r Savants –
schwachsinnig und genial
r Wiedie Tiere
an Land gingen
r Seltsame Monde im
Sonnensystem
www.spektrum.de
SCH W ERPU N K T
NAN OT ECH N O LOGIE
EDITORIAL z Reinhard Breuer
Chefredakteur
Werden wir
zu Darwins Schildkröten ?
im Jahr 2003 starb meine Großtante im Alter von 104 Jahren. In den letzten beiden Le-
bensjahren hatte sie sich besonders darüber gefreut, die älteste Bürgerin von
Regensburg mit seinen 135 000 Einwohnern zu sein. Seit Demoskopen eine
jährliche Zunahme der mittleren Lebenserwartung um drei Monate prognos-
tizieren, steht zu erwarten, dass mit diesem Alter in Bälde nicht mehr so viel
Staat zu machen ist.
Der derzeitige Altersweltrekord für Menschen liegt seit 1997 bei 122 Jahren
und 164 Tagen. Aufgestellt hat ihn die Französin Jeanne Louise Calment; der
älteste Mann, ein Japaner, soll es auf 120 Jahre gebracht haben. Dem Vorbild
aller Übergreise, Methusalem, werden legendäre 969 Jahre nachgesagt. Dass,
um einmal die Spezies zu wechseln, eine angebliche »Schildkröte Darwins« im
letzten Juni im Alter von 176 Jahren dahinschied, ging zwar durch die Medien,
gilt aber unter Fachleuten als Unsinn (»New Scientist«, 15. Juli 2006, S. 21).
Aber könnten Menschen eines Tages wirklich 176 oder gar 969 Jahre alt
werden? Manche Forscher halten das für möglich – wie etwa Aubrey de Grey.
Der britische Biogerontologe hat längst einen Sieben-Punkte-Plan zur Be-
kämpfung eines frühen Ablebens vorgelegt, wird aber vom Rest der Wissen-
schaftsgemeinde eher mit Schweigen bedacht, wohl weil er dabei von eini-
gen unrealistischen Vorstellungen ausgeht.
SPEKTROGRAMM EVOLUTION
Was Fischen Beine machte
10 Verstecktes Deuterium · Die Lupe im
Lehrbücher müssen umgeschrieben
Kopf · Emulgator mit Schalter · Atom
schaltet Strom · Pestklima u. a. werden: Die ersten Vierfüßer wagten
sich noch nicht aufs Land. Sie schnapp-
13 Bild des Monats
Pferdekopf in Blau ten nur über dem Wasser nach Luft –
und stemmten sich dazu hoch
FORSCHUNG AKTUELL
14 Riviera in der Arktis
Einst war das Nordmeer eisfrei und
bis zu 24 Grad warm
--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- SEITE 44
16 Prager Planetensturz
Pluto verlor den Planetenstatus ASTRONOMIE
19 Elektronen in der Radarfalle Monde auf der schiefen Bahn
Das Ohm’sche Gesetz gilt auch Sie bewegen sich auf lang gestreckten
für Einzelelektronen und verwickelten Bahnen, oftmals
gegen die im Sonnensystem übliche
THEMEN
Richtung – eine Art planetarer Satel-
r 24 PALÄONTOLOGIE liten, deren Eigenheiten Neues über
Der Landgang der Wirbeltiere die Entstehung der Planeten verraten
r 34 TITELTHEMA MOLEKULARBIOLOGIE
Gene gegen das Altern
r 44 ASTRONOMIE
Irreguläre Monde
r NANOTECHNOLOGIE
57 Rastersondenmikroskope
--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- SEITE 68
58 Spezialschichten
HIRNFORSCHUNG
für Funktionstextilien
Ein Mensch mit
62 Die Chemie von Nanowasser phänomenalem Gedächtnis
Savants verfügen über extreme Son-
64 Wie gefährlich sind Nanopartikel?
Interview mit dem derbegabungen, oft bei schweren
Toxikologen Harald F. Krug geistigen Defiziten. Der Amerikaner
Kim Peek besitzt ein unheimliches
66 Atomgenaues Positionieren Gedächtnis. Ungewöhnlich sieht auch
sein Gehirn aus
r 68 HIRNFORSCHUNG
Das Gehirn eines Savants
74 METAMATERIALIEN
Die ultrascharfe Superlinse
84 NATURGESCHICHTE
Wie der Amazonas entstand
116 ESSAY SCHWERPUNKT AB SEITE 54
Plädoyer für eine liberalere Nanotechnologie
Reproduktionsmedizin
Maschinen aus wenigen Atomen
und Molekülen – allmählich wer-
den solche Visionen Realität, wäh-
rend gleichzeitig neue Fragen auf-
Die auf der Titelseite angekündigten Themen
sind mit r gekennzeichnet; kommen. Zum Beispiel: Wie viele
die mit markierten Artikel können Sie Moleküle braucht ein Wassertrop-
als Audiodatei im Internet beziehen, siehe: fen, um Wasser zu sein?
www.spektrum.de/audio
KOMMENTAR
22 Springers Einwürfe
Ist der Kugelblitz nur ein Witz?
108 Nachgehakt
Poincaré und Perelman –
der Beweis einer Jahrhundertvermutung
WISSENSCHAFT IM …
42 Alltag: Turbulenter Latte macchiato
67 Rückblick: Frischkosttest · Textile
Wärmeisolation · Weinalterung mit Ozon ·
Linkshändigkeit trainiert u. a.
JUNGE WISSENSCHAFT
96 Ideenschmiede für das Jahr 2020
REZENSIONEN
100 Kurt Gödel von Rebecca Goldstein
Kurt Gödel – Das Album von Karl Sigmund,
John Dawson und Kurt Mühlberger
Die Zukunft der Arten von Josef H.
Reichholf
TITELTHEMA MOLEKULARBIOLOGIE SEITE 34 Wasser von oben von Guido Alberto Rossi,
Gabriele Zanetto
Regulatoren der Lebensspanne Wozu Sex? von Christian Göldenboog
Symmetry and Complexity von Klaus
Mainzer
Gesund ein biblisches Alter erreichen – eine Hand voll Gene für natürliche
Philosophie der Weltkulturen von Anton
Schutzmechanismen lassen sich vielleicht als Waffen gegen Krankheiten Grabner-Haider
und Verfallsprozesse einsetzen, die synonym für Altern stehen
PHYSIKALISCHE UNTERHALTUNGEN
112 Trojaner am Himmel
und anderen Insektiziden nicht der rich- ob man »sich riechen kann« oder nicht.
statt effekthascherisch tige Weg zur Bekämpfung ist. An den Auch ist inzwischen erwiesen, dass – im
Die Mischung macht’s damaligen diesbezüglichen Erfahrungen Gegensatz zu übertriebener Hygiene und
Forschung aktuell, August 2006 und Erkenntnissen hat sich seitdem Deodorants – die im Schweiß enthal-
nichts geändert. Und das kommt mir im tenen Substanzen zur Gesunderhaltung
Seit mehr als 30 Jahren werden Wir- Artikel viel zu kurz. der Haut beitragen, selbst wenn man
kungen von Stoffgemischen wissenschaft- Natürlich erfordern biologische For- sich nicht wie die Ureinwohner Australi-
lich eingehend untersucht. Dabei wur- schung und gesundheitliche Erziehung ens mit seinem Achselschweiß einreibt.
den für einige Kombinationen auch einen langen Atem und tragfähige Infra- Dr. Gerhard Rudolf, Bad Homburg
synergistische oder potenzierende Wir- strukturen. Aber ohne diese Anstren-
kungen beobachtet, welche allerdings gungen ist der erneute Einsatz von DDT,
mechanistisch erklärbar sind und damit und sei es in kleinerem Maßstab, nicht Versuch mit Gott
einem fachgerechten Risikomanagement zu verantworten. Oder sollte etwa das Nur ein frommer Wunsch
unterworfen werden können. eigentliche Ziel der Propagierung das Forschung aktuell, Juli 2006
Beide Sachverhalte lässt David Biello beträchtliche Profitpotenzial bei der in-
unberücksichtigt. Hingegen werden die dustriellen Produktion von DDT sein? Beten heißt, dass sich Menschen an Gott
effekthascherischen Analogien von Ty- Zwei Hinweise verstärken bei mir diesen mit Dank oder auch Bitte wenden, etwa
rone Hayes zwischen Kaulquappen in Ge- Eindruck: »Präsident Bush hat 1,2 Milli- der Bitte um Hilfe zur Genesung von
wässertümpeln und Föten in der Gebär- arden US-Dollar dafür vorgesehen, um Kranken. Da haben nun Wissenschaftler
mutter zitiert, die eine themengerechte die Seuche in den nächsten fünf Jahren zwei Gruppen gebildet, von denen die
Auseinandersetzung mit dem gegenwär- in Afrika zu bekämpfen« und der Litera- eine das Medikament Beten verordnet
tigen Erkenntnisstand erschweren. In ei- turhinweis »What the world needs now bekam, die andere aber nicht. Dieses Ex-
ner Gesellschaft, die technische Entwick- is DDT«. periment will im Endeffekt nicht nur
lungen zunehmend nur nach dem Risiko- Prof. Dieter Wenzel, Braunschweig feststellen, ob das Beten hilft, sondern
potenzial bewertet, erfordern komplexe auch, ob Gott reagiert oder nicht, ob
Sachverhalte mit ihrem hohen Verunsi- Gott existiert oder nicht. Gott ist somit
cherungspotenzial gerade von wissen- Individuelle Duftstoffe zu einem Versuchskaninchen der Wis-
schaftlich ausgerichteten Zeitschriften mitentscheidend senschaftler geworden. Wer auch nur
eine streng sachliche Themendarstellung. Sommer, Sonne, Schweißgeruch? eine ungefähre Ahnung hat, was man
Dr. Richard Schmuck, Wuppertal Wissenschaft im Alltag, August 2006 unter dem Wort »Gott« versteht, weiß,
dass wir seine Wege nicht auskundschaf-
Heute – nach der Hygienewut des 20. ten können.
Nicht der richtige Weg Jahrhunderts – weiß man dank biomedi- Dass Gott, wenn es ihn gibt, auf viel-
Der erbitterte Kampf gegen Malaria zinischer Forschung, dass die von den fältige Weise helfen kann, die keine
Juni 2006 apokrinen Schweißdrüsen erzeugten in- Versuchsanordnung ergründet, ist sicher-
dividuellen Duftstoffe nicht nur »in lich auch für einen Atheisten selbstver-
Speziell im Fall der Malaria war bereits grauer Vorzeit« eine Rolle bei der Part- ständlich.
in den 1960er Jahren gesicherte Erkennt- nerwahl spielten, sondern dies heute Prof. Franz Burgey, Dietramszell-Linden
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Aufmerksamkeits-
lupe im Kopf
Q Wie kommt es, dass wir beim Au-
tofahren konzentriert auf die Straße
vor uns blicken und das Stoppschild
am Straßenrand dennoch nicht über-
sehen? Offenbar alles nur eine Frage
der Aufmerksamkeit. Wissenschaftler
um Thilo Womelsdorf und Stefan
Treue vom Deutschen Primatenzen-
trum in Göttingen haben die Vorgänge
an Rhesusaffen untersucht und eine
Art Tuning von Nervenzellen im Ge-
hirn entdeckt. Die Forscher »verka-
belten« die Hirnrinde mit kleinen Elek-
troden. Vor allem die Region MT, ein
auf die Wahrnehmung von Bewe-
gungen spezialisierter Bereich, stand
im Zentrum ihres Interesses.
10
Wunde heilt schneller Wunde öffnet sich
SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT
Q OKTOBER 2006
KOSM OL OG I E
Das versteckte
Deuterium
Wurden die Affen darauf trainiert, Q Anders als in weit entfernten Gala-
ihren Blick fest, ohne abzuschwei- xien, die wir gewissermaßen noch in
ihrem Jugendstadium sehen, ist in un-
NASA / FUSE
fen, auf einen Punkt auf einem Bild- Der Satellit Fuse maß den Deuteriumgehalt im All
schirm zu richten und dabei gleich- serer unmittelbaren kosmischen Umge- – so auch in der Kleinen Magellanschen Wolke.
zeitig auf einen bestimmten Bereich bung überraschend wenig Deuterium
am Rand ihres Gesichtsfelds zu ach- zu beobachten. Bisher machten Astro- in Boulder, dass dort, wo viel interstella-
ten, reagierten gewisse Hirnzellen nomen Sterne dafür verantwortlich, die rer Staub vorhanden sein muss, an-
in der Region MT stärker auf Bewe- das schwere Wasserstoff-Isotop durch scheinend wenig Deuterium vorkommt
Kernfusion in Helium und andere Ele- und umgekehrt. Die Forscher entwickel-
gungen im Nebenfokus der Auf-
mente umwandeln. Spektralmessun- ten daraufhin ein Modell, wonach die
merksamkeit – die Sinne für diese
gen des Satelliten Fuse (»Far Ultraviolet Staubteilchen das Isotop an sich binden
Stelle hatten sich gleichsam ge-
Spectroscopic Explorer«) weisen nun und so dem Blick der Astronomen ent-
schärft. Diese Aufmerksamkeitslupe
aber auf eine weitere mögliche Erklä- ziehen. Vermutlich gibt es in unserer
schaltet sich schon ganz früh ein;
rung hin. Bei der Analyse der Daten ent- kosmischen Nachbarschaft also mehr
denn die Region MT ist bereits an deckten Wissenschaftler um Jeffrey Deuterium, als es den Anschein hat.
den ersten Schritten der visuellen Linsky von der Universität von Colorado Astrophysical Journal 20. 8. 2006, S.1106
Informationsverarbeitung beteiligt.
Die Forscher glauben, dass sich ihre
ARCHÄOL OG I E
Erkenntnisse ohne Weiteres auf
den Menschen übertragen lassen:
Unser visuelles System unter-
Neandertaler-Behausung entdeckt
scheide sich in diesem Gehirnbe- Q Nach landläufiger Vorstellung war der Braunkohlegrube Inden nahe der
reich kaum von dem der Affen. der Neandertaler ein tumber Geselle, nordrheinwestfälischen Stadt Titz ent-
Nature Neuroscience, 9/2006, S. 1156 der Steinkeulen schwang und in Höh- deckten die Forscher den Grundriss
len hauste. Doch dieses Zerrbild hat einer ovalen Behausung, der sich durch
mit der Wirklichkeit wenig zu tun. So Verfärbungen und Abdrücke im leh-
entdeckten schon in den 1980er Jahren migen Boden abzeichnete. Im Umfeld
u Eine Öl-Wasser-Emulsion, erzeugt mit einem Wissenschaftler bei Buhlen in Hessen lagen rund sechzig Werkzeuge aus Feu-
Hilfsstoff und CO2 (links), trennt sich nach Erwärmen die Überreste einer vier Quadratmeter erstein wie Axtkeile und Klingen zum
und Durchleiten von Argon rasch wieder (Mitte). großen künstlichen Behausung, in der Schneiden von Fleisch oder Fellen, die
Anderenfalls hält sie sich stundenlang (rechts). vor 35 000 bis 40 000 Jahren Neander- nach Schätzung der Archäologen etwa
taler gelebt und Steinwerkzeuge herge- 120 000 Jahre alt sind und damit aus
stellt hatten. der Frühzeit des Neandertalers stam-
Nun konnten Archäologen vom Rhei- men. Von der Behausung selbst ist
nischen Amt für Bodendenkmalpflege nichts mehr übrig, da sie aus vergäng-
zeigen, dass die mittelsteinzeitlichen lichen Materialien wie Holz oder Fellen
Jäger und Sammler auch schon viel bestanden haben dürfte.
früher zelt- oder hüttenartige Struktu- Pressemitteilung des Landschaftsverbands
ren bauten. Bei Rettungsgrabungen an Rheinland vom 15. 8. 2006
THOMAS SCHIMMEL
dern pro Sekunde im Gänsemarsch Der Einzelatom-Transistor
MIK ROBIOLOGIE
durch das eine Atom!«, schwärmt Ent-
Quelle
Senke
dings eingesetzt bei der Trockenreini- sistor.
gung von Textilien, wirkt ähnlich wie ein Sein großer Vorzug: Er kommt mit
organisches Lösungsmittel. Kaum vor- einer Kontrollspannung von wenigen
stellbar, dass in einem damit getränkten Millivolt aus, was den Verbrauch an
Milieu Organismen dauerhaft überleben elektrischer Leistung um den Faktor
können. Deutsche und japanische Wis- 10 000 senkt. Bei der Herstellung Zur Regelung des Stromkreises verschiebt eine
senschaftler haben jetzt das Gegenteil dampfen die Wissenschaftler Silber- Steuerelektrode (Gatter) ein Silberatom (lila).
bewiesen. In einem hydrothermalen atome Lage für Lage auf zwei durch
Feld in 1400 Meter Wassertiefe vor
der Ostküste Taiwans verbirgt sich un-
E PI DE M I O LO G I E
ter einer Sedimentschicht ein natür-
licher Kohlendioxid-See. Durch den ho-
hen Unterwasserdruck liegt das eigent-
Prima Klima für die Pest
lich gasförmige CO2 in flüssiger Form Q Der Erreger der Pest liebt feuchte ger übertragen. Ist nun das Frühjahr
vor. Es perlt durch die darüberliegende Wärme. Ein Klimawandel könnte die warm oder der Sommer feucht, so ge-
Schicht aus eisartigem CO2-Hydrat und durchaus nicht ausgerottete Seuche da- deihen Wirt und Überträger besonders
aufgelagertem Sediment. rum wieder häufiger ausbrechen lassen. gut. Die Bevölkerungsdichte der Renn-
Mit einem bemannten Tauchboot ent- So sind Populationen Großer Rennmäuse mäuse macht es den zahlreichen Flöhen
nahmen die Wissenschaftler Sediment- in Zentralasien noch immer Ansteckungs- dann leicht, die Beulenpest zu verbrei-
proben und untersuchten sie mittels herde, da die Tiere zu den Hauptwirten ten. Ein nur ein Grad Celsius wärmerer
DNA-Analyse auf mikrobielles Leben. des Pestbakteriums gehören. Frühling bedeutet den neuen Berech-
Das Ergebnis: Hier gedeihen Archaeen, Untersuchungen einer Gruppe von For- nungen nach, dass die Ausbruchshäufig-
eine früher Archaebakterien genannte schern um Nils Stenseth von der Univer- keit um fast sechzig Prozent zunimmt.
Organismengruppe, die eine Vorliebe sität Oslo zeigten, dass die Häufigkeit Ein Sommer mit zehn Prozent mehr Nie-
für extreme Umweltbedingungen hat. von Yersinia pestis sowohl von der Dich- derschlag erhöht sie um sieben Prozent.
An der Grenzfläche zum CO2-See te der Mäusepopulation als auch von der Proceedings of the National Academy of Sciences,
fanden sich noch etwa 10 Millionen Mi- Anzahl an Flöhen abhängt, die den Erre- 29. 8. 2006, S. 13110
kroben pro Kubikzentimeter; zwanzig
CENTERS FOR DISEASE CONTROL AND PREVENTION (CDC),
MARGARET PARSONS, KARL F. MEYER, 1965
o
K LIMATOLOGIE Im treibenden Packeis musste sich
Diesen Artikel können die Vidar Viking (links) exakt senk-
Von Sven Titz Das Unternehmen erschien gewagt: zu zermalmen, die auf das Bohrschiff zu-
Von dem schwedischen Eisbrecher Vidar trieben. Dieses schaffte es so, stets genau
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Interpretation erschwert.
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In einer »Onshore Science Party« mit
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32 Teilnehmern, die unter der Leitung
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von Ursula Röhl vom 8. bis 23. Novem-
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ber 2004 im Bohrkernlager der Univer-
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sität Bremen stattfand, wurden die kost-
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baren Bohrkerne untersucht und ausge-
wertet. Ein großes internationales For-
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scherteam publizierte jetzt in drei r
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Bei einer Expedition im August Tromsø
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2004 bohrte der schwedische Eis-
brecher Vidar Viking 430 Meter tief in den
Lomonossow-Rücken, der sich bis auf
rund hundert Kilometer dem Nordpol nä-
hert. Die gewonnenen Sedimentproben Meter (relativ zum Meeresspiegel)
bilden ein lückenloses Klimaarchiv der
Arktis in den letzten 56 Millionen Jahren. – 5000 – 3000 –2000 –1000 –200 –50 0 50 200 400 600 800
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sich dabei über die einstigen Lebens- und somit derjenigen im heutigen Schwarzen etwa per Treibholz oder durch Tiere.
Klimabedingungen der Arktis ergaben Meer, das ebenfalls relativ salzarm ist. Wenn sich Morans Deutung bestä-
(Nature, Bd. 441, S. 601, 606 und 610). Während des Eozäns wurde das Was- tigt, muss die Nordpolarregion ungefähr
Manches davon ist frappierend. So ser am Nordpol noch süßer als zuvor. Das zur gleichen Zeit vereist sein wie die Ant-
fand Apply Sluijs von der Universität Ut- schließt ein Team um Henk Brinkhuis, arktis. Bislang hatten Klimaforscher an-
recht (Niederlande) zusammen mit zahl- ebenfalls von der Universität Utrecht, ins- genommen, dass die ersten Eisschollen
reichen Kollegen heraus, dass am Nord- besondere aus dem massenhaften Fund frühestens vor 10 Millionen Jahren in der
pol vor 55 Millionen Jahren Verhältnisse von Sporen des Algenfarns Azolla. Dessen Arktis schwammen. Allerdings spricht
herrschten wie heute am Mittelmeer: heutige Verwandte dienen oft als Zier- angesichts global wirkender Klimapro-
Das Wasser an der Oberfläche war bis zu pflanzen in Süßwasser-Aquarien. zesse einiges dafür, dass die Pole tatsäch-
24 Grad Celsius warm. Dieser Wert liegt Die Algenfarnzeit erreichte ihren lich synchron abkühlten. Das würde
um mindestens 15 Grad über den bishe- Höhepunkt vor ungefähr 49 Millionen auch gut zu neuen Resultaten eines inter-
rigen Schätzungen. Jahren. Offenbar war das arktische Was- nationalen Teams um Jörg Schäfer vom
serbecken damals von den salzhaltigeren Lamont-Doherty Observatory in Pali-
Einzeller als Temperatursonden Meeren ringsum so gut wie abgeschnit- sades (New York) über das Ende der
Zur Temperaturbestimmung nutzten die ten und im Sommer von Azolla bedeckt. jüngsten Eiszeit passen. Deren kälteste
Forscher eine neue Methode. Als Thermo- Süßwasserzuflüsse ließen es anscheinend Phase vor 18000 Jahren klang demnach
meter dienen dabei Fettstoffe in den Zell- manchmal überlaufen. Ein Hinweis da- in den mittleren Breiten auf der Nord-
wänden von einzelligen Organismen aus rauf sind Funde des Algenfarns auch in und Südhalbkugel ebenfalls gleichzeitig
der Gruppe der Crenarchaeota, die zu den Sedimenten benachbarter Becken. ab (Science, Bd. 312, S. 1510).
– früher Urbakterien genannten – Archaea Vor 48,3 Millionen Jahren ging die Klimaschwankungen haben viele Ur-
gehören. Zu Temperaturfühlern macht sie Süßwasserperiode mit dem Eindringen sachen. Die Eiszeiten der letzten Jahrmilli-
eine ungewöhnliche Eigenschaft: Sie bau- salzigen, warmen Meerwassers zu Ende. on wurden wohl durch periodische Ände-
en in die Lipide ihrer Zellwand umso mehr In der Folge sanken die Temperaturen ra- rungen der Erdbahn ausgelöst und durch
Ringe aus fünf oder sechs Kohlenstoff- pide: Schon 3 Millionen Jahre später gab Schwankungen der Treibhausgaskonzent-
atomen ein, je wärmer die Wassertem- es möglicherweise das erste Eis in der rationen verstärkt. Vor 50 Millionen Jah-
peratur ist. Damit passen sie, so die Ver- Arktis. Als Indiz dafür wertet das Team ren hingegen dürften es primär diese Gase
mutung, die mechanischen Eigenschaften um Kathryn Moran von der Universität gewesen sein, deren Schwund das Treib-
und die Durchlässigkeit der Membran den von Rhode Island in Narragansett ein haus in eine Kühltruhe verwandelte. Doch
Umgebungsbedingungen an. einzelnes Steinchen im ansonsten fein- viele Details liegen noch im Dunkeln. Bis
Bei paläoklimatologischen Studien körnigen Sediment. Es könnte von einem das Klima – sowie die Flora und Fauna –
dienen sonst oft kalkhaltige Mikrofos- Eisberg in das Meeresbecken verfrachtet der ferneren Vergangenheit wirklich ver-
silien – etwa Foraminiferen – zur Tempe- worden sein, nachdem ein Gletscher das standen ist, dürften sich noch einige Sedi-
raturbestimmung. Diese waren im Bohr- Gesteinsfragment an Land abgeschürft mentschichten in den Ozeanen ablagern.
kern vom Lomonossow-Rücken jedoch und zur Küste transportiert hatte, wo der
rar. Daraus schließen die Forscher um Eisberg in See stach. Allerdings sind auch Sven Titz ist promovierter Meteorologe und freier
Sluijs, dass die tieferen Wasserschichten andere Mechanismen denkbar, wie das Wissenschaftsjournalist in Berlin.
kaum Sauerstoff enthielten; denn Fora-
miniferen brauchen das gelöste Gas zum
Überleben. Mit der Wärme an der Was- AST RON O M I E
seroberfläche ist der Sauerstoffmangel in
der Tiefe sehr gut vereinbar.
Die gemessenen Badewassertempera- Prager Planetensturz
turen lassen sich mit Computermodellen
des Klimas allerdings noch nicht rekon- Ende August beschloss die Internationale Astronomische Union auf
struieren. Als mögliche Erklärung ver- ihrer Generalversammlung in der tschechischen Hauptstadt, Pluto
weist das Team um Sluijs auf polare stra- den Planetenstatus abzuerkennen – Konsequenz einer Neudefinition
tosphärische Wolken, die in Computersi-
mulationen nicht berücksichtigt werden der Körper im Sonnensystem.
und die Troposphäre wärmen. Doch die
Ursachenforschung dürfte die Klimatolo-
gen noch eine Weile beschäftigen. Von Götz Hoeppe sche Rechtschreibung längst schmerzvoll
Sluijs und seine Kollegen vermuten, bewusst ist, erfuhren nun auch Mitglieder
dass das arktische Becken an der Schwel-
le vom Paläozän zum Eozän mit Brack-
wasser gefüllt war, das eine starke Schich-
M achen sich Wissenschaftler daran,
Begriffe neu zu definieren, die selbst
für Kinder alltäglich sind, ist ihnen öffent-
des weltgrößten Astronomenverbands, als
sie versuchten, auf eine einfache Frage
eine sinnvolle und verständliche Antwort
tung aufwies: Die Wasserdichte nahm liches Interesse und Misstrauen sicher – zu geben: Was ist ein Planet?
mit der Tiefe deutlich zu. Anders als der- vor allem, wenn es dabei prominente Op- Seit ihrer Gründung im Jahr 1919
zeit gab es nur wenig Austausch mit den fer gibt. Was der Kommission für deut- bemüht sich die Internationale Astrono-
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»Planeten«
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ABSTIMMUNG: IAU / LARS HOLM NIELSEN; OBEN: IAU / MARTIN KORNMESSER
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Der Internationalen Astronomischen Union (links bei der Tagung in Prag) zufolge
sind in unserem Sonnensystem derzeit nur acht Planeten bekannt. Damit fiel
ihrem Schiedsspruch nicht nur Pluto zum Opfer, sondern auch der altbekannte Merk-
spruch »Mein Vater erklärte mir jeden Sonntag unsere neun Planeten«, in dem jeder
Anfangsbuchstabe für den eines Planeten stand. Hermann Gottschewski aus Tokio
schlug der Redaktion von Spiegel Online folgenden Ersatz vor: »Mit Vorsatz entwende-
ten Medienrummel jagende Sternforscher unseren Neunten!«
r mit wissenschaftshistorischen Büchern innern Astronomen häufig an Kartoffeln. Gleich zu Beginn der Prager Gene-
wie »Längengrad«, »Galileos Tochter« und Erst ab einem Durchmesser von 800 Kilo- ralversammlung am 16. August veröf-
»Die Planeten« bekannt wurde. metern sind sie einigermaßen kugelförmig. fentlichte das Planetendefinitions-Komi-
Wie in der heutigen Astronomie üb- Gemäß dieser Definition behalten tee seinen Resolutionstext und löste da-
lich, sollte die Definition physikalisch alle neun im Volksmund bekannten Pla- mit eine weltweite Nachrichtenlawine
motiviert sein. Doch woran sollte man neten ihren Status bei, also Merkur, Ve- aus, die den planetaren Zuwachs verkün-
sich orientieren, am Abstand zur Sonne, nus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, dete. Doch die Reporter hatten die
der Umlaufperiode, Bahnebene, Masse Neptun und Pluto. Doch weitere Ob- Streitfreudigkeit der Astronomen unter-
oder Form des Planetenkörpers? Jedes jekte kämen hinzu, und zwar neben eini- schätzt, die diese im Lauf der folgenden
dieser Kriterien erscheint mehr oder we- gen Transneptunen auch der bereits 1801 Woche auslebten. Manche beklagten, die
niger willkürlich. Als sich die Mitglieder entdeckte Kleinplanet Ceres, der die Son- Definition sei zu kompliziert. So bedau-
des Komitees Ende Juni 2006 in der Pa- ne zwischen Mars und Jupiter umläuft. erte Leo Blitz von der Universität von
riser Sternwarte trafen, einigten sie sich Um die Flut der Kandidaten einzu- Kalifornien in Berkeley, er könne seinem
schnell auf zwei Grundsätze: Planeten schränken, ergänzte das Komitee die De- sechsjährigen Sohn nun nicht mehr er-
sollen rund sein und einen Stern umlau- finition durch ein historisches Aus- klären, was ein Planet sei, denn dafür
fen, ohne selbst ein Stern oder Begleiter schlusskriterium: Allein Objekte, die bis setze die Neudefinition zu viel Wissen
eines Planeten zu sein. zum Jahr 1900 entdeckt wurden, sollten voraus. Andere, wie David Nesvorny
als »klassische Planeten« gelten. Während vom South-West Research Institute in
Kugeln statt Kartoffeln der 1930 entdeckte Pluto aus dieser Ka- Boulder (Colorado), zeigten spitzfindig
Rund sind Himmelskörper, wenn die Ei- tegorie hinausfiele, wäre Ceres eine Klas- deren Schwächen auf. Computersimula-
gengravitation ihre Form bestimmt und se aufgestiegen. Als Entschädigung für tionen zufolge räumten entstehende Pla-
sich in ihnen überall die Schwere der äu- seine verlorene Ehre sollte Pluto fortan neten ihre Umlaufbahn von kleineren
ßeren Schichten und der Druck des In- als Prototyp der »Plutone« gelten, zu de- Gesteinsbrocken frei. Erst wenn sie die-
neren die Waage halten (hydrostatisches nen auch die größeren, also runden, sen Bereich dominierten, könne man
Gleichgewicht). Kleinkörper des Sonnen- Transneptune zu zählen seien. Die ver- von einem Planeten reden.
systems wie Kometen und die meisten As- bleibenden Nichtplaneten auf Umlauf- Über das willkürliche Entdeckungs-
teroiden scheiden als Planeten aus, denn bahnen um die Sonne seien als Kleinkör- datum gewann die Bedingung, ein Pla-
sie haben unregelmäßige Formen und er- per des Sonnensystems zu bezeichnen. net müsse seine Umlaufbahn freigeräumt
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Um die Bewegung von Elektronen Von Stefan Maier stärke insgesamt proportional zur ange-
in einem Leiter zu messen, nutzten legten Spannung ist.
Physiker von der Universität Karlsruhe
aus, dass die Teilchen, wenn sie in einem
Magnetfeld zur Seite gekippt werden, wie
O b sie sich einen Kindheitstraum
verwirklicht haben, sei dahinge-
stellt. Fest steht nur, dass Malte Drescher
Wie aber verhalten sich die Elektro-
nen, aus denen der Strom besteht?
Nimmt die Geschwindigkeit, mit der sie
ein Kreisel präzedieren und elektromag- und Elmar Dormann von der Univer- durch den Leiter wandern, gleichfalls
netische Strahlung aussenden. Die Ge- sität Karlsruhe zusammen mit Noam mit der Spannung zu?
schwindigkeit der Präzession – und damit Kaplan von der Hebräischen Universität Das wollten die Karlsruher Physiker
die Frequenz der Strahlung – steigt mit in Jerusalem letzthin Verkehrspolizisten herausfinden. Dazu mussten sie aller-
der Feldstärke. Die Forscher umgaben spielten. Dazu hatten sie in ihrem Labor dings erst einmal eine Methode entwi-
den Leiter daher mit einem inhomogenen eine Radarfalle aufgestellt – Marke Ei- ckeln, um die Geschwindigkeit der Elek-
Magnetfeld. Ein wanderndes Elektron genbau, wohlgemerkt, und nicht von der tronen direkt zu messen – eine mikrosko-
verriet sich so durch eine Änderung in der Polizeiwache ausgeliehen. pische Radarfalle eben. Glücklicherweise
Frequenz der von ihm ausgesandten Knöllchen konnten die Forscher al- konnten sie dabei auf eine Variante der
Strahlung. lerdings keine verteilen – nicht nur von Magnetresonanztomografie zurückgrei- r
Fluoranthen
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Als elektrischer Leiter diente ein Stab aus einer speziellen organischen Verbin-
dung (oben links). Darin ist der polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoff
Fluoranthen zu Stapeln übereinandergetürmt, die durch Ketten von Hexafluorophos-
phat getrennt sind (ganz rechts). Mit ihrer Apparatur konnten die Karlsruher Forscher
die Spindichte im Leiter messen und farbcodiert abbilden (oben rechts). Hexafluoro-
phosphat
r fen, die schon seit Längerem etwa in der chen lässt sich das Taumeln nicht mit Auf den ersten Blick schien das Ver-
medizinischen Forschung dazu dient, den bloßem Auge erfassen, sondern nur fahren damit zum Scheitern verurteilt.
Blutfluss im menschlichen Adernsystem durch Radiowellen, welche die präze- Doch gibt es einen eleganten Ausweg,
zu messen. Das Verfahren beruht auf den dierenden Elektronen aussenden. Die mit dem die Karlsruher Forschergruppe
Kernspins fließender Moleküle, und da Frequenz dieser Strahlung hängt dabei doch noch zum Erfolg kam: Sie ließ ihre
Elektronen ja auch einen Spin haben, von der Stärke des Magnetfelds ab. Radarfalle zweimal zuschnappen.
sollte es mit ihnen prinzipiell genauso Dies machten sich die Forscher bei Der erste Puls diente dabei dazu, die
funktionieren. ihrer Radarfalle zu Nutze. Der Trick be- Spins aller Elektronen des Leiters gleich-
stand darin, dass sie den Leiter einem zeitig in dieselbe Richtung – sagen wir
Elektronen drehen Pirouetten ungleichförmigen Magnetfeld aussetzten, aus der Vertikalen nach links – zu kip-
Spins gehören zu jenen Eigenschaften dessen Intensität vom einen Ende zum pen. Wie Eisläufer, die im selben Mo-
der atomaren Welt, die man am besten anderen hin anstieg. Elektronen an ver- ment in der gleichen Ausgangsposition
einfach als gegeben hinnimmt, ohne ge- schiedenen Orten strahlten je nach der eine Pirouette beginnen, fingen die klei-
nau nachzufragen, was das denn bitte lokalen Feldstärke beim Präzedieren so- nen Stabmagneten daraufhin zu taumeln
schön sei. In die Formeln der Quanten- mit Radiowellen unterschiedlicher Fre- an, wobei ihre Spitzen kleine horizontale
mechanik gestopft, beschreiben sie die quenzen aus. Kreise beschrieben.
Tatsache, dass subatomare Teilchen so- Stellen Sie sich nun vor, dass eines Das geschah anfangs synchron: Die
wohl ein Drehmoment haben als auch von ihnen von einer Stelle zu einer ande- Spins zeigten zu jeder Zeit alle in diesel-
magnetische Kräfte aufeinander ausüben ren wanderte. Dabei geriet es in ein stär- be Richtung. Da die Elektronen an den
können. Somit gleichen sie in gewisser keres oder schwächeres Magnetfeld und verschiedenen Orten aber unterschied-
Weise einerseits Miniaturkreiseln und strahlte entsprechend bei einer anderen lich schnell präzedierten, gerieten sie
andererseits winzigen Stabmagneten mit Frequenz. Daraus sollte sich im Prinzip schon nach Bruchteilen einer Sekunde
Nord- und Südpol. die zurückgelegte Strecke und in Verbin- aus dem Takt. Wie die Arme von zwei
Die Elektronen eines Leiters spüren dung mit der verstrichenen Zeit auch die Eisläufern, die sich bei einer Pirouette
folglich ein äußeres Magnetfeld und Wanderungsgeschwindigkeit berechnen unterschiedlich schnell drehen, nach ei-
richten ihre Spinachse parallel zu diesem lassen. ner Weile in verschiedene Richtungen
aus. Wird diese Achse gekippt, beginnt In der Realität hatten es die Forscher weisen, so herrschte bald auch ein Chaos
sie um die Feldlinien zu »präzedieren«. jedoch nicht nur mit einem einzelnen unter den Spins: Jeder hatte eine andere
Diese Bewegung gleicht dem Taumeln Elektron zu tun, sondern mit unvorstell- Orientierung.
eines rotierenden Kinderkreisels, wenn bar vielen, die sich mit unterschied- In dieser Situation gaben die Karls-
man ihn seitlich anstößt. lichem Tempo in die verschiedensten ruher Forscher den Elektronen mit dem
Elektronenspins kann man natürlich Richtungen bewegten. Ihre Signale über- zweiten Puls einen erneuten Stoß. Er er-
nicht einfach mit der Hand schubsen, lagerten sich folglich zu einem chao- folgte jedoch gleichsam von der anderen
wohl aber mit einem kurzen Strahlungs- tischen Durcheinander, das unmöglich Seite und kippte die Stabmagnete um
blitz im Mikrowellenbereich. Desglei- zu entwirren war. 180 Grad. Dadurch machten sie auf der
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u den folgenreichsten Schrit- wann im Devon oder gleich da-
ten in der Evolution irdischen nach, war recht unsicher. Die
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Lebens gehörte die Verwand- Schätzungen reichten von vor 400
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lung von Fischen in Landtiere. bis vor 350 Millionen Jahren. Für prä-
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Aus Flossen tragenden Wesen entstanden zisere Aussagen fehlten die Fossilien.
vierbeinige Kreaturen – Tetrapoden – Denn die Forscher kannten lange nur ei-
mit Fingern und Zehen. Ohne dieses Er- nen passenden Fisch, den ausgestorbenen
eignis hätte die Welt bis heute völlig an- Quastenflosser Eusthenopteron, und einen
ders ausgesehen: Weder Dinosaurier, we- einzigen Tetrapoden aus dem Devon,
der Frösche noch Vögel, Schlangen noch nämlich Ichthyostega, einen »Fischschä-
Säugetiere wären erschienen, natürlich dellurch« (siehe Bild S. 29). Dieser
auch nicht der Mensch. Manche Vertre- »Lurch« war jedoch schon zu sehr Vierfü-
ter der Tetrapoden mögen ihre Glied- ßer, als dass man von ihm über die Vor-
maßen verloren oder umgebaut haben, gänge viel hätte herleiten können.
doch ein ihnen gemeinsamer Vorfahre Die frühen Modelle zu dieser Evolu-
war mit vier Beinen ausgestattet. Zwei tion waren darum recht spekulativ. Am
saßen vorn und zwei hinten – an Stellen, bekanntesten wurde das Szenario, wel-
wo einmal Flossen geschlagen hatten. ches der Wirbeltierpaläontologe Alfred
Beine waren aber für den Landgang Sherwood Romer von der Harvard-Uni-
mitnichten das einzige neue Erfordernis. versität in Cambridge (Massachusetts) in
Für ein Leben außerhalb des Wassers den 1950er Jahren entwarf. Danach
brauchte es mehr neuartige Anpas- schleppten sich Fische ähnlich dem
sungen: zum Atmen, zum Hören, um Quastenflosser Eusthenopteron mit ihren
der Schwerkraft standzuhalten und zu muskulösen Flossen zu einem besseren
vielem anderen. Doch als sie das alles Gewässer, wenn ihr altes auszutrocknen
einmal errungen hatten, lag den Tetrapo- drohte. Auf Dauer gesehen, nahm Ro-
den das Land zu Füßen. mer an, hatte in Trockenzeiten einen Se-
Noch vor gut fünfzehn Jahren wuss- lektionsvorteil, wer mehr Strecke über
ten die Paläontologen kaum Genaueres Land bewältigte, denn der konnte die
über diese Evolution, vor allem nicht
über die Einzelschritte. Nur so viel stand
fest: Die Vierfüßer hatten sich aus be-
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stimmten Fischen, den Fleischflossern, Der frühe Vierfüßer Acanthostega
entwickelt, zu denen die Lungenfische konnte mit seinen Beinen nicht lau-
und Quastenflosser gehören. Schon Ende fen. Die Tiere stemmten sich wahrschein-
des 19. Jahrhunderts hatte das der ameri- lich im warmen Flachwasser hoch, um
kanische Paläontologe Edward D. Cope Luft zu schnappen. r
Schwanzflosse
ausgestorbener Quastenflosser kurze Rippen sehr kurz
Schnauze hinten
mit vielen drei
Knochen unpaare
Flossen
längere
ACANTHOSTEGA Wirbel eine vertikale Schwanzflosse
Schnauze Rippen länger
früher Tetrapode gelenkig verzahnt
aus
weniger
Knochen
Vorderextremität Hinterextremität
(acht Zehen) (acht Zehen)
Knochen von Schultergürtel und vergrößertes Becken mit
Kiemendeckel fehlen Schädel getrennt Wirbelsäule verbunden
ECHSE Hals
modernes landlebendes Reptil
lange Schnauze gelenkig verzahnte Wirbel
aus wenig
Knochen
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Zu ihrer unmittelbaren Stammgruppe im
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Tetrapoden
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kürzlich entdeckte Gattung Tiktaalik ist in
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r ckenmuskeln von der Wirbelsäule her meisten Arten wenigstens um einen Me- Kopf. Natürlich war auch ein gründ-
an, die den Kopf anhoben. Auch der ter lang, dürften damals draußen nicht licher Umbau des Kiemensystems nötig.
Unterkiefer gewann durch zusammen- recht satt geworden sein, denn dort gab Manche von dessen Knochen wurden
wachsende Knochen mehr Stabilität, was es höchstens Insekten und dergleichen nun verzichtbar. Das Spritzloch aber –
sicherlich die vermutete Kehlatmung er- winziges Getier. Vielleicht war das aber eine besondere Kiemenöffnung –, das zu
leichterte. Moderne Amphibien und für den Nachwuchs ein prima Futter. einem luftgefüllten Sack in der Halsge-
Luft atmende Fische pressen oder schlu- Möglich, dass die Jugend sich anfangs gend führte, vergrößerte sich.
cken die Luft aus dem Mundraum wie am weitesten aus dem Wasser wagte.
bei einem Blasebalg in die Lungen. Auch am Kopfansatz tat sich einiges. Haien eine Kopflänge voraus
Oder entstand der starke, stabile Kie- Jene Knochen, die bei Fischen den Schä- Die große Frage ist, warum sich einige
fer als Anpassung ans Fressen an Land? del mit dem Schultergürtel verbinden, Fische plötzlich auf Luftatmung verleg-
Die frühen Tetrapoden lebten allesamt verschwanden. Tetrapoden haben einen ten, nachdem diese so lange im Wasser
räuberisch. Die Erwachsenen, bei den muskulösen Hals und frei beweglichen gut zurechtgekommen waren. Wie wir
wissen, lagerten die Fossilien, von denen
hier die Rede ist, in Sedimenten flacher
Neues Bindeglied Gewässer. Wir vermuten, diese Tiere
jagten im Seichten kleinere Fische. Viel-
Hoch im Norden Kanadas, auf Ellesmere längerten, sich überlagernden Rippen. leicht paarten sie sich auch im Flachwas-
Island, gräbt ein Team um Edward B. Dieser über einen Meter lange Fisch ser und legten dort ihre Eier. Alle bisher
Daeschler von der Naturwissenschaft- lebte im niedrigen Süßwasser, weswe- bekannten frühen Tetrapoden und Fast-
lichen Akademie in Philadelphia (Penn- gen die Gattung nach der lokalen Eski- Tetrapoden besaßen nämlich – wie auch
sylvania) und Neil H. Shubin von der Uni- mosprache »Tiktaalik« genannt wurde. Krokodile – einen auffallend flachen
versität Chicago seit 2004 Fossilien Er hatte schon einen beweglichen Kopf Schädel. In dem Zusammenhang sei die
eines Fleischflossers aus, der den ersten und eher flachen Rumpf. Auf seine star- Ausbreitung der Gefäßpflanzen erwähnt,
Tetrapoden näher stehen könnte als bis- ken Vorderflossen konnte er vermutlich die im Devon die Landschaften verän-
her jeder andere Fisch dieser Gruppe. sein Gewicht stützen und auf seinen derten. Zum ersten Mal gab es Pflanzen,
Hierauf hin deuten der Kopf, die Ohr- und Flossen gehen. Anstatt Fingern besaß er die Laub abwarfen. Kleine Tiere fanden
Schulterregion, aber etwa auch die ver- aber noch Flossenstrahlen. Dieser Fisch so im Uferbereich neue Verstecke, wohin
hielt sich vermutlich nicht nur im Flach- große Raubfische alter Art ihnen nicht
folgen konnten. Einige räuberische
KALLIOPI MONOYIOS
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Tiktaalik roseae, ein tropischer wesen zu sein. (Quelle: Nature, Bd. 440, 6. April wöhnten sie sich an, über Wasser nach
Flachwasserfisch aus dem frühen 2006, S. 747, 757 und 764) Luft zu schnappen. Wohl eher ein glück-
Oberen Devon. Allein sein Kopf war Von Adelheid Stahnke, Redakteurin licher Umstand mag es gewesen sein,
zwanzig Zentimeter lang. bei Spektrum der Wissenschaft dass ihnen die neuen Merkmale später
zur Eroberung des Landes verhalfen.
So wichtig die verschiedenen Neue- Die erste Phase dieser Umwandlung ten verschiedenste Fische und Wirbellose
rungen rund um das Atmen waren – muss schnell erfolgt sein, denn zu Zeiten und waren dabei vermutlich nicht son-
Lungen und Beine allein machten die von Acanthostega hatte der Knochen sei- derlich wählerisch. Doch hiervon gab es
Tetrapoden noch lange nicht landtaug- ne alte Funktion schon verloren. Wahr- offenbar Ausnahmen. Im Jahr 2000 ent-
lich. Zum Beispiel musste die Ohrregion scheinlich geschah das, während sich deckte Per Erik Ahlberg von der Univer-
umgebaut werden. Schon bei dem tetra- Gliedmaßen mit Fingern ausbildeten. sität Uppsala (Schweden) in einem Mu-
podennahen Fisch Panderichthys, und Allerdings fungierte er noch lange nicht seum in Lettland die Gattung Livoniana.
noch ausgeprägter bei der neuen Gat- als Gehörknöchelchen. Ein Ohr mit Von ihr existiert ein Unterkieferfragment
tung Tiktaalik, ist der Schädel hinter Trommelfell benötigten erst die Land- mit bizarrer Bezahnung. Statt der üb-
(über) den Augen wegen des veränderten tiere. Für Jahrmillionen dürfte dieser lichen zwei Zahnreihen säumen je deren
Innenohrs kürzer. Es scheint, als habe ehemalige Kiemenknochen ein Schädel- sieben die Unterkieferäste. Wie immer
der Schweresinn wegen des Aufenthalts element gewesen sein. sich dieses absonderliche Tier ernährt ha-
im Flachwasser mehr Bedeutung gewon- ben mag – es schlug völlig aus der Art.
nen. Die gleichzeitige Vergrößerung der Routiniert Übrigens fiel auch Ichthyostega aus
Luftkammer im Rachenraum – wiede- auf der Höhe ihrer Zeit der Reihe, jener vermeintliche Ahn der
rum bei Tiktaalik noch ausgeprägter als Viele Befunde solcher Art haben das Bild Landwirbeltiere. Erst neuere Studien ha-
bei Panderichthys – könnte das Hören der frühen Tetrapoden grundsätzlich ver- ben das aufgezeigt. Dieser erste aus dem
verbessert haben. Auch bei einigen heu- ändert. Das waren keine bemitleidens- Devon bekannt gewordene Vierbeiner
tigen Fischarten fängt der Luftsack werten, chimären Kreaturen einer evolu- hatte die Paläontologen stets irritiert,
Schallwellen auf, die dann über Knochen tionären Baustelle, die so richtig weder weil sich die Konstruktion der Ohrregi-
zum Innenohr geleitet werden. zum Wasser- noch zum Landleben on bei keinem modernen oder ausgestor-
Im Zusammenhang mit der Ohrre- taugten. Ihre Beine oder Ohren wird benen Tetrapoden oder Fisch wiederfin-
gion veränderte sich natürlich das Kie- man heute nicht mehr als halb- oder un- det. Meinen Kollegen und mir standen
menskelett, denn offenbar wurde schon fertig bezeichnen. Ganz im Gegenteil neue Fossilien zur Verfügung; auch ha-
früh die Luftatmung immer wichtiger. handelte es sich um je eigene für die je- ben wir ältere Funde des »Fischschädel-
Ein Knochen des zweiten Kiemenbo- weilige Lebensweise nützliche Anpas- lurchs« frisch präpariert; und vor allem
gens, das Hyomandibulare, wurde später sungen. Wie immer hatte natürlich nicht durchleuchteten wir wichtige Exemplare
bei den Landwirbeltieren zu einem Ge- alles weiterhin Bestand. Doch wir regis- computertomografisch. Der Sinn der
hörknöchelchen (dem Stapes, auch Colu- trieren, wie auf jeder Stufe während eigenartigen Ohrkonstruktion beginnt
mella genannt), das Schallwellen vom dieses Übergangs neue Tiere in neue Ni- sich nun abzuzeichnen. Die beste Erklä-
Trommelfell zum Innenohr überträgt schen drängten. Einige davon erwiesen rung dafür dürfte sein: Ichthyostega besaß
und dabei verstärkt. (Dieser Knochen ist sich hierin sogar als Spezialisten. hochspezialisierte Ohren – zum Hören
bei den Säugern zum Steigbügel im Mit- Alles in allem handelte es sich bei unter Wasser!
telohr geworden; bei ihnen kamen zwei den frühen Tetrapoden und ihren un- Ein Trommelfell, wie bei den meis-
weitere Gehörknöchelchen hinzu, Ham- mittelbaren Vorläufern um recht ansehn- ten Landwirbeltieren, fehlte diesem Tier.
mer und Amboss.) Dieses Hyomandibu- liche Geschöpfe. Fast alle Übergangs- Dafür saß beidseits im Hinterkopf je
lare ist bei Fischen für Fress- und Atem- formen maßen rund einen Meter Länge, eine wahrscheinlich luftgefüllte Kammer
bewegungen wichtig. manche noch einiges mehr. Sie erbeute- mit oben und seitlich verstärkten Wän- r
Ichthyostega, Ostgrönland
Sinostega,
China, Ningxia Hui
LAURASIEN
Oberarmknochen (Gattung nicht bekannt)
TETRAPODEN: ANDREW RECHER; KARTE: LUCY READING-IKKANDA
Ventastega,
Elpistostege, Quebec Lettland,
Pavari-/Ketleri-Formation
Von David A. Sinclair und hinkt. Denn es besteht ein entschei- ein Verfall als vielmehr eine aktive Fort-
Lenny Guarente dender Unterschied: Anders als Maschi- setzung der genetisch programmierten
nen können biologische Systeme ihrem Entwicklung eines Lebewesens. Sobald
B
aujahr und Kilometerstand ver- eigenen Verfall entgegenwirken – indem dieses seine Geschlechtsreife erreicht
raten recht viel über den Zu- sie auf äußere Belastungen reagieren und habe, begännen »Alterungsgene« seine
stand eines Gebrauchtwagens. unter Energieaufwand sich schützen und Schritte langsam, aber sicher bergab in
Der Zahn der Zeit und der Ver- Schäden reparieren. Richtung Grab zu lenken. Nach heute
schleiß hinterlassen unvermeidlich ihre In der wechselvollen Geschichte der gängiger Vorstellung ist Altern hingegen
Spuren. Mit dem Altern von Menschen zahlreichen Theorien zum Altern gab es wirklich bloßer Verfall – verursacht da-
erscheint es ähnlich, doch der Vergleich einst die These, das Ganze sei weniger durch, dass natürliche Mechanismen zur
r
Der typische Lebensbogen neigt
sich wieder, wenn Wachstum und
Vitalität dem Niedergang des Alterns wei-
chen. Ließe sich die Macht von Langlebig-
keitsgenen als Bremse nutzen, würde
man sich vielleicht einmal auch jenseits
der 70, 90 oder gar 100 noch so jugend-
lich fühlen wie mit 50.
Aktivierung
Nahrungsmangel und weitere Stressfak- Die Kalorienrestriktion bewirkt auch, dass
des Gens PNC1 toren wie Stickstoffmangel, zu hohe Salz- Hefezellen zur Energiegewinnung von
konzentration oder Hitze aktivieren das Gärung auf Zellatmung umschalten. In
Gen PNC1. Sein Protein baut in der Zelle den Zellkraftwerken, den Mitochondrien,
Nicotinamid ab, einen Hemmstoff von wird über die so genannte Atmungskette
Sir2. das Elektronenträgermolekül NADH zu
NAD umgewandelt. NADH hemmt Sir2,
Protein pnc1 NAD aktiviert das Enzym. Mito-
chondrium
(Zellkraft-
Sir2-Enzym werk)
Acetylgruppe
Histon-
komplex
TAMI TOLPA
enger
gewundene
DNA
Sir2 entfernt Acetylguppen von Histonen, sodass diese Verpackungs-
proteine die DNA zu einem dichteren Paket zusammenschnüren. Mutterzelle nach
Das Enzym deacetyliert einen bestimmten DNA-Abschnitt, der einigen Teilungen
dazu neigt, ringförmige Stücke genetischen Materials »abzu-
Mutterzelle nach
einigen Teilungen schnüren«, wenn die Zelle ihr Genom vor ihrer Teilung kopiert.
Bei Zellen der Bäckerhefe schnürt sich von der Verstärkte Sir2-Aktivität schützt He-
großen Mutterzelle eine kleinere Tochterzelle fezellen vor der Bildung extrachro-
ab. Nach mehreren solcher Teilungen begin- mosomaler DNA-Ringe, weil die
nen sich in der Mutter gewöhnlich DNA-Ringe verwundbare Genomregion enger
außerhalb ihrer Chromosomen anzuhäufen. zusammengepackt wird. Dadurch
Mutterzelle bleibt
Mutterzelle Nach etwa 20 Teilungen leidet die Zelle darun- bleiben die Zellen länger jung und vital und teilt sich noch
stirbt ter so sehr, dass sie schließlich abstirbt. setzen ihre Zellteilung länger fort. etliche Male weiter
Gen oder Signalweg (Ent- Spezies und erreichte ist mehr oder hauptsächlich beeinflusste mögliche Nebenwirkungen
sprechung beim Menschen) Lebensverlängerung weniger günstiger? Prozesse einer Manipulation
Sir2 (Sirt1) Hefe, Wurm, Fliege / mehr Überleben von Zellen, Meta- unbekannt
30 Prozent bolismus und Stressantworten
TOR (TOR) Hefe, Wurm, Fliege / weniger Zellwachstum vermehrte Infektionen und
30 bis 250 Prozent und Nährstofferfassung Krebs
Daf-/FoxO-Proteine Wurm, Fliege, Maus / weniger Wachstum Zwergwuchs, Unfruchtbar-
(Insulin, IGF-1) 100 Prozent und Glucosestoffwechsel keit, kognitive Einbußen,
Gewebedegeneration
Clock-Gene (CoQ-Gene) Wurm / 30 Prozent weniger Synthese von Co-Enzym Q unbekannt
Amp-1 (AMPK) Wurm / 10 Prozent mehr Stoffwechsel unbekannt
und Stressantworten
Wachstumshormon Maus, Ratte / 7 bis weniger Regulation der Körpergröße Zwergwuchs
(Wachstumshormon) 150 Prozent
p66Shc (p66Shc) Maus / 27 Prozent weniger Produktion freier Radikale unbekannt
Katalase-Gen (CAT) Maus / 15 Prozent mehr Entgiftung unbekannt
von Wasserstoffperoxid
Prop1, pit1 (Pou1F1) Maus / 42 Prozent weniger Aktivität der Hypophyse Zwergwuchs, Sterilität,
Hypothyroidismus
Klotho (Klotho) Maus / 18 bis 31 mehr Insulin, IGF-1 und Insulinresistenz
Prozent Regulation von Vitamin D
Methuselah (CD97) Fliege / 35 Prozent weniger Stressresistenz und Kommuni- unbekannt
kation von Nervenzellen
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Bei Säugetieren scheint das Enzym
Sirt1 – es entspricht Sir2 in der Hefe
– für den gesundheitsfördernden und le-
GRAFIK: LUCY READING-IKKANDA
STAC, nach dem englischen Begriff tifizierten Zielproteine steuern wichtige Sirt 1-Protein aktiviert. Mit STACs wie
dafür – hat sich Resveratrol erwiesen. Prozesse, darunter Apoptose, Zellabwehr Resveratrol ließ sich, wie das Team dann
Dieses kleine Molekül wird von vielen und Stoffwechsel (siehe Kasten auf S. feststellte, ein ganz ähnlicher Schutz bei
Pflanzen unter Stressbedingungen herge- 40). Die SIR 2-Genfamilie hat also an- Neuronen normaler Mäuse erzielen.
stellt und ist auch in Rotwein enthalten. scheinend auch bei Säugetieren ihre Rol- Wie eine noch jüngere Studie von
Pflanzen erzeugen nach derzeitigem le als möglicher Lebensverlängerer bei- Christian Néri vom französischen Natio-
Stand noch mindestens 18 weitere Subs- behalten. Doch wie es bei größeren und nalinstitut für Gesundheit und Medizi-
tanzen mit einer solchen Eigenschaft – komplexer aufgebauten Organismen nische Forschung in Paris ergab, beugen
möglicherweise regulieren sie damit ihre nicht überrascht, sind dort die Signal- Resveratrol und Fisetin (ein weiteres
eigenen Sir 2-Enzyme. wege, über die Sirtuine ihre Wirkung STAC) sogar dem Absterben von Ner-
entfalten, erheblich verwickelter. venzellen genmanipulierter Würmer und
Längeres Leben Bei Mäusen und Ratten lässt mehr Mäuse vor, die als Modellorganismen für
dank Rotweinsubstanz Sirt 1 beispielsweise manche Zellen noch die menschliche Huntington-Krankheit
Wird Resveratrol der Nahrung von He- Stress überleben, bei dem sie sonst schon dienen. Wieder funktionierte der Schutz
fen, Würmern oder Fliegen zugesetzt, so ihr Selbstmordprogramm eingeleitet hät- nur in Gegenwart funktionsfähiger Sir-
verlängert sich ihre Lebensspanne wie ten. Das Enzym reguliert unter anderem tuin-Gene.
bei Schmalkost um etwa ein Drittel, aber die Aktivität weiterer Schlüsselproteine,
wiederum nur, wenn diese Organismen darunter p53, FoxO und Ku70, die ent- Fett und Fasten
ein funktionsfähiges SIR 2-Gen besitzen. weder die Selbstmordschwelle beeinflus- Doch zurück zur Kalorienrestriktion und
Umgekehrt lässt sich bei veränderten sen oder die Zellreparatur anstoßen (sie- ihren günstigen Auswirkungen: Wenn
Taufliegen, die auf Grund einer Über- he Kasten S. 40). Dadurch erkauft es Sirtuine und ihre Gene wirklich die Ver-
produktion des Proteins bereits langle- mehr Zeit für eine zugleich wirksamere mittlerrolle spielen – wie kann dann die
biger sind, die Grenze weder durch Res- Behebung der Schäden. Ernährung nicht nur deren Aktivität in
veratrol noch durch Kalorienrestriktion Über die gesamte Lebensdauer gese- der Zelle, sondern damit zugleich die Al-
weiter hinausschieben. Die einfachste hen könnte Zellverlust durch Apoptose terungsprozesse im ganzen Tier steuern?
Erklärung dafür ist, dass jede Maßnah- ein bedeutender Faktor des Alterns sein, Wie Pere Puigserver von der Johns-
me für sich lebensverlängernd wirkt, in- insbesondere von nicht erneuerbaren Ge- Hopkins-Universität in Baltimore (Mary-
dem sie das Enzym bei Fliegen aktiviert. weben wie in Herz und Gehirn. Ein Ver- land) mit seinen Kollegen feststellte, er-
Erhalten normale Fliegen Resvera- langsamen des Schwunds mag einer der höht sich beim Fasten der NAD-Gehalt
trol, können sie fressen, so viel sie wol- Wege sein, wie Sirtuine ihre positive Wir- in Leberzellen, was erwartungsgemäß das
len, und leben trotzdem länger als sonst. kung auf Gesundheit und Lebensspanne Enzym Sirt 1 stärker aktiviert. Zu den
Zudem leiden sie nicht an verminderter entfalten. Ein eindrucksvolles Beispiel bei Proteinen, die es von Acetylgruppen be-
Fruchtbarkeit, die oft Folge der Extrem- Säugetieren bietet die Wallersche Maus- freit, gehört auch PGC-1α. Über diesen
diät ist. Das sind gute Neuigkeiten für mutante. Bei diesen Tieren sind durch wichtigen Regulator (einem Co-Aktiva-
jene Forscher, die Medikamente, die an Verdopplung eines einzigen Gens die tor für die Transkription, das Abschrei-
Sirtuinen ansetzen, gegen menschliche Nervenzellen hochresistent gegen Stress, ben von Genen) werden schließlich Än-
Krankheiten entwickeln möchten. Doch sodass sie bei Schlaganfällen, Chemothe- derungen im zellulären Glucosestoff-
zunächst gilt es, die Funktion dieser En- rapien und neurodegenerativen Erkran- wechsel herbeigeführt. Sirt 1 fungiert so-
zyme bei Säugetieren besser zu verstehen. kungen nicht so leicht absterben. mit als Sensor, der auf die Verfügbarkeit
Dem SIR 2-Gen der Hefe entspricht Im Jahr 2004 zeigte Jeff Milbrandt von Nährstoffen reagiert und zugleich
bei Säugetieren das Gen SIRT 1, fachlich von der Washington-Universität in St. die Reaktion der Leber darauf regelt.
ausgedrückt: Es ist ihm homolog. Sein Louis mit seinen Kollegen, dass infolge Ähnliche Befunde sprechen für ein
Protein – Sirt 1 – entfernt ebenfalls Ace- der Wallerschen Genmutation die Akti- Modell, wonach das Enzym als ein zent-
tylgruppen, allerdings von einer größeren vität eines Enzyms steigt, das an der Syn- raler Stoffwechselregulator in Leber- wie
Bandbreite von Proteinen, und das nicht these von NAD beteiligt ist. Offensicht- auch in Muskel- und Fettzellen dient, in-
nur im Zellkern, sondern auch außerhalb lich schützt das überschüssige NAD dem es hier Schwankungen der Nähr-
im Zellplasma. Mehrere der bislang iden- Neuronen, indem es seinerseits das stoffzufuhr über das veränderte NAD/ r
TAMI TOLPA
weder so genannte Transkriptionsfaktoren, Sirt 7
die Gene direkt aktivieren, oder regula- Zellplasma
torische Proteine, die diese Faktoren be-
Sirt 2
einflussen (siehe Beispiele rechts unten).
Auf diese Weise kann Sirt 1 eine große
Bandbreite wichtiger Zellfunktionen kon- Sirt 1
trollieren.
Ob seine Verwandten, die in unter-
schiedlichen Bereichen der Zellen vor-
kommen, ebenfalls die Lebensdauer be- Einige Zielproteine von Sirt 1
einflussen, wird ebenso wie ihre genaue
Rolle noch untersucht. Sirt 2 beispielswei- FoxO1, FoxO3 und FoxO4: Transkriptionsfaktoren für Funktionieren anderer Regulatoren, etwa des
Gene, die am Zellschutz und Glucosestoffwech- Proteins PGC-1α
se modifiziert Tubulin, einen Bestandteil
sel beteiligt sind NF-κ B: Transkriptionsfaktor, der Entzündungen,
des Zellgerüsts, und beeinflusst mögli- Histone H3, H4 und H1: kontrollieren die Packungs- das Überleben von Zellen und das Zellwachstum
cherweise die Zellteilung. Sirt 3 ist in den dichte der DNA in den Chromosomen steuert
Kraftwerken der Zelle, den Mitochon- Ku70: Transkriptionsfaktor, der die DNA-Reparatur P300: Regulator, der für das Anheften von Acetyl-
und das Überleben der Zelle fördert gruppen an Histone sorgt
drien, aktiv und scheint auch an der Regu- p 53: Transkriptionsfaktor, der den programmier-
MyoD: Transkriptionsfaktor, der Muskelentwick-
lation der Körpertemperatur beteiligt zu lung und Gewebsreparatur fördert ten Tod geschädigter Zellen einleitet
sein. Mutationen im Gen, das für Sirt 6 co- NcoR: Regulator, der zahlreiche Gene beeinflusst, PGC-1 α : Regulator, der die Zellatmung kontrolliert
diert, werden mit vorzeitiger Alterung in darunter solche, die am Fettstoffwechsel und an und anscheinend eine zentrale Rolle bei der Mus-
Entzündungsprozessen beteiligt sind sowie am kelentwicklung spielt
Verbindung gebracht.
A U T O R E N U N D L I T E R AT U R H I N W E I S E
Zu früh geboren tion erfüllt. Bis wir allerdings wissen, ob wie Beigeordneter des Broad-
Seit jeher ist es ein Traum der Mensch- und wie Sirtuin-Gene die Lebensspanne Instituts für Systembiologie in
Cambridge. Guarente, Novartis-
heit, das Altern zu verlangsamen. Für von Menschen festlegen, werden wir uns Professor für Biologie, gehört seit 25 Jahren der
manche unter uns scheint daher kaum sicher noch Jahrzehnte gedulden müs- Fakultät des M.I.T. an. Beide Wissenschaftler ha-
vorstellbar, dass dies durch »Herum- sen. Wer hofft, eine Pille zu schlucken ben jeweils eine eigene Biotechnologiefirma ge-
schrauben« an einer Hand voll Gene ge- und 130 zu werden, ist möglicherweise gründet, um sirtuinaktivierende Moleküle für den
lingen könnte. Doch nachweislich lässt ein Jahrhundert zu früh geboren. Aber pharmazeutischen Einsatz zu entwickeln.
sich das Altern von anderen Säugetieren immerhin kann er vielleicht noch zu Das Wunder der über 120-Jährigen. Von Shino
durch eine einfache Umstellung der Er- Lebzeiten einmal von Medikamenten Nemeto und Toren Finkel in: SdW, November
2004, S. 70
nährung hinauszögern – auf eine strikt profitieren, welche die Aktivität von
kalorienbegrenzte Kost. Und wie wir ge- Sirtuin-Enzymen modulieren, um be- Toward a unified theory of caloric restriction and
zeigt haben, kontrollieren Sirtuin-Gene stimmte Leiden wie Alzheimer, Krebs, longevity regulation. Von David A. Sinclair in: Me-
chanisms of Aging and Development, Bd. 126, Nr.
viele derselben molekularen Signalketten, Diabetes und Herzerkrankungen zu be-
9, S. 987, September 2005
die von der Umstellung beeinflusst wer- handeln. Für mehrere Wirkstoffe, die zur
den. Ohne genau die mutmaßlich unzäh- Therapie von Diabetes, Herpes und neu- Caloric restriction, Sirt1 and metabolism: under-
standing longevity. Von Laura Bordone und Leo-
ligen Ursachen des Alterns mit seinen rodegenerativen Krankheiten bestimmt nard Guarante in: Nature Reviews Molecular and
Gebrechen zu kennen, haben wir ferner sind, hat zumindest bereits die klinische Cell Biology, Bd. 6, S. 298, April 2005
bereits bei verschiedenen Lebewesen Erprobung begonnen.
The secrets of aging. Von Sophie L. Rovner in:
nachgewiesen, dass es sich auch ohne Langfristig hoffen wir, dass die Ent- Chemical & Engineering News, Bd. 82, Nr. 34, S.
Dauerfasten hinauszögern lässt. Wir brau- schlüsselung der Geheimnisse von Lang- 30, 2004
chen nur ein paar Regulatoren zu mani- lebigkeitsgenen mehr erlauben wird, als
Weblinks zu diesem Thema finden Sie bei www.
pulieren – und sie verhelfen diesen Orga- altersbedingte Erkrankungen bloß zu be- spektrum.de unter »Inhaltsverzeichnis«.
nismen von selbst zu besserer Gesundheit. handeln. Denn besser wäre, sie zu ver-
Hydrodynamik im Kaffeeglas
Genießern mit Hang zur Physik empfiehlt der Küchenchef heute:
Latte macchiato auf hydrodynamische Art.
l
Die Schichtung eines gut gemach-
ten Latte macchiato entsteht durch
Konvektionszellen an der Glaswand.
FOTO: FLORIAN BEISSNER; ILLUSTRATION: SIGANIM / SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT
GERINGE 3TRÚMUNGSGESCHWINDIGKEIT
STARKE 3TRÚMUNGSGESCHWINDIGKEIT
'LASWAND
Von David Jewitt, förmigen Bahnen in seiner Äquator- Die entgegengesetzte Bewegungs-
Scott S. Sheppard und Jan Kleyna ebene umlaufen. richtung der irregulären Monde deutet
Streng genommen müssten wir in auf andere Geburtsstätten hin. Ver-
V
or fünf Jahren vertrieben beiden Fällen von Satelliten sprechen, mutlich wurden diese kleinen Objekte
sich zwei von uns im Lauf da der Name Mond für den Erdbeglei- in der Frühzeit des Sonnensystems von
einer bewölkten Nacht im ter reserviert ist. Doch selbst Astro- der Schwerkraft der soeben entstande-
Observatorium auf dem nomen reden so oft von Monden, dass nen Planeten aus ihren ursprünglichen
Mauna Kea (Hawaii) mit einer Wette wir diesen Begriff hier ruhig beibehal- Bahnen gerissen. Diese Objekte zu un-
die Zeit: Wie viele Monde warten im ten können. tersuchen, könnte neues Licht auf die
Sonnensystem noch auf ihre Ent- Kannten wir vor fünf Jahren im Frühzeit des Sonnensystems werfen.
deckung? Jewitt setzte 100 Dollar da- Sonnensystem erst elf irreguläre Mon- Der erste bekannte irreguläre
rauf, dass selbst ein Teleskop, das auf de, so waren es bei Redaktionsschluss Mond, Neptuns Triton, wurde bereits
deren Suche spezialisiert wäre, höchs- dieser Ausgabe bereits hundert. Zwar 1846 entdeckt. Über mehr als andert-
tens zehn neue Monde finden würde. werden sie durch die Form und Ori- halb Jahrhunderte entgingen die meis-
Schließlich hatten Astronomen im entierung ihrer Umlaufbahnen defi- ten seiner Artgenossen den Astro-
gesamten 20. Jahrhundert nur etwa niert, doch fallen sie auch durch die nomen, weil sie zumeist kleiner sind
zwei Dutzend neuer Monde ent- Richtungen auf, in denen sie ziehen. und deshalb lichtschwächer erscheinen
deckt – die Entdeckungen der Voya- Viele von ihnen bewegen sich retro- als ihre regulären Gegenstücke. Außer-
ger-Raumsonden inbegriffen. Sheppard grad um ihre Planeten, also entgegen dem bevölkern sie eine erheblich grö-
war optimistischer. Angesichts der deren Rotationsrichtung. Reguläre ßere Region des Weltraums.
wachsenden Empfindlichkeit astrono- Monde wie unser Erdbegleiter bewe-
mischer Geräte tippte er auf die dop- gen sich dagegen immer prograd: Bahnen am Rand der Hill-Sphäre
pelte Anzahl. Von einem Punkt weit über dem Während Kallisto, der äußerste regu-
Inzwischen ist Sheppard um 100 Nordpol aus betrachtet, bewegt sich läre Jupitermond, in knapp 17 Tagen
Dollar reicher, denn seit jener Nacht der Mond auf seiner Bahn gegen den den Riesenplaneten im Abstand von
hat allein unser Team 63 neue Monde Uhrzeigersinn, und auf dieselbe Weise 1,9 Millionen Kilometern umläuft, be-
aufgespürt. Die meisten davon umlau- dreht sich die Erde und umläuft die nötigt der noch namenlose irreguläre
fen ihre Planeten auf lang gestreckten Sonne. Mond S/2003 J2 dafür etwa 982 Tage
Ellipsen, deren Bahnebenen oft erheb- Vermutlich spiegelt dieses Muster und entfernt sich bis auf 28,5 Millio-
lich gegen die Äquatorebene ihrer Pla- die Drehrichtung der Gas- und Staub- nen Kilometer. Das ist beinahe der Ra-
neten geneigt sind. Diese Eigen- scheibe wider, aus der vor 4,5 Milli- dius der so genannten Hill-Sphäre Ju-
schaften kennzeichnen sie als »irregu- arden Jahren die Sonne und unser Pla- piters, definiert als der Bereich, den
läre Monde« und unterscheiden sie netensystem entstanden. Dass reguläre dieser Planet mit seiner Schwerkraft
von den regulären Monden, wie den Monde dieser Bewegungsrichtung fol- beherrscht. Außerhalb der Hill-Sphäre
bereits 1610 von Galileo Galilei ent- gen, lässt Astronomen vermuten, sie überwiegt der Schwerkrafteinfluss der
deckten vier Begleitern Jupiters, die seien in den Scheiben um junge Pla- Sonne. Von der Erde aus gesehen hat
diesen Riesenplaneten auf nahezu kreis- neten entstanden. die Hill-Sphäre Jupiters am Himmel ei- r
Spektrum von der 180 Kilometer gro- wir keine Monde mit Bahnneigungen regulär: 6; irregulär: 7
ßen Himalia bis zu Winzlingen mit zwischen 50 und 130 Grad finden. Heu-
Durchmessern von nur ein bis zwei Ki- te existierende irreguläre Monde haben
lometern. vermutlich äußere Schwerkrafteinflüsse ihren Ursprung, sondern auch das Auf-
Nur wenige andere Objekte im Son- überstanden, die viele ihrer Geschwister treten der Monde in Gruppen oder Fa-
nensystem haben so komplizierte Um- verschwinden ließen. milien, deren Mitglieder sich in mancher
laufbahnen wie diese Monde. Da sie sich Nicht nur die Bahnverläufe einzelner Weise ähneln. Die einfachste Erklärung
so weit von ihren Planeten entfernen, irregulärer Monde liefern Hinweise auf für ihre Existenz wäre, dass es sich dabei
um die Bruchstücke eines größeren
Monds handelt, der einer Kollision zum
IN KÜRZE Opfer fiel. Jupiters Gruppen enthalten
jeweils bis zu 17 Mitglieder.
r Bis vor wenigen Jahren vermuteten Astronomen, die meisten Monde seien Umfangreiche Computersimulatio-
in Scheiben um ihre Planeten entstanden, denn sie kreisen in deren Äquatorebene nen von David Nesvorny vom South-
und bewegen sich in derselben Richtung, in der sich ihr Planet um sich selbst west Research Institute in Boulder (Co-
dreht. Monde, die nicht in dieses Bild passen, gelten als irregulär. lorado) zeigen, dass die Zahl der Zusam-
r Neuen Beobachtungen zufolge bilden irreguläre Monde jedoch die Mehrheit der menstöße zwischen Kometen, Monden
Monde im Sonnensystem. Ihre lang gestreckten, verwickelten und gegen die und anderen interplanetaren Kleinkör-
Bahnebene der Planeten geneigten Umlaufbahnen deuten darauf hin, dass sie pern in den letzten drei bis vier Milliar-
nicht im Umfeld ihres Planeten, sondern anderswo entstanden. den Jahren drastisch abgenommen hat.
r Vermutlich waren es Kometen und Asteroiden aus dem Kuiper-Gürtel jenseits Sind die irregulären Monde durch diesen
des Neptuns oder aus dem Innern des Sonnensystems, die durch Kollisionen oder Prozess entstanden, dann muss es bereits
andere Wechselwirkungen eingefangen wurden. kurz nach der Entstehung des Sonnen-
systems zu diesen Ereignissen gekommen
Titan
reguläre
Umlaufbahn
Phoebe
irreguläre
Umlaufbahnen
SATURN
regulär: 21; irregulär: 35
sein, als noch mehr Kollisionspartner Phoebe vorbeiflog, sandte sie atemberau- völlig eisfrei. Vermutlich liegt das an
vorhanden waren. bend hoch aufgelöste Bilder zur Erde, ihrer relativen Nähe zur Sonne, in der
Dass die meisten irregulären Monde die eine kraterübersäte Oberfläche zeig- Eis verdampfen würde. Die irregulären
so lichtschwach sind, machte es bislang ten. Im Spektrum des von der Oberflä- Monde Jupiters erinnern deshalb an tote
unmöglich, ihre chemische Zusammen- che reflektierten Sonnenlichts fanden Kometen, die ihre flüchtigen Bestand-
setzung aus Spektren zu bestimmen. Ein- sich Linien, die auf gefrorenes Wasser teile im Lauf der Zeit verloren haben.
facher ist es, die Farben ihrer Oberflä- und Kohlendioxid hinwiesen. Dieser Vergleich zwischen irregulären
chen zu messen. Beobachtungen von Monden und Kometen scheint berech-
Tommy Grav von der Harvard-Universi- Rätselhafter Einfang tigt, denn in beiden Fällen handelt es
tät und seinen Mitarbeitern zufolge äh- Fünfzehn Jahre zuvor, im August 1989, sich vermutlich um Überreste aus der
neln sich diese bei den Mitgliedern einer war die Raumsonde Voyager 2 an Nep- Frühzeit des Sonnensystems, die irgend-
Gruppe stark. Das weist auf deren ähn- tun vorbeigeflogen und hatte Bilder und wie von den Planeten eingefangen wur-
liche chemische Zusammensetzung hin Spektren von dessen Monden Nereid den. Wie dies genau geschah, bleibt rät-
und spricht für den Verdacht, dass die und Triton aufgenommen, die beide als selhaft.
Mitglieder einer Gruppe Fragmente ein irregulär bekannt waren. Auch ihre Dass die Schwerkraft von Sonne und
und desselben Ursprungskörpers sind. Oberflächen wiesen deutliche Eisspuren Planeten Asteroiden und Kometen in
Zumindest von drei irregulären auf, was den Verdacht aufkommen lässt, kurzlebige Umlaufbahnen um die Rie-
Monden wissen wir Genaueres über die dass sie wie Kometen in recht großem senplaneten zieht, gehört zum Alltag im
Oberfläche. Als die Raumsonde Cassini Abstand zur Sonne entstanden. Sonnensystem. Ein zeitweiliger Einfang
am 11. Juni 2004 auf ihrem Weg zum Dagegen sind Jupiters irreguläre ähnelt kleinen Laubwirbeln an einem
Ringplaneten Saturn an dessen Begleiter Monde pechschwarz und anscheinend Herbsttag: Die Blätter wirbeln vielleicht r
Problematische Gasreibung
James B. Pollack und Joseph A. Burns
vom Ames-Forschungszentrum der Nasa
sowie Michael E. Tauber von der Cor- Die seltsamen Umlaufbahnen der irregulären Monde wecken den Verdacht, dass
nell-Universität untersuchten den Ener- sie nicht in der Umgebung ihrer Planeten entstanden, sondern von diesen ein-
gieverlust, der einem Mond durch Rei- gefangen wurden. Astronomen diskutieren über drei mögliche Szenarien für
bung in den ausgedehnten Atmosphären diesen Vorgang, an dessen Anfang jeweils die Bildung von Planetesimalen
der jungen Gasplaneten widerfährt. Im steht, Körpern von der Größe heutiger Asteroiden. Diese ballten sich entweder
Gegensatz zur Erde und den anderen ter- zu den Gesteinskernen heutiger Riesenplaneten zusammen oder sie blieben
DON DIXON
restrischen Planeten bestehen Jupiter und übrig und konnten später eingefangen werden.
Saturn hauptsächlich aus Wasserstoff und
Helium. Wahrscheinlich bildete sich bei
diesen Planeten zunächst jeweils ein rund bremst die Reibung den Himmelskörper In der Zwischenzeit hatte sich die
zehn Erdmassen großer Kern aus Gestein jedoch gerade so ab, dass er eingefangen Gasscheibe um die Sonne jedoch schon
und Eis, der große Mengen von Gas aus wird. Das ist gewissermaßen eine natür- weit gehend verflüchtigt. Uranus und
der Scheibe um die junge Sonne an sich liche Version des »Aerobraking«, das Neptun besaßen niemals ausgedehnte
zog. Bevor die Planeten ihre heutige, viele Raumsonden nutzen, um in eine Atmosphären, welche passierende Astero-
kompakte Form erreichten, durchliefen Umlaufbahn um ihren Zielplaneten ein- iden oder Kometen durch Reibung hät-
sie vermutlich eine Phase, während der zuschwenken. ten abbremsen und einfangen können.
ihre Atmosphäre auf das Vielfache ihres Die Gasreibung erklärt jedoch nicht Auch im zweiten Szenario findet der
heutigen Durchmessers anwuchs. die Existenz der irregulären Monde um Einfang während der Wachstumsphase
Was mit einem Kometen oder Aste- die Eisriesen Uranus und Neptun, die der Planeten statt. Die Akkretion von
roiden passiert, der an einem solchen vor allem aus Gestein und Eis sowie Spu- Gas auf die Kerne der späteren Riesen-
Gasriesen vorüberzieht, hängt von seiner ren von Wasserstoff und Helium beste- planeten lässt die Masse rasch anwachsen
Größe ab. Massearme Kleinkörper ver- hen und die Sonne in größerem Abstand und damit weiten sich auch die Hill-
glühen in der ausgedehnten Atmosphä- umlaufen. Dort war die Dichte der zir- Sphären um die Planeten aus. Asteroiden
re. Massereiche werden von der Atmo- kumsolaren Scheibe zunächst geringer und andere Objekte, die sich während
sphäre hingegen kaum beeinflusst; sie und es dauerte länger, bis die Planeten- dieses schnell ablaufenden Prozesses in
umkreisen die Sonne weit gehend unge- kerne Gas aus der Umgebung anziehen der Nähe aufhielten, fanden sich plötz-
stört. In einem mittleren Größenbereich konnten. lich im Einflussbereich des planetaren
irregulärer
Mond
Atmosphärenbremsung
Der Planetenembryo zieht Gas aus seiner Umgebung an, wächst dadurch und bildet eine aufgeblähte Atmosphäre aus.
Beim Streifen dieser Gashülle verlieren Planetesimale durch Reibung Energie und können eingefangen werden.
Hill-Sphäre
Einzugseinfang
Der junge Planet zieht Gas an, wächst schnell zu einem massereichen Objekt mit stärkerem Gravitationsfeld heran
und kann Planetesimale aus seinem gewachsenen Einflussbereich an sich binden.
Drei-Körper-Einfang
Nachdem der Planet seine endgültige Größe und Masse erreicht hat, kommt es in
seiner Nähe zum Beinahezusammenstoß zweier Planetesimale. Dabei verliert einer von ihnen Energie und wird
in einer Umlaufbahn um den Planeten gefangen (weiß), während der andere Energie gewinnt und entkommt (rot).
Schwerkraftfelds wieder. Vorgeschlagen hunderten abgelaufen sein, um den Ein- Diesem zufolge könnte bei der Kollision
wurde dieser Prozess im Jahr 1976 von fang zu ermöglichen, und das erscheint zweier kleiner Himmelskörper in der
Thomas A. Heppenheimer und Carolyn vielen Experten unrealistisch kurz. Alan Hill-Sphäre eines großen Planeten so viel
Porco am California Institute of Tec- Boss von der Carnegie Institution of Energie freigesetzt werden, dass einer der
nology, die ihn Einzugseinfang (Pull- Washington schlug als Alternative vor, beiden kleinen Körper eingefangen wird.
down capture) tauften. Uranus und Neptun seien ursprünglich Über mehr als drei Jahrzehnte stieß die-
genauso massereich gewesen wie Jupi- ser »Drei-Körper-Einfang« auf geringes
Schicksalsreiche Zusammenstöße ter und Saturn, hätten jedoch anschlie- Interesse, weil derartige Kollisionen im
Auch für diesen Mechanismus erweisen ßend auf Grund der Strahlung naher heutigen Sonnensystem sehr selten sind.
sich Uranus und Neptun als Problemfäl- Sterne im Lauf der Zeit einen Teil ihrer Neuere Arbeiten zeigen jedoch, dass
le, denn vermutlich sind sie langsam an- Masse verloren. Die Existenz irregulä- gar kein Zusammenstoß nötig ist: Der
gewachsen. Den Modellen zufolge er- rer Monde in ihrer Nähe verblüfft, denn Prozess funktioniert auch dann, wenn
reichten sie durch die Aufnahme von As- ein schrumpfender Planet würde eher drei Körper über ihre Schwerkraft auf-
teroiden und Kometen allmählich ihre Monde verlieren als einfangen. einander wirken und dabei Energie aus-
heutigen Massen, was bis zu einhundert Bereits 1971 schlugen Bepi Colom- tauschen. Im Mai dieses Jahres schlugen
Millionen Jahren gedauert haben kann. bo und Fred Franklin vom Harvard- Craig Agnor von der Universität von Ka-
Doch selbst bei Jupiter und Saturn Smithsonian Center for Astrophysics ein lifornien in Santa Cruz und Doug Ha-
müsste der Prozess innerhalb von Jahr- drittes, völlig unabhängiges Szenario vor. milton von der Universität von Mary- r
NASA / JPL
Neptun erklären kann. Voraussetzung
ist, dass genug Kollisionen oder sehr
nahe Vorübergänge in der Nähe des Pla-
neten stattfanden. Am ehesten war das zwar masseärmer als Jupiter und Saturn, chen Region entstanden sind wie der
wohl am Ende der Planetenbildung der dafür aber weiter von der Sonne ent- Planet, der sie später einfing. Die meis-
Fall, als die Hill-Sphäre bereits ihre jet- fernt, und da sich diese Effekte gegensei- ten der vor 4,5 Milliarden Jahren vor-
zige Größe erreicht hatte und noch viele tig kompensieren, ähneln sich die Grö- handenen Kleinkörper wären dann mit
Überreste der Planetenentstehung vor- ßen ihrer Hill-Sphären. den entstehenden Planeten zusammen-
handen waren. Doch auch wenn der Drei-Körper- gestoßen oder aus dem Sonnensystem
Vielleicht kann der Drei-Körper-Ein- Einfang am ehesten die heutigen Auf- herausgeschleudert worden – allein die
fang sogar auf elegante Weise erklären, enthaltsorte der irregulären Monde zu irregulären Monde hätten ihre Umlauf-
warum alle vier Riesenplaneten ungefähr erklären vermag, bleibt deren Ursprung bahn behalten.
die gleiche Anzahl von irregulären Mon- weiter ungewiss. Vielleicht sind es Aste- Neuere Modelle ergeben ein weiteres
den besitzen: Uranus und Neptun sind roiden oder Kometen, die in der glei- Szenario. Dem zufolge war das Sonnen-
Hill-Sphären im Visier
Weit entfernt, klein und lichtschwach: Ir- Wir haben viele unserer Entdeckun-
reguläre Monde zählen zu den schwie- gen mit dem Canada-France-Hawaii-Te-
rigsten Beobachtungsobjekten im Son- lescope (CFHT) auf dem Mauna Kea in
nensystem. Wie Nadeln im Heuhaufen Hawaii gemacht. Der Hauptspiegel des
sind sie über einen großen Himmelsaus- Fernrohrs ist mit einem Durchmesser
schnitt um ihre Planeten verteilt. Um sie von 3,6 Metern nach heutigen Maß-
aufzufinden, sind deshalb die moderns- stäben zwar eher bescheiden, doch
ten Weitwinkelkameras erforderlich. dafür ist dieses Gerät mit einem der
größten existierenden elektronischen
Detektoren ausgestattet: der Mega-
u
Um große Himmelsfelder zu durch- Cam, die mit ihren 268 Millionen Pixeln D. JEWITT, S. SHEPPARD UND J. KLEYNA
mustern, eignet sich diese im Pri- ein Quadratgrad des Himmels erfasst.
märfokus des japanischen 8-Meter-Teles- Angesichts der zahlreichen Objekte
kops Subaru installierte Kamera. im Bildfeld dieser Kamera ist es eine
SUBARU TELESCOPE, NATIONAL ASTRONOMICAL OBSERVATORY OF JAPAN
Herausforderung, zwischen Objekten
im Sonnensystem und zahlreichen,
weiter entfernten Sternen und Galaxien
zu unterscheiden. Wir verwenden dafür
zwei Methoden. Die erste beruht auf
einer Entfernungsbestimmung, für die
wir drei zu unterschiedlichen Zeitpunk-
ten aufgenommene Bilder derselben
o
Himmelsregion vergleichen. In diesem Diese im Abstand von 39 Minuten
Zeitraum hat sich die Erde auf ihrer aufgenommenen Bilder führten am
Bahn um die Sonne weiterbewegt, was 26. Februar 2003 zur Entdeckung von
unseren Blickwinkel verändert hat. Weit S/2003 J14, einem irregulären Mond Ju-
entfernte Objekte sehen wir in nahe- piters (rot), der sich auffällig vor den Ster-
zu unveränderter Konstellation, doch nen und Galaxien im Hintergrund be-
nahe Objekte wie die irregulären Monde wegte. Vermutlich ist der Mond etwa zwei
erscheinen vor diesem Hintergrund Kilometer groß.
Quantenphysik 17.-19.11.06
Seminar für physikalisch und philosphisch
verschoben – und zwar umso stär- Interessierte, geistige Anregung und
ker, je näher sie uns sind. körperliche Erholung in schönem Ambiente
Die zweite Methode nutzt www.fem-institut.de
David Jewitt, Scott S. Sheppard und Jan
Geschwindigkeitsmessungen. Zu- Kleyna (v. l. n. r.) gehören zu den weltweit
nächst nehmen wir in relativ kurzem erfolgreichsten Entdeckern neuer Monde. Top-quality, in detail-consulting
Abstand mehrere Dutzend Bilder ei- Jewitt begann im Alter von sieben Jahren, aus Industrie & Hochschule
ner Himmelsregion auf. Anschlie- sich für Astronomie zu interessieren, als er
A U T O R E N U N D L I T E R AT U R H I N W E I S E
Energiespeicher, Superisolationen,
ßend überlagern wir diese Bilder, in London einen spektakulären Meteorschau- Oberflächen, Modeling, EU-Anträge
er sah. Er ist jetzt Professor für Astronomie
verschieben sie jedoch leicht gegen- www.haraldreiss.de
an der Universität von Hawaii. Sheppard be-
einander, und zwar entsprechend gann seine wissenschaftliche Laufbahn als
der zu erwartenden Bahngeschwin- Student von Jewitt und ist gegenwärtig
Postdoktorand an der Carnegie Institution of Zahn-Implantate preiswert
digkeit der von uns gesuchten ir-
Washington. Kleyna ist Postdoc an der Uni- Sparen Sie bis zu € 2000 für ein
regulären Monde. Auf der Überla- Titanimplantat plus Zirkonoxid-Krone
versität von Hawaii.
gerung erscheinen die Hintergrund- www.dentaprime.info
sterne als Striche und die irregulären A survey for »normal« irregular satellites
around Neptune: Limits to completeness.
Monde als helle Punkte. Da diese
Von Scott S. Sheppard, David Jewitt und
Methode mehr Aufnahmen einer Jan Kleyna in: Astronomical Journal, Bd.
Himmelsregion nutzt, ist sie zum 132, S. 171, 2006
Auffinden lichtschwacher Objekte
Cassini imaging science: Initial results on
geeigneter als die erste. Dafür dau- Phoebe and Iapetus. Von Carolyn Porco et al.
ert die Durchführung einer komplet- in: Science, Bd. 307, S. 1237, 2005
ten Durchmusterung länger. Irregular satellites in the context of planet Hier können Sie den Leserinnen und Lesern von Spek-
Um sicherzugehen, dass wir tat- formation. Von David Jewitt und Scott trum der Wissenschaft Ihre WWW-Adresse mitteilen.
sächlich Monde gefunden haben Sheppard in: Space Science Reviews, Bd. Für € 83,00 pro Monat (zzgl. MwSt.) erhalten Sie
und nicht etwa Asteroiden oder Ko- 114, S. 407, 2004 einen maximal fünfzeiligen Eintrag, der zusätzlich auf
meten, überwachen wir sie mehrere The discovery of faint irregular satellites of der Internetseite von Spektrum der Wissenschaft er-
Monate lang und überprüfen so, ob Uranus. Von J. J. Kavelaars et al. in: Icarus, scheint. Mehr Informationen dazu von
sie wirklich um ihren jeweiligen Pla- Bd. 169, S. 474, 2004
GWP media-marketing
neten kreisen. Weblinks zum Thema finden Sie bei www. Mareike Grigo
spektrum.de unter »Inhaltsverzeichnis«. Telefon 0211 61 88-579
E-Mail: m.grigo@vhb.de
Winziges Nanotechnologie
r
r
Nanobatterien ...........................
Rastersondenmikroskope ..........
r Funktionstextilien ......................
S. 54
S. 57
S. 58
S
eit der Erfindung des Transistors
sind fast sechzig Jahre vergangen. chips, sondern an Systeme, die auf ein Si-
Doch vergleicht man den etwa 2,5 gnal hin erwachen und rasch Energie frei-
Zentimeter breiten Stammvater setzen. Netzwerke von Sensoren zur erspannung wird über eine Elektrode hin-
mit seinen Millionen Nachfahren auf Überwachung von Atomanlagen oder ter dem Substrat appliziert, das seinerseits
einem heutigen Computerchip, scheinen Mülldeponien wären eine mögliche An- aus einem Isolator besteht.
Äonen vergangen. Für Batterien, die mo- wendung, auch massenhaft gefertigte Sen- Krupenkin überlegte nun, auf diese
bile elektronische Geräte mit Strom und soren für Giftgase, die von Flugzeugen Weise auch winzige chemische Reaktoren
Spannung versorgen, fällt dieser Vergleich über Kampfgebieten abgeworfen würden. zu bauen. Er ersann eine Anordnung dicht
weit weniger schmeichelhaft aus. Denn Sobald der Alarmfall eintritt, soll ein sol- stehender Reihen nur wenige Nanometer
während Transistoren auf ein Hundert- cher Messfühler ein Signal senden. Dazu hoher »Säulen«, deren Oberfläche von su-
tausendstel ihrer Größe schrumpften, wer- benötigt er eine Stromversorgung, die lan- perhydrophob auf hydrophil zu schalten
den die Abmessungen der Ladungsspei- ge auf ihren Einsatz warten kann – min- sein sollte. Solange sie sich im ersteren Zu-
cher noch in Zentimetern gemessen. destens 15 Jahre sollen die neuen Nano- stand befinden, würden flüssige Reagen-
Das Konzept des Transistors wurde in batterien ruhen können, ohne an Ladung zien winzige Tropfen bilden, die in den
den Bell Laboratories geboren. Inzwi- zu verlieren. Lücken zwischen den Säulen verharren.
schen bilden die »Bell Labs« die Ideen- Schaltet man ihre Oberflächen auf hydro-
schmiede des Netzwerkgiganten Lucent Kontaktscheue Linsen phil, müssten Kapillarkräfte die Tröpfchen
Technologies und sind längst nicht mehr Die entscheidende Idee hatte Tom Kru- zwischen den Säulen auf den Boden zie-
auf den Firmensitz in Murray Hill (New penkin, der bei Bell Labs über flüssige Mi- hen – wo diese mit dort wartenden Subs-
Jersey) beschränkt. Obwohl elektrische krolinsen forschte, wie sie inzwischen in tanzen in Kontakt kämen. Krupenkin er-
Energiespeicher eigentlich nicht das Ge- vielen Fotohandys zu finden sind. Diese kannte das Potenzial, auf diese Weise erst-
schäft dieses Unternehmens sind, hat Bell Linsen verändern ihre Form und damit mals eine Nanobatterie zu realisieren.
Labs nun beschlossen, die Batterie neu zu ihre Brennweite, wenn sich die Benetzbar- Eine typische Einwegbatterie besteht
erfinden. Abmessungen im Nanometerbe- keit ihrer Kontaktfläche ändert: Ist sie aus Anode und Kathode, eingetaucht in
reich und eine Massenfertigung mit den »hydrophil«, breitet sich die Flüssigkeit einen Elektrolyten. Der vermittelt eine
Verfahren der Halbleiterindustrie, so lau- darauf aus, ist sie aber »superhydrophob«, chemische Reaktion zwischen den beiden
ten die ehrgeizigen Ziele. Dann nämlich versucht die Linse sozusagen, den Kontakt Elektroden, dabei werden Elektronen aus-
lassen sich die Speicher in die Schaltungen zu vermeiden und ballt sich zur Kugel. getauscht – es fließt Strom. Solange kein
integrieren, also gemeinsam mit den Tran- Der jeweilige Zustand lässt sich elektrisch Verbraucher angeschlossen ist, sollte die
sistoren fertigen. Allerdings denken die umschalten, ein Effekt, den man electro- elektrochemische Reaktion unterbleiben.
Wissenschaftler dabei nicht an eine per- wetting nennt. Freilich muss die Flüssig- Tatsächlich verliert eine Batterie pro Jahr
manente Stromversorgung von Mikro- keit dazu Strom leiten können. Die Steu- etwa sieben bis zehn Prozent der gespei-
o
LM
Elektrolyt
r einer Spannungsquelle angeschlossen, eine te, unerwünschte chemische Reaktionen So könnten weitere Chemikalien den
Metallanode löst sich im Elektrolyten und seien da nicht auszuschließen. Inzwischen Elektrolyten nach Gebrauch wieder neu-
schlägt sich am fraglichen Ort nieder. bildet er die oberste Lage eines neuen tralisieren. Gerade bei Netzen von Um-
Dazu musste der Boden freilich elektrisch Sandwichs – eine wabenartige Nanostruk- weltsensoren wäre das eine wichtige An-
leiten können. Doch bei der Fertigung bil- tur trennt ihn von den inzwischen neben- forderung. Statt Silizium ließe sich viel-
dete sich auch dort Siliziumdioxid. Es ge- einander auf dem Boden angeordneten leicht auch ein Kunststoff verwenden,
lang den mPhase-Entwicklern, diese Oxid- Elektroden (siehe Bild oben). um die Nanobatterien zudem flexibel
schicht so dünn zu machen, dass ionisier- Dementsprechend haben sich die Ent- zu machen. mPhase und BellLabs haben
tes Gas es wegätzen konnte, während die wickler auch von der Säulenstruktur ver- zudem ein mikromechanisches Magne-
Säulen noch ausreichend bedeckt blieben. abschiedet. Sie bietet zwar ein Maximum tometer entwickelt, das in mehr als zehn
an Reaktionsoberfläche bei einem Mini- Meter Entfernung eine Eisenstange auf-
Alles auf Anfang! mum an Platzbedarf. Doch ihre Fertigung spüren kann, dabei kommt auch die
Im nächsten Schritt wurde in einem nass- erwies sich ohnehin als sehr diffizil. Die Nanobatterie zum Einsatz. Dieses Sys-
chemischen Verfahren Nickel oder Titan Poren der Siliziumwaben sind zwanzig tem könnte die Sicherheit im zivilen
auf dem Boden abgeschieden. Erst darauf Mikrometer weit, die Wände 0,6 Mikro- Luftverkehr erhöhen, wird aber wohl
konnte dann die Zinkschicht aufwach- meter dick. Sie werden aus einem Wafer zunächst vor allem militärische Anwen-
sen. Das sollte natürlich so gleichmäßig geätzt, danach wächst Siliziumdioxid in dungen finden. Die Firma mPhase rech-
wie möglich erfolgen. Es durfte sich also einem 1000 Grad Celsius heißen, von net damit, in zwei bis drei Jahren Mus-
weder lokal Zink anhäufen noch an an- Sauerstoff durchströmten Ofen auf. Ab- ter an potenzielle Kunden versenden zu
derer Stelle fehlen. In vielen Testreihen schließend wird die gesamte Wabe mit können. l
entdeckten die Forscher die optimale Fluorkohlenstoff beschichtet.
Kombination von Temperaturen, Kon- Die ersten Prototypen gelangen im
Der Journalist Charles Q. Choi
zentrationen und Stromstärken. »Rück- Oktober 2005. Ein großer Vorteil der
A U T O R U N D L I T E R AT U R
r
Mit neuartigen spinpolarisierten Rastertunnelmikrosko-
pen lassen sich nanoskalige magnetische Eiseninseln
auf einer antiferromagnetischen Atomlage sichtbar machen.
SCHWERPUNKT: NANOTECHNOLOGIE NANOTEXTILIEN z
Lotuseffekt am
seidenen Faden
Damit Kleidung länger sauber bleibt und dennoch
strapazierfähig, setzen Schweizer Forscher die Fasern
einem Plasma aus.
W
enn Materialwissenschaft- Zum Glück muss nicht jede Textilver-
ler von neuen Verfahren edlung die Waschmaschine überstehen.
zur Veredlung von Fasern Manager schätzen es, wenn sie nach einem
schwärmen, lautet die ers- Geschäftsessen den Soßenfleck mit einer
te Frage von Textilherstellern: »Und wie Serviette wegsaugen oder unter einem
sieht es mit der Waschbeständigkeit aus?« Wasserhahn einfach abspülen können.
Was nutzt eine schmutzabweisende Ober- Hier stellt sich eher das Problem, dass
fläche, wenn sie schon nach wenigen eine Schutzschicht die Glanzeffekte und
Waschgängen im Spülwasser verschwin- den typischen Seidengriff nicht beein-
det? Dabei sind weniger die Attacken der trächtigen darf. Das erfordert Schichtdi-
Waschmittel das Problem, sondern vor cken der Veredlung von weniger als zwei-
allem die Reibung der Kleidungsstücke hundert Nanometern. Mit Fluorkohlen-
aneinander. stoff lässt sich das bereits erreichen. Doch
Der Schutz gegen Schmutz ist eine edle Seidenkrawatten sind eher die Aus-
Frage der Benetzbarkeit: Die meisten Ver- nahme, es wäre wünschenswert, die feinen Strukturen im Mikro- und Nano-
unreinigungen kommen in mehr oder we- schmutzabweisende Ausstattung von All- meterbereich brechen leicht ab. Die Na-
niger flüssiger Form auf die Fasern wie Öl, tagskleidung mit einer Waschbeständig- tur löst das Problem einfach: Die Nop-
Salatsoße, Ketschup oder Rotwein. Je en- keit verbinden zu können. pen wachsen nach. Für künstliche Ober-
ger sie mit der Oberfläche in Kontakt tre- flächen aber müssen andere Lösungen
ten und sie benetzen, desto tiefer kann die Kresse und Kohl gefunden werden.
Verschmutzung ins Textil eindringen. Flu- Die Natur macht es vor: Auch das Blatt Mitunter sollen sich Fasern jedoch
orkohlenstoffe sind schlecht benetzbar der Lotusblume, der Kapuzinerkresse gerade gut benetzen lassen, zum Beispiel
und werden daher zur Veredlung textiler oder des Kohls ist schwer benetzbar. In um Stoffe zu bedrucken. Auch hier ist es
Fasern eingesetzt. Je mehr Fluor in die Be- den Zwischenräumen der noppenartigen, um die Beständigkeit der Beschichtung
schichtung eingebaut werden kann, desto wächsernen Oberflächenstruktur ist Luft nicht gut bestellt, da entsprechende che-
geringer wird somit die Benetzbarkeit und eingeschlossen, sodass wässrige Flüssig- mische Funktionsgruppen aus den Ober-
desto besser wird Schmutz abgewiesen. keiten nicht eindringen können und sich flächen herausragen und deshalb mecha-
Andererseits mindert ein hoher Fluoran- zu Tropfen ballen, die dann abrollen und nisch wie chemisch angreifbar sind. Eine
teil die Fähigkeit der Kohlenstoffatome, Schmutzpartikel mitreißen. Doch diese mögliche Lösung wären wieder Nano-
o
Ästhetik im Labor: Das Niederdruck- Eine elegante Methode, dergleichen überdies den Vorteil, dass auf Grund des
plasma leuchtet in der Versuchs- herzustellen, bietet die so genannte Nie- niedrigen Drucks, also der sehr geringen
kammer, Experimentator ist der Autor. derdruckplasma-Technologie, die zuneh- Zahl von Atomen und Molekülen im
mend nasschemische Prozessschritte um- Plasma, vergleichsweise viel Zeit vergeht,
weltfreundlich ersetzt. Dabei werden in bis eines der Teilchen mit einem anderen
einer elektrischen Gasentladung, dem so kollidiert.
strukturen, nur dass sie nicht aus Nop- genannten kalten Plasma, Elektronen,
pen, sondern aus Vertiefungen bestehen Ionen, angeregte Teilchen und Radikale Mut zur Lücke
müssten. Eine solche nanoporöse Ober- sowie energiereiche UV-Strahlung er- Radikale und andere Partikel sind also
fläche wäre auch sehr viel größer und zeugt und dann zur Modifikation von sehr langlebig. Sie lassen sich deshalb bes-
böte damit den Farbstoffen mehr Kon- Materialoberflächen genutzt. Aus gasför- ser zum Design homogener, funktionaler
taktfläche. Zudem lässt sie sich als hoch- migen Ausgangsverbindungen (Mono- Beschichtungen bei niedrigen Tempera-
vernetzte und damit sehr stabile Matrix meren) können somit Schichten sehr ge- turen nutzen. Dies spielt gerade bei kom-
realisieren, in deren Poren funktionelle nau Atomlage für Atomlage abgeschie- plexen, dreidimensionalen Oberflächen,
Gruppen eingebracht werden können. den werden. Niederdruckplasmen haben wie Textilien sie aufweisen, eine große r
300
ano
200
liegen, sorgt trotz des geringen Metallein-
satzes für einen recht guten antibakteri-
100
)
3 ellen Effekt. Die Plasmaschicht kann zu-
ter
me
2 dem weitere funktionelle Gruppen in
ano
1 ihren Poren tragen, wodurch sie »multi-
Z (N
0 0 funktional« wird.
0 50 100 150 200 250 300 350 400 450
EMPA, ST. GALLEN
o
r Rolle, um auch eine Beschichtung der in- Das Rasterkraftmikroskop enthüllt: toren. Neben Laborsystemen zur Prozess-
nen liegenden Fasern zu erhalten. Die Faser wurde mit einem Polymer optimierung entwickelten wir deshalb
Wir haben ein Verfahren entwickelt, beschichtet, das Nanoporen aufweist. eine Demonstrationsanlage für Fasern
um nanoporöse Beschichtungen auf tex- und eine für textile Flächen, beide für
tilen Werkstoffen herzustellen. Dazu ver- eine industrielle Umsetzung. Beim Me-
wenden wir Kohlenwasserstoff-Monome- tallisieren von Fasern erwies sich das neue
re und mischen sie mit ätzenden, sauer- von Farbstoffen einfärben. Und noch ein Verfahren als wirtschaftlicher gegenüber
stoff- oder stickstoffhaltigen Gasen. Auf Vorteil: Die Farbstoffe werden chemisch der Nasschemie, die nur dickere Schich-
den Fasern vernetzen die Kohlenwasser- gebunden, sind abriebfest und bleiben ten zu Wege bringt. Vor allem aber blei-
stoffe zu einer stabilen Matrix. Weil beim Waschen erhalten. ben die Eigenschaften der Textilien dank
gleichzeitig zur Schichtabscheidung auch Damit öffnen sich weitere Anwen- der geringen Abmessungen der Beschich-
Ätzprozesse stattfinden, bilden sich aber dungsfelder. Mit Fluorkohlenstoffen er- tung erhalten. Ein weiterer Vorteil: Es
Lücken. Dort werden sauerstoff- oder gäbe sich eine waschbeständige, schmutz- entsteht kein Abwasser.
stickstoffhaltige funktionelle Gruppen abweisende Beschichtung. Bringt man In der Fertigung von Verpackungsfo-
gebunden. Dank dieser Nanoporen ver- polare chemische Gruppen in die Poren lien und Glasscheiben hat sich die Plas-
größert sich die gesamte Oberfläche ein, wird die gesamte Oberfläche gut be- matechnologie längst durchgesetzt. Die
enorm: Während normale Textilien auf netzbar und transportiert Feuchtigkeit Textilindustrie schrecken noch die hohen
Grund ihrer Fasern lediglich eine Ober- von der Haut nach außen. Investitionskosten, doch dürfte mittel-
fläche von etwa 0,1 Quadratmeter pro Eine Variante der Plasmatechnologie fristig kein Weg an dieser Technik vorbei-
Gramm aufweisen, Mikrofasern immer- metallisiert textile Fasern, etwa um die führen. Ansonsten würde Europa weitere
hin das Zehnfache, erreichen wir mit den elektrostatische Aufladung zu reduzieren. Marktanteile an günstiger produzierende
neuen Schichten das Tausendfache. Bei diesem Verfahren werden die Schich- Länder verlieren. l
ten nicht aus der Gasphase, sondern
Fasern versilbern durch »Sputtern« erzeugt: Hochenerge-
Um die erzeugten Strukturen überhaupt tische Plasmateilchen schlagen Cluster Dirk Hegemann leitet die
Gruppe »Plasmamodifizierte
A U T O R U N D L I T E R AT U R
Von Martin K. Beyer le Anordnung entwickelt, mit der wir sol- külensemble auf 150 bis 200 Kelvin ab,
che Tröpfchen und sogar noch kleinere er- die Umgebung hat aber Zimmertempera-
M
an sollte meinen, das Oxid des zeugen können. Dazu pusten wir für fünf- tur, also 300 Kelvin. Die Tröpfchen erwär-
Wasserstoffs habe nicht mehr zig Mikrosekunden Helium und Wasser in men sich, bis sich ein einzelnes H2O-Mo-
allzu viele Überraschungen zu ein Hochvakuum; das Gemisch expan- lekül herauslöst, wodurch sie noch weiter
bieten. Etwa 71 Prozent der diert rasch und kühlt sich dabei stark ab. abkühlen. Dieses Wechselspiel kann so
Erdoberfläche sind mit H2O bedeckt, Tröpfchen kondensieren, so genannte weit gehen, dass nur noch drei oder vier
Pflanzen enthalten bis zu 95 Prozent da- Wassercluster aus bis zu hundert H2O- Moleküle übrig sind. Dann steckt bei
von, höhere Tiere wie der Mensch bis zu Molekülen. Exakt darauf abgestimmt wird Zimmertemperatur nicht mehr genug
75 Prozent. Bei null Grad Celsius gefriert mit einem Laserpuls hochreines Metall Wärme im Cluster, um Wasserstoffbrü-
Wasser, bei einem Umgebungsdruck von verdampft. Dabei entstehen Ionen und ckenbindungen aufzubrechen.
einer Atmosphäre und hundert Grad Cel- Elektronen, die sich in den Clustern lösen. Dass sich der Aufwand lohnt, zeigen
sius beginnt es zu sieden. Weil die Elektro- Nunmehr elektrisch geladen, lassen sich beispielsweise Experimente mit Vanadium
nendichte des Moleküls nicht gleichmäßig die Tröpfchen mittels elektrischer Felder in (V). Die meisten Chemiker kennen zwei-
verteilt ist, hat H2O ein Dipolmoment. ein Ultrahochvakuum überführen und und dreifach positiv geladenes Vanadium,
Das wiederum sorgt dafür, dass Salze in dort in einer Penningfalle, einer Kombina- nicht aber das einfach positive V +. Denn
wässriger Lösung in positiv und negativ tion aus elektrischen und magnetischen in einer makroskopischen Lösung »dis-
geladene Ionen zerfallen. Das alles ist gut Feldern, für einige Sekunden einsperren. proportionieren« zwei solche Ionen zu V
erforscht und seit Langem bekannt. Der Restgasdruck dort ist mit 10–10 Milli- und V ++. In Nanotröpfchen ist aber nur
Doch was geschieht, wenn ein Trop- bar so niedrig, dass von den etwa eine Mil- ein Ion gelöst und das V + bleibt zunächst
fen Wasser nur noch einen Nanometer lion gespeicherten Tröpfchen während des stabil. Und doch entstehen die mehrfach
misst, wenn er statt aus Millionen Mole- Experiments nur rund zehntausend von geladenen Varianten, denn die Wassermo-
külen nur aus einigen wenigen besteht? einem anderen Molekül oder Atom getrof- leküle fungieren auf dieser Größenskala
Tatsächlich erweisen sich physikalische fen werden. nicht nur als Lösungsmittel, sondern auch
Kennwerte wie der Gefrierpunkt nun als als Partner für Redoxreaktionen. Dabei
ungeeignet, denn sie beschreiben das Ver- Seltene Ionen werden Elektronen ausgetauscht. Der ab-
halten im Makrokosmos. Dass es auf der Um die Tröpfchen zu beobachten, ver- gebende Partner, in diesem Fall das Vana-
Nanoskala interessant wird, zeigt die Che- wenden wir eine spezielle Form der Mas- dium, wird oxidiert, der aufnehmende,
mie des Lebens: Wenn Enzyme in den senspektrometrie. Sie nutzt aus, dass gela- hier der Wasserstoff, reduziert. Bei neun
Zellen ihre Arbeit verrichten, benötigen dene Teilchen in einem Magnetfeld mit bis elf H2O-Molekülen entstehen bevor-
manche von ihnen offenbar in ihrem ak- massenabhängiger Winkelgeschwindig- zugt zweifach geladene Metallionen sowie
tiven Zentrum einige wenige Wassermole- keit kreisen. Werden die Ionen auf eine atomarer Wasserstoff H. Ab zwölf Clus-
küle; deren Aufgabe ist allerdings noch Kreisbahn mit einem Durchmesser von termolekülen dominiert das dreifach gela-
unklar. Werden dabei besondere Eigen- einigen Zentimetern beschleunigt, indu- dene Vanadium und molekularer Wasser-
schaften von »Nanowasser« genutzt? Falls zieren sie in Empfängern ein Hochfre- stoff H2. Die bei der Reaktion jeweils frei-
ja, stellt sich sogleich die Frage: Wären quenzsignal, aus dem die Masse mathe- werdende Energie sorgt dafür, dass weitere
technische Anwendungen denkbar? matisch durch Fourieranalyse zu ermitteln Wassermoleküle verdampfen.
Bei fünfzig Molekülen haben Wasser- ist. Sollen die Nanotröpfchen weiter Dieser eigentümliche Effekt ist keines-
tröpfchen Durchmesser von etwa einem schrumpfen, müssen wir nur abwarten. wegs nur von akademischem Interesse.
Nanometer. Wir haben eine experimentel- Denn der gesamte Prozess kühlt das Mole- Würde man ihn verstehen, wären neuar-
fer
dieser Prozess auch in Nanotröpfchen
Z. SUN, M. BEYER ET AL., PROTONENTRANSFER IN IONISCHEN WASSERCLUSTERN
ns
statt? Zum Nachweis gab der Autor D2O
ra
T
hinzu, also schweres Wasser, in dem das
Proton Isotop Deuterium (grün) den leichteren
Wasserstoff (weiß) ersetzt. Ein Massen-
HDO
spektrum belegte, dass durchaus HDO
entstand, also ein Austausch von Deuteri-
um gegen ein Proton erfolgte. Die Grafik
zeigt die dazu nötigen Umlagerungen in
+
einem Cluster H(H2O)n , in dem die betei-
ligten Wassermoleküle eingebettet sind.
Sauerstoff ist rot dargestellt.
tige Nanomaterialien denkbar. In ihren pischem Wasser nach 400 Mikrosekunden meters lassen sich nicht einfach auf die
Poren sollten sie genau diejenige Anzahl von einem Proton aufgenommen wird, makroskopische Sphäre übertragen. Dort
Wassermoleküle ansammeln, die eine er- blieb das geladene Teilchen im Nanotröpf- werden chemische Reaktionen durch Wär-
wünschte Reaktion bevorzugt ablaufen chen erstaunlich stabil. Das eröffnet eben- me aktiviert, wegen der Verdampfungs-
lässt. Eine mögliche Anwendung wären falls Anwendungsmöglichkeiten: Reagiert kühlung haben unsere Nanotröpfchen
die Elektroden in Brennstoffzellen, an de- das Elektron mit einem Kohlenwasserstoff, aber einen sehr geringen Wärmeinhalt.
nen die Umkehrreaktion abläuft: Elemen- kann sich ein negativ geladenes, chemisch Ein Anwendungspotenzial wäre durch-
tarer Wasserstoff wird oxidiert und gibt sehr reaktionsfreudiges Ion bilden. aus vorhanden. So wird die so genannte
sein Elektron an die Elektrode ab. An der Birch-Reduktion bei der Herstellung von
zweiten Elektrode nimmt Sauerstoff das Tröpfchen als Testlabor Steroiden eingesetzt, ein wesentlicher
Elektron auf und wird reduziert, am Ende Entreißt es einem Wassermolekül ein Pro- Schritt in dieser Reaktionskette ist der
bildet sich Wasser. ton, resultiert ein elektrisch neutrales Koh- Transfer eines einzelnen Elektrons zu
Ein sehr interessantes Phänomen in lenwasserstoffradikal. Dieses Schema ken- einem aromatischen Kohlenwasserstoff.
makroskopischem Wasser ist die so ge- nen Biochemiker gut, denn Enzyme kata- Normalerweise wird dies in flüssigem Am-
nannte Autoprotolyse – selbst hochreines lysieren häufig auf diese Weise eine Hyd- moniak realisiert – eine elektrochemische
Wasser dissoziiert in geringem Maß in Pro- rierung, also das Anlagern von Wasserstoff Route über Elektronen, die in Nanotröpf-
tonen H+ und Hydroxidionen OH . Das
–
an einen Kohlenwasserstoff. Nanotröpf- chen stabilisiert sind, könnte diesen wirt-
bewirkt einen beständigen Austausch von chen eignen sich demnach als In-vitro-Sys- schaftlich bedeutsamen Prozess revolutio-
Protonen zwischen benachbarten Wasser- teme, um Lebensprozesse in einer ideali- nieren. Auch zur Lösung grundlegender
molekülen. Gibt es dergleichen auch in sierten Umgebung besser zu verstehen. Fragen zur geplanten Wasserstoffwirt-
Nanotröpfchen? Um dies zu klären, brach- Unsere bisherigen Experimente offen- schaft könnten Nanotröpfchen dienen –
ten wir D2O-Moleküle in die Penningfalle, baren also Erstaunliches über das Nano- weil sie uns helfen, die Chemie des Was-
also Verbindungen aus dem schweren Was- wasser: Der Verlauf einer Redoxreaktion serstoffs in Wasser besser zu verstehen. l
serstoffisotop Deuterium und Sauerstoff. hängt von der Größe des Tröpfchens ab;
Wie erwartet, wurden die Nanotröpfchen gelöste Elektronen sind darin stabil; für Martin K. Beyer hat sich in Phy-
entsprechend schwerer. Werden bei der den Protonentransfer genügt ein überzäh- sikalischer Chemie habilitiert. Er
Verdampfungskühlung nur H2O oder liges Proton; Disproportionierung einfach erforscht an der Technischen Uni-
A U T O R U N D L I T E R AT U R
D2O frei, verringert sich die Tröpfchen- geladener Metallionen ist nicht möglich, versität Berlin die Gasphasen-
masse jeweils um 18 oder 20 atomare Mas- wenn nur ein einzelnes Ion gelöst ist (was ionenchemie von Clustern. Seine
Arbeiten an Nanotröpfchen wur-
seneinheiten. Würde ein Protonenaus- den Chemikern neue Möglichkeiten bie- den 2003 mit dem Heinz-Maier-
tausch stattfinden, müssten sich dabei tet, mit einfach geladenen Übergangsme- Leibnitz-Preis der Deutschen Forschungsgemein-
HDO-Moleküle bilden und die Tröpfchen tallen zu arbeiten). Ob sich letztlich auch schaft und des Bundesministeriums für Bildung und
würden um 19 Einheiten leichter. eine technische Anwendung finden wird, Forschung ausgezeichnet.
Das Experiment bestätigte, dass Proto- können wir zu diesem Zeitpunkt noch Protonentransfer in ionischen Wasserclustern. Von
nentransfer tatsächlich stattfindet, wenn nicht sagen. Denn die mit unserem Ver- Zheng Sun et al. in: Angewandte Chemie, Bd. 118,
wir ein einziges H+ als Ladungsträger ein- fahren herstellbaren Mengen wären bis- S. 4133, 2006
bauen. Überraschend war, dass kein Proto- lang einfach zu gering, andere Methoden How many molecules make a solution? Von Vladi-
nentransfer stattfand, wenn der Ladungs- müssten gefunden werden. Doch Vorsicht: mir E. Bondybey und Martin K. Beyer in: Interna-
tional Reviews in Physical Chemistry, Bd. 21, S.
träger stattdessen ein einzelnes Elektron Die Temperatur- und Druckverhältnisse 277, 2002
ist. Während ein Elektron in makrosko- in der Nanowelt unseres Massenspektro-
o
Zurzeit wird rege über Feinstäube diskutiert. hunderttausend. Da wirken sich Defekte Harald F. Krug leitet die Abteilung
Inwiefern berührt das Ihr Forschungsfeld im Kristallgitter viel stärker aus. Ein Fremd- »Molekulare und Umwelttoxikolo-
der Nanopartikel? atom oder eine Fehlstelle ändert die Elek- gie« am Institut für Toxikologie und Ge-
Auch Nanotoxikologen untersuchen Wir- tronenverteilung viel drastischer, und dies netik des FZK.
kungen und Wirkmechanismen winziger erhöht die chemische Reaktivität.
Teilchen, doch während Feinstäube als Ab- Zudem ist bei gleicher Masse die
fallprodukte bei Verbrennungsprozessen Zahl der Teilchen viel höher als im Mikro-
entstehen, werden Nanopartikel gezielt maßstab und damit die Gesamtoberflä- türlichen Nanopartikeln ausgesetzt sind.
synthetisch hergestellt. Und zwar nicht che um ein Vielfaches größer. Nachdem wir etwa zwanzig verschiedene
nur aus Kohlenstoff, sondern auch aus Me- Materialien getestet haben, Metalle, Me-
tallen oder Metalloxiden. Als noch junge Was geschieht nun, wenn wir solche Parti- talloxide, Fullerene und Kohlenstoff-Na-
Wissenschaft profitieren wir aber natürlich kel einatmen? noröhrchen, können wir klar sagen: Bis
von dreißig Jahren Feinstaubforschung. Durch Elektronenübergang auf Sauer- auf Ausnahmen benötigt man unrealis-
stoff entstehen an der Teilchenoberflä- tisch hohe Partikelkonzentrationen, damit
Welche Gemeinsamkeiten gibt es da? che Radikale, die ihrerseits das Gewebe das aus dem Ruder läuft und toxisch wird.
Partikel mit Durchmessern unter 200 Na- angreifen. Daraufhin läuft eine Entzün- Die Dosis macht das Gift.
nometer trotzen der Schwerkraft. Sie dungsreaktion an. Makrophagen neh- Als mein amerikanischer Kollege Da-
sinken nicht zu Boden, sondern diffun- men die Fremdkörper auf und senden vid Warheit vom DuPont-Haskell-Labor
dieren wie Moleküle durch ein Medium chemische Signale aus, die andere Zel- vor zwei Jahren über die tödlichen Fol-
und schweben. len des Immunsystems herbeirufen. gen von Carbonanotubes in Rattenexpe-
Atmen wir sie ein, gelangen sie bis in Auch die Epithelzellen des Gewebes rea- rimenten berichtete, war die Aufregung
die Lungenbläschen und setzen dort ent- gieren und produzieren Botenstoffe. groß. Doch wenn Sie die Mengen, die
zündliche Prozesse in Gang, die bei ho- Eine zweite Antwort auf die Eindring- er den Tieren direkt in die Lungen gab,
her oder dauerhafter Belastung chro- linge ist die Produktion von Enzymen auf einen Menschen umrechnen, dann
nisch werden können. Auch Krebs ist dieser Zellen, um die Sauerstoffradikale müsste der mehrere Teelöffel davon auf
eine mögliche Folge. für sie selbst unschädlich zu machen. In einmal einatmen. Oder sich acht Stun-
einer dritten Antwort setzen die Makro- den lang in einer Umgebung aufhalten,
Wie können so kleine Objekte so schäd- phagen und die herbeigerufenen Granu- die den Grenzwert für Feinstaubimmis-
lich sein? lozyten Stoffe wie die Prostaglandine frei sionen um das 14 000-Fache übersteigt.
Die Oberfläche von Nanopartikeln ist che- und veranlassen damit zum Beispiel die Wenn ich einen Liter Wasser inhalierte,
misch sehr reaktiv. Wenn Sie mit einem Bronchien, sich zum Schutz zusammen- wäre das auch tödlich.
geeigneten Mikroskop den Umfang eines, zuziehen.
sagen wir fünf Mikrometer durchmes- Sie sprachen von Ausnahmen?
senden, Pigmentpartikels abtasten, kön- Und das geschieht immer, sobald Nanopar- Die nicht weiter überraschen. Zum Bei-
nen Sie rund eine Milliarde Titandioxid- tikel in die Lunge gelangen? spiel wird Vanadiumtrioxid auf Grund sei-
Moleküle erkennen. Beim hundertmal klei- Das geschieht sogar andauernd, denn die- ner Reaktionsfreudigkeit in Nanogröße
neren TiO2-Sonnencreme-Teilchen von se Mechanismen existieren ja, weil wir schnell in Pentoxid oxidiert und das ist
fünfzig Nanometer sind es aber nur etwa permanent aus unserer Umwelt auch na- nun einmal bekanntermaßen giftig.
64 SPEKTRUM
SPEKTRUM
DER
DER
WISSENSCHAFT
Q Q
WISSENSCHAFTSEPTEMBER
OKTOBER 2003
2006
Sie haben ein Zellmodell entwickelt, das den Gibt es außer der Erzeugung von Sauerstoff- auch über andere Organe wie die Haut oder
Verhältnissen der Lunge näher kommen soll radikalen noch andere Mechanismen der den Verdauungstrakt in unseren Körper ein-
als andere In-vitro-Tests. Inwiefern? Schädigung? dringen?
Meist züchtet man eine einzige Schicht Da wird viel spekuliert. Es gibt Hinweise, Alle Experimente des seit drei Jahren lau-
Epithel- oder Fresszellen auf einem Nähr- dass Nanopartikel von Mitochondrien auf- fenden Verbundprojekts Nanoderm zei-
medium und tropft Nanopartikel in einer genommen werden, den Energiefabriken gen, dass die Haut eine sehr effiziente
Lösung auf. In Wirklichkeit haben die Lun- der Zellen. Dort könnten sie die Atmungs- Barriere ist. Wer einen Sonnenschutz mit
genbläschen aber einen mehrschichtigen kette unterbrechen, die ATP produziert, Titandioxid-Teilchen aufträgt, muss sich
Aufbau aus verschiedenen Zelllagen, die den Treibstoff der Zelle. Das hätte deren wohl keine Sorgen machen.
miteinander durch chemische Signale Tod zur Folge, außerdem entstünden wie- In diese Richtung deuten auch die mir
kommunizieren. So eine Interaktion fehlt der Sauerstoffradikale. bekannten Studien zum Magen-Darm-
in Monolayern aus nur einem Zelltyp. Trakt. Sicher, wenn ein Nanopartikel in der
Ein ganz falsches Bild vermittelt auch Könnte davon auch der Zellkern direkt be- Lunge von einem Makrophagen aufge-
das Lösungsmittel. Bis Nanopartikel dort troffen sein? nommen wird, befördert ihn der Schleim
hindurch zum Zielort diffundiert sind, ver- Einige Toxikologen berichten, dass Parti- in den Magen. Aber unser Verdauungs-
geht zu viel Zeit. Auf den Lungenbläschen kel dort eingedrungen seien. Theoretisch system besteht aus hochspezialisierten
befindet sich zwar wirklich eine Flüssig- ist das gut möglich, denn die Poren der Zellen, die sehr genau unterscheiden,
keitsschicht. Ihre Aufgabe ist es, durch Zellkernmembran sind immerhin 35 bis welche Stoffe ins Blut dürfen. Es gibt Aus-
ihre Oberflächenspannung zu verhindern, 39 Nanometer groß. Im Zytoplasma ver- nahmen wie Teilchen aus Thallium, Arsen
dass die Lunge kollabiert. Aber sie ist nur teilen sich die Partikel sehr gleichmäßig, oder organische Verbindungen von Queck-
zehn bis fünfzig Nanometer dick, da sind also könnten sie durch Diffusion in den silber, Blei und Zinn, die aus chemischen
die Teilchen schnell durch. Kern gelangen. Doch wir stellen immer Gründen darmgängig sind. Wenn Sie sich
wieder fest: Dies geschieht nicht. Ich ver- einmal anschauen, welche Klimmzüge
Und wie bringen Sie Partikel zu den Zellen? mute, es gibt einen noch unbekannten Pharmakologen anstellen, um Nanoparti-
Durch ein Aerosol, also eine Art Suspensi- Schutzmechanismus des Zellkerns und kel aus fettlöslichen Molekülen zu bauen,
on der Teilchen in Luft. Wir sind weltweit anders lautende Berichte beruhen auf me- die Wirkstoffe durch Haut oder Darm-
die Einzigen, die diesen hohen appara- thodischen Fehlern. Das ist derzeit ein wand befördern, dann bin ich ganz beru-
tiven Aufwand treiben. Nach solchen In- spannendes Thema. higt, was diese Gewebe angeht.
vitro-Tests gehen unsere Kooperations-
partner im Projekt NanoCare gezielt Sie nannten die Lunge als möglichen Ort ei- Alles in allem geht von Nanopartikeln also
Fragen in Tierversuchen nach. ner Schädigung. Könnten die Teilchen nicht keine Gefahr aus? r
Makrophage
Nanopartikel
Zellkern
Epithelschicht
SIGANIM / SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT
Basalmembran
Endothelschicht
Adhäsionsmolekül
Blutbahn
r
verbinden und damit völlig harmlos Das neue Antriebsprinzip: Jedes
werden. Aber das muss untersucht Piezobein schiebt mit der unteren
werden, und zwar für alle neuen Werk- Hälfte der Keramik (dunkelgelb) und hebt
stoffe. l oder senkt sich mit der oberen. Damit die
losgelösten Beine nach dem Wieder-
Die Fragen stellte Klaus-Dieter Linsmeier. aufsetzen gleich den vollen Schub auf-
bringen können, sind sie bereits in die
entgegengesetzte Richtung ausgelenkt.
WISSENSCHAFT IM RÜCKBLICK
Einführung der Haftschalen flocken sprudelt die
ein, die dem linsenlosen Auge Katalase-Lösung
heftig.
wieder zur Sehkraft verhelfen
können. … Schreck setzt eine
Kunststofflinse in die vordere
Augenkammer vor die Pupille
Die Ersatz-Linse ein, und zwar eine mit dün-
»Verletzungen und Alterser- nen Haltestegen oben und
krankungen der menschlichen unten. Obwohl diese vor der
Linse können zu einer Linsen- Regenbogenhaut sitzt, ist sie
trübung führen … Nach der von außen nicht zu erkennen
operativen Entfernung der und verursacht dem Träger kei-
Linse ist das Tragen von ›Star- ne Beschwerden.« (Umschau, 56.
brillen‹ erforderlich. … Eine Jg., Heft 19, S. 589, Oktober 1956)
S
eine Freunde nennen ihn »Kim- Geografie, Raumfahrt, Schauspieler,
puter«. Kim Peek ist heute Mit- Bibel, Kirchengeschichte, Literatur,
te fünfzig. Dicke Bücher liest er Shakespeare und klassische Musik.
in ein, zwei Stunden durch, mit Außerdem kennt er alle Postleitzahlen
kaum zehn Sekunden pro Seite – und und Vorwahlnummern der USA und
stellt sie dann kopfüber ins Regal. weiß, wo welche Fernsehsender emp-
Denn nun hat er alles, was darin steht, fangen werden können. Er hat die Kar-
exakt parat: die Namen der handeln- ten und Stadtpläne von den vorderen
den Personen, die Texte im Wortlaut, Seiten der amerikanischen Telefonbü-
selbst die Seitenzahlen der Textpassa- cher im Kopf. Ohne Zögern bezeichnet
gen weiß er noch nach Jahren. er in und zwischen allen größeren Städ-
Medizinisch gesehen ist Peek ein ten Fahrtrouten und -richtungen – und
»Inselbegabter«, ein »Savant« (nach das alles schnell wie eine Internetsuch-
dem französischen Wort für »Gelehr- maschine. Peek erkennt auch hunderte
ter«). Typisch dafür sind unter ande- Werke der klassischen Musik beim Hö-
rem herausragende punktuelle Ge- ren wieder. Für jedes vermag er anzuge-
dächtnisleistungen bei oft mehr oder ben, von wem, wann und wo es kom-
weniger starken geistigen Defiziten im poniert und uraufgeführt wurde, er
Allgemeinen. Der Londoner Arzt J. nennt viele weitere biografische Details
Langdon Down beschrieb das Syn- zum Werk und seinem Komponisten
drom 1887. Bei vielen Savants richtet und äußert sich zu Aufbau und Art der
sich die Inselbegabung auf ein be- Stücke. Besonders erstaunlich: Seit ein
stimmtes Gebiet. Auffallend oft ist das paar Jahren lernt er jetzt auch Klavier-
Musik, bildende Kunst oder Mathe- spielen und die Stücke, die er kennt, er-
matik. Down erwähnte damals unter klingen zu lassen.
anderem einen Jungen, der das klas- Bemerkenswert ist das vor allem in
sische sechsbändige Werk »Geschichte Anbetracht seiner massiven mentalen
des Verfalls und Untergangs des Rö- Defizite und seiner Hilflosigkeit in der
mischen Reiches« des britischen Histo- Bewältigung des Alltags. Er geht zum
rikers Edward Gibbon (1737 – 1794) Beispiel schräg seitwärts und kann
hersagen konnte. nicht einmal seine Kleider selbst zu-
Kim Peek sticht durch sein enormes knöpfen. Auch Abstrahieren fällt ihm
Fakten- und Detailgedächtnis hervor. ausgesprochen schwer. Hirnforscher
Schon mit eineinhalb Jahren behielt er versuchen nun mit seiner Hilfe heraus-
genauestens, was man ihm vorlas. Heu- zufinden, wieso die Leistungen von Sa-
te kennt er rund 9000 Bücher komplett vants in einzelnen kognitiven Berei-
auswendig. Aber nicht nur das: Seine chen so stark auseinanderklaffen. r
in manchen Struktu-
ren abnormen Gehirn.
vorn hinten
Balken
(Corpus callosum)
Von John B. Pendry und David R. Smith schaften könnten vielmehr aus winzigen solche Welle – beispielsweise ein Licht-
Mikrostrukturen resultieren, die ge- strahl – eine Substanz durchquert, er-
V
or fast vierzig Jahren erdach- meinsam völlig exotisch anmutende Ef- fahren die Hüllenelektronen der Atome
te der russische Wissen- fekte erzeugen. oder Moleküle dieses Materials eine
schaftler Victor Veselago ein Das Marconi-Team fabrizierte sol- Kraft und bewegen sich entsprechend.
Material, das die Gesetze che »Metamaterialien« und bewies, Diese Bewegung zehrt die Energie der
der Optik auf den Kopf zu stellen ver- dass sie elektromagnetische Wellen an- Welle teilweise auf und beeinflusst die
sprach. Lichtwellen würden darin ein ders streuen als jede bekannte Subs- Eigenschaften und die Bewegungsrich-
völlig überraschendes Verhalten zeigen tanz. Im Jahr 2000 entdeckte einer von tung der Welle. Deshalb sieht ein halb
und sich beispielsweise rückwärts aus- uns (Smith) mit seinen Kollegen an in Wasser getauchter Bleistift geknickt
breiten. Eine Linse aus diesem Mate- der Universität von Kalifornien in San aus. Indem Wissenschaftler die che-
rial hätte fast magische Eigenschaften Diego eine Kombination von Metama- mische Zusammensetzung eines Mate-
und könnte Unglaubliches leisten. Das terialien, die tatsächlich einen nega- rials verändern, können sie seine op-
Problem war nur: Das Material müsste tiven Brechungsindex aufweist. tischen Eigenschaften an eine spezielle
einen negativen Brechungsindex ha- Anwendung anpassen.
ben. Diese Zahl gibt an, wie eine Wel- Veselagos Traum Doch wie die Metamaterialien zei-
le ihre Richtung ändert, wenn sie in In Materialien mit negativer Brechzahl gen, ist Chemie nicht der einzige Zu-
das Material eintritt oder es verlässt; benimmt sich Licht derart seltsam, dass gang zu Substanzen mit interessantem
bei allen bislang bekannten Substanzen die Theoretiker die Lehrbücher über elektromagnetischem Verhalten. Wir
ist ihr Wert positiv. Trotz jahrelanger Elektromagnetismus umschreiben müs- können auch die winzige, aber immer
Suche fand Veselago nichts, das die ge- sen – und gelegentlich sogar noch da- noch makroskopische Struktur des Ma-
wünschten elektromagnetischen Ei- rüber streiten, ob solche Materialien terials manipulieren. Auch dies verän-
genschaften aufwies, und seine Idee überhaupt existieren. Unterdessen ar- dert das optische Verhalten, weil die
verschwand in der Versenkung. beiten die Experimentalphysiker bereits Wellenlänge eines typischen Licht-
Erst kürzlich erweckte eine unerwar- an praktischen Anwendungen für Me- strahls um ein Vielfaches größer ist als
tete Entdeckung Veselagos Gedanken zu tamaterialien. Zum Beispiel verspricht die Atome oder Moleküle des Materials.
neuem Leben. Bei den meisten Materi- eine Superlinse das Abbilden von De- Die Welle nimmt gleichsam nicht einzel-
alien ergibt sich das elektromagnetische tails, die feiner sind als die Wellenlänge ne Moleküle wahr, sondern die gemein-
Verhalten unmittelbar aus den charakte- des verwendeten Lichts; damit ließe same Reaktion von Millionen Molekülen.
ristischen Eigenschaften ihrer kleinsten sich die optische Lithografie miniaturi- Wie der Name sagt, enthalten elektro-
Bausteine, der Atome und Moleküle. sierter Schaltkreise bis in die Größen- magnetische Wellen ein elektrisches und
Da die Vielfalt dieser elementaren Cha- ordnung von Nanometern (millionstel ein magnetisches Feld. Jede der beiden
rakteristika begrenzt ist, verfügen die Millimetern) vorantreiben, und auf op- Komponenten verursacht eine charakte-
Millionen der uns bekannten Werkstof- tischen Speicherscheiben hätten viel ristische Bewegung der Elektronen im
fe nur über eine begrenzte Palette elek- mehr Daten Platz. Noch sind solche Material – vorwärts und rückwärts als Re-
tromagnetischer Eigenschaften. Doch Visionen ein gutes Stück von der Reali- aktion auf das elektrische Feld, im Kreis
Mitte der 1990er Jahre erkannte einer tät entfernt, aber seit Veselagos Traum herum infolge des magnetischen Felds.
von uns (Pendry) zusammen mit For- verwirklicht wurde, schreitet die Ent- Dementsprechend geben zwei Parameter
schern der Firma Marconi Materials wicklung rapide voran. an, wie stark das Material reagiert: die
Technology in Großbritannien, dass ein Um zu verstehen, wie negative Bre- elektrische Permittivität (oder Dielektrizi-
optisches Material nicht aus einer ein- chung entstehen kann, muss man wis- tätskonstante) ε und die magnetische Per-
zigen, homogenen Substanz bestehen sen, wie ein Material elektromagne- meabilität µ. Bei den meisten Materialien
muss. Seine elektromagnetischen Eigen- tische Wellen beeinflusst. Wenn eine sind beide Größen positiv. r
In einem Metamaterial mit negativem Brechungsindex verhalten sich Licht und andere elektromag-
netische Wellen in mehrfacher Hinsicht völlig anders als gewohnt.
Verwirrende Wellenmuster
In der Praxis ist es nicht leicht, die ein-
zelnen Schwingungen einer Lichtwelle
zu untersuchen, und die Details eines
Pulses können recht kompliziert sein.
Darum benutzen die Physiker oft einen
Trick, um den Unterschied zwischen
Geradlinige Ströme (rote Pfeile) Kreisförmige Ströme fließen in Spalt- Phasen- und Gruppengeschwindigkeit
fließen in parallel angeordneten ringresonatoren; diese können auch zu veranschaulichen. Wenn wir zwei
Drähten. quadratisch sein. Wellen gleicher Richtung, aber etwas un-
terschiedlicher Wellenlänge addieren, in-
Struktur eines Metamaterials terferieren sie und erzeugen ein Schwe-
bungsmuster, das heißt eine regelmäßige
Folge von größeren und kleineren Amp-
lituden. Diese Schwebungen bewegen
sich mit der Gruppengeschwindigkeit.
Als Prashant M. Valanju und seine
Mitarbeiter an der Universität von Texas
in Austin dieses Prinzip 2002 auf das
Brechungsexperiment von San Diego an-
wandten, beobachteten sie etwas Selt-
sames. Wenn zwei Wellen unterschied-
licher Wellenlänge die Grenzfläche zwi-
schen einem negativ und einem positiv
brechenden Material passieren, werden
sie unter etwas unterschiedlichen Win-
Ein Metamaterial besteht aus abwechselnd angeordneten Drähten und keln gebrochen. Das resultierende
Spaltringresonatoren, die kleiner sein müssen als die Wellenlänge der ver- Schwebungsmuster folgt aber nicht den
wendeten elektromagnetischen Strahlung. Um in drei Dimensionen zu funk- negativ gebrochenen Strahlen, sondern
tionieren, muss das Metamaterial aus Drähten und Spaltringen in drei zuei- scheint positive Brechung aufzuweisen.
MELISSA THOMAS
nander senkrechten Richtungen zusammengesetzt sein. Das hier skizzierte Die Forscher aus Texas setzten dieses
Metamaterial ist zweidimensional: Die Drähte und Spaltringe wechseln einan- Schwebungsmuster mit der Gruppenge-
der nur in zwei Richtungen ab. schwindigkeit gleich und schlossen da-
0,6
0,4
0,0
-60 -40 -20 0 20 40 60 80 100
Brechungswinkel in Grad
raus, dass jede physikalisch realisierbare schwach absorbierenden Prisma aus Me- David Schurig von der Duke-Univer-
Welle positiv gebrochen wird. Obwohl tamaterial. Das Boeing-Team platzierte sität in Durham (North Carolina) zeigte
ein Material mit negativem Brechungs- den Detektor außerdem viel weiter vom mittels Strahlverfolgung, dass Kinder, die
index existieren könnte, wäre negative Prisma entfernt; dadurch konnte Ab- in einem Becken mit negativem Index
Brechung unmöglich. sorption im Metamaterial als Ursache schwimmen, über dem Wasserspiegel zu
Angenommen, die Texas-Physiker des negativ gebrochenen Strahls ausge- treiben scheinen. Auch der gesamte In-
hatten Recht, wie ließen sich dann die schlossen werden. Die hohe Qualität der halt des Beckens – und die Beckenwän-
Resultate der San-Diego-Experimente Boeing-Daten und weiterer Experimente de – erscheinen über der Oberfläche.
erklären? Valanju und viele andere For- machte schließlich dem Zweifel an der Veselago kam mit Hilfe der Strahlver-
scher schrieben die anscheinend negative Existenz negativer Brechung ein Ende. folgung zu dem Schluss, eine Scheibe aus
Brechung einer Vielfalt anderer Phäno- Nun konnten wir das Prinzip ungehin- negativ brechendem Material mit Index
mene zu. Absorbierte die Probe vielleicht dert weiter erforschen – allerdings er- n = –1 müsse als Linse mit nie dagewe-
in Wirklichkeit so viel Energie, dass Wel- nüchtert durch die Tücken der neuen senen Eigenschaften wirken. Wir alle
len nur aus der Schmalseite des Prismas Materialien. sind mit positiv brechenden Linsen ver-
austreten konnten und dadurch den traut – in Lupen, Kameras, Mikroskopen
falschen Eindruck erweckten, sie seien Der Streit legt sich, und Ferngläsern. Sie haben eine charak-
negativ gebrochene Wellen? Immerhin die Probleme werden deutlicher teristische Brennweite, und wo ein Bild
wirkte die San-Diego-Probe stark absor- Nachdem der Streit sich gelegt hatte, er- entsteht, hängt ab von der Brennweite
bierend, und die Messungen waren nicht kannten wir allmählich, dass Veselagos sowie vom Abstand zwischen Objekt und
sehr weit vom Prisma entfernt vorge- Geschichte über das Verhalten von Licht Linse. Die Bilder sind meist größer oder
nommen worden; darum wirkte diese in negativ brechenden Strukturen nicht kleiner als das Objekt, und die Linsen lie-
Absorptionstheorie plausibel. das letzte Wort sein konnte. Sein Haupt- fern die besten Bilder, wenn das Objekt
Die Einwände gaben Anlass zu gro- werkzeug war die Strahlverfolgung (ray auf der Linsenachse liegt. Veselagos Linse
ßer Sorge, denn sie stellten nicht nur die tracing). Dabei zeichnet man mit Gera- funktioniert ganz anders (siehe Bild S.
San-Diego-Experimente in Frage, son- denstücken den Weg eines idealisierten 80). Sie wirkt nur auf nahe Objekte und
dern auch alle Phänomene, die Veselago Lichtstrahls nach. Damit lassen sich Re- überträgt das gesamte optische Feld von
vorhergesagt hatte. Doch nach einigem flexion und Brechung an der Grenzflä- einer Seite der Linse auf die andere.
Nachdenken erkannten wir, dass es che verschiedener Materialien darstellen. Die Veselago-Linse ist so ungewöhn-
falsch war, das Schwebungsmuster als In- Die Strahlverfolgung ist eine vielseitige lich, dass Pendry sich fragen musste, wie
dikator der Gruppengeschwindigkeit zu Technik; sie erklärt etwa, warum Objekte gut sie überhaupt zu funktionieren ver-
deuten. Bei zwei Wellen mit unterschied- in einem Schwimmbecken weniger tief mag. Wie fein würde insbesondere ihre
licher Ausbreitungsrichtung verliert das unter der Oberfläche zu liegen scheinen Auflösung sein? Optische Elemente mit
resultierende Interferenzmuster seinen als in Wirklichkeit oder warum ein halb positivem Brechungsindex werden durch
Bezug zur Gruppengeschwindigkeit. eingetauchter Bleistift geknickt erscheint. die so genannte Beugungsgrenze einge-
Während die Argumente der Kritiker Lichtstrahlen werden an der Grenzfläche schränkt: Sie können bestenfalls Details
allmählich in sich zusammenfielen, gab zwischen Luft und Wasser gebrochen, weil auflösen, die mindestens so groß sind
es weitere experimentelle Indizien für ne- der Brechungsindex von Wasser mit n = wie die Wellenlänge des vom Objekt re-
gative Brechung. Die Gruppe um Minas 1,3 größer ist als der von Luft, welcher flektierten Lichts. Die Beugung setzt al-
Tanielian bei der Firma Boeing Phantom nur knapp über 1 liegt. Der Brechungs- len Abbildungssystemen eine unüber-
Works in Seattle wiederholte die San- index ist ungefähr gleich dem Verhältnis steigbare Grenze; sie definiert das kleins-
Diego-Experimente mit einem sehr der wirklichen zur scheinbaren Tiefe. te Objekt, das durch ein Mikroskop r
o
r beobachtet werden kann, oder den ein grobes Abbild des Objekts, da die Auf sehr kurze Distanz wirkt eine
kleinsten Abstand zweier Sterne, den ein Beugung nur eine Auflösung bis zur dünne Silberschicht als Superlinse.
Fernrohr aufzulösen vermag. Auch die Größe der Wellenlänge zulässt. Hinge- Hier wird das Wort »NANO« mit einem fo-
kleinste Struktur, die einem Mikrochip gen birgt das Nahfeld zwar sämtliche kussierten Ionenstrahl abgebildet (links),
durch optische Lithografie eingeprägt feinsten Details des Objekts, doch seine mit einer gewöhnlichen optischen Linse
werden kann, wird durch Beugungsphä- Intensität nimmt mit der Entfernung ra- (Mitte) sowie optisch mit einer 35 Nano-
nomene bestimmt. Ebenso begrenzt die pide ab. Positiv brechende Linsen, die in meter dicken Silberschicht (rechts). Der
Beugung die Datenmenge, die sich auf einigem Abstand vom Objekt funktio- Maßstab ist jeweils 2000 Nanometer
einer DVD optisch speichern oder von nieren, haben keine Chance, das extrem lang. Die Auflösung der Superlinse ist fei-
ihr ablesen lässt. Ein Überwinden dieser schwache Nahfeld einzufangen und auf ner als die Wellenlänge des verwendeten
Grenze könnte die technische Optik re- das Bild zu übertragen. Doch für negativ Lichts mit 365 Nanometern.
volutionieren: Die optische Lithografie brechende Linsen gilt das nicht.
könnte in den Nanometerbereich vorsto- Im Jahr 2000 untersuchte Pendry
ßen und am Ende die Kapazität op- eingehend, wie Nah- und Fernfeld einer
tischer Datenspeicher verhundertfachen. Quelle auf die Veselago-Linse einwirken. der Universität Toronto 2004 experimen-
Wie er zur allgemeinen Überraschung tell zeigten, kann ein Metamaterial, auf
Über die Beugungsgrenze hinaus herausfand, vermag die Linse im Prinzip das bei Radiofrequenzen sowohl ε = –1
Um festzustellen, ob eine Optik mit ne- beide Feldtypen zu fokussieren. Wenn als auch µ = –1 zutrifft, tatsächlich Ob-
gativem Index wirklich die Grenzen her- diese erstaunliche Vorhersage zutrifft, ist jekte bis zu einer Größenordnung auflö-
kömmlicher Geräte zu überwinden ver- die Veselago-Linse nicht an die Beu- sen, die kleiner ist als die Beugungsgren-
mag, reicht die Strahlverfolgung nicht gungsgrenze der üblichen Optik gebun- ze. Damit war zwar prinzipiell bewiesen,
aus. Dies vernachlässigt die Beugung den. Die ebene Scheibe mit negativem dass eine Superlinse fabriziert werden
und kann darum die Auflösung negativ Index wurde darum auf den Namen Su- kann – aber nur für Radiowellen.
brechender Linien nicht vorhersagen. perlinse getauft. Wer Metamaterialien für noch kleinere
Genau betrachtet erzeugen alle Quel- In weiteren Analysen entdeckten wir optische Wellenlängen zwischen 400 und
len elektromagnetischer Wellen – ein an- und andere, dass die Auflösung der Su- 700 Nanometern herzustellen versucht,
geregtes Atom, eine Radioantenne oder perlinse durch die Qualität ihres nega- steht vor zwei schwierigen Aufgaben. Ers-
ein durch eine kleine Öffnung austre- tiv brechenden Materials eingeschränkt tens müssen die metallischen Bauele-
tender Lichtstrahl – zwei unterschied- wird. Für optimale Wirkung ist nicht nur mente, welche die winzigen Stromkreise
liche Felder: das Fernfeld und das Nah- ein Brechungsindex n = –1 nötig, son- des Metamaterials bilden – insbesondere
feld. Wie sein Name sagt, ist das Fern- dern zugleich ε = –1 und µ = –1. Eine Drähte und Spaltringresonatoren –, bis in
feld derjenige Teil, der in großer Linse, die diesem Ideal nicht entspricht, den Nanometerbereich miniaturisiert wer-
Entfernung von einem Objekt abge- liefert drastisch verschlechterte Auflö- den, damit sie ein gutes Stück kleiner sind
strahlt wird; er kann durch eine Linse sung. Diese Bedingungen gleichzeitig zu als die Wellenlänge sichtbaren Lichts.
eingefangen werden, um ein Bild zu er- erfüllen ist schwierig. Doch wie Anthony Zweitens bedeuten die kurzen Wellenlän-
zeugen. Leider enthält das Fernfeld nur Grbic und George V. Eleftheriades von gen höhere Frequenzen; bei diesen Fre-
quenzen verhalten sich Metalle als schlech-
te Leiter und dämpfen die Resonanzen,
Wie die Superlinse funktioniert auf denen Metamaterialien beruhen. Im
Jahr 2005 konnten Costas Soukoulis von
Eine rechteckige Platte aus Material mit negativem Brechungsindex wirkt als Su- der Staatsuniversität Iowa und Martin
perlinse. Das von dem Objekt (links) ausgehende Licht (gelbe Linien) wird an Wegener von der Universität Karlsruhe
der Oberfläche der Linse gebrochen und vereinigt sich innerhalb der Platte zu Spaltringresonatoren vorführen, die im-
einem spiegelverkehrten Bild. Beim Austritt aus der Platte wird das Licht erneut merhin bei Wellenlängen von nur 1,5
gebrochen und erzeugt ein zweites Bild (rechts). Bei einigen Metamaterialien Mikrometern (tausendstel Millimetern)
enthält das Bild sogar Details, die kleiner sind als die verwendete Wellenlänge. funktionieren. Obwohl die magnetische
Resonanz bei diesen kurzen Wellenlängen
recht schwach wird, lassen sich damit
noch passable Metamaterialien bilden.
Doch bislang können wir noch kein
Material fabrizieren, das bei sichtbaren
Wellenlängen µ = –1 liefert. Zum Glück
gibt es einen Ausweg. Wenn der Abstand
MELISSA THOMAS
John B. Pendry
(links) und David
R. Smith entwi-
A U T O R E N U N D L I T E R AT U R H I N W E I S E
D
er Blick aus dem Flugzeug scheint der Fluss eine langwierige Ge- wie und wann, blieb ein Rätsel.
macht es deutlich: Auch burt gehabt zu haben, die sich über Als ich mich 1988 diesen Fragen
abseits des Amazonas prä- Jahrmillionen hinzog. In dieser Früh- zuwandte, vermutete ich die brauch-
gen seine Wassermassen die zeit übte er einen starken Einfluss auf barsten Hinweise auf die früheren Um-
Landschaft. Der mächtigste Fluss der die Evolution der Pflanzen- und Tier- weltbedingungen Amazoniens in den
Erde, der nicht weit von der Pazifikküs- welt in der Region aus. Nach heutigem mächtigen Sedimentschichten am Bo-
te im Hochland Perus entspringt und Verständnis speiste er anfänglich ein den des breiten Betts, durch das der
nach etwa 6500 Kilometern im Nordos- Labyrinth miteinander verbundener Amazonas sich heute Richtung Atlantik
ten Brasiliens in den Atlantik mündet, Seen im Zentrum des Kontinents, be- wälzt. Allerdings war es schwierig, an
tritt regelmäßig während der Regen- vor er sich einen direkten Weg zum diese Ablagerungen heranzukommen.
zeiten über die Ufer und überschwemmt Atlantik bahnte. Ein Dschungel, der groß genug ist, um
riesige Waldgebiete. In den zahllosen In diesem riesigen Feuchtgebiet, neun Länder zu überspannen, gibt sei-
Seen, von denen die umliegende Auen- das ideale Bedingungen für Lebens- ne Geheimnisse eben nicht so einfach
landschaft wimmelt, bleibt sein Wasser formen im Wasser wie an Land bot, preis. Vor allem treten die Gesteine, zu
ganzjährig stehen. Der vielfältigste und konnte sich die Flora und Fauna des denen sich die ursprünglichen Ablage-
größte geschlossene Regenwald der Regenwalds viel früher entwickeln als rungen von Schlamm, Sand und Pflan-
Erde, der mit 2,5 Millionen Quadratki- bisher angenommen. Jetzt wird auch zenresten inzwischen verfestigt haben,
lometern eine Fläche von der Größe klar, warum Tiere wie Delfine oder nur an wenigen Stellen im Amazonas-
Mitteleuropas bedeckt, hängt so gleich- Rochen, die normalerweise im Ozean becken offen zu Tage. Diese Stellen aber
sam am Tropf des Amazonas. zu Hause sind, in den Binnenseen liegen meist an fast unzugänglichen Ne-
Wie lange die enge Beziehung zwi- Amazoniens vorkommen. benflüssen und sind von dichter Vege-
schen beiden schon besteht, war bis tation überwuchert.
vor Kurzem noch völlig unklar. Da die Aussagekräftige Sedimente Gemeinsam mit einem Geländeas-
heute Amazonien genannte Region Bis zum Beginn der 1990er Jahre wuss- sistenten erforschte ich Wasserwege von
nur schwer zugänglich ist, gab es zwar ten die Geologen nur, dass Verschie- insgesamt mehreren hundert Kilome-
Theorien über die Frühzeit des Flusses bungen riesiger Blöcke der Erdkruste tern Länge in Kolumbien, Peru und
und des Regenwalds. Doch ließen sie vor etwa 24 bis 5 Millionen Jahren die Brasilien. Auf dieser langen Strecke
sich kaum überprüfen und blieben so- südamerikanischen Anden aufgetürmt fanden wir nur einige Dutzend größere
mit zwangsläufig spekulativ. haben. In dieser Epoche, dem Miozän, Stellen, wo Sedimentgestein aufge-
In den letzten 15 Jahren eröffneten entstanden auch der Himalaya und die schlossen war. Häufig mussten wir eine
sich neue Möglichkeiten, die Gesteine Alpen. Dabei bildeten sich in Europa Machete schwingen, um den Pflanzen-
und Fossilien vor Ort zu untersuchen. und Asien neue Flüsse, während ande- bewuchs zu entfernen, wobei wir ein-
Dadurch ließ sich endlich ein voll- re ihren Lauf änderten. Den Experten mal eine riesige grüne Anakonda über- r
postulierte See-
straße im Miozän
Süßwasser-Stachelrochen (Potamotry-
gon falkneri)
Karibik
heute
Vor etwa 10 Millionen Jahren brach der
Amazonas, vielleicht bedingt durch die
submariner Schuttfächer weitere tektonische Hebung der Anden,
zum Atlantik durch und erreichte seine jet-
zige Länge. Da der Fluss nun in den Oze-
heutige nordöstliche Anden
an entwässerte, fielen viele von den Seen
trocken, die lange das Landschaftsbild
Amazoniens bestimmt hatten. Der Ama-
heutiger Amazonas zonas begann Sedimente vor der Küste
Brasiliens abzulagern und schuf so einen
der größten submarinen Sedimentfächer
der Welt.
RON MILLER
SALOMON B. KROONENBERG
sammensetzung der Weichtierfossilien bald zu spüren, als ich dort 1988 mit mei-
denselben Schluss. Muscheln vergrößern nen wissenschaftlichen Untersuchungen
ihre Schalen Jahr für Jahr. Dabei bauen begann. Ich wollte mittels Sediment-
sie in die neue Kalkschicht Kohlenstoff, gestein, das unter der Vegetation und
Sauerstoff, Kalzium und andere im Was- der dicken Schicht aus verwittertem Bo-
ser gelöste Elemente ein – darunter auch den verborgen liegt, die Entwicklungsge- Carina Hoorn (rechts) und ihr Assistent
Strontium, von dem verschiedene Isotope schichte der Region rekonstruieren. Aníbal Matapi
(Atomsorten mit unterschiedlicher Neu- Wie sich zeigte, tritt der Felsunter-
tronenzahl) existieren. Deren Mengenver- grund in Amazonien nur an wenigen,
hältnis variiert jedoch zwischen Salz- und Hunderte von Kilometern voneinander sen, den Außenbordmotor schultern und
Süßwasser. Misst man es in den Wachs- entfernten Stellen zu Tage. So kam es, zu Fuß über die Berge durch den Urwald
tumsringen einer Muschelschale, erhält dass ich oft wochenlang die unzähli- marschieren mussten.
man daher Auskunft über den Salzgehalt gen Nebenflüsse des Amazonas durch- Nachdem wir so am folgenden Tag
des Wassers zu Lebzeiten des Weichtiers. streifte, um die Ränder der von ihnen zum Apaporis gelangt waren, liehen wir
eingeschnittenen Täler abzusuchen. uns von den dort ansässigen Indianern
Einwanderung von Meerestieren Als Basislager diente mir ein ehema- ein kleineres Boot. Eine weitere India-
Die Strontium-Isotopenverhältnisse in liges Gefängnis in der kolumbianischen nergruppe gab uns Obdach für die nächs-
den untersuchten Schalen sprachen klar Stadt Araracuara. Es war dort errichtet ten Tage, während wir nach den heiß
für Süßwasser. Außerdem erwiesen sie worden, weil man an diesem entle- ersehnten Gesteinsaufschlüssen such-
sich als erstaunlich einheitlich, obwohl genen Ort – inzwischen hat er allerdings ten. Zunächst waren unsere Gastgeber
die Fossilien einen langen Zeitraum und einen Flughafen – entflohenen Häftlin- freundlich, doch plötzlich schienen sie
eine große Fläche abdeckten. Die Weich- gen keine Überlebenschance gab. In über unsere Anwesenheit nicht mehr
tiere hatten also wahrscheinlich in einem den Urwäldern der Umgebung wäre ich sonderlich erfreut zu sein.
riesigen zusammenhängenden Wasser- ohne meinen indianischen Geländeas-
körper gelebt, der nach neuesten Schät- sistenten Aníbal Matapi jedenfalls auch Bald wurde klar, warum. Ein weiterer
zungen etwa 1,1 Millionen Quadratkilo- verloren gewesen. Nichtindianer war eingetroffen – mut-
meter umfasste und damit rund doppelt So erinnere ich mich lebhaft an einen maßlich, um sich zu verstecken. Mitglie-
so groß war wie die Großen Seen in Tag, als Aníbal und ich stundenlang mit der der kolumbianischen Guerilla trieben
Nordamerika. Zweifellos handelte es sich dem Boot auf dem Caquetá in Kolumbien sich damals in der Region herum, und er
um eines der ausgedehntesten und dau- entlangtuckerten. Für mich sah jede Fluss- dürfte zu ihnen gehört haben. Wir waren
erhaftesten Seensysteme, die je auf un- biegung wie die vorherige aus, doch mein erleichtert, endlich abreisen zu können,
serem Planeten existierten. Begleiter, der sein ganzes Leben in die- nachdem wir unser Ziel erreicht und kilo-
Immer mehr Befunde belegen also, sem Teil des Dschungels verbracht hatte, weise schwarzen Ton sowie andere alte
dass Amazonien im Miozän keine länger wusste immer genau, wo wir waren. Sedimente eingesammelt hatten.
anhaltende Verbindung zum Meer be- Schließlich kamen wir so zu einem ver- Von allen meinen Reisen war die zum
saß. Gleichwohl zeigte die Strontium- lassenen Haus, wo wir unsere Hänge- Apaporis die abenteuerlichste. Doch
Signatur der Muschelschalen auch eine matten für die Nacht an der Decke befes- während wir bei Tag verbissen anste-
gelegentliche Zunahme des Salzgehalts tigten. Am nächsten Tag würden wir nach hendes Gestein auskundschafteten und
in dem riesigen Seensystem. Bekanntlich Sedimentaufschlüssen an einem ande- abends ermattet in unsere Hängemat-
lag der Meeresspiegel im Miozän höher ren Fluss namens Apaporis suchen – in ten sanken, schien es, als sei hier die
als heute. Das ansteigende Karibische einem Gebiet, das vom Caquetá durch Zeit stehen geblieben – und als gehöre
Meer könnte somit entlang einer schma- gefährliche Stromschnellen getrennt ist. die hochtechnisierte Welt zu einem Pa-
len Inlandspassage Richtung Süden vor- Das hieß, dass wir unser Boot zurücklas- ralleluniversum.
gedrungen sein.
POLLENKÖRNER: MARTIN KONERT, FREIE UNIV. AMSTERDAM UND CARINA HOORN; MUSCHELN: FRANK P. WESSELINGH, NATURALIS LEIDEN;
marinen Mikroorganismen in denselben Sedimenten lassen er-
GRAFIK: JEN CHRISTIANSEN, NACH: RON J.G. KAANDORP, FREIE UNIV. AMSTERDAM; SEDIMENT: MIT FRDL. GEN. VON CARINA HOORN
kennen, dass die Region gelegentlich von Salzwasser überflutet
war – aber jeweils nur vorübergehend.
lich, dass die Tiere in einem flachen See innerhalb eines tropischen
Überschwemmungsgebiets lebten. Die Wachstumsringe dieser
zu Meerwasser
im Verhältnis
r Genaue Untersuchungen des Werde- delfinart, die im frühen Miozän sehr ver- lässt auch die Geschichte des dortigen
gangs bestimmter Arten ergaben aller- breitet war, aber bald danach ausstarb. Regenwalds in neuem Licht erscheinen.
dings, dass die Einwanderung vermutlich Diese Säuger dürften also ebenfalls schon Nach einer gängigen Theorie hat sich die
schon früher stattfand und die letzte vor mehr als 16 Millionen Jahren einge- Artenvielfalt Amazoniens durch den
große Verbindung zum offenen Meer wandert sein. Wechsel zwischen Eis- und Warmzeiten
wahrscheinlich bereits vor dem Mittleren im Lauf der vergangenen Jahrmillion he-
Miozän abriss – also noch vor der Geburt Ursprung der Artenvielfalt rausgebildet. Während der Kälteperioden
des Amazonas oder allenfalls kurz danach. Eulalia Banguera-Hinestroza von der war es im Norden Südamerikas relativ tro-
Dafür sprechen zum Beispiel Molekular- Universidad del Valle in Cali (Kolum- cken. Ein zunächst vorhandener zusam-
untersuchungen durch Nathan R. Love- bien) zeigte kürzlich, dass sich zwei menhängender Regenwald könnte sich da-
joy, der inzwischen an der Universität Gruppen von Delfinen der Gattung Inia, durch in einzelne, nicht miteinander ver-
Toronto arbeitet. Demnach wanderten von denen die eine im Amazonas und bundene Waldinseln aufgelöst haben.
die Süßwasser-Stachelrochen Amazoniens, die andere in Bolivien vorkommt, gene- Nach Meinung vieler Evolutionsbio-
die eng mit Arten in der heutigen Karibik tisch deutlich unterscheiden. Demnach logen ist eine solche räumliche Trennung
verwandt sind, schon vor mehr als 16 müssen sie schon eine beträchtliche Zeit die Voraussetzung für das Entstehen bio-
Millionen Jahren landeinwärts. voneinander getrennt leben. Eine solche logischer Vielfalt. Wenn kleine Teilbe-
Ähnliches gilt für andere ehemalige räumliche Isolation hätte es nicht gege- reiche eines einst größeren Lebensraums
Meerestiere. So identifizierten Insa Cas- ben, solange ein gemeinsamer Meeres- voneinander abgeschnitten sind, so die
sens und ihre Kollegen an der Freien arm die beiden Regionen noch verband. Theorie, hören benachbarte Populationen
Universität Brüssel im Jahr 2000 die Die Erkenntnis, dass das Amazonasbe- derselben Spezies auf, sich untereinander
rosafarbenen Flussdelfine im heutigen cken im Miozän von einem riesigen See fortzupflanzen. Dadurch entfernen sie
Amazonien als Nachfahren einer Meeres- statt einem Meer eingenommen wurde, sich genetisch voneinander und bilden
A U T O R I N U N D L I T E R AT U R H I N W E I S E
etwa weil die Waldinseln in Warmzeiten Abfluss in die Karibik und bildeten zu- ein Mastergrad in Wissenschaft-
licher Kommunikation am Imperial College in Lon-
erneut zusammenwachsen. gleich ein neues Quellgebiet für Ströme don. Flüsse erforscht sie, um den Einfluss dieser
Doch auch hier erzählen die neuen wie den Amazonas, die sich nun notge- durch Sedimentation geprägten Lebensräume auf
Befunde etwas anderes. Dieselben fossilen drungen einen Weg nach Osten bahnen die örtliche Vegetation zu ergründen. Außerdem
Zeugnisse, die auf die Existenz des Seen- mussten. Dabei schufen und speisten sie erstellt Hoorn Gutachten für die Firma Shell in
Ökosystems hinweisen, belegen zugleich, jenes riesige Labyrinth aus miteinander Rijswijk (Niederlande) über neue Prospektions-
und Fördermethoden für Erdöl und Erdgas.
dass viele der heutigen Pflanzen und Tiere verbundenen Seen, das Amazonien fast
in Amazonien schon vor Jahrmillionen sieben Millionen Jahre lang bedeckte. New contributions on neogene geography and
dort lebten. So dokumentiert das Spek- Mehrfach gab es, wie erwähnt, kurz- depositional environments in Amazonia. Von C.
Hoorn und H. B. Vonhof (Hg.). Journal of South
trum der Pollen, die meine Assistenten aus fristige Verbindungen mit dem Ozean, American Earth Science, Bd. 21, Nr. 1-2, 2006
den miozänen Gesteinen isolierten, eine durch die Meeresbewohner in das
Seasonal Amazonian rainfall variation in the Mi-
erstaunlich vielfältige Vegetation. Insge- Feuchtgebiet einwanderten. Diese adap-
ocene climate optimum. Von Ron J. G. Kaandorp
samt konnte ich 214 Arten identifizieren. tierten sich schnell an den neuen Lebens- et al. in: Palaeogeography, Palaeoclimatology, Pa-
Und es wären weit mehr als doppelt so raum, der mit seiner verästelten Seen- laeoecology, Bd. 221, Nr. 1-2, S. 1, 2005
viele gewesen, hätte ich nicht all diejeni- landschaft eine Fülle für sie günstiger Origin and evolution of tropical rain forests. Von
gen von der Zählung ausgeschlossen, die ökologischer Nischen bot. Unter ande- Robert J. Morley. John Wiley & Sons, 2000
nur in einer einzigen Probe vorkamen. rem entwickelte sich so innerhalb eines
Weblinks zu diesem Thema finden Sie bei www.
Die häufigeren fossilen Pollen stam- verblüffend kurzen Zeitraums von viel- spektrum.de unter »Inhaltsverzeichnis«.
men großenteils von Blütenpflanzen, die leicht nur wenigen Jahrtausenden eine
Ideenschmiede für das Jahr 2020 schaft in die Schulen!« bietet teilneh-
menden Klassen einen Klassensatz
»Spektrum der Wissenschaft« oder
Im bundesweiten Projekt »Jugend denkt Zukunft« spielen Jugendli- »Sterne und Weltraum« kostenlos
für ein Jahr, dazu didaktisches Mate-
che in Unternehmen Produktentwickler und Marketingstrategen – wie
rial und weitere Anregungen.
kürzlich bei der BASF im Bereich Papier und Verpackung. www.wissenschaft-schulen.de
Von Stefanie Reinberger schmiegsamer machen. Sie werben sogar der BASF AG in Ludwigshafen mit
für Medikamentenschachteln, denen man Schülern der Leistungskurse Chemie
u
Praktische Erfahrungen mit der Pa- gen recht selbstsicher vorstellen, erhebt um »große« Wissenschaft, um fertige
pierherstellung kamen nicht zu sich unter den fachkundigen Zuhörern Konzepte für neue Dienstleistungen ge-
kurz: Wer etwas Besseres produzieren so manches Mal ein Raunen. hen. Im Vordergrund steht vielmehr die
möchte als eine Art Löschpapier, benötigt Die im mehrfachen Sinn packende Erfahrung, was alles erforderlich ist, um
eine Menge chemische Kenntnisse. Veranstaltung fand vom 3. bis 7. Juli bei eine Vision umzusetzen. »Eine gute Er-
ALLE FOTOS DES ARTIKELS: BASF AG LUDWIGSHAFEN
u
Am Ende war eine professionelle pier- und Kartonfertigung. Beim Experi- Arnsberg GmbH ab, von deren Mitar-
Präsentation gefordert. Um den mentieren im hauseigenen Xplore-Schü- beitern sich die jungen Leute Auskunft
profimäßigen Auftritt zu unterstreichen, lerlabor machten die Teilnehmer eigene holen durften. »Interessanterweise waren
schmückte sich mancher Schüler mit Erfahrungen damit, wie verschiedene Po- die Schüler zu diesem Zeitpunkt schon
einem Professoren- oder Doktortitel. lymere und Leimungsmittel die Qualität derart in ihrem neuen Element aufge- r
MATHEMATISCHE LOGIK
Unvollständigkeitssatz« bedeutet, dass
Rebecca Goldstein die Mathematik kein bloßes Anhängsel
Kurt Gödel der Logik ist und prinzipiell nicht auf
Jahrhundertmathematiker und großer Entdecker ein noch so komplexes Computerpro-
Aus dem Amerikanischen von Thorsten Schmidt. gramm reduziert werden kann; sie bleibt
Piper, München 2006. 312 Seiten, € 19,90 ein offenes, auch in fernster Zukunft nie
abgeschlossenes Unternehmen.
GÖDEL-JUBILÄUM
o
Das Drüsige Springkraut breitete Welt der Pflanzen und Tiere wie auch in es aber einen unerschöpflichen Schatz an
sich am unteren Inn zunächst rasch komplexe ökologische Zusammenhänge. Informationen und Denkanstößen. Und
aus und nahm dann fast ebenso rasch Die Landschaft Mitteleuropas ist in den in der Szene Engagierten sei wärms-
wieder ab, weil es die Nährstoffvorräte höchstem Maße von menschlichem tens empfohlen, sich mit Reichholfs Ar-
am Standort verbraucht hatte. Schwarze Handeln geprägt und hat sich mit ihm gumenten auseinanderzusetzen.
Balken und punktierte Linie: Anzahl der ständig verändert. Das geht, auch heute Achim G. Schneider
Fundorte. Kästchenbalken und durchge- noch, im Einzelfall zu Gunsten der Ar- Der Rezensent ist promovierter Biologe und frei-
zogene Linie: Anzahl der Exemplare tenvielfalt aus. So tummeln sich in Städ- er Wissenschaftsjournalist bei Freiburg.
Guido Alberto Rossi (Fotos), Gabriele Zanetto (Text) Wiedergabe nur den gewohnten An-
Wasser von oben blick. Die schönsten und überraschends-
ten Wasserlandschaften hat er auf der
Aus dem Italienischen von Ingrid Ickler und Edmund Jacoby.
Gerstenberg, Hildesheim 2006. 312 Seiten, € 39,90 philippinischen Insel Luzon gefunden.
Und seinem Handwerk getreu gewinnt
er auch dem eigentlich Hässlichen und
u
Salinen im Nildelta: Das Salz wird Po in Norditalien oder die wasserum- Der Rezensent ist Redakteur bei Spektrum der
durch Verdunstung gewonnen. schlungenen Städte New York, Venedig Wissenschaft.
phie, als Basis einer interkulturellen auf die »verpflanzte Philosophie« der bietet das Buch eine gelungene und un-
Kommunikation. Er skizziert die Debat- Kolonialmacht einzugehen. Im Wesent- terhaltsame Übersicht und erweitert den
te um eine oder mehrere afrikanische lichen beschränken sie sich auf die Be- Horizont.
Philosophien. Während einige Autoren schreibung der Genese einer lateinameri- Stefan Keilmann
die Ermangelung einer schriftlichen Sys- kanischen politischen Philosophie. Der Rezensent hat Germanistik und Philosophie
tematik beklagen, wendet sich zum Bei- Den strukturellen Mängeln zum studiert und lebt als freier Wissenschaftsjourna-
spiel der kenianische Philosoph Oruko Trotz birgt das Buch einige Schätze. Um list in Ludwigshafen.
gegen eine solche Klassifizierung. Bedau- diese zu heben, braucht es aber stellen-
erlich ist, dass die Debatte auf gerade weise ein gehöriges Maß an Vorwissen. Alle rezensierten Bücher können Sie in
einmal elf Seiten nur angerissen wird, Zudem hat der Herausgeber mit der Ge- unserem Science-Shop bestellen
von der afrikanischen Philosophie selbst wichtung der Inhalte den gleichen Feh- direkt bei: www.science-shop.de
ganz zu schweigen. Auch Lateinamerika ler begangen, den er beklagt: 380 Seiten per E-Mail: shop@wissenschaft-online.de
bekommt nur dreißig Seiten eingeräumt. widmen sich der europäischen und asia- telefonisch: 06221 9126-841
per Fax: 06221 9126-869
Die beiden Autoren streifen kurz die Er- tischen, lediglich 70 der amerikanischen
PREISRÄTSEL
Wer zuletzt lacht ... Lösung zu »Geburtsdatum« (August 2006)
Finale im Zweikampf der Glücksspieler Der Astronom ist am 13. Februar 1699 ge- durch 400 ohne Rest teilbar sind. (Beim
Hans und Franz in der Disziplin Münz- boren, und zwar in einem Land, in dem bis 1582 gültigen julianischen Kalender
wurf. Hans wettet auf »Wappen«, Franz damals bereits der gregorianische Ka- gab es keine solchen Ausnahmen.)
auf »Zahl«. Beide starten mit dem glei- lender gültig war. Der fünfte Geburtstag des Astro-
chen Kapital, einem ganzzahligen Euro- Zunächst scheidet ein Schaltjahr als nomen muss also in einem der Jahre
betrag. Gespielt wird nach folgender Geburtsjahr aus: In einem Schaltjahr 1704, 1804 oder 1904 liegen. In wel-
Regel: kann zwar dreimal »Freitag, der 13.« chem dieser Jahre war nun der 13. Feb-
Der Verlierer eines Wurfs gibt die auftreten (und zwar im Januar, April und ruar ein Mittwoch?
Hälfte seines Kapitals an den Gewinner Juli), aber in einem solchen Jahr gibt es Wir rechnen zurück: Im Jahr 2004 fiel
ab. Das Spiel endet, wenn der nächste neben dem 13. Mai keinen zweiten der 13. Februar auf einen Freitag. Von
Verlust nicht mehr in ganzen Cent be- Sonntag, der auf den 13. Tag eines Mo- den vorhergehenden 100 Jahren waren
zahlt werden könnte. nats fällt. Folglich ist der Astronom im 25 Schaltjahre (auch das Jahr 2000 war
1. Wurf, 2. Wurf, … gebannt starren Februar eines Gemeinjahres geboren. eines), also ergibt sich eine Verschie-
beide auf die tanzende Münze. Die Zeit Im selben Jahr fielen der 13. März und bung um sechs Wochentage, denn 125
vergeht, die Spannung steigt, jeder hat der 13. November ebenfalls auf einen lässt bei Division durch 7 den Rest 6.
schon mehrere Würfe gewonnen. Atem- Freitag, außerdem der 13. September Somit war der 13. Februar 1904 ein
lose Stille, denn jetzt, der wichtigste, und 13. Dezember auf einen Sonntag. Samstag.
der letzte Wurf und … Hans gewinnt Rechnen wir nun weitere 100 Jahre
ihn! Meister im Münzwurf, und um Ein festes Datum verschiebt sich von zurück, so ergibt sich eine Verschiebung
72,25 Euro reicher als zu Spielbeginn. einem Jahr zum nächsten um einen um nur fünf Wochentage, denn in die-
Welches waren die Würfe, die Hans Wochentag, wenn kein Schalttag (29. sem Zeitraum lagen nur 24 Schaltjahre.
schon vor dem letzten Wurf gewann? Februar) dazwischen liegt, ansonsten Im Jahr 1804 war der 13. Februar also
um zwei Wochentage. Wenn sich also ein Montag und im Jahr 1704 schließ-
Schicken Sie Ihre Lösung in einem fran- der Geburtstag von Freitag (im Geburts- lich ein Mittwoch. Somit ergibt sich als
kierten Brief oder auf einer Postkarte an jahr) auf Mittwoch (im nächsten Schalt- Geburtsjahr das Jahr 1699.
Spektrum der Wissenschaft, Leserser- jahr) verschiebt, liegt das Geburtsjahr Dabei haben wir angenommen, dass
vice, Postfach 10 48 40, D- 69038 Hei- fünf Jahre vor dem nächsten Schaltjahr, während der ersten Lebensjahre des
delberg. denn das Geburtsjahr selbst war ja kein Astronomen keine Kalenderreform
Unter den Einsendern der richtigen Schaltjahr. durchgeführt wurde.
Lösung verlosen wir fünf Bildbände In der Regel ist jedes vierte Jahr ein
»Wunder des Weltalls«. Der Rechtsweg Schaltjahr. Ausnahmen gibt es gemäß Die Gewinner der drei Einstein-Figuren
ist ausgeschlossen. Es werden alle Lö- dem gregorianischen Kalender in Jah- sind Sarah Riepenhausen, Münster; Al-
sungen berücksichtigt, die bis Dienstag, ren wie 1700, 1800 und 1900, deren fred Sieglhofer, Vilsbiburg; und Ingo
den 17. 10. 2006, eingehen. Jahreszahlen zwar durch 100, aber nicht Schiermeyer, Herzogenrath.
Lust auf noch mehr Rätsel? Unsere Online-Wissenschaftszeitung (www.spektrumdirekt.de) bietet Ihnen
unter dem Stichwort »Knobelei« jeden Monat eine neue mathematische Knobelei.
phie, als Basis einer interkulturellen auf die »verpflanzte Philosophie« der bietet das Buch eine gelungene und un-
Kommunikation. Er skizziert die Debat- Kolonialmacht einzugehen. Im Wesent- terhaltsame Übersicht und erweitert den
te um eine oder mehrere afrikanische lichen beschränken sie sich auf die Be- Horizont.
Philosophien. Während einige Autoren schreibung der Genese einer lateinameri- Stefan Keilmann
die Ermangelung einer schriftlichen Sys- kanischen politischen Philosophie. Der Rezensent hat Germanistik und Philosophie
tematik beklagen, wendet sich zum Bei- Den strukturellen Mängeln zum studiert und lebt als freier Wissenschaftsjourna-
spiel der kenianische Philosoph Oruko Trotz birgt das Buch einige Schätze. Um list in Ludwigshafen.
gegen eine solche Klassifizierung. Bedau- diese zu heben, braucht es aber stellen-
erlich ist, dass die Debatte auf gerade weise ein gehöriges Maß an Vorwissen. Alle rezensierten Bücher können Sie in
einmal elf Seiten nur angerissen wird, Zudem hat der Herausgeber mit der Ge- unserem Science-Shop bestellen
von der afrikanischen Philosophie selbst wichtung der Inhalte den gleichen Feh- direkt bei: www.science-shop.de
ganz zu schweigen. Auch Lateinamerika ler begangen, den er beklagt: 380 Seiten per E-Mail: shop@wissenschaft-online.de
bekommt nur dreißig Seiten eingeräumt. widmen sich der europäischen und asia- telefonisch: 06221 9126-841
per Fax: 06221 9126-869
Die beiden Autoren streifen kurz die Er- tischen, lediglich 70 der amerikanischen
PREISRÄTSEL
Wer zuletzt lacht ... Lösung zu »Geburtsdatum« (August 2006)
Finale im Zweikampf der Glücksspieler Der Astronom ist am 13. Februar 1699 ge- durch 400 ohne Rest teilbar sind. (Beim
Hans und Franz in der Disziplin Münz- boren, und zwar in einem Land, in dem bis 1582 gültigen julianischen Kalender
wurf. Hans wettet auf »Wappen«, Franz damals bereits der gregorianische Ka- gab es keine solchen Ausnahmen.)
auf »Zahl«. Beide starten mit dem glei- lender gültig war. Der fünfte Geburtstag des Astro-
chen Kapital, einem ganzzahligen Euro- Zunächst scheidet ein Schaltjahr als nomen muss also in einem der Jahre
betrag. Gespielt wird nach folgender Geburtsjahr aus: In einem Schaltjahr 1704, 1804 oder 1904 liegen. In wel-
Regel: kann zwar dreimal »Freitag, der 13.« chem dieser Jahre war nun der 13. Feb-
Der Verlierer eines Wurfs gibt die auftreten (und zwar im Januar, April und ruar ein Mittwoch?
Hälfte seines Kapitals an den Gewinner Juli), aber in einem solchen Jahr gibt es Wir rechnen zurück: Im Jahr 2004 fiel
ab. Das Spiel endet, wenn der nächste neben dem 13. Mai keinen zweiten der 13. Februar auf einen Freitag. Von
Verlust nicht mehr in ganzen Cent be- Sonntag, der auf den 13. Tag eines Mo- den vorhergehenden 100 Jahren waren
zahlt werden könnte. nats fällt. Folglich ist der Astronom im 25 Schaltjahre (auch das Jahr 2000 war
1. Wurf, 2. Wurf, … gebannt starren Februar eines Gemeinjahres geboren. eines), also ergibt sich eine Verschie-
beide auf die tanzende Münze. Die Zeit Im selben Jahr fielen der 13. März und bung um sechs Wochentage, denn 125
vergeht, die Spannung steigt, jeder hat der 13. November ebenfalls auf einen lässt bei Division durch 7 den Rest 6.
schon mehrere Würfe gewonnen. Atem- Freitag, außerdem der 13. September Somit war der 13. Februar 1904 ein
lose Stille, denn jetzt, der wichtigste, und 13. Dezember auf einen Sonntag. Samstag.
der letzte Wurf und … Hans gewinnt Rechnen wir nun weitere 100 Jahre
ihn! Meister im Münzwurf, und um Ein festes Datum verschiebt sich von zurück, so ergibt sich eine Verschiebung
72,25 Euro reicher als zu Spielbeginn. einem Jahr zum nächsten um einen um nur fünf Wochentage, denn in die-
Welches waren die Würfe, die Hans Wochentag, wenn kein Schalttag (29. sem Zeitraum lagen nur 24 Schaltjahre.
schon vor dem letzten Wurf gewann? Februar) dazwischen liegt, ansonsten Im Jahr 1804 war der 13. Februar also
um zwei Wochentage. Wenn sich also ein Montag und im Jahr 1704 schließ-
Schicken Sie Ihre Lösung in einem fran- der Geburtstag von Freitag (im Geburts- lich ein Mittwoch. Somit ergibt sich als
kierten Brief oder auf einer Postkarte an jahr) auf Mittwoch (im nächsten Schalt- Geburtsjahr das Jahr 1699.
Spektrum der Wissenschaft, Leserser- jahr) verschiebt, liegt das Geburtsjahr Dabei haben wir angenommen, dass
vice, Postfach 10 48 40, D- 69038 Hei- fünf Jahre vor dem nächsten Schaltjahr, während der ersten Lebensjahre des
delberg. denn das Geburtsjahr selbst war ja kein Astronomen keine Kalenderreform
Unter den Einsendern der richtigen Schaltjahr. durchgeführt wurde.
Lösung verlosen wir fünf Bildbände In der Regel ist jedes vierte Jahr ein
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ist ausgeschlossen. Es werden alle Lö- dem gregorianischen Kalender in Jah- sind Sarah Riepenhausen, Münster; Al-
sungen berücksichtigt, die bis Dienstag, ren wie 1700, 1800 und 1900, deren fred Sieglhofer, Vilsbiburg; und Ingo
den 17. 10. 2006, eingehen. Jahreszahlen zwar durch 100, aber nicht Schiermeyer, Herzogenrath.
Lust auf noch mehr Rätsel? Unsere Online-Wissenschaftszeitung (www.spektrumdirekt.de) bietet Ihnen
unter dem Stichwort »Knobelei« jeden Monat eine neue mathematische Knobelei.
r
Die Objekte in den Lagrange-Punk- Neptun – – vier namenlose –
ten L1 bis L 5 umkreisen die Masse Erde Mond – – Kordylewski-Wolken
M1 und laufen im Zeitmittel synchron zur Saturn Dione – – Helene Polydeuces
Masse M2. Natürliche Objekte in den
Thetys – – Telesto Calypso
Punkten L1 und L2 sind nicht bekannt.
QUELLE: EN.WIKIPEDIA.ORG/WIKI/LIST_OF_OBJECTS_AT_LAGRANGIAN_POINTS
dessen Anziehungskraft auf die beiden widerlegen, denn sie wäre von der Erde nicht allzu starken – Eigenantrieb entge-
großen vernachlässigbar ist, mit der glei- aus nicht zu sehen. genwirken. Sonden in der Nähe von L 1
chen Winkelgeschwindigkeit mitlaufen Die Punkte L 1 und L 2 dieses Systems haben eine konstante Sicht zur Sonne
kann: die Lagrange-Punkte L 1 bis L 5 (sie- sind dagegen astronautisch sehr interes- und eine direkte Funkverbindung zur
he Kasten unten). Drei davon (L 1 bis L 3) sant: Man kann dort Satelliten »parken«, Erde. Dort sind das Solar and Heliosphe-
liegen auf der Geraden, die durch die die dann – jedenfalls im Zeitmittel – ric Observatory (SOHO) und der Satellit
beiden schweren Punktmassen hindurch- synchron zur Erde um die Sonne laufen. ACE stationiert. L 2 bleibt dagegen von
geht, die zwei anderen (L 4 und L 5 ) span- Da die Gleichgewichte bei L 1 bis L 3 der Sonne im wahrsten Sinn des Wortes
nen mit ihnen jeweils ein gleichseitiges nicht stabil sind, ein Objekt aus ihnen unbehelligt, er läuft nämlich dauernd im
Dreieck auf. also durch geringste externe Einflüsse Erdschatten. Die Wilkinson Microwave
Fantasievolle Autoren denken sich in herausgetrieben würde, muss man die Anisotropy Probe (WMAP) misst von hier
L 3 des Systems Sonne-Erde eine Gegen- Satelliten »ausbalancieren«, das heißt aus die Anisotropie der kosmischen Hin-
erde. Deren Existenz ist nicht leicht zu Störungen ihrer Bahn durch einen – tergrundstrahlung. r
Lagrange-Punkte
Von den fünf Lagrange-Punkten, die zu den Massen M1 und M2
gehören (im Bild ist das Massenverhältnis M1 : M2 = 4 : 1), lie- Ortsraum, um
gen L1 bis L 3 auf der Geraden, die durch M1 und M2 und de- L4 S rotierend
Befinden sich drei Massen auf den Ecken A, B und C eines die ganze Anordnung entlang jeder der drei Geraden »auf
gleichseitigen Dreiecks, so können sie mit gemeinsamer Messers Schneide« balancieren. Insbesondere ist ihr ge-
Winkelgeschwindigkeit auf Kreisbahnen um ihren gemein- meinsamer Schnittpunkt der Schwerpunkt aller drei Massen.
samen Schwerpunkt S laufen.
Um dies anschaulich zu zeigen, teilen wir die Seiten jeweils Auf MC wirken nach dem Gravitationsgesetz in Richtung A und B
im Verhältnis der Massen in die Abschnitte a, b und c, und Beschleunigungen proportional zu MA beziehungsweise MB,
zwar so, dass jedes Teilstück der zugehörigen Masse gegen- also auch proportional zu den angrenzenden Teilstrecken a
über liegt. Dann verbinden wir die Teilungspunkte und be- beziehungsweise b. Entsprechendes gilt für die anderen
kommen drei Parallelen zu den Seiten des Dreiecks. Von der Massen. Wir können den Maßstab, mit dem wir Beschleuni-
so gefundenen Geraden parallel zu MAMB beispielsweise ha- gungen durch Pfeile mit ihren Längen darstellen, so wählen,
ben die Massen MA und MB den Abstand c √3 /2 und MC den dass sie so lang sind wie unsere Teilstrecken a, b und c. So
Abstand (a + b ) √3 /2. sehen wir, dass die auf ein Objekt wirkende Gesamtbeschleu-
Stellen wir uns die drei Massen an den Ecken einer starren, nigung seiner Entfernung vom Schwerpunkt proportional ist
masselosen Dreiecksscheibe befestigt vor. Dann könnte man (Diagonale im Kräfteparallelogramm). Alle drei Objekte kön-
MC nen also – bei geeigneten Startbedingungen – mit gemein-
samer Winkelgeschwindigkeit konzentrisch um ihn kreisen,
b allein unter dem Einfluss dieser Schwerebeschleunigungen,
denn die Zentripetalbeschleunigung ist – ganz allgemein – bei
fester Winkelgeschwindigkeit proportional zum Radius.
a
SIGANIM / SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT, NACH: NORBERT TREITZ
r Die Umgebungen der Lagrange- Massenverhältnisse völlig fallen lassen, Kriegs benannt. Sinnigerweise hat man
Punkte L 4 und L 5 sind dagegen für hin- wenn diese drei Objekte allein auf der die beiden Lagrange-Punkte den beiden
reichend große Massenverhältnisse von Welt sind und »von Anfang an« wie ein Kriegsparteien zugeordnet, und zwar den
M1 und M2 (größer als etwa 25) stabil in starres gleichseitiges Dreieck um ihren vorauslaufenden Punkt L 4 dem Lager der
folgendem Sinn: Ein ganz leichtes Ob- gemeinsamen Schwerpunkt laufen. Die Griechen oder Danaer und den verfol-
jekt kann um sie herumlaufen, mal etwas Schwerkräfte sind dann nämlich genau genden Punkt L 5 den Trojanern. Da die-
weiter außen und schneller, mal etwas die zu den Bahnen passenden Zentripe- se Zuordnung jedoch nicht von Anfang
weiter innen und langsamer, insgesamt talkräfte (Kasten oben), und das Dreieck an üblich war, finden sich zwei so pro-
auf einer Bahn, die in einem mit- dreht sich starr weiter, wenn es nicht ge- minente Kriegsteilnehmer wie der Grie-
rotierenden Koordinatensystem wie der stört wird. che Patroklos, den die Astronomen mit
Umriss eines lang gezogenen Nieren- seinem lateinischen Namen Patroclus
tischs, einer Bohne oder einer Banane Trojanischer Friede (Nummer 61) bezeichnen, und sogar der
aussieht. Auf solchen Bahnen können Vor 100 Jahren, also 1906, entdeckte trojanische Prinz Hektor (624) auf pla-
passive Objekte wie Kleinplaneten oder Max Wolf einen Kleinplaneten, der im netarer Ebene unverhofft unter ihren
Satelliten laufen und wandern auch bei Mittel synchron zu Jupiter läuft, und Gegnern wieder.
kleinen Störungen nicht auf Nimmer- zwar 60 Grad voraus, das heißt um den Als Überbegriff wird die Bezeich-
wiedersehen davon. Im einfachsten Fall L 4 des Sonne-Jupiter-Systems. Er hat nung »Trojaner« nicht nur auf die zahl-
kann ein Kleinplanet auch genau auf L 4 den Namen Achilles und die Kleinpla- reichen Kleinplaneten vor und hinter Ju-
oder auf L 5 laufen, er bildet dann mit neten-Nummer 588. piter angewandt, sondern auf alle Ob-
der Sonne M1 und einem Großplaneten Seitdem sind über 1500 Kleinplane- jekte, die einem L 4- oder L 5-Punkt eines
M2 (zum Beispiel Jupiter) ein starr rotie- ten bei L 4 und L 5 von Sonne und Jupiter Paares aus einem Stern und einem Pla-
rendes gleichseitiges Dreieck. gefunden worden. Sie sind allesamt – so- neten oder aus einem Planeten und
Erstaunlicherweise kann man die fern sie nicht nur Nummern haben – einem seiner Satelliten zuzuordnen sind
einschränkenden Bedingungen für die nach Teilnehmern des Trojanischen (Tabelle S. 113).
r
Auch Mars hat ein Anhängsel, das Die mittlere Position von Cruithne
den schönen Namen »Eureka« (»ich hab’s läuft von der Erde aus gesehen auf
gefunden«) trägt und die Kleinplaneten- einer hufeisenförmigen Bahn um die Son-
Nummer 5261 hat. ne. An den Enden des Hufeisens, in der Erde
Nicht nur jeder Planet hat gemein- Nähe der Lagrange-Punkte L 4 und L 5, L1 L3
L2
sam mit der Sonne seine fünf Lagrange- gleicht die Bahnform einer Niere, ähnelt
Sonne
Punkte, sondern auch jeder Mond mit also der Bewegung der Begleiter Jupi-
seinem Heimatplaneten. So sind je zwei ters. Der Punkt L3 wird lediglich passiert. Cruithne (gegenwärtige
kleine Saturn-Satelliten Trojaner von je- mittlere Position)
weils einem großen (Tabelle S. 113). Ka-
zimierz Kordylewski (1903 – 1981) fand L4
JOSÉ FRENDELVEL
1956 im vierten und fünften Punkt von
Mond und Erde – also von beiden unge-
fähr gleich weit entfernt – Staubwolken
etwa von der Größe unseres Planeten.
Diese sind jedoch extrem schwer zu se- gegenüber und ist damit weiter von ihr kleinen Nennern – führen meistens
hen und möglicherweise auch nur zeit- entfernt als Merkur und Venus. dazu, dass die kleineren Partner aus
weise wirklich vorhanden. Noch verwickelter verhält sich ein solchen Bahnen hinausgekegelt werden.
Vom System Sonne-Erde sind bisher mit rund fünf Kilometer Durchmesser In einigen Fällen sind sie auch stabilisie-
außer ähnlichen Wolken keine echten deutlich größerer, 1986 entdeckter Klein- rend, wie bei den Trojanern und den bei-
Trojaner bekannt. Man kennt aber seit planet mit der Nummer 3753 und dem den genannten Begleitern der Erde, aber
wenigen Jahren zwei erdnahe Kleinpla- Namen Cruithne (nach einem sagen- auch mit anderen rationalen Zahlen bei
neten, die mit großer Genauigkeit die haften König vom keltischen Stamm der dem Kleinplaneten Thule und denen der
gleiche Umlaufzeit haben wie wir und Pikten). Er hat eine so exzentrische Bahn, Hilda-Gruppe. Mehr darüber an dieser
uns gerade deswegen nicht gefährlich dass er der Sonne näher kommt als Venus Stelle in einem Monat. l
werden können. Der kleinere hat nur und sich weiter von ihr entfernt als Mars.
den vorläufigen Namen 2002 AA29 Allerdings kreuzt er deren Bahnen wegen
Norbert Treitz ist apl.
(2002 bezeichnet das Entdeckungsjahr). der Neigung seiner Bahnachse nicht
Professor für Didaktik der
Er ist nur rund 100 Meter groß, und sei- wirklich. In dem mit der Erde rotie- Physik an der Universität
ne Bahn um die Sonne ist noch etwas renden Koordinatensystem ist seine Bahn Duisburg-Essen. Seine
genauer kreisrund als unsere. In einem der Umriss einer sehr großen Bohne, die Vorliebe für erstaunliche
mit der Erde um die Sonne mitrotie- ihrerseits sehr langsam wandert und de- und möglichst freihändi-
AUTOR
ge Versuche und Baste-
renden Koordinatensystem steht er aber ren Mitte in etwa 395 Jahren eine Huf- leien sowie für an-
nicht etwa still. Vielmehr durchläuft er – eisenbahn durchläuft (Bild oben). Trotz schauliche Erklärungen dazu nutzt er nicht
vereinfacht gesagt – in 190 Jahren eine der komplizierten Bahn haben die Um- nur für die Ausbildung von Physiklehrkräften,
Bahn, die wie der Umriss eines Hufei- laufzeiten von Cruithne und Erde ebenso sondern auch zur Förderung hoch begabter
sens aussieht und die Lagrange-Punkte wie die der Trojaner und Jupiters eine Re- Kinder und Jugendlicher.
L 3 bis L 5 umschließt. Dabei kreist er zeit- sonanz von 1 : 1.
Weblinks zum Thema finden Sie bei www.
weise als Quasi-Satellit nahe um die Solche Resonanzen – allgemein: rati- spektrum.de unter »Inhaltsverzeichnis«.
Erde; zu anderen Zeiten steht er ihr fast onale Verhältnisse der Umlaufzeiten mit
PARTNER UNTERSTÜTZER
M
ädchen zur Rettung seines Bru- Westliche Gesellschaften sind pluralisti-
ders gezeugt«, »66-Jährige wird sche Gesellschaften. Sie bestehen aus Men-
Mutter«, »Gehörloses Paar will schen mit unterschiedlichen Weltanschau-
taubstummes Kind«. Derartige ungen und unterschiedlichen Moralvorstel-
Schlagzeilen sind nicht nur ein beredtes Zeug- lungen. Dementsprechend wird es unter
nis für das atemberaubende Tempo, mit dem ihnen stets Uneinigkeit darüber geben, was
sich die Fortpflanzungsmedizin entwickelt. moralisch richtig und was falsch ist. Wenn
Sie werfen auch die Frage auf, ob es irgendein ein Staat seinen Bürgern eine ganz bestimmte
konsensfähiges Prinzip gibt, mit dessen Hilfe Form der Moral aufzudrängen versuchte, wä-
der Gesetzgeber entscheiden könnte, welche ren soziale Konflikte unvermeidlich. Um dem
reproduktionsmedizinischen Technologien zu- vorzubeugen, muss die Politik pluralistischer
gelassen oder verboten werden sollten. Gesellschaften auf weltanschaulicher Neutra-
Das einzige Prinzip, das mir mit den lität, gegenseitiger Toleranz und größtmög-
Grundsätzen eines freiheitlichen Rechtsstaates licher Freiheit beruhen: Jeder Bürger sollte
u
Bei einer repräsentativen wie der Bundesrepublik Deutschland verein- das Recht haben, sein Leben so zu leben, wie
Umfrage Ende 2003 in bar zu sein scheint, ist in dubio pro libertate, er es für richtig hält – solange er anderen kei-
Deutschland wurde eine Eizell- im Zweifel für die Freiheit. Es geht auf zwei nen Schaden zufügt. Der Staat sollte sich in
spende zumindest aus medizi- der Väter des Liberalismus, auf Wilhelm von die persönlichen Belange des Einzelnen daher
nischen Gründen mehrheitlich Humboldt (1767 – 1835) und John Stuart nur einmischen, um seine Bürger vor Scha-
befürwortet, etwa 13 Prozent Mill (1806 – 1873), zurück und hat nichts den durch andere zu bewahren.
stimmten für eine generelle von seinen Vorzügen verloren. Ganz im Ge- Das dem Liberalismus verpflichtete Scha-
Freigabe. genteil, seine konsequente Anwendung ist densprinzip hat fünf wichtige Implikationen:
r Die Beweislast hat stets derjenige zu tra-
gen, der sich für ein strafrechtliches Verbot ei-
Eizellspende ner bestimmten Handlungsweise ausspricht.
MIT FRDL. GEN. VON: Y. STÖBEL - RICHTER, S. GOLDSCHMIDT
Zulassung aus
medizinischen Gründen gung anderer beinhaltet.
12,9
UND E. BRÄHLER, UNIVERSITÄT LEIPZIG
Leihmutterschaft
z maßen alles andere als optimal für ein Kind
sein, wenn es von einer 55-jährigen Frau ge-
boren oder mit dem Sperma eines bereits ver-
SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT / EMDE-GRAFIK;
o
Eine Leihmutterschaft r auszutragen? Sicher, sowohl die Eizellspen- und geistig behinderten Kind eine Entschädi-
lehnten viele der Be- de als auch die Leihmutterschaft sind mit gung dafür zusprach, »geboren worden zu
fragten ab; ein insgesamt et- einem gewissen medizinischen Risiko verbun- sein«, gab es einen derartigen Aufschrei des
wa gleich hoher Prozentsatz den. Doch in einem freiheitlichen Rechtsstaat Entsetzens, dass sich die französische National-
befürwortete sie aber bei be- kann die Entscheidung darüber, ob eine Frau versammlung genötigt sah, sogleich einen neu-
stimmten Gründen oder ge- die mit diesen Eingriffen verbundenen Ri- en Gesetzentwurf zu verfassen, in dem es ex-
nerell. siken in Kauf nehmen sollte, nicht beim Ge- plizit hieß, »dass niemandem durch seine Ge-
setzgeber, sondern allein bei der Betroffenen burt geschadet werden kann«. Wie aber passt
liegen. Es ist schwer einzusehen, dass eine die Behauptung, es schade einem Kind, von
Frau zwar den Ärmelkanal durchschwimmen einem lesbischen Paar großgezogen zu werden,
oder den Mount Everest erklimmen, nicht zu der Behauptung, dass man keinem Kind
aber eine Eizelle spenden oder ein Kind für durch seine Geburt schaden könne? Ist unter
eine andere austragen darf. zwei Müttern aufzuwachsen tatsächlich ein
schrecklicheres Schicksal, als gelähmt, taub,
Diskriminierung von Paaren blind und geistig behindert zu sein?
ohne Trauschein Die standesrechtlichen Regelungen zum
Befürworter des Status quo werden vermut- Schutz des Wohlergehens des Kindes beruhen
lich erwidern, dass die einschlägigen Gesetze aber nicht nur auf einem philosophischen Pa-
ja nicht nur die Frauen vor einer möglichen radoxon, sie führen auch zu einer vollkom-
Ausbeutung ihres Körpers bewahren sollen, men ungerechtfertigten Diskriminierung un-
sondern vor allem auch dem Schutz des Kin- fruchtbarer Paare. Indem beispielsweise Paare
des dienen. Doch wie entwicklungspsycholo- ohne gültigen Trauschein erst den Segen der
gische Untersuchungen aus Großbritannien zuständigen Ethikkommission einholen müs-
gerade gezeigt haben, erfreuen sich die mit sen, bevor man sie zur reproduktionsmedizi-
Hilfe von Eizellspende und Leihmutterschaft nischen Behandlung zulässt, werden sie gewis-
gezeugten Kinder derselben physischen und sermaßen doppelt bestraft: Als wäre es nicht
psychischen Gesundheit wie die auf natür- schon Strafe genug, unfruchtbar zu sein und
lichem Wege gezeugten Kinder. sich den Kosten und Mühen einer künstli-
Zudem beruhen alle Gesetze, die wir im chen Befruchtung unterziehen zu müssen,
Namen des Wohlergehens des Kindes erlas- werden sie zudem noch einem »Eignungstest«
sen, auf einem offenkundigen Paradoxon: In- unterworfen, den sich jedes Paar, das auf na-
sofern sie nämlich zur Folge haben, dass dieje- türlichem Wege Kinder bekommen kann, mit
nigen, die durch sie geschützt werden sollen, Recht verbitten würde. Zudem ist es ange-
gar nicht erst zur Welt kommen, implizieren sichts der wachsenden Zahl allein erziehender
sie, dass es besser für die Kinder wäre, nie ge- Mütter und der gesetzlichen Anerkennung
boren zu werden. Kaum jemand wird bezwei- homosexueller Partnerschaften schlichtweg
feln, dass es besser für ein Kind ist, wenn es anachronistisch, wenn man alleinstehenden
von seinen biologischen Eltern aufgezogen Frauen und lesbischen Paaren länger die Hilfe
wird – doch wer wollte allen Ernstes behaup- zur Mutterschaft vorenthalten wollte.
ten, ohne einen Vater aufwachsen zu müssen Dass es keine Rechtfertigung dafür gibt,
oder von zwei Müttern großgezogen zu wer- alleinstehende Frauen oder lesbische Paare
den, sei ein derart unzumutbares Schicksal, von der reproduktionsmedizinischen Behand-
dass es besser für diese Kinder wäre, nie gebo- lung auszuschließen, bedeutet selbstverständ-
ren zu werden? lich nicht, dass jeder Arzt dazu verpflichtet
Von diesem Paradoxon sind selbstver- sein sollte, sie zu behandeln. Wer es nicht mit
ständlich auch die standesrechtlichen Verbote seinem Gewissen vereinbaren kann, einem les-
der postmenopausalen und der posthumen bischen Paar zu einem Kind zu verhelfen, dem
Reproduktion betroffen. Es mag zugegebener- sollte es selbstverständlich freistehen, ihm sei-
Geschlechtswahl
z nem Nachwuchs zu verhelfen, solange auf
dieser Welt Millionen hungernder Kinder le-
ben, die adoptiert werden könnten. Wenn die
strikt verboten
weiß nicht Briten dennoch ein für deutsche Verhältnisse
3,0 32,0 überaus liberales Gesetz verabschiedet haben,
auch aus
11,0 kann dies wohl nur darauf beruhen, dass sie
sozialen Gründen
bereit waren, die individuellen Rechte ihrer
54,0
Bürger zu respektieren und deren Fortpflan-
Zulassung aus zungsfreiheit nur insoweit zu beschneiden, als
medizinischen Gründen es zur Verhinderung einer Schädigung Dritter
alle Angaben in Prozent unbedingt erforderlich ist.
Das Select Committee on Science and
o
Bei einer Umfrage zur r Regel versuchen sie zu entscheiden, ob Technology des britischen Unterhauses hat
möglichen Geschlechts- ein bestimmtes Verfahren moralisch zulässig sich unlängst denn auch klar zu seinem li-
wahl vor einer künstlichen Be- oder unzulässig ist. Angesichts der Tatsache, beralen Ansatz bekannt. In seinem am 24.
fruchtung stimmten 54 Prozent dass wir in einer pluralistischen Gesellschaft März 2005 vorgelegten Bericht »Human Re-
für eine Zulassung aus medizi- leben, in der die Menschen unterschiedliche productive Technologies and the Law« erklär-
nischen Gründen, 11 Prozent Moralvorstellungen haben, wird sich über die- te es, dass es keine Rechtfertigung dafür ge-
für eine generelle Freigabe. se Frage jedoch nie Einigkeit erzielen lassen. be, den Zugang zur reproduktionsmedizini-
Die Frage, die solche Kommissionen tatsäch- schen Behandlung auf heterosexuelle Ehepaa-
lich prüfen sollten, lautet daher vielmehr: re zu beschränken. Entsprechend forderte es,
Würde die Zulassung eines bestimmten repro- alleinstehende Frauen und lesbische Paare
duktionsmedizinischen Verfahrens nachweis- mit Kinderwunsch gleichfalls zu behandeln.
lich eine Schädigung Dritter beinhalten und Darüber hinaus schlug es vor, neben der be-
somit überhaupt die unerlässliche Vorausset- reits seit vielen Jahren praktizierten Eizell-
zung für eine strafrechtliche Sanktionierung spende und Leihmutterschaft auch die vorge-
erfüllen? burtliche Geschlechtswahl zuzulassen (siehe
In Kanada meinte die Royal Commission Kasten S. 119).
on New Reproductive Technologies, die Ge- In einer freien Gesellschaft müssen wir da-
setze eines demokratischen Staates sollten die mit leben, dass Menschen vieles tun, mit dem
Werte seiner Bürger widerspiegeln. Das ist ge- wir nicht einverstanden sind. Wir mögen ihre
Dr. Edgar Dahl wiss schön formuliert, setzt aber voraus, dass Entscheidungen missbilligen und – vorausge-
ist Wissenschaft- ein Staat tatsächlich auf gemeinsamen Werten setzt, sie sind bereit zuzuhören – mit ihnen
licher Mitarbeiter beruht. Pluralistische Gesellschaften sind je- darüber reden; doch solange sie mit dem, was
am Zentrum für
Gynäkologie der
doch – per Definition – Gesellschaften mit sie tun, anderen keinen Schaden zufügen, ha-
Justus-Liebig-Uni- unterschiedlichen Werten. Daher läuft das Be- ben wir kein Recht, sie mit Gewalt daran zu
versität Gießen. Er mühen, Gesetze auf gemeinsame Werte grün- hindern, und zwar selbst dann nicht, wenn
hat gerade ein vom Bundesmini- den zu wollen, in aller Regel wieder nur da- dies zum Wohle der Gesellschaft oder gar zu
sterium für Bildung und Forschung rauf hinaus, dass der Staat es einer Mehrheit ihrem eigenen Besten wäre. Heiße ich es gut,
A U T O R U N D L I T E R AT U R H I N W E I S E
JEAN-FRANÇOIS PODEVIN
In gigantischen Teilchenbeschleunigern wiederholen
Physiker den Urzustand der Materie. Dieses Quark-Gluon-
Medium verhält sich ganz anders als gedacht
Verhaltensbiologen ergründen
die Geheimnisse der menschlichen
Attraktivität
PAT RAWLINGS / SAIC
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