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Dr.

Marc-Pierre Möll (Berlin)


Ist Aufklärung totalitär?
Zur „Dialektik der Aufklärung“ von Horkheimer und Adorno

Um das totalitäre Erbe der Aufklärung, dem Ziel und den Folgen der Aufklärung
mithin das Umschlagen der bürgerlichen gedanklich näher zu kommen, versuchen
und sozialistischen Aufklärung in den Horkheimer und Adorno zu zeigen, daß
nackten Terror des faschistischen und sta- das dialektische Verhältnis von Fortschritt
linistischen Totalitarismus zu verstehen, und Repression deshalb keine emanzipa-
bedarf es nach Max Horkheimer und torische Aussicht gewähren kann, weil es
Theodor W. Adorno eines ganz neuen in der menschlichen Subjektivität selbst
theoretischen Ansatzes, der aufklärungs- gründet. Schon indem der Mensch Ver-
kritisch über die marxistischen, bürgerli- nunft annimmt, Subjekt wird und Identi-
chen und psychoanalytischen Kategorien tät gewinnt, entzweit er sich von seiner
hinausgelangt, ohne deren emanzipatori- Natur und tritt sich selbst beherrschend
sche Kraft im Sumpf anti-aufklärerischer gegenüber. Horkheimer und Adorno kon-
Zivilisationskritik zu verlieren und reak- statieren eine urgeschichtliche, dialekti-
tionäre Blüten zu treiben. Horkheimer und sche Verbundenheit von Vernunft im Sin-
Adorno geht es darum, Marx anhand von ne „aufklärenden Denkens“ und Herr-
Kant und Nietzsche erkenntniskritisch und schaft und dem Willen zur Selbsterhal-
zugleich Kant anhand von Marx und Freud tung. Weil mithin schon der Begriff des
materialistisch zu lesen, um dergestalt an aufklärenden Denkens, nicht weniger als
der metageschichtlichen Bewegung der die historischen Formen und gesellschaft-
Aufklärung selbst jenes verborgene Mo- lichen Institutionen, in die es verflochten
ment zu benennen, in dem sich praktisch ist, den Keim zur totalitären Ordnung ent-
die Möglichkeit des Totalitarismus ankün- hält, muß die Totalitarismuskritik die
digt. vernunftkritische Reflexion über den Be-
griff der Aufklärung in sich aufnehmen.
Sowohl Kant als auch Marx vermochten Horkheimer und Adorno geht es also um
noch in der tradierten gesellschaftlichen eine Aufklärung der Aufklärung: „An ihr
Konstellation der wie auch immer näher ist die Anstrengung, über den Begriff
definierten „selbstverschuldeten Unmün- durch den Begriff hinauszugelangen.“2
digkeit“ ein emanzipatorisches Potential
zu erblicken. Angesichts der Totalitaris- Aufklärendes Denken meint identifizie-
men des 20. Jahrhunderts erscheint diese rendes Denken, das durch das Zusammen-
Hoffnung nur als fröhliche Naivität, denn: wirken von formaler und instrumenteller
„Seit je hat Aufklärung im umfassendsten Rationalität im begrifflichen Denken auf
Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel die Kontrolle und Beeinflussung natürli-
verfolgt, von den Menschen die Furcht zu cher und sozialer Prozesse abzielt und in
nehmen und sie als Herren einzusetzen. letzter Konsequenz totalitär ist. „Aufklä-
Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt rung ist totalitär.“3 Dies ist die hier rele-
im Zeichen triumphalen Unheils.“1 Um vante, zentrale These von Horkheimer und
dieser unheilvollen Diskrepanz zwischen Adorno, die es zunächst zu entfalten gilt4 ,

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bevor ihre gesellschaftskritische Perspek- nicht fügt, Unauflöslichkeit und Irratio-
tive freigelegt werden kann. nalität, wird von nomologischen Theore-
men umstellt und der Unwirklichkeit Preis
Formale Rationalität ist ein Vermögen, gegeben. „Kein Sein ist in der Welt, das
allgemeinste Beziehungen innerhalb einer Wissenschaft nicht durchdringen könnte,
definierten Ordnung mittels der Subsump- aber was von Wissenschaft durchdrungen
tion unter Prinzipien herzustellen. Als Idee werden kann, ist nicht das Sein.“7 Auf-
systematischer Einheit äußert sie sich bloß klärung schneidet vielmehr das Inkom-
formal und nicht als inhaltliche Zielset- mensurable weg. Der Zauber der Welt
zung. Sie entspringt den Grundbedingun- entschwindet dem Denken. Zusammen
gen des begrifflichen Denkens, das in al- mit der lebendigen Natur wird selbst der
len Kulturen auf dem Satz vom Wider- Mensch – jenseits jenes weltlosen Punk-
spruch beruht, und nötigt die Vernunft zur tes des „cogito“, den die Aufklärung seit
konsistenzstiftenden Systematisierung Descartes kennt – zum Gegenstand der
und widerspruchsfreien Vereinheitlichung Erfahrung und „schrumpft zum Knoten-
des Erkennens und Handelns, so daß von punkt konventioneller Reaktionen und
Anbeginn an der Mensch mit dem Ge- Funktionsweisen zusammen, die sachlich
brauch von Sprache in formierten Welt- von ihm erwartet werden. Der Animismus
zusammenhängen steht.5 Horkheimer und hatte die Sachen beseelt, der Industrialis-
Adorno verbinden damit zugleich eine mus versachlicht die Seelen.“8
verdinglichende Härte der Vernunft. In
ihrer Marx und Lukács gegenüber tiefer Die Verdinglichung macht den Zusam-
ansetzenden Analyse erklären sie das Zu- menhang zwischen formaler und instru-
sammenwirken von formaler und instru- menteller Rationalität deutlich. Weil das
menteller Rationalität jedoch nicht aus der Denken die lebendige Natur mittels nomo-
oberflächlichen Struktur des Warentau- logischer Relationen objektiviert, wird die
sches in der kapitalistischen Gesellschaft, Welt verfügbar, beherrschbar. In diesem
sondern durch die Kritik der „Kritik der technischen Sinn bedeutet Wissen Macht,
reinen Vernunft“. In kritischer Wendung die der Selbsterhaltung des Menschen
Kants vermerken Horkheimer und Ador- dient. Die Vernunft wird zu einem Instru-
no: „Naturbeherrschung zieht den Kreis, ment, das alle Lebensbereiche zweck-
in den Kritik der reinen Vernunft das Den- rational durchdringt, ordnet und kontrol-
ken bannte.“6 Indem Kant die Anschau- liert. Das zeigt sich in der Bemächtigung
ungsformen Raum und Zeit sowie die der Natur ebenso wie in der Rationalisie-
Verstandesformen der Kategorien, vor al- rung von Handlungssystemen (Ökonomi-
lem Substantialität und Kausalität, zur sierung, Bürokratisierung etc.) oder in der
maßgeblichen Erkenntnisform erklärt, Psychologisierung der Seelen. Da durch
bestimmt er die Wirklichkeit als Inbegriff die formale Rationalität die lebendige
möglicher Gegenstände der Erfahrung, so Natur verdinglicht und als tote Natur zum
daß Erkenntnis stets naturwissenschaftli- Paradigma von Wirklichkeit wird, bedeu-
che Erkenntnis meint. Was sich der na- tet die Selbstermächtigung und Selbster-
turwissenschaftlichen, mithin quantifizie- haltung des Menschen mittels der instru-
rend-kausal-funktionalen Erkenntnisform mentellen Rationalität die Angleichung

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der menschlichen Natur an die anorgani- che „Prinzip der Immanenz“ wie der My-
sche Natur. Mit dieser „Transformation ins thos selbst.13 Die fortschreitende Entzau-
Tote“ reduziert sich die menschliche Wirk- berung der Welt ist somit zugleich ihre
lichkeit auf einen bloßen Funktions- mimetische Verzauberung. „Die Ratio,
zusammenhang. „Damit schlägt Aufklä- welche die Mimesis verdrängt, ist nicht
rung in die Mythologie zurück, der sie nie bloß deren Gegenteil. Sie ist selber Mi-
zu entrinnen wußte.“9 mesis: die ans Tote. Der subjektive Geist,
der die Beseelung der Natur auflöst, be-
So wie der Mythos schon Aufklärung im wältigt die entseelte nur, indem er ihre
Sinne einer systematisierenden Erkennt- Starrheit imitiert und als animistisch sich
nis vollzog, verstrickt sich Aufklärung zu- selber auflöst. Nachahmung tritt in den
nehmend tiefer in Mythologie.10 Nach Dienst der Herrschaft, indem noch der
Horkheimer und Adorno ist die „Welt als Mensch vorm Menschen zum Anthropo-
gigantisches analytisches Urteil ... vom morphismus wird.“14
gleichen Schlag wie der kosmische My-
thos, der den Wechsel von Frühling und Diese Dialektik der Ent- und Verzaube-
Herbst an den Raub Persephones knüpf- rung der Welt durch die Aufklärung ver-
te.“11 Mythisches und aufklärendes Den- stehen Horkheimer und Adorno durchaus
ken haben einen gleichartigen Zugriff auf als einen kulturgeschichtlichen Prozeß,
die Wirklichkeit. Beide Denkweisen neh- dem ganz konkret das Bewußtsein und
men das jeweils gegenwärtig Neue als im Selbstverständnis der Menschen als auch
Grunde schon Bekanntes wahr und redu- das Geflecht ihrer sozialen Beziehungen
zieren es achtlos auf das Immergleiche, unterworfen sind. „Je weiter aber der Pro-
sei es als Wiederholung archetypischer zeß der Selbsterhaltung durch bürgerliche
Vorgänge wie im Mythos oder als natur- Arbeitsteilung geleistet wird, um so mehr
gesetzlich determiniertes Ereignis wie in erzwingt er die Selbstentäußerung der
der Aufklärung. „Die Subsumtion des Individuen, die sich an Leib und Seele
Tatsächlichen, sei es unter die sagenhafte nach der technischen Apparatur zu for-
Vorgeschichte, sei es unter den mathema- men haben.“15 In einer Gesellschaftsord-
tischen Formalismus, die symbolische Be- nung, in der die letzte Erinnerung an Sub-
ziehung des Gegenwärtigen auf den my- jektivität zum störenden Moment wird und
thischen Vorgang im Ritus oder auf die sich zur Logik verflüchtigt, nimmt die in-
abstrakte Kategorie in der Wissenschaft strumentelle Rationalität die Form selbst-
läßt das Neue als Vorbestimmtes erschei- tätiger Ordnungsmechanismen an. Sogar
nen, das somit in Wahrheit das Alte ist. die Humanisierung des bürgerlichen Straf-
Ohne Hoffnung ist nicht das Dasein son- vollzugs, der nicht länger den Körper be-
dern das Wissen, das im bildhaften oder straft, sondern die Seele normiert, präfor-
mathematischen Symbol das Dasein als miert die totalitäre Ordnung. „Wie nach
Schema sich zu eigen macht und per- Tocqueville die bürgerlichen Republiken
petuiert.“12 Indem die Aufklärung entge- im Gegensatz zu den Monarchien nicht
gen der animistischen und anthropomor- den Körper vergewaltigen, sondern direkt
phen Naturdeutung jedes Geschehen als auf die Seele losgehen, so greifen die Stra-
Wiederholung erklärt, vertritt sie das glei- fen dieser Ordnung die Seele an. Ihre Ge-

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marterten sterben nicht mehr aufs Rad ist der Begriff das ideelle Werkzeug, das
geflochten die langen Tage und Nächte in die Stelle an allen Dingen paßt, wo man
hindurch, sondern verenden geistig, als sie packen kann.“17
unsichtbares Beispiel still in den großen
Gefängnisbauten, die von den Irrenhäu- In der alles beseelten Vorzeit magischer
sern fast nur der Name trennt.“16 Mit die- Erkenntnisform lebten die Menschen in
sem Diktum berühren Horkheimer und einer ganzheitlichen Seinsweise. Es be-
Adorno Analysen Michel Foucaults. Wäh- stand eine ursprüngliche Einheit von Na-
rend Foucault jedoch einer Genealogie des tur, Begehren, Wollen, Handeln sowie von
modernen Individuums als Disziplinarpro- Sinn- und Weltverständnis. Die Welt wur-
zeß von Subjektivierung nachspürt, ver- de durch einheitlich geglaubte und ritu-
binden Horkheimer und Adorno ihre Ana- alisierte Symbole unmittelbar erfahren.
lyse des kulturgeschichtlichen Verdingli- Das Individuelle blieb im Namenlosen
chungsprozesses mit den metageschicht- verborgen, nicht ansprechbar und insofern
lichen Bedingungen des begrifflichen auch anspruchslos. Es war eingebettet in
Denkens. das Kontinuum holistischer Seinsgewiß-
heit. Erst durch das begriffliche Denken
Denken heißt identifizieren, doch in der wurde diese ganzheitliche Seinsweise auf-
Welt gibt es nichts, was identisch wäre. gebrochen. Indem Dinge begriffen, fest-
Indem Horkheimer und Adorno den gestellt und bezeichnet werden, erhalten
Wahrheitsanspruch des begrifflichen Den- sie eine individuelle Bedeutung, einen in-
kens als Schein negieren, greifen sie zu- dividuellen Sinn. Die Folge dieser begriff-
nächst auf Nietzsche zurück, der die „lo- lichen Trennung ist die mittelbare Erfas-
gische Wahrheit“ des begrifflichen Den- sung der Ordnung der Dinge. Zeichen
kens als Fälschung bzw. bloße Bemächti- (Begriffe, Namen) sind das Mittel, um die
gung der Wirklichkeit deklariert, weil sie Welt zu erfassen. Da sie jeweils eine spe-
die Satzung, daß es in der Wirklichkeit zifische Bedeutung, einen eigenen Sinn
identische Fälle gäbe, zur Bedingung hat. haben, müssen sie interpretiert bzw. ge-
Ohne daß wir imstande wären, die „wah- wußt werden. Mit der anhebenden Unge-
re Welt“ zu fixieren, fingieren wir mit dem wißheit, ob tatsächlich stets die richtige
begrifflichen Denken nur eine Welt, die Bedeutung, der eigentliche Sinn der zu
für uns berechenbar, vereinfacht und ver- wissenden Zeichen erfaßt ist, öffnet sich
ständlich ist. Begriffliches Denken ist ein das Problemfeld der Wahrheit und Sinn-
Instrument mit dem der Mensch sich der haftigkeit. D.h. Wahrheit und Sinnhaftig-
Welt zugleich entfremdet und bemächtigt. keit müssen fortan gesucht werden, da sie
„Die Menschen distanzieren denkend sich nicht mehr unmittelbar gegenwärtig, son-
von der Natur, um sie so vor sich hinzu- dern nur noch mittelbar durch das begriff-
stellen, wie sie zu beherrschen ist. Gleich liche Denken zu erlangen sind. „Befrie-
dem Ding, dem materiellen Werkzeug, das digt schiebt begriffliche Ordnung sich vor
in verschiedenen Situationen als dasselbe das, was Denken begreifen will.“18
festgehalten wird und so die Welt als das
Chaotische, Vielseitige, Disparate vom In der Zeit spekulativer Erkenntnisform
Bekannten, Einen, Identischen scheidet, suchten die Menschen Seinsgewißheit

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durch metaphysisch-ontologische Offen- eine als feindlich empfundene Natur zum
barungsmodelle. Die Aneignung von ge- Zweck ihrer Beherrschung sucht, ist der
wußtem Wissen erfolgte zunächst ohne Mythos schon Aufklärung, so wie die
pragmatische Zweckmäßigkeit, d.h. es Aufklärung in Mythologie zurückschlägt,
wurde primär nicht gefragt, wie die Din- weil das begriffliche Denken und mit ihm
ge sind, sondern warum sie sind. Es wur- die gesamte Aufklärung ganz bewußt im
de nach dem Grund des Wissens gefragt Zeichen der Naturbeherrschung steht. In
und danach, was dem Menschen die Ge- Anlehnung an Marx gehen Horkheimer
wißheit gibt, daß dieses Wissen wahr und und Adorno davon aus, daß diese dialek-
nicht falsch ist. Die transzendente Welt des tische Entwicklung der Erkenntnisformen
Seins wurde zur metaphysischen Grund- mit einer fortschreitenden Unterwerfung
lage der immanenten Welt des Seienden der Natur durch Arbeit korrespondiert.
erklärt, so daß der Glaube bzw. die onto- Indem Horkheimer und Adorno hierin
logische Reflexion die Gewißheit des Wis- zwar nicht länger einen Beweis für die
sens begründete. Dies änderte sich jedoch Wahrheit des objektivierenden Denkens,
mit der subjektphilosophischen Erkennt- wohl aber für den ideologischen Charak-
niskritik und der pragmatischen Ausrich- ter der instrumentellen Vernunft sehen,
tung der rationalen Erkenntnisform, in halten sie mit Marx und gegen Nietzsche
deren Folge der Grund für die Gewißheit an einem emphatischen Begriff der Wahr-
des Wissens von außerhalb nach innerhalb heit fest, der aber gewissermaßen außer-
des Menschen verlagert und die metaphy- halb des begrifflichen Denkens gedacht
sische Frage mit empirischer Konsequenz werden muß, um im Medium des Begriffs
ausgeklammert wurde. Mit dem Sturz der über den Begriff hinauszugelangen.
Metaphysik wird jedoch lediglich „das
bloße Dasein als der Sinn ausgesprochen, Nach der an Kant und Nietzsche orien-
den es versperrt“, so daß am Ende der tierten, erkenntniskritischen Lesart Marx’
vollens aufgeklärten Welt der ganze An- ist nunmehr der Ausgangspunkt für die
spruch der Erkenntnis der Sinnlosigkeit an Marx und Freud orientierte, materiali-
preisgegeben wird.19 stische Lesart Kants freigelegt. Weil der
Mensch ein Teil der Natur ist, erscheint
Nach Horkheimer und Adorno entfaltet Horkheimer und Adorno das transzenden-
sich der kulturgeschichtliche Verdingli- tale Subjekt Kants lediglich als „der welt-
chungsprozeß dialektisch von der – grob lose Schatten, den die realen Menschen
gesprochen – magischen über die speku- auf eine Philosophie werfen, welche sie
lative zur rationalen Erkenntnisform.20 als wirkliche Subjekte aus Fleisch und
Diese dialektischen Schritte sind Resultat Blut nicht mehr zu denken vermag.“21 Mit
der Sinnfragen, die sich aus den Verlu- Freud nehmen Horkheimer und Adorno
sten der ganzheitlichen Seinsweise erge- an, daß der Mensch zunächst nicht den
ben, die sich wiederum ihrerseits aus den logischen Denkgesetzen unterworfen ist,
metageschichtlichen Bedingungen des sondern im Soma gegensätzliche Regun-
begrifflichen Denkens herleiten. Weil aber gen nebeneinander bestehen.22 Die An-
der Mensch bereits in den magischen Ri- schauungsformen Raum und Zeit sind
tualen eine unbewußte Angleichung an demnach keine unbedingten Formen. Sie

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werden vielmehr eingesetzt mit der Aus- Subjektivität. Odysseus vermag die äußere
prägung eines einheitlichen Ich, das als Natur zu beherrschen, indem er seiner in-
Subjekt, welches sich selbst bewußt ist neren Natur entsagt. Doch durch jede Ent-
und auf seiner Identität in Abgrenzung sagung, obwohl sie dem Erhalt des eige-
gegenüber dem Anderen beharrt, die Vor- nen Lebens dient, verliert der Mensch
aussetzung für das „cogito“ und den mehr vom Leben als ihm zurückerstattet
Konsistenzzwang des begrifflichen Den- wird. Ein stetes Unbehagen bleibt zurück.
kens ist. So wie aber das begriffliche Den- Die Lockungen anarchischer Sinnlichkeit
ken Instrument der Naturbeherrschung ist, drängen gegen die Grenzen des Ich und
so entspringt die Ausprägung eines ein- fordern es zum Wiedereintritt in den Strom
heitlichen Ich dem Willen zur Selbsterhal- naturhafter Substantialität auf. Aber
tung, mithin zur Erhaltung dessen, was die Selbstbeherrschung und zivilisatorische
naturhafte Grundlage des Selbst ist, näm- Tabus gebieten dem Selbst Einhalt, sich
lich das eigene Leben. Das Selbst ist Mit- nicht im Rausch, in der Ekstase oder im
tel zur Erhaltung des Selbst. In dieser Wahnsinn zu verlieren. Das Selbst hat
Funktion der Selbsterhaltung liegt jedoch Vernunft angenommen und gelernt, den
zugleich ein „Opfer des Selbst“ begrün- Mächten der Auflösung zu widerstehen.
det, weil die Selbsterhaltung mit der „Furchtbares hat die Menschheit sich an-
Selbstbeherrschung, d.h. mit der Unter- tun müssen, bis das Selbst, der identische,
drückung der inneren Natur des Men- zweckgerichtete, männliche Charakter des
schen, amortisiert wird. Insofern die wi- Menschen geschaffen war, und etwas da-
dersprüchlichen triebdynamischen Impul- von wird noch in jeder Kindheit wieder-
se des Körpers jene lebendige Substanz holt. Die Anstrengung, das Ich zusammen-
des Menschen beschließen, die im Augen- zuhalten, haftet dem Ich auf allen Stufen
blick der Gegenwart auf unkontrollierte an, und stets war die Lockung, es zu ver-
Lust und Befriedigung drängen, durch- lieren, mit der blinden Entschlossenheit zu
schneidet die Konstitution des Selbst ge- seiner Erhaltung gepaart. Der narkotische
nau diesen ursprünglichen Zusammen- Rausch, der für die Euphorie, in der das
hang mit der Natur. „Die Herrschaft des Selbst suspendiert ist, mit todähnlichem
Menschen über sich selbst, die sein Selbst Schlaf büßen läßt, ist eine der ältesten
begründet, ist virtuell allemal die Vernich- gesellschaftlichen Veranstaltungen, die
tung des Subjekts, in dessen Dienst sie zwischen Selbsterhaltung und -vernich-
geschieht, denn die beherrschte, unter- tung vermitteln, ein Versuch des Selbst,
drückte und durch Selbsterhaltung aufge- sich selber zu überleben. Die Angst, das
löste Substanz ist gar nichts anderes als Selbst zu verlieren und mit dem Selbst die
das Lebendige, als dessen Funktion die Grenze zwischen sich und anderem Le-
Leistung der Selbsterhaltung einzig sich ben aufzuheben, die Scheu vor Tod und
bestimmen, eigentlich gerade das, was Destruktion, ist einem Glücksversprechen
erhalten werden soll.“23 verschwistert, von dem in jedem Augen-
blick die Zivilisation bedroht war.“24
Die Geschichte der Zivilisation ist die
symbolisch mit Odysseus beginnende Ge- Die Herrschaft über eine verdinglichte
schichte der Transformation des Opfers in äußere und reprimierte innere Natur ist die

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Erscheinungsform der Aufklärung. Indem fällt, durch eine Selbstvereinigung aufzu-
aber die Natur desozialisiert und das So- heben, aber gewaltvoll scheitern, weil sie
ziale denaturalisiert wird, spaltet sich das im begrifflichen Denken verharren.27
Leben in den subjektiven Geist und sei-
nen objektiven Gegenstand. Da das Selbst An diesem Punkt angelangt, stellt sich die
der Selbstentzweiung der Natur entspringt, Frage, wie ist überhaupt eine humane
bleibt es zwar ein Stück vergeistigter Na- Emanzipation des Menschen denkbar,
tur, dennoch ist sich das Selbst nicht län- wenn Repression schon im begrifflichen
ger als Natur bewußt. Vielmehr hat der Denken angelegt ist? Horkheimer und
Geist seine ursprüngliche Naturhaftigkeit Adorno sind keine Irrationalisten, sondern
vergessen, womit zugleich die Aufklärung halten trotz allem am Projekt der Aufklä-
ihr eigentliches Ziel, die Emanzipation des rung fest. Gleichheit, Brüderlichkeit und
Menschen, verliert und die zivilisatorische Freiheit sind nur mit der Passage der
Rationalität in mythischer Irrationalität Selbstkonstitution des Menschen, mithin
fortwuchert. Es liegt in der Dialektik der nur als Resultat der Aufklärung denkbar.
Aufklärung, daß jeder Versuch, dem Gleichwohl bedarf es einer mit sich ver-
Zwang der äußeren durch die Unterdrük- söhnten und über sich selbst aufgeklärten
kung der inneren Natur zu entgehen, nur Aufklärung, die die Selbstentzweiung der
um so tiefer in die Barbarei des Natur- Natur im Subjekt aufhebt. Das „Einge-
zwangs hineingerät, so daß schließlich denken der Natur im Subjekt“ kann je-
auch die vom Totalitarismus zelebrierte doch nur dann eine gewaltlose, anti-
„Inthronisierung des Mittels als Zweck“ totalitäre Einheit des Mannigfaltigen sein,
schon in der „Urgeschichte der Subjekti- wenn sie in einer Selbstüberschreitung des
vität“ faßbar ist.25 begrifflichen Denkens vollzogen wird.
Wie aber ist diese Utopie einer „opferlosen
Totalitarismen lassen sich mit Horkheimer Subjektivität“ zu denken?
und Adorno demnach als emanzipatori-
sche Versuche einer resubstantialisierten In der „Negativen Dialektik“ und „Ästhe-
Sinnstiftung fassen, die durch die ver- tischen Theorie“, die in einem komple-
dinglichende Härte des begrifflichen Den- mentären Verhältnis stehen28 , geht Adorno
kens eine bloß ausgrenzende, haßerfüllte genau dieser Frage nach und kommt zu
Lust freigeben und dadurch inhuman, ge- dem Befund, daß ein „mimetisches Mo-
mein und verstümmelt bleiben.26 Oder ment“ in das begriffliche Denken zu inte-
anders formuliert: Totalitarismen sind un- grieren ist, um es aus seiner Irrationalität
bewußte Versuche, die unbehagliche Re- zu erlösen. Dabei meint Mimesis, will sie
sonanz des subjektphilosophisch orientier- lebendig sein und nicht ins Tote transfor-
ten Bewußtseins, wonach der Mensch als mieren, nicht bloße Nachahmung des Vor-
empirisches Subjekt Teil jener Welt ist, die gefundenen, sondern kreative Nachschöp-
er als transzendentales Subjekt allererst fung realer oder möglicher Vorgänge,
konstituiert, und dadurch selbstentzweit Handlungen und Gegenstände nach den
der Naturvergessenheit oder – um mit Gesetzen von Anschaulichkeit, Wahr-
Martin Heidegger zu sprechen – „Seins- scheinlichkeit und Glaubhaftigkeit. D.h.
vergessenheit“ bzw. „Weltlosigkeit“ ver- Mimesis fordert die Verarbeitung der

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Wirklichkeit durch Nachahmung von er- länglichkeit die Idee einer negativen Dia-
fundener Wirklichkeitsnähe mitsamt ihrer lektik begründet, die der Metaphysik die
Übersteigerung aus produktiver Phanta- Treue hält. „Die kleinsten innerweltlichen
sie. Ihr Ort ist die Kunst, vor allem Musik Züge hätten Relevanz fürs Absolute, denn
und Literatur. Kunst ist vergeistigte Mi- der mikrologische Blick zertrümmert die
mesis. In der Kunst verschränken sich Schalen des nach dem Maß des subsumie-
Rationalität und Mimesis, versöhnen sich renden Oberbegriffs hilflos Vereinzelten
Anschauung und Begriff, kommen Wahr- und sprengt seine Identität, den Trug, es
heit und Utopie gewaltlos zusammen. Das wäre bloß Exemplar. Solches Denken ist
Medium der Kunst vermag die Kruste der solidarisch mit Metaphysik im Augenblick
Verdinglichung zu durchbrechen. Ihr kann ihres Sturzes.“30
die Erkenntnis zufallen, die angesichts der
Adorno steigert das Eingedenken der Na-
Verzweiflung einzig noch zu verantwor-
tur im Subjekt zur messianischen Hoff-
ten ist. In ihrer nicht formalen, aber in-
nung einer erlösten Natur jenseits des be-
haltlichen Affinität zur Kunst, denn bei-
grifflichen Denkens. Zugleich hält er an
de haben dasselbe Ziel, wäre es an der
der materialistischen Geschichtshoffnung
Philosophie, „alle Dinge so zu betrachten,
fest, indem er die Grenzen möglicher Er-
wie sie vom Standpunkt der Erlösung sich
fahrung als geschichtlich geworden und
darstellten. Erkenntnis hat kein Licht, als
somit weiterhin veränderbar denkt. D.h.
das von der Erlösung her auf die Welt
wir vermögen nicht zu wissen, was ein-
scheint: alles andere erschöpft sich in der
mal mögliche Erfahrung sein könnte.31
Nachkonstruktion und bleibt ein Stück
Weil folglich die Entfaltung des Bewußt-
Technik. Perspektiven müßten hergestellt
seins als der Kulturgeschichte unterwor-
werden, in denen die Welt ähnlich sich
fen gedacht werden muß, kann die ver-
versetzt, verfremdet, ihre Risse und
nunftkritische Reflexion über den Begriff
Schründe offenbart, wie sie einmal als
der Aufklärung nur noch als Kritik der
bedürftig und entstellt im messianischen
historischen Wirklichkeit im Ganzen, als
Lichte daliegen wird. Ohne Willkür und
Kritik der mißlungenen Zivilisation for-
Gewalt, ganz aus der Fühlung mit den
muliert werden. Doch im Falschen gibt es
Gegenständen heraus solche Perspektiven
kein richtiges Handeln. Selbst der klein-
zu gewinnen, darauf allein kommt es dem
ste utopische Fluchtpunkt wird noch ver-
Denken an.“29
stellt, und zwar durch den Massenbetrug
der Kulturindustrie.
Adorno denkt die Selbstüberschreitung
des begrifflichen Denkens in der Katego- Der Versuch, die gesellschaftlichen Vor-
rie der Erlösung, die allein unter den gänge der Kulturindustrie im 20. Jahrhun-
Trümmern der Metaphysik die Idee der dert in ihrer Unmittelbarkeit zu erfassen,
Versöhnung alles Lebendigen bewahrt. offenbart Horkheimer und Adorno nichts
Weil Sprache das von den Begriffen Un- anderes als die Totalität der Verdingli-
terdrückte, Mißachtete und Weggeworfe- chung, womit nunmehr zugleich eine
ne nur bedingt aufzutun vermag und der gesellschaftskritische Perspektive freige-
Musik eine dunkle Unmittelbarkeit anhaf- legt wird. Im Zeitalter der technischen
tet, liegt in ihrer komplementären Unzu- Reproduzierbarkeit des Kunstwerks sowie

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der kollektiven Simultanrezeption vor al- Zwar bleibt die formale Freiheit, sich nicht
lem durch Radio und Fernsehen degene- für die eigenen Gedanken verantworten zu
riert das Erlösungsversprechen der Kunst müssen, gleichwohl korrelliert der erarbei-
zur mechanischen Wiederholung des Kon- tete Lebensstandard ziemlich genau mit
sums.32 Die Kulturindustrie läßt der Phan- der inneren Gesinnung, die das Gesell-
tasie keinen Raum, in dem sie abschwei- schaftssystem trägt. „Solche seelische
fen könnte, ohne den vorgegebenen Rah- Winterhilfe wirft ihren versöhnlichen
men – etwa eines Films, einer Reklame Schatten auf die Seh- und Hörstreifen der
oder eines populären Schlagers – zu ver- Kulturindustrie, längst ehe jene aus der
lassen. Sie zwingt den Verbraucher, sich Fabrik totalitär auf die Gesellschaft über-
mit der produzierten Wirklichkeit unmit- greift.“34 Das Leben wird zum Initiations-
telbar zu identifizieren. Indem dergestalt ritus, zur Demonstration der Dazugehörig-
die Vorstellungskraft und Spontaneität keit, zur Identifikation mit der Macht. Und
verkümmern, können permanent neue wo, wie in der besitzindividualistischen
Glücksversprechen geweckt werden, ohne Gesellschaft, Individualität zur Norm ge-
daß die alten befriedigt worden sind. Das hört, erstarrt selbst Improvisation und
erzeugte Bedürfnis nach Amüsement wird Originalität zur bloßen Pseudoindividua-
bis zur Attraktion und Sensation gestei- lität. Derjenige aber, der nicht systemkon-
gert, um dennoch bloß zur Langeweile zu form geht, wird ökonomisch zum Außen-
erstarren, denn, um vergnüglich zu blei- seiter gestempelt, der sozialen Unzuläng-
ben, darf es keiner Anstrengung bedür- lichkeit überführt und als Individuum li-
fen, die sich der eingeübten, stereotypen quidiert. Die Integration des Widerstands-
Assoziationen entfernt. Fetzen des Un- losen, der seine Renitenz hinunterwürgt,
sinns werden zu schwachsinnigen Hand- ist ein Leib und Seele beanspruchender
lungen zusammengeflickt und sexuell und insofern totalitärer Neoplasma.35
exhibitioniert. Die Serienproduktion des
Sexuellen, sei es der Busen im nassen Shirt Die „Totalität der Kulturindustrie“ liegt in
oder der Oberkörper des sportlichen Hel- der Reduktion noch des zur Kontemplati-
den, ist die stilisierte Verdrängung unsub- on neutralisierten Glücksversprechens der
limierter Lust. „Fun ist ein Stahlbad.“ Es Kunst zur vergnügten Affirmation jegli-
zwingt, und dies ist sein Sinn, zur Apolo- cher Verdinglichung.36 „Glück aber ent-
gie des gesellschaftlichen Verdingli- hält Wahrheit in sich.“37 Deshalb will Er-
chungsprozesses. „Vergnügtsein heißt ein- kenntnis Utopie und zwar, wie es scheint,
verstanden sein“, heißt: „nicht daran den- eine hedonistische Utopie, die der inten-
ken müssen, das Leiden vergessen, noch tionslosen, blinden, somatischen Lust
wo es gezeigt wird. Ohnmacht liegt ihm folgt, ohne durch infantile Regression er-
zu Grunde. Es ist in der Tat Flucht, aber kauft zu sein. Damit scheint das dialekti-
nicht, wie es behauptet, Flucht vor der sche Denken zugleich in einer aporeti-
schlechten Realität, sondern vor dem letz- schen Grundkonstellation verstrickt zu
ten Gedanken an Widerstand, den jene sein, denn die Aufhebung der verding-
noch übriggelassen hat. Die Befreiung, die lichenden Vernunft durch das versöhnen-
Amüsement verspricht, ist die von Den- de Andere entschwindet der Vernunft
ken als von Negation.“33 selbst. Gleichwohl verfallen Horkheimer

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und Adorno nicht dem illusionsvollen Sog sche, aber sehr wohl philosophische Hoff-
eines utopischen Hedonismus, der zu ei- nung auf Erlösung, auf eine vertraute Welt
ner faszinierenden Synthese von Sinnlich- divergierender Ansprüche und humaner
keit und Vernunft, von „Eros and Civili- Emanzipation.
zation“ berechtigt. Im Unterschied zu Her-
bert Marcuse halten Horkheimer und Anmerkungen:
Adorno weiterhin an einer Dialektik als 1
Horkheimer, Max / Adorno, Theodor W.: Dia-
„Organon des Denkens“ fest.38 Weil sie lektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente
aber sprachphilosophisch bei einem sinn- (1944), Frankfurt a.M. 1993, S. 9.
2
konstitutiven Begriff des Begriffs blei- Adorno, Theodor W.: Negative Dialektik
ben, der eine Intention noch hinter der (1966), Frankfurt a.M. 1973, S. 27.
3
Sprache vermutet und deshalb wirklich- Horkheimer, Max / Adorno, Theodor W.: Dia-
keitsbemächtigend und insofern gewalt- lektik der Aufklärung, a.a.O., S. 12.
4
tätig sein muß, ist ihnen der Gedanke ei- Im folgenden vgl. vor allem Wellmer, Albrecht:
ner lebensweltlichen, kommunikativen Adorno, Anwalt des Nicht-Identischen, in: Ders.:
Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne.
Praxis der aufgeklärten Moderne ebenso
Vernunftkritik nach Adorno, Frankfurt a.M.
fern wie das antitotalitäre Zusammenspiel
1985, S. 135-166 (S. 142 ff.).
pluraler Rationalitäten in der Postmoder- 5
Vgl. Horkheimer, Max / Adorno, Theodor W.:
ne.39 So nivellierend sich die Kritik des
Dialektik der Aufklärung, a.a.O., S. 88 f.
begrifflichen Denkens ausnehmen mag – 6
Ebd., S. 32.
denn von den moralischen, rechtlichen 7
Ebd.
und institutionellen Leistungen der Ver- 8
Ebd., S. 34.
fassungsstaaten wird in kühner Einseitig- 9
Ebd., S. 33.
keit abstrahiert – , mit der „Dialektik der 10
Vgl. ebd., S. 18.
Aufklärung“ hat die Totalitarismustheorie 11
Ebd., S. 33.
an analytischer Tiefe gewonnen. Indem 12
Ebd., S. 34.
Horkheimer und Adorno die Aufklärung 13
Vgl. ebd., S. 18.
vernunftkritisch gegenlesen, kommen 14
Ebd., S. 64.
ganz neue kultur- und gesellschaftskriti- 15
Ebd., S. 36.
sche Aspekte totalitärer Ordnung in den 16
Ebd., S. 241.
Blick noch bevor die traditionelle Totalita- 17
Ebd., S. 46.
rismustheorie sich überhaupt etablieren 18
Adorno, Theodor W.: Negative Dialektik,
konnte.
a.a.O., S. 18.
19
Horkheimer, Max / Adorno, Theodor W.: Dia-
Am Ende des totalitären Wahns inhuma- lektik der Aufklärung, a.a.O., S. 33. „Auf dem
ner Emanzipation liest sich die „Dialek- Weg zur neuzeitlichen Wissenschaft leisten die
tik der Aufklärung“ als ein bitterer Nach- Menschen auf Sinn Verzicht.“ Ebd., S. 11.
ruf auf die Moderne. Gleichwohl wird 20
Diese grobe Lesart der „Dialektik der Auf-
nicht ihr Tod proklamiert, sondern ein klärung“ findet sich vor allem bei Horkheimer,
vernunftkritischer Prozeß der „Häutung“ Max: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft
angemahnt, um der Gefahr politisch re- (1947), Frankfurt a.M. 1992, S. 15 ff.
21
gredierter Gesellschaftsformen zu ent- Wellmer, Albrecht: Adorno, Anwalt des Nicht-
wachsen. Es bleibt die etwas melancholi- Identischen, a.a.O., S. 149.

Aufklärung und Kritik 2/2003 21


22
Vgl. Freud, Sigmund: Neue Folgen der Vorle- Horkheimer, Max / Adorno, Theodor W.: Dia-
sung zur Einführung in die Psychoanalyse lektik der Aufklärung, a.a.O., S. 90. Hierzu vgl.
(1932), Frankfurt a.M. 1991, S. 75 f. Brunner, Reinhard: Die Fragmentierung der Ver-
23 nunft. Rationalitätskritik im 20. Jahrhundert,
Horkheimer, Max / Adorno, Theodor W.: Dia-
Frankfurt a.M. / New York 1994, S. 192 ff.
lektik der Aufklärung, a.a.O., S. 62. S. 234 ff. Kritik an der Subjektphilosophie übte
24
Ebd., S. 40. Entsprechungen zu dieser Kon- schon Heidegger, Martin: Sein und Zeit (1927),
struktion einer „Urgeschichte der Subjektivität“ Tübingen 1986. Zum Verhältnis von Hork-
finden sich bereits bei Nietzsche. Vgl. Nietzsche, heimer/Adorno zu Heidegger vgl. Mörchen,
Friedrich: Zur Genealogie der Moral. Eine Hermann: Adorno und Heidegger. Untersuchung
Streitschrift (1887), in: Kritische Studienausgabe einer philosophischen Kommunikationsverwei-
hrsg. von Giorgio Colli / Mazzino Montinari, Bd. gerung, Stuttgart 1981.
5, München 1993, S. 245-412 (S. 321-323). Zu 28
So auch Schnädelbach, Herbert: Dialektik als
den gedanklichen Verbindungen von Hork-
Vernunftkritik. Zur Konstruktion des Rationa-
heimer/Adorno zu Nietzsche vgl. Habermas,
len bei Adorno, in: Ders.: Vernunft und Ge-
Jürgen: Die Verschlingung von Mythos und
schichte. Vorträge und Abhandlungen, Frankfurt
Aufklärung: Horkheimer und Adorno, in: Ders.:
a.M. 1987, S. 179-206 (S. 180 f., S. 205, Anm.
Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf
1).
Vorlesungen, Frankfurt a.M. 1989, S. 130-157. 29
25 Adorno, Theodor W.: Minima Moralia. Refle-
Vgl. Horkheimer, Max / Adorno, Theodor W.:
xionen aus dem beschädigten Leben (1951),
Dialektik der Aufklärung, a.a.O., S. 62.
26
Frankfurt a.M. 1964, S. 333.
Vgl. ebd., S. 38. Zur Begrifflichkeit „totali- 30
Ders.: Negative Dialektik, a.a.O., S. 400.
tär/Totalitarismus“ vgl. ferner S. 12, S. 19, S. 31
31, S. 93 ff., S. 119, S. 127 f., S. 133 ff., S. 144, Vgl. ebd., S. 379.
32
S. 159 f., S. 171, S. 175. Im gleichen Sinn defi- Anders Walter Benjamin, der von der Massen-
niert Horkheimer die „Rassentumulte unserer kultur noch revolutionäre Folgen für das Bewußt-
Tage“ als die manipulierte „Revolte der Natur“ sein des Proletariats erwartete. Vgl. Benjamin,
gegen ihre Unterdrückung. Der Totalitarismus Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner tech-
ist die „Benutzung der Revolte als eines Mittels nischen Reproduzierbarkeit (1934/35), in: Ders.:
der Verewigung eben jener Bedingungen, durch Illuminationen. Ausgewählte Schriften 1, Frank-
welche sie hervorgerufen wird und gegen die sie furt a.M. 1977, S. 136-169.
sich richtet.“ Horkheimer, Max: Zur Kritik der 33
Horkheimer, Max / Adorno, Theodor W.: Dia-
instrumentellen Vernunft, a.a.O., S. 95. lektik der Aufklärung, a.a.O., S. 153. Zuvor
27
Der Grund für das Verharren im begrifflichen S. 134, S. 145, S. 151, S. 148 f.
Denken bleibt die moderne Subjektphilosophie. 34
Ebd., S. 159.
„Kants Begriffe sind doppelsinnig. Vernunft als 35
Vgl. ebd., S. 163.
das transzendentale überindividuelle Ich enthält 36
Ebd., S. 144.
die Idee eines freien Zusammenlebens der Men- 37
schen, in dem sie zum allgemeinen Subjekt sich Ebd., S. 70.
38
organisieren und den Widerstreit zwischen der So auch Schnädelbach, Herbert: Dialektik als
reinen und empirischen Vernunft in der bewuß- Vernunftkritik, a.a.O., S. 204.
ten Solidarität des Ganzen aufheben. Es stellt 39
Vgl. Wellmer, Albrecht: Adorno, Anwalt des
die Idee der wahren Allgemeinheit dar, die Uto- Nicht-Identischen, a.a.O., S. 156 f., S. 164.
pie. Zugleich jedoch bildet Vernunft die Instanz
des kalkulierenden Denkens, das die Welt für Zum Autor: Dr. phil. Marc-Pierre Möll,
die Zwecke der Selbsterhaltung zurichtet und geb. 1965, ist Wissenschaftlicher Mitar-
keine anderen Funktionen kennt als die der
beiter im Deutschen Bundestag und lehrt
Präparierung des Gegenstandes aus bloßem
Sinnenmaterial zum Material der Unterjochung.“ Politikwissenschaft der Humboldt-Uni-
versität zu Berlin.
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