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elemente chemie

Das Orbitalmodell
z z z

y y y
x x x

1s 2s 2px 2py 2pz

1 Elektronen als stehende Wellen


2 Atomorbitale
3 Molekülorbitale und Hybridisierung

Bildquellen: 
B1 FOCUS (SPL), Hamburg; B2 FOCUS (Francis Simon/American Institute of Physics/SPL), Hamburg;
B3 Süddeutsche Zeitung Photo (S.M.), München

© Ernst Klett Verlag GmbH, Stuttgart 2012 Das Orbitalmodell 1


(Auszug aus „elemente chemie 2“, ISBN 978-3-12-756830-1)
1 Elektronen als stehende Wellen

Im Jahr 1924 stellte der französische Physiker Interferenzmuster und Wellenlänge. Aus
Louis de Broglie [B1] die Hypothese auf, ein den Abständen der hellen und dunklen Streifen
Elektron sei nicht nur als kleines Teilchen zu im Interferenzmuster kann man die Wellen-
betrachten, sondern es besitze auch die Eigen- länge des Lichts berechnen, indem man jeden
schaften einer Welle. Dies war eine wichtige der beiden Spalte als Ausgangspunkt einer
Grundlage für die Entwicklung des Orbital­ Elementarwelle betrachtet [B4]:
modells. De Broglies Hypothese wurde drei Beide Spalte haben die gleiche Entfernung
Jahre später durch Experimente mit Kathoden- zum Schnittpunkt der Mittelsenkrechten mit
strahlröhren bestätigt. dem Schirm. Hier sind beide Elementarwellen
in gleicher Phase, d. h., Wellenberg trifft auf
B1 Louis de Broglie Interferenz am Doppelspalt. Eine wichtige Wellenberg. Durch gegenseitige Verstärkung
(1892 – 1987) Eigenschaft von Wellen ist die Interferenz. Sie entsteht so das Hauptmaximum.
kann z. B. mit Wasser gezeigt werden [B2]: Zum Punkt P ergeben sich unterschiedliche
Eine Wasserwelle tritt durch zwei Öffnungen Entfernungen s1 und s2 . Die Differenz ist der
Doppelspalt Zwei enge, eines Hindernisses. Durch Überlagerung zweier Gang­unter­schied: ð s = s2 – s1
nahe beieinander liegende kreis­förmiger Wellen entsteht ein Interferenz- Beträgt der Gangunterschied ðs genau eine
Öffnungen, durch die eine
Welle treten kann. Typische
muster. Wellenlänge l, so sind im Punkt P beide
Abmessungen eines Auch Licht zeigt Interferenz [B3]: Fällt ein Wellen in gleicher Phase und verstärken sich
Doppelspalts für Lichtwellen: Lichtstrahl durch einen Doppelspalt, so erhält gegenseitig zu einem Nebenmaximum. Das
Spaltbreite = 0,1 mm, man auf einem Schirm ein Muster aus hellen Gleiche gilt, wenn der Gangunterschied ein
Spaltabstand g = 0,25 mm
und dunklen Streifen. Dieses Phänomen lässt Vielfaches der Wellenlänge ist (also ð s = k · l
sich durch Überlagerung von Lichtwellen mit k = 1; 2; 3; …). Bei den dunklen Streifen
Größen erklären. Jeder Spalt wird zum Ausgangspunkt zwischen den Maxima (also ð s = k · l/2 mit
g: Spaltabstand bzw. einer kreisförmigen Elementarwelle. Die hellen k = 1; 3; 5; …) löschen sich die Wellen aus.
Gitterkonstante Streifen entstehen durch Verstärkung, wenn
a: Winkel (siehe B4) also Wellenberg auf Wellenberg bzw. Wellen­- Der Gangunterschied kann aus dem Winkel a
s: Abstand Spalt – Schirm tal auf Wellental trifft. An den dunklen Streifen und dem Spaltabstand g berechnet werden:
ð s: Gangunterschied löschen sich die Wellen gegenseitig aus, d. h., ð s = g · sin a
k: ganze Zahl ein Wellenberg trifft auf ein Wellental.
Einsetzen der Bedingung ð s = k · l für die
ak: Abstand zw. Haupt-
Nebenmaxima ergibt:
und Nebenmaximum Nr. k Interferenz ist die Verstärkung und Aus­
l: Wellenlänge löschung von Wellen durch Überlagerung. k · l = g · sin a mit k = 1; 2; 3; …

ðs = s2 – s1

Neben-
maxima g a

Haupt-
maximum Mittel-
a senkrechte
Neben- s2
maxima a1
s1
große P
Licht
Entfernung
Doppelspalt Schirm Interferenzbild s
B2 Beugung
von Wasserwellen am B3 Interferenz von Licht am Doppelspalt B4 Zusammenhang zwischen dem Abstand der
Doppelspalt (Größenverhältnisse nicht wie im realen Experiment) Maxima und der Wellenlänge

2 Das Orbitalmodell    © Ernst Klett Verlag GmbH, Stuttgart 2012 Bildquellen: B1 FOCUS (SPL), Hamburg
E le kt ron e n a ls st e h e n d e We lle n

In der Praxis baut man den Versuch so auf, Mit einer Kathodenstrahlröhre [B5] kann man Die De-Broglie-Beziehung
dass der Winkel a sehr klein ist. Statt des sowohl die Wellenlänge als auch den Impuls lässt sich für Licht bzw.
Photonen durch einfaches
Winkels a misst man die Abstände a1 und s. bewegter Elektronen ermitteln. Die geheizte Gleichsetzen von E = mc2
Es gilt: tan a = a1 /s Kathode gibt Elektronen ab, diese werden von und E = h · c/l ableiten.
Für sehr kleine Winkel a gilt außerdem in der positiv geladenen Anode angezogen und Man erhält h/l = m · c = p .
guter Näherung: sin a = tan a treffen durch ein Loch auf die Folie mit kleinen Die Idee von Louis de Broglie
war, dass die Beziehung
Graphitkristallen. Auf dem Leuchtschirm für alle Teilchen gilt. Für viele
Einsetzen in die Bedingung für das Neben­ erkennt man konzentrische Ringe. (Wegen der Teilchen wurde dies
maximum mit k = 1 ergibt: regellosen Anordnung der Kristalle erhält man experimentell bestätigt,
ein rundes Inter­ferenz­muster.) Vergrößert man sogar für das große Molekül
1 a C60 (Buckminsterfulleren)
l = g · sin a = g · tan a = g · ​ _
s​ die Beschleunigungsspannung UB und damit
den Impuls der Elektronen, so verkleinern sich Größen
Allgemein gilt für alle Nebenmaxima: die Radien der Inter­ferenz­ringe. g: Spaltabstand bzw.
Gitterkonstante
ak
l = g · ​ __
k·s
​ mit k = 1; 2; 3; … Den Impuls p der einzelnen Elektronen berech- a: Winkel (siehe B4)
net man aus der Beschleunigungs­spannung, s: Abstand Spalt – Schirm
Dieselbe Formel gilt für die Interferenz am die Wellenlänge l aus den Radien der ð s: Gangunterschied
optischen Gitter; hier liegen viele Spalte Inter­ferenz­­ringe und der Gitterkonstanten k: ganze Zahl
im Abstand g nebeneinander. Der Abstand g des Graphits [B6]. Dabei stellt man fest, dass ak: Abstand zw. Haupt- und
ist in diesem Fall die Gitterkonstante. p und l umgekehrt proportional sind: Nebenmaximum Nr. k
l: Wellenlänge
l = ​ _hp ​   ⇔   p = ​ _hl ​   ⇔   p · l = h
Die Wellenlänge ist proportional zum Abstand v: Geschwindigkeit
zwischen den Maxima des Interferenzmusters. (h = 6,626 · 10–34 J s ist die Planck-Konstante.) p: Impuls p = m · v
UB: Beschleunigungs­
Interferenz von Elektronen. Kristallgitter Diese Gleichung wird als De-Broglie-Beziehung spannung
wirken wie optische Gitter mit sehr kleinen bezeichnet. Mit ihr kann jedem bewegten h: Planck-Konstante
Gitter­­konstanten. An ihnen beobachtet man Teilchen eine Wellenlänge zugeordnet werden, Ekin: kinetische Energie
die Interferenz sehr kurzwelliger Strahlung, die De-Broglie-Wellen­länge. h: Planck-Konstante
z. B. Röntgenstrahlung. Aber auch ein Strahl me: Masse eines Elektrons
schnell fliegender Elektronen zeigt Interferenz Mit der De-Broglie-Beziehung kann man den e: Elementarladung
an Kristallgittern, sodass man seine Wellen- Impuls p eines Teilchens und die Wellenlänge
länge berechnen kann. l des Teilchenstrahls ineinander umrechnen.

Evakuierte In der Kathodenstrahlröhre wird die potentielle Energie jedes Elektrons im


Kathode Anode Röhre elektrischen Feld in kinetische Energie umgewandelt: Ekin = Epot
Einsetzen der kinetischen Energie eines Elektrons Ekin = p2/(2 me) [B8]
und der potentiellen Energie Epot = UB· e ergibt:
p2 __ _____
​  ​ =
__
2 me U B· e ⇔ p = ​9 2 UB · e · me ​ = ​9 2 UB  ·  1,602 · ​    
10 ​–19​ A s  ·  9,109 · ​10 ​–31​ kg ​
UH
Aus der Graphitstruktur folgen mehrere Gitterkonstanten. Für den Radius a1
des ersten Interferenzrings gilt: g1 = 2,13 · 10–10 m und k = 1.
Die Wellenlänge l des Elektronenstrahls ist folglich: l = g1 · a1 /s
UB Beispiel: In einer Kathodenstrahlröhre mit s = 130 mm und UB = 7 000 V
Beschleunigungs- wird der Radius a1 des ersten Interferenzrings gemessen: a1 = 8,9 mm
spannung
Heizspannung Graphitfolie Leuchtschirm Die Rechnung ergibt: p = 4,52 · 10–23 kg m s–1 und l = 1,46 · 10–11 m
p · l = 6,6 · 10–34 J s ≈ h

B5 Interferenz von Elektronen an Graphitkristallen B6 Beispiel zur Berechnung des Impulses und der Wellenlänge von E
­ lektronen
in einer Kathodenstrahlröhre in der Kathodenstrahlröhre mit eingebauter Graphitfolie

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El ektronen als stehe nde We l l e n

Bedingung für Wellenlängen:


​ n2 ​· L     mit n = 1; 2; 3; …
ln = _
Umrechnen von ln in pn (De-Broglie-Beziehung):
h h
pn = ​ _
l ​  = n · ​ 2 L ​
__
n

Zur Berechnung der Energiewerte des Elektrons


wird die Formel für die kinetische Energie mit
dem Impuls p = me · v ausgedrückt:
p2
Ekin = ​ _21 ​ me · v 2 = me2 · ​ __
v2

2 m ​  = ​ 2 m ​
__
e e

B7 Stehende Wellen auf einer Saite (links), auf einer Membran (rechts) Einsetzen der Beziehung für pn ergibt:
pn
2
h2
2
En = ​ __
2 me​  = ​ 8 me · L2 ​ · n    mit n = 1; 2; 3; …
____
Stehende Wellen. Die De-Broglie-Beziehung
war die entscheidende Anregung für Wissen- B8 Energiewerte stehender Elektronenwellen im
schaftler, auch Elektronen im Atom als Welle eindimensionalen (linearen) Kasten mit der Länge L
zu beschreiben. Da die Elektronen das Atom
ohne Energie­zufuhr nicht verlassen, kann Das Elektron im eindimensionalen Kasten.
es keine sich ausbreitende Welle sein. Es gibt Im drei­dimen­sionalen Raum eines Atoms be-
jedoch auch stehende Wellen, die sich nicht schreibt man die Elektronen als dreidimensio-
ausbreiten und in einem begrenzten Raum nale stehende Wellen. Da deren Berechnung
existieren. kompliziert ist, kann man zunächst vereinfacht
Flageoletttöne entstehen, Ein bekanntes Beispiel ist eine Saite. Auf ihr das Elektron im Atom als eine eindimensionale
wenn man vor dem können sich unterschiedliche stehende Wellen stehende Welle betrachten, die sich zwischen
Anschlagen bzw. Streichen
einer Saite durch Berühren
ausbilden, die den Grundton und die Flageolett- zwei undurchdringlichen Wänden ausbildet.
mit einem Finger einen töne erzeugen [B7 links]. An den Wellen­ In diesem eindimensionalen Kasten der Länge
Knotenpunkt erzeugt bäuchen schwingt die Saite am stärksten, d. h., L kann das Elektron nur bestimmte Wellen­
die Auslenkung der Wellenfunktion ist längen ln ausbilden, analog zur schwingenden
Wellenfunktion Die „Form“ maximal. Dazwischen, an den Knotenpunkten, Saite. Aus jeder Wellenlänge ln kann der
einer Welle wird mathe­
matisch mit einer
befindet sie sich in Ruhe, d. h., die Auslenkung Impuls pn berechnet werden, und daraus die
Wellenfunktion beschrieben der Wellenfunktion ist null. Wellenbäuche und kinetische Energie des Elektrons; diese ist
Knotenpunkte haben feste Orte. An den Enden gleichzeitig die Energie der stehenden Welle
Auslenkung Funktionswert der Saite muss jeweils ein Knotenpunkt sein. En [B8]. Man erkennt, dass die Energie nur
der Wellenfunktion an
einem bestimmten Punkt.
Deshalb kann die stehende Welle nicht jede ganz bestimmte Werte annehmen kann. Je
Bei Saiten und Membranen beliebige Wellenlänge annehmen. länger der Kasten, desto kleiner sind diese
ist dies unmittelbar Energiewerte:
anschaulich. Bei der Saitenlänge L ist die größtmögliche
Bei Elektronen kann man 2
h 2
aus dem quadrierten Wert Wellenlänge l = 2 L . Für die Wellenlängen ln En = ​ ____2​  · n
8 me · L
der Auslenkung eine Größe stehender Wellen gilt die folgende Bedingung:
berechnen, die man als Die einzelnen Zustände werden durch die
Aufenthaltswahrscheinlich- ​ n2 ​ · L    mit n = 1; 2; 3; …
ln = _
Zahl n charakterisiert. Sie wird als Quantenzahl
keit interpretiert
Stehende Wellen können sich auch auf be­- bezeichnet, da die Energie nur in bestimmten
grenzten Flächen ausbilden, z. B. auf einer Portionen (Quanten) auftritt.
schwingenden Platte oder Membran. Wird
eine Membran durch einen Lautsprecher B9 zeigt die ersten drei Energiewerte des
angeregt, so entstehen zweidimensionale Elektrons im eindimensionalen Kasten und
stehende Wellen [B7 rechts]. Die Wellenbäuche die Wellenfunktionen. Man sieht, dass die
werden durch Knotenlinien begrenzt. Auch Anzahl der inneren Knotenpunkte n – 1 ist. Je
hier zeigt sich, dass nur bestimmte Wellen­ kürzer die Wellenlänge, desto größer ist die
längen möglich sind. Anzahl der Knotenpunkte und die Energie.

4 Das Orbitalmodell    © Ernst Klett Verlag GmbH, Stuttgart 2012 Bildquellen: B1 FOCUS (Andrew Lambert Photography/SPL), Hamburg;
E le kt ron e n a ls st e h e n d e We lle n

Energie Auslenkung y
E1 : E2 : E3 = 1 : 4 : 9
n=3 x
En ~ n2
0 l3 = 2
3·L L

E3 nx = 1 nx = 2 nx = 1
ny = 1 ny = 1 ny = 2 z

n=2
y
0 l2 = 2
2·L L x
E2
nx = 1 nx = 2 nx = 1 nx = 1
n=1
ny = 1 ny = 1 ny = 2 ny = 1
E1 l1 = 21 · L nz = 1 nz = 1 nz = 1 nz = 2
0 0 L
B9 Elektronenwelle im eindimensionalen B10 Elektronenwelle im zweidimensionalen quadratischen Kasten (oben)
(linearen) Kasten, mit inneren Knotenpunkten (•) und im ­dreidimensionalen würfelförmigen Kasten (unten)

Das Elektron im zweidimensionalen Kasten. Für die Energie­zustände der Elektronenwellen


Die Modellvorstellung der stehenden Elektro- im dreidimensionalen Kasten gilt allgemein:
nenwelle kann auf einen zweidimensionalen 2 2 2
h h h
Kasten erweitert werden. In diesem Fall sind Enx , ny , n z = ​ ____
8 me · Lx2 ​· nx + ​ 8 me · Ly2​· ny + ​ 8 me · Lz2 ​· nz
2 ____ 2 ____ 2

die Schwingungszustände mit denen


einer schwingenden Membran vergleichbar. B10 zeigt die Zustände eines würfelförmigen Entartung Wenn sich
Zur Charakterisierung der möglichen Zustände Kastens mit Lx = Ly = Lz . Die farbigen Ober­ mehrere Zustände nur durch
die Richtung im Koordinaten-
sind die zwei Quantenzahlen nx und ny flächen verbinden Punkte gleicher Auslenkung system unterscheiden lassen,
erforderlich. Für die Energiewerte gilt: der Wellenfunktion (rot: positives Vorzeichen; bezeichnet man sie als
2 2
blau: negatives Vorzeichen). Andere jeweils entartet. Entartete Zustände
h h besitzen die gleiche Energie
Enx , ny = ​ ____
8 me · Lx2 ​ · nx + ​ 8 me · Ly2 ​ · ny
2 ____ 2 gleiche Auslenkungen könnten durch weitere
Oberflächen dargestellt werden. Statt
B10 zeigt die Zustände eines quadratischen Knotenlinien treten bei dreidimensionalen Größen
Kastens mit Lx = Ly . Die farbigen Linien ver­- Wellen Knotenflächen auf. L: Länge (einer Saite oder
eines Kastens)
binden Orte gleicher Auslenkung der Wellen- Die drei Quantenzahlen nx  , ny und nz charak­
funktion. Die Knotenlinien trennen Bereiche terisieren die möglichen Zustände. Ist der l: Wellenlänge

mit positiver und negativer Auslenkung. Wert aller drei Quantenzahlen 1, ergibt sich v: Geschwindigkeit
Für nx = 1 und ny = 1 ergibt sich der energie- der energieärmste Zustand ohne innere p: Impuls p = m · v
ärmste Zustand, der keine innere Knotenlinie Knoten­fläche. Erhält eine der Quantenzahlen Ekin: kinetische Energie
aufweist. den Wert 2, ergeben sich drei Zustände mit n: Quantenzahl
Der Zustand mit nx = 2 und ny = 1 hat eine jeweils einer inneren Knotenfläche. Die drei h: Planck-Konstante
innere Knotenlinie. Der Zustand mit nx = 1 Zustände sind entartet, d. h., sie unterscheiden me: Masse eines Elektrons
und ny = 2 ist sehr ähnlich, nur seine Knoten­ sich nur durch die räumliche Orientierung der Index n: zur Quantenzahl n
linie hat eine andere Richtung. Auch die Knotenfläche und besitzen dieselbe Energie. Index x, y, bzw. z:
Energiewerte der beiden Zustände sind gleich. in Richtung der kartesischen
Man bezeichnet sie als entartet bzw. spricht Koordinate x, y bzw. z
von einer Entartung der Zustände. A1 Zeigen Sie, dass E2,1,1, E1,2,1 und E1,1,2 für ei-
nen würfelförmigen Kasten einander gleich
Das Elektron im dreidimensionalen Kasten. sind und dass sie für einen quaderförmigen
Eine weitere Annäherung an die stehende Kasten i. A. nicht gleich sind. Formulieren
Welle eines Elektrons im Atom ist das Modell Sie eine Vermutung über den Zusammen-
hang zwischen Symmetrie und Entartung.
der Elektronenwelle im dreidimensionalen
würfelförmigen Kasten [B10 unten].

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2 Atomorbitale

n l m Bezeich-
In den Jahren 1925 und 1926 entwickelten die
nung der Physiker Erwin Schrödinger und Werner
Orbitale Heisenberg [B2] unabhängig voneinander
zwei formal unterschiedliche, aber im Ergebnis
1 0 0 1s
gleichwertige Beschreibungen der Elektronen-
2 0 0 2s wellen in Atomen und deren Energie­zustände.
2 1 –1 Heutige Quantenchemiker arbeiten i. d. R. mit
dem Formalismus von Schrödinger.
2 1 0 2p
2 1 +1 Elektronenwellen im Atom. Ähnlich wie beim
3 0 0 3s dreidimensionalen Kasten (Kap. 1) kann man B2 Erwin Schrödinger (1887 – 1961, links);
einem Elektron im Atom stehende Wellen Werner Heisenberg (1901 – 1976, rechts)
3 1 –1
zuordnen, denen bestimmte Energien ent­-
3 1 0 3p sprechen. Zur Charakterisierung der Zustände Orbitale des Wasserstoffatoms. Einen
3 1 +1 sind drei Quantenzahlen erforderlich. Zu­stand eines Elektrons bezeichnet man als
Die Abhängigkeit der Energiewerte von den Orbital. Jeder Kombination der drei Quanten-
3 2 –2
Quantenzahlen ist aus mehreren Gründen zahlen lässt sich ein Orbital zuordnen. Die
3 2 –1 komplizierter als beim dreidimensionalen Bezeichnung eines Orbitals wird folgender­
3 2 0 3d Kasten. Das Elektron ist nicht durch viereckige maßen aus den Quantenzahlen abgeleitet:
Wände „eingesperrt“, sondern durch die – Zuerst schreibt man die Hauptquantenzahl.
3 2 +1
elektrostatische Anziehung auf einen kugel- – Statt der Nebenquantenzahl schreibt man
3 2 +2 symmetrischen Raumbereich um den Atom- s für l = 0, p für l = 1, d für l = 2, f für l = 3.
4 0 0 4s kern konzentriert. Die Anziehungskraft nimmt – Die Magnetquantenzahl gibt man nicht an.
außerdem mit dem Abstand zum Atomkern ab. Beispiel: n = 2 und l = 1 ⇒ 2p-Orbital
4 1 –1
4 1 0 4p Quantenzahlen des Wasserstoffatoms. Das Die grafische Darstellung der Orbitale zeigt
4 1 +1 Wasserstoffatom ist mit nur einem Elektron Flächen gleicher Auslenkung der Wellenfunk-
das einfachste aller Atome. Aus diesem Grund tion [B3]. Für den energieärmsten Zustand,
4 2 –2 lassen sich seine Zustände vergleichsweise das 1s-Orbital, ergibt sich eine Kugelober­
4 2 –1 am einfachsten berechnen. Man erhält fläche. Die Oberfläche einer „unendlich großen
4 2 0 4d Wellenfunktionen und Energiewerte, die durch Kugel“ würde der Auslenkung null entsprechen.
drei Quantenzahlen charakterisiert werden: Der Ort maximaler Auslenkung ist der Mittel-
4 2 +1 – Die Hauptquantenzahl n kann jede natür- punkt der Kugel.
4 2 +2 liche Zahl sein (n = 1, 2, 3, …). Jede Haupt- Der nächsthöhere Energiezustand mit n = 2
4 3 –3
quantenzahl entspricht einer Schale im umfasst vier Orbitale mit je einer Knoten­
Schalenmodell. Im Wasser­stoff­atom ist die fläche. Beim 2s-Orbital (l = 0) ist die Knoten­
4 3 –2 Energie des Elektrons allein abhängig von fläche eine Kugeloberfläche, die die Auslen-
4 3 –1 der Hauptquantenzahl. kungen mit entgegengesetzten Vorzeichen
4 3 0 4f
– Die Nebenquantenzahl l ist abhängig von begrenzt. Die drei entarteten 2p-Orbitale
der Hauptquantenzahl des Zustands. Sie haben je eine Knoten­ebene. Sie sind jeweils zu
4 3 +1 kann nur die ganzzahligen Werte von l = 0 einer Koordinatenachse rotationssymmetrisch;
4 3 +2 bis l = n – 1 annehmen. ihre Bezeichnungen sind 2px , 2py und 2pz .
– Die Magnetquantenzahl m ist wiederum
4 3 +3
abhängig von der Nebenquantenzahl des Die Nebenquantenzahl bestimmt die Symme-
B1 Kombinationen von Zustands. Sie kann nur die ganzzahligen trie der Orbitale. Für l = 0 ergeben sich kugel­-
Quantenzahlen bis n = Werte von m = – l bis m = + l annehmen. symmetrische s-Orbitale, für l = 1 rotations­
4 beim Wasserstoffatom B1 zeigt alle möglichen Kombinationen von symmetrische p-Orbitale. Die Anzahl der
Quantenzahlen bis n = 4. Den energieärmsten möglichen Magnetquantenzahlen ist gleich
Zustand mit n = 1, l = 0 und m = 0 bezeich- der Anzahl der Orbitale. Für l = 2 ergeben sich
net man als Grundzustand. fünf d-Orbitale, für l = 3 sieben f-Orbitale.

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A t om or b i t a le

n H
 auptquantenzahl
z z z
n = 1; 2; 3; …
l N
 ebenquantenzahl
0ªlªn
m M
 agnetquantenzahl
–l ª m ª +l
y y y
x x x s S
 pinquantenzahl
s = +½; –½
s, p, d, f Die Buchstaben
1s 2s 2px 2py 2pz stammen von Bezeichnungen
für Spektral­linien,
B3 s- und p-Orbitale für n = 1 und n = 2 . Die dargestellten Flächen sind Flächen gleicher Auslenkung der deren Auswertung erste
Wellenfunktion Aufschlüsse über die
Energiestufen der Atome
ergab: sharp, principal,
Atome mit mehreren Elektronen. Wenn in symbolisiert, deren entgegengesetzte Rich­- diffuse, fundamental
einem Atom mehrere Elektronen vorhanden tung für die beiden möglichen Spinquanten-
sind, muss man auch deren gegenseitige zahlen steht. Orbitale mit gleicher Haupt- entartete Orbitale
Wechselwirkung berücksichtigen. Dies führt und Nebenquantenzahl werden als zusammen­- siehe Entartung, Kap. 1

zu hochkomplizierten Rechnungen. Aus diesem hängende Kästchen geschrieben. Wolfgang Pauli


(1900 – 1958)
Grund überträgt man als Näherung die bei Nach der Regel von Hund werden Orbitale
deutscher Physiker
der Berechnung des Wasser­stoff­atoms gewon­- gleicher Haupt- und Nebenquantenzahl
Linus Pauling
nenen Erkenntnisse auf alle anderen Atome, (entartete Orbitale) zunächst einfach besetzt. (1901 – 1994)
d. h., man schreibt ihnen die gleichen Orbital- Deshalb treten erst ab dem O-Atom doppelt amerikani­scher Chemiker
formen zu. Die Zuordnung der Elektronen besetzte p-Orbitale auf. Friedrich Hund
(„Besetzung“) beginnt beim energieärmsten Die Elektronenkonfiguration eines Atoms lässt (1896 – 1997)
Orbital und wird nach steigender Energie sich auch in einer vereinfachten Schreibweise deutscher Physiker
fortgesetzt. Die Energie ist hier (anders als angeben. Dabei wird die Hauptquantenzahl
beim Wasserstoffatom) auch von der Neben- mit der Angabe des Orbitals kombiniert, die
quantenzahl abhängig. Anzahl der Elektronen wird als hochgestellte
Zahl geschrieben [B4 rechts].
Bei Mehrelektronensystemen reichen
die Quantenzahlen n, l und m nicht aus. Man Orbitale
1s 2s 2p vereinfachte Schreibweise
be­nötigt zusätzlich die Spinquantenzahl s. Atom
Bei einem gegebenen Orbital sind die zwei
H 1s1
Spinquantenzahlen + ½ und – ½ möglich. Nach
dem Pauli-Prinzip gilt allgemein, dass sich He 1s2
zwei Elektronen eines Atoms in mindestens Li 1s2 2s1
einer Quantenzahl unterscheiden müssen.
Damit lassen sich einem Orbital höchstens Be 1s2 2s2
zwei Elektronen mit den Spinquantenzahlen B 1s2 2s2 2p1
+ ½ und – ½ zuordnen. Die Elektronen eines
C 1s2 2s2 2p2
Orbitals bilden ein Elektronenpaar.
N 1s2 2s2 2p3
Aufbau der Elektronenhüllen. Die Zuordnung O 1s2 2s2 2p4
aller Elektronen eines Atoms zu Orbitalen
bezeichnet man als Elektronenkonfiguration. F 1s2 2s2 2p5
B4 zeigt die Elektronenkonfigurationen für die Ne 1s2 2s2 2p6
Grund­zustände der Atome bis zur Kernladungs­
zahl 10. In der Pauling-Schreibweise (Kästchen- B4 Elektronenkonfigurationen der Atome bis zur Kernladungszahl 10 in der
schreibweise) entspricht jedes Kästchen einem Pauling-Schreibweise (Kästchenschreibweise) und in der vereinfachten Schreibweise
Orbital. Die Elektronen werden durch Pfeile

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A to m orbitale

Energetische Reihenfolge der Orbitale. Die die 3. Periode nur acht Elemente umfasst. Erst
6p 6 gegenseitige Wechselwirkung der Elektronen in der vierten Periode findet man 18 Elemente;
n=6 5d 10 eines Atoms führt dazu, dass sich die s-, p-, hier werden die 3d-Orbitale besetzt. Entspre-
4f 14 d- und f-Orbitale derselben Hauptquantenzahl chendes gilt für die 4f-Orbitale, die erst in der
6s 2 in ihrer Energie unterscheiden. Bis zu den 6. Perode besetzt werden.
3p-Orbitalen ist die Reihenfolge der Energie-
5p 6 stufen einfach zu ermitteln: Eine höhere Bei den Atomen der Hauptgruppen sind die
n=5 Hauptquantenzahl bedeutet auch höhere besetzten Orbitale mit der größten Energie
4d 10 Energie. s- oder p-Orbitale. Bei den Nebengruppen
5s 2 Ab den 3d-Orbitalen gilt diese einfache Regel sind dies die d-Orbitale, bei den Lanthanoiden
nicht mehr [B4]. So besitzen z. B. die Elektro- und Actinoiden die f-Orbitale. Man spricht aus
nen in einem 4s-Orbital eine kleinere Energie diesem Grund auch von „d-Elementen“ bzw.
4p 6
als die Elektronen in einem 3d-Orbital. Als „f-Elementen“.
n=4
Faustregel gilt, dass die Energiestufe eines
3d 10
4s 2
Orbitals umso höher liegt, je größer der Betrachtet man die Elektronenkonfiguration
Zahlenwert der Summe von n + l ist. Für ein der Atome von Elementen einer Hauptgruppe,
3d-Orbital ist n + l = 5, für ein 4s-Orbital so stellt man fest, dass sie in der äußersten
3p 6 n + l = 4. Schale jeweils gleich ist. Da dies offenbar ent-
n=3 scheidend für die chemi­schen Eigenschaften
Besetzung der Orbitale und Periodensystem. ist, gibt man häufig nur die Konfiguration der
3s 2 Im Periodensystem der Elemente spiegelt sich Außenelektronen (Valenzelektronen) an. Sie ist
der Aufbau der Elektronenhülle wider [B6]. z. B. bei der I. Hauptgruppe (Alkalimetalle) n s1,
2p 6 Für die 1. und 2. Periode gilt: Die Anzahl der bei der VII. Hauptgruppe (Halogene) n s2 n p5.
n=2 Elemente ist gleich der maximalen Anzahl Trotzdem unterscheiden sich die Elemente
der bei der Hauptquantenzahl n möglichen einer Hauptgruppe deutlich, vor allem in den
2s 2 Elektronen. In der 1. Periode finden wir Eigenschaften ihrer Verbindungen.
deshalb nur zwei Elemente, entsprechend
Maximale Anzahl
der Elektronen der maximalen Anzahl von zwei Elektronen
des 1 s-Orbitals. Die 2. Periode umfasst acht A1 Vergleichen Sie die Elemente innerhalb der
n=1
1s 2 Elemente, entsprechend der maximalen I. und IV. Hauptgruppe
Gesamtzahl von acht Elektronen in den 2s- a) bezüglich der physikalischen Eigen-
B5 Reihenfolge der und 2p-Orbitalen. schaften der elementaren Stoffe,
Energieniveaus der In der 3. Periode bewirkt die energetische b) bezüglich der Stoffeigenschaften ihrer
Orbitale in Atomen mit Oxide.
Reihenfolge der Orbitale, dass die 3d-Orbitale
mehreren Elektronen
zunächst nicht besetzt werden, sodass auch

Hauptgruppen: Besetzung der s- und p-Orbitale


H He

Li Be B C N O F Ne

Na Mg Al Si P S Cl Ar
Nebengruppen: Besetzung der d-Orbitale
K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr

Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te I Xe
Lanthanoide und Actinoide: Besetzung der f-Orbitale
Cs Ba La Ce Pr Nd Pm Sm Eu Gd Tb Dy Ho Er Tm Yb Lu Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At Rn

Fr Ra Ac Th Pa U Np Pu Am Cm Bk Cf Es Fm Md No Lr Rf Db Sg Bh Hs Mt Ds Rg Cn

B6 Periodensystem der Elemente und Besetzung der Orbitale

8 Das Orbitalmodell    © Ernst Klett Verlag GmbH, Stuttgart 2012


3 Molekülorbitale und Hybridisierung

bindend antibindend
Lx

Ly
Lz Linien gleicher
Oberfläche gleicher Auslenkung Auslenkung
Auslenkung in der Schnittfläche

B1 Elektronenwelle des Grundzustands im


dreidimensionalen Kasten mit Lx = Ly und Lz > Lx z z
Kern Kern Kern Kern
In Kap. 1 wurden die Energien einer Elektronen-
Knotenebene
welle im dreidimensionalen Kasten berechnet.
+
Für den Grundzustand nx = ny = nz = 1 gilt: B2 Molekülorbitale des H2 -Moleküls: Auslenkung entlang der Kernverbindungs-
achse (unten) und Linien gleicher Auslenkung in einer Molekülebene

( )
2
h 1 1 1
E1, 1, 1 = ​ __
8 m ​· ​ ​ L 2 ​ + ​ L 2 ​+ ​ L 2​  ​
__ __ _
e x y z
Die Bindung im Wasserstoffmolekül. Im H2+-Molekül eigentlich
Die Gleichung zeigt, dass die Verlängerung H2-Molekül wird das energieärmste Molekül­ Diwasserstoffkation. Es
existiert in Molekül­wolken im
des Kastens zu einem niedrigeren Energiewert orbital von zwei Elektronen entgegengesetzter Weltraum und kann durch
des Grundzustands führt. B1 zeigt die Elektro- Spinquantenzahl besetzt. Jedes der beiden Ionisierung eines H2-Moleküls
nenwelle in einem quaderförmigen Kasten. Elektronen leistet unabhängig vom anderen im Labor hergestellt werden.
einen Beitrag zur Bindung, d. h. zur Energie­ver­ Da das H2+-Molekül nur ein
einziges Elektron besitzt, sind
Die Bindung im H2+-Molekül. Der Aufenthalts- ringerung im Vergleich zu den einzelnen H- die Berechnungen zu seiner
bereich eines Elektrons in einem Molekül Atomen. Wegen der gegenseitigen Abstoßung chemischen Bindung relativ
ist größer als in einem einzelnen Atom. Analog der Elek­tronen und wegen des kleineren übersichtlich
zum Kasten führt auch dies zu einer Verringe- Kernabstands hat die Bindungsenergie im
rung der Energie des Elektrons. H2-Molekül nicht ganz den doppelten Wert im
Das einfachste denkbare Molekül ist das H2+- Vergleich zum H2+-Molekül. Das MO-Schema in
Molekül. Durch die beiden Atomkerne ist B3 zeigt die Energiestufen der beiden energie­-
das Elektron auf einen bestimmten Raum­ ärmsten Molekülorbitale des H2-Moleküls im
bereich konzentriert, den man sehr vereinfacht Vergleich mit den 1s-Orbitalen der H-Atome. Da
als quaderförmigen Kasten betrachten kann. nur das energieärmste Molekülorbital besetzt
Bereits mit diesem einfachen Modell lässt sich wird und das nächsthöhere frei bleibt, wird
also zeigen, dass das Elektron im H2+-Molekül bei der Bildung des H2-Moleküls Energie frei.
eine kleinere Energie hat als in einem H-Atom.
Bei der Bildung der chemi­schen Bindung des Bei der Bildung eines He2-Moleküls würde
H2+-­Moleküls wird folglich Energie frei. Da das auch das nächsthöhere Molekülorbital besetzt.
Molekül nur ein Elektron besitzt, wird deutlich, Aus diesem Grund kommt keine Bindung
dass die Bindung durch ein einziges Elektron zustande. Das energieärmere MO heißt daher
bewirkt wird. Die chemische Bindung ist bindend, das energiereichere antibindend.
folglich nicht von Elektronenpaaren abhängig.
Berechnet man die Wellenfunktion des Energie
Elektrons im H2+-Molekül, so zeigt sich, dass antibindend
sie eine ähnliche Gestalt hat wie beim quader­-
förmigen Kasten [B1, B2]. Im Unterschied
zum Kasten ist jedoch der Betrag der Auslen- bindend
1s-Atomorbital 1s-Atomorbital
kung an den beiden Kernen jeweils maximal. (AO) (AO)
Schwingungszustände von stehenden Molekülorbitale (MO)
H­Atom H2­Molekül H­Atom
Elektronenwellen in Molekülen bezeichnet
man als Molekülorbitale (MO). B3 MO-Schema des Wasserstoffmoleküls

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M o l e külorbitale und Hy br i di s i e r u ng

ungepaarte Elektronen Das Molekülorbitalmodell (MO-Modell). Um Die Kombination der beiden 2px-Orbitale
führen zu bestimmten Bindungen in zweiatomigen Molekülen zu ergibt zwei Molekül­orbitale, die nicht rotations­-
magnetischen Eigen­schaf­
ten des Sauerstoff­moleküls
beschreiben, kann man Molekülorbitale aus symmetrisch zur Molekülachse sind. Sie
(Paramagnetismus) und Atomorbitalen konstruieren. Das MO-Modell haben eine Knoten­ebene, die durch die beiden
seiner hohen Reaktivität als geht im einfachsten Fall davon aus, dass aus Atomkerne verläuft [B4 unten]. Entsprechen­
Diradikal jeweils zwei Atomorbitalen (AO) zwei Mole- des gilt für die beiden MO aus den 2py-Orbi-
entartete Orbitale siehe
külorbitale (MO) entstehen. talen. Molekül­orbitale, die diese Symmetrie-
Entartung, Kap. 1 verhältnisse aufweisen, nennt man p-Orbitale
MO-Modell des Sauerstoffmoleküls. Ein (bindend) bzw. p*-Orbitale (antibindend).
Bindungsordnung BO Sauerstoffatom hat die Elektronenkonfigura-
Differenz zwischen den
Elektronen­anzahlen in den tion 1s2 2s2 2p4, d. h., fünf Atomorbitale sind B5 zeigt das MO-Schema des O2-Moleküls.
bindenen und antibindenen besetzt. Zusammen mit den fünf besetzten Unter Berücksichtigung des Pauli-Prinzips
Orbitalen geteilt durch 2. Atomorbitalen eines zweiten Sauerstoffatoms werden 16 Elektronen auf die Molekülorbitale
Beispiele:
kann man daraus zehn Molekülorbitale bilden verteilt. Dabei werden insgesamt fünf
H2: BO = (2 – 0) : 2 = 1
O2: BO = (10 – 6) : 2 = 2 [B5]. bindende und zwei antibindende Orbitale
N2: BO = (10 – 4) : 2 = 3 Aus jeweils zwei s-Atomorbitalen ergibt sich doppelt besetzt. Die beiden entarteten
Meistens ist die Bindungs- ein bindendes und ein antibindendes MO. p* 2p-Orbitale werden nach der Regel von
ordnung gleich der Anzahl
der bindenden Elektronen-
Diese Molekülorbitale entsprechen in ihrer Hund einfach besetzt.
paare und entspricht damit Symmetrie den Molekülorbitalen des H2+- Die vier aus den s-Orbitalen gebildeten MO
der Einfach-, Doppel- bzw. ­Moleküls [B2]. Molekülorbitale, die rotations­ leisten hier keinen Beitrag zum Zusammenhalt
Dreifachbindung. symmetrisch zur Kernverbindungsachse sind, des Moleküls. Den drei doppelt besetzten
Achtung: B5 zeigt, dass dies
beim O2-Molekül nicht zu-
bezeichnet man als s-Orbitale (bindend) bzw. aus p-Orbitalen gebildeten bindenden MO
trifft. Man sollte hier nicht s*-Orbitale (antibindend). stehen zwei einfach besetzte antibindende
von einer Doppelbindung Einzelne p-Orbitale sind nicht kugelsymme- MO gegenüber. Insgesamt entspricht dies der
sprechen! trisch. Bei der Bildung von Molekülorbitalen Bindungsordnung 2. Die Besonderheit, dass im
geht man man von einer parallelen Orientie- O2-Molekül ungepaarte Elektronen vorliegen,
rung der p-Atomorbitale aus und definiert ist experimentell nachweisbar und spielt
die Kernverbindungsachse als z-Achse. Die für das Reaktionsverhalten eine wichtige Rolle.
Kombination der beiden 2pz-Orbitale ergibt
zwei rotationssymmetrische Molekülorbitale: Energie s*2p
das bindende s 2p-Orbital sowie das anti­
bindende s* 2p-Orbital [B4 oben]. p*2p

s2p
2px 2py 2pz 2pz 2py 2px
s*2p antibindend
p2p

s*2s

2pz 2pz s2p bindend

2s s2s 2s

p*2p antibindend
s*1s

s 1s
1s 1s
p2p bindend Atomorbitale Molekülorbitale Atomorbitale
2px 2px
O­Atom O2­Molekül O­Atom

B4 Bildung von Molekülorbitalen, dargestellt als Schnitt durch die x-z-Ebene B5 MO-Schema des Sauerstoffmoleküls: Die ein-
(durchgezogene Linien: Knotenflächen; gestr. Linien: Kernverbindungsachse) fach besetzten p* 2p-Orbilale sind hervorgehoben

10 Das Orbitalmodell    © Ernst Klett Verlag GmbH, Stuttgart 2012


M ole kü lor b i t a le u n d H yb r i d i si e r u n g

a) Grundzustand des Kohlenstoffatoms:


z z z z

s p
y y y y
x x x x
b) angeregter Zustand
(Darstellung mit s- und p-Orbitalen):
2s 2px
Hybridisierung
s p z z z z

c) angeregter Zustand
(Darstellung mit sp3-Hybridorbitalen): y y y y
x x x x

sp3 2py 2pz 2sp3

B6 Elektronenkonfiguration der äußersten Schale B7 Aus einem s-Orbital und drei p-Orbitalen werden durch den rechnerischen
des Kohlenstoffatoms bei der sp3-Hybridisierung Vorgang der Hybridisierung vier sp3-Hybridorbitale gebildet

Anzahl der Bindungen am Kohlenstoffatom. Die vier sp3-Hybrid­orbitale haben die gleiche Hybridisierung und
Die äußerste Schale des Kohlenstoffatoms räumliche Orientierung wie die vier C— H- Elektronen­dichte Die
Hybridisierung ist ein rein
besteht im Grundzustand aus einem doppelt Bindungen im Methanmolekül (Tetraeder­ rechnerischer Vorgang,
besetzten 2s-Orbital und zwei einfach besetz- winkel, 109,5°). Diese Bindungen lassen sich der ein Atom nicht verändert,
ten und einem leeren p-Orbital [B6 oben]. also als Kombination der sp3-­Hybrid­orbitale sondern nur etwas anders
Um die Molekül­orbitale von Kohlenstoff­ mit den 1s-Atomorbitalen der vier Wasser­stoff­ beschreibt.
Aus den Atom­orbitalen kann
verbindungen zu konstruieren, geht man von atome darstellen [B8a]. Analog kann man die man die Elektronendichte
einem an­gereg­ten Zustand aus, in dem alle Bindungen in vielen organischen Molekülen als Funktion des Orts
vier Orbitale der äußersten Schale einfach konstruieren, z. B. in Alkanmolekülen. berechnen. Das Ergebnis
besetzt sind [B6 Mitte]. Diese vier Orbitale ist unabhängig davon, ob
man von s- und p-Orbitalen
werden mit den Atom­orbitalen der Bindungs- Auch im Ammoniak- und im Wassermolekül oder von sp3-Hybridorbitalen
partner kombiniert. Von einem Kohlen­stoff­ weichen die Bindungswinkel nur wenig vom ausgeht. Die Verteilung
atom gehen also i. d. R. vier Bindungen aus. Tetraederwinkel ab. Man kann die Bindungen der Elektronendichte an
einem einzelnen Atom ist
in diesen Molekülen ebenfalls durch eine
immer kugelsymmetrisch
Hybridisierung. Aus vielen Untersuchungen sp3-Hybridisierung der Orbitale des Stickstoff-
ist bekannt, dass im Methanmolekül (CH4) alle bzw. Sauerstoffatoms beschreiben [B8b und c].
Bindungswinkel und Bindungslängen gleich
sind. Es wäre daher anschaulicher, die Molekül­
C 2sp3 N 2sp3 O 2sp3
orbitale des Methans nicht aus einem 2s- und
drei 2p-Orbitalen, sondern aus vier gleich­ 4H 1s 3H 1s 2H 1s
artigen Atomorbitalen des Kohlen­stoff­atoms
zu konstruieren. H
Dies wird durch den modellhaften Vorgang
der Hybridisierung erreicht. Durch rechnerisches C N O
Mischen des 2s- und der 2p-Orbitale erhält H H
man vier gleichartige Hybrid­orbitale [B6 unten, H H
H
B7]. Da ein s- und drei p-Orbitale gemischt H H H
wurden, be­zeich­net man diese Hybridorbitale
a) Methanmolekül b) Ammoniakmolekül c) Wassermolekül
genauer als sp3-Hybrid­orbitale und den
Vorgang als sp3-Hybridisierung. Die Symmetrie- B8 Atomorbitale nach dem Hybridisierungsmodell in der Pauling-Schreib-
achsen der sp3-Hybrid­orbitale gehen durch die weise (oben) und daraus konstruierte, schematisierte Molekülorbitale (unten,
Ecken eines gedachten Tetraeders. Bereiche negativer Auslenkung sind nicht dargestellt)

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M o l e külorbitale und Hy br i di s i e r u ng

Darstellung des angeregten Zustands mit s- und p-Orbitalen: s s


2 p p 2
sp sp
s p sp2 + sp2
sp2 sp2
Darstellung des angeregten Zustands mit Hybridorbitalen:
s s
sp3 sp2 p sp p

sp3 p p
sp2
2 sp sp Darstellung der
sp
sp3 sp3 sp2 p s-Molekülorbitale
sp3
sp3-Hybrid sp2-Hybrid sp-Hybrid
H H
B9 Hybridorbitale (schematisiert) und ihre Besetzung im Kohlenstoffatom C C
Darstellung der
H H p-Molekülorbitale
s- und p-Bindung sind Weitere Arten der Hybridisierung. Mischt man
Bezeichnungen für die durch ein s-Orbital mit weniger als drei p-Orbitalen,
s- bzw. p-Molekül­orbitale H H
gebildeten Bindungen
erhält man andere Arten von Hybridorbitalen.
C C
B9 zeigt die drei möglichen Hybridisierungen. Darstellung als
H H Strukturformel
Schreibweise – sp3-Hybridisierung: Es liegen vier Hybrid­
für Hybridorbitale und orbitale vor, sie stehen im Tetraederwinkel B10 Orbitalmodell des Ethenmoleküls
Elektronenkonfiguration
Achtung: Die hochgestellten
von 109,5° zueinander.
Zahlen haben unter- – sp2-Hybridisierung: Drei Hybridorbitale Das Ethinmolekül. Das Ethinmolekül (C2H2)
schiedliche Bedeutung! liegen in einer Ebene und bilden Winkel von ist linear gebaut, d. h, alle Atomkerne liegen
120°. Das übrige p-Orbital steht senkrecht zu auf einer Geraden. Die Bindungswinkel sind
Hybridorbital:
dieser Ebene. also genau 180°. Die Bindungen lassen sich
Anzahl der beteiligten
s-Orbitale (1 wird – sp-Hybridisierung: Zwei Hybridorbitale ähnlich wie beim Ethenmolekül konstruieren,
nicht geschrieben) bilden einen Winkel von 180°. Die beiden allerdings mithilfe der sp-Hybridisierung. Hier
übrigen p-Orbitale stehen senkrecht dazu. trägt jedes C-Atom zwei p-Orbitale zur Bindung
sp3
bei. Die C C-Dreifachbindung ist in diesem
Anzahl der beteiligten
p-Orbitale
Das Ethenmolekül. Das Ethenmolekül (C2H4) Modell eine Kombination aus einer s-Bindung
ist planar gebaut, d. h., alle Atomkerne liegen und zweier p-Bindungen. Die Knotenebenen
in einer Ebene. Die Bindungswinkel betragen der beiden bindenden p-Molekülorbitale
Elektronenkonfiguration ca. 120°. Das Ethenmolekül lässt sich mithilfe stehen senkrecht aufeinander und verlaufen
des Kohlenstoffatoms:
Anzahl der Elektronen
der sp2-Hybridisierung beschreiben [B10]. Die durch alle Atomkerne. Eine Berechnung der
in den s-Orbitalen C— H-Bindungen bildet man ähnlich wie Elektronendichte zeigt, dass sie rotationssym-
beim Methanmolekül durch Kombination der metrisch zur Kernver­bindungsachse ist.
1s22s22p2
1s-Orbitale der Wasser­stoff­atome mit 2sp2-
Anzahl der Elektronen Hybrid­orbitalen der Kohlenstoffatome. Der
in den p-Orbitalen A1 Konstruieren Sie nach dem Modell der Hy-
eine Teil der C C-Doppelbindung wird durch
Kombination zweier 2sp2-Hybrid­orbitale zu bridisierung folgende Moleküle: a) Ethan,
einer s-Bindung konstruiert. Der andere Teil b) Ethin, c) Kohlenstoffdioxid, d) Hydrogen­
cyanid (Blausäure). Sie können Ihre
der Doppelbindung entsteht durch Kombina-
Konstruktionen als Zeichnungen aus­führen
tion der 2p-Orbitale zu einer p-Bindung.
oder dreidimensionale Modelle bauen.
Die Knotenebene des bindenden p-Molekül­
orbitals verläuft durch alle Atomkerne des A2 Vergleichen Sie anhand Ihres Ergebnisses
Moleküls, die dadurch in einer Ebene „fixiert“ von A1 das Hybridisierungsmodell mit
sind. Auf ähnliche Weise lassen sich viele dem Elektronenpaar-Abstoßungs-Modell
(EPA-Modell).
weitere Moleküle mit C C-Doppelbindungen
konstruieren.

12 Das Orbitalmodell    © Ernst Klett Verlag GmbH, Stuttgart 2012

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