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29.02.

2024

Rechtswissenschaftliches Institut

Übersicht (29. Februar 2024)

I. Individuum und Staat: Übersicht


II. Schweizer Bürgerrecht
III. Status von Ausländerinnen und Ausländern
IV. Stimmrecht: Grundlagen und Überblick
V. Stimmrecht und Stimmrechtsausübung
VI. Grundrechtliche Dimension des Stimmrechts
VII. Schutz des Stimmrechts, inkl. Verbot behördlicher Interventionen

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I. Individuum und Staat: Übersicht

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Grundlegende Rechtspositionen Einzelner

 Grundrechte, Menschenrechte, verfassungsmässige Rechte


 Z.B. Recht auf persönliche Freiheit, Recht auf Hilfe in Notlagen, Anspruch auf eine
gesetzliche Grundlage bei staatlicher Erehebung von Beiträgen und Steuern
(Legalitätsprinzip im Abgaberecht)
 Bürgerrechte
 Schweizer Bürgerrecht und daraus fliessende Rechte
 Grundrechte, die nur Staatsbürgern zustehen (z.B. Niederlassungs-freiheit)
 Grundpflichten
 Z.B. Militärdienstpflicht, individuelle und gesellschaftliche Verantwortung (Art. 6 BV)
 Widerstandsrecht?

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II. Schweizer Bürgerrecht

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Einleitung: Emotionalität der Bürgerrechtsfrage

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Charakterisierung des Schweizer Bürgerrechts

 Dreifaches Bürgerrecht in untrennbarer Einheit (Art. 37 Abs. 1 BV)


 Beschränkte Bundeskompetenzen im Einbürgerungsbereich
 ius sanguinis-Prinzip (im Gegensatz zum ius soli-Prinzip)
 Nach Möglichkeit: Einheitlichkeit für Familie
 Zulässigkeit des Doppelbürgerrechts
 Vermeidung von Staatenlosigkeit
 Integration als Voraussetzung für die Einbürgerung

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Erwerb des Bürgerrechts

Erwerb

von Gesetzes wegen auf Antrag:


Einbürgerung

durch durch
Abstammung Adoption
ordentliche Wiedereinbürge- erleichterte
Einbürgerung rung (SEM) Einbürgerung
(SEM)

Einbürgerungs- Einbürgerungsentscheid
bewilligung (SEM) (Kantone und Gemeinden)
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Verlust des Bürgerrechts

Verlust

von Gesetzes wegen durch behördlichen


Beschluss

Verwirkung Auflösung der


familienrechtlichen
Beziehung auf Antrag: von Amtes
Entlassung wegen: Entzug
(Kanton) (SEM)
Adoption durch Aufhebung des
Ausländer Kindesverhältnisses

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III. Status von Ausländerinnen und Ausländern

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Grundzüge

 Staaten sind grundsätzlich souverän in der Ausgestaltung der Niederlassung und des
Aufenthalts von Ausländerinnen und Ausländern
 Schranke: National und international gewährleistete Grundrechte, Staatsverträge (z.B.
UN-Flüchtlingskonvention, FZA mit der EU), zwingendes Völkerrecht (Non-Refoulment-
Gebot)
 Bundeskompetenzen für Niederlassung und Aufenthalt sowie Asyl (Art. 121 Abs. 1 BV):
AuG, AsylG
 Für Bürgerinnen und Bürger eines EU-Mitgliedstaates zudem: FZA
 Rechtsstellung: Gleichbehandlung in den meisten Grundrechten (ausser: Bürgerrechte
und vereinzelte Grundrechte wie Wirtschaftsfreiheit)

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IV. Stimmrecht: Grundlagen und Überblick

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Definition „Stimmrecht“

Zusammenfassender Ausdruck für die verschiedenen politischen Rechte, d.h. für die
Rechte, die den Bürgerinnen und Bürgern eine Mitwirkung bei der staatlichen
Willensbildung vermitteln (status activus).

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Grundlagen

 Begriff und Funktionen des «Stimmrechts»


 Das Stimmrecht ist Individualrecht und Ausdruck einer Organfunktion
 Ausdruck für die verschiedenen politischen Mitwirkungsrechte («status activus»)
 Historische Entwicklung
 Alte Eidgenossenschaft als «Urdemokratie»?
 Ausfluss der aufklärerischen Prinzipien der individuellen Freiheit und Gleichheit
 Ein «langer Weg» bis zum allgemeinen Stimmrecht im Sinne der Gleichheit
(1990: Einführung des Frauenstimmrechts im Kanton Appenzell Innerrhoden,
BGE 116 Ia 359)

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V. Stimmrecht und Stimmrechtsausübung

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Voraussetzungen bei eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen im


Bund

 Schweizer Bürgerrecht (Art. 136 Abs. 1 BV)


 Zurücklegung des 18. Altersjahres (Art. 136 Abs. 1 BV)
 Keine «Entmündigung» wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche (Art. 136
Abs. 1 BV): d.h. keine umfassende Beistandschaft wegen dauernder Urteilsunfähigkeit
(Art. 2 BPR)
 Politischer Wohnsitz (in der Schweiz) (Art. 39 Abs. 2 BV)
 Eintragung im Stimmregister (Art. 4 Abs. 1 BPR)

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Mindestanforderungen an die kantonalen Regelungen über die Ausübung


der politischen Rechte

 Politischer Wohnsitz (in der Schweiz) (Art. 39 Abs. 2 BV)


 Ausübung der politischen Rechte nur in einem Kanton (Art. 39 Abs. 3 BV)
 Karenzfrist (Art. 39 Abs. 4 BV)
 Direkte Demokratie in der Verfassungsgebung, repräsentative Demokratie in der
einfachen Gesetzgebung (Art. 51 Abs. 1 BV)

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Stimmrechtsausübung (1)
Politischer Wohnsitz
 Territorialitätsprinzip und Ausnahmen
 «Politisches Domizil», Ausübung nur an einem Ort (Art. 39 Abs. 3 BV)
Eintragung im Stimmregister
Stimmabgabe
 Grundsatz: Geheimes Stimm- und Wahlrecht
 Ausnahme: Versammlungen
1. ZP EMRK nicht ratifiziert, Art. 25 Bst. b UNO-Pakt II mit Vorbehalt
 An der Urne/brieflich/elektronisch (versuchsweise)

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Stimmrechtsausübung (2)
Stimmzwang und Stimmpflicht
 Ausdruck der Organfunktion
 Art. 23 Abs. 2 KV SH
Stimmbeteiligung
 Problematik tiefer Stimmbeteiligung?
Stimmrechtsausübung durch Auslandschweizer
 Problematik: Ausnahme vom Territorialitätsprinzip

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Aspekte der Wählbarkeit

 Unvereinbarkeit
 Amtszwang
 Amtsdauer
 Amtsunfähigkeit

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VI. Grundrechtliche Dimension des Stimmrechts

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Art. 34 Abs. 1 BV (Politische Rechte)

1 Die politischen Rechte sind gewährleistet.

im Ausmass, wie sie vom Verfassungs- und


Gesetzgeber in Bund und Kantonen
ausgestaltet sind,

-> jedes demokratische Mitwirkungsrecht auf Gemeindeebene ist grundrechtlich geschützt

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Art. 34 Abs. 2 BV (Politische Rechte)


2Die Garantie der politischen Rechte schützt die freie Willensbildung und die unverfälschte
Stimmabgabe.

Beispiele:
– Wahlrechtsgleichheit
– Korrekte Vorbereitung des Urnengangs durch die Behörden
– Hinreichende behördliche Information
– Verbot der Irreführung der Stimmberechtigten
– Verbot behördlicher Propaganda
– Grundsatz der Einheit der Materie
– Geheime Stimmabgabe
– Korrekte Ermittlung des Wahl- und Abstimmungsergebnisses
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Insbesondere: Wahlrechtsgleichheit

 Grundsatz und (viele) Ausnahmen


 Ableitung aus Art. 8 Abs. 1 BV sowie Art. 34 BV
 Teilaspekte:
 die Zählwertgleichheit sichert allen Stimmenden das gleiche Gewicht ihrer Stimme zu;
 die Stimmkraftgleichheit garantiert insbesondere, dass zwischen Sitzzahl und
Repräsentationsbasis überall das gleiche Verhältnis gilt;
 die Erfolgswertgleichheit erfordert, dass alle Stimmen in gleicher Weise zum Wahlergebnis
beitragen.

Die Wahlrechtsgleichheit muss in der ganzen schweizerischen Rechtsordnung


wirken.

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Überblick Wahlsysteme

Majorz mit Idealmajorz mit Proporz mit


Mehrpersonen- Einpersonen- Mindestgrösse
Wahlkreisen Wahlkreisen der Wahlkreise

Darstellung: Dr. A. Töndury

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Insbesondere: Einheit der Materie

 Konkretisierung von Art. 34 Abs. 2 BV


 Keine Abstimmung über eine Vorlage mit mehreren unterschiedlichen Sachfragen
 Innerer Zusammenhang der (verbundenen) Fragen
 Der Stimmbürger soll sich nicht nur mit „ja“ oder „nein“ zu mehreren verschiedenen
politischen Grundanliegen äussern müssen.
 Bei Unterzeichnung und Abstimmung: freier und wirklicher Wille der Stimmbürger muss
zum Ausdruck kommen

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VII. Schutz des Stimmrechts, inkl. Verbot behördlicher Interventionen

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Schutz des Stimm- und Wahlrechts (Art. 34 Abs. 2 BV)

 Anspruch, dass kein Abstimmungsergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen
der Stimmberechtigten zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt
 Jeder Stimmberechtigte soll seinen Entscheid für oder gegen eine Vorlage gestützt auf
einen freien und umfassenden Prozess der Meinungsbildung treffen und mit seiner
Stimme entsprechend zum Ausdruck bringen können.
 Gewährleistung der erforderliche Offenheit der politischen Auseinandersetzung
 Bild des informierten, aufgeklärten, vernünftigen, rational entscheidenden Bürgers

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Beispiel: Aufhebung der Eidg. Volksabstimmung über die «Heiratsstrafe»


(BGE 145 I 207; siehe auch Dokument 20 sowie B/G/K § 24 N. 69a)

 (Relativ) knappe Ablehnung der Volksinitiative «Für Ehe und Familie – gegen die
Heiratsstrafe» am 28. Februar 2016
 15. Juni 2018: Bundesrat informiert, dass die offiziell verwendeten Zahlen zu den
Betroffenen Paaren massiv falsch waren (nicht 80’000, sondern zwischen 454’000 und
704’000 Paare betroffen)
 BGer hob die Abstimmung auf, weil es den Stimmberechtigten nicht möglich war, sich
aufgrund der Angaben eine Meinung korrekt zu bilden.
 (Da die Initianten die Initiative im Februar 2020 zurückzogen, fand keine Wiederholung
der Volksabstimmung statt.)

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Behördliche Interventionen (1)

Volkswahlen
 Strikte Enthaltungspflicht der Behörden («Neutralität»)
Sachabstimmungen
 Verschiedene Modelle bezüglich der Rolle der Behörden
 Was soll den Behörden im Abstimmungskampf erlaubt sein?
 Wo endet Information und wo beginnt Propaganda?

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Behördliche Interventionen (2)


Informationsarten
 Grundlageninformationen
 Zeitpunkt: Zu Beginn der „Endphase“ des Abstimmungskampfe
 Inhalt: Notwendige Informationen, Abstimmungserläuterungen, Empfehlungen
 «Gerichtete» Informationen
 Zeitpunkt: Während des laufenden Abstimmungskampfe
 Inhalt: Zusätzliche Informationen (etwa Richtigstellungen etc.)
Private Äusserungen / Aussagen mit behördlichem Charakter

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Willensbildungsprozesse nach Abgabe der Erläuterungen


Interventionsmodell
Diskursmodell

Behörden Eingriff als Ausnahme


Behörden Teilnahme als Regel
(reaktiv)
(aktiv)
Staat

Gesellschaft
Stimm-
berechtigte Stimm-
berechtigte

Parteien Medien
Parteien Medien

Kantone Bund

Darstellung von Dr. A. Töndury

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Interventionen im Abstimmungskampf
(Grundregeln gem. bundesgerichtlicher Praxis)

Behörden Private

Behördenmitglieder

Interventionsverbot Nach objektivem Art. 16 BV


Anschein Meinungsäusserungsfreiheit

freie und
unverfälschte
Willensbildung

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Bundesgerichtliche Grundsätze zu behördlichen Informationen


vor (eigenen) Abstimmungen
Grundsatz: Verbot behördlicher Interventionen in der Phase des Abstimmungskampfes

Ausnahme: Triftige Gründe für behördliche Intervention, vor allem


– zur Richtig- oder Klarstellung irreführender privater oder behördlicher
Information,
– bei Bekanntwerden neuer, für den Abstimmungskampf erheblicher
Tatsachen,
– wenn die Komplexität des Abstimmungsgegenstandes
Zusatzinformationen nötig macht (umstritten)
– und falls die Ungewöhnlichkeit einer Vorlage ein gesteigertes
Informationsbedürfnis entstehen lässt.

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Grundsätze der behördlichen Abstimmungsinterventionen bei Vorliegen


triftiger Gründe
Sachlichkeit Verhältnis-
(Korrektheit, mässigkeit
Ausgewogenheit, (finanzielle Mittel,
Klarheit) Intensität der
freie und Intervention)
unverfälschte
Willensbildung

Transparenz Fairness
(keine verdeckte (Zurückhaltung)
Einflussnahme)

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Unzulässige Beeinflussung der Stimmberechtigten durch Private

Grundsatz: Meinungsäusserungsfreiheit (Art. 16 BV) aller Privaten als wesentliches


Element einer pluralistischen Demokratie.

Ausnahme: Einflussnahmen von einer bestimmten Art und Intensität verfälschen die
Willensbildung unzulässig.
– Falsche Darstellung objektiver Tatsachen
– Schwerwiegende Irreführung, weil die Tatsache einen zentralen Punkt
der Vorlage oder eine zentrale persönliche Eigenschaft betrifft
– Falsche Informationen knapp vor Stimmakt
– Auswirkungen auf das Ergebnis müssen zumindest sehr
wahrscheinlich sein.

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Aufhebung eines Abstimmungsresultats wegen Mängeln mit nicht klar


bezifferbaren Folgen (Grundsätze)
Bundesgericht
Gesamtbetrachtung

Mutmassliche Schwere des Mangels/ Grösse des


Wirkung auf Grundsätzlichkeit des Stimmenunterschieds
StimmbürgerInnen Fehlers

Keine Aufhebung, wenn nach den gesamten Umständen die Möglichkeit,


dass die Abstimmung anders ausgefallen wäre, derart gering erscheint,
dass sie nicht mehr ernsthaft in Betracht fällt. Seite 36

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