Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
TOCy^APCTBEHHOE
yqEBHO-nEÄArorHHECKOE H3ÄATEJlbCTBO
MHHHCTEPCTBA nPOCBElUJEHHfl PCOCP
JlEHHHrPAflCKOE OTflEJIEHHE
JIEHHHfPAA 1962
DUD E N
Grammatik
der deutschen Gegenwartssprache
«rpaMMaTHKa coBpeMeimoro HeMeuKoro H3biKa» npe^CTaBJUieT
coöoh He3HaqHTejibH0 coKpameHHoe nepeH3flaHHe KHHrn «Duden.
Grammatik der deutschen Gegenwartssprache».
KHHra MOJKeT öbiTb Hcnojib30BaHa b Ka^ecTBe iiocoöhh npH H3y-
qeHHH HeMeuKoro H3biKa b neÄarormiecKHx HHCTHTyTax h yHHBep-
cHTeTax.
VORWORT DES VERLAGES
Zum Lebenswerk Konrad Dudens gehören nicht nur sein berühmtes Buch
über die Rechtschreibung, sondern auch seine Neubearbeitungen der
„Etymologie der neuhochdeutschen Sprache“ und der „Grundzüge der
Neuhochdeutschen Grammatik für höhere Bildungsanstalten und zur
Selbstbelehrung für Gebildete“ von Friedrich Bauer. Konrad Dudens.
Bemühen galt also der Pflege der neuhochdeutschen Schriftsprache im
weitesten Sinne.
Der Verlag hat sich nach Konrad Dudens Tod die Fortführung seines
Lebenswerkes zur Aufgabe gestellt und die Dudenredaktion zur Neu¬
bearbeitung und Neuschöpfung von Nachschlagewerken über die deutsche
Gegenwartssprache ins Leben gerufen. Im Rahmen ihres Auftrages sind
nach dem zweiten Weltkrieg bereits der Band „Rechtschreibung“, der
„Stilduden“ und der „Bilderduden“ als Neubearbeitungen erschienen.
Jetzt folgt die Grammatik als letzter Band der großen Vier.
Die Absicht, die sprachpflegerische Aufgabe der Dudenredaktion auch
auf den grammatischen Bereich auszudehnen, wurde 1935 durch die
von Otto Basler bearbeitete Duden-Grammatik erstmals verwirklicht.
Inzwischen haben sich die Auffassungen über den Aufbau unserer Mutter¬
sprache so grundlegend geändert, daß der jetzt vorgelegte Band gegen¬
über dieser ersten Ausgabe als völlig neues Werk betrachtet werden muß.
1 So der Titel des bedeutungsvollen Buches von Hans Glinz, Die innere Form des
Deutschen, Bern 1952.
Die Vertreter dieser inhaltbezogenen Grammatik wissen es aber selbst
am besten, daß sich ihre Auffassungen noch im Aufbau befinden. Wir
hatten deshalb zunächst zu prüfen, welche Ergebnisse dieser Forschungs¬
richtung bereits als gesichert angesehen werden können. Nur sie konnten
Eingang in diese Volksgrammatik finden. Wo dies nicht der Fall war,
zogen wir es vor, zunächst bei den überlieferten Erkenntnissen zu bleiben.
Aber auch dort glauben wir uns von dem bisher weithin bestehenden
Schematismus der Satzbetrachtung genügend entfernt zu haben und
sprachgerechter vorgegangen zu sein. Wenn es uns dabei gelungen sein
sollte, hier und da einen eigenen Beitrag zum grammatischen Bild unserer
Gegenwartssprache zu leisten, so würde uns dies besonders freuen.
Diese Grundfragen gewinnen für die Dudenredaktion im Rahmen der ihr
seit Jahrzehnten zugefallenen Sprachberatung praktische Bedeutung,
weil alle an sie gerichteten Zweifelsfragen aus dem inneren Gefüge der
Gesamtsprache heraus beantwortet sein wollen. Der Sprachpflege galt
deshalb neben der Sprachbeschreibung unsere besondere Aufmerksamkeit.
Das umfangreiche Material unserer Sprachberatungsstelle war hierfür die
beste Quelle. Wer Tag für Tag die zahlreichen Anfragen überprüfen kann,
die aus allen Kreisen der Sprachgemeinschaft bei uns eingehen, erfährt
am besten die Wahrheit des Humboldt Wortes, daß die Sprache kein Ergon
(Werk, statisches Gebilde), sondern eine Energeia (wirkende Kraft) ist,
die das „Worten der Welt“ (Weisgerber) täglich neu vollzieht.
Diese Einsicht hat uns hoffentlich bei der Beantwortung der vielen
Zweifelsfragen vor jeder Beckmesserei bewahrt. Andererseits glauben
wir nicht, in eine übertriebene Toleranz verfallen zu 3ein.
Der Benutzer unserer Grammatik wird also nicht nur erfahren, daß es in
der Sprache große Leitbilder gibt, die weithin gelten, sondern auch, daß
daneben Zonen des Übergangs und sogar des Behelfes bestehen, die außer¬
halb der „logischen“ Ordnung liegen. Eine Volksgrammatik mußte diesen
Zonen besondere Aufmerksamkeit zuwenden, weil sich die Sprachgemein¬
schaft außerhalb der festen Leitbilder am unsichersten fühlt und deshalb
beraten sein will. Der Sprachfreund wird diese Zonen besonders lieben,
weil sie das Gestern und Morgen unserer Sprache offenbaren.
An dieser Stelle gilt es noch jenen zu danken, deren Gedankengut am
stärksten auf unsere Darstellung eingewirkt hat. Es sind dies die Herren
Professoren Leo Weisgerber, Hans Glinz, Hennig Brinkmann
und Walter Porzig. Ihre Arbeiten werden mit aufrichtigem Dank an
den entsprechenden Stellen genannt. Herr Professor Dr. Hugo Moser
hat uns mit seinem guten Rat unterstützt.
Das Wort
Der Laut 5. Wortbetonung. 35
II. Die Konjugation der Verben . 84 (7. Das Substantiv (Nomen) ... 138
1. Überblick über die Aufgaben I. Die Grundleistung des Sub¬
und die Formen der Kon¬ stantivs . 138
jugation . 84 II. Die Einteilung der Substan¬
a) Die Endungen . 85 tive . 138
b) Die Veränderungen. 85 1. Konkreta. 138
c) Die Umschreibung. 98 a) Eigennamen. 138
d) Konjugationstabellen... 99 b) Gattungsnamen. 139
2. Die Zeit (Tempus). 107 2. Abstrakta. 140
a) Die 1. Stammform und III. Das Genus der Substantive.. 140
ihr Passiv (Präsens) .... 107 1. Natürliches und gramma¬
b) Die mit „habe“ und „bin“ tisches Geschlecht . 140
+ 2. Partizip umschrie¬ 2. Substantive bestimmter
benen Form und ihr Sachgruppen und ihr
Passiv (Perfekt). 109 Geschlecht. 141
c) Der Unterschied zwischen a) Personen :. 141
der Perfektumschreibung b) Tiere . 141
mit „haben“ und der mit c) Sachen und Abstrakta . 141
„sein“ (im Aktiv). 110 d) Eigennamen.. 142
e) Abkürzungen und Kurz¬
d) Die 2. Stammform und
wörter . 145
ihr Passiv (Präteritum) 111
f) Substantivierte Buch¬
e) Die mit „hatte“ und
staben . 145
„war“ -f 2. Partizip um¬
g) Das Geschlecht bei zu¬
schriebene Form und ihr
sammengesetzten Sub¬
Passiv (Plusquamperfekt) 112
stantiven . 145
f) Die mit „werde“ + In¬
3. Der Geschlechtswandel... 149
finitiv umschriebene Form
a) von der Sache her. 149
und ihr Passiv (1. Futur) 112
b) von der Endung der Sub¬
g) Die mit „werde“ + stantive her . 149
2. Partizip + „haben“ 4. Schwankendes Geschlecht 150
oder „sein“ umschriebene
IV. Der Artikel. 154
Form und ihr Passiv
1. Die Leistung des Artikels . 154
(2. Futur) . 113
2. Die Beugung des Artikels . 155
h) Zusammenstellung der 3. Der Gebrauch des Artikels 155
Formen von der zeit¬ a) Zur Einführung. 155
lichen Leistung her. 113 b) Setzung oder Nicht¬
3. Die Verhaltensrichtung ... 114 setzung des Artikels in
a) Das Aktiv. 114 Einzelfällen. 156
b) Das Passiv. 115 c) Zur Verschmelzung des
c) Das Zustandspassiv .... 117 Artikels mit bestimm¬
d) Ersatzformen des Passivs 117 ten Präpositionen . 162
4. Die Aussageweise (Modus) . 118 V. Der Numerus der Substantive 163
a) Der Indikativ.. 119 1. Allgemeines. 163
b) Der Konjunktiv... 120 2. Der Singular. 164
c) Der Imperativ.. 125 a) Eigennamen. 164
5. Finite und infinite Formen b) Gattungsnamen . 164
Person und Zahl (Numerus) 128 c) Sammelnamen. 165
a) Die finiten Verbformen . 129 d) Stoffnamen. 165
b) Die infiniten Verbformen 132 e) Abstrakta. 166
11
Der Inhalt des Wortes und die II. Wortfamilie und Fächerung . 413
Gliederung des W ortschatzes
III. Das sprachliche Feld. 415
A. Der Inhalt des Wortes.392 1. Allgemeine Bemerkungen 415
I. Vorbemerkung über Stil- und
2. Beispiele. 415
Sprachschichten . 392
a) Die Zensurenskalen.... 416
II. Der Laut .. .*. 393 b) Die Verwandtschafts¬
III. Die Leistung der lautlichen wörter . 416
Mittel in Wortbildung und c) Das Feld der Färb Wörter 417
Flexion. 396 d) Die Temperaturwörter . 419
IV. Das Wort .. 396 e) Der Sinnbezirk klug
1. Die herkömmliche Wort¬ und dumm. 421
bedeutungslehre. 396
a) Die Semasiologie .396 IV. Gegenwörter oder Oppo¬
b) Die Onomasiologie .... 400 sitionen . 422
2. Die inhaltbezogene Be¬ V. Syntaktische Felder. 423
trachtung . 400
1. Das Wesen des syntak¬
3. Ein praktisches Beispiel .. 401
tischen Feldes. 423
V. Das zusammengesetzte Wort 408
2. Das Sonderproblem der
VI. Stehende Redewendungen .. 409
unpersönlichen Verben
1. Die Arten der stehenden
(Impersonalia) und der
Redewendungen . 409
unpersönlich gebrauchten
a) Zitate. 409
Verben. 425
b) Sprichwörter und
a) Unpersönliche Wendun¬
sprichwörtliche Redens¬
gen mit „es“ als unbe¬
arten . 409
stimmter Ursache eines
c) Redensarten . 410
Geschehens. 426
d) Gemeinplätze (Topoi).. 410
e) Zwillingsformeln und b) Unpersönliche Wendun¬
stereotype Vergleiche .. 410 gen mit „es“ als bloßem
f) Feste Verbindungen ... 410 Einleitewort oder als
2. Herkunft und Deutung der Vorläufer eines Satz¬
stehenden Redewendungen 411 gliedes . 427
c) Schlußbemerkung.428
B. Die Gliederung des Wort¬
schatzes. 411 VI. Wortinhalt und Satz¬
I. Die Wortstände. 412 zusammenhang . 428
Der Satz
A. Die Abgrenzung des Satzes II. Gliederung und Leistung der
gegenüber Rede und Wort ... 431 Grundformen. 436
B. Die Satzarten. 432 1. Der ergänzungslose Satz.. 436
G. Der Satz als gegliederte Sinn¬ 2. Sätze mit einer einglied¬
einheit. 433 rigen Ergänzung . 437
Z>. Die Grundformen deutscher a) Der Gleichsetzungs¬
Sätze. 434 nominativ . 437
I. Die Bestimmung der Grund¬ b) Die Objektergänzungen 438
formen mit Hilfe der Ab¬ c) Die Umstandsergänzun¬
strichmethode . 434 gen . 445
17
1. Zum Wesen der Ersparung 561 IV. Die Kongruenz des substan¬
2. Die Arten der Ersparung . 562 tivischen Attributs (Appo¬
a) Ersparung von Rede¬ sition) in Kasus, Numerus
teilen, die im gleichen und Genus. 577
oder in einem benach¬ a) Im Kasus. 577
barten Satz nicht mehr b) Im Numerus. 577
Vorkommen... 562 c) Im Genus. 577
b) Ersparung von Rede¬ V. Die Beziehungskongruenz
teilen, die im gleichen des Pronomens. 578
oder im benachbarten
a) Alleinstehende Pronomen 578
Satz noch einmal Vor¬
b) Possessivpronomen. 578
kommen . 563
c) Besondere Fälle. 578
IV. Der Satzbruch. 565
VI. Die Kongruenz im Numerus
N. Die Kongruenz im Satz. 565 zwischen einem Objekt bzw.
I. Die Kongruenz zwischen Sub¬ einer Umstandsangabe und
jekt und Prädikat . 566 einer pluralischen Personen¬
1. Person. 566 angabe . 580
a) Normale Kongruenz ... 566 0. Die Wortstellung. 581
b) Besondere Fälle. 566
I. Das Satzschema mit der Per¬
2. Numerus. 567 sonalform des Verbs in Zweit¬
a) Normale Kongruenz ... 567 stellung . 581
b) Besondere Fälle. 567
II. Das Satzschema mit der Per¬
II. Die Kongruenz im Gleichset¬ sonalform des Verbs in An¬
zungssatz und in den inhalt¬ fangsstellung . 582
lich dazugehörigen Sätzen... 572
III. Das Satzschema mit der Per¬
1. Die Kongruenz des Prädi¬
sonalform des Verbs in End¬
kats . 572
stellung . 583
a) Person .. 572
1. Die Endstellung in Glied¬
b) Numerus. 572 sätzen . 583
2. Die Kongruenz des Gleich¬ ' 2. Die Endstellung in Haupt¬
setzungsgliedes oder eines sätzen . 583
anderen inhaltlich hierher
IV. Weitere stellungsfeste Satz¬
gehörigen Gliedes mit
teile in den drei Schemata ... 583
Subjekt bzw. Objekt. 573
1. Die nichtpersonalen Prä¬
a) Im Genus. 573
dikatsteile in den Sche¬
b) Im Numerus. 575 mata mit Zweit- und An¬
c) Im Kasus. 575 fangsstellung der Personal¬
III. Die Kongruenz des attributiv form und die durch sie ent¬
gebrauchten Adjektivs, Pro¬ stehende verbale Klammer 584
nomens (einschl. Artikels) und a) Die Prädikatsteile mit
Zahlworts mit ihrem Sub¬ Endstellung . 584
stantiv in Genus, Numerus b) Die verbale Klammer.. 584
und Kasus. 576 2. Die nichtpersonalen Prä¬
a) Adjektiv (Partizip). 576 dikatsteile in dem Schema
b) Pronomen (Artikel). 576 mit Endstellung der Per¬
c) Zahlwort. 576 sonalform .. 586
d) Besondere Fälle. 577 a) Die Rangordnung der
21
Verwendete Abkürzungen
Die in den Verweisen genannten Zahlen beziehen sich auf die am äußeren Rande der
Seiten stehenden Kennziffern. Wird ausnahmsweise einmal auf eine Seite verwiesen,
dann steht vor der Verweiszahl ein S.
Das Wort
Der Laut
1. Einleitung
a) Hochsprache
Unter Hochsprache verstehen wir die deutsche Aussprache, wie sie in dem 1
Werk „Siebs, Deutsche Hochsprache“, 17. Aufl. (Berlin 1958), beschrie¬
ben ist. Die Hochsprache gilt für Rundfunk, Schulen und Post in Deutsch¬
land, für die deutschsprachige Bühne sowie für Rundfunk und Deutsch¬
unterricht in fast allen nichtdeutschsprachigen Gebieten.
Ob und wie sehr man die Regeln der Hochsprache befolgt, hängt zum Teil
von der Landschaft, der Sprechlage und dem Bildungsgrad des Sprechen¬
den ab. Im Norden und in der Mitte des deutschen Sprachgebietes spricht
man mehr nach der Hochsprache als im Süden Deutschlands. Stärkere
Abweichungen stellen wir in Österreich und vor allem in der deutschen
Schweiz fest. Bei Feierlichkeiten, in offiziellen Reden, im Unterricht
kommt die Hochsprache mehr zur Geltung als in der gewöhnlichen Unter¬
haltung. Der Gebildete hält sich mehr an die Hochsprache als der weniger
Gebildete.
Wir folgen im wesentlichen der Hochsprache. Nur in wenigen Punkten
weichen wir aus Gründen der Einfachheit davon ab.
b) Alphabet
Das Alphabet der Rechtschreibung verwendet folgende Buchstaben: 2
A a [a] J j [jot] s s [eß]
Ä ä [e-] K k [ka] ß [eßzet]
B b [be] L 1 [el] T t [te-]
C c [»•] M m fem] U u [u]
D d [de] N n [en] Ü ü [ü]
E e [e-] 0 o [o] V V [fau]
F f [ef] Ö ö [Ö-] w w [we-]
G g [ge-] P P [pe] X X [ikß]
H h [ha-] Q q [ku-] Y y [jjpßilQn]
I i [i] R r [er] Z z [zet]
Von diesen Buchstaben sind a, ä, e, i, o, ö, u, ü, y Vokalbuchstaben,
die übrigen Konsonantenbuchstaben.
24 Der Laut
c) Lautschrift
Ein Punkt auf mittlerer Höhe bedeutet, dato der Vokal davor laut? ist. Rasen
[ra s'n] hat langes [a*l.
Der Akut gibt den Hauptton an, d. h. den Vokal, der im Wort am stärksten
betont ist. Wir setzen den Akut nur dann, wenn der Hauptton nicht auf dem
ersten Vokal des Wortes ist: lebendig [leböndich], aber: Leben [leb°n].
Der senkrechte Strich bezeichnet die Silbengrenze: Mitte [mi|t']
Der waagrechte Strich unter einem Vokal bedeutet, daß der Vokal Silben¬
träger ist: Vase [wa-s'], Haus |hauß].
Der Halbkreis gibt an, daß der Vokal darunter nicht Silbenträger ist: Podium
[po-dipm].
Der senkrechte Strich, der waagrechte Strich und der Halbkreis werden nur
ausnahmsweise gebraucht.
2. Grundbegriffe
a) Klangfarbe (Qualität)
Die einzelnen Laute unterscheiden sich durch verschiedene Klangfarbe. 4
[a] besitzt eine andere Klangfarbe als [o], [b] eine andere als [r].
b) Dauer (Quantität)
Laute können mit verschiedener Dauer gesprochen werden, [a] in Bann 5
[ban] ist kurz, [a*] in Bahn [ban] ist lang.
d) Höhe (Tonhöhe)
Vokale und stimmhafte Konsonanten können verschieden hoch ge- 7
sprochen werden, so wie man beim Singen oder auf einem Musikinstrument
verschieden hohe Töne (c, cis, d, e usw.) hervorbringt.
26 Der Laut
e) Laute
8 Ein Laut unterscheidet sich von einem anderen durch verschiedene
Klangfarbe. So sind [ch] in dich [dich] und [eh] in Dach [daeh] ver¬
schiedene Laute, sie haben verschiedene Klangfarbe, sie werden vom
menschlichen Gehör als verschieden wahrgenommen. Ebenso sind [r] in
Ratte [rat®] und [1] in Latte [lat®] verschiedene Laute.
g) Phoneme
10 Zwei Laute sind verschiedene Phoneme, wenn sie in derselben Stellung
Vorkommen und Wörter unterscheiden. So sind [r] und [1] verschiedene
Phoneme, denn erstens treten sie in derselben Stellung auf wie zum
Beispiel vor [a] in Ratte [rat®] und in Latte [lat®], und zweitens unter¬
scheiden sie verschiedene Wörter wie zum Beispiel Ratte [rat®] und
Latte [lat®]. Phoneme werden zwischen schräge Striche gesetzt: /r/, /1 /.
Phoneme können verschiedene Varianten haben. Es gibt stellungsbe¬
dingte Varianten und freie Varianten.
h) Stellungsbedingte Varianten
11 Stellungsbedingte Varianten können keine Wörter unterscheiden und
können nicht in derselben Stellung auftreten. So sind [ch] — wie in dich
[dich] — und [eh] — wie in Dach [daeh] — stellungsbedingte Varianten
des Phonems, das wir / ch / schreiben. Erstens kommt [ch] in der Stellung
nicht vor, wo [eh] vorkommt, und [eh] kommt in der Stellung nicht vor,
wo [ch] vorkommt; in der Tat tritt [ch] gewöhnlich nach vorderen
Vokalen ([i i e] usw.) und nach Konsonanten auf wie in dich [dich],
manch [manch] usw., während [eh] nach anderen Vokalen ([u y o q a]j
auftritt wie in Buch [bu-eh], Dach [daeh]; somit schließen [ch] und [eh]
in derselben Stellung sich gegenseitig aus. Zweitens kann man mit [ch]
und [eh] keine Wörter unterscheiden; Dach als [dach] und Dach als
[daeh] gesprochen ergeben keine verschiedenen Wörter; höchstens kann
man sagen, daß die Aussprache [dach] in der Hochsprache nicht vor¬
kommt.
i) Freie Varianten
12 Freie Varianten eines Phonems sind voneinander verschiedene Laute, die
in derselben Stellung auftreten, ohne Wörter zu unterscheiden. Das ge-
Vokale (Selbstlaute) 27
rollte Zungenspitzen-R [r] und das gerollte Halszäpfchen-R [R] sind freie
Varianten des Phonems /r/. Man kann in Ratte gerolltes Zungenspitzen-R
[r] oder gerolltes Halszäpfchen-R [R] sprechen. Beide Aussprachen sind
in der Hochsprache möglich. Verschiedene Wörter ergeben sich dadurch
nicht.
l) Silben
Die in einem Wort besonders hervortretenden Vokale heißen Silben- 14
träger. Ein Wort besitzt so viele Silben, als es Silbenträger hat. In den
folgenden Wörtern ist der Silbenträger unterstrichen. Einsilbig: a [&•],
oh [o*], hat [hat], Haut [haut]; zweisilbig: Kasten [kaßt!n], Verfall
[fgrfäl]; dreisilbig: Hauptbahnhof [hauptba-nho-f], Politik [politl-k];
viersilbig: Mathematik [matemati-k], Theologe [teolö-g!].
m) Silbengrenze
Die Silbengrenze ist dort, wo eine Silbe auf hört oder beginnt (Zeichen: |), 15
z. B. Mitte [mi|te], Rate [ra |te], Eier [ai|°r], Natron [na*|trQn]. Die
Silbengrenze der Aussprache fällt oft, aber nicht immer mit der Silben¬
trennung der Rechtschreibung zusammen (vgl. Duden, Rechtschreibung,
14. Aufl., erster, verbesserter Neudruck 1957, S. 40 ff.): gel-ten [gel|ten],
aber kämp-fen [kem|pfen].
Im übrigen gibt es in der Hochsprache keine eindeutigen Regeln für die
Silbengrenze.
3. Vokale (Selbstlaute)
Vokale sind Laute, bei denen die Stimmbänder im Kehlkopf schwingen
und die Atemluft ungehindert durch den Mund oder durch Mund und Nase
ausströmt. Die Zunge darf dabei eine gewisse Grenzlinie nach oben nicht
überschreiten. Die Klangfarbe der Vokale hängt vor allem von der Zunge
und den Lippen ab. Drei Faktoren sind wichtig:
Umgekehrt ist [i] offener als [i*]. [u] in brutal [brutä-1] ist geschlossener
als [y] in Butter [byter]. Umgekehrt ist [y] offener als [u]. Man ist ge¬
wohnt, die hier mit dem Zeichen Ä versehenen Vokale als offene Vokale
zu bezeichnen, nämlich offenes e [$], offenes i [i], offenes ö [ö], offenes
ü [y], offenes o [q], offenes u [y]. Die sogenannten geschlossenen Vokale
sind: geschlossenes e [e], geschlossenes i [i], geschlossenes ö [ö], ge¬
schlossenes ü [ü], geschlossenes o [o], geschlossenes u [u].
Hell dunkel
(vorne) (Mitte) (hinten)
Vokale (Selbstlaute) 29
c) Lippenstellung
Vokale werden mit gerundeten oder ungerundeten Lippen gesprochen. 18
Die gerundeten Vokale sind [q], [ö], [ü], [ü], [q], [o], [y], [u], die un¬
gerundeten [a], [ä], [e], [e], [e], [i], [i].
d) Vokalschema
Die Abbildung auf Seite 28 zeigt für die einzelnen Vokale die Höhe der 19
Zunge (geschlossen - offen), Vorder- und Hinterlage der Zunge (hell -
dunkel) und die Lippenstellung. Die ungerundeten Vokale sind mit
einem Punkt, die gerundeten mit einem Kreis dargestellt. Die langen
Vokale [a ], [§•], [e ], [i ], [ö-], [ü-], [q-], [o ], [u ] haben dieselbe Zungen-
und Lippenstellung wie die entsprechenden kurzen Vokale [a], [q], [e],
PL [öl [Ü], [ö], [O], [U].
e) Diphthonge (Zwielaute)
Die Diphthonge [ai], [au], [Qi] bestehen aus zwei kurzen Vokalen, von 20
denen der erste Vokal, der Silbenträger ist, stärker gesprochen wird als
der zweite Vokal, der nicht Silben träger ist und zur Silbe des ersten
Vokals gehört. Über die genaue Aussprache der beiden Teile der
Diphthonge gehen die Meinungen auseinander. Die Hochsprache ver¬
langt die Aussprache [ae], [ao], [qö]: weit [waet], Haut [haot], Heu
[hgö]. Ohne die Aussprache der Hochsprache abzulehnen, ziehen wir
wegen ihrer besseren Verständlichkeit die Umschrift [ai], [au], [Qi] vor:
weit [wait], Haut [haut], Heu [hQi].
f) Unsilbische Vokale
Wenn unbetontes [i], [ü], [o], [u] vor einem Vokal stehen, so werden sie 21
beim schnellen Sprechen oft unsilbisch, d. h., sie sind nicht mehr Silben¬
träger. Die folgenden Wörter z. B. haben beim schnellen Sprechen oft
eine Silbe weniger. Das Zeichen “ bedeutet, daß der Vokal unsilbisch ist.
Beim langsamen Sprechen : Beim schnellen Sprechen
Podium [po-diym] (dreisilbig) [po-dium] (zweisilbig)
sexuell [sekßu£l] (dreisilbig) [seküütfl] (zweisilbig)
Foyer [foaje ] (dreisilbig) [föaj6 ] (zweisilbig)
Habitue [abitüe-] (viersilbig) [abituö ] (dreisilbig)
g) Nasalvokale
Während bei den bisher besprochenen Vokalen die Luft durch den Mund 22
entweicht, strömt sie bei den Nasalvokalen durch Mund und Nase aus.
Die Hochsprache kennt die vier Nasalvokale [a"*], [q"8], [q"*], [q"8]:
Chance [scha^ß6], Teint [te **], Parfüm [parftf*8], Bon [bQ**]. Abgesehen
von ihrem nasalen Charakter besitzen die Nasalvokale mehr oder we¬
niger dieselbe Klangfarbe wie die entsprechenden nichtnasalen Vokale
30 Der Laut
[a], [q], [q], [q]. An Stelle der Nasalvokale hört man oft in nichthoch¬
sprachlicher Aussprache einen nichtnasalen Vokal, dem der nasale Kon¬
sonant [ng] folgt: Teint [t$ng] (wie: eng [eng]) an Stelle des hochsprach¬
lichen [tQ1*8].
h) Dauer
23 Nach ihrer Dauer lassen sich die Vokale in kurze und lange einteilen.
Kurz sind [aäQeeiiQöjjüQOUu]:
Bach [baeh], Camp [kämp], Speck [schpek], senil [seni l], Höhe [hö-c], List [lißtj,
Finale [finäle],möchte [möchte],Ödem [ödö-m], Glück [glük], amüsieren [amüsf-r‘:n],
fort [fort], Olive [oli-we], Butter [but°r], Fusion [fusiö-n]
Bei den Nasalvokalen [a*8 q*8 q”8 q”8] hat die Hochsprache nicht fest¬
gelegt, ob sie kurz oder lang sind. Es besteht die Neigung, sie als lang
zu betrachten. Wir geben in unserer Lautschrift diese Länge nicht be¬
sonders an:
Chance [scha^ß6], Teint [te**], Parfüm [parfö**], Bon [bo**]
4. Konsonanten (Mitlaute)
Konsonanten sind Laute, bei denen die ausströmende Atemluft während
einer gewissen Zeit gehemmt oder eingeengt wird. Sie wrerden eingeteilt
nach Artikulationsart, Artikulationsstelle, Stimmhaftigkeit, Stärke, Be¬
hauchung und Dauer.
a) Artikulationsart
Artikulationsart ist die Art und Weise, wie die Konsonanten gebildet 25
(artikuliert) werden.
1. Verschlußlaute
Es wird ein Verschluß gebildet. Die Luft wird während einer gewissen
Zeit am Ausströmen gehindert: [p b t d k g].
2. Nasenlaute (Nasale)
Die Luft entweicht nicht durch den Mund, sondern durch die Nase:
[m n »g],
3. Seitenlaut (Lateral)
Die Luft entweicht nicht durch die Mitte des Mundes, sondern auf
einer oder auf beiden Seiten des Mundes: [1].
4. Schwinglaute (Zitterlaute, Vibranten)
Die Zungenspitze oder das Halszäpfchen schwingen (vibrieren).
Findet nur eine Schwingung (Vibration) statt, so sprechen wir von
angeschlagenen Konsonanten. Schwinglaute sind das Zungenspitzen-R
[r] und das Halszäpfchen-R [R].
5. Reibelaute (Frikative)
Die ausströmendc Luft wird eingeengt. Es entsteht ein Reibegeräusch:
[f w th ß s sch seht ch j eh h].
6. Lautverbindungen
Enge Laut Verbindungen (Affrikaten) sind eng zusammen ausgespro¬
chene Verschluß- und Reibelaute mit ungefähr gleicher Artikulations¬
stelle: [pf], [z] (— [tß]), [tsch], [dsek].
Weite Lautverbindungen sind eng zusammen ausgesprochene Ver¬
schluß- und Reibelaute mit ungleicher Artikulationsstelle: [pß],
[kß].
b) Artikulationsstelle
Artikulationsstelle ist die Stelle, wo die Konsonanten gebildet (artikuliert) 26
werden. Wir unterscheiden:
1. Lippenlaute (Bilabiale)
Unter- und Oberlippe werden zusammengepreßt und verhindern das
Entweichen der Luft durch den Mund: [p b m].
2. Lippenzahnlaute (Labiodentale)
Unterlippe und obere Schneidezähne engen die ausströmende Luft
ein: [f w].
32 Der Laut
3. Zahnlaute (Dentale)
Der Konsonant wird an den Zähnen oder in ihrer Nähe gebildet:
[th t d n 1 r ß s sch sefe]. Im einzelnen werden sie folgendermaßen
artikuliert: [th] (sogenanntes stimmloses englisches th) wird,inter¬
dental (Zungenspitze zwischen oberen und unteren Schneidezähnen)
oder postdental (Zungenspitze gegen die oberen Schneidezähne) ge¬
sprochen. [t d n r 1] spricht man mit der Zungenspitze gegen die
hintere Seite der oberen Schneidezähne (postdental) oder gegen den
Vorsprung hinter den oberen Schneidezähnen (alveolar). Bei [ß s]
strömt die Luft über eine in der vorderen Zunge gebildete Rille auf
die Schneidezähne. Die Zungenspitze befindet sich hinter den oberen
Schneidezähnen oder berührt die hintere Seite der unteren Schneide¬
zähne. Für [sch seh] wird die Zunge etwas zurückgezogen und die
Rille in der vorderen Zunge verbreitert.
4. Vordergaumenlaute (Palatale)
Die Zunge nähert sich dem vorderen Gaumen: [ch j].
5. Hintergaumenlaute (Velare)
Die Zunge artikuliert gegen den hinteren Gaumen: [k g eh].
6. Halszäpfchenlaut (Uvular)
Der Laut wird mit dem Halszäpfchen gegen die hintere Zunge ge¬
bildet: [R], d. h. sogenanntes Halszäpfchen-R. Da man an Stelle von
Halszäpfchen-R [R] in allen Stellungen Zungenspitzen-R [r] sprechen
kann, verwenden wir in unserer Lautschrift nur das Zeichen [r].
7. Kehlkopf laut
Der Laut wird im Kehlkopf gebildet: [h].
c) Stimmhaftigkeit
27 Schwingen die Stimmbänder im Kehlkopf, so ist der Konsonant stimm¬
haft. Das Schwingen läßt sich leicht nachprüfen, indem man die Hand an
den Kehlkopf legt. So ist zum Beispiel der Konsonant [s] in Sonne
[sQne] oder in Hase [ha-se] stimmhaft. Schwingen die Stimmbänder
nicht, so ist der Konsonant stimmlos. In Haß [haß] oder in hasse [haß0]
ist der Konsonant [ß] stimmlos. Man teilt die Konsonanten in stimmhafte
und stimmlose ein. Stimmhaft sind [bdgmnnglrRws seh j],
stimmlos [p t k f th ß sch ch eh h],
d) Stärke
28 Konsonanten können als starke (fortes) oder als schwache (lenes) ge¬
sprochen werden, ein Unterschied, der besonders für Verschlußlaute
und Reibelaute (außer [h]) wichtig ist. Starke Konsonanten sind [p t
k f th ß sch ch eh], schwache Konsonanten sind [b d g w s seh j].
Vgl. die Tabelle der Konsonanten Ziff. 29.
Tabelle der Konsonanten
34 Der Laut
e) Behauchung (Aspiration)
30 Hochsprachlich sind [p t k] im allgemeinen behaucht, also genauer
[ph th kh]:
Tag [tha kh] fragte [fra-khth°] mit ihm [mjth i m]
Klinke [khlingkhC] raspeln [raßphCln] hast [haßth]
stark [schtharkh] redlich [re-thlich] Quark [khwarkh]
abteilen [aphthailen] mit [mjth] lebt [le*phth]
Die Behauchung unterbleibt:
1. Im ersten Teil der langen Konsonanten [pp tt kk] im Wort- und
Satzinnern:
Abprall [apphral], nicht [aphphral]
ab Potsdam [apphQzdam], nicht [aphph0zdam]
mitteilen [mitthailcn], nicht [miththail°n]
2. Wenn im Wort- oder Satzinnern [b] auf [p], [d] auf [t], [g] auf
[k] ohne Pause folgt, so sind [p t k] nicht behaucht:
Abbau [apbau], nicht aphbau]
es wird dunkel [eßwirtdungkhCl], nicht [eßwirthdungkh°l]
Weggang [wekgang], nicht [wekhgang]
3. In engen und weiten Laut Verbindungen [pfz (= tß) tsch pß kß],
deren beide Teile zu derselben Silbe gehören, ist der erste Teil,
d. h. [p t k] nicht behaucht:
Pfand [pfanth], nicht [phfanth]
Apfel [apfel], nicht [aphfel]
knutschen [khnu-tschcn], [nicht khnuthsch°n]
Ist in [pf pß tß tsch kß] zwischen dem ersten Teil und dem zweiten Teil
eine Silbengrenze (also [p|f p|ß t|ß t|sch k|ß], so spricht man [p t k]
behaucht, d. h. [ph th kh]:
Abfall [aphfal], nicht [apfal]
Spätsaison [schphe-t11ßeso"*], nicht [schphe-zeso"*J
Gutschrift [gu-thschrifth], nicht [gu-tschrifth]
Im übrigen werden wir für [p t k] in der Lautschrift die Behauchung
nicht besonders angeben.
f) Dauer
31 In einfachen Wörtern spricht man Konsonanten kurz, gleichgültig, ob
sie in der Rechtschreibung einfach oder doppelt geschrieben werden:
Rate [ra t*] Roggen [rgg'n], nicht [rpgg'n]
Ratte [rat0], nicht [ratt0] fallit [fallt], nicht [falllt]
Wasser [waßer], nicht [waßß°r] Arrest [ar£ßt], nicht [arrgßt]
Stoßen die Konsonanten [ptkmnlrfßs sch eeh ch j eh] mit dem¬
selben Konsonanten in abgeleiteten, zusammengesetzten oder mit Prä¬
fixen gebildeten Wörtern oder im Satz ohne Pause zusammen, so spricht
man nicht zwei [ptk] usw., sondern langes [p t k-] usw., wofür wir in
der Lautschrift Doppelschreibung verwenden, d. h. [pp tt kk] usw.:
abpassen [appaß°n] wahllos [wa llo-ß]
Arzttum [a*rzttu-m] erraten [^rrä-t'n]
Stadttor [schtatto r] Lauffeuer [lauffQier]
entthronen [enttrö*n°n] Paßskandal [paßßkandad]
wegkommen [wekkomen] Waschschüssel [waschschüß‘1]
annehmen [anne m°n] zahm machen [za mmaeh°n]
Fehlleistung [fe-llaißtu»g] mich Chemiker [michch6-mik°r]
Wortbetonung 35
5. Wortbetonung
In mehrsilbigen Wörtern ist eine Silbe stärker als die anderen betont 32
(Hauptton). Die Stärke der einzelnen Silben hängt zudem von der Ge¬
stalt des Satzes ab. Was die Höhe der einzelnen Silben betrifft, so wird
sie von der Gestalt des Satzes bestimmt.
Einfache Wörter
In einfachen Wörtern ist gewöhnlich die erste Silbe betont:
Erde [e rd1] - Acker [akcr]
Elend [e-lent] Ekel [e-kcl]
Abgeleitete Wörter
In abgeleiteten Wörtern ist gewöhnlich die erste Silbe betont:
Mannschaft [manschaft] lesbar [leßbar]
langsam flangsa-m] möglich [möklich]
Zusammengesetzte Wörter
In zusammengesetzten Wörtern ist gewöhnlich das erste Wort stärker
betont als das zweite, das zweite stärker als das dritte usw.:
Bahnhof (stark - weniger stark)
Hauptbahnhof (stark - weniger stark - noch weniger stark)
Die Partikeln ab-, an-, aus-, bei-, ein-, nach-, wieder- sind meistens betont:
Abweg [apwek] beistehen [baischte-°n]
ausfahren [außfa-r'n] Eingriff [aingrjf]
Die Partikeln da-, dar-, durch-, her-, hier-, hin-, hinter-, in-, miß-, ob-,
über-, um-, un-, voll-, vor-, wider-, zu- kommen betont und unbetont vor:
durchgehen [dyrchge°n j Inbegriff [inbegrif]
durchgehen [dyrehge°n] infolge [infolg0]
Betonte Endungen
Die Endungen -ei und -ieren und Ableitungen davon betonen gewöhnlich
ei [ai] und ie [i-]:
Partei [partdi] polieren [poli r°n]
parteiisch [parteiisch] Polierer [poHr°r]
Abweichende Betonungen
Abweichend von diesen Regeln werden betont:
1. Einige deutsche Wörter:
lebendig [lebendich] Holunder [holynd'r]
Forelle [foryl0] Hornisse [horniß0]
Hermelin [herm'li n] Wacholder [wachtfld°r]
2. Viele Fremdwörter:
Atom [atö-m] Realismus [realißnniß]
Parlament. [Parlament-] Skandal [ßkandd,-ll
36 Der Laut
7. Nichthochsprachliche Aussprache
a) Landschaftliche Aussprachen
In den verschiedenen Teilen des deutschen Sprachgebietes finden wir 34
Ausspracheformen, die mehr oder weniger stark von der Hochsprache
(HS) abweichen. Diese landschaftlichen Aussprachen besitzen jedoch
keine festgelegte Norm, die sich mit der Norm der Hochsprache ver¬
gleichen ließe. Im folgenden seien einige Hauptzüge der norddeutschen
(ND) und der süddeutschen (SD) nichthochsprachlichen Aussprache er¬
wähnt.
a) Norddeutsche Aussprache
An Stelle von [$•] spricht man [e*]: Bären HS [b$ ren], ND [be ren], 35
d. h., ND werden Bären und Beeren gleich gesprochen, während sie^in
der Hochsprache verschieden gesprochen werden.
g der Rechtschreibung wird nach vorderen Vokalen bzw. nach Konso¬
nanten und vor einem Vokal, der zu demselben einfachen Wort gehört,
vielfach als [j] gesprochen: legen HS [le-g°n], ND. [le-j*n], Sorge HS
[sorg*], ND [sQrje], vor Konsonanten und vor Pause als [ch]: gelegt HS
[g*le-kt], ND [g*le-cht].
g der Rechtschreibung wird nach hinteren Vokalen bzw. nach [a a ] und
vor einem Vokal, der zu demselben einfachen Wort gehört, als [gh]
( = stimmhaftes [eh]) gesprochen: Wagen HS [wa:g*n], ND [wa gh*n],
vor Konsonanten und vor Pause als [eh]: sagte HS [sa-ktc], ND [sa eht*],
lag HS [la*k], ND [la-eh].
sp und st der Rechtschreibung werden weithin in allen Stellungen als
[ßp] und [ßt] gesprochen: Spiel HS [schpi-1], ND [ßpi-1]; Stein HS
[schtain], ND [ßtain].
ß) Süddeutsche Aussprache
Der Unterschied in der Klangfarbe zwischen den geschlossenen Vokalen 36
[e i ö ü o u] und den offenen Vokalen [o i Q Ü 0 v] ist weniger ausgeprägt
als in der Hochsprache.
b, d> g der Rechtschreibung (HS [b d g p t k]) werden als schwache
mehr oder weniger stimmlose Verschlußlaute gesprochen. Bei [p t k] ist
die Behauchung schwächer als in der Hochsprache, [s] ist mehr oder
weniger stimmlos. Die Endung -ig spricht man vor Konsonanten und vor
Pause als [g], nicht als [ch]: einig IIS [ainjeh], SD [ainig], beleidigt
HS [beläidjcht], SD [b*läidjgt].
b) Umgangssprache
Die Hochsprache (HS) ist eine offiziell festgelegte Norm-. Die von ihr ab- 37
weichende lässige Umgangssprache (US) besitzt keine Norm. Wir können
darum nur einige ihrer Hauptzüge erwähnen.
Vokale
1. [*] kann ausfallen, besonders vor [m n 1 r] am Wortende, wodurch
[m n 1 r] Silbenträger ([m n 1 r]) werden:
hatten HS [hat'n], US [hatn],Esel HS [e-s’l], US [e-sj]
38 Der Laut
2. Unbetonte, nicht vor Vokal stehende [e] und [e] werden zu [e]:
Psyche HS [pßü-che], US [pßüche]
Examen HS [ekßämen], US [ckßä*m°n]
Verkehr HS [ferke r], US [furke‘rj
Konsonanten
1. Konsonanten mit verschiedener Artikulationsstelle können einan¬
der angepaßt werden, d. h., sie haben jetzt ähnliche oder gleiche Arti¬
kulationsstelle :
haben HS [ha-b°n], US [ha-bm]
anpassen IIS [anpaß'n], US [ampaßn]
konkret HS [konkre t], US [konkre t]
in Berlin HS [inborli-n], US [imbcrh-n]
2. Nach stimmlosen Konsonanten wird stimmhaftes [s] zu stimm¬
losem [ß]:
Absatz HS [apsaz], US [apßaz] (wie in Kapsel [kapßcl])
Drucksache HS [dryksaehL], US [drpkßaeh' ] (wie in Büchse [btikßp])
A. Betont
1. spricht man langes a [a-]:
a) wenn im Stamm nur ein Konsonant (außer x), nur ph oder nur
th folgt:
hab-en [ha-b'n], hab-t [ha-pt], rat-sam [ra-tsa-m]. Tag [ta k], Photograph
[fotogrdf]
40 Der Laut
d) vor den Konsonantengruppen bl, br, dl, dr, gl, gr, kl, kr,
phl, phr, pl, pr, qu, thl, thr, tl, tr (einfache Wörter):
Adler [adl'r], Natron [natrpn]
f) am Wortende:
da [da*], ja [ja*], Papa [papd*], Ulema [ulemd*]
g) in:
Art, artig, Arzt, brach, Brache, brachliegen, Bratsche, Drasch, drasch,
Gemach, gemach, Harz, Jagd, Karbatsche [karbd*tsche], Kladderadatsch
[klad°radd*tsch], Latsche, latschen, Magd, Master, nach (außer in Nachbar
[nachba r]), Papst, Quarz, Radscha [ra-dseha], Schmach, Schwarte,
sprach, Sprache, stach, Tratsch, Watsche, watscheln, zart
c) in
ab, am, Ammoniak [amonidk], an, Ananas [ananaß], Araber [arab°r],
As, as, baß, Claque [klake], Damwild, das, daß, Fiaker, Grammatik
[gramdtik], hat, Januar [janua r], Kaliko, Kanapee, Kanevas [kan*waß],
Kap, Kosak, Madam [maddm], man, Marstall, Paletot [paleto], Paprika,
Salmiak [salmidk], Tram, Tschako, Walfisch, Walnuß,. Walroß, was
b) langes geschlossenes e [e ]:
Cape [ke p], Lady [le-di]
B. Unbetont
1. spricht man kurzes a [a]:
a) vor der betonten Silbe:
Kanal [kanäl], massieren [maßi-ren]
b) nach der betonten Silbe in nichtletzter Silbe:
Kabbala [kabala], Prostata [proßtata]
c) am Wortende:
Kola [ko-la], Naphtha [nafta]
d) meistens am Wortende vor Konsonant:
Bräutigam [broitigam], Karneval [karncwal], Kaviar [ka-wiar], Monat
[monatl
2. spricht man langes a [a ]:
a) in den deutschen Ableitungssilben -bar, -sal, -sam:
zahlbar [zalbar], Schicksal [schiksa-1], langsam [langsa-m]
b) meistens in -ian:
Grobian [grobia-n], Thymian [tti mia n]
c) in folgenden anfangsbetonten Wörtern:
Balsam, Dual, Februar, Hangar, Heimat, Heirat, Hektar, Jaguar, Januar,
Leichnam, Ozean, Plural, Safran, Singular, Sultan, Zierat
A. Betont
1. spricht man langes offenes e [©•]:
a) wenn im Stamm nur ein Konsonant (außer x), nur ph oder nur
th folgt:
Bär [be-r], gär-te [ge-rtc], Mädchen [me*tchen], Äther [e*tcr]
b) wenn mehrere Konsonanten folgen, aber eine Nebenform oder
der Stamm langes offenes e [$•] hat:
näsle [ne-slc] (Nebenform: näsele [ne-sT])
Mäkler [me-kPr] (Stamm: mäk(e)l [me*k(c)l])
c) bei folgendem ß, wenn andere Formen nicht -äss- oder -ass-,
sondern -äß- oder -aß- haben:
säße [se*ß°] (daneben nicht sassen, sondern saßen)
d) wenn verwandte Formen mit langem a [a*] bestehen (vgl. a,
Absatz A, 1, g):
Ärzte[e ist0] (zu: Arzt[a-rzt]),spräche [schpre ch*](zu:sprach [schpra eh])
e) vor ausgesprochenem, zur nächsten Silbe gehörendem Vokal:
trochäisch (trpehc-lisch], Trophäe [trof£T]
f) in:
Gebärde, Grätsche, hätscheln, Kartätsche, Jädt, Rätsel, Städte, tätscheln
2. spricht man kurzes offenes e [s] :
a) vor x und vor mehreren Konsonanten (sofern nicht unter
Absatz A, 1 erfaßt): s
hätte [het°], mästen [meßt'n], Härte [h^rt0], Wäldchen [weltch°n]
b) bei folgendem ß, wenn andere Formen nicht -äß- oder -aß-,
sondern -äss- oder -ass- haben:
läßt [leßt] (daneben nicht: läßest, sondern: lässest)
42 Der Laut
B. Unbetont spricht man kurzes offenes e [§] (zum Teil langes offenes
e [«•]):
Ästhet [gßt6t], Äthyl [gttl-1] (auch: [g-tti-1])
a
Man spricht langes a [a-] in tschechischen und ungarischen Wörtern:
Dvoräk [dwQrseha-k], Csärdäs [tschardasch]
\
a
Man spricht kurzes a [a]:
k jour [asehu-r], ä la carte La la kart]
Ä
Man spricht kurzes offenes o [q] :
Ängström [ongßtrö-m]
aa
1. Man spricht langes a [a*] in einfachen deutschen Wörtern:
Aal [al], Waage [wa gcl
2. Man spricht wie a und a in einigen fremden Namen und an der Wort¬
grenze :
Kanaan [ka na|an], Asthmaanfall [aßtma|anfal]
ah
1. Man spricht langes geschlossenes a [a ] in einfachen deutschen Wörtern
(h ist stumm):
mahne [ma n0], nah [na ], sahst [sa ßt]
äh
Man spricht langes offenes e [*£•] in einfachen deutschen Wörtern (h ist
stumm):
mähe [me c], näht [ng-t], zäh [zg ]
ai
1. Man spricht den Diphthong [ai] in einfachen deutschen Wörtern und
in einzelnen Fremdwörtern:
Maid [mait], Hai [hai], Taifun [taifü-n]
Von den Buchstaben zu den Laute^ (Aussprachelehre) 43
2. Man spricht betont langes offenes e [§•], unbetont kurzes offenes e [§]
in französischen Wörtern:
Chaise [schg-s®], Defaitist [defetißt]
am
Man spricht nasales e [q Bg] in französischen Wörtern am Wortende und
vor Konsonant:
Refrain [rcfr£”*], Saint-Simonist [ße "•ßimonfßt]
am
Man spricht nasales a [a,,g] in französischen Wörtern vor Konsonant:
Chambre [scha,,Kbr]
an
Man spricht nasales a [aMg] in vielen französischen Wörtern am Wortende
und vor Konsonant:
Cancan [ka"*kä,"*], Orange [ora^sch®], va banqne [waba**k]
ao
Man spricht wie a and o
Kaolin [ka|oli-n], Kakao [kak&-|o]
au
1. Man spricht den Diphthong [au] in einfachen deutschen Wörtern und
in den meisten nichtenglischen und nichtfranzösischen Fremdwörtern:
Auto [auto], bauen [bau'n], Haus [hauß]
äu
1. Man spricht den Diphthong [Qi] in einfachen deutschen Wörtern:
Häuser [hQiser], täuschen [tQisch°n]
aw
Man spricht langes offenes o [q-] in englischen Wörtern:
Yawl [jQ-1]
ay
1. Man spricht den Diphthong [ai] in deutschen Namen:
Bayer [bai'r], Mayer [mai'r]
b
1. Man spricht [b]:
a) am Wortanfang:
Bach [baeh], blau [blau]
d) in den lateinischen Präfixen ab- (meistens vor Vokal und 1), ob-
(vor Vokal und meistens vor 1), sub- (zum Teil vor Vokal und vor 1):
Abitur [abitü-r], obligatorisch [öbligatörjsch], sublim [subli-m]
bb
1. Man spricht ein [b] in einfachen Wörtern vor Vokal, 1, r:
Ebbe [ebe], krabblig [krabljch], knabbre [knabre]
Von den Buchstaben zu den Lauten (Aussprachelehre) 45
C
1. Man spricht [k] vor a, o, u, 1, r:
Cafe [kaf<H. Cour [ku r], Clown [klaun], Crew fkrir]
<5
Man spricht stimmloses („scharfes“) s [ß]:
Apercu [aperßü-], Curacao [kuraßäo]
cch
Man spricht [k] in italienischen Wörtern:
Malocchio [tnaltfkio]
CC1
Man spricht [tsch] vor Vokal in italienischen Wörtern:
Boccia [botscha]
ch
1. Man spricht [ch] (Ich-Laut):
a) nach Konsonanten, nach ä, e, i, ö, ü, y und nach den beiden Diph¬
thongen [ai], [Qi] (geschrieben: ai, ei, äu, eu):
manch [manch], nächst [nechßt], Mechanik [mechä*nik], ich [ich]
b) in italienischen Wörtern:
Chianti [kiänti], Marchese [marke-sei
chs
1. Man spricht [kß] (wie x) in einfachen Wörtern, wenn das s in chs zum
Stamm gehört:
Buchs (Buchsbaum) [bykßj, Ochse [okße], sechs [sykß], wachsen [wakß'n]
2. Man spricht wie ch und s, wenn das s in chs nicht zum Stamm gehört,
oder an der Wortgrenze:
Buch-s (Buches) [bu-ehß], Buch-seite [bu-eh|saitc]
CI
ck
Man spricht [k] in einfachen Wörtern:
Bock [bok], Hecke [hyk°]
CS
d
1. Man spricht [d]:
a) am Wortanfang:
Dame [da*mc], drei [drai]
b) vor Vokal im Inneren einfacher Wörter (Ausnahmen vgl. 2, b, c):
baden [ba-d°n], Halde [halde]
c) vor 1, n, r, wenn sie zum Stamm gehören:
Handlung [Handlung] (.Stamm: hand(e)l), rudre [rirdrc] (Stamm: rud(e)r)
lisch
1. Man spricht fdseh] in einfachen Wörtern:
Dschungel [ds<4iung’i], Badscha Iradseha]
2. An der Wortgrenze spricht man wie d und sch oder wie ds und ch:
Radschlagen [ra t|schla-g'iil, Hundscharakter [hunz|karaktcr]
dt
1. Man spricht ein [t] in einfachen Wörtern:
beredt [b're t], lädt [lc t], Städte [schtg t0]
c) vor den Konsonantengruppen bl, br, dl, dr, gl, gr, kl, kr, phl,
phr, pl, pr, qu, thl, thr, tl, tr (einfache Wörter) :
Allegro [al6-gro], Exequien [<jkß6-kwien], Metrik [me-trik]
e) am Wortende:
Akme [akm6], je [je ], Koine [koinö-]
f) in:
beredt, Beschwerde, Erde, erst, Erz, Herd, Herde, Kebse, Keks, Krebs,
nebst, Pferd, Schwert, stets, werden, Wert, wert
B. Unbetont
1. spricht man kurzes geschlossenes e [e]:
a) vor einem Konsonanten (außer x), vor bl, br, dl, dr, gl, gr, kl,
kr, ph, phl, phr, pl, pr, qu, th, thl, thr, tl, tr + Vokal (einfache
Wörter):
Neglig6 [negliseh^ ], Nephritis [nefri tiß], Frequenz [frekwgnz], Methan
[metdn]
Von den Buchstaben zu den Lauten (Aussprachelehre) 49
d) in:
Elen [e ien], Elend [elcnt], vollends [fQlenz]
C. e ist stumm
1. am Wortende nach Vokal in französischen Wörtern:
Lieue [liö-]> Revue [rcwl'i]
e
Man spricht betont langes offenes e [$•], unbetont kurzes offenes e [q]:
Tete-ä-tete [tetaty-t]
ea
1. In englischen Wörtern spricht man:
a) meistens langes geschlossenes i [i-]:
Clearing [kli-riug], Seal [ßil]
eau
1. ln französischen Wörtern spricht man betont langes geschlossenes
o [o-], unbetont kurzes geschlossenes o [o]:
Niveau [niwö-J, Beautö [botö * ]
ee
1. Man spricht in französischen und in einfachen deutschen Wörtern
a) betont langes geschlossenes e [e-]:
Idee [id6 ], leer [1e r], See [se*]
eh
1. Man spricht langes geschlossenes e [e ] in einfachen deutschen Wörtern
(h ist stumm):
Ehe [e-“], gehen [ge 'nj, wehren [we-r'n], Weh [we-], weht [we t]
ei
1. Man spricht den Diphthong [ai] in einigen griechischen und in ein¬
fachen deutschen Wörtern:
Eidetik [aide tik], Bein [bain], Eis [aiß]
eih
1. Man spricht [ai] in einfachen deutschen Wörtern (h ist stumm):
leiht [la.it], Reihe trai1'], Weih [wai]
2. An der Wortgrenze spricht man wie ei und h oder wie e und ih:
Eihaut [ai|hautf Freiheit |frai|hait], geihrzt [g°|i-rzt]
ein
Man spricht nasales e [e"g] vor Konsonant in französischen Wörtern:
Tleinpouvoir [plc1Hrpuwod-r], Teint [tc**]
em
Man spricht nasales a [a**8] vor Konsonant in französischen Wörtern:
Ensemble [a,"*ßdH*bl]
en
In französischen Wörtern spricht man:
1. nasales a [a**8] vor Konsonant:
Detente |deta'"'t|. l’eiulant Ipa^dd**]
52 Der Laut
er
In französischen Wörtern spricht man langes geschlossenes e [e ] am
Wortende nach Konsonant:
Baiser [bes6], Diner [dinö ]
ere
1. Man spricht [e-rc] am Wortende in französischen Wörtern:
Portiere [portie r0], Tabatiere [tabatie rc]
eu
1. Man spricht den Diphthong [Qi] in einfachen deutschen Wörtern und
in griechischen Wörtern:
euer [Qi*r], heute [hoitc], Euphorie [oifori-]
ew
Man spricht [ju ] in englischen Wörtern:
New Deal [nju- di-1], Steward [ßtju-°rt]
ey
Man spricht kurzes geschlossenes i [i] (häufigere Aussprache) oder kurzes
offenes i [i] (neuere, weniger häufige Aussprache) in englischen Wörtern
am Wortende:
Hockey [hoki] (oder: [hoki])
f
Man spricht [f] in einfachen Wörtern:
auf [auf], Fach [faeh]
fr
1. Man spricht ein [f] in einfachen Wörtern:
Affäre [affc-r6], Affe [afe], Muff [mpf]
g
1. Man spricht [g]:
a) am Wortanfang (Ausnahmen vgl. Absatz 4 u. 5):
Gas [ga-ß], gleich [glaich], grau [grau]
gg
1. Man spricht ein [g] in einfachen Wörtern vor Vokal, 1, r:
Egge [eg°], Ros.-gen [rog°n]
ggi
Man spricht [dseh] in italienischen Wörtern vor a, o, u, sonst [deehi]:
Arpeggio [arpedseho], Arpeggi [arpedsehi]
54 Der Laut
gio
1. Man spricht [ds<eh] in italienischen Wörtern vor a, o, u:
Adagio [add-dscho]
gH
1. Man spricht [lj] in italienischen Wörtern vor a, e, o, u:
Passacaglia [paßakdlja]
gn
1. Man spricht [nj] in französischen und italienischen Wörtern:
Champagner [schampdnj°r], Bagno [banjoj
g«
1. Man spricht [g] in englischen, französischen und spanischen Wörtern
vor e, i:
Guinee [gine-], Guillotine [gijoti*ne], Guerrilla [gedlja]
h
1. Man spricht [h] (h wird ausgesprochen):
a) am Wortanfang der deutschen und der meisten Fremdwörter:
Hals [halß], Hausse [ho ßR], Hymne [hümnc]
b) nach der Wortgrenze in nichteinfachen deutschen Wörtern:
da-heim [dahdim], ver-haften [fcrhdft'n]
c) in Ausrufewörtern vor Vokal:
ahoi! [ahtfi], oho! [ohö-]
d) in:
Ahorn [a horn], Oheim [o-haim], Uhu [u-hu]
e) im Inneren der meisten Fremdwörter:
Mahagoni [mahagd ni], Vehikel [wehi k'l]
A. Betont
b) vor den Konsonantengruppen bl, br, dl, dr, gl, gr, kl, kr, phl,
phr, pl, pr, qu, thl, thr, tl, tr (einfache Wörter):
Iglu [i-glu], Reliquie [reli kwi*], Mitra [mi tra]
d) am Wortende:
Kikeriki [kikrriki-], Pi [pi-], Schi [schi ]
e) in:
Haschisch, Nische
c) in:
April, bim, cis, Clique [klikc], dis, Finish [fjnisch], Flip, Gambit, gis, Him¬
beere, his, Kapitel, Tip, Trafik
B. Unbetont
c) am Wortende:
Alibi [alibi], Gummi [gpmi], Juli [juli]
ie
A. Man spricht einen Laut in einfachen Wörtern, und zwar:
1. langes geschlossenes i [i-]:
a) wenn im Stamm ein oder mehrere Konsonanten folgen:
parkieren [parki-r'n], Tier [ti r], Biest [bi ßt], riecht [ri eht]
2. in Fremdwörtern:
a) bei unbetontem i und e:
dielektrisch [di|el£ktrisch], Studie [schtu di*]
b) bei betontem e:
Diese [dilö s0], Triere [tri|6 r°]
3. an der Wortgrenze:
Gummielastikum [gumi|eläßtikum]
ieh
1. Man spricht langes geschlossenes i [i-] in einfachen Wörtern (h ist
stumm):
lieh [li], ziehst [zi-ßt], ziehen [zi 'n]
ier
In der französischen Endung -ier spricht man:
1. zum Teil [1t]:
Barbier [barbl-r], Offizier [ofizi-r]
igh
Man spricht [ai] in englischen Wörtern:
all right [q-1 rait]
58 Der Laut
m
Man spricht in französischen Wörtern nach Vokal:
i- m=
mouillieren [mujir'n]
2. [lj]:
Kanaille [kan&lj*]
im
Man spricht nasales e [$ "*] in französischen Wörtern vor Konsonant:
Timbre [te**br]
m
Man spricht nasales e [e Bg] in französischen Wörtern am Wortende und
vor Konsonant:
Bassin [baße**], Inseparables [o"*ßeparabl]
j
1. Man spricht [seh] in französischen Wörtern:
Journalist [sehurnalißt]
k
Man spricht [k]:
kalt [kalt], Kino [ki-no], Kognak [konjak]
kk
1. Man spricht ein [k] in einfachen Wörtern:
Kokke [kok*], Okkasion [okasiö-n]
kn
1. Man spricht [n] (k ist stumm) am Anfang englischer Wörter:
knockout [nok&ut]
Von den Buchstaben zu den Lauten (Aussprachelehre) 59
kq
Man spricht ein [k] in einfachen Wörtern:
Akquisition [akwisiziö n]
1
1. Man spricht [1]:
Land [lant], Feld [feit], Teil [tail]
11
1. Man spricht ein [1] in einfachen deutschen und in den meisten Fremd¬
wörtern :
alle [alc], fülle [fül°L Kristall [krjßtdl]
m
Man spricht [m]:
mischen [misch'n], Lampe [lamp®], kam [ka m]
mm
1. Man spricht ein [m] in einfachen Wörtern:
Amme [am*], kommun [komü-n]
n
1. .Man spricht [n]:
a) in einfachen deutschen Wörtern (außer vor g und k):
nein [nain], manch [manch]. Plan [pla n]
b) an der Wortgrenze:
Eingang [aingaug], Methangas [metd-nga-ß]
n
Man spricht [nj]:
Senor [ßenjqr]
ng
1. Man spricht [ng] (einen Laut):
a) in einfachen deutschen Wörtern:
Angst [angßt], bringen [bring'n], Zeitung [zaitung]
b) in einigen Fremdwörtern:
Dschungel [dsehung'l], Gong [gQftg], Swing [ßwjng]
nn
1. Man spricht ein [n] in einfachen Wörtern:
Annalen [anä-l'n], Tanne [tan*]
o
A. Betont
d) vor den Konsonantengruppen bl, br, dl, dr, gl, gr, kl, kr, phl,
phr, pl, pr, qu, thl, thr, tl, tr (einfache Wörter):
Kobra [ko-bra], Kolloquium [kolö-kwium]
e) vor ausgesprochenem, zur nächsten Silbe gehörendem Vokal:
Boa [bo |a], Oboe [obö |e]
f) am Wortende:
Büro [bürö], Hallo [halb-], so [so-]
g) in:
Fort [fo-r], hoch, Kloster, Koks, Korps [ko-r], Lotse, Mond, Obst, Ostern,
Propst, prost, Ressort [reßö-r], Trost, Vogt
B. Unbetont
1. spricht man kurzes geschlossenes o [o]:
a) vor einem Konsonanten (außer x), vor bl, br, dl, dr, gl, gr, kl,
kr, ph, phl, phr, pl, pr, qu, th, thl, thr, tl, tr + Vokal (einfache
Wörter):
Forelle [for01c], Hoplit [hopli-t], Eloquenz [elokwenz], Kothurn [kotyrn]
b) vor ausgesprochenem Vokal:
Koalition [ko|aliziö-n], Zoologie [zo|ologi ]
c) am Wortende:
Auto [auto], desto [deßto], Trio [tri o]
d) in:
Herzog [hgrzok] (auch: [herzo k])
g) in:
Behörde, Börse [bö-rsc] (neben: [bgrsc]), Gehöft, Österreich [ö-ßt'raich,
B. Unbetont
b) in:
Stöchiometrie [ßtöchiometn-]
J oa
Man spricht langes geschlossenes o [o-] in einigen englischen Wörtern:
Roastbeef [ro-ßtbi-fj, Toast [to-ßt]
oe
Man spricht:
1. einen Laut, und zwar:
a) kurzes geschlossenes ö [ö] in:
Oeillet [öjC'-]
b) langes geschlossenes ö [ö-] in einigen Namen:
Goethe [götn]
öe
Man spricht:
1. einen Laut, und zwar langes geschlossenes ö [ö-] in -rrhöe (nur Ein¬
zahl) :
Diarrhöe [diarö*], Menorrhoe [menprO-l
oeu
Man spricht langes geschlossenes ö [ö]* in einigen französischen Wörtern:
Coeur [kö-rl, Oeuvre [öwr]
oh
1. Man spricht langes geschlossenes o [o-] in einfachen deutschen Wörtern
(h ist stumm):
Lohe [loM, roh [ro-], wohne [wo-n' ]
oi
1. Man spricht den Diphthong [Qi]:
ahoi! [ahtfi], Koine [koine*], Konvoi [konwQi]
orn
Man spricht [oq”8] in französischen Wörtern vor Konsonant:
Point [po^**], Pointe [poe**tc]
om
Man spricht nasales o [q“8] vor Konsonant in französischen Wörtern:
Komtesse [kQ**tgße], ombriert [o**bri-rt]
on
1. Man spricht nasales o [q*8] am Wortende und vor Konsonanten
(außer h) in einigen französischen Wörtern:
Fasson [faßö**], Bonmot [bQ**mö]
2. Man spricht:
Balkon [balkO***], [balkdng] oder [balkö-n]; Beton [bet$**], [bettfng] oder [betö'n];
Salon [ßalQ**], [saldng] oder [salö-n]; Waggon [wagö"*] oder [wagQftg]
OO
OU
OW
oy
1. Man spricht den Diphthong [Qi] in englischen Wörtern:
Boy [boi], Boykott [bpikot]
P
1. Man spricht [p]:
Panne [pan0], Oper [o-p°r], Mumps [mumpßj
pf
1. Man spricht [pf] (einen Laut) in einfachen Wörtern:
Ivopf [köpf], Pfanne [pfanc], Pflaume [pflaum0]
ph
1. Man spricht [f] in einfachen Wörtern:
Naphthalin [naftalfn], Photo [fo-to]
PP
1. Man spricht ein [p] in einfachen Wörtern:
Appell [apgl], Kappe [kape], zapple [zapl°]
qu
1. Man spricht [kw]:
Qual [kwa-l], Quantum [kwantiim], Reliquie [relikwi®]
r
1. Man spricht [r]:
Kerbe [kerb®],/und [rpntj, wer [we*r]
rh
1. Man spricht [r] in einfachen Wörtern:
Rheuma [rgima], Rhythmus [riitmpß]
rr
1. Man spricht ein r in einfachen Wörtern:
Dürre [dyrc], Narr [nar], Terror [terpr]
rrh
1. Man spricht ein [r] in einfachen Wörtern:
Arrhythmie [arütmi ], Katarrh [katär]
s
1. Man spricht stimmhaftes („weiches“) s [s]:
a) am Wortanfang vor Vokalen, vor b und g:
Sonne [son°], Wertsache [we-rt|saeh°], Sbirre [sbire], Sgrafflto [sgrafi-to]
ß
Man spricht stimmloses („scharfes“) s [ß]:
Maß [ma-ß], paßte [paßt0], stoßen [schto-ßen]
sch
1. Man spricht [sch] in einfachen deutschen und in den meisten Fremd¬
wörtern :
rasch [rasch], Schule [schu-T], Scheck [schek]
sh
1. Man spricht [sch] in englischen Wörtern:
Shorts [schQ-rz]
sp
1. Man spricht [schp] am Wortanfang in deutschen Wörtern und in häufig
gebrauchten Fremdwörtern:
Spiel [schpi-lj, Spion [schpiö-n]
ss
1. Man spricht ein stimmloses („scharfes“) s [ß] in einfachen Wörtern:
lassen [laß°n], Mission [mißiö n]
St
1. Man spricht [seht] am Wortanfang in deutschen Wörtern und in
häufig gebrauchten Fremdwörtern (vgl. jedoch ZifF. 35):
Stein [schtain], Station [schtaziön]
t
1. Man spricht [t] in deutschen Wörtern und meistens in Fremdwörtern:
Tat [ta-t], Tomate [toma-tc]
tch
1. Man spricht [tsch] in englischen Wörtern:
Catch [ketsch], Match [j-gtsch]
th
1. Man spricht [t] in nichtenglischen einfachen Wörtern:
Athlet [atlc t], Thron [tro*n]
ts
1. Man spricht [z] in einfachen Wörtern:
Lotse [lo-z*], Rats [ra-z], Tsetsefliege [zezefli-g*]
tsch
1. Man spricht [tsch] in einfachen Wörtern:
Tscheche [tschech*], tratschen [tra tschcn]
tt'
1. Man spricht ein [t] in einfachen Wörtern:
Mitte [mit*], quittieren [kwiti*rcn]
tz
1. Man spricht [z] in einfachen Wörtern:
Katze [kaze], Spitze [schpjz*]
u
A. Betont
d) vor den Konsonantengruppen bl, br, dl, dr, gl, gr, kl, kr, phl,
phr, pl, pr, qu, thl, thr, tl, tr:
Nukleus [nu-kleyß], Duplum [du-plym]
f) am Wortende:
du [du ], Kanu [kanü*] (neben: [ka-nu])
g) in:
Blust, Bruch (Sumpfland), Buch. Buche, Buchstabe, Eunuch [yinü-eh],
Fluch, Geburt, Husten, Knust, knutschen, Kuchen, Nutsche, plustern,
prusten, Puste, Schuster, suchen, Tuch, Wucher, Wuchs, wuchs, wusch,
Wust
c) in:
Bus, Jus, Klub, Luther, muß, plus, Rum, um, un- [yn] (z. B. unecht un¬
echt]), Urteil, wußte
6. spricht man kurzes, a [a] oder kurzes offenes ö [q] in einigen eng¬
lischen Wörtern:
Cut [kat], Truck [trak], Pumps [pömpß], Turn [töm}
B. Unbetont
1. spricht man kurzes geschlossenes u [u]:
a) vor einem Konsonanten (außer vor x), vor bl, br, dl, dr, gl,
gr, kl, kr, ph, phl, phr, pl, pr, qu, th, thl, thr, tl, tr -f- Vokal (ein¬
fache Wörter) :
Musik [musi-k], Duplikat [duplikä t], Ruthenium [rutc niym]
72 Der Laut
b) vor ausgesprochenemVokal:
Ruine [rui-ne], Statue [schtatu®]
c) am Wortende:
Emu [e-mu], Uhu [uhu]
ü
A. Betont
e) am Wortende:
Menü [menti ], Parvenü [parw6nü*]
f) in:
düster, Küchlein, Nüstern, Plüsch, Rübsen, Rüsche, Rüster, wüst, Wüste
B. Unbetont
1. spricht man kurzes geschlossenes ü [ü] vor einem Konsonanten -f-
Vokal (einfache Wörter):
amüsieren [amüsf-r'n], debütieren [debütf r'n]
uh
1. Man spricht langes geschlossenes u [u-] in einfachen deutschen Wör¬
tern (h ist stumm):
Kuh [ku ], Ruhe [ru *], ruht [ru t]
wh
Man spricht [w] in englischen Wörtern:
Whisky [wißki]
X
Man spricht [kß]:
Hexe [hgkß8], Xylophon [kßülofö n]
y
A. Betont
1. spricht man langes geschlossenes ü [ü*]
a) vor einem Konsonanten, vor ch, ph, th, auf die ein Vokal
oder eine mit einem Konsonanten beginnende deutsche Endung
folgen kann:
zynisch [zü-nisch], Äthyl-s letü*lß], Psyche [pßü che]
Von den Buchstaben zu den Lauten (Aussprachelehre) 75
b) vor den Konsonantengruppen bl, br, chl, ehr, dl, dr, gl, gr, ki,
kr, phl, phr, gl, pr, thl, thr, tl, tr (einfache Wörter):
Hydra [hü-dra], Zyklus [zükluß]
c) am Wortende:
My [mü ], Ny [nti]
2. spricht man kurzes offenes ü [ü] vor x und vor mehreren Konso¬
nanten (sofern nicht unter Absatz A, 1 erfaßt):
Pyxis [pükßiß], Myrte [mtirt*], Mystik [miißtjk]
B. Unbetont
3. spricht man kurzes offenes ü [fi] oder kurzes geschlossenes ü [ü] vor
Vokalen in dys- (Dys-) und in syn- (Syn-):
Dysenterie ldüsent*rf] (oder: [düsent'ri-]), Synode [stfnöd0] (oder: [stinö’d0])
z
1. Man spricht [z] in deutschen, griechischen, lateinischen, italienischen
und einigen anderssprachigen Wörtern:
Harz [ha-rz], Zahl [za*l], zynisch [zü nisch], Zentrum ]Zentrum], sforzando
[ßforzändo], Zar [za r]
zz
1. Man spricht ein [z] in einfachen Wörtern:
Mezzotinto [mgzotlnto], Skizze [ßkize]
L Verben
Im Vordergrund stehen die Wörter, die uns sagen, was sich ereignet oder 40
was ist:
sie langten an, wohin sie wollten; der Torwächter trat heraus, wünschte ihnen einen
guten Morgen, pries die Reisenden; in dem Städtchen ivar noch alles leer und still;
Nachtigallen schlugen; Brunnen rauschten u. a.
Da sich alles Geschehen oder Sein aber in der Zeit vollzieht, sind sie mit
Hilfe ihrer Formenwelt auch nach der Zeit veränderlich: wünsche,
wünschte usw. Man nennt diese Wörter deshalb Zeitwörter oder auch
Verben (vgl. 53ff.).
1 Vgl. hierzu besonders Hans Glinz, Der deutsche Satz, Düsseldorf 1957, S. 28ff.
78 Die Einteilung der Wortarten
2. Substantive
41 a) Fast mit gleicher Stärke treten die Wörter hervor, die Lebewesen oder
Dinge benennen:
Torwächter, Reisende, Nachtigallen, Gebirgsstädtchen, Tor, Fenster u. a.
Wörter dieser Art bezeichnen aber auch „Dinge“1, die nur in der ge¬
dachten Welt des Menschen vorhanden sind:
Wette, Jahreszeit.
Es ist also die Aufgabe dieser Wörter, den Wesen oder Dingen ihren
Namen zu geben. Man nennt sie deshalb zutreffend Nomen oder auch
Substantiv (vgl. 171).
b) Da der Mensch aber die Wesen und Dinge der Welt in seinem Bilde
sieht, verbindet er mit jedem Substantiv eine Geschlechtsvorstellung:
männlich, weiblich oder keines von beiden (sächlich; vgl. 177):
der Torwächter, die Nachtigall, das Gebirgsstädtchen.
3. Adjektive
42 In dem gewählten Text begegnen uns weiterhin Wörter, deren Aufgabe
vor allem darin besteht, die im Satz genannten Wesen oder Dinge zu
charakterisieren oder das Geschehen oder Sein zu beurteilen. Geben sie
die Eigenschaft eines Wesens oder Dinges wieder, dann bilden sie in ver¬
änderter Form mit dem Substantiv eine enge Gemeinschaft:
Der Torwächter wünschte ihnen einen guten Morgen.
Drücken sie aber ein Urteil aus, dann stehen sie unverändert beim Verb:
Der Torwächter trat schlaftrunken heraus und pries die Reisenden glückselig und
beneidenswert.
Da diese Wörter in erster Linie aussagen, wie ein Wesen oder Ding ge¬
artet ist oder wie sich ein Geschehen vollzieht, nennt man sie Artwörter
oder auch Eigenschaftswörter oder Adjektive (vgl. 325).
1 Wenn wir künftig von Dingen im sprachlichen Sinne sprechen, sind die gedachten
„Dinge“ immer eingeschlossen.
Die Einteilung der Wortarten 79
a) Artikel
Es ist die Aufgabe einiger dieser Wörter, die Substantive, die sie be- 43
gleiten, als bestimmte Einzelwesen und -dinge oder als Vertreter einer
Gattung zu kennzeichnen:
das Tor, der Torwächter, die Wette; aber: einen guten Morgen.
Man nennt diese Wörter Artikel oder, weil ihnen auch die Geschlechts¬
bezeichnung zugefallen ist, Geschlechtswort (vgl. 206).
b) Pronomen
Andere Wörter dieser Gruppe haben vornehmlich die Aufgabe, das Sub- 44
stantiv zu vertreten oder darauf hinzuweisen:
sie langten an; der Torwächter wünschte ihnen einen guten Morgen; in dem Wirts¬
hause war noch niemand auf; daß es in die Berge hineinschallte; in dieser Jahreszeit.
Man nennt sie von ihrer stellvertretenden Aufgabe her Fürwort oder
Pronomen (vgl. 416).
c) Zahlwörter
Schließlich finden sich in dieser Gruppe Wörter, die das Substantiv be- 45
gleiten, um seine Fähigkeit, zwischen Einheit und Vielheit zu unter¬
scheiden, zählend zu unterstützen:
mehrere alte Brunnen. Es könnte auch heißen: zwei, drei alte Brunnen.
Wörter dieser Art nennen wir Zahlwort oder Numerale (vgl. 523).
Gemeinsam ist allen Wörtern dieses Abschnittes, daß sie aus ihrem
Wesen heraus mit dem Substantiv, das sie begleiten, eine enge Gemein¬
schaft bilden oder es sogar zu vertreten vermögen. Wie sehr sie nur mit
dem Substantiv zu denken sind, zeigt sich auch daran, daß sie überwiegend
an seinen beiden Wesensmerkmalen, Genus und Numerus, teilnehmen.
Wir fassen sie deshalb zu einer Wortart als Begleiter und Stellver¬
treter des Substantivs zusammen (vgl.414).
5. Partikeln
Ferner finden wir in unserem Text Wörter, die weder über eine gleich 46
große Aussagekraft verfügen wie die Verben, Substantive und Adjektive
noch über eine Formenwelt wie alle bisher betrachteten Wörter. Sie sind
gleichsam der Restbestand des gesamten Wortschatzes (vgl. jedoch
noch Ziff. 50), den man unter dem Namen Partikeln zusammenfaßt:
bald darauf; an dem Gebirgsstädtchen, wohin sie wollten; war noch geschlossen, und
pries die Reisenden, in dem Städtchen, nur einzelne Nachtigallen vor den Fenstern,
von den Bergen, über dem Städtchen, mit zierlichem Gitterwerk, auf den Gassen.
Der Postillon blies daher, um sie zu wecken, mehrere Stücke, daß es über die stillen
Straßen weg in die Berge hineinschallte.
a) Adverbien
Einige dieser Wörter geben die näheren Umstände eines Geschehens, 47
eines Zustandes oder einer Eigenschaft an:
bald darauf langten sie an; war noch geschlossen; nur einzelne Nachtigallen; über
die stillen Straßen weg.
80 Die Einteilung der Wortarten
Man nennt sie deshalb Umstandswörter oder auch, weil sie meistens
beim Verb stehen, Adverbien (vgl. Ö45).
b) Präpositionen
48 Andere Wörter bezeichnen die Verhältnisse, die zwischen Wesen oder
Dingen bestehen:
sie langten an dem Gebirgsstädtchen an; in dem Städtchen war noch alles leer; nur
einzelne Nachtigallen vor den Fenstern und unzählige von den Bergen über dem
Städtchen schlugen um die Wette; mehrere alte Brunnen mit zierlichem Gitterwerk
rauschten einförmig auf den Gassen.
Man nennt sie deshalb Verhältniswörter oder, nach ihrer Stellung
vor dem von ihnen abhängigen Wort, Präpositionen (vgl. 569).
c) Konjunktionen
49 Wieder andere Wörter verbinden Satzteile oder Sätze:
glückselig und beneidenswert; der Postillon blies daher, um sie zu wecken, mehrere
Stücke, daß es in die Berge hineinschallte.
Man nennt sie deshalb Bindewörter oder Konjunktionen (vgl. 590).
6. Interjektionen
50 Schließlich gibt es noch Wörter, die als Ausdruck von Gefühlsausbrüchen
außerhalb des grammatischen Zusammenhanges stehen:
ah! oh! ach! pfui!
Man nennt sie Ausrufewörter oder Interjektionen (vgl. 606).
ist das Verb in der Lage, durch die beiden Partizipien an der Wortart
des Adjektivs teilzunehmen oder durch den Infinitiv Substantive zu
vertreten (vgl. 160; 167f.). Substantive können zu Präpositionen werden
(vgl. 792) u. a. m.
Auch von der Leistung der einzelnen Wortarten her gesehen, findet ein
ständiger Austausch statt. Die Tatsache z. B., daß das Verb das Sein
oder Geschehen in der Welt bezeichnet, schließt nicht aus, daß auch ein
Substantiv an dieser Leistung teilnimmt (der Sturz, die Abfahrt, der Lauf
u. a.; vgl. 176; 689).
Dann können, wie bei den Zahlwörtern, die reinen Sachbezüge die
Wortarten einfach überspielen. Das Zählende ist meist Begleiter des
Substantivs (drei Bücher), es kann aber auch als Substantiv selbst
(die Million) oder auch als Adverb (drittens) auftreten (vgl. 523ff.)..
Schließlich nehmen nicht alle Wörter einer Wortart in gleichem Maße an
der Grundleistung ihrer Wortart teil. Es gibt z. B. Adjektive, die nur in
der Satzaussage stehen und deshalb nur urteilen können, während die
meisten Adjektive daneben in attributiver Stellung auch charakterisieren
können.
Es findet also nicht nur ein reger Austausch zwischen den Wortarten
und auch zwischen ihren funktionellen Untergruppen (z. B. zwischen
Adverbien, Präpositionen und Konjunktionen) statt, sondern die Wort¬
arten selbst sind in sich auch noch vielfältig geschichtet. Die folgende
Einzelbetrachtung wird sich damit noch ausführlich zu beschäftigen
haben.
B. DAS VERB
Da es dem Verb zufällt, das Sein und Geschehen zu bezeichnen (vgl. 40), 53
bildet es in fast allen Sätzen den grammatischen Kern der Aussage (vgl. 862).
Dadurch kommt ihm eine Bedeutung zu, die es über alle anderen Wörter
erhebt. Das bringt auch das lateinische Wort verbum zum Ausdruck, das
einfach „Wort“ bedeutet.
a) Zustandsverben
Sie stehen zur Verfügung, um das Sein, das Beharren in der Welt zu be- 54
zeichnen:
sein, bleiben, wohnen u. a.
82 Das Verb
b) Vorgangsverben
55 Sie geben das Geschehen wieder, das sich im Gegensatz zum Sein ver¬
ändert, vollzieht:
fallen, wachsen, erfrieren, verblühen, einschlafen u. a.
c) Tätigkeitsverben
56 Verben dieser Art bezeichnen ein Geschehen, das von dem zugehörigen
Subjekt Aktivität verlangt:
Karl kämpfte tapfer.
In sehr vielen Fällen (vgl. transitive Verben, ZifF. 57) ist diese Aktivität
so groß, daß dadurch ein außerhalb des Subjekts stehendes Wesen oder
Ding in seinem bisherigen Zustand verändert wird:
Der Bauer pflügt den Acker (der Acker war bisher ungepflügt).
Verben dieser Art bilden nicht nur den Hauptteil der Wortart Verb,
sondern haben auch unter allen Verben den reichsten Formenbestand
(vgl. 76). Es lag deshalb nahe, daß man mit diesen „Tätigkeitswörtern“
die ganze Wortart zu benennen versuchte.
trägere. All dies zusammen macht erst mit den bereits besprochenen
Aktionsarten die sprachliche Wirklichkeit eines Verbs im Satze aus.
In dem Satz Du zogst den Wagen werden durch die Verbform zogst gleichzeitig
ausgedrückt: 1. die Zeit (=■= Vergangenheit); 2. die Handlungsrichtung (= Aktiv);
3. die Aussageweise (= Wirklichkeitsform); 4. die Person < = 2. Person) und 6. die
Zahl (— Singular) des Geschehensträgers du.
Die Kennzeichnung dieser Variationen des Seins oder Geschehens ge¬
schieht durch die Abwandlung des Verbs, die man Konjugation1 nennt.
Bei dieser Abwandlung handelt es sich einmal um Endungen, die dem
Verbstamm angefügt werden, zum anderen um Veränderungen des Verb-
stamjnee selbst und schließlich um Umschreibungen.
a) Die Endungen
«Zu den Endungen des Verbs vgl. die Konjugationstabellen Ziff. 76. 69
b) Die Veränderungen
Je nach den Veränderungen des Verbstammes unterscheidet man starke,
schwache und unregelmäßige Verben.
y) Schwankungen
72 Ein Schwanken zwischen starker und schwacher Konjugation ist fast
nur bei den starken Verben zu beobachten, weil die Sprachgemeinschaft
zwischen den starken und den schwachen Formen keinen Leistungs¬
unterschied mehr zu erkennen vermag. In vielen Fällen ist die Wandlung
von der starken zur schwachen Form bereits abgeschlossen:
belle, boll, gebollen; heute nur noch: belle, bellte, gebellt.
In anderen Fällen sind wir Zeuge dieser Wandlung:
glimme, glomm, geglommen; heute auch schon: glimme, glimmte, geglimmt.
Gelegentlich ist das Präteritum schon schwach, während das 2. Partizip
noch stark ist:
melke, melkte, gemolken.
Eine gepflegte Sprache wird sich trotz dieser eindeutigen Entwicklungs¬
tendenz bemühen, die klangreichen starken Formen zu erhalten.
Die starken Formen sind nur dort fester gestützt, wo sie sich von der
entsprechenden schwachen Form durch Bedeutungsdifferenzierung ge¬
trennt haben:
schaffen (im Sinne von arbeiten schwach): schaffe, schaffte, geschafft; (im Sinne
von gestaltend hervorbringen stark): schaffe, schuf, geschaffen.
Bemerkungen
1. In dieser Liste sind die starken, die unregelmäßigen und die Verben mit schwankender
Konjugation in der Reihenfolge: Infinitiv — 2. Stammform (Präteritum) — 3. Stamm¬
form (2. Partizip) aufgeführt. Die einzelnen Formen dagegen sind im 2. Teil der Liste
alphabetisch geordnet und mit dem Verweis auf den betreffenden Infinitiv versehen.
2. Beim Infinitiv stehen die 2. und 3. Pers. Sing. Präs. Akt. sowie der Imperativ in
Klammern, wenn diese Formen im Stammvokal abweichen.
3. Bei der 2. Stammform (Präteritum) steht der Konjunktiv in Klammern, wenn er im
Stammvokal abweicht.
4. Vor der 3. Stammform (2. Partizip) steht „hat“ oder „ist“ in Klammern, je nachdem,
ob Perfekt und Plusquamperfekt mit den Hilfsverben „haben“ oder „sein“ umschrieben
werden.
5. Die zusammengesetzten Verben werden wie die einfachen Verben gebeugt, z. B. ab¬
brechen wie brechen. Ausnahmen sind angegeben.
1 In der Bedeutung „festkleben“ schwach: Der Schnee backt, backte, hat gehackt.
2 Heute selten. Das üblichere „sich befleißigen“ beugt schwach.
* Selten schAvach.
4 „BeAvegen“ = die Lage ändern beugt schwach: bewegte, bewegt.
88 Das Verb
1 Meist nur noch in Zusammensetzungen und Präflxbildungen wie aus-, er-, verbleichen.
Das trans. „bleichen“ = bleich machen beugt schwach: bleichte, hat gebleicht.
* Heute meist schwach: dingte.
• Seltener schwach: gedingt.
4 Auch regelmäßig: dünkte, gedünkt.
4 Umgangssprachliche Erleichterungsformen, die der Aussprache folgen, sind: flehst,
fliehst.
Die Konjugation der Verben 89
1 Nur noch stark in der Wendung ,,der Ruhe usw. pflegen“. In der Bedeutung „Kranke
pflegen“ nur schwach: „Er pflegte ihn, hat ihn gepflegt.“
1 Das trans. „quellen“ ist schwach: Die Mutter quellte Bohnen, hat Bohnen gequellt.
* Die schwachen Formen „saugte, gesaugt“ werden heute schon viel gebraucht.
4 In der Bedeutung „arbeiten“ schwach: schaffte, geschafft.
5 Dieses starke Präteritum stammt von mhd. schellen, das heute untergegangen ist,
und ist dem Präteritum des sonst durchgängig schwach beugenden „schallen“ zur Seite
getreten. Die Präflxbildung erschallen hat außerdem neben dem schwachen ein star¬
kes Partizip: Es ist erschollen. „Verschollen“ ist heute isoliert.
6 Die schwache Beugung ist hier noch nicht üblich, dagegen in „sich scheren“: Er scherte
eich, hat sich geschert.
7 Die schwachen Formen „schindete, geschindet“ sind veraltet oder mundartlich.
92 Das Verb
1 „Schleifen" — über den Boden ziehen beugt schwach: Er schleifte ihn, hat ihn ge¬
schleift.
* Auch schwach: Er schleißte, hat geschleißt.
* Das trans. „schmelzen" — flüssig machen beugte früher regelgemäß schwach (Er
schmelzte das Eisen, hat das Eisen geschmelzt). Heute herrschen jedoch auch hier die
starken Formen: Er schmilzt, schmolz das Eisen, hat das Eisen geschmolzen.
4 Die schwachen Formen „Er schnaubte, hat geschnaubt" sind heute herrschend.
4 Meist nur noch in Präflxbildungen und Zusammensetzungen „er-, zurückschrecken".
Das trans. „schrecken“ = in Schrecken versetzen beugt schwach: Es schreckte ihn, hat
ihn geschreckt.
* Das trans. „schwellen" — größer machen beugt schwach: Er schwellte, hat geschwellt.
7 Der 2. Konj. „schwöre" (von: schwor) ist mit dem 1. KonJ. lautgleich.
4 In der Bedeutung „[durch Rundfunk] übertragen" nur schwach.
* Die schwachen Formen „Er siedete, hat gesiedet" werden daneben öfter gebraucht.
Die Konjugation der Verben 93
1 Die Wendung „gesonnen sein“ (Er ist gesonnen) stammt von dem ausgestorbenen Verb
„gesinnen“. „Gesinnt“ (Er ist treu gesinnt) ist eine Ableitung aus dem Substantiv „Sinn“.
8 Die starke Form „gespalten“ steht besonders bei adjektivischem Gebrauch: gespal¬
tenes Holz; Deutschland ist gespalten usw.
8 Gelegentliche schwache Formen sind mundartlich geblieben.
4 Auch schwach: steckte. In der Bedeutung „festheften“ beugt trans. „stecken“ nur
schwach: Er steckte, hat gesteckt.
8 Heute auch schon schwach: stiebte, gestiebt.
94 Das Verb
Bemerkungen
1. In Klammern stehen die Infinitive, die im 1. Teil der Liste alphabetisch aufgeffihrt
sind und zu denen die hier genannten Formen gehören.
2. Zweite Partizipien, deren Vokal mit dem des Infinitivs übereinstimmt, sind nicht
besonders aufgeführt, z. B. geschlafen (Infinitiv: schlafen), gesalzen (Infinitiv: salzen).
c) Die Umschreibung
er pflegte nach dem Essen zu schlafen. Zu den Vollverben, die auf dem
Wege sind, Hilfsverben zu werden, oder es nur gelegentlich sind, vgl.
die Ausführungen über das Prädikat (1002 f.).
Zur Erfüllung der Aufgaben, die der Konjugation gestellt sind, werden
also, wie dieser Überblick zeigt, verhältnismäßig wenige formale Mittel
eingesetzt: Endungen, Änderung des Verbstammes und Umschreibungen.
Dies geht nur, weil gleiche Formen oft Verschiedenes leisten.
d) Konjugationstabellen
(Die eingeklammerten Formen werden selten oder gar nicht gebraucht. Dieser Überblick 76
zeigt also, daß das Schema der lateinischen Grammatik für das Deutsche nicht gilt.)
lieben-, schwach, mit „haben“; tragen: stark, mit „haben“; fliegenl: stark, mit „sein“
Aktiv
1. Stammform
(Präsens)
Indik. 1. Konj. Indik. 1. Konj.
1. Pers.Sing. ich lieb e (ich lieb e) ich trage (ich trag e)
2. Pers. Sing. du lieb st (du lieb est) du trägst (du tragest
3. Pers. Sing. er, sie, es lieb t er, sie, es lieb e er, sie, es trag t2 er, sie, es trag e
1. Pers.Plur. wir lieb en (wir lieb en) wir trag en (wir trag en)
2. Pers.Plur. ihr lieb t (ihr lieb et) ihr tragl (ihr trag et)
3. Pers. Plur. sie lieb en (sie lieb en) sie trag en (sie trag en)
2. Stammform
(Präteritum)
Indik. 2. Konj. Indik. 2. Konj.
.l.Pers.Sing. ich Jieb te ich lieb te ich trug ich trüg e
2. Pers. Sing. du lieb test du lieb test du trug st du trüg [e} 9t
3. Pers. Sing. er, sie, es lieb te er, sie, es lieb te er, sie, es trug er, sie, es trüg e
1. Pers.Plur. wir lieb ten wir lieb ten wir trugen wir trüg en
2. Pers. Plur. ihr lieb tet ihr lieb tet ihr trug t ihr trüg [e] t
3. Pers.Plur. sie lieb ten sie lieb ten sie trugen sie trüg en
1 Von „fliegen“ werden im allgemeinen nur die Formen mit „sein“ angeführt.
2 Vgl. 143.
100 Das Verb
Indikativ Konjunktiv
l.Pers.Sing. ich habe getragen (ich habe getragen)
2.Pers.Sing. du hast getragen (du habest getragen)
3.Pers.Sing. er, sie, es hat getragen er, sie, es habe getragen
l.Pers.Plur. wir haben getragen (wir haben getragen)
2.Pers.Plur. ihr habt getragen (ihr habet getragen)
3.Pers.Plur. - sie haben getragen (sie haben getragen)
1. Pers. Sing. ich werde getragen haben (ich werde getragen haben)
2. Pers. Sing. du wirst getragen haben (du werdest getragen haben)
3. Pers. Sing. er, sie, es wird getragen haben er, sie, es werde getragen haben
1. Pers. Plur. wir werden getragen haben (wir werden getragen haben)
2. Pers. Plur. ihr werdet getragen haben (ihr werdet getragen haben)
3. Pers.Plur. sie werden getragen haben (sie werden getragen haben)
1. Pers. Sing. ich werde geflogen sein (ich werde geflogen sein)
2. Pers. Sing. du wirst geflogen sein (du werdest geflogen sein)
3. Pers. Sing. er, sie, es wird geflogen sein er, sie, es werde geflogen sein
1. Pers. Plur. wir werden geflogen sein (wir werden geflogen sein)
2. Pers. Plur. ihr werdet geflogen sein (ihr werdet geflogen sein)
3. Pers. Plur. sie werden geflogen sein (sie werden geflogen sein)
Imperativ Infinitiv
Sing. liebe! trage! fliege! Präs, lieben, tragen, fliegen
Plur. liebt! tragt! fliegt! Perf. geliebt, getragen haben, geflogen sein
1. Partizip 2. Partizip
liebend, tragend, fliegend geliebt, getragen, geflogen
102 Das Verb
Passiv
1. Pers. Sing. ich bin getragen worden ich sei getragen worden
2. Pers.Sing. du bist getragen worden du sei[e]8t getragen worden
3. Pers. Sing. er, sie, es ist getragen worden er, sie, es sei getragen worden
1. Pers. Plur. wir sind getragen worden wir seien getragen worden
2. Pers.Plur. ihr seid getragen worden (ihr seiet getragen worden)
3. Pers.Plur. sie sind getragen worden sie seien getragen worden
Die Konjugation der Verben 103
Imperativ Infinitiv
Sing, sei (werde) geliebt 1 Präs, geliebt, getragen werden
Plur. seid (werdet) geliebt! Perf. geliebt, getragen worden sein
2. Futur (selten)
1. Pers. Sing. ich werde gewesen sein (ich werde gewesen sein)
2. Pers. Sing. du wirst gewesen sein (du werdest gewesen sein)
3. Pers. Sing. er, sie, es wird gewesen sein er, sie, es werde gewesen sein
1. Pers. Plur. wir werden gewesen sein (wir werden gewesen sein)
2. Pers. Plur. ihr werdet gewesen sein (ihr werdet gewesen sein)
3. Pers. Plur. sie werden gewesen sein (sie .werden gewesen sein)
1. Stammform
(Präsens)
Indikativ Konjunktiv
1. Pers. Sing. ich habe (ich habe)
2. Pers. Sing. du hast (du habest)
3. Pers. Sing. er, sie, es hat er, sie, es habe
1. Pers. Plur. wir haben (wir haben)
2. Pers. Plur. ihr habt t(ihr habet)
3. Pers. Plur. sie haben (sie haben)
2. Stammform
(Präteritum)
1. Pers. Sing. ich hatte ich hätte
2. Pers. Sing. du hattest du hättest
3. Pers. Sing. er, sie, es hatte er, sie, es hätte
1. Pers. Plur. wir hatten wir hätten
2. Pers. Plur. ihr hattet ihr hättet
3. Pers. Plur. sie hatten sie hätten
Perfekt
1. Pers. Sing. ich habe gehabt (ich habe gehabt)
2. Pers. Sing. du hast gehabt (du habest gehabt)
3. Pers. Sing. er, sie, es hat gehabt er, sie, es habe gehabt
1. Pers. Plur. wir haben gehabt (wir haben gehabt)
2. Pers. Plur. ihr habt gehabt (ihr habet gehabt)
3. Pers. Plur. sie haben gehabt (sie haben gehabt)
Plusquamperfekt
1. Pers. Sing. ich hatte gehabt ich hätte gehabt
2. Pers. Sing. du hattest gehabt du hättest gehabt
3. Pers. Sing. er, sie, es hatte gehabt er, sie, es hätte gehabt
1. Pers. Plur. wir hatten gehabt wir hätten gehabt
2. Per». Plur. ihr hattet gehabt ihr hättet gehabt
3. Pers. Plur. sie hatten gehabt sie hätten gehabt
l. Futur
Indikativ Konjunktiv
1. Pers. Sing. ich werde haben (ich werde haben)
2. Pers. Sing. du wirst haben (du werdest haben)
3. Pers. Sing. er, sie, es wird haben er, sie, es werde haben
1. Pers. Plur. wir werden haben (wir werden haben)
2. Pers. Plur. ihr werdet haben (ihr werdet haben)
3. Pers. Plur. sie werden haben (sie werden haben)
2. Futur (selten)
1. Pers. Sing. ich werde gehabt haben (ich werde gehabt haben)
2. Pers. Sing. du wirst gehabt haben (du werdest gehabt, haben)
3. Pers. Sing. er, sie, es wird gehabt haben er, sie, es werde gehabt haben
1. Pers. Plur. wir werden gehabt haben (wir werden gehabt haben)
2. Pers. Plur. ihr werdet gehabt haben (ihr werdet gehabt haben)
3. Pers. Plur. sie werden gehabt haben (sie werden gehabt haben)
1. Stammform
(Präsens)
Indikativ Konjunktiv
1. Pers. Sing. ich werde (ich werde)
2. Pers. Sing. du wirst (du werdest)
3. Pers. Sing. er, sie, es wird er, sie, es werde
1. Pers. Plur. wir werden (wir werden)
2. Pers. Plur. ihr werdet (ihr werdet)
3. Pers. Plur. sie werden (sie werden)
2. Stammform
(Präteritum)
1. Pers. Sing. ich wurde ich würde
2. Pers. Sing. du wurdest du würdest
3. Pers. Sing. er, sie, es wurde er, sie, es würde
1. Pers. Plur. wir wurden wir würden
2. Pers. Plur. ihr wurdet ihr würdet
3. Pers. Plur. sie wurden sie würden
Perfekt
Indikativ Konjunktiv
1. Pers. Sing. ich bin geworden ich sei geworden
2. Pers. Sing. du bist geworden du sei [e] st geworden
3. Pers. Sing. er, sie, es ist geworden er, sie, es sei geworden
1. Pers. Plur. wir sind geworden wir seien geworden
2. Pers. Plur. ihr seid geworden (ihr seiet geworden)
3. Pers. Plur. sie sind geworden sie seien geworden
Die Konjugation der Verben 107
Plusquamperfekt
1. Pers. Sing. ich war geworden ich wäre geworden
2. Pers. Sing. du warst geworden du war [e] st geworden
3. Pers. Sing. er, sie, es war geworden er, sie, es wäre geworden
1. Pers. Plur. wir waren geworden wir wären geworden
2. Pers. Plur. ihr wart geworden ihr wär[e]t geworden
3. Pers. Plur. sie waren geworden sie wären geworden
1. Futur
1. Pers. Sing. ich werde werden, (ich werde werden)
2. Pers. Sing. du wirst werden (du werdest werden)
3. Pers. Sing. er, sie, es wird werden er, sie, es werde werden
1. Pers. Plur. wir werden werden (wir werden werden)
2. Fers. Plur. ihr werdet werden (ihr werdet werden)
3. Pers. Plur. sie werden werden (sie werden werden)
2. Futur (selten)
1. Pers. Sing. ich werde geworden sein (ich werde geworden sein)
2. Pers. Sing. du wirst geworden sein (du werdest geworden sein)
3. Pers. Sing. er, sie, es wird geworden sein er, sie, es werde geworden sein
1. Pers. Plur. wir werden geworden sein (wir werden geworden sein)
2. Pers. Plur. ihr werdet geworden sein (ihr werdet geworden sein)
3. Pers. Plur. sie werden geworden sein (sie werden geworden sein)
81 <*>) In der 1. Stammform und ihrem Passiv wird weiterhin [zeitlos] All¬
gemeingültiges, beständig oder unter bestimmten Verhältnissen Wieder¬
kehrendes ausgesagt. Deshalb bedienen sich Sprichwörter und allgemeine
Aussagen meist dieser Zeitform (vgl. 85; 94; 98):
Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert. Er schreibt schön. Peter
geht in die Goetheschule. Du glaubst zu schieben, und du wirst geschoben (Goethe).
82 e) Ufo 1 • Stammform und ihr Passiv können auch Zukünftiges Ausdrücken.
Die Zukunft wird oft durch besondere Wörter mit Zukunftsbedeutung
noch betont:
Ich verreise (morgen, nächstens, in acht Tagen). Ich komme (sofort, bald, gleich,
heute nachmittag) zu dir. Wann kommst du ? Ich werde morgen geprüft.
Die 1. Stammform und ihr Passiv drücken auch Zukünftiges in Form einer 83
Vermutung, einer Frage, einer schwächeren oder stärkeren Aufforderung
aus, meist in Verbindung mit Wörtern entsprechender Bedeutung:
Kommst du nicht mit ? Wirst du morgen geprüft? Du fährst (wohl) nach München ?
Du kommst mitt Kommst du [wohl] bald!
Formen, die wie in ZifF. 84 u. 85 Vergangenes mit Bezug auf die Gegen- 86
wart bezeichnen, nennt man Perfekt1. Dieser Name trifft jedoch nicht
mehr den Inhalt unserer Formen in den folgenden Fällen.
ß) Mitunter bezeichnet das Perfekt auch den völligen Abschluß eines Ge- 87
schehens ohne Erstreckung in die Gegenwart, was eigentlich dem Präteri¬
tum zukommt (vgl. 93):
Was nicht ist, kann werden; was war, ist für immer gewesen (Börne). Wie sehr
habe ich das einst geliebt! (H. Hesse).
y) Das Perfekt drückt (wie die 1. Stammform für die Gegenwart; vgl. 83) 88
eine Vermutung über vergangenes Geschehen aus, oft in Verbindung mit
Wörtern entsprechender Bedeutung:
Er ist doch nicht etwa ins Wasser gefallen? Du hast den Brief wohl schon gelesen?
Verschiedene Sehweise ist immer möglich bei den Verben der Be¬
wegung:
tanzen, reiten, segeln, paddeln, fahren, fliegen, bummeln, flattern, rumpeln, rudern,
treten u. a.
Sieht der Sprecher den Vorgang als bloßes Verhalten in der Dauer, dann
steht das Verb im Perfekt mit „haben“:
Ich habe als junger Mensch viel getanzt. Er hat den ganzen Vormittag gepaddelt,
gesegelt.
Sieht der Sprecher dagegen eine Veränderung in der Bewegung (einen
Ortswechsel), dann steht das Verb im Perfekt mit „sein“:.
Das Mädchen ist aus der Stube getanzt. Ich bin über den See gepaddelt, gesegelt.
Der Gebrauch von „sein“ nimmt bei den Bewegungsverben immer mehr
zu, weil die Vorstellung von der Veränderung in der Bewegung die der
Dauer der Bewegung überwiegt:
Wir sind den ganzen Tag geschwommen, geklettert, galoppiert u. a., statt: Wir
haben den ganzen Tag geschwommen, geklettert, galoppiert u. a.
Die Verben „sein“ und „bleiben“, die ausgesprochene Zustandsverben
sind, d. h. die Dauer eines Verhaltens kennzeichnen, werden seltsamer¬
weise nicht mit „haben“, sondern mit „sein“ umschrieben:
Ich bin schon in Amerika gewesen. Wir sind in Berlin gewesen. Sie ist lange bei mir
geblieben.
95 ß) Die 2. Stammform und ihr Passiv drücken ferner (wie das Perfekt;
vgl. 89) die Gedanken einer Person über ihre Zukunft aus. Die Zukunft
wird damit zu einem Geschehen, das in der lebhaften Phantasie des Spre¬
chers bereits stattgefunden hat (erlebte Rede; vgl. 1144,3, Beachte):
Mein Gott, wie bald, dann sah ich sie nicht mehr, hörte nicht mehr ihren festen,
guten Schritt durchs Haus, fand nicht mehr ihre Blumen auf meinem Tisch
(H. Hesse).
Gelegentlich wird für den völligen Abschluß eines Geschehens ohne Er¬
streckung in die Gegenwart auch das Perfekt genommen (vgl. 87).
Das Gefühl für die strenge Scheidung von Perfekt und Präteritum ist
während der ganzen neueren Sprachperiode nie stark ausgeprägt gewesen
(vgl. 90). Da das Präteritum die schriftsprachliche Form des Berichtens
und darüber hinaus durch seine Kürze von größerer Prägnanz als das
Perfekt ist, wird es häufig auch dort gesetzt, wo das Perfekt stehen müßte.
Auch der Rhythmus kann dabei eine Rolle spielen:
Den Umschlag zeichnete K_Gundermann (statt: Den Umschlag hat K. Gunder¬
mann gezeichnet). Gab es eine mittelhochdeutsche Schriftsprache? (Titel der
Habilitationsschrift von H. Paul).
Es wäre bedauerlich, wenn durch das Vordringen des Präteritums in der
Hochsprache (die süddeutschen Mundarten wirken hier allerdings ent¬
gegen) das Perfekt seine Bedeutung verlöre.
ß) Wie das 1. Futur, so drückt auch das 2. Futur viel häufiger eine 101
Vermutung aus, meist mit dem Wörtchen „wohl“ verbunden:
Er wird es [wohl] gewesen sem. Er wird [wohl] nicht umsonst gelobt worden sein. Sie
wird jetzt [wohl] schon eine halbe Stunde auf mich gewartet haben. Oder als verwun¬
derte Frage: [A.: Wo warst du gestern?] B.: Wo werde ich schon gewesen sein?
a) Gegenwart
Die Gegenwart im weitesten Sinne wird ausgedrückt, durch die Zeit¬
form :
Präsens (78): Ich schreibe [gerade].
Präsens (81): Er schreibt schön (für die unmittelbare Gegenwart wie für die
allgemeingültige Feststellung).
ß) Vergangenheit
Die Vergangenheit wird ausgedrückt durch die Zeitformen:
Präteritum (93): Der -Torwächter trat schlaftrunken heraus (schriftsprachlich als
Zeit der Erzählung).
Perfekt (84): Es hat geschneit, Ich bin eben aus der Stadt gekommen.
Perfekt (90): Wir haben gezittert am ganzen Leib (umgangssprachlich süddeutsch
als Zeit der Erzählung).
Perfekt (87): Er hat gelebt (völliger Abschluß).
Präsens (80): Ich schreibe schon lange an einem Roman (mit Erstreckung in die
Gegenwart).
Präsens (79): Ich höre, du bist krank. Cäsar überschreitet den Rubikon (historisches
Präsens).
y) Zukunft
Die Zukunft wird ausgedrückt durch die Zeitformen:
1. Futur (97): Ich werde ihn morgen besuchen.
Präsens (82): Ich verreise morgen.
Präteritum (95): Wie bald, dann sah ich sie nicht mehr.
Die Namen, die die „Tempora“ des Deutschen üblicherweise auf Grund
des lateinischen Vorbildes führen, entsprechen also in vielen Fällen
nicht der Sprachwirklichkeit. Wir dürfen die Namen der Formen darum
nicht „wörtlich“ nehmen, sondern müssen uns immer bewußt sein, daß
sich diese Formen leistungsmäßig in mehr oder minder großem Umfang
aufspalten. Wenn wir bedenken, daß das Germanische rur zwei Zeit¬
formen besaß (Präsens und Präteritum) und mit ihrer Hilfe alles Zeit¬
liche ausdrücken mußte, so erkennen wir ohne Mühe, wie sehr sich die
Zeitformen über das Alt- und Mittelhochdeutsche bis zum Neuhoch¬
deutschen entwickelt und differenziert haben1. Ob wir heute in einer
rückläufigen Bewegung stehen (vgl. den Rückgang des Perfekts, Ziff. 95),
muß die Zukunft zeigen.
3. Die Verhaltensrichtung
Man unterscheidet beim Verb zwei Richtungen des Geschehens oder Seins
(Verhaltensrichtungen), das Aktiv und das Passiv.
a) Das Aktiv
103 Das Aktiv hat seinen Namen von jenen Sätzen, in denen das Subjekt
„tätig2“ ist. Dies gilt vor allem für die Sätze, in denen ein transitives Verb
steht:
Fritz schlägt den Hund.
1 Trotzdem ist noch heute das deutsche Tempussystem in der Hauptsache auf der
Gegenüberstellung von Vergangenheit und Nicht Vergangenheit aufgebaut (vgl. Hans
Weber, Das Tempussystem des Deutschen und des Französischen. Übersetzungs¬
und Strukturprobleme. Bern 1954, S. 260).
2 Lat. activus — die Tätigkeit kennzeichnend.
Die Konjugation der Verben 115
Ein tätiges Subjekt kann aber auch bei intransitiven Verben stehen:
. Der Hund beißt.
Man bezeichnet ferner auch jene Sätze als „aktivisch“, in denen das
Subjekt keineswegs tätig ist, sondern in einem Zustand verharrt:
Vater schläft. Die Rosen blühen.
Das Aktiv meint also eine Verhaltensrichtung, die von der Bedeutung
des Verbs unabhängig ist. Man könnte sie als Grundrichtung be¬
zeichnen,. die vom Geschehensträger her gesehen ist. Bei den unter¬
schiedlichen Sehweisen aber, in denen unsere Sprache das Sein und Ge¬
schehen in der Welt betrachtet (vgl. hierzu die gesamte Syntax), kann
man eigentlich nur sagen: Aktivisch ist alles, was nicht passivisch ist.
b) Das Passiv
Beim Passiv ist das Subjekt ebensowenig immer „leidend1“, wie es beim 104
Aktiv „tätig“ ist. Leidend ist das Subjekt in dem Satz:
Der Hund wird geschlagen.
Erfreut ist es aber sicher in dem Satz:
Der Sieger wird gefeiert.
Auch das Passiv muß deshalb unabhängig von der Bedeutung des Verbs
betrachtet werden. Es ist die Gegenrichtung zum x4ktiv.
mit Hilfe des Pronomens es gebildet (das ausfällt, wenn ein anderes Wort
an die Spitze des Satzes tritt; vgl. 847):
Aktiv: Der Sohn dankte dem Vater.
Passiv: Es wurde dem Vater oder demVater wurde [vom Sohne] gedankt.
Zustandsverben bilden gewöhnlich kein Passiv, weil das Subjekt
(gleichgültig, ob Lebewesen oder Sache) im Zustand verharrend, also
bereits ,,passivisch‘; dargestellt wird:
Der Vater schläft (nicht: Es wird vom Vater geschlafen).
Wenn bei Zustandsverben die passivische Rolle des Subjekts besonders
ausgedrückt werden soll, dann geschieht dies meist durch die Versetzung
des Subjekts in die Objektsrolle:
Ich friere — Es friert mich. Ich schaudere — Es schaudert mir.
Auch bei den übrigen intransitiven Verben, die kein Passiv bilden
können, liegt häufig bereits eine ,,passivische'' Bedeutung vor:
Das Eis schmilzt ( das Eis wird von der Sonne geschmolzen). Der Baum fällt
( ^ der Baum wird gefällt).
107 Das unpersönliche Passiv hat vielfach keine eigentliche passivische Be¬
deutung. Es drückt dann ein aktivisches Verhalten oder gar eine energi¬
sche Aufforderung aus:
1. ein aktivisches Verhalten, bei dem der Sprecher das Subjekt nicht
nennen will oder kann:
Es wurde getanzt ( =--- Man tanzte). Im Saal wurde gelacht (•-= Man lachte im
Saal). Bei uns wurde immer viel geschlafen ( Man schlief viel).
109 Reflexive Verben sind nicht passivfähig, weil das Objekt mit dem Subjekt-
identisch ist: 1
Ich wasche mich. (Aber nicht, weil sinnlos: Ich werde von mir gewaschen.)
Auch bei ihnen bestehen, wie bei den Zustandsverben, nur zwei Ausnahmen.
Ein unpersönliches Passiv ist möglich, wenn das Subjekt verschwiegen
oder eine energische Aufforderung ausgesprochen werden soll (vgl. 107):
Da wurde ... in zitternder Angst sich verkrochen (C. Viebig).
Jetzt wird sich hingelegt! Jetzt wird sich gewaschen!
Die Konjugation der Verben 117
c) Das Zustandspassiv
Vor einer weiteren passivischen Aussagemöglichkeit stehen wir beim Zu¬ 110
standspassiv. Es sagt aus, in welchen Zustand ein Subjekt geraten ist,
das vorher Objekt einer Handlung gewesen ist. Es wird deshalb auch nicht
mit „werden“, sondern mit „sein“ verbunden:
Das Fenster ist geöffnet (weil jemand das Fenster geöffnet hat). Ich bin ermüdet
(weil das Gehen mich ermüdet hat).
Auch hier sind alle Zeitformen möglich:
Ich bin beteiligt (Präsens), ich war beteiligt (Präteritum), ich bin beteiligt gewesen
(Perfekt), ich werde beteiligt sein (1. Futur), ich wäre beteiligt (2. Konj. Prät.) usw.
Wenn in diesen Fällen ein 2. Partizip Artangabe geworden ist (vgl. 168),
stehen wir nicht mehr vor einer Konjugationsform (mehrteiliges Prädikat;
vgl. 1010), sondern vor einem selbständigen Satzglied (vgl. auch 902).
Konjugationsform: Die Tür ist geöffnet.
Artangabe: Der Mann ist gebildet.
Beachte:
1. Das Zustandspassiv darf nicht durch Auslassung von „worden"4 hervorgerufen
werden, wenn ein Vorgang im Handlungspassiv berichtet werden muß:
Die Sperre ist heute wieder aufgehoben worden (nicht: Die Sperre ist heute wieder
aufgehoben). Falsch ist auch: Die Mitglieder sind (statt: werden) gebeten, pünktlich
zu sein.
2. Manchmal kann die Auffassung schwanken, ob das Zustandspassiv oder das übliche
Passiv eines transitiven Verbs gesetzt werden soll:
Er ist in Hamburg geboren [worden]. So hat auch Gräfin Dubarry . . . mach all
ihren erfüllten Wünschen noch (‘inen: von der ersten Frau des Hofes empfangen zu
sein (St. Zweig).
3. Die Norddeutschen verwenden öfter das Zustandspassiv und bewahren hier einen
älteren Gebrauch. Er gilt jedoch als nicht, hochsprachlich:
Im übrigen gibt der Staatsanwalt, selbst zu, daß in der Nähe, des Postens zweimal
scharf geschossen ist- (Hamburger Nachrichten 1914).
4. Auffällig ist der Gebrauch von „werden“, wenn für unser Gefühl ein Zustand vorliegt:
Durch das Mittehneer wird Europa von Afrika getrennt.
Er ist so zu erklären, daß hier der Tatbestand vom Sprecher immer wieder von neuem
geistig nach vollzogen, d. h. als Vorgang gefaßt wird.
5. Das Hilfsverb „sein“ beim Pass , hat sich gegenüber „werden“ auch in anderen
Fügungen erhalten, weil (las Zuständlicho stärker empfunden wird.
So als Infinitiv nach Modalverben:
Wenn er im Lager-einherging, wollte er nicht gegrüßt sein (Ranke).
Ferner beim Imperativ in der 2. und 3. Person Singular:
Küsse Lieschen und die Kinder und sei geküßt von Deinem Theodor (Fontane).
;/) Ein Passiversatz ist ferner die Verbindung eines Nomen actionis
(vgl. 689) mit einem Richtungsverb, wobei letzteres in aktiver Form er¬
scheint :
Das Geschäft kam zum Abschluß (besser: wurde abgeschlossen). Die Bücher ge¬
langten zum Versand (besser: wurden versandt).
Die Verbform, die fast alle diese Aufgaben übernommen hat, ist der
Konjunktiv1 oder die „Möglichkeitsform“ (eine Verdeutschung, die
nur eine Teilleistung des Konjunktivs kennzeichnet). Sie wird dabei nur
noch unterstützt durch die Befehlsform oder denlmperativ2, der dazu
dient, eine Mahnung, ein Verbot, einen Befehl auszudrücken, und ferner
durch gewisse Gebrauchsweisen des Indikativs. Wir haben also im
Deutschen drei Aussageweisen oder Modi: den Indikativ, den Konjunktiv
und den Imperativ.
a) Der Indikativ
a) Über Endungen, Personalformen und Zeitformen des Indikativs 113
vgl. 76; 139-157 u. 78-102.
ß) Die sprachliche Wirklichkeit ist nicht immer identisch mit der tat¬
sächlich vorhandenen. Der Sprecher kann bewußt oder unbewußt Nicht-
wirkliches als wirklich hinstellen:
Schnell sprang Rotkäppchen aus dem Bauche des Wolfes und die Großmutter auch
(Grimm).
e) Sie steht auch für etwas, was nur unter besonderen Bedingungen er¬
wogen wird, für eine bedingte Möglichkeit (vgl. 1109; 1150):
Wenn ich Geld habe, kaufe ich mir ein Faltboot.
Machte ich früher Lärm, so wurde die Pforte besetzt (Immermann).
2. Futur (vgl. 101): Er wird es sicher gewesen sein. Wo werde ich schon
gewesen sein?
Perfekt (vgl. 88): Er ist doch nicht etwa ins Wasser gelallen?
2. Wille, Versicherung:
1. Futur (vgl. 99): Wir werden es bestimmt schaffen.
3. Aufforderung:
Präsens (vgl. 83): Du kommst mit! Kommst du bald!
1. Futur (vgl. 99): Du wirst jedenfalls mit uns gehen!
b) Der Konjunktiv
114 1. Über die Formen und die Endungen des Konjunktivs der starken
und schwachen Verben vgl. die Tabelle ZifF. 76. Viele von ihnen stimmen
mit denen des Indikativs überein. Die Auswertung des „e“ ist im
allgemeinen unstatthaft. Es kann nur dann wegfallen, wenn die Form
durch abweichende Bildung dem Indikativ gegenüber deutlich ab¬
gehoben ist (Umlaut im 2. Konjunktiv). Da aber diese Formen der
gewählten Sprache angehören, bleibt auch hier das „e“ oft erhalten
(nach Zischlauten, d oder t notwendigerweise:)
du schlüg[e]st, du tränk[e]st, ihr trtig[e]t, du läsest, du wüschest, ihr bändet,
du föchtest, du bötest.
Da der Stammvokal im Plural des Indik. Prät. früher von dem des
Singulars ab wich, haben sich einige Konjunktivformen mit diesem
älteren Stammvokal erhalten. So erklären sich die Formen:
Die ältere Form wird dann noch gern gebraucht, wenn der jüngeren
im Präsens eine ähnlich lautende Indikativform zur Seite steht; z. B.
wird statt „hälfe“ lieber „hülfe“ gebraucht, weil „helfe“ mit „hälfe“
lautlich identisch ist.
3. Bei den Verben, deren Stammvokal im Indikativ der 2. und 3. Pers. 116
Sing. Präs. Akt. umlautet oder von e zu i wechselt (vgl. 144), entfällt
dieser Vokalwechsel im Konjunktiv:
2. u. 3. Pers. Sing. Ind. Präs. Akt.: du fällst er fällt
2. u. 3. Pers. Sing. 1. Konj. Akt.: du fallest er falle
4. Der 1. und der 2. Konjunktiv der schwachen Verben haben nie den 117
Umlaut. Deshalb ist die Form „bräuchte“, die man im Süden unseres
Vaterlandes vielfach hört, eigentlich nicht korrekt. Sie ist durch das
Bestreben entstanden, den Konjunktiv „brauchte“ gegenüber der
gleichlautenden Indikativform abzuheben:
Keiner wird mich künftig sehen,
der mich nicht wahrhaftig bräuchte! (Hans Carossa).
sie seien“. Der 2. Konj. lautet um: ich wäre, du wär[e]st, er wäre,
wir wären, ihr wär[e]t, sie wären. Ebenso bei ,,tun“: ich täte, du
tätest, er täte, wir täten, ihr tätet, sie täten.
f) Der Konjunktiv der Modalverben hat (außer bei „sollen“)
Umlaut bzw. Ablaut:
Ind. Präs.: ich kann, darf, mag, muß, soll
1. Konj.: ich könne, dürfe, möge, müsse, solle
Ind. Prät.: ich konnte, durfte, mochte, mußte, sollte
2. Konj.: ich könnte, dürfte, möchte, müßte, sollte
Ebenso „wissen“:
Ind. Präs.: ich weiß 1. Konj.: ich wisse
Ind. Prät.: ich wußte 2. Konj.: ich wüßte
„Wollen“ bildet den Konjunktiv wie die schwachen Verben:
1. Konj.: ich wolle 2. Konj.: ich wollte
120 b) Der Wunsch oder die Aufforderung treten hinter einem Zu¬
geständnis, einer Einräumung zurück (konzessiv2).
Es steht der 1. Konjunktiv:
Nun, so sei es! Sei es denn so . . . (Th. Mann). Es komme, was wolle.
c) Die Erfüllung des Wunsches wird als unmöglich oder als weit- 121
gehend unbeeinflußbar betrachtet (irreal). Es stehen die Kon¬
junktivformen der Vergangenheit (der 2. Konjunktiv für die Ge¬
genwart, der Konj. Plusq. für die Vergangenheit):
Hätte er doch noch länger gelebt!
Ersatz durch Modalverben:
Möchte er cs doch endlich einsehen ! Könnten wir Euch nur einmal besuchen!
124 c) Bei einem Zweifel, einer Frage (dubitativ1). Die Frage kann
rein rhetorisch und zum zweifelnden Ausruf werden (der Indikativ
ist in allen Fällen möglich):
Das hättest du getan * Du wärst so falsch geweseni (Schiller).
Schreibung mit „würde“ + Infinitiv ablehnen, er kann aber nicht leugnen, daß sich
die einfachen Konjunktivformen auf dem Rückzug befinden. Eine Grammatik der
deutschen Gegenwartssprache muß dieser Entwicklung gerecht werden.
Die 2. Konjunktive der Hilfsverben „haben“ und „sein“ (hätte, wäre), der Modal¬
verben (müßte, könnte, dürfte, möchte, sollte, wollte; vgl. Abschnitt 2) sowie der
umgangssprachlich viel gebrauchte 2. Konjunktiv „täte“ (vgl. 118, e) widerstehen
im allgemeinen der Umschreibung durch „würde“ + Infinitiv, weil sie selbst schon
Mittel der Umschreibung sind. Die Fügung würde dann zu schwerfällig. Die Um¬
schreibung von „hätte“ und „wäre“ kommt in der Literatursprache allerdings vor,
besonders um störende Gleichklänge mit einem „hätte“ oder „wäre“ des Gliedsatzes
zu vermeiden;
... nie würde ich in diesem Hause eine ruhige Stunde haben (St. Zweig). .. . nie¬
mand, der sie gesehen hätte, würde geahnt haben (statt: hätte geahnt), wie Be¬
deutendes es damit auf sich hatte (Th. Mann). . .. und ein Boot würde auch
bereit sein (Raabe).
Aber:
Es dürfte (sollte) kein Zweifel darüber herrschen ... Ugs.: Ich täte mich be¬
schweren. .. . denn trinken täten sie alle, Freunde und Feinde (Freytag). Gern
täte ich ihn ablösen (H. Carossa).
133 1. In der 2. Pers. Sing, steht bei den meisten Verben (starken wie
schwachen) in gehobener Sprache in der Endung ein „e“ (Ausnahmen
s. unten):
trinke! wasche! biete! gehe!
In der Umgangssprache fällt das Endungs-e gewöhnlich weg:
trink! wasch! biet! geh!
Aus Gründen des Versmaßes und des Satzrhythmus fällt das „e“ aber
auch in der Schriftsprache nicht selten weg. Vergleiche:
Geh, ich bitte dich, gehe und quäle mich nicht länger! (Baabe).
Das „e“ muß stehen bei den schwachen Verben auf -em, -ein und
-nen (sofern diesen Endungen ein Konsonant vorausgeht):
fördere! handele! zeichne! trockne ab! leugne nicht!
Das „e“ der Bildungssilbe (-el-, -er-) kann jedoch ausfallen, wobei die
Verben auf -ein dem Ausfall leichter zugänglich sind:
handle! sammle! fördre!
Die Konjugation der Verben 127
Starke Verben, deren 2. und 3. Person Sing. Indik. Präs. Akt. dem 134
e (ä, ö)/i-Wechsel unterliegen (vgl. 144), haben im allgemeinen ihren
Imperativ unter Ausfall der Endung „e“ dem i (ie) dieser Personal¬
formen angeglichen:
lies! (du liest); wirf! (du wirfst); birg! stirb! verdirb! sprich! iß! miß! vergiß!
nimm! hilf! quilfl gib! schilt! wirb! sieh! (nur bei Verweisungen in Büchern
und als Ausruf auch: siehe!).
Wenn Klassiker wie Goethe oder Herder die dem Infinitiv ange¬
glichenen Formen mit „e“ (trete, verspreche, schelte, nehme usw.)
gebrauchen, so ist dies aus dem noch nicht fest gewordenen Gebrauch
zu erklären. Heine und Börne gebrauchen sie sogar ausschließlich.
Auch die heutige Umgangssprache bevorzugt sie, sie gelten aber als
nicht schriftsprachlich. Eine Ausnahme von dieser Regel ist „werde!“
(vgl. 156).
Bei einigen Verben ist das „e“ eingedrungen, weil sie zur schwachen
Konjugation neigen oder weil der alte Imperativ unüblich geworden
ist:
schere! (nicht mehr: schier!), melke! (nicht mehr: milk!), schwäre! (nicht mehr:
schwier!), gebäre! (kaum mehr: gebier 1).
2. Die 2. Pers. Plur. stimmt mit der 2. Pers. Plur. Indik. Präs. Akt. 135
überein:
ihr geht — geht!
3. Der Imperativ von „sein“ ist aus der Konjunktivform gebildet: 136
sei!, seid! (zur Schreibung mit ,,d“ vgl. 154, 1).
139 Wie wir Ziff. 866 sehen werden, zwingt das Substantiv (oder dessen
Stellvertreter) in der Rolle als Subjekt dem Verb Person und Zahl auf:
ich erwache, das Kind erwach*, du erwachs*, die Kinder erwache», das Kind ist er¬
wacht.
Verbformen, die in dieser Weise Person und Zahl enthalten, heißen
finite1 (bestimmte) Formen des Verbs oder auch Personalformen.
Verbformen, die weder Person noch Zahl enthalten, die deshalb auch
keiner satzbildenden Aussage fähig sind, nennt man demgegenüber
infinit (unbestimmt):
erwachen, erwachend, erwacht.
Das Verb besitzt für die drei Personen des Subjekts Personalformen in 140
der Einzahl und in der Mehrzahl durch alle Zeiten (Tempora; vgl. hierzu
die Tabellen Ziff. 76):
1. für die sprechende (erste) Person:
ich erwache, erwachte, wir erwachen, erwachten; ich bin erwacht.
Nur wenn der Mensch oder ein personifiziertes Wesen bzw. Ding als 141
Subjekt stehen, können alle finiten Formen ins Spiel kommen:
Ich komme, wir kommen u. a. In der Fabel: ,,Das wäre was für uns“, sprach der
Hahn (Grimm).
Dagegen ist das unbekannte „es“ auf die dritte Person Singular be¬
schränkt (vgl. hierzu auch Ziff. 843):
es donner«, blitz«, regne«.
Alles, was zwischen dem Menschen und dem unbekannten „es“ steht,
kann nur in der dritten Person Singular und — wenn möglich — auch in
der 3. Person Plural erscheinen:
Das Wasser rausch«. Die Wasser rauschen. Das Unglück ereigne«e sich um drei Uhr.
An dieser Straßenkreuzung ereignen sich viele Unglücke. Das verdroß mich.
Da „fragen“ schriftsprachlich nur noch schwach gebeugt wird, sind die starken Formen
„du frägst, er frägt“ (frag) nicht korrekt, auch wenn sie, besonders in Norddeutschland,
öfter gebraucht werden.
144 Die Verben mit dem Stammvokal e (ä, ö) haben ein i (ie). Man nennt diese Erscheinung
e/i- Wechsel (vgl. die betreffenden Verben in der Liste Ziff. 74):
geben, du gibst, er gibt; gebären, du gebierst, sie gebiert; erlöschen, du erlischst,
es erlischt.
Den e/i-Wechsel aufgegeben oder nie gehabt haben u. a. „bewegen, denken, gären,
stecken, weben** und die unregelmäßigen Verben „gehen“ und „stehen“.
Der Wegfall des „e“ in der 2. und 3. Pers. Sing. Ind. Präs., in der 2. Pers. Plur. Ind.
Präs., in der 2. Pers. Sing. Ind. Prät., in der 2. Pers. Plur. Ind. Prät. Akt.:
145 1. Im Normalfall fällt heute das „e“ in den obengenannten Formen weg:
du trinkst, er trinkt^; ihr trinkt; du trankst, ihr trankt.
Das „e“ in diesen Formen ist entweder veraltet oder poetisch, vom Standpunkt der
Umgangssprache aus geziert:
Wer allzu eifrig bekräftigt sein Versprechen, beweiset dir damit den Willen,
es zu brechen (Rückert). Drin liegst du, wie du starbest (Uhland).
146 2. Bei Verben mit Vokalwechsel fällt das ,,e“ in der 2. und 3. Pers. Sing. Ind. Präs,
weg:
du fällst, er fällt; du gibst, er gibt; du fichtst, er ficht (für: flehtt).
147 3. Nach Zischlauten (s, ß, sch, z, tz) ist es unterschiedlich:
In den Präsensformen fällt das -e- oder -es- heute gewöhnlich weg:
du liest (für: liesest), ihr lest (für: leset), du reißt (für: reißest), ihr reißt (für:
reißet), du wäschst (Vokalwechsel!), ihr wascht (für: waschet).
Die Formen mit „e“ gelten als veraltet, poetisch oder geziert:
Wenn du der Stunde dienst, beherrschest du die Zeit (Rückert). ... doch nur
die Anmut sieget (Schiller).
Der Ausfall des „s“ nach „sch“ in Fällen wie „du wäscht“ wird als allzu unge¬
zwungen schriftsprachlich vermieden.
In der 2. Pers. Sing. Ind. Prät. bleibt das „e“ nach Zischlauten meist erhalten:
du lasest, du rissest, du wuschest.
In der 2. Pers. Plur. Ind. Prät. kann es wegfallen:
ihr las[e]t, ihr risset (rißt), ihr wusch[e]t.
148 4. Nach d oder t bleibt in den Präsensformen das „e“ erhalten, wenn kein Vokal¬
wechsel stattflndet:
du findest, du bietest; er findet, er bietet; ihr findet, ihr bietet.
In der 2. Pers. Sing. Ind. Prät. bleibt es nur in ge wählt er‘Sprache erhalten:
du fandst (du fandest), du botst (du botest).
In der 2. Pers. Plur. Ind. Prät. muß es aus lautlichen (gründen erhalten bleiben:
ihr fandet, ihr botet.
149 Das „e“ der Endung -en (1. und 3. Pers. Plur. im Ind. und Konj. des Präsens und des
Präteritums Akt.) kann nach Vokal oder h wegfallen, wenn Versmaß oder Satzrhythmus
es erfordern. Die Umgangssprache bevorzugt diese synkopierten Formen:
wir, sie schrein, schrien; wir, sie fliehn, flohn. ^
150 Der Stammvokal der schwachen Verben bleibt unverändert. Die Endungen der
Personalfonnen entsprechen denen der starken, außer in der 1. und 3. Pers. Sing. Prät.:
ich suchte, er suchte.
Die Konjugation dev Verben 131
Das „e“ dieser Endung kann nur in dichterischer Sprache oder in süddeutscher Um¬
gangssprache wegfallen:
einen vergänglichen Tag lebt* ich und wuchs ihit den Meinen (Hölderlin).
Eine kleinere Gruppe wirft das ,,e“ zwischen Stamm und Endung nicht aus. Es sind 151
Verben, deren Stamm auf d, t, m, n ausgeht':
badete (aber: fragte), betete, wettete, hustete, geachtet (aber: gefragt), atmete,
leugnete.
Der sonstige Wegfall des „e“ vollzieht sich im allgemeinen wie bei den starken Verben
(vgl. 142; 145; 147 [Präsensformen]; 149 [Präsens]). Verben, deren Infinitiv.auf -ein,
-ern ausgeht (sammeln, ändern), werfen vor st, t und n das Endungs-e aus:
du sammelst (Indikativ und Konjunktiv 1), er, ihr sammelt; du änderst, er, ihr
ändert; wir, sie sammeln; wir, sie ändern.
In der 1. Pers. Sing. Ind. Präs, wird bei den mit -ein gebildeten Verben das „e“ dieser
Bildungssilbe häufiger ausgeworfen (ich sammle) als bei den mit -em gebildeten (ich
ändre).
155 Die Unregelmäßigkeit des Verbs „haben“ beruht auf seinen zusammengezogenen
Formen:
Präs. Ind.: du hast (für: ha[be]st), er hat (für: ha[be]t); Prät. Ind.: hatte (für:
h&[be]te).
Die regelmäßigen Formen werden in „sich gehaben“ und „handhaben“ noch gebildet.
156 Das Verb „werden“ geht nach der starken Beugung bis auf drei Abweichungen:
2. Pers. Sing. Präs. Ind.: du wirst (für: wir[de]st)
3. Pers. Sing. Präs. Ind.: er wird (für: wirdt)
2. Pers. Sing. Imperativ: werde! (für: wird!)
Im Sing. Prät. hat sich die ursprünglich starke Form ich „ward“, du „wardst“, er „ward“
an den Plural „wurden“ angeglichen und die Endung „e“ des schwachen Prät. ange¬
nommen (wurde). Die älteren Formen werden noch gelegentlich von Dichtern und
Schriftstellern gebraucht. Aus der Umgangssprache sind sie ganz geschwunden :
Der kleine, sorgfältig gezeichnete Wäscheschatz . . . ward von Schalleen aufs beste
betreut (Th. Mann).
157 Das Präsens der Modalverben „können, dürfen, sollen, mögen, müssen“ und das Voll¬
verb „wissen“ (kann, darf, soll, mag, muß, weiß) ist eigentlich ein früheres, in Ver¬
gessenheit geratenes starkes Präteritum, dessen neue Vergangenheitsformen schwach
beugten (konnte, durfte, sollte, mochte, mußte, wußte). Dazu trat auch ein schwach
gebeugtes 2. Partizip (gekonnt, gedurft, gesollt, gemocht, gemußt, gewußt). Diese
Verben heißen deshalb „Präteritopräsentia“.
Im Präsens unterscheiden sich bei „können, dürfen, mögen“ und bei „wissen“ Einzahl
und Mehrzahl in ihrem Stammvokal:
ich kann, darf, mag, weiß; aber: wir können, dürfen, mögen, wissen.
Das „e“ der Präteritümendung fällt umgangssprachlich gelegentlich weg (vgl. 150):
was soll*’ ich denn sonst auch wohl tun ? (Th. Mann). Da möch<’ ich doch wetten
(ders.).
ß) Die Partizipien
Die beiden anderen infiniten Formen (erwachend, erwacht) haben auf 160
Grund ihrer Mittelstellung zwischen Verb und Adjektiv den Namen
„Mittelwort“ oder „Partizip”1. „Erwachend” ist das 1. Mittelwort oder
Mittelwort der Gegenwart (1. Partizip oder Partizip Präsens), „erwacht”
das 2. Mittelwort oder Mittelwort der Vergangenheit (2. Partizip oder
Partizip Perfekt). Über den Grad der Teilnahme der Partizipien an der
Wortart Adjektiv vgl. 166if.
Das 1. Partizip
Das 1. Partizip wird aus dem Präsensstamm durch Anhängen der Endung 161
-nd gebildet:
lobe-wd, erwache-nd, tadel-ntf.
Es drückt das im Verb genannte Sein oder Geschehen besonders für die
Gegenwart als ablaufend, dauernd, unvollendet und in aktiver Bedeutung
in der Rolle eines Adjektivs aus. Man nennt es daher auch „Ablaufform“:
der lobende Lehrer; sie kam tanzend herein.
Durch Hinzufügen temporaler Adverbialbestimmungen kann es auch auf
Vergangenheit und Zukunft bezogen werden:
die damals stattflndenden Feiern; die künftig stattfindenden Feste.
Daß es zeitlich neutral ist, sieht man auch daraus, daß es bei jeder be¬
liebigen Zeitform des Verbs stehen kann:
Die blühenden Blumen erfreuten uns, werden uns erfreuen.
Dem 1. Partizip gleich gebildet ist die Form „zu billigend, zu fürchtend“.
Sie ist Ausdruck des beginnenden Vorgangs im Passiv und entspricht
daher dem lateinischen Gerundiv [um]2. Diese Form wird in der Schrift¬
sprache ziemlich häufig verwendet:
Das ist ein nicht zu billigender Schritt. Sein anzuerkennender Fleiß . . .
Das 2. Partizip
162 Das 2. Partizip ist das Partizip des vollendeten Seins oder Geschehens.
Es hat gewöhnlich passivische Bedeutung. Die starken Verben bilden das
2. Partizip mit der Endung -en. (Über den verschiedenen Ablaut dabei
vgl.70.) Die schwachen Verben haben im 2. Partizip die Endung -t oder -et.
Dazu tritt bei beiden Verbklassen gewöhnlich die Vorsilbe ge-:
stark: (binde, band) gebunden; schwach: (lobe, lobte) gelobt; (rede, redete) geredef.
Das „e“ der Endung -en bei starken Verben kann gelegentlich wegfallen,
wenn Versmaß oder Satzrhythmus es erfordern, aber nur nach Vokal
oder h:
gehaun, geschrien, gesehn.
Die Umgangssprache bevorzugt diese Formen. Über unregelmäßige
Bildung des 2. Partizips vgl. 152 ff.
Neben den vorstehend genannten Partizipien, die an der Wortart Ad- 168
jektiv teilnehmen, gibt es noch eine Gruppe, die es besonders zu be¬
trachten gilt. Es sind jene Partizipien (1. und 2.), die durch Bedeutungs¬
differenzierung oder durch das Absterben der übrigen Konjugations¬
formen isoliert sind. Diese Partizipien können dann auch fast alle
als subjektbezogene Artangabe stehen und auch gesteigert werden. Die
2. Partizipien werden parallel mit der Isolierung aktivisch verwendet.
Selbstverständlich gibt es hier vielerlei Übergänge:
Das reizende Mädchen . .. Inge ist reizender als ... (Das Verb „reizen“ hat eine
andere Bedeutung.) Er ist ein gedienter Soldat. (Das abgestorbene transitive Verb
„gedienen“ zu diesem Partizip hatte die Bedeutung: jemanden durch Dienen er¬
proben.)
Hierher gehören Partizipien wie: betrunken, verliebt, geeignet, verirrt,
erkältet, ausgeruht, verschwiegen, besorgt, erfahren, spannend u. a.
Diesen Partizipien ist das Tor zur Wortart Adjektiv am weitesten ge¬
öffnet. In der Wortart Verb sind sie dafür allerdings kaum noch be¬
heimatet.
1. Konkreta
a) Eigennamen
172 Sie bezeichnen einzelne Dinge oder Lebewesen, die so, wie sie sind, nur
einmal Vorkommen, z. B. Menschen, Länder, Städte, Straßen, Berge,
Gebirge, Flüsse, Seen, Meere, Fluren und andere Örtlichkeiten, Schiffe,
Sterne, menschliche Einrichtungen, geistige Schöpfungen:
Karl, Theodor Storm, Deutschland, Berlin, Kurfürstendamm, Brocken, Harz, Rhein,
Wannsee, Prater, Titanic, Saturn, Firma Berger und Co., CDU, „Faust“.
Da viele Personen „Peter“, „Müller“, „Schmidt“ oder viele Orte „Neustadt“ heißen,
bezeichnet in diesen Fällen der Eigenname zwar nichts absolut Einmaliges mehr, doch
bleibt jede Person und jeder Ort „Individuum“, d. h. ein bestimmtes unteilbares
Einzelnes.
Eigennamen können im allgemeinen nicht übersetzt "werden: Menschen mit den Fa¬
miliennamen Braun, Brown oder Lebrun sind immer drei verschiedene Personen. Eine
Ausnahme machen nur Vornamen und historische Fürstennamen: Anton van Dyck;
Ludwig XIV. für : Louis XIV.
Volkssprache und Märchen geben auch [Haustieren und Dingen Namen: der Schimpanse
Moritz im Zoo, Fallada (Pferd), Karo (Hund), Dicke Berta (Geschütz), Siegfrieds Schwert
Balmung.
Tier-, Pflanzen-, Monats-, Wochentags-, Krankheits-, Schimpf-, Verwandtschaftsnamen
gelten nicht als Eigennamen. Sie gehören den folgenden Gruppen an.
b) Gattungsnamen
Sie bezeichnen eine ganze Gattung gleichgearteter Dinge oder Lebewesen 173
und zugleich jedes einzelne Wesen oder Ding dieser Gattung. Sie können
wieder in verschiedene Arten unterteilt werden:
Personen: Mensch - Europäer - Germane - Deutscher - Mann - Handwerker - Schnei*
der - Damenschneider - Kostümschneider
Tiere: Tier - Säugetier - Affe - Rhesusaffe
Pflanzen: Pflanze - Blume - Rose - Heckenrose
Dinge: Hausrat - Möbel - Tisch - Schreibtisch
ß) Stofffiamen
Sie bezeichnen eine gleichartige Stoffmasse und deren Teile: 175
Wasser, Leder, Holz, Gold, Stahl, Wein, Fleisch, Salz, Wolle, Zement.
Wenn Stoffnamen im Plural stehen (vgl. 241), sind sie Gattungsnamen:
Hölzer, Salze, Stähle.
2. Abstrakta
176 Abstrakta heißen diejenigen Substantive, die Nichtgegenständliches so
nennen, als ob es Dinge seien, z. B.
Menschliche Vorstellungen: Geist, Seele;
Handlungen: Schlag, Wurf, Schnitt, Boykott;
Vorgänge: Leben, Sterben, Schwimmen, Schlaf, Reise;
Zustände: Friede, Reichtum, Liebe, Alter;
Eigenschaften: Würde, Verstand, Ehrlichkeit, Krankheit, Dummheit;
Verhältnisse oder Beziehungen: Ehe, Freundschaft, Nähe, Unterschied;
Wissenschaften, Künste: Biologie, Mathematik, Musik, Maleret;
Maß- und Zeitbegriffe: Meter, Watt, Gramm; Jahr, Stunde, Mai.
Die Zweiteilung in Konkreta und Abstrakta deckt sich in vielen Fällen
nur dann mit der Sprachwirklichkeit, wenn man den Wortinhalt und
nicht nur das äußere Wortbild beachtet:
„Grund“ bedeutet konkret „Boden“, abstrakt „Ursache“; „Jugend“ ist konkret, wenn
es „die jungen Menschen“, aber abstrakt, wenn es „das jugendliche Alter“ bezeichnet.
Weitere Beispiele sind die Substantive Schönheit, Verwandtschaft, Erscheinung, Wesen,
Heizung u. a.
fast völlig gelöst hat und daß die Genera nichts anderes sind als Klassen
des Substantivs1.
Über die besondere Leistung des grammatischen Geschlechts bei der
Kongruenz vgl. 1178 ff.
Da die Sprachentwicklung dazu geführt hat, daß sich für die Zugehörig¬
keit der Substantive zu bestimmten Geschlechtsgruppen keine festen
Regeln aufstellen lassen, muß man zu jedem Substantiv den geschlechts¬
bezeichnenden Artikel lernen. Dabei sind nachstehende Hinweise von
Nutzen.
a) Personen
Das grammatische Geschlecht der Substantive, die Personen benennen, 178
stimmt im allgemeinen mit dem natürlichen Geschlecht der Person über¬
ein:
der Vater, die Mutter; der Sohn, die Tochter; der Bruder, die Schwester; der Onkel,
die Tante; der Mann, die Frau; der Lehrer, die Lehrerin.
Ausnahmen: z. B. das Weib, die Wache (milit.) und alle Verkleinerungsformen auf
-chen, -lein, -el, -le: das Mädchen, das Fräulein, das Mädel, das Schätzle, das
(auch: der) Kasperle.
b) Tier©
Das grammatische Geschlecht der Tiernamen entspricht dem natürlichen 179
Geschlecht der Tiere, wenn der Geschlechtsunterschied wichtig erscheint :
der Ochse, die Kuh; der Löwe, die Löwin; der Hahn, die Henne.
Dieses Unterscheidungsbedürfnis ist in der Jägersprache besonders aus¬
geprägt:
der Bock, die Ricke; der Rüde, die Hündin; der Keiler, die Bache.
Meist steht jedoch ohne Rücksicht auf das natürliche Geschlecht die Ge¬
samtbezeichnung als Maskulinum, Femininum oder Neutrum:
das Pferd (für: Hengst und Stute), der Igel (für: Igelmännchen und -Weibchen), die
Biene (für den weiblichen Weisel, die männliche Drohne und die geschlechtslose
Arbeitsbiene).
Maskulina sind:
die Namen der Jahreszeiten, Monate, Tage:
der Frühling, der Winter, der Lenz, der Januar, der Freitag,der Mittwoch; aber: die
Woche, das Jahr;
Feminina sind:
Baumnamen und sehr viele Blumennamen:
die Ulme, die Rüster, die, Eiche, die Tanne, die Linde, die Buche, die Lärche, die
Kiefer, die Fichte, die Erle, die Pappel, die Birke, die Espe, die Eibe, die Palme (aber:
der Ahorn); die Dahlie, die Narzisse, die Nelke;
Substantivierungen von Zahlen:
die Vier, die Zehn.
Neutra sind:
die meisten Namen der Metalle und der chemischen Elemente:
das Gold, das Silber, das Platin, das Blei, das Nickel, das Eisen, das Erz, das Uran, das
Kupfer, das Zink, das Zinn, das Kalzium, das Brom, das Helium; aber: der Stahl, der
Schwefel, die Bronze.
Die Verkleinerungsformen auf -chen und -lein:
das Plauderstündchen, das Brünnlein.
Wörter aus anderen Wortarten, die nur gelegentlich substantiviert
werden:
das Schöne, das Gute; das Gedachte, das Gewünschte; das Lesen, das Schreiben; das
Seine, das vertraute Du; das Ja und Nein, das Drum und Dran, das Auf und Nieder,
das Wenn und Aber, das V^eh und Ach.
Kollektivbegriffe mit der Vorsilbe Ge-:
das Gebirge, das Getier, das Gewürm, das Gewässer, das Gestirn.
Gesamtvorgänge mit der Vorsilbe Ge-:
das Gelaufe, das Geschieße, das Gejodel, das Geschrei.
d) Eigennamen
a) Personennamen
181 Das Geschlecht der Personennamen stimmt meist mit ihrem natürlichen
Geschlecht überein:
der kleine Karl, der reiche Schulze, die fleißige Liese, die alberne Schmidt; Karl V. und
seine Zeit.
Ausnahmen bilden die Neutra der Verkleinerungsformen auf -chen,
-lein, -le:
das vierjährige Karlchen, das doppelte Lottchen (Buchtitel), das niedliche Ingelein,
das arme Hannele (G. Hauptmann).
Die Verkleinerungsform auf -[e]l richtet sich jedoch noch mehr nach dem
natürlichen Geschlecht (vgl. 183; 1200,1):
die fleißige Gretel, die schöne Liesel (aber auch: das schöne Liesel), arme Liesel (Anzen¬
gruber), der dumme Hansel (aber auch: das dumme Hansel).
Das Oenus der Substantive 143
Noch im 18. Jahrhundert gebrauchte man die Endung -in auch bei Fa- 182
miliennamen, um eine weibliche Person der Familie zu bezeichnen:
Luise Millenn (Schiller), die Karschwi, die Neuberin.
Abgeschwächtes -in steckt noch in den heutigen vulgären Bezeichnungen
die Schulzen, die Schmidt’^.
Im Brief können bei einer bestimmten Form des Briefschlusses Zweifel 183
auftreten, ob es heißt:
Ihr getreues Lencheh Schmidt oder: Ihre getreue Lenchen Schmidt.
Man zieht hier formal-grammatische Übereinstimmung vor und schreibt
heute meist:
Ihr getreues Lenchen Schmidt (aber noch Keller: Ihre ergebenste Käthchen Ambach).
Dagegen: Ihre getreue Grete? Müller (vgl. 181).
ß) Geographische Namen
Länder- und Gebietsnamen sind im allgemeinen neutral, seltener 184
feminin oder maskulin:
das schöne Thüringen, das Frankreich Ludwigs XIV., das geheimnisvolle Tibet,
das tropische Afrika, unser ganzes Europa, das Elsaß, das Ries, das Wallis, das
Pandschab.
Feminin sind die auf -ei, -ie oder -e endenden Länder- und Gebietsnamen:
die Tschechoslowakei, die Türkei, die Lombardei, die Walachei, die Mongolei, die
Mandschurei; die Normandie, die Pikardie; die Bretagne, die Champagne, die Gas-
cogne, die Levante, die Provence, die Ukraine.
Außerdem:
die Schweiz, die Lausitz, die Pfalz, die Krim, die Dobrudscha, die Riviera, die [Ant¬
arktis, die Sahara, die Gobi.
Maskulin sind z. B.
der Peloponnes, der Chersones, der Balkan, der Sudan, der Irak, der Iran, der Jemen,
der Hedschas.
Zum Artikel bei Ländernamen vgl. 234.
Das bei Elsaß im 19. Jahrhundert gelegentlich auftretende männliche
Geschlecht ist wieder aufgegeben worden. Einige Ländernamen kommen
nur im Plural vor (vgl. 254):
die Niederlande, die USA.
188 Sterne und Sternbilder haben ihr Geschlecht von dem betreffenden Wesen
oder Ding, nach dem sie benannt sind:
der Jupiter, der Saturn, der Drache; die Kassiopeia, die Waage, die Venus; das Cha¬
mäleon, das Dreieck.
Wo das Geschlecht aus der Bedeutung nicht abzuleiten ist, steht meist
das maskuline:
der Algol, der Arktur, der Fomalhaut, der Beteigeuze.
Die auf -a endenden sind jedoch weiblich:
die Wega, die Kapella, die Gemma.
6) Schiffsnamen
189 Sie sind im allgemeinen feminin, vor allem bei Schiffen, die nach Städten
und Ländern benannt sind:
die Nautilus; die Bremen, die Hessen, die Europa, die Deutschland.
Nach englischem Vorbild sind die Schiffsnamen heute meist auch dann
feminin, wenn ein männlicher Personenname zugrunde liegt:
die Graf Spee. Seltener: des „Graf Spee“ (H. Mann).
Aber: der ,.Fliegende Holländer“, der „General San Martin“
Bei Sachnamen schwankt das Geschlecht zwischen dem des Namens und
dem weiblichen:
die Seetüchtigkeit des „Pfeil[s]‘‘ oder der „Pfeil“.
Bei Tiernamen tritt meist das betreffende Geschlecht dieser Namen ein:
das „Krokodil“, des „Kormoran“ (G. Hauptmann), des „Windspiels“ (Leip), die
„Möwe“, der „Jaguar“.
Das Genus der Substantive 145
e) Flugzeugnamen
Man muß hier unterscheiden zwischen individuellen Namen und Gat- 190
tungsbezeichnungen (Flugzeugtypen). Wo überhaupt noch individuelle
Namen gebraucht werden, ist das Geschlecht wie bei den Schiffsnamen
weiblich:
die Storch, die Adler, die Pfeil.
Weiblich sind auch die Gattungsbezeichnungen nach dem Hersteller
(dabei ist wohl das Grundwort „Maschine“ erspart):
die Ju[nckers] 52, die He[inkel] 111, die Do[rnier] X, die Focke-Wulf, die Me[sser-
schmidt] 109.
Ist die Gattungsbezeichnung jedoch ein gewöhnliches Substantiv, dann
tritt dessen Geschlecht ein:
der [Fieseier-]Storch, der Condor, die Flying Fortress (weil man an „Festung“
denkt).
f) Substantivierte Buchstaben
Substantivierte Buchstaben sind neutral: .193
das A und [das] O, einem ein X für ein U vormachen.
Armut, die Demut, deren -mut auf das althochdeutsche Adjektivsuffix -muoti zu¬
rückgeht), das Gegenteil, das Vorderteil, das Hinterteil (obwohl heute meist: der
Teil).
Fällt gelegentlich das Grundwort einer Zusammensetzung fort, dann
bleibt sein Geschlecht erhalten:
der FD [-Zug], die Senoussi[-Zigarette], das Roulett [spiel].
Maskulina
Feminina
-keit: die Fruchtbarkeit, die Eitelkeit, die Bitterkeit, die Höflichkeit, die Feuchtig¬
keit, die Kleinigkeit;
-schaft: die Freundschaft, die Eigenschaft, die Verwandtschaft, die Herrschaft, die
Kundschaft;
-ung: die Schöpfung, die Achtung, die Nahrung, die Bildung, die Kündigung, die
Vertretung, die Werbung.
-a (lat., Italien., span.): die Kamera, die Ära, die Aula, die Prokura, die Lira, die
Ballerina, die Signora, die Senora, die Hazienda;
-ade (franz.): die Ballade, die Fassade, die Maskerade, die Marmelade, die Schoko¬
lade, die Kanonade;
-age (franz.): die Garage, die Bagage, die Courage, die Etage, die Menage, die
Kartonage;
-aille (franz.): die Kanaille, die Journaille, die Bataille, die Emaille;
-aise (franz.): die Frangaise, die Marseillaise; eingedeutscht: die Majonäse, die
Polonäse;
-ance (franz.): die Renaissance, die Mesalliance, die Usance;
-äno (franz.): die Fontäne, die Moräne, die Quarantäne;
-anz (lat., roman.): die Arroganz, die Bilanz, die Brisanz, die Distanz, die Eleganz,
die Prägnanz;
-eile (franz., Italien.): die Bagatelle, die Frikadelle, die Zitadelle, die Morelle;
-enz (lat.): die Audienz, die Existenz, die Exzellenz, die Frequenz, die Konsequenz,
'die Prominenz;
-ette (franz.): die Dublette, die Etikette, die Facette, die Pinzette, die Rosette, die
Toilette;
-euse (franz.): die Friseuse, die Masseuse, die Balletteuse, die Pleureuse, die Mitrail-
leuse;
-ie [. . . i°] (lat.): die Materie, die Folie, die Historie, die Glorie, die Kastanie, die
Pinie, die Fuchsie;
-ie [. . . i-] (griech., lat., roman.): die Kolonie, die Geographie, die Lotterie, die Ka¬
lorie, die Phantasie; aber: das Genie;
-[l]ere (franz.): die Misere, die Garderobiere, die Voliere, die Portiere, die Bon¬
bonniere;
-ik (griech., lat.): die Musik, die Politik, die Lyrik, die Ethik, die Botanik, die Ma¬
thematik, die Dialektik;
-Ille (lat., franz.): die Bastille, die Quadrille, die Pupille, die Kamille;
-ine (griech., lat., franz.): die Margarine, die Latrine, die Blondine, die Maschine, %
die Vitrine, die Kabine;
-Ion (lat., franz.): die Nation, die Explosion, die Dimension, die Kalkulation, die
Religion, die Station;
-isse (lat.): die Kulisse, die Prämisse, die Narzisse, die Kanonisse, die Diakonisse,
die Abszisse, die Mantisse;
-[i]tät (lat.): die Banalität, die Fakultät, die Kapazität, die Qualität, die Rarität,
die Realität, die Vitalität;
-itis [med.] (griech.): die Bronchitis, die Rachitis, die Neuritis, die Nephritis, die
Arthritis;
-ive (lat., franz.): die Defensive, die Offensive, die Alternative, die Direktive, die
Kursive;
148 Das Substantiv (Nomen)
-ose [med.] (griech.): die Sklerose, die Neurose, die Furunkulose, die Tuberkulose;
-se vgl. -sis;
•sis (griech.): die Basis, die Dosis, die Genesis, die Analysis, eingedeutscht -se: die
Base, die Genese, die Analyse, die Katechese;
-ur (lat.): die Natur, die Kultur, die Temperatur, die Karikatur, die Statur, die
Registratur, die Rasur, die Mixtur, die Tortur, die Ligatur, die Fraktur;
-iire (franz.): die Allüre, die Broschüre, die Gravüre, die Bordüre.
Neutra
Teuer ist mir der Freund, doch auch den Feind kann ich nützen; zeigt mir
der Freund, was ich kann, lehrt mich der Feind, was ich soll (Schiller).
3. Der Geschlechtswandel
Viele Substantive haben im Laufe der Sprachgeschichte ihr Geschlecht 200
geändert. Nicht immer können wir die Gründe dafür erkennen. In den
meisten Fällen jedoch wurde der Geschlechtswandel durch Analogie
bewirkt:
4. Schwankendes Geschlecht
201 Das Geschlecht schwankt, wenn sich das neue Geschlecht noch nicht
durchgesetzt hat (vgl. 202).
Solche Schwankungen können sich über lange Zeiträume erstrecken:
mhd.: diu oder daz versumnisse, nhd.: das (auch: die) Versäumnis; mhd.: derwulst
oder diu wulste, nhd.: der oder die Wulst; mhd.: daz oder der zepter, nhd.: das
(seltener: der) Zepter.
Oft lebt das absterbende Geschlecht in einem Teil des Sprachraumes oder
im engeren Bereich einer Mundart fort:
mhd.: der oder daz hast, ostmd.: das Bast, schriftspr.: der Bast;
mhd.: diu oder der buter, schwäb.: der Butter, schriftspr.: die Butter;
mhd.: der oder diu bach, mdal. oft: die Bach, schriftspr.: der Bach.
Fremdwörter haben oft deshalb schwankendes Geschlecht, weil das Ge¬
schlecht der Herkunftssprache unbekannt ist:
der oder das Radar; der, das oder die Dschungel; der oder das, auch die Zigarillo,
oder weil man sich zwischen dem Geschlecht der Ursprungssprache und
dem im Deutschen durch Analogie hervorgerufenen Geschlecht nicht ent¬
scheiden kann:
lat. metrum (Neutr.) — das Meter, aber in Analogie zu vielen maskulinen Substan¬
tiven auf -er häufig auch: der Meter.
Bei Übernahme fremder Wörter in den deutschen Text besteht manch¬
mal Zweifel, ob man das fremde Geschlecht beibehalten oder das der be¬
treffenden deutschen Übersetzung wählen soll. In diesen Fällen ist das
letztere meist vorzuziehen:
der Place de la Concorde (seltener: die, obwohl franz. place Femininum istl.dieBanco-
di Credito (seltener: der, obwohl italien. banco Maskulinum ist).
205 Liste verwandter Wörter von etwas abweichender Form mit verschiedenem
Geschlecht und gleicher oder verschiedener Bedeutung
1 Lat. articulus = Gelenk, kleines Satzstück. Dieser Terminus ist also ziemlich nichts¬
sagend.
Der Artikel 155
Singular Plural
Mask. Fern. Neutr. für alle Geschlechter
Besonders Dinge, die nur einmal Vorkommen, gelten als so bekannt, daß
sie den bestimmten Artikel haben:
die Sonne, die Erde, das Fegefeuer, der Himmel, das Paradies.
Die Voraussetzung der Bestimmtheit und Bekanntheit ist schon dann er-'
füllt, wenn das betreffende Substantiv nur durch seine Zugehörigkeit zu
einer bekannten Gattung, als bloßer Gattungsbegriff bestimmt und damit
generalisiert wird. Diese Funktion übernimmt vor allem der bestimmte
Artikel (besonders in kollektiver Bedeutung) :
. Der Baum ist eine Pflanze. Die Bäume sind Pflanzen. Die Wahrheit sagen. [Die]
Geduld ist eine schöne Tugend. [Das] Gold ist ein Metall. Vgl. zu den zwei letzten
Beispielen Ziff. 213 und 227.
Aber auch der unbestimmte Artikel übt die generalisierende Funktion aus,
allerdings seltener und mehr in disjunktiver (sondernder) Bedeutung:
Das weiß ja ein Kind (= jedes Kind). Kinder dürfen das nicht. Ein Baum ist eine
Pflanze. Bäume sind Pflanzen.
209 Der bestimmte Artikel steht im allgemeinen auch dann, wenn das
betreffende Substantiv (der Gliedkem) durch irgendeinen Zusatz näher
bestimmt wird (attributives Adjektiv, voranstehende Apposition, Geni¬
tivattribut usw.):
das schöne Haus; der Monat Juli; die Liebe einer oder der Mutter; der Zaun des Nach¬
bars; die Belagerung von Paris; er starb im hohen Alter von 85 Jahren (aber ganz
allgemein; er starb in hohem Alter); die Freude, die du mir damit erwiesen hast.. .
Bei vorangestelltem Genitivattribut steht jedoch kein Artikel beim Glied¬
kern:
der Mutter Liebe, des Nachbars Zaun. Viele Hunde sind des Hasen Tod (Sprw.).
210 Im allgemeinen steht der Artikel nicht neben Pronomen, da er ja selbst
aus einem Pronomen entstanden ist. Wo es aber der Fall ist, übt er die
gleichen Wirkungen aus, die wir bereits kennengelemt haben: In „der¬
selbe“, „derjenige“ wird ein einmaliges Einzelwesen bestimmt, in „ein
jeder“, „ein solcher“, „solch ein“, „welch ein“ der Vertreter einer Gat¬
tung. Ähnlich:
all die Leute, all das Volk, die beiden, manch ein, ein jeglicher.
211 Der bestimmte Artikel steht oft nur zur Verdeutlichung des Kasus, auch
dort, wo ihn die Bedeutung des Substantivs gar nicht verlangen würde:
Ich ziehe Wein dem Wasser vor. Dieses Metall gleicht dem Golde; die schöne Tugend
der Geduld; einem Pfau gleichen; er hat sich der Physik gewidmet.
212 Da im heutigen Deutsch der Artikel im allgemeinen gesetzt wird, betrach¬
ten wir in den folgenden Einzelfällen vor allem die Ausnahmen von dieser
Regel. Sie sind stets darauf zurückzuführen, daß das folgende Substantiv
ohne Beziehung auf eine besondere Gegebenheit in allgemeinem, unbe¬
stimmtem, nicht begrenztem Sinne gebraucht wird. Das ist nicht nur eine
grammatische, sondern auch eine stilistische Frage, da sich in der Weg¬
lassung des Artikels das Streben nach Kürze ausdrückt.
1 Besonders die Zusammenziehung ,,im“ (vgl. 236) oder „in“ -1- Artikel werden jedoch
auch bei allgemeinen Zuständen gebraucht, z. B. im Krieg, im Traum, im Bewußtsein,
im Begriff, sich im Bau befinden, im Einklang stehen, im Urlaub sein, in der Not.
Der Artikel 159
Da die Eigennamen schon ganz bestimmte Einzelwesen oder -dinge be- 231
zeichnen, die so, wie sie sind, nur einmal Vorkommen, haben sie im all¬
gemeinen keinen Artikel bei sich.
a) Personennamen
Der bestimmte Artikel fehlt im allgemeinen: 232
Hans ist ein braver Junge. Der Geburtsort Johann Wolfgang Goethes ist Frankfurt
am Main.
ß) Er steht bei Werken der Kunst, Literatur usw., die mit Eigennamen
bezeichnet werden. Er drückt hier die Vertrautheit mit bestimmten,
allen bekannten Werken aus:
der Laokoon, die Emilia Galotti (von Lessing). Ich habe den Livius (ein Werk von
Livius) vergessen; den Wallenstein spielen.
Fehlt diese Vertrautheit, dann kann auch der Artikel fehlen:
ein Zitat aus „Oberon“; ich höre heute abend „Rienzi“; die Ouvertüre zu
„Lukrezia
Dejr Artikel fehlt ferner bei Namenspaaren:
die bekannte Stelle aus „Romeo und Julia“.
1 In salopper Umgangssprache begegnet man hier auch dem Artikel: „Hoppla, Achtung
die Herren.!“ sagte Behrens (Th. Mann).
160 Das Substantiv (Nomen)
rj) Der Artikel steht auch beim Plural von Personennamen (vgl. 294 ff.):
die Gretchen, die Hilden, die Heinriche; die Grimm (Jacob und Wilhelm Grimm),
besonders dann, wenn der Plural bekannte Herrschergeschlephter oder
bekannte Familien bezeichnet:
die Ottonen, die Scipionen; Konradlll. war ein Hohenstaufe; die Bismarcks, die
Buddenbrooks (Th. Mann).
Die Bezeichnung für die Mitglieder einer Familie steht meist ohne
Artikel (vgl. 297, Beachte) :
Meyers sind eine schreckliche Familie (doch auch: die Meyers im Sinne von:
diese Meyers).
i) Der unbestimmte Artikel kann ferner bei Namen stehen, die das
Werk eines Künstlers bezeichnen:
Dieses Bild ist ein Rembrandt. Das Schauspiel ist ein echter Zuckmayer.
b) Völkernamen
Völkemamen haben den bestimmten oder unbestimmten Artikel: 233
der Deutsche, ein Franzose.
Im Plural kann der Artikel wegfallen, wenn die Namensträger nicht
näher bestimmt sind:
Neuyork ist von Holländern gegründet worden.
Durch „und“ zusammengefaßte pluralische Völkernamen haben keinen
Artikel, wenn sie als Einheit gefaßt werden:
Griechen und Römer.
c) Geographische Namen
a) Länder-, Gebiets- und Städtenamen haben im allgemeinen keinen 234
bestimmten Artikel:
Deutschland, Europa; Thüringen, Wales, Kreta; Rom, Heidelberg.
Es gibt jedoch nicht wenige Ausnahmen. Dabei handelt es sich vielfach
nicht um politische Bezeichnungen, sondern um Landschaftsnamen:
Mask.: der .Darß, der Peloponnes, der Chersones, der Balkan, der Sudan, der
Libanon.
Fern.: die auf -ei, -ie, -e, -a endenden: die Tschechoslowakei, die Türkei; die
Normandie, die Pikardie; die Bretagne, die Champagne; die Riviera,
die Dobrudscha; ferner: die Schweiz, die Lausitz, die Pfalz, die Krim,
die [Antarktis.
Neutr.: das Elsaß, das Ries, das Engadin, das Pandschab.
Pluralische Ländernamen (vgl. 254):
die USA, die Niederlande.
Zusammensetzungen:
die Sowjetunion, der Thurgau, die Steiermark, die Wetterau, das Allgäu, das
Vogtland.
Manche Ländernamen schwanken in der Setzung oder Nichtsetzung
des bestimmten Artikels:
[der] Iran, [der] Irak, [der] Jemen, [der] Hedschas. Der Haag (Hauptstadt der
Niederlande) war früher Gattungsname und hat heute noch den Artikel: im Haag,
in Den Haag (aber auch: in Haag).
Die Mundart gebraucht manchmal den Artikel, wo ihn die Schrift¬
sprache nicht kennt:
ins Tirol hinüber; ins Österreich.
Der bestimmte Artikel steht ferner, wenn der Länder- oder Städtename
mit einem Adjektiv, einer Apposition oder einem Genitivattribut ver¬
bunden ist oder sonst näher bestimmt ist:
das schöne Thüringen, das Land Thüringen, das Frankreich Ludwigs XIV.; das
ewige Rom, das Rom Michelangelos; das Heidelberg, das ich so liebe.
Der Artikel steht, wenn der Länder- oder Städtename zum Gattungs¬
namen geworden ist:
eine [gute] Havanna; Bayreuth ist das Mekka der Wagnerfreünde.
162 Das Substantiv (Nomen)
Bei Ländernamen mit bestimmtem Artikel fällt der Artikel weg, wenn
sie in Paarungen auftreten:
in Rheinland-Pfalz.
Vor „ganz“ und „halb“ sowie in Listen kann der bestimmte Artikel
auch wegfallen:
ganz Deutschland (auch: das ganze Deutschland), halb Europa (auch: das halbe
Europa). Mit je einem Studierenden sind vertreten: Frankreich, Schweiz,
Griechenland, Türkei, Tschechoslowakei.
235 ß) Die Namen der Berge, Gebirge, Flüsse, Seen, Meere, Sterne, Schiffe,
Gebäude, Hotels, Kaffees, Kinos haben den bestimmten Artikel:
der Brocken; der Harz, die Dolomiten; der Main; der Bodensee; die Nordsee; die
Venus; die „Bremen“; der „Schwan“; das Continental; das Kranzier: das Gloria.
Ortsnamen mit vorangestellter Apposition stehen vielfach ohne Artikel:
Schloß Wilhelmshöhe, Burg Stolzenfels, Kloster Banz, Kap Skagen.
Zusammensetzungen stehen jedoch mit Artikel:
die Wartburg, der Regenstein, das Rothaargebirge.
Aufzählungen von zwei oder mehr Namen brauchen nicht unbedingt
den Artikel:
Fulda und Werra vereinigen sich in Münden zur Weser. Harz, Schwarzwald und
Thüringer Wald sind große Waldgebirge.
236 Die Verschmelzung der singularischen Artikelformen dem, den, das und
der mit bestimmten Präpositionen findet statt, wenn der Artikel nur
schwach betont ist. Sie steht also sozusagen zwischen vollem Artikel und
artikellosem Gebrauch. Die Verschmelzung ist in manchen Fällen so fest
geworden, daß sie nicht mehr auflösbar ist:
am Tage der Befreiung; am Dienstag; am Leben bleiben; am Rhein; am besten;
ans Werk gehen; jemandem etwas ans Herz legen; aufs Land reisen; aufs Eis; aufs
Haupt schlagen; Hand aufs Herz; aufs herzlichste; beim Lesen; beim Schopf pak-
ken; beim Wort nehmen; durchs Ziel gehen; fürs erste; fürs Auge; hinterm
Hause; hinterm Schrank; mit seiner Meinung nicht hinterm Berg halten; hinters
Licht führen; hinters Haus gehen; im Krieg; im Ernst; im Vertrauen; im Begriff;
im Walde; im Freien; im Herbst; ins Wanken bringen; ins Stocken geraten; ins
Gewissen reden; ins Blaue hinein; überm Wald; übern Graben springen; übers
Knie brechen; übers Herz bringen; übers Jahr; ums Leben kommen; ums Eck
gehen; unterm Eis; untern Tisch fallen lassen; unters Wasser tauchen; vom
Acker kommen; vorm Tor; vors Tor gehen; zum Heile gereichen; zum Mann
werden; Gasthaus „Zum Roten Hahn“; das ist zum Lachen; zum besten; zur Schule;
zur See; zur Tür hinaus; zur Zeit; zur Warnung dienen; zur Not.
In der Verschmelzung kann der bestimmte Artikel seine bestimmende
Kraft so sehr verlieren, daß er sich dem unbestimmten Artikel nähert
oder Allgemeines ausdrückt:
jemanden zum Künstler (= zu einem Künstler) ausbilden; jemanden zum Arzt be¬
stimmen. Er ist zum Bürgermeister gewählt worden. Der Garten lag am Hang. Im
Krieg (= in einem Krieg) gibt es wenig zu essen. Das Haus befindet sich im Bau
(= in Bau). Am Tage; zur Strafe; im Wege stehen; im Verhältnis.
Der Numerus der Substantive 163
Wo der Artikel auf einen folgenden Gliedsatz hin weist, also demonstra¬
tive Kraft hat, steht die Verschmelzung meist nicht:
an dem Tag, an dem dies geschah; er ging zu der Tür hinaus, durch die er eingetreten
war. Aber dichterisch: Zum Werke, das wir ernst bereiten (Schiller). Vom Rechte,
das mit uns geboren (Goethe).
Man vermeide, von einer Verschmelzung ein nachfolgendes zweites Sub¬
stantiv mit verschiedenem Geschlecht oder verschiedener Zahl abhängen
zu lassen:
Falsch: Man sprach vom Erfolg des Ministers und seinen weiteren Plänen. Wir er¬
kannten sie am Gang und der Haltung. Richtig:. . . und von seinen weiteren Plänen;
. . . und an der Haltung.
Die Grenze zwischen schriftsprachlicher 'und umgangssprachlicher Ver¬
schmelzung ist fließend. Im allgemeinen gelten Verbindungen wie „außerm,
hinterm, hintern, überm, übern, unterm, untern, unters, vorm, vors“ schon
als umgangssprachlich, kommen aber schriftsprachlich vor. Sie werden
alle ohne Apostroph geschrieben. Reine Umgangssprache dagegen sind:
an’n, auf’m, auf’n, aus’m, durch’n, für’n, gegen’s, nach’m, in’n, vor’n, zu'n.
Sie werden stets mit Apostroph geschrieben.
Die Verschmelzungen von ,,in den“, „an den“, „zu den“ zu „in“ (= in’n),
„an“ (= an’n) und „zun“ (= zü’n) waren im 18. Jahrhundert noch sehr
üblich:
Und setz dich in Sessel (Goethe). Laß uns in Himmel kommen (Matthias Claudius).
An Galgen kommen (Lessing). Vom Kopf bis zun Füßen (Schiller).
In der Umgangssprache kann der Artikel auch mit vorangehenden Verben
zusammengezogen werden. Es steht dann ein Apostroph:
Er hat's (= hat das) große Los gewonnen. Er scfdug’n (= schlug den) Nagel in die
Wand.
I. Allgemeines
Der Numerus1 „zählt“ das Substantiv, er gibt an, ob das Genannte nur 237
einmal (der Tisch) oder mehrmals (die Tische) vorhanden ist. Diese recht
unvollkommene Mehrzahlangabe, die zudem den Geschlechtsunterschied
verwischt (der Artikel für alle drei Geschlechter heißt „die“), aber der
Sprache vielfach durchaus genügt, kann nur mit Hilfe von Zahlen ge¬
nauer ausgedrückt werden (vgl. 523 ff.).
Das einmalige Vorhandensein eines Wesens oder Dinges wird durch den
Singular2, das mehrmalige durch den Plural3 ausgedrückt. Der Singular
bezeichnet eine Einheit (die gelegentlich in sich eine Vielheit darstellen
kann), der Plural macht die Einheit zu einer Vielheit. Das Indogermanische
kannte noch eine eigene Numerusform für zwei Personen oder Dinge (wie
heute noch das Baltische und das Slawische), den sogenahnten Dual4. Er ist
heute durch den Plural ersetzt (die Eltern, die Gatten) oder durch Um¬
schreibungen (wir beide, wir zwei).
2. Der Singular
Zu den Wörtern, die auf Grund ihrer Bedeutung nur im Singular Vor¬
kommen oder nur unter bestimmten Voraussetzungen einen Plural
bilden können, gehören:
a) Eigennamen
238 Sie haben auf Grund ihrer Individualität keinen Plural (vgl. 172):
Fritz, Johann Wolfgang Goethe, Berlin, Deutschland, der Brocken, die Weser, der
Kurfürstendamm.
Personennamen und geographische Namen bilden nur dann einen
Plural, wenn sie zu Gattungsnamen geworden sind (vgl. 173; 294):
Die Goethe (= Menschen wie Goethe) sind selten. Die beiden sind keine Krösusse. Drei
Zeppeline wurden gebaut. Diese Havannas sind ausgezeichnet.
Der Plural von Personennamen bezeichnet ferner sämtliche Mitglieder
einer Familie, eines Geschlechtes oder verschiedene Träger des gleichen
Namens (vgl. 294):
die Barrings, die Buddenbrooks; [die] Meyers; die Ottonen; die Heinriche, die Gret-
chen.
Völkernamen sind als Gattungsnamen zu werten, da sie, wie diese,
einen Plural bilden (vgl. 304):
Germane - Gerfnanen.
Ländernamen werden gelegentlich im Plural gebraucht, um verschie¬
dene politische Gebilde innerhalb der Einheit, die der Name ausdrückt,
zu kennzeichnen (vgl. 310):
die politische Geschichte beiden Amerika, die zwei Deutschland [s], das Königreich
beider Sizilien.
b) Gattungsnamen
239 Sie bilden zwar ohne weiteres einen Plural (der Mann, die Männer, die
Frau, die Frauen, das Haus, die Häuser), doch gibt es Sübstantive dieser
Gruppe, deren Plural nur selten gebraucht wird, z. B.
Antlitz, Bräutigam, Strand, Ausguß.
Dazu gehören auch bestimmte Körperorgane oder -teile:
Leber, Milz, Galle, Nabel, Mund, Kinn, Stirn.
Der Numerus der Substantive 165
c) Sammelnamen (Kollektiva)
Es sind Wörter, deren Singular mehrere Wesen oder Dinge umfaßt, sie 240
gewissermaßen in sich sammelt. Eine Vielheit wird hier sprachlich durch
eine Einheit ausgedrückt. Wir sehen daran, daß die Sprache nicht unbe¬
dingt auf den Numerus Plural angewiesen ist, um eine Mehrheit zu be¬
zeichnen :
Getreide, Obst, Wald, Vieh, Herde, Flotte, Gebirge, Adel, Geistlichkeit, Polizei,
Beamtenschaft, Publikum, Anzahl, Haufen, Dutzend, Schock, Tausend.
Diese Wörter bilden nur dann einen Plural, wenn ihre Vielheit (die als Ein¬
heit zusammengefaßt ist) als individualisierte Gruppe aufzutreten vermag:
Wälder, Herden, Flotten, Gebirge, Dutzende, Tausende; aber nicht: Polizeien,
Viehe u. ä.
Es gibt Wörter, die im Singular sowohl Gattungsname wie Sammelname
sind und die dann nur in ihrer Bedeutung als Gattungsname einen Plural
bilden können:
das Spielzeug, das Werkzeug (Sammelname), ohne Plural; das Spielzeug, das Werk¬
zeug (Gattungsname: das einzelne Spielzeug, Werkzeug), Plural: die Spielzeuge, die
Werkzeuge; das Unkraut (Sammelname), ohne Plural; das Unkraut (Gattungsname:
die einzelne Unkrautpflanze), Plural: die Unkräuter.
d) Stoffnamen
Sie stehen nur im Singular, wenn sie ganz allgemein als formlose Masse 241
ohne „Individualität“, ohne Gestalt gebraucht werden:
Milch, Gold, Fleisch, Leder, Butter.
Werden sie zur Unterscheidung von Arten und Sorten im Plural gebraucht
(einteilender Plural), dann sind sie Gattungsnamen:
edle Hölzer, rheinische Weine, feste Game.
Die vor allem aus dem Unterscheidungsbedürfnis der Kaufleute und
Techniker gebildeten Pluralformen sind heute sehr zahlreich:
die Bleie, die Eisen, die Salze, die Stähle, die Zemente.
Wo sich solche Pluralformen nicht gebildet haben, kann die gewünschte
Unterscheidung nur durch die Zusammensetzung mit -Sorten, -arten er¬
reicht werden:
Fleischsorten, Butterarten.
Wenn eine Pluralendung noch nicht üblich geworden ist, werden beide
Möglichkeiten der Pluralbildung nebeneinander gebraucht:
Wollarten - Wollen, Mehlarten - Mehle, Tonsorten - Tone.
Der Übergang vom Stoff zur Gattung, von der unbestimmten Masse zum
gestalteten Einzelding, Einzelstück, Teil ist bei vielen dieser Wörter leicht
vollziehbar. Sie bilden dann einen Plural:
die Lüfte, die Körner, die Gräser, die Dämpfe, die Gase, die Papiere, die Tücher, die
Gläser usw.
Das Brot ist teuer (das Brot ganz allgemein). Aber: Wieviel kostet das Brot (der
Laib Brot)? Wieviel kosten die Brotef
Wenn kein Plural gebildet werden kann (wie besonders bei Naturerschei¬
nungen), müssen Umschreibungen eintreten:
Regen - Regenfälle, -güsse, Schnee - Schneemassen, Asche - Aschenhaufen, Rauch -
Rauchschwaden.
166 Das Substantiv (Nomen)
e) Abstrakta
242 Sie stehen im allgemeinen nur im Singular:
Freiheit, Kälte, Hitze, Kindheit, Jugend, Ruhe, Grausamkeit, Leid, Schutz, Schön¬
heit, Treue, Musik, Geheul, Nähe, das Blau, das Schöne, das Stehen, das Schreiben.
Einen Plural können sie nur dann bilden, wenn sie zum Konkretum, zu
einer zählbaren, umrissenen Einzelerscheinung, zu einer Spielart werden:
das Leiden, die Leiden (= Krankheiten); die Grausamkeit, die Grausamkeiten
(= grausame Handlungen); eine Schönheit (= eine schöne Frau), die Schönheiten
(auch: die Schönheiten einer Landschaft); die Tugenden (= die verschiedenen
Arten der Tugend); früher übliche, heute erstarrte Plurale sind: mit Schanden,
zu Gunsten, in Gnaden.
Abstrakta können im Gebrauch zweideutig sein, je nachdem, ob sie in
ihrer abstrakten oder konkreten Bedeutung verwendet werden. Der Plu¬
ral ist, wo er möglich, dann entweder einteilend oder vervielfältigend:
Das sind große Talente (verschiedene Arten von Talenten, Abstraktum, Plural ein¬
teilend). Das sind große Talente (Menschen von Talent, Konkretum, Plural ver¬
vielfältigend).
Abstrakta, die Tätigkeiten bezeichnen, haben vielfach einen Plural:
die Bemühung - die Bemühungen, der Wurf - die Würfe, der Tanz - die Tänze, der
Gesang - die Gesänge.
Der Plural bezeichnet dann die Mehrheit der einzelnen Tätigkeiten oder
den Übergang zur Sachbedeutung:
die Malerei - die Malereien.
Ohne Begrenzung werden Farbenbezeichnungen und substantivierte Ad¬
jektive gedacht, letztere, soweit sie keine Personen bedeuten:
das Blau, das Grüne, das Gute.
Sie haben aus diesem Grunde keine Mehrzahl. Werden Farbenbezeich¬
nungen im Plural gebraucht, dann treten sie als Arten, Sorten auf:
Die zwei Grün sind ganz verschieden. Das schattige Gesicht voll kranker Blaus
(Rüke).
Der substantivierte Infinitiv drückt einen Vorgang als grenzenlos aus:
das Schlafen. Von ihm kann daher kein Plural gebildet werden.
Auch bei den Abstrakta können Umschreibungen zu Hilfe genommen
werden:
Streit - Streitigkeiten, Rat - Ratschläge; viele Altersstufen, die verschiedenen
Grade der Kälte, Regungen der Scham, Gefühle des Hasses.
Der Numerus der Substantive 167
Es ist mehr und mehr Mode geworden, von Abstrakta Plurale zu bilden,
die früher unbekannt waren. Der Anlaß dazu ist entweder dichterische
Eigenwilligkeit oder nachahmende Manier:
Sehnsüchte ( = verschiedene Arten oder Grade der Sehnsucht), Einsamkeiten
(= verlassene Gegenden), Wirklichkeiten (= verschiedene Arten der Wirklichkeit),
Unglücke (= Unglücksfälle), Unendlichkeiten, Hochmüte u. a.
f) Generalisierung
Oft tritt der Singular für eine Mehrheit ein. Er steht dann generalisierend 243
an Stelle des Plurals (vgl. 208) oder hat rein kollektive Bedeutung:
Bei den Fahrrädern wurde nur die Bremse kontrolliert. Teuer ist mir der Freund,
doch auch den Feind kann ich nützen (Schiller).
Substantive, die noch nicht ganz feste Maßangaben sind, ziehen ebenfalls
die Beugung vor:
mit einigen Eßlöffeln saurem Rahm.
247 Im Genitiv Singular wird die Maßangabe jedoch stets gebeugt:
eines Glases Wasser, wegen eines Liters Milch, der Preis eines Zentners Weizen.
Dafür tritt oft die Nichtbeugung der Maßangabe und die Beugung des
Gemessenen ein:
eines Glas Wassers, der Preis eines Pfund Fleisches, die Wirkung eines Tropfen Öls,
zum Ankauf eines Stück Viehs (Raabe).
3. Der Plural
Es gibt Substantive, die nur oder fast nur in der Pluralform gebraucht 252
werden1:
Ahnen Honoratioren Ränke
Akten Hosenträger Rauchwaren
Aktien Iden Realien
Aktiva Immobilien Recherchen
Alimente Imponderabilien Repressalien
Allotria Importen Röteln
Allüren Ingredienzien Sämereien
Altwaren Insignien Saturnalien
Annalen Jura Scherben
Annaten Kaldaunen Schnippei
Äonen [olle] Kamellen Schnipsel
Auslagen Katakomben Schraffen
Auspizien Kinkerlitzchen Shorts
Bauten ([Sing. Baute' Kollektaneen Skrofeln
veralt.] jetzt als Konsorten Spanten
Plural zu: Bau) Kosten Sperenzien
Blattern Koteletten (Backenbart) Spesen
Briefschaften Kurzwaren Spikes
Brosamen Kutteln Spirituosen
Chemikalien Ländereien Sporen
Dehors Lebensmittel Sporteln
Diäten Leute Stoppeln
Dubiosen Machenschaften Streitigkeiten
Effekten Machinationen Streusel
Eingeweide Manen Subsidien
Einkünfte Masern Thermen
Eltern Memoiren Treber
Exequien Mißhelligkeiten Trester
Fasten Möbel Tropen
Faxen Mobilien Trümmer
Ferien Molesten Umtriebe
Finanzen Moneten Unkosten
Fisimatenten Mores U nstimmigkeiten
Flausen Musikalien Utensilien
Flitterwochen Nach wehen Varia
Formalien Naturalien Vegetabilien
Fossilien Niederschläge Vergnügungen
Frieseln Noten (Notenbücher) Viktualien
Gebrüder Ostern Vorfahren
Genitalien Pandekten Wanten
Gerätschaften Passiva Wehen (Geburtswehen)
Geschwister Penaten Weihnachten
Gewissensbisse Personalien Wirkwaren
Gliedmaßen Pfingsten Wirren
Graupeln Pocken Zeitläuf[t]e
Graupen Präliminarien Zerealien
Hämorrhoiden Pretiosen Zinsen
Händel Pusteln Zutaten
Honneurs Quisquilien Zwillinge
1 Ein solches Substantiv nennt man Pluraletantum, Plur.: Pluraliatantum. It&t. Plurale¬
tantum = nur im Plural.
170 Das Substantiv (Nomen)
253 Bei manchen dieser Wörter wird die pluralische Form so stark als Einheit
gefühlt, daß sie wieder zur Singularform wird. Dies ist ein in der Sprach¬
geschichte häufig beobachteter Vorgang (vgl. 200, b):
die Bibel = lat. biblia (= die Bücher); die Brille = mhd. die b[e]rille (= die
Berylle, PI. von „der Beryll“ [Edelstein]); der Keks = engl, cakes < = die Kuchen);
die Allotria PL wird ugs. zu das Allotria. Die Länderbezeichnungen Bayern, Fran¬
ken, Sachsen usw. waren früher Dative im Plural ([bei den] Bayern usw.). Heute
sind sie singularisch.
254 Auch geographische Namen treten gern in der Pluralform auf, be¬
sonders Länder, Inseln, Gebirge: ,
die Niederlande, die USA; die Azoren, die Bermudas, die Kanaren, die Hebriden,
die Kurilen, die Zykladen; die Alpen, die Apenninen, die Anden, die Kordilleren,
die Rocky Mountains, die Cevennen, die Vogesen, die Karpaten, die Pyrenäen.
1. Die Deklinationsarten
Es gibt, vom Formalen her gesehen, im heutigen Deutsch drei ver- 257
schiedene Arten, in denen das Substantiv dekliniert. Man erkennt sie an
der Art und Weise, wie der Genitiv Sing, und der Nominativ Plur. ge¬
bildet werden. Der Genitiv Sing, der ersten Gruppe endet auf -es oder -s,
der Nominativ Plur. entweder auf -e, -er, -s oder endungslos, oder er wird
mit Umlaut (mit oder ohne Endung) gebildet. Die zweite Gruppe endet
in allen Fällen auf -en oder -n, außer im Nominativ Sing. Der Genitiv
Sing, der dritten Gruppe endet auf -es oder -s (wie bei der ersten Gruppe),
der Nom. Plural endet jedoch auf -en oder -n (wie bei der zweiten Gruppe);
diese dritte Gruppe ist also eine Mischung zwischen der ersten und der
zweiten4. Wir bringen im folgenden Beispiele für alle drei Gruppen (über
die Deklination der Fremdwörter vgl. 279 ff.):
1. Gruppe (stark)
Maskulina
Sing.: Nom. der Tisch der Bart der Leib
Gen. des Tisches des Bartes des Leibes
Dat. dem Tisch[e] dem Bart[e] dem Leib[e]
Akk. den Tisch den Bart den Leib
1 Die Beispiele dieses Kapitels sind zum Teil der wertvollen Arbeit „Zur Nominalflexion
in der deutschen Literatursprache nach 1900“ von Ivar Ljungerud (Lund 1955)
entnommen.
* Lat. declinatio = die Neigung, das Biegen, die Beugung.
* Lat. Casus = Fall, Sturz, Beugefall (vgl. S. 174, Anm. 1).
4 Nach Jacob Grimm heißt die erste Deklinationsart auch die starke, weil sie keine kon¬
sonantische Stütze zur Kasusbildung braucht, die zweite die schwache, weil ihre Formen
mit Hilfe von n gebildet werden müssen. Welche sprachliche Leistung von den Deklina¬
tionsarten vollbracht wird, vermögen wir heute nicht mehr zu erkennen.
172 Das Substantiv (Nomen)
Sing.: Nom. der Wald der Garten der Uhu der Lehrer
Gen. des Waldes des Gartens des Uhus des Lehrers
Dat. dem Wald[e] dem Garten dem Uhu dem Lehrer
Akk. den Wald den Garten den Uhu den Lehrer
Plur.: Nom. die Wälder die Gärten die Uhus die Lehrer
Gen. der Wälder der Gärten der Uhus der Lehrer
Dat. den Wäldern den Gärten den Uhus den Lehrern
Akk. die Wälder . die Gärten die Uhus die Lehrer
Neutra
Sing.: Nom. die Trübsal die Kraft die Mutter" die Mutti
Gen. der Trübsal der Kraft der Mutter der Mutti
Dat. der Trübsal der Kraft der Mutter der Mutti
Akk. die Trübsal die Kraft die Mutter die Mutti
Plur.: Nom. die Trübsale die Kräfte die Mütter die Muttis
Gen. der Trübsale der Kräfte der Mütter der Muttis
Dat. den Trübsalen den Kräften den Müttern den Muttis
Akk. die Trübsale die Kräfte die Mütter die Mutti»
2. Gruppe (schwach)
Maskulina1
1 Reste früherer schwacher Deklination haben sich bei bestimmten männlichen Wörtern,
die heute allgemein stark gebeugt werden, in besonderen Fällen erhalten: Wirtshaus
„Zum Schwanen“, Gasthaus „Zum Storchen“. Mundartlich: Gebratene Hahnen usw.
Auch in Zusammensetzungen: Storchennest, Hahnenfeder, Schwanengesang.
Die Deklination der Substantive 173
3. Gruppe (gemischt)
Plural: Nominativ die Staaten die Seen die Ohren die Enden
Genitiv der Staaten der Seen der Ohren der Enden
Dativ den Staaten den Seen den Ohren den Enden
• Akkusativ die Staaten die Seen die Ohren die Enden
Die Maskulina gehören also allen drei Deklinationsarten an, die Feminina
der starken und schwachen, die Neutra der starken und gemischten De¬
klinationsart. Wenn Feminina keinen Plural haben (Geduld, Gunst,
Leinwand, Notdurft, Vernunft, Wucht, Wut, Milch usw.), kann man sie
vom heutigen Standpunkt aus keiner der drei Gruppen zu weisen.
1 Reste früherer Beugung im Singular haben sich in älterer, poetischer Sprache oder in
traditionellen Ausdrücken erhalten: Röslein auf der Heiden (Goethe). Festgemauert
in der Erden (Schiller). Das höchste Glück auf Erden. Von seiten; inmitten; auch
in Zusammensetzungen: Frauenkirche, Sonnenuhr, Lindenblatt, Heidenröschen, Erden¬
rund usw. (vgl. 034).
174 Das Substantiv (Nomen)
1 Lat. Casus = Fall, d. h. wie die Abwandlung des Substantivs im Zusammenhang des
Satzes „[ausjfällt“. Zu den Endungen der einzelnen Kasus vgl. 261 ff.
Die Deklination der Substantive 175
Ich erinnere mich des Vorgangs. Ich erinnere mich an den Vorgang.
Goethes Gedichte. Die Gedichte von Goethe.
Er ist des langen Hafters müde. Er ist müde von dem langen Hader.
Karl schreibt seinem Vetter. Karl schreibt an seinen Vetter.
Wir bauten ein Haus. Wir bauten lange an dem Haus.
In der Frühzeit der deutschen Sprachgeschichte ist der reine Fall weitaus
verbreiteter gewesen als heute, weil er eine unkomplizierte Ausdrucks¬
form ist. Mit fortschreitender Entwicklung suchte die deutsche Sprach¬
gemeinschaft nach differenzierteren, deutlicheren Formen der Beziehung.
Sie fand sie in dem Präpositionalfall, der wegen seiner sinnlichen Grund¬
lage (er beruht auf konkreten Lage- und Richtungsbezeichnungen mit
Hilfe von Präpositionen) einen schärferen, genaueren Gedankenausdruck
ermöglicht. So kam es, daß der Präpositionalfall den reinen Fall immer
mehr verdrängte. Alltags- und Umgangssprache gehen auf diesem Wege
der Schriftsprache voran, die ja traditionsgebundener ist und daher
stärker an alten Formen hängt. So ist z. B. der Genitiv in Mundart und
Umgangssprache fast völlig ausgestorben. Ähnlich (wenn auch noch
nicht in gleichem Umfang) muß auch der Dativ allmählich dem Prä¬
positionalfall weichen. Bei dem großen Einfluß, den die Umgangs¬
sprache heute auf die Schriftsprache ausübt, bleibt auch diese nicht un¬
berührt von solchem Wechsel. Der Akkusativ hält sich bei der großen
Zahl transitiver Verben zäh, muß aber auch den Präpositionalfall
wenigstens neben sich dulden (ein Haus bauen — an einem Haus bauen).
Wir sind hier Zeugen einer tiefgreifenden sprachlichen Entwicklung, der
langsamen Veränderung einer sprachlichen „Sehweise“. Wir werden uns
in der Syntax eingehend damit zu beschäftigen haben.
176 Das Substantiv (Nomen)
260 Ob in einem Satz der Genitiv, Dativ oder Akkusativ eines Substantivs
gewählt werden muß, wird durch das Wort bestimmt, von dem das betref¬
fende Substantiv abhängig ist. Diese Fähigkeit bestimmter Wortarten (des
Verbs, des Substantivs, des Adjektivs und der Präposition), Fälle zu
„regieren“, d. h. das von ihnen abhängige Wesen oder Ding in seiner
besonderen Lage gegenüber dem Geschehen durch einen bestimmten
Kasus zu kennzeichnen, nennt man „Rektion“1.
3. Die Deklinationsendungen
Die Deklinationsendungen des Substantivs sind, soweit noch vorhanden,
ein wichtiges Mittel, die Funktion des Kasus im Satz zu verdeutlichen.
Die nachstehenden Ausführungen über die Deklination der Substantive
im einzelnen zeigt allerdings, daß die Sprachgemeinschaft in sehr vielen
Fällen den Endungen keine Leistung mehr zuzusprechen vermag und sie
deshalb weiter abbaut (vgl. 313ff.).
a) Der Singular
a) Der Nominativ Singular
261 Der Nominativ2 Singular steht immer ohne Deklinationsendung:
Der Mann ist fleißig.
Beachte:
Doppelformen im Nominativ des Singulars sind bei einigen Substantiven entstanden, die
meist von der schwachen zur starken Deklination übergingen. Das ,,n“ der früheren
schwachen Deklination drang aus den übrigen Fällen auch in den Nominativ ein, weil es
bei starker Deklination als zum Wort gehörig empfunden wurde. Die Analogie zu stark
deklinierenden Wörtern wieWagen oder Regen trug zu dieser Entwicklung bei. Die älteren
Bildungen ohne ,,n“ gehören meist auch heute noch der gehobenen Sprache an, bei einigen
ist die Form mit „n“ die weniger gebräuchliche geblieben:
Doppelformen wie Ball - Ballen, Bolz - Bolzen, Bronn - Bronnen, Fels - Felsen, Fleck -
Flecken, Gelüst - Gelüsten, Kork - Korken, Lump - Lumpen, Nord - Norden, Nutz -
Nutzen, Pfropf - Pfropfen, Reif - Reifen, Schreck - Schrecken, Tropf - Tropfen, Zapf -
Zapfen sind ähnlich zu erklären. Zum Teil haben sie sich zu Wörtern mit verschiedenem
Sinngehalt entwickelt.
Doppelformen im Nominativ entstehen auch durch Abfall von „e“. Viele der e-losen For¬
men sind umgangssprachlich oder mundartlich, manche sind differenziert:
Bursch - Bursche; Scheck - Schecke (scheckiges Pferd oder Rind); Bub (oberdt. für:
Junge) - Bube (Schurke; Spielkarte); Gesell (fahrender Gesell) - Geselle (im Hand¬
werk).
Besonders häufig fällt das „e“ bei den mit der Vorsilbe Ge- gebildeten Substantiven weg:
Gebalg[e], Gebälk[e], Geläüt[e], Geleise - Gleis..
Oft bezeichnet die Form mit -e ein fortgesetztes unangenehmes Tun, das getadelt wird, im
Gegensatz zur e-losen Form (vgl. 694):
das Geschreis, aber: das Geschrei; das Geheule, aber: das Geheul; das Geräusche, aber:
das Geräusch (Umlaut!).
Umgekehrt ist das ,,e“ in Türe, Hirte, Bette, Herze, Hemde usw. nicht mehr schrift¬
sprachlich (vgl. 706).
Ein Unterschied besteht zwischen der endungslosen Form und der Endung auf -e bei
substantivierten adjektivischen Sprachen- und Farbenbezeichnungen:
das Deutsch - das Deutsche; das Blau - das Blaue.
„Das Deutsche“ (Hochdeutsche, Plattdeutsche usw.) bezeichnet die betreffende Sprache
ganz allgemein, während „das Deutsch“ jeweils eine besondere Art der deutschen Sprache
kennzeichnet, die durch irgendeinen Zusatz näher bestimmt wird. Ebenso ist es bei den
Farben:
Das Deutsche gehört zu den indogermanischen Sprachen. Eine Fahrt ins Blaue.
Aber: Sein Deutsch ist schlecht. Sein Blau ist von starker Wirkung. Das jetzige
Deutsch; das tiefe Blau; Heines Deutsch; das Blau des Himmels; das Kauf¬
mannsdeutsch ; das Marineblau.
Über die Substantive mit verschiedener Endung im Nominativ und verschiedenem Ge¬
schlecht (die Backe - der Backen) vgl. 205.
1. bei starken Maskulina und Neutra die Endung -es oder -s.
Welche Form gewählt wird, hängt von vielerlei Gründen ab, die im
folgenden genannt werden:
a) Die wolle Form auf -es steht immer bei Wörtern, die auf Zisch¬
laut enden (s, ß, x, z, tz):
des Glases, des Überflusses, des Kongresses, des Straußes, des Reflexes, des
Gewürzes, des Sitzes.
Sie wird gern gesetzt nach -sch und -st;
des Busches, des Zwistes.
1 Lat. dare = geben, also „Gebefall“. Diese Bezeichnung trifft den Sinn des Dativs nur
zum Teil.
180 Das Substantiv (Nomen)
Beachte:
Männliche Substantive, die der schwachen Deklinationsart aiigehören, also in allen
Fällen außer im Nominativ auf -[e]n enden, müssen auch im Dativ und Akkusativ
des Singulars diese Endung behalten (vgl. 320):
Er gab ihm als Boten eine Belohnung (nicht: als Bote). Man wählte ihn als
Boten (nicht: als Bote).
Das gilt besonders für Fremdwörter:
Er legte ihm als Juristen diese Frage vor (nicht: als Jurist). Man wählte ihn
zum Präsidenten (nicht: zum Präsident).
Die Form ohne -n ist nur möglich, wenn entweder syntaktisch der Nominativ ver¬
langt wird (Man trug seiner Stellung als Präsident Rechnung, vgl. 991) oder wenn
zwei durch „und“ verbundene Substantive von einer Präposition abhängen (Für
Patient und Arzt war die Lage kritisch; die Haltung von Mensch zu Mensch; vgl.
313, 2).
2. Endungslosigkeit bei allen übrigen Substantiven.
b) Der Plural
265 Aus der Deklinationstabelle ZifF. 257 ist zu ersehen, daß es acht verschie¬
dene formale Möglichkeiten gibt, den Plural von Substantiven zu bilden.
Nominativ Plural, Genitiv Plural und Akkusativ Plural sind sich in
allen drei Deklinationsarten stets gleich. Der Dativ endet, außer bei
den im Plural auf -s ausgehenden Substantiven, stets auf -en oder -n.
Doppelte Pluralformen entstehen nicht nur durch das Schwanken
zwischen starker und. schwacher Deklination, sondern auch durch das
Schwanken zwischen den verschiedenen Endungen -e, -er, -s usw. oder
zwischen den umgelauteten und nicht umgelauteten Formen der starken
Deklination. An die verschiedenen Pluralformen knüpfen sich immer
mehr auch verschiedene Sinngehalte. Es kommt auch hier das Bestreben
der Schriftsprache zum Ausdruck, einmal erhaltene Doppelformen in der
Bedeutung zu differenzieren. Man könnte auch umgekehrt sagen, daß nur
die eintretende Differenzierung diese Doppelformen vor dem Untergang
bewahrt hat. Im folgenden betrachten wir die verschiedenen Plural¬
formen mit besonderer Berücksichtigung dieser Doppelformen.
a) Umlaut im Plural
266 Der Umlaut ist ein Kennzeichen starker Deklination. Er hat sein Gebiet
erweitert und viele Wörter erfaßt, denen er ursprünglich nicht zukam.
1 Lat. accusare = anklagen. Dieser Name ist sinnlos und nur eine falsche Übertragung des
griechischen „ptösis aitiatikS“, der Ausdrucksform für das Bewirkte. Der richtige Name
wäre „Effektiv“.
Die Deklination der Substantive 181
Den Umlaut haben die Typen „Bart“ (Bärte), „Wald“ (Wälder), „Garten“
(Gärten), „Kraft“ (Kräfte) und „Mutter“ (Mütter) aus der 1. Deklina¬
tionsgruppe.
Einen Wechsel zwischen umgelauteten starken Formen auf -e und -er zeigt das Wort #
„Balg“:
Balg, der oder das / die Bälge (auch: Tierhäute)
(ugs. für: unartiges Kind) \ die Bälger
Häufiger ist der Wechsel zwischen dem umgelauteten starken Plural auf -er und dem 267
unumgelauteten starken Plural auf -e (vgl. auch 271):
269 Manchmal stehen den umgelauteten starken Formen unumgelautete schwache auf -n
oder starke auf -s gegenüber:
die Mütter - die Muttem (Schraubenteile); die Säue (meist Hausschweine, bes. auch
übertragen) - die Sauen (meist weidm.: Wildschweine); die Schnüre (tibi.) - die
Schnuren (selten); die Blöcke (Klötze, z. B. in: Fels-, Granit-, Holz-, Eis-, Stein-,
Metallblöcke) - die Blocks (z. B. in Abreiß-, Notiz-, Durchschreibe-, Zeichen-, Wohn-,
Häuserblocks).
270 Eine ausführlichere Betrachtung verdient das Substantiv „Mann“:
/ die Männer (übl.)
Mann, der — die Mannen (dicht, für: Lehnsleute; iron. für: treue Gefolgsleute)
\ Mann (alle Mann an Deck!)
Bei Zusammensetzungen wechseln im Plural -männer und -leute:
-leute bei Berufen, Ständen, Menschengruppen u. ä. (kollektiv):
Bauersleute, Bergleute, Edelleute, Eheleute (Ehemann und Ehefrau),
Geschäftsleute u. a.
-männer bei Betonung des Geschlechtes, der Individualität, der äußeren Gestalt
(vervielfältigend): Biedermänner, Ehemänner, Ehrenmänner, Hampel¬
männer, Lebemänner u. a.
-männer oder -leute, wenn es auf einen Unterschied nicht ankommt:
Amtmänner, Amtleute; Dienstmänner, Dienstleute (Gepäckträger); Dienst¬
mannen, Dienstleute (Lehns-, Gefolgsleute); Ersatzmänner, Ersatzleute;
Fachmänner, Fachleute u. a.
Bildungen wie Obstmann, Milchmann, Gemüsemann usw. werden fast ausschließlich im
Singular verwendet.
die Dinge (schriftspr. für: Gegenstände) - die Dinger (ugs. verächtl. für bestimmte
Gegenstände, junge Mädchen);
die Gesichte (Visionen, Erscheinungen) - die Gesichter (Antlitze; auch in: Angesichter);
die Lichte (dicht, und veralt. für: Kerzen, Wachslichte) - die Lichter (Lichtquellen
jeder Art, in: Himmels-, Irrlichter; weidm. für: Augen des Haarwildes);
die Schilde (der Schild = Schutzschild) - die Schilder (das Schild = Aushängeschild).
3. Satzwörter, die kein deklinierbares Grundwort haben, nehmen gern, das Plural-s
zu Hilfe:
die Stelldichein/s/, Fackeln und Lebehochs (Th. Mann), die Lebewohles/, die
Schlagetots, die Dreikäsehoch [sj.
5. Das Plural-s kann stehen bei Abkürzungen, die nicht auf „s“ enden. Es ist hier
aber nicht unbedingt erforderlich (vgl. 312, a):
die PKW[s], die BGB[s].
Auch bei einfachen Buchstaben steht besser kein Plural-s (vgl. 316):
die A, die B.
Ebenso bei substantivierten Konjunktionen und Interjektionen, die nicht auf einen
Vokal enden (vgl. 316):
die Wenn und Aber, die Entweder-Oder, die vielen Ach und Weh.
184 Das Substantiv (Nomen)
Das Plural-s wird aber auch im Wechsel mit an sich deutlichen Pluralformen ge¬
braucht :
die Jungens (für: die Jungen, Sing.: der Junge); die Kerls (für: die Kerle, Sing.:
der Kerl); die Bestecks (für: die Bestecke, Sing.: das Besteck).
276 Der Plural auf -n ist ein Zeichen schwacher Deklination: Er ist nie mit
Umlaut verbunden. Bei manchen Substantiven ist ein Schwanken
zwischen dieser schwachen Form auf -n und der starken Form auf -e
oder -er bzw. der endungslosen Form zu beobachten (vgl. auch 269; oft mit
Bedeutungsdifferenzierung):
die Bauern (Menschen vom Lande) - die Bauer (Vogelbauer, Erbauer usw.) vgl. 258;
die Dornen (Spitzen des Dornbusches), ugs. Dörner - die Dorne (techn. Werkzeuge);
die Kleinode (so immer bei bildlichem Gebrauch) - die Kleinodien (mit latinis.
' Endung aus mittellat. clenodium) vgl. 288; die Masten (übl.) - die Maste (Nebenform);
die Menschen (der Mensch = menschl. Lebewesen) - die Menscher (das Mensch, ver-
ächtl. für: Frau).
Der „Bau“ in der Bedeutung „Bauwerk“ hat jetzt den Plural „Bauten“ (eigtl. Plural zu:
die1 Baute = Gebäude, in: Pfahl-, Prunk-, Schiffs-, Um-, Neubauten; vgl. aber das Wort
Baude), während „Baue“ nur noch die Erdwohnungen bestimmter Tiere bezeichnet:
Fuchs-, Dachsbaue. - Der starke Plural „Flußbette“ wird noch gelegentlich neben der
schriftsprachlichen schwachen Form „Flußbetten“ gebraucht als Rest alter Deklinations¬
weise. Über die Formen Reste, Rester, Resten vgl. 272.
Feminina, die auf -er und -el ausgehen, erhalten die schwache Endung -n, wenn kein Um¬
laut eintritt:
Maskulina und Neutra auf -er und -el erhalten kein -n. Sie folgen der starken Deklination:
die Teller, Messer, Gitter; die Streusel, Möbel, Kiefer (Knochen), Würfel, Gipfel.
1 Daher kommt es, daß das Sprachgefühl noch schwankt, ob es „in eihem der Pfahlbauten“
oder „in einer der Pfahlbauten“ heißt.
Die Deklination der Substantive 1$5
Mundart und Umgangssprache weichen oft von der Norm der Schriftsprache ab:
Schriftspr. Mundart, Umgangsspr.
die Kartoffel die Kartoffeln (schwach) Kartoffel (stark)
die Semmel die Semmeln (schwach) Semmel (stark)
der Stiefel die Stiefel (stark) Stiefeln (schwach)
der Stummel die Stummel (stark) Stummeln (schwach)
der Muskel die Muskeln (schwach) Muskel (stark)
der Pantoffel die Pantoffeln (schwach) Pantoffel (stark)
der Brösel die Brösel (stark) Bröseln (schwach)
der Ziegel die Ziegel (stark) Ziegeln (schwach)
Ebenso ist „die Trümmern“, „in Trümmern schlagen“ nicht schriftsprachlich, weil
•der dazugehörige Singular „das Trumm“ (nicht: die Trümmer) heißt.
e) Endungsloser Plural
Maskuline Substantive, die auf unbetontes -el, -en, -er enden, neutrale, 277
die auf unbetontes -el, -en, -er, -chen, -lein, -le, -erl ausgehen, und solche
auf -e mit der Vorsilbe Ge- sowie das Substantiv „Käse“ unterscheiden
sich im Nominativ Plural nicht* vom Nominativ Singular (soweit nicht
Umlaut eintritt):
der Flügel — die Flügel das Fenster — die Fenster
der Apfel — die J!pfel das Kloster — die Klöster
der Balken — die Balken das Mädchen — die Mädchen
der Graben — die Gräben das Fräulein — die Fräulein
der Fischer — die Fischer das Kasperle — die Kasperle
der Bruder — die Brüder das Hascherl — die Hascherl
das Segel — die Segel das Gebirge — die Gebirge
das Kissen — die Kissen der Käse — die Käse
Von femininen Substantiven gehören nur „Mutter“ (die Mütter) und „Tochter“ (die
Töchter) hierher.
Neutrale Substantive mit den Verkleinerungssilben -el oder -erl werden in der Mundart 278
oft schwach dekliniert, was gelegentlich in die Schriftsprache übernommen wird:
das Mädel, PI. die Mädeln (I. Kurz, St. Zweig); das Hendel, PI. die Hendeln; das
Mandl, PI. die Mandln; das Gössel, PI. die Gösseln (W. Raabe); das Brettel, PI. die
Bretteln (Carossa); das Hascherl, PI. die Hascherin (Ertl, Anzengruber, Müller-Par¬
tenkirchen) ; das Zuckerl, PI. die Zuckerln (Zuckmayer).
stark:
des Papageis die Papageie (selten)
des Tribuns die Tribüne
des Magnets die Magnete
des Chrysoliths die Chrysolithe
Das früher stark gebeugte „Elektrolyt“ (des Elektrolyts, die Elektrolyte) wird im Ge¬
nitiv Singular heute schon dürchgehends schwach gebeugt (des Elektrolyten), während
der Plural noch stark gebraucht wird (die Elektrolyte).
Im Singular wechseln zwischen starker und schwacher Deklination:
des Augurs oder Augur[e]n; PI.: die Augur[e]n - des Satyrs oder Satyrn; PI.: die
Satyrn - des Kakerlaks oder Kakerlaken; PL: die Kakerlaken - des Triumvirs oder
Triumvirn; PL: die Triumvirn - des Partisans oder Partisanen; PL: die Partisanen.
In sprachwissenschaftlichen Büchern werden noch gelegentlich, aber
immer seltener Fachausdrücke wie im Lateinischen dekliniert :
Nominativws Singulam, Accusativws cum Inflnitivo, Indicativws Praeseniis Activi
(heute üblicher: Nominativ Singular, Akkusativ mit Infinitiv, Indikativ Präsens
Aktiv).
Dabei werden lateinische Nominative des Plurals heute allgemein in
allen Kasus gebraucht:
den Pronomina, der Kasus (Gen. Plur.), den Feminina.
Manches ist allgemein üblich:
Korpus delikti, Nervus rerum, Anno Domini usw.
Über Schwankungen im Plural vgl. die nächsten Abschnitte.
Scherzhaft sind:
Publikümer, Lokäler.
Wenn der Singular auf stummes ,,s“ ausgeht, wird dieses im Plural ge¬
sprochen :
die Marquis (marki ß), die Korps (ko-rß), die Fonds (fo**ß).
Hat sich das Fremdwort mehr eingebürgert, tritt neben die Endung auf
-s die auf -e:
die Ballons (franz. Aussprache), seltener Ballone (dt. Aussprache); die Kartons
(franz. Aussprache), seltener Kartone (dt. Aussprache); die Balkons (franz. Aus¬
sprache) oder Baikone (dt. Aussprache); die Docks oder Docke; die Karussells
oder Karusselle; die Klosetts oder. Klosette; die Leutnants, seltener Leutnante.
Ein häufiger Fehler ist es, das Plural-s an fremdsprachige Pluralendungen 285
zu hängen, die nicht als solche erkannt werden (vgl. 288):
die Portis (Italien, porti ist schon Plural!), die Kollis.
Ebenso deklinieren Fremdwörter auf -eum, *[i]um, -al und -il im all¬
gemeinen gemischt:
des Museums, die Museen; des Albums, die Alben; des Datums, die Daten; des
Verb [um ]s, die Verben; des Aquariums, die Aquarien; des Materials, die Mate¬
rialien; des Fossils, die Fossilien.
Auch sie körinen aber den Plural gelegentlich auf -s (die Faktotums,
Albums) oder den ursprünglichen lateinischen Plural bilden:
Adverbia, Verba, Fluida, Skripta, Neutra.
Zum Schwund des „e“ im Genitiv und Dativ vgl. die starke De¬
klinationsgruppe (280; 281).
1 Ist dagegen -or betont, dann gehört das betreffende Wort zur starken Beugung:
des Majörs, die Majöre.
Die Deklination der Substantive 189
2. Plural
Familien-, Personen- und Vornamen bilden nur dann einen Plural, 294
wenn sie zu Gattungsnamen geworden sind (vgl. 173; 238). Sie bezeich¬
nen dann entweder die reine Gattung (Krösus = ein reicher Mann)
oder Personen, die mit dem ursprünglichen Träger des Namens ver¬
glichen werden (Männer wie . . . ) oder sämtliche Mitglieder einer
Familie, eines Geschlechtes bzw. verschiedene Träger des gleichen
Namens. Der Nom. Plur. wird mit den Endungen -e, -[n]en, -s gebildet
oder ist endungslos. Umlaut oder Plural auf -er tritt niemals ein, höch¬
stens scherzhaft (die Salzmänner, die Wölfe, die Köche u. ä.) oder in
Gattungsbezeichnungen (Prahlhänse, Faselhänse).
a) Personen- und Vornamen
aa) männliche Personen- und Vornamen, die auf einen 295
Konsonanten enden, haben die Endung -e:
die Heinriche, die Rudolfe, die Friedriche, die Krösusse.
Nach der Endung -a, -o und -i (y) steht der Plural auf -s :
die Annas, die Marias, die Sapphos, die Emmis, die Liddys.
Wo für das a ein e eintreten kann, steht auch die Endung -n:
die Annen, die Sophien, die Marien.
b) Familiennamen
297 Die Familiennamen bilden den Plural heute meist auf -s:
die Rothschilds, die Buddenbrooks (Th. Mann), die Barrings (Simpson),
die Stoltenkamps und ihre Frauen (Herzog); das sind Holbeins (= Bilder
von Holbein).
Geht der Familienname auf Zischlaut aus, dann steht die Endung
-ens:
Schulzens4, Lauxens, Klotzens.
Beachte:
In Fügungen wie „Ich gehe zu Müllers, besuche Bauers“ usw. liegt eigentlich
ein Genitiv-s vor (= Müllers Familie), das zum Plural-s umgedeutet wurde.
ß) Mit Bestimmungswort
Bei der Deklination der Familien-, Personen- und Vornamen, die bei
einem Bestimmungswort stehen, gilt heute im allgemeinen die Regel,
daß im Genitiv (die anderen Kasus des Singulars bleiben ja bei den Namen
unbezeichnet) entweder nur der Name oder nur das Bestimmungswort
dekliniert wird. Doppelsetzung des Genitiv-s wird überall vermieden. Es
besteht die Tendenz, das Genitiv-s bei den Namen dieser Gruppe weg¬
zulassen, wenn Artikel oder Pronomen den Fall deutlich ausdrücken:
Die Deklination der Substantive 193
Wenn vor dem Familiennamen eine Präposition (von, zu, van, de,
ten) steht, dann wird heute gewöhnlich der Familienname gebeugt:
die Gedichte Friedrich von Schillers, Wolfgang von Goethes Balladen, Heinrich
von Kleists Werke, die Bilder Anton van Dycks, der Sieg Hein ten Hoffs.
Die einfache Regel, daß dasjenige Wort gebeugt wird, das neben dem
regierenden Wort steht, wird erstrebt, hat sich aber noch nicht völlig
durchsetzen können:
die Gedichte Friedrichs von Schiller-Friedrich von Schillers Gedichte; Wolfram
von Eschenbachs Parzival - der Parzival Wolframs von Eschenbach.
Aber (Ausnahme):
Herrn Müllers Einladung; das müssen Sie Herrn Müller melden; rufen Sie
Herrn Müller!
Bei den auf -e endenden schwachen Substantiven ist die Nichtbeugung
schon stark im Vordringen:
An Kollegen Schulze liegt es nun ... Genossen Meyers Austritt aus der Partei
(auch: An Kollege Schulze liegt es nun . .. , Genosse Meyers Austritt ...).
194 Das Substantiv (Nomen)
Die Unterlassung der Beugung des Namens greift um sich, gilt aber
noch nicht als korrekt:
Kanzler und Erzbischof König Ludwig des Heiligen (Langgässer).
Geht der Name auf einen Zischlaut aus, dann muß man sich entweder
mit dem Auslassungszeichen behelfen (ein Dekret Papst Innozenz’ III.
[des Dritten]), oder man wählt den Artikel (ein Dekret des Papstes
Innozenz III. [des Dritten]).
Ist „Herr“ das erste Substantiv, dann wird der folgende Titel gerne
noch mitgebeugt. Die Nichtbeugung des folgenden Titels ist aber
ebenfalls häufig. Bei substantivierten Partizipien tritt wieder Beu¬
gung ein:
die Bemerkungen des Herrn Generaldirektors Meyer, die Ausführungen des
Herrn Studienrats Schönberg (auch: des Herrn Studienrat Schönberg), die
Abhandlung des Herrn Privatdozenten Dr. Schmidt (auch: des Herrn Privat¬
dozent Dr. Schmidt), die Rede des Herrn Ministers [Dr.] Müller (auch: des
Herrn Minister [Dr.] Müller). Aber: des Herrn Abgeordneten Müller.
Doktor (Dr.) wird als Bestandteil des Namens auch hier nicht ge¬
beugt (vgl. 300):
der Vortrag des Herrn Dr. ( = Doktor) Meyer.
b) Völkernamen
Die Völkernamen stehen den Gattungsnamen sehr nahe und deklinieren 304
wie diese (vgl. 238) :
Sing, mit Artikel:
der Franzose, ein Franzose; die, eine Französin.
So auch:
des Negers, die Neger; des Berbers, die Berber.
Völkernamen, bei denen das -er zum Stamm gehört, deklinieren dagegen
schwach;
des, die Bayern; des, die Pommern; des, die Kaffern.
Fremde Völker- und Stammesnamen, die auf Vokal enden, können den
Genitiv Sing, und den Plural auf -s bilden, sie brauchen es aber nicht:
des Eskimo[s], die Eskimo[s]; des Papua[s], die Papuas; des Duala(s], die Duala;
des Zulu|sJ, die Zulu[s].
c) Geographische Namen
Die meisten geographischen Namen kommen* wenn sie nicht von vorn¬
herein pluralisch gebildet sind (vgl. 254), naturgemäß nur im Singular
vor (vgl. 238). Über den gelegentlich auftretenden Plural von Länder¬
namen vgl. 310.
a) Ohne Artikel
305 Die ohne Artikel gebrauchten Länder- und Ortsnamen erhalten, soweit
sie neutral sind, nur im Genitiv die Endung -s, sonst sind sie endungslos:
Preußens Niederlage, die Negerstämme Ugandas, die Verfassung Deutschlands.
Ich wohne in Hessen. Er reiste nach Bayern.
Geht der Länder- oder Ortsname auf einen Zischlaut (s, ß, z, tz, x) aus, so
gibt es vier Möglichkeiten, den Genitiv zu bilden:
1. Durch Auslassungszeichen bei vorangehendem Namen:
auf Korinthus* Landesenge (Schiller), von Aulis’ Strand (Schiller), Florenz*
Geschichte.
ß) Mit Artikel
Die mit Artikel gebrauchten maskulinen und neutralen geographischen 306
Namen werden meist noch mit dem Genitiv-s gebildet, also wie die
Gattungsnamen dekliniert:
des Balkans, des Iraks, des Engadins, des Rheinlejs, des Brockens.
Die Beugung ist bei deutschen Namen zwar immer noch korrekt, sie fällt
aber, besonders bei fremden, mehr und mehr weg:
des Inn[sl, des Rigi[s], des Ätna[s], des Himalaja[s], des Nil[s], des Kongo[s], des
Hohenstaufen (Raabe).
Gehen die Namen auf Zischlaut aus, dann werden sie entweder unter An¬
hängung von -es oder, gar nicht gebeugt, manche schwanken:
des Elsaß oder Elsasses, des Harzes, des Rieses, des Taunus, des Peloponnes oder
Peloponneses, des Chersones, des Hedschas.
Es gilt noch als korrekt, auch in diesen Verbindungen das Genitiv-s zu 307
setzen, doch richtet sich der Sprachgebrauch überwiegend nicht mehr
danach. Man muß daher auch die endungslose Form zulassen, zumal bei
den Familien- und Personennamen die entsprechende Beugung auf -s
bereits veraltet ist (vgl. 291). Die Ortsnamen zeigen noch stärker un¬
flektierte Formen als die Ländernamen:
die Länder des heutigen Europa[s], der Wiederaufbau des zerstörten Frankfurt[sl,
der Gipfel des sagenumwobenen Brocken[s],
Wie bei den Familien- und Personennamen (vgl. 299) wird nur der Name 308
gebeugt. An die Stelle des Genitivs tritt häufig „von“:
Der Betstuhl Kloster Susdals ist ein Sarg (Immermann); die Quellen Bad Orbs
( « von Bad Orb), die Spitze Kap Skagens (= von Kap Skagen).
Wie bei den Familien- und Personennamen (vgl. 300), wird bei diesen 309
Fügungen das bestimmende Substantiv dekliniert, während der Name
ungebeugt bleibt:
das Gebiet des Landes Frankreich, der Lauf des Baches Kidron, die Ufer des [hüb¬
schen] Flusses Itz, auf dem Gipfel des Berges Zion.
b) Kurzwörter
Die Kurzwörter fügen sich besser in die Wortart des Substantivs ein:
der Zoo, des Zoo[s], die Zoos; der Toto, des Totos, die Totos; die Lok, der Lok, die
Loks; der Akku, des Akkus, die Akkus; der Bus, des Busses, die Busse.
(Über die Unterlassung der Deklination bei Eigennamen vgl. 290 bis 311; bei Maß-,
Mengen- und Münzbezeichnungen vgl. 244; bei Abkürzungen vgl. 312.)
Steht jedoch das vor der Präposition „von“ stehende Substantiv in einem
obliquen Pall (Genitiv, Dativ, Akkusativ; vgl. S. 176, Anm. 3), dann wird
das folgende Substantiv überwiegend gebeugt:
Zuhörer, welche eine Art (Akk.) von Propheten in ihm vermutet hatten (Hesse);
diesen Hohlkopf (Akk.) von Prinzen (Th. Mann); deinem dummen Teufel (Dat.) von
Neffen (I. Kurz).
Im Plural steht schriftsprachlich noch der Dativ:
Und meine Hunde von Reitern (Goethe); Wrackstücke von Mannsbildern (Luserke);
die Halunken von Kriegsleuten (Löns).
Steht das Substantiv mit dem unbestimmten Artikel oder einem attribu¬
tiven Adjektiv, dann wird es immer gebeugt:
ein Schurke von einem Soldaten (Lessing); dieser hübsche Ausbund von einem Hirten¬
jungen (G. Hauptmann); diesem hinfälligen Wrack von altem Menschen (Werfel).
d) Bei Substantivierungen
316 Substantivierungen aller Art können ohne Deklination stehen, weil sie
’ keine ursprünglichen Substantive sind. Die Beugung wird jedoch schon
oft angewendet:
meines geliebten Deutsch[s], des modernen Deutsch (Porzig), des Zelleneiweiß
(Th. Mann), das Gesicht meines Gegenüber (Hesse), eines gewissen JemandfsJ, diese
Niemand, viele Wenn und Aber, die Unbedingtheit dieses Entweder-Oder,
die Philosophie des Als-ob.
Meist ohne Beugung stehen die als Substantive gebrauchten Buchstaben:
das A, des A, die A usw.; Verwandlung des A . . . in O (Flake); anstatt des o
(H. Mann).
Die Deklination der Substantive 201
320 Es besteht eine ziemlich starke Neigung, bei schwach gebeugten Mas¬
kulina im Dativ und Akkusativ Singular die Deklinationsendung ab¬
zuwerfen und die Substantive dadurch zu starken zu machen:
Die Mütze gehört diesem Bub (statt: diesem Buben). Ich nenne ihn einen Held (statt:
einen Helden).
321 Das Genitiv-s wird bei Fremdwörtern oft weggelassen, obwohl es schrift¬
sprachlich fest ist:
des Barock, des Dativ, des Dynamo, des Enzian, des Festival, des Film, des Inter¬
esse, des Jasmin, des Kaffee, des Klima, des Komitee, des Papa, des Salbei,
des Smaragd, des Vitamin u. v. a.
Die Weglassung des Genitiv-s greift aber auch schon gelegentlich auf
deutsche Wörter über:
des Heiligen Abend, des Abkommen, des Biedermeier, des Vergnügen, des Barsch,
des Tran, des öhmd, des Gründonnerstag, des Hanswurst, des Holunder, des
Löwenzahn.
1 ,,Da lauerte einst der wilde Urgermane auf den zottigen Bär“ (Raabe).
2 „des Blut/?nfcs“ (Zuckmayer).
3 „den Kurfürst“ (W. Schäfer).
4 „einen ausgemachten Geck“ (Hofmannsthal).
6 „mit des Markgrra/s Weib“ (G. Hauptmann).
6 „den Gendarm“ (Fallada).
7 „seinen schweren Obelisk“ (Gertrud v. le Fort).
Die Grundleistung des Adjektivs 203
Über die noch nicht übliche Unterlassung der Beugung bei. Maß- und
Mengenangaben vgl. 247 am Schluß.
D. DAS ADJEKTIV
Ebensohäufig kann das Adjektiv aber auch über ein Wesen oder Ding
oder über deren Verhalten urteilen:
Das Mädchen ist schön. Karl singt laut. Wilhelm benimmt sich schlecht.
Schließlich kann das Adjektiv auch einfach einen Zustand registrieren,
in dem sich ein Wesen oder Ding befindet oder in den sie geraten
(vgl. 914):
Der Jäger schoß den Hasen tot (der Hase ist tot). Die Mutter macht die Suppe warm
(die Suppe wird warm).
326 Zur Grundleistung des Adjektivs gehört es weiterhin, daß es jede Stel¬
lungnahme dem Grade nach unterscheiden kann. Zu diesem Zweck
kann es Vergleichsformen bilden (die sog. Steigerung1):
ein schönes Haus, ein schöneres Haus, das schönste Haus. Karl spielt gut, besser, am
besten (Vgl. aber 407 ff.).
327 Über die Teilnahme vieler Partizipien an dieser Leistung des Adjektivs
vgl. 167 f.
1 Den zu engen Begriff „Steigerung“ lassen wir als nicht für alle Fälle zutreffend fallen
und verwenden dafür den umfassenden Begriff „Vergleichsform“.
* Lat. attribuere = zuteilen, züschreiben, verleihen.
* Wir verdanken diese glückliche Bezeichnung für das Adjektiv als selbständiges Satz¬
glied H. Glinz, Der deutsche Satz, Düsseldorf 1957, S. 116 ff.
4 Wörter, die nicht an allen Möglichkeiten ihrer Wortart teilnehmen, nennt man „defek¬
tiv“ oder „Defektiva“ (lat. defectus = geschwächt).
Die Deklination des Adjektivs 205
Adjektive werden dekliniert, wenn sie als Attribut ein Substaptiv 330
näher bestimmen (vgl. 331 ff.) oder wenn sie substantiviert werden
(vgl. 363ff.):
der fleißige Knabe, ein schüchternes Mädchen; der Braune, der Abgeordnete.
Über die Ausnahmen vgl. 355ff.; 370.
1 Die modernen Belege in diesem Kapitel und manche andere Anregung verdanken wir
der wertvollen Arbeit von J. Ljungerud, Zur Nominalflexion in der deutschen Lite¬
ratursprache nach 1900, Lund 1955.
206 Das Adjektiv
Adjektive bleiben aber ungebeugt, wenn sie als Artangabe stehen oder
wenn sie als Attribut ein anderes Adjektiv oder ein Adverb näher be¬
stimmen1 :
Wilhelm arbeitet fleißig. Der abscheulich kalte Wind. Die Burg liegt hoch oben.
Über die gelegentliche Beugung des Adjektivs als Gleichsetzungsglied
vgl. 371 ff.
Femininum
Nom. gute Frau die gute Frau
Gen. guter Frau der guten Frau
Dat. guter Frau der guten Frau
Akk. gute Frau die gute Frau
1 Wir rechnen die ungebeugten Adjektive ebenso zur Wortart Adjektiv wie die gebeugten
und nicht zur Wortart Adverb, wie die ältere Grammatik. Vgl. hierzu H. Glinz, Der
deutsche Satz, Düsseldorf 1957, S. 33.
2 Vgl. 333.
Die Deklination des Adjektivs 207
An den Formen sehen wir, daß im Akk. Sing. Mask., im Nom. und Akk.
Sing. Fern, und im Dat. Plur. die starken mit den schwachen Endungen
übereinstimmen.
Der bestimmte Artikel z. B. hat in allen Kasus die sogenannte prono¬
minale (starke) Deklination (vgl. 207). Das folgende Adjektiv zeigt daher
überall schwache Endungen (vergleiche die rechte Seite der Tabelle);
ebenso steht die schwache Form nach den Pronomen „dieser, jener, jeder,
jedweder, jeglicher“:
dieser kleine Junge, dies sonderbare Benehmen, jene schönen Tage, jedes kleinen
Jungen; er habe . . . jedwedem stillen Erdenglück entsagt (Schiller). Jegliches ge¬
schichtliche Erleben.
Der unbestimmte Artikel zeigt demgegenüber in seinen Kasusendungen
starke und schwache Beugung gemischt, und je nachdem wird dann das
folgende Adjektiv entweder schwach oder,stark gebeugt. Ebenso: „kein“
und die Possessivpronomen „mein, dein, sein, unser, euer, ihr“ :
Ebenso:
kein freundlicher Anblick, von keiner menschlichen Schuld, keine vergeßlichen Leute,
meine wertvollen Bücher, unser kleiner Bruder, unserem kleinen Bruder, Ihr an das
Amt gerichtete« Schreiben.
Man beachte, daß -er in den Wörtern „jeder, jener, dieser” Endung ist,
während es in „unser, euer“ zum Stamm gehört. Daher:
jeder gute Mann, aber: unser guter Mann.
Vgl. 333.
208 Das Adjektiv
In dieser Gruppe hat heute die schwache Deklination über die starke gesiegt, bei
„ihr“ noch eindeutiger als bei „wir“.
Nach dem Possessivpronomen „Ihr“ steht jedoch das folgende Adjektiv richtig in der
starken Form, weil hier die Regel nicht durchbrochen ist (vgl. 331):
Ihr an das Finanzamt gerichtetes Schreiben ...
Über die Beugung des Adjektivs in der Apposition mit „als“ nach Per¬
sonalpronomen vgl. 352.
Besonders zahlreich sind die Schwankungen in der Deklination der Ad- 336
jektive nach einer Reihe von Wörtern, die zwischen den Wortarten
stehen. Werden diese Wörter als Pronomen aufgefaßt, dann behandelt
man sie nach der eingangs erwähnten Regel (vgl. 331); werden sie als
Adjektive angesehen, dann werden sie wie zwei nebeneinanderstehende
Adjektive dekliniert (vgl. 353). Wir besprechen im folgenden die wichtig¬
sten Wörter dieser Gruppe, die man auch unter dem Namen Prono¬
minaladjektive zusammenfaßt, am besten in alphabetischer Reihenfolge,
weil die Störungen im Deklinationssystem eine übersichtliche Zusammen¬
fassung in Gruppen nicht recht zulassen.
210 Das Adjektiv
ander-:
338 Es wird heute überwiegend als Adjektiv behandelt, das folgende Adjektiv wird daher
parallel gebeugt:
anderes gedrucktes Material, bei anderer seelischer Verfassung, andere zuverlässige
Quellen, eine Unmenge anderer deutscher Wörter.
Im Dativ Sing. Mask. und Neutr. überwiegt jedoch auch heute noch die schwache
Beugung (vgl. 353):
unter anderem kleinen Privatbesitz (Th. Mann); und begann in anderem berichten¬
den Ton (Rilke); anderm harmlosen Getier (Fallada).
Sonst ist die schwache Deklination veraltet und kommt heute nur noch selten vor:
anderes überholte Gerümpel (Carossa).
beide:
339 Es wird heute überwiegend als Pronomen behandelt, das folgende Adjektiv wird daher
meist schwach gebeugt:
beide abgezehrten Hände, beider jungen Menschen.
Die starke Beugung gilt als veraltend, kommt*aber noch öfter in der modernen Literatur
vor:
beide geschlossene Augen (Hesse), beider sozialistischer Parteien (H. Mann).
Die Deklination des Adjektivs 211
einig-:
1. Im Singular, der seltener gebraucht wird, schwanken die Formen mehr. Im Nom. 340
Mask. und Gen., Dat. Fern, wird das Adjektiv stark gebeugt:
einiger poetischer Geist (Goethe), nach .. . einiger teils erfolgreicher Zurwehrsetzung
(Leip).
Im Nom., Akk. Neutr. überwiegt die schwache Deklination:
Einiges floristische Rüstzeug (Th. Mann), einiges milde Nachsehen (Th. Mann);
doch kommt die starke gelegentlich vor:
einiges slawisches Blut (Th. Mann).
Im Dat. Mask. und Neutr. herrscht die schwache Deklination ausschließlich:
bei einigem guten Willen (Th. Mann).
2. Im Plural wird „einige“ wie ein Adjektiv behandelt:
einige wenige gute Menschen; die Lebenszeiten einiger großer Männer (Alverdes).
Im Gen. Plur. erscheint heute noch gelegentlich schwache Flexion, sie gilt aber als
veraltend:
die Spitzen einiger großen Radnägel (Immermann), den Wünschen einiger extra¬
vaganten Gräfinnen (Werfel).
etlich-:
Stimmt in der Deklination mit „einige“ überein, wird aber im Singular kaum gebraucht. 341
et welch- vgl. welch-.
folgend-:
1. Im Singular tritt ganz überwiegend schwache Deklination des Adjektivs auf, 342
„folgende“ gilt also hier als Pronomen:
folgender überraschende Anblick (Werfel), folgendes schauderhafte Geschehnis
(Penzoldt), nach folgendem . . . wirksamen Prinzip (Kirst), folgender kleinen Be¬
gebenheit (Rilke).
2. Im Plural überwiegt die starke Flexion, hier wird „folgende“ wie ein Adjektiv
behandelt:
folgende auffallende Fakten (Bergengruen).
Doch kommt die schwache Beugung noch vor, zumal im Genitiv:
folgende interessanten Sätze (Kesten), folgender wichtigen Ereignisse.
manch-:
1. Im Singular gilt *s als Pronomen, daher dekliniert das folgende Adjektiv nach den 343
flektierten Formen schwach:
mancher heimliche Pfad (Claudius), manches umfangreiche wissenschaftliche Werk
(Wassermann), manches jugendlichen Schäfers Auge (Münchhausen), mit manchem
zärtlichen Seufzer (P. Emst), in mancher heißen Stunde (Blunck).
Veraltet:
manches poetisches Fahrzeug (Herder).
2. Im Plural überwiegt bereits die starke (parallele) Flexion:
Ich knüpfte manche zarte Bande („Bettelstudent“), manche kleine Begegnungen
(Hesse), manche große Bauernhöfe (Keller), mancher schöner Bilder (Frenssen).
Aber auch die ältere schwache tritt noch auf:
manche ziemlich tollen und gefährlichen Laster (Hesse), manche alten Weiber
(Kluge), im Besitz so mancher majestätischen Kleider (Goethe), trotz mancher
bereits ausgesprochenen lieblosen Bemerkungen (Fallada).
212 Das Adjektiv
mehrere:
344 Es wird wie ein Adjektiv behandelt. Das folgende Adjektiv wird daher stark (parallel)
gebeugt:
mehrere dunkle Kleider.
Im Genitiv Plural erscheint neben der starken auch noch schwache Flexion:
sämtlich-:
345 1. Ini Singular wird es wie ein Pronomen behandelt, das folgende Adjektiv wird
daher schwach gebeugt:
sämtlicher aufgehäufte Mist, sämtliches gedruckte Material (Wassermann), mit
sämtlichem gedruckten Material, mit sämtlicher vorhandenen Energie.
2. Im Plural herrscht die schwache Form vor:
sämtliche vorhandenen Damenstrümpfe (Boree), sämtliche alten Bäume (Zuck¬
mayer), sämtlicher . . . vorhandenen Milchstraßenbildungen (Th. Mann).
Seltener stark im Nominativ und Akkusativ:
sämtliche schwedische Offiziere (Bic. Huch).
Dagegen öfter im Genitiv:
meine exakte Beherrschung sämtlicher bei Karl May vorkommender indianischer
und arabischer Eigennamen (Zuckmayer).
solch-:
346 1. Im Singular wird es wie ein Pronomen behandelt, das folgende Adjektiv wird
daher schwach gebeugt:
solcher weiche Stoff (selten stark: all solcher abergläubischer Spuk [LuserkeJ),
solches herrliche Wetter, in solchem grauen Giebelhause (Th. Mann), aus solcher
übelwollenden Stimmung heraus (H. Mann), in solcher allharmonischen Stille (Jatho).
Im Gen., Dat. Fern, begegnet gelegentlich.starke (parallele) Beugung:
solcher erziehender Beeinflussung (Hesse), in solcher grammatischer Forschung
(Weisgerber).
2. Im Plural überwiegt ebenfalls die schwache Flexion:
solche zahmen Versuche (Barlach), solche unchristlichen Beden (P. Ernst), solcher
geglückten Symbole (Laniggässer).
Aber auch die starke tritt ziemlich häufig auf:
solche prachtvolle Attacken (Hesse), solche geheimnisvolle Beziehungen (Schnitzler),
solcher lärmiger Feste (Hesse), solcher zunächst vereinzelter Beobachtungen (Weis¬
gerber).
3. Nach den endungslosen Formen steht regelgemäß die starke Flexion:
solch guter Mensch, solch herrliches Wetter (A. W. Schlegel), mehr solch alten Ge¬
wispers (Leip; Ausnahme!, vgl. 331), bei solch ausgezeichnetem Arzt (Wassermann),
solch bunte Blumen, solch schöner Mädchen.
viel-:
347 1. Im Singular schwanken die Formen mehr. Im Nom. Mask., der seltener gebraucht
wird, besteht starke (parallele) Beugung:
vieler schöner Putz.
Die Deklination des Adjektivs 213
Im Nom., Akk. Neutr. und im Dat. Mask. und Neutr. herrscht jedoch fast ausschlie߬
lich die schwache Endung:
vieles andere Zeug (Turnier), mit vielem kalten Wasser (Fallada).
Im Gen., Dat. Fern, überwiegt wieder die starke Beugung:
so vieler bisheriger Philosophie (Morgenstern), mit vieler natürlicher Anmut (Goethe).
Aber auch:
mit vieler klassischen Gelehrsamkeit (Lessing).
2. Im Plural werden die Formen mit Endung heute als Adjektiv betrachtet, das
folgende Adjektiv dekliniert stark (parallel):
viele kleine Kümmernisse (Luise Rinser), viele freundliche Namen (Rilke), vieler
heimlicher Witze (Alverdes).
Gelegentlich tritt im Genitiv Plural noch schwache Deklination auf:
vieler anständigen Generationen (Jatho), vieler entzückten Briefe (Schäfer).
Die schwache Beugung im Nom., Akk. ist veraltet:
viele verdeckten Tränen (Jean Paul).
3. Nach den endungslosen Formen steht regelgemäß die starke Flexion:
viel gute« Essen, mit viel gutem Essen, viel treue Freunde. Preisend mit viel schönen
Reden ... (J. Kerner).
Man achte jedoch auf die Beugung von „viel“ (und auch auf die von „wenig“), da die
endungslose Form den gemeinten Sinn ganz verändern kann (vgl. 349):
viele ältere Studenten („viele“ ist mit. „ältere“ koordiniert), aber: viel ältere Studen¬
ten („viel“ bestimmt „ältere“ näher); viele vermögende Personen, aber: viel ver¬
mögende Personen.
welch- (Irgendweich-, etwelch-) (fragend oder unbestimmt):
Es gilt jetzt als Pronomen, besonders im Singular; das folgende Adjektiv wird daher 348
schwach gebeugt:
welcher andere Text, welches reizende Mädchen (Benrath), et welches
kleine Geschenk (H. HofTmann; vgl. 521), welches braven Kindes, mit
welchem unerschütterlichen Willen (A. Neumann), in welcher aufregenden
Stunde (Gollwitzer), aus irgendwelcher inneren Tasche (Th. Mann), welche
herrlichen Glieder (Th. Mann), irgendwelche sinnlosen Schüsse (Th. Mann),
.welcher menschlichen Gebete (Bergengruen).
Im Plural tritt die starke (parallele) Beugung selten auf, da sie veraltet ist:
welche verschiedene Arten und Weisen (G. Hauptmann).
Bei „irgendwelche“, besonders im Genitiv, ist jedoch die starke Beugung wieder häufiger:
irgendwelche neue Arbeiten (Hesse), irgendwelche sinnlose Silben (Th. Mann), um
irgendwelcher erzieherischer Gesichtspunkte willen (Th. Mann).
Nach den endungslosen Formen steht regelgemäß die starke Flexion:
welch guter Mensch, welch schönes Wetter, welch braven Kindes (Ausnahme!,
vgl. 331), mit welch gutem Menschen, welch jämmerliche Pferde (Kellermann),
welch schöner Mädchen.
wenig-:
1. Im Singular und Plural werden die Formen mit Endung heute wie ein Adjektiv 349
behandelt, das folgende Adjektiv dekliniert stark (parallel), mit Ausnahme des Dat.
Sing. Mask. und Neutr::
Weniger schöner Schmuck, weniges gutes Essen, mit weniger geballter Energie,
wenige wilde Jahre (Luserke), weniger hoher Kerzen (Scholz).
Im Dat. Sing. Mask. und Neutr. tritt schwache Deklination auf:
mit wenigem guten Willen.
214 Das Adjektiv
Falsch ist es, „dessen“ und „deren“ zu einem Pronomen mit starker
Deklinationsendung zu machen (in Analogie etwa zu „seinem“ oder
„diesem“) und das folgende attributive Adjektiv dann schwach zu
beugen:
Der Künstler, von dessem tiefempfundene« Spiel. . . (statt: von dessen tiefemp¬
fundenem . . .). Die Künstlerin, von derem tiefempfundenen Spiel. . .
Diesem Fehler begegnet man zwar kaum in der guten Literatur, aber
gar nicht so selten in Zeitungen, Zeitschriften und sonstigem Tages¬
schrifttum.
351 Stehen „der, ein, kein, dieser, jener“ und die Possessivpronomen zu¬
sammen mit einem Pronominaladjektiv (ander, solch) oder Zahlwort vor
einem folgenden attributiven Adjektiv, dann werden sie für die De¬
klination des attributiven Adjektivs maßgebend, nicht die Pronominal-
adjektive oder Zahlwörter:
der andere kleine Junge, ein solcher unerschöpflicher Schwall (liofmannsthal),
[k]ein solches wichtiges Ereignis, irgendein anderer hoher Beamter (Carossa), diese
beiden treuen Freunde, kein anderer verhaltener Grund (H. v. Kleist), der Verlust
meines vielen gesparten Geldes, unsere drei lieben Kinder.
Tritt aber ein echtes Pronomen an die Stelle des Pronominaladjektivs
oder Zahlwortes, dann wird das Pronomen maßgebend:
ein jeder redliche Mensch.
Tritt das Possessivpronomen hinter „dieser“ oder „jener“, dann wird es
für die Deklination des folgenden Adjektivs maßgebend:
dieses mein großes Glück, dieser unser liebster Freund.
Die Deklination des Adjektivs 215
Gelegentlich wird aber im Dativ das attributive Adjektiv so sehr auf den
Artikel (Pronomen) des Bezugssubstantivs bezogen, daß es schwach
dekliniert wird:
mit der schönen Baronesse Christine Arne, jüngsten Schwester seines Gutsnach¬
barn Arne (Fontane); und seiner Ehefrau Wilhelmine, geborenen Schmidt; in der
kleinen Gertrud Hackendahl, geborenen Gudde (Fallada); mit einer Art wilden
Ironie (Raabe); mit einem Stück brüchigen Eisen (Raabe).
Im Dativ Sing. Mask. und Neutr. wird allerdings das zweite Adjektiv
aus lautlichen Gründen noch öfter schwach gebeugt:
auf schwarzem hölzernen Sockel (Carossa), an weiterem leichten Gewichtsverlust
(Th. Mann), in ewigem tödlichen Kampfe (Hesse), bei gelöschtem oberen Licht
(Alverdes), mit frischem, roten Gesicht (Döblin), mit fließendem warmen und kalten
Wasser (Jatho).
1 Als „Einschließung“ pflegt man nach H.Paul solche Fügungen zu bezeichnen, bei
denen die Verbindung eines Substantivs mit einem attributiven Adjektiv als Ganzes
noch einmal durch ein attributives Adjektiv usw. näher bestimmt wird (dunkles / bayeri¬
sches Bier, zwei / arme Studenten, einige / alte Bekannte).
216 Das Adjektiv
Beachte:
354 Bei enger Verbindung von zwei oder mehr attributiven Adjektiven wird mitunter nur
das letzte gebeugt. Diese Fügungsweise ist noch in poetischer Sprache und in festen
Wendungen erhalten. Die Adjektive stehen in getrennter Schreibung nebeneinander (mit
oder ohne „und“):
, in mondlos stillen Nächten (Uhland). Ursprünglich eignen Sinn laß dir nicht rauben 1
(Goethe); in schwarz und weißer Emaille (Th. Mann); im Wechselspiel der Irisch und
müden Kräfte (Hofmannsthal). Er war ein stolz, verdrießlich, schwerer Narr (Schiller).
Heute werden solche Fügungen, soweit sie nicht durch „und“ verbunden sind, meist
zusammen- oder mit Bindestrich geschrieben, weil sie trotz der zwei selbständigen Glieder
eine Gesamtvorstellung ausdrücken:
naßkaltes Wetter, sein dummdreistes Benehmen, mit seiner feuchtfröhlichen Meteoro¬
logie (Th. Mann), das grünbleiche Antlitz (Carossa), eine schaurig-schöne Erzählung,
seine ruhig-ernste Art, deutsch-amerikanische Verhandlungen.
Bei zwei oder mehr attributiven Farbadjektiven geben sich Unterschiede der Bedeutung
durch die Zusammenschreibung oder durch die Anwendung des Bindestriches zu er¬
kennen :
ein blau-rotes Kleid (die Farben Bläu und Rot in beliebiger Verteilung selbständig
nebeneinander: 2 Farben); aber: eine blaurote Na,se (mit einer bläulichen Abschat¬
tung des Rots: 1 Farbe).
Wappenkundliche Farbenzusammensetzungen schreibt man zusammen, obwohl jede
Farbe ihre Eigenbedeutung behält, weil hier, wo es keine Abschattung gibt, Mißver¬
ständnisse nicht möglich sind:
die schwarzrotgoldene Fahne.
Häufig sind unflektierte Adjektive auf -isch von Länder- und Orts¬
namen, die vor neutralen Färb-, Stoff- und anderen Bezeichnungen
stehen. Sie werden vielfach schon zusammengeschrieben:
bayrisch Bier, Kölnisch Wasser (auch: Kölnischwasser), Englischleder, Englisch-
pflaster,holländisch Bütten, Preußischblau, Indischrot.
Nach dem Substantiv (veraltet):
fünf Gulden rheinisch (Wassermann), tausend Mark bar.
a) Starke Deklination
363 ein Glücklicher, ein Angestellter (nach 331), Lieberl (nach 331), mit Bedientem und
Gepäck (Ina Seidel; nach 331); dies grundsonderbare Trio von Dichter, Freund und
Geliebter (Th. Mann; nach 331, Dat. Sing. Fern.; aber Hesse: Ich hatte aber mit des
Grafen Geliebten eine Zusammenkunft); viel, wenig, etwas, nichts Gutes (nach 331).
Zu was Besserem sind wir geboren (Schiller; nach 331); drei Delegierte (nach 331),
unser Kleiner (nach 331); mir völlig Ahnungslosem (Wiechert; nach 334), auch
häufig schon: mir Armen (Th. Mann).
b) Schwache Deklination
364
eines Weisen, eines Angestellten (nach 331), der Weise (nach 331), Verlust der
Vertikalen (Döblin; nach 331), die Weisen (nach 331), in jedem Ganzen (nach 331).
wegen etwas Bösen (nach 331), dir Heiligen (Th. Mann; Dat. Sing. Fern.; nach 334),
Ihr Hochmütigen (Carossa; ? nach 334); abweichend (vgl.
335): zweier Liebenden (P. Ernst), zweier Obern (Hesse), doch auch stark: dreier
Enthaltsamer (Th. Mann).
Die Deklination des Adjektivs 219
d) nach 340: einiges Neue, gelegentlich: einiges Wahres (G. Hauptmann); mit
einigem Neuen, einige besonders Fromme (Leip), einiger Gelehrter.
h) nach 343: mancher Reisende, manches Neue, mit manchem Schönen, mit mancher
Geliebten, manche Blinde (Carossa), mancher Deutscher, aber häufig auch: manche
Intellektuellen (H. Mann); mancher Deutschen (H. Mann), manch Neues.
i) nach 344: mehrere Beamte, mehrerer Gelehrter (auch noch: Gelehrten).
k) nach 346: solohes Schöne, mit solchem Schönen; abweichend: solche Verstorbene
(G. Hauptmann), seltener schwach: solche Alten (Mechow); solcher Armen (Thieß),
solch Schönes.
l) nach 347: vieles Seltsame (Scheffler), mit vielem Neuen (Carossa), viele Fremde
(Kluge); vieler Untergebener (H. Franck), gelegentlich: um so vieler Ungerechten
willen (Fallada); viel Schönes.
m) nach 348: welcher Reisende, welches Schöne, mit welchem Neue7i, welche Mäch¬
tigen (H. Mann), irgendwelche Angestellte/n), irgendwelcher Angestellter.
n) nach 349: weniges Gutes, mit wenigem Neuen, wenige Auserwählte QLanggässer),
weniger Überreicher (H. Mann), wenig Gutes.
Beim Dat. Sing. Fern, wird die starke Form auf -er gern vermieden, weil
sie mit dem Nom. Mask. gleich lautet:
bei Frau Arndt, Vorsitzende» (eigtl.: Vorsitzender) des Vereins für soziale Fürsorge;
ihr als Älteste» (eigtl.: ihr als Ältester). ■,
Auch die substantivierten Partizipien, die auf dem Wege sind, die sub¬
stantivische Deklination anzunehmen, neigen sehr zur schwachen De¬
klination :
ihm als Beamte», dir als Gesandte».
Manchmal ist bei schwacher Beugung der Numerus des Wortes nicht klar:
Die Chancen in dem Kampf zwischen Richter und Angeklagte» . . . (Edschmid).
Ebenso schwanken:
die Elektrische, die Parallele, die Waagrechte, die Vertikale.
Stehen das Adjektiv und das ihm folgende substantivierte Adjektiv vor der
starken Form eines der unter Ziff. 337-349 aufgeführten unbestimmten
Für- und Zahlwörter, dann wird die ganze Wortgruppe heute meist in
Parallelschaltung ebenfalls stark gebeugt, wenn nicht che dort genannten
Ausnahmen eintreten:
manche kaufmännisch« Angestellte (häufig auch: manche kaufmännischen An¬
gestellten, aber nicht: manche kaufmännische Angestellten); nach der Meinung
mancher kaufmännischer Angestellter (häufig auch: mancher kaufmännischen
Angestellten, aber nicht: mancher kaufmännischer Angestellten); einige mitleidige
nahe Verwandte, durch die Hilfe einiger mitleidiger naher Verwandter.
Ebenso bei der Apposition (mit den unter 366 genannten Ausnahmen):
ich als ältester Angestellter, wir als gute Deutsche, mir als technischem Angestellten,
mir als ältester Angestellten (Dat. Fern.).
Aber auch:
Ein neues Buch ist nicht immer gut.
Die Fügung mit „am“ wird vor allem dann gebraucht, wenn der höchste
Grad einer Eigenschaft mit einer freien Umstandsangabe verbunden ist:
Der Starke ist am mächtigsten allein (Schiller). Das Kleid ist bei künstlichem Licht
am schönsten.
Im ersten Fall wird in Satz a) nur die Eigenschaft eines Wesens ge¬
geben. Diese einfache Setzung der Eigenschaft ist der Positiv2 (Grund¬
stufe). Vom Positiv geht auch Satz b) aus. In Satz b) wird die Gleichheit
zweier (oder mehrerer) Wesen in bezug auf ihre Größe festgestellt. Die
Grundstufe des Adjektivs steht hier zwischen den Vergleichspartikeln
„so“ und „wie“: so groß wie.
Im zweiten Fall wird die Ungleich hei t. zweier (oder mehrerer) Wesen in
bezug auf ihre Größe festgestellt: Fritz übertrifft Lotte an Größe. Dies
ist der Komparativ3 (1. Steigerungsstufe, Höher-, Mehrstufe).
Im dritten Fall wird gesagt, daß Fritz alle seine Mitschüler an Größe
übertrifft. Diese Vergleichsform kennzeichnet also den höchsten Grad,
der überhaupt oder innerhalb einer getroffenen Auswahl (mindestens
aber drei) zu erreichen ist. Sie heißt Superlativ4 (2. Steigerungsstufe,
Höchst-, Meiststufe).
Im vierten Fall wird ein sehr hoher Grad ausgedrückt: Die Maschinen,
mit denen der Betrieb arbeitet, sind (nicht die modernsten von allen
1 In den Beispielen ist nicht unterschieden, wie das Adjektiv syntaktisch auftritt. Über
die Vergleichsformen des Adverbs vgl. 553.
2 Lat. positio = [normale] Lage, [Grundstellung.
3 Lat. comparare = vergleichend zusammenstellen, vergleichen.
4 Lat. superlatum, wörtlich = das über etwas hinaus Getragene, das Übertriebene.
224 Das Adjektiv
Die Vergleiehspartikel „als wie“ statt des bloßen „wie“ ist heute nicht
mehr schriftsprachlich:
... und bin so klug als wie zuvor (Goethe).
„So“ kann durch Grad- und Zahladverbien näher bestimmt werden:
ebenso, genauso, geradeso, doppelt so, dreimal so ...
Nach doppelt oder dreimal so [groß] steht „wie“ oder „als“, je nachdem,
ob die Gleichheit oder Ungleichheit betont wird; man neigt heute jedoch
mehr zur Betonung der Gleichheit:
Die Ernte ist doppelt so groß wie (seltener: als) im vorigen Jahr.
Der gleiche Grad zweier Eigenschaften eines Wesens oder Dinges wird
ebenfalls durch so - wie ausgedrückt:
Er ist so dumm wie faul. Der Versuch ist so kostspielig wie nutzlos.
Die Gleichheit kann auch verneint werden:
Dieses Bild ist nicht so schön wie jenes.
Bei formelhaft gewordenen Vergleichen kann „so“ wegbleiben:
Er ist [so] hart wie Stahl, [so] kalt wie Eis, [so] schlau wie ein Fuchs.
Die Umstellung „wie Schnee so weiß“ ist dichterisch.
b) Der Komparativ
a) Bildung, Umlaut
375 Der Komparativ wird durch Anhängen von -er an die Grundstufe ge¬
bildet, wobei bei den umlautfähigen Wörtern überwiegend Umlaut
eintritt (ebenso beim Superlativ):
frei - freier; fleißig - fleißiger; alt - Älter (- Älteste); groß - größer (- größte); jung
- jünger (- jüngste).
Adjektive auf -er und -en können das „e“ der Ableitungssilbe behalten,
werfen es aber oft aus, um drei unbetonte „e“ zu vermeiden:
ein heit[e]reres Wetter; fin8t[e]rere Gesichter; ein trock[e]neres Handtuch.
Da in der nichtdeklinierten Form nur zwei „e“ stehen, wird hier meist
die volle Form gebraucht:
Sie Ist nicht heiterer als ich. Dieses Handtuch ist trockener.
y) Vergleichspartikel
Die Vergleichspartikel beim Komparativ ist in der heutigen Schrift- 378
spräche „als“ (daneben wird in der Alltagssprache allerdings häufig
auch „wie“ verwendet):
Fritz ist größer als Lotte.
226 Das Adjektiv
„Als“ steht auch nach „anders, niemand, keiner, nichts, umgekehrt, ent¬
gegengesetzt“ und nach „zu“ + Positiv, die alle ebenfalls zwei Wesen
oder Dinge in vergleichende Beziehung setzen:
Er ist anders als ich. Nichts als Ärger hat man davon. Die Sache ist umgekehrt, als
man sie darstellt, . .. zu groß, als daß .. .
Die Vergleichspartikel „denn“ ist veraltet. Sie findet sich noch in der
formelhaften Wendung „mehr denn je“ und manchmal, wenn zwei „als“
nebeneinanderstehen würden:
Er sprach mit mir mehr als Freund denn als Vorgesetzter.
Sonst trifft man sie nur noch in gewählter Sprache:
. . . mehr aus Klugheit denn aus Überzeugung (Th. Mann). Wir sind ärmer denn
die armen Tiere (R. M. Rilke).
Die Vergleichspartikel „als wie“ statt des bloßen „als“ ist heute nicht
mehr schriftsprachlich:
. . . geschwinder als wie der Wind (Immermann).
Beachte:
Die Fügung „nicht[s] weniger als“ hat zwei Bedeutungen:
1. „Nicht weniger als“ dient zur umschreibenden Hervorhebung der Ganzheit eines
Begriffes (gelegentlich tritt auch „nichts“ an die Stelle von „nicht“):
Ich habe nicht weniger als 100 DM dabei eingebüßt (= Ich habe ganze, volle
100 DM eingebtißt). Es hatten nämlich nicht weniger als drei von uns . . . den
Versuch gemacht, eine Geschichte unserer Reise zu geben (Hesse) (= ganze drei
von uns). Was ihm equestrisch dabei zur Verfügung stand, war freilich nichts
weniger als ein Dänenroß voll Kraft und Feuer (Fontane) ( = ein ganzes, wirk¬
liches Dänenroß, nichts Geringeres als ein Dänenroß).
2. „Nichts weniger als“ dient aber auch zur verstärkenden Verneinung. Der nega¬
tive (tadelnde) Satzinhalt „Ich bin mit allem zufriedener als mit deinen Leistungen“
wird durch die doppelte Verneinung „Ich bin mit nichts weniger zufrieden als mit
deinen Leistungen“ noch verstärkt (wobei „weniger zufrieden“ auch durch „un¬
zufriedener“ ausgedrückt werden könnte):
Ich marschierte rüstig und leicht, aber nichts weniger als ruhig durch die Dörfer
(Seume) (= ganz und gar nicht ruhig). Ein solcher war nun zwar der Pfarrer
meines Heimatdorfes nicht, auch nichts weniger als ein reicher Mann (G. Keller)
(= Er war ganz und gar nicht reich).
Man vermeide; die Fügung ,,nicht[s] weniger als“ zu gebrauchen, wenn Mißver¬
ständnisse dadurch auftreten könnten. Der Satz „Das Fahrzeug war nichts weniger
als ein Rennwagen“ ist mißverständlich, wenn der Sinn nicht aus dem Zusammen¬
hang hervorgeht. Ist das Fahrzeug kein Rennwagen oder nichts Geringeres als
ein Rennwagen?
Die Vergleichsformen des Adjektivs 227
1. Die Komparativform wird auch dann gebraucht, wenn sich der 380
Vergleich nicht auf die Grundstufe des betreffenden Adjektivs, son¬
dern auf sein Gegenwort, sein polares Gegenüber bezieht. Dieser
Gebrauch betrifft aber nur die geläufigsten Extrempaare (ebenso bei
Ziff. 381). Der Komparativ „besser“ z. B. steigert in diesen Fällen nicht
das Wort „gut“, sondern sein Gegenteil „nicht gut, schlecht“, jedoch
in positivem Sinne:
Gestern ging es dem Kranken gar nicht gut, heute geht es ihm aber schon wesent¬
lich heuer (aber immer noch schlechter, als wenn es ihm gut ginge!).
Ebenso:
Es ist wärmer geworden (im Vergleich zu der früheren Kälte).
Es findet also eine regelrechte Umkehrung statt.
2. Von etwas anderer Art ist die Wortgruppe „ein älterer Herr“ u. ä. 381
Zwischen den gegensätzlichen. Größen alt - jung wird eine Zwischen¬
größe gesucht, da Zweifel über das zu wählende Adjektiv besteht:
alt - älter - jünger - jung.
4. Der Komparativ stellte in unseren Beispielen bisher stets die Un- 383
gleichheit zweier Wesen oder Dinge fest. Soll jedoch der ungleiche
Grad zweier Eigenschaften eines Wesens oder Dinges gekennzeichnet
werden, dann bedient man sich der komparativischen Gradadverbien
„mehr“ (eher) und „weniger“ vor der Grundstufe der Adjektive:
Ich war mehr tot als lebendig. Er ist eher faul als dumm. Sie handelte weniger
leichtsinnig als unüberlegt.
Die Eigenschaften können auch durch Substantive oder Verben aus- 384
gedrückt werden:
Er ist mehr Kaufmann als Offizier. Es war mehr Spaß als Emst. Er redet mehr
als er handelt.
228 Das Adjektiv
c) Der Superlativ
a) Bildung, Umlaut
386 Der Superlativ wird durch Anhängen von -st oder -est an die Grundstufe
gebildet:
fleißig - fleißigste; alt - älteste; frei - frei[ejste.
Über den Umlaut beim Superlativ vgl. Komparativ Ziff. 375 f.
387 Ob -st oder -est gebraucht wird, bestimmen Auslaut und Silbenzahl des
Adjektivs:
Die meist einsilbigen Adjektive auf -d, -s, -ß, -st, -t, -tz, -x, -z und die
mehrsilbigen, die den Ton auf der letzten Silbe tragen, erhalten -est:
hold - holdeste, kraus - krauseste, süß - süßeste, dreist - dreisteste, sanft - sanfteste,
spitz - spitzeste, lax - laxeste, schwarz - schwärzeste, berühmteste, gespreizteste, ver¬
störteste, behendeste.
Ausnahme:
größte (für: größeste).
Beibehaltung des „e“ kommt aber doch gelegentlich vor:
mit dem größesten Vergnügen (Baabe), mit dem allergrößesten Eifer (Wildenbruch).
Die Adjektive auf -el, -en, -er werfen ebenfalls im Superlativ das „e“ der
Endung -est aus:
edelste, erhabenste, bitterste.
Bei auf -sch endenden Adjektiven wurde früher in ungezwungener Aus¬
sprache das „s“ der Endpng -st ausgeworfen (vgl. Preußisches Regel¬
buch) :
hübschte, nftrrischte.
Dies ist heute unüblich geworden.
Die Vergleichsformen des Adjektivs 229
Noch verstärkt wird der Superlativ durch Vorsetzen von „aller [aller]-, 388
weitaus, bei weitem, denkbar“:
die allerschönste, der allergrößte, das aller aller schönste, weitaus der beste, bei wei¬
tem d'.r größte, in denkbar kürzester Frist.
Der geringste Grad wird stets mit „am wenigsten“ oder „am mindesten“
umschrieben:
Dieses Bild ist am wenigsten (am mindesten) schön.
1. Der Superlativ ist nur dort sinnvoll, wo ein Wesen oder Ding 389
mit mehreren anderen verglichen wird. Beim Vergleich von nur zwei
Wesen oder Dingen ist er überflüssig, weil das Mehr oder Weniger
xdes einen bereits durch den Komparativ deutlich wird. Früher war
man hier unbedenklicher (wie heute noch in der Umgangssprace) :h
Früher: Wir wollen sehen, welcher Genius der stärkste ist, dein schwarzer oder
mein weißer (Goethe). Ein Vater hatte zwei Söhne, davon war der älteste klug
und gescheit (Grimm). Jetzt: Fritz ist der größere von beiden (nicht: der größte).
2. „Erste“ und „letzte“ würden nicht mehr als ausgesprochene Super r 390
lative gefühlt, sondern als Positive aufgefaßt. Man bildete daher neue
Komparativformen „ersterer - letzterer“, die auf das Näher- oder
Fernerliegen zweier Wesen oder Dinge hinweisen im Sinne von „jener -
dieser“ oder „der eine - der andere“. Sie halten sich hartnäckig, da
sie deutlicher sind als diese und daher einem Bedürfnis entsprechen.
Falsch steht jedoch „letzterer“ nach mehr als zwei Wesen oder
Dingen und als Umschreibung eines Pronomens. Also nicht:
Karl, Fritz, Anna und Elisabeth gingen spazieren. Letztere war eben erst. . .
Ein Garten, der durch eine Lücke in der Mauer des Schloßgartens an den schat¬
tigsten Teil des letzteren stößt (statt: an dessen schattigsten Teil).
Der höchste Grad kann auch durch andere sprachliche Mittel ausge- 391
drückt werden, z. B. durch den hinweisenden, stark hervorhebenden
Gebrauch des Artikels:
Persil ist das Waschmittel (= das beste Waschmittel).
Oder durch den Genitiv der Steigerung (vgl. 980, 2):
das Buch der Bücher (= das bedeutendste Buch).
Über die Umschreibung des Superlativs bei Partizipien vgl. 410.
Die Superlative werden wie die Positive stark und schwach gebeugt, 392
bilden aber im allgemeinen keine flexionslosen Formen (Ausnahme:
allerliebst) und müssen, auch wenn sie aussagend verwendet werden,
ebenfalls gebeugt werden:
Dieser Tag ist der kürzeste (nicht: ... ist kürzest). Die Tage sind im Winter am kür¬
zesten (vgl. 372, c). Es steht mit ihm nicht zum besten. Aber: Der>Junge ist allerliebst.
230 Das Adjektiv
f) Weitere Gradabschattungen
c) Schwankungen
Man setzt die Vergleichsform nach persönlichem Ermessen bei Parti¬
zipien, die verschieden (nach a oder nach b) empfunden werden
können:
schwerer wiegende oder schwerwiegendere Gründe, weitestgehende oder weitgehendste
Einschränkungen. Sie ist zarter besaitet oder zartbesaiteter als Inge.
Man beachte den Unterschied zwischen der konkret-sinnlichen und der
übertragenen Bedeutung:
höher fliegende Flugzeuge, aber: hochfliegendere (= ehrgeizigere) Pläne.
4. Vergleichsunfähige Adjektive
y) Zahladjektive:
letzt, einzig, neunfach, ganz, halb (vgl. aber 390).
409 Die unter a) und b) genannten Adjektive können jedoch dann Vergleichs¬
formen bilden, wenn sie in übertragener Bedeutung verwendet werden:
eine lebendigere Darstellung . . . Die Straße ist lebloser als gestern. Er arbeitet mit
eisernstem Fleiß. Einzigstes, einzigstes Mädchen . . . (Goethe).
c) Partizipien
410 Partizipien, die an der Wortart Adjektiv teilnehmen (vgl. 167 f.), können
nicht gesteigert werden, es sei denn, daß sie innerhalb der Wortart Verb
isoliert sind (vgl. 168):
Nur: das schreiende Kind, der ausgesprochene Tadel; aber (isoliert): das reizendste
Mädchen, der gelehrteste Mann.
ß) Flektiert
1. mit der (erstarrten) flektierten Form auf -e:
ein Armeleuteschloß (Wassermann), Gelberübenbrei (Heimeran), die Tracht der
Rote-Kreuz-Schwestern (Plievier), die Vorteile einer Loseblattausgabe, Grund¬
züge einer Geschichte der Hoheliedauslegung (Ohly), ein Bauer mit der-Rote-
Kreuz-Binde (Zuckmayer).
Schriftsprachlich werden die Möglichkeiten a und ß, 1 bevorzugt.
2. in Kongruenz mit dem Grundwort (mehr Alltagssprache):
eine Dumme-August-Fratze (Wassermann), der Gute-Wetter-JEind (Boree), ein
DitmmerjungensZmcA, Armersünderweg (Straßenname), in dieser Sawrengurken-
zeit, einen Armensxm&eigang (Barlach), nach AUend&menspeisen (Kluge).
236 Begleiter und Stellvertreter des Substantivs
414 In dieser Wortart fassen wir alle Wörter zusammen, die nur vom Sub¬
stantiv her verständlich sind. Wörter dieser Art sind ausschließlich für
das Substantiv geschaffen, um es in ganz bestimmter Weise näher zu
kennzeichnen oder sogar zu vertreten. Für die einzelnen Aufgaben, die
dieser Wortart gestellt sind, haben sich drei „Funktionsgruppen“ ge¬
bildet, zwischen denen es allerdings zahlreiche Übergänge gibt: der Ar¬
tikel, das Pronomen und das Zahlwort.
I. Der Artikel
415 Zur Wortart „Begleiter und Stellvertreter des Substantivs“ gehört auch
der Artikel. Da er aber nur in unmittelbarem Zusammenhang mit dem
Substantiv betrachtet werden kann, haben wir ihn bereits dort be¬
handelt (vgl. 206-236).
auf diese Unterscheidung verzichten, weil der oder die Gemeinte stets
„da“ ist (ich, du, wir, ihr). Wird von einem Dritten (unter Umständen
Abwesenden) gesprochen, wird der Unterschied wieder wichtig (er, sie,
es). Die Pluralformen kennzeichnen jedoch, wie auch sonst beim Sub¬
stantiv, nirgends das grammatische Geschlecht. Ebenso verzichten die
Fragepronomen natürlicherweise auf das weibliche Geschlecht, da es ja
dem Fragenden nicht bekannt sein kann (Wer hat es gesehen ? Wen, was
habt ihr gesehen ?).
Das Pronomen vertritt aber nicht nur das Substantiv, sondern begleitet 418
es auch wie der Artikel oder das Zahlwort (vgl. 523):
Das Ist das Haus meines Vaters. Dieser Mann wird uns helfen. Welcher Junge hat
das getan?
Wie sich aus den beiden Verwendungsmöglichkeiten des Pronomens er- 419
gibt, trifft der Name „Pronomen“1 nur für die erste Leistung der Stell¬
vertretung zu. Er trifft also auch hier nicht das Ganze.
Nach den Beziehungen zwischen dem Pronomen und dem zugehörigen 420
Substantiv unterscheidet man:
1. die stellvertretende Nennung einer Person [oder Sache] (Personal¬
pronomen) ;
2. die Kennzeichnung eines Eigentumsverhältnisses (Possessiv¬
pronomen) ;
3. die Kennzeichnung eines Ortsverhältnisses (Demonstrativpro¬
nomen) ;
4. die Kennzeichnung der Zugehörigkeit einer verbalen Aussage zu
einem Substantiv (Relativpronomen);
5. die Kennzeichnung einer Frage nach einem Wesen oder Ding
(Interrogativpronomen).
6. Schließlich kann man zu diesen Beziehungen auch noch die
zahlenmäßig sehr unbestimmte Kennzeichnung eines Substantivs
rechnen (Indefinitpronomen), wenn man sich nicht entschließen will,
diese Pronomen den Zahlwörtern zuzuordnen. Gerade hier zeigt sich,
daß zwischen den drei „Funktionsgruppen“ (Artikel, Pronomen,
Zahlwort) keine festen Grenzen zu ziehen sind.
Eine Ausnahme ist der Gen. Sing. Mask. und Neutr., der abweichend
von dem des Adjektivs (vgl. 333) stark ist:
dieses Menschfen, jenes Kindes.
Doch neigen besonders Indefinitpronomen hier zur schwachen Beugung
(vgl. 486; 494; 498; 502; 505; 509; 513; 515):
allen geistigen Lebens usw., dessen.
Andere Pronomen wieder können flexionslos stehen:
dies, manch, solch, welch, ein, kein, mein
oder sind überhaupt indeklinabel:
etwas, nichts, man, selbst, selber, ein paar.
Nach einem anderen Pronomen werden die Pronomen in der Regel nur
dann schwach gebeugt, wenn sie auch attributiv mit dem bestimmten
Artikel davor stehen können:
alle anderen Menschen (weil auch: die anderen Menschen), diese wenigen Blätter;
aber: diese alle (weil nicht: die allen), alle jene Gestalten.
a) Persönliche Pronomen
Zu den persönlichen Pronomen gehören das eigentliche Personalpro¬
nomen, das Reflexivpronomen und das reziproke Pronomen.
a) Das Personalpronomen
1. Die Deklination des Personalpronomens
422 Wir geben im folgenden eine Übersicht über die Deklination der
Personalpronomen:
1. Person 2. Person 3. Person
Mask. Fern. Neutr.
Sing. Nom. ich du er sie es
Gen. meiner deiner seiner ihrer seiner
(veralt.: mein) (veralt.: dein) (veralt. : sein) (veralt.: sein)
Dat. mir dir ihm ihr ihm
Akk. mich dich ihn sie es
Plur. Nom. wir ihr sie
Gen. unser euer ihrer (veralt.: ihr)
Dat. uns euch ihnen
Akk. uns euch sie
die sprechende (1. Person: Ich möchte . . wir möchten . . .), die an¬
gesprochene (2. Person: Du sollst. . ihr sollt. . .) oder die be¬
sprochene (3. Person: Er meinte ...» sie meinten).
Uber den Ersatz der Verbindungen (des Dativs und Akkusativs
der) Personalpronomen + Präposition durch Pronominaladverbien
vgl. 558, a.
Zur Verstärkung des Personalpronomens durch „selbst“ vgl. 466.
Zur Deklination des attributiven Adjektivs nach einem Personal¬
pronomen vgl. 334.
* Über die dichterische Wiederaufnahme des Subjekts durch die 3. Person des Personal¬
pronomens vgl. 1037, d; 1200, 1.
Das Pronomen 241
Dativ:
Ich diene mir damit am besten. Du gefällst dir selbst nicht. Er, sie, es hat
sich nur geschadet. Wir haben uns allein geholfen. Ihr huldigt damit nur
euch selbst. Sie gefielen sich gar nicht in dieser Rolle.
Genitiv:
Ich spotte meiner. Du spottest deiner. Er, es war seiner [selbst] nicht mäch¬
tig. [Die Chemie] spottet ihrer selbst und weiß nicht wie (Goethe). Wir
spotten unser. Ihr spottet euer. Sie spotten ihrer [selbst].
Präpositionalfall:
Ich habe etwas bei mir. Du denkst zu sehr an dich [selbst]. Er, sie, es zwei¬
felte an sich. Wir vertrauten auf uns. Ihr kämpft mit euch. Sie lachten über
sich [selbst].
Wie aus den Beispielen hervorgeht, wird das Reflexivpronomen oft
durch „selbst“ verstärkt (vgl. 466).
Das Reflexivpronomen kann sich ferner auf das Akkusativobjekt
eines Satzes beziehen:
Die Bitte brachte den wilden Mann außer sich (Goethe). Wir überlassen die beiden
am besten sich selbst. Den Quotienten multipliziere man mit sich selbst.
Das reziproke Pronomen bezeichnet nicht, wie das reflexive, eine Rück- 439
bezüglichkeit, sondern eine gegenseitige Bezüglichkeit1 von gesonderten
Subjekten. Seine Formen sind jedoch die gleichen wie die des Reflexiv¬
pronomens (sich, uns, euch).. Zur Vermeidung von Mißverständnissen
treten oft „einander“, „einer dem oder den andern“ oder „gegenseitig“
für das reziproke Pronomen ein oder daneben auf:
Heute umarmt ihr euch als Brüder (Schiller). Wir grüßten uns gar freundlich, wir
drückten uns die Hand (Grillparzer). Zweideutig: Sie rauften sich die Haare aus
(jeder seine eigenen oder gegenseitig?) Eindeutig: Sie rauften einander die Haare
aus (gegenseitig). Verwaltung und Gäste unterstützten einander in diesem Bestreben
(Th. Mann). Die Menschen kennen sich einander nicht (Goethe).
Vom Plural wird der reziproke Gebrauch auch auf singularische Kollek-
tiva ausgedehnt:
Pack schlägt sich. Pack verträgt sich.
b) Das Possessivpronomen
1 Vgl. 445.
a Vgl. 445.
Das Pronomen 245
Aus der Tabelle ersieht man, daß die Wahl des Possessivpronomens von 442
der Person, dem Genus und dem Numerus des Substantivs abhängig ist,
das es vertritt; seine Deklination und die Bildung seiner Geschlechts¬
formen dagegen wird in Numerus, Genus und Kasus von dem Substantiv,
bestimmt, bei dem es attributiv steht (vgl. 1198).
Aus der Tabelle geht ferner hervor, daß das Possessivpronomen bei 443
attributivem Gebrauch wie der unbestimmte Artikel „ein“ stark de¬
kliniert wird:
Er hatte nicht erwartet, daß jemand, der seines Blutes war, ihn verachten würde
(Wiecherth
Die starke Deklination tritt auch auf, wenn sich das Possessivpronomen
auf ein bereits genanntes Substantiv bezieht:
Ich sorge schon für mein Kind, sorgen Sie nur für Ihres! Nach einer Weile schob er
seinen Arm unter meinen (W. Flex).
Es wird aber auch schwach dekliniert, nämlich dann, wenn der Artikel
vor ihm steht. Das ist aber nur möglich bei substantivischer Verwendung
des Pronomens:
Er liebt die Seinen. Ewig der Deine! — Kardinal I Ich habe das Meinige getan. Tun
Sie das Ihre (Schiller).
246 Begleiter und Stellvertreter des Substantivs
Heute stehen dafür häufiger die entsprechenden Formen auf -ig. Sie haben stets den
Artikel vor sich und werden ebenfalls substantivisch gebraucht:
Mische dich nicht in fremde Dinge, aber die deinigen tue mit Fleiß (Matthias Claudius).
Wie parteiisch eure Geschichtschreiber sein müssen! Die unsrigen erzählen diese
Historie ganz anders (Lessing).
Diese -ig-Formen werden von süddeutschen Schriftstellern allerdings auch attributiv
gebraucht:
ein unsriger Sprachbildner (Carossa), ein Ihriger Brief (Rilke). Hierum liegen lauter
meinige Verwandte (Hofmannsthal).
Stehen „all[er], dieser, jener, selbst“ vor dem attributiven Possessiv¬
pronomen, dann beeinflussen sie dessen Beugung nicht:
all meines Besitzes, mit aller meiner Kunst (Waggerl), diesem ihrem eigentlichen
Leben (G. v. le Fort), diese seine Worte (Bonseis). Selbst unsere Bekannten wußten
es nicht.
444 Das Possessivpronomen bleibt in den folgenden Fällen flexionslos (hi¬
storisch gesehen, handelt es sich hier um die Genitive der Personal¬
pronomen) :
1. In aussagender Verwendung:
Aber der Stoff ist doch mein (W. Schäfer). Du bist unser (Schiller).
Sind „es“ oder „das“ Subjekt, dann wird jedoch das in der Aussage
stehende Possessivpronomen flektiert, und zwar stark:
Wem gehört dieses Buch? Es ist meines. Wem gehört der Bleistift? Das ist
meiner. Wem sind die Hefte hier? Es sind meine.
2. In attributiver Verwendung nach dem Substantiv. Dies ist heute
veraltet und lebt nur noch in der Bibelsprache und in der Poesie,
besonders im Anruf:
Nimm auf meine Seel’ in die Hände dein (b hland). Schöne Schwester mein
(Penzoldt).
3. Durch „und“ verbundene substantivisch gebrauchte Possessiv¬
pronomen :
Mein und dein verwechseln oder nicht unterscheiden können (ugs. Euphemismus
für: stehlen).. . . wenn Verwandte ums Mein und Dein gefühllos hadern (Goethe).
Zur Deklination des attributiven Adjektivs nach dem Possessiv¬
pronomen vgl. 331.
2. Man beachte bei Verwendung noch nicht ganz formelhafter Rede- 447
Wendungen mit Possessivpronomen (seine Reize haben, seine Richtig¬
keit haben), daß bei femininem Subjekt „ihre“ gewählt werden muß:
Das hat seine Bichtigkeit. Aber: Die Sacke hat ihre Bichtigkeit. Eine Reise in
die Schweiz hat ihre (nicht: seine) Beize.
daß . . . das große Pariser Blatt Le Monde es vorgezogen hat, den Namen ihres
(falsch statt: seines) Chefredak teurs nicht mehr zu notieren (Zeitungsnotiz).
Mit „unser“ beteiligt der Autor sich selbst und seine Leser oder Hörer,
er berichtet mit ihnen gemeinsam :
Darauf hatt’ unser Pflanzer auf der Jagd im Walde sich verirrt (Seume). . . . und
unsere beiden Helden sind ... Jan Norris und Myga van Bergen (Baabe).
c) Das Demonstrativpronomen
a) Allgemeines
450 Die Leistung des Demonstrativpronomens besteht darin, auf ein Wesen
. oder Ding hinzuweisen, sozusagen mit dem „Zeigefinger“ darauf zu
deuten1. Es ist daher auch nur ein Pronomen der 3. Person. Es unter¬
scheidet sich von dem Personalpronomen der 3. Person durch seine
nachdrücklich demonstrierende Bedeutung. Demonstrativpronomen sind:
der, die, das; dieser, diese, dieses; jener, jene, jenes; derjenige, diejenige, das¬
jenige; selbst, selber; derselbe, dieselbe, dasselbe; solcher, solche, solches.
Das Demonstrativpronomen weist auf ein schon bekanntes oder noch
näher zu kennzeichnendes Wesen oder Ding hin; seine neutralen For¬
men können sich (wie „es“) auch auf den Inhalt eines ganzen Satzes be¬
ziehen:
Stets war er da und half, wo er konnte. Solch ein treuer Freund war er. Wähle solche
Freunde, denen du vertrauen kannst.
Die Demonstrativpronomen können attributiv oder allein stehen:
Dieser Junge war es! Doch dem war kaum das Wort entfahren . . . (Schiller).
Stilistisch sehr schlecht ist es, wenn das Demonstrativpronomen die
Subjektstelle im Satz an sich reißt und das eigentliche Substantivsubjekt
in einen abhängigen Fall hinunterdrückt:
Bei der Abreise des Vaters sah dieser (derselbe) sehr vergnügt drein (statt: Der Vater
sah bei der Abreise sehr vergnügt drein).
Über den Ersatz der Verbindungen des Dativs und Akkusativs der De¬
monstrativpronomen der, dieser, derselbe + Präposition durch ein
Pronominaladverb vgl. 558, a.
451 a) Deklination
Attributiv gebraucht, dekliniert das Demonstrativpronomen stark
wie der bestimmte Artikel (vgl. 207):
Das sei dein Stolz, des Adels rühme dich (Schiller).
Steht es allein, treten im Gen. Sing, sowie im Gen. und Dat.
Plural erweiterte Formen auf -en und -er auf (dessen, deren, derer,
denen), die von der Adjektivdeklination beeinflußt sind. Die alten
kurzen Formen kommen noch in der Dichtung vor, der alte kurze
Genitiv Singular auch noch vor einem attributiven Genitiv (der
durch „von“ ersetzt sein kann) und in Zusammensetzungen:
Des freut sich das entmenschte Paar (Schiller). Wes Brot ich ess\ des Lied
ich sing’ (Sprw.). Die Karosserie meines Wagens und des meines Bruders.
Auf Grund der Eingabe von X und der von vielen anderen Schriftstellern.
In Zusammensetzungen: deswegen, deshalb, desgleichen, indessen], unter¬
dessen].
b) Leistung
Die Leistung von „der, die, das“ ist es, auf etwas voraus- oder 452
zurückzuweisen, und zwar so, daß die Lage in bezug auf den
Sprechenden (sei es Nähe, sei es Ferne) nicht berücksichtigt wird.
Sie sind also lagemäßig neutral. Bei Vorausweisung folgt dem
Pronomen ein Relativsatz, der das angekündigte Wesen oder Ding
genauer bestimmt (vgl. auch 464):
Nicht der ist auf der Welt verwaist, dessen Vater und Mutter gestorben, son¬
dern der für Herz und Geist keine Lieb' und kein Wissen erworben (Rückert).
Bei Rückweisung ist der Bezug auf ein einzelnes Wort, bei
„das“ auch der auf einen ganzen Satzinhalt möglich. Im ersteren
Fall steht das Pronomen oft vor einem Genitiv oder einem Prä-
positionalfall:
Meine Anschauungen und die meiner .Freunde. Gebt euch mit dem nicht ab!
(Goethe). Die Erinnerung an ihn ist für mich immer mit der an seine Mutter
verknüpft. Die Fürsten sind versöhnt, das ist die Wahrheit (Schiller).
„Das“ bezieht sich (wie „es“) auch auf ein nichtneutrales Sub- 453
stantiv, das als Gleichsetzungsnominativ steht (vgl. 461):
Das ist die Liebe. Das ist der Wagen. Siehst du diesen Mann dort ? Das ist
mein Chef.
„Das“ ist Subjekt unpersönlicher oder unpersönlich gebrauchter
Verben:
Wie das blitzt und donnert l
b) Leistung
459 „Dieser“ weist auf ein dem Sprechenden oder Schreibenden
näheres Wesen oder Ding, „jener“ auf ein entfernteres hin. Für
den Sprechenden äußert sich das konkret in Raum oder Zeit:
Diese Bank ist gegenüber jener Bank die räumlich nähere, ebenso: diese
[irdische] Welt - jene [himmlische] Welt. Dieser Tag ist gegenüber jenem
Tag der Gegenwart des Sprechenden näher gerückt.
Die Grenze zwischen „näher“ und „entfernter“ ist allerdings
nicht immer klar zu ziehen. Manchmal wählt man „jener“ an
Stelle eines sinnvolleren „dieser“, weil man sich innerlich von der
- betreffenden Sache entfernt hat und sie nachdrücklich-feierlich
der Vergangenheit zuordnet :
Ich hatte das Vergnügen, bei dem Kinde meiner Angebeteten . . . Gevatter
zu stehen ... Da mehr als vierundzwanzig Stunden seit jenem (man erwartet:
diesem) feierlichen Moment hingegangen sind ... (W. Raabe).
Oft ist es auch ohne Belang, ob eine Sache „näher“ oder „ent¬
fernter“ ist:
Jener Menschen Denkart ist auch die meinige. (Auch wenn erst vorher von
ihnen die Bede war!)
460 Wenn von zwei Wesen oder Dingen im Satz die Rede ist, bezieht
man sich oft mit „dieser - jener“ darauf zurück. Von den rein
räumlichen Verhältnissen auf dem Papier geht auch der Schrei-
Das Pronomen 251
bende aus: Das zuletzt genannt© Weseii oder Ding ist „dieser“,
das zuerst genannte „jener“:
Sie wundern sich über die Veränderung meines Aufenthalts und beklagen
sich über mein Stillschweigen. Der Grund von diesem liegt in jener, der
Grund von jener aber in hundert kleinen Zufällen (Goethe).
Die Paarungen „dieser und (oder) jener“, „der und jener“, 463
„dies und das“ charakterisieren wieder etwas Unbestimmtes (vgl.
457):
Er begrüßte diesen und jenen ( = einige); in dem und jenem Hotel (Th. Mann).
Drum denken wir gern an dies und das. (= an einiges)^
dann geht aus dem einfachen „die“ nicht hervor, ob Artikel oder De¬
monstrativpronomen gemeint ist. Der Artikel besagt, daß es sich nur
um beschädigte Bücher und um keine anderen handelt, das De¬
monstrativpronomen dagegen hebt die beschädigten unter anderen
Büchern heraus. Meine ich das letztere, dann schafft die Wahl von
„diejenigen“ sofort Klarheit.
1 Wobei die etwas schwerfällige Fügung „derjenige, der“ durch einfaches „wer“ (sel¬
tener durch „der“) ersetzt werden kann (vgl. 1060; 1065).
252 Begleiter nnd Stellvertreter des Substantivs
465 Das überaus schwerfällige „derjenige, welcher“ wird heute nur noch
ironisch gebraucht:
Ah, du bist also derjenige, welcher [das getan hat] I - Da aber empörte sich Guste.
„Das sagen Siel Sie sind derjenige, welcher und haben immer gegen ihn gehetzt
(H. Mann).
4. selbst, selber
466 Diese Pronomen sind undeklinierbar und werden wie eine Apposition
gebraucht. Sie treten zu einem Substantiv oder zu einem anderen
Pronomen (Personal-, Reflexivpronomen). Sie drücken aus, daß kein
anderes Wesen oder Ding gemeint ist als das, bei dem sie stehen,
und schließen ein anderes nachdrücklich aus. Sie stehen immer nach
ihrem Bezugswort, wenn auch nicht immer unmittelbar dahinter,
und tragen den Ton:
Fritz selbst hat es gesagt. Fritz hat es selbst gesagt.
. ,
6 solcher solche, solches
Dieses Pronomen weist ganz allgemein, ohne besondere konkrete 471
Bedeutungsangabe, auf die Beschaffenheit (Qualität) hin, oft auch
auf den Grad (die Intensität) im Sinne von „so beschaffen, so groß“.
Es vertritt ein gradbezeichnendes Adjektiv mit „so“:
Dieses Schiff rannte mit solcher (= so großer) Heftigkeit gegen die Brücke, daß
es sie wirklich auseinandersprengte (Schiller).
Es dekliniert wie ein Adjektiv: 472
a) Alleinstehend und ohne Artikel stark:
Ich habe solchen Hunger, solche Kopfschmerzen 1 Solche« Wetter, solche«
häßliche Wetter habe ich noch nicht erlebt; bei solchem unmotivierten Herz¬
klopfen (Th. Mann).
254 Begleiter und Stellvertreter des Substantivs
Als Verstärkung von „eines“ kommt es heute meist nur noch im, Ge¬
schäftsdeutsch vor:
Unter den vielen Telegrammen war auch ein solches (statt: eines) aus London.
Das Pronomen 255
Umgangssprachlich tritt meist das Adverb „so“ für „solcher“ ein. 475
Der Gebrauch findet sich aber auch schriftsprachlich, vielfach um der
Charakterisierung des Sprechenden willen:
Ich habe einen Hunger, so hab' ich mein Lebtag keinen verspürt (Auerbach;
statt: solch einen . . . nicht). Aber wir reden so unangenehmes Zeug (Th. Mann).
So was (statt: solches) ist doch nicht zu glauben 1 So einer ist dasl
„So“ allein vor einem Substantiv ist besonders volkstümlich (vgl.
562):
So Zeug kann ich nicht essen. Es gibt so Leute. Das sind so Sachen.
d) Bas Relativpronomen
Das Relativpronomen (der; welcher; wer; was) bezieht den Gliedsatz, 476
den es einleitet, auf ein Substantiv (Pronomen) des übergeordneten Satzes
zurück1 (vgl. 1057):
Der Postbote, der das Telegramm gebracht hatte, fuhr rasch wieder weg. Die Frau,
welche das gesagt hat, sollte sich schämen. Wer das tut,*[der] hat die Folgen zu
tragen. Das ist edles, was wir besitzen.
Mit dem Bezugswort muß es in Genus und Numerus übereinstimmen,
der Kasus wird dagegen durch die Konstruktion des Relativsatzes be¬
stimmt (vgl. 1204):
Der Vater, dessen Telegramm wir heute erhielten, . . . Die Frau, der dies zugemutet
wurde, . . . Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt
(Eichendorff). Alle Fabriken, deren Besitzer enteignet wurden, . . .
1 Lat. relativum = das wieder Zurückgebrachte, Zurückgeführte, das auf etwas Bezogene.
256 Begleiter und Stellvertreter des Substantivs
y) wer, was
479 „Wer“ und „was“ sind verallgemeinernde Relativpronomen:
Wer wagt, gewinnt (Sprw.). Was du sagst, stimmt nicht.
Es fehlen, wie beim Interrogativpronomen, die Formen für das Fe¬
mininum und den Plural. „Wer“ und „was“ werden alleinstehend ge¬
braucht, oft in Verbindung mit „[auch] immer“. Die Deklination stimmt
mit der des Interrogativpronomens überein (vgl. 481). Im Genitiv steht
heute die erweiterte Form „wessen“, die alte kurze Form „wes“ hat
sich nur noch in Resten erhalten:
Wes das Herz voll ist, des gehet der Mund über (Luther). Wes Brot ich ess’, des Lied
ich sing' (Sprw.). JTeshalb, weswegen.
e) Das Interrogativpronomen
Das Interrogativpronomen fragt1 in einer ganz allgemeinen Weise nach
einem Wesen oder Ding. Es gehört verständlicherweise zu den ältesten
Pronomen, die wir kennen. Zum Interrogativadverb vgl. 555 u. 558, b.
Wir unterscheiden :
cc) wer? was?
„Wer?“ und „was?“ werden nur alleinstehend gebraucht. „Wer?“ 481
fragt nach männlichen oder weiblichen Personen, gleich, ob diese in der
Einzahl oder in der Mehrzahl vorhanden sind:
Wer war das ? (Ilse oder Michael?) Wer von euch will mitfahren? (Inge? oder: Inge
und Gisela ?) Wessen Buch ist das ? Wem gehört das Buch ? Wen können wir schicken ?
Besondere Formen für das Femininum, für Singular oder Plural gibt es
also nicht, ebenso nicht bei „was?“, das nach Sachen oder nach einem
Verhalten fragt:
Was ist das ? Ein Hammer! Eine Blume! Ein Buch! Was. hast du getan ? Ich habe das
Geschirr gespült; ich habe geschlafen.
Der Dativ Neutrum fehlt. Für ihn tritt öfter in der älteren Literatur¬
sprache sowie heute noch meist in der Umgangssprache die Form „was“
ein, die für den Akkusativ gilt:
An was, ihr Herrn, gebricht’s? (Schwab). Zu was die Posse? (Goethe). Wie willst
du sonst leben? Von was? (Brecht).
Der veraltete Genitiv „wes“ findet sich alleinstehend nicht mehr, attri¬
butiv hat er sich in einigen alten Redewendungen und in Zusammen¬
setzungen erhalten:
Wes Geistes Kind sind Sie eigentlich? Wes Namens, Standes, Wohnorts seid Ihr?
(Kleist). Weshalb, weswegen hast du das getan ?
Die Allgemeinheit des Fragens wird noch betont durch die erstarrte
(wohl ursprüngliche Genitiv-)Form „alles“, die überdies die Frage nach
einer Mehrzahl von Personen oder Sachen andeutet. In der Stellung ist
sie unfest:
Er ahnte nicht, wie sorgfältig und von wem alles sein Brief würde gelesen werden
(Hesse). Wcts gibt es denn dort alles zu sehen?
Da „wer“ nach jemandem fragt, der nicht bekannt ist, hat sich in der
Umgangssprache die Bedeutung des Unbestimmten (einer, irgendeiner,
jemand) eingestellt. Es ist hier zum Indefinitpronomen geworden (vgl.
522)’.
„Was“ verblaßt in der Alltagssprache oft ganz zum Frageadverb im
Sinne von „warum“ oder „wozu“:
Was hinkt er denn so ? (Th. Mann). Was braucht’s da Hand' und Füß’ ? (Immermann).
258 Begleiter und Stellvertreter des Substantivs
Der Übergang zum Ausruf liegt Jbei „wer ?“ und „was ?“ sehr nahe, da der
Ausruf meist aus einer ungeklärten, fraglichen Situation entspringt (vgl.
482; 483):
Wer könnte das auseinanderhaltenI (I. Seidel). Was du nicht sagst!
f) Das Indefinitpronomen
a) Allgemeines
Die Indefinitpronomen bezeichnen ein Wesen oder Ding in jganz allge¬ 484
meiner, unbestimmter1 Weise, wenn der Sprecher es nicht näher bestim¬
men kann oder will. Zu ihnen rechnen wir auch die Zahlwörter, die eine An¬
zahl oder ein Maß in ganz unbestimmter Weise ausdrücken. Sie werden teils
alleinstehend, teils attributiv gebraucht. Einen Zahlbegriff drücken die¬
jenigen Indefinitpronomen aus, die auf eine Gesamtheit oder das Gegen¬
teil davon unbestimmt hinweisen:
all, jeder, jedermann, jedweder, jeglicher, sämtliche; kein, nichts, nieinand;
Demgegenüber betonen „wer, man, jemand, ander“ mehr die bloße Un¬
bestimmtheit der Gattung.
Man pflegt die gesamte Gruppe der Indefinitpronomen auch als „unbe¬
stimmte Für- und Zahlwörter“ zu bezeichnen. Hier zeigt sich besonders
deutlich, daß die Grenzen zwischen den Funktionsgruppen der Wortart
„Begleiter und Stellvertreter des Substantivs“ fließend sind. Wörter
dieser Art werden deshalb auch in den einzelnen Grammatiken gelegent¬
lich anders eingereiht.
Zu den Indefinitpronomen gehören jedoch nicht mehr die Wörter „ein¬
zeln, einzig, übrig, verschieden, gewiß, gesamt, ganz, halb“, weil sie zu
Adjektiven geworden sind.
486 „AU“ steht entweder attributiv vor dem Substantiv (Pronomen) oder
allein. Es dekliniert im allgemeinen stark (Ausnahmen werden genannt)
und hat nie den Artikel vor sich:
Aller Gram, alle Gier, alles Leid (Meyrink). Jn aller Schnelligkeit wurden die Arbeiten
vollendet. Alle kamen ange laufen. Wir alle haben schuld.
Alles, was Ich besitze, habe ich verloren.
Die neutrale Form „alles“ wird alleinstehend auch in der Bedeutung
„alle Menschen“ gebraucht:
Alles rennet, rettet, flüchtet (Schiller).
Der Genitiv des vor einem starken Substantiv attributiv stehenden ,,aU“
neigt heute sehr zur schwachen Beugung. Man muß sie neben der starken
anerkennen:
Stark: trotz alle» Widerstrebens (Raabe); Geiz ist die Wurzel alle« Übels (Spfw.),
Aber schon oft schwach: Hebel allen Unheils, Ratgeber allen Übels (Feuchtwanger).
die unerbittliche Ablehnung allen Unernstes (Jatho), das spannungserfüllte Bild
allen geistigen Lebens (H. Moser).
Attributiv steht „all“ ferner vor einem Substantiv mit bestimmtem Ar- 487
tikel oder mit einem Pronomen. Dabei kann es flexionslos auftreten. Im
Singular sind heute überwiegend die flexionslosen Formen üblich:
all der Fleiß; der Anblick all des Jammers (Börne). Es bedurfte all seines Mutes.
.. .all das Gold und all das Gut (M. Claudius); aber auch: Wozu alles dieses Ge¬
schwätz? (Lessing). .. . bei all seinem Eifer; aber auch; mit allem seinem Eifer
(Mechow).
Im Nominativ, Akkusativ Plural überwiegen dagegen die flektierten
Formen, in den übrigen Fällen halten sich die flektierten und die un¬
flektierten Formen etwa die Waage:
alle die Menschen der Schwedenküste (Luserke). Wer hat für alle deine Bedürfnisse
gesorgt und alle deine Launen ertragen? (v. Handel-Mazzetti). Erentsann sich noch
all[er] seiner Jugendstreiche. . . . mit all den Aufsätzen, mit allen den Feuilletons
(Hesse).
Ein größerer Bedeutungsunterschied zwischen flektierten und nicht-
flektierten Formen liegt nicht vor. Entscheidend für die Wahl der einen
oder der anderen ist der Satzrhythmus. In einigen Fällen können die
flektierten Formen allerdings bedeutungssteigemde (intensivierende)
Wirkung haben.
In Verbindung mit einem Personalpronomen steht „all“ hinter diesem: 488
sie alle, uns alle, wir andern alle, unser aller Leben. Aber hervorhebend: Alle tragen
wir die Schuld.
Die Nachstellung ist (neben der Voranstellung) auch möglich im Nom., 489
Akk. Plural von „diese“ wie auch im Neutrum bei „das“, ,,dies[es]“
und seinen Deklinationsformen:
Nachstellung: das alles, dieses alles, bei dem allem, mit diesem allem, diese alle.
Voranstellung: alles das, alles dies, alles dieses, bei allem dem, mit allem diesem,
alle diese.
Dabei treten bei Voranstellung auch flexionslose Formen auf :
all das, all dies, bei all dem, mit all diesem, all diese.
Bei den Verbindungen „dem allem“ und „diesem allem“ ist heute die
schwache Beugung „dem allen“ bereits häufiger als die starke „dem allem“,
die schwache Beugung „diesem allen“ etwa gleich häufig wie die starke
„diesem allem“. Der Genitiv ist, wenn er vorkommt, schwach:
des allen völlig unbewußt (Frenssen); ... als habe sie sich dieses allen bedient
(Wiechert).
„All“ kann auch flektiert hinter das Substantiv oder hinter die Personal- 490
form des Verbs treten. Im Singular besteht diese Möglichkeit nur umgangs¬
sprachlich bei Neutrum und Femininum:
Von des Lebens Gütern allen ist der Ruhm das höchste doch (Schiller). Wir tragen
alle die Schuld. Ugs.: Das Geld ist alles verloren. Sie'hat die Milch alle verschüttet.
Die voranstehende erstarrte Form „alle“ ist ziemlich unüblich geworden: 491
Auf alle den Ruhm verzichte ich gern. Laut wehklagte der Wirt mit alle den Seinen
(P. Heyse). Bei alle den deutlichen Worten (Löns).
In der Zusammenschreibung „alledem“ hat sie sich erhalten (bei alledem,
trotz alledem).
Eine erstarrte Form liegt auch vor bei dem am Oberrhein, am Main, an
der Mosel und in Hessen vielgebrauchten mundartlichen „alls“ (meist
262 Begleiter und Stellvertreter des Substantivs
„als“ geschrieben), das selten in die Schriftsprache dringt und hier nur
zur Charakterisierung gebraucht wird. Es hat die Bedeutung von „immer-
[fort]“:
Er hat al[l]s getanzt.
„Alle“ in der ugs. Bedeutung „zu Ende, erschöpft“ ist heute ebenfalls
erstarrt. Die Redensart ist besonders nord- und mitteldeutsch:
Mein Geld ist alle. Die Dummen werden nicht alle (Sprw.).
492 Verstärkend tritt „all“ zu „ein“ und „jeder“ in den formelhaften Wen¬
dungen:
Er ist mein ein und [mein] alles; all und jeder; all [es] und jedes; ein Mensch ohne all
und jede Bildung (Th. Mann).
493 „All“ ist der sinngemäße zusammenfassende Plural zu dem vereinzelnden
„jeder“:
jedes Buch — alle Bücher.
Berührung mit „jeder* ‘ findet sich besonders beim Singular von Abstrakta:
Dinge aller (= jeder) Art. Aller (= jeder) Anfang ist schwer (Sprw.). Alle zehn
Schritte (= ugs.: jede zehn Schritte), mitteldt.: aller zehn Schritte.
Über die Deklination des attributiven Adjektivs nach „all-“ vgl. 337.
Über die Deklination von solch- nach „all-“ vgl. 472, c.
ander
494 Es bedeutet, daß ein Wesen oder Ding nicht dasselbe, ist wie das, dem es
gegenübergestellt wird. Es verneint die Identität:
der eine — der andere.
Es bezeichnet ferner etwas artmäßig Verschiedenes:
Heute sind andere Zeiten.
„Ander“ wird attributiv und alleinstehend gebraucht. Es dekliniert wie
ein Adjektiv:
Es war ein anderer. Jeder andere. Das ist etwas anderes; nichts anderes; mit etwas
anderem. Bist du denn andern Sinns geworden ? (P. Ernst).
In Gen. Sing. Mask. und Neutr. ist die starke Deklination veraltet und
kommt heute nur noch selten vor:
. . . wenn der Kaiser etwa gar ander«« Sinnes würde (Ric. Huch).
Nach den persönlichen Pronomen „wir“ und „ihr“ dekliniert „ander“
schwach (vgl. 334):
wir, ihr ander[e]n.
Vor -n fällt meist das Endungs-e weg:
des, dem, den, die ander/«/?! [Jungen].
Sonst das „e“ der Ableitungssilbe:
in and/e/rer Weise, kein and/e/rer, keine and/«/re, and/e/rer Menschen.
Das Neutrum heißt jetzt meist nur „and[e]res“, im Unterschied zu dem
alten neutralen Genitiv „anders“, der zum Adverb geworden ist, besonders
in Verbindung mit „jemand“ und „niemand“:
jemand anders, niemanden anders, aber auch noch: jemand andere« (Benrath);
niemanden andere« (Hauptmann); wer anders, wo anders, mit niemand[em] anders,
jemandem anders, für niemand anders.
Das Pronomen 263
beide
„Beide“ faßt zwei Wesen oder Dinge zusammen und setzt sie als be- 495
kannt voraus. Nach dem Artikel oder einem anderen stark deklinierten
Pronomen wird es schwach gebeugt, sonst stark (Ausnahmen unten). Es
steht allein oder attributiv, überwiegend pluralisch:
die beiden Mädchen, diese beiden Räume. Aber was konnte zu beider Rettung ge¬
schehen ? (Raabe).
Über die Deklination von „beide“ nach einem. Personalpronomen ist fol¬
gendes zu bemerken:
Nach „wir“ dekliniert es meist stark:
Wir beide zusammen stellen Berlin auf den Kopf (H. Mann).
Die schwache Endung ist selten:
Wir beiden schwiegen natürlich über die Gründe (Andres).
Nach „ihr“ schwanken die Formen zwischen stark und schwach, die
schwache überwiegt jedoch etwas, besonders in der Anrede:
Ihr beide solltet miteinander nicht verkehren (Werfel). Ihr beiden geht mir zu schnell
(I. Kurz). Ihr seid große Klasse, ihr beiden l (Hausmann).
Nach „sie, unser, euer, ihrer“ (vgl. 428), „uns“ (Akk.), „euch“ (Akk.)
dekliniert „beide“ stark:
sie beide allein (I. Seidel), mit unser beider gemeinsamer Schuld (Barlach), euer beider
leben (George), durch ihrer beider Erhöhung (Th. Mann), für uns beide (Bonseis),
euch beide hübschen Schätzchen (Fallada).
Nach dem Neutr. Sing. ,,dies[es]“ und „alles“ sowie nach „alle“ steht
„beide“ stark:
dies[es] beide«, alles beide«, alle beide; es braucht .. . aller beider (Bergengruen).
einer
497 Es handelt sich hier um das ursprüngliche Zahlwort „ein“, das, ohne
Nachdruck und Betonung gesprochen, unbestimmt eine andere Person
(im Sinne von „man“ [vgl. 508] oder „jemand“) oder die eigene Person
(im Sinne eines Personalpronomens) kennzeichnet. Es steht nur allein;
vor einem Substantiv wird es zum unbestimmten Artikel. Die Grenze
zum Zahlwort ist fließend. Ohne bestimmten Artikel dekliniert es stark,
mit bestimmtem Artikel schwach. Viele Gebrauchsweisen gehören der
Umgangssprache an:
Was soll einer (= ich) dazu schon sagen!
Volkstümlich: Das ist einer! (halb tadelnd, halb bewundernd). Nach den Aussagen
eines (= jemandes), der dabei war ... Er tut einem (= mir) wirklich leid. Was man
nicht weiß, macht einen (auch: einem) nicht beiß (Sprw.). Auf ein andermal lassen
Sie einen (= mich) mit Ihren Dummheiten ungeschoren! (Immermann).
„Einer“ steht häufig vor einem Relativpronomen und in Gliedsätzen.
Gern steht „einer“ ferner vor dem Genitiv Plural eines Substantivs (oder
Pronomens) oder vor einem diesen vertretenden Präpositionalfall. Hier
berührt es sich mit dem Zahlwort (vgl. 527):
einer dieser Burschen, einfejs von uns Kindern. Der Wagen gehört einem unserer
Nachbarn (C. Boß). Ist ein schön Spiel und herrlich Kurzweil für einen vom Adel
(G. Hauptmann).
Altertümlich und heute noch poetisch steht „einer“ auch nach dem
Genitiv Plural:
Ist es der Winzerinnen eine, die sich loslöste aus dem Chor ? (Jatho). Wenn ihrer
einer über den Gutshof ging .. . (Münchhausen).
In der Schriftsprache erhalten hat sich die Verbindung „unsereiner“
(= einer von uns):
Er meint . .. wahrhaftig, er sei aus einem andern Teig gebacken als wie unsereiner
(H. Kurz). .. . jenen Best von Freiheit. . ., der unsereinem übrigbleibt (Th. Mann).
Im Nom. und Akk. Neutrum steht die kurze Form „eins“ gleichberechtigt
neben „eines“:
Eins der reichsten Häuser.. . repräsentierte diese Firma (Baabe). Du brauchst dir
nur eins (= ein Thermometer) zu kaufen (Th. Mann). „Kennen Sie ein Mittel da¬
gegen?“ — „Ich kenne ein[ejs“.
Umgangssprachlich und mundartlich bezeichnet „eins“ auch soviel wie
„einer“ oder „eine“. Von Schriftstellern wird diese Form zur Charakteri¬
sierung verwendet:
Nun sag mir eins, man soll kein Wunder glauben! (Goethe)_wenn eins hier oben
in dem armen Lande mit sieben Kindern sitzt (E. v. Wolzogen).
Das Pronomen 265
einige
„Einige“ ist eine Weiterbildung des vorigen „ein“. Der Plural „einige“ 498
hat die Bedeutung „etliche, ein paar“ und kennzeichnet eine bestimmte,
aber nicht große Anzahl, mehr als zwei bis drei, aber nicht viele. Der
Singular bedeutet soviel wie „etwas, ein wenig“ und steht heute meist bei
Stoff- und Zustandsbezeichnungen. „Einige“ dekliniert meist stark (Aus¬
nahmen s. unten) und steht allein oder attributiv:
Dort drüben, in einiger Höhe, lag der . . . Friedhof (Th. Mann). Einiges Geld konnte
ich ja dort verdienen (W. Lange wies che).
. . . einige meiner Freunde; einige von den vornehmsten Männern der Stadt (Ranke);
einiges Gute; doch schien mir einiges davon geeignet (Carossa).
Das Pronomen wird auch ironisierend im Sinne von „nicht unbeträcht¬
lich, ziemlich groß“ usw. verwendet:
Das wird einigen Ärger kosten! Es gehört schon einiger Humor dazu, um das er¬
tragen zu können!
Im Genitiv Singular des Maskulinums und Neutrums herrscht schwache
Beugung vor, in Anlehnung an die Flexion der Adjektive:
einigen Verständnisses gewiß sein (Bergengruen). Das boshafte Wort . . . entbehrte
nicht einigen Grundes (Wassermann).
266 Begleiter und Stellvertreter des Substantivs
ein paar
499 Es hat die Bedeutung „einige wenige“ oder „etliche“ und'ist indeklinabel:
mit ein paar kühlen Tropfen.
Oft steht es in Verbindung mit Zahlen:
Ein paar tausend Mark würden genügen.
Bas großgeschriebene „Paar“ ist dagegen ein deklinierbares Substantiv
und bezeichnet die Zweiheit, zwei gleiche oder entsprechende, einander
ergänzende oder zwei zusammengehörige Wesen oder Dinge. Der be¬
stimmte oder unbestimmte Artikel davor wird stets dekliniert:
mit einem (zwei) Paar schwarzen Schuhen (oder: schwarzer Schuhe).
Die Bedeutungsverschiebung „von ein paar“ zu „einige“ beruht auf
ungenauer Zählung, auf der Abschwächung der bestimmten Zahlenangabe
zu einer unbestimmten.
In der Verbindung „die (diese) paar“, die bestimmte, zahlenmäßig ge¬
ringe Einzelgrößen, oft in herabsetzendem oder verächtlichem Sinn, zu¬
sammenfaßt, wird der bestimmte Artikel oder das Pronomen stets ge¬
beugt:
Ich soll ja mitmachen die paar Wochen (Th. Mann). In den (diesen) paar Tagen
habe ich viel erlebt. Mit den paar Mark soll ich auskonimen ?
etliche
500 Es bezeichnet, wie „einige“, eine unbestimmte, aber nicht große Anzahl,
steht attributiv oder allein (hier besonders im Plural) und dekliniert
stark. Attributiv verbindet es sich im Singular heute meist nur noch mit
Zahl-, Zeit- und Maßbegriffen. Es hat etwas altertümelnde Färbung und
weicht vor „einige“ immer mehr zurück:
Es verging etliche Zeit, ehe er wieder herauskam. Etliche der jungen Leute (J. Stinde);
etliche von, unter den Burschen; in etlichen hundert Jahren. Etliche tausend Mark
sind draufgegangen ^ Ich habe schon etliches gesammelt.
Seltener im Plural mit Artikel:
Die etlichen Schriftsteller, die .. . (Henrik Becker).
Die veraltete Form „etzlich“ wird nur noch altertümelnd oder, scherz¬
haft-ironisch gebraucht.
„Etliche zwanzig“ wird wie „einige zwanzig“ gebraucht (vgl. 498).
Zur Deklination des attributiven Adjektivs nach „etliche“ vgl. 341.
Das Pronomen 267
etwas
„Etwas“ ist ein “»indeklinables Neutrum (das auch als Adverb gebraucht 501
wird). Es ist eine unbestimmte, sehr allgemeine Mengenbezeichnung,"oft
im Sinne von „ein wenig“, aber auch von „etwas Rechtes“. Es steht*
attributiv oder allein im Nominativ, Akkusativ und vor Präpositionen:
etwas Neues, etwas anderes, etwas Salz, etwas von dieser Liebe; gib mir etwas davon 1;
er gilt etwas; an, auf, in, mit, von etwas; mit etwas Gutem; mit dem Gefühl der
zweifellosen Erwartung von etwas Wichtigem (I. Seidel).
Er . . . trat in jedes Seele wie in ein wohlbekanntes Haus (Frenssen). Jeder leiseste
Lufthauch ist spürbar. Ugs.: Die Straßenbahn kommt jede (= alle) zehn Minuten.
jemand (niemand)
506 „Jemand“ meint irgendeinen beliebigen völlig Unbestimmten, gleich,
welchen Geschlechtes. Es steht nur allein (vgl. aber weiter unten!), ge¬
legentlich mit näheren Bestimmungen (Präpositionalfall):
Es hat jemand geklingelt. Das kann jemand von euch machen.
Der Genitiv lautet „jemand[e]s“, der Dativ und der Akkusativ wie der
Nominativ, daneben treten aber seit dem 18. Jahrhundert deklinierte
Formen auf (Dat. = jemandem, Akk. = jemanden), die heute über¬
wiegen. Das gleiche gilt für „niemand“. „Jemand“ steht jedoch im
ganzen noch häufiger endungslos als „niemand“, und die endungslosen
Formen stehen auch häufiger im Akkusativ als im Dativ. Vor „anders“
oder einem flektierten Adjektiv ist die endungslose Form „jemand“
(niemand) sogar üblicher als die mit Endung.
Das Pronomen 269
kein
„Kein“ bedeutet „auch nicht einer“, negiert also das Zahlwort, das un- 507
bestimmte Fürwort und den unbestimmten Artikel „ein“. Es steht
allein oder attributiv; allein wird es statt des gewählteren „niemand“ ge¬
braucht. Sein Gegen wort ist „jeder“. Es beugt im Singular gemischt wie
der unbestimmte Artikel (vgl. 331):
Mir kann keiner helfen. Kein Ausweg — keine Hilfe — keine, im ganzen Umkreis
der Natur I (Schiller). Er ist kein gesunder Mensch. Von ihm erwart' ich keine frohen
Tage (Goethe). Keiner von uns war dabei. . .. fehlt ihm keins der Erfordernisse
(Goethe). Es ist noch keine fünf Minuten her. Das kostet keine zehn Mark.
Da „kein“ im Singular gemischt wie der unbestimmte Artikel gebeugt
wird, ist auch der schwache Genitiv hier noch nicht eingedrungen (auch
nicht in die Zusammensetzung „keinesfalls“).
Verstärkend tritt „einziger“ zu „kein“:
Kein einziger ist dageblieben.
Gepaart wird es mit „ander“ und „dieser“:
Keiner will vom andern etwas wissen.
Gegensätzlich :
Diese oder keine will er.
Das Neutrum „kein[e]s“ kann gelegentlich auf verschiedene Geschlechter
bezogen werden (vgl. „jedes“ ZifF. 502 und „eines“ Ziff. 497):
Keines wagte, das Licht anzuzünden (H. Stehr). Keines der viere steckt in dem Tiere
(Goethe). Was jedoch daraus werden sollte, wußte . . . keines von beiden zu sagen
(Baabe).
Über die Verschiebung der Satzverneinung „nicht“ zur attributiven Ver¬
neinung „kein“ vgl. 1163, Beachte. Zur doppelten Verneinung „kein -
nicht (nie, nirgends“ usw.) vgl. 1165.
270 Begleiter und Stellvertreter des Substantivs
man
508 „Man“ ist der zum unbestimmten Pronomen der 3. Person gewordene
Nominativ Singular des Substantivs „Mann“, bedeutet also ursprünglich
„irgendein Mensch“. Es ist indeklinabel, d. h. es kommt nur im Nominativ
Singular vor und steht nur allein, nicht attributiv. Der Dativ wird durch
„einem“, der Akkusativ durch „einen“ ersetzt:
Je älter man wird, um so rätselhafter wird einem das Leben (G. Schröer).
„Man“ umfaßt singularische und pluralische Vorstellungen und reicht
von der Vertretung des eigenen Ich1 2 bis zu der der gesamten Menschheit:
Bei diesem ewigen Gekneter wachte man ja alle fünf Minuten auf (Hausmann).
Man bittet, die feine Symbolik seiner Kleidung zu beachten (Th. Mann).
mancher
509 Dieses Pronomen vereinzelt eine unbestimmte Menge; es ist „ein und der
andere“ unter vielen. Es steht allein oder attributiv und flektiert wie ein
Adjektiv:
Es hat schon mancher einen Schatz gehabt und sieben Jahr um ihn gedient
(L. Finckh). Frauen waren für ihn ein begrifflicher Plural. . . Manche kriegt man,
manche kriegt man nicht (Spoerl). Mancher der Anwesenden; mancher von den
Anwesenden. Bückst du dich doch vor manchem hohlen Schädel (Schiller). . . . man¬
ches Mal (Hesse). Ich habe um dieser Höhle willen manche Schelte und 'manche
Hiebe bekommen (H. Claudius).
„Gar, so, wie“ treten verstärkend zu „mancher“:
Gar mancher steht lebendig hier (Goethe). Nun bin ich durch so manches Land ge¬
zogen (Münchhausen). Wie mancher stürzet seine Seel’ . . . (P. Gerhardt).
Im Genitiv Singular des Maskulinums und Neutrums überwiegt bei
attributivem Gebrauch bereits die schwache Beugung:
in manche« Mannes Bart (Uhland); auf Grund manchen Einverständnisses (Th.
Mann); manchen Pferdes Widerrist (Münchhausen).
Aber auch die ältere starke tritt noch auf:
Sie entäußerte sich auch manches Möbelstücks (Th. Mann); . . .manches jugend¬
lichen Schäfers Auge (Münchhausen).
Die starke Beugung muß aber vor schwach gebeugten Substantiven und
substantivierten Adjektiven stehen:
manches Menschen; die Erinnerung so manches Vergangenen (Goethe).
3. Vor „anderer“:
manch anderer, manch andere.
mehrere
ist etwa gleichbedeutend mit „einige, ein paar“/Zu dieser Verwendung 511
kam es dadurch, daß es in Vergleich zu „einer“ gesetzt wurde (mehr als
einer). Es steht attributiv oder allein und dekliniert wie ein Adjektiv:
Mehrere Stunden war ich in der Kathedrale (Seume). Edeltraut . . . wurde auf
mehreren Reisen mitgenommen (H. Hauser). Mehrere kamen herbeigelaufen. . . . meh¬
rere seiner Stücke (Seume). Mehrere von seinen Freunden begleiteten ihn.
Das zusammenfassende Neutrum im Singular ist veraltet:
. . . bemerkten wir alles dieses und noch mehreres (Immermann).
Ebenfalls veraltet ist der Plural mit bestimmtem Artikel, er erscheint
aber gelegentlich noch heute:
die mehreren Fälle (Schiller) [ = die Mehrzahl der Fälle], einer der mehreren Schlüssel
(Barlach), die weitaus mehreren hohen Offiziere (Feuchtwanger)[ =••= die Mehrzahl der
Offiziere]. Erzähle den Mehreren deine Träume (Th. Mann).
Zur Deklination des attributiven Adjektivs nach „mehrere“ vgl. 344.
nichts
„Nichts“ bedeutet „kein Ding“, „nicht etwas“ und ist wie „etwas“ ein 512
indeklinables Neutrum. Es steht allein oder attributiv im Nominativ,
Akkusativ und vor Präpositionen. Das folgende substantivierte Adjektiv
dekliniert stark:
Der prophezeite dem armen Bengel handgreiflich nichts Gutes iur seine Seefahrt
ih. Leip). Ich hab’ mein' Sach' auf nichts gestellt (Goethe). Aus nichts wird nichts
(Sprw.).
Die Umformung zu „nix“ (Assimilation des t an das s) ist allgemein
umgangssprachlich, was von Schriftstellern zur Charakterisierung be¬
nutzt wird:
Sowas ist nämlich nix for mich (Hausmann).
Die Umformung zu „nischt“ ist mitteldeutsch, besonders berlinisch:
Es kömmt doch nischt dabei heraus (Aus einem Brief an Lessing 1769).
Verstärkend tritt „gar“, „ganz und gar“ oder „rein gar“ zu „nichts“:
Der Jung ist faul, für gar nichts hat er Sinn (Fontane). Sie hatten sich in Berlin ernst¬
lich Sorge um ihn gemacht, als sie rein gar nichts von ihm hörten (Spoerl).
sämtlich
513 „Sämtliche“ ist ein nachdrücklicheres „alle“ und faßt, wie dieses, zu¬
sammen. Im .Singular wird es meist durch „ganz“ ersetzt. Es steht
attributiv oder allein und dekliniert wie ein Adjektiv:
Sämtlicher Mist muß hier weg; eine Versammlung fast sämtlichen in Frankreich
zurzeit auf bringbaren Geistes (Bartsch); dazu bimmelten sämtliche Kirchenglocken
(Gaudy); mit sämtlichen (etwa: Bewohnern) stehe ich auf gutem Fuße.
Häufig steht ein Possessivpronomen voran, seltener der bestimmte Ar¬
tikel (üblicher: „gesamt“ mit Artikel):
meine sämtlichen Hausgenossen (Fallada), die sämtlichen Geschöpfe (Haushofer).
Zur Deklination des attributiven Adjektivs nach „sämtliche“ vgl. 345:
Starke Flexioü im Nom. Mask. ist veraltet und kommt heute selten
vor:
wenig Taten, vieler Schein (Liliencron).
Das Pronomen 273
2. Flexionslos: 517
a) Singular
aa) Der Nom. Mask. erscheint heute nur so:
Wo viel Licht ist, da ist viel Schatten (Sprw.). Dazu gehört wenig Mut.
Aber nur:
vielen Dank!
Viel Geschrei und wenig Wolle (Sprw.). Ich habe wenig Hoffnung.
Er hat viel Gutes getan. Viel Vergnügen! Ich habe nur noch wenig
Geld.
Seltener:
Das hat mich viele (wenige) Mühe gekostet. Ich meine nicht vieles
(= vieles einzelne), sondern viel •( = ein Gesamtes) (Lessing). Vieles
Rauchen schadet.
b) Plural
Die flektierten Formen überwiegen. Im Genitiv stehen sie aus¬
schließlich. „Viel“ ist oft zusammenfassend, „viele“ vereinzelnd:
Viele Hunde sind des Hasen Tod (Sprw.). Sie machte sich nicht viel Ge¬
danken darüber (Musil). Die Kleidung vieler (weniger) Menschen ist dürf¬
tig. Das wissen nur wenige. Er gab mir einige wenige Ratschläge (Hesse).
Aber auch: Im Grunde interessieren mich ja so furchtbar wenig Dinge
außer meiner eigenen Arbeit (E. Langgässer). Mit wenigEdelknechten
zieht er ins Land hinaus (Uhland). . . . mit ganz wenig Ausnahmen
(Fontane).
welcher
521 Die Form „etwelch“ ist veraltet und kommt nur noch altertümelnd in
der gehobenen Schriftsprache vor:
etwelches ökonomisches Interesse (Th. Mann); (Überlegenheit), die nicht einmal
durch etwelche Verliebtheit seinerseits auszugleichen war (Ric. Huch); etwelche
Portionen Kaffee (Fontane).
Schweizerisch mit bestimmtem oder unbestimmtem Artikel:
Wegen der etwelchen Unsicherheit, in welcher die Männer die Welt halten . . .
(Keller). Hierauf trat eine etwelche Besserung ein (Keller).
Zur Deklination des attributiven Adjektivs nach „welcher“, „irgendwel¬
cher“ und „etwelcher“ vgl. 348.-
wer (was)
522 Es ist nur umgangssprachlich und hat die Bedeutung von „jemand,
einer“ (vgl. 481). Es steht fast nur allein. Der Genitiv wird nicht gebraucht:
Da vorn ist jetzt wer ins Wasser gesprungen (Billinger). „(Du) könntest schon sechs
Jahre verheiratet sein.“ „Ja..., das könnt' ich, wenn mich wer gewollt hätte*'
(Fontane). Oft trifft man wen, der Bilder malt, viel seltner wen, der sie bezahlt
(W. Busch). Selten: wer anderer (Bartsch, Schnitzler, Lernet-Holenia), wer Be¬
kannter (Schnitzler), wen anderen (Hausmann. Schnitzler).
Das Numerale 275
Die Zahlen „elf“ und „zwölf“ weichen in der Bildung von den Zahlen 13
bis 19 ab, die aus den Verbindungen der Zahlen 3 bis 9 mit „zehn“ be¬
stehen :
dreizehn, vierzehn, fünfzehn, sechzehn (nicht: sechszehn), siebzehn (nicht: sieben¬
zehn), achtzehn, neunzehn.
Die Zahlen zwischen den Zehnern werden dadurch gebildet, daß die Einer¬
zahl durch „und“ mit der Zehnerzahl verbunden wird:
einundzwanzig (nicht: zwanzigeins, wie z. B. im Englischen), zweiundzwanzig,
dreiunddreißig, vierundvierzig, Sechsundsechzig, siebenundsiebzig, neunundneunzig.
Hundert ist ursprünglich ein Substantiv, das dann attributiv gebraucht
wurde. Die Hundertzahlen werden durch Verbindung der Einerzahlen
mit hundert gebildet:
[ein]hundert (hundert[und]eins, hunderteinundzwanzig), zweihundert, dreihundert
usw., neunhundert.
eine Million (italien. milione von lat. mille = tausend, also eigentlich: großes Tau¬
send), zwei Millionen, zehn Millionen, hundert Millionen, neunhundert Millionen;
eine Milliarde (= 1000 Millionen; franz. milliard), zehn, hundert, neunhundert
Milliarden;
eine Billion (= 1000 Milliarden; franz. billion), hundert Billionen;
eine Billiarde (= 1000 Billionen; franz. billiard), hundert Billiarden;
eine Trillion (= 1000 Billiarden; italien.), hundert Trillionen, tausend Trillionen,
neunhunderttausend Trillionen;
eine Quadrillion (= 1 Million Trillionen; franz.);
eine Quinquillion oder Quintillion (= 1 Million Quadrillionen; lat.);
eine Sextillion (= 1 Million Quintillionen; lat.);
eine Septillion (=1 Million Sextillionen; lat.);
eine Oktillion ( = 1 Million Septillionen; lat.) usw.;
eine Myriade (= eigentlich 10000; griech.; heute nur noch unbestimmt im
Sinne von „ungeheuer viel“, vgl. 536).
a) ein
„Ein“ hat die volle Flexion bewahren können, weil der unbestimmte Ar- 527
tikel gleich lautet. Es berührt sich mit dem Indefinitpronomen „einer“, .
besonders in der Gegenüberstellung mit „anderer“ (vgl. 497). Es ist
als Zahlwort immer stark betont und flektiert stark, wenn es allein steht;
schwach dagegen, wenn der bestimmte Artikel oder ein Pronomen mit
starker Endung vorausgeht:
eine8 Buches. Wir baten um den Besuch eines Ihrer Herren. Ich habe jetzt zwei
Freunde statt eines. . . . daß der Preuße mit dem Adel unter einer Decke liege
(Treitschke). Mit einem Worte. Die beiden Länder hatten einen König. . . . des
einen Buches, dieses einen Umstandes, meines einen Sohnes; seines einen Mund¬
winkels (Th. Mann).
Wenn „ein“ allein steht, treten jedoch die vollen Formen wieder ein:
Das Ganze ist wichtig, einer ist nichts (Burte). Nur einer kann den Vorsitz
führen. Auch nicht einer der Burschen rührte sich. Eines schickt sich nicht für
alle (Goethe).
Folgt jedoch die größere Zahl, dann wird unflektiertes „ein“ gebraucht:
einundzwanzig, einhundert, eintausend.
278 Begleiter und Stellvertreter des Substantivs
3. Wenn „und“ und eine größere Zahl (hundert, tausend usw.) vor¬
ausgehen, steht das attributive „ein“ flektiert (im Nom. Mask. und
Nom., Akk. Neutr. allerdings wieder die gekürzte Form „ein“):
hundertundwi Salutschuß; er hatte tausendiindeiwe/i Grund (Zschokke);
hundertundewe Seite, mit tausendundeinem Weizenkorn, ein Märchen aus
Tausendundeiner Nacht.
Es kann aber auch dem Sinne nach der Plural des Substantivs stehen,
dann bleibt „ein“ stets flexionslos, „und“ fällt dabei häufig weg:
mit hundert [und ]ein Salutschüssen, mit tausend [ und ]ein Weizenkörnern.
Ebenso „alles“:
Der Junge ist mein ein und [mein] alles. Meinem ein und alles kann ich doch
nichts abschlagen.
Aber:
Nach der Aussage der zwei Zeugen stimmt das nicht. Das Schicksal dieser drei
ist unbekannt.
Der flektierte Genitiv ist jedoch gebräuchlicher vor einem attributiven
Adjektiv, obwohl dieses den Fall anzeigen würde:
das Bruchstück eines Gespräches zweier spitzmäuliger Damen (Tucholsky);
der Puls dreier kräftiger Männer (E. v. Handel-Mazzetti).
Die Form „zwei“, die wir heute (seit Ende des 18. Jahrhunderts) verwenden, stand
ursprünglich nur vor neutralen Substantiven. Für Maskulinum und Femininum gab
es abweichende Formen:
mhd. Mask.: zwene man; Fern.: zwo frouwen; Neutr.: zwei kint.
Verfasser historischer. Romane und Dichter verwenden gelegentlich noch die alten
Formen, teils richtig, teils falsch:
Zwo mächt’ge Feien nahten dem schönen Fürstenkind (Uhland). Ein Hifthorn
hing ihm um die Schulter, zween Messer an der Seite (Alexis). Drum sandten
wir zwo Späher auf dem Fuß ihm nach (Scheffel).
Heute wird im Fernsprechverkehr, beim Heer u. a. vielfach „zwo“ für alle drei Ge¬
schlechter gesagt, um Verwechslungen mit „drei“ zu vermeiden. D>anach sagt man
auch schon'„zwote“, obwohl „zweite“ mit „dritte“ gar nicht verwechselt werden
kann.
Für „die zwei“ tritt zur Zählung bereits bekannter Wesen oder
Dinge oft das kollektive „beide“ mit dem Wert eines Duals ein (vgl.
495; ^96). Die tautologische Kopplung „die zwei beiden“ oder „wir
zwei beide[n]“ ist mundartlich und umgangssprachlich, besonders in
Nord- und Mitteldeutschland.
Der heute noch umgangssprachliche neutrale Singular „dreies“ faßt
(analog „beides“) zusammen:
Das Theaterstück fordert alles dreies zusammen (Goethe). . . . alles dreies auf
einmal (Lessing). Und ich bin eigentlich alles drei’s ( = Kind, Narr, Poet;
Fontane).
Zur Deklination des attributiven Adjektivs im Genitiv nach „zweier“
und „dreier“ vgl. 335.
2. Im Dativ können bei substantivischem Gebrauch alle Zahlwörter 529
von zwei bis zwölf gebeugt werden, besonders wenn der Kasus sonst
nicht deutlich würde:
Weniger Worte sind zwischen ziveien, die einander lieben, wohl nie gemacht
worden (Ebner-Eschenbach). Was zweien zu weit, ist dreien zu eng (Sprw.).
Wir gingen zu vieren auf und ab (Goethe). ... auf allen vieren in die Schule
krabbeln (Penzoldt); falls es bei fünfen sein Bewenden haben würde (Th.Mann);
er fährt mit achten (acht Pferden). Ich sage dir ja, daß sie zu zehnen sind und
nicht zu eilen (Th. Mann).
Neben den Formen auf -en in „zu zweien“ usw. finden sich indeklinable
Starrformen auf -t, die von den Ordinalzahlen abgeleitet sind:
zu zweit, zu dritt. Sonst sitzen wir Abend für Abend zu sechst im Kasino (Renn).
Wir saßen zu dritt in einer Schenke des Dorfes Eschenbach (Jatho).
Man unterscheidet bereits vielfach, aber nicht durchgehends:
zu zweien (je zwei und zwei): zu zweien 'her die Straße gehen; zu zweit (nur
zwei Personen betreffend): zu zweit in den Wald gehen.
Die auf -zehn und -zig endenden Kardinalzahlen werden im allge¬
meinen weder im Genitiv noch im Dativ gebeugt. Ausnahmen kommen
beim Dativ vor:
einer von zehnen oder zwanzigen (Lernet-Holenia).
Das gleiche gilt für die Substantivierung:
Das Frauenzimmer mochte noch in den Siebzigen sein (Meyrink).
Beugung bei attributivem Gebrauch ist veraltet und kommt heute
nur ganz selten im Dativ vor:
Und zweien Knechten winket er (Schiller). Nach dreien Tagen .. . (Th. Mann).
Über „hundert“, „tausend“, „Million“ usw. vgl. 533.
280 Begleiter und Stellvertreter des Substantivs
530 3. Die substantivisch gebrauchten Formen auf -e, die bei den Zahl¬
wörtern 2-12 möglich sind, finden sich nur noch in alter oder in
volkstümlicher Sprache. Sie werden für den Nominativ, Genitiv und
Akkusativ verwandt:
. . . und zweie kehrten zurück (Jatho); . . . vielleicht gelinge es einmal, alle
neune (= Jungen) einzufangen (Carossa). Es schlägt zwölfe. Ringel, Ringel,
Reihe! Sind der Kinder dreie (Des Knaben Wunderhorn). Keines der viere
steckt in dem Tiere (Goethe).
Fest gewordene volkstümliche Redewendungen sind:
alle viere von sich strecken, alle neune werfen (beim Kegeln).
532 5. Die Kardinalzahlen von vier an werden in keinem Falle mehr ge¬
beugt, wenn sie mit einem Substantiv verbunden sind:
die Stimmen von zehn Funktionären; die vier Elemente. Mit seinen achtund¬
achtzig Jahren ist er noch sehr rüstig.
cc) Das Gezählte steht als Apposition im gleichen Fall wie das
Zahlsubstantiv (mit oder ohne attributives Adjektiv). Diese
Konstruktion ist stark im Vordringen. Die Kleinschreibung des
Zahlsubstantivs ist sehr häufig, aber noch nicht amtlich:
auf den nackten Körpern von Hunderten schwitzenden und lachenden
Trägern (Vicki Baum); tausende Herzen (Jatho),
„Das Jahr“ oder „im Jahre“ versteht sich von selbst und wird daher
vielfach ausgelassen:
Wir schreiben jetzt 1950.1813 war die Schlacht bei Leipzig.
535 Zur Angabe der Uhrzeit dienen die flexionslosen Kardinalien (eins bis
£wölf) mit oder ohne „Uhr“. Die Formen auf -e sind veraltet oder volks¬
tümlich (vgl. 530) und stehen immer ohne „Uhr“:
Es ist eins, aber: Es ist ein Uhr. Um fünf [Uhr] aufstehen (volkst.: um fünfe auf¬
stehen; veraltet: Er geht vor zwölfe schlafen [Platen]). Der Zug fährt Punkt zwölf
[Uhr] ab. Es ist jetzt halb elf [Uhr]. Es schlägt, [ein] Viertel vor sechs. Es ist [ein]
Viertel nach sieben. Es ist fünf Minuten vor drei Viertel (dreiviertel) acht. Es ist [ein]
Viertel [auf] neun (bes. mitteldt. für: ein Viertel nach acht). Von Köllen war ich
drei Viertel auf acht des Morgens abgereist (Heine).
Für die zweite Hälfte der Tageszeit gebraucht man adverbielle Angaben,
wenn Verwechslungen mit der ersten möglich sind und umgekehrt:
Der Zug fährt um halb acht [Uhr] abends. Ich wartete bis zwei Uhr nachmittags. Um
fünf Uhr morgens. Um sechse des Morgens ward er gehenkt, um sieben ward er ins
Grab gesenkt, sie aber schon um achte trank roten Wein und lachte (Heine).
Die Zahlen 0 bis 24 (nach dem ersten Weltkrieg eingeführt) werden amt¬
lich viel gebraucht, dringen aber in die Umgangssprache nur schwer ein.
Sie stehen noch meist mit „Uhr“:
Der Zug fährt 1715 von Köln ab (gesprochen: siebzehn Uhr fünfzehn [Minuten]).
Ich komme um 20 Uhr zu dir (nicht: um 20).
„Minute“ und „Sekunde“ werden auch nach Zahlen gebeugt (vgl. 251):
fünf Minuten vor zwölf, zehn Sekunden vor halb fünf.
Sonst wird die bestimmte Zahl durch Hinzufügung zum Teil einschrän¬
kender oder erweiternder Adverbien unbestimmt gemacht (vgl. auch
560):
gegen hundert, über zwölf, unter zehn, nahezu fünfzig, um die zwanzig, ungefähr zehn,
etwa tausend. An hundfert verschiedene Leucht- und Leitfeuer bezeichnen nachts
dem Kundigen den Weg (Leip). . . . aber Warenhaus Mandel hat auch an die tausend
Angestellte (Fallada).
Ein unbestimmter Zwischen wert zwischen zwei Zahlen wird durch „bis“
ausgedrückt :
in drei bis vier Wochen, des zwölften bis fünfzehnten Jahrhunderts.
Wie die Superlative (vgl. 392) können sie nicht flexionslos gebraucht
werden, auch nicht aussagend:
der erste Schüler — der Schüler ist der erste. Fritz ist der Erste oder Erster in der
Klasse.
Die Zusammensetzungen der Ordinalzahl mit „selb-“ sind veraltet:
selbdritt (= ich [er, sie] selbst als dritter), selbviert, selbander (= selbzweit) usw.
Gelegentlich erscheint „selbdritt“ noch als Unterschrift unter Bildern,
z. B.
Anna selbdritt (von Leonardo da Vinci), d. h. die heilige Anna mit Maria und Jesus.
Neuere Schriftsteller gebrauchen die Formen altertümelnd:
Dann schritten sie selbzweit dahin (A. Schieber).
Durch Anfügen der Endung -ens an die Ordinalzahlen entstehen Ad¬
verbien, die die ordnende Reihenfolge bezeichnen., Von zwanzig an werden
sie unüblich:
erstens, zweitens, drittens usw.
Zum gelegentlichen Ersatz der Ordinalzahl durch die Kardinalzahl vgl.
1239.
3. Die Bruchzahlen
538 Die Bruchzahlen von „drei“ an entstehen durch Anfügen der Endung
-tel (= Teil) an die Ordinalzahl, deren „t“ dabei wegfällt. Da das Sub¬
stantiv „Teil“ zugrunde liegt, sind auch die Bruchzahlen ursprünglich
(neutrale) Substantive (vgl. aber unten). Statt „Zweitel“ (zweitel) sagt
man gewöhnlich „Hälfte“ (halb):
ein Drittel, drei Viertel, vier Fünftel, sechs Siebtel (älter: Siebentel), neun Zehntel,
ein Zwanzigstel, ein Hundertstel, Tausendstel, Millionstel.
„Eintel“ und „Zweitel“ werden in der Mathematik gebraucht:
2 3
zwei Hunderteintel (-j^-), drei Hundertztm'teZ (^^).
Besonders häufige Begriffe wie Pfund, Liter, Maß können dabei weg¬
fallen, so daß die Bruchzahl allein vor dem Gemessenen steht:
Ein Viertel Leberwurst, bitte! (= ein Viertelpfund). Ich möchte ein Achtel sauren
Rahm (= einen Achtelliter), ein Viertel Rotwein (= einen Viertelliter).
Aus diesen Zusammensetzungen entwickeln sich besonders bei Maßen
und Gewichten Fügungen, in denen die kleingeschriebene Bruchzahl als
indeklinable Starrform attributiv gebraucht wird:
ein achtel Kilo, ein viertel Zentner, neun zehntel Gramm, [drei und) fünf siebtel Meter.
Eine Soiiderentwicklung hat „drei Viertel“ durchgemacht: Sowohl in
substantivischer Verwendung wie als attributiv gebrauchte Starrform
wird diese Wortgruppe als Einheit gefühlt und zusammengeschrieben.
Man schreibt also
als Substantiv: in Dreiviertel der Länge, mit Dreiviertel der Masse;
als attributive Starrform (hinter der das Substantiv dann im Singular steht I): Aus
„drei Vierteljahre“ wird ,.dreiviertel Jahr“; aus ,,in drei Viertelstunden“ wird ,,in
[einer] dreiviertel Stunde“; eine und eine dreiviertel Million Menschen; aber: ein-
[undjdreiviertel Millionen Menschen.
Die Starrform ,,dreiviertel“ kann wiederum als Bestimmungswort einer
Zusammensetzung auftreten:
eine Dreiviertelstunde, dreiviertelfett (Buchdruck).
„Halb“ wird wie ein Adjektiv dekliniert (zu seiner Deklination nach 539
„alle“ vgl. 337):
Wir .trafen uns auf halbem Wege. Ich bin nur noch ein halber Mensch. Der halbe
Mond . . . war meist von treibendem Wolkendunkel überzogen (Storm).
Steht „halb“ nach der Zahl „ein“, dann wird es, analog „ein“, entweder ge¬
beugt oder nicht gebeugt (vgl. 527):
Zwei und ein halber Großbauer (Lilien fein); zwei und ein halbes Jahr
(Th. Mann); vor zwei und einer halben Stunde, eine und eine halbe Million.
Aber:
zehn mit ein halb multipliziert, drei[und]einhalb Seiten, vor zwei[und]einAaM
Stunden, ein[und]einAaZ6 Millionen.
Für „ein[und]einhalb“ (bzw. zweitehalb = das zweite [andere] nur halb)
wird auch „anderthalb“ gesagt:
Cläre wagte den ungeheuer kühnen Schritt, nach anderthalb Jahren in ihrer eigenen
Vaterstadt ... als erste Liebhaberin aufzutreten (Fr. Reuter). . . . anderthalb Mi¬
nuten (Wassermann).
„Anderthalb“ wird seltener flektiert, meist, wenn es substantivisch ge¬
braucht wird:
auf einen Schelmen anderthalbe (Goethe); anderthalbe Bahnstunden (Schaeffer).
4. Die Verteilungszahlwörter
540 Die Verteilungszahlwörter werden durch Voranstellen des Wörtchens
„je“ vor die Zahl gebildet. Sie drücken eine zahlenmäßig gleiche Ver¬
teilung aus:
Je zwei von ihnen wurden liereingeführt. Die beiden Bettler erhielten von ihm
je fünf Mark. Je dreimal.
Die Verbindung mit der Ordinalzahl ist veraltet:
In dieser Not beschloß die Landsgemeine, daß je der zehnte Bürger nach dem Los
der Väter Land verlasse (Schiller).
5. Die Vervielfältigungszahlwörter
541 Die Vervielfältigungszahlen werden von der Kardinalzahl und der Nach¬
silbe -fach (veralt.: -fältig) gebildet. Sie werden nicht nur wie ein Adjek¬
tiv, sondern auch wie ein Adverb gebraucht:
einfach, einfältig (Bedeutungsverschiebung 1); zweifach (veraltend: zwiefach),
dreifach, hundertfach, hundertfältig, tausendfach, millionenfach usw.
Unbestimmt:
mehrfach, vielfach (vielfältig), mannigfach (mannigfaltig).
Für „zweifach“ tritt seit dem 16. Jahrhundert auch „doppel(t)“ ein.
Heute unterscheidet man - aber nicht durchgehend - so, daß „zweifach“
verschiedene Begriffe, „doppelt“ den gleichen Begriff noch einmal aus¬
drückt.
Das ist ein zweifaches Verbrechen (Mord und Raub).
Aber:
Geteilte Freude, doppelte Freude (Sprw.). Doppelt genäht hält besser (Sprw.). Ein
Koffer mit doppeltem Boden.
6. Die Wiederholungszahlwörter
542 Die Wiederholungszahlwörter werden von der Kardinalzahl und dem
Substantiv „Mal“ gebildet. Wortartmäßig gehören sie zu den Adverbien.
Sie antworten auf die Frage: Wie oft ?
einmal (aber: einmal = zu irgend einer Zeit), zweimal, dreimal, zehnmal, dutzend¬
mal, hundertmal, tausendmal, millionenmal usw.
Unbestimmt:
vielmal, manchmal, allemal, einigemal, keinmal, x-mal (ugs.), beidemal, jedesmal,
etlichemal, mehreremal, unzähligemal, verschiedenemal, ein andermal, ein paarmal.
„Vielmals“ und „mehrmals“ haben die Adverbendung -s angenommen.
Durch Anfügen der Nachsilbe -ig können die Wiederholungszahlwörter
auch attributiv verwandt werden:
einmalig, dreimalig usw.
Von den unbestimmten:
jedesmalig, mehrmalig.
Die Wiederholung drückt auch der Akkusativ oder eine präpositionale
Wortgruppe mit Ordinalzahl aus:
das erste Mal oder das.erstemal, zum ersten Mal[e] oder zum erstenmal usw. (= erst¬
mals).
Unbestimmt:
viele Male, mehrere Male; zu vielen, verschiedenen, mehreren, wiederholten Malen.
Das Numerale 287
7. Die Gattungszahlworter
Die Gattungszahlwörter bezeichnen nicht die Zahl der einzelnen Gegen- 543.
stände, sondern die Zahl der Gattungen, der Arten, aus denen etwas
besteht. Sie sind zusammengesetzt aus den Genitiven der Kardinalzah¬
len oder der unbestimmten Zahlwörter und der Nachsilbe -lei (mhd.
lei[e] = Art).
Sie stehen als undeklinierbare Attribute,, werden aber auch als selbstän¬
dige Satzglieder verwendet:
(ein Schluß) von einerlei Kost zu einerlei Neigung (Schiller); ihn singen hören oder
trinken aus Lethes Flut war einerlei (Wieland); er hatte zweierlei zu tun (Leip); (er)
tut zehnerlei gleichzeitig (Spoerl).
F. DIE PARTIKELN
Bereits in Ziff. 46 ff. hatten wir jene Wörter, die nicht zu den drei Haupt- 544
Wortarten oder zu den Begleitern und Stellvertretern des Substantivs ge¬
hören, als Restgruppe erkannt. Gemeinsam ist diesen Wörtern, daß sie
- von geringen Ausnahmen abgesehen - keiner Formveränderung unter¬
liegen. Dies läßt bereits darauf schließen, daß ihre Verwendung im Satz
eng begrenzt ist.
Eine dieser Wortart zukommende Grundleistung ist kaum zu erkennen.
Hans Glinz hat sie mit den Begriffen „Lage, Situation“ zu umreißen
versucht.1 Wahrscheinlich aber wird man nur negativ sagen können, daß
es dieser Restgruppe zufällt, alle Aufgaben im Satz zu übernehmen, die
von den anderen Wortarten nicht erfüllt werden können. Da diese Auf¬
gaben unterschiedlich sind/haben sich bestimmte Wörter dieser Rest¬
gruppe für bestimmte Aufgaben spezialisiert, so daß auch hier, wie bei
den Begleitern und Stellvertretern des Substantivs (vgl. 414), Funktions¬
gruppen unterschieden werden müssen, nämlich die Adverbien, die Prä¬
positionen und die Konjunktionen.
Manche Wörter der Gesamtgruppe vermögen in mehreren dieser Funk¬
tionsgruppen zu stehen. Daraus ergeben sich zahlreiche Einordnungs¬
schwierigkeiten. Man kann aber der Leistung dieser Wortart für den Satz
nur von den Teilleistungen, d. h. von den Funktionsgruppen her gerecht
werden.
1 H. Glinz, Der deutsche Satz, S. 43. Die Bezeichnung „Partikel“ (lat. particula =
Stückchen, kleiner Teil) sagt über diese Leistung nichts aus.
288 Die Partikeln
I. Das Adverb
ß) Die Zahl, das Maß, die Quantität (über die Zahladverbien vgl. 537; 549
541; 542)
etwas, mehr, meistenteils, minder, genug, erstens, zweitens, zweimal, dreimal,
a) Die Pronominaladverbien
Die Pronominaladverbien sind von alten Pronominalstämmen gebildete 554
Adverbien:
h-Adverbien: hier, hin, her;
d - Adverbien: da, dort, dann;
w-Adverbien: wie, wo, wann usw.
Diese Adverbien können oft Zusammensetzungen unter sich (hierher,
dahin), mit anderen Adverbien (dar-innen = drinnen) oder mit Prä¬
positionen (hieraus, hinab, damit, wofür) eingehen. Die Herkunft von
Pronominalstämmen zeigt sich auch noch darin, daß alle Pronominal¬
adverbien stellvertretend für ein Substantiv stehen:
da =■ an dieser Stelle; damit = mit dem Hammer; wo = an welcher Stelle ?
Wohin (Richtungsangabe):
Demonstrativ: her (Richtung auf den Sprechenden zu): Komm her!
hin (Richtung vom Sprechenden weg): Ich gehe hin.
dahin (allgemein): Ich gehe nicht dahin.
hierher (Nähe): Kommst du hierherf
hierhin (Nähe): Setze dich hierhin!
dorthin (Feme): Ich gehe nicht dorthin.
Interrogativ: wohin ? : Wohin gehst du ?
Relativ: wohin: der Ort, wohin (= nach dem) ich gehe . ..
dahin (veralt.): in Regionen, dahin (= in die) ich ihr nicht
folgen kann (Immermann).
Indefinit: [irgend]wohin: Die beiden wollten nie getrennt irgendwohin
oder (ugs.:) wohin gehen.
292 Die Partikeln
Woher (Herkunftsangabe):
Demonstrativ: daher (allgemein): Daher, wo du gewesen bist, komme ich. Vom
Himmel hoch, da komm' ich her (Luther),
von daher (allgemein): Ich komme von daher, wo du gewesen
bist.
von dannen (allgemein; veralt.): von dannen gehen,
von hier (Nähe): Von hier [aus] hat man einen schönen Rund¬
blick.
von hinnen (Nähe; veralt.): von hinnen gehen,
von dort [her] (Ferne): von dort [her] kommen.
Interrogativ: woher ?: Woher kommst du ?
von wannen (veralt.): Von wannen'kommt dir diese Wissen¬
schaft ? (Schiller).
Relativ: woher: der Ort, woher (— von dem) ich komme .. .
Indefinit: [irgend]woher: Er muß es irgendwoher oder (ugs.:) woher neh¬
men.
b) Zeit:
Demonstrativ: da: Da kamen zum Küchenfenster zwei weiße Täubchen her¬
ein (Grimm); von da an.
dann (alsdann, sodann): Dann kam ein Häschen zum Vor¬
schein.
dann und wann, hier und da, hin und wieder (wie oft ?): Dann
und wann leistete er sich eine Zigarette.
Ferner: darauf, hierauf, vorher, forthin, nachher, hernach,
bisher.
Interrogativ: wann ?: Wann kommst du ?
Relativ: wann (veralt.): In schönen Sommertagen, wann (= an denen)
lau die Lüfte wehn, da . . .(Uhland). Im Herbste, wann (= in
dem) die Trauben glühn (Geibel).
da: In der Zeit, da (= in der) sich dies ereignete,
wo: ln der Zeit, wo (= in der) sich dies ereignete; an Tagen,
wo . . . Es gibt im Menschenleben Augenblicke, wo man dem
Weltgeist näher ist als sonst (Schiller). Vgl. dazu 1061.
Indefinit: irgendwann: Irgendwann wirst du dich doch entscheiden
müssen.
d) Grund:
Demonstrativ: daher, darum, davon (kausal): Darum kann es nicht sein. Da¬
von kann man krank werden.
dazu, hierzu (final): Und dazu ward ihm der Verstand, daß er
im innern Herzen spüret, was er erschafft mit seiner Hand
(Schiller).
sonst (konditional): Du mußt Licht machen, ich kann sonst
nicht arbeiten.
dadurch, hierdurch, somit, damit, hiermit (instrumental): Ich
kann dadurch in die ärgsten Ungelegenheiten kommen.
Das Adverb 293
Oft steht aber auch schon bei Sachen und Abstrakta die Verbindung
Präposition 4- Pronomen:
Neben.dem Zaun aber, in gleicher Linie mit ihm ( = damit) stand eine
gfüngestrichene Bank (Fon tane).
Sogar das unbetonte „es“ wird manchmal nach einer der obengenann¬
ten Präpositionen gebraucht. Die Schriftsprache vermeidet allerdings
gewöhnlich diesen Gebrauch, der dem „es“ eine Betonung verleiht, die
, es nicht tragen kann1:
... als eine warme Menschenhand sich vorsichtig und sicher auf es
(= das Küken) niedersenkte (Jatho).
1 Jacob Grimm setzte sich zwar sehr für das „es“ in dieser Stellung ein.
Das Adverb 295
b) Die Adverbendung -e
Die Adverbendung -e (althochdt. -o, mittelhochdt. -e) hat sich in Resten 559
erhalten. Sie ist zum Teil veraltet, zum Teil noch umgangssprachlich:
Warte nur, balde ruhest du auch (Goethe). Nein, nein: sie wandelt oft und gerne zur
Kirche hin, obschon sie ferne (W. Busch).
Diese Endung stand früher auch bei Adjektiven, wenn sie in der Rolle
eines Adverbs standen:
Guter Mond, du gehst so stille . . . (unbek. Verf.). Hu, wie pfiff der Wind so kalte ...
(Scheffel).
562 Zu den Adverbien, die heute auf dem Wege in die Wortart Adjektiv sind,
gehören vor allem jene, die aus einem Substantiv und -weise zusammen¬
gesetzt sind. Sie können allerdings nur dann attributiv stehen, wenn sie
sich auf ein Nomen actionis (vgl. 689) beziehen. Dieser Gebrauch wird seit
dem 18. Jahrhundert in steigendem Maße üblich:
Stine macht eine ruckweise ärgerliche Kopfbewegung (= sie bewegt ruckweise den
Kopf) (L. von Strauß und Torney). Ebenso: das schrittweise Vorgehen, die zeit¬
weisen Unterbrechungen,-die teilweise Erneuerung, der stückweise Verkauf, die
probeweise Anstellung, eine strafweise Versetzung, die zwangsiccisc Versteigerung.
563 Man vermeide es, Adverbien zu solchen Wörtern (z. B. Verben, Adjek¬
tiven, Adverbien, Konjunktionen) zu setzen, die schon gleiche oder ähn¬
liche Bedeutung haben. Dieser Fehler gilt als Pleonasmus1:
Nicht: Wir haben bereits schon erklärt, daß wir mit dieser Sache nichts zu tun haben
wollen. Sondern: Wir haben bereits (oder: schon) erklärt . . . Nicht: Zu alledem
kommt noch hinzu, daß . . . Sondern: Zu alledem hemmt hinzu, daß . . .
Man verwechsele nicht „darin“ mit „darein“ und „worin“ mit „worein“. 564
„Darin“ und „worin“ bezeichnen die Lage, „darein“ und „worein“ die
Richtung:
Falsch: Er vertiefte sich darin. Richtig: Er vertiefte sich darein (= in das Buch).
Falsch: ... ein Zettelchen, worin ich Geld gewickelt hatte. Richtig: ... ein Zettel¬
chen, worein ich Geld gewickelt hatte.
ß) her / hin
Im allgemeinen bedeutet „her“ die Richtung auf den Sprecher 2u, „hin“ 565
die von ihm weg. Dieser Unterschied wird aber von den Sprechenden
nicht in allen Fällen festgehalten. Je undeutlicher oder zweifelhafter die
Richtung wird, desto mehr tritt „her“ an die Stelle von „hin“ (zumal bei
übertragenen Bedeutungen):
eine Tablette Aerunter- oder Amunterschlucken; sein Haar floß die Schultern herab
oder Airtab; etwas her- oder Aingeben; etwas frei Aeraussagen; sich zu jemandem
Aßrablassen; er ist herein- oder reingcfallen; er ist ganz Amintergekommen; ein
Buch Aßrausgcben; jemanden Acrabsetzen; er ist sehr hinter dem Geld her.
y) herum/umher
Von manchen Sprachpflegern wird eine scharfe Unterscheidung dieser 566
beiden Adverbien gefordert. Dies ist nicht voll durchführbar. „Herum“
bedeutet „rundherum“, also eine kreisförmige Bewegung (um die Stadt
herumlaufen), „umher“ heißt „kreuz und quer, dahin und dorthin, nach
dieser und jener Richtung“ (in der Stadt umherlaufen). Die Umgangs¬
sprache richtet sich gar nicht nach dieser Begriffstrennung, sie bevorzugt
„herum“, auch wo „umher“ stehen müßte:
sich herum treiben, Amiiwfuchteln, Aenziulungcrn, Aerumdrucksen.
Wo die Richtung zweifelhaft wird, wählt auch die Schriftsprache oft
schon „herum“:
sich Aerwwisprechen (Kreis oder Zickzack?), jemanden Aerwmschwenken, sich
Aenmwälzen.
Sie tut es auch in allen Fällen, wo eine erfolglose oder unnütze, aber an¬
haltende Beschäftigung mit einer Sache ausgedrückt werden soll:
an etwas Aerwmbasteln, Aerwmtüfteln, an jemandem her um erziehen, im Zimmer
Aerumhantieren, müßig Aßruinstehen.
298 Die Partikeln
d) fort/weg
567 Der Ersatz von „weg“ durch „fort“ geht von Norddeutschland aus. Man
unterscheidet schriftsprachlich aber noch:
Die Strömung hat die Brücke wepgerissen (= beiseite). Die Strömung hat das Boot
mit /orfgerissen (= vorwärts). Dieser Abschnitt ist weßrgefallen (nicht: fortgefallen,
auch nicht: in Fortfall gekommen). Er fuhr fori zu lesen. Aber: Er fuhr weg, ohne
sich verabschiedet zu haben.
Positionen, die keinerlei Beziehungen mehr zum Adverb haben und völlig
zur Präposition „erstarrt“ sind (außer, binnen, einschließlich, seit).
Dann gibt es Präpositionen, die nur noch beschränkt als Adverbien auf-
treten können (ab, an, auf, aus, bis usw.; vgl. 560). Eine dritte Gruppe
bilden diejenigen, die auch als Adverb, meist in Verbindung mit Raum¬
verben, noch lebenskräftig sind (abseits, außerhalb, innerhalb, dies¬
seits, fern, jenseits, entlang, inmitten, nahe, oberhalb, unterhalb, unfern,
unweit, längs, anfangs, ausgangs, eingangs). Eine vierte Gruppe besteht
aus Adverbien, die man heute zwar noch nicht als „Präpositionen“ be¬
zeichnet, die aber gelegentlich in der Art einer Präposition verwendet
werden können (seitab, rings, rechts, links, nordwärts, zuleide, zuliebe,
je):
links des Hauses (Stifter; für: links vom Hause), rechts und links der Isar (für:
seitab des Weges (Raabe; für: seitab vom Wege).
rechts und links von der Isar),
Auch aus anderen Wortarten erhalten die Präpositionen Zuzug. Heute 571
sind es insbesondere Adjektive und Partizipien. Viele von ihnen sind erst
auf dem Wege zur Präposition;
frei deutsche Grenze liefern; fob (= free on board) deutschen Ausfuhrhafen; gelegent¬
lich seines Besuches; nördlich der Donau; entsprechend seinem Verhalten.
Die Aufgabe der Präposition ist es, die Art des Verhältnisses anzugeben, 572
in welchem das ihr folgende Substantiv zu einem anderen Substantiv
steht. So kann z. B. das Subjekt „Buch“, das mit dem Prädikat „liegen“
verbunden wird, zu dem Substantiv „Schrank“ in verschiedene Verhält¬
nisse treten (vgl. 574):
Das Buch liegt auf dem Schrank, in dem Schrank, unter dem Schrank.
Über die Präpositionen „ohne, um, statt“, die in Verbindung mit der
Konjunktion „daß“ oder der Präposition „zu“ Gliedsätze oder Infinitiv¬
gruppen anschließen (ohne daß, ohne zu, um zu, [anjstatt daß, [anjstatt
zu), vgl. 1039; 1079.
а) Raumverhältnis
ab, abseits, an, auf, aus, außer, außerhalb, bei, bis, diesseits, jenseits,
durch, entlang, fern, gegen, gegenüber, gen (veraltet), hinter, in, in¬
mitten, innerhalb, längs, nach, nächst, nahe, neben, ob (veraltet), ober¬
halb, seitlich, seitwärts, über, um, unfern, unter, unterhalb, unweit, von,
von - an, vor, wider, zu, zunächst, zwischen.
Das Buch liegt auf dem Tisch. Er schläft unter freiem Himmel. Übertragen: Er be-
harrt auf seiner Meinung. Ich befinde mich in einer schlimmen Lage.
ß) Zeitverhältnis
ab, an, auf, bei, binnen, bis, durch, für, gegen, in, innerhalb, mit, nach,
seit, über, um, unter, von - an, vor, während, zeit, zu, zwischen.
Er fährt gegen Abend. Er kommt in drei Tagen. Er bleibt von Ostern bis Pfingsten.
y) Modalverhältnis
abzüglich, an, auf, aus, ausschließlich, außer, bei, bis an, bis auf, bis zu,
einschließlich, entgegen, für, gegen, gegenüber, gemäß, in, mit (nebst,
[mit-, zu-]samt), nach, ohne, sonder (veralt.), über, unter, von, wider, zu,
zuwider, zuzüglich.
Er spricht in Rätseln. Er ist außer Fassung. Er ist ihm gegenüber ein Riese.
б) Kausalverhältnis
an, angesichts, anläßlich, auf, aus, behufs, bei, dank, durch, für, -halben,
halber, infolge, kraft, laut, mangels, mit, mittels[t], nach, ob (veraltet),
trotz, über, um, um - willen, unbeschadet, ungeachtet, unter, ver¬
mittels^], vermöge, von, vor, wegen, wider, zu, zufolge, zwecks.
Er ist von all der Arbeit erschöpft. Auf die erste Nachricht von dem Unglück eilte
er nach Hause. Ich sage es dir aus diesem Grunde.
eines deutschen Wörterbuches. (Große Hilfe gewährt hier auch der „Stil¬
duden“). Im folgenden seien nur einige Fälle zusammengestellt, bei denen
die Wahl der Präposition Schwierigkeiten bereitet:
Forderung an . . . (nicht: gegen)
Annäherung an .. . (nicht: zu)
Bedarf an . . . oder (kaufm.) in . . . (nicht: für)
Hoffnung, Zuversicht, Vertrauen auf . . . (nicht: in)
Rücksicht auf .. . (nicht: für)
stolz auf .. . (nicht: über)
anwesend bei . . . (nicht: an)
sich entscheiden für .. . (nicht: zu)
verantwortlich für . . . (nicht: an)
Interesse für oder an . . . (nicht: nach)
Mißtrauen, Groll, Zorn, Wut, Haß, Feindschaft, Güte, Milde, Großmut gegen ...
(nicht: für oder zu)
Freundschaft mit.. . (nicht: für oder zu)
Verbundenheit mit . . . (nicht: zu)
zufrieden mit.. . (nicht: über)
Verkauf von . . . (nicht: in)
Verständnis von seiten .. . (nicht: durch)
sich schämen wegen . . . (nicht: über)
bekannt, berühmt wegen ... (nicht: für oder durch)
Liebe, Neigung zu . .. (nicht: für)
Es gibt Sprachpflege!*, die den Gebrauch von „für“ statt „gegen“ in
Sätzen wie „Geben Sie mir ein Mittel gegen meinen Husten!“ verpönen,
aber zu Unrecht. Dem „für“ liegt die Vorstellung zugrunde, daß ein
Schutz, ein Mittel vor die abzuwehrende Sache gestellt wird. Hier ist
eine alte Bedeutung von „für“, die sonst nicht mehr lebendig ist, be¬
wahrt worden.
altend), unfern (vgl. 582), ungeachtet, unterhalb, unweit (vgl. 582), ver¬
mittels^] (vgl. 582), vermöge, vorbehaltlich, während (vgl. 582; 589),
wegen (vgl. 582; 589), von - wegen, zeit, zufolge (vgl. 582; 589), zu¬
gunsten, zuungunsten (vgl. 582), zuzüglich, zwecks u. a.
Beachte:
1. Bei stark deklinierten Substantiven ist der Genitiv Plur. undeutlich; es sei denn,
er drückt sich an einem Attribut aus. Fehlt dieses, dann wird häufig auf den
Dativ Plur. ausgewichen:
innerhalb zehn Monaten (statt: zehn Monate; aber mit deutlichem Fall, weil
gebeugtes Attribut: innerhalb dreier Monate); mangels Beweisen (statt: Be¬
weise; aber: mangels eindeutiger Beweise); trotz Irrtümern (statt: Irrtümer;
aber: trotz vieler Irrtümer).
2. Auch der Dativ Sing, steht gelegentlich an Stelle des Genitivs, weil der Genitiv
Sing, als Fall nicht deutlich würde oder weil Genitivhäuftmg einträte:
. . . daß statt Bösem Gutes daraus gewonnen wird (R. Hildebrand); allem
Abmahnen Truds -unerachtet (Fontane); während Müllers aufschlußreichem
Vortrag', ob dieses Landvogts Geiz (Schiller).
3. Der Genitiv nach Präpositionen kann vielfach durch „von“ -f Substantiv (oder
Pronomen) ersetzt werden, besonders dann, wenn das Substantiv allein oder
ohne den Fall ausdrückendes Attribut steht. Bei nachfolgendem Pronomen ist
dies die Regel. Die Präposition wird dadurch zum Adverb:
jenseits von Gut und Böse (Nietzsche); seitwärts von unserem Hof (Storni);
innerhalb von vier Wänden (Raabe); abseits von seinen Kameraden (Raabe);
unterhalb von uns (Halbe).
B eachte:
1. Selbst im Zustandspassiv (vgl. 110) bleibt die Rektion der aktiven Fügung er¬
halten :
Sie ist in ihre Arbeit vertieft (weil: sich vertiefen in eine Arbeit) und nicht: Sie
ist in ihrer Arbeit vertieft, wie es der ruhende Zustand erwarten lassen könnte.
Bei den zuvor genannten Verben, nach denen der Akkusativ oder Dativ stehen
kann, steht im Zustandspassiv, bei dem die Vorstellung der Lage überwiegt, nur der
Dativ:
Sie ist im Keller eingeschlossen. Das Bild ist an der Wand befestigt.
2. Die gelegentliche Vorstellung, daß bei Rektionsschwankungen der Akkusativ
gesetzt werden müsse, wenn es sich um etwas Zukünftiges, aber der Dativ, wenn es
sich um etwas Vergangenes handelt, ist irrig:
Es heißt bei Zukunft wie bei Vergangenheit: Ich werde den Schatz in der oder
in die Erde vergraben. Ich vergrub den Schatz in der oder in die Erde.
Ist bei übertragenem Gebrauch die Lage- oder Richtungsvorstellung 581
noch deutlich, so wird wie bei konkretem Gebrauch entschieden:
Lage:
Ich bestehe auf meiner Forderungl. Das beruht auf einem Irrtum. Er reist unter
einem fremden Namen.
Richtung:
Ich denke an dich. Die Mutter achtete auf das Kind. Er stellte sich unter den Schutz
der Regierung.
Wo die Raum Vorstellung jedoch völlig geschwunden ist, regieren „an, in,
unter, vor, zwischen*‘ den Dativ, „auf, über“ den Akkusativ:
Dativ:
Ich erkenne ihn an seinem Bart. Er tat es in meinem Namen. Unter allen Umständen.
Kinder unter zehn Jahren. Er beschützte sie vor den vielen Gefahren einer langen
Reise. Es war kein großer Unterschied zwischen den Schwestern.
Akkusativ:
Auf jede Weise. Auf dieses Verbrechen steht Zuchthaus. Kinder über zehn Jahre. Sie
rümpfte die Nase über seine Grobheit. Über alle Maßen.
1 Die Konstruktion mit Akkusativ: „Ich bestehe auf meine Forderung“ ist veraltet und
und heute selten.
304 Die Partikeln
Beachte:
Bei Gleichzeitigkeit zweier Tätigkeiten, deren erste oft den Grund für die zweite
bildet, regiert „über“ heute den Dativ oder den Akkusativ, wobei der Sprachgebrauch
entscheidet:
Über dem Lesen das Essen vergessen.
Dies gilt auch, wenn an die Stelle einer Tätigkeit eine Sache tritt:
über dem Lärm erwachen. Laß dir über diesen Vorfall keine grauen Haare wach¬
sen! Er hat über diesen Dingen den Verstand verloren.
ab
wird heute in der Verkehrs- und Verwaltungssprache wieder als Prä¬
position gebraucht. Es regiert den Dativ:
ab unserem Werk, ab erstem April.
Der Akkusativ bei Zeitangaben ist weit verbreitet, gilt jedoch als um¬
gangssprachlich :
ab ersten April.
Dieser Fügungsweise hat wohl der adverbiale Akkusativ der Zeit (den
ersten April) als Vorbild gedient.
außer
regiert gewöhnlich den Dativ, bei Verben der Bewegung den Akkusativ,
in seltenen. Resten den Genitiv:
Dativ:
außer dem Haus, außer allem Zweifel, ich bin außer mir.
Akkusativ:
außer Kurs, außer Tätigkeit, außer stand, außer allen Zweifel setzen, außer Zu¬
sammenhang stellen; ich geriet außer mich.
Genitiv:
außer Landes gehen, außer Hauses sein.
Über „außer“ als Konjunktion vgl. 605.
bei
regiert heute nur noch den Dativ (Lage):
bei dem Hause, bei den Eiehen.
Der Akkusativ (Richtung) ist veraltet und kommt nur noch in der Kin¬
der- und Volkssprache vor:
Komm bei mich, Vati! (ugs.). Die Katze legte sich auf den Herd bei die warme
Asche (Grimm). Die Fliegen gehn bei die Wurst! (norddt. ugs.).
Überreste der akkusativischen Fügung haben sich bei „Seite“ erhalten,
weü der Dativ gleich lautete:
etwas beiseite legen, schaffen, setzen, bringen; jemanden beiseite nehmen.
Die Präposition 305
binnen
regiert überwiegend den Dativ:
binnen kurzem, binnen den nächsten drei Stunden (Raabe).
Der Genitiv gehört der gehobenen Sprache an:
binnen eines Monats (Schiller); binnen knapper zwei Wochen (Th. Mann).
bis
steht entweder allein oder in Verbindung mit anderen Präpositionen; es
regiert den Akkusativ, wenn es allein steht. In Verbindung mit anderen
Präpositionen ist „bis“ Adverb, dann bestimmt die nachfolgende Prä¬
position den Fall:
bis nächsten Oktober, bis diesen Tag (Schiller); bis an die Elbe, bis zum Berge.
Bei einer folgenden Apposition achte man darauf, daß sie in dem Fall
erscheint, den „bis“ verlangt:
bis Dienstag, den 3. September.
Nicht: (man) gelangt aber vorderhand nur bis Landquart, einer kleinen Alpenstation.
Sondern:. . . bis Landquart, eine kleine Alpenstation.
Über „bis [zu]“ als ein die Unbestimmtheit angebendes Adverb bei Zahl¬
angaben vgl. 560.
dank
Man sollte bei „dank“ als einer unechten, aus einem Substantiv ent¬
standenen Präposition den Genitiv erwarten, der übrigens auch öfter
irrtümlich verwendet wird:
dank des besonders schönen Wetters, dank seines ehrlichen Willens.
Der richtige Dativ entspringt dem besonderen .syntaktischen Verhältnis
der Ellipse, das hier zugrunde liegt:
Dank sei seinem Einfluß = dank seinem Einfluß.
entlang
verbindet sich heute meist mit dem (vorangestellten) Akkusativ:
den Wald entlang (Deibel). Sie gingen die Reihe der Tischchen entlang (Th. Mann).
Früher wurden der Dativ und selbst der Genitiv daneben gebraucht:
entlang dem Hügel (Droste-Hülshoff); entlang dem unteren Rande (Storm); entlang
eines süß rauschenden Baches (E. T. A. Hoffmann).
Reines Adverb ist „entlang“ in der Fügung:
am Ufer entlang.
innerhalb
regiert gewöhnlich den Genitiv, wenn dieser formal erkennbar ist:
innerhalb eines Jahres, innerhalb dreier Monate.
Wenn der Genitiv (bei mehrzahligen starken Substantiven) formal nicht
zu erkennen ist, setzt man den Dativ (vgl. laut, wegen):
innerhalb drei Monaten.
Sonst ist der Dativ veraltet und gilt nicht mehr als schriftsprachlich:
innerhalb den geweihten Mauern (Zschokke), innerhalb dem Kreise (Goethe).
306 Die Partikeln
längs
regiert den Genitiv, daneben auch den Dativ:
längs seines Kornfeldes (Wieland), längs der Fronten der Paläste (Jelusich).
Der Dativ hat sich festgesetzt, weil er sich beim Femininum nicht vom
Genitiv unterscheidet:
die Wälder längs der Straße (Flex; Genitiv oder Dativ).
Daher auch:
längs dem ganzen TJfer (Schiller).
Der Dativ wird besonders auch dann gesetzt, wenn dem starken Sub¬
stantiv ein weiteres starkes Substantiv im Genitiv folgt. Dem Gleichklang
der Artikel weicht man dadurch aus:
längs des Simses des Palastes, dafür besser: längs dem Simse des Palastes.
laut
regiert den Genitiv:
laut [des, eines] amtlichen Nachweises.
Folgt ein alleinstehendes starkes Substantiv im Singular, so wird dieses
nicht flektiert, was besonders in der Kaufmanns- und Kanzleisprache,
aber auch in der Alltagssprache üblich ist (vgl. 323 und mittels, wegen):
laut Vertrag, laut Bericht, laut Übereinkommen, laut Befehl.
Steht ein alleinstehendes starkes Substantiv im Plural, dann wird der
Dativ gewählt, weil der Genitiv auf Grund seiner Übereinstimmung mit
dem Nominativ und .Akkusativ den Fall nicht deutlich erkennen ließe:
laut Briefen.
Dieser Dativ ist auch in den Singular eingedrungen:
laut ärztlichem Gutachten, laut dem Verhaftbefehl (Heine), laut beiliegendem Briefe
(Schiller).
Der Dativ steht auch dann, wenn dem starken Substantiv ein weiteres
starkes Substantiv im Genitiv folgt:
laut des gestrigen Berichtes des Oberbürgermeisters, dafür besser: laut dem gest¬
rigen Bericht des Oberbürgermeisters.
Das Vorbild von „nach“ trägt ebenfalls zur Wahl des Dativs bei.
mittels
regiert den Genitiv:
mittels eines Drahtes.
Ein alleinstehendes einzähliges starkes Substantiv steht in der Alltags¬
sprache unflektiert (vgl. 323 und laut, wegen):
mittels Draht.
ob
ist veraltet oder noch dichterisch. Es regiert in kausalem Sinne meist
den Dativ, seltener den Genitiv (was auf der gleichen Form des Genitivs
und Dativs bei Feminina beruht):
Du bist dem Lehrer zu vergleichen, der seinen Zögling ob gestohlenen Kirschen aus¬
schalt (Uhland). ... schwankend ob all dem Abenteuerlichen (Raabe). Ihr seid ver¬
wundert ob des seltsamen Gerätes in meiner Hand (Schiller). Und das griechische
Mädchen . . . hielt ob dieses seltenere Kusses still (Jatho).
Die Präposition 307
ohne
mit dem Dativ erhielt sich schriftsprachlich bis Lessing, mundartlich bis
heute; ein Rest ist „ohnedem“ und das Sprichwort:
Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr.
Heute regiert „ohne“ den Akkusativ:
ohnedies, ohne den Vater.
statt (anstatt)
hat den Genitiv nach sich. Der Dativ gilt als veraltet oder als umgangs¬
sprachlich; schriftsprachlich steht er nur, wenn ein weiteres starkes Sub¬
stantiv im Genitiv folgt oder wenn der Genitiv nicht deutlich würde:
habe er . . . den Müller statt seiner zum Präsidenten gemacht (Gaudy).
Veraltet:
statt einem solchen Steine (Lessing), statt feierlichsten Grußes, wie sich ziemte, statt
ehrfurchtsvollem Willkomm (Goethe; Genitiv und Dativ 1).
Ugs.:
Jetzt muß ich statt dem Vater den Brief schreiben.
Aber noch:
Statt dem Plan des Vaters (für: Statt des Planes des Vaters). Statt Worten will ich
Taten sehen. ... daß statt Bösem Gutes daraus gewonnen wird (R. Hildebrand).
trotz
ist aus dem wie eine Interjektion gebrauchten Substantiv „Trotz!“ her¬
vorgegangen und stand ursprünglich mit dem Dativ (Trotz sei. . .):
Dem widersprech’ ich trotz Ihnen (Lessing). Trotz meiner Aufsicht, meinem starken
Suchen nach Kostbarkeiten noch geheime Schätze 1 (Schüler).
Geblieben ist der Dativ in „trotzdem“, in „trotz allem“ und in „trotz
alledem“. Nach dem Vorbild anderer Präpositionen ist jedoch heute der
Genitiv durchgedrungen:
trotz alles Widerstrebens (Baabe); trotz heftiger, ja verzweifelter Anstrengungen
(Th. Mann).
Der Dativ ist daneben aber noch nicht falsch geworden; er steht besonders
dann, wenn ein starker Genitiv unmittelbar beim Substantiv steht:
trotz des Meeres wilde.;. Rauschen (statt: trotz des Meeres wilden Rauschens oder
trotz des wilden Rauschens des Meeres)
unfern, unweit
regieren den Genitiv. Der Dativ ist veraltet oder umgangssprachlich:
unfern eines verwachsenen Weges (G. Keller), unweit des Ofens (G. Hauptmann).
Veraltet:
unfern dein Kloster (Schiller), unweit dem Städtchen (Nicolai),
während
regiert den Genitiv, da es aus einer absolut gebrauchten partizipialen
Genitivfügüng erwachsen ist:
währendes Krieges (Lessing) = während des Krieges, währender Zeit = während
der Zeit.
Der Dativ erklärt sich aus der gleichen Form des Genitivs und Dativs bei
Feminina; er ist veraltet oder umgangssprachlich:
Während dem Schießen und Geschrei war er aus dem Wagen gesprungen (Tieck).
Der Dativ ist jedoch bei mehrzahligen starken Substantiven anzuer¬
kennen, da hier der Genitiv mit dem Nominativ und dem Akkusativ
gleich lautet:
während zehn Jahren.
Er lebt auch noch in der Zusammensetzung „währenddem“, bei voraus¬
gehendem starkem Genitiv: 9
während meines Freundes Hiersein
und bei dem Relativpronomen „welcher“:
Erinnerst du dich noch jenes Gewitters, während welchem ich dich dort traf ... ?
(Baabe).
wegen
regiert schriftsprachlich den Genitiv:
wegen eines Motorschadens.
Der Dativ ist veraltet, umgangssprachlich oder süddeutsch:
Veraltet: wegen dem ungewöhnlichen Empfang (Wieland). IJgs.: wegen mir, wegen
dem Kinde. Süddt.: wegen dem Kreuzmann! (Scheffel), österr.: wegen dem Hunde
(Stifter). Schweiz.: wegen einem Dorfbonzen (V. Brunner).
Der Dativ ist aber anzuerkennen, wenn ein starker Genitiv dem Substantiv
vorausgeht :
wegen Ludwigs Tode.
Ferner bei alleinstehenden, mehrzahligen starken Substantiven, weil der
Genitiv mit dem Nominativ und Akkusativ gleich lauten würde:
wegen Geschäften, wegen Sommerkostümen (L. Fulda).
Ein ähnlicher Grund liegt auch vor bei:
wegen etwas anderem, wegen manchem, wegen Vergangenem und Zukünftigem.
Ein alleinstehendes starkes Substantiv in der Einzahl steht oft schon
ohne Beugungsendung (vgl. 323 und laut, mittels); dies gilt aber nooh
nicht als völlig korrekt:
wegen Umbau, wegen Urlaub geschlossen, wegen Mangel an Lebensmitteln. .
Tritt „wegen“ zu einem Personalpronomen, dann werden in der Schrift¬
sprache die Zusammensetzungen „meinetwegen“, „unsertwegen“ usw.
gebraucht. „Wegen mir, wegen uns“ usw. ist allgemein umgangssprach¬
lich, „wegen meiner“ usw. veraltet oder landschaftlich (Bayern, Schwa¬
ben, Niederrhein).
zufolge
regiert meist den Genitiv, wenn das Substantiv folgt, den Dativ, wenn
es voransteht:
zufolge seines Wunsches, seinem Wunsche zufolge.
Der Dativ ist ursprünglich, weil „folgen“ mit dem Dativ verbunden wird.
Die Präposition 309
zugunsten (zuungunsten)
regiert wie „zufolge“ den Dativ, wenn das Substantiv voransteht, den
Genitiv, wenn das Substantiv folgt:
zugunsten des Examinanden- (Raabe), zuungunsten der Römer (Mommsen).
f) Fremde Präpositionen
Von fremden Präpositionen haben „inklusive“, „exklusive“ und andere 583
Rektion nach deutschem Vorbild angenommen, wenn der Fall durch
ein Begleit wort deutlich wird:
inklusive aller Versandkosten (analog: einschließlich aller Versandkosten); per
ersten Januar (analog: zum ersten Januar, für den ersten Januar); punkto gottloser
Reden.(C. F. Meyer; analog: betreffs gottloser Reden); pro Angestellten (analog: für
jeden Angestellten)1; vis-ä-vis (veraltet) dem Bahnhof (analog: gegenüber dem Bahn¬
hof).
1 Dieses „pro“ wird heute oft durch „je“ ersetzt, das aber noch keine Präposition im
eigentlichen Sinne ist. Man schwankt deshalb, welchen Kasus man wählen soll. Analog
„pro“ wird gern der Akkusativ gesetzt (je angefangenen Monat), daneben aber auch der
Nominativ (je angefangener Monat), aus der Vorstellung heraus, daß „je“ noch Adverb
ist. Beides ist richtig.
310 Die Partikeln
Nicht zu verurteilen ist es, wenn die Präposition mit einem Adverb oder
einer Konjunktion zusammensteht, die auch als Präposition auftreten
können:
mit gegen hundert Arbeitern, eine Summe von über tausend Mark, bis
zu drei Exemplare, außer am Sonntag, statt im Haus
586 b) Zwei oder mehrere durch „und“ oder „oder“ verbundene Prä¬
positionen vor einem Substantiv
a) Gleicher Kasus
Zwei oder mehrere Präpositionen mit dem gleichen Kasus können ohne
weiteres vor einem Substantiv stehen. Das Substantiv braucht dann
nicht wiederholt zu werden:
Büdesheim lag vor und unter uns (Goethe). Das Gestein starrte über, neben, vor der
Ilöhle (Immermann). Was man über oder unter oder zwischen den Windungen von
dem Leibe noch erblickt hätte . . . (Lessing),
ß) Verschiedener Kasus
Regieren aber zwei Präpositionen verschiedene Fälle, dann ist die ein¬
malige Setzung des Substantivs nur zulässig, wenn sich dessen Flexions¬
form dabei nicht ändert:
durch und mit Gott, mit oder ohne Aufbegehren, in und um sich.
Trifft dies nicht zu, dann müßte das Substantiv eigentlich wiederholt
oder durch ein Pronomen ersetzt werden, was ziemlich schwerfällig
wirkt:
mit Büchern oder ohne Bücher; mit Büchern oder ohne sie, diese (aber gar nicht:
dieselben).
Die Präposition 311
Die Schriftsprache neigt deshalb schon dazu, den Kasus zu setzen, den
die dem Substantiv zunächst stehende Präposition verlangt, um eine
Wiederholung zu vermeiden:
mit oder ohne Kinder, ohne oder mit Kindern, mit oder gegen Ihren Willen (H. Sei¬
del); Literatur aus und über andere Länder (Prospekttitel). Sieh das Leben und
Weben auf und in und um diesen Ameisenhaufen (Lessing).
Man setze aber nicht den Kasus nach der entfernter stehenden Präpo¬
sition :
Falsch: in und um unseren Dörfern.
1. Bei der Verwendung von „bis“ beachte man, daß diese Präposition
gewöhnlich einschließende Bedeutung hat:
Wenn die Ferien vom.22. Juli bis [zürn] 31. August dauern, dann ist der 31. Au¬
gust der letzte Ferientag. Wenn die Gemäldegalerie von Montag bis Freitag ge¬
öffnet ist, dann ist sie auch noch am Freitag offen.
dank
gebrauche man auf Grund seiner Bedeutung nicht bei neutralen, gleich¬
gültigen oder gar schlechten Dingen, Mißerfolgen usw.:
Nicht: Dank seiner~Nachlässigkeit mißglückte das Unternehmen. Sondern: Infolge
(wegen) seiner Nachlässigkeit .-. .
Aber ironisierend:
Nun ist sie (= die Königin) hin, auf immer hin, dank Eurer allzu raschen Hitze
(Wieland).
infolge
weist mittelbar auf den zurückliegenden Grund. Das von ihm ab¬
hängige Substantiv darf dabei nur ein Geschehen, aber keine
Sache oder Person bezeichnen:
Infolge des Streiks wurde die Beladung eingestellt. Nicht: Infolge des
Weines schwankte ich hin und her. Infolge des Vaters kam ich gut vorwärts.
von
nennt die wirkende Ursache, die von einem Urheber ausgeht:
Die Brücke ist von Pionieren gesprengt worden.
vor
nennt den Beweggrund für Zustände und Gemütslagen:
vor Zorn, vor Neid, vor Freude, vor Kälte.
Die Präposition 313
wegen
bezeichnet den Sachgrund ganz allgemein, ohne Rücksicht auf
zeitliche Verknüpfung:
wegen Diebstahls verurteilt werden, wegen eines Motorschadens nicht weiter¬
fahren können.
zufolge
weist (wie „infolge“) mittelbar auf den Grund, dem das Verhalten
entspringt:
Seinem Wunsch zufolge wurde die Feier verschoben.
Es kann deshalb nicht bei Personen oder Dingen stehen, die gar
nicht die Ursache für das folgende Verhalten sind:
Unserem Korrespondenten zufolge richtete das Unwetter erheblichen
Schaden an. (Richtig: Nach unserem K. ...)
Bei den Verben des Schützens und Schirmens steht heute „vor“,
nicht „von“:
vor finanziellen Verlusten bewahrt bleiben; jemanden vor etwas behüten,
vor jemandem beschirmen; jemanden vor dem Tode erretten.
„Von“ ist veraltet und wird heute nur noch selten gebraucht:
Wer rettete vom Tode mich, vom Sklaverei?,(Goethe). ... rettete ihn von
dem Schicksale des Pentheus (Wieland). ... damit sie Diederich von seinen
Feinden erretteten (H. Mann).
in, nach, zu
werden zur Angabe einer Richtung unterschiedlich gebraucht. „In“ be¬
deutet „in etwas hinein“:
in den Wald gehen, in die Stadt fahren, in die Schweiz reisen.
Da „in“ vor artikellosen Stadt- und Ländernamen aber auch die Ruhe¬
lage (Frage: Wo?) bezeichnen könnte, tritt bei Richtungsangabe dafür
„nach“ (das eigentlich nur „in die Nähe von . . .“ bedeutet) ein:
nach Berlin fahren, nach Italien reisen.
„Zu“ bezeichnet ebenfalls die Bewegung auf ein Ziel zu, aber mit der
Vorstellung des Zweckes, der Absicht:
Peter geht zur Schule. Michael geht zu seinem Freund.
„Zu“ findet sich besonders viel bei festen Formeln ohne Artikel:
zu Bett, zu Tisch gehen, zu Herzen gehen, zugrunde gehen, zu Pferde steigen, zu
Kopfe steigen, zu Felde ziehen, zu Markte tragen, zu Füßen fallen, zu Ohren kommen,
zu Papier bringen.
Zu diesen alten Wendungen, die alle die Richtung bezeichnen, gehört auch eigentlich
das vielgebrauchte ,,zu Hause“. Hier hat sich aber schriftsprachlich das deutlichere
„nach“ an die Stelle gesetzt (nach Hause), weil ,,zu Hause“ auch die Ruhelage (= im
Hause) bezeichnen kann. In Mundart und Umgangssprache hat sich jedoch „zu Hause“
314 Die Partikeln
in der alten Bedeutung kräftig gehalten. Auch unsere Klassiker kennen noch diesen
Gebrauch:
Man bringe die Königin zu Hause (Schiller). ... als wir zu Hause gingen (Hebbel).
Ich geh’ nicht zu Hause (G. Hauptmann).
Vor Personennamen und -bezeichnungen steht ebenfalls nur „zu“ (nicht:
nach; Ausnahmen unten!), weil die Hinwendung zu Personen sich be¬
sonders deutlich mit einem bestimmten Zweck verbindet:
zum Arzt, zum Bäcker, zum Fleischer gehen.
Die Verwechslung von „zu“ mit „nach“ ist besonders norddeutsche Um¬
gangssprache :
nach dem Garten, nach dem Bahnhof, nach dem Fleischer gehen. Er hat sich nach
seiner Schwester in Rendsburg ... begeben (Niebuhr).
„Nach“ steht vor Personenbezeichnungen nur dann, wenn die genannte
Person getroffen, erreicht, geholt werden soll:
Hans schlägt nach dem Kind. Sie streckte die Hand nach ihm aus. Er schickte nach
dem Arzt.
laut
kann auf Grund seiner Herkunft (= nach Laut des. . .) nur mit einem
Substantiv verbunden stehen, das etwas Gesprochenes oder Geschriebenes
bezeichnet :
laut seirtes Berichtes, laut seiner Mitteilungen, laut Brieten. Also nicht: laut Muster,
sondern: gemäß, nach dem Muster.
seit
kennzeichnet ein Verhalten, das bis zur Gegenwart des Sprechers an¬
dauert. Es kann deshalb nur bei Verben stehen, die ein andauerndes
Geschehen bezeichnen (imperfektive, durative Verben; vgl. 64), nicht
bei solchen, die ein in einer bestimmten Zeit abgeschlossenes Geschehen
ausdrücken (perfektive Verben; vgl. 64):
sehen (imperfektiv):
Seit voriger Woche haben wir uns nicht mehr gesehen.
eröffnen (perfektiv), also falsch:
In dem seit drei Tagen eröffneten Schuhgeschäft. Richtig: In dem vor drei Tagen
er öffneten Schuhgeschäft,
sterben (perfektiv), also falsch:
Er ist seit drei Jahren gestorben. Richtig: Er ist seit drei Jahren tot oder: Er ist vor drei
Jahren gestorben.
Deshalb auch besser:
Die Geschichte der Stadt Rom von der Gründung [an] (nicht: seit der Gründung) bis
zum Ausgang des Mittelalters. Von 1521 an (nicht: seit 1521) übersetzte Luther die
Bibel.
während
bezeichnet eine Zeit, innerhalb deren etwas vor sich (oder nicht vor sich)
geht (Frage: Wann ?), und drückt die Gleichzeitigkeit zweier Geschehen
aus:
Während der Veranstaltung darf [nicht] geraucht werden. Settembrini schwieg
während einiger Schritte (Th. Mann).
Die Konjunktion 315
Es ist daher falsch, „während“ bei der Frage nach einer Zeitdauer
(Frage: Wie lange?) zu gebrauchen:
Nicht: Während dreier Jahrhunderte dauerte dieser Zustand.
Sondern: Drei Jahrhunderte dauerte dieser Zustand.
1 Vgl. die Arten der Satzverbindung (1048) und die Konjunktionalsätze (1072 ff.)..
Die Konjunktion 317
Du schießest oder stirbst mit deinem Knaben 1 (Schiller). Entweder Ihr laßt
Euch einen Zahn ausbrechen» oder Ihr könnt Euch mit mir stechen auf Leben
und Tod (Hebel).
ß) Vergleichende Konjunktionen
1. Nebenordnend: so - wie, wie, als, also, ebenso, genauso.
Er ist so groß wie ich. Die Erfahrungen leuchten dem Menschen wie die Sterne
erst am Abend (Jean Paul). Edelmetalle wie Gold und Silber sind selten. Er ist
größer als ich. Ein Weib, das dich vernichten will, ist gefährlicher als alle fal¬
schen Freunde (G. Weerth). Es war so schön wie ernst.
2. Unterordnend: wie, gleichwie, sowie, so - wie, als, als ob, als wenn,
wie wenn.
Er schlief nur kurz, wie er es nach Mittag zu tun pflegte. Es war mir zumute,
... als läse ich einen Leitartikel der Kölnischen Zeitung (G. Weerth). Er
rauchte mehr, als er vertragen konnte. ... es sei ihm nicht anders gewesen,
als ob ihn vierzig Millionen Flöhe plagten (G. Weerth).
Vgl. 1080; 1146,6; 1212.
y) Proportionale Konjunktionen
1. Nebenordnend: um so, desto.
Das Leben ist kurz, um so sorgfältiger muß man es nützen. Um so besser. Desto
besser.
2. Unterordnend: je (-um so); je (- desto), älter: je (- je); je nach¬
dem.
Je simpler eine Maschine ist, desto vollkommener ist sie (Lessing). Je dünner der
Klee steht, um so müder wird man beim Mähen (Auerbach). Älter: Je länger,
je lieber.
1 Vgl. 605.
Die Konjunktion 321
3. Auch vor „noch“ muß der Satzteil stets verneint sein (nicht - noch,
weder - noch). „Weder - noch“ ist die übliche Form, „nicht - noch“
ist mehr dichterisch:
Nicht dich, Hans, noch dich, blonde Inge! (Th. Mann). . . . aber nicht Rosa noch
Irmgard wurde mein (Hesse).
Das „noch“ kann auch zweimal auftreten:
Hier helfen nicht Sprüche, noch Kreuze, noch Schwüre (Geibel).
„Weder - weder“ und „noch - noch“ sind veraltet:
Bin weder Fräulein, weder schön . . . (Goethe). Noch Krankheit kannten sie, noch
Furcht, noch Klage (A. W. Schlegel).
4. Zwar - aber (doch, jedoch, allein)
Das einräumende „zwar“ korrespondiert gewöhnlich mit „aber“ oder
anderen adversativen Konjunktionen:
seine Schülerin sei zwar außerordentlich intelligent ... aber ihr Talent reiche
nicht aus (Th. Mann). Zwar weiß ich viel, doch möcht’ ich alles wissen (Goethe).
Die Einräumung, die durch „zwar“ eingeleitet, und ihre Aufhebung,
die durch „aber“ eingeleitet wird, müssen dem Sinne nach aufein¬
ander bezogen sein; daher zu vermeiden:
Zwar war er blond . . . Aber seine Augen . . . zeigten einen eigentümlichen . . .
Schnitt (Th. Mann).
Die mit „aber“ eingeleitete Aufhebung kann gelegentlich unausge¬
sprochen bleiben, dann steht „zwar“ bekräftigend im Sinne von
„allerdings, freilich“:
Zwar bin ich gescheiter als alle die Laffen . . . (Goethe). Ein solcher war nun
zwar der Pfarrer meines Heimatdorfes nicht (G. Keller). Und die Geschichte war
damit eigentlich abgetan, der Saalfelder zwar war anderer Meinung (O. Ludwig).
Seltener bleibt die mit „zwar“ eingeleitete Ausnahme unausge¬
sprochen :
Meine Selma, wenn aber der Tod uns Liebende trennt ? (== Wir sind zwar glück¬
lich, aber was geschieht, wenn der Tod uns trennt ?) Aber er ist doch ein Lump!
(= Er hat zwar eine einzelne anständige Tat vollbracht, aber er ist trotzdem ein
Lump.)
„und zwar“ ist erläuternd:
Ich muß übrigens gehen, und zwar schleunigst (Th. Mann).
[anjstatt, außer
Sie regieren als Konjunktionen keinen Fall, dagegen als Präpositionen
(vgl. 582):
Niemand kann mir helfen — außer ich selbst. Eine Maschine, die das Feuer treibt,
anstatt der Fuhrmann . . . (Rosegger)
Die Konjunktion 323
dann, denn
Man verwechsele in der Schriftsprache nicht die kausale Konjunktion
„denn“ und die temporale Konjunktion „dann“:
Na, dann geht es eben nicht! (Nicht norddt.: Na, denn geht es eben nicht!)
sowie, wie
Es ist unnötig, diese beiden Konjunktionen im Sinne von „und“ zu ver¬
wenden, wenn nur zwei Glieder zu verbinden sind. Sie werden aber gern
zur Vermeidung mehrerer aufeinanderfolgender „und“ gebraucht:
Nicht: Die Mädchen sowie (besser: und) die Jungen begannen zu singen. (Sie konnte)
.. . im Kopfe wie (besser : und) auf der Tafel rechnen (t. v. Francois). Sondern : Sie
haben dort Gelegenheit zu Stadtrundfahrten und Besichtigungen sowie zu Aus¬
flügen in die nähere und weitere Umgebung. ... zu wirklichen und echten Leistungen
in der Philosophie wie in der Poesie und den schönen Künsten (Schopenhauer).
trotzdem
„Trotzdem“ kann nebenordnend, aber auch unterordnend gebraucht
werden (vgl. 601):
Nebenordnend: Er kam zu spät; trotzdem war sie nicht ungehalten.
Unterordnend: Trotzdem er zu spät kam, war sie nicht ungehalten.
Da die letztere Verwendung erst in der neueren Zeit aufgekommen ist,
wird sie von manchen Grammatikern noch getadelt, allerdings ohne Be¬
rechtigung. Bei „trotzdem“ vollzieht sich im Augenblick noch ein Vor¬
gang, der bei anderen Konjunktionen bereits abgeschlossen ist, nämlich
der Übertritt aus dem Hauptsatz in den Gliedsatz, wobei die eigentliche
Konjunktion (daß) wegfällt:
Seit dem, daß ich ihn kenne, ist er mein Freund = Seitdem ich ihn kenne, ist er mein
Freund. In dem, daß ich dies schreibe, überzieht sich der Himmel = Indem ich dies
schreibe, überzieht sich der Himmel. Trotz dem, daß ich gehen wollte, horchte ich
doch wieder auf seine Worte hin (A. Stifter). Trotzdem daß man nicht weiß, ob man
. sich mehr ärgern, lachen oder weinen soll (Raabe). Trotzdem ihm der Wein ... im
Kopfe saß (G. Hauptmann).
und
Zwei Verben oder Substantive (Prönomen) werden gewöhnlich durch
„und“1 miteinander verbunden:
lesen und rechnen, Eichen und Buchen, er oder sie.
Zwei attributive Adjektive werden jedoch oft ohne „und“ aneinander¬
gereiht:
Er ist ein aufmerksamer, fleißigerSchüler. .. . eine dunkle, stürmische Nacht (Baabe).
Bei Aufzählung von mehr als zwei Satzteilen steht „und“ gewöhnlich
nur einmal, und zwar vor dem letzten:
mit feiner, geweckter und kritischer Miene (Th. Mann); Wachheit, Geist und Kost¬
barkeit (Th. Mann). Es gibt vier Erscheinungsformen der UnWahrhaftigkeit: die
Notlüge, die gemeine Lüge, die Statistik und die Diplomatie.
Straffe Zusammenfassung verzichtet oft auf eine Bindung durch die Kon¬
junktion „und“ und stellt die Satzteile, nur durch Kommas getrennt, ein¬
fach nebeneinander. Sie ist ebenfalls ein Stilmittel der Ausdruckssteige¬
rung:
es (= das Opiat der Musik) schafft Dumpfsinn, Beharrung, Untätigkeit, knechti¬
schen Stillstand (Th. Mann). Schiffer, Pilger, Kreuzesritter (Uhland). Alles rennet,
rettet, flüchtet (Schiller).
Es gibt auch eine paarweise Bindung von Satzteilen durch „und“ (oder
„oder“):
alte und junge, schöne und häßliche, reiche und arme Menschen. Sehr viel mehr
urteilen und handeln die Menschen nach Liebe und Haß, Gier oder Jähzorn, Schmerz
oder Freude, Furcht oder Hoffnung, auch in Ärger und Gemütsaufregung als nach
der Wahrheit oder nach den Regeln . . . des Lebens (nach Cicero).
G. DIE INTERJEKTION
I. Das Wesen der Interjektion
606 Interjektionen sind Lautgebilde, mit denen ohne besondere sprachliche
Formung Empfindungen ausgedrückt werden. Sie sind deshalb auch nicht
wie die anderen Wörter in das Beziehungssystem des Satzes eingebaut,
sondern stehen außerhalb des Satzverbandes (vgl. 1000). Dies sagt bereits
ihr Name1. Die deutschen Bezeichnungen „Ausrufewort“ oder „Emp¬
findungswort“ gehen auf Bedeutungsinhalte zurück.
Da die Interjektionen Empfindungen ausdrücken, sind sie spontan aus
einer Sprechsituation entstanden und können jederzeit neu entstehen.
Sie haben deshalb auch keine Wortgeschichte im Sinne der Etymologie
wie die übrigen Wörter, was jedoch nicht ausschließt, daß sich gelegent¬
lich Ableitungen zu ihnen bilden lassen (z. B. ächzen zu „ach“, puffen
zu „puff“, jauchzen zu „juch“).
Aus dem Wesen der Interjektion versteht es sich von selbst, daß sie in der
Mundart, in der Umgangssprache, in der Kindersprache, im Märchen und
im Volkslied besonders beliebt ist. Von dorther hat sie auch Eingang in
die Poesie und Literatur gefunden. Ihre Schreibung ist, wie es nicht
anders sein kann, gelegentlich schwankend. Oft entzieht sie sich über¬
haupt einer schriftlichen Fixierung.
d) Ekel: brr, bäh, pfui, pfui äks, fi, ih, igitt[e], äh, puh.
Pfui, Ruprecht, pfui, o schäme dicht (Kleist).
e) Freude: oh, ach, ei, hei, heisa, juchhe, juchhei, juchheisa, juchhei¬
rassa, juchheirassassa; heidi, heida; hurra, holdrio; trari, trara.
Juchhe! juchhe! juchheisa! heisa! he!, so ging der Fiedelbogen (Goethe). Ha! Wis
das blitzt und rauscht und rollt! Hurra! Du Schwarz, du Rot, du Gold! (Freiligrath).
t) Frage : he ? na ?
Könnt Ihr mir ein Protokoll machen, he? (Immermann).
a) Mensch
äh (beimSprechen zögern), hatschi oder hatzi (niesen), hick (schlucken),
uff (schnaufen), pfui (ausspeien), uah (gähnen), hem (räuspern), hopp,
hops, hoppla,.hopsa (springen, hüpfen, stolpern), trallala (trällern).
Uf — laßt mich erst verschnaufen! (Immermann). ... über deine Gartenhecken
sprang’ ich, hops! mit einem Sprung (Gökingk).
b) Tier
Rind: muh Ferkel: quiek
Schaf: mäh Frosch: quak
Ziege: meck Vogel, Maus: piep
Hund: wau Biene: summ
Esel: iah Lerche: tirili
Katze: miau Kuckuck: kuckuck
Hahn: kikeriki Rabe, Krähe: kräh
Huhn: gack Sperling: tschilp.
Die Kuh im Stalle ruft muh, muh! (Schiller). Da schrie’s plötzlich aus einer Ecke:
,,Au, miau, was uns friert!“ (Grimm). Wie die Hunde bellen! Wau! Wau! (Goethe).'
Summ, summ, summ, Bienchen, summ herum! (Kinderlied).
Dieses Kapitel handelt von der Bildung der Wörter, das heißt von der 611
Zusammenfügung vorhandener sprachlicher Elemente zu neuen Ein¬
heiten1. Dabei lassen sich drei große Bereiche unterscheiden:
1. die Zusammensetzung von zwei oder mehreren Wörtern zu einem
neuen Wort,
2. die Ableitung eines neuen Wortes aus einem alten mit Hilfe von
Nachsilben (Suffixen) oder durch den Ablaut des Stammvokals,
3. die Bildung eines neuen Wortes aus einem alten mit Hilfe von
Vorsilben (Präfixen).
Neben diesen drei Möglichkeiten gibt es noch einige weniger bedeut¬
same Wortbildungsarten, die wir im Anschluß an die Betrachtung
der drei Großbereiche behandeln2.
Die Wortbildungslehre hat es nicht mit den Wortstämmen zu tun, obwohl es sich auch
bei ihnen ursprünglich um Zusammensetzungen handelt. Die Beschäftigung mit diesen
Stämmen ist Aufgabe der Etymologie.
A. DIE ZUSAMMENSETZUNG
Wir unterscheiden nach dem logischen Verhältnis der Glieder in der Zu- 616
sammensetzung drei große Gruppen: die determinativen, die posses¬
siven und die kopulativen Zusammensetzungen. Diese Gruppen treten
mit ganz welligen Ausnahmen nur bei den zusammengesetzten Sub¬
stantiven und Adjektiven auf, die überhaupt die Mehrzahl aller Zu¬
sammensetzungen ausmachen. Eine vierte Gruppe bilden die verdun¬
kelten Zusammensetzungen, deren Glieder entweder verkümmert oder
etymologisch nicht mehr ohne weiteres verständlich sind.
Ein nachgestelltes Bestimmungswort kennt die deutsche Sprache nur bei Namen, vor
allem Ländernamen wie Hessen-Kassel, Hessen-Darmstadt, Ortsnamen wie Berlin-
Schöneberg u. a. Wie ein Name wird auch das zusammengeruckte Wort Muttergottes ge¬
braucht. Alle diese Bildungen werden ebenfalls auf dem Bestimmungswort, in diesem
Fall also auf dem zweiten Glied betont.
620 ß). Das Bestimmungswort entspricht einem Objekt oder einem anderen
Satzglied
Zusammensetzungen dieser Art sind nur bei Adjektiven (Partizipien) mög¬
lich. Substantive wie „Dachdecker^sind Zusammenbildungen (vgl. 758):
ruhmvoll — des Ruhmes voll; göttergleich — den Göttern gleich; kriegsgefangen
— im Krieg gefangen; schwimmfähig — fähig zu schwimmen.
Die Arten der Zusammensetzung 333
c) Adjektivische Possessivkomposita
Die Possessivkomposita reichen weit in die Vorzeit unserer Sprache 623
zurück. Da sie im Grunde Eigenschaften eines Wesens oder Dinges be¬
zeichnen, wurden sie ursprünglich auch unverändert als Adjektive ge-
braucht. Letzte Reste davon sind barfuß und barhaupt (= mit bloßen
Füßen, bloßem Haupt).
Heute können adjektivische Possessivkomposita nur mit der Endung
-ig gebildet werden und sind dann meist Zusammenbildungen (blau¬
äugig; vgl. 761). Das gleiche gilt für die Weiterbildungen auf -er (Doppel¬
decker; vgl. 759).
d) Die Satznamen
624 Als Possessivbildungen lassen sich auch die sog. Satznamen auffassen,
die eine charakteristische Eigenschaft des Trägers in der Form eines ihm
zugeschriebenen Ausspruchs festhalten. Sie sind also gleichfalls Über¬
namen (z. B. die Familiennamen Habedank, Trinkaus) und dienen viel¬
fach als Personenbezeichnungen, Tier- und Pflanzennamen:
Taugenichts, Tunichtgut; Wendehals; Vergiß meinnicht, Rührmichnichtan; ohne
Verb: Jelängerjelieber.
a) Eigentliche Kopulativa
a) Substantive
625 Bei den Substantiven sind eigentliche Additionswörter selten2:
Strichpunkt, Hemdhose.
Das Ganze besteht hier nur als Summe der Teile. Die Hemdhose ist
weder Hose noch Hemd, sondern beides zugleich (engl, combination).
Auch zusammengerückte Namen vereinigter Länder und Städte gehören
hierher: Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Elberfeld-Barmen
(heute Wuppertal). Sie tragen jedoch, wie die Fügungen aus zwei Sub¬
stantiven (Hab und Gut, Müller & Sohn), den Ton auf dem zweiten
Gliedwort.
ß) Adjektive
626 Häufig sind addierte Eigenschaftswörter:
taubstumm (taub und stumm zugleich), naßkalt, bittersüß, helldunkel, ernstheiter
(Goethe). Farbenzusammenstellungen wie schwarzweiß, blaugelb, schwarzrot¬
golden. Dazu kommen Zahlwörter wie dreizehn, neunzehn u. a.
Kopulativ gebildet, aber zumeist determinativ gebraucht sind namenähnliche Adjektive
wie römisch-katholisch, griechisch-katholisch, griechisch-uniert, evangelisch-lutherisch,
evangelisch-reformiert. Je nach dem beabsichtigten Gegensatz kann hier die Betonung
zwischen den Gliedern wechseln, und das zweite Glied kann dann unter Umständen als
nachgestelltes Bestimmungswort aufgefaßt werden.
b) Uneigentliche Kopulativa
Anders ist es, wenn die beiden gleichgeordneten Glieder zwei Seiten der- 627
selben Person oder desselben Dinges bezeichnen. Ein Hosenrock ist als
Ganzes sowohl Rock wie Hose, ein Fürstabt ist ein Abt, der Fürst, und
ein Fürst, der Abt ist. Hier bestimmen sich also beide Glieder wechsel¬
seitig. Man könnte die Wörter umkehren, wenn sie nicht in der einmal
geprägten Form fest geworden wären. Weitere Beispiele:
Gottmensch, Prinzregent, Königinmutter, auch das verdunkelte Werwolf (=- Mann¬
wolf).
c) Verdeutlichende Zusammensetzungen
Nahe bei den Kopulativkomposita stehen die verdeutlichenden Zu- 628
sammensetzungen, in denen ein unbekanntes Wort durch ein bekanntes
erläutert wird. Das erste Glied ist:
4. Verdunkelte Zusammensetzungen
Wenn eines der beiden Glieder, meist das zweite, durch fehlende oder 629
schwache Betonung verkümmert, so kann das Kompositum so zusammen¬
schrumpfen, daß es wie ein einfaches Wort aussieht. So wird:
mhd. nächgebür (der nahe Wohnende) zu Nachbar, Dritt-Teil zu Drittel, Jungfrau
zu Jungfer.
Wörter, die in freiem Gebrauch untergegangen sind, können als Teile
einer Zusammensetzung erhalten geblieben sein (vgl. 628). Diese ist dann
als solche noch kenntlich, aber ohne Wörterbuch nicht mehr richtig zu
verstehen:
Brombeere, Meineid, Maulwurf, Wiedehopf, Beispiel, Mitgift.
In solchen Fällen greift oft die Volksetymologie zur Selbsthilfe (vgl. 798).
a) Zweigliedrige Zusammensetzungen
2, Die Fugenzeichen
a) Die Herkunft der Fugenzeichen
632 Die Fugenzeichen sind in den meisten Fällen in Zusammen¬
setzungen eingegangene Flexionsendungen (über das stamm¬
auslautende -e vgl. 633):
Bundeskanzler aus: des Bundes Kanzler, Hirtenstab aus: des Hirten Stab.
Gelegentlich kann es sich auch um erstarrte Flexionsendungen
handeln:
Sonnenstrahl aus: Strahl der Sonnen (alter Genitiv Singular; vgl. S. 173,
Anm. 1).
In vielen Fällen entsprechen die Fugenzeichen jedoch nicht den
Flexionsendungen vorausgegangener syntaktischer Fügungen,
weil , die Zusammensetzung in Analogie zu bereits bestehenden
Mustern gebildet wurde:
Bischofskonferenz (weil schon Bischofsmütze u. a., obwohl es sich um eine
Konferenz mehrerer Bischöfe handelt), Hühnerei (Ei eines Huhnes),
Freundeskreis (Kreis der Freunde), Liebesdienst (Dienst der oder aus
Liebe), Königstiger (Tiger wie ein König).
Gerade diese Zusammensetzungen ohne eine entsprechende syn¬
taktische Fügung zeigen besonders deutlich, daß es sich bei den
Fugensilben und -lauten nur um Fugenmerkmale handelt.
Die vorausgegangenen syntaktischen Beziehungen werden durch
die Bildung einer Zusammensetzung gelöscht.
Der Bau zusammengesetzter Wörter 337
Im ganzen gesehen, ist das Streben der Sprache deutlich, die Vor¬
stellung einer syntaktischen Beziehung zwischen den beiden Gliedern
einer Zusammensetzung durch die Fugenzeichen anzudeuten.
5. Doppelformen
644 Wenn die gleichen Gliedwörter Zusammensetzungen mit und ohne
Fugenzeichen oder mit verschiedenenen Fugenzeichen bilden, so lassen
sich diese Doppelformen zwar in manchen Fällen nach landschaft-
Der Bau zusammengesetzter Wörter 341
Weniger eindeutig sind sie bei den folgenden größeren Gruppen, wo die -s-lose Form
mehr den Grundbegriff, die Form mit -s- mehr die übertragene Anwendung kenn¬
zeichnet :
Herzblut, -Chirurg, herzkrank gegen Herzenswunsch, herzensgut. Blutgruppe,
-stürz, blutftrank gegen Blutsgemeinschaft, blutsfremd (aber: Blutstropfen
= ein Tropfen Blutes, vgl. 980, 5). Schafherde, -leder, -pelz gegen Schafskleid,
-pelz (sprichwörtlich), -nase (Apfelsorte), -geduld.
Bis auf den Stamm verkürzte Formen kommen landschaftlich vor. Allgemein süd¬
deutsch ist Klaßlehrer, vorwiegend österreichisch Maschinschrift, Visitkarte.
Verbalstämme im ersten Glied (vgl. 654), die lautlich mit Substan- 647
tiven übereinstimmen, können eine Differenzierung hervorrufen.
Meßband, -technik (zu: messen) — Messehalle, -leitung (zu: Messe); aber ohne
-e- die alten Kirchen Wörter: Meßopfer, -gewand.
Preßglas, -luft (zu: pressen) — Pressehaus, -gesetz, -freiheit (zu: Presse); aber
älter: Preßfreiheit.
Speisewagen, -eis (zu: speisen) — Speisenwagen (zur Beförderung von Speisen) —
Speiskobalt (Mineral); aber ohne wesentlichen Unterschied: Speise[njkarte.
4. Scheinbare Zusammensetzungen
Nicht Zusammensetzungen, sondern Ableitungen aus Wortgruppen 651
sind:
Liebhaber (vgl. 758); blauäugig (vgl. 761).
Der Bau zusammengesetzter Wörter 343
Zu überlangen Bildungen dieser Art neigt vor allem die Sprache der
Technik und der Ämter. Man strebt nach möglichst genauen Bezeich¬
nungen und kommt so zu praktisch kaum verwendbaren „Katalog-
begriffen“, die ihrerseits wieder den ausgedehnten Gebrauch von Kurz¬
wörtern und Abkürzungen fördern (vgl. 794 f.):
Rundsicht/windschutzscheibe, Treibstoff/zufuhrregulierung, Röntgen/reihenunter-
suchung.
Man wird sie in vielen Fällen besser durch eine Wortgruppe ersetzen.
ß) Wirkliche Mehrgliedrigkeit
Manche mehrgliedrigen Wörter sind aus Klammerfügungen (vgl. 615, 3) 660
zusammengewachsen. Sie verstärken oft nur einen einfachen Ausdruck:
hochwohlgeboren (aus: hoch- und wohlgeboren), hochnotpeinlich, mutterseelen¬
allein.
Wo die Hauptfuge zu setzen ist, läßt sich schon in manchen der oben
(659) genannten Wörter schwer erkennen. In dichterischen Wortbildungen
bleibt die Hauptfuge oft mit Absicht ungewiß:
dämmernacht verstohlen, falterfluggeküßt.
Aus mehr als zwei Gliedern bestehen auch Zusammenrückungen, deren 661
Einzelglieder unter sich nicht zusammengesetzt sind:
Sauregurkenzeit, Rote-Kreuz-Schwester, Heiliggeistkirche, Liebfraüenmilch, Drei¬
zimmerwohnung, Unterflurmotor, Unterseeboot, Zwischeneiszeit, Vorkriegszeit,
Bahn-Schiff-Verkehr, Berg-und- Tal-Bahn.
Diese Bildungen haben gewöhnlich vor dem letzten Glied ihre Hauptfuge
(Zeit der sauren Gurken usw.), sind also im Grunde ebenfalls zweigliedrig
zu verstehen.
Zur Flexion des ersten Gliedes, wenn dieses ein Adjektiv ist, vgl. 413.
Alle diese Bildungsarten sind korrekt, auch die dritte (vgl. 632). Vielfach
bestehen bei ein und demselben Wort Doppelformen:
Zehn jahrfeier — Zehnjahresfeier.
2. Zusammensetzungen mit einem Verb als Grundwort
Das Verb verhält sich in der Zusammensetzung ganz anders als das Sub¬
stantiv und das Adjektiv. Es kennt zwar auch feste, d. h. unlösbare und
unumkehrbare Bildungen, aber die meisten verbalen Zusammensetzungen
sind unfest.
a) Feste Zusammensetzungen
a) Partikel + Verb
664 Fest zusammengesetzte Verben mit einer Partikel im ersten Glied wer¬
den auf dem zweiten, dem verbalen Glied betont:
Ich durchbreche, durchbrach, habe durchbröchen, durchbrich!
Als erste Glieder erscheinen vor allem die Raumadverbien über-, unter-,
durch-, um-, hinter-. Mit wider- gibt es etwa 10 Bildungen, mit dem ur¬
sprünglich sinngleichen wieder- nur wiederholen. Als einziges Adjektiv
hat sich voll- diesen Partikeln angeschlossen. Alle diese Vorderglieder
können jedoch auch unfeste Zusammensetzungen bilden (vgl. 672). Ver¬
ben mit Vorsilben, die als selbständige Wörter nicht auftreten (be-, er-
usw.) sind Ziff. 772 ff. behandelt. Zu miß- vgl. 784.
y) Verb 4* Verb
666 Kopulative feste Zusammensetzungen aus zwei Verben sind selten, aber
nicht unmöglich, wenn zwei gleichzeitige Tätigkeiten bezeichnet werden
sollen:
singreden, redsingen (Th. v. Hippel), ziehschleifen, saugbohnem (mit dem Staub¬
sauger bohnern); aber als Ableitung: mähdreschen (vgl. 758).
b) Unfeste Zusammensetzungen
a) Allgemeine Bemerkungen
1. Form und Betonung
667 Bei unfesten Zusammensetzungen ist das Verb mit seinem nichtver¬
balen Teil nur in den infiniten Formen (Infinitiv, 1. u. 2. Partizip)
und im Gliedsatz mit Einleitewort (vgl. 1056) fest verbunden:
änführen, äuftihrend, angeführt; wenn ich änführe, änführte.
Der Bau zusammengesetzter Wörter 347
3. Der Verbzusatz
a) Begriff und Leistung des Verbzusatzes
Der nichtverbale Teil ist entweder aus einer Umstandsangabe 669
oder aus einem Objekt hervorgegangen. Wenn er vom Verb ge¬
trennt ist, stehen wir vor einem Gefüge aus einem Verb und
einem nichtverbalen Teil. Diesen nichtverbalen Teil nennt man
Verbzusatz1. Der Verbzusatz ist also nicht als Satzglied geprägt,
sondern er bestimmt nur den Ablauf des vom Verb bezeichneten
Geschehens, er tönt das Geschehen sozusagen ab. Beide Teile des
Gefüges sind also auch bei räumlicher Trennung eine Einheit, sie
wirken wie die Glieder einer festen Zusammensetzung.
Die unmittelbare Folge von Verbzusatz und Verb in den infiniten
Formen und im Gliedsatz mit Einleitewort kommt sehr häufig vor
und hat das Zusammenwachsen beider Gefügeteile zweifellos be¬
günstigt.
1 Hans Glinz, Der deutsche Satz, S. 64. Ders., Die innere Form des Deutschen, S.389ff.
348 Die Zusammensetzung
Aber auch die in der Alltagssprache beliebten und hier ohne Ge¬
fühl für den wiedererlangten Satzgliedwert meist zusammen-
geschriebenen Satzanfänge dieser Art gehören hierher:
Fest steht, daß ... Auf fällt, daß ... Hinzu kommt, daß ...
ß) Partikel + Verb
Die Partikel „zusammen“ kann sowohl als Verbzusatz wie als Satz¬
glied gebraucht werden, wobei sich die Bedeutungen unterscheiden:
Zusammenkommen, -schreiben, -fallen (= [sich] vereinigen); aber: zusammen
kommen usw. (= zugleich, miteinander kommen).
y) Adjektiv + Verb
676 Das eben Gesagte gilt in verstärktem Maße für die Verbindung eines
Verbs mit einem Adjektiv. Ein Adjektiv kann als Verbzüsatz gelten:
1. wenn es als selbständiges Wort nicht mehr oder nicht mehr in der
gleichen Verwendung vorkommt:
loslassen, -fahren, kundgeben, weismachen, feilhalten, irreführen.
2. wenn es wie eine Partikel nur noch den Ablauf des Geschehens
bestimmt:
/es/binden (wie an-), freigeben (wie her-), hochheben (wie auf-, empor-),
weiterie&en (wie fort-).
3. wenn es nur noch verstärkende oder erfüllende (perfektivierende)
Funktion hat:
fertigbimgen, -stellen (= zu Ende bringen), AocAachten, -schätzen, voZZfüllen,
-pfropfen, -weinen, -kritzeln, -laufen (voll- kann in dieser Weise zu fast allen
Verben treten).
Zur Übergangszone zwischen dem Gebrauch des Adjektivs als Verb¬
zusatz und als Satzglied vgl. 1014, a.
d) Substantiv + Verb
677 Mit Substantiven verbundene Verben sind meist Ableitungen (vgl.
741). Ein Substantiv kann aber als Verbzusatz in einer unfesten
Zusammensetzung erscheinen:
1. wenn das Substantiv als selbständiges Wort nicht mehr oder
nicht mehr in der gleichen Verwendung vorkommt:
achtgeben, heimfahren, sZoZZflnden, ZeiZnehmen, /eAZschießen, AoAnlachen, stand¬
halten, preisgeben (zu franz. prise = Beute).
Heim- und fehl- sind zu Adverbien erstarrte Substantive (vgl. 792).
2. wenn das Bedürfnis zur Bezeichnung bestimmter Tätigkeiten — vor
allem in den technischen Fachsprachen — klassenbildende zusammen¬
gesetzte Verben her vor bringt. Diese Verben sind oft nur in den in¬
finiten Formen üblich:
Punktschweißen, trommelpolieren, maschineschreiben, probeschreiben.
Auch diese Verben können unter Umständen von zusammenge-
gesetzten Substantiven abgeleitet sein (vgl. 741).
3. Zusammengesetzte Partikeln
678 Es gibt eine große Zahl zwei- und mehrgliedriger flexionsloser Wörter.
Sie sind zum Teil Zusammenrückungen, deren syntaktische Beziehungen
noch erkennbar sind. Sie sind in jedem Fall Partikeln, auch wenn sie ein
Substantiv oder Adjektiv als letztes Glied haben.
Gliederung und Aufzählung dieser Wörter kann nicht erschöpfend sein,
weil sich ein großer Teil der Bildungen der Deutung entzieht. Zusammen-
Der Bau zusammengesetzter Wörter 351
Setzungen mit -weise, -weg, -seits, -halb bilden lange Reihen und stehen
damit der Ableitung nahe (vgl. 755).
Vorstufen sind einige noch getrennt geschriebene Fügungen, die aber
vielfach schon in Zusammenschreibung übergehen:
in bezug, vor allem, auf Grund, zu guter Letzt, so daß, gar nicht.
a) Partikel + Partikel
Abgesehen von verdunkelten Zusammensetzungen wie „etwas“ oder 679
„nicht(s)“ sind wichtig:
B. DIE ABLEITUNG
685 Der Ablaut ist als sog. innere Ableitung auf die. starken Verben und
ihren Einflußbereich beschränkt (vgl. 690; 727; 738). 0ft wird auch der
Präsensvokal des starken Verbs der Ableitung zugrunde gelegt:
Rwf (zu: rufen), Grab (zu: graben).
686 Die Suffixe sind, historisch gesehen, aus selbständigen Wörtern hervor¬
gegangen. Die Ableitung ist daher sprachgeschichtlich jünger als die
Zusammensetzung. Die Suffixe können ihren Eigenwert schon in der Vor-
und Frühzeit unserer Sprache verloren haben oder erst in geschichtlicher
Zeit (-heit, -Schaft und -tum sind z. B. im Althochdeutschen noch selb¬
ständig). Derselbe Vorgang vollzieht sich aber noch heute, wenn zweite
Glieder von Zusammensetzungen (etwa: -zeug, -voll, -weise) reihen¬
bildend wirken und so ihren eigentlichen Sinn einbüßen (vgl. 715; 722;
735; 755).
Das Suffix bestimmt die Wortart der abgeleiteten Bildung. Wir unter¬
scheiden danach Substantiv-, Adjektiv-, Verbal- und Adverbialsuffixe.
687 Die Fruchtbarkeit eines Suffixes beruht auf der Analogie, d. h., es müssen
genügend Muster da sein, die noch als Ableitungen empfunden werden.
So lebt z. B. das Suffix -ig durch Bildungen wie kräftig (von: Kraft),
feurig (von: Feuer), gütig (von: gut), nicht aber durch solche wie emsig,
tüchtig, heftig, die für das heutige Sprachempfinden nicht mehr durch¬
schaubar sind. Anderseits kann allein die geringe Zahl überlieferter
Bildungen (etwa bei den Substantiven auf -de, -ter, -sal, vgl. 692; 701)
ein Hemmnis für die weitere Entwicklung sein.
Statt des Geschehens kann aber auch das durch das Geschehen erreichte
Ergebnis bezeichnet werden! Ein Substantiv dieser Art heißt Nomen
aoti3. Es kann abstrakt oder konkret sein:
Abstrakt: Das war ein guter Wurf [mit dem Speer].
Konkret; ein Wurf junger Hunde.
Schließlich kann das Verbalsubstantiv auch den Ort des Geschehens
bezeichnen;
Rinne, Wohnung, Räucherei.
Zu den Verbalsubstantiven, die Personen bezeichnen, vgl. 717,1.
1 Vgl. Walter Porzig, Die Leistung der Abstrakta in der Sprache. Blätter für deutsche
Philosophie 4 (1930/31), S. 66ff. Derselbe, Das Wunder der Spräche, 2. Aufl. Bern 1957,
S. 104fr., 129. Hennig Brinkmann, Die Wortarten im Deutschen. Wirkendes Wort
1 (1950), S. 65 ff.
2 Lat. actio = Handlung.
3 Lat. actum = das Getane.
354 Die Ableitung
a) Ablautbildungen
690 Die starken Verben selbst (vgl. 738) vermehren sich zwar seit langem
nicht mehr, sie haben aber durch den Ablaut ihrer Stammformen die
Bildung suffixloser Substantive begünstigt und zeigen diese Kraft auch
heute noch. Die Ableitungen haben gewöhnlich männliches Geschlecht.
Die wenigen Neutra erscheinen vor allem als Sachbezeichnungen.
Das abgeleitete Substantiv übernimmt meist den Vokal des Präsens oder
des Präteritums, zuweilen auch den des 2. Partizips (vgl. 70):
Vokal des Präsens: der Ruf, Schlaf, Sitz, Streit, das Grab, Leid; mit i für e (vgl. 144):
der Stich.
Vokal des Präteritums; der Trieb, Trank, Wuchs, das (der) Band, das Schloß;
mit u für o: der Zug, Fluß, Hub.
Vokal des 2. Partizips: der Bund, Sprung, Trunk; mit u für o: der Bruch.
Jünger sind die zahlreichen Ableitungen aus zusammengesetzten (vgl.
664ff.) und Präfixverben (vgl. 772ff.). Sie können jederzeit neu entste¬
hen, auch da, wo sie zum einfachen Verb fehlen:
Aus zusammengesetzten Verben:
der Antrag, Ausweis, Einlaß; Einschub, Abstieg.
Aus Präfixverben:
der Erwerb, Behelf, Verleih, Entscheid; Bewuchs, Versand; das Verlies (zu: ver¬
lieren), Verbot.
Süddeutsch, besonders schweizerisch und österreichisch, sind abgelautete
kürzere Formen, denen in der Schriftsprache längere Formen entsprechen:
der Hinschied (statt: das Hinscheiden), der 40jährige Bestand (statt: das Bestehen)
des Vereins.
Analog zu den Ableitungen vom Präsens starker Verben werden auch
zu schwachen Verben suffixlose Substantive gebildet:
der Dank, Gruß, Kauf, Bericht, Versuch, Schimmer, Handel, Ärger; das Verhör,
Verdeck, Besteck.
Man bezeichnet diese Substantive als Rückbildungen, weil sie durch
Verkürzung der Ausgangsverben entstanden sind.
ß) Suffixbildungen
692 Der Ableitung von Geschehens- und Sachbezeichnungen aus Verben
dienen heute vor allem die Suffixe -e, -ung, -nis, -ei, (-erei), -el, -er, -ling
in begrenztem Umfange auch -sal, -sei. Dazu kommen einige Fremdwort¬
suffixe.
Neben diesen ,,olfenen“, d. h. heute noch fruchtbaren Ableitungsgruppen stehen andere,
deren Fruchtbarkeit »erloschen ist, auch wenn bei manchen von ihnen Stammwort und
Suffix noch zu unterscheiden sind. Es sind die Suffixe:
-t in Schlacht, Trift, Saat, Fahrt, Furt (zu: schlagen, treiben, säen, fahren); er¬
weitert in Brunst, Kunst, Vernunft (zu: brennen, können, nehmen).
-de in Zierde, Freude, Begierde, Gemälde, Gebäude.
-ler in Gelächter, Malter (zu: mahlen), Blatter (zu: blähen).
-icht in Spülicht, Kehricht.
-m- in Blume, Same (zu: blühen, säen).
-s in Knicks, Schnaps, Pieps (zu: knicken, schnappen, piepen).
Die Ableitung aus Einzelwörtern 355
1. Das Suffix -e
In Verbalsubstantiven kennzeichnet das Suffix -e die Zugehörigkeit 693
zur alten Deklinationsklasse der schwachen Feminina (vgl. S. 173).
Es bildet Ableitungen aus starken und schwachen Verben.
Die Ableitungen aus starken Verben tragen meist den Vokal des Prä¬
sens, weniger den des Präteritums und des 2. Partizips:
die Lese, Hilfe, Quelle, Schere, Trage, Rinne, Breche, Pfeife, Flechte, Liege;
die Grube, Gabe, Sprache, Gosse, Fuhre.
Starke zusammengesetzte (vgl. 664ff.) und Präfixverben (vgl. 772ff.)
werden statt mit -e meist mit -ung abgeleitet. Ausnahmen:
die Auslese, Ein-, Ab-, Vorgabe, Ein-, Aus-, Nachnahme, Aus-, An-, Einspra¬
che; Entnahme, Vergabe u. a.
Zahlreich sind Ableitungen und Rückbildungen von schwachen
Verben:
die Suche, Rede, Hetze, Kehre, Blende, Kralle, Schraube, Presse, Leuchte;
Durchreiche, Anzeige, Vorhersage.
Das -e ist zum Teil abgefallen:
die Schau, Wahl, Rast, Hut.
In Ableitungen aus Verben auf -ein und -ern (vgl. 744 f.) tritt es gar
nicht auf:
die Klingel, Klapper.
Ob das Substantiv oder das Verb ursprünglich ist, bleibt für das
Sprachgefühl in vielen Fällen offen.
Unter den Sachbezeichnungen dieser Ableitungen sind Benennungen
für Werkzeuge besonders häufig. Daneben stehen auch einige Tier¬
namen, die man hierher‘rechnen muß:
Spinne, Schlange, Krähe, Heuschrecke.
Oft entspricht die suffixlose Bildung dem intransitiven, die Form mit
-ung dem transitiven Gebrauch des Verbs. Das gilt besonders, wenn
das Verb sowohl als feste wie als unfeste Zusammensetzung auftritt
(vgl. 668):
Verstoß —- Verstoßung (er verstößt gegen die Vorschrift — er verstößt seinen
Sohn); Übertritt — Übertretung (er tritt zum Christentum über — er Über¬
tritt das Gesetz).
Vielfach ist jedoch das kürzere Wort eine Rückbildung des länge¬
ren, wobei sich die Sprache, auch auf Kosten der eben genannten
Unterscheidung, gern an ablautende Substantive desselben Stammes
anlehnt:
Betrachtung — in Betracht kommen, Erhaltung — bei, nach Erhalt, Voll¬
ziehung — Vollzug, Beschießung — Beschuß, Verbindung — Verbund.
Darin zeigt sich deutlich ein Streben nach kürzeren Wörtern (vgl. 793),
das der übergroßen Beliebtheit des Suffixes -ung in der Papiersprache
ein gewisses Gegengewicht schafft. Auch hier sind die kurzen Formen
vielfach landschaftlich begrenzt (süddeutsch, besonders schweize¬
risch) :
der Unterbruch (statt: die Unterbrechung) der Arbeiten; der Untersuch (statt:
die Untersuchung) des Verbrechens; jemandem Vorhalte (statt: Vorhaltungen)
machen; der Verlad (statt: die Verladung) von Fässern.
696 Die Ausgangsform der Verbalsubstantive auf -nis war das 2. Partizip
(Betrübnis aus: Betrübtnis). Da das -t- dann meist ausfiel, hielt man
den Infinitiv für die Ausgangsform und bildete jüngere Ableitungen
unmittelbar mit dem Verbalstamm. Bezeichnet wird vor allem das
Ergebnis oder der Ort eines Geschehens. Viele dieser Ableitungen sind
aus Präfixverben entstanden:
Erzeugnis, Kenntnis, Vermächtnis, Gelöbnis; Behältnis, Gefängnis, Verzeichnis,
Hemmnis.
Das Geschlecht der Wörter ist feminin oder neutral. Der Geschlechts¬
unterschied kann differenzierend wirken:
die Erkenntnis (Einsicht) — das Erkenntnis (Urteil).
Zu den Ableitungen mit -nis von einem Adjektiv oder Substantiv vgl.
707.
Die Ableitung aus Einzelwörtern 357
ß) Die Suffixe
704 Die gemeinsamen Ableitungsmittel dieser ganzen Gruppe von Abstrakta
und Sachbezeichnungen sind die Suffixe -e, -nis, -ei (-erei), -ling, -heit,
-keit, -igkeit, -schaft, -tum.
- ,
Nicht mehr produktiv sind die Suffixe -ut, at -od (Armut, Heimat, Kleinod), -ig (Reisig),
-icht (Dickicht, Röhricht).
7. Das Suffix -e
705 In Substantiven, die von Adjektiven abgeleitet sind, stammt das
Suffix -e aus altem -i[n] und bewirkt deshalb Umlaut (vgl. 687). Da¬
durch allein unterscheidet es sich von dem -e der Verbalsubstantive,
mit dem es lautlich zusammengefallen ist (vgl. 693). Es bildet Ab¬
strakta und Konkreta. Durch -heit und -keit ist es stark zurückge¬
drängt worden. In manchen Wörtern ist däs -e abgefallen:
die Größe, Liebe, Schläue, Länge; die Ebene, Sänfte, Höhle; zu einem Adverb:
die Bälde; ohne -e: die‘Zier, Gier, Schmach, Huld.
711 Mit -heit („Art und Weise, Beschaffenheit, Stand“) werden vor
allem Eigenschafts- und Zustandsbezeichnungen aus Adjektiven und
Partizipien gebildet. Das Suffix hat in diesem Bereich die Typen
„Größe“ und „Finsternis“ zurückgedrängt:
Schönheit, Weisheit, Anwesenheit, Vergangenheit, Gedrängtheit.
360 Die Ableitung
712 Die Nebenform -keit ist von Ableitungen der Adjektive auf -ig
(mittelhochdt.: -ec-heit) ausgegangen und bald selbständig geworden.
Sie steht heute statt -heit bei den Adjektiven auf -ig,.-bar, -sam, -lieh
(vgl. 729; 731 ff.), teilweise auch bei denen auf -er und -el:
Traurigkeit, Furchtbarkeit, Einsamkeit, Herrlichkeit, Heiterkeit, Eitelkeit.
Aber: Sicherheit, Dunkelheit.
Auch die Endung -igkeit machte sich selbständig und ^bildete Ab¬
leitungen, deren adjektivische Stammwörter gar nicht auf -ig aus¬
gehen :
Heilig-keit, danach: Hell-igkeit, Müdigkeit, Obrigkeit, Leichtigkeit.
714 Die Bedeutung von - tum ist sehr vielfältig. Oft weist das Suffix auf
das innere Wesen einer Erscheinung, oft abstrahiert es wie -heit ohne
besondere Färbung. Kollektiva sind heute selten, hier ist -schaft
stärker geblieben:
Christentum, Mannestum, Priestertum; aus Verbalsubstantiven: Wachstum
(aus untergegangenem Wachs), Brauchtum; aus Adjektiven: Reich-, Eigen-,
Alter-, Irrtum; kollektive Raumbezeichnungen: Fürsten-, Bistum, Besitztum.
8. Fremde Suffixe
Fremde Suffixe in Ableitungen aus Substantiven und Adjektiven 716
(auch aus deutschen) sind u. a. (vgl. 195):
-tät (Gravität, Universität, auch Schwulität), -[izjismus, -asmus (Sozialismus,
Klassizismus, Sarkasmus, zu Personennamen: Marxismus, Mesmerismus).
-enz (Pestilenz, Exzellenz, Konsequenz), -al[ienJ (Material, Lappalien, Schmie¬
ralien), -ie (Melodie, Prüderie, Drogerie).
besonderes Merkmal der Person das Objekt ihrer Tätigkeit oder den
Ort ihrer Herkunft und Zugehörigkeit:
Max baut Wagen — der Wagner
der Mann aus Berlin — der Berliner
Ist das besondere Merkmal eine Eigenschaft, dann liegt immer eine
Ableitung aus einem Adjektiv mit dem Suffix -ling vor:
Jüngling, Wüstling.
ß) Die Suffixe
718 Suffixe, die heute noch Ableitungen von Personenbezeichnungen bilden
können, sind: -er (-1er, -ner) und -ling.
Nicht mehr produktiv sind in der Gruppe der Personenbezeichnungen das Suffix -el
(Büttel, Krüppel, Weibel) und das mit Ge- verbundene, gelegentlich abgefallene Suffix
-e (Genosse, Gesellte]).
Das Suffix -ler kann, wie das verkleinernde -1-Suffix (vgl. 724), auch
herabsetzenden Sinn haben:
FabrikZer, Kriegsgewinnler, VernünftZer.
Die Ableitung aus Einzelwörtern 363
Lebendiger ist noch das aus alten Rufnamen wie Wigbold stam¬
mende Suffix -bold:
Trunken-, Rauf-, Witz-, Tugendbold.
4. Fremde Suffixe
Fremde Suffixe in Personenbezeichnungen, z. T. auch mit deutschen 723
Grundwörtern, finden sich'-u. a. in folgenden Bildungen (vgl. 195):
-and in: Konfirmand, Doktorand; -ant, -entin: Fabrikant, Lieferant, Schnur¬
rant, Student, Referent, Skribent; -är in: Aktionär, Parlamentär; -aster in:
Kritikaster; -eur, -euse in: Ingenieur, Amateur, Masseur, Friseuse; -ian (teilweise
zum Namen Johann, Jan) in: Grobian, Dummian, Dummerjan; -ier in: Of¬
fizier, Kavalier, Polier; -iker,' -ikus in: Fanatiker, Pfiffikus; -ist in: Jurist, Nihi¬
list, Lagerist.
alten -k-Suffixes mit der Endung -in (noch in Füll-en, Kük-en) ent¬
standen; mit der gleichen Endung hat sich ein altes -1-Suffix zu -lein ver¬
einigt.
In Ruf- und Kosenamen (Rudi, Leni, Mutti) und in einigen Mundarten
(alemann. Häsi, Äugi) leben noch andere alte Diminutivsuffixe fort.
Die Endung -chen ist heute die gewöhnlichere:
Häuschen, BübcAen, StädtcAera, PferdcAen.
Die Endung -er bleibt in der Verkleinerung erhalten, soweit sie schon zum
Singular gehört:
V&terchen, Reiterlein.
Als Pluralendung steht -er dagegen nur in besonders kosenden Bildungen
wie:
Kinderchen, -lein, B&merchen, Bfkderchen.
Die Endung -el bleibt vor -chen erhalten, vor -lein wird sie ausgestoßen
oder doch verkürzt:
BeuteZcAen, Kügelchen; Spieglein, Vöglein, EseZetw; in gehobener Sprache auch:
Vög eiein. Eng eiein.
ß) Geschlechtswechsel
Für die Bildung weiblicher Formen zu männlichen Personenbezeich- 725
nungen, die sog. Movierung1, wird heute nur das Suffix -in verwandt. Es
bewirkt in älteren Bildungen meist Umlaut:
Ärztin, Hündin, Bäuerin, Störchin, Sächsin, Göttin; aber ohne Umlaut: Botin,
Mohrin, Gattin, Polin, Sklavin, Genossin.
Zur Frage, ob die Movierung durch -in vorgenommen wird oder nicht,
vgl. 832; 1200.
Mundart und Umgangssprache kennen noch andere movierende, gelegentlich etwas ab-
wertende Endungen: -sehe (die Krügersche), -se (die Tippse). Auch die früher schrift¬
sprachliche Movierung von Familiennamen kommt dort noch vor: die Müller [i]n = Frau
Müller (vgl. 182).
b) Die Ableitungsmittel
727 Adjektive werden im allgemeinen mit Hilfe von Suffixen abgeleitet.
Daß auch beim Adjektiv die suffixlose Ableitung einmal wirksam war (vgl. 690), erkennt
man noch heute an dem Nebeneinander der Ablautstufen:
flott - fließen, flügge - fliegen; entsprechend stehen neben schwachen Verben: zahm
(zähmen), treu (trawen), ungefüge (fügen).
Junge Rückbildungen aus Verben sind dagegen:
schlicht, schmuck, rege (aus: schlichten, schmücken, regen).
Aus Wörtern wie silber-n, leder-n hat sich daneben ein Suffix -ern ent¬
wickelt, das den Umlaut festhielt:
hölzern, gläsern, stählern, tönern, bleiern, steinern.
Umlaut tritt nicht immer ein, da -ig auch altes -ag fortsetzt (faltig, aber:
vielfältig).
Steht -ig neben Bildungen auf -en, -ern, so bezeichnet es meist die Ähn¬
lichkeit :
seiden - seidig, gläsern - glasig; aber: steinern (= aus Stein) — steinig (= mit Stei¬
nen bedeckt).
In Doppelformen drückt -isch Abwertung und Tadel, -lieh (vgl. 731) die
Zugehörigkeit aus:
bäumcA - bäuerZ&A, kindiscA - kindZicA, dörfücA - dörfZicA.
Gelegentlich schwankt man noch zwischen den Bildungen mit -isch oder
ohne -isch:
planetar - planetarisch.
I. -lieh
Das Suffix-lieh ist aus einem alten Substantiv mit der Bedeutung,,Leib“ 731
hervorgegangen (vgl. Leiche), das schon sehr früh adjektivisch gebraucht
wurde. Es diente als Grundwort zahlreicher zusammengesetzter Ad¬
jektive, die eine wesensgemäße Eigenschaft oder einen Besitz bezeich¬
nen, und wurde so zum Suffix:
königZicA (= mit dem Wesen eines Königs, Besitz eines Königs), gütZtcA (= von
guter Art).
Der Umlaut in den Bildungen mit -lieh ist jung und folgt keiner Hegel. Gelegent¬
lich treten Doppelformen auf, z. B.
österlich - österlich; mit Bedeutungsunterschied: sachlich - sächlich.
Bei Stammwörtern, die auf -n ausgehen, tritt vor -lieh der Gleitlaut -t- (-d-) ein:
ordentlich (zu: Orden), morgendlich, eigentlich, flehentlich; danach auch:
wöchentlich.
Ableitungen aus Verben sind entweder mit Hilfe des erwähnten Gleit¬
lautes -t- nach dem Infinitiv bzw. nach dem Partizip gebildet:
wissentZicA, gelegentZZcA, 'kenntlich,
oder das Suffix tritt nach dem Muster mehrdeutiger Formen wie kläg¬
lich (zu Klage oder klagen) zum Verbalstamm:
frag lieh, verbindZtcA, untrügZicA.
Diese Bildungsweise ist sehr fruchtbar geworden. Sie trifft vor allem
transitive Präfixverben (vgl. 772ff.) und kann sich aktivisch auf das
Subjekt oder passivisch auf das Objekt der Handlung beziehen:
erbauZZcA, bedrohZZcA (was erbaut, bedroht) - erhältZicA, zerbrechZicA (= was
man erhalten, zerbrechen kann).
Im passivischen Gebrauch konkurriert hier -lieh mit -bar (vgl. 733), besonders bei
Verneinung mit un-. Dieser Form haben sich auch viele Ableitungen von zusammen¬
gesetzten Transitiven angeschlossen:
[wn] verdauZicA, imbeschreibZicA, imerbittZicA; unauslöschlich, [wnJwiderrufZicA,
unnachahmlich.
Bei solchen Bildungen mag das leichtere Sprechgewicht von -lieh gegenüber -bar
mitwirken, noch mehr aber die Bedeutung der beiden Suffixe: -lieh betont die nicht
ablösbare Eigenschaft, -bar die auf den Gegenstand [nicht] anwendbare Handlung1:
ein unaussprechZicAes Glück - ein unaussprechbares Fremdwort; ein unlös-
liches Pulver - eine unlösbare Aufgabe; seit undenkZZcAen Zeiten - es ist un¬
denkbar, daß ...
Gelegentlich können die Adjektive aber auch gleiche oder fast gleiche Bedeutung
haben:
unvermeidZi'cAe oder unvermeidbare Auseinandersetzung; unsägZicAe oder un¬
sagbare Schmerzen.
Nur zum Teil austauschbar sind die Doppelbildungen mit -lieh und -sam (vgl. 732),
-lieh und -haft (vgl. 734):
Die Suffixe -lieh und -ig werden stärker differenziert, besonders auch bei Zeitangaben:
fremdsprachZicAer Unterricht = über eine Fremdsprache gehaltener Unterricht;
fremdsprachiger Unterricht = in einer Fremdsprache gehaltener Unterricht;
dreistündZicA = alle drei Stunden (Wiederholung), dreistündig = drei Stunden
lang (Dauer).
Aus Adjektiven wie ärger-lich hat sich das. erweiterte Suffix -erlich
entwickelt:
lächerlich, fürchterZicA, weinerlich.
2. -sam
732 Das Suffix -sam (= derselbe, vgl. engl, same) ist ein altes Adjektiv,
das Fähigkeit und Neigung ausdrückt und demgemäß meist Eigen¬
schaften lebender Wesen bezeichnet. Es bildet Ableitungen aus ab-
3r -bar
Das Suffix -bar (= fähig zu tragen) gehört zu althochdt. heran (noch 733
in gebären) und leitet ursprünglich von Substantiven ab, dann auch
von anderen Wortarten :
fruchtbar, jnannbar, offenbar, sonderbar.
4. -haft
Das Suffix -haft ist ein altes Partizipialadjektiv. Bei Abstrakta und 734
Sachbezeichnungen als Stamm Wörtern bedeutet es meist ,,behaftet
mit“; bei Personenbezeichnungen und bei Adjektiven als Stamm Wör¬
tern bezeichnet es die Art. Jung sind auch hier die Ableitungen aus
Verben:
sündhaft, vorteil haft, frühling[s]haft, mädchenhaft, krankhaft; schwatzhaft.
Gelegentlich wird -haft noch durch -ig erweitert; die -ig-losen For¬
men kommen allmählich außer Gebrauch:
leibhaftig, wahrhaftig, teilhaftig.
Beachte:
Man verwechsle nicht -mäßig mit -gemäß. Das „Suffix“ -mäßig ist eine Ableitung von
„Maß“ ( = Art, wie etwas eingerichtet ist), z. B. regelmäßig; das Adjektiv „gemäß“
bedeutet „entsprechend, angemessen“, z. B. regelgemäß (= der Regel entsprechend).
Nicht: Ist meine Buchführung ordnungsmäßig ? Grundsätze ordnungsmäßiger Buch¬
führung (Buchtitel); sondern: Ist meine Buchführung ordnungsgemäß? Grund¬
sätze ordnungsgemäßer Buchführung.
Nicht: Turnusmäßig findet der nächste Lehrgang am 12. 2. statt; sondern: Turnus¬
gemäß .. .
£) Fremde Adjektivsuffixe
736 Die fremden Adjektivsuffixe sind sehr zahlreich:
praktikaöeZ, nationaZ, human, mondän, eklatant, polar, regulär, desperat, kultureZZ,
turbulent, grotesk, adrett, flexibel, hybrid, merkantiZr positiv, dubio«, religiös.
Beachte:
Die Suffixe -al und -eil haben verschiedene Bedeutung:
formaZ = auf die Form bezüglich, aber: form eil = die [ Umgangs jformen beachtend;
rationaZ = vernunftgemäß, aber: rationeZZ = wirtschaftlich.
Das wird oft nicht beachtet. So werden z. B. formal und formell, funktional und funk¬
tionell oft in gleicher Bedeutung gebraucht.
Auch in der Schriftsprache sind dagegen gleichbedeutend:
dubios und dubiös.
Aus der Masse der abgeleiteten Verben lassen sich, soweit die Verhältnisse
heute zu überblicken sind, folgende Bedeutungsgruppen herausheben, an
denen jeweils verschiedene Ableitungsmittel (vgl. 738ff.) teilhaben1. Einige
dieser Bedeutungsgruppen (Nr. 4-7) werden uns bei den Präfixverben
wieder begegnen (vgl. 774).
1. Verben des Beschäftigtseins
Die Verben des Beschäftigtseins oder Okkupative2 sind intransitiv
und von Substantiven abgeleitet. Transitiver Gebrauch ist zuweilen
möglich:
ackern (= den Acker pflügen), wassern (= aufs Wasser niedergehen); tanzen
(transitiv: einen Walzer tanzen); ebenso: spielen, witzeln, konzertieren, landen,
tafeln.
1 Bedeutungsgruppen dieser Art werden neuerdings auch Wortstände genannt (vgl. 832).
* Lat. occupare = besetzen, sich bemächtigen.
Die Ableitung aus Einzelwörtem 371
Eine kleine Untergruppe bilden Verben, die ein Her Vorbringen be¬
zeichnen :
mauern, kalben, lammen, fohlen.
Nicht alle Verben lassen sich eindeutig einer bestimmten Gruppe zu-
weisen. Schwierigkeiten treten besonders bei den Gruppen 6 und 7
auf. Vor allem Fremdwörter wie „romanisieren, idealisieren“ können
vom Substantiv oder vom Adjektiv abgeleitet sein.
b) Die Ableitungsmittel
a) Suffixlose Ableitung
1. Die starken Verben
738 Die starken, ablautenden Verben sind in ihrem eigenen Bestand
heute nicht mehr produktiv. Daran ändern auch gelegentliche Neu-
und Analogiebildungen nichts (ich stak, dang, habe gedungen, zu
sonst schwachem stecken und dingen; vgl. auch 143). Diese werden
nämlich durch Übertritte in die schwache Klasse mehr als aufgewogen
(bellen, früher: boll, gebollen; vgl. 72).
Die Kraft und Bedeutung der ablautenden Verben liegt auf anderem
Gebiet. Sie gehören — mit Vorstufen im Indogermanischen — zum
ältesten Bestand der germanischen Sprachen. Der Ablaut, mit dem
sie ihre Formen gebildet haben (vgl. 70), ließ sie zur Grundlage reicher
und bis heute lebendiger Wortfamilien werden (vgl. 690; 834).
wie die unfest zusammengesetzten Verben den Ton auf dem ersten
Glied tragen (vgl. 665):
maßregeln, ich maßregele, gemäßregelt (zu: Maßregel). Ebenso: wehklagen,
ratschlagen, wetteifern, langweilen.
Auch gemischte Typen mit festen und unfesten Formen treten auf:
notlanden, ich notlande, aber: notgelandet (statt: genotlandet); ebenso:
notschlachten, schutzimpfen.
Die meisten Verben auf -igen werden allerdings mit Präfixen gebildet
(vgl. 781).
Als Erweiterung tritt -isieren auf, das gewöhnlich effektiv oder faktitiv
und damit transitiv gebraucht wird (vgl. 737, 6 f.):
amerikanisieren, pulverisieren; aber intransitiv: polemisieren, spintisieren.
a) Das Suffix -e
Die Adverbendung -e trat früher in weit größerem Maße als heute an Ad- 750
jektivstämme. Im Neuhochdeutschen ist das Suffix in der Regel abge¬
fallen, es hat sich nur noch in Resten erhalten:
gern[e], lang/W, fern[e], nahfej.
Einige dieser Bildungen sind veraltet (dichterisch) oder umgangs¬
sprachlich :
veralt., dicht.: balde, kalte, stille;
ugs.: helle, dicke, feste, sachte, späte, alleine.
c) Das Suffix -s
752 Das Suffix -s ist ursprünglich die Genitivendung starker männlicher und
sächlicher Substantive oder stark gebeugter Adjektive, die zu Adverbien
erstarrt sind (flugs aus: Flug[e]s, rechts aus: recht[e]s; vgl. 792). Es
w urde dann selbständig und trat auch an weibliche Substantive und an
schwach gebeugte Adjektive und Zahlwörter (vgl. 763):
nachts, seitens, übrigens, erstens, meistens.
Häufiger als bei den Geschehensbezeichnungen finden sich unter den Per¬
sonen- und Gerätebezeichnungen Bildungen mit verkürztem Präposi-
tionalfall im ersten Glied:
Türsteher (aus: er steht an der Tür); ebenso: Buchhändler, Regenpfeifer, Nagel¬
bohrer.
Einige Wörter, deren zweite Glieder auch selbständig Vorkommen (z. B. Berufsnamen
wie Maler und Jäger), können auch als Zusammensetzungen mit einem Attribut ge deutet
werden. Dasselbe gilt für nicht mehr durchschaubare oder fremdsprachliche Nomina
agentis:
Reitlehrer (= er lehrt das Reiten oder Lehrer des Reitens), Waffenschmied, Herren¬
friseur.
Der Charakter des Typs als Ganzes wird aber von diesen mehrdeutigen
Fällen nicht betroffen.
Bildungen dieser Art gehen wohl aus von Ableitungen aus possessiven
Zusammensetzungen (dickköpfig aus: Dickkopf; vgl. 621-623). Sie haben
sich aber in der Bedeutung von diesem Worttyp zumeist entfernt.
Als Rückbildungen gehören hierher:
Zweirad (aus: zweirädrig), Dreieck (aus: dreieckig), Vierflach (aus: vierflächig) u. a.
Die Präfixe beim Substantiv und Adjektiv 379
y) Präposition + Substantiv
Diese Zusammenbildungen tragen die Suffixe -lieh oder -isch: 762
vorsintflutZicA (aus: vor der Sintflut), nachbörsfo'cA (aus: nach der Börsenzeit); vor-
germamscA (aus: vor den Germanen), außereuropäisch (aus: außerhalb Europas).
Die zuletzt genannten Adjektive folgen äußerlich dem Vorbild von Zu¬
sammensetzungen wie „frühgermanisch, alteuropäisch“ (vgl. 649 f.). Ihr
erstes Glied bestimmt aber nicht den im zweiten Glied genannten Begriff,
sondern es schließt ihn aus. Diese Adjektive sind also keine Zusammen¬
setzungen (vgl. auch 617).
Als Einzelfall sei hier die Bildung „eidesstattlich“ (aus: an Eides Statt)
angeschlossen.
c) Das zusammengebildete Adverb
Aus syntaktischen Gruppen abgeleitete Adverbien tragen das Suffix -s 763
(vgl. 752):
unterwegs (aus: unter [= während] dem Wege), hinterrücks (aus: hinter dem Rük-
ken); jeweils (aus: zu jeder Weile); oft-, je-, viel-, vormals; beider-* aller-, meiner-,
a nder [er ]seits u. a.
C. DIE PRÄFIXBILDUNGEN
Eine Mittelstellung zwischen Zusammensetzungen und Ableitungen 764
nimmt die nach Wortzahl und Leistung sehr gewichtige Gruppe der
Wortbildungen mit Vorsilben (Präfixen1) ein.
Die Präfixe sind Partikeln, die als freie Wörter nicht mehr Vorkommen
(vgl. 669). Das trennt diese Wortbildungsart %von der Zusammensetzung,
zu der sie ursprünglich gehörte. Doch haben wenigstens die Substantiv-
und Adjektivpräfixe ihre Betonung und damit ihren bestimmenden
Charakter behalten:
Unmensch, ürverwandt, 6rzböse.
Die Verbalpräfixe sind jedoch, wie die Partikeln in fest zusammenge¬
setzten Verben, unbetont und nähern sich damit den Ableitungssuffixen.
Ähnliches gilt für manche Bildungen mit un-:
beseelen, vergüten, unabänderlich.
Einige Präfixe erscheinen nur bei Substantiven und Adjektiven (un-, ur-),
andere nur bei Verben (be-, er-, ent-, ver-, zer-). Ge- (783) und miß- (784)
können zu allen drei Hauptwortarten treten.
Treten bei ihnen trotzdem Bildungen mit un- auf, dann handelt es
sich um Abschwächung des echten Oppositionswortes (vgl. 1166):
ungut (neben: schlecht), unschön (neben: häßlich), unschwer (neben: leicht).
2. bei Adjektiven, die mehrere Gegensätze zulassen:
rot, warm, mittel.
3. bei Adjektiven, die selbst schon einen negativen Sinn haben:
gering, arg, nackt, böse.
ß) Un- + Substantiv
767 Die Substantive mit Un- sind meist Ableitungen, Rückbildungen oder
Substantivierungen von Adjektiven mit un-:
Untreue, Unentschlossenheit (Ableitungen aus: untreu, unentschlossen); Unschuld,
Unmensch (Rückbildungen aus: unschuldig, unmenschlich); Ungeheuer, Ungehor¬
sam (substantivierte Adjektive).
Direkte Negation des Substantivs liegt dagegen vor in:
Undank, Unrast, Unvermögen; mit verlorenem Grundwort: Unflat, Ungeziefer.
Fast nur noch die Stufen der Geschlechterfolge bezeichnet ur- in den
Gegenbildungen [Urjurgroßvater - [Ur]urenkel. Wie ein selbständiges
Wort wird es anderseits abgeleitet in ,,urig“ (Schweiz.: urchig) und in dem
jüngeren „urtümlich“.
Die Perfektivierung ist oft mit der Einwirkung auf ein Ding oder Wesen
verbunden, so daß intransitive Verben durch das Präfix transitiv werden:
steigen - einen Berg besteigen, ersteigen; drohen - einen Menschen bedrohen.
1 In vielen Fällen ist der Endkonsonant des fremden Präfixes an den ersten Konso¬
nanten des Grundwortes angeglichen: Korrespondenz (statt: Korrespondenz), illegal,
immens (statt: inlegal, iwmens).
382 Die Präfixbildungen
f) Scheinbare Doppelpräfixe
780 Verben mit zwei Präfixen treten nur mit be- und ver- auf, sie sind aber
Ableitungen aus Präfixsubstantiven und -adjektiven:
beurlauben (aus: Urlaub), beunruhigen, verunglücken, vergesellschaften, verbeamten;
sich veruneinigen (aus: uneinig).
Ein etwaiges drittes Präfix wird dabei unterdrückt:
verunstalten (zu: Ungestalt), Schweiz.: verunschicken (zu: Ungeschick).
1 Vgl. Walter Henzen, Der heutige Bestand der Verben mit ver-, in: Fragen und
Forschungen im Bereich der germ. Philologie (Festgabe f. Th. Frings), Berlin 1956,
S. 173-189. Henzen gliedert z. T. nach anderen Gesichtspunkten.
Präfixe, die bei mehreren Wortarten stehen können 385
h) Fremde Verbalpräfixe
Fremde Verbalpräfixe sind sehr zahlreich, sie treten nur selten zu deut- 782
sehen Wörtern1:
adoptieren, demontieren, desodorisieren, disponieren, emanzipieren, exhumieren,
inserieren, inhaftieren (deutsches Stammwort!), intervenieren, konferieren, per¬
forieren, prädominieren, produzieren, rezitieren, snöskribieren,. transportieren.
1. Vorbemerkung
785 Bei der Ableitung standen wir vor einem Austausch zwischen den Wort¬
arten, der durch Veränderung des Stammwortes mit Hilfe von Suffixen
erreicht wurde (vgl. 684 ff.). Beim Wortartwechsel tritt das Wort ohne
formale Änderung in eine andere Wortart über. Auch durch dieses Mittel
bereichert die Sprache ihre Ausdrucksmöglichkeiten nicht unwesentlich.
Wechsel der Wortart 387
a) Gelegentliche Substantivierungen
Nach Bedarf können alle deutschen Wörter als Substantive verwandt 786
werden, ebenso einzelne Buchstaben, ganze Wortgruppen und Sätze.
Zur Flexion dieser Substantivierungen vgl. 316. Sie können Artikel und
Attribute zu sich nehmen und werden im allgemeinen groß geschrieben:
Das Dumme, Schorfe [bei dieser Sache]; das Bleibende, die Unvergessenen; das ver¬
traute Du; die letzten acht; Betteln und Hausieren verboten; Sein oder Nichtsein;
genieße das Heute', das lateinische S; das In-den-April-Schicken. Luthers „Hier stehe
ich, ich kann nicht anders“ ist. . .
b) Feste Substantivierungen
Viele ursprünglich gelegentlich verwandte Substantivierungen sind durch
den langen Gebrauch ziemlich fest, ja sogar zu echten Substantiven ge¬
worden (vgl. hierzu 367 f.).
790 Ganze Sätze erscheinen als Substantive in den sog. Satznamen (vgl. 624).
In seltenen Fällen sind Präpositionalgefüge ohne besonderes Suffix sub¬
stantiviert worden:
der Vormittag, Nachmittag (aus: vor, nach Mittag); die Mitternacht (aus: mhd. ze
mitter [= halber] nacht); das Zuhause (aus: zu Hause).
Etwas anderes ist es, wenn von der Zusammensetzung nur das zweite Glied (Grundwort)
gebraucht wird, weil das Bestimmungswort aus dem Sachzusammenhang selbstverständ¬
lich ist:
Bing statt: Fingerring, Wagen statt: Kraftwagen, Eisen statt: Hufeisen, Bügel¬
eisen usw.
Hier liegt in den meisten Fällen keine Wortkürzung vor, sondern die Anwendung einer
allgemeinen Bezeichnung auf die häufigsten oder im Augenblick wichtigsten Erschei¬
nungsformen der Gattung.
796 Silben- und Wortverdoppelung (Iteration1) ist ein altes Mittel vieler
Sprachen, das der Verstärkung des Ausdrucks und selbst der Mehrzahl¬
bildung dienen kann. Im Deutschen gehören verdoppelte Silben und
Wörter meist der Umgangssprache oder der Spräche des Kindes an.
Einfache Verdoppelungen sind etwa:
jaja, soso; plemplem (= verrückt); als Substantive: Mama, Papa, Popo, Wau¬
wau, Weh weh; schriftsprachlich: Kuckuck.
V. Volksetymologie
Von Volksetymologie spricht man, wenn ein unbekanntes Wort der 798
eigenen Sprache oder ein Fremdwort in naiver tVeise verdeutlicht wird,
indem es ganz oder teilweise an bekannte, klangähnliche Wörter der
eigenen Sprache angelehnt wird (vgl. 628 f.):
Friedhof (nicht zu Frieden, sondern aus mhd. vrithof = eingefriedeter Hof); Gras¬
mücke (nicht zu Mücke, sondern aus altem grasa-smucka — Vogel, der sich durch
das Gras schmiegt); Murmeltier (nicht zu murmeln, sondern aus lat. mure(m)
mont(is) = Bergmaus); Armbrust (nicht zu Arm und Brust, sondern aus lat.
arcubällista = Bogenschleuder); Hängematte (nicht zu hängen und Matte, sondern
aus indianisch hamaca).
Für uns ist aber die Sprachform wichtig, die man als die für die Sprach¬
gemeinschaft verbindliche hochsprachliche Norm bezeichnen kann.
Es ist die Schicht, die in der Literatur, in Presse und Rundfunk als
korrekt und richtungweisend anerkannt ist. Diese deutsche Hochsprache
ist, auch wenn sie von keinem Angehörigen der Sprachgemeinschaft
in voller Reinheit gesprochen wird, keine Fiktion, sondern eine Wirk¬
lichkeit im vollen Sinne des Wortes. Sie gewinnt ständig an Einfluß,
besonders auf Kosten der Mundarten, die langsam, aber ständig zu
rückgehen, so sehr man das auch bedauern mag. Die sogenannte Bühnen¬
sprache stellt nur besondere Forderungen an die Aussprache, ist aber keine
eigene Sprachform in diesem Sinne.
Es gibt in der deutschen Sprache eine Reihe von Wörtern, deren Lautung 800
uns Hinweise gibt auf das, was mit ihnen gemeint ist1.
Kikeriki und Kuckuck, wau, wau und mäh, mäh ahmen bestimmte Tier¬
stimmen nach, es sind lautmalende (onomatopoetische) Bildungen.
Allerdings lehrt uns genauere Beobachtung, daß kein Hahn kikeriki
kräht und kein Hund wau, wau bellt. Die deutschen Wörter zeigen nur
eine oberflächliche Verwandtschaft mit den Tferstimmen, es sind keine
einfachen Imitationen, sondern Wörter mit den gewohnten Lautmitteln
und dem üblichen Silbenbau unserer Sprache. Im Französischen schreit
der Hahn coquerico, im Englischen cock-a-doodle-doo usw. Die Wörter
sind nicht verschieden, weil dort andere Tierlaute erschallen — was an
sich auch denkbar wäre —, sondern weil in jeder Sprache die Tierlaute in
die Hörweise ihrer Sprecher umgesetzt und mit ihren lautlichen Möglich¬
keiten ausgedrückt werden. Der Inhalt dieser Wörter aber ist durchaus
von den Tierlauten her zu verstehen, die an unser Ohr dringen.
Etwas anders steht es schon, wenn wir Tierstimmen als bellen, blöken, 801
brummen, brüllen, gackern, grunzen, gurren,* krächzen, krähen, quaken;
summen, zwitschern usw wiedergeben. Auch hier scheint uns, wenn auch
in verschiedener Stärke, eine Verwandtschaft zum Tierlaut spürbar, aber
die Entfernung der Wörter zu den tatsächlichen Tierstimmen hat sich
doch erheblich vergrößert. Auch zeigt sich bei genauerem Hinhorchen
eine ziemliche Willkür in der Verknüpfung des Tieres mit dem zuge¬
ordneten Verb2.
Manchen Tieren wird ein eigenes Verb für ihre Stimme zugebilligt, mehrere andere müs¬
sen sich in ein Verb teilen. Nur das Pferd wiehert, nur der Hahn kräht, nur die Taube
.gurrt. Dagegen zwitschern viele Vögel, summen und brummen alle Bienen, Hummeln,
Wespen und Käfer, obwohl sie gar keine Stimmen haben, sondern das Geräusch mit
1 Vgl. dazu auch Walter Porzig, Das Wunder der Sprache, 2. Aufl. 1957, S. 20-30.
1 Vgl. Leo Weisgerber, Vom Weltbild der deutschen Sprache II, 1, 1953, S. 123-
126 und 131.
394 Der Inhalt des Wortes
den Flügeln erzeugen. Aber auch der Bär brummt. Wer hat diese Geräusche je verglichen ?
Sehr verschiedene Tierstimmen wie die des Rindes und des Löwen werden mit dem glei¬
chen Verb brüllen gefaßt, ziemlich ähnliche Stimmen wie die der Frösche und der Krähen
werden durch krächzen und quaken deutlich auseinandergehalten.
Die Zuordnung von Tier und Verb ist also keineswegs rein sachlich zu
begründen, sondern es spielt offenbar der Zufall eine Rolle, zumindest
lassen sich keine greifbaren Motive erkennen. Uns sind die heute geltenden
Zuordnungen so vertraut, daß wir sie als fest und unabänderlich be¬
trachten. Aber krächzen konnte z. B. im 16. Jahrhundert auch von
Schweinen gesagt werden, und der Dichter Freidank (13. Jahrhundert)
sagt gurren sogar von einem Esel1.
802 Ähnliche Beziehungen von Laut und Sinn liegen auch vor, wenn wir vom
Surren der Nähmaschine, vom Zischen des Wasserkessels und vom
Klappern der Topfdeckel sprechen. Lautmalende Wörter sind in unserer
Sprache ziemlich zahlreich vorhanden, es können auch jederzeit neue
Bildungen dieser Art geschaffen werden.
Auch Wörter wie spitz und Blitz, Gruft und Höhle scheinen uns lautlich
recht angemessen. Wir hören das Spitze, das Blitzartige, das Dunkle und
Geheimnisvolle der Gruft und der Höhle aus den hellen und dunklen
Vokalen und den Konsonanten Verbindungen heraus. Aber es wird be¬
denklich, wenn wir solche Beziehungen zwischen Laut und Sinn in allen
Sprachmitteln zu entdecken hoffen: tief paßt z. B. gar nicht dazu, es
müßte dann schon eher tuf heißen.
Blicken wir wieder aufs Französische und Englische, so zeigt sich, daß dort ganz andere
Lautungen als angemessen empfunden werden. Spitz: franz. pointu; engl, sharp. Blitz:
franz. Eclair; engl, lightning usw.
Wir hören also mehr in die eigene Sprache hinein oder aus ihr heraus, als
in ihr steckt bzw. ein Ausländer in ihr entdecken würde, wenn er die
Wörter zu beurteilen hätte. Ihm scheinen die Lautungen seiner Mutter¬
sprache angemessener. Künstlerisch veranlagte Menschen sind sehr viel
empfänglicher für solche Klangwirkungen als Verstandesmenschen.
wir, daß es eine Form des Adjektivs süß sein muß, aber so isoliert können
wir nicht sagen, welche. (Vergleiche: ein süßer Junge, ein Hauch süßer
Düfte, Küsse süßer als Wein).
a) Die Semasiologie
a) Allgemeines
804 Die Semasiologie1 ist jene Wissenschaft, die sich seit ihrer Begründung
durch Chr. K. Reisig (in dem Jahrzehnt zwischen 1820 und 1830) mit
der Bedeutung der Einzelwörter beschäftigt, und zwar vornehmlich mit
der Bedeutung von Wörtern der Hauptwortarten (Verb, Substantiv, Ad¬
jektiv). Zwar kann sie sich ebensogut auch der Bedeutung aller Bestand¬
teile der Sprache, angefangen vom Laut bis zum Satz, zuwenden, aber
hier — im Bereich der „Vollwörter“ — liegt ihr eigentliches Schwer¬
gewicht.
In der Regel wird von der Lautung eines Wortes ausgegangen und nach
ihrer Bedeutung gefragt, d. h. danach, was mit ihr gemeint ist bzw. woran
man denkt, wenn man sie gebraucht. Dabei wird — einem Zuge des aus¬
gehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts folgend — psycho¬
logischen Gesichtspunkten ein weiter Raum zugestanden: Man denkt
sich die Bedeutung als Verknüpfung der Lautung mit bestimmten Vor¬
stellungen im Einzelmenschen. Da sich diese Vorstellungen unter be¬
stimmten Bedingungen ändern können, kann sich ein Bedeutungswandel
ergeben, dem besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird2.
ß) Ihre Arbeitsweise
1. Die Erschließung der „eigentlichen“ Wortbedeutung
805 Lange Zeit war es üblich, die Frage nach der Bedeutung eines Wortes
mit der weiteren Frage zu verbinden, wie das Wort zu dieser Bedeu¬
tung gelangt ist. Die Blickrichtung war damit rückwärts gewandt.
Sie führte in die Sprachgeschichte hinein und zielte folgerichtig auf
die Erschließung der ursprünglichen oder „eigentlichen“ Bedeutung
des Wortes. Dabei berührte sie sich in vielem mit der Etymologie,
d. h. jener Forschungsrichtung, die mit den Mitteln einer ausgereiften
Methode die lautliche Grundform der Wörter zu erschließen sucht
und dann erst nach deren Bedeutung fragt.
Beispiele:
Bei einem Wort wie neuhochdeutsch Wand wäre demnach aiizugeben, daß es ur¬
sprünglich zu winden gehört und eigentlich das Gewundene bedeutet, nämlich das
Flechtwerk, aus dem in früherer Zeit die Hauswände hergestellt wurden. Vom Fach¬
werkbau kennen wir das heute noch. Die Methoden des Hausbaues haben sich ge¬
ändert, das Wort Wand aber ist geblieben.
Oder bei einem Fremdwort wie Snob wäre zu sagen, daß es wahrscheinlich aus dem
England des 18. Jahrhunderts stammt: Seit dieser Zeit konnten auch Bürgerliche
in englische Adelsschulen wie Eton usw. aufgenommen werden. Sie wurden mit dem
Vermerk s(ine) nob(ilitate) (ohne Adel) in die Schülerliste eingetragen. Da sich
diese meist aus reichen oder neureichen Familien stammenden Bürgerlichen nicht
immer entsprechend zu benehmen wußten und häufig protzerhaft auftraten, um es
ihren adligen Mitschülern gleichzutun, wurde die Abkürzung Snob zur Bezeichnung
für stutzerhafte Großtuer (Kluge, Etymologisches Wörterbuch).
2. Der Bedeutungswandel
Dabei wurde man in den meisten Fällen zugleich darauf aufmerk¬
sam, daß sich im Laufe der Zeit ein Bedeutungswandel vollzogen hat.
Diese Entdeckung schien so wichtig, daß man, dem Vorbild der
Altphilologie folgend, die auf diesem Gebiet richtungweisend war,
lange Zeit unter Bedeutungslehre die Lehre vom sogenannten Be¬
deutungswandel ^verstand.
a) Grundbegriffe
Betrachtet man die Wörter unter dem Gesichtspunkt ihres Be¬ 806
deutungswandels, so ergeben sich verschiedene Möglichkeiten:
Die Bedeutung eines Wortes kann sich erweitern oder verengen,
verbessern oder verschlechtern, von einem Gegenstand auf den
anderen übertragen werden usw. Entsprechend sind in der Sema¬
siologie verschiedene Fachterminologien aufgebaut worden, die
sich je nach dem Standpunkt der einzelnen Forscher voneinander
unterscheiden1.
Bedeutungserweiterung:
machen bedeutet ursprünglich kneten, streichen und konnte nur vom Lehm
und dergleichen gesagt werden. Deute kann eine Vielzahl von Tätigkeiten
mit machen ausgedrückt werden. Die Ausweitung der Bedeutung soll mit der
Wichtigkeit des Lehmbaues in alter Zeit Zusammenhängen.
Caesar, der Eigenname eines römischen Feldherrn und Staatsmannes, wird
als Kaiser zur Bezeichnung für ein monarchisches Staatsoberhaupt.
Bedeutungsverengerung:
Hochzeit, ursprünglich ein Wort, das hohe kirchliche und weltliche Feste be-
zeichnete, besonders jene Kirchenfeste, die länger als einen Tag dauern,
wie Weihnachten, Ostern, Pfingsten, wird auf die Eheschließung einge:
schränkt. Dieser Wandel hängt einmal mit dem Vordringen des Lehnwortes
Fest (lat. festum) im 13. Jh. zusammen, zum anderen damit, daß das Wort
Brautlauf (brüta uf) und vor allem das dazugehörige Verbum briuten (sprich:
brüten) einen ausgesprochen anstößigen Sinn annahm.
Schirm, eigentlich Schutz, Schild oder schützender Gegenstand, wird speziell
auf den Regen- oder Sonnenschirm eingeschränkt. Spricht man nur von
Schirm, ist in der Regel ein Regenschirm gemeint. Sonst braucht man meist
Zusammensetzungen wie Lampen-, Ofenschirm usw.
Bedeutungsverbesserung:
Marschall, einst der Pferdeknecht (mittelhochdeutsch marschalc, darin steckt
unser Wort Mähre und Schalk im Sinne von Knecht) wird zur Bezeichnung
Entlehnungen:
Bureau wird unverändert aus dem Französischen übernommen, heute jedoch
in der Schreibung eingedeutscht (Büro).
Lehnübersetzungen:
Ausstellung wird dem franz. exposition (ex = aus, Position = Stellung) nach¬
gebildet. Das Wort ist erst seit Goethe gebräuchlich, vorher sagte man
Schau. Dieses Wort wiederum dringt heute aus dem Amerikanischen ein,
allerdings meist im Sinne von Varieteveranstaltungen und ähnlichem.
Gewissen ist dem lat. conscientia (con = Ge-, scientia = Wissen) im 11. Jh.
von Notker als gawissan nachgebildet worden.
Die Semasiologie hat viele und wichtige Einsichten gebracht. Sie ist voll 808
von aufschlußreichen Überlegungen und verrät oft geradezu kriminali¬
stischen Spürsinn, aber natürlich fehlt es dabei auch nicht an Spekulatio¬
nen, die über das Ziel hinausschießen.
Die Mängel, hängen mit der geschilderten Grundauffassung zusammen
(Bedeutung verstanden als Verknüpfung von Laut und Vorstellung im
Individuum). Dies verleitet dazu, das, was die Bedeutung ausmacht, aus¬
schließlich außerhalb der Sprache zu suchen (im Bereich des Psychischen
oder in der Gegenstandswelt). Dabei wird die eigentümliche Natur des
Wortes als Glied einer überpersönlichen Ordnung, von der die Bedeutung
mitbestimmt ist, meist übersehen. Zugleich wird die Geltung eines Wortes
in bedenklicher Weise dem einzelnen Individuum ausgeliefert. Außerdem
wird angenommen, daß sich die mit einer Lautung verbundene Bedeutung
- aus was für Gründen immer - sehr erheblich wandeln könne, ohne doch
aufzuhören, das gleiche Wort darzustellen. Aufschlüsse über den Bedeu¬
tungswandel und die heutige Geltung eines Wortes glaubt man weithin
aus der Untersuchung des Einzelwortes gewinnen zu können. Erst in
neuerer Zeit wurde auch der Einfluß benachbarter Sprachmittel stärker
berücksichtigt.
400 Der Inhalt des Wortes
b) Die Onomasiologie
809 Demgegenüber geht die Bezeichnungslehre oder Onomasiologie1 von der
Frage aus, wie gegebene Erscheinungen, Wesen und Dinge sprachlich be¬
zeichnet werden. Dabei wird angenommen, daß die Wörter den Wesen
und Dingen, für welche sie gebraucht werden, unmittelbar zugeordnet
sind wie die Eigennamen einzelnen Menschen. Die Onomasiologie setzt
nicht nur voraus, daß man die Bezeichnungen für bestimmte greifbare
Gegenstände feststellen kann, sondern hält das ebenso bei geistigen Be¬
griffen für möglich, als seien Ehre und Treue, Geiz und Habsucht unab¬
hängig von jeder Sprache vorgegeben und man brauche nur zu fragen,
wie sie an verschiedenen Orten benannt werden2. Hier aber ergeben sich
Einwände.
Die moderne Onomasiologie ist vorwiegend eine Frucht romanistiscljer Forschungen und
nahm ihren Aufschwung im Zusammenhang mit wortgeographischen Untersuchungen,
die hauptsächlich in Frankreich, Spanien und Italien durchgeführt wurden. Um der
Sprach Wirklichkeit möglichst nahe zu kommen und das Leben der Mundarten mit ein¬
zufangen, verfolgte man die Bezeichnungen für einzelne Gegenstände und Begriffe in
ihrer geographischen Verteilung über ganze Sprachgebiete und konnte so eine große
Mannigfaltigkeit der Ausdrucksmittel nach weisen. Um diese Untersuchungen auf ge¬
sicherte Grundlagen zu stellen, ging man mit Vorliebe von bestimmten Gegenständen
aus (Pflug oder Schlitten, Biene oder Mücke) und fragte nun, wie die Bewohner der ein¬
zelnen Landstriche diese Gegenstände nennen. Da es sich um das Feststellen der Be¬
ziehungen zwischen Gegenständen und ihren Bezeichnungen handelt, ergeben sich
auch Verbindungen zu der von R. Meringer begründeten Forschungsrichtung „Wörter
und Sachen“3, die Bedeutungsprobleme durch Prüfung der Sachzusammenhänge zu
lösen sucht.
daß diese Gegenstände zum Sitzen dienen. Nicht nur die Funktion des Gegenstandes
allein, bestimmten Zwecken zu dienen, sondern auch die gedankliche Gliederung, die
unsere Sprache wie ein Netz über die Gegenstände ausgebreitet hat (J. Trier), kommen
dabei ins Spiel (vgl. 835 ff.).
Bei geistigen Begriffen ist die Sprachabhängigkeit noch unvergleichlich
größer, denn erst in und mit der Sprache werden die Werte, die sie ver¬
körpern sollen, gedanklich greifbar, und nur aus der Einbettung in das
Sinngefüge der Sprache wird der Einzelwert bestimmbar. Diese Inhalte,
die man sich untrennbar mit den Lautungen verknüpft denken muß -
beides zusammen, Laut und Inhalt, machen erst das Wort aus -, sind also
keineswegs dem Individuum überlassen, sondern sie empfangen ihre
Geltung vom überindividuellen Sinngefüge der Sprache her, das ich durch
den Prozeß der Spracherlemung in mich aufgenommen habe (vgl. hier¬
zu 832 bis 853).
2. Heutiger Gebrauch
812 Es genügt aber nicht zu sagen, Weib bedeute soviel wie Frau. Vielmehr
muß man noch manches hinzufügen, wenn man vermeiden will, daß unser
Frager das Wort falsch verwendet und unter Umständen sogar in pein¬
liche Lagen gerät. Zunächst dies:
Weib ist in der heutigen Sprache nur noch wenig gebräuchlich. Häufig
haftet ihm ein abwertender (pejorativer) Sinn an. Früher hätte man ohne
weiteres sagen können: Hinter dem Künstlernamen George Sand verbirgt
sich ein Weib. Heute könnte man das als abwertendes Urteil über die
französische Schriftstellerin empfinden. Wohl ist uns Weib im guten Sinne
noch in stehenden Wendungen wie Mann und Weib, mit Weib und Kind
u. ä. vertraut. Aber auch diese Wendungen fließen nicht so leicht in die
Alltagssprache. Wer sie verwendet, möchte meist eine besondere Wirkung
damit erzielen. Unter Männern hört man auch Wendungen wie ein tolles
Weib, wobei es im positiven Sinne um die äußere Erscheinung einer Frau
geht, während bei Prachtweib auch andere Eigenschaften mitgemeint
sein können. Der abwertende Klang wird deutlich in Zusammensetzungen
wie Marktweib und Waschweib, besonders, wenn man sie mit Marktfrau
und Waschfrau vergleicht.
neueren Übersetzern (z. B. Menge, 1926), die zwar häufig Frau für Weib einsetzen.
aber andererseits auch Weib an Stellen stehen lassen, wo wir heute Frau erwarten
würden. Es lassen sich auch keine festen Zuordnungen zu den verschiedenen Wörtern
der lateinischen und griechischen Vorlage feststellen, was wohl damit zusammenhängt,
daß auch dort der Sprachgebrauch nicht immer eindeutig ist.
Als Luther die Bibel übersetzte, muß Weib das gebräuchlichste Wort für
Frau gewesen sein. Das Wort hat also, wie die Semasiologie sagt, einen
Bedeutungswandel erfahren.
5. Erste Folgerungen
815 Auf zweierlei machen unsere bisherigen Beobachtungen aufmerksam:
Ein Wandel in der Geltung des Wortes Weib muß sich vollzogen haben,
aber er kann noch nicht alt sein, wenigstens noch nicht in der Sprache der
Literatur. Ferner zeigt sich, daß das Wort Frau immer wieder als Kon¬
kurrenzwort auftaucht. So drängt, alles dazu, die isqlierte, vornehmlich
semasiolögische Betrachtung des Wortes Weib ganz aufzugeben, wenn
wir den Wandel erklären wollen. Wir müssen dazu die sinnverwandten
Wörter heranziehen.
6. Sinnverwandte Wörter
816 Es gibt zwei neuere Wörterbücher, die nach „Sachgruppen“ geordnet
sind: „Deutscher Wortschatz“ von H. Wehrle (11. Auflage, Stuttgart
1954) und „Der Deutsche Wortschatz nach Sachgruppen“ von F. Dornseiff
(5. Auflage, Berlin 1959).
Beide Werke bieten zwar lediglich ungeordnete Wortsammlungen, aber als Ausgangs¬
punkt sind sie nützlich. Unter den Stichwörtern Ehe, Verlobung, Weibusw. finden wir
eine Fülle von Wörtern für den weiblichen Menschen, die aber erst in eine inhaltliche
Ordnung gebracht werden müssen. Ausscheiden können wir hier Wörter wie Pussel und
Schickse, weil sie nicht zur Hochsprache gehören, ferner die heute veralteten oder
ungebräuchlichen Wörter Frauensperson, Frauenzimmer, Weibsbild, Weibsmensch,
Weibsperson, Weibsstück u. ä. Diese Wörter sind vielfach zu Schimpfwörtern geworden,
ebenso wie Dirne, das früher einen guten Klang hatte. In Dirndlkleid steckt noch ein
Rest der guten Bedeutung. Mägdelein und Maid sind poetisch, Magd ynd Herrin
findet man vielleicht noch auf einem Gutshof. Eheweib ist veraltet, Jungfrau wird zu¬
nehmend medizinisch verstanden, Jungfer ist umgangssprachlich nur in Verbindung
mit alt zu verwenden, Weibchen ist heute vornehmlich von Tieren üblich. Umschreibun¬
gen wie bessere Hälfte, Evastochter usw. können beiseite bleiben, ebenso die zahlreichen
Verwandtschaftswör.ter wie Mutter, Tochter, Schwester, Tante, usw. Auch Freundin und
Geliebte sind in steter Gefahr, ab wertend gebraucht zu werden.
Es verbleiben in alphabetischer Reihenfolge:
Backfisch, Braut, Dame, Ehefrau, Ehegattin, Frau, Fräulein, Gattin,' Gemahlin, Haus¬
frau, Mädchen, Mädel, Verlobte, Weib, Witwe.
gebraucht. Ledige, die früher Wert auf die Anrede Fräulein legten, möch¬
ten heute mit Frau angeredet werden, ja sie haben sogar einen rechtlichen
Anspruch auf diese Anrede. So dehnt sich die Geltung des Wortes Frau
auch noch auf Kosten von Fräulein ständig aus. Die gebräuchlichsten
Wörter sind heute wohl Mädchen, Fräulein und Frau. Unwichtig ist auch
nicht, die männlichen Gegenwörter Mann, Ehemann, Gatte, Gemahl usw.
mit zu beachten.
Zur Anrede eignen «ich besonders Fräulein und Frau, gegebenenfalls mit Ergänzungen
(Hebe, sehr geehrte, verehrte, gnädige usw.>, deren Gebrauch vom Verhältnis des Sprechers
zur Angeredeten und von ihrer gesellschaftlichen Stellung abhängt. Der Nachteil, daß man
die Anrede Frau nicht gebrauchen kann, wenn man den Namen der Angeredeten nicht
tfennt (gnädige Frau ist nicht immer ersatzweise möglich), zwingt Verkäufer und Kellner
zu der Notlösung „die Dame“ oder „meine Dame“. Aber die Eleganz und Leich¬
tigkeit des französischen Madame ist damit nicht zu erreichen.
Dame ist ein Wort mit soziologischem Wertakzent, wie aus den Wendun¬
gen eine wahre Dame, eine Dame der Gesellschaft usw. hervorgeht. Her¬
kunft und Stand, aber auch Erziehung und Umgangsformen können dabei
eine Rolle spielen.
Dame im negativen Sinne ist uns weniger geläufig, wohl Dämchen oder Lebedame.
Wir stutzen daher bei folgendem Zitat von Th. Fontane: Sie war überhaupt keine Frau;
im günstigsten Fall war sie eine Dame, Hierin liegt wohl eine Kritik an der Äußerlichkeit
des Gesellschaftslebens.
Kommen wir nun auf unser Wort Weib zurück und fragen wir, ob es nicht 818
auch sonst noch im guten Sinne gebraucht werden kann. Vergleichen wir
die Wendungen Mann und Frau und Mann und Weib, so empfindet der
Leser mit feinem Sprachempfinden einen Unterschied: Bei Mann und Frau
denkt man eher an Ehegatten,, bei\Mann und Weib an die Polarität der
Geschlechter. Das wird noch deutlicher, wenn wir folgende Buchtitel
heranziehen:
Ploss/Bartels: Das Weib in der Natur- und Völkerkunde (11. Auflage, Berlin 1927);
Margaret Mead: Mannund Weib. Das Verhältnis der Geschlechter in einer sich wan¬
delnden Welt (Hamburg 1958).
Hier ist offenbar Weib als Gegenpol zu Mann gemeint, die Frau als Ver¬
treterin des weiblichen Geschlechts.
Bei dem Buch der amerikanischen Völkerkundlerin M. Mead handelt es sich tatsächlich
um die Übersetzung des Originaltitels: Male äpd Female. Bei Tieren würde man sagen:
Männchen und Weibchen.
kenne (und ist mehr wert als Frau, so dünkt mich). Aber Schopenhauer (19. Jahrhundert)
zürnt über den „immer allgemeiner werdenden Gebrauch des Wortes Frauen statt
Weiber, wodurch abermals die Sprache verarmt, denn Frau heißt uxor (lateinisches
Wort für Ehefrau) und Weib mulier (das allgemeinere lateinische Wort für Frau, das
allerdings auch für Ehefrau vorkommt) . . . Die Weiber wollen nicht mehr Weiber
heißen“ (Trübner, Bd. 8, S. 74 und 75).
a) Zitate
Als erste Gruppe können wir Zitate berühmter Dichter und Denker nen- 825
nen, mit denen wir unsere Rede schmücken. Freilich geschieht das bis¬
weilen nicht ohne den Hintergedanken, uns dadurch zugleich als Kenner
der Literatur zu erweisen:
Denn was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen
(Goethe). Etwas ist faul im Staate Dänemark (Shakespeare).
Wenn solche Zitate derart in Umlauf sind, daß der Sprachgebrauch ihre
Form abschleift und ihre Herkunft verwischt, kann man von geflügel¬
ten Worten sprechen.1.
c) Redensarten
827 Die allgemeinen Redensarten werden demgegenüber als so allgemeinver¬
ständlich und für sich selbst sprechend empfunden, daß man gar nicht
merkt, daß auch hier ein übertragener Sinn vorliegt;
Aus einem bestimmten Grund mit den Achseln zucken oder den Köpf schütteln usw.
Übergänge von einer Kategorie in die andere sind möglich, aber doch
wohl seltener als man annehmen köniite. Wenn einer etwas schwarz auf
weiß bewiesen haben möchte oder der Ansicht ist, daß an einer Sache
etwas faul ist, so ist gar nicht gesagt, daß diese Wendungen aus den ge¬
nannten Zitaten stammen müssen.
d) Gemeinplätze (Topoi)
828 Hier könnte man nun die Fülle der Gemeinplätze (Topoi) anschließen, die
ebenfalls von ganzen Sätzen bis zu kurzen Wortverbindungen reichen. Sie
gehen zum Teil auf antike Vorbilder zurück, wo sie zu einem festen System
von Redefloskeln ausgebaut waren. Es waren bestimmte Muster zum
Ausdruck eigener Bescheidenheit, der Anteilnahme, des Lobes usw. Ihre
Formel- und Phrasenhaftigkeit ließ sie teilweise bis zur Bedeutungslosig¬
keit verblassen2:
Mir fehlen die Worte, um . . .; meiner unmaßgeb liehen Meinung nach; zu meinem
größten Bedauern; es ist mir eine besondere Ehre; mit Recht.
f) Feste Verbindungen
830 Von besonderer Wichtigkeit sind schließlich eine Menge von festen Ver¬
bindungen, die zum Teil unersetzbar sind (Erfolg haben, erfolgreich sein,
während das Französische und Englische einfache Verben dafür haben:
r&ussir und to succeed), zum Teil aber auf Umschreibung einfacher Verben
beruhen (Anordnung treffen für anordnen> Befehl erteilen für befehlen, Be¬
richt erstatten für berichten usw.).
Diese festen Verbindungen scheinen in der heutigen Sprache stark zuzunehmen, zum
Verdruß vieler Sprachfreunde. Man spricht vom „Schwellcharakter der deutschen
Sprache“, von einem „Hang zur Nominalisierung“ und kämpft für die rein verbale
Ausdrucksweise. Sicher ist an dieser Stellungnahme viel Wahres. Es sind aber noch
eingehende Untersuchungen nötig, um diese Erscheinung gerecht beurteilen zu können1.
I. Die Wortstände
832 Um deutlich zu machen, was sich die inhaltbezogene Sprachbetrachtung
unter einem Wortstand vorstellt, wählen wir das Beispiel der Berufswörter
und gehen hierbei von der Endung -er aus.
Das Suffix -er (vgl. 719) zeigt uns bei zahlreichen Substantiven Berufe an.
Zu hacken gehört der Bäcker, zu lehren der Lehrer, zu schneiden der Schnei¬
der usw. Aber es wäre ganz falsch anzunehmen, alle Berufsbezeichnungen
müßten so gewonnen werden, ebenso falsch wie die Annahme, die Substan¬
tivendung -er könnte nur Berufsbezeichnungen liefern.
Welche anderen Möglichkeiten kennt nun die deutsche Sprache, Berufe
anzuzeigen ?
Zu den Wörtern auf -er gehören zunächst die Varianten auf -ler und -ner wie Drechsler,
Künstler und Gärtner, Klempner usw.
Dann gibt es stammhafte Berufswörter wie Bote, Hirte, Koch, Schmied, Wirt usw.
Ferner Zusammensetzungen mit -mann wie Hauptmann, Kaufmann, Seemann und
Schutzmann (wobei im Plural -männer und -leute in Konkurrenz treten können, vgl. 270).
Schließlich eine Fülle von Berufs Wörtern, die aus fremden Sprachen, besonders dem Grie¬
chischen und Lateinischen, aber auch aus dem Französischen, entweder entlehnt sind
oder aber später erst künstlich nach vorhandenen Vorbildern neu gebildet worden sind:
Geologe, Graphologe, Philologe, Psychologe (griechisch); Archivar, Bibliothekar
(griechisch-lateinisch); Astronom, Ökonom (griechisch-lateinisch); Direktor, Doktor,
Professor (lateinisch); Dentist, Jurist (lateinisch); Chauffeur, Friseur, Ingenieur,
Monteur (französisch); Sergeant, Fabrikant (französisch); Kapitän, Pilot (französisch).
(Die französischen Wörter gehen ihrerseits wieder meist auf lateinische zurück.)
Zu beachten ist, daß die weibliche Berufsvertreterin in manchen Fällen die zusätzliche
Endung -in erhält (Ärztin, Lehrerin, Stenotypistin usw.), in anderen Fällen aber auch
die männliche Form diesen Dienst mit versieht (Frau Doktor, Frau Professor usw., vgl.
1203).
Diese kurze Übersicht ergibt, daß Berufe im Deutschen auf verschiedene
Weise formal angezeigt werden können. Verschiedene Endungen oder
endungsartige Elemente wirken zusammen, um den Bedarf an solchen
Wörtern zu decken.
Man hat diese Teilgruppen, wie z. B. die auf -er, nach einem Vorschlag des
RomanistenK. Baidinger (semantische) Nischen genannt1 (das Bild mag
an die Nischen der Bauwerke erinnern, die besondere Gehalte aufnehmen).
Die inhaltlich zusammengehörigen Obergruppen aber - wie in unserem
Falle die Berufswörter - werden nach einem von L. A. Stoltenberg ge¬
prägten Ausdruck Wort stände genannt2.
wissen, in welcher Reihenfolge die Wörter entstanden, sind, ob also das Verb voranging
und von ihm die anderen Formen abgeleitet wurden oder ob ein Substantiv am Anfang
stand und von ihm die weiteren Formen gebildet wurden.
Wichtig ist, daß die inhaltliche Zusammengehörigkeit der Wortgruppen
empfunden wird, daß also die inhaltliche Geltung der Wörter in der heu¬
tigen Sprache noch zusammenhängt.
Für solche inhaltlich zusammenhängenden Ableitungsgruppen wäre an
sich der Ausdruck Wortfamilie recht gut geeignet, wenn er sich nicht
im Sinne der lautlich begründeten Abhängigkeit, d. h. der etymologischen
Verwandtschaft eingebürgert hätte. Diese Verwandschaft garantiert aber
keineswegs eine inhaltliche Zusammengehörigkeit in der Gegenwarts¬
sprache. Denn die Lautform ist auch hier kein sicherer Wegweiser zum
Inhalt. Viel öfter, als man erwarten sollte, ist das inhaltliche Band zwi¬
schen etymologisch zusammengehörigen Ableitungen gerissen.
So bringen wir zwar noch Hof, Höfling und höfisch in Verbindung, wobei wir aus Kennt¬
nis der geschichtlichen Zusammenhänge an den Königs- und Fürstenhof und nicht an
den Bauernhof denken. Aber höflich, das auch dort beheimatet ist, wird schon nicht
mehr als zugehörig empfunden. — Wer eine Sache häßlich findet, braucht sie deshalb
nicht zu hassen, also häßlich nicht an hassen anzuschiießen, von dem es herkommt.
Hier würde man aber auch von Wortfamilien sprechen.
Deshalb empfiehlt es sich, für die inhaltlich zusammengehörige Ableitungs¬
gruppe einen neuen Ausdruck einzuführen. L. Weisgerber hat dafür den
Begriff Fächerung vorgeschlagen und ihn in Zusammenhang mit dem
sprachlichen Feld der Färb Wörter, auf das wir noch eingehen (vgl. 838),
an den deutschen Grundfarbwörtem rot, gelb, grün usw. erläutert.
Diese Farbwörter, deren Inhalt von der Gesamtordnung der Farbwörter mitbestimmt
ist, falten sich gedanklich wie ein Fächer in mehrere Ableitungen auf: Neben rot haben
wir rötlich, das Rot, die Röte, die Rötung, ferner röten, sich röten und erröten. Diese Ab¬
leitungen ermöglichen uns, das Farbige unter verschiedenen Gesichtspunkten zu sehen
und zu beurteilen. Die -lieh-Ableitung deutet eine Ähnlichkeit oder Annäherung eines
Farbwertes zum Stammwort an. Die Substantivierung, das Rot, erlaubt uns, den Farb¬
eindruck zum Gegenstand einer Aussage zu machen (Das Rot dieser Rose ...), aber
auch im allgemeinen Sinne über alle Roterscheinungen oder etwa über das Wesen
dieser Farbe zu sprechen. Ähnliche Dienste leistet die Röte, die aber wohl weniger ge¬
bräuchlich ist (vgl. das Morgenrot und die Morgenröte). Das Verb röten ist im Sinne von
rot machen oder rot färben zu verstehen, sich röten kann man von Gegenständen sagen,
die rot werden (Früchte, aber auch vom Himmel oder etwa von Papieren, die unter
Einwirkung von Chemikalien rot werden usw.). Den Vorgang wie das Ergebnis des Rot¬
werdens kann man als Rötung bezeichnen, allerdings ist dieses Verbalabstraktum meist
für die krankhafte Entzündung der Haut u. ä. gebräuchlich. Erröten ist nur vom Men¬
schen möglich, dem aus irgendeiner inneren Erregung, Scham, Verlegenheit oder Über¬
raschung das Blut zu Kopf steigt. Bei den letztgenannten Wörtern ist zwar die inhalt¬
liche Beziehung zum Farbwort noch gewahrt, aber es fragt sich, ob man diese Glieder
noch zum Rotfächer rechnen soll, denn sie gehören zugleich in andere Sinnbezirke,
Rötung etwa in einen Sinnbezirk der Krankheits- und Entzündungserscheinungen,
erröten neben erbleichen u. ä. in einen Sinnbezirk menschlicher Verhaltensweisen.
Auffällig ist, daß nicht von allen Farbwörtem alle Ableitungen möglich
sind, eine Beobachtung, die man auch sonst häufig machen kann1.
1. Allgemeine Bemerkungen
Eine wichtige Methode, den Inhalt eines Wortes aus seiner Einbettung in 835
einen Bezirk sinnverwandter Wörter zu bestimmen, ist unter dem Namen
des sprachlichen Feldes bekanntgeworden. Sofern es sich nur um die
Bestimmung von Wortinhalten handelt, kann man auch von Wortfel¬
dern sprechen. Das Prinzip läßt sich aber auch auf größere sprachliche
Einheiten anwenden, und deshalb ist der weitergefaßte Gedanke des
sprachlichen Feldes oft vorzuziehen. „Feld“ ist dabei allerdings nicht als
Bild für zweidimensionale Gebilde, etwa im Sinne von Wortmosaiken zu
verstehen, sondern eher im Sinne von Kraßfeld, womit zum Ausdruck
kommt, daß die Wörter nicht isoliert stehen, sondern daß zwischen ihnen
Wechselbeziehungen wirksam sind. Der Gedanke des Feldes stützt sich
auf die Grundvorstellung, daß sich aus dem Gesamtgefüge des deutschen
Wortschatzes einzelne Sinnbezirke ausgliedem oder ergliedern, aus diesen
wieder Wortfelder im eigentlichen Sinne. Aus den Wortfeldern gliedern
sich wiederum die Einzelwörter aus. Ihr Inhalt ist von den Feldnachbam
mit bestimmt, sie haben innerhalb des Feldes Stellenwert. - Die Entwick¬
lung des Feldgedankens ist besonders Jost Trier zu verdanken.
Diese Theorie hat sich als sehr fruchtbar erwiesen, sofern man sie als erhellendes Prinzip
gelten läßt. Schwierigkeiten können sich jedoch ergeben, wenn man den Gedanken zu
streng formuliert. Geht man so weit, die Geltung eines Wortes sei nur dann voll erfaßbar,
wenn man über das gesamte Feld verfügt, läßt man ferner nur das Prinzip gegenseitiger
Abgrenzung gelten und duldet man keine Überschneidungen und Überlagerungen, dann
werden ernste Einwände möglich.
Denn einmal hat es sich als geradezu unmöglich erwiesen auszumachen, wo genau die
Grenzen eines Feldes liegen und ob man alle zugehörigen Wörter erfaßt hat. Zweitens
muß das Feld — wie die ganze Sprache — in steter Bewegung und Entwicklung ge¬
sehen werden. Ständig können neue Wörter hinzutreten und andere ausscheiden. Wenn
sich aber der Inhalt des Einzelwortes automatisch mit jeder Veränderung im Gesamtfeld
verändert, so wird er nie genau zu erfassen sein. Schließlich verfügt jeder Angehörige der
Sprachgemeinschaft nur über einen mehr oder minder großen Ausschnitt seiner Mutter¬
sprache — niemand kann behaupten, er besitze sie vollständig —, so daß er praktisch
auch über keinen Inhalt voll verfügen könnte. So weit braucht man aber sicher nicht
zu gehen.
Auch wenn die Diskussion um den FeldbegrifF heute noch nicht abgeschlossen ist, darf
man sagen, daß er, mit Maß und Ziel angewandt, wertvolle Aufschlüsse verschaffen
Hann, die auf keine andere Weise zu erlangen sind.1
2. Beispiele
a) Die Zensurenskalen
Zur Darstellung der Feldbetrachtung wird gerne das Beispiel der ver- 836
schiedenen Zensurenskalen herangezogen2, die in den vergangenen Jahr¬
zehnten an den deutschen Schulen nacheinander gebräuchlich waren.
1 Vgl. hierzu die Beiträge von H. Schwarz und G. Kandier in der Festschrift für
L. Weisgerber „Sprache - Schlüssel zur Welt“, Düsseldorf 1959.
8 Das Beispiel stammt von Jost Trier und wurde wiederholt von Leo Weisgerber
(z. B. Weltbild II, 1, S. 90) aufgegriffen.
416 Die Gliederung des Wortschatzes
Der Feldgedanke besagt nun, daß die einzelnen Werte nicht dieselben
bleiben, wenn sie von einer Vierer- in eine Fünfer- oder Sechserreihe über¬
wechseln. Gut behält zwar stets die zweite Stelle, aber sein Wert steigert
sich, wenn dahinter statt drei noch vier oder fünf Prädikate folgen. Das
leuchtet ein.
Allerdings erlaubt das Beispiel auch Einwände, die man nicht übersehen sollte. Es
handelt sich zunächst um. kein Beispiel aus der gewachsenen Sprache, sondern um Be¬
schlüsse von Schulbehörden, die einen bestimmten Zweck verfolgen, wobei sie allerdings
auf die muttersprachliche Geltung der verwendeten Wörter Rücksicht nehmen mußten.
Die wachsende Differenzierung der Notenskala sollte den Lehrern Gelegenheit geben,
die Leistungen der Schüler genauer zu beurteilen. Zum Beispiel hatte die Aufspaltung
des Prädikats genügend in befriedigend und ausreichend den Sinn, den weiten Durch¬
schnittsbereich des genügend aufzugliedern, um dem Schüler zu zeigen, ob seine Leistung
dem gut oder dem mangelhaft nähersteht. Die Aufgliederung hatte also nicht den Zweck,
etwa den Bereich von gut einzuengen. Praktisch wird allerdings diese Wirkung doch er¬
zielt , denn es ist sehr wahrscheinlich, daß gut nunmehr, da es mehr Noten
darunter gibt, weniger häufig gegeben wird. Sehr gut kann aber in bestimmten Fällen
in allen Skalen gleichwertig bleiben, z. Bi bei Rechenaufgaben und Diktaten, wo man
sehr gut = null Fehler festsetzen kann. Sehr gut und gut werden jedoch unmittelbar be¬
troffen, wenn, wie bei Hochschulzensuren, noch ein ausgezeichnet oder mit Auszeichnung
(summa cum laude) an die Spitze tritt.
Das Fruchtbare der Feldbetrachtung wird also an diesem Beispiel durch¬
aus deutlich, allerdings zeigt sich daran auch, daß man den Gedanken
nicht zu schematisch auslegen darf. Denn es handelt sich in der Sprache um
geistige Beziehungen, die nicht mit der kausalgesetzlichen Verteilung von
Gasdruck in verbundenen Behältern oder von Flüssigkeit in kommuni¬
zierenden Röhren verglichen werden darf. Hinzu kommt gerade im ge¬
nannten Beispiel der Schulzensuren die Möglichkeit individueller Aus¬
legung, wie sie in dem Ausspruch eines Lehrers zum Ausdruck kommt,
der nicht gerne ein gut gab: „Gut ist zu gut, genügend genügt, genügend
ist auch gut“.
färben oder mit einem Grundfarbwort gekoppelt sind (kornblurrien~ und himmelblau). Der
Riesenbereich der Malerfarben kann hier am Rande bleiben. Dort gibt es Bezeichnungen,
die den chemischen Grundstoffanzeigen (Ocker, Zinnober usw.) oder für die sich bestimmte
Bezeichnungen eingebürgert haben (Preußischblau, marineblau usw.). Es gibt ferner Mode-
farbwörter wie tizian und cognac, die kaum festzulegen sind, und reine Phantasiebezeich¬
nungen wie Miami und Florida (für Lippenstiftfarben).
Am wichtigsten sind für uns die altererbten abstrakten Grundfarbwörter
rot, gelb, grün und blau, ergänzt um die neueren Farbwörter orange und
violett, sowie Wörter für Mischfarben wie rosa, lila, braun usw., ferner
auch die sogen, unbunte Reihe schwarz, grau, weiß. Auf die Ableitungen
und ihre besonderer^ Verwendungsweisen wurde schon bei der Fächerung
hingewiesen (vgl. 834).
Nach Auffassung der heutigen. Fachwissenschaft vermögen alle normal-
sichtigen Menschen den gleichen begrenzten Bereich physikalisch me߬
barer Lichtstrahlen als Farbempfindungen wahrzünehmen und auch die
gleiche Vielzahl von Farbtönen zu unterscheiden. Dieses menschliche
Farbsehvermögen hängt wesentlich ab von der Struktur unserer Seh¬
organe, des Auges und der mit ihm verbundenen Hirnzentren. Demnach
könnte man erwarten, daß in allen Sprachen auch die gleiche Vielfalt von
Färb Wörtern ausgebildet wäre. Aber der Sprachvergleich zeigt, daß davon
keine Rede sein kann.
Das Farbband des Sonnenspektrums (das allerdings nur einen Bruchteil der sichtbaren
Farben umfaßt) wird in den Sprachen nicht in gleicher Weise aufgegliedert. Anzahl und
Geltung der zur Verfügung stehenden Farbwörter sind verschieden (wenn auch in den
europäischen Sprachen ein weitgehender Ausgleich eingetreten sein mag).
Die Geltung der Farbwörter läßt sich also nicht allein von äußeren Be¬
dingungen her ableiten. Wohl mögen wichtige Farbträger wie das Blut,
der wolkenlose Himmel und die Blätter der Pflanzen sowie besonders die
Struktur der für das Farbsehen wichtigen Netzhaut die Ausprägung be¬
stimmter Grundwerte begünstigt haben. Aber ähnlich wie schon das
Wahrnehmen eines bestimmten Farbwertes nicht ohne Mitwirkung aller
übrigen Werte zu denken ist (die Farbe des Blutes kann sich nur aus einer
andersfarbigen Umgebung als Eigenwert herausheben, und alle Netzhaut¬
schichten müssen mitwirken, um diesen bestimmten Farbwert entstehen
zu lassen), so ist auch die Geltung eines Färb Wortes nicht unabhängig von
der Geltung der übrigen Farbwörter zu begreifen. Die Reichweite von rot
geht so weit, bis Farbwörter wie orange, gelb usw. in Konkurrenz treten.
Die Grenzen zwischen den einzelnen Wörtern sind sicher nicht mit dem
Lineal zu ziehen, sie schwanken auch von Sprecher zu Sprecher, aber der
Feldgedanke erweist sich doch als mitbestimmender Faktor. Schon im
Deutschen selbst können wir die Richtigkeit dieser Beobachtung prüfen.
Es gibt Angehörige unserer Sprachgemeinschaft, z. B. ältere Leute auf dem Lande, die
nie modernere Farbwörter wie orange und violett gelernt haben. Wie können sie nun einen
Farbton zwischen rot und gelb, für den man orange gebraucht, und einen Farbton zwischen
blau und rot, der violett genannt werden kann, bezeichnen ?
Sie können sich mit Zusammensetzungen wie rotgelb und blaurot (oder auch mit umge¬
kehrter Gliederfolge) behelfen, wie es auch Goethe anfangs in seiner Farbenlehre tat.
Sie können auch von rötlich und bläulich sprechen, um die Nähe zu diesen Farben anzu¬
deuten. Sie können schließlich möhrenfarbig und veilchenfarbig oder so ähnlich sagen,
d. h. auf einen ihnen bekannten Farbträger hinweisen. Wem aber eine solche Ausweich¬
möglichkeit nicht liegt, dem bleibt nichts anderes übrig, als einfach von rot oder blau oder
gelb zu sprechen, d. h. er bezieht die Zwischentöne mit in das bekanntere Farbwort ein
Das sprachliche Feld 419
Der Besitz differenzierender Farbwörter wie orange und violett (nicht zu verwechseln mit
dem viel helleren, weißhaltigen lila) erlaubt aber, auf einfachste Weise eine genauere
Gliederung vorzunehmen, wobei allerdings orange wegen gewisser Ausspracheschwierig¬
keiten bei uns nicht recht heimisch werden will (W. Ostwald schlug kreß vor, aber auch
das hat sich nicht eingebürgert).
Die Folgerungen sind nicht unwichtig: Maler, Modefachleute und andere
Berufszweige, die mit einer Fülle von genaueren Farbbezeichnungen ver¬
traut sind, werden sich kaum klar darüber, daß sie ihr feineres Unterschei¬
dungsvermögen nicht nur dem täglichen Umgang mit Farben verdanken,
sondern auch der Wirkung der differenzierenden sprachlichen Begriffe,
die ständig auf feinere Nuancen aufmerksam machen.
d) Die Temperaturwörter
Für Wärme- und Kälteempfindungen stellt unsere Muttersprache eine 839
ganze Reihe von Wörtern zur Verfügung. Mustern wir sie durch, so fällt
auf, daß ihr Anwendungsbereich und ihre Gleitung schwankt, genauer
gesagt, abhängig davon ist, wo oder woran die Temperatur festgestellt
wird. Man kann also nicht alles von allem sagen.
Temperaturwörter brauchen wir vornehmlich für die Beurteilung des
Wetters und der Luft (z. B. in Räumen) sowie von Flüssigkeiten, Speisen
und Gegenständen.
In manchen Bereichen kann man mit den beiden Grundwörtern kaU und
warm auskommen, und so finden sich an vielen Geräten, Heizungen und
Wasserleitungen nur diese beiden Pole bezeichnet. In anderen Bereichen
braucht man zusätzlich den Steigerungsgrad heiß. Mit dieser Dreierreihe
kommt man notfalls überall aus, zumal man noch mit Zusätzen wie sehr,
ziemlich usw. differenzieren kann. Kalt, warm und heiß sind ziemlich all¬
gemein verwendbar. Wie aber steht es mit den weiteren Zwischenstufen
und Zusammensetzungen wie eisig kalt, bitter kalt, kühl, mild. Und, lau oder
lauwarm, schwül, drückend oder drückend warm, brüllend, kochend, sen¬
gend und siedend heiß usw. ? Hier zeigen sich schon eine Reihe von Ein¬
schränkungen.
Zunächst macht die Sprache darauf aufmerksam, daß offenbar ein Bedürfnis nach einer
Aufgliederung des Bereiches zwischen kalt und warm besteht. Die entsprechenden Wörter
sind aber nicht allgemein verwendbar. Manche lassen z.. B. fine kühle Stirn, kühle Hände
u. ä. gelten, andere halten kühl nur vom Wetter, der Luft, Flüssigkeiten, besonders Ge-
420 Die Gliederung des Wortschatzes
tränken, für möglich, abgesehen von den übertragenen Verwendungen (ein kühler Emp¬
fang). Auch lau oder lauwarm beschränken die einen auf Wetter, Luft, Flüssigkeiten und
Speisen, andere finden es auch normal, von einem lauwarmen Ofen oder einer lauwarmen
Heizung zu sprechen. Mild, schwül, drückend oder drückend warm, aber auch brüllend heiß
wird meist nur vom Wetter oder von der Luft gesagt. Lind kann man von der Luft und
vom Kegen sagen (es wirkt leicht poetisch), siedend heiß nur von Flüssigkeiten, kochend
heiß von Flüssigkeiten und Speisen.
Die Temperaturwörter sind also nicht unabhängig. Heiß ist offenbar nicht
der gleiche, in Celsius meßbare Wärmegrad, wenn man es vom Wetter,
von Händen, vom Badewasser, von einer Tasse Kaffee oder einem Teller
Suppe, einem Bügeleisen oder einem Ofen sagt. Vielmehr spielen dabei
verschiedene Faktoren eine Rolle.
Einmal zeigt heiß einen Wärmegrad an, der über das normale oder zu erwartende Maß
hinausgeht, so beim Wetter oder bei Händen, deren Hitze eine Krankheit erkenfien
lassen kann. - Weiter kann heiß einen erwünschten und auch für den Körper erträglichen
Wärmegrad anzeigen wie bei Speisen und Getränken. - Schließlich kann heiß bei Geräten
einen für bestimmte Zwecke notwendigen Wärmegrad bezeichnen, der jedoch Verbren¬
nungen verursachen würde, käme der Mensch unmittelbar damit in Berührung.
Heiße Hände sind, in Wärmegraden gemessen, sicher wesentlich kälter als heißer Kaffee,
und dieser ist wiederum wesentlich kälter als ein heißes Bügeleisen. Wäre das Bügeleisen
nur so heiß wie der heiße Kaffee, dann wäre es zum Bügeln zu kalt.
Heiß ist also ein relativer Wert, der an bestimmte Tauglichkeits- und
Erwartungsnormen1 gebunden ist. Dabei sind auch Kontrastwirkun¬
gen wichtig: Wer aus Eis und Schnee in eine wohlgeheizte Stube tritt,
wird sie ausgesprochen heiß finden, während sie dem, der sich schon
länger dort aufgehalten hat, normal warm vorkommt.
Daß die sprachliche! Ordnung auch auf physiologische Voraussetzungen
aufmerksam machen kann, ist für den, der die innige Verwobenheit von
Sprache, Mensch und Umwelt kennt, nicht weiter verwunderlich.
Wenn wir eine mit den Händen gemessene Wassertemperatur warm nennen, die gleiche
Temperatur aber z. B. am Ellenbogen als heiß beurteilen (eine Erfahrung, welche die
Mutter nutzt, wenn sie die Temperatur des Badewassers für das Kind prüft), dann zeigt
sich daran, daß die Hand nicht so wärmeempflndlich ist wie der Arm. Wenn wir heißen
Kaffee oder eiskalte Getränke mit Behagen schlürfen, so weist das darauf hin, daß die
Mundhöhle relativ wärmeunempflndlich ist. Weit weniger unempfindlich sind Zungen¬
spitze und Zähne, denen wir deshalb die Berührung mit extremen Temperaturen zu er¬
sparen suchen. Die Sinnenphysiologie bestätigt, daß die Wärmeempflndungsorgane am
menschlichen Körper verschieden dicht verteilt sind.*
Die Mehrschichtigkeit des muttersprachlichen Sinngefüges der Tempe¬
raturwörter ist also nicht unbegründet. Andererseits kann man nicht
sagen, es müßte gerade so sein. Denn es wären auch andere Gliede¬
rungen denkbar. Eine besonders auffällige menschliche Setzung zeigt sich
in der Physik, wo man auf den Begriff Kälte ganz verzichtet hat und die
Wärmeskala bei —273° beginnen läßt.
Physiologische Gegebenheiten, klimatische Bedingungen, menschliche
Lebensgewohnheiten und Einstellungen haben also in steter Wechsel¬
wirkung mit der Sprache und ihren Mitteln zu der heute üblichen Ord-
1 Diese Begriffeatammen von E. Leisi, der sie in eine wichtige Arbeit einführt: Der
Wortinhalt, seine Struktur im Deutschen und Englischen, Heidelberg 1958.
* Vgl. F. Brock, Bau und Leistung unserer Sinnesorgane I, Dalp-Taschenbücher,
Bd. 323, 1956.
Das sprachliche Feld 421
nung geführt. Sie ist nicht unabänderlich. Zum Beispiel könnte steter
übertreibender Gebrauch des Wortes heiß dazu führen, daß es auf die
Stufe von warm herabsinkt - beim Wetter sind Anzeichen dazu vorhan¬
den. An die Spitze müßten dann Ersatzwörter treten (wie viele sprechen
schon nur noch von Affen- und Bullenhitze), und damit würde eine Um¬
strukturierung des ganzen Sinnbezirks eintreten.
1 Für die früheren Verhältnisse und die eingetretenen Umgliederungen vgl. Jost Trier,
Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes, 1031.
422 Die Gliederung des Wortschatzes
841 Der Inhalt vieler Wörter wird durch die Opposition oder das Gegenüber
anderer Wörter mitbestimmt. Wenn es auch von manchen Forschern be¬
stritten wird, so erscheint es doch nicht zu kühn anzunehmen, daß tat¬
sächlich vorhandene und vom Menschen wahrgenommene und gespürte
Polaritäten in der Natur das Vorbild für diese sprachlichen Sehweisen
geliefert haben. Das Prinzip der Polarität, dem Goethe so viel Aufmerk¬
samkeit gewidmet hat, ist sicher ein außersprachliches Phänomen, an
dem der Mensch und seine Sprache nicht Vorbeigehen können.
Mann und Weib, Tag und Nacht, rechts und links, oben und unten, Himmel und Erde, leben
und sterben sind sicher sprachliche Werte, die zum Teil spezifisch menschliche Sehweisen
verraten, aber sie treffen doch Tatbestände, die sich dem Menschen zweifellos von außen
aufdrängen. Wäre der Mensch z. B. nicht in der Weise symmetrisch gebaut und mit
zwei Greif- und Gehwerkzeugen ausgestattet, wie es der Fall ist, dann wären vielleicht
. die Begriffe rechts und links in seiner Sprache nicht anzutreffen. (Hier ist vielleicht eine
Verallgemeinerung gestattet, da, soweit wir sehen, in allen Sprachen diese Begriffe auf¬
tauchen.)
1 Eine ganze Reihe weiterer Felder hat Leo Weisgerber untersucht. Vgl. besonders
Weltbild II, 1.
Syntaktische Felder 423
V. Syntaktische Felder
v E. Leisi, a. a. O., S. 100, 101. 8 Vgl. dazu Walter Porzig, Wesenhafte Bedeu¬
tungsbeziehungen. Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 58,
1934, S. 70 ff.; ders.: Das Wunder der Sprache, 2. Aufl. S. 120.
424 Die Gliederung des Wortschatzes
heit gerät bereits ins Wanken, wenn wir fragen, ob nicht auch ein zahn¬
loses Geschöpf beißen kann, etwa mit scharfen Kiefern oder ähnlichem.
Auch ist nicht einzusehen, weshalb es für eine bestimmte Tätigkeit der
Zunge ein besonderes Verb lecken, für den Laut des Hundes ein besonderes
Verb bellen, für das Schlagen der Bäume ein besonderes Verb fällen geben
müßte. In jedem Fall könnten auch allgemeinere Verben ausreichen. Zwar
trifft die Sprache mit ihren Spezialverben sachliche Verhältnisse, aber es
ist doch nicht so, daß diese Beziehungen nur auf diese Weise und nicht
anders gefaßt werden müßten. Die sprachlichen Setzungen sind, wie wir
schon wiederholt sahen, weder von den Dingen unausweichlich gefordert,
noch ist vorauszusehen, was die Sprache hervorhebt und wie sie es tut.
Auch die deutschen Verben der Bewegung machen darauf aufmerksam,
daß bei jedem bestimmte Momente mitgesetzt sind, die seinen Inhalt
mitbestimmen1. Oder anders ausgedrückt: Diese Verben dürfen nur dann
gebraucht werden, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind.
So kennen wir z. B. für schnelle Bewegungsarten des Menschen die Verben laufen, eilen,
,
rennen rasen, flitzen usw., wobei umgangssprachlich laufen und rennen in manchen Ge¬
genden auch für das normale Gehen eintreten kann. Die Steigerung führt von laufen zu
rennen und reuen, während das lautmalende /Zitzen wohl mehr in den Kindermund gehört.
Damit so etwas möglich ist, müssen naturgemäß gesunde Gehwerkzeuge vorhanden sein.
Aber auch die Unterlage, der Weg, muß geeignet sein; auf schlammiger Straße ist das
nicht möglich. Das scheint nun sehr banal, ist aber doch nicht unwichtig. Denn wir werden
so auf eine ganze Reihe von Bedingungen aufmerksam, die der Gebrauch bestimmter
Verben fordert.
Liegt eine subjektive Gehbehinderung vor, eine Beinverletzung oder ähnliches, so kann
man von hinken oder humpeln sprechen. Liegt eine objektive Gehbehinderung vor, also
eine Behinderung durch den Gehweg, so kann die Gangart zu stapfen oder stampfen (in
hohem Schnee), zu waten (in knietiefem Wasser) usw. werden. Bequem und lässig oder
nichtstuerisch ist schlendern, bummeln, flanieren. Lautlos und heimlich ist schleichen;
mühsam, unter Umständen auf allen vieren und in vertikaler Richtung, ist klettern; am
Boden muß man kriechen. Zügig und womöglich im Gleichschritt einer Kolonne mar¬
schiert man, zum Zwecke der Erholung wandert man durch Wald und Feld; ein einge¬
bildeter Mensch stolziert wie ein Hahn oder Pfau; eine steife Gangart kann man stelzen
nennen.
1 Das Beispiel der Bewegungsverben stammt von W.Porzig, ist aber unveröffentlicht.
Die Methode entspricht der von'E. Leisi.
Syntaktische Felder 425
bewegung eines Schiffes, die mit der Kraft des Windes oder durch Motoren erfolgen kann,
würde er alB aller oder auch als marcher bezeichnen; wir sprechen in diesem Fall von segeln
oder fahren.
Was für die Bewegungsarten des Menschen gilt, trifft natürlich in gleicher
Weise für die Bewegungsarten von Tieren und Vögeln zu und wäre ge¬
sondert zu untersuchen.
a) Witterungsimpersonalia
Die Witterungsimpersonalia sind in der Regel nur mit „es“ möglich: 845
es regnet, es nieselt, es hagelt, es schneit u. a.
Nur einige dieser Verben können mit wenigen anderen, zu ihrem Inhalt
passenden Subjekten verbunden werden:
Eis und Schnee tauen; der Morgen und der Abend dämmert; Mensch und Tier können
frieren.
Im Übertragenen Sinn sind natürlich auch andere Subjekte möglich. Welche, das hängt
,
wieder vom Verbinhalt ab. Es wird z. B. weniger Fälle geben, wo man von regnen hageln
oder schneien sprechen kann, als es Möglichkeiten gibt, von blitzen und donnern zu
sprechen.
426 Die Gliederung des Wortschatzes
Schläge können hageln, Konfetti regnen, Daunenfedern schneien (vgl. das Märchen von
der Frau Holle). Blitzen kann hingegen alles, was Licht entsprechend zu reflektieren
vermag, also alle polierten Gegenstände, Waffen, Schmuck, Edelsteine usw. Aber auch
das Auge kann im Zorn blitzen und das Meer in der Sonne. - Donnetn können in unserer
lärmerfüllten Zeit viele Dinge: Maschinen, Züge (etwa über Brücken), Geschütze, Raketen
usw.
Das „es“ bei den Witterungsverben kann heute noch als Hinweis auf
eine unbekannte Ursache empfunden werden.
ß) Andere Verben im unpersönlichen Gebrauch
846 Bei den Verben, die unpersönlich gebraucht werden können, wenn die
Ursache des Geschehens ungewiß ist, heben sich folgende Gruppen heraus:
1. Wachstumsverben
£8^grünt und blüht; es wächst und gedeiht (auf Pflanzen und Lebewesen be¬
schränkt).
2. Geräuschverben
es raschelt, knistert, klopft, pocht, poltert, spukt u. a.
Da diese Gehörseindrücke leicht in den Bereich des Geheimnisvollen, ja Unheim¬
lichen weisen, wird eine entsprechende Deutung des „es" begünstigt. Bei „es spukt",
wo man eigentlich nur an Geister denken kann, wird das besonders deutlich.
Dabei kann das „es“ als bedeutsam empfunden werden, weil es darauf
hinweist, daß hier eine unerklärliche, nicht von unserem Willen ab¬
hängige Kraft wirksam ist. Schriftsteller mit ausgesprochenem Ge¬
fühl für Nuancen haben solche Möglichkeiten genutzt:
„Ich schrie auch nicht selbst, es schrie, es war eine heilige Ekstase der Schmer¬
zen“1 (Thomas Mann).
Es ist also auch heute jederzeit möglich, das „es“ in einer Weise aus¬
zuwerten, die weit über das hinausgeht, was ein bloßes Scheinsubjekt
leisten könnte. Daher bleibt es vertretbar, auch diese Wendungen unter
dem Gesichtspunkt der Subjektbeschränkung zu sehen.
5. Darstellung eines Geschehens an sich
Auch bei der Darstellung eines Geschehens an sich, bei dem der Mensch,
der es verursacht, zurüektreten soll, sind von vielen Verben unper¬
sönliche Konstruktionen (hier im Passiv; vgl. 107) mit „es“ möglich:
Es wurde gegessen und getrunken, getanzt und gesungen.
Hier kann allerdings auch ein weiterer Subjektsnominativ
hinzutreten und den Charakter des „es“ ändern oder, ganz über¬
flüssig machen:
Es wurde ein Walzer getanzt - Ein Walzer wurde getanzt.
Damit sind wir bereits bei den Fällen, deren „es“ sich von dem der
echten unpersönlichen Wendungen so stark unterscheidet, daß man
es strenggenommen als ein anderes Wort bezeichnen kann.
a) Ereignisverben
Eine Gruppe dieser unpersönlichen Wendungen bilden Ereignisverben 848
wie geschehen, gelingen, glücken, sich ereignen u. a.:
Es geschah etwas Unerwartete» - etwas Unerwartetes geschah. Es ereignete sich
ein Unglück - ein Unglück ereignete sich.
1 Dieses schöne Beispiel hat J. Erben in seinem „Abriß der deutschen Grammatik“,
S. 31, angeführt.
428 Die Gliederung des Wortschatzes
c) Schlußbemerkung
852 Die unpersönlichen Wendungen sind, wie Bich gezeigt hat, keineswegs
gleichwertig. Während dem „es“ als imbestimmter Ursache eines Ge¬
schehens in einer Reihe von unpersönlichen Wendungen der Charakter
eines echten Subjekts durchaus zukommt, sieht man sich bei anderen
Wendungen gedrängt, es mehr von der Satzstruktur her. zu beurteilen.
853 Immer wieder wird - auch in der Sprachwissenschaft - behauptet, die Be¬
deutung eines Wortes ergebe sich aus dem Zusammenhang der Rede oder
des Textes. Diese Ansicht stützt sich auf scheinbar unanfechtbare Be¬
obachtungen, und doch muß ihr vom Standpunkt der hier vertretenen
inhaltbezogenen Sprachauffassung widersprochen werden. Sie hängt eng
zusammen mit der oft erörterten sogenannten Vieldeutigkeit der Wörter,
ja sie ergibt sich zwangsläufig aus ihr. Wenn aber, wie wir mit guten Gründen
annehmen, ein Wort als eine untrennbare Einheit von Laut und Inhalt
aufgefaßt werden muß, wenn ferner der Wortinhalt aus der Einbettung in
einen muttersprachlichen Sinnbezirk zu verstehen ist und damit jeder
konkreten Sprechsituation und jedem formulierten Satz vorausgeht, dann
Wortinhalt und Satzzusammenhang 429
Der Kontext ist also durchaus wichtig und unentbehrlich, ganz besonders
für den Leser oder Hörer. Aber er „macht“ die Lautung „Schloß“ nicht
erst zum Gebäude oder zum Türverschluß oder zum Teil des Gewehres,
sondern er hilft, die drei leider gleichlautenden, aber verschiedenen Wör¬
ter „Schloß“ 1 (Gebäude), „Schloß“ 2 (Türverschluß) und „Scnloß“ 3
(Gewehrteil) zu identifizieren. Derjenige, der den Satz mit „Schloß“ for¬
muliert, weiß bereits vorher, welches Schloß er meint, und meist ist er
sich überhaupt nicht bewußt, daß es auch noch zwei andere „Schlösser“
gibt. Auch der Hörer identifiziert in der Regel sofort richtig, weil die
Sinnbezirke, in die die drei Wörter gehören, heute so weit auseinander¬
liegen, daß sie kaum je in Konkurrenz zueinander treten.
Der Wortinhalt ist also auf keinen Fall ein Produkt des Zusammenhangs.
Abgesehen davon darf man natürlich durchaus zugeben, daß der vorge¬
gebene muttersprachliche Inhalt eines Wortes zusätzlich durch die spe¬
zielle Situation wie auch durch persönliche Erlebnisse und Assoziationen
vielfältig nuanciert und modifiziert werden kann.
1 Vgl. hierzu W. P o r z i g, Die Einheit des Wortes. In: Sprache - Schlüssel zur Welt, Fest¬
schrift für L. Weisgerber, Düsseldorf 1969, S. 158-167.
Der Satz
Mit der Betrachtung des Wortes im 1. Hauptteil schufen wir die Voraus- 854
Setzungen für die Beschreibung unserer Sätze - das Kernstück jeder
Grammatik -, weil alles, was einem Wort eigentümlich ist, mit ihm in den
Satz eingeht: die Wesensmerkmale seiner Wortart, einschließlich der
Formenwelt, und der Inhalt, den es aus den verschiedenen geistigen Be¬
zugssystemen innerhalb des Wortschatzes empfängt.
Während es bisher also weitgehend um die dem Satz vorgegebenen sprach¬
lichen Mittel ging (so wenig sich diese allerdings ohne den Satz voll ver¬
stehen lassen; vgl. hierzu auch 853), geht es nun um die Erkennung des
Satzes selbst, in dem diese Mittel wirksam werden und um dessentwillen
sie da sind.
Doch bevor wir uns der inneren Gestalt unserer Sätze zuwenden, gilt es
zunächst einmal, den zu untersuchenden Gegenstand einzugrenzen.
1 Vgl. hierzu Walter Porzig, Das Wunder der Sprache, Bern 1957, S. 109 ff. Rede
meint hier nicht nur das gesprochene Wort, sondern jeden, also auch den schriftlichen
Niederschlag von Sprache.
432 Die Satzarten
Diese sprachliche Einheit, in der die Zeit gleichsam aufgehoben ist, nennt
man Satz.
856 Betrachtet man den Satz von seinen Teilen her, dann zeigt sich, daß ein
Wort oder eine Wortgruppe ohne Satzcharakter für sich allein nur Einzel¬
inhalte, aber keine Sinnzusammenhänge zu geben vermag. Sie lassen alle
Möglichkeiten offen:
Das Pferd ... ? Auf dem Tisch .. . ?
Ihnen gegenüber ist der Satz immer eine Sinneinheit:
Das Pferd ist schwarz. Das Pferd zieht den Wagen. Auf dem Tisch liegen Äpfel. Auf
dem Tisch stehen Blumen.
Danach ist der Satz zunächst jene Redeeinheit, mit der der Sprechende
zu einer besonderen Wirklichkeit im Leben, d. h. zur zeitlichen Ver¬
haltensweise eines Wesens oder Dinges im geschlossenen Gedankenschritt
Stellung nimmt und bei welcher der Hörende das nacheinander Ge¬
sprochene als ein Miteinander in sein Bewußtsein aufnimmt.
B. DIE SATZARTEN
857 Nach der Art der Stellungnahme des Sprechenden zu einer besonderen
Wirklichkeit unterscheidet man vier Satzarten:
1. den Aussagesatz, der den Sachverhalt einfach berichtend wieder¬
gibt:
Die Sonne scheint. Der Himmel ist blau. Karl trägt den Koffer. Ilse fährt
nach Frankfurt.
2. den Aufforderungssatz, der Erfüllung oder Vollzug erwartet.
Er kann Wunsch- oder Befehlssatz sein:
Vertraue ihm doch! Hilf ihm doch bitte! O wären wir weiter, o wär* ich zu
Haus! (Goethe). In die Ecke! Besen, Besen, seid's gewesen 1 (Goethe). Folge
ihm! Rauchen verboten! Links um!
3. den Ausrufesatz, der den Sachverhalt mit innerer Anteilnahme
zum Ausdruck bringt:
Wie herrlich leuchtet mir die Natur! Wie glänzt die Sonne, wie lacht die Flur!
(Goethe). Wie schön hast du das gemacht!
4. den Fragesatz. Man unterscheidet:
a) Entscheidungsfragen, die ein Verhalten klären wollen. Man
antwortet auf sie durch einen Aussagesatz oder durch ein bloßes
Ja oder Nein:
Kommst du? Antwort: Ich komme (Ich komme nicht) oder: Ja (Nein).
b) Ergänzungsfragen, die nach einer Person, einer Sache oder
einem Umstand fragen. Sie werden immer durch ein Fragewort
eingeleitet (vgl. Interrogativpronomen Ziff. 481 ff. und Interroga¬
tivadverbien Ziff. 554 ff.):
Wer ist krank? Antwort: Karl (ist krank). Was ißt du gern? Antwort:
Kalbsbraten (esse ich gern). Wann fährst du ? Antwort: Um 5 Uhr (fahre ich).
c) rhetorische Fragen, die ‘der Sprechende nur stellt, um den
Gesprächspartner zur Anerkennung einer bereits vorhandenen Mei¬
nung zu bewegen. Sie bedürfen meist keiner Antwort:
Will die Menschheit sich wirklich selbst vernichten ? Habe ich nicht immer
vor ihm gewarnt ?
Der Satz als gegliederte Sinneinheit 433
Beachte:
Die Satzarten gehen vielfach ineinander über:
Sie kommen doch morgen. (Aussagesatz)
Sie kommen doch morgen! (Ausrufesatz)
Sie kommen doch morgen ? (Fragesatz)
Als Satzglied sind danach alle Teile anzusprechen, die sich selbständig um
das im Aussagesatz an zweiter Stelle verharrende Glied (Verb) wie um
eine Achse bewegen:
Auf den Gassen | rauschten | einförmig | mehrere alte Brunnen.
Diese Glieder können, von Satz zu Satz verschieden, aus einem Wort oder
aus mehreren Wörtern bestehen. Satzglieder und Wortarten dürfen des¬
halb nicht verwechselt werden.
Bei umschriebenen Zeitformen bildet das Hilfsverb die Achse, während
das Hauptverb an das Ende des Satzes tritt2 :
Mehrere alte Brunnen | haben | einförmig | auf den Gassen | gerauscht.
Auf den Gassen | haben | mehrere alte Brunnen | einförmig | gerauscht.
Einförmig | haben | auf den Gassen | mehrere alte Brunnen | gerauscht.
Bei Teilsätzen, die zu einem Ganzen gefügt sind (vgl. 1045 ff.), muß man
vor der Verschiebeprobe die einzelnen Sätze herauslösen und gegebenen¬
falls umformen und ergänzen. Wörter, die dabei wegfallen, sind keine
Satzglieder, sondern nur Verbindungsteile (vgl. 590 ff.):
Der Torwächter trat heraus und pries die Reisenden glückselig.
Der Torwächter trat heraus (und); er pries die Reisenden glückselig.
Heraus | trat | der Torwächter; glückselig | pries | er | die Reisenden.
Der Satz ist danach auch eine gegliederte Sinneinheit. Die meisten
Glieder sind jedoch nur in bestimmten syntaktischen Formen wirklich.
Wir können sie deshalb nur innerhalb dieser Formen erkennen.
In den meisten Fällen fordert das verbale Glied aber eine Sinnergän¬
zung3, die mit ihm zusammen die Aussage über das im ersten Glied ge¬
nannte Etwas bildet. Das verbale Glied ist dann nur noch der gramma¬
tische Kern der Aussage:
Das Pferd - zieht - den Wagen
| Aussagekem Sinnergänzung |
Aussage
1 Vgl. hierzu Leo Weisgerber, Vom Weltbild der deutschen Sprache, 2. Halbband,
2. Auflage, 1954, S. 178.
a Dies gilt darüber hinaus für alle indogermanischen Sprachen. In anderen Sprach-
bereichen erfolgt diese uns so selbstverständlich erscheinende Aufspaltung nicht immer.
. Wenn ein Japaner beispielsweise Kirschblüten sieht, dann würde er nicht sagen: Ich sehe
Kirschblüten, sondern: Mein Kirschblüten-Schen (vgl. P. Hartmann, Einige Grund¬
züge des japanischen Sprachbaues, 1952, S. 91; zitiert nach L. Weisgerber, Weltbild
II, S. 186).
* Vgl. hierzu F. Kahn und W. Pfleiderer, Neue Satzlehre, Frankfurt, 1940.
Die Bestimmung der Grundformen mit Hüfe der Abstrichmethode 435
Danach lassen sich die Sätze von ihren sinnotWendigen Gliedern her zU- 863
nächst in drei Gruppen einteilen1:
1. die ergänzungslosen Sätze,
2. Sätze mit einer eingliedrigen Ergänzung,
3. Sätze mit einer mehrgliedrigen Ergänzung.
Glieder, die aus diesem Grunde fehlen, sind vor der Anwendung der
Abstrichmethode zu ergänzen.
2. Bei der Frage nach den notwendigen Gliedern in einem Satze darf
man nicht nur von den Gliedern ausgehen, die für den grammatischen
Bestand unbedingt erforderlich sind, weil man dann in den meisten
Fällen beim „Kemsatz“ der älteren Grammatik endet. Also nicht:
Der Bauer pflügt den Acker. Der Vater schreibt an seinen Sohn.
Der Bauer pflügt. Der Vater schreibt.
Es wird sich am Ende dieses Abschnittes zeigen (vgl. 965), daß wir
gerade mit den Grundformen die formalistische Theorie von dem
Kemsatz und seinen Erweiterungen überwinden wollen.
Da jede Setzung unter einer bestimmten Sehweise erfolgt, gilt es viel¬
mehr, diejenigen Glieder zu ermitteln, die diese Sehweise begründen,
Das sind in den obigen Beispielsätzen zweifellos auch die Glieder „den
Acker“ und „an den Sohn“. Die so verbleibenden Glieder bilden das
Satzgerüst, das mit der betreffenden Grundform identisch ist.
1 Zu fast gleichen Überlegungen ist jetzt völlig unabhängig von uns auch Johannes
Erben in seinem Abriß der deutschen Grammatik, Berlin 1958, S. 165 ft., gekommen.
Wir sehen darin eine wertvolle Bestätigung unserer eigenen Überlegungen.
436 Die Grundformen deutscher Sätze
Das Gerüst eines Satzes zeigt sich am deutlichsten, wenn wir einen
Satz mit möglichst vielen freien, d. h. wegstreichbaren Satzteilen be¬
trachten und am besten laut lesen (das Gerüst ist kursiv gedruckt)1:
A/h Samst^morgen - vierun^wanzig Stipfden v/r dffa Höh^unkt c^r auf¬
regendsten, abenteuerlichsten u/d phantastischsten Fgtfrt, y jih Seemann
mitgepfacht h/t - fuhren 116 Menschen jri ung^ähr 4jt) I'/ü Tjfefe qjrtt ü^r
Kiyften Geschwindigkeit auf Kurs null Orad.
Daß auch die Abstrichmethode Zweifelsfälle offenläßt, versteht sich bei
dem lebendigen Charakter der Sprache von selbst. Trotzdem vermag sie
uns, wie wir sehen werden, über weite Strecken des syntaktischen Feldes
sicher zu führen.
Bei der Ermittlung der Grundformen mit Hilfe der Abstrichmethöde wurden nur Aus¬
sagesätze herangezogen. Diese Grundformen gelten selbstverständlich auch für die ande¬
ren Satzarten (vgl. 857).
1 Der Satz ist dem Bericht „Ich fuhr die Nautilus“ in der „Quick“ 42/1958, S. 64 ent¬
nommen.
* Lat. subiectuni = das Untergelegte.
3 Lat. praedicare = ausrufen.
Gliederung und Leistung der Grundformen 437
Das Subjekt hat andererseits die Kraft, wesentliche Merkmale der mit ihm
verbundenen Wortart Substantiv (für das auch ein Pronomen stehen kann)
auf das Prädikat zu übertragen, d. h. ihm Person und Zahl vorzuschreiben
(vgl. Kongruenz, Ziff. 1179):
Der Vater schläft. Die Rosen blühen. Du arbeite«*.
Spannung und grammatische Übereinstimmung lassen diese beiden Glie¬
der zu jener inhaltlich-formalen Einheit werden, die dem Satz an sich über
die Sinneinheit hinaus eigen ist.
Die Leistung des ergänzungslosen Satzes wird allein durch das Prädikat und 867
die mit ihm fest verbundene Wortart Verb bestimmt. Es handelt sich näm¬
lich in diesen Sätzen nicht um Verben schlechthin, sondern um eine be¬
stimmte Schicht der Wortart Verb. In ihnen können nur Verben als Prä¬
dikat stehen, die einen in sich ruhenden Zustand oder Vorgang und eine
in sich ruhende Tätigkeit an dem im Subjekt genannten Wesen oder Ding
feststellen. Es sind diejenigen intransitiven und echten reflexiven (vgl. 57 ;
59) Verben, die keine Sinnergänzung fordern, und die unpersönlichen
Verben. Man nennt sie deshalb auch absolute Verben:
Der Hahn kräht. Die Erde dampft. Die Sonne scheint. Die Kinder lachen. Der Bauer
pflügt. Karl freut sich. Es regnet.
Das Prädikat wendet sich in diesen Sätzen gleichsam zum Subjekt zurück
und ermöglicht so die Eigenständigkeit dieser beiden Glieder:
Der Hahn kräht.
Das Subjekt wird dadurch in vielen Fällen sogar zu dem von der Aussage
unmittelbar betroffenen Wesen oder Ding im Satz, weil sich das im Prä¬
dikat genannte Geschehen an ihm selbst vollzieht:
Die Bosen verblühen1.
Wir stehen bei diesen Sätzen vor in sich ruhenden Zuständen, Vorgängen
oder Tätigkeiten.
Das erste Glied dieses Satzes Karl ist wiederum das Subjekt. Das von ihm 868
Ausgesagte wird aber nicht mehr, wie im ergänzungslosen Satz, vom Verb
allein geleistet, sondern von der Aussagegruppe ist mein Freund. In dieser
Gruppe bildet ist das Prädikat und mein Freund die Sinnergänzung. Die
Sinnergänzung steht, wie das Subjekt, im Nominativ. Das Prädikat drückt
in diesem Satze lediglich ein Verhältnis aus, das zwischen zwei Substan¬
tiven im gleichen Kasus besteht. Das als Subjekt gesetzte Etwas wird
deshalb nicht in derselben Weise von der Aussage betroffen, wie im ergän¬
zungslosen Satz, sondern mit dem in der Ergänzung genannten Etwas
gleichgesetzt. Das Prädikat ist in diesen Sätzen inhaltlich neutralisiert,
um die ihm zugefallene Gleichsetzungsfunktion ausüben zu können. Es
gibt deshalb nur wenige Verben, die diese Funktion übernehmen können:
sein, werden, bleiben, sich dünken, heißen, scheinen.
438 Die Grundformen deutscher Sätze
b) Die Objektergänzungen
a) Das Akkusativobjekt
1 Diese Auffassung vertritt besonders stark Hans Glinz, Der deutsche Satz, S. 84.
Glinz benannte dieses Satzglied allerdings von dem aufgelösten „Prädikat“ her: Prä¬
dikatsnominativ.
Gliederung und Leistung der Grundformen 439
1 Vgl. hierzu vor allem Bennig Brinkmann, Der deutsche Satz als sprachliche Ge¬
stalt. Wirkendes Wort, 1. Sonderheft, 1952, S. 15 ff.
440 Die Grundformen deutscher Sätze
ß) Das Dativobjekt
y) Das Genitivobjekt
Ich harre seiner
883 Den Sinngehalt der Ergänzung dieses Satzes vermögen wir von der Ge¬
genwartssprache her nur noch schwer zu erfassen, weil das Genitiv¬
objekt (vgl. 1023 f.) im Sterben begriffen ist.
Ein wesentlicher Teil seines Sinngehaltes wird noch faßbar, wenn wir
einen Satz Goethes wählen:
Sorgsam brachte die Mutter des klaren, herrlichen Weines.
Das Geschehen in diesem Satz ist, wie im Handlungssatz, zielgerichtet.
Die Handlung zielt aber nicht auf allen vorhandenen Wein, sondern nur
auf den Teil, den die Mutter brachte:
des klaren, herrlichen Weines (von dem klaren, herrlichen Wein).
Der Genitiv bezeichnet hier den Teil eines Ganzen (partitiver Genitiv; 884
vgl. 980,5). Dieser Gebrauch des Genitivs ist bis ins Mittelhochdeutsche weit
verbreitet gewesen. In der deutschen Klassik lebt er noch teilweise fort:
Es schenkte der Böhme des perlenden Weins (Schiller).
In der Gegenwartssprache ist dieses Bewußtsein vom partitiven Bild nach
transitiven Verben völlig geschwunden. Wir ersetzen heute den von der
Handlung getroffenen Teil durch das Ganze und sagen:
Es schenkte der Böhme den perlenden Wein.
Der Genitiv konnte und kann aber auch nach intransitiven und echten
reflexiven Verben als einziges Glied einer Sinnergänzung stehen:
Du lachst des trotzigen Entschlusses (Goethe). Wir wollen nicht frohlocken seines
Falls (Schiller). Er entledigte sich seines Auftrages. Er wehrte sich seiner Haut.
Der Genitiv steht in diesen Fällen in loserer Abhängigkeit als nach tran¬
sitiven Verben. Der Sprecher wählt aus der Fülle aller denkbaren Wesen
oder Dinge, die Veranlassung für das Verhalten des Subjekts sein können,
das für seinen Fall zutreffende Etwas aus. Das dadurch entstehende Ver¬
hältnis läßt sich wohl am besten mit dem Begriff des Beteiligtseins, des
Teilhabens eines Etwas an dem Verhalten eines Subjekts umreißen.
Doch auch dieses Bild der Teilhabe eines Wesens oder Dinges an dem Ver- 885
halten eines Subjekts ist in der neueren Sprache bis auf geringe Reste
verblaßt. Wir sagen nicht mehr:
Wie ich des Schauspiels staune (Kleist),
sondern:
Wie ich über das Schauspiel staune.
Oft schwankt der Gebrauch noch :
Ich schäme mich seines Verhaltens — Ich schäme mich wegen seines Verholtem.
Ich spotte seiner — Ich' spotte über ihn.
An die Stelle des Genitivs, der das teilhabende Wesen oder Ding innerhalb
des Bereichs eines übergeordneten Ganzen Umrissen hat, tritt ein Präposi¬
tionalgefüge (vgl. 887 ff.), das durch die läge- oder richtungbezeichnende
Präposition dieses Wesen oder. Ding als Punkt genauer bestimmt. Dieser
Verdeutlichungsprozeß ist bereits soweit fortgeschritten, daß es nur noch
wenige Verben gibt, die ein Genitivobjekt fordern (vgK 1023):
sich enthalten, gedenken, bedürfen, ermangeln u. a.
Obwohl es sich gerade beim Objektsgenitiv um einen sterbenden Kasus 886
handelt, der früher einmal mit gleicher Kraft neben den anderen reinen
Fällen gestanden hat und dessen Reste eine gepflegte Sprache erhalten
sollte, müssen wir überall dort, wo er allein die Sinnergänzung bildet,
noch von einer besonderen Grundform unserer Sprache sprechen. Nach
dem vollständigen Untergang der Handlungssätze mit nur teilweise ge¬
troffenem Objekt (Genitiv nach transitiven Verben) stehen wir heute nur
442 .Die Grundformen deutscher Sätze
noch vor Sätzen mit einem Genitiv als einzigem Objekt nach intransi¬
tiven oder reflexiven Verben, deren Aufgabe es ist, ein Geschehen dar¬
zustellen, an dem ein Etwas teilhat:
Ich bedarf t— seiner Hilfe. Er enthält sich I— der stimme.
d) Das Präpositionalobjekt
Inge achtet auf ihre Schwester
887 Die Ergänzung dieses Satzes auf ihre Schwester hebt sich bereits durch
ihre Form von den bisherigen Ergänzungen ab. Während in den voran¬
gegangenen Sätzen die Ergänzung in einem bestimmten Kasus unmittel¬
bar vom Verb gefordert wurde, ist hier eine Präposition eingeschaltet,
die ihrerseits dem folgenden Substantiv den Kasus vorschreibt:
• Der Vater schreibt an seinen Sohn. Ilse zweifelte an seiner Treue.
Der Kasus des in der Ergänzung stehenden Substantivs wirkt also nur
innerhalb des Präpositionalgefüges und hat keine unmittelbare Beziehung
zum Satze mehr wie bei den Ergänzungen im reinen Fall.
Der fehlende Fallwert zum Satze hin wird aber durch den Beziehungs¬
hinweis ersetzt, den die Präposition leistet. Die durch diese Beziehungs¬
hinweise ausgedrückten Verhältnisse können sehr verschiedener Art sein
(vgl. 574). Da sie aber aus früheren Raum Verhältnissen hervorgegangen
sind, ißt es möglich, alle im Präpositionalfall stehenden Wesen oder Dinge
als läge- oder richtungsbestimmt im weitesten Sinne zu betrachten. Diese
Merkmale sind allen Präpositionalgefügen gemeinsam. Zu dieser Situierung
trägt gelegentlich auch noch der Fafl bei, in dem das Substantiv steht
(vgl. 580 fl*.).
888 Vom Sachkern her ergibt sich allerdings eine Zweiteilung der Präposi¬
tionalgefüge.
In den Sätzen
Ich denke an dich.
Ich zweifle an dir, an deiner Treue
steht in den Präpositionalgefügen trotz der ihnen anhaftenden Richtungs¬
und Lagemomente das Wesen oder Ding im Vordergrund, auf das sich das
Verhalten des Subjekts bezieht:
An wen denke ich ?
An wem oder woran zweifle ich ?
Präpositionalgefüge dieser Art sind läge- oder richtungsbestimmte Wesens¬
oder Dingergänzungen.
In den Sätzen
Ich gehe auf den Berg.
Ich stehe auf dem Berg
wird durch das Präpositionalgefüge vornehmlich der Raum angesprochen,
auf den sich das Subjekt hin bewegt oder in dem es besteht:
Wohin gehe ich ?
Wo stehe ich ?
Auch andere Umstände, die für das Verhalten des Subjekts von Bedeutung
sind, können auf diese Weise ausgedrückt werden:
Er kommt am Samstag. (Wann kommt er?) Er singt mit Hingabe. (Wie singt er?)
Das Verbrechen geschah aus Eifersucht. (Warum geschah das Verbrechen ?)
Gliederung und Leistung der Grundformen 443
Präpositionalgefüge dieser Art sind Umstandsangaben (vgl. 1029 ff.), die mit
Hilfe eines Wesens oder Dinges ausgedrückt werden. Sie stehen, von ihrem
Sachkem her gesehen, den fallfremden Adverbien, den reinen Umstands¬
angaben, am nächsten (vgl. 545 ff.).
Die läge- oder richtungsbestimmten Wesens- oder Dingergänzungen sind 889
demgegenüber die unmittelbare Fortsetzung der reinen Objektsfälle. Da
bei ihnen die Präposition an Stelle des reinen Falles die Beziehung zum
Satze übernimmt, nennt man sie Präpositionalobjekte (vgl. 1025ff.).
Die Sprachgemeinschaft ist seit langer Zeit und heute in besonderem 890
Maße bestrebt, die mit den reinen Fällen verbundenen Sehweisen unserer
Sprache durch den läge- oder richtungsbestimmten Hinweis der Prä¬
positionalobjekte zu ersetzen. Der Sprechende betrachtet damit den Ab¬
lauf des Geschehens in der Welt in einer genaueren Sicht als in den Grund¬
formen mit einer Ergänzung im reinen Fall.
Wir sahen bereits beim Genitivobjekt (vgl. 883 ff.), in welchem Umfang
hier der reine Fall durch einen Präpositionalfall ersetzt wurde:
Was sollte der Höchste ihrer achten (Luther).
Heute: Was sollte der Höchste auf sie achten.
Wie verlang’ ich dein (Uhland).
Heute: Wie verlang’ ich nach dir.
N ur noch in gehobener Sprache:
Ich freue mich meines Erfolges.
Sonst immer:
Ich freue mich über meinen Erfolg.
Auch das Dativobjekt ist von dieser neuen Blickrichtung erfaßt:
Ich schreibe ihm. — Ich schreibe an ihn.
Gisela vertraut ihm. — Gisela vertraut auf ihn.
Aus allen diesen Beispielsätzen wird zugleich deutlich, wie sich auch das 891
Verhalten des Subjekts gegenüber dem anderen Wesen oder Ding mit der
grammatischen Form der Ergänzung ändert. Beim Genitivobjekt kam
die Sehweise der neutralen Teilhabe eines anderen Wesens oder Dinges an
dem Verhalten des Subjekts und beim Dativobjekt die Sehweise der
ruhigen Zuwendung des Verhaltens eines Subjekts zu einem anderen Wesen
oder Ding zum Ausdruck. Demgegenüber ist das Verhalten des Subjekts in
einem Satze mit einem Präpositionalobjekt, vor allem dort, wo der Prä-
positionalfäll im Akkusativ steht, aktiver und zielgerichteter.
Es überrascht deshalb nicht, daß das Akkusativobjekt von dieser Ent- 892
wicklung nicht erfaßt ist, weil es die Aufgabe des Handlungssatzes ist, die
zielgerichtete Tätigkeit schlechthin auszudrücken. Sätze mit einem Prä¬
positionalobjekt können sich deshalb nur daneben stellen. Der Sprechende
kann mit dem Blick auf das betroffene Objekt die Handlung feststellen
und sagen:
Er baute das Haus.
Er kann aber auch mit dem Blick auf das Verhalten des Subjekts die
Tätigkeit an sich darstellen und sagen:
Er baute lange an dem Haus.
Um ein Geschehen mit einem Präpositionalobjekt handelt es sich auch, 893
wenn der Handlungssatz ins Passiv gekehrt wird:
Das Haus wurde von ihm gebaut.
444 Die Orundformen deutscher Sätze
Das Präpositionalobjekt gibt hier das Wesen oder Ding an, von dem die
sich am Subjekt vollziehende Tätigkeit ausgeht.
Häufig ist dieses Etwas nicht genannt, weil es als bekannt vorausgesetzt
wird oder weil es nicht interessiert:
Die Straßen werden ausgebessert. Künstler werden geboren.
Einen passivischen Satz ohne Nennung des den Vorgang verursachenden
Wesens oder Dinges rechnen wir zu der formal entsprechenden aktivischen
Grundform, in diesem Falle zum ergänzungslosen Satz (vgl. 865).
Bei dieser Einordnung der passivischen Sätze darf jedoch das Bewußtsein
von der grundlegend verschiedenen Sehweise bei den passivischen Sätzen
gegenüber den aktivischen nicht verlorengehen. Dem „Vorgang als Aus¬
wirkung einer Handlung“ im passivischen Satz steht der „Vorgang phne
Anstoß von außen1“ im aktivischen Satz gegenüber.
894 Viele Präpositionalobjekte sind aber auch durch die übertragene Anwen¬
dung von Raum Vorstellungen entstanden:
ein Haus auf Felsen gründen
daraus:
Sein Verdacht gründet sich auf meine^Äußerungen;
abhangen (veraltet) im Sinne von herunterhängen:
abhangendes Laub, abhangende Weinberge
daraus:
Mein Glück hängt von ihm ab;
auf den Tisch pochen
daraus:
Er pocht auf sein Recht.
In vielen Fällen ist die räumliche Herkunft dieser Präpositionalgefüge
nur noch dem Sprachgeschichtler erkennbar:
sich herleiten von etwas, hervorgehen aus etwas, beruhen auf etwas, entsprießen
aus etwas, folgen aus etwas, bestehen auf etwas u. a.
g95 Aber auch bei all diesen Präpositionalgefügen, die aus Raumangaben
hervorgingen, vermögen wir nur noch das läge- oder richtungsbestimmte
Wesen oder Ding zu erkennen, auf das das Verhalten des Subjekts be¬
zogen ist (über Grenzfälle2 vgl. 1027). Gegenüber den Zuständen, Vor¬
gängen oder Tätigkeiten, die in sich ruhen (ergänzungsloser Satz), die
einem anderen Wesen oder Ding zugewandt sind (Dativobjekt) oder an
denen ein anderes Wesen oder Ding teilhat (Genitivobjekt), handelt es
sich bei allen Sätzen, in denen das Präpositionalobjekt allein die Ergän¬
zung bildet, um Zustände, Vorgänge oder Tätigkeiten, die auf ein Etwas
gerichtet oder mit einem Etwas lagebestimmt verbunden sind:
1 Hennlg Brinkmann, Der deutsche Satz als sprachliche Gestalt. Wirkendes Wort,
1. Sonderheft 1952, S. 19.
* Trotz dieser Grenzfälle können wir uns nicht entschließen, wie Hans Glinz (Innere
Form des Deutschen, S. 177 u. Der deutsche Satz, S. 92) alle Präpositionalgefüge um der
Sprachform willen einheitlich als „Lagegrößen0 zu bezeichnen. Die hinter den Prä¬
positionalgefügen stehenden Sachbezüge sind für das Verständnis unserer Sätze un¬
entbehrlich.
Gliederung und Leistung der Grundformen 445
c) Die Umstandsergänzungen
München liegt an der Isar. Die Beratung dauerte zwei Stunden. Wilhelm
benimmt sich schlecht. Das Verbrechen geschah aus Eifersucht.
Auch in diesen Sätzen stehen wir vor Zuständen, Vorgängen oder Tätig- 896
keiten, die einer Sinnergänzung bedürfen. Diese Ergänzungen sagen je¬
doch nichts über jene anderen Wesen oder Dinge aus, auf die sich bisher
alles Verhalten bezog, wenn es nicht in sich ruhte, sondern sie antworten
auf die Frage nach dem Wo ?, Wann ?, Wie ? und Warum ? eines Verhal¬
tens in der Welt:
Wo liegt München ? An der Isar.
Wie lange dauerte die Beratung ? Zwei Stunden.
Wie benimmt sich Wilhelm ? Schlecht,
Warum geschah das Verbrechen? Aus Eifersucht.
Wie die Beispiele zeigen, können alle Umstandsangaben (vgl. 1030 ff.) in
dieser syntaktischen Rolle stehen. Wir sprechen dann jeweils von einer Um¬
standsergänzung des Raumes, der Zeit, der Art und Weise und des Grun¬
des oder kürzer von einer Raum-, Zeit-, Art- und Begründungsergänzung.
Über die verschiedenen Sprachformen dieser Ergänzungen vgl. 1029.
ß) Artergänzung
901 Die Artergänzung folgt vor allem den Verben des Sichverhaltens:
Er steht da wie ein Ölgötze. Er tritt auf wie ein Baron. Er beträgt sich gut. Er verhält
sich einwandfrei. Er zeigt sich dankbar. Er gibt sich wie ein Fürst. Er gebärdet sich
wie toll. Er führt sich wie ein Betrunkener auf. Er stellt sich ungeschickt an. Diese
Änderung erscheint wünschenswert. Diese Mittel erwiesen sich am wirksamsten, als
nützlich. Er fühlt sich als Held (vgl. 868). Er stellt sich krank. Er zeigt sich er¬
kenntlich. Er wirkt komisch. Er sieht schlecht aus. Das Haus steht leer, das Fenster
offen. Das Wartezimmer sitzt (= ist) voller Patienten.
902 Um eine Artergänzung handelt es sich aber auch dort, wo die Artangabe
den „kopulativen“ Verben folgt, weil wir ihr auch in diesen Fällen den
Wert eines selbständigen Satzgliedes zusprechen (vgl. 868 ff.):
Karl ist gut. Die Blätter werden gelb. Die Tür ist zu. Kein Stern ist zu sehen. Dieser
Hammer scheint brauchbar. Du bleibst gesund.
Diese Auflösung des prädikativen Bereichs der älteren Grammatik er¬
fordert lediglich, daß wir die Zuordnung dieser Umstandsergänzung be¬
achten.
Die in der Ergänzung dieser Sätze stehende Artangabe bezieht sich auf
das Verhalten des Subjekts, wenn die Umsetzprobe ergibt:
Er verhält sich einwandfrei = sein einwandfreies Verhalten.
Sie bezieht sich auf das Subjekt selbst, wenn die Umsetzprobe ergibt:
Karl ist gut = der gute Karl (und nicht: das gute Sein). Er arbeitet sich müde = Er
wird müde (und nicht: das müde Arbeiten).
Über die Zuordnung der Artergänzung zum Akkusativobjekt vgl. 914 ff.
903 Überall dort, wo eine Artangabe allein die Sinnergänzung eines Satzes
bildet, stehen wir vor Zustands- und Vorgangssätzen, in denen das Verhal¬
ten des Subjekts notwendig artbestimmt ist.
y) Begründungsergänzung
904 Diesen Raum-, Zeit- und Artsätzen entsprechende Begründungssätze
treffen wir nur selten an.
Begründungsergänzungen stehen fast nur bei den reinen Geschehensver¬
ben, wenn ein Vorgang - von Raum und Zeit gelöst - einmal an sich be¬
trachtet werden soll:
Mancher Mord geschieht aus Eifersucht. Viele Unfälle ereignen sich infolge Über¬
müdung des Fahrers. Der Brand entstand aus Unachtsamkeit.
Wir sprechen in diesen Fällen von Vorgängen, die notwendig kausalbestimmt
sind.
a) Akkusativobjekt + Dativobjekt
Das Wesen, dem sich die Handlung zuwendet, kann mit dem durch das
Akkusativobjekt genannten Wesen identisch sein:
Wir überlassen die beiden sich selbst.
b) Akkusativobjekt + Genitivobjekt
Doch auch hier stehen bereits in einigen Fällen die Konstruktionen mit
dem Akkusativobjekt + Präpositionalobjekt (vgl. 908) und dem Akku¬
sativobjekt -f Dativobjekt (vgl. 905) daneben:
Ich entbinde ihn seiner Pflicht — Ich entbinde ihn von seiner Pflicht. Ich ver¬
sichere ihn des Gegenteils — Ich versichere ihm das Gegenteil.
c) Akkusativobjekt -f Präpositionalobjekt
verweisen, jemanden auf eine Sache oder wenden, etwas an jemanden oder etwas
an jemanden wissen, etwas von jemandem (etwas) oder
verwenden, jemanden oder etwas zu etwas; etwas über jemanden (etwas)
Mühe, Zeit, Energie auf eine Sache
zählen, jemanden oder etwas zu jemandem
vorsehen, jemanden zu oder für etwas
oder etwas
wählen, jemanden zu jemandem oder
etwas (vgl. 919) zubringen, etwas mit jemandem oder
warnen, jemanden vor jemandem oder etwas
etwas zwingen, jemanden zu etwas
d) Akkusativobjekt + Raumergänzung
f) Akkusativobjekt + Zeitergänzung
Er zog das Gespräch in die Länge
Gelegentlich kann auch die Zeit unmittelbar in die Handlung des Sub- 913
jekts einbezogen sein. In diesen Fällen steht dann eine Zeitangabe als
Umstandsergänzung beim Akkusativobjekt:
Ich schiebe diese Arbeit auf die lange Bank. Er zögert seinen Besuch absichtlich
hinaus.
Es handelt sich um Handlungssätze, in denen die Tätigkeit des Subjekts
zeitgebunden ist.
g) Akkusativobjekt 4- Artergänzung
Die Mutter macht die Suppe warm
Die Artergänzung gibt in diesen Sätzen den Zustand an, in dem sich das 914
Objekt nach der Tätigkeit des Subjekts befindet:
Der Jäger schießt den Hasen tot. Er macht dich glücklieh. Er faßt ihn sicher, er hält
ihn warm (Goethe). Er pries ihn weise. Der Arzt schreibt den Patienten krank. Er
nimmt die Arbeit leicht. Sein Verhalten stimmt mich nachdenklich. Man nennt ihn
feige. Karl arbeitet sich müde, schreit sich heiser, läuft sich warm. Ich halte ihn zum
besten, für gewissenhaft. Er reitet das Pferd zu Tode. Diese Ereignisse halten die
Welt in Atem. Iph betrachte ihn als feige, als Lügner (vgl. 919). Er betrachtet sich
als unseren Freund (vgl. 919).
Es handelt sich um Handlungssätze, in denen die Tätigkeit des Subjekts
artbestimmend ist.
In einigen Fällen bezeichnet jedoch die Artergänzung den Zustand, in
dem sich das Objekt während der Tätigkeit des Subjekts befindet:
Er trug die Haare kurz, lang.
Gelegentlich schwankt die Sehweise zwischen dem Bild der Handlung und 915
dem der Zuwendung:
Ich mache ihn oder ihm bang, heiß. Das kleidet dich (oder ugs.:) dir gut.
k) Akkusativobjekt + Gleichsetzungsakkusativ
Karl nennt mich einen Lügner
919 Der zweite Akkusativ dieses Satzes ist dem Akkusativobjekt gleichgesetzt
wie der Gleichsetzungsnominativ dem Subjekt (vgl. 868 ff.). Wir nennen
deshalb dieses Satzglied Gleichsetzungsakkusativ (vgl. 1016).
Der Gleichsetzungsakkusativ steht fast ausschließlich nach den Verben:
nennen, heißen, schelteii, schimpfen, schmähen, ttfufen.
Bei allen anderen Verben, die inhaltlich hierher gehören, steht ein Prä¬
positionalfall (vgl. 909) oder eine Anknüpfung mit „als“ (vgl. 914):
Wir ernennen, wählen ihn zum Vorsitzenden. Wir halten ihn für einen Dieb. Wir laden
dich zu Oast. Wir betrachten dich als unseren Freund.
Überall dort, wo ein Gleichsetzungsakkusativ steht, handelt es sich um
Handlungssätze, in denen ein Etwas einem Etwas gleichgesetzt wird.
Gliederung und Leistung der Grundformen 453
1) Doppeltes Akkusativobjekt
Herr Meier lehrte uns die französische Sprache
Zwei Akkusativobjekte, die in gleicher Weise von einem Prädikat ab- 920
hängen, sind an sich unmöglich. Man kann zwei Handlungssätze nur
nebeneinanderstellen und sagen:
Er faßte den Knaben. Er faßte den Arm.
Diese Konstruktion ist nur bei wenigen Verben üblich, am häufigsten bei
lehren und kosten:
Er lehrte mich die Lieder Schuberts. Das kostete ihn seinen Kopf, einige Mark. Ich
höre ihn da* Gedicht ab. Er fragte mich schwierige Dinge.
Man bezeichnet deshalb mit Recht das Verhalten dieser Verben als un¬
regelmäßig, ja willkürlich1.
Da sich das Sprachgefühl gegen die Hinzufügung zweier Akkusativ- 921
Objekte zu einem Verb wehrt, weicht es auch in diesen Fällen immer wie¬
der auf die allgemein übliche Grundform mit Dativ- -j- Akkusativobjekt1
aus (vgl. 905):
Nur das Leben lehret jedem, was er sei (Goethe). Ich kann das Herrschen dir nicht
lehren (Kleist). Was kostet Ihnen denn eine Lüge (Lesslng).
Man wird diesen Gebrauch des Dativs der Person angesichts der Ausnahme¬
stellung der beiden Verben lehren und kosten nicht länger als Fehler be¬
zeichnen können.
Falsch bleibt jedoch die Verwechslung von lehren und lernen. Man kann
nicht sagen:
Ich lerne ihn (ihm) die englische Sprache.
1 Hans Glinz, Die innere Form des Deutschen, Bern 1952, S. 175.
8 Lat. = accusativus cum infinitivo (=Akkusativ mit Infinitiv).
454 Die Grundformen deutscher Sätze
n) Präpositionalobjekt + Dativobjekt
Ich rate ihm zum Nachgeben
923 Wenn die auf ein läge- oder richtungsbestimmtes Etwas bezogenen Zu¬
stände, Vorgänge oder Tätigkeiten (vgl. 887 ff.) nur in Verbindung mit
einem weiteren Wesen denkbar sind, dann wird dieses Wesen im Dativ
mit genannt (vgl. aber 925) :
Mein Freund berichtete meiner Mutter über mein Examen. Ich verhelfe meinem
Freunde zu einer Stellung. Es fehlt mir an Geld. Es liegt mir an deiner Freundschaft.
Dieses Laster wird ihm zum Verhängnis.
Es handelt sich in diesen Fällen um läge- oder richtungsbestimmte Zustände,
Vorgänge oder Tätigkeiten, die notwendig einem Etwas zugewandt sind.
924 Auch in diesen Fällen steht gelegentlich auf Grund unterschiedlicher Seh-
weise ein Akkusativ an Stelle des Dativs (vgl. 957):
Es ekelt mir oder mich davor. Es graut mir (seltener: mich) vor ihm. Es schaudert
mir oder mich vor diesem Gedanken.
o) Doppeltes Präpositionalobjekt
Der Forschungsreisende sprach zu den Schulkindern über seine
£25 Afrikareise
Das für das gesamte läge- oder richtungsbezogene Geschehen sinngebende
Wesen (vgl. 923) kann auch als Präpositionalobjekt stehen:
Er klagt auf Schadenersatz gegen Herrn Meier.
Es handelt sich um läge- oder richtungsbestimmte Zustände, Vorgänge oder
Tätigkeiten, die auf ein anderes läge- oder richtungsbestimmtes Etwas be¬
zogen sind.
p) Raumergänzung + Dativobjekt
£2g Icä klopfe meinem Freund auf die Schulter
In diesen Sätzen steht neben der Raumergänzung noch ein Dativobjekt,
weil der durch die Raumergänzung bezeichnete Ort nur in Verbindung
mit einem Wesen oder Ding denkbar ist:
Ich sehe ihm ins Gesicht. Ich springe ihm auf den Rücken. Er ging mir aus dem Wege.
Ich stehe ihm zur Seite. Ich rede ihm ins Gewissen. Ich fühle ihm auf den Zahn. Das
Kleid sticht ihr in die Augen. Das liegt mir am Herzen. Ich komme ihm zu Hilfe. Die
Regierung steht Schwierigkeiten gegenüber.
Es handelt sich um raumgebundene Zustände, Vorgänge oder Tätigkeiten,
die notwendig einem Etwas zugewandt sind.
Gliederung und Leistung der Grundformen 455
Bei den Verben der körperlichen Berührung, deren Inhalt als besonders 927
aktive und zielgerichtet empfunden wird, steht oft an Stelle des Dativs
ein Akkusativ:
Ich schlage dir auf die Schulter - Ich schlage dich auf die Schulter.
Ich trete dir auf den Fuß - Ich trete dich auf den Fuß.
Der Hund heißt mir in das Bein - Der Hund beißt mich in das Bein.
Der Sprechende wechselt hier die Sehweise. Aus einer raumgebundenen,
nichtzielenden Tätigkeit, die einem anderen Wesen zugewandt ist, wird
eine räumgebundene Handlung (vgl. 910 ff.).
Bei übertragener Bedeutung ist jedoch der Dativ in der Regel die ein¬
zige Möglichkeit:
Die Uhr stach ihm ins Auge. Das schlägt der Wahrheit ins Gesicht.
q) Artergänzung + Dativobjekt
Ich hin diesem Manne fremd
Wenn der durch das Adjektiv beurteilte Zustand des Subjekts nur im 928
Hinblick auf ein anderes Wesen denkbar ist, dann wird dieses Wesen im
Dativ mit genannt.
Dies geschieht vor allem bei folgenden Adjektiven und adjektivisch ge¬
brauchten Partizipien, gelegentlich auch bei einem Adverb :
abhold, ähnlich, angeboren, begreiflich, behilflich, bekannt, bekömmlich, benach¬
bart, bewußt, dienlich, dienstbar, eigen, ergeben, feind, fern, fremd, freund, ge¬
mäß, genehm, geneigt, gewogen, gleich, gleichgültig, gram, leid, lieb, nachteilig,
nahe, nützlich, schädlich, treu, untertan, verderblich, verwandt, zugetan, zuwider.
Hierher gehören aber auch die wenigen stehenden Redensarten mit einem
Präpositionalgefüge wie:
Ich bin dir zu Willen, zur Hand,
ferner der sinngebende Dativ neben der Artergänzung, wenn der durch 929
das Adjektiv ausgedrückte Zustand des Subjekts nur für die im Dativ
genannte Person gilt (vgl. hierzu auch 935):
Die Hose ist mir zu lang. Das Zimmer ist mir zu groß.
Ein Dativobjekt steht auch, wenn sich das artbestimmte Verhalten eines 930
Subjekts nur in Verbindung mit einem Wesen oder Ding vollziehen kann:
Es geht ihm schlecht. Es tut mir leid. Es wird mir zu bunt. Dein Benehmen steht
dir frei. Diese Arbeit fällt ihm leicht. Deine Liebe tut ihm wohl. Das Kleid steht ihr
gut. Der Wein bekommt mir schlecht. Er handelt seinen Interessen zuwider. Die
Rechtsprechung dient diesen Leuten als bloßes Werkzeug. Er gilt uns als Unmensch.
Das erscheint uns merkwürdig. Das kam ihm zugute, zupaß, zustatten. Das gereichte
ihm'zom Schaden, Nutzen. Das wurde mir zuteil. Ich stehe ihm zu Diensten.
Es handelt sich in allen diesen Fällen um notwendig artbestimmte Zustände,
Vorgänge oder Tätigkeiten, die notwendig einem Etwas zugewandt sind.
Der Akkusativ als Ersatz für einen früheren Genitiv ist bereits fest nach
den Adjektiven „los“ und „gewohnt“:
Ich bin ihn los. Ich bin diese Arbeit gewohnt.
Da Artsätze mit einem Akkusativobjekt ungewöhnlich sind, bemüht
sich die Sprachgemeinschaft bereits in einzelnen Fällen, sie durch haben-
Sätze (vgl. 1019, 1) zu ersetzen:
Ich bin den Streit satt. Ich habe den Streit satt. Ich bin meinen Husten los. Ich habe
meinen Husten los.
934 Neben dieses Akkusativobjekt kann dann auch in Analogie zu jenen
Handlungssätzen, die einem anderen Wesen zügewandt sind (vgl. 905),
ein Dativobjekt treten: ,
Ich bin ihm keinen Pfennig, großen Dank, das Leben schuldig.
s) Artergänzung + Präpositionalobjekt
Ich bin auf deinen Bericht gespannt
935 Auch das Präpositionalobjekt dieser Sätze (vgl. 887 ff. und 908 f.) ist so
vielschichtig wie die Verhältnisse sind, die Präpositionen auszudrücken
vermögen (vgl. 574). Sie stehen wiederum teilweise für einen älteren
Genitiv:
Ich bin des Redens müde - Ich bin vom Reden müde.
Er ist dieser Tat fähig - Er ist zu dieser Tat fähig.
oder auch für einen Dativ:
Diese Nachricht ist schmerzlich für mich (ist mir schmerzlich). Diese Hose ist für mich
zu lang (ist mir zu lang).
Wir stellen auch hier wiederum nur allgemeine Situierung eines Wesens
oder Dinges fest, und zwar diesmal zum Artsatz. In der Rolle der Art¬
ergänzung kann auch hier ein Präpositionalgefüge stehen:
Das ist von Vorteil für ihn.
Sie ging die Treppe hinunter. Karl ist zwölf Jahre alt.
Das Haus ist 10000 DM wert.
943 In diesen Sätzen stehen Raum-, Zeit- und Artergänzungen, die zweigliedrig
sind, wie die Verschiebeprobe zeigt:
Die Treppe ging sie hinunter. Zwölf Jahre ist Karl alt. 10 000 DM ist das Haus wert.
Trotz dieser Zweigliedrigkeit der Ergänzungen stehen wir nicht vor neuen
Grundformen wie bisher, sondern vor den uns bereits bekannten not¬
wendig raum-, zeit- und artbestimmten Zuständen, Vorgängen und Tätig¬
keiten (vgl. 897-903), weil die erste Umstandsergänzung die zweite Um¬
standsergänzung nur wie ein Attribut modifiziert (vgl. 972). Wir sprechen
in diesen Fällen von modifizierenden Umstandsergänzungen. Sie
stehen meist im Akkusativ. Sie gehören der Übergangszone zwischen
Satzglied und Gliedteil an.
944 Die modifizierende Raumergänzung kann nach allen Raumverben stehen,
die an sich bereits eine Umstandsergänzung fordern (vgl. 897), wenn der
Raum nicht punkthaft (mit Hilfe eines Präpositionalgefüges: an der Ecke),
sondern flächenhaft (den Berg hinauf) angegeben wird (vgl. aber auch die
Attribute des Adverbs Ziff. 998):
Wir stiegen den Berg hinauf. Er geht die Straße hinunter. Er wohnt kilometerweit von
der Haltestelle. Ich schlendere die Wiesen auf und ab. Sie warfen ihn die Treppe
hinunter, zur Tür hinaus. Er lagerte einen Steinwurf von hier. Meine Freundin sitzt
drei Reihen weiter.
945 Gelegentlich können sogar zwei modifizierende Raumangaben stehen:
Er wohnt 1000 Meter vom Fluß entfernt.
946 Die modifizierenden Raum- und Zeitergänzungen stehen an Stelle eines
früheren Genitivs bei allen Adjektiven, die eine Ausdehnung im Raume
und in der Zeit bezeichnen:
Der Stoff ist eine Elle lang. Der Spalt ist einen Fuß breit. Das Seil ist einen Finger
dick. Die Grube ist drei Meter tief. Der Knabe ist neun Jahre alt.
Eine vergleichende Betrachtung der Grundformen 459
Als modifizierende Artergänzung kann man die Preisangabe neben dem 947
Adjektiv „wert“ ansehen:
Dieser Ring ist 100 Marie wert.
b) Nichtzielendes Geschehen
Den verbleibenden Grundformen ist ein gemeinsames Kennzeichen nicht 949
mehr eigen, es sei denn, daß ihr Geschehen im Gegensatz zu den Hand¬
lungssätzen nichtzielend, intransitiv ist. Als Prädikat können Verben
aller drei Bedeutungsgruppen (Zustand, Vorgang, Tätigkeit) stehen. Im
übrigen werden diese Grundformen in gleicher Weise durch die Ergän¬
zungen differenziert wie bei den Handlungssätzen.
1 Vgl. hierzu auch die „Grundbilder“ von Hans Glinz, Der deutsche Satz, Düsseldorf
1957, S. 163.
460 Die Grundformen deutscher Sätze
von Wesen oder Dingen (Präpositionalfall) und der Raum-, Zeit-, Art- und
Begründungsangaben (in flektierter und unflektierter Gestalt). Es ist die
immer wieder zu bewundernde Gesamtleistung der Sprache, daß sie gegen¬
über dem Sein und Geschehen in der Welt mit diesen wenigen Variations¬
möglichkeiten auszukommen vermag. Über die verschiedenen Sprach-
formen, mit denen diese Grundleistungen der , Ergänzungen ausgedrückt
werden können, vgl. den Abschnitt über die Satzglieder im einzelnen
(1004-1033).
3. Haupt- und Nebenformen
952 Die durch die Sinnergänzungen gekennzeichneten Grundformen lassen
sich wiederum in Haupt- und Nebenformen unterteilen.
Zu den Hauptformen zählen wir außer dem ergänzungslos^n Satz alle
Grundformen mit eingliedriger Ergänzung:
Die Rosen blühen (vgl. 865). Karl ist mein Freund (vgl. 868). Der Gärtner bindet die
Blumen (vgl. 872). Der Sohn dankt dem Vater (vgl. 878). Ich harre seiner (vgl. 883).
Inge achtet auf ihre Schwester (vgl. 887). München hegt an der Isar (vgl. 897). Die
Beratung dauerte zwei Stunden (vgl. 897). Wilhelm benimmt sich schlecht (vgl. 901).
Das Verbrechen geschah aus Eifersucht (vgl. 904).
Von den Grundformen mit mehrgliedriger Ergänzung rechnen wir zu den
Hauptformen die Handlungssätze, die einen Gleichsetzungsakkusativ (vgl.
919), einen Objektsdativ (vgl..905), einen Objektsgenitiv (vgl. 906), ein
Präpositionalobjekt (vgl. 908), eine Raumergänzung (vgl. 910), eine Zeit¬
ergänzung (vgl. 913) und eine Artergänzung (vgl. 914) neben dem Akku¬
sativobjekt haben.
Alle übrigen Grundformen sind Nebenformen, Weil sie nur die eine oder
andere Hauptform variieren, z. B.
Hauptform: Der Arzt schrieb den Patienten krank.
Nebenform: Der Richter sprach*diesen Mann des Diebstahls schuldig.
953 Bei mehrgliedrigen Ergänzungen muß man demnach zwischen primären
und sekundären Gliedern unterscheiden.
Primär ist immer das Akkusativobjekt, weil es den Typ der Handlungs¬
sätze konstituiert (vgl. 950):
Der Richter beschuldigte den Angeklagten des Diebstahls.
primär sekundär
Bei Zustands-, Vorgangs- oder Tätigkeitssätzen ist das Glied primär, das
die Ergänzung der jeweiligen Hauptgrundform bildet:
Hauptgrundform: Meine Freundin wohnt auf dem Lande.
(Raumergänzung)
Nebengrundform: Ich klopfe meinem Freund auf die Schulter.
sekundär primär
Dativobjekt Raumergänzung
Diese Schwankungsfälle zeigen besonders deutlich, daß es sich bei den 958
Grundformen unserer Sprache nicht um eine Nachbildung der objektiv in
der Welt vorhandenen Seins- und Geschehensarten handelt, sondern um
Blickrichtungen und damit um geistige Zugriffe der Sprache selbst; denn
das Geschehen an sich bleibt das gleiche, ob ich sage:
ich rufe ihn oder ich rufe ihm.
1 Diese Ziffern beziehen sich auf die Zusammenstellung ZifF. 906.1 ist die nichtzielende
Gruppe (Zustands-, Vorgangs-, Tätigkeitssätze), 2 die dazugehörige Grundform 2 (Gleich¬
setzungen).
464 Die Grundformen deutscher Sätze
1 Hans Eggers teilte auf dem Germanistentag in Hamburg 1958 mit, daß er bei ähn¬
lichen Zählungen (500 Sätze) auf 37,8% Handlungssätze gestoßen ist.
2 Die Raumergänzungen sind kursiv gesetzt.
Eine vergleichende Betrachtung der Grundformen 465
a) Sterbender Objektsgenitiv
Die Darstellung der heutigen Grundformen unserer Sprache hat deutlich 963
gezeigt, daß wir beim Objektsgenitiv Zeuge eines solchen Unterganges
sind. Die mit ihm verbundene Seh weise der Teilhabe ist unserer Sprach¬
gemeinschaft nicht mehr geläufig. Soweit diese Veränderung nicht den
Handlungssätzen zugute gekommen ist (vgl. 884), hat sie die Ausbrei¬
tung des Präpositionalobjekts wesentlich gefördert (vgl. 885). Von diesem
Sog zum Präpositionalobjekt ist aber auch das Dativobjekt schon stark
erfaßt (vgl. 890). Es ist nicht Aufgabe unserer Grammatik, auf Grund dieser
Beobachtungen Rückschlüsse auf den sich wandelnden geistigen Zugriff
unserer Muttersprache gegenüber dem Sein und Geschehen in der Welt
zu ziehen. Insgesamt drängt sich jedoch die Überzeugung auf, daß das
Verhalten des Subjekts genauer und aktiver gesehen wird. Dies gilt vor
allem auch für die Verschiebungen innerhalb unseres Grundformbereiches,
auf die Leo Weisgerber hingewiesen hat1.
b) Akkus ativierung
Es ist ein auffallender Zug unserer Zeit, Personalobjekte, die bisher im 964
Dativ standen, in den Akkusativ zu setzen:
einem raten - einen beraten; einem Waren liefern - einen mit Waren beliefern; einem
Waffen geben-einen mit Maschinenpistolen bewaffnen; einem dienen - einen bedienen.
Damit wird die Person, die bisher im Mittelpunkt stand, weil ihr das Ge¬
schehen entweder sinngebend oder teilnehmend zugewandt war, in die
Rolle einer „behandelten Sache“ gedrängt:
einem etwas schenken - einen mit etwas beschenken.
Bei der Beobachtung dieser Akkusativierung der Person drängt sich die
Vermutung auf, daß Sich hier bereits die geistige Haltung des modernen
Massenzeitalters niederschlägt, aus der heraus der Mensch schließlich auch
„berentet“ wird. Diese Fragen sollen hier nur angedeutet werden, denn sie
führen uns bereits aus der rein grammatischen Sprachbetrachtung hin¬
aus in die Sprachsoziologie hinein.
Sonderformen
1 Bei einem im Präpositionalfall stehenden Wesen oder Ding, das an einem Verhalten
nur teilnimmt, ist die Abgrenzung zu den freien Umstandsangaben sehr schwierig. Da sie
aber nach unserer Meinung den freien Umstandsangaben näher stehen als den Personen¬
oder Sachangaben, haben wir sie dort behandelt (vgl. 1032, 5).
* Vgl. hierzu Hennig Brinkmann, Der Umkreis des persönlichen Lebens im deut¬
schen Dativ, Muttersprache 1953, S. 104 ff. Hier heißt es S. 111: „Der Dativ kann die
v Person jeweils in doppelterWeise ins Spiel bringen: Er kann sie einmal als den eigentlichen
Sinn des Geschehens setzen (Dativ der sinngebenden Person), und er kann sie jederzeit
am Geschehen beteiligen (Daxiv der teilnehmenden Person).“
Bestimmung und Leistung der Attribute 471
haltensweise eines Subjekts auf das Wo, Wann, Wie und Warum in der
Welt beziehen. Die freien Umstandsangaben sind deshalb die eigentlichen
„Ausbaustücke“ des Satzes, durch die die Grundformen an die besonderen
Züge der zu setzenden Wirklichkeit herangebracht werden:
Die Sonne scheint heute besonders warm. Ich rate dir als guter Freund zur Annahme
dieser Bedingungen. Der Gärtner bindet jeden Morgen seine Blumen hinter dem
Treibhaus. Der Arzt schrieb den Patienten wegen seines starken Hustens krank.
Bei den freien Artangaben müssen wir ebenso wie bei den Artergänzungen 970
(vgl. 902) auf die Zuordnung des in der Aussage stehenden selbständigen
Adjektivs achten.
Das Adjektiv ist dem Subjekt zugeordnet, wenn es heißt:
Karl kam krank in Frankfurt an,
weil nur der kranke Karl und nicht das kranke Ankommen gemeint sein
kann.
Das Adjektiv ist aber dem Prädikat wie ein Adverb zugeordnet, wenn es
heißt:
Karl hat laut um Hilfe gerufen,
weil nur das laute Rufen gemeint sein kann.
Gelegentlich sind verschiedene Zuordnungen denkbar:
Ruhig im Sessel liest der Vater sein Buch.
Handelt es sich um ein ruhiges Lesen, um den ruhigen Vater, der liest,
oder um das ruhige Sein, das den lesenden Vater umgibt? Die Grenzen
sind, wie so oft in der Sprache, fließend. Der im Adjektiv zum Ausdruck
kommende Stimmungsgehalt vermag so den ganzen Satz zu durchdringen.
Wir sollten uns deshalb nicht bemühen, diesen wertvollen Schwebezustand
durch eindeutige Zuordnungen zu zerstören.
F. DAS ATTRIBUT
Den Kern der mehrwortigen Glieder ermitteln wir, wenn wir die entbehr¬
lichen Gliedteile weglassen:
Die Wintersonne strich schräg über die Häuser.
973 Jedes zum Satz aufgerufene Substantiv oder Pronomen kann ein Attribut
zu sich nehmen. Das Attribut steht dann adnominal (zum Nomen ge¬
hörig).
Der sprachlichen Form nach kann das adnominale Attribut sein:
ein Adjektiv oder Partizip: das liebe, das geliebte Kind;
ein Begleiter des Substantivs: mein Hut;
ein Substantiv im Genitiv: der Hut meines Vaters;
ein Substantiv mit Präposition: die Liebe zur Musik;
ein Adverb: er blickte nach der Burg dort drüben;
ein Infinitiv mit zu: die Kunst zu schweigen;
ein Substantiv im gleichen Kasus wie das zu bestimmende Substantiv: Nathan
der Weise.
1 Es gibt auch Attribute, die notwendig zum Satz gehören und deshalb nicht weg¬
streichbar sind:
Er stahl die Hälfte meines Geldes.
In diesen Fällen muß der Gliedkern aus dem Zusammenhang erschlossen werden
(„die Hälfte“ wird durch „meines Geldes“ näher bestimmt).
Es erübrigt sich wohl, bei dieser Gelegenheit auch darauf hinzuweisen, daß die not¬
wendigen Attribute im Gegensatz zu den notwendigen Satzgliedern keine Grundformen
begründen.
Die Attribute des Substantivs 473
Um ein adjektivisches Attribut handelt es sich auch, wenn das flektierte 977
Adjektiv auf sich gestellt ist, weil sein Substantiv in Gedanken ergänzt wird:
Sie war die schönste [Frau] aller Frauen. Er liebte alle Kinder, vor allem die an¬
ständigen und fleißigen [Kinder]. Von des Lebens Gütern allen ist der Ruhm das
höchste [Gut] doch (Schiller).
Über die attributiv zu verwendenden Ableitungen auf -er von einem Orts¬
oder Ländernamen vgl. 362.
f) wenn das attributive Substantiv von seinem Gliedkern getrennt ist (selten;
vgl. 1242):
Bela hat mir die Hand geboten von seinem Enkelkind (Grillparzer).
g) in stehenden Redensarten:
Das ist das Ende vom Lied.
Beachte:
Der possessive Genitiv darf sich nicht auf das Bestimmungswort einer Zusammen¬
setzung beziehen (vgl. 984, Beachte):
Also nicht: Die Meldepflicht der Berufskrankheiten.
Sondern: Die Pflicht zur Meldung der Berufskrankheiten.
Diese Umschreibung muß stehen, wenn das attributive Substantiv ohne nähere
Bestimmung oder Artikel ist:
ein Mann von Geist.
Wenn der Eigenschaftsgenitiv den Stoff nennt, aus dem die im Gliedkem genannte
Sache besteht, dann wird fast nur noch mit der Präposition aus umschrieben:
ein Becher edlen Golde» — ein Becher au» edlem Gold.
In dieser Stellung liegt bei normaler Betonung die Deutung nahe, daß die
Raumangabe „aus München“ attributiv zum Akkusativobjekt steht.
Wird die Raumangabe aber betont, dann kann sie auch als selbständiges
Glied an die Spitze des Satzes treten:
Aus München schrieb Maria täglich einen liebevollen Gruß an'ihren Verlobten.
In Zweifelsfällen muß man beide Möglichkeiten gelten lassen.
984 Die Gegenwartssprache liebt das präpositionale Attribut besonders, weil
sie mit seiner Hilfe ganze Satzinhalte in die Rolle eines Satzgliedes zu
bringen vermag. Gliedkern ist dann meist ein Nomen actionis, insbesondere
auf -ung1 (vgl. 689 und 695):
Eine Besinnung auf das Verhältnis von Geld und Moral in der gegenwärtigen Ge¬
sellschaft tut uns not.
Beachte:
Das präpositionale Attribut darf sich nicht auf das Bestimmungswort einer Zusammen¬
setzung beziehen:
Also nicht: Die Abfahrtszeit nach Kassel, sondern: Die Zeit der Abfahrt nach Kassel.
1. die Vornamen:
Karl Müller, Luise Meier.
2. die Beinamen:
Karl der Große, Ludwig der Fromme.
4. der Verwandtschaftsgrad:
mein Onkel Walter, meine Tante Minna.
5. der Gattungsbegriff:
die Provinz Hannover, der Monat Januar.
Beachte:
Die zur Kürze drängende Gegenwartssprache bedient sich dieses sprachlichen
Mittels im Übermaß. Man sollte deshalb Fügungen wie das nachstehende Apposi¬
tionsverhältnis vermeiden:
Nicht: die Redaktion Krähtoinkler Nachrichten, sondern: die Redaktion der
Krähwinkler Nachrichten.
Beachte:
1. Das Verhältnis des Bezugssubstantivs zu der unmittelbar bei ihm stehenden
Apposition kann im Zusammenhang der Rede wechseln:
Zahnarzt Müller hat sich verheiratet (Zahnarzt ist Apposition zum Namen
Müller).
Aber:
Der Zahnarzt Müller hat sich verheiratet, nicht der Apotheker Müller (jetzt ist
Müller Apposition zu den Berufsbezeichnungen).
989 a) Mit der nachgetragenen Apposition treffen wir zum ersten Mal auf
Redeteile, die den glatten Ablauf des Satzes unterbrechen und deshalb als
Einschübe oder Zusätze wirken (vgl. 1037). Sie werden darum auch durch
Kommas vom übrigen Satz getrennt.
Beispiele für nachgetragene Appositionen:
Earl, mein bester Freund, ist gestern verreist. Schubert, den Schöpfer vieler Lieder,
liebe ich von allen Komponisten am meisten. Ich habe dieses Buch Karl Müller,
meinem Klassenkameraden, geschenkt. Ich schätze ihn besonders, namentlich ab**
seinen Fleiß. Das ist ein Bild Fritz Walters, des besten Fußballspielers unserer Zeit.
Beachte:
Bei der Datumsangabe [am] Montag, den 25. Januar ging ich ... ist der Monatstag
keine Apposition zum Bezugswort Montag, sondern eine selbständige Zeitangabe im
Akkusativ neben der ebenso selbständigen Zeitangabe [am] Montag, Es handelt sich hier
um eine Aufzählung.
Die Attribute des Substantivs 479
3. Unterlassung der Beugung bei Appositionen ohne „als“ oder „wie“ 993
Über die Unterlassung der Beugung von Appositionen ohne „als” oder
„wie“ vergleiche:
Maß- und Mengenangaben 317; Vornamen 298; Stand, Titel oder Berufsbezeich»
nungen 299-302 ; Verwandtschaftsgrade 299; 300; Gattungsbegriffe 308; Namen
und Titel von Büchern, Zeitschriften, Gedichten, Kunstwerken u. a. 311.
appel, ... (Thomas Mann). Durch die Sorgfalt eines bewährten Freundes,
Hofrat Roehlitz, kam ein Flügel aus Leipzig an (Goethe). Leitfaden der Ana¬
tomie, herausgegeben von Professor Dr. Walter Schmidt, leitender Arzt am
Städtischen Krankenhaus in Hamburg. An Herrn Dr. Meier, Privatdozent
in ... Das Haus gehört Frau Maier, geborene (auch: geborener oder ge¬
borenen [vgl. 352]) Schulze. Der Zug wendete sich nach der inneren Stadt durch
die Katharinenpforte, ein ehemaliges Tor und seit Erweiterung der Stadt
ein offener Durchgang (Goethe).
Beachte:
Die Kasuskongruenz muß, obwohl die Apposition ohne Artikel steht, erhalten
bleiben, wenn Mißverständnisse möglich sind:
der Sohn des Grafen, Günstling« des Herzogs (der Graf ist Günstling); der Sohn
des Grafen, Günstling des Herzogs (der Sohn ist Günstling).
Beachte:
Häufig wird in der Umgangssprache die Apposition fälschlich in den Dativ gesetzt,
obwohl das Bezugswort in einem anderen Falle steht:
Dort steht das Haus des neuen Finanzministers, dem Nachfolger von Dr. Meier
(richtig: des Nachfolgers ...).
Ebenso falsch ist es, die Apposition in den Genitiv zu setzen, wenn das Bezugswort
mit „von“ verbunden ist:
Das ist ein Gedicht von Schiller, eines Dichters, der... (richtig: einem Dichter ...).
Beachte:
Oft ist nicht klar zu entscheiden, ob wir vor einem adjektivischen Attribut des Ad¬
jektivs oder vor einer freien Artangabe stehen;
Er ist leicht erkältet.
Die Attribute des Adverbs 481
Liegt hier der Ton auf leicht in der Bedeutung von „schnell“, dann ist leicht freie
Artangahe innerhalb des Satzes „Er ist erkältet“: Es geschieht leicht, daß er er¬
kältet ist. Liegt aber der Ton auf erkältet, und leicht gibt den Grad der Erkältung
an, dann ist leicht Attribut zu erkältet: Er ist leicht (nicht schwer) erkältet.
2. ein Adverb:
Ich bin sehr müde. Er sieht äußerst schlecht aus. Dies war ein überaus unglück¬
liches Zusammentreffen.
4. ein Akkusativ:
Er lebte zehn Jahre lang in Frankreich.
5. ein Präpositionalfall:
Dort am Hang blüht der Ginster. Rechts von dieser Eiche steht ein Reh. Der
Stall liegt nahe bei dem Hause.
4. Der Schaltsatz
Auch ein ganzer Satz kann als unabhängiger Einschub in einem ande- 1003
ren Satz stehen. Man spricht dann von einem Schaltsatz. Er wird oft
in Gedankenstriche eingeschlossen:
Eines Tages - es war mitten im Winter - stand ein Reh in unserem Garten.
1. Das Subjektswort
Im allgemeinen bedarf es eines besonderen Wortes, und zwar meist aus 1005
der Wortart des Substantivs, um das Subjekt zu benennen:
Die Rose blüht. Das PI erd zieht den Wagen.
Lediglich bei der 2. Person des Imperativs ist das Subjekt in der Verbal¬
form enthalten:
Komm! Lebt wohll Aber : Kommen Sie!
Alle übrigen Sätze ohne Subjekt empfinden wir als Ellipse (vgl. 1170):
Danke schön (= Ich danke schön).
c) ein Gliedsatz:
Daß ihr mit ins Theater gehen wollt, freut mich sehr. Wer glücklich ist, ist auch zu¬
frieden.
1008 Über den unterschiedlichen Sinn des Prädikats in den einzelnen Grund¬
formen vgl. insbesondere Ziff. 867; 868; 873.
Das Prädikat ist fest mit der Wortart Verb verbunden. Es antwortet auf
die Frage: Wie verhält sich das Subjekt ? Der Form nach kann das Prä¬
dikat einteilig oder mehrteilig sein.
Das umgangssprachliche, tun in Verbindung mit dem reinen Infinitiv kommt oft einem
Hilfsverb nahe:
Ich tu’ das schon erledigen (= ich werde das schon erledigen).
Diese Erweiterung des Prädikats wird mit Recht bekämpft. Schriftsprachlich ist sie nur
bei vorangestelltem Infinitiv zulässig, weil das tun hier die verbale Achse einnehmen
muß (vgl. 1041, 2):
Kennen tu’ ich sie nicht.
Bei anderen Verben dieser Gruppe kann man nur aus dem Sinnzusammen¬
hang entnehmen, ob sie den im Infinitiv ausgedrückten Vorgang modifi¬
zieren oder als Vollverb einem Infinitiv mit eigenem Satzgliedwert gegen¬
überstehen :
Der Kranke drohte (= lief Gefahr) sich ein Leid anzutun.
Aber:
Er verspricht (= gibt das Versprechen), mir diesen Korb zu bringen.
Bei einer dritten Gruppe von Verben (glauben, hoffen, wünschen, fürch¬
ten, bitten, [versuchen, anfangen, beginnen, aufhören, sich gestatten,
erlauben u. a.) muß man es völlig offenlassen, welche dieser beiden Mög¬
lichkeiten anzusetzen ist:
Er glaubt mich mit diesen Einwänden zu überzeugen.
Diese Verwendung von „brauchen“ mit dem reinen Infinitiv gilt noch
weithin als umgangssprachlich. Wenn man aber dieses Beispiel in den an¬
gedeuteten Zusammenhang stellt, ist zum mindesten Toleranz geboten.
Modifizierend wirkt auch das Wort gehören in Verbindung mit einem 2. Partizip:
Er gehört geprügelt (= Er muß geprügelt werden).
Bei dem formal gleich gebauten Satz Er kam gelaufen charakterisiert das 2. Partizip das
vorausgehende Verb. Wir stehen deshalb hier vor einer Artangabe (vgl. 1032) und nicht
vor einem Teil des Prädikats.
In allen anderen Fällen (die nicht zu a-d gehören) steht der Infinitiv für
ein Satzglied und die finite Verbform als Vollverb (vgl. 63).
a) Verbzusätze
Verbzusätze sind alle mit dem Infinitiv eines Verbs zusammengeschrie¬
benen nichtverbalen Teile, die nicht oder nicht mehr als selbständiges
Satzglied oder selbständiger Gliedteil geprägt sind (vgl. hierzu 669 ff.):
aMrängen, Angehen, feil bieten, Joaschlagen u. a.
1 Vgl. hierzu HansGlinz, Die innere Form des Deutschen, Bern 1952, S. 326ff.
Der Gleichsetzungsnominativ 487
y) Reflexivpronomen
Zum Prädikat rechnet man auch das Reflexivpronomen der echten refle¬
xiven Verben (vgl. 59; 60), weil dieses Pronomen mit seinem Verb eine
feste Einheit eingegangen ist und nicht mehr als Objekt empfunden wird:
Er schämt sich. Er entschließt sich zu dieser Tat. Er maßt sich dieses Urteil an.
b) ein Zahlwort:
Wir sind drei.
d) ein Gliedsatz:
Ich werde, was meinen Wünschen entspricht.
V. Der Gleichsetzungsakkusativ
Er antwortet wie das Akkusativobjekt auf die Frage: Wen oder was?
Der Gleichsetzungsakkusativ ist wie der Gleichsetzungsnominativ in der
Regel ein Substantiv:
Karl nennt mich einen Lügner.
c) ein Gliedsatz:
Ich nenne ihn auch heute das, was ich ihn schon früher genannt habe, nämlich einen
Lügner.
Es gibt aber auch Fälle, in denen das Akkusativobjekt Zielpunkt ist, ob¬
wohl ein Passiv unmöglich oder ungebräuchlich ist. Dies trifft zu:
1. wenn das Subjekt selbst von der Handlung betroffen wird (vgl. 876):
Ich wasche mich. (Sinnlos, weil Subjekt und Objekt identisch: Ich werde von
mir gewaschen.)
4. wenn das Objekt mit dem Verb eine feste Verbindung eingegangen
ist:
Er faßte Mut, schöpfte Atem, lief Gefahr, trug Sorge, verlor die Besinnung, faß te
Fuß, nahm Urlaub u. a.
Hierher gehören auch die Akkusativobjekte nach. Verben, die sonst nur
absolut gebraucht werden. Die zielende Verwendung dieser Verben findet
sich vor allem in der Dichtung, gelegentlich auch in der Umgangssprache
(Akkusativ des Inhalts):
Er schläft den Schlaf des Gerechten. Die Erde dampft erquickenden Geruch (Goethe).
Leben duftet nur die frische Pflanze (Schiller). Er lacht Tränen, strahlt Freude. Er
lacht sich einen Buckel, eine ins Fäustchen. Er schläft sich rote Wangen. Sie tanzen
einen Walzer.
b) ein Infinitiv mit „zu“, ein satzwertiger Infinitiv (vgl. 1038) und in weni¬
gen Fällen (lehren, lernen, helfen) auch ein reiner Infinitiv:
Er entschloß sich zu gehen. Wir beabsichtigen, heute abend ins Theater zu gehen. Fritz
lernt gehen.
c) ein Gliedsatz :
Ich weiß, daß du fleißig bist.
Über das Dativobjekt neben einem Akkusativobjekt vgl. 905, 912 und 916, neben einem
Präpositionalobjekt vgl. 923, neben einer Kaumergänzung vgl. 926, neben einer Art¬
ergänzung vgl. 928 und 939.
b) ein Gliedsatz:
Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch den Verstand (Sprw.).
492 Die Satzglieder im einzelnen
Über das Präpositionalobjekt im passivischen Satz vgl. 893, neben einem Akkusativ¬
objekt vgl. 908, 918, neben einem Dativobjekt vgl. 923, neben einer Artergänzung vgl.
935, 939. Doppeltes Präpositionalobjekt vgl. 925.
c) ein Gliedsatz:
Wilhelm zweifelt daran, daß du die Prüfung bestehst.
d) ein Pronominaladverb:
Er hatte schon früher darauf hingewiesen.
Das Präpositionalobjekt gibt sich mit Hilfe dieser Fragen überall dort
eindeutig zu erkennen, wo es für einen älteren reinen Kasus steht:
Ich spotte seiner - Ich spotte über ihn (über wen ?).
Bei bestimmten 2. Partizipien, die entweder isoliert sind (vgl. 168) oder
unmittelbar zu einem Substantiv gebildet wurden (vgl. 783), steht in
der Artergänzung noch ein Attribut:
Er ist wohl geraten, gut gelaunt.
i) ein Gliedsatz:
Wilhelm ist zornig, weil er verloren hat. Ich komme nach Hause, wenn ich mit der
Arbeit fertig bin.
a) Raumangaben
Die Raumangaben antworten auf die Fragen: Wo ? Wohin ? Woher ? Wie 1030
weit ? (lokal):
Wo?: Karl Avohnt in München. Wohin?: Wilhelm geht ins Theater. Woher?: Inge
komint aus dem Schwimmbad. Wie weit ?: Peter wirft den Ball bis an den Fluß.
Beachte:
Oft wird eine Person für einen Ort genannt. Man fragt dann nicht: Wo? usw., sondern
Bei wem ? usw.:
Karl wohnt bei seinem Onkel.
b) Zeitangaben
Die Zeitangaben antworten auf die Fragen: Wann? Wie lange? Seit 1031
wann ? Bis wann ? (temporal):
Wann?: Otto besuchte mich am späten Abend. Wie lange?: Er blieb zwei Stunden.
Seit wann ?: Dies hat er seit langem nicht mehr getan. Bis wann ?: Er wäre bis Mitter¬
nacht geblieben, wenn ...
c) Artangaben
Die Artangaben antworten auf die Frage Wie ? oder auf eine andere mit 1032
Wie? verbundene Frage: Wieviel? Wie sehr? usw. (modal). Sie bezeich¬
nen im einzelnen:
1. die Beschaffenheit, die Qualität (Frage: Wie?):
Karl singJ laut. Ilse ist schön. Wilhelm spricht in Rätseln. Die Tür ist zu.
2. die Quantität. (Frage: Wieviel?):
Otto arbeitet genug. Michael schläft zu wenig.
3. den Grad, die Intensität (Frage: Wie sehr?):
Er peinigte mich bis aufs [ilut. Wir kämpften auf Tod und Leben.
498 Die Wortreihe
d) Begründungsangaben
1033 Die Begründungsangaben bezeichnen:
1. den Grund und die Ursache im engeren Sinne. Frage: Warum ? Wes¬
halb ? (kausal) :
Das Verbrechen geschah aus Eifersucht. Das Mädchen zittert vor Frost. Der
Tenor kann wegen Heiserkeit nicht singen.
J. DIE WORTREIHE
1034 Die Wortreihe beruht auf dem Prinzip der Nebenordnung im Satz.
Nebenordnen kann man, was gleichwertig ist, d. h. alle Wörter oder Wort¬
gruppen, die in der Rolle des gleichen Satzgliedes oder Gliedteiles stehen
können. Durch die Nebenordnung entstehen jedoch keine neuen Satzglie¬
der. Jede Wortreihe bildet ein Satzglied.
Die Formen einer Wortreihe 499
Jedes Satzglied und jedes Attribut kann aus einer Wortreihe bestehen:
Der Neckar, der Main und die Lahn sind Nebenflüsse des Rheins. Der Sturm tobt
und heult um unser Haus. Wir schicken ihm Äpfel und Nüsse in einem Paket. Die
Nächte sind hell und klar. Ich nenne ihn einen Lügner und einen Dummkopf. Am
späten Abend und am frühen Morgen sind diese guten, alten Leute noch fleißig.
Beachte:
1. Zwei adjektivische Attribute bilden nur dann eine Wortreihe, wenn die durch sie aus- 1035
gedrückten Eigenschaften dem Gliedkern in gleichem Maße zugesprochen werden:
ein hoher, runder Tisch; ein breiter, tiefer Graben.
Es liegt aber keine Wortreihe vor, wenn das zweite Adjektiv mit dem Gliedkern einen
Gesamtbegriff bildet (vgl. Fußnote zu Ziff. 353):
die lehrreichen physikalischen Versuche (die physikalischen Versuche sind lehrreich).
2. Einem Satzglied kann auch ein Gliedsatz (vgl. 1053) nebengeordnet sein:
Die Dichter sollten sich vor den Gelehrten, Philosophen, Philologen und wie sie alle
heißen mögen hüten (Tieck). ... begann er sogar wieder ein wenig zu singen, ... mit
Vorsicht und obgleich seine Knie ... zitterten (Th. Mann).
Die Glieder einer Wortreihe können auf verschiedene Weise miteinander 1036
verknüpft werden:
1. syndetisch1 2
Bei der syndetischen Bildung sind alle Glieder einer Wortreihe durch eine
Konjunktion verbunden:
Dies gilt nicht mir, sondern dir. Er ist zwar ein häßlicher, aber ein guter und stiller
Mann.
Über die nebenordnenden Konjunktionen vgl. 593 ff.
2. asyndetisch2.
Bei der asyndetischen Bildung stehen die Glieder einer Wortreihe unver¬
bunden nebeneinander;
Alles rennet, rettet, flüchtet. ... es schafft Dumpf sinn, Beharrung, Untätigkeit, knech¬
tischen Stillstand (Th. Mann).
3. monosyndetisch3
Bei der monosyndetischen Bildung ist nur das letzte Glied einer Wort¬
reihe durch eine Konjunktion verbunden:
Dicht nebeneinander liegen Ehre, Macht und Verrat. . . . mit feiner, geweckter und
kritischer Miene (Th. Mann).
d) Dem Satz vörangestellte Satzglieder, die durch ein Pronomen oder Ad¬
verb erneut aufgenommen werden:
Der Tag, er ist nicht fern. Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum.
1041 Beachte:
1. Der Gebrauch der Infinitivkonjunktion „zu“ bei den Verbei} „liegen“, „stehen“,
„wohnen“ u. a., die mit dem Hilfszeitwort „haben“ verbunden sind, ist mundartlich
(Berlin) und gilt hochsprachlich als falsch:
Falsch: Er hat ein Faß Wein im Keller zu liegen.
Richtig: Er hat ein Faß Wein im Keller liegen.
2. Die Verbindung von tun mit einem reinen Infinitiv ist fast immer umgangssprachlich:
Ich tu singen.
Schriftsprachlich kann tun mit einem reinen Infinitiv nur dann stehen, wenn der Infinitiv
an der Spitze des Satzes steht (vgl. 1010):
Lieben tue ich ihn gerade nicht, aber ...
3. Nach „lehren“, „lernen“, „helfen“, „heißen“ steht der reine Infinitiv:
Er lehrte mich schwimmen. Er half mir graben.
Schließt sich ein satzwertiger Infinitiv an, dann schwankt in vielen Fällen der Gebrauch
von „zu“, in anderen Fällen ist der Anschluß mit „zu“ bereits fester geworden:
Helfen Sie mir bitte[,[ das Auto in die Garage [zu] schieben.
Aber bereits fester:
Mein Professor lehrte mich, dieses Instrument nur so anzwwenden. Er ... lernte auch,
die Frauen in ihrer Mannigfaltigkeit zu sehen, zu fühlen, zu tasten, zu riechen (Hesse).
Satzwertige Infinitive 503
Der reine Infinitiv steht jedoch auch bei Satzwertigkeit, wenn er bei Einstellung des
Prädikats oder dessen infiniter Form vor diese zu stehen kommt:
Nun, da er so mühsam und kummervoll lieben lernte ... (Rilke). Du mußt mir von
nun an viel Geld verdienen helfen.
Der Gebrauch von zu schwankt auch dann, wenn ein satzwertiger Infinitiv in der Rolle
des Subjekts oder Gleichsetzungsnominativs steht:
Ein Tier [zu] quälen ist böse. Für ihn [zu] kochen müßte ein Vergnügen sein. Mit
diesem Berufsboxer [zu] spaßen bekommt niemandem gut. Ein guter Christ sein
heißt allen armen Menschen ein stets bereiter Helfer [zu] sein.
Da sich der Gebrauch des Infinitivs mit oder ohne zu in dieser Übergangszone nicht
reglementieren läßt, müssen beide Gebrauchsweisen freigegeben werden.
4. Über die Verwendung von „brauchen“ mit oder ohne „zu“ vgl. 1012.
5. Schwierigkeiten beim Infinitiv mit „um ... zu“:
a) Der attribütive Infinitiv steht immer ohne „um“:
Das ist nicht der Weg, diese Frage zu lösen. (Welcher Weg?) Falsch: .... um
diese Frage zu lösen. Aber (final) richtig: Er mußte diesen Weg gehen,um die
Frage zu lösen. (Wozu mußte er diesen Weg gehen ?)
b) Zwei voneinander unabhängige Sachverhalte (vgl. 1095ff.) können im allgemeinen
nur durch zwei Hauptsätze und nicht durch einen Infinitiv mit „um ... zu“ ausge¬
drückt werden:
Karl ging in die Stadt und wurde dort von einem Auto überfahren. Aber nicht:
Karl ging in die Stadt, um dort von einem Auto überfahren zu werden. (Dies
war sicher nicht seine Absicht!)
Ein solcher Inflnitivanschluß kann aber besondere Ausdruckskraft besitzen, wenn
eine Schicksalsbestimmung ausgedrückt werden soll:
Goethe über Schiller: So schieden wir vor seiner Haustür, um uns niemals
wiederzusehen.
In der Gegenwartssprache greift der weiterführende Gebrauch von „um ... zu“ all¬
gemein um sich. Soweit nicht Mißverständnisse entstehen, ist er jedoch nicht zu tadeln:
Die Sonne, welche soeben unter d'fem Rande mächtiger Wolken herabhing, um
in das schwarzgrüne Wipfelmeer zu versinken, goß Ströme von Purpur über den
Forst (G. Hauptmann). Der Rhein war bis zur Mitte des Monats stark gestiegen,
um dann wieder rasch zu fallen.
6. Der Infinitiv mit „um ... zu“ bezieht sich im allgemeinen auf das Subjekt des zuge¬
hörigen Satzes:
Er kam, um mir zu helfen = Er kam, und er half mir.
Soll das Subjekt wechseln, dann muß gewöhnlich ein neuer Satz gebildet werden:
Er kam zu mir, damit ich ihn begleiten sollte.
Inflnitivanschlüsse, die sich nicht auf das Subjekt des zugehörigen Satzes beziehen, sind
nur dann möglich, wenn sich das zqm Infinitiv gehörende Subjekt aus dem Zusammen¬
hang deutlich ergibt:
Die Bücher wurden auf schlechtes Papier gedruckt, um Geld zu sparen. (Jeder weiß,
daß der Verleger das Geld spart [und nicht die Bücher].)
504 Satzglieder und Gliedteile unter einem eigenen Teilbogen
Auch hier ist der Teilbogen, unter dem die Partizipialgruppe steht, erst
voll ausgebildet, wenn sich der Wirkungsbereich des Partizips genügend
von dem verbalen Wirkungsbereich des eigentlichen Satzes abhebt. Wir
sprechen dann von einem satz wertigen Partizip.
Beachte:
Die satzwertigen Partizipien müssen deutlich auf ein Glied des zugehörigen Satzes be¬
zogen sein, um Mißverständnisse oder ungewollten Humor zu vermeiden:
Subjektsbezug: Alle Erfahrungen der älteren Generation weit von sich weisend, geht
die sorglose Jugend in die Zukunft.
Objektsbezug: Im Lager sahen wir Flüchtlinge, ihrer ganzen Habe beraubt.
Die Satzreihe 505
Der zusammengesetzte Satz besteht aus. zwei oder mehreren Teilsätzen, 1045
die eine Aussageeinheit bilden. Besteht diese Einheit aus gleichgeordneten
Teilsätzen, dann sprechen wir von einer Satzreihe, die ebenso wie die
Wortreihe (vgl. 1034) auf dem Prinzip der Nebenordnung beruht. Ver¬
langt aber die Aussageabsicht, daß mehrere Verbalbereiche zu einer fest¬
gefügten Einheit verschmolzen werden, dann tritt an die Stelle der lok-
keren Nebenordnung die festgefügte Unterordnung von Teilsätzen. Wir
sprechen dann von einem Satzgefüge.
I. Die Satzreihe
Eine Satzreihe besteht aus zwei oder mehreren gleichwertigen Sätzen, die 1046
asyndetisch (ohne Konjunktion) oder syndetisch (mit Konjunktion) ver¬
knüpft sein können (vgl. die Formen der Wortreihe, 1036). Die Reihung
von Hauptsätzen (vgl. 1047) nennt man Satzverbindung, die Reihung von
Gliedsätzen (vgl. 1050) Gliedsatzreihe.
506 Der zusammengesetzte Satz
1. Die Satzverbindung
a) kopulativ (anreihend)
Die Sätze dieser Verbindung enthalten in der Bedeutung gleichwertige
Gedanken:
Es ist Abend, und die Herden kehren heim.
Kopulative Konjunktionen vgl. 593.
ß) disjunktiv (ausschließend)
Der Inhalt des zweiten Satzes schließt den Inhalt des ersten aus:
Entweder läßt du mich in Buhe, oder ich gehe nach Hause.
Disjunktive Konjunktionen vgl. 594.
y) adversativ (entgegensetzend)
Der Inhalt des zweiten Satzes ist dem des ersten entgegengesetzt:
Er zahlte nicht bar, sondern überwies das Geld durch die Bank.
Adversative Konjunktionen vgl. 595.
6) kausal (begründend)
Der Inhalt des zweiten Satzes begründet den Inhalt des ersten:
rein kausal; Er muß zu Hause sein, denn das Licht brennt.
konsekutiv: Du bist Karls Freund, deshalb bist du mein Feind.
final; Er ist Vorsitzender, dazu ist er gewählt worden.
konditional; Laß mich in Buhe, sonst gehe ich naeh Hause!
konzessiv: Es regnete nach dem Gewitter noch sehr lange; trotzdem gingen
wir spazieren.
Kausale Konjunktionen vgl. 599.
ß) Die Teilsätze beginnen mit dem gleichen Wort oder der gleichen Wort¬
gruppe (Anaphora oder Anapher1):
Regungslos lag Antonio auf seinem Lager, regungslos saß' Leone bei ihm, regungslos
kauerte Myga in dem dunkelsten, entferntesten Winkel (Raabe).
2. Die Gliedsatzreihe
Auch gleichwertige Gliedsätze können wie Hauptsätze einander asynde- 1050
tisch (ohne Konjunktion) oder syndetisch (mit Konjunktion) nebenge¬
ordnet werden. Man spricht dann von einer Gliedsatzreihe:
Karl ist ein Freund, der mir immer hilft, der mich nie verläßt. Wenn die Nebel steigen
und wenn die Blätter fallen, dann ist es Herbst.
1053 Ein Satzgefüge entsteht, wenn ein vollständiger Satz an die Stelle eines
Satzgliedes oder eines Gliedteiles tritt (vgl. jedoch auch 1095 ff.):
Deine Zuverlässigkeit hat mich immer gefreut.
Daß du zu allen Zeiten zuverlässig bist, hat mich immer gefreut.
Alle fleißigen Kinder erhalten ein Buch.
Alle Kinder, die in diesem Jahr besonders fleißig gewesen sind, erhalten ein Buch.
Sätze, die auf diese Weise die Rolle eines Satzgliedes oder Gliedteiles
einnehmen, heißen Gliedsätze. Dieser Name ist zutreffender als die Be¬
zeichnung Nebensatz. Aus dem Namen Gliedsatz ergibt sich auch ohne
weiteres, daß Sätze dieser Art ohne den „Stammsatz“ nicht bestehen kön¬
nen, in dem sie ihren Gliedwert haben. Zwischen beiden besteht im Gegen¬
satz zu der gleichwertigen Nebenordnung in der Satzreihe eine Über- und
Unterordnung. Man nennt deshalb den übergeordneten Satz zutreffend
Hauptsatz. Das Satzgefüge ist also eine Vereinigung von Teilsätzen, die
, auf Abhängigkeit beruht.
1054 Bei der Verwendung von Gliedsätzen in der Rolle von Satzgliedern und
Gliedteilen bedient sich die Sprache der gleichen syntaktischen Grund¬
formen wie beim einfachen Satz (vgl. 966). Auf diese Weise kann eine
Grundform zum Baustein einer anderen werden:
Dieses letzte Beispiel zeigt aber schon, daß zwischen dem Satzglied oder
seinen Teilen und dem Gliedsatz ein echtes Spannungsverhältnis besteht,
weü die Sprachgemeinschaft - wiederum aus ökonomischen Gründen -
ständig bestrebt ist, Verhaltensinhalte, wenn irgend möglich, in substan¬
tivischer Form zum unmittelbaren Einsatz im einfachen Satz bereitzu¬
halten (vgl. 688 ff. und 984). Daraus entsteht allerdings oft der mit Recht
getadelte nominale Stü unserer Gegenwartssprache (vgl. hierzu Stilduden,
4. Auflage, Seite 12). Es gilt, zwischen diesen Möglichkeiten, die die Sprache
bietet, das rechte Maß zu halten.
Das Satzgefüge 509
Gliedsatz 2. Grades:
1. Grades
l-1
Das ist eine Frage, die erst dann geklärt werden kann,
2. Grades
Gliedsatz 3. Grades:
1. Grades 2. Grades
a) Der Relativsatz
Der Relativsatz kann in der Rolle eines Attributs oder eines Satzgliedes
stehen. Über die weiterführenden Teilsätze in der Form eines Relativsatzes
vgl. 1096.
2. Seine Einleitewörter
a) der, die, das
1058 Die ältesten und gebräuchlichsten Einleitewörter des Relativsatzes in
der Rolle eines Attributs sind die Relativpronomen „der, die, das“
(vgl. 477):
Ein Mann, der zur Arbeit geht, ...
Eine Frau, die in der Küche steht, ...
Ein Kind, das auf dein Rasen spielt, ...
d) Relativadverbien
Den Anschluß beim Relativsatz in der Rolle eines Attributs können 1061
neben den Relativpronomen auch noch die Relativadverbien in be¬
stimmten Fällen übernehmen. Es sind dies: wo, wohin, woher, womit,
worauf, wodurch, wovon u. a. (vgl. 555).
Das Relativadverb „wo“ und das veraltete oder gewählte „da“ kön¬
nen sich nur auf ein Substantiv beziehen, das den Ort oder die Zeit
bezeichnet:
Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn? (Goethe). An Abenden, wo ... der
Mond seine Bahn beschrieb (H. Hesse). Dies ist der Tag, da Tauris seiner Göttin
für wunderbare neue Siege dankt (Goethe).
Beachte:
Der Bezug von wo auf Substantive, die nicht Ort oder Zeit bezeichnen, ist stark
umgangssprachlich oder mundartlich. Also niemals:
Das Geld, wo auf der Bank liegt.
Die mit einer Präposition verschmolzenen Relativadverbien (wobei,
womit, wodurch, worin, woran, woraus, worauf, worunter, wovor u. a.)
können sich auf alle Sachsubstantive beziehen:
Ich gebe Ihnen den Dolch selbst in die Hand, womit Sie mich ermorden sollen
(Lessing). Der Druck, worunter die Kirche seufzte (Schiller). Die Folgen, wovor
sie den König gewarnt hatten (Schiller).
In der Gegenwartssprache werden diese Relativadverbien jedoch mehr
ünd mehr durch Relativpronomen in Verbindung mit einer Präposition
verdrängt, besonders bei Personenbezeichnungen (vgl. 558). Es heißt
jetzt zumeist:
Die Stelle, an der (seltener: wo) das Unglück geschah. Dies ist der Dolch, mit dem
(seltener: womit) er sich erstach. Das Bett, auf dem (seltener: worauf) ich schlafe,
ist hart. Wenn du die Stellung, auf die (kaum noch: worauf) du hoffst, erhältst,
kannst du froh sein. Das Mädchen, von dem (nicht mehr: wovon) du mir erzähl¬
test, ist verlobt. Die Leute, von denen (nicht mehr: wovon) ich euch erzählte, sind
umgezogen.
512 Der zusammengesetzte Satz
1063 Beachte:
1. Der Anschluß eines Belativsatzes an das letzte von mehreren Substantiven mit
welch letzterer usw. ist sprachlich unschön:
Aus Italien kommen Weintrauben und Pfirsiche, welch letztere besonders saftig
sind.
Wenn man diesen Anschluß vermeiden will, muß man entweder das letzte Substantiv
von dem vorausgehenden distanzieren oder mit einem neuen Satz beginnen:
Aus Italien kommen Weintrauben und außerdem Pfirsiche, die besonders saftig
sind.
Aus Italien kommen Weintrauben und Pfirsiche. Die Pfirsiche sind besonders
saftig.
2. Wird ein einzelner oder ein einzelnes aus einer Gesamtheit herausgehoben und
schließt sich ein Relativsatz an das die Gesamtheit bezeichnende Wort an, dann
steht das Pronomen dieses Relativsatzes nicht im Singular, sondern im Plural:
Er war einer der ersten, die das taten (und nicht: der das tat). Frankfurt ist eine
der wenigen Großstädte, in denen es eine solche Einrichtung gibt (und nicht: in
der es ...).
2. Seine Einleitewörter
a) wer, was
Die Einleite Wörter des Relativsatzes in der Rolle eines, Satzgliedes 1065
sind die Relativpronomen „wer“ und „was“ (vgl. 479) :
Er wußte, wer kam. Er wußte, was ich wollte.
Wenn eine bestimmte Person gemeint ist, steht „der“ statt „wer“:
Der da lag ..., war also nicht der Großvater selbst (Th. Mann).
Über den Ersatz von „wer“ durch „was“ in der Umgangssprache
und in der Dichtung vgl. 1206, 3.
b) Relativadverbien
Die Relativadverbien „wo, wohin“ u. a. geben räumliche Bezüge an: 1066
Er wußte sehr gut, wohw.er fahren sollte.
Die mit einer Präposition verschmolzenen Relativadverbien (wo¬
mit, wodurch, woran, worum u. a.) können sich wiederum auf alle
Sachsubstantive beziehen (vgl. 1061):
Ich fragte ihn, womit ich ihm eine Freude bereiten könnte. Ich weiß nicht
mehr, worum es sich handelte. Woran die Menge glaubt, ist leicht zu glauben
(Goethe).
Im Gegensatz zu den Relativsätzen in der Rolle eines Attributs
(vgl. 1061) sind hier die mit einer Präposition verbundenen Relativ¬
adverbien noch fest im Gebrauch. Ihre Verdrängung durch „was“
mit einer Präposition gilt als umgangssprachlich (vgl. 558):
Ich fragte ihn, mit was (statt: womit) ich ihm eine Freude bereiten könnte.
3. Korrelate
Oft wird der Relativsatz in der Rolle eines Satzgliedes schon im Haupt- 1067
satz durch ein Demonstrativpronomen oder durch ein unbestimmtes
514 Der zuammengesetzte Satz
ß) Seine Einleitewörter
1069 Die Einleitewörter des indirekten Fragesatzes können sein:
1. die Interrogativpronomen (vgl. 481 ff.) wer, was, welcher, was für
ein u. a.:
Er sagt mir nicht, iver eben gekommen ist. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte.
y) Korrelate
Auch hier kann, wie beim Relativsatz (vgl. 1067), das durch den indirek- 1070
ten Fragesatz vertretene Satzglied bereits im Hauptsatz durch ein Kor¬
relat angekündigt werden:
Das möchte ich wissen, was er über mich gesagt hat. Ob er die Wahrheit gesagt hat,
darüber wage ich mich nicht zu äußern.
c) Der Konjunktionalsatz
Auch die Konjunktionalsätze können wie die Relativsätze und die indi- 1072
rekten Fragesätze in der Rolle eines Satzgliedes oder eines Attributes
stehen. Zu ihnen sind auch die ob-Sätze zu rechnen, die wir nur um des
Zusammenhanges willen bereits bei dem indirekten Fragesatz behandelt
habpn (vgl. 1069, 3).
Subjekt:
Daß du mir schreiben willst, freut mich besonders.
Gleichsetzungsnominativ :
Die Hauptsache ist, daß du kommst.
Akkusativobjekt:
Ich weiß, daß du ein Künstler bist.
Genitivobjekt:
Er rühmt sich, daß er unschlagbar sei.
Präpositionalob j ekt:
Er besteht darauf, daß ich ihn zuerst besuche.
Da die daß-Sätze den wesentlichen Inhalt der Gesamtaussage ent¬
halten, nennt man sie auch Inhaltssätze. Der grammatische Haupt¬
satz wirkt ihnen gegenüber nur wie eine Anführung der eigentlichen
Setzung:
Wir wissen, daß er uns ein lieber Freund ist.
Wie sehr die daß-Sätze Kern der ganzen Setzung sind, ergibt sich am
deutlichsten daraus, daß sich das grammatische Unterordnungsver¬
hältnis oft umkehren läßt:
Er ist uns ein lieber Freund, wie wir wissen.
1074 Bei den daß-Sätzen in der Rolle eines Subjekts und eines Akkusativ¬
oder Genitivobjekts stehen.nur selten Korrelate im Hauptsatz:
Daß dieses Mädchen die Schönste->war, (das) wurde mir bereits erzählt. Ich
habe (es) genau gesehen, daß er das Geld eingesteckt hat.
Korrelate stehen aber fast immer, wenn der daß-Satz in der Rolle
eines Präpositionalobjekts steht:
Er dachte nicht daran, daß sich sein Glück noch einmal wenden könnte. Ich be¬
stehe darauf, daß du dich entschuldigst. Mein Freund wird schon dafür sorgen,
daß alles gut geht. Ich bleibe dabei, daß alles falsch ist.
Beachte:
1. Die zeitliche Bedeutung der Konjunktion „während“ kann so stark zurück¬
treten, daß ein adversatives Verhältnis entsteht (vgl. 596).
2. Bei dem Gebrauch der temporalen Konjunktionen als und wie besteht oft
Unsicherheit wegen des zu setzenden Tempus.
Bei der Vergangenheit steht schriftsprachlich im allgemeinen als:
Als wir nach Hause kamen, war die Tür geöffnet.
Wie ist hier zwar auch literarisch zu belegen; im ganzen ist es jedoch bei der
Vergangenheit stärker auf den umgangssprachlichen Bereich beschränkt.
Bei der Gegenwart empfiehlt sich dagegen wie auch ln der Schriftsprache. Als
ist hier veraltet:
Wie ich an seinem Fenster vorbeigehe, höre ich ihn singen.
3. Die Konjunktion nachdem wurde früher temporal und kausal verwendet. Der
kausale Gebrauch ist in der Schriftsprache heute jedoch nicht mehr üblich. Er
findet sich nur noch landschaftlich, vor allem in Österreich. Daher erklärt sich
die oft zu bemerkende Unsicherheit bei der Anwendung dieser Konjunktion.
Es empfiehlt sich also, nachdem nur noch temporal zu verwenden, und auch nur
dann, wenn das Geschehen im Gliedsatz vor dem Geschehen im Hauptsatz voll¬
endet ist:
Nachdem das Urteil verkündet worden war, wurde die Sitzung geschlossen.
4. Die temporale Konjunktion wenn darf nicht mit dem Fragewort wann verwech¬
selt werden. Es muß also heißen: ■
Wann kommst du ?
und nicht (wie umgangssprachlich weithin üblich):
Wenn kommst du ?
b) Der Modalsatz
Der Modalsatz gibt an, wie sich das Verhalten des Subjekts im
Hauptsatz vollzieht.
Dabei kehren nur wenige der Modalumstände wieder, die wir bei der 1079
Betrachtung der Umstandsergänzungen und der freien Umstands¬
angaben angetroffen haben (vgl. 1032). Umgekehrt treten neue
Modalumstände hinzu (vgl. zu diesen Umständen und den dazu¬
gehörigen Konjunktionen Ziff. 598). Die Modalsätze können fol¬
gende Umstände bezeichnen:
1. die Modalität im engeren Sinne:
Er verabschiedete sich von mir, indem er mir freundlich zulächelte.
518 Der zusammengesetzte Satz
Beachte:
1. Nach dem Korrelat insofern wird öfters die Konjunktion als durch die Kon¬
junktion weil ersetzt, weil die kausale Bedeutung des Gliedsatzes empfunden
wird. Dieser Gebrauch gilt jedoch noch nicht als schriftsprachlich.
2. Die Konjunktionen als, als ob, als wenn, wie wenn können nur dann für die
Konjunktion daß stehen, wenn der Inhalt cles Gliedsatzes nicht als Tatsache,
sondern als annähernder Vergleich aufgefaßt wird:
Ich habe das Gefühl, daß mir noch eine Überraschung bevorsteht. Ich habe
das Gefühl, als ob mir noch eine Überraschung bevorstünde.
1082 Dem Vergleichssatz nahe steht der Proportionalsatz. Mit
seiner Hilfe wird angegeben, daß sich der Grad oder die Intensität
des Verhaltens im Hauptsatz gleichmäßig mit dem Verhalten im
Gliedsatz ändert:
Je älter er wird, desto bescheidener wird er.
Die Konjunktion „je“ des Proportionalsatzes ist immer auf ein
Korrelat im Hauptsatz angewiesen. Dies können sein „desto,
um so“ und das in dieser Stellung veraltete „je“:
Je länger ich ihn kenne, desto (um so, je) lieber habe ich ihn.
\ Flüssiger klingen hier satzwertige Infinitive (vgl. 1039): Er verleumdete mich, ohne
einen Grund dafür zu haben.
Das Satzgefüge 519
c) Der Kausalsatz
Nach den unterschiedlichen kausalen Beziehungen, die in den
Kausalsätzen zum Ausdruck kommen, unterteilt man die Kausal¬
sätze weiterhin. Über die Konjunktionen, die diese Beziehungen
ausdrücken, vgl. 599.
aa) Der reine Kausalsatz 1083
Der reine Kausalsatz gibt an, warum sich das Verhalten des
Subjekts im Hauptsatz vollzieht.
Er'wird gewöhnlich mit den Konjunktionen „weil“ und „da“
eingeleitet. Als Korrelate der Konjunktion „weil“ können im
Hauptsatz stehen „darum, deswegen, deshalb“:
Sie wagen sich nicht herein, weil sie sich fürchten. Da alle Zeugen einer
Meinung sind, wird das Urteil bald zu erwarten sein. Weil du böse
warst, darum, (deswegen, deshalb) darfst du nicht mitgehen.
Der reine Kausalsatz kann auch mit der Konjunktion „daß“
in Verbindung mit den Korrelaten „daher, daran, darin, darum,
davon, daraus, dafür“ eingeleitet werden:
Das zeigte sich besonders daran, daß er schmutzige Schuhe hatte.
In vielen Fällen, besonders bei den Korrelaten „daher“ und
„darum“, steht jedoch die stärker kausal empfundene Kon¬
junktion „weil“ für „daß“:
Das kommt daher, iveil du nicht gehört hast.
Beachte:
1. Zwischen dem Gebrauch der kausalen Konjunktionen weil und da bestehen
feine Unterschiede.
Weil wird fast immer dann verwendet, wenn das Geschehen im kausalen
Gliedsatz gewichtig und neu ist. Der Gliedsatz ist dann meist Nachsatz:
Wir können nicht kommen, iveil der Vater krank ist. Es geschah des¬
halb, weil ich dir zeigen wollte, daß ...
Da wird häufig verwendet, wenn das Geschehen im Gliedsatz ohne be¬
sonderes Gewicht ist, weil es bereits als bekannt vorausgesetzt wird. Der
Gliedsatz ist dann meist Vordersatz:
Da dies nun einmal so ist, mußt du dich mit dieser Tatsache abflnden.
Da der Vater krank ist (wie du ja weißt!), können wir nicht kommen.
2. Das Weglassen der kausalen Konjunktion da nach den Adverbien zumal
und nun wird gelegentlich noch als Fehler bezeichnet. Wir stehen hier jedoch
vor dem allgemeinen Ehtwicklungsvorgang, daß Teile des Hauptsatzes in
den Gliedsatz übertreten, sich hier an die Stelle der ursprünglichen Konjunk¬
tion setzen und dadurch selbst Konjunktion werden können:
Ich kann es ihm nicht abschlagen, zumal [da] er immer so gefällig ist.
Nun [da] die Reise einmal beschlossen wrar, fuhren wir trotz des Regens.
Auf diese Weise sind viele unserer Konjunktionen entstanden, z. B. auch
weil. Mittelhochdeutsch: die wdle daz ... (w'elche Weile ? Der daß-Satz war
hier noch Attributsatz zu wile). Vgl. hierzu 1084, Beachte, 1.
Beachte:
1. Oft werden zu den Konjunktionen des Konditionalsatzes auch die Fügun¬
gen im FallfeJ, daß; unter der Voraussetzung (Bedingung), daß; vorausge¬
,
setzt daß; gesetzt den Fall, daß gerechnet. Es handelt sich hier jedoch nicht
um Konjunktionen, sondern entweder um ein Substantiv mit einem Attri¬
butsatz (im Falle, daß ... = in welchem Falle?) oder um ein Partizip mit
einem Inhaltssatz als Subjekt (vorausgesetzt, daß = es sei vorausgesetzt,
daß ...). Daß sich auch hier ein Substantiv mit seiner Präposition an die
Stelle der ursprünglichen Konjunktion setzen und damit selbst Konjunk¬
tion werden kann (vgl. 1083, Beachte, 2), zeigt sich bei obengenannten
Beispielen nur bei im FallfeJ, daß.
Im Fall [,daß] du kommst, gehen wir ins Theater. [Aus der freien Um¬
standsangabe als Satzglied + Attribut (im Falle, daß ... = in welchem
Falle?) ist ein Umstandssatz geworden (Im Fall du kommst, ...)]
2. Da sich die Konditionalsätze mit den reinen Kausalsätzen überschneiden
können, wird die Konjunktion wenn gelegentlich für daß gebraucht:
,
Das kommt davon wenn [daß] man so gutmütig ist.
Man wird diesen Gebrauch der Konjunktion wenn zulassen müssen, solange
er sich auf Gliedsätze mit überwiegend konditionaler Bedeutung beschränkt.
Beachte:
Die Verwendung von „trotzdem“ als unterordnende Konjunktion wird ge¬
legentlich noch getadelt. Wir stehen hier jedoch vor dem gleichen Entwick¬
lungsvorgang, den wir in Ziflf. 1083, Beachte, 2 und iii ZifF. 1084,1 (im Falle,
daß) bereits kennengelernt haben. Aus der freien Umstandsangabe des Haupt¬
satzes als Satzglied + Attributsatz (trotz dem, daß ...) ist ein Umstands¬
satz mit der Konjunktion trotzdem geworden (vgl. 605).
In allen diesen Fällen leisten die Konjunktionalsätze das gleiche wie die
Relativsätze und die indirekten Fragesätze in der Rolle eines Attributs,
nämlich die Verweisung umfangreicher Bestimmungen in die Anschlu߬
stellung (vgl. 1057).
Beachte:
An der Naht zwischen der Satzreihe und dem Satzgefüge stehen in noch stärkerem
Maße als die Gliedsätze ohne Einleitewort jene Sätze, die inhaltlich einander untergeord¬
net, der Form nach aber nebengeordnet sind:
Sei so gut und tue das. Wenig fehlte, und er hätte mir ins Gesicht geschlagen.
Subjekt Relativsatz
Wer nicht hören will, muß fühlen. 0)
indirekter Fragesatz 1
Ob er kommt, ist völlig ungewiß.
Inhaltssatz
|
S
P
Daß du mir schreiben willst, freut mich ÖQ
besonders. Es ist gewiß, wir werden
ihn bald Wiedersehen. \
Gleichsetzungs- Relativsatz i
nominativ Er ist heute erst, icas ich vor fünf Jah- ob
ren uar. faß
Ö ®
Inhaltssatz P s
Dativobjekt Relativsatz
Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er
auch den Verstand.
Genitivobjekt Relativsatz
Er entbehrte all dessen, was man un¬
bedingt zum Leben braucht.
indirekter Fragesatz
Ich erinnere mich nicht mehr, ob ich
Objektsätze
ihn wirklich gesehen habe.
Inhaltssatz
Er rühmt sich, daß er unschlagbar sei.
Ich erinnere mich, er hatte weiße Haare.
Präpositional¬ Relativsatz
objekt Er erkundigte sich, was ich im Theater
gesehen hätte.
indirekter Fragesatz
Ich zweifle daran, ob dieser Versuch
gelingt.
Inhaltssatz
Er besteht darauf, daß ich ihn zuerst
besuche.
Umstands¬ Relativsatz
ergänzung Wo früher Wiesen waren, stehen jetzt
des Raumes Häuser.
Konj unktionalsatz
der Zeit Das Fest dauerte, bis der Morgen
graute.
der Art Er benahm sich, als ob er ein Fürst
Umstandssätze
wäre.
des Grundes Das Unglück geschah, weil er pmackt-
sam war.
freie Umstands¬
angabe Relativsatz
des Raumes Die Kinder spielen dort, ivo der Weg
in den Wald biegt.
der Art Lauf, was du kannst.
Konj unktionalsatz
der Zeit Als es dunkel geworden ivar, gingen wir
nach Hause.
der Art Er begrüßte mich, indem er mir auf
die Schulter klopfte.
des Grundes Sie wagen sich nicht herein, weil sie
sich fürchten. Seid ihr aufgeregt, dann
gelingt euch gar nichts.
Das Satzgefüge 525
Attribut Relativsatz
Die Lerche, die im Äther singt, ...
indirekter Fragesatz
Die Ungewißheit, ob er kommt, beun¬
1
GQ
+=>
ruhigt mich. 3
Kon j unktionalsatz •+3
Er hat den Fehler, daß er jeden Abend <
ins Wirtshaus geht. Sie machen einen
Krach, als ob die Hölle los wäre.
Üblich ist schließlich der Anschluß eines neuen Sachverhaltes mit dem
Relativ „was“, das sich auf den ganzen Inhalt des vorausgehenden
Satzes bezieht:
Mutter mußte immer wieder Märchen erzählen, was sie auch gerne tat.
Beachte:
Über die Verknüpfung von zwei unabhängigen Sachverhalten mit Hilfe der Infinitivkon¬
junktion „um ... zu“ vgl. 1041, 5.
Aber auch die einfache Reihung von Hauptsätzen vermag durch die Hand
des Dichters stärkste Wirkung zu erzielen:
Der Mond ist aufgegangen, die goldnen Sternlein prangen am Himmel hell und klar;
der Wald steht schwarz und schweiget, und aus den Wiesen steiget der weiße Nebel
wunderbar (M. Claudius). ;
a) Indikativ
a) Die Aussageweise des Indikativs
Der Indikativ steht im Gliedsatz aus den gleichen Gründen wie im Haupt- 1100
satz (vgl. 112-113). Der Sprechende will etwas objektiv Wirkliches und
Unbezweifelbares aussagen, etwas Sachliches feststellen oder einen Ge¬
danken als seinen eigenen vertreten:
Es steht fest, daß sich die Erde um die Sonne dreht. Er ahnte nicht, was sich inzwi¬
schen ereignet hatte. Er streitet ab, daß er das getan hat.
Darüber hinaus kann der Sprechende aber auch eine (subjektive) Be- 1101
hauptung, eine Annahme, eine Möglichkeit, einen Wunsch, eine Notwen¬
digkeit, eine Bedingung oder eine Frage im Indikativ ausdrücken, weil
sie ihm von der Gegenwart aus als subjektiv gewiß erscheinen. Diese
Sehweise ist die heute übliche, wenn der Hauptsatz im Präsens steht
(über den Konjunktiv, der hier noch möglich ist, vgl. 1108ff.):
1. Behauptung: v
Es gibt keinen Rehnfahrer, der schneller fährt.
2. Annahme:
Ich hoffe, daß sie schreibt. Wir fürchten, daß er bald sterben wird. Wir vermuten,
daß er es gewesen ist.
3. Möglichkeit:
Es ist möglich, daß es morgen regnet.
4. Wunsch:
Ich wünsche, daß er kommt.
5. Verlangen, Notwendigkeit:
Ich verlange, daß du fleißig bist.
6. Bedingung:
Ich gehe nicht, wenn es regnet.
528 Der zusammengesetzte Satz
7. Frage:
Ich frage mich, ob das noch Zweck hat.
Vom Blickfeld der Vergangenheit aus ist diese Sehweise nur dann
möglich, wenn Tatsachen der Vergangenheit vorliegen und diese dem
Sprechenden als solche bekannt sind:
a) Behauptung:
Es gab damals keinen Rennfahrer, der schneller fuhr.
b) Verlangen, Notwendigkeit:
Er verlangte, daß man seine Pflicht tat.
d) 1. Futur
Der Kardinal-Infant wird ... ein spanisch Heer durch Deutschland nach den
Niederlanden führen (Schiller).
cc) Präteritum
Während er tanzte, steckte er ihr einen goldenen Ring an den Finger
(Grimm).
Ungenau für II, b, dd (Plusquamperfekt):
Als er mich erblickte, trat er auf mich zu. Als er das hörte, erschrak er.
Für das relative Präteritum kann in bestimmten Fällen das absolute Präsens ein-
treten, wenn etwas Allgemeingültiges oder noch in der Gegenwart Gültiges aus¬
gesagt wird:
Bezieht der Sprecher jedoch das heute noch Gültige subjektiv auf die Vergangen¬
heit (weil er vielleicht nicht genau weiß, ob es noch heute objektiv zutriift), dann
bleibt das relative Präteritum:
Ich begab mich nach Hannüverisch-Minden, dessen merkwürdige Lage auf
einer Erdzunge einen sehr erfreulichen Anblick darbot (Goethe).
dd) 1. Futur
Diesen lieblichen Anblick wird sie (= die Welt) fortfahren dir zu geben,
solange du Menschen entbehren wirst (Schiller).
ee) Plusquamperfekt -
ff) 2. Futur -
bb) Perfekt
Ich kann nicht schreiben, weil ich meinen Füllfederhalter verloren habe. Zur
Orgel singen hell die Nonnen, die heil’ge Messe hat begonnen (Redwitz). Ich
530 Der zusammengesetzte Satz
cc) Präteritum
Das Präteritum wird bei Vorzeitigkeit öfter angewandt, gilt aber als nicht ganz
korrekt, weil es gegenüber dem Präsens des Hauptsatzes absolut steht. Streng
richtig müßte das Perfekt stehen:
Ich weiß nicht, ob er gestern im Theater war. ... Denn wo das Strenge mit
dem Zarten, wo Starkes sich und Mildes paarten, da gibt es einen guten
Klang (Schiller). Bericht mir lieber von der Gefahr, der du soeben kaum
entrannst (Raabe).
Gelegentlich tritt das Präteritum auch als Ersatz für das 2. Futur auf (vgl.
95). Das Verhalten im Gliedsatz, das vor dem Verhalten im Hauptsatz sich voll¬
endet, wird von der lebhaften Phantasie des Sprechenden bereits als Vergangen¬
heit betrachtet:
Und wenn wir dann so manches Jahr im stillen Grabe lagen, wird uns ein
Morgen tagen (Schenkendorf). Ich will die strafende Hand nicht werden,
die dich ins Elend stieß (Chamisso).
Er hatte uns auf gef ordert zu kommen, wir konnten aber seiner Einladung
nicht folgen. Zur Schmiede ging ein junger Held, er halt' ein gutes Schwert
bestellt (Uhland).
Im Zusammenhang der Rede:
In seinem Kummer hatte er nicht daran gedacht, daß auf Regen Sonnen¬
schein folgt. Er begann ...
Du Wirst mich bedauern, wenn du alles gehört haben wirst (Wieland). Wfenn
er diese Bedingung erfüllt haben wird, werden wir zustimmen. In einer halben
Stunde werde ich den Brief geschrieben haben, dann kann ich mich schlafen
legen.
Diese schwerfällige Zeitform ist im Aktiv selten, im Passiv gar nicht vorhanden.
An ihrer Stelle steht gewöhnlich das Präsens, das Perfekt oder (seltener) auch das
1. Futur (vgl. II, b, aa, bb, ee). Präsens und 1. Futur lasssen die Vorzeitigkeit au¬
ßer acht, das Perfekt hebt sie hervor, läßt aber die Zukunft unbeachtet.
bb) Perfekt
Ehe ich eingelassen worden bin, habe ich erst meinen Ausweis zeigen müssen,
cc) Präteritum
Bevor ich eingelassen wurde, hatte ich erst meinen Ausweis zeigen müssen.
Er spielte so lange mit dem Gedanken, bis er ihn nicht mehr \osicurde.
dd) Plusquamperfekt -
ee) 1. Futur
Du spielst so lange mit diesem Gedanken (wirst so lange mit diesem Gedan¬
ken spielen), daß du ihn nicht mehr loswerden wirst.
ff) 2. Futur -
Aus der Liste der relativen Tempora ist zu erkennen, daß hier immer 1 107
eine ganz bestimmte Zeitenfolge eintreten muß, die nur selten durch¬
brochen wird. Im einzelnen gilt folgendes:
a) Gleichzeitigkeit
Einem Präsens, Perfekt, Präteritum und 1. Futur im Hauptsatz
entsprechen die gleichen Zeiten im Gliedsatz (vgl. II, a).
b) Vorzeitigkeit
aa) Einem Präsens des Hauptsatzes entspricht im Gliedsatz
ein Präsens oder ein Perfekt als Ersatz für das 2. Futur (vgl. II,
b, aa, bb), selten ein 2. Futur (vgl. II, b, ff).
bb) Einem Präsens des Hauptsatzes entspricht im Gliedsatz
ein Perfekt (vgl.,II, b, bb).
cc) Einem Präteritum des Hauptsatzes entspricht im Gliedsatz
ein Plusquamperfekt (ungenauer auch ein Präteritum; vgl. II,
b, dd).
532 Der zusammengesetzte Satz
c) Nachzeitigkeit
Einem Präsens (1. Futur) des Hauptsatzes entspricht im Gliedsatz
ein Präsens oder ein 1. Futur.
Einem Perfekt des Hauptsatzes entspricht im Gliedsatz ein Per¬
fekt.
Einem Präteritum (Plusquamperfekt) des Hauptsatzes entspricht
ein Präteritum des Gliedsatzes.
Diese Zeitenfolge entspricht im großen ganzen derjenigen bei
Gleichzeitigkeit. Die Nachzeitigkeit geht also allein aus dem Sinn
hervor (aus bestimmten Konjunktionen und Adverbien).
b) Konjunktiv
a) Die Aussageweise des Konjunktivs
Der Konjunktiv erscheint im Gliedsatz zum Teil aus den gleichen Grün¬
den wie im Hauptsatz, daneben tritt er aber auch in nur dem Gliedsatz
eigentümlicher Verwendung auf.
1. Die gedanklichen Inhalte (Bedeutungen) des Konjunktivs
Der Konjunktiv erscheint im Gliedsatz:
1108 a) bei einem Wunsch oder Verlangen (voluntativ, Optativ;
wie im Hauptsatz; vgl. 119)
aa) Die Erfüllung des Wunsches oder des Verlangens wird als
möglich betrachtet:
Sie wollen, daß er sich von Josephine scheiden lasse (St. Zweig). Und
außerdem schreibst du ihm, daß er mir seine Photographie und die deiner
Schwestern schicke (Raabe).
In vielen Fällen wird jedoch heute der Wunsch oder die Auf¬
forderung bereits ,,wie eine Tatsache“ bewertet. Das gilt vor
allem von der Gegenwart des Sprechenden aus. Es steht darin
der Indikativ:
Sieh zu, daß nichts abhanden kommt. Es verlangt ja niemand von dir,
daß du einen Sarg trägst (Schnitzler).
Bei Vergangenheit des Hauptsatzes hat sich der Konjunktiv
besser gehalten:
Ich verlangte von ihm, daß er zu mir käme. Ich redete ihm ein, daß er
das Geld zur Sparkasse trüge (Frenssen). Meister Richwin hatte ... den
strengsten Befehl gegeben, daß man den Hund wohl eingesperrt halte
(Riehl). .
Aber auch hier ist der Indikativ eingedrungen, wenn die Vor¬
stellung der tatsächlichen Wirkung des Verlangens überwiegt:
Wie konnte er verlangen, daß sie frei davon war! (H. Böhlau). Aber dein
Vater und deine Großmutter wollten ... nicht, daß Darnekow verkauft
wurde (Enking).
Das Satzgefüge 533
cc) Die Erfüllung des Wunsches wird als unmöglich oder als
unbeeinflußbar betrachtet (irreal; wie im Hauptsatz; vgl. 121):
Wenn sie (= die Rosen) doch nicht welken würden! (H. Böhlau). O daß
sie ewig grünen bliebe, die schöne Zeit der jungen Liebe! (Schiller). Daß
sie bei dem Geier wären, die verdammten Ausleger! (Lessing).
f) bei Angleichung
1114 g) Schlußbemerkung
Wie sich in den vorausgegangenen Abschnitten a-f gezeigt hat, ist
der Indikativ in viele Konstruktionen eingedrungen, die früher
meist dem 1. Konjunktiv Vorbehalten waren. Dies hat nur zum
Teil formale Gründe (vier von sechs Formen des 1. Konjunktivs
lauten mit dem Indikativ gleich!). Wir können mit Gewißheit an¬
nehmen, daß der Indikativ nicht allein als bloßer formale^ „Er¬
satz“ für den Konjunktiv zu werten ist oder gar als Sprachnach-
lässigkeit, sondern daß sein Vordringen auf einer veränderten Seh¬
weise beruht. Der heutige deutsche Mensch betrachtet viele Ge¬
schehnisse nicht mehr als bloß Gedachtes, Vorgestelltes, sondern
bereits als vorgestellte Wirklichkeit, deren Aktualität ihm so nahe
ist, daß er sich mit ihr wie mit einer „Tatsache“ befaßt. Daneben
konnte der Indikativ, wie wir gesehen haben (vgl. 113), auch
früher schon durchaus für etwas Angenommenes gebraucht werden.
Auch von daher ist der Ersatz verständlich.
Sondern:
a) mit Verwendung noch nicht veralteter oder geziert klingender
einfacher Konjunktivformen:
Wenn ich davonliefe, würde ich meine Freiheit erlangen.
Wenn ich fliehen (flüchten) würde, könnte ich meine Freiheit gewinnen (erlangen).
Auch.wenn ich ihm noch mehr Geld leihen würde, könnte ich ihm nicht helfen.
Wenn einer seiner Begleiter ... seinen verstorbenen Vater ... erblicken würde,
so wäre das ... (Th. Mann).
Die Regel, die dies verdammte, ist heute nicht mehr aufrechtzuerhal¬
ten1. Sogar doppeltes „würde“ (im Haupt- wie im Gliedsatz) ist von
Schriftstellern gewagt worden. Man muß allerdings zugeben, daß dies
der Satzkonstruktion eine unnötige Breite verleiht und lautlich un¬
schön ist:
Wenn man die Werke ... bestimmen würde, so würde keiner ... in die Gruppe ...
kommen können (H. Bahr). Aber wenn man dir nun sagen würde...» so würdest du
antworten, ... (Eic. Huch). Würde ich das behaupten, tvürden auch die Plattköpfe
darauf ’reinfaUen (H. Fallada).
Vergleichssatz
Sie sahen aus, als würden sie von der See kommen (besser: als Kamen sie von der
See)*. Aber berechtigt: Die sehen nicht aus, als wenn sie so bald Brüderschaft mit
uns trinken würden (Goethe).
Wunschsatz
Wenn doch alles so bleiben würde! (besser: bliebe). Aber berechtigt: Wenn du
ihn kennen würdest! (Max Frisch).
Konzessivsatz
So gern ich mit dir gehen würde (besser: ginge), so muß ich doch Zurückbleiben.
Aber berechtigt: So gern ich es abwenden würde ..., ich kann es nicht ändern.
Abhängige Rede
Frau Meyer sagte, ihr Mann würde gern Auto fahren (besser: führe). Aber berech¬
tigt : Sie meinten, das würde nichts helfen.
Für die Hilfsverben „haben“ und „sein“, die Modalverben und die
umgangssprachliche Umschreibung „täte“ gilt das gleiche wie im
Hauptsatz. Sie sträuben sich gegen eine Umschreibung, da sie selbst
schon Mittel der Umschreibung sind:
Wenn er mäßig wäre (seltener: sein würde), ginge es ihm besser. Ach, wenn Sie
nur die Güte haben wollten, nicht immer du zu mir zu sagen (F. Raimund). Frei¬
lich oft, wenn man auch möchte, findet sich nicht gleich der Rechte (W. Busch).
Selbst die Konjunktivformen des Futurs, die sich von denen des Indi¬
kativs unterscheiden, werden durch „würde“ zurückgedrängt:
Der Anwalt hatte.dir gesagt, daß du den Prozeß verlieren würdest (seltener: wer¬
dest). Der Anwalt hatte ihm gesagt, daß er den Prozeß verlieren würde (seltener:
werde). Hab’ ich doch schon lange gedacht, daß es so kommen würde (Hauff).
Hat Cervantes geahnt, welche Anwendung eine spätere Zeit von seinem Werke
machen würdet (Heine). Ein Bauunternehmer hatte dem Facharbeiter ... in Aus¬
sicht gestellt, ihn bei sich zu beschäftigen, sobald er bei der anderen Firma ge¬
kündigt haben würde (Zeitungsnotiz).
Man verwechsele den Konjunktiv des Futurs nicht mit dem Kondi¬
tional und dem Passiv:
Konditional: Ich würde den Koffer tragen, wenn ich die Hände frei hätte.
geschlagen würde (Hauptmann).
Passiv: Mir jst zumute, als ob ich
539
1. Im Relativsatz
Im allgemeinen steht im Relativsatz der Indikativ: 1117
Menschen, die nach immer größerem Reichtum jagen, ohne sich jemals Zeit zu
gönnen, ihn zu genießen, sind wie Hungrige, die immerfort kochen, sich aber nicht
zu Tische setzen (M. von Ebner-Eschenbach). Der Angeredete, der bis jetzt... an
der Brüstung gelehnt hatte, zuckte die Achseln (Raabe).
c) Wenn die Vorstellung der Möglichkeit besteht (vgl. 1109, bb). 1120
Dies wird durch einen verallgemeinernden Begriff im Hauptsatz
(der mit Vorliebe negiert ist) bereits angedeutet. Der 1. Konjunk¬
tiv ist veraltet (für ihn tritt der Indikativ ein, der übrigens auch
überall für den 2. Konjunktiv gesetzt werden könnte):
1. Konjunktiv: Unter unsern Freunden kenne ich niemand; der sich dazu
eigne (Goethe).
2. Konjunktiv: Es ist kein Mensch, der nur Gutes täte und nie sündigte
(Auerbach). Es gibt keine Luft, die so viel Heilkraft hätte, den Hotelärger zu
balancieren (Fontane).
1124 g) Wenn das Verb des Gliedsatzes durch einen Konjunktiv des
Hauptsatzes beeinflußt wird (Angleichung; vgl. 1113):
Komme, wer wolle, ich bin nicht zu sprechen. Ich muß das Ziel erreichen,
es koste, was es woCle.
1134 4. Wenn für die Aussage eines anderen keine Gewähr über¬
nommen wird (vgl. 1111):
Er behauptet mir gegenüber, daß er krank sei. Es wird der Fürstin
gemeldet, daß in einigen Dörfern die spanischen Soldaten das Vieh
weggetrieben hätten (Schiller).
1137 bb) Steht der Hauptsatz in der Vergangenheit, dann steht der
Indikativ des Gliedsatzes, wenn nicht der mindeste Zweifel
an der Tatsächlichkeit des Inhalts besteht:
Ich wußte ja, daß er krank war. ... die andere achtete darauf, daß im
Kleid nicht schmutzig wurde (Frenssen). Der König sah mit Schrecken,
daß schon einige Wochen seiner Herrschaft verflossen waren (Herder).
3. Wenn die Aussage nicht als eigene, sondern als fremde 1140
Meinung betrachtet wird, für die keine Gewähr übernom¬
men werden kann (vgl. 1111):
Er behauptete mir gegenüber, daß er krank sei (oder: wäre). (Ich
wußte nicht, ob das stimmte). Friedbert war bemüht, sich von dem
Verdachte zu reinigen, daß er ein Geisterbeschwörer sei (Musäus).
[Direkte Rede: Er sagte: „Ich muß bitten, meine Stelle mit einem
andern zu besetzen, der den Absichten Seiner Majestät mehr, ent¬
spricht und mehr als ich über die Gemüter der Nation vermag.“]
Indirekte Rede: ... so müsse er bitten, seine Stelle mit einem an¬
dern zu besetzen, der den Absichten Seiner Majestät mehr entspräche
und mehr als er über die Gemüter der Nation vermöchte (Schiller).
[Direkte Rede : Die Kommission hat die Vorschläge, die schon bei
der letzten Sitzung Vorgelegen haben, weiter verfolgt.] Indirekte
Rede: Die Kommission habe die Vorschläge, die schon bei der letz¬
ten Sitzung Vorgelegen hätten (nicht: haben, weil diese Form mit dem
Indikativ übereinstimmt), weiter verfolgt.
Beachte:
Eigene erklärende Bemerkungen des Sprechers innerhalb der indirekten
Rede stehen im Indikativ, wenn es sich um Tatsachen handelt:
Karl erzählte mir, er wolle das Haus [das er von seinem Vater geerbt
hat] verkaufen.
Der Konjunktiv würde hier ausdrücken, daß Karl den Relativsatz mit¬
gesprochen hat und daß der Sprecher dies wieder berichtet.
Der Indikativ steht in der Umgangssprache auch dann; wenn der Inhalt
zwar als direkte Rede geformt, aber durch ein Komma in Abhängigkeit
vom Hauptsatz gebracht wird. Diese Fügungsweise ist ein Zwitterding
zwischen direkter und indirekter Rede:
So, also das sagst du und meinst, ich bin solch ein Mensch ? (Halbe).
Sag der Moidi, daß ich gesagt hätt’, es wird noch alles gut (Heyse).
Haben die Leut' nicht erzählt, der Deichhauptmann ist vorbei¬
geritten auf'n Schimmel, Mama ? (Halbe).
Ebenso steht schriftsprachlich der Indikativ, wenn der Inhalt der in¬
direkten Rede als berichtende Erzählung in grammatisch unabhängiger
Form wiedergegeben wird (erlebte Rede, style indirect libre; vgl. 1161):
Sie ahnte, er hatte es falsch verstanden (Ompteda). Allerhand Ge¬
danken gingen ihm durch den Kopf. Sein Ämtlein freilich verlor er,
wenn die Zensur abgeschafft wurde - was tat es ? (Ertl).
b) Im Utnstandssatz
Doch können der potentiale (vgl. 1109, bb) und der irreale
(vgl. 1109, cc) Konjunktiv auch in den Temporalsatz über¬
nommen werden:
Ich habe gewartet, bis ich sie mal allein träfe (Frenssen). Er wollte nicht
zustimmen, bevor alle seine Forderungen erfüllt wären.
Wird die Bedingung als irreal oder auch als nur gedacht
oder möglicherweise eintretend betrachtet (was häufiger ist),
dann steht der hypothetische Konjunktiv (vgl. dazu noch
Ziff. 1154):
Sorge für deinen Leib, doch nicht so, als wenn er deine Seele wäre
(M. Claudius). Als ob HansCastorp die Absicht gehabt hätte, den Stift
etwa nicht zurückzuerstatten (Th. Mann). Es war ihm zumute, wie
wenn er ein Stück von seinem Wesen verloren habe (Auerbach).
Wenn ich vorüberfahre, legt sie die Finger an den Mund, als pfiffe
sie einem Mannsvolk (C. F. Meyer). Ihm war, er höre einen zarten
Engel weinen (Handel-Mazzetti).
548 Der zusammengesetzte Satz
dd) Im Kausalsatz
1147 1. Im reinen Kausalsatz steht gewöhnlich der Indikativ,
wenn der Grund als objektive Tatsache betrachtet werden
kann:
... weil die Gelegenheit so günstig ist, so wird in der nächsten Nacht
der feine Plan ins Werk gesetzt (Raabe). ... konnte man die Tür
nicht verfehlen, zumal sie durch ein Porzellanschild ausgezeichnet
war (Th. Mann).
Konjunktiv:
Du sollst Vater und Mutter ehren, auf daß dir *s wohl gehe und du
,
lange lebest auf Erden (Ephes. 6 2-3). ...
mußte er mit Helenen
ins klare kommen, damit er sich stark wüßte (Sudermann). Staats¬
anwalt Paravant schüttelte rasch noch einmal sein Ohr, damit es ...
aufnahmefähig wäre (Th. Mann).
Indikativ:
Von Euch wünscht die Mutter, daß Ihr Euch vermählen möchtet,
damit Euer Name nicht erlischt (Tieck). Aber ich mußte mich bän¬
digen, daß ich mich nicht verriet (Raabe). ... stutzte ihr derKnecht
die Flügel, damit sie nicht fortfliegen konnte (Rosegger).
4. Im Konditionalsatz. Steht der bedingte Hauptsatz in
der Gegenwart, dann steht im Gliedsatz der Indikativ. Die Be¬
dingung wird als erfüllbar vorgestellt:
. Wenn du mich begleitest, erzähle ich es dir ausführlicher. Licht und
Schatten muß es geben, soll das Bild vollendet sein (Uhland). Ge¬
müt kann man nur haben, wenn man wenig zu tun hat (Immermann).
Beachte:
a) Der Konjunktiv kann in gewählter Sprache auch hei exzeptiver1
Bedeutung des bedingenden Gliedsatzes auftreten, d.h., wenn dieser
eine Ausnahme von dem Inhalt des verneinten Hauptsatzes aus¬
drückt. Als Konjunktion steht „denn“ nach der Personalform des
Verbs:
... erhält man nichts, man bringe denn was hin (Goethe). Die
Nürnberger henken keinen, sie hätten ihn denn vor (Schiller).
Die 2. Person klingt uns heute, allerdings schon ein wenig veraltet oder
gekünstelt:
... wir sagen, dieser Würmer sollest du dich einmal annehmen (Jean Paul).
Über den Ersatz des 1. Konjunktivs von „werden“ durch den 2. Kon»
junktiv vgl. 1116.
1. Gegemvartsbereich
Wenn der Hauptsatz in einer Zeit des Gegenwartsbereiches steht (Präsens, Perfekt,
1. Futur), kann der Modus des Gliedsatzes (wenn nicht der Indikativ gebraucht wird) sein:
a) 1. Konjunktiv
Br sagt, er schreibe gerade an einem Buch. Er hat gesagt, er lese gerne. Er wird be¬
haupten, daß er kein Geld habe.
In der Gegenwartssprache steht in diesen Fällen schon oft der Indikativ, wenn der Inhalt
des Gliedsatzes als Tatsache bewertet wird:
Er sagt, er schreibt gerade an einem Buch. Er hat gesagt, er liest gern. Er wird behaup¬
ten, daß er kein Geld hat (vgl. 1101).
Da bei den schwachen Verben Indikativ und Konjunktiv Präsens und Futur in den
meisten Personen (außer 2. und 3. Person Singular) gleich lauten und auch die 2. Kon¬
junktive nicht einspringen können, weil sie ebenfalls mit dem Indikativ Präteritum
übereinstimmen wird in diesen Fällen meist die Umschreibung mit „würde“ + Infinitiv
zu Hilfe genommen:
Nicht: Sie sagen, sie freuftjen sich. Er meint, ich freu[t]e mich.
Sondern: Sie sagen, sie würden sich freuen. Er meint, ich würde mich freuen.
Aber: Er sagt, er freue sich (3. Pers. Sing.!).
Der 1. Konjunktiv der 3. Pers. Sing, steht auch dann, wenn der 2. Konjunktiv veraltet
ist oder gekünstelt klingt:
Er schreibt mir, daß er in einem Meer von Glückseligkeit schwimme (kaum mehr:
schwömme oder schwämme).
Steht die einfache Konjunktivform eines starken Verbs in der Nähe, dann wird auch der
2. Konjunktiv eines schwachen Verbs mit deutlich:
Schmidts sagen, sie zögen nach Mannheim und bauten sich dort ein Haus.
b) 2. Konjunktiv
Der 2. Konjunktiv wird besonders dann gewählt, wenn der Konjunktiv Präsens oder
Futur unkenntlich ist (mit dein Indikativ übereinstimmt) oder der Inhalt des Glied¬
satzes als betont zweifelhaft, bedingt oder unwirklich angesehen wird:
Ich erkläre, daß ich alles getan hätte, um ihn zu retten (ich habe es nicht getan, daher
nicht „habe“, weil der gleichlautende Indikativ ja die, Tatsächlichkeit feststellt!).
Ihr meint, ihr würdet (statt: werdet) kommen ? Menzel sagt, ich hätte den deutschen
Patriotismus für eine Narrheit erklärt, ich zöge gegen die Deutschen zu Felde, ich
verhöhnte die Geister der deutschen Helden, ich hätte mich von der deutschen Nation
losgesagt (Börne). [Es ist aber gar nicht so.]
Oft steht der 2. Konjunktiv eines starken Verbs selbst dort, wo der 1. Konjunktiv durch¬
aus genügen würde, weil seine Form so überaus deutlich ist:
Der Arzt sagt, d,er Kranke hätte (statt: habe) Anfälle von Umnachtung, er schlüge
(statt: schlage) stundenlang um sich und fiele (statt: falle) zuletzt in eine todesähn¬
liche Erschöpfung.
556 Der zusammengesetzte Satz
2. Vergangenheitsbereich
Wenn der Hauptsatz in einer Zeit des Vergangenheitsbereiches steht (Präteritum, Plus¬
quamperfekt), kann der Modus des Gliedsatzes sein:
a) 1. Konjunktiv
Der 1. Konjunktiv wird heute normalerweise gebraucht, wenn nicht die Fälle unter b)
auftreten, besonders aber auch dann, wenn der Inhalt des Gliedsatzes für die Gegenwart
noch gilt:
Er rief laut in den Saal, daß er der Bürgermeister sei und daß er darüber zu bestim¬
men habe, ob... Femov sagte mir, ... es sei ausgemacht, daß es eine Gräfin sei
(Seume). Frau Schulze erzählte mir, ihre Untermieterin sei heute’früh nach M. ge¬
fahren, sie wolle nach ihrem kranken Mann sehen. Sie werde nicht eher Ruhe finden,
als bis sie wisse, wie es ihm gehe.
b) 2. Konjunktiv
Der 2. Konjunktiv wird gewählt:
a) Wenn Konjunktiv Präsens, Perfekt und Futur nicht deutlich werden:
Ich teilte ihm mit, daß ich keine Zeit hätte (statt: habe). Sie fragten nach meinem
Befinden und sagten selber sogleich, ich hätte (statt: habe) mich gar nicht verändert
(Heine). Sie meinten, sie würden (statt: werden) das gleich mit erledigen.
Bei schwachen Verben wird oft die Umschreibung mit „würde“ + Infinitiv zu Hilfe ge¬
nommen, w;eil die Formen des 1. wie des 2. Konjunktivs undeutlich sind:
Ich versicherte ihr, daß ich keinen Zweifel jn ihre Treue setzen würde (statt: setze
oder setzte).
ß) Wenn der Inhalt des Gliedsatzes als betont zweifelhaft, bedingt oder unwirklich ange¬
sehen wird, was bei Vorgängen der Vergangenheit für den Sprecher oft der Fall ist:
Sie meinte, daß er mit dem Nachmittagszug käme. Ich dachte, du wärst schon
weg. (Der Angesprochene ist noch da.) Nimm an, ich wäre ein ganz, ganz antiker,
vom Roste des Altertums überzogener Torso! (Teubert).
Zum Ausdruck der Vollendung des Geschehens im Gliedsatz dienen in gleicher Weise
die Konjunktive Perfekt und Plusquamperfekt. Das Geschehen des Gliedsatzes liegt vor
dem des Hauptsatzes:
Er sagt[e], er sei (oder wäre) krank gewesen. Er berichtet [e], daß er an alles gedacht
habe (oder hätte). Sie meint[e], ich hätte eher daran denken sollen. Sie glaubt[e],
unsere Mühe sei (oder wäre) sowieso vergeblich Gewesen.
557
1 Vgl. hierzu Herbert Seidler, Allgemeine Stilistik, Göttingen 1953, S. 322 ff.
Die Verneinung (Negation) 559
b) Wort Verneinung
Bei der Wortveraeinung wird der Inhalt eines Wortes in Frage gestellt. 1163
Das Vemeimmgswort steht dann unmittelbar bei dem zu verneinenden
Wort und ist Attribut:
Nicht jeder ist ein Held. Nicht dich habe ich gemeint, sondern deinen Freund. Ich
habe kein Geld.
Beachte:
Da „kein“ zugleich wort- und satzverneinend ist, wird in der Amtssprache und gelegent¬
lich auch in der Sprache der Wissenschaft an seiner Stelle das den Satz deutlicher ver¬
neinende „nicht“ verwendet:
Dieser Tatsache ist eine besondere Bedeutung nicht zuzumessen (statt: . . . keine be¬
sondere Bedeutung zuzumessen).
Schriftsprachlich sollte das satzverneinende „nicht“ nur dann für das attributive „kein“
stehen, wenn sich das zu „kein“ gehörende Substantiv in Ausdrucksstellung befindet
(vgl. 1272):
Geld habe ich nicht. Urlaub gibt es nicht.
Das nachgestellte flektierte „kein“ ist umgangssprachlich (oberdeutsch und westmittel¬
deutsch) :
Geld habe ich keim. Urlaub gibt es keinen. Gesellschaft habe ich noch keine gefunden
(Goethe).
Wie beliebt die Ersetzung von „nicht“ durch „kein“ ist, zeigen auch Beispiele wie:
Es ist noch keine 3 Uhr (statt:... noch nicht 3 Uhr). Sie war noch keine 18 Jahre alt
(statt: . .. noch nicht 18 Jahre alt).
In der Umgangssprache führt dies zu nicht korrekten Sätzen wie:
Ich esse keine Kartoffeln gern (statt: Ich esse Kartoffeln nicht gern).
Über die Wortveraeinungen mit Hilfe von Präfixen vgl. 765 ff.
a) Im einfachen Satz
1165 Eine doppelte Verneinung im selben Satz hat über lange Zeiten unserer
Sprachgeschichte hinweg eine Verstärkung der Negation ausgedrückt.
Dieser Gebrauch lebte teilweise bis ins 19. Jahrhundert fort:
Unsre Weiber haben nie kein Geld und brauchen immer viel (Goethe). Alles ist Partei
und nirgends kein Richter (Schiller). Reiß dir deshalb kein Haar nicht ausl (M. Clau¬
dius).
1166 Eine doppelte Verneinung ist heute allerdings nur noch üblich mit Hilfe
einer Verbindung von „nicht (kein) + Wort mit negativer Bedeutung“
oder „nicht -f Präfix Verneinung4 u. Mit diesen Verbindungen soll nicht
die volle Bejahung, sondern eine bestimmte Abschattung ausgedrückt
werden:
Er sah das nicht ohne Wohlgefallen (= mit einem gewissen Wohlgefallen). Das ist
nicht ungewöhnlich (= ziemlich gewöhnlich). Das ist nicht unmöglich (= wohl mög¬
lich).
b) Im Satzgefüge
1167 Positiver Sinn entsteht auch, wenn im Satzgefüge Haupt- und Gliedsatz
verneint sind:
Es war niemand im Zimmer, der das nicht gewußt hätte (= jeder im Zimmer hat das
gewußt).
Die Ersparung von Redeteilen (Ellipse) 561
Als nicht mehr korrekt gelten heute jedoch doppelte Verneinungen im 1168
Satzgefüge und auch bei Infinitivgruppen in folgenden Fällen (pleo-
nastische Negation):
1. Wenn die Verneinung des Satzgefüges bereits durch ein negatives
Verb oder eine negative Wortverbindung im Hauptsatz erfolgt.
Es handelt sich um Verben und Wortverbindungen wie „abhalten,
abraten, sich in acht nehmen, ausbleiben, bestreiten, bezweifeln, sich
enthalten, fehlen, fürchten, hindern, sich hüten, leugnen, verbieten,
verhindern, verhüten, verweigern, warnen, es fehlte wenig u. a.:
Was hindert mich, daß ich nicht eine der grünen Schnüre ergreife ? (Goethe).
Hüte dich, daß du mit Jacob nicht anders redest I (Lessing). Du hattest mir ver¬
boten, dir nichts mitzubringen (Goethe).
Wir können heute nur noch sagen:
Es fehlte nur wenig, daß es ihm ebenso ergangen wäre (statt wie früher oft:
..., daß es ihm nicht ebenso ergangen wäre).
a) Satzteile
[Ich] Danke schön. Träume [sind] Sch&ume. Wozu [dient] diese große Mühe ? [Seid
uns, mir] Willkommen 1 [Ich habe] Hunger I [Habe] Geduld 1 Er will heute nach
Frankfurt [fahren]. Sie ist noch nicht 16 Jahre [alt]. Vielleicht [geschieht es], daß
er heute noch eintrifft.
Beachte:
Im Kaufmannsstil wird das Subjekt gelegentlich ausgelassen, weil der Schreiber sich
scheut, einen Brief mit der ersten Person des persönlichen Pronomens zu beginnen.
Dies ist jedoch eine Unsitte:
Habe Ihren Brief erhalten. Statt: Ich habe Ihren Brief erhalten.
Die Ersparung von Redeteilen (Ellipse) 563
ß) Teilsätze
Die Einsparung ganzer Teilsätze ist üblich:
1. bei gewichtslosen Zwischensätzen:
Wenn du mich schon fragst, [dann antworte ich,] es war um 9 Uhr.
Beachte:
1. In den beiden ersten Beispielen ist die Ersparung des Artikels nicht zu emp¬
fehlen, weil die beiden Adjektive nicht zwei Eigenschaften benennen, die einem
Wesen oder Ding zugesprochen werden, sondern zwei Eigenschaften, die zwei
oder mehr Wesen oder Dingen eigentümlich sind:
Also nicht: Das alte und neue Rathaus... Die weißen und roten Rosen.
2. Ein Substantiv wird gelegentlich auch dann eingespart, wenn an Stelle des zweiten
Attributs ein Bestimmungswort steht (so schon mittelhochdeutsch: zam und wild-
braete):
zahme und Wildschweine; öffentliche und Privatmittel. Auch umgekehrt:
Geld- und andere Sorgen.
Beim Satzbruch oder Anakoluth1 verläßt der Sprechende die begonnene 1177
Satzkonstruktion und fährt mit einer neuen fort. Dies geschieht besonders
häufig, um einem Gliedsatz - besonders nach Zwischensätzen - das Ge¬
wicht eines Hauptsatzes zu verleihen.
So in der Umgangssprache:
Wenn ich nach Hause komme, und der Vater ist noch da, dann .. . Statt: Wenn ich
nach Hause komme und [wenn] der Vater noch da ist, dann . . .
In früherer Zeit waren solche Satzbrüche auch noch bei Dichtem - ins¬
besondere bei Goethe - als Stilmittel beliebt:
Man fand, daß, weil dieses eine Sache der guten Laune und des freien Willens sei, so
müsse sich eigentlich kein Direktor darein mischen (Goethe). Statt: daß ... sich eigent¬
lich kein Direktor darein mischen müsse. In gleicher Weise Mörike: Meine einfältige
Meinung ist, daß, wenn Don Giovanni nicht aller Welt den Kopf verrückt, so schlägt
der liehe Oott seinen Musikkasten gar zu. Statt: daß . . . der liebe Gott seinen Musik¬
kasten gar zuschlägt.
Hierher rechnet man auch die Heraushebung eines Satzgliedes und dessen
Wiederaufnahme oder Vorausnahme durch ein Pronomen. Fügungen
dieser Art gelten als schriftsprachlich:
Der ernste, kühle Knabe, wäre er nicht ein guter Mit- und Gegenspieler im Kreis der
Kräfte ? (Carossa). Dir helfen, das ist jetzt unsere Aufgabe (Keyserling). Und wer sie
liebte, der mußte es wohl mitlieben, dieses verfluchte Genie (Carossa). Es war gut, das
Bild (H. Hesse).
Mit der Kongruenz2 stoßen wir auf ein weiteres bedeutsames Mittel 1178
der Sprache zur Sicherung der Einheit des Satzes. Wir verstehen unter
ihr die formale Übereinstimmung zusammengehöriger Satzglieder oder
Gliedteile mit Hilfe der Flexionsendungen. Durch sie werden die Glieder
auf das engste verzahnt.
1. Person
a) Normale Kongruenz
1179 Das Prädikat steht in der Per3onalform, die ihm das Subjekt vorschreibt
(vgl. 139):
1. Person Sing.: Ich gehe nach Hause.
2. Person Sing.: Du fährst in die Alpen.
3. Person Sing.: Er (Fritz, mein Sohn) hat sich verheiratet. Er ist Arbeiter.
2. Person Plur.: Ihr geht jetzt nach Hause usw.
b) Besondere Fälle
a) Bei anreihenden Konjunktionen
1180 Besteht das Subjekt aus verschiedenen grammatischen Personen, die
mit anreihenden Konjunktionen verbunden sind, dann gilt folgendes:
1. Bei Bezug des Prädikats auf die Einzelsubjekte
Nach der 1. und 3. Person des Subjekts folgt die 1. Person Plural des
Verbs, manchmal mit Einschaltung eines „wir“:
Der da und ich, wir sind aus Eger (Schiller). Ich und HohenblaU können uns kaum
im Sattel halten (Wieland). Vater, Mutter und ich freuen uns sehr.
Nach der 2. und 3. Person steht das Verb meist in der 2. Person Plural,
manchmal mit Einschaltung eines „ihr“:
Du und sie, ihr tötet mich (Grillparzer). Weder Ihr noch der Papst könnt etwas
Besseres erdenken (Goethe).
y) Bei Relativpronomen
Bezieht sich ein Relativpronomen auf eine 1. oder 2. Person, dann wird das 1182
betreffende Personalpronomen heute meist wiederholt. Das Prädikat
richtet sich dann nach der Person des Personalpronomens:
Du, der du so etwas erlebt hast, . . . Ich, der ich geschworen habe,...
Die Auslassung des Personalpronomens ist heute nicht mehr üblich, war
früher aber häufiger. Das Prädikat steht dann in der 3. Person:
Ich, der mit jedem Herzensschlag ihr angehört (Wieland). Was kann ich tun, der
selber hilflos ist ? (Schiller).
Ausgenommen ist der Fall,wo ein „es“ vor dem Relativpronomen steht:
Ich war es, der das sagte.
2. Numerus
a) Normale Kongruenz
Das Prädikat richtet sich in der Zahl im allgemeinen nach der Zahl des 1183
Subjekts:
Die Rose blüht. Die Rosen blühen.
Bei asyndetischer Reihung singularischer Subjekte steht das Prädikat im
Plural:
Peter, Michael, Gretel gehen zusammen in die Schule.
b) Besondere Fälle
a) Ohne Konjunktionen
1. Treffen singularische und pluralische Subjekte aufeinander, steht 1184
gewöhnlich der Plural:
Der Sport, die Bücher, die Musik verschlingen sein ganzes Taschengeld.
568 Die Kongruenz im Satz
Das Prädikat kann hier jedoch ajich im Singular stehen, wenn das
, singularische Subjekt zunächst steht:
Im Westen aber winkt Lille, gotische Kirchen, Museen, gebildete Menschen (A.
Zweig). . .. meine Anschauungen, mein Geschmack, mein ganzes Denken ...
war jetzt verwahrlost (Hesse).
4. Selten ist heute der Plural des Prädikats nach einem singularischen
MengenbegrifF (Synesis, constructio ad sensnm; vgl. 1178). In der
klassischen Zeit war er noch häufiger:
Wie eine rasende Menge ... erst Kapellen, Kirchen und Klöster anfallen, die
Andächtigen verjagen (Goethe). Gewiß würden eine Menge die Gelegenheit be¬
nutzen (A. Zweig).
5. Der Plural des Prädikats bei singulariächem Titel von Personen ist
veraltet. Wo er heute noch ernsthaft gebraucht wird, ist er ein
Kennzeichen übertriebener Höflichkeit und Servilität:
... daß seine Majestät der König die Gnade gehabt haben (Moltke). Gnädiges
Fräulein hatten mir doch versprochen.. . (Fulda). Was wünschen die gnädige
Frau ?
Noch ironisch:
... während die Gräfin Löwenjoul... in einigem Abstand folgten (Th. Mann).
Unterwegs erinnerten seine Exzellenz sich .. . des Ordens (H. Mann).
6. Ist der pluralische Titel eines Buches, einer Zeitung, eines Theater¬
stückes usw. Subjekt, dann steht das Prädikat ebenfalls im Plural (vgl.
aber: ß, 1, c, ee):
„Die Räuber“ haben immer eine starke Wirkung auf die Jugend ausgeübt. „Die
Piccolomini“ werden selten gegeben (Goethe).
Oft ist es stilistisch besser, den Gattungsbegriff vor den Titel zu setzen:
Das Drama „Die Räuber" hat immer eine starke Wirkung auf die Jugend aus¬
geübt.
Die Kongruenz zwischen Subjekt und Prädikat 569
Fremde Titel, die eine Mehrzahlform sind, aber nicht als solche erkannt
werden, werden - eigentlich unrichtig - oft mit dem Singular des Prä¬
dikats verbunden. Man muß diese Konstruktion überall dort an¬
erkennen, wo die Kenntnis der fremden Sprache nicht ohne weiteres
vorausgesetzt werden kann:
Die „Times“ meldet aus Moskau, daß ... i)ie „Iswestija“ (im Russischen Plural 1)
bestätigt in einem Leitartikel, daß .. . Aber: Die USA haben Schritte unter¬
nommen . .. (nicht: Die USA hat...)
7. Das vorläufige Subjekt „es“ (vgl. 847) übt keinen Einfluß auf den
Numerus des Prädikats aus:
Es Zögen sich alle Bande frommer Scheu (Schiller). ... daß es keine drei Stunden
her sind (E. T. A. Hoffmann). Es werden acht Stunden dazu benötigt.
Aber „es“ als echtes Subjekt [+ adverbialer Akkusativ der Zeit] mit
Singular des Prädikats:
Es nagt wie tausend Skorpionen an ihm (H. Kurz). Es ist drei Tage, einen Monat
her, daß ... Es wird jetzt acht Stunden geschlafen.
8. Zum Prädikat nach ursprünglich pluralischen Subjekten, die auch
als Singulare gebraucht werden, vgl. 253.
ß) Mit Konjunktionen
Beachte:
a) Treffen singularische und pluralische Subjekte zusammen, dann steht gewöhnlich
auch das Prädikat im Plural:
Quadersteine, Pech und Schwefel regneten herab. Das alte Rom und seine Trümmer
sind eingehend durchforscht worden. Die Stadt schützen Wall und Türme.
b) Das Prädikat steht im Singular, wenn in einer Zusammenfassung gleichwertiger
Sätze (vgl. 1061) mehrere durch „und“ verbundene Subjekte zwar die finite Form, aber
nicht die infiniten Formen des Verbs gemeinsam haben:
Die Polizei stellte fest, daß die Fensterscheibe eingeschlagen, der Tisch umgestürzt
und der Kassenschrank aufgebrochen war. Lassen Sie bitte überprüfen, ob die Aus-
puffanlage entkohlt, der Vergaser repariert und die Benzinzufuhr gereinigt werden
muß.
c) Das Prädikat kann noch heute im Singular stehen:
aa) Wenn vor den durch „und“ verbundenen singularischen Substantiven ein dis¬
junktives Attribut wie „kein“ oder „jeder“ steht:
Kein Mädchen und kein Junge möchte einen Fehler machen. Was jede Frau und
jeder Mann vom Krebs wissen muß (Buchtitel).
570 Die Kongruenz im Satz
bb) Wenn die - meist mit „und“ verbundenen - Subjekte als Einheit aufgefaßt
werden. Das ist besonders bei nur einem Artikel, bei Artikellosigkeit oder bei vorauf¬
gehendem Prädikat der Fall:
. . . und mit alldem kommt mir der Wunsch und Gedanke (Raabe). ... bis das
Lachen und Geschrei hinter ihm verhallte (H. Mann). An ihm ist Hopfen und Malz
verloren. Zwei und zwei macht vier. Das bißchen Brust und die frische Haut war
schnell ausverkauft (Brecht). Geplauder und Gesang lief über Brücken und
Gassen (Hesse).
cc) Wenn das Prädikat beim Aufeinandertreffen singularischer und pluralischer
Subjekte dem singularischen Subjekt zunächst steht:
Die Mitschüler und jedermann gab zu .. . (Hesse).
dd) Wenn das Prädikat Mittelstellung zwischen einzahligen Subjekten hat. Dies gilt
auch dann, wenn das dem Prädikat folgende Subjekt ein Plural ist:
Meister rührt sich und Geselle . . . (Schiller). Hermine Kleefeld gehörte dazu sowie
Herr Albin . . .; ferner der . . . Jüngling . . . (Th. Mann). . . . das Meer gehorcht
ihm und die Länder . . .
ee) Wenn das Subjekt ein Titel ist, dessen einzahiige Glieder durch „und“ verbunden
sind. Der Titel wird als Einheit betrachtet:
Morgen wird „Hermann und Dorothea“ gelesen. Gestern ist „Romeo und Julia“
zum erstenmal aufgeführt worden.
ff) Wenn Infinitive als Subjekte durch „und“ verbunden werden (an Stelle eines
Infinitivs kann auch ein Verbalsubstantiv stehen):
zu Hause sitzen und nichts tun können und auf die Bomben warten ist grauenvoll
(Feuchtwanger). Die Vereinigten Staaten zu verlassen und mit Bhakaroff näch
Europa zu gehen brachte immer den gleichen Aufruhr mit sich (Vicki Baum).
Das Betreten des Verkaufsraumes und der Aufenthalt im Speisesaal ist im Trai¬
ningsanzug nicht gestattet.
Dieser Singular des Prädikats ist auch in allen Fällen grammatisch korrekt:
Eine Reihe mehrerer Jahrhunderte . .. hatte diese Form der Hierarchie unverändert
gelassen (Schiller). An diese allgemeinen Beschwerden schloß sich .. . eine Reihe von
besonderen Vorfällen an (Schiller). Eine Menge Konjekturen wird nötig sein
(Freytag). Es war eine Menge Leute da (Hesse).
Daneben ist aber der Plural des Prädikats (Synesis, constructio ad
sensum; vgl. 1178) heute durchaus noch schriftsprachlich, besonders
dann, wenn das Gezählte als Apposition im gleichen Fall wie der Mengen-
begrifiF'steht (Beispiel 3, S. 570 unten). Bei grammatisch sichtbarer Ab¬
hängigkeit des Gezählten (Genitiv- oder Präpositionalattribut, Beispiele 1
und 2) ist der Plural etwas seltener; er wird beim Genitivattribut auch
nur dann gebraucht, wenn ihm der bestimmte Artikel fehlt :
Ein Reigen leichter Lenzwölkchen schwebten mit Grazie... (C. F; Meyer). Eine
Reihe von edlen und nüchternen Geistern haben den Rauchtabak verabscheut
(Th. Mann). ... wo eine Menge sonderbare Sacken herumliegen (Th. Mann). Eine
Menge Freundschaften waren geschlossen (Hesse). Eine Unmasse Familien geraten
ins Elend (H. Mann).
Für den Fall, daß die Maßangabe im Plural, das Gezählte im Singular
folgt, gilt das gleiche:
100 g Speck werden in feine Würfel geschnitten. Oder: 100 g Speck wird in feine
Würfel geschnitten.
Bei Mengenangaben mit genauer Zahl (wie Dutzend, Paar, Schock usw.)
steht gern der Singular des Prädikats, weil die Maßeinheit den Ausschlag
gibt:
Ein Dutzend Eier (= 12 Stück) kostet 3 Mark. Dieses Paar [Schuhe] kostet 30 Mark.
Aber (unbestimmte Menge): Ein Dutzend Bediente hatten die Arbeit übernommen
(Seume).
Aber: Anderes als Nähnadeln wurde dort nicht hergestellt. Mehr als Lumpen
und Unrat fand sich nicht. Wer anders als Sie ist dazu berechtigt ? Dagegen:
Niemand anders als seine Eltern sind dazu befugt.
4. Sind die unbestimmten Für- und Zahlwörter „viel, wenig, mehr,
weniger, genug“ Subjekt, dann steht das Prädikat im Plural, wenn
ein pluralischer Begriff (etwa „Menschen, Leute“ u. ä.) ergänzt werden
kann:
Viel (wenig, genug [Menschen]) waren dort versammelt.
Wenn ein Genitivattribut hinzugefügt wird oder ein singularisches
Attribut mit „als“ bei den Komparativen „mehr“ ünd „weniger“
steht, tritt ebenfalls der Plural des Prädikats ein:
Unser sind [zu] wenig. Der Worte sind genug gewechselt (Goethe). Mehr als eine
Million haben bereits gewählt. Das Jünglingsalter erreichen weniger als die Hälfte
(Börne). .
Doch ist bei den beiden letzten Sätzen der Bezug auf das zunächst
stehende singularische Attribut ebenfalls möglich:
Mehr als eine Million hat bereits gewählt.
In anderen Fällen ist der Singular im Sprachgebrauch bereits durch¬
gedrungen:
Mehr als ein Fall ist uns bekannt... Mehr als einer soll darüber erstaunen
(Goethe).
Ist kein Plural zu ergänzen, so steht auch das Prädikat im Singular:
Wie wenig gehört dazu, glücklich zu sein! Genug ist nicht genug (Sprw.).
1189 b) Numerus
a) Stehen beide Gleichsetzungsglieder im Singular oder im Plural, dann
steht auch das Prädikat entweder im Singular oder im Plural:
Singular: Ilse ist Apothekerin.
Plural: Beide Männer sind Angestellte. Ebenso: Karl und Fritz sind Brüder. Dies
sind der vierte und der fünfte Fall von Entlassung.
Die Kongruenz im Oleichsetzungssaiz 573
Steht eines von ihnen im Plural, dann steht auch das Prädikat im Plural:
Besonders Rechtschreibfehler waren ihm immer ein Greuel. Eine magdeburgische
Kaufmannsfamilie waren die Hauptpersonen (Kleist). ... weil es immer Denk¬
steine vergangener Zustände bleiben (Goethe). Alles ... waren Versuche eines Schülers
(Lessing). Welches oder was sind die Ergebnisse ? Wer waren diese Männer ?
ß) Wird das pluralische Subjekt nur nach seiner Lautgestalt bewertet,
dann steht das Prädikat im Singular:
„Häuser“ ist (heißt) der Plural von „Haus“. „Mondsüchtige Bebellen“ ist doppelt
falsch (Börne).
y) Ebenso bei der Vorstellung einer Einheit oder Ganzheit, besonders
wenn sie durch einen singularischen Gleichsetzungsnominativ gestützt
wird:
„Die Räuber“ heißt ein Drama von Schiller. „Die Verdammten“ ist ein Roman, der . . .
„Hermann und Dorothea“ ist unsere nächste Lektüre. Eine Mark ist (neben: sind)
hundert Pfennig[e]. Tausend Mark ist (neben: sind) viel Geld. Fünf und fünf ist zehn.
Es war fünf Minuten vor acht.
ö) Ist ein Personalpronomen Gleichsetzungsnominativ, dann richtet sich
das Prädikat im Numerus nach ihm:
Das bist du und deine Tochter. Das wart ihr. Das gehetzte Wild bist du immer nur
selber (RedWitz).
1191 2. Keine Kongruenz tritt ferner ein, wenn das Gleichsetzungsglied oder
ein anderes inhaltlich hierher gehöriges Glied mit dem Prädikat eine
feststehende, unveränderliche Verbindung eingegangen ist:
Alles in allem, sie ist ein guter Kerl (Spielhagen). Ich machte mir dadurch die
alte Dame zum Freunde. Ich bin von je der Ordnung Freund gewesen (Frau
. Marthe in Goethes „Faust“). Die Regierung ist Herr der Lage, konnte des
Aufstandes Herr werden. Agnes, mein* Tochter, hör mal zu ... Du bist ein
vernünftiger Mensch (Sudermann). Frau Schmidt war Zeuge des Unfalls. O
die, die könnt General seinl (Auerbach).
Nur einige wenige sind bisher üblich geworden (vgl. die Kongruenz bei
der Apposition, ZifF. 1203):
Sie ist eine tüchtige Lehrerin, Ärztin, Schaffnerin.
1193 4. Keine Kongruenz im Genus ist erforderlich, wenn das Subjekt bzw.
Objekt ein Pronomen ist. Die neutralen Pronomen „es, das, was, dies,
dieses, beides, keines, jedes“ usw. werden in Beziehung auf substanti¬
vische Gleichsetzungsnominative und -akkusative jeden Geschlechts
und jeder Zahl gebraucht (vgl. auch 198):
Es war meine Frau. Sie war es. Ein König und eine Königin hatten zwölf
Kinder, das waren lauter Buben (Grimm). Was sind diese Männer ? Beides
waren liebenswerte Wesen. Der Preisrichter war . .. nicht, was man eine schöne
Mannsperson nennt (P. Heyse). Das nenne ich einen aufmerksamen Wirt
(Redwitz).
b) Im Numerus
Im allgemeinen entspricht der Numerus dieser Glieder dem des Subjekts 1195
(bzw. Objekts):
Ilse ist Apothekerin. Die Männer sind Angestellte. Karl und Fritz sind meine Brüder.
Ich nenne ihn einen Lügner. Wir wählen ihn zum Vorsitzenden.
Von dieser Regel gibt es einige Ausnahmen:
a) Ein pluralisches Subjekt (bzw. Objekt) kann mit einem singularischen
Kollektivum gleichgesetzt werden, aber nicht umgekehrt:
Die Römer waren das tapferste Volk des Altertums. Dieser Schrank und dieser Tisch
bleiben mein Eigentum.
Mit Endstellung des Subjekts:
Das gebildetste Volk des Altertums waren die Griechen (Herder). Die Bahr’ sind
zwei Gewehre mit Läufen rund und lang (Freiligrath).
Aber nicht:
Meine Familie sind Frühaufsteher.
Selten, als bewußtes Stilmittel:
Der Mann, der fünf Männer war (von den fünf Pseudonymen Tucholskys).
ß) Das fragliche Glied kann ferner trotz des pluralischen Subjekts (bzw.
Objekts) im Singular stehen, wenn es Teil einer feststehenden, unveränder¬
lichen Verbindung ist wie „Zeuge sein, Gast sein, Ingenieur sein, Herr sein,
gut Freund bleiben oder sein“ u. a.:
Nur Wachsfiguren waren Zeuge (Romantitel). Er machte sie alle zum Zeugen seiner
verwerflichen Tat. Beide Brüder sind Ingenieur. Bald hielt er eine ganze Stube voll
Leute zu Gast (Gotthelf). Wir sind nicht mehr Herr über das, was entsprungen ist,
aber wir sind Herr, es unschädlich zu machen (Goethe). Unter Umständen können
wir alle Modell sein (G. Hauptmann).
y) Ist das Subjekt ein pluralisches Anredepronomen für eine Person,
dann steht auch das Gleichsetzungsglied im Singular:
So können Sie uns einst ein treuer Freund ... werden (Schiller).
c) Im Kasus
Von den Präpositionalgefügen abgesehen, müssen diese Glieder mit ihrem 1196
Subjekt (oder Objekt) im Fall kongruieren:
Nominativ: Er ist mein Freund.
Akkusativ: Ich nenne ihn meinen Freund. Ich betrachte ihn als meinen Freund.
Ich denk’ ihn mir als meinen ärgsten Feind (Goethe).
Bei den Präpositionalgefügen wird der Kasus von der Präposition be¬
stimmt :
Ich hielt ihn für einen Freund. Wir wählten ihn zum Vorsitzenden.
Beachte:
1. Bei den reflexiven Verben, wo Subjekt und Objekt identisch sind, ist doppelter Bezug
des als-Anschlusses möglich: der auf das Objekt wie der auf das Subjekt:
Objekt: Er betrachtet sich als Helden.
Subjekt: Er betrachtet sich als Held.
576 Die Kongruenz im Satz
Die Beziehung auf das Subjekt ist jedoch heute fast ganz durohgedrungen, die Be¬
ziehung auf das Objekt ist veraltet:
Was Wunder, daß er sich kaum noch als Mensch empfand (G. Hauptmann). Hans
Castorp ,.. fühlte sich überdies als Gast und „unbeteiligter Zuschauer“ hier oben
(Th. Mann).
Veraltet:
Als einen Freund beweisest du dich heut* (Goethe). Gönne, daß ich mich aller Welt
als deinen Sohn bew&hre! (Schiller).
Wechsel in ein und demselben Satz:
Gleim beweist sich gegen Stadt und Provinz und Königreich als Patriot, gegen
deutsches Vaterland und Welt als echten Liberalen (Goethe).
2. Die Pallangleichung bei der Gleichsetzung in der a.-c.-i.-Konstruktion ist heute im
Veralten, kommt aber in einigen festen Redewendungen, in der älteren Literatur und
in der Poesie noch vor:
Er läßt den lieben Gott einen guten Mann sein. Ja, laß mich deinen Engel sein! (Schil¬
ler). Laß du mich deinen Gesellen sein! (Uhland). Laß ihn niemals einen Hirten
werden (Bergengruen). Die Nacht.... umarmt mich sanft und läßt mich ihren Freund
und ihren Bruder sein (Hesse).
In der Alltagssprache wählt man nur noch den Nominativ:
Laß den wüsten Kerl, den Grobitzsch, meinetwegen ihr Komplize sein (Hartleben).
b) Pronomen (Artikel)
1198 Das attributiv gebrauchte Pronomen (einschl. Artikels) kongruiert in
Kasus, Numerus, Genus mit seinem Substantiv (das Possessivpronomen
hat außerdem noch Beziehungskongruenz mit seinem Bezugswort, vgl.
1205):
Ich gehe gerne in meinen Garten; dieses Buch, diejenigen Leute, dasselbe Mädchen,
solcher Respekt, welchem Bilde, alle Schuld, anderen Tages, einiger Polizisten, die Frau,
den Onkel, einem Hause, den Leuten.
Vgl. dazu 421 ff. Zum Artikel: 206 f.
e) Zahlwort
1199 In Kasus, Numerus und Genus kongruieren die Ordinalzahlen, die Ver¬
vielfältigungszahlwörter, von den Bruchzahlen „halb“, von den Kardinal¬
zahlen „ein“.
Nur im Genitiv können ferner die Kardinalzahlen „zwei“ und „drei“
kongruieren. Bei allen andereuattributiv gebrauchten Zahlwörtern drückt
sich im allgemeinen die Kongruenz formal nicht mehr aus. Vgl. dazu 523 ff.
Die Kongruenz des substantivischen Attributs 577
a) Im Kasus
Vgl. 987. Abweichungen: vgl. 990-996; 311; 318. 1201
b) Im Numerus
Im Numerus besteht meist Kongruenz: 1202
im Monat Juli; Lykurg, der Gesetzgeber Spartas, hat.. .
Die nachgetragene Apposition kann jedoch im Numerus abweichen, wenn
sie als Kollektiv einen vorangehenden Plural zusammenfaßt:
Die Ägypter aber, dies harte und gesetzmäßige Volk . . . (Herder). Da lebten die
Hirten, ein harmlos Geschlecht . .. (Schiller). Was können wir, ein Volk der Hirten,
gegen Albrechts Heers ? (Schiller).
c) Im Genus
Für die Apposition gelten dieselben Regeln wie für die Gleichsetzung (vgl. 1203
1190 ff.\z
Bei Personen Kongruenz:
meine Freundin Anne; Lisa, als Hüterin unserer Kinder. Den Sänger vermiss’ ich,
den Bringer der Lust (Schiller). .. . was Venus band, die Bringerin des Glücks
(Schiller). .. . ergeben der Gebieterin, der Gräfin von Savern (Schiller).
Steht jedoch bei einer nachgetragenen Apposition in Form eines Adjektivs im Super¬
lativ ein neutrales Attribut, das eine Person weiblichen Geschlechts bezeichnet, dann
tritt heute meist Kongruenz ein (vgl. 1194):
Friederike, das schönste aller Frauenzimmer (von allen Frauenzimmern),
blieb ... Seltener: Penelopeia redet zu mir, die treueste der Weiber (Goethe).
Bei weiblichen Konkreta oder Abstrakta besteht keine bindende Vorschrift:
Es schickt die Liebe die Bewunderung als ihren flücht’gen Läufer nur voran (Platen) ;
die Not als der beste Lehrmeister.
578 Die Kongruenz im Satz
b) Possessivpronomen
1205 Das Possessivpronomen stimmt mit dem Substantiv, bei dem es steht, in
Kasus, Numerus und Genus überein (vgl. 1198). Darüber hinaus steht
es in Beziehungskongruenz mit seinem Bezugswort, das es vertritt. Das
Possessivpronomen der 1. und 2. Person kongruiert in diesem Falle im
Numerus:
Ich kenne doch meinen Freund (meine Freunde) l Hast du dein Heft (deine Hefte)
gefunden ? Wir haben unsere Verwandten eingeladen.
Das Possessivpronomen der 3. Person kongruiert ferner auch im Genus:
Er (es) kennt seinen Freund genau. Sie kennt ihre Kinder genau.
Zusammenfassend: Sind sonst wackre Brüder, aber das denkt wie ein
Seifensieder (Schiller). Früh übt sich, was ein Meister werden will (Sprw.)
Vereinzelnd: Die Messer und die Gabeln stechen, drum rühre keins von beiden
anl (Geliert). Jedes (der Gatten) wird den Wert des andern anerkennen und
schätzen (Goethe). Fundevogel und Lenchen hatten einander so lieb, daß, wenn
eins das andere nicht sah, es traurig war (Grimm).
0. DIE WORTSTELLUNG
Bei der Suche nach den Ordnungsprinzipien, die den erlaubten Stellungen
zugrunde liegen, hebt sich zunächst die Personalform des Verbs als
Festpunkt heraus, weil ihr in bestimmten Sätzen ein bestimmter Platz
zugewiesen ist. Sie erweist sich hier erneut als das wichtigste Glied im
Satz (vgl. 866), weil sie durch ihre möglichen Stellungen die Satzschemata
begründet. ^
Der Sprecher berichtet über eine Persgn und fährt fort: Dann ging er nach Hause.
Alle anderen Glieder des Satzes müssen der Personalform folgen. Man
spricht deshalb auch von der Mittelstellung oder der Achsenstellung des
Verbs.
1 Vgl. hierzu Karl Boost, Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des
deutschen Satzes. Berlin 1955, S. 26.
582 Die Wortstellung
3. die Ergänzungsfragen:
Wann kommt ihr? Was kannst du ?
Das Verb bleibt auch in der Anfangsstellung, wenn die Frage in einen
Ausruf übergeht:
Wird der Augen machen! War das eine Hetze!,
2. In Befehlssätzen:
Schweigen Sie! Tu das bitte! Mach die Tür auf!
5. In irrealen Wunschsätzen:
Käme er doch! Hätte er doch länger gelebt!
Beachte:
Als Anfangsstellung wird gelegentlich auch die Stellung der Personalform nach dem
präludierenden „es“ (vgl. 847 ff.) angesehen:
Es zogen drei Burschen wohl über den Rhein . . . (Uhland).
Das Satzschema mit der Personalform des Verbs in Endstellung 583
Ausnahmen: 1212
1. Im irrealen Vergleichssatz mit „als“ steht die Personälform un¬
mittelbar hinter der Konjunktion:
Er tat so, als hätte er von all dem nichts gewußt.
1215 Wenn das Prädikat mehrteilig ist, dann treten mit Ausnahme der in
Zweit- oder Anfangsstellung befindlichen Personalform alle anderen
Teile an das Ende des Satzes. Dies sind:
ß) Modalverben
Modalverben stehen am Ende des Satzes, wenn sie nicht selbst die Per¬
sonalform bilden:
Er hätte (Personalform) wirklich kommen sollen, körnen, müssen, dürfen. Hätte er
nicht kommen sollen ? Aber als Personalform: Er sollte wirklich kommen.
y) Verbzusätze
Der Händler bot (Personalform) die seltensten Waren aus dem Orient an, feil. Er
kommt (Personalform) von dieser drückenden Verpflichtung so schnell nicht wieder
los. Gießt (Personalform) die Mutter den Kaffee schon ein ?
1. Ausklammerung 1217
1218
2. Sätze mit Zweit- oder Anfangsstellung der Personalform ohne Klam-
merbildung
Neben der großen Zahl von Sätzen der hier betrachteten Schemata
mit verbaler Klammer bei mehrteiligem Prädikat gibt es aber auch
klammerlose Sätze. Schriftsprachlich sind sie im Vergleich zu den
Klammersätzen ziemlich selten, umgangssprachlich allerdings recht
häufig. (Es wäre deshalb lohnend, die Umgangssprache einmal auf
das Gesetz der Umklammerung hin gesondert zu untersuchen.) In
allen diesen Fällen behandelt der Sprechende unwichtigere freie
Satzglieder als nachgetragene Glieder:
. . . wie sie blaß wurden bei ihrem Anblick (Feuchtwanger). Ich möchte nicht
verreisen in diesem Sommer. Ich habe soviel zu tun in meinem Garten, daß . . .
Kommst du morgen mit in unseren Garten ?
1 Es ist das Verdienst von E. Drach, dieses Gesetz besonders betont zu haben. Vgl. sein
Buch: Grundgedanken der deutschen Satzlehre, Frankfurt 1937. Vgl. auch Leo Weis¬
gerber, Weltbild, 2. Halbband, S. 187 ff.
586 Die Wortstellung
1. Infinitiv -f Personalform:
.... obwohl er nicht schreiben kann.
In diesem Falle wird die Personalform „hat“ vom Satzende verdrängt, weil Modalverben,
wenn sie nicht Personalform sind, immer am Ende stehen. Der von ihnen abhängige
Infinitiv steht dann unmittelbar davor.
1. Allgemeingültiges Stellungsprinzip
1221 Für die Stellung der nichtverbalen Satzglieder (mit Ausnahme des satz-
eröffnenden Gliedes, vgl. 1209) gilt folgendes Prinzip:
Die Stellung aller nichtverbalen Satzglieder, die der Personalform folgen
oder die im Rahmen des eingeleiteten Gliedsatzes stehen, richtet sich
nach dem Mitteilungswert dieser Glieder.. Dabei besetzt das Glied mit
dem höchsten Mitteüungswert die Endstelle, soweit diese nicht bereits
durch einen Prädikatsteil besetzt ist:
Gestern nachmittag pflanzte der Gärtner in unserem Garten endlich die langerwar¬
teten Sträucher. Er war böse, weil ihn seine Freunde ständig geärgert hatten.
Es ist außerdem beachtenswert, daß noch unbestimmte Substantive
gegenüber den bestimmten (determinierten) einen höheren Mitteilungs¬
wert haben. Pronomen haben beiden gegenüber den geringsten Mit-
Die Stellung der nichtverbalen Satzteile 587
Eröffnet aber ein anderes Glied den Satz, so wechseln Subjekt und
Personalform den Platz. Man spricht dann von „ungerader“ Wort¬
stellung oder von Inversion2:
Morgen geht er ins Theater.
Die Endstellung des Subjekts bei arideren Gliedern zwischen ihm und der
Personalform des Verbs ist dichterisch:
Doch bald trat näher und näher an unser Ufer der große Wald, und .. . (Jatho). Eins
der reichsten Häuser des reichen Antwerpens repräsentierte diese Firma (Raabe).
Beachte:
Echte Konjunktionen rufen keine Inversion hervor, wenn sie unmittelbar vor dem Sub¬
jekt stehen:
Er grübelte und er grübelte. Franz hat gute Anlagen, allein er ist faul.
Die in der Kanzlei- und Kaufmannssprache oft verwendete Umkehrung nach „und“
gilt deshalb als nicht korrekt, obwohl sie seit althochdeutscher Zeit in wechselnder
Häufigkeit vorkommt:
Also nicht: Die Abhaltung der Prüfung wird auf den 10. Juni festgesetzt; und sind
die Gesuche um Zulassung zu derselben bis zu diesem Termin einzureichen. Sondern:
.. . festgesetzt, und die Gesuche . . . sind . . .
Inversion hach „und“ ist nur gestattet, wenn eine gemeinsame Umstandsangabe an der
Spitze der beiden durch „und“ verbundenen Sätze steht:
Dorten rauscht die grüne Tanne und erglänzt der goldne Mond (Heine).
Über die Inversion nach unechten Konjunktionen vgl. 591.
1 Vgl. hierzu Karl Boost, Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des
deutschen Satzes, Berlin 1965, S. 54 f.
2 Lat. inversio = Umkehrung.
588 Die Wortstellung
ß) Der Gleichsetzungsnominativ
1223 Der Gleichsetzungsnominativ ist im allgemeinen der Personalform des
Verbs nachgestellt. Diese Stellung erfüllt insbesondere einen rollen¬
charakterisierenden Zweck, weil die syntaktische Rolle der beiden gleich¬
gesetzten Glieder durch die Flexionskennzeichen nicht deutlich wird:
Träume sind Schäume. Karl wird Bäcker.
y) Der Gleichsetzungsakkusativ
1224 Auch der Gleichsetzungsakkusativ strebt in Haupt- und Gliedsatz
Endstellung an:
Ich nannte ihn gestern abend vor allen Leuten einen infamen Lügner. Es wäre nichts
geschehen, auch wenn ich ihn gestern abend vor allen Leuten einen infamen Lügner
genannt hätte.
d) Die Objekte
1225 Stehen mehrere Objekte in einem Satz, dann gilt gewöhnlich folgendes:
1. Das persönliche Objekt geht dem sachlichen voran:
Er schenkte seinem Freunde ein Buch. Er beschuldigte diesen- Mann des Dieb¬
stahls. Ich lehrte den Schüler Französisch.
Die Veränderung dieser richtigen Stellungen beruht auf dem Bestreben des Sprechers,
das Pronomen näher zu dem Verb zu stellen, von dem es regiert wird. Das heißt, er stellt
den Gesichtspunkt der syntaktischen Zusammengehörigkeit von Gliedern höher als das
Stellungsgesetz. Dies gilt jedoch nicht als korrekt:
Als er Rom zum erstenmal sah, war ihm die Stadt bereits aus Büchern bekannt.
Und nicht: . . . war die Stadt ihm bereits aus Büchern bekannt, Da er verletzt war,
mußte ihn der Arzt krank schreiben. Und nicht: . . . mußte der Arzt ihn krank
schreiben. Wir widersprechen diesem Vorschlag, weil uns die Ansichten von Herrn
Meier mißfallen. Und nicht: . . . , weil die Ansichten von Herrn Meier uns mißfallen.
Ich wünschte, ihn nach so langer Zeit einmal wiederzusehen. Und nicht: Ich
wünschte, nach so langer Zeit ihn einmal wiederzusehen.
Besonders häufig ist diese Umstellung beim Reflexivpronomen, das um des Zusammen¬
hanges willen hier mit behandelt sei. Sie hat vorzugsweise rhythmische Gründe:
Selten hat sich ein Mann so blamiert wie du. Und nicht: Selten hat ein Mann sich
so blamiert wie du. Darüber hoffe ich mich in den nächsten Wochen äußern zu
können. Und nicht: Darüber hoffe ich in den nächsten Wochen mich äußern zu
können. Die Kinder liefen heim, als sich der Himmel verdunkelt hatte. Und nicht:
. .. , als der Himmel sich verdunkelt hatte.
e) Die Umstandsergänzungen
Die Umstandsergänzungen haben eine besondere Neigung zur End¬ 1226
stellung, weil sie aus Bedeutungsgründen der Personalform am nächsten
sind:
Er verhält sich in allen Lagen einwandfrei. Er stellt sich bei allen praktischen
Arbeiten besonders ungeschickt an. Der Brand in der Maschinenfabrik gestern
abend entstand aus Unachtsamkeit.
1 Darauf weist auch Karl Boost hin: Neue Untersuchungen zum Wesen und zur
Struktur des deutschen Satzes, Berlin 1955, S. 44 f.
590 Die Wortstellung
Ebenso häufig stehen sie auch nach der Personalform des Verbs. Treffen
hier mehrere freie Umstandsangaben zusammen, dann gilt gewöhnlich
die Folge: Zeit, Grund, Art und Weise, Ort:
Die Kinder spielen in der Pause aus Bewegungsdrang laut schreiend auf dem Schulhof.
Jener Schüler, . . . mit dem er in diesem Winter den Euklid zu studieren begonnen
hatte.
Steht die Infinitivgruppe unter einem eigenen Teilbogen, dann folgt sie
ihrem übergeordneten Satz nach. Innerhalb der Gruppe steht der In¬
finitiv selbst am Ende. Die übrigen Glieder richten sich nach dem allge¬
meinen Stellungsgesetz:
Er bedauerte, mir etwas Unmögliches zugemutet zu haben. Das erste Kleidungsstück,
das ich mich entsinne, in meiner Jugend getragen zu haben, ist ein blauer Kittel
gewesen.
ß) Die Partizipialgruppen
Die Partizipialgruppen stehen aus .rhythmischen Gründen meist am 1231
Anfang oder am Ende des Satzes, zudem sie in vielen Fällen, vor allem
als* Artangabe, einen besonderen Mitteilungswert haben:
Aber aus dem Gehölz hervortretend, stand er überrascht vor einer prächtigen Sze¬
nerie . . . (Th. Mann). Aber er blieb doch noch liegen, sinnend und sich erinnernd
(Th. Mann).
Zwischensatz:
Hunde, die viel bellen, beißen nicht.
Nachsatz:
Ich freue mich, wenn du kommst.
592 Die Wortstellung
Über die Vor- und Nachstellung der Kausalsätze mit „da“ und „weil“
vgl. 1083, Beachte, 1.
Beachte bei Zwischensätzen:
1. Mit Ausnahme der Attributsätze sollte ein Zwischensatz erst dann in einen Haupt¬
satz eingeschaltet werden, wenn dessen Verb genannt ist:
Wir bleiben heute, da es regnet, zu Hause.
Gelegentlich wird aber auch bei guten Schriftstellern der Gliedsatz bereits unmittel¬
bar nach dem Subjekt eingeschoben, wenn dieses in Ausdrucksstellung gebracht
werden soll (im Lateinischen ist diese Stellung üblich):
Mützell, wenn er den jungen Freibel in das Lokal eintreten sah, salutierte (Fon¬
tane). Der Kurfürst, indem er errötend ihre Hand ergriff, sagte . . . (Kleist)1.
2. Die Einschaltung eines Zwischensatzes in einen Gliedsatz geschieht erst nach dem
Satzglied, das dem Einleitewort folgt:
. . . , weil wir, wie uns Herr Meier mitgeteilt hat, erst morgen an der Beihe sind.
Die Einschaltung eines Gliedsatzes unmittelbar nach dem Einleitewort geht auf
lateinischen Einfluß zurück und sollte, wenn möglich, vermieden werden:
Es zeigt sich, daß, wenn Karl uns hilft, dies nur aus Eigennutz geschieht.
Gelegentlich werden dabei sogar drei Konjunktionen gehäuft, wodurch der Satz
völlig unübersichtlich wird:
Man sieht aber auch, daß, wenn - wie wir es noch besprechen werden - die Mensch¬
heit einmal die Vernunft verlieren sollte, die Atombombe die Welt zerstören
. wird.
a) Adjektiv (Partizip)
Weitere abhängige Satzteile ordnen sich davor, und zwar wiederum so,
daß der Teil mit dem höchsten Mitteilungswert dem Adjektiv am näch¬
sten steht:
Der seit langer Zeit des Mordes verdächtige Mann . . . Die in diesem Frühjahr be¬
sonders zahlreich auftretenden Maikäfer . . .
Diese umfangreichen Attribute sind nur möglich, weil das Gesetz der
Umklammerung auch hier wirksam ist. Klammerbildend wirken mit
dem substantivischen Gliedkern zusammen der das attributive Gefüge
eröffnende Artikel oder ein Pronomen.
b) Pronomen
1238 Pronomen gehen ihrem Substantiv immer voran:
dieser Mann, mein Vater.
Treten weitere Attribute hinzu, dann stehen sie zwischen Pronomen und
Substantiv:
dieser weitgereiste Mann, mein überall geschätzter Vater, diese zwei starken Männer.
Über die Stellung von „all“ in Verbindung mit anderen Pronomen und
mit Substantiven vgl. 487 ff.
c) Zahlwort
1239 Im allgemeinen stehen die Zahlwörter vor ihrem zugehörigen Substantiv:
zwei Menschen, der erste Mann im Glied, ein viertel Kilo.
d) Adverb
1240 Das Adverb geht als Gliedteil einem Adjektiv oder Adverb voraus:
Er ist ein überaus belesener Mann. Er kam sehr oft.
Beachte:
1. Attributiv gebrauchte Adverbien müssen bei ihrem Gliedkern stehen und dürfen
nicht so gestellt werden, daß die Beziehung auf den Gliedkern verlorengeht. Dies
gilt besonders für ,.nicht“ und ,,nur“:
Nicht alle Mitglieder sind verheiratet. Und nicht: Alle Mitglieder sind nicht
verheiratet. Er brachte alle seine Bücher in nur fünf Kisten unter. Und nicht:
Er brachte alle seine Bücher nur in fünf Kisten unter.
2. Adverbien, die sich attributiv auf das ganze Präpositionalgefüge beziehen, dürfen
nicht hinter die Präposition gestellt werden:
spätestens in einer Stunde (und nicht: in spätestens einer Stunde), längstens nach
zwei Jahren (und nicht: nach längstens zwei Jahren).
Hiervon sind jene Fälle zu unterscheiden, bei denen ein Gliedteil innerhalb des Prä-
positionalgefüges attribuiert wird:
in fast allen Fällen (im Gegensatz zu: fast in allen Fällen), in ungefähr acht Tagen
(im Gegensatz zu: ungefähr in acht Tagen).
Der attributive Genitiv steht heute gewöhnlich hinter seinem Substantiv: 1241
das Haus meiner Schwester, der Giebel unseres Hauses.
In festen Redewendungen:
aller Laster Anfang, des Tages Mühen.
Diese Trennung ist jedoch im allgemeinen nicht erlaubt (zudem sie oft
mißverständlich ist):
Also nicht: Die großen Verdienste um den Wiederaufbau unseres Bürgermeisters.
Sondern: Die großen Verdienste unseres Bürgermeisters um den Wiederaufbau.
Auch hier kann wie beim Genitiv in der Dichtung gelegentlich eine
völlige Trennung vom Gliedkern gewagt werden:
Wenn er ins Getümmpl mich von Löwmkriegern reißt (Goethe).
y) Die Apposition
1243 Appositionen können ihrem Substantiv vor- und nachgestellt oder nach¬
getragen sein. Vgl. dazu im einzelnen 987 ff. Zusätzlich sei vermerkt:
1. Appositionen sind immer nachgestellt, wenn sie sich auf ein
Pronomen beziehen:
wir armen Menschen, uns guten leuten.
entlang:
den Bach entlang (seltener: entlang dem oder den Bach).
gegenüber:
dem Bahnhof gegenüber oder gegenüber dem Bahnhof; aber bei Pronomen nur:
mir gegenüber, euch gegenüber.
halber:
des großen Vergnügens halber.
nach:
nach meinem Erachten oder meinem Brachten nach (falsch: meines Erachtens nach).
Die Nachstellung ist nur bei modalem Sinn zu beobachten, bei lokaler und temporaler
Bedeutung steht „nach“ voran:
. nach Hamburg, nach dem Essen.
unbeschadet:
unbeschadet seiner verwandtschaftlichen Gefühle oder seiner verwandtschaftlichen
Gefühle unbeschadet.
Die Stellung der nichtverbalen Satzteile 597
‘ungeachtet:
ungeachtet des Wetters oder des Wetters ungeachtet.
wegen:
wegen des Kostüms (seltener: des Kostüms wegen).
zufolge:
seinem Wunsch zufolge oder zufolge seines Wunsches.
zunächst:
zunächst dem Hause oder dem Hause zunächst.
zuwider:
seinem Vorschlag zuwider.
b) Konjunktionen
a) Unterordnende Konjunktionen
Die unterordnenden Konjunktionen stehen immer an der Spitze des 1245
Gliedsatzes. Sie sind gleichsam sein Eröffnungssignal (vgl. auch 1220):
Karl ging nach Hause, weil ich ihn geärgert hatte. Ich hoffe, daß er wiederkommt.
ß) Nebenordnende Konjunktionen
Die Stellung der nebenordnenden Konjunktionen ist unterschiedlich. 1246
1. Die Konjunktionen „und, oder, allein, sondern, denn“ stehen
immer an der Spitze des Satzteiles oder Satzes, den sie nebenordnen:
Wiesen und Felder ... Er grübelte und er grübelte. Franz hat gute Anlagen,
allein er ist faul. Das Sein ist ewig; denn Gesetze bewahren die lebend’gen Schätze
(Goethe).
y) Infinitivkonjunktionen
Die Infinitivkonjunktion „zu“ steht immer unmittelbar vor dem In- 1247
finitiv eines einfachen oder fest zusammengesetzten Verbs:
Er hoffte zu kommen. Er beschloß, das Buch iu übersetzen.
a) Interjektionen
1248 Interjektionen stehen im allgemeinen am Anfang des Satzes:
Oh, ich kenne dich! (Schiller). Ha, wären wir am Strande des Ligurischen Meeres!
(Raabe). 0 daß sie Frucht, o daß sie Freude bringe! (Goethe).
Gelegentlich sind sie in den Satz eingeschoben. Sie stehen dann Vor dem
Satzteil, der die Empfindung besonders ausgelöst hat:
Aber einen Bedienten hat er, oh, ein recht abscheulicher Mensch i (Lenz).. .. flog eine
feindliche Kanonenkugel ihm über den Rücken weg, paff! in das benachbarte Schiff
(Hebel).
b) Vokative
1249 Der affektbetonte Vokativ steht im allgemeinen am Anfang des Satzes:
Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an . . . (Goethe). Franz, verlaß meine
Amalia nicht! (Schiller). Karl, deine Mutter ruft!
Wir stehen hier auf der Schwelle von der Sprache zum Sprechen, von der
Bindung, die das überlieferte Gemeinschaftsgut „deutsche Sprache44 dem
einzelnen um der allgemeinen Verständlichkeit willen auferlegt, zu der
Freiheit, die diese Sprache ihm zum Ausdruck seines jeweiligen Aussage¬
bedürfnisses läßt. Darum kann unsere Schilderung der Klanggestalt des
deutschen Satzes für das einzelne Beispiel nicht unverbrüchlich gelten.
Sehr oft sind auch andere Gestaltungen möglich — dann freilich nur mit
anderen Sinndeutungen desselben Textes. Wir können nur das Spiel der
Kräfte in der jeweiligen Klanggestalt zeigen und sagen: Wenn man so
spricht, klingt es deutsch!
1254 Die Rede stellt die Einheit eines Satzes in der Gestalt eines Spann-
bogens dar. Dieser trennt den Satz in zusammenhängender Rede und
im Gespräch von seinen Nachbarn, dem Kontext, und schließt die Aus¬
sageglieder zusammen.
Befolge meine Befehle, Rosita, wiederhole sie nicht wie ein Papagei! -
b) Der Tonfall
zieht den Hörer beunruhigend in die Aussage herein, der Tiefton des
Abastes löst die Spannung auf:
Dem Unkraut' schadet der Frost nicht.
Was er allda gesehen und erfahren,
hat seine Zunge nie bekannt (Schiller).
a) entladender Ausruf
■\
(Erleichtert:) Jal Ach! Peinlich! Wie lange das dauert!
ß) heischender Anruf
He! Er kommt! Kommen Sie herein! Hinaus! Machen Sie, daß Sie fortkomnien!
Wird’s bald? Wollen Sie mir nun endlich die Wahrheit sagen? Hinaus! Schau mir
ins Auge!
y) darstellende Aussage
(Er ging) hinaus. (Zustimmend:) Ja. (Feststellend:) Er ist krank. Gut! Mit dieser
ütegelung bin ich einverstanden. Gesagt, getan. Kaum hatte er seinen Plan ent¬
wickelt, als den Worten schon die Tat folgte. Besser ein strohener Vergleich als ein
goldener Prozeß.
Wird das Fragewort selbst hervorgehoben, bo sprechen wir meist, bei der
Nachfrage immer, Hochschluß.
(Woher kommen Sie?) Woher ich komme?
y
602 Die KlanggestaU des Satzes
d) Inverse Betonung
1257 Über den Tonfall entscheidet nicht die grammatische Satzprägung,,
sondern die Ausdruckshaltung des Sprechers. Darum kann es zu Wider¬
sprüchen zwischen grammatischer Aussageweise und Tonfall kommen
(inverse Betonung). Den Sinn des Satzes bestimmt dann immer der Ton.
Wo der Sprecher einen Sachverhalt nicht neutral mitteilt, sondern sich
damit nachdrücklich dem Gesprächspartner zuwendet, Antwort oder
eine bestimmte Handlung von ihm verlangend, schließt er hoch, auch
wenn er grammatisch die Form der Aussage wählt :
Du bist unvorsichtig! Wir sind hier nicht allein!
e) Führtöne
1258 Der Spannbogen ist keine geschlossene Tonhöhenbewegung. Diese wird
vielmehr durch alle stimmlosen Laute unterbrochen und durch die Her¬
vorbringungsart der Laute abgewandelt. Der Hörer aber beachtet auch
an den stimmhaften Lauten nur die Schwerpunkte der Silbenkämme,
vornehmlich der betonten Silben, die damit zu Fiihrtönen werden.
Um die Gestaltung des Spannbogens im einzelnen zu verstehen, müssen
wir darum die Schwereabstufung der Rede betrachten.
Er kam an, als es Abend war und schon dunkel wurde,
experimentalphonetisch gewonnene Tonhöhenkurye1:
er kaman ai sesaben tvar un tSon durj kalvur da
oder
1. Beschwerungsweisen
Unter Schwere verstehen wir das Gewicht, mit dem eine Silbe ins Ohr 1259
fällt. Sie bedient sich verschiedener stimmlicher Mittel. Schwer wirkt
eine Silbe vornehmlich, wenn sie entscheidende Stufen der Auf- und Ab¬
schwünge des Tonfalls übernimmt (musikalischer Akzent). Daneben hebt
die Betonung durch Lautheit (Atemdruck) eine Silbe heraus (dynamischer
Akzent). Auch Dehnung der Vokale kann eine Silbe beschweren (tem¬
poraler Akzent); anderes, z. B. Klangwechsel, kann mitspielen. Gewöhn¬
lich verbinden sich diese Beschwerungsweisen. Für das Deutsche ist der
starke Anteil der Betonung durch Lautheit bezeichnend. Einseitige Be¬
schwerung durch Tonerhöhung und Lautheit jedoch vereinzelt das Wort,
weist feststellend auf seinen begrifflichen Kern und wirkt darum ver¬
standesmäßig, obendrein monoton.
2. Schwereabstufung
Die Abstufung der Silbengewichte ist unendlich. Es kommt dabei nicht 1260
auf das absolute Gewicht der Silben an, sondern auf das Verhältnis zu den
Nachbarn in dem Redeteil, der durchgegliedert als Einheit vor dem Be¬
wußtsein des Sprechers steht. Wir beschränken uns hier auf vier Stufen.
Sie werden mühelos unterschieden und erlauben, alles sprachlich Wesent¬
liche darzustellen:
Überschwere (•) gewöhnlich laute Steigspitze oder betonter Schlußfall;
Vollschwere (') gewöhnlich geringere Tonerhöhung bei deutlich vermehrter
Lautheit;
Kaumschwere (') gewöhnlich fallend, aber noch laut;
Leichte (bleibt unbezeichnet) schwach und fallend.
zur Überschwere, die sich möglichst am Ende des Satzes mit dem Sinn-
kem der Aussage verbindet. Das dadurch entstehende Spannungsver¬
hältnis zwischen den Satzgliedern und ihren Teilen ist das gleiche, das
auch von dem allgemeingültigen Stellungsprinzip (vgl. 1221) hervorge¬
rufen wird, nach dem Wörter mit höherem Mitteilungswert jenen mit
geringerem folgen. Wortton und Wortstellung sind also in ihrer Leistung
gekoppelt (soweit nicht Rhythmisierung im Spiel ist; vgl. 1286 f.).
Es wär einmal ein Müller.. . (Müller ist Sinnkern der Aussage, steht deshalb am
Ende und verbindet sich mit der Überschwere.)
Beachte:
Der Ton vermag aber auch unabhängig von der Wortstellung den Sinn zu deuten,
wenn es sich um gleiche Fügungen handelt:
Wir sind zusammen gekommen. Wir sind zuskmmengekommen. Ich ziehe Köln
Düsseldorf vor. Ich ziehe Köln Düsseldorf vör.
Ein Kind stellt die ganze Wirtschaft auf den Kopf, tnn Kind stellt die ganze Wirt¬
schaft auf den Kopf.
1263 Daneben folgt die Schwere aber auch rhythmischen Bedürfnissen (vgl.
1286):
Das Schiff ist mit Mknn und Maus üntergegangen. (Gleiches Gewicht wird bei Wort¬
paaren [vgl. 1266] vermieden.)
Der beste Wille ist der fkste Wille. Die Rute macht aus bösen Kindern güte.
Die Schweren und die Leichten 605
Ist das zweite Glied eines Gegensatzes nicht genannt, aoer mitgemeint,
so weist die Überschwere den Hörer an, es mitzudenken:
(Ist all dein Vieh verbrannt ?) Das Kalb wurde gerettet. (Wie stehst du mit
dem Ehepaar ?) Ihn schütze ich. Alte Ziegen lecken auch gern Salz. Der Xlndank
ist immer eine Art Schwäche. Ich habe nie gesehen, daß tüchtige Menschen wären
undankbar gewesen (Goethe).
So auch Präpositionalattribute:
das Häus am Bärge; das Wirtshaus zu den drei Rösen. Wär es eine Art von Nach¬
ahmung, von Ansteckung f (Th. Mann). Alle unmittelbare Aufforderung zum
Ideellen ist bedenklich (Goethe). Den teleolögischen Beweis vom Dasein Göttes
hat die kritische Vernunft beseitigt (Goethe).
Ihr Gewicht wird geringer, wenn sie mit „und“ oder „oder“ ver¬
bunden werden:
An einem unfreundlichen und kalten Novembertage ... Es war einmal ein kluges
und verschmitztes Bkuerlein, . . . (Grimm).
Überwiegt das Gewicht des Attributs das des Gliedkems, so ruft das
den begrifflichen Gegensatz des Attributs wach (vgl. 1264, 2):
Ein Iberer Wagen muß einem völlen äusweichen. Ein rechtschaffener ööhse geht
mitten durch den Dreck. Alte Ziegen lecken auch gern Salz.
2. Wortpaare
1266 Und-Verbindungen logisch gleichwertiger Glieder tragen den Ton auf
dem zweiten Glied:
Märin und Mails; Hinz und Kilnz; bräun und blku schlagen. Besser äng und
wöhl als wäit und weh. Mißgunst und Hkß beschränken den Beobachter auf die
Oberfläche, selbst wenn Scharfsinn sich zu ihnen gesellt; verschwistert sich
dieser hingegen mit Wöhlwollen und Liebe, so durchdringt er die Wält und den
Menschen (Goethe). Zum Erwerben eines Glücks gehört Fläiß und Geduld, und
zur Erhaltung desselben gehört Mäßigung und Vorsicht (Hebbel).
Folgt dem Paar jedoch eine Überschwere, dann rückt der Ton auf
das erste Glied vor (vgl. 1286):
Das Schiff ist mit Mknn und Maus üntergegangen. T&re und FSnster waren
geschlossen. Wer Wbin und Wöiber meiden mag, d6r wische diesen Reimen ab.
3. Verneinung
1267 Bezieht sich die Verneinung nur auf ein Wort (Wortverneinung,
vgl. 1163), so fällt sie im allgemeinen leichter als dieses. Offenbar
bleibt das „nicht“ formales Minuszeichen, während sich der Sprecher
an den eigentlichen Bedeutungsträger hält. Deshalb tut ein zwar
negiertes, aber eben ausgesprochenes Wort dennoch seine Wirkung:
Es ist nicht älle Tage Sonntag. Kbin Geistlicher hat ihn begleitet (Goethe).
. . . wendet kein Jätend, macht dich nicht frei (Goethe). Es rauscht kein Wald,
es schlägt im Mai kein Vögel ohne Unterlaß (Storm).
Es sei denn, die Verneinung ist eigens ans Ende oder an den Anfang
gerückt:
Ich vergess’ das dunkle Antlitz nie (G. Keller). Vereinigen kann sich der Geist
des Menschen mit einem anderen nie. Nie kann sich der Geist des Menschen mit
einem anderen vereinigen, über die Vernunft mag dies alles sein, aber wider die
Vernunft ist es nicht (M. Claudius).
Aber auch der Ausdrucksdrang wirft sich gern auf die Verneinung:
Kein Mensch muß müssen. Es geht kein Ruf von nichts aus.
4, Zeigschweren
Zeigschweren verweisen auf etwas in der Redelage zu Findendes oder 1268
auf ein früher oder später in der Rede selbst genanntes Wort:
Nur d€r verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern
muß (Schiller). Es gibt Menschen, die ihr Gleiches lieben und aufsuchen, und
wieder sölche, die ihr Gegenteil lieben und diesem nachgehn (Goethe). Wahr¬
heitsliebe zeigt sich dkrin, daß man überall das Gute zu finden und zu schätzen
weiß (Goethe).
y) Leichte Wörter
Bestimmte Wörter übernehmen den Ton kaum je. Hierzu gehören das 1269
Relativpronomen, der Artikel, die Infinitivkonjunktion „zu“, „am“ und
„als“ bei der Steigerung und das unpersönliche „es“. Vor allem fällt auf,
daß das Verb, sofern es nicht selbst zum inhaltlichen Kern der Aussage
gehört, gewöhnlich zurücktritt. Es steht dann ganz im Dienste seiner
grammatischen Funktion, die Aussage zu begründen (vgl. 866):
Auf trüben Mörgen folgt höiterer Täg. Begierde setzt Spören in die Haut. Charlötte
fand seine Ausdrucksweise Altklug (Th. Mann).
Aber mit stärkerer Sinnfülle: Es schnbit noch Immer, lieber Herr, als ob's gär nicht
auf hören wollte (M. Claudius). Der junge Ritter stand lächelnd auf und ging die
Freundin suchen (Musil).
a) Die Einschaltspitze
Bei ruhiger Rede, das heißt also im Aussagesatz, befindet sich am Anfang 1270
des Satzes eine Einschaltspitze. Sie übernimmt den ersten Tonaufschwung
und braucht kaum Sinngewicht zu haben:
Obstern kam mein Freund an.
608 Die Klanggestalt des Satzes
Das ist auch bei der Ergänzungsfrage möglich, sofern das Fragewort selbst
beschwert ist (vgl. 1256, y):
Liegt die Überschwere auf der letzten Silbe, so schlägt sie entweder nach
oben oder schleift hinauf:
Wär das recht ? W6r hat das gesägt?
Häst du wohl einen größern Wöhltftter unter den Tieren als Uns? (Lessing).
cc) Leichten
Folgen der Überschwere noch leichte Silben nach, so bleiben sie in der 1274
gleichen Tiefenlage (Nachlauf) :
(Es gibt Personen, denen ich wohl will,) und wünschte, ihnen besser wollen zu
2 \
können (Goethe). • * '• I
—* * i.
Der Hochwald wächst an die Flknken des Harnes herkn (Kluge).
d) Die Binnenschweren
1276 Von den Binnehschweren, d. h. von den Schweren zwischen Einschalt-
und Überschwere, schlagen die Vollschweren nach oben aus, während die
Kaumschweren sich wie die Leichten dem allgemeinen Fall des Satzes
einordnen:
JL
Der Hönig ist nicht whit vom Stachel. v
. ✓
Entflöhner Augenblick kommt nicht zurück. . ^ . r
b) Die Gliederungseinheiten
a) Der Redeabschnitt
ß) Der Satz
Die Stimme folgt am Ende dieser Redeeinheit der Kadenz, die dem Aus- 1278
drucksgehalt des Satzes entspricht (vgl. 1271; 1273). Der Sprecher
schöpft neuen Atem. Wir bezeichnen diesen Einschnitt mit || (Strich¬
balken). Im Schriftbild stehen dafür der Punkt, das Ausrufe- oder Frage¬
zeichen. Gelegentlich kann dieser Einschnitt jedoch auch mehrere Sätze
als eine tonliche Einheit kennzeichnen (vgl. 1297).
y) Der Sinnschritt
In vielen Fällen ist aber für. die Gliederung des Spannbogens nicht die
Folge Subjekt-Prädikat maßgebend, sondern eine andere Gruppierung
der Satzglieder im Bewußtsein des Sprechers:
Mit einem plötzlichen Rück1 wArf er das Messer hoch. || (Böll) - Gerade dem ein¬
samen Haus gegenüber’ wölbt sich mächtig der bläugrüne Kolmberg. || (Kluge) -
Außer dem fremden HErrn und. ihm1 befAnd sich nür noch , der Totengräber am
Plätz. || (Kluge)
b) Angelehnte Satzteile
1 282 Grammatisch selbständige, aber sinnschwache und daher unbeschwerte
Wörter lehnen sich nach vorn oder hinten an:
| Der größte Schritt ist | | d£r aus der Tür. |
oder:
I_II__I
Der älte fromme Fischer jedoch durchschritt ihn ohne Anfechtung zu vielen MAlen.
|___||_ (Fouqug) |
oder:
I_II_:_I
c) Wachsende Glieder
1283 Je mehr die Glieder wachsen, um so tiefer werden auch die Einschnitte
zwischen Auf- und Abast:
Diese1 in Abständen sich wiederhölende Gebärde * kam mänchmal fast einem Zücken
gleich. H (Lorberg)
Wird der Satz unüberschaubar groß, dann formt der Sprecher zunächst
den Aufast aus und gestaltet den Abast erst durch,' nachdem jener
bereits ausgesprochen wurde. Zwischen solchen Atisspruchsgliedem ent¬
steht dann eine Atemfuge; Auf- und Abast werden selbst Sinnschritte:
In Fälun in Schweden1 küßte vor guten 50 Jähren und m6hr| ein junger Bergmann’
seine jünge hübsche Bräut |... (Hebel). Mit der soeben Ausgesprochenen Selbst¬
anklage | war ünerwartet1 ein sehr Ernsthaftes Gespräch1 in Aller Traulichkeit und
Güte1 zwischen beiden eröffnet. H (Mörike)
Die Gliederung 613
Id) Untergliederung
[Auf- und Abast können sich weiter untergliedern. Die Gelenke und 1284
fNähte zwischen den so entstehenden Bauteilen machen sich durch
' schwächere Stauungen im Redefluß geltend. Je langsamer die Rede läuft,
um so häufiger und tiefer werden die Einschnitte:
Sie trug1 ein ausgewaschenes blaues Kleid' mit weißen Punkten. || Madame Cou-
dray,' die Gattin des Oberbaurats,| zeichnete sich' außer durch die Bauschigkeit
ihres Rockes' durch einen breit schattenden' und schleierumwundenen Corona-
Schröter-Hut aus, | der ihr . . . (Th. Mann).
Dieselbe Stauung ist in der gesprochenen Sprache häufig und zeigt, daß
das Attribut in den fertig vorgeplanten Satz erst nachträglich eingefügt
wurde:
der' vorher stärkere,' jetzt unterlegene Hirsch . . .
e) Neuansatz
Hintereinandergeschaltete Satzglieder fügen sich dem Spannbogen des 1.285
Satzes ein, nebeneinandergeschaltete wiederholen im Neuansatz die
Spannungsbewegung des vorangehenden Gliedes. So spricht man gegen¬
geordnete Satzglieder gern mit Neuansatz: .
f) Rhythmisierung
a) Der Drang zur Rhythmisierung
Es liegt in der menschlichen Natur, Bewegungen, also auch den Fluß der 1286
Rede, zu rhythmisieren. Das kann zu versmäßiger Gliederung führen;
doch macht sich diese Neigung auch in der Prosa geltend, zum Beispiel
beim Zählen:
eins zwei dröi vier fünf sechs sieben ...
614 Die Klanggestalt des Satzes
Wir ordnen die Wörter gern so, daß beschwerte und leichte Silben regel¬
mäßig wechseln (Gewichtswechsel) oder von Schwere zu Schwere takt-
artig der gleiche Zeitabstand entsteht:
.. . und er gibt ihm das Büch und geht wäg. Nimm das und gib es dem Väter, wünn
er nach Hause kommt. Mit äinem großen Färrenschwänz regiert er sie wie ein’n
Affentanz (Goethe).
Auch sonst werden Wortgruppen gern auf diese Weise rhythmisiert. Das
fällt besonders bei Wiederholung und beim Überspielen des Worttons auf:
In der chirurgischen Klinik des Gehäimrats von o. . . . (Weiß). Das Schwärmen
der Säele über der Asche der Ver gängenheit ... (I. Seidel). Friedrich von B.,
ein höchgewächsener, hellblonder Mensch . . . (Weiß).
1287 Die Neigung, die Rede zu rhythmisieren, macht sich vor allem im Alltag
geltend, in stark gefühlshaltiger Rede und im Stil der Dichtung:
Du ündankbäres Kind! - Das Räd an meines Väters Mühle1 brauste und raüschte
schon wieder recht lüstig, |' | der Schnäe1 tröpfelte ämsig vom Dache, |' | die Sperlinge
zwitscherten und tummelten sich dazwischen; |' | ich saß auf der Türschwelle|' | und
wischte mir den Schlaf aus den Augen. || (Eichendorff)
Alltagsrede gliedert wenig und stuft grob ab; sorgsame, dicht gefüllte
und nachdrückliche Rede gliedert und stuft vielfältig und fein
Wenig gegliedert:
Hüben Sie gut geschlafen ? || Wir sind gestern spazierengegangen. || Düs hab ich mir
doch gleich gedacht. || Da liefen also die Hühner herum, | das höißt, die Hühner waren
eingesperrt j und die Küken liefen herum. |( Und auch sonst war es mehr dreckig als
säuber. |1
Ein Väter hatte zwei Söhne, | davon war der älteste klug und gescheit | und wüßte
sich in alles wohl zu schicken, | der jüngste aber war dümm,| könnte nichts begreifen
und lernen:| und wönn ihn-die Leute sahen,' sprächen sie:| Mit döm wird der Vater
noch seine Last haben. || (Grimm)
Dabei hebt sich die schwere Silbe auf Kosten der leichten heraus — bis
zu deren Verschwinden:.
Gott bewahre (mich)I (Das) weiß Gott! (bei) meiner Tröul
a) Anredenominativ
1289 Soweit Anredenominative nicht ohne Zusammenhang für sich stehen,
bleiben sie tonlich unselbständig und schwach, ob sie der Rede vor- oder
nachgestellt oder in sie eingefügt werden:
Kind, das ist kein Spielzeug 1 Herr, die Not ist groß I ~ ^
Es ist nicht alles Gold, lieber Sohn,' was glänzet. || (M. Claudius) - Ist das dein
Knabe,1 Teil? || (Schiller) - Das ist nicht recht, Vater,' daß Ihr reitet, | und laßt
Euren Sohn laufen. || (Hebel)
Wird zwischen nominalen und verbalen Anruf ein anderer Satzteil ein¬
geschoben, erhalten beide Anrufe Steigspitzen:
b) Interjektion
1290 Die Interjektion kann tonlich selbständiger Sinnschritt sein; meist aber
leitet sie, den Ausdrucksdrang entladend, die Aussage ein:
0 Täler weit,' o Höhen! | (Eichendorff) - Ach, ich bin des Tröibens müde 11 (Goethe)
. .. flög eine feindliche Kanönenkugel' ihm über den Rücken weg,' pkffl' in das
benächbarte Schiff. || (Hebel)
c) Einschub
1291 Der Sprecher kann in einem fertig vorgeplanten Satz den Fluß der Rede
unterbrechen und eine Ergänzung einfügen. Solche Einschübe unter¬
brechen, welche grammatische Form sie auch annehmen, den Spann¬
bogen und kehren ihn zur Mulde um. Der Satzrahmen nimmt danach den
Spannbogen an der gleichen Stelle wieder auf, wo er unterbrochen wurde:
Als wir am sechsten Abend unser Hotel verließen,! hatte ich den Einfall1 - ob un¬
willkürlich oder aus Absicht' besinne ich mich nicht mehr] - den Bedienten zu hinter-
lassen,' wo wir zu Anden sein würden, |... (Schiller). \A
M
... I und die,' sooft ich in den fünf oder sechs Monaten vorüberkam,' sich tief ver¬
neigte, |... (Hofmannsthal).
In der Königstraße,1 wo ich die Kiste abgeben wollte,' steh’ ich einen Augenblick,
um mich auszuruhen,' vor dem Rathause still. H (Kleist) . .
Die Gliederung 617
!
j,Der Einschnitt vor dem Einschub pflegt dabei flacher zu sein als der
^danach. Der Einschub selbst verläuft gewöhnlich rascher und unbe¬
schwerter als der Rahmen:
Der Turnlehrer,' ein junger Offizier1 mit hartem braunem Gesicht und höhnischen
Augen,' hat Freiübungen kommandiert. || (Rilke) - Bin Rittersmann,' von Kopf zu
Fuß in Eisen,1 mit offenem Visier, | reitet durch eine finstere Felsschlucht. || (Dehio)
Sofern dem Einschub nur ein Wort noch folgt, liegt der tiefere Einschnitt
vom und wird bei umfänglichen Gliedern (vgl. 1283) zur Atemfuge:
Einige Augenblicke später1 war der letzte Schwanz des bunten Zuges von der Vier¬
lingswiese im gegenüberliegenden Tannönwalde, | wo sich der Reitpfad plötzlich
ziemlich steil bergabwärts zog,' verschwunden. || (Raabe)
d) Zusatz
Der Einschub unterbricht den Spannbogen des Satzes (vgl. 1291), der 1292
Zusatz wiederholt im Neuansatz den Spannbogehteil des Gliedes, das er
ergänzt. So z. B. die nachgetragene Apposition:
Ob ein Satzglied als Zusatz oder Einschub (vgl. 1291) zu verstehen ist,
lehrt oft nur der Zusammenhang. Innerhalb einer Aufzählung (vgl. 1295)
nimmt man das Glied zur Unterscheidung immer als Einschub:
Die Töchter des Kirchspielschreibers,1
einer gewaltigen Respektsperson,' die
Söhne des Arztes usw.1 wurden mit halben
Dutzenden von Kuchen beladen. H (Hebbel)
618 Die Klanggestalt des Satzes
e) Vorausstellung
1203 Neuansatz findet auch statt, wenn dem Satz Glieder unter eigenem Teil¬
bogen vorangestellt werden, die ein Pronomen oder Adverb später wieder
aufnimmt. Die Vorsenkungen ordnen sich dann nicht dem Spannbogen
ein, sondern hegen tief:
Bei Sonnenaufgang ' kam schon der König, | .. . (Grimm). Wie eine schwarze Fliege 1
stand das Schiffchen neben der dunklen Fußspitze des Orlaberges, | . . . (Stifter).
Außer diesen beiden Xjnglücksfällen ' hatte nichts vermocht 1 ihn . . . fernzuhalten. ||
(Hauptmann)
f) Nachtrag
1294 Der Zusatz (vgl. 1292) ergänzt ein Satzglied. Wo einem ganzen Satz
oder Sinnschritt ein Nachtrag angefügt wird, richtet sich die ■Tonführung
nach seinem Sinngewicht. Der sinnschwache Nachtrag folgt dem Schluß -
fall in der Tiefe:
... und sie wird Trost gewinnen 1 durch •.. ; II
eure traurige Nkchricht. || (Brentano) .1_. II
Freilich war Elisabeth 1 in ihrer Art fürsorglich wie von j6 bemüht ' um die alte
Frku. ||(I. Seidel)
Die Kdtze aber geht nöch 1 ohne Schelle umher, 1 Ms auf den heutigen Tkg. || Sie
stehen sich beide gegenüber, 1 nur durch den Bkch getrennt. || Es sind prächtige
Btirschen ' mit mächtigem GewHh. ||
g) Aufzählungen
Neuansatz haben vor allem die Aufzählungsglieder: 1295
Lähr, ' 'thr, ' W€hr '
köin Männ braucht mehr!
II
H\tz im Rät, ' tiil in der Tkt ' bringt nichts als Schäd. || Frohem Mut, ' freiem Wort,
weisem Rat ' soll man trauen.' ||
Steht die Aufzählung am Ende, so übernimmt das letzte Glied den lösen¬
den Schlußfall:
Liebe bringt auf Idöen ' und in Gefahren. || Cäsar kirn, ' skh 1 und siegte. ||
Sind sie mit „und“ verbinden, so pflegen Gelenk und Neuansatz schwä¬
cher zu sein oder ganz wegzufallen, denn was wortbegrifflich ausgedrückt
ist, bedarf des Tones nicht:
Garderobenständer mit Hüten und Mänteln _II
stehen herum. || (Döblin) \ ||
. .. daß er den Sorgen des Alltags völlig enthoben war, | und daß Speis und Trank, '
Ordnung, ' Sauberkeit, ' Wärme und Behaglichkeit der häuslichen Umgebung ' ihm .. .
zubereitet wurden .,. | (I. Seidel). Friödrich von B. leistete ... in der Hochschul¬
klinik ' allerlei kleine, 1 aber doch unent¬
behrliche und verantwortungsvolle Dienste. H (Weiß)
. . ., und die Sönne, im Niedersteigen, lächelte wöiter ' auf "klend und W(Mbehagen,
Gesunde und Kränke, ' rhiche und arme Leute, | ... (Raabe). — Knecht hatte
Plinio 1 als einen stürmischen und heiteren, ' mitteilsamen und glänzenden Jüngling
gekannt. || (Hesse)
620 Die Klanggestalt des Satzes
Bildet bei zwei adjektivischen Attributen das zweite mit dem Gliedkern
einen Gesamtbegriff (vgl. 353), so entfällt der Neuansatz:
köstlicher weißer Wein (wir setzen hier auch kein Komma). Das dreizehnte große
Messer ' stak wie ein tödlicher Pfeil dort, .. . (Böll. Denn daß die Messer groß
waren, ist schon vorher gesagt.)
Ein Aufzählungsglied kann als selbständiger Sinnschritt nachgetragen
werden; es erhält dann eigenen Teilbogen und eigene Überschwere:
Ich nenne ihn einen Lügner | und einen Dümmkopf || (obendrein). — Es hat ein
paar Wochen lang kein Fleisch gegeben | und nur gefrörene Kartoffeln. || (Rinser)
h) Gereihte Sätze
a) Sinnschrittfolge
1296 Wie Aufzählungsglieder den Fluß der Rede durch Neuansatz stauen, so
auch gereihte Sätze. Auch sie fügen sich dem Spannbogen des Gesamt¬
satzes ein, bilden aber eigene Teilbogen und Sinnkeme aus und erlauben
an der entstehenden Fuge Atememeuerung. Es handelt sich also bei den
gereihten Sätzen um eine Sinnschrittfolge.
Dies ist sowohl bei zusammengefaßten gleichwertigen Sätzen wie bei der
Verbindung von selbständigen Sätzen der Fall.
1. Zusammengefaßte gleichwertige Sätze
Die erste Frau von Gott, . . ..
die zweite vom Menschen, | I
die dritte vom Teufel. || I I I II
Da kniete sie nieder zur Erde, | spreitete ihre Schürze aus, | strich mit der Hand
über das Feld hin, | fing alles zusammen | und tat’s hinein. || (Grimm) - Klagen
wurden vorgebracht, | Eide geschworen, | Verdikte gefällt, | Gesetze ausgelegt. ||
(Wassermann) — Reiten, 1 reiten, ' reiten. || Durch den Tag, | durch die Nacht, |
durch den Tag. || Reiten, ' reiten, 1 reiten. || (Rilke)
ß) Sinnschrittkadenz
1297 Bei gereihten Sätzen schließen die ersten Sinnschritte im allgemeinen
mit Hochschluß (weiterweisende Tonführung), und erst der letzte Sinn¬
schritt löst die Ausspruchsspannung im Vollschluß (vgl. die Spannbogen-
üguren unter a, 1. und 2.).
Die Gliederung 621
Es ist aber auch möglich, daß einer der ersten Sinnschritte sinkende Ton¬
führung hat:
Alle Menschen sind sterblich. | ■ i ia
Oaius ist ein Mensch. |
Also ist Caius sterblich. ||
I«I I
II
l II
Der Halbschluß kann sich so weit vertiefen, daß er sich dem Vollschluß
nähert:
Jupp hatte blitzschnell einen Holzklotz auf seinen Kopf gelegt; || das Messer
pflanzte sich mit einem Katsch fest | und blieb .. . (Böll).
Wir stehen hier bereits vor der rhetorischen Auflösung, die bei den
nachstehenden umfangreichen Satzeinheiten besonders deutlich wird:
Offenbar fehlte ihm nichts, | denn er begnügte sich immer mit einem kurzen Be¬
tasten der Tasche oder Taschen, || und diese in Abständen sich wiederholende Ge¬
bärde kam manchmal fast einem Zucken gleich. || (Torberg)
i) Doppelsetzungen
Bei Doppelsetzungen, insbesondere von Gegensätzen, wahrt die Ton¬ 1298
führung, auch wenn sie umfänglicher werden, die Einheit und kenn¬
zeichnet ihre Glieder nur durch Staupause:
Aus den Augen, ' aus dem Sinn. H Das Jahr ist kurz, 1 die Stünde lang. || Alles
vergeht, 1 Tugend besteht. || Den Sack schlägt man, ' den Esel meint man. || Der
Milde gibt sich reich, 1 der Geizige gibt sich arm. || Für das ich lebe, 1 für das
weiß ich auch zu sterbe'n. ||
Weiten sich die Glieder von Doppelsetzungen aus, so werden sie selb¬
ständig (vgl. 1283):
Der Verständige ' fehlt, | die Diimmheit ist unfehlbar. || Wenn wir täten, ‘ was wir
sollten, | so täte auch Gott, ' was wir wollten. || Altwerden, ' das ist Gottes Gunst, |
Jungbleiben, ' das ist Lebenskunst. || Nicht die Geburt ! macht schlecht und gut, |
vom Adel ist, 1 wer edel tut. ||
j) Satzgefüge
(Über die Gliederung des Spannbogens bei eingeschobenen Gliedsätzen
vgl. 1291, bei Gliedsätzen in Doppelsetzungen vgl. 1298).
a) Gliederung im allgemeinen
1. Sinnschrittkadenz
Hat der Sprecher die Unterordnung von Sätzen im Auge, dann deutet
er dies durch die Tonführung an, auch wenn kein Einleitewort sie be¬
zeichnet :
Er hat die Macht, ' er ist im Recht. || •_ | _ II
(Weil er die Macht hat, ist er...) 'N I
Mag ist tot, ' (aber) Soll lebt. || Mische dich nicht in fremde Dinge, | (aber) die
deinigen tue mit Fleiß. || Faul in der Arbeit, 1 (und) fleißig im Beten, ' (das ist
wie) Orgelspiel ohne Baigetreten. ||
Es ist aber auch hier wie bei den gereihten Sätzen möglich, daß einer
der ersten Teilsätze sinkende Tonführung hat:
Die Freunde nennen sich aufrichtig, | die Feinde sind es, 1 daher man ihren
Tadel ’ zur Selbsterkenntnis benutzen sollte, | I I ^ I | k
als eine bittre Arzenei. || (Schopenhauer) *" ^ y I
Über den Halbschluß bei der direkten Rede vgl. 1304. Auch im Satz¬
gefüge kann sich bei umfangreichen Teilsätzen die Fuge bis zur rhe¬
torischen Auflösung vertiefen:
. . ., daß ich* erkannt und gegrüßt wurde, || am auffälligsten aber und regel¬
mäßigsten von einer sehr hübschen Krämerin . . . (BEofmannsthal).
2. Neuansatz
Sind Haupt- und Gliedsatz kurz, dann führen wir sie ohne Neu¬
ansatz fort, d. h., sie bleiben in einem Sinnschritt vereint:
Ich kann heute nicht ins Theater gehen, 1 i ii
denn ich habe Dienst. || ' 7"\ II
weil ich Dienst habe. || ' '■
Es sei denn, der Sprecher hat, wie es oft in der gesprochenen Sprache
geschieht, das Satzgefüge nacheinander geplant, es gleichsam vor den
Augen des Hörers erst hergestellt. Dann erfolgt auch in diesen Fällen
Neuansatz:
Ich kann heute nicht ins Theater
gehen, | denn ich habe Dienst. ||
Die Gliederung 623
Weiten sich Haupt- und Gliedsatz aus, dann bilden sie eigene Sinn¬
schritte :
Die Bräut senkte ihr Häupt ein wenig, |
als die Freundinnen ihr
die Krone aufsetzten ]|.. . (Immermann).
Als am anderen Tag das Männchen kam, | fing sie an mit Kaspar, ' Melchior, '
Balzer | ... (Grimm). Als der edle und kluge Spiegel so heruntergekommen
war, [ saß er eines Tages ganz mager und traurig auf seinem Stein ||.. . (Keller).
3. Abspaltung
Sind die abhängigen Gliedsätze (von denen einer auch durch eine 1301
Infinitivgruppe ersetzt werden kann) einander untergeordnet, dann
treten sie eng zusammen, und der erste Gliedsatz spaltet sich von
seinem Hauptsatz ab:
Der Müller denkt, | es wachse kein Weizen, 1 als damit seine Mühle gehe. || (Goethe)
Und nicht der ist frei, ' der da will tun können, ' was er will, | sondern der ist
frei, ' der da wollen kann, ' was er tun soll. || (M. Claudius) — Wer nichts fürch¬
tet, | der ist nicht weniger mächtig ' als der, den alles fürchtet. || (Schiller) — Man
verzögert den Besuch bei einem Kranken, | und er stirbt, ' ohne ein letztes Wort
gesagt zu hohen, dessen man bedurfte. || (Keller) — Wahrscheinlich ist der
Mensch das einzige Geschöpf der Erde, | das den Willen hat, ' in ein arideres
hineinzuschauen. || (Carossa)
Dasselbe gilt übrigens auch, wenn sich ein Gliedsatz nur auf das
letzte Glied einer Aufzählung bezieht:
Unreine Lebensverhältnisse soll man niemandem wünschen; | sie sind aber
für den, 1 der zufällig hineingerät, | Prüfsteine des Charakters ' und des Ent¬
schiedensten, was der Mensch vermag. || (Goethe)
1. Der Relativsatz
Der Relativsatz wird nach Gewicht, Umfang und Zusammensetzung 1302
verschieden gesprochen. Trägt er gleiches Gewicht wie der überge¬
ordnete Satz, dann wird er selbst Sinnschritt mit eigenem Teilbogen
und eigener Überschwere.:
Meist aber schließt sich der Relativsatz, zumal bei geringerem Um¬
fang und Gewicht, dicht an den übergeordneten Satz an. Dann bildet
er keinen eigenen Teilbogen und gliedert sich höchstens durch Stau¬
ung aus. In Haupt- und Gliedsatz gibt es dann nur eine Überschwere:
Säge nicht älles, 1 was du weißt, | , # I i II
aber wisse alles, ' was du sagst. || (M. Claudius) V" : |' ' A ||
Inwendig in uns ! wohnt der Richter, ' der nicht trügt | ... (M. Claudius). Du
sprichst von Zeiten, 1 die vergangen sind. || (Schiller)-Kram alles sachte wieder
ein | und trag’s an den nämlichen Ort, •' wo du's her genommen hast. j| (Grimm)
Die Pferde, ' die den Wagen mit Gütern hinter sich haben, | gehen langsameren
Schrittes. || (M. Claudius)
In fortlaufender Rede muß sich der P ogen des Relativsatzes dem Bogen
des Gesamtsatzes gut einfügen. Er darf den Spannbogen höchstens als
Neuansatz vund Mulde unterbrechen, weil er sonst den Zusammenhang
sprengt. Erst am Ende des Satzes kann der Relativsatz einen eigenen
Teilbogen tragen:
Es ist mit Meinungen, die man wagt, '
wie mit Steinen,' die man voran im Brette bewegt \: f
sie können geschlagen werden, | aber sie haben
ein Sniel eingeleitet. ' das gewonnen urird. || (Goethe)
'-'^krhii
Bei Nacht aber, wo man noch am ehesten einen guten Weg braucht und sucht, ’
war’s nur desto schlimmer, | and die Dornenäste und Rispen, 1 mit welchen er
den Wandernden verständlich machen
wollte, Wo der Weg sei, | wären allemal ln
wenig Nächten niedergerissen. |f (Hebel)
Die Gliederung 625
2. Der Inhaltssatz
Inhaltssätze bilden im allgemeinen keinen eigenen Sinnschritt,. 1303
gleichgültig, ob sie mit oder ohne Einleitewort stehen. Sie führen den
Spannbogen ihres Hauptsatzes bruchlos fort und schließen mit Stau¬
pause (ohne Atememeuerung) an:
Der Inhaltssatz als direkte Rede hebt sich von seiner Einführung 1304
durch Atemerneuerung ab, wenn die Einführung oder die direkte
Rede nicht gerade sehr kurz ist. Folgt der Einführung allerdings eine
längere Rede, dann hat die Einführung meist Halbschluß. Ihre Ka¬
denz weist auf das Folgende:
Der König sprach zum Müller: |
„Das ist eine Kunst. '
die mir wohl gefällt.“ || (Grimm) mi
Da riefen die Tannen: | „Ist das der Dank, ' daß du dich überhebst | . . . (Goethe).
Die ergrimmten, ' daß sie so herrlich dastand in ihrer Kraft vor dem Antlitz
des Himmels | und riefen:' „Wehe dem Stolzen, | er überhebt sijch seines Wuchses!“ ||
(Goethe) — Denn wenn er hundertmal in einer Stunde Vergeuderin sagte, j
sagte sie hunderteinmal: „Du Knicker!“, | und das letzte Wort gehörte allemal
Ihr. || (Hebel)
Die Anrede und die einfache Bejahung und Verneinung werden gern
zum einführenden Verb gezogen:
. .. und der Frieder sagte: „Katherlieschen, | hast du auch unser Haus ver¬
wahrt V* || (Grimm) — Dann schrieb ich an Hiltiburg: ' ,.Geehrtes Fräulein 1“ ||
(Stifter) — Da sagte er: „Ja, | das läßt sich wohl hören.“ ||
„Ei was, du Rotkopf“,1 sagte der Esel, | „zieh lieber mit uns fort“ |... (Grimm).
„Das mache mit der Gottheit aus“, ' versetzt der Hierophant, | „kein Sterb¬
licher ...“ (Schiller). „Das wäre ja höllenmäßig!“ ' rief der dicke, ' gutmütige, '
doch etwas jähe Mann; \ „das geht ja über alle Begriffe!“ R (Mörike)
3. Bedingungssatz ohne Einleitewort
1305 Im Bedingungssatz ohne Einleitewort hören wir noch deutlich die
zugrundeliegende Frage:
Willst du wissen, ‘ wie einer sei (?) |
Füll ihn von ' und merk dabei 1 ||
Willst du die Wahrheit suchen auf, '
geh nur die Zweifelstraß’ hinauf. II
k) Die Periode
1306 In der Periode streiten der statische syntaktische Aufbau und die dy¬
namische Abfolge der Redeglieder miteinander. Jener richtet sich an
der Sachordnung des Gegenstandes aus, diese sucht den Gedankengang
für den Hörer mitvollziehbar zu machen. Die Tonführung scheidet darum
einerseits die tragenden, den Gedankengang weiterführenden und die
Aufzählungsglieder (mit Neuansatz) und anderseits die ergänzenden
Einschübe (mit Mulde, vgl. 1291), Zusätze (vgl. 1292) und Nachträge
(vgl. 1294):
Darauf nahm sie eines nach dem anderen heraus | und stellte es auf den Tisch:
den Pflug, ’ die Bauern mit ihren Pferden, | lief herum. | schaute es an |.:. (Grimm).
Am Fuße der Alpen 1 bei Locarno im oberen Italien 1 befand sich ein altes, 1 einem
Marchese gehöriges Schloß, | das man jetzt, ' wenn man vom St. Gotthard kommt, '
in Schutt und Trümmern liegen sieht. H (Kleist)
Hm Verläufe von zehn Jähren ' war er zweimal kränk gewesen; | ‘das äine Mal ' in¬
folge eines vom Tönder einer Maschine 1 während des Vorböifahrens herabgefallenen
Stückes Köhle, | *welches ihn getröffen ' und mit zerschmettertem B6in in den
Bähngraben geschleudert hatte; | Mas ändere Mal1 einer Weinflasche wegen, | ®die
aus dem vorüberrasenden Schnellzuge 1 mitten auf seine Brust geflogen war. R (G.
Hauptmann)
3 4
Der Satz an sich 027
Die Sprache hält also recht bedeutende Mittel bereit, um jene Einheit
zu sichern, in deren Rahmen sich alle Setzungen vollziehen müssen.
1308 Bei der Setzung einer bestimmten Wirklichkeit ist der Sprechende an
die grammatischen Grundformen gebunden (vgl. 966), die sich aus der
Zuordnung von Form und Inhalt über lange Zeiträume hinweg ergeben
haben.
Dabei zeigte sich allerdings, daß der Idealzustand, in dem jedem Inhalt eine besondere
Form entspricht, nicht erreicht ist. Dies liegt auch aus sprachökonomischen Gründen
gar nicht in der Tendenz der Sprache, die umgekehrt sogar bestrebt ist, Formen
abzubauen. So kommt es, daß gleichen Formen verschiedene Inhalte (z. B. beim Ak¬
kusativobjekt; vgl. 1017 ff.) oder gleichen Sachverhalten verschiedene Formen (z. B. bei
den Umstandsangaben; vgl. 1029) zugeordnet sind. Dies führt zu dem vielumstritte-
den Problem der „Mischgrammatik“, das aber nicht lösbar ist, wenn man sich von
den hinter den Formon stehenden Sachbezügen und Inhalten nicht allzuweit entfernen
vMl.
ist für die Wirklichkeit des Satzes von größter Bedeutung. Ob es der
inhaltbezogenen Sprachbetrachtung gelingen wird, von hier aus neue
Erkenntnisse über den Satz zu gewinnen, müssen wir der Zukunft über¬
lassen1. Bis dahin begnügen wir uns mit der Aufzeigung der gramma¬
tischen Grundstrukturen, deren jede Aussage bedarf, um sich für den
Hörenden nachvollziehbar verwirklichen zu können..
1 Vgl, hierzu Hans Glinz, Grammatik und Sprache. Wirkehdes Wort, 9. Jhrg.,
1959, S. 129 ff.
Wortregister und Register für Zweifelsfragen
Gewöhnlich wird auf die am Bande der Seiten stehenden Kennziffern verwiesen. Nur
wenn es für den Benutzer praktischer ist, wird die Seite angegeben. Die Seitenzahl
hat stets die Abkürzung S. vor sich stehen.
einladen, jemanden zu etwas e. S. 448 Sache, Reue über eine Sache e. S. 449
einlassen, sich e. in, auf etwas S. 493 empfindlich / empfindsam 731
einmal, Wiederholungszahlwort 542 empföhle, empfohlen (empfehlen)! 15,
einmalig 542 S. 88
ein paar 499 emporheben, hebt empor 676
einschließen, etwas in ein Angebot oder -en, Adjektivsufflx 728, 729
in einem Angebot e. ? 580 -en, Partizipialsuffix 162, 727
-, sich oder etwas in dem oder in das -en, Infinitivsufflx 159, 739, 748
Zimmer ? 580 Ende, Deklinationstabelle S. 173
einschließlich, Pr&p. mit Genitiv 323, 577 enden auf, mit etwas S. 493
einschreiten gegen jemanden oder etwas endlich, Konjunktion 593
S. 493 ent-, Präfix 777, 781
ein3tßllen, etwas auf eine Sache e. S. 449 -ent, Substantivsuffix 723
-, sich e. auf, gegen jemanden oder entbehren, das entbehrt jeder Grundlage
etwa3 S. 493 957
einteilen, jemanden oder etwas in eine jemanden oder etwas e. 957
Sache e. S. 449 entbinden, jemanden einer Sache oder von
Eintel 538 einer Sache e. 907, 957, S. 449
eintragen, etwas in eine oder in einer entfliehen, jemandem oder vor jemandem
Zeichnung e. ? 580 e. 957
eintreten für jemanden oder etwas entgegen, Präp. mit Dativ 578
S. 493 -, Stellung 1244
einverstanden mit 936 entgegengesetzt als 378
ein willigen in eine Sache S. 493 entgehen, jemandem e. 1021
eitel, eiteler oder eitler 332 enthalten, sich einer Sache e. 885
ekeln, es ekelt mir oder mich ? 882 entheben, jemanden einer Sache e. 907
-, ich ekle mich vor etwas oder entlang, Präp. mit Akkusativ 579, S. 305
jemandem 957 -, Stellung 1244
mir oder mich ekelt vor etwas oder entlasten, jemanden von etwas e. S. 449
jemandem 924, 957 entnehmen, etwas aus etwas e. S. 449
-el, Substantivsufflx 698, 718 entreißen, jemandem etwas e. 905
-el, Adjektivsufflx 712 entrüstet über 936
Elefant, des Elefanten 320 entsagen, jemandem oder einer Sache e.
elektrifizieren / elektrisieren 748 1021
Elektrische, Deklination 368 entscheiden, sich e. für, gegen jemanden
-eil und -al, Adjektivsuffixe 736 oder etwas S. 493
-eile, geschlechtsbestimmende Ablei¬ -, sich e. für oder zu ? 675
tungssilbe S. 147 entschlossen zu 936
-ein, Verbalsuffix 693, 744 entsinnen, sich jemandes oder einer Sache,
Elsaß, des Elsaß oder Elsasses ? 306 an jemanden oder an eine Sache e.
Eltern, die 252, 253 957
em[pj-, Präfix 777 entsprechen, etwas entspricht jemandem
empfahl, empfähle (empfehlen) S. 88 oder einer Sache 1021
empfähle oder empföhle ? 115 entweder - oder, Konjunktion 594
empfänglich, für etwas e. sein 936 entziehen, jemandem etwas e. 905
- stimmen, jemanden für etwas e. st. -enz, Ableitungssilbe S. 147, 716
oder machen 918 -enzen, Verbalsuffix 747
empfehlen S. 88 Enzian, des Enzians 321
-, jemandem etwas e. 905 Episkopat, der oder das ? 202
empfiehl 1, empfiehlt (empfehlen) S. 88 er, Deklination 422, 426
empfinden, Freude an, Furcht vor einer -, Gebrauch 429-431
640 Wortregister und Register für Zweifelsfragen
gewillt sein zu etwas 329 GmbH, die GmbH oder GmbHs ? 312
gewinnen S. 89 Gnom, des Gnomen 320
- an etwas S. 493 gölte (gelten) S. 89
jemanden zu etwas g. S. 449 - oder gälte ? 115
gewiß, einer Sache g. sein 932 Gondoliere, Plur.: die Gondolieri
Gewissensbisse 252, 253 282
gewoben (weben) S. 94 Gonfaloniero, Plur.: die Gonfaionieri oder
gewogen (wägen, wiegen) S. 94 Gonfalonieres ? 282
gewöhnen, jemanden an eine Sache g. Gong, der oder das ? 202
S. 449 gönnen, jemandem etwas g. 905
gewohnt, etwas g. sein 933 göre oder gären würde ? 126,1116
gewönne, gewonnen (gewinnen) S. 89 goß, gösse (gießen) S. 89
geworben (werben) S. 94 graben S. 89
geworden (werden) S. 94 - nach etwas S. 493
geworden oder worden ? 164 gräbst, gräbt (graben) S. 89
geworfen (werfen) S. 94 Graf, des Grafen 320
gewrungen (wringen) S. 94 .gram sein, jemandem g. s. 329
gewunden (winden) S. 94 gratulieren, jemandem 1021
gewunken (winken) S. 94 grauen, es graut mir vor jemandem oder
gewußt (wissen) S. 94 einer Sache 923
geziehen (zeihen) S. 94 -, mir oder mich graut vor jeman¬
gezogen (ziehen) S. 94 dem oder etwas 957
gezwungen (zwingen) S. 94 grauenhaft / grausam / greulich 731
gib I, gibt (geben) S. 89 Graupeln 252
gieren nach jemandem oder etwas S. 493 Graupen 252
gierig nach 936 grausam gegen 936
gießen S. 89 Greif, des Greifs oder des Greifen ? 258
gilt, giltst (gelten) S. 89 -, die Greife oder Greifen ? 268
ging (gehen) S. 89 greifen S. 89
ginge oder gehen würde ? 126,1115 - nach jemandem oder etwas S. 493
Glas, drei Glas oder Gläser ? 244, 248 Gretchen, die Gretchen oder Gretchens ?
glatter oder glätter ? 376 * 296
glauben an jemanden oder etwas S. 493 Gretel, die Gretel oder Gretels ? 296
Glauben oder Glaube ? 261 greulich / grausam / grauenhaft 731
Gläubiger, der / Gläubige, der 367 griff (greifen) S. 89
gleich und gleich 370 Groll gegen oder für (zu) ? 675
gleichen S. 89 grollen, jemandem g. 1021
—, jemandem g. 1021 Großmut gegen oder für (zu) ? 575
gleichgültig gegen 936 größtmöglich 402
gleichwie, Konjunktion 598 grub, grübe (graben) S. 89.
gleichwohl, Konjunktion 595 grübeln über eine Sache S. 493
Gleis oder Geleise ? 261 Grund, der (konkrete und abstrakte
gleiten S. 89 Bedeutung) 176
glich (gleichen) S. 89 Gründonnerstag, des Gründonnerstags
Gliedmaßen 252 oder Gründonnerstag 321
glimmen S. 89 Grüner Donnerstag oder Gründonnerstag ?
glitt (gleiten) S. 89 648
Globus,,des Globus oder Globusses ? 280 Gulasch, des Gulaschs 321
die Globen oder Globusse ? 289 Gummi, das oder der ? 202
glomm, glömme, (glimmen) S. 89 Gurt, der / Gurt[e], die S. 152
glücken, etwas glückt jemandem 1021 gut - besser - best 405
646 Wortregister und Register für Zweifelsfragen
Lüge, die /Lug, der S. 152 Mark, die / Mark, das 204
lügen S. 90 -, die Mark oder Märker ? 271
Lump, des Lumpen oder Lumps ? 258 Marsch, der / Marsch, die 204
Lump/Lumpen 261 März, des März, Märzes oder Märzen ?
258,318
maschineschreiben 677.
M Masern 252
-m-, Suffix 692 maß (messen) S. 90
-ma, geschlechtsbestimmende Wort¬ Maß, das / Maß, die 203
endung S. 148 -maßen, Adverbalsufflx 755
machen, mit a. c. i. 165, 922 -mäßig oder -gemäß ? 735
einen Besuch m. bei jemandem S. 449 Mast, die / Mast, der 204
-, einen Vers, m. auf eine Sache S. 449 Mast, der, Plur.: die Masten oder Maste ?
-, Gebrauch m. von etwas S. 449 276
-, jemanden oder etwas zu jemandem Match, der oder das ? 202
oder etwas m. S. 449 meditieren über eine Sache S. 494
-, jemanden oder jemandem bange, heiß mehr - am meisten 553
m. 915, 957 -, Umschreibung des Komparativs beim
-, sich m. an jemanden oder etwas S. 494 Adverb 553
Machenschaften 252, 253 -, vor der Grundstufe eines Adjektivs
Machinationen 252, 253 383, 384
mächtig, einer Sache m. sein 932 - als + Grundstufe eines Adjektivs 401
Mädchen, die Mädchen oder Mädchens ? - und mehr 403
275 mehrere 511
Mädel, die Mädel oder Mädels ? 275 -, Deklination des folgenden Adjektivs
mag (mögen) S. 90 344, 365
Magen, die Magen oder Mägen ? 268 mehrmalig 542
Magnet, des Magneten oder Magnets ? 279 mehrmals 542
die Magneten oder Magnete ? 279 meiden S. 90
magst (mögen) S. 90 mein, Deklination 441, 449
mähdreschen 666 meinen, mit a, c. i. 922
Mai, der / Maie, die / Maien, der S. 153 melden, jemandem etwas m. 905
des Mai, Mai[e]s oder Maien ? 258, 318 melken S. 90
makaber, makabrer oder makaberer ? 332 Memoiren 252
Mal, das erste Mal oder das erstemal ? 542 Mensch, Deklinationstabelle S. 172
-, die Mäler oder Male ? 267 der / Mensch, das 203
-mal, Suffix 542, 755 -, die Menschen oder Menscher ? 276
man 508 -ment, geschlechtsbestimmende Ablei¬
mancher 509, 510 tungssilbe S. 148
-, Deklination des folgenden Adjektivs -ment [ .. . ma**], geschlechtsbestimmen¬
343, 365 de Ableitungssilbe S. 148
mancherlei, was 1067 merken, mit a. c. i. 922
manches, was 1067 - auf jemanden oder etwas S. 494
Manen 252 messen S. 90
Mangel, der / Mangel, die 204 Messer, das / Messer, der 204
mangels, Präp. mit Genitiv 577 Meteor, der oder das ? 202
Mann, Plur.: die Männer, Mannen, Mann Meter, der oder das ? 201, 202
270 mied (meiden) S. 90
-, drei Mann 244 Milde gegen oder für (zu) ? 575
-männer oder -leute in Zusammen¬ milk!, milkt (melken) S. 90
setzungen ? 270 Milliarde 533
Wortregister und Register für Zweifelsfragen 653
necken, jemanden mit jemandem oder nützen, das nützt mir nichts 957
etwas n. S. 449 nützlich, das ist ihm nützlich 928
nehmen S. 90 - für 936
jemandem etwas n. 905
—, Notiz von jemandem oder etwas n.
O
S. 449
Rücksicht auf jemanden oder etwas n. ob, Konjunktion 600,1068,1069,1072
S. 449 ob, Präp. 578, S. 306
neidisch auf 936 Obelisk, des Obelisken 320
neigen zu etwas S. 494 oberhalb, Präp. mit Genitiv 577
Neigung zu oder für ? 575 Oberst, Deklination 258, 367
’nein (hinein) 557 obgleich 599,1087
nennen S. 91 obschon 599,1087
mit Gleichsetzungsakkusativ 919 obwohl 599,1087
-ner, Substantivsufflx 719 obzwar 599
Neutrum, Plur.: die Neutra oder Ochs, des Ochsen 320
Neutren ? 288 oder 594, S. 323
nicht - noch 604 offenbaren, jemandem etwas o. 905
nicht nur - sondern'auch 593,1165 oft, öfter, am öftesten 553
nichts 512 öfters 553
- als 378 Ohm, der / Ohm, das 204
was 1067 -, des Ohm oder Ohms ? 291
—[s] weniger als 379 öhmd, des öhmd[e]s 321
nichtsdestoweniger 595 ohne, Präp. mit Akkusativ 579, S. 307
Nickel, der /Nickel, das 203 ohne daß 598
niederlassen, sich auf dem oder auf das Ohr, Deklinationstabelle S. 173
Sofa n. ? 580 Oktober, des Oktober oder Oktobers ? 318
Niederschläge 252 \ -ol, Substantivsuffix 716
niemand 506, 512 opfern, jemandem etwas o. 905
- als 378 -or, geschlechtsbestimmende Ableitungs¬
Niet, der /Niete, die ? S. 153 silbe S. 146
Nil, des Nil oder Nils ? 306 orientieren, jemanden über jemanden oder
nimm!, nimmt (nehmen) S. 90 etwas o. S. 449
-nis, Substantivsüffix 696, 707 Ort, der / Ort, das 203
nobel, nobeler oder nobler? 332 -ose, geschlechtsbestimmende Ableitungs¬
Nord oder Norden ? 261 silbe S. 148
not tun 329 Ostern 252, 253
Noten (Notenbücher) 252 Otter, der / Otter, die 204
nötigen, jemanden zu etwas n. S. 449
November, des November oder Novem¬
P
bers? 318 v
’nüber (hinüber) 557 paar 512
nun, Konjunktion, 597 Pack, der / Pack, das 203
nun [da], Konjunktion 599 paddeln, ich bin oder habe gepaddelt ? 92
'nunter (hinunter) 557 Pandekten 252
Nuntius, Plur.: die Nuntien 289 Pantoffel, die Pantoffeln oder Pantoffel ?
nur, Konjunktion 595 276
nur daß, Konjunktion 598 Papa, des Papas 321
Nutz oder Nutzen ? 261 Papagei, des Papageis oder Papageien ?
nutzen, jemandem n. 1021 279
nützen, jemandem n. 1021 -, die Papageie oder Papageien ? 279
Wortregister und Register für Zweifelsfragen 655
Papyros, Plur.: die Papyrosy 282 Primat, der oder das ? 202
Paragraph, des Paragraphen 320 Prinz, des Prinzen 320
Parallele, Deklination 368 Prinzip, die Prinzipien oder Prinzipe ? 288
Park, die Parks oder Parke ? 283 pro 583
Partisan, des Partisanen oder Partisans ? probeschreiben 677
279 Pronomen, die Pronomina oder Pro¬
passen zu jemandem oder etwas S, 494 nomen ? 279, 282
passend für 936 protestieren gegen jemanden oder etwas
Passiva 252 S. 494
Pastor, die Pastoren oder Pastöre ? 288 Protz, des Protzes oder Protzen ? 258
Patient, des Patienten 320 Puff, die Püffe oder Puffe ? 268
Peloponnes, des Peloponnes oder Pelo¬ punkto 583
ponneses ? 306 Punktschweißen 677
Penaten 252 Pusteln 252, 253
per, Präp. mit Akkusativ 579, 583
Perpendikel, der oder das ? 202 Q
Personalien 252
Pfaff, des Pfaffen 320 Quader, der oder die ? 202
pfeifen S. 91 Quaste, die / Quast, der S. 153
Pfennig, drei Pfennig oder Pfennige ? Quelle, die / Quell, der S. 153
244, 248 quellen S. 91
pfiff (pfeifen) S. 91 quill!, quillt (quellen) S. 91
Pfingsten 252, 253 Quinquillion, Quintillion 526
pflegen S. 91 Quisquilien 252
-, Rat pf. 957 quitt sein 329
Pflichtteil, der oder das ? 202 quoll, quölle (quellen) S. 91
pflog (pflegen) S. 91 •
Pflugschar, die oder das ? 202 R
Pfropf / Pfropfen 261
Pfund, drei Pfund 244 rächen, sich r. an jemandem oder etwas
philosophieren über eine Sache S. 494 für etwas S. 494
Pier, die Piers oder Piere ? 274 Radar, der oder das ? 202
PKW, die PKW oder PKWs ? 274, 312 radfahren 741
plagen, jemanden mit etwas p, S. 449 radschlagen 741
Plaid, der oder das ? 202 'ran (heran) 557
pochen auf eine Sache S. 494 rang, ränge (ringen) S. 91
Pocken 252 Ränke 252
Podest, das oder der ? 202 rann, ränne (rinnen) S. 91
polemisieren gegen jemanden oder etwas ränne oder rönne ? 116
S. 494 rannte (rennen) S. 91
Porto, die Porti oder Portos ? 282 rät, rätst (raten) S. 91
Posse, die / Possen, der S. 153 raten S. 91
Prahlhans, des Prahlhanses oder Prahl¬ -, jemandem etwas r. 905
hänsen ? 258 rational oder rationefl ? 736
Präliminarien 252 Ratte, die / Ratz, der S. 153
Prämiensparen 741 rauben, jemandem etwas r. 905
präsidieren bei etwas S. 494 'rauf (herauf) 557
preisen S. 91 'raus (heraus) 557
preisgeben, gibt preis 677 Ratz, der / Ratte, die S. 153
Pretiosen 252 reagieren auf eine Sache S. 494
pries (preisen) S. 91 Recherchen 252, 253
656 Wortregister und Register für Zweifelsfragen
rechnen auf jemanden oder etwas, mit Röhre, die /Rohr, das S. 153
jemandem oder etwas S. 494 rönne oder ränne ? 115
recht und billig 329 Roß, die Rosse oder Rösser ? 271
Rechte, Deklination 369 Röteln 252
rechtfertigen, etwas mit etwas r. S. 449 röter oder roter ? 376
redsingen 666 'rüber (herüber) 557
referieren über eine Sache S. 494 Rücksicht auf oder für ? 575
reflektieren auf jemanden oder eine Sache rücksichtlich, Präp. mit Genitiv 577
S. 494 rudern, ich bin oder habe gerudert ? 92
Regent, des Regenten 320 rufen S. 91
Regiment, die Regimenter 282 er ruft mich oder mir ? 882, 957
reiben S. 91 Ruine, die /Ruin, der S. 153
reich an 936 ’rum (herum) 557
reichen, jemandem etwas r. 905 rumpeln, der Wagen ist oder hat
Reif / Reifen 261 gerumpelt ? 92
reimeh, das reimt sich auf dieses Wort rümpfen, die Nase über jemanden oder
S. 494 etwas r. S. 449
’rein (herein) 557 ’runter (herunter) 557
reines Herzens oder reinen Herzens ? 333 runzeln, die Stirn über jemanden oder
Reis, der / Reis, das 204 etwas r. S. 449
Reisender, Deklination 369
S
reißen S. 91
reiten S. 91 -s-, Fugenzeichen 636-639
ich bin oder habe geritten ? 92 -s, geschlechtsbestimmende Ableitungs¬
rennen 118, S. 91 silbe 692, S. 146
Repressalien 252, 253 . -s, Adverbsufflx 752, 763
Reptil, die Reptilien oder Reptile ? 288 Sack, drei Sack oder Säcke ? 244, 248
Rest, die Reste, Resten oder Rester ? 272 sagen, etwas über jemanden oder etwas s.
resultieren aus etwas S. 494 S. 449
Rhinozeros, des Rhinozeros oder Rhino¬ jemandem oder zu jemandem etwas
zerosses ? 280 s. 905, 957
Rhythmus, die Rhythmen 289 sah, sähe (sehen) S. 92
'•rieh, Substantivsufftx 721 -sal, Substantivsufftx 701
richten, etwas an jemanden r. S. 449 Salbei, der oder die ? 202, 321
rieb (reiben) S. 91 -sam, Adjektivsufflx 712, 731, 732
riechen S. 91 Samen oder Same ? 261
- nach etwas S. 494 Sämereien 252, 253
rief (rufen) S. 91 samt, Präp. mit Dativ 578
riet (raten) S. 91 sämtlich 513
riete oder raten würde ? 126,1115 Deklination des folgenden Adjektivs
Rigi, des Rigi oder Rigis ? 306 345, 365
Rinderbraten oder Rindsbraten ? 644 sandte (senden) S. 92
ringen S. 91 sandte oder sendete ? 152
- um jemanden oder etwas S. 494 sang, sänge (singen) S. 92
rinnen S. 91 sank, sänke (sinken) S. 92
Risiko, die Risiken oder Risikos ? 288 sann, sänne (sinnen) 3. 93
riß (reißen) S. 91 sänne oder sönne ? 115
ritt (reiten) S. 90 saß, säße (sitzen) S. 93
Ritze, die / Ritz; der S. 153 satt, eine Sache s. haben oder sein ? 933
roch (riechen) S. 91 einer Sache oder von einer Sache s.
rodeln, ich bin oder habe gerodelt ? 92 sein 933
Register für Zweifelsfragen 657
Schmer, der oder, das ? 202 schuldig, jemandem etwas sch. sein 933
schmerzen, die Füße sch. mir oder schund, schünde (schinden) S. 91
mich?881, 882 schünde oder schinden würde ? 126,1115
schmerzlich, etwas ist mir oder für mich Schürze, die /Schurz, der S. 153
sch. 935, 936 Schuß, drei Schuß 244
schmilz!, schmilzt S. 92 schützen, jemanden oder etwas vor je¬
schmiß (schmeißen) S. 92 mandem oder, etwas sch. S. 449
schmolz, schmölze (schmelzen) S. 92 schwamm, schwämme (schwimmen)
schnauben S. 92 S. 92
schneiden S. 92 schwämme oder schwömme ? 115
ich habe mich oder mir in den Finger schwand, schwände (schwinden) S. 92
geschnitten ? 927 schwände oder schwinden würde ?
Schnippei 252, 253 126,1115
-, der öder das ? 202 schwang, schwänge (schwingen) S. 92
Schnipsel 252, 253 schwärmen von jemandem oder etwas
der oder das ? 202 S. 494
schnitt (schneiden) S. 92 schwarz auf weiß 370
schnob, schnöbe (schnauben) S. 92 schweifwedeln, schweifwedelte 665
Schnur, die Schnüre oder Schnuren ? 269 schweigen ß. 92
schob, schöbe (schieben) S. 91 Schweinebraten oder Schweinsbraten ? 64
Schock, die Schocks oder Schocke ? 283 schwellen S. 92
Schokoladefabrik oder Schokoladen¬ schwieg (schweigen) S. 92
fabrik? 646 schwill 1, schwillt (schwellen) S. 92
scholl, schölle (schallen) S. 91 schwimmen S. 92
schölte (schelten) S. 91 schwindeln, mir oder mich schwindelt;
schor, schöre (scheren) S. 91 aber: mir schwindelt der Kopf 967
Schorlemorle, die oder das ? 202 schwinden S. 92
schoß, schösse (schießen) S. 91 schwingen S. 92
Schraffen 252 schwoll, schwölle (schwellen) S. 92
schrak, schräke (schrecken) S. 92 schwömme (schwimmen) S. 92
Schreck / Schrecken 261 - oder schwämme? 115
schrecken S. 92 schwor (schwören) S. 92
schreibenS. 92 schwören S. 92
-, etwas an jemanden sch. S. 449 - auf jemanden oder etwas S. 494
-, jemandem etwas 905 schwur, schwüre (schwören) S. 92
-, jemandem oder an jemanden -se (= -sis), geschlechtsbestimmende
sch. 890, 957 Wortendung S. 148
- über, gegen jemanden oder etwas, von -se, geschlechtsbestimmendes Suffix 725
jemandem oder etwas S. 494 See, Deklinationstabelle S. 173
schreien S. 92 See, der / See, die 203
schreiten S. 92 Segel, Deklinationstabelle S. 172
schrick I, schrickt (schrecken) S. 92 segeln, ich bin oder habe gesegelt ? 92
schrie (schreien) S. 92 sehen S. 92
schrieb (schreiben S. 92 -, mit a. c. i. 165, 922
schritt (schreiten) S. 92 -, eine Aufgabe, Verlockung in einer
Schritt, drei Schritt 244 Sache s. S. 449
schuf, schüfe (schaffen) S. 91 - (= achten) auf jemanden oder etwas
schuld sein 329 S. 494
schulden, jemandem etwas sch. 905 sehnen, sich s. nach jemandem oder etwas
schuldig, einer Sache oder an S. 494
einer Sache sch. sein 933 sehr - mehr - am meisten 553
Wortregister und Register für Zweifelsfragen 659
Treber 252 Ü
treffen S. 93
treiben S. 93 über, Pr&p. mit Dativ und Akkusativ
jemanden zu etwas t. S. 449 580, 581
Trester 252 vor Zahlen 660
treten S. 93 - + Grundstufe eines Adjektivs
-, ich bin oder habe getreten ? 92 [übergroß] 400
er tritt mir oder mich auf den Fuß ? überanstrengen, überanstrengt 668
927 überdies 593
treu, sie ist mir treu 928 überdrüssig, einer Sache oder eine Sache
Tribun, die Tribunen oder Tribüne ? 279 ü. sein 933
-, des Tribuns oder Tribunen ? 279 überführen, überführt oder übergeführt ?
trieb (treiben) S. 93 163, 668
triefen S. 94 jemanden einer Sache ü. 907
triff 1, trifft (treffen) S. 93 übergeben, jemandem etwas ü. 905
Trikot, das oder der ? 202 überlassen, jemandem etwas ü. 905
trinken S. 94 überlaufen', überl&uft und läuft über
- auf jemanden oder etwas S. 494 668, 672
tritt!, tritt (treten) S. 93 überlegen an 936
Triumvir, des Triumvirn oder Triumvirs ? überm (über dem) 236
279 übern (über den) 236
troff, tröffe (triefen) S. 94 überreden, jemanden zu etwas ü. S. 449
trog, tröge (trügen) S. 94 übers (über das) 236
trommelpolieren 677 überschütten, jemanden oder etwas mit
Tropen 252 etwas ü. S. 449
Tropf /Tropfen 261 übersetzen, übersetzt und setzt über 668
trotz, Präp. mit Genitiv 577, S. 307 übersiedeln, übersiedelt und siedelt Übei
trotzdem 599 608
-, als unterordnende Konjunktion übertreffen, jemanden in oder an einer
599, 601, 605, 1087 Sache ü. S. 449
trotzen, jemandem 1.1021 überzeugen, sich von etwas ü. 957
Trübsal, Deklinationstabelle S. 172 -, sich eines Bessern ü. 957
Truchseß, des Truchsesses oder Truch¬ Uhrzeit, mit Kardinalzahl 535
sessen ? 258 Uhu, Deklinationstabelle S, 1.72
trug, trüge (tragen) S. 93 -um, geschlechtsbestimmende Wort¬
trügen S. 94 endung S. 148
Trümmer 252, 253, um, Präp. mit Akkusativ 679
- oder Trümmern ? 276 um [die], vor Zahlen 560
Trupp, der/Trüppe, die S. 154 um so, Konjunktion 598
tüchtig in 936 um - willen, Präp. mit Genitiv 577
-tum, geschlechtsbestimmende Ablei¬ um zu -I- Infinitiv 1041
tungssilbe 710, 714, S. 148 umgehen mit jemandem oder etwas S. 494
tun 154, S. 94 -, umgeht und geht um 668
-, mit Infinitiv 1041 umgekehrt als 878
-, etwas in jemandes Namen t. 58) umher oder herum ? 566
Tunichtgut, die Tunichtgute 274 ums (um das) 236 .
Tüpfel, der oder das ? 202 Umtriebe 262
Tür oder Türe ? 261 un-, Präfix 765-769
Typ, der/Type, die S. 154 unaussprechbar oder unaussprechlich ? 731
Typus, Plur.: die Typen 289 unbeschadet, Präp. mit Genitiv 577
-.Stellung 1244
Wortregister und Register für Zweifelsfragen 663
verheißen, jemandem etwas v. 905 vertrauen auf jemanden oder etwas S. 495
verhelfen, jemandem zu etwas v. 923 . Vertrauen auf oder in ? 575
Verkauf von oder in ? 575 verurteilen, jemanden zu etwas v. S. 449
verkaufen, etwas an jemanden v. S. 449 verwandeln, sich v. in jemanden oder
verknüpfen, etwas mit etwas v. S. 449 etwas S. 496
verkünden, jemandem etwas v. 905 verwandt, das ist seiner Auffassung
verlangen, es verlangt mich nach etwas v. 928
und mich verlangt nach etwas 846, S.449 - mit 936
- nach jemandem oder etwas 890, S. 494 Verwandter, Deklination 369
verlassen, sich v. auf jemanden oder etwas verweigern, jemandem etwas v. 906
S. 494 verweisen, jemanden auf eine Sache oder
verlegen, sich v. auf eine Sache S. 495 an jemanden v. S. 450
verleiten, jemanden zu etwas v. S. 449 verwenden, jemanden oder etwas zü etwas
verliebt in 936 v. S. 450
verlieren S. 94 -, Mühe, Zeit, Energie auf eine
verlobt mit 936 Sache v. S. 450
verlocken, jemanden zu etwas v. S. 449 verzeihen, jemandem etwas v. 905, 1021
verlor, verlöre, verloren (verlieren) S. 94 verzichten auf jemanden oder etwas S. 496
verlustig, einer Sache v. gehen 932 via 583
vermittels [t], Präp. mit Genitiv viel 514-518
577, 323, S. 307, S. 315 -, Deklination des folgenden Adjektivs
vermöge, Präp. mit Genitiv,577 347, 365
verpacken, etwas in dem ode* in den viel - mehr - meist 405
Koffer v. ? 680 vielerlei, was 1067
verpflichten, jemanden zu etwas v. S. 449 vieles, was 1067
verraten, jemanden oder etwas an jeman¬ vielmals 642
den v. S. 449 vielmehr, Konjunktion 695
versagen, jemandem etwas v. 905 Viktualien 252
-, sich jemandem v. 1021 Vitamin, des Vitamins 321
Versäumnis, das oder die ? 202 , voll Sorgen oder voller Sorgen ? 357
verschaffen, jemandem etwas v. 905 voll, einer Sache oder von einer Sache v.
verschwinden, im Gebüsch oder ins Ge¬ sein 933, 936
büsch v. ? 580 voll- in zusammengesetzten Verben 664,676
versehen, jemanden mit etwas v. S. 449 Volt, des Volt oder Volts ? 291
versichern,ich versichere Ihnen, daß... 957 vom (von dem) 236
-, jemanden einer Sache oder jemandem von, Präp. mit Dativ 578, S. 312
etwas v. 907 von - wegen, Präp. mit Genitiv 577
versprechen, jemandem etwas v. 905 vor, Präp. mit Dativ und Akkus. 580, 581,
Verständnis von seiten oder durch ? 675 S. 312
verstauen, etwas in der oder in die Tasche vorausgesetzt, daß 1084
v. ? 580 vorbehaltlich, Präp. mit Genitiv 577
verstecken, etwas hinter dem oder den Vorfahr, des Vorfahren 320
Baum v. ? 580 Vorfahren 252, 263
verstehen, sich v. auf jemanden oder vorlesen, jemandem etwas v. 905
etwas S. 495 vorm (vor dem) 236
verstoßen gegen etwas S. 495 vorrechnen, jemandem etwas v. 906
verteilen, etwas an jemanden v. S. 449 vors (vor das) 236
vertieft sein in eine Sache 580 vorsehen, jemanden zu oder für etwas v.
Vertikale, Deklination 368 S. 450
vertrauen, jemandem oder auf jemanden vortragen, jemandem etwas v. 905
v. 890 vorwerfen, jemandem etwas v. 905
Wortregister und Register für Zweifelsfragen 665
zuungunsten, Präp. mit Genitiv 577,8.309 zwei, zu zweien oder zu zweit ? 529
Zuversicht auf oder in ? 575 zweifach oder zwiefach ? 541
zuvorkommen, jemandem z. 1021 zweifach oder doppelt ? 541
zuwenden, jemandem etwas z. 905 zweifeln an jemandem oder etwas S. 495
zuwerfen, jemandem etwas z. 905 Zweitel 538
zuwider, Präp. mit Dativ 578 zweitens 537, 593
-, Stellung 1244 zwicken, er hat mich oder mir in den
zuwider, jemandem z. sein 928 . Arm gezwickt ? 927
zuzüglich, Präp. mit Genitiv 677 , Zwieback, die Zwiebacke oder Zwiebäcke ?
zwang, zwänge (zwingen) S. 94 268
zwar - aber ([jejdoch, allein) 599, 604 Zwillinge 252, 253
zwecks, Präp. mit Genitiv 577, S. 315 zwingen S. 94
zwei, Deklination im Genitiv 528 -, jemanden zu etwas z. S. 450
-, Deklination des folgenden Adjektiva zwischen, Präp. mit Dativ und Akkusativ
335 580, 581
Sachregister
Die Zahlen verweisen auf die entsprechenden Kennziffern am Rande der Seiten.
Zahlen, die sich auf die Hauptstellen beziehen, sind halbfett gesetzt.
A Ableitungssilben, geschlechtsbestimmende
195
Abast vgl. Spannbogen absoluter Nominativ 1002
Abkürzungen absolute Tempora 77-102
Deklination 312, a Abspaltung, vgl. Spannbogen
Geschlecht 192 Abstrakta 176
Plural 274, 5; 312, a Genus 180
Wortbildung 795 Numerus 242
Ablaut Wortbildung 689-716
bei starken Verben 70 Abstrichmethode 869-864
in der Wortbildung 085, 690, 727, 738 Achsenstellung der Personalform des
Ableitung (Wortbildung) 684-763 Verbs 1209
Ablautbildungen 690f. a. c. i. vgl. Akkusativ + Infinitiv
aus Adjektiven 703-723, 726, 729-734, a. c. i.-Verben 165, 922
737, 742, 749, 752 f. Additionswort 625 f.
aus Eigennamen 730 Adjektiv 42, 325-413
aus Interjektionen 606, 737 Deklination 330-372
aus Personenbezeichnungen 730 als Gleichsetzungsglied 371 f.
aus Pronomen 726, 737 Arten der Deklination 331
aus Substantiven 703-723, 737,740f.,749 schwache Deklination 331
aus zusammengesetzten Substantiven starke Deklination 331
741 Ausnahmen, Schwankungen und
aus Verben 689-702, 726, 737, 743 andere Schwierigkeiten 333-362
aus zusammengesetzten Verben 690, flexionslose Formen 355-362
693, 695, 719 im starken Gen. Singular 333
aus Wortgruppen 651, 756-763 in der Apposition 352
Bildungsmittel 685-687 in Verbindung mit verschiedenen
des Adjektivs 726-736 Pronomen 351
der Partikel 749-755 mehrerer attributiver Adj. 363 f.
des Substantivs 689-725 nach Demonstrativ- u. Relativprono¬
des Verbs 737-748 men 350
Leistung 688 nach Pronominaladjektiven 336-349
Suffixbildungen vgl. Suffixe nach „zwei" und „drei" 335
vgl. auch Präflxbildungen Grundleistung 326-327
670 Sachregister
B D
Umlaut
durch Suffixe 687, 725, 728 f., 739, 744
im Plural der Substantive 266-270 Varianten
in den Vergleichsformen freie 12
des Adjektivs 376 f., 386 stellungsbedingte 11
des Adverbs 553 Velare 26
Umstandsangabe 1029-1033 Verb 40, 63-170
vgl. freie Umstandsangabe Aktionsarten 64-67
und Umstandsergänzung Grad, Intensität eines Geschehens
Umstandsergänzung 896-904, 66
1029-1033 Wiederholung eines Geschehens 65
Abgrenzung vom Präpositionalobjekt zeitliche Verlaufsweise 64
1027 f. zusätzliche Wörter zur Kenn¬
Arten zeichnung 67
Artergänzung 901-903 Bedeutungsgruppen 54-56
Begründungsergänzung 904 Tätigkeitsverben 56
Baum- und Zeitergänzung 897-900 Vorgangsverben 55
Stellung 1226 Zustandsverben 54
Umstandsergänzung, modifizierende vgl. Einteilung
modifizierende Umstandsergänzung Hilfsverben 63
Umstandssatz 1075-1088,1094,1145-1152 intransitive Verben 67 f.
Konjunktionalsatz 1075-1088 modifizierende Verben 63
Kausalsatz 1083-1088 reflexive Verben 59-62
Finalsatz 1086 echte reflexive Verben 69 f.
Aussageweise 1149 unechte reflexive Verben 61 f.
Instrumentalsatz 1088 transitive Verben 67 f.
Aussageweise 1152 Vollverben 63
Konditionalsatz 1084 Konjugation vgl. dort
Aussageweise 1150 Bektion
Konsekutivsatz 1085 mit a. c. i. (Zusammenstellung) 922
Aussageweise 1148 mit Akkusativ und Präpositional¬
Konzessivsatz 1087 objekt (Zusammenstellung) 909
Aussageweise 1151 mit Dativobjekt (Zusammenstellung)
reiner Kausalsatz 1083 1021
Aussageweise 1147 mit Genitivobjekt (Zusammenstel¬
Modalsatz 1079-1082 lung) 1023
Aussageweise 1146 mit Gleichsetzungsakkusativ (Zusam¬
Proportionalsatz 1082 menstellung) 919
Aussageweise 1146 mit Gleichsetzungsnominativ (Zu¬
Vergleichssatz 1080 f. sammenstellung) 1015
Aussageweise 1146 mit Präpositionalobjekt (Zusammen¬
Temporalsatz 1076-1078 stellung) 1025
Aussageweise 1145 schwankende Bektion 956 f.
ohne Einleitewort 1093 Zusammenstellung 957
unpersönliche Verben 843-845 Stellung im Satz 858,1209-1220
unpersönlich gebrauchte Verben 846 Wortbildung
unpersönliche Wendungen 843 f., 847-851 Ableitung 737-748
unpersönliches Passiv vgl. Konjugation Präflxbildungen 772-784
V erhaltensrichtung Zusammensetzung 664-677
unregelmäßige Verben vgl. Konjugation feste Zusammensetzung 664-666
untergeordneter Satz vgl. Gliedsatz unfeste Zusammensetzung 667-677
688 Sachregister
Dual (lat. duo = zwei) = Substantiv- oder final (lat. flnis = Zweck) = den Zweck,
Pronomenform, die zwei Personen oder die Absicht bestimmend
Dinge benennt Finalsatz = Umstandssatz der Absicht
dubitatlv (lat. dubitare = zweifeln) = finite Formen (lat. finitus = bestimmt) =
einen Zweifel ausdrückend Personalformen
durativ (lat. durare = dauern) = Aktions¬ flektieren (lat. fledere = krümmen, bie¬
art des Verbs, die die Dauer eines Seins gen) = beugen (Oberbegriff für dekli¬
oder Geschehens ausdrückt (svw. imper¬ nieren und konjugieren)
fektiv) Flexion (lat. flexio = Krümmung, Bie¬
gung) = Beugung (Oberbegriff für De¬
E klination und Konjugation)
Fragefürwort vgl. Interrogativpronomen
Effektiv (lat. effieere = hervorbringen) = Fragesatz vgl. Interrogativsatz
Verb des Verwandelns frlkativ (lat. frieare = reiben) durch Rei¬
Eigenschaftswort vgl. Adjektiv bung hervorgebrachtfer Laut]
Einzahl vgl. Singular Fürwort vgl. Pronomen
Elativ (lat. elatum = das Empor-, Heraus¬ Futur (lat. futurum = Zukunft):
gehobene, Erhabene) = absoluter 1. Futur = 1. Zukunft, unvollendete
Superlativ (ohne Vergleich) Zukunft; 2. Futur oder Futurum ex
Ellipse (griech. äleipsü = das Ausbleiben, actum = 2. Zukunft, vollendete Zu¬
der Mangel) = Auslassungssatz] kunft V orzukunft
Empfindungswort vgl. Interjektion
Ergänzung vgl. Objekt G
Ergänzung im 1. Fall oder Werfall vgl. gegenständliches Substantiv vgl. Konkre¬
Gleichsetzungsnominativ tum
Ergänzung im 2. Fall oder Wesfall vgl. Gegenwart vgl. Präsens
Genitivobjekt Genitiv (lat. genitivus = angeboren, ur¬
Ergänzung im 3. Fall oder Wemfall vgl. sprünglich) = Wesfall, 2. Fall
Dativobjekt Genitivobjekt = Ergänzung im 2. Fall,
Ergänzung im 4. Fall oder Wenfall vgl. Ergänzung im Wesfall
Akkusativobjekt Genus (griech. gtnos = Geschlecht) =
Etymologie (griech. äymos = wahr) = grammatisches Geschlecht
Lehre von der Herkunft und Ableitung Genus verbi (lat. = Art des Verbs) vgl.
der Wörter Verhaltensrichtung
Euphemismus (griech. euphemia = Spre¬ Gerundiv[um] (lat. gerundivus = zu voll¬
chen guter Worte) = beschönigendes ziehend, auszuführend) =- futurisches
Wort, Hüllwort Partizip des Passivs
exzeptlv (lat. exceptus = ausgenommen) = Geschlecht vgl. Genus
ausschließend Geschlechtswort vgl. Artikel
Gleichsetzungsakkusativ = Gleichset¬
F zungsglied neben einem Akkusativob¬
jekt
Faktltiv (lat. factitare = bewirken) = be¬ Gleichsetzungsnominativ = Ergänzung
wirkendes Verb im Nominativ
Fall vgl. Kasus Gleichsetzungssatz = Satz, in dem das
1. Fall vgl. Nominativ Subjekt mit der Ergänzung im NomL
2. Fall vgl. Genitiv nativ gleichgesetzt wird; früher auch
3. Fall vgl. Dativ Prädikativsatz genannt
4. Fall vgl. Akkusativ Gliedsatz = Satzglied in Gestalt eines ab¬
Femininum (lat. femininus = weiblich) = hängigen vollständigen Satzes, häufig
weibliches Substantiv auch Nebensatz genannt
694 Verzeichnis der Fachausdrücke
von Susanne Ehmcke mit ca. 800 Begriffen und einem "Wörter¬
Heft 1
Heft 2
EMPFEHLUNGEN DES
ARBEITSKREISES FÜR RECHTSCHREIBREGELUNG
DUDEN
STILWÖRTERBUCH
DER DEUTSCHEN SPRACHE
(Der Große Duden Band 2)
Vierte Auflage, neu bearbeitet von
PAUL GREBE und GERHART STREITBERG
mit der Fachschriftleitung de9 Bibliographischen Instituts.
Mit einer Einleitung über guten deutschen Stil von
LUDWIG REINERS
780 Seiten. In Ganzleinen 12,60 DM, in Kunststoff band 13,80 DM,
in Halbleder 18,— DM
„Das Stüwörterbuch ist eine ausgezeichnete Ergänzung zum Recht¬
schreibungs-Duden: Läßt sich aus diesem ersehen, wie das einzelne
Wort richtig geschrieben wird, so zeigt jenes an einer Fülle von Bei¬
spielen und Redewendungen, wie die verschiedenen Wörter richtig
und treffend im Satzzusammenhang gebraucht werden. Zugleich
erfährt man, ob ein Ausdruck Hochsprache ist oder Papierdeutsch
oder ob er der Umgangssprache angehört, eine Entscheidung, die man
angesichts der zunehmenden sprachlichen Verwirrungen und Ver¬
irrungen dankbar begrüßt. Wer an den Klippen des Sprachmeeres zu
scheitern droht, der greife nach diesem Buche. Er wird nicht ent¬
täuscht sein.4* Der Tagesspiegel, Berlin
Zu beziehen durch jede Buchhandlung