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Analyse Textstelle (S.

11-14) aus „Der Sandmann“, von Niklas Herz

Die vorliegende, die Seiten 11 bis 14 umfassende, Textstelle aus E.T.A. Hoffmanns
Werk „Der Sandmann“, erstmals 1817 veröffentlicht, beschreibt des Protagonisten
Nathanaels traumatisierendes Kindheitserlebnis, welches ihn erst in den Wahnsinn,
dann letztendlich in den Suizid treibt.

Das Werk in Gänze handelt von eben jenem genannten Protagonisten Nathanael, der
durch sein Kindheitstrauma einem „wahnwitzigen Assoziationszwang“ (z.76) verfällt
und somit Ereignisse aus seinem realen Leben mit dem, in der Kindheit als die
Schreckensgestalt des Sandmanns wahrgenommenen, Anwalt Coppelius in
Verbindung bringt. Im Laufe des Werkes verliert Nathanael so jeden Bezug zur
Realität, weswegen er sich in einen Automatenmenschen namens Olimpia verliebt
und sich schließlich von einem Turm in den Tod stürzt.

Bevor die vorliegende Textstelle stattfindet, erfährt der Leser durch die Briefe von
Nathanael an den Bruder seiner Geliebten Clara Lothar, dass ein Wetterglashändler
ihm seine Ware anbieten wollte, er ihn aber voller Entsetzen fortgejagt habe. Um dies
zu erklären holt Nathanael weit aus und berichtet von seiner Kindheit. So bekam der
Vater damals häufig Besuch von einem gewissen Coppelius, welcher in Nathanael
Augen sehr bedrohlich aussah und auch nicht gerade freundlich zu Kindern war. Um
Nathanael zum Schlafen zu bewegen erzählte ihm seine Mutter das Märchen vom
Sandmann. Als Nathanael jedoch neugierig wurde, die Mutter aber die wahrhafte
Existenz des Sandmanns verleugnete und ihn als Märchenfigur und nicht real
darstellte, war Nathanael nicht zufrieden und befragte die alte Pflegefrau seiner
kleinen Schwester. Diese erzählte ihm, dass der Sandmann ein Ungeheuer sei,
welches Kindern die Augen stiehlt und sie seiner Brut zum Fraße darbiete. Nathanael
brachte mit dieser Schreckensgestalt den ihm verhassten Coppelius in Verbindung,
und beschloss ihm eines Abends, wenn er wieder zu Besuch war, aufzulauern und zu
beobachten was er und sein Vater wohl treiben mögen.

Also versteckte er sich im Zimmer seines Vaters und wartete bis Coppelius kam.
Nachdem der Vater ihn herzlich begrüßte zogen sich beide dunkle Kittel an und
werkelten an einem kleinen Herd, der eben aus einem Schrank zum Vorschein kam.
Als Coppelius erwähnte, sie bräuchten noch Augen, stand es für Nathanael fest:
Coppelius musste der Sandmann sein! Entsetzt, dass sich seine Vermutung bestätigt
hatte, stürzte Nathanael aus seinem Versteck hervor und wurde von Coppelius
entdeckt und an den Herd gezerrt, dass seine Haare schon zu sengen begannen.
Coppelius fauchte mit wütender Stimme und wollte seine Augen herausnehmen, doch
der Vater konnte ihn dazu bringen sie zu verschonen. Aus Zorn fügte Coppelius

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Analyse Textstelle (S. 11-14) aus „Der Sandmann“, von Niklas Herz

Nathanael aber trotzdem körperlichen Schaden zu, wodurch Nathanael ohnmächtig


wurde und später in den Armen seiner Mutter wieder aufwachte.
Ein Jahr später taucht, der nach jenem Ereignis verschwundene, Coppelius wieder auf
um sich ein letztes Mal mit dem Vater zu treffen. In dieser Nacht aber gab es einen
lauten Knall und der Vater wird tot im Arbeitszimmer aufgefunden. Da Coppelius in
dieser Nacht spurlos verschwand denkt Nathanael, dass er für den Tod seines Vaters
verantwortlich sei und will sich an ihm rächen.
Nach diesem Rückblick erklärt Nathanael in dem Brief, dass er eben jenen
Wetterglashändler namens Coppola als den verschwundenen und verhassten
Coppelius wiedererkannt hatte und ihn deshalb fortjagte.

Diese Szene ist eindeutig handlungsantreibend, da diese Auslöser für Nathanaels


Wahn ist und somit den Grundstein für den weiteren Verlauf des Werkes legt.

Zwischen dieser Szene und Hoffmanns Biografie lassen sich einige Parallelen ziehen.
Die offensichtlichste wäre wahrscheinlich, dass Coppelius Hoffmanns feindseligen
und bösartigen Onkel verkörpert. Nicht nur sein ekelhaftes Verhalten Kindern
gegenüber (vgl. S.10), sondern auch die Ähnlichkeit zu seinem Bruder (im
„Sandmann“ Nathanaels Vater) wird an folgendem Zitat deutlich: „Ach Gott!- wie
sich nun mein alter Vater zum Feuer herabbückte […], [da] sah [er] dem Coppelius
ähnlich“ (S.11,z.27ff). Das Abschrauben von Nathanaels Händen und Füßen (vgl.
S.12,z.15ff) erinnert an eine Maschine oder einen Automaten. Und tatsächlich hatte
Hoffmann großes Interesse an solchen Automaten, weswegen er auch
Automatensammlung in Dresden besuchte. Spannend fand er, dass Automaten immer
ähnlicher zu den Menschen wurden und es so schwer wurde diese noch von ihnen zu
unterscheiden. Das Motiv des Automatenmenschen greift Hoffmann in diesem Werk
später nochmals auf, als er das Automatenmädchen Olimpia einführt, in die sich
Nathanael Hals über Kopf verliebt, weil er sie für einen Menschen hält. Daran wird
deutlich, dass die Grenze zwischen Mensch und Automat wohl nicht ganz so einfach
zu erkennen ist und auch der Protagonist im Werk damit Probleme zu haben scheint.

Im Bezug zur Epoche lässt sich sagen, dass eben jene Automaten eine große epochale
Bedeutung haben. So spiegeln sie im Werk „Der Sandmann“ die Angst der
Gesellschaft außerhalb des Werkes vor der Rationalisierung und aber auch der
Mechanisierung wieder. Hoffmann übt zudem aber auch Kritik an der Romantik. Er
erschafft Nathanael als jemanden, der nur Extrema wahrnimmt (vgl. der teuflische
Coppelius, die sanfte Mutter oder auch die liebevolle Clara). So wird dem
Protagonisten „seine schöpferische Imagination zum Verhängnis, gerade weil sie sich

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ins Absolute auswächst“ (z.4-5). Diese Szene beschreibt somit das


„Übertragungserlebnis, in dem Nathanael das Märchen vom Sandmann auf eine reale
Gestalt fixiert“ (z.15ff), folglich also seine subjektive Imagination auf die äußere
Wirklichkeit überträgt (vgl. z.18f). Von nun an steht Nathanael unter einem
zwanghaften Assoziationswahn. Alles was mit dem Sandmann zu tun hat überträgt er
zugleich auch auf Coppelius. Als dieser „Augen her , Augen her!“ (S.11, z.36-37)
schreit, ist das der Beweis dafür, dass er wahrhaftig der Sandmann sein muss, der ja
seine Brut mit den Augen von Kindern füttert. Durch diesen Assoziationswahn
kritisiert Hoffmann, dass Romantiker in allen Ereignissen oder Gegebenheiten der
Wirklichkeit fantastische Elemente sehen, die aber tatsächlich gar nicht vorhanden
sind. Auch Romantiker nehmen in der Regel sehr extrem wahr. So werden sie von der
Schönheit der Natur mitgerissen oder verlieren sich in der Weite des Ozeans. So
verkörpert Nathanael den Romantiker und Hoffmann scheint diese regelrecht davor
zu warnen, nicht so wie Nathanael, den Bezug zur Realität zu verlieren. Für
Nathanael endet dies nämlich in seinem Selbstmord, in dem er den einzigen Ausweg
sieht (vgl. S.13, z.4ff).

Im Bezug zur Epoche der Aufklärung kann dem Augenmotiv eine besondere
Bedeutung zugesprochen werden. Die Augen sind Dasjenige wodurch wir sehen,
sprich in der Lage sind unsere Umgebung wahrzunehmen. Ein Verlust der Augen, so
wie der Sandmann sie ja den Kindern stiehlt, würde somit auch den Verlust der
Wahrnehmungsfähigkeit bedeuten. Ohne unsere Fähigkeit Dinge zu sehen bleibt uns
der Weg zur Erkenntnis versperrt, was einen Verlust der Augen um einiges schlimmer
machen würde als man annehmen könnte.
Auch das Motiv der Alchemie findet sich in der Aufklärung wieder. Diese betreiben
im Werk der Vater und Coppelius im Geheimen. Zur Zeit der Aufklärung setzten sich
vor allem Wissenschaftler, die das Übernatürliche erforschen wollten, also Alchemie
anwendeten, dafür ein, ihre Studien veröffentlichen und auch öffentlich an ihnen
weiterarbeiten zu dürfen, folglich die Zensur der damaligen Zeit abzuschaffen.
Alchemie erweitert den Bereich des Möglichen ins Übernatürliche, was sich
wiederum gegen die Rationalität der Aufklärung stellte. In dieser war alles
Fantastische und Magische von keinerlei Bedeutung, das Erforschen dieser geradezu
verpönt. Der Verstand war es der damals als einziges im Stande war dem Menschen
zur Erkenntnis zu verhelfen.

Als letztes soll nun die sprachliche Gestaltung untersucht werden, bei welcher direkt
festzustellen ist, dass die Erzählung aus Nathanaels Vergangenheit durch ihre
Briefform glaubhafter und greifbarer wirkt, als sie es täte, wäre sie nicht in solcher
verfasst. So spricht Nathanael Lothar direkt mit Einschüben wie: „-nein!“ (S.11, z.10)

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oder „Ach Gott!-“ (S.11, z.27) an, die dem Leser das Gefühl vermitteln als habe
dieses Ereignis wirklich so stattgefunden und sei nicht bloß die Erzählung eines
Verrückten. Auffällig ist außerdem, dass Hoffmann durch Nathanael sehr viele
Adjektive benutzt. Er benutzt fast ausschließlich immer zwei Adjektive um Dinge,
die er wahrnimmt, zu beschreiben (vgl. S.11, z.5f „grausig und entsetzlich“, z.10
„hässlicher gespenstiger Unhold“, z.11f „zeitliches, ewiges Verderben“, z.17
„heiserer, schnarrender Stimme“, z.28f „grässlicher krampfhafter Schmerz“, z.29f
„sanften ehrlichen Züge“). Hier kann man einen Bezug dazu ziehen, dass Nathanael
nur extrem wahrnimmt und ihm so ein Adjektiv nicht reicht um seine Umgebung zu
beschreiben, sondern es müssen zwei sein, damit ihre Wirkung sozusagen
„verdoppelt“ wird.

Alles in allem lässt sich abschließend sagen, dass dieser Szene eine immense
Bedeutung, nicht nur für den weiteren Verlauf des Werkes, zuzuschreiben ist. Durch
das Übertragungserlebnis beginnt Nathanaels Wahn und er verliert zunehmend den
Bezug zur Realität. Hoffmann nimmt allein in dieser Szene Kritik an den Epochen
der Romantik und der Aufklärung und verkörpert beide Epochen in Figuren seines
Werkes.

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