erfassen und korri-
gieren muss.
Im thermischen Bild des Schmelzbades
lässt sich die Dampfkapillare mit Kameras
beobachten (Bild 1 unten). Ein wichtiges
Bildmerkmal ist das sogenannte Durch-
schweißloch. Es öffnet sich am Boden der
Dampfkapillare, sobald diese die Unterseite
des Werkstücks erreicht, und erscheint als
dunkler Fleck innerhalb der heißen und
daher hellen Kapillarwände im Auftreffbe-
reich des Lasers. Beim Durchschweißloch
handelt sich jedoch um ein schnell fluktu-
ierendes Bildmerkmal, welches aufgrund
der komplexen Strömungsverhältnisse
im Schmelzbad innerhalb weniger Mik-
rosekunden seinen Ort und seine Größe
Bild 1: Querschnitt durch einen Laser-
schweißprozess am I-Naht-Überlapp-
stoß (oben) und thermisches Bild des
Schmelzbades
ändert. Für eine sichere Erfassung benötigt
man daher Bildverarbeitungssysteme, die
thermische Bilder mit 25 000 Pixeln bei
Bildraten um 10 kHz auswerten und die
Laserleistung innerhalb der Reaktionszeit
anpassen können. Mit konventionellen
Kameras liegen die maximal erreichbaren
Bildraten jedoch bei „nur“ 1 kHz [1–3].
2 Echtzeit-Bildverarbeitung mit
Zellularen Neuronalen Netzwerken
Zur Erhöhung der Bildrate wurde im Koope-
rationsprojekt ACES eine neuartige Bildver-
arbeitungstechnik eingesetzt: Zellulare Neu-
ronale Netzwerke (Cellular Neural Networks,
CNN). Diese analoge Rechnertechnologie
kann aufgrund ihres geringen Schaltungs-
aufwandes in die elektrische Beschaltung
der Pixel von CMOS-Kameras integriert wer-
den [4–5]. Es entsteht ein leistungsfähiger
Parallelrechner direkt auf dem Kamerachip,
in dem die Bildinformationen aller 25 000
Pixel gleichzeitig verarbeitet werden. Damit
entfällt ein typischer Flaschenhals bei der
schnellen Bildverarbeitung in konventionel-
len Bildverarbeitungssystemen, nämlich der
Transport der Bilddaten zwischen Kamera
und Rechnereinheit.
Bild 2 zeigt den Regelsystem-Aufbau mit
der CNN-Kamera zur koaxialen Beob-
achtung des Schmelzbades. Die Bildra-
ten für Aufnahme und Auswertung des
Durchschweißloches konnten so auf bis
zu 14 kHz gesteigert werden. Gleichzeitig
wurde die bisher übliche Intensitätsauswer-
tung durch eine wesentlich robustere Kon-
turauswertung ersetzt [6]. Die Latenzzeit,
d.h. die Reaktionszeit vom Auftreten des
Merkmals bis zur Anpassung der Stellgrö-
ße, liegt bei etwa 100 μs. Die Anpassung
der Laserleistung erfolgt somit innerhalb
der Reaktionszeit des Schweißprozesses.
3 Messung der Einschweißtiefe
Auf diese Weise konnte das stochastische
Verhalten des Durchschweißloches erst-
mals vollständig und sicher erfasst werden.
Messtechnisch lässt es sich durch die Wahr-
scheinlichkeit oder relative Häufigkeit qFPH
beschreiben, mit der ein solches Durch-
weißloch (Full Penetration Hole, FPH) beob-
achtet wird [7]. Für zwei 1 mm dicke Ble-
che zeigt Bild 3 den Zusammenhang mit
der Streckenenergie, also dem Verhältnis
zwischen Laserleistung P und Vorschubge-

42 Photonik 6/2012

Bild 2: Die CNN-Kamera beobachtet das Durchschweißloch der grünen Gera-
im thermischen Bild des Schmelzbades
(Bild: Berthold Leibinger Stiftung) das Durchschweiß-
schwindigkeit u. Sie gibt die eingestrahlte
Energie pro Schweißnahtlänge wieder und
ermöglicht so den Vergleich von Schweiß-
prozessen mit unterschiedlichem Vorschub.
• Die blaue Gerade markiert den Bereich der
Streckenenergie, bei dem eine vollstän-
dige Durchschweißung erzielt wird. Das
bedeutet, die Schweißnaht reicht – wie im
Querschliff gezeigt – bis zur Unterseite des
Werkstücks. Man erkennt, dass die Wahr-
scheinlichkeit eines Durchschweißloches
zwischen 50 und 70 J/mm mit der Stre-
ckenenergie ansteigt. Die Dampfkapillare
auf der Unterseite des Unterbleches ist
zumindest zeitweise geöffnet.
• Bei kleineren Streckenenergien sinkt
die Einschweißtiefe und das Durch-
schweißloch verschwindet. Bei Über-
Bild 3: Zusammenhang zwischen der
Wahrscheinlichkeit, ein Durchschweiß-
loch zu beobachten, und der Strecken-
energie. An der blau markierten Flanke
erfolgt die Regelung auf Durchschwei-
ßung, an der grünen die Regelung auf
Einschweißung (siehe Querschliffe)
Bilderfassung und -verarbeitung
lapp-Schweiß- wird es erstmals möglich, die Laserleis-
stößen erscheint tung automatisch so anzupassen, dass
jedoch ein dem die Einschweißtiefe konstant bleibt. Dies
Durchschweißloch zeigt Bild 5. Hier dient ein zyklisch vari-
sehr ähnliches Bild- ierter Vorschub zwischen 6 und 7 m/min
merkmal, wenn als Störgröße. Ähnliche Schwankungen
die Einschweißtie- können etwa beim Roboterschweißen
fe bei etwa 30 J/ auf den Beschleunigungsstrecken vor-
mm der Tiefe des kommen.
Spaltes zwischen Zur Anpassung der Laserleistung wurde
den Blechen ent- eine zweistufige Regelstrategie entwickelt:
spricht. An dieser In der ersten Stufe kann der Prozess dabei
Stelle wird der um den Sollwert oszillieren, allerdings wird
Wärmefluss vom die Amplitude der Oszillation durch Leis-
Ober- ins Unter-
blech unterbro-
chen. Der Boden
der Dampfkapilla-
re ist daher küh-
ler als die übrigen
Wände. Im Bereich
de verschwindet
loch mit steigender
Energiezufuhr, weil
das Unterblech auf Verdampfungstem-
peratur erhitzt wird.
Bild 4: Auch bei der Einschweißung
Es ergibt sich die in Bild 4 skizzierte Ein-
ins Unterblech ergibt sich ein dem
schweißung ins Unterblech, bei der die
Durchschweißloch sehr ähnliches Bild-
Einschweißtiefe in das Unterblech über die
merkmal
Häufigkeit der Durchschweißlöcher ein-
gestellt werden kann [8]. Dadurch wird
erstmals eine geregelte Einschweißung in tungsgrenzen auf einen definierten Wert
das Unterblech ermöglicht, deren Profil im von typischerweise ±100 W eingeschränkt.
linken Querschliff von Bild 3 gezeigt wird. Wenn Störungen im Schweißprozess auf-
treten, setzen diese Oszillationen aus.
4 Regelsystem Dann werden in der zweiten Stufe der
Regelung die Leistungsgrenzen angepasst.
Das Regelungssystem aus Bild 2 nutzt Dies erkennt man auch im unteren Graph
dieses stochastische Verhalten aus. Als von Bild 5: Der Startwert der Laserleistung
Führungsgröße dient die Häufigkeit der war mit 4 kW für den zu diesem Zeitpunkt
Durchschweißlöcher, welche über die anliegenden Vorschub zu hoch (Beginn der
Laserleistung eingestellt wird. Die hohe blauen Kurve). Aus diesem Grund treten
Bildrate der CNN-Kamera ermöglicht es, keine Oszillationen auf und die Leistungs-
diese Führungsgröße innerhalb der Reakti- grenzen (rote Kurven) werden nach unten
onszeit des Schweißprozesses mit
ausreichender Sicherheit zu mes-
sen. Ist eine vollständige Durch-
schweißung gewünscht, wird
dafür nur die minimale Laserleis-
tung abgerufen, die vom Prozess
gerade benötigt wird. Dadurch
können Spritzer und Verschmau-
chung stark reduziert werden,
was u.a. die Verschmutzung der
Spannmittel vermeidet [9].
Bei einer Einschweißung dient die
Wahrscheinlichkeit qFPH, mit der
Durchschweißlöcher beobachtet
werden, als indirektes Maß für die
Einschweißtiefe ins Unterblech, Bild 5: Bei einer Roboterschweißung mit varia-
welche über die Laserleistung blem Vorschub wird die Laserleistung automa-
konstant gehalten wird. Dadurch tisch angepasst
Photonik 6/2012 43
 Bilderfassung und -verarbeitung
Bild 6: Wärmespur auf der Blechunter-
seite. Oben: Geregelte Einschweißung
aus Bild 5. Unten: Ungeregelte Schwei-
ßung mit verletzter Blechunterseite
verschoben. Nach etwa 30 ms setzen die
Oszillationen ein und die Laserleistung
folgt dem Vorschub.
Das Schweißergebnis ist im oberen Teil
von Bild 6 dargestellt. Da es sich um eine
Einschweißung handelt, zeigt die Blechun-
terseite statt einer Schweißnaht nur eine
Wärmespur, also eine farbliche Änderung.
Trotz des variablen Vorschubes ist diese
Wärmespur durchgehend gleich breit, was
auf eine nahezu konstante Einschweißtiefe
schließen lässt.
Die Auswirkung der Regelung auf das Pro-
zessergebnis zeigt der Vergleich mit einer
ungeregelten Schweißung mit konstanter
Laserleistung und gleicher Vorschubvari-
ation (Bild 6 unten). Hier ist die Blechun-
terseite in den Bereichen mit niedrigem
Vorschub aufgeschmolzen. Es handelt sich
also nicht nur um eine farbliche Änderung,
welche beim Lackieren verschwindet, son-
dern um eine Verletzung der Blechoberflä-
che. Eine solche Schweißnaht kann damit
nicht mehr im Sichtbereich angebracht
werden. Bei verzinkten Stahlblechen ver-
dampft zudem das Zink, was an diesen
Stellen den Korrosionsschutz reduziert.
5 Neue Möglichkeiten
Das Beispiel der Laserschweißprozesse
zeigt, dass Zellulare Neuronale Netzwer-
ke der industriellen Bildverarbeitung neue
Anwendungsfelder eröffnen. Durch die
hohen Bildraten und die kurzen Latenz-
zeiten konnte erstmals ein Regelsystem
entwickelt werden, welches sowohl kurz-
als auch langfristige Prozessschwankungen
wie Verschmutzungen des Schutzglases,
Änderungen des Vorschubs oder der Fokus-
lage, variable Blechdicken von Taylored
Blanks oder Störungen an den Schweiß-
rauchdüsen (Crossjets) ausgleicht.
Diese Vorzüge kommen insbesondere beim
Remote-Schweißen zum Tragen, weil gerade
beim kombinierten „Schweißen on the fly“
mit robotergeführten Scanner-Schweißköp-
fen das vergrößerte Prozessfenster zur Pro-
duktivitätssteigerung dienen kann. So lassen
sich z.B. die Toleranzen beim Vorschub zur
Erhöhung der On-Zeiten des Lasers nutzen,
44 Photonik 6/2012
was die Effizienz und Flexibilität des Werk-
zeugs Laser weiter verbessert.
Durch das Regelsystem wird zu jeder Zeit nur
die minimal notwendige Laserleistung abge-
rufen. Das erhöht gleichzeitig die Qualität
der Schweißnaht und die Energieeffizienz
der Anlage. Dies gilt insbesondere dann,
wenn Durchschweißprozesse durch Ein-
schweißungen ersetzt werden können. Bei
dem in Bild 5 und 6 gezeigten Prozess kann
eine vergleichbare Nahtfestigkeit bei einer
um 30% reduzierten Laserleistung realisiert
werden. Diese Leistungsreserve ermöglicht
eine Steigerung des Vorschubs und somit
eine Reduktion der Prozesszeiten.
Auch andere Anwendungen profitieren
von dieser Technik. Beispielsweise ist es
bei der Qualitätskontrolle an Drahtzieh-
prozessen erstmals möglich, Defekte mit
einer Größe von 100 μm auf metallischen
Oberflächen zu detektieren, welche sich
mit 10 m/s bewegen [10]. Zum Vergleich:
Dieses Verhältnis entspricht einer Defekt-
größe von 1 mm bei einer Geschwindigkeit
von 360 km/h.
Danksagung
Die Autoren danken der Baden-Württem-
berg Stiftung für die Finanzierung des
Forschungsvorhabens im Rahmen des
Projektes »Analoge Bildverarbeitung mit
Cellularen Neuronalen Netzen (CNN) zur
Regelung laserbasierter Schweißprozesse
– ACES«.
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Control of Full Penetration Keyhole Welding with
Cellular Neural Network Cameras, In: JLMN, Vol. 6
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[10] A. Blug, P. Strohm, D. Carl, H. Höfler, B. Blug, A.
Kailer, On the Potential of Current CNN Cameras
for Industrial Surface Inspection, In: IEEE 13th Intl.
Workshop on Cellular Nanoscale Networks and
their Applications (CNNA 2012), Torino, Italia, 29.-
31.08.2012
Ansprechpartner:
Von links: Felix Abt, Andreas Blug und Dr.
Leonardo Nicolosi mit dem Regelsystem
(Bild: Berthold Leibinger Stiftung)
Andreas Blug
Fraunhofer-Institut für Physikalische Mess-
technik IPM
Heidenhofstr. 8
D-79110 Freiburg
Tel. 0761/8857-328
Fax 0761/8857-224
eMail: andreas.blug@ipm.fraunhofer.de
Internet: www.ipm.fraunhofer.de
Felix Abt
Institut für Strahlwerkzeuge (IFSW)
Universität Stuttgart
Pfaffenwaldring 43
D-70569 Stuttgart
Tel. 0711/685-69760
Fax 0711/685-66842
eMail: felix.abt@ifsw.uni-stuttgart.de
Internet: www.ifsw.uni-stuttgart.de
Prof. Ronald Tetzlaff
IEE Institut für Grundlagen der Elektro-
technik u. Elektronik
Technische Universität Dresden
Mommsenstr. 12
D-01069 Dresden
Tel. 0351/463-33326
Fax 0351/463-37794
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