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Prof. Dr.

Gerhard Luchterhandt
Formenlehre FS 2022 Film 1
Formenlehre – Inhalte:
FS: Formanalyse, Formprinzipien, Formparameter, Formfunktionen, Elementarformen (Motiv, Thema, Liedformen)
HS: Größere Formkonzepte (Fuge, Variationen, Arie, Lied, Suite, Sonatenform; Rondo)

Formanalyse als Materialbetrachtung:


• Das verwendete Material (z.B. Leitern, Akkordbrechungen, Triller) prägt eine Komposition.
! Bsp. Bach-Präludium: Das Potential einer Tonleiter a) als Eröffnungsgeste (aufsteigend)
b) zur Definition der Tonart (D-Dur!)
b) als Satz-Modell (2-3-Konsekutiv)
c) als Sequenzstruktur (Sekundfall)
• !Formanalyse muss deshalb das verwendete Material im Blick haben.
Von der Materialbetrachtung zur Funktionsanalyse
• Aus ähnlichem Material entstehen sehr unterschiedliche Stücke
! Bsp. Triller- und Dreiklangsfiguren (Mozart, Figaro-Ouvertüre/Beethoven, Für Elise)
• Figuren können sich zu größeren Gestalten zusammensetzen
• Figuren und Gestalten nehmen unterschiedliche Formfunktionen ein:
! Bsp. Beethoven, 1. Sinfonie: a) Schrittweise Inszenierung der Tonleiter („Wachsen“)
b) Aus mehreren Anläufen wird eine große Eröffnungsgeste
c) Später Tonleitern in Gegenstimmen/Überleitungen
! Bsp. Brahms, 1. Klavierkonzert: Markantes Eröffnungsmotiv wird später zur Begleitfigur
!Die Gesamtform ist mehr als die Summe ihrer Teile
Formentstehung „Top Down“ versus „Bottom up“ (Architektur versus Prozess)
„Architektonisches Komponieren“: Erst das Gesamtgebäude (Formidee), dann die Einzelteile
• Formteile werden nicht in Reihenfolge, sondern hierarchisch entworfen, viele Korrekturen
! Bsp. Beethoven, f-Moll-Sonate: a) Klarer Tonartenplan, klare Formteile
b) Kontrastierende Ableitung der Themen
c) Übergänge werden (vermutlich!) nach den Themen komponiert
• Stimmigkeit der Gesamtform steht im Vordergrund.
• Entsprechungen in der Baukunst (Gotik) und der Malerei (Renaissance-Malerei, z. B. Rafael)
• ! Grundmaße/Proportionen (Baukunst) bzw. Bildaufbau/Gestik gehen Ausarbeitung von Einzelheiten voran.
„Prozesshaftes Komponieren“: Erfindung der Form von einer (Anfangs-) Idee oder -Geste aus
• Form entsteht „Step by Step“ von vorn nach hinten, Gesamtform variabel.
! Bsp. Reger, BACH-Fantasie: a) Ohne übergeordneten Tonartenplan, ständig modulierend
b) Keine klar trennbare Formteile
c) Zwischen „Themen“ und Überleitungen nicht unterscheidbar
• Die „Logik“ der Gesamtform ist weniger wichtig als lokale „Stimmigkeit“ („Organische Übergänge“)
• Entsprechungen in der Malerei („Action-Painting“)
! Der Prozess steht im Vordergrund; die endgültige
Gestalt verfestigt sich erst während der Arbeit

Formanalyse geschieht aus beiden Perspektiven


Grundfragen (siehe nebenstehende Formpyramide):
• „Wie lässt sich ein Form-Ganzes“ gliedern?“ (Top Down)
• „Wie verbinden sich einfache Formelemente zu
größeren Einheiten?“ (Bottom Up)
• „Herrscht architektonisches oder prozessartiges
Komponieren vor?“

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