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Hochspannungsleitungen

Seiltemperatur und Durchhang von


Freileitungen berechnen
Berechnungen nach dem neuen Kirn-Modell

Eine korrekte Berechnung der Seiltemperatur und des daraus matische, näherungsweise Bestimmung
der Seiltemperatur und damit eine kom­
­resultierenden Durchhangs ist die Grundlage für eine sichere
plette Durchhangsberechnung für Rechen­
Netzbetriebsführung. Das Kirn-Modell für die Berechnung der programme zulässt.
Seiltemperatur basiert auf Erkenntnissen aus den Jahren 1988
bis 1998. Insbesondere der Einfluss der Sonnenstrahlung spielt Physikalischer Ansatz
eine wichtige Rolle, aber auch das Alter der Seile wirkt sich auf Eine stationäre, thermodynamische Ar­
die Temperatur aus. Dies gilt umso mehr, wenn zukünftig ge- beitspunktberechnung wird durch den sta­
schwärzte Hochtemperaturseile eingesetzt werden, deren Seil- tionären Zustand der Wärmeaufnahme und
temperaturbereich bis 150  °C reicht. -abgabe in W/m des Seils charakterisiert:
Die Wärmeaufnahme erfolgt durch die
ohmsche Stromwärme P’v und die Sonnen­
einstrahlung P’so. Die Wärmeabgabe erfolgt
durch die Konvektion P’k, die Strahlung P’s
und die Wärmeleitung P’w.
Der Durchhang von Seilen wird wesent­ höchster betrieblicher Anlagenauslastung, Sind die Ausgleichsvorgänge der einzel­
lich durch die Betriebstemperatur der Lei­ also mit dem thermischen Dauerstrom be­ nen Wärmeströme nach etwa 10–18 min

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terseile mitbestimmt. Diese wiederum wird trieben werden. Entsprechend stellt sich ein abgeklungen, liegt ein konstantes Tem­
unter anderem durch den Betriebsstrom Ib, Durchhang f bei einer typischen Seiltem­ peraturfeld vor, und die Wärmeaufnahme
die Windgeschwindigkeit v, durch die Um­ peratur von 80 °C für Aldrey-Seile (Alu mit ist identisch mit der Wärmeabgabe. Wird
gebungstemperatur ϑu, die Globalstrahlung 0,5% Silizium und 0,5% Magnesium) und ferner die Wärmeabgabe über die Isolato­
Aluminium/Stahl-Seile, bei einer mittleren ren an den Traversen P’w vernachlässigt, so
Reinhard Kegel, Willi Berger Windgeschwindigkeit von 0,6 m/s (Schweiz: gilt folgender Zusammenhang:
0,5 m/s) und einer Umgebungstemperatur
P’k + P’s – P’v – P’so = 0 [W/m]
der Sonne und weitere Parameter fest­ von 35  °C (Schweiz: 40  °C) ein. Wird die
gelegt. Werden die elektrischen und ma­ Leitung jedoch mit einer Halblast oder Vier­ Konvektion
gnetischen Felder unterhalb von Freileitun­ tellast betrieben, so verringert sich entspre­ Die beim konvektiven Wärmeübergang
gen nach der 26. BImSchV1) oder der chend die Seiltemperatur, und damit auch auftretenden Bewegungsvorgänge und die
schweizerischen NIS-Verordnung berech­ der Leitungsdurchhang. Im Folgenden wird überlagernde Wärmeströmung lassen sich
net, so muss die Leitungstrasse unter ein Lösungsweg skizziert, der eine auto­ mathematisch durch Differentialgleichungen
exakt berechnen und durch die Gleichun­
gen von Nusselt für Ausnahmefälle durch
Ähnlichkeitsbetrachtungen aus der Hydro­
Electrosuisse

dynamik näherungsweise beschreiben. Für


die erzwungene oder freie Konvektion ein­
facher Körper lässt sich die abgegebene
Wärme näherungsweise durch den Aus­
druck bestimmen [3]:
P’k = f (Re, Pe, Gr, Nu, λ, T, Tu)
Darin bedeutet Re die Reynoldzahl, Pe
die Pécletzahl, Gr die Grashofzahl, Pr die
Prandtlzahl (entspricht Pe/Re), Nu die Nus­
seltzahl, λ Lambda in W/(m ⋅ K), T die ab­
solute Betriebstemperatur der Leiterseile in
Kelvin und Tu die absolute Umgebungs­
temperatur in Kelvin. Beschränkt man sich
auf quer oder längs umströmte Rohre, so
kann man nach [1] auch schreiben:

P’k [W/m] = π ⋅ λ ⋅ (T–Tu) ⋅ Nu


mit
Nu = 0,24 ⋅ Re0,6 für 103 < Re < 5 ⋅ 104
Bild 1 Durchhang von Hochspannungsleitungen. mit der Reynoldzahl Re = (v ⋅ d)/ν((T+Tu)/2),

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Hochspannungsleitungen

wobei v der mittleren Windgeschwindigkeit schwindigkeit von 0,50  m/s. Das heisst Grenzstrom Ibmax [A], von der Wind­
in m/s entspricht, d dem Drahtdurchmesser also, die Leitertemperatur stellt sich auf den geschwindigkeit vWind(h) [m/s] in der Höhe h
in Meter und ν der dynamischen Viskosität stationären Betriebspunkt 80,07 °C ein. Die senkrecht auf den Leiter, der Seilendtem­
in (m ⋅ m)/s. Sonneneinwirkung trägt mit 23 W/m (Glo­ peratur ϑSeil [°C], der Umgebungstempera­
balstrahlung bei 800 W/m2) zur Erwärmung tur ϑUmgebung [°C], dem Seilemissionskoeffi­
Strahlungsabwärme bei, während die ohmsche Wärme mit zienten εEmission (Alterung, Seiloberfläche),
Während erwartungsgemäss bei tiefen 67 W/m den Leiter erwärmt. Würde man der Sonneneinstrahlung p’so [W/m], dem
Temperatur˚˚en unterhalb 150  °C über die die Globalstrahlung vergessen, würden in Winkel zwischen Trassenrichtung und
Konvektion die meiste Wärme abgeführt der Strahlungsbilanz 25% fehlen. Weitere Nordrichtung ϕTrasse, dem Winkel zwischen
wird, wird die Strahlung als Wärmeabfuhr Betriebspunkte lassen sich prüfen. Der Windrichtung und Nordrichtung ψWind sowie
einen weiteren Beitrag liefern. Unter Be­ Durchhang errechnet sich bei einer Spann­ 15 weiteren Seilparametern.
rücksichtigung des Boltzmanngesetzes weite von 500 m mit dem aktuellen Kirn- Damit ist klar, dass zu jedem Durchhang
sowie des Strahlungshintergrunds in etwa Modell im massgebenden Betriebszustand f ein gewisser Arbeitspunkt gehört, der von
80  km Höhe mit ca. 217  K lässt sich die zu f = 8,8 m. den oben definierten Parametern festgelegt
Strahlungsleistung näherungsweise be­ wird. Möchte man den maximalen Durch­
stimmen durch den Ausdruck: hang für das Seil Al/St 265/35 mit einer
Vergleichsberechnungen Feldlänge l  =  400  m ermitteln, so gilt der
P’s [W/m] = 5,7 ⋅ 10-08 ⋅ ε ⋅ d ⋅ π ⋅ [0,75(T4 – Tu4)
Um die berechnete Seiltemperatur über­ Arbeitspunkt mit den Parametern [7]:
+ 0,25(T4 – Th4)]
prüfen zu können, wurden Messungen
fMax = Funktion (Ibmax  =  650 A, vWind (h)
mit ε als Gesamtemissionskoeffizient (0,08– eines Energieversorgers herangezogen
= 0,6 m/s, ϑSeil = 80 °C,
0,93) und Th als Temperatur der äusseren [5,6]. Dieser hat Ende der 90er-Jahre eine
ϑUmgebung = 35  °C, …) = 15,75 m
Lufthülle (217 K). umfangreiche Messkampagne gestartet
und 1998 auf der Fachtagung «Leitungs­ Der maximale betriebliche thermische
Ohmsche Verlustwärme bau 1998 Regioplan Ingenieure» veröffent­ Grenzstrom ist in den einschlägigen SEV-
Die ohmsche Verlustwärme wird unter licht. Der gemessene und der gerechnete Bestimmungen bzw. der Vollzugshilfe für
Berücksichtigung der zunächst unbekann­ Kurvenverlauf werden in Bild 2 bis 150  °C Freileitungen in der Anlage 2 tabellenartig
ten mittleren Leitertemperatur sowie des wiedergegeben. Die Messung stimmt gut angegeben [13]. Sie finden sich aber auch
möglichen Skineffekts bestimmt, wobei der überein mit der Berechnung. in der SEV-Publikation «Leitsätze für die
fachbeiträge

bezogene Gleichstromwiderstand R20 bei Dauerstrombelastbarkeit von Leitungssei­


20 °C bekannt ist: len» [7]. In Deutschland sind die maximalen
Die neuen EN-Normen Dauerströme der Leiterseile in der DIN
R = R20 ⋅ (1 + α ⋅ (ϑ – 20°)) ⋅ (1+ δ ⋅ 4/3)
für δ < 1 Die Seiltemperatur wird im Wesentlichen 48204 [9] zu finden. Diese wurden im We­
mit durch den eingeprägten Strom, die mittlere sentlichen nach dem sogenannten Webs-
___________
δ = 0,5 ⋅ r ⋅​ √π ⋅ f ⋅ κ ⋅ µ0  
⋅ µr ​ Windgeschwindigkeit, die Umgebungstem­ Modell ermittelt. Über die Parameter Glo­
peratur und die Sonneneinstrahlung be­ balstrahlung der Sonne in W/m2, die Wind­
Sonneneinstrahlung stimmt. Je höher der Betriebsstrom und richtung zur Trasse und die Alterung der
Die Sonneneinstrahlung liefert einen wei­ damit die Seiltemperatur, desto grösser Seile (Schwärzung, Seilemissionskoeffizient)
teren Betrag zur Erwärmung des Leiterseils. wird der Durchhang. Hinsichtlich des erfolgen keine genauen Aussagen. So kann
Massgebend ist hier nach [4] der geogra­ ­Netzbetriebs kann also die folgende Abbil­ die Globalstrahlung zwischen 800 und
fische Leitungswinkel Ψ zur Nord-Süd- dung hergeleitet werden: Steigt der Strom, 1350 W/m2 je nach Höhenstand der Sonne
Achse, die geografische Breite ϕ (<23,5°), steigt die Seiltemperatur, und der Durch­ und Luftverschmutzung liegen [2]. Ein übli­
der Absorptionskoeffizient ε sowie die Norm­ hang wächst – was schlussendlich Fehler cher Wert für Mitteleuropa liegt bei 900 W/
sonneneinstrahlung Nsh, die in Abhängig­ auslösen kann (ein-, zwei oder dreipolige m2, die Windanströmung soll senkrecht zu
keit von der Jahreszeit und Luftverschmut­ Fehler). den Leiterseilen liegen, und der Seilemis­
zung Werte zwischen 800 und 1040 W/m2 Der Durchhang f ist also abhängig vom sionskoeffizient nimmt bei einem Alter von
annehmen kann. Der Gesamtzusammen­ Betriebsstrom Ib [A], vom thermischen 25 Jahren den Wert 0,88 an.
hang lautet damit: Es ist daher wichtig, dass diese neuen
Erkenntnisse bei der Anwendung der Voll­
P’So [W/m] = d ⋅ ε ⋅ Nsh ⋅ sin
Brüninghoff/Wilke

zugshinweise berücksichtigt werden. In der


[arccos(cos[113,5  –  |ϕ|]) ⋅ cos(180° – Ψ)] 150
Tabelle wird beispielhaft anhand des Ver­
Da grundsätzlich alle Stoffkonstanten 120
bundseiles Al/St 265/35 gezeigt, welche
Leitertemperatur [º C]

temperaturabhängig sind, erfolgt die ge­ 90


Ungenauigkeiten entstehen können. Den
naue, stationäre Seiltemperaturbestimmung Berechnungen liegen die folgenden Para­
über einen iterativen Prozess. Als Testbei­ 60 meter für das Leiterseil Al/St 264/35 bei
spiel sei das Seil AD600 gewählt, wobei 30
einer Feldlänge von 400  m fest zugrunde:
geprüft wird, ob bei einer Umgebungstem­
– Betriebsstrom Ib = 680 A gemäss
peratur von 40  °C und einem zulässigen 0
0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1000 1100 DIN 48204 [8]
thermischen Grenzstrom von 960  A mit
Betriebsstrom [A] – Mittlere Windgeschwindigkeit in der
einer mittleren Windgeschwindigkeit von
Messung Höhe h = 0,6 m/s gemäss DIN 48204
0,5 m/s sich die Seiltemperatur nach [7, 13] Berechnung
– Umgebungstemperatur ϑu = 35  °C
auf ca. 80 °C einstellen soll (nur für Schweiz).
­gemäss DIN 48204
Die Berechnung ergibt eine Leitertempera­ Bild 2 Vergleich Rechnung versus Messung bis
ca. 150 °C Seilendtemperatur. – Seilalter = 25 Jahre (entspricht ε = 0,88)
tur von 80,07 °C bei einem Leiterstrom von
Überprüfung der Genauigkeit zwischen Rechnung
960,00  A, einer Umgebungstemperatur von und Messung für einen bestimmten Parametersatz Steht die Auslegungstemperatur des
40,00  °C und einer mittleren Windge­ nach [5]. Leiterseils fest (hier 80  °C), so kann die ei­

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Fall Beschreibung sZug qSeil f aus Aluminium/Stalum2) und können zum


[N/mm2] [°C] [m] Zweck einer besseren Wärmeabstrahlung
mit schwarzer Oberflächenbeschichtung
1 Sehr geringe Globalstrahlung (800 W/m2) 42 79,1 15,7 versehen werden (BTAL/ACS) [15]. Sie wei­
Wind senkrecht auf das Leiterseil sen etwa die gleichen Durchhangseigen­
2 Hohe Globalstrahlung (ca. 1300 W/m2) 41,1 85,7 15.9 schaften auf wie herkömmliche Al/St-Seile
Wind senkrecht auf das Leiterseil (ACSR-Seile).
3 Hohe Globalstrahlung (ca. 1300 W/m2) 39,7 105,9 16,63
Wind parallel zum Leiterseil
Betriebliche Massnahmen
4 Normale Globalstrahlung (ca. 900 W/m2) 41,9 80,4 15,75
Wind senkrecht auf das Leiterseil Wird die Leitung in Betrieb genommen,
so ist darauf zu achten, dass die zulässigen
Tabelle Auswirkungen unterschiedlicher Globalstrahlung und Windrichtung Seiltemperaturen sowie Abstände zu Ob­
Obwohl gemäss den geltenden Normen der Betriebsstrom, die mittlere Windgeschwindigkeit und die Umge­ jekten und Bäumen eingehalten werden.
bungstemperatur unverändert korrekt gelten, können formal die Seilzuspannung, die Seilendtemperatur und
Dies wird dadurch erreicht, dass Bäume
der Durchhang innerhalb dieser Normparameter erheblich schwanken. Nur der Fall Nr. 4 ist für die festgelegte
Wettersituation im Sommer korrekt, da die Seilendtemperatur die 80 °C in keinem Fall überschreiten darf. regelmässig zurückgeschnitten werden und
nicht in den Gefährdungsbereich der Lei­
tung hineinwachsen. Dabei darf davon aus­
gegangen werden, dass die Seiltemperatu­
gentliche geometrische Auslegung der Frei­ legung der Freileitung hinsichtlich der ren sich noch unterhalb der entsprechen­
leitung im Rahmen der Leitungsplanung Boden- und Objektabstände in der Trasse. den Auslegungstemperatur bewegen.
erfolgen. Seit 1992 bis 2001 wurde im Rah­ Dazu werden über eine Durchhangsberech­ Die Netzführung hat die Aufgabe, die
men der neuen Erkenntnisse die europäi­ nung auf Basis des beschriebenen Aus­ Einhaltung der Seiltemperatur zu über­
sche Norm EN 50341 entwickelt, die als gangszustands alle für die geometrische wachen. Dies geschieht indirekt durch
DIN EN 50341-1 und DIN EN 50341-3-4 in Auslegung notwendigen Lastfälle berech­ Überprüfung der maximal zulässigen Be­
die deutschen Normen Eingang fand und net: triebsströme (z.B. für Al/St 265/35: In = 680
zum Teil die alte DIN VDE 0210 12.85 er­ A). Dabei wird der Netzzustand wie folgt
– Auslegungstemperatur der Leitung ohne
gänzt. überprüft: In kurzen Abständen erfolgt eine

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Zusatzlast
Die folgende Darstellung wurde von Netzzustandserkennung (State Estimation).
– 40  °C Leiterseiltemperatur mit Windlast
einem grossen Energieversorger in Form Sie liefert auf Basis der eingehenden Mess­
im ausgeschwungenen Zustand
einer Stellungnahme zugesandt und be­ werte (ca. 60% des Netzes) ein konsisten­
– –5  °C plus Zusatzlast
schreibt die typische Planungsstrategie tes Abbild des Netzzustandes, d.h., die
– –5  °C plus halber Zusatzlast in einem
bzw. deren Grundsätze der Leitungspla­ Belastungszustände aller in Betrieb befind­
Spannungsfeld des Abspannabschnitts
nung 2008 [14] in leicht gekürzter Form. Es lichen Stromkreise sind danach bekannt,
– –5  °C ohne Zusatzlast in allen anderen
lassen sich drei Teilbereiche unterscheiden: weil die restlichen Messwerte über die Zu­
Spannungsfeldern des Abspann­
die geometrische Auslegung der Leitung, standsschätzung berechnet werden. Da
abschnitts
Einflüsse einer erhöhten Leitseiltemperatur die Netze nach dem N-1-Prinzip gefahren
auf den Betriebszustand sowie betriebliche Die daraus resultierenden Durchhänge werden, darf man auf Basis dieser Berech­
Massnahmen. unter Beachtung der entsprechenden Aus­ nung keine nicht zulässigen Belastungs­
schwingwinkel beim Lastfall 40   °C und zustände feststellen.
Wind sind dann Basis für die Abstands­ Nach der Netzzustandserkennung kön­
Geometrische Auslegung berechnung zum Erdboden und zu den nen Ausfallsimulationsrechnungen durch­
Die geometrische Auslegung entspricht Objekten in der Trasse. geführt werden, die dann aufgrund von
der Auslegung der Zugspannung für den Überlastungen die Ausfälle eines oder meh­
zur Berechnung der Maststatik notwendi­ rerer Stromkreise anzeigen. Betriebliche
gen Ausgangszustands des Seils. Nach Einflüsse einer erhöhten Gegenmassnahmen können darin beste­
DIN EN 50341 ist dieser Ausgangszustand Seiltemperatur hen, dass entweder
der Lastfall bei 10  °C Seiltemperatur ohne Ein dauerhafter Betrieb über die zuläs­
– die Netztopologie verändert wird oder
Zusatzlast. Hierzu wird eine zulässige Zugs­ sige Leiterseilendtemperatur ist nicht zu­
– aus betrieblichen Gründen abgeschal­
pannung gemäss DIN EN 50341-3-4:2001, lässig. Der Grund liegt in einer dauerhaften
tete Leitungen kurzfristig wieder in Be­
Teil 3, Tabelle 9/DE.2 (Seite 61), in Abhän­ Entfestigung, verbunden mit einer sinken­
trieb genommen werden.
gigkeit des Seiltyps festgelegt. Ein Beispiel den Bruchfestigkeit. Es ist daher nicht aus­
für die sogenannte Mittelzugspannung für zuschliessen, dass ein Seil mit einer dauer­ Sollten diese Gegenmassnahmen nicht
Al/St 265/35 ist der Wert 43 N/mm2. Unter haften Überhöhung der zulässigen Tem­ ausreichen, so kann die Rückführung in
Berücksichtigung dieses Ausgangszu­ peratur in den kalten Jahreszeiten bei Tem­ einen Re-Dispatch notwendig sein. Dazu
stands werden dann alle für die statischen peraturen unterhalb des Gefrierpunkts und sind mit den Kraftwerksbetreibern oder an­
Bemessung notwendigen Lastfälle A–L aus entsprechender Aneisung versagt und deren Verbundunternehmen Gespräche
DIN EN 50341, Teil 3, Seite 28 und 29, über bricht. dahingehend aufzunehmen, dass die Ein­
eine statische Berechnung (Teil der Durch­ Ein sicherer Netzbetrieb der Freileitung speisung verändert wird, dass sich ein wie­
hangsberechnung) bestimmt und die da­ wäre somit gefährdet. Als Alternative bieten der zuverlässiger Lastfluss im Netz einstellt.
raus resultierende Zugspannung als Ein­ sich im Rahmen der Planung sogenannte Bei der Festlegung der zulässigen Grenz­
gangsgrösse für die statische Berechnung Hochtemperaturseile an [15]. Sie besitzen ströme gehen einige Unternehmen bereits
der Masten verwendet. typischerweise eine Auslegungstemperatur heute den Weg, die jeweilige Wettersitua­
Dieser Ausgangszustand ist dann von 150  °C, die sie schadlos überstehen. tion mit einzubeziehen. Nur im Sommer
ebenso die Basis für die geometrische Aus­ Diese sogenannte TAL/ACS-Seile bestehen werden bei der Planung Grenzströme ge­

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IEV
Bild 3 Darstellung der Softwareumsetzung des Webs- und Kirn-Modells.
Die oberen zwei Fenster stellen die Eingabefenster dar, das untere Fenster die Ergebnisse. Bei einer Aufhängehöhe von 30 m beträgt der minimale Abstand Seil zu
EOK 21,18 m. Nach der LeV darf er 11,3 m betragen.

fahren, während im Winter mit der wesent­ Zusammenfassung Lastfluss kann er prinzipiell nach dem Kirn-
lich tieferen Umgebungstemperatur höhere Eine korrekte Berechnung der Seiltem­ Modell berechnet werden. Allerdings nur,
Grenzströme zugelassen sind. Weiterrei­ peratur und daraus des Durchhangs ist die wenn alle Paramteter bekannt sind. Ent­
fachbeiträge

chende Überlegungen gehen dahin, durch Grundlage für eine sichere Netzbetriebs­ sprechend vereinfachte Softwaremodelle
Monitoringsysteme die zulässigen Grenz­ führung. Es wird das neue Kirn-Modell er­ haben sich als zusätzliches Kontrollinstru­
ströme praktisch dynamisch an die Wetter­ läutert, das auf Erkenntnisse aus den Jah­ ment bewährt.
situation anzupassen [14,  18]. ren 1988 bis 1998 basiert. Insbesondere
der Einfluss der Globalstrahlung im Bereich
Referenzen
von 800–1400  W/m2 spielt eine wichtige
Digitale Umsetzung [1] A. Webs: Dauerstrombelastbarkeit von nach
Rolle, aber auch das Alter der Seile wirkt DIN VDE 48201 gefertigten Freileitungsseilen
Das neue Kirn-Modell wurde in verschie­ sich auf die Seiltemperatur aus. Dies gilt aus Kupfer, Aluminium und Aldrey. Elektrizi-
tätswirtschaft 62 (1963), 861–872.
denen Softwareprogrammen umgesetzt. umso mehr, wenn zukünftig geschwärzte [2] R. Fischer, F. Kissing: Freileitungen – Planung
Das Programm IEV-Seiltemp benutzt eine Hochtemperaturseile Verwendung finden, – Berechnung – Ausführung. Springer Verlag,
Seilliste als Datenbank. Das Modell von deren Seiltemperaturbereich bis 150  °C 5. Auflage, 2001.
[3] F. Hell: Grundlagen der Wärmeübertragung.
Webs wurde entsprechend den Ansätzen reicht. VDI-Verlag, 1982.
von Kirn erweitert und gleichzeitig verein­ Es wird gezeigt, dass jede Angabe, sei [4] H. J. Kirn: Die Bestimmung der Temperatur
facht. Die Zahl der Modellparameter konnte es der Betriebsstrom wie auch die Seiltem­ von Freileitungsseilen. Elektrizitätswirtschaft
87 (1988), 1055–1065.
dadurch gegenüber dem kirnschen Modell peratur, funktionell zusammengehört. In [5] H. Brüninghoff, W. Wilke: Erfahrungen mit
reduziert werden, ohne allzu sehr an Ge­ diesem Sinne muss in Arbeitspunkten ge­ «Heissen Seilen». Leitungsbau ’98, Tagungs-
band der Fachtagung veranstaltet von Re-
nauigkeit zu verlieren. Weitere Einflüsse, dacht werden, zu denen ein ganzer Para­ gioplan Ingenieure und Westdeutsche Licht-
wie der zeitliche Stand der Sonnenhöhe, metersatz gehört. und Kraftwerke, Hamburg, 18.–19. Juni 1998,
wurden durch den Fall maximaler Sonnen­ Von entscheidender Bedeutung für einen S. 7.1–7.7.
[6] H. Kirn, M. Palic: Messung und Berechnung
einstrahlung bei höchstem Sonnenstand Normalbetrieb ist die Netzbetriebsführung, von Freileitungsseiltemperaturen bei veränder-
abgeschätzt. die bereits bei der Trassenplanung die Ab­ lichen Strombelastungen. ETZ 111 (1990),
Modelle mit mehr Parametern haben nur stände zu Objekten und Bäumen festlegt. 1016–1023.
[7] SEV-Publikation Nr. 198:1952 und 198/A1:
dann Vorteile, wenn diese Daten genau Nach der Inbetriebnahme sind Massnah­ 1960: Leitsätze für die zulässige Dauerstrom-
bekannt sind. Dies ist in der Praxis häufig men skizziert, die einen Störungsfall ver­ belastung von Leitungsseilen.
[8] DIN 48204 – April 1984: Leitungsseile (Alumi-
nicht der Fall. Das Ziel war es daher, ein hindern sollen. Dazu zählen die Netz­ nium-Stahl-Seile); Ausgabe April 1984.
einfaches Modell zu entwickeln, das mit zustandsschätzung (State Estimation), [9] DIN VDE 0210 12/85.
wenigen physikalisch begründeten Ansät­ Ausfallsimulationsrechnung und Änderung [10] DIN EN 50341–1:2001 Freileitungen über AC
45 kV.
zen arbeitet. Wie ein Vergleich mit empirisch der Netztopologie sowie der Re-Dispatch. [11] DIN EN 50341-3-4:2001 Freileitungen über AC
gemessenen Daten zeigt, ist das Modell In neuester Zeit ist die direkte Messung der 45 kV.
auch bei hohen Strömen und Seiltempera­ Seiltemperatur über funkbasierte Oberflä­ [12] SEV-Verordnung über elektrische Leitungen
(Leitungsverordnung, LeV), SR 734.31.
turen genau. Das Kirn-Modell wurde auch chenwellensensoren möglich und bietet [13] BAFU: Hochspannungsleitungen – Vollzugs-
in die Software Copperfield eingebaut, hinsichtlich der Netzbetriebsführung eine hilfe zur NISV; Vollzugs- , Berechnungs- und
Messempfehlung, Entwurf zur Erprobung
womit man den für den Vollzug zur NISV zusätzliche Sicherheit [16,  17]. vom Juni 2007; www.bafu.admin.ch/elektro
massgebenden Durchhang einer Weit­ Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die smog/01117.
spannanlage berechnen kann, wie in Bild 3 korrekte Berechnung des Durchhangs für [14] U. van Dyk: Stellungnahme zum Entwurf: «Seil-
temperatur- und Durchhangsberechnungen»
für das Seil AD600 und für eine Spannweite den Vollzug. Abhängig von den aktuell gel­ (vd080306.01); RWE Westfalen-Weser-Ems
von 500 m. tenden Umweltparametern und aktuellem Netzservice GmbH; 2008.

30 Bulletin SEV/VSE 13/2008


Hochspannungsleitungen

[15] Wiretec-Hochtemperatur-Seile; www.wiretec. wissenschaftliche Feldberechnungsprogramme


de/dpconhot_hochtemperatur_seil.htm. für elektrische Anlagen über 1  kV entwickelt, seit Résumé
[16] J. Bartsch et al.: Leitererwärmung im Hoch- 1998 auch speziell für die NIS-Verordnung. Mit
spannungsübertragungsnetz; Bulletin SEV/ dieser Software (Copperfield) können magnetfeld- Le calcul de la température de
VSE 17/2007, S. 9. arme Freileitungen und Transformatorenstationen câble et de la flèche de lignes
[17] R. Terminova: Einsatz von passiven funk- dreidimensional konstruiert, gebaut und auf Ein- aériennes
abgefragten Oberflächenwellensensoren in haltung der NISV geprüft werden. 
der elektrischen Energietechnik; Dissertation Institut für Elektromagnetische Verträglichkeit  Calculs selon le modèle de Kirn. Le
von Renata Terminova, Fachbereich 18 Elek- IEV GmbH, D-23562 Lübeck, iev@iev.de calcul correct de la température de
trotechnik und Informationstechnik der Tech- Willi Berger, dipl. El.-Ing. HTL, arbeitet seit
nischen Universität Darmstadt, 2007. elib.tu-
câble et de la flèche qui en résulte est à
1998 als Leiter Inspektionen/Beratung bei Elec-
darmstadt.de/diss/00091/. trosuisse.  la base d’une gestion fiable du réseau.
[18] E. Mühl: Berechnung der Grenzen von Freilei- Electrosuisse, 8320 Fehraltorf,  Le modèle de Kirn pour le calcul correct
tungsparametern sowie Ableitung und Bewer- willi.berger@electrosuisse.ch
tung der Abhängigkeiten; Diplomarbeit an der de la température de câble est basé sur
TU Chemnitz, Fakultät für Elektrotechnik und des connaissances acquises au cours
Informationstechnik; Elisabeth Mühl, 2007, des années 1988 à 1998. L’influence de
www.tu-chemnitz.de/etit/messtech/studien
arbeiten/abgeschlossen/pdf/muehl_da.pdf. l’ensoleillement joue en particulier un
rôle important, mais l’âge des câbles a
  26. Deutsche Verordnung zur Durchführung des Bun­
1)
également des répercussions sur la
Angaben zu den Autoren des-Immissionsschutzgesetzes.
température. Ceci sera d’autant plus le
  Stalumdrähte sind hochfeste Stahldrähte, die in einem
2)
Reinhard Kegel, Prof. Dr.-Ing., ist seit 1990 Extrusionsverfahren mit Aluminium beschichtet und an­
Professor für Energieversorgung und EMV an einer
cas si on utilise à l’avenir des câbles
schliessend in einem hydrodynamischen Ziehprozess auf
norddeutschen Hochschule und Hauptgesellschaf- den Enddurchmesser gezogen werden. Stalumdrähte noircis à haute température allant jus­
ter der Firma IEV GmbH in Lübeck, Deutschland. werden als Substitut zu verzinktem Stahl in Freileitungs­ qu’à 150  °C.
Seit dieser Zeit wurden von der IEV GmbH mehrere seilen eingesetzt.

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Bulletin SEV/AES 13/2008 31

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