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https://archive.org/details/schopenhauersundOOhusz
Schopenhauers unfc ttiefcfcl?es

peffitmsmus*

3arftetttttt0 trnb Uvitlt,

Don

Dr. <Bu\tav EfäufoUv,


(DUmiin in iübed.

Jttebrtdf Jranj Ctfr. JTCüUer Perlag.


d?opcnliaucvs xuxb Bie%fd?e

peffimismus.

2>arfteKuttö unb Kritik

Don

Dr. (Suftav SfäufoUt,


(Dberlefyrer in Cübecf,

3allc «.5.
§ermanr
Dora>ort

2lus Dorträgen, 6ie 6er Perf affer in 6er in ifyrer 2lrt ein$igen

Pereinigung, 6er „(Befellfcfyaft 5ur Beför6erung gemeinnütziger Cätigfeit"


in Cübecf un6 aud} nod) an an6erer Stätte galten 6urfte, ift 6ie vor*

liegen6e 2lrbeit erftan6en. Der Beifall, 6en feine Ausführungen üor


fritifeben £)fyren fan6en, gab ifym 6en IHut, fte 5U einer (Einheit $ufarnmen*

^uf äffen un6 $u peröffentltcfyen , um fo meb)r, als er uerfucfyt fyat, aus


6en gefamten XDerfen bei6er Pfyilofopfyen 6en Hac^meis ib/rer peffimifti-

fcfyen ZDeltanfdjauung , 6ie für Icic^fcfye nicr^t allgemein anerfannt tr>ir6,

5U geben.

THöcbte 6em Büchlein eine äfynlicbe freun6lid?e Aufnahme ^uteil

n?er6en, tt>ie 6en über 6as gleiche Cfyema gehaltenen Porträgen!

Cübecf, IDeifynacfyten ^909.

<5* ZfätifoUv.
©ette

I. Einleitung 7

II. 2)er ^efftmiSmuS ©djopentyauerS 8—16


III. SDer ^effimiSmuS 9Zietfd?e§ 17—35
IV. Äritifc^e« yiatytvoxt 35—39
£iteratm\

1. Sdjopcu tjauers Werfe. ((5rifebad?) 2\eclam. 6 Bb.


2. ZTtet3fd?cs JDerfe. (Sefanttausgabe. £. (5. XTcmmann*
3. p au Ifen; Sdjopentjauer, fjamlet, ITTepr}i(topr}eles.
4. Hier?l, (EinleUungi in bie pr;tIofopr|ie.

5. Külpe, Die ptnlofoplne ber (Segenmart in Deutfdjlanb.


6. Übern>eg = £jein3e, <Sefd?id?ie ber prjtlofoplu'e*
7. ^alcfenberg, <8efd>id?te ber neuem ptnlofopfyie*
8. £ Buffe, Die JX>eltanfd?auung ber gro§en prfilofopfyen ber He^ett.
9. Wilhelm JDunbt, (Einleitung in bie pt]tlofopr;te,

10. XVinbelbanb Die ptnlofopbie im Beginn bes 20» 3arfrr?uuberts.


,

11. Vax Ringer, ttie^fdje als prjtlofopr;.


12. Kid^arb VTL ttteyer, ^rtebrid? Hie^fd]e ((Seftalten uub Probleme)«
13. (Ifyamberlain, &id?arb IPagner.
14. f^orneffer, Htetjfdje als IHoraltft unb Sdn'tftfteller.

15. Dietenberger, ^frtebrid) riict)fcbe.

16. Dr. (E. IDitte, Der Übermcnfdj Ttie^fcbes unb bie tragifdjen gelben Srjafefpeares,
I.

gtt jtoet ?Reit)en belegen fid) in ber §auptfad)e in ber ^ilofop^ie bie

Antworten, bie auf bie grage nach bem SBerte beS SDafeinS gegeben Horben
finb. Optimismus unb ^ßeffimiSmuS finb bie beiben Schlagwörter, bie unS
bie ^hitofophie prägte, um bie üon ben $)enfern gegebenen $lntmorten ju
gruppieren, ju charafterifieren. 2Bie ber Optimismus fid) mit ben ©rfahrungS*
tatfadjen auSeinanber[ej3t unb geigt, baß in biefer SGSelt bie Summe ber greuben
größer ift als bie ber Seiben, unb tro| ber unleugbaren Unöollfommen^eiten
biefe 5Belt bod) bie befte aller möglichen SBelten fei, öerfucfjt ber ^effimiSmuS
nachzureifen, mie ma^r 5lntigone im Sopfjofteifchen 3)rama fpridjt, menn
fie als baS 93efte betrachtet, nie geboren §u fein. „$ftuf)en für immer, baS
ift ein Siel, aufS inbrünftigfte §u münfchen." Optimismus unb ^ßeffimiS*
muS — ein ®egenfa£, ber mohl feinen fdjärfften 2luSbrud in bem SBorte

beS größten ^effimiften, in Schopenhauer finbet, ber jenen „eine mahrhaft


rud)lofe 2)enfungSart" nannte. £)ie ^Beweisführung biefeS ^ilofop^en, Wie
bie aud) feines großen (Stüters 9^ie|fc^e, wie fie fie mit ber erteucfjtenben
$raft beS 9luSbrudS, ber Spannung unb bem 9fteid)tum ber Silber ihren
unb unferen (Generationen bieten, hat ihre ^^itofop^ie ju einer „^^itofop^ie

beS SobeS" tjerabgebrüdt, befonberS für bie fritiflofe Sugenb, ber fie nimmt,
WaS baS Seben glüdlidj macht. $)urd) ihre ©ebanfengänge wirb unfere
gugenb ju Sd)lüffen geführt, burd) bie nad) einem befannten SBorte SöpronS
trie „Hoffnung auf Unfterbticfyfeit Wiberlegt wirb burd) ben nacften Schöbet
im Sanbe, in bem ber Söurm felbft §u niften oerfcfimäht." ®aum mirb eS
ihr gelingen, ficf> ber „$)onnerftimme beS ewigen üftein", bie gebieterifch alle

SStnfel beS SeinS, ber $erfon burdjtönt, §u entgier)en. &em in „angeborner,


gottgefd)affner 9ftajeftät" fidj betätigenben 3<f) Weiß biefeS „ewige 9?ein" nid>tS
anbereS §u fagen, als baß baS 3d) oaterloS, öerftoßen ift, baß it>m, bem „Stein,
bem Satan" baS Söeftaß gehört. Selten mirb fid) ber Unerfahrene auf*
fdjwingen fönnen gu ber herrlichen Stunbe, bie XfyomaZ (Sartple als bie

feiner geiftigen Söiebergeburt , als feine Feuertaufe feierte, in ber er anfing


ein attenfd), ein Sftann ju fein. 3h m Gelang eS, t>om „deiche ber Ver-
neinung" fid) toSsuwinben, baS in Schopenhauers Wie auch in 9liefefcheS
^ß^ilofop^te unferer 3fagenb aufgebrängt wirb.
— 8 —
II.

„£ie 233elt ift fo eingerichtet", fefen mir bei Schopenhauer, „ruie üe


fein müßte, um mit genauer 9?ot beftefjcn gu fönnen, märe fie nod) ein memo,
fcf)lcd)ter, fo fönnte fie fdjon nidjt beftehen." — „5lHe3 Streben entfpringt
au§ Langel, au3 Ungufrieben^eit mit feinem guftanbe, ift alfo Reiben, fo«
lange t§> nid)t befriebigt ift. ®eine Vefriebigung aber ift bauernb, oielmeljr
ift fie ftetg nur ber SlnfangSpunft eine§ neuen (Strebend, £a3 Streben feben
mir überaß oielfad) gehemmt, überall fämpfenb, folange alfo immer al§ fieiben.

®ein le£te3 3icl be§ Strebend — alfo fein 9#aß unb 3iel be3 ßeibenl."
„3m unenblidjen 9*aume unb unenblidjcr 3^it finbet ba§ menfdjliche 3nbt=
öibuum fid) al3 cnblidje, folglich al§ eine gegen jene öcrfcfjminbcnbe (Mroße,
in fie hineingemorfen unb
megen ihrer Unbegrengt^eit immer nur ein
I)at,

relatioe3, nie einSSann unb 28o feinet £afein§: benn fein Ort
abfofutcS
unb feine $>auer finb enbtidje Seile eine3 Unenblidjen unb ©rengenlofcn."
„2)e3 9ttenfcf)en eigentliche^ ^afein ift nur in ber ®egenmart, beren un-
gehemmte flucht in bie Vergangenheit ein fteter Übergang in ben £ob, ein
fteteä Sterben ift." —
„$)ie ©egenmart aber mirb unter feinen £)änben gur

Vergangenheit: bie Suhmft ift gan§ ungemiß unb immer furg. So ift fein

£)afein fctjon t>on ber formellen Seite betrachtet, ein fteteS ^inftür^en ber

©egenmart in bie tote Vergangenheit, ein fteteä Sterben." „2Bte befanntlict)


unfer @ehen nur ein ftete£ gehemmte^ fallen ift, ift ba§ Seben unfereä £eibe3
nur ein fortbauernb immer aufgehobener $ob."
gehemmte^ Sterben, ein
„&ie ^egfamfeit unfereä ®eifte£ ift eine fortbauernb jurücf gehobene Sange-
metle. 3eber 9ltemjug mel)rt ben beftänbig einbringenben £ob ab, mit bem
mir auf biefe SSeife in jeber Sefunbe fämpfen. — $uk%t muß er fiegen:

benn ihm finb mir burd) bie (Geburt anheimgefallen, unb er fpielt nur eine
SSeile mit feiner Veute, beüor er fie oerfdjlingt." 3)a3 ßeben felbft ift ein

®ampf, mit ber ®emißheit xljn jute^t gu öerlteren." „$a3 Seben ift ein
9Jceer ootter flippen unb Strubel." „ Me
s
Vefriebigung ober ma3 man
,

gemeinhin ®lüd nennt, ift eigentlich unb mefentlid) immer nur negatio unb
burd)au3 nie pofitio", „aße£ ®lüd ift Süufion." „Xaljer fommt e£, baß
mir ber ®üter unb Vorteile, bie mir mirflich befifcen, garnicht inne merben,

noch fie fd)ä£en." „@rft nachbem mir fie Oerloren haben, mirb unS il)r 2öert

fühlbar." „$)aher freut un3 auch Erinnerung überftanbener 9*ot, ®ranf-


heit, Langel unb bergleichen, meil folche ba3 einzige Littel ift, bie gegen-

märtigen ©üter §u genießen."


ßeben ift Seiben. 2)iefe SSelt mit il)rer größeren Cual ift bie fdjledjtefte,

bie mar, eine (£rfenntni3, bie mie Schopenhauer bemeift, bie ent-
möglid)
festigten dualen unb Schmergen beftätigen, bie in un3 ©raufen ermerfen
mürben, moßte er fie alle un3 oor klugen bringen. £er oerftodtefte Optimift
— 9 —
mufj bei bem (Stenb
erfdiauern ba§ fid) ihm in ben ®ranfen!jofpitctlem,
,

Sagaretten unb djirurgifchen äftarterfammern Bietet. (Sin ®ang burd) bte


©efängniffe, golterfammern unb Sflaoenftälle, über <Sd)Iac^tf elber unb ©e*
richt^ftätten burdj bte finftern 93ef)aufungen be£ @tenb£, ba§ fid) üor ben
,

SBtiden fatter Neugier üerfriecht, eine Söanberung in ben .Jmngerturm be§


Ugotino tonnen Bereifen, felbft menn man ben 93lid auf3 SBScttgangc rieten

mürbe, bag bie (Summe ber Seiben größer ift, al§> bie (Summe ber greuben.
2lü*erbing§ eine £atfacf)e, ber fid) entgegen Seibnig auch ®ant nicf)t Der«

fcf)Ioffen, ber ©oetfje in ber ®lage feinet „Rauft" flafftfdjen 2lu3brud Oer*
liefen ^at. „SBoher benn anber§ §at 3) ante ben (Stoff gu feiner §ölle
genommen, al§ au£ biefer unferer mirfttcfjen Sßelt? Unb bod) ift e3 eine recfjt

orbentlid)e §öEe geworben, hingegen alg er an bie Aufgabe fam, ben


Gimmel unb feine greuben gu fdjübern, ba §atte er eine unüBerminbltcfie

«Schmierigfeit oor fidj, meil eBen unfere SBelt gar feine SJiaterialien gu fo
etma3 Bietet. ®aher blieb ihm al3 ftatt ber greuben
nid)t3 meiter üBrig,

be§ $arabiefe<o, bie ihm bort üon feinem Ahnherrn, feiner


Belehrung, bie

Beatrir. unb oerfd)iebenen Zeitigen erteilt morben, un§ miebergugeben." —


@3 gibt in biefem Seben meber bauernbe Befriebigung nod) Beglüdung. 2Bie
cg in ber eBen genannten ®tage be3 gauft Reifst : „SBenn mir gum ®uten
biefer SSelt gelangen, bann heiftt ba£ Beffre £rug unb 2Bal)n", fo geigt auch
Schopenhauer, mie ba3 @lüd mof)l t>on einem (Schmerg unb fanget er*

töft, um aBer nur mieber üon einem neuen 2Bel), ber (Scfjmermut, bem teeren
(Seimen unb ber ßangenmeile gefolgt gu fein. 2Bie ift'3 mit bem treuen (Spiegel
be§ SSkfenä ber SBelt unb be3 Sebent, ber Shtnft? Sebe epifcfje ober bra*
mattfdje Dichtung fann immer nur ein fingen, (Streben, kämpfen um ©Ute!,
nie aBer ba£ bleibenbe unb öollenbete QbiM fetBft barfteüen. (Sie fül)rt ihren
gelben burch taufenb <Sd)mierigfeiten unb ©efafjren bis gum Stel fobalb e£ :

erreicht ift, lägt fie fdjneU ben Vorhang faden. £)enn e§ bliebe ihr jefct nichts
üBrig al3 gu geigen, bafj ba3 glängenbe Siel, in meinem ber §elb ba§ ©lücf
gu finben mahnte, auch tyn nur genedt hatte, unb er nach oe ff en Erreichung
nicht Beffer baran mar al3 guüor. 2Beil ein edjteS, bleibenbeä ®lüd nicht
möglich ift, fann e3 fein ©egenftanb ber ®unft fein."
„2Sa3 mir in ber $oefie fet)en, finben mir in ber Sttufif mieber, in beren
S^elobie mir ja bie allgemeine au3gebrücfte innerfte ©ef Richte be^ fich felbft
bemühten 3Bißen§, bag geheimfte Seben, (Sehnen, Seiben unb freuen, ba^
Ebben unb fluten be§ menfehlichen §ergen§ miebererfannt haben. SDie Gelobte
ift immer ein Slbmeichen üom ©runbton burch taufenb munberliche grrgäuge
big gur fchmerglichften ^iffonang, barauf ben ©runbton mieberfinbet,
fie enblitf)

ber bie S3efriebigung unb Beruhigung be3 SSiCen^ au^brüdt, mit metdjem
aber nachher nichts meiter mel)r gu machen ift unb beffen längere^ Inhalten

nur läftige unb nichtSfagenbe Monotonie märe, ber Sangenmeile entfprechenb."


— 10 -
MeS mm,
s
ftmS btefe Betrachtungen beutlid) machen fotftett, btc Urt-
crrcid)barfeit baucrnber 93efricbigung imb btc s^egattt)ttät alles OMüdeS, geigt
Sd)openf)auer am Sd)tuffe beS gmeiten $ud)eS feinet foauptmerfeS „28elt
aU SBitlc imb «orftellung." £er Sßille, mein SötUe tft me£)r als bloße «or-
ftellung, er tft baS Urfprüngliche in mir, mein Seib, feine Objeftioation.
SSitte ift ber oon innen gefchene £eib, ber £eib, ber oon außen gefehen, bet
fidjtbar geworbene SBitle. Söie nun aber unfer £eib, fo ift bie gange SBelt
bie Sid)tbarfeit beS SöitlenS. Sie 2Belt ift an ftd) SBißt. „Mbtoefenhett alles
Mieles, aller ©renjen gehört gutn SBefen beS SBillenS an fid), ber ein enblofeS
Streben ift." „3ebes erreichte £iel ift mieber Anfang einer neuen Saufbafjn
unb fo ins Unenblid)c. 2)ie ^flange erhöht ihre @rfd)einung üom ®eim burd)
Stamm unb 231att gur 93tüte unb grucfyt, meiere mieber nur Anfang eine»
neuen Reimes ift, eines neuen SnbiüibuumS, baS abermals bie alte 93afjn
burcf)läuft, unb fo burd) unenblid)e Seit. (Sbenfo ift ber ßebenSlauf beS
Bieres: Beugung ift ber QHpfel besfelben, nad) beffen (Erreichung bas
bie
£eben bes erften 3nbioibuumS fchneU ober langfam fintt, mähreub ein neues ber
Jcatur bie (Erhaltung beS SpegieS oerbürgt unb biefclbe (Srfdjeimmg mieber*
holt." „(EmigeS SBerben, enblofer gfofj gehört gur Offenbarung beS SßefenS
beS SßillenS." „3)aS ©epräge btefer (Snblofigfeit ftnben mir aud) allen Seilen
feiner gefamten (Srfdjeinung aufgebrüdt, oon ber allgemeinften gorm btefer,

ber ^eit unbbem Raunte ohne (Snbe an, bis gur üotlenbetften aller (Erfdjet*
nungen, bem Seben unb Streben bes äRenfdjen." 9argenbS alfo bauernbe
SBefriebtgung. Überall ein (Streben ohne $iel unb ohne ©nbe, ein Söollen

olme ©renken, baS ja baS a priori in ber SSidenSauffaffung Schopenhauers


tft. 3)er SBille SdjopenhauerS fann nimmer roften, nimmer rul)en. Stets
unbefriebigt, öerjeljrt er fid) in immer neuem, bod) nie gu baucrnber 53e*
friebigung füljrenbem Streben. S^bes erreichte Siel seitigt ein neue», bas
uns baS @lüd ber 93efriebigung oortäufdjt. §aben mir bas @Hüd, fo haben
mir eS fd)on ntcr)t mel)r. SBir finb bie burftigen äöanberer in ber fBüfie,
benen bie fonncnbeftraf)fte $läd)e ein erfrifd)etibeS Söaffer oortäufd)t. So
eilen mir oon ©lüd gu ©lud, Oon (Snttäufdjung gu Gnttäufd)img, bis fd)lieBlid)

ber £ob, bem Oon üomherein alles £ebenbe oerfallen ift, unferem Seiben ein
(Snbe macht.
2)aS Seben ift ein @efd)äft, baS bie Soften nicht bedt. £iefe ©rtennt*
niS bemüht Schopenhauer unS beutlidjer jum 53emuBtfein ju bringen,
ftcf)

tt)ie je ein $hiiofoph cor ihm. 2Bas bleibt bem Oon biefer Satfache erfüllten
s

SO^enfchen Vorteilhafteres, als fich eben biefeS ©efdjäfteS 3U entlebigen, baS


Seben, in baS ber arme 9)cenfd) hineingeboren ift, 5U oerabfeheuen, eS oon
ftd)su toerfen. ^)oct) toeit oerfehlt märe es, mürbe ber SRenfd), um fid)

öom Seben 5U befreien, ben Selbftmorb mahlen, ©in Selbftmörbcr hat nicht
üom Sobe Befreiung ju erhoffen. Sein Selbftmorb fann ihn ntdjt retten.
— 11 —
„9htr mit falfdjem ©d)ein lodt ihn ber finftere füf)te Drfug al3 §afen ber
9fuhe." ©ein DboloS mürbe bom £otenrid)ter jenfett^ be3 buntlen ©tromeä
nicht als üolUoichtig anerfannt toerben.
©elbftmorb tft nad) ©djopenhaner niemals Verneinung be3 Sebent.
2)er ©elbftmörber verneint nur bie einzelne ©rfdjeinung biefe3 Sebent, bie

er felBft tft. ^nbem er fid) tötet, miß er. @r mill (eben, er KriH einen

glüdticheren £raum träumen. ©r gibt fein Seben auf unb jeigt ^Bitten jum
Seben. 3m ©elbftmorbe mirb ba§ Seben am ftärfften bejaht. „2Ben bie

Saften be§ Sebent brücfen, mer §toar moljt ba§ fieben möchte unb e£ bejaht,
aber bie dualen beäfelben oerabfdjeut, unb befonberä ba£ f)arte So§, ba§
ihm gerabe zugefallen ift, nicht länger tragen mag: ein fokfjer hat nicht üom
£obe Befreiung §u ^offen unb fann fid) nid)t burd) ©elbftmorb retten."
„2)ie (Srbe mäljt ftcf) öom £age in bie Stacht; ba3 Snbiöibuum ftirbt: aber
bie ©onne felbft brennt ohne Unterlaß emigen Wittag. 2)em SBiUen §um
Seben ift ba3 Seben getotfj: bie Sorm be3 Sebent ift ©egemoart ohne (Snbe;
gleichviel mie bie gnbitnbuen, (Srfcheinungen ber 3bee, in ber Qtit entfielen
unb öergefjen, flüchtigen träumen $u ttergleidjen." ©0 erfdjemt ber ©elbft*
morb at£ eine unb barum törichte £>anblung. 2>em ©ebanten
öergebliche
(55oet^e^ au§ ben @efpräd)en mit (Sdermann, nad) bem „unfer ©eift ein
SBefen gan§ unjerftörbarer Sftatur ift, ein Sortmirfenbeso oon ©migleit ju
(Snngfeit, ba3 ber ©onne äf)ttlicf) ift, bie bloß unfern irbifdjen 5Iugen unter*

gugefyen fdjeint, bie aber eigentlich nie untergeht, fonbern unaufhörlich fort*
teudjtet", ftet)t ©chopenl)auer3 2lu3fpruch parallel: „2Bie auf ber ©rbfugel
überall oben ift, fo ift auch D* e 3orm alles Sebent ®egenmart, unb ben
£ob fürchten, meil er un3 bie ©egemoart entreißt, ift nicht meifer, al3 fürd)ten,
man fönne üon ber runben (Srbfuget, auf welcher man gtüdlichermeife nur
gerabe oben fleht, hinuntergleiten." 2)er Dbjeftioation be3 2Bitten§ ift bie
$orm ber ©egentoart mefentlid), meldte at3 au£bef)nung§lofer sJßunt"t bie nach
beiben (Seiten unenbliche Seit fdjneibet unb unüerrüdbar feftfteht, gleich einem
immermährenben Wittag ohne fühlenben 5lbenb mie bie toirfltdje ©onne ohne ;

Unterlaß brennt, mährenb fie nur fcheinbar in ben ©djoß ber 9^acf)t finft: Da-
her, menn ein Sftenfd) *>en £ob alB feine Vernichtung fürchtet, e§ nicht anber»
ift, alämenn man backte, bie ©onue fönne am 5lbenb Hagen: „Söe^e mir! ich
gehe unter in emige 9laä)t" „Qeber ift nur alz ©rfcheinung oergängüch,
hingegen aU SDing an fich gcitbS, atfo auch enbto^; aber auch nur ai^ @r-
fcheinung ift er öon ben übrigen fingen ber SBett oerfchieben, aB SDing an
fich tf* er ber SBttte, ber in allem erfcheint, unb ber £ob hebt bie Stäufdjuucj
auf, bie fein 33emu§tfeinöon bem ber Übrigen trennt: bie3 ift bie Sortbauer,
©ein ^ichtberührtmerben öom £obe, melche§ iljm nur al3 SE)ing an fich
fommt, fällt für bie ©rfcheinung mit ber Sortbauer ber übrigen Slufjentüelt
W
gufammen." „3m Veba ift bieS baburch au^gebrüdt, baß gefagt ttnrb, inbem
12

ein SDicnfcf) fterbe, merbe feine Scf)fraft cin3 mit ber Sonne, fein <%rud)
mit ber (Srbe, fein ©cfcf)mocf mit bent SBaffcr, fein Wefjör mit ber 8uft, leine
ffiebc mit bem geuer ufto. —
U)ie aud) baburd), baß, in einer beionbern

görmü<f)f cit , ber Stcrbcnbe feine Sinne unb gefamten gäfjigfeitcn einzeln
feinem Sof)ne übergibt, al§ in meinem fie nun fortleben fotten."

80 miß e§ feheinen, ai§> ob bem armfeügen ©egenmart3menfcf)en , bem


emig Söoßenben (Mttf unb 9Ruf)e Sbcalc bleiben, bie §u erreichen, attem, ma3
irbifefj ijt, niemals üergönnt fein bürfte, als ob ber ÜDcenfd) mä^renb feines
Gebens „beftänbig auf bem ^Rabe bes Sjion liegt, immer im Siebe ber da*
naiben fd)öpft, emig ber fdmtad)tenbc dantahis tft."

dringlicher mtrb bie gragc, mie fommen mir los ttom SSeltelenb, bring*
lidjer baS fyeifct Seinen nad) Sabbat^rutje. Schopenhauer führt, mo mir
nid)t mehr bas Snbimbuum finb, fonbern um mit ihm gu sprechen, „bas
eine SSeitauge." (Sr läßt uns einen 23Ud tun in bie Büße ber (Srfcheinungen,

bie uns bie reiche Schöpfung bietet. „Unb eine fcfjöne 3Xu^ficf»t tft ein ®a*
thartifon bes ®eiftes, mic bie äftufif, nach Slriftotetes, bes ©emütes." (Sin

Räuber bannt aße S3e§tcf)ung gum Sßillen. 2öir genießen bie Seügfeit bes
reinen intereffclofcn Stnfdjaucns, mir genießen bas Schöne, als beffen be*
fonberes SJcerfmal ber ^3I)iIofop^ ÜDcenbelsfohn in feinen „9Jcorgenftunben"
bas betrachten mit ruhigem SBohJgefatten ohne minbefte Regung ber 93egierbe
anerfennt. gür ®ant ift biefes äfterfmal bas „unintereffierte SöohlgefaUen",
bas fid) an bie bloße ^Infcrjauung fnüpft, für Schopenhauer „ein inter*

effetofeS ^nfdjauen." der Snteßcft, fonft ber Sftaöc bes Billens, mad)t fid)

frei üon aller Unruhe bes Söollens unb betrachtet bas Schöne gleidjfam „als
geflügelter (Sngclsfopf ohne Seib." der SJcenfd) ift hochgehoben aus feinen
inbitnbuellen Beziehungen §u ben dingen; er miß nicht mehr, er ift §eitloS

gemorben; „benn nur in ber 3cit lebt bie Begierbe." 2Bas „bas flare, ruhige
Sonnenauge" fetjaut, ift bas reine 2ßas bes dinges, nicht beffen 2öo, 2öann
ober äöarum. der „Öeitfaben bes Sa^eS üom ®runbe" ift oergeffen. SSir
werben gum reinen, millenlofen, fchmer^ofen Subjeft ber ©rfenntnis. „2öenn
äußerer Maß ober innere Stimmung", fjeifjt e£ Bei Schopenhauer, „uns
plötjlid) aus bem enblofen Strome bes ^Böllens h erau ^ eD ^ ^c ^fenntniä
bem Sflaüenbienfte bes Sillens entreißt, bie 2lufmerffamfeit nun nicht mehr
auf bie SÖcotibe beS Sillens gerichtet mirb, fonbern bie dinge frei tton ihrer

Beziehung auf ben Siüen auffaßt, alfo ohne Jjntereffe, of)nt Subjeftioität,

rein objettit) fie betrad)tet, ihnen ganj Eingegeben, fofern fie bloß $orfteßungen,
nicht fofern fie SOcotiüe finb: bann ift bie auf jenem erften Sege bes Rodens
immer gefugte, aber immer entfliehenbe 9iu^e auf einmal eingetreten, unb
ift ööHig tüohf." ift ber fchmeräenetofe guftanb, ben ©pifuro^ al» ba»
höchfte @ut unb ai§> ben guftanb ber ©ötter prie§: benn mir finb für jenen
— 13 —
Augenblicf be3 fcfjnöben SßiHenSbrcmgoä entlebigt , wir fetern bett BabbaÜj
ber Sufytyauäaxhtit bes SBiffcnS, baä Dab be3 3;rion fteht ftiH
„£)te ®unft entinbibibualifiert foWof)l ba§ Subjeft tote ba§ Objeft; il)re

tröftenbe unb beglücfenbe Söirfung beruht barauf, baß fic bem ©enießenben
$u bem über alle dual be3 23egel)ren3 erhobenen Stanbpunft einer fcften,
rul)tgen, bollfommen objeftiben Betrachtung be§ unmanbelbaren 2öefen§, ber

ewigen Sftufterbilber ber $)inge emporhebt." „2)ie ®unft, ba3 Sßerf be3
©enieS, wieberholt bie burch bie reine Kontemplation aufgefaßten ewigen
Sbeen, ba3 SBefentliche unb Bleibenbe aller (Srfc^einungen ber SBelt, unb
je nadjbem ber Stoff ift, in Welchem fie Wieberljott, ift fie bitbenbe Kunft,
^ßoefie ober 9ftufit" bem raft* unb beftanbtofen
„2Böl)renb bie SSiffenfc^aft
Strom bierfach @rünbe unb folgen nachgefjenb, bei jebem er*
gematteter
reiften ^tel immer mieber weiter getoiefen Wirb unb nie ein teljtesj Siel, nocf)
böllige Befriebigung finben fann, fo Wenig als man burch Saufen ben *ßunft
erreicht, Wo bie Sßotfeu ben §orijont berühren, fo ift bagegen bie Kunft
überall am Qiti S)enn fie reißt ba3 Objeft ihrer Kontemplation herauf aus
bem (Strome be§ 2Belttauf3 unb fjat e3 ifoliert bor fidj: unb biefe3 ©inline,
WaS in jenem (Strom ein berfdjwinbenb fleiner £etl mar, Wirb ein fRc^
präfentant be£ @an$en, ein Äquibalent be£ in Daum unb Seit unenblid)
fielen: fie MtiU bafjer bei biefem (Steinen fielen: ba3 Dab ber Seit hält
fie an: bie Delationen berfcf)Winben if)r: nur ba3 2Bef entließe, bie 3bee, ift

ihr Objeft."
Sßä^renb «Schopenhauer bem gewöhnlichen 9ftenfcf)en, biefer „ga&rifware
ber Datur" , wie fie folche täglich gu ^aufenben h^borbringt, überhaupt
bie gäljigfeit einer in jebem (Sinn bötlig unintereffierten Betrachtung ab*
fpridjt, fo betrachtet er anbererfeitS ben @eniu3, ber ja immerhin äußerft
fporabifcf) unter ben 250 Millionen auftritt, welche, fich alle breißig 3at)re

erneuernb, beftänbig in (Suropa leben, in feiner Steigerung be3 3ntellett3


über ba£ gewöhnliche äftaß fynauä, al3 eine Abnormität, fchon jum 2Baf)n=
finn biSponiert. Sn bem SJtytfjoS bon ber finftern £)öl)le fagt Pato bom
®eniu3, ber außerhalb ber §öhte ba£ wahre (Sonnenlicht unb bie Wirflief)

Sbeen gefetjaut habe, er Würbe nachmale, weil


feienben 2)inge, bie feine Augen
ber SDunfelheit entwöhnt finb, in ber §öljle nicht mehr feljen, bie Schatten*
bitber ba unten nicht mel)r recht erfennen fönnen. Unb $h°bro3 un0 Cicero,
$ope unb ©oetlje wieberholen, Wa3 ^lato bom @eniu3 fagt. Befonberä
lehrreich ift in biefer ©inficht @oetl)e3 „Torquato £affo", in bem er unS
nichtnur ba§ Seiben, ba3 wesentliche 9ttärtt)rertum be3 ®eniu3, fonbern
auch Neffen Übergang jum 2ßaf)nftnn bor bie Augen ftellt. 2)er SBaljitfimt
be3 @eniu3 ift nach Schopenhauer eine £atfadje, bie burch bie Seben^auf-
Zeichnungen großer, berühmter Männer, er nennt Douffeau, Alfieri, Bt)ron,
beftätigt Wirb.
:

14

2Bic nun in bem fcligcn 2lugcnblitf beä intcrcffelofen Wnfcrjauens ber

$>tnge ober ber äfthctifdien ^Betrachtung ber SWcnfcr) einen Vorgeicfjmatf oon
ber Bejahung bc3 Sßillenä, be3 üon feiner (Erfcntttnifl gehörten bcftänbtgcn
2SiHcn3 erhält, fo befommt er aud) einen SBorgefdjmacf üon biefer Bejahung
nac^ <5cf)opcnf)auer „bei ber SBcfrtebtgung ber SBebürfniffe, toeldje üom Xaietn
beä SeibeS in feiner ©efunbljcit unjcrtrennlich finb, fdjon in ihm it)ren 2lus=

brud haben unb ftd) jurüdfütjren (äffen auf (Srljaltung be§ gnbiüibuumä
unb gortpflangung be3 ©efd)lecht3." $afj aber in biefer ftärfften Bejahung
bc3 Sebent auch nur e^ n 9Wtttc( gegeben ift, ba§ Seben in feinem Seiben ju
oermehren, bafür fpricfjt bie mtjthifdjc Anficht „in bem $)ogma ber cf)rift(ict)en

Glaubenslehre, bafj mir alle be£ ©unbenfalleS 2lbam3 teilhaft unb burch
benfetben be3 SeibenS unb be3 £obe3 fdjulbig finb." .3enc Glaubenslehre
geht Ijtertn über bie 53etrad)tung nach bem ©afec oom Grunbe hinaus unb
erfennt bie 3>bee beS attenfdjen, bereu Einheit, au£ ihrem äerfatten in im»
§ät)lige Snbiüibuen, burch baS alle gufammenhaltenbe SBanb ber Beugung
nncberhergeftellt mirb. tiefem gufolge ficht fie jebeS gnbioibuum als
ibentifd) mit bem $lbam, bem SRepräfentanten ber Bejahung be§ Sebent, an,
unb infofern als ber @ünbe ((Srbfünbe), bem Seiben unb bem Sobe anl)cun»
gefallen: anbererfeitä jeigt il)r bie (SrfenntniS ber Qbee auch J e be3 Snbioibuum
aU ibentifd) mit beut (Srtöfer, bem SRepräfentanten ber Verneinung bei?

2Biflen£ §um Seben, unb infofern feiner Selbftaufopferung tcil^aft ,


burd)
fein SScrbicnft ertöft, unb gerettet aug ben S3anben ber @ünbe unb bes £obcs,
b. i. ber 3Q3eu. (SRötn. 5, 12—21.) „Söett im Gefd)led)t3triebe ba3 innere
SBefen ber sJ£atur, ber ü&Me gum Seben, fich am ftärfften ausspricht, fagteu
bie alten dichter unb ^Sf)t(ofopI)en — §efiobe3 unb ^armenibe£ — feljr be*

beutung^üoll, ber (£ro3 fei ba3 (Srfte, ba£ ©djaffenbe, ba§ $rin§ip, au3 bem
alle 2)inge hervorgingen." „2luch bie ÜDtaja ber Snber, bereu SBerf unb
Gemebe bie gange ©djeimoelt ift, roirb burch amor paraphiert.'' Goethes
unoergleichltdje 2)arftellung bes griect)tfcf)eri 2Jtyt()o3 oon ber $roferpina,
U)ie bie grtedjifdje (Stählung felbft, entmitfelt bie Slnfdjauung „üon ber Ge*
fdjlcdjtöbefriebtgung Bejahung bes SBillenö §um Seben über ba§
alä ber
inbioibueüe Seben hinaus", befonbers in bem 2lugenbtide, mo nach bem Gc= s

nufj bes Granatapfels plötjlid) ber unfichtbare ©hör ber ^arjen einfällt:

„Sit bift unfer!


Züchtern follteft toiebertetyren
Unb ber s
33ij3 bes 5lpfel3 utadjt biü) unfer!"

„Seben ift Seiben." „SebeS Snbioibuum, jebeS 9Jienfd)engefid)t unb


beffen SebenSlauf ift nur ein furjer £raum mel)r beö unenblichen 92atur-
geifteä, be§ beharrlichen SBillenS jum Seben, ift nur ein flüchtige^ ©ebilbe

mehr, baS er fpielenb I)tn5etct)net auf fein unenbtidieS 33latt, Sftaum unb Qtit,
unb eine gegen biefe oerfdjünnbenb fteine Söeile beftel)en lägt, bann auglöfdjt,
— 15 —
neuen $la£ 51t machen. Xennod), unb fytx ließt bie bebenflidje Seite be3
Sebent, mufi jebe§ biefer flüchtigen ©ebilbc, biefer fetalen ©infättc, üom
ganzen Söillen junt Seben in all fetner £>eftigfeit, mit titelen unb tiefen

Schmerlen unb guletjt mit einem lange gcfürdjtete« ,


enblid) ctntrctcnbcn
Bitteren Sobe bejaht merben."
Um $u bauernber ©rlöfung, $u bauernber Bejahung bc» 2Sillen3 jn
gelangen, mufs ber 2öiße zum £ebeu öerneint, allc§ Söollen aufgegeben werben.
(£rft bann fommen mir §um „Ouietiü be3 SBiffenö", mentt mir un3 tyxauZ*
reißen au§ ben ©enüffen, bie un3 unfrei machen, bie nur ba3 Seben be-
jahen, g^ei^eit ift nur, mo freimillige, abfirf)tlicf)e Armut, Wo man Sdjmad)

unb Seib mit unerfchöpflidier ©ebulb erträgt, mo man ba3 Sööfe ol)ne ©erjau*

ftellung mit ©utem Wo man ba3 $euer be£ 3orne§ unb ber Begierbe
üergilt,

ntc^t in fid) auffommen lägt, mo ber ^eilige ASfet ift, ber burd) gaften unb
^afteiung mel)r unb mehr ben SöiEen gu brechen unb §u ertöten t>erfud)t, oou
bem ber £ob als erfeljnre ©rlöfung Ijod) miHfommen unb freubig empfangen
tmrb. Bei benen, bie bie SBelt übermanben, in benen Der SBille gur ooftett

Sclbftcrrenntniö gelangt, fid) in allem mieberfanb unb bann fid) felbft frei

üerneinte, geigt fid) uns Cranges unb Treibens, ftatt bes


ftatt bes raftlofen
fteten Überganges üon Sßunfd) gu gurd)t unb üon greube gu Seib, ftatt ber

nie befriebigten unb nie erfterbenben Hoffnung, barauS ber ßebenstraum bes
njoUenben Sttenfcrjen befteht, jener triebe, ber Ijöfjer ift als alle Vernunft,
jene gänglid)e SJceereSftille beS @emütS, jene tiefe 9tul)e, unerfd)ütterlid)e
3uoerfid)t unb §eiterfeit, bereit bloßer Abglang im Antlitj, tüte iljit 9tapl)aet
unb (£orreggio bargeftetlt traben, ein gangeS unb fid)ereS ©oangelium ift:

nur bie (SrtenntniS ift geblieben, ber SStCCe ift üerfd)munben. 2öir aber
bliden bann mit tiefer unb fd)merglid)er Sehnfudjt auf biefen 3ufl«nb, neben
meldjem baS Sammerüolle unb §eillofc unferes eigenen, burd) ben Antraft,
in üoßem Sid)te erfd)eint. ,,2)urcf) Betrachtung bes £ebenS unb SBanbelS
ber ^eiligen, meldten in ber eigenen (Erfahrung gu begegnen freilich feiten
vergönnt ift, aber meldje tt)re aufgezeichnete @efd)id)te unb, mit bem Stempel
innerer 2Baf)rl)eit üerbürgt, bie $unft uns t»or bie klugen bringt, fjaben mir
ben finftern ©inbrud jenes Vichts, baS als baS letzte Siel hinter aller Sugenb
unb §eiligfeit [djtoebt, unb baS mir, tüte bie $inber baS ginftere, fürchten gu
t>erfd)euchen." „SBir befennen eS vielmehr frei: ttmS nach gänzlicher Auf-
hebung beS SBißenS übrig bleibt, ift für alle bie, meld)e noch oeg SBtttenS ooll
finb, allerbingS nichts. Aber auch umgefehrt ift benen, in melden ber Sßille

fich gemenbet unb oerneint hat, biefe unfere fo feljr reale SBelt mit aßen
il)ren ©onnen unb 9Jcilchftra§en —
Schopenhauer fptpathtfiert
nidjtS."
mit ben inbiferjen S3ügern, mit ber bubbhiftiferjen Sel)re üon ber Aufhebung
be3 Seiben^ burch ben Austritt au§ ber bunten SSelt be£ Sebent (Sanfara)
unb Eingang in bie Bemugtlofigfeit (^irmana) unb mit ben a§fetifd)en @le*
16

motten bc§ (S^riftentumS, aber ohne in fetner gretfenfjaften sJftoral ein pofi*
tiöcS Siel §u fennen , um be3tutllen bie Aufhebung be§ fieberen eine fttttic^e

SlufgaBe ift. (Übertreg.) 9flan foH Sefum (Eliriftum nad) Sd)openf)auer


auf faffen „als? bog Symbol ober bie ^erfoniftfatton ber Verneinung be£ Söiüens
juni £eben, nid)t aber inbiüibuell, fei e3 nad) feiner mt)tl)ifd)en ®efd)itf)te in
ben (Süangelteu, ober §um ©runbe liegenben, mutmaßlichen
nach ber i()r

wahren." 2Bic ba3 (£f)riftentum wenn aud) ber $roteftanti3mu£ nad)


,

Sd)opcnl)auer ben ioa^ren aäfetifdjen ©runbgug gu öertufd)en öerfudjt, fo


fjaBen aud) bie Religionen be§ Orients ben (£l)arafter, ben Schopenhauer*
'ip^tlofopfjic aU Verneinung be£ SBiftenS jum ßeben öerbeutltd)t.

Reben ber 2t3fefe, biefer öorfäfeüdjen Vredjung be3 2BiEen3 burd) Ver*
fagen be3 Angenehmen unb Unangenehmen, burd) bie felbft*
5luffud)en be£
gewähre büßenbe £eben3art unb Selbftfafteiung §ur an^attenben „SRorttfifatton
bc3 Sßillenä", !ennt nun Schopenhauer nod) einen gtoeiten 28eg, um jur
Verneinung be3 2SiEen3 §u fontmen. (£s> ift ber SSeg, auf bem bie Reiften
baln'n gelangen. 2Ba3 am Ijäufigften bie oödige Refignation herbeiführt, oft
erft bei ber Röhe be3 £obe§, ift ba3 felbft empfunbene, nicht ba§ bloß er*

tannte ßeiben. Von biefer burch großem llnglüd unb bie Verzweiflung an
aller Rettung herbeigeführten Verneinung be3 SStCCen^ hat un3 Goethe im
„gauft", an ber Scibenägef Richte ©reichend eine beutitdje unb anfd)aulid)e
$)arftellung gegeben, ®eine $)arfteßung bringt nach Sdjopenhauer3 SSorten
ba£ SSefentlidje jener Unüoanblung fo beutüd) unb rein öon allem Reben*
toerf üor bie Augen, al3 eben ©oethc£ $auft. ®oetf)e §eigt un£ ben einen
2Beg, ber allein un3 au3 bem fünbigen Seben hinaufführt jur £öhe. ©e*
reinigt unb geheiligt burd) göttliche ®nabe fyat bie fchulbbefledte Seele ben
jfikg ber ©rlöfung t»om Seiben biefer 2Belt gefunben.
— 17 —
III.

gn bem rote ($oetf)e ihn übermältigenb unS


einen SBege ber (Srlöfung,
tior fingen führt, nun Schopenhauer^ großer Stüter, 9He£fd)e, üor
faf)

altem ben Serftörer ber antifen ®eime gum Übermenfd)en unb als Pfleger
unb 3üd)ter biefer ®eime gürntc unb trauerte er über ben SBeg, ben bie
©ntmidlung ber Kultur fett bem Sturze ber Antife nahm. „2öte mit bem
Verfalle ber römifd)en Kultur unb feiner mid)tigften Urfad)e, ber Ausbreitung
be§ ©fjrtftentumä, eine allgemeine Verhäfttidjung beS ÜJJlenfchen innerhalb be§
römtfdjen Meiches überljcmb nahm, fo fönnte aud) burd) ben einftmatigen
Verfaß ber allgemeinen (SrbMtur eine Oiel höher gefteigerte Verhäßlichung
unb enblid) Vertierung beS 9ttenfdjen bis inS Affenf)afte, herbeigeführt merben.

@erabe, meil mir s


biefe ^ßerfpeftioe ins 2luge faffen fonnen, finb mir t>ielleid)t

im Stanbe, einem folcrjen (Snbe oor^ubeugen." „SDte gufunft fief)t ber


•tUcenfd) wehmütig an ;
feine ^adjfommen, er meif} eS OorauS, merben an ber
Vergangenheit leiben, gleich ihm." „28irf baS TOgüergnügen über bein
SSefen ab." „VormärtS auf ber $8ahn ber Sßei^^eit, guten Sd)ritteS, guten
Vertrauens." §in p
bem Qkk, baS ba ift: „Selber eine notmenbige ®ette
t>on Mturringen gu merben. SBenn bein Vlid ftarf genug geworben ift, —
ben ©runb in bem bunflen Vrunnen beineS 2SefenS unb beiner (Srfenntniffe

^u feljen, fo merben bir vielleicht auch ™ feinem (Spiegel bte ferneren Stern*
bilber jufünftiger Kulturen fichtbar werben, ©laubft bu, ein folcheS Seben,
mit einem folchen Siele, fei §u müheüoll, ju lebig aller Annehmlichfeiten?
So h^ft bu noch nicht gelernt, bag fein §onig füger als ber ber (SrfenntniS
ift unb ba§ bie Ijängenben Wolfen ber Srübfat bir noch gum (Suter bienen

muffen, auS bem bu bie TOtch §u beiner Sabung metfen mirft." „2)em Sickte
gu — beine le^te Vewegung; ein gouchjen ber ©rfenntniffe — bein letzter

Saut."
•ftie^fche ergreift, entgegen (Schopenhauer, bie Partei beS SebenS. SGSte

Schopenhauer bie $h^°f°P^ e oe ^ £obeS, fo prebigt 9?iei3fche bie beS Sebent.


(Sr ergreift gartet gegen altes, mag baS SeBen oerfleinert , fd) mächt unb
unb^ untergräbt ,
gegen alle Entartung. ©rofj, mächtig, auffteigenb mitt er
baS Seben, mie eS mar, mie eS ift, üor allem aber, mie eS merben fann
unb foll. 9^ie^fche miH „Siebe §um ßeben ,
jum eigenen Seben auf alle

Söeife pflanzen, eins fein in ber geinbfdjaft gegen alles unb alle, bie ben
SBert beS SebenS gu öerbächtigen fuchen: gegen bie ginfterlinge unb Un*
gufriebenen unb äfturrföpfe". 3)ie Suft am Däfern erhöhen, marb baS
höchfte ^iel biefeS ^effimiften, ben 9ftenfd)en, „ber boch überttmnben merben
mu§, fchmüden unb üerteibigen." Alfo fprach Sarat huftra: „2öaS unS
baS Seben berfprid)t, baS motten mir bem ßeben h^ten." „®ie $uü)t beS
SeibenS, beS großen SeibenS! SBißt ihr nicht, ba§ nur biefe Sucht alle

§ äu fs l e x , ©djopentiauerö unb 9Uet$i<$eS ^ejfimi^muö. 2


- 18 - —
@t5ö§ungcn bc§ äftenfdjen bisher cjcfc^affcn l)at. (Sä bcftimmt beinahe bie
SRangorbnung , tüte tief einer leiben fann." 2)as fdjnellfte £icr, bas cucf)

9ftenfd)en gur Sßotlfommenfjeit trägt, ift Seiben. tiefer (#ebanfe ans ber
9)tyfttf be§ SWeifterä @tfl)art, mirb für ben ^ßeffimiftcn 9?icfcfd)e ein $o-
ftulat. „Söaljrlid), ein fd)mu£iger Strom ift ber SDfcnfcf)." „2Sa£ liegt an
meinem ©lüde! @S ift Sirmut unb Sd)mu| unb ein erbärmlid)e§ 93ef)agen."
Sdjopenl)auer£ ©cbonfcn erfüllen 9?iekfd)e, tote aud) jenen jmeiten Sd)üler
bc3 großen ^l)ilofopcn, ber begeifterunggfreubig an £i3gt fd)rieb, als tf)m
Sd)0penl)auer3 93ud) im Saljre 1854 gum erften 9Jcate in bie §änbe fiel,

„e3 fam mir tote ein §immel§gefd)euf in meine ©infamfeit." ^Ricfjarb


SBagner ift ber Seljrer 9^te^fct)e^ f
ber ifm über Scfjopenfjauer f)inausfüf)rt.
3ln Wagner ift 9?iet}fd)e eine neue Scf)önl)ett aufgegangen, ein neuer £t)pu§
neben jenem alten „ber fcf)lid)ten Einfalt unb eblen Stille", mie il)n

Söincfelmann unb aud) ©oetlje üerfünbet tjaben, „bie @cr)önt)eit ber über*
fcfjäumenben, überftarfen, trunfenen 2öiUen§fraft." üftielfdje fiebert ifjr bas
SRecfjt neben ber maßüollen, flaffifdjen, ruljigen Scfjönljeit. @r fud)t fie im
•pellcnentum auf unb finbet fie in ber attifdjen £ragöbie. §ier finbet er
milbe Eingabe an alle§, toa§ Seben l)eißt, an ben Sdjmerg mie an bie greube,

fn'er aud) bie Ijatfrjonifdje Stille, bie oberhalb be§ Sebent thront. „SBon jener
§öl)e ber greube, too ber Sftenfd) fid) felber unb fid) gang unb gar al£ eine
ttcrgöttlidjte $orm unb Selbftredjtfertigung ber -ftatur füfjlt, big l)inab gu ber
greube gefunber dauern unb gefunber §atbmenfd)"£iere: biefe gange lange
ungeheure £id)t* unb $arbenleiter be£ ®lüd«o nannte ber ©riedje, ni<f)t ot)ne

bie ben!baren Sdjauer beffen, ber in ein (Mjeimniä eingett>etf)t ift, nict)t oljne

oiele S3orficf)t unb fromme Sdjmeigfamfeit mit bem ®ötternamen: $)ionl)fo§."


2Bas -ftiefcfcfye biontjfifd) nennt, biefe übermäßige, überftrömenbe Sebent«»
fraft, bie ben eigenen Präger beängftigt, bie trunfene greube am £afein, bie
fid) felbft burd) Sdjmerg anreiht unb fteigert unb mieber mäßigt, bie bie

alten (Germanen fannten, toenu itjrc oon milber ®ampfe§luft in


23erferfer
ben Sdjilb Biffen, bie bie Xermifdje bes Oriente erfjötjen, menn fie im Taumel
orgiaftifdjer £änge fid) felbft öermunben, um ifjre milbe Öeben^fraft bi3 gur
(£rfd)öpfung augftrömen gu taffen, biefen Überfdjmang be§ £iont)ftfd)en mußten
bie ©riechen funftmäßig auggutoben unb gelangten burd) biefe $atf)arfi3 gu
ber reinen apoHinifcfyen Sßerflärung.
ipier geminnt 9cie|fd)e bic Schlußfolgerung: eine neue Kultur muß
merben, inbem ba3 3)iont)fifd)e mit bem 2lpollinifd)en in (Sing gebtlbet mirb.
3)a3 ift bie ®unft 2Bagner3, ba3 ift ba§ ®unftmerf, „bie lebenbig bargeftellte

Religion." §ier liegt ^ie^fc^eg neuer 2Beg gum „3a", gu bem Sdjopen*
Ijauer nid)t ftarf genug mar, f)ier bie 33al)n unb ba3 Qiü für ben „großen
ÜDknfdjen", ber groß ift „burc^ ben greil)eit3 * Spielraum feiner Söcgicrben

unb burd) bie nod) größere 9)Jad)t, meiere biefe prad)tooflen Untiere in $icnft
— 19 —
#x nehmen toeiß." 2öir muffen un§ wappnen jum hotten großen Durchleben
biefer Sfiftenz- 2Bir moEen „ben SBtüen gum £ragtfd)en." „3n unferer
9#ad)t fteht bie ^urechtlegung be£ Seiben3 gu einem ©egen, be§ Giftet 51t

einer Nahrung."
§ier ift Nie|fche£ Sbeat, ba3 er at3 Übermenfd) prof lautierte , ben er
aber in SBagner ntcf>t fanb. 3" ben äfteifterfingern unb im ^arfifal reißt
fidj ber Sfteifter to§ üon bem $effimi<§mu§, beffen Offenbarung ber „gliegenbe
§oftänber" ift, ben „Sriftan unb Sfolbe" unb bie „Nibelungen" nod) prebigen
unb geht über jur S3ejaf»ung be3 2Billen§ §um Seben, z ur Bejahung be3
eine SBanblung, bie bie jünger SBognerS öerftanben, bie
2Bitten§ jur £at,
bie feinften unb tiefften Geifter feiner Generation miterlebten, eine Söanblung,
bie eine feiner Anbeterinnen, bie SBerfafferin ber „Sftemoiren einer Sbealiftin",

SCßalöiba öon SNet)fenbug in bie SBorte f leibet: „S^h faf) tlax, baß
biefer ®ampf §mifc^en bem SBiEen zum Seben unb feiner Verneinung über*
fjaupt ber ®ampf meinet Sebent gemefen mar. gum zweiten SNale ging e£
mir mieber hell auf, ba3 „Erlöfe bid) fetbft!" Der gebunbene Gott in un3
muß fidj befreien au3 ben Sdjranfen ber Snbiüibualität, in bie ihn ber im-
geftüme Drang §um Seben gebannt fyat Da£ lange qualoolle Ningen be3
Dafein3 f)at feinen anbern Sinn, afö ben ber Auferfteljung nach bem ®reuge<§*
tob, an bem ba§ gdj, ba3 $erfönlid)e ftirbt, um als Uniüerfelleä fortzuleben.
Nur toer ba£ c^riftücf>c Stymbol fo toerftef)t, f)at e3 recht öerftanben. Da3
Seiben be3 Dafein£ ^at t>on je bie großen (Srlöfer hervorgebracht. Bubbtja,
&hriftu3 unb alle, bie nad) Urnenim heiligen SNitleib e3 öerfud)ten, bie

Sttenfchheit über bie eigentliche Natur be3 Dafein3 unb feinen gmecf auf*
juflären, haben nid)t§ anbereg gemeint, at£ ba3 große Jfteal ber (Srlöfung
hingufteEen für alle $eit. Sie Wollten im ebelften Symbol ben 2öeg geigen,
ber au3 bem in Sirmut, ®ranfl)eit, £ob unb Sünbe gebunbenen Elenb be3
Dafein3 Ijmauäfüljrt in bie Freiheit ber SHnber ©otteS, in ba§ Nirmana,
ba3 „NichtWafjnlanb" berer, bie ben Schein übermunben haben.
Slm Abenb feinet Sebent, im 3af)re 1880, erflört Sßagner: „2öir
erfennen ben Grunb beä Verfaß ber SKenfc^^eit, fomie bie Notmenbigfeit
einer Degeneration berfetben. SSir glauben an t^re Sflöglidjfeit unb mibmen
un£ i^rer Durchführung in jebem Sinne." 3n immer engere Berbinbung
mit feiner ®unft bringt Söagner ben SBiebergeburt^gebanfen ,
nicht ohne
Einfließen Sdjopenhauerfdier Gebanfen unb nicht ohne bemofratifdje 3^en=
beng: bi§ ihm bie boHe Überzeugung ermud^, baß e§ möglich fei burd) ,

ein üoße§ ©rieben unb Entfalten be^ ^unftmerB ber Bufunft eine religiöfe
Neinigung unb Erhöhung ber SNenfchheit unb bamit ein golbene£ Seitalter
ibealifierten 9ttenfd)entum3 herbeizuführen. (Samp recht.) ©atte Nie^fche
in ben beiben legten ber „Unzeitgemäßen Betrachtungen" bem Genie in
Schopenhauer unb SBagner feine §utbigung bargebracht, fo bereiteten
2*
20 —
nunmehr bie ©rlebmffe bei ben 2luffü^rungen in Satjreutl) iljm (Snttau*

fd)ungcn, bie ü)n tiou SBagucr, in bem er beu „erlöfcnben £)cilanb" ftttben
Wollte, abrüdten. 3Me ftuuft SSagncrs im „Sßarfifal" §eigte 9cie£fd)e ein-
mal mieber bie 2Ba()rI)eit feines WuSfprudjes : „(5s gibt überall ©orten
Slrmibens für immer neue ßoSreißungen unb üöitterniffc
mtdj: unb bal)er

bcS §er§enS. 3d) muß ben guß weiter heben, biefen müben, ücrmunbeteu
guß, unb iueil id) muß, fo habe id) oft für baS Sd)önfte, baS mid) ntdji
galten fonnte, einen grimmigen Siüdblid, Weil eS mtd) nid)t galten fonnte."
S£er galt SBagner treibt 9ciej3fd)e weiter auf bie S3af)n ber SfeofiS. C£r

get)t an bie ©rforfdjung ber äftoral, gel)t ben ®ang beS „freien ®eiftc3"
unb legt auf ben „pft)d)ologifd)en ©e^iertifd)" bie (Smofinbungen unb Urteile
ber SÖcenfdjen. 3)a finbet er, baß „9Jcenfd)lid)eS, Wlläumenfchüches" bie fjödjften

Stiftungen ber ®unft, ber 2Biffenfd)aft, beS ©taatSlebenS unb felbft bie ft
%ü*
genb" geigen. „MeS, WaS mir brauchen unb WaS erft bei ber gegenwärtigen
§öl)e ber einzelnen 2Biffenfd)aften unS gegeben Werben fann, ift eine dfjemie
ber moralifdjen, religiöfen, äftr;etifcf)eit $orftelfungen unb (Smpfinbungen,
ebenfo aller jener Regungen, Welche mir im ©roß* unb ®leinoerfehr ber
Kultur unb @efellfd)aft, ja in ber ©infamfeit an unS erleben." Xie 2lnalnfe
ber begriffe unb ©mpfinbungen läßt if)it bie Urelemente finben, bie in beut
2lpotlinifd)en Wie
s
im £>ioni)fifd)en, in ber Sölüte wie im Verfall Wirten.
Optimismus unb ^efftmiSmuS finb fürber für 9^ i e ^f cfj e „ tierruf enc

2öorte". 9cur bie ©djwätjer fyahtn biefe bis gum Überbruß oerbraucf)teu
SSörter nod) fo unumgänglidj nötig. „3)enn WeSljatb in ber 2Bett follte

jemanb Dtitimift fein Wollen, wenn er nietet einen @ott gu oerteibigen hat,

Welcher bie befte ber SBelten gefdjaffen haben muß, falls er fetber baS ©ute
unb Sßollfommene ift, — welcher S)enfenbe l)at aber bie §t)potl)efe eines

®otteS nod) nötig? — (SS fel)lt aber aud) jeber 5lntaß §u einem tieffimifti*

fdjen (Glaubensbekenntnis, Wenn man nid)t ein 3ntereffe baran l)at, ben §(b*
tiofaten (GotteS, ben £l)eologen ober ben theotogifierenben s^tlofopt)en, ärger-
lief) $u Werben unb bie (Gegenbehauptung fräftig aufstellen: baß baS 33öfe
regiere, baß bie Unluft größer fei, als bie ßuft, baß bie Söett ein 3Jcad)Werf,
bie @rfd)eimmg eines böfen SBitlenS jum ßeben fei. Sßer aber fümmert fid)

jetjt nod) um bie Geologen — außer ben Geologen? — $lbgefel)en oon


Geologie unb ihrer üöefämpfung liegt eS auf ber §anb, baß bie SBelt
aller

„gut" unb nidjt „böfe", gefd)Weige benn bie befte ober fd)led)tefte ift,
nict)t

unb baß bie begriffe „gut" unb „böfe" nur in SBe^ug auf ÜDcenfdjen 3inu
haben, ja fetbft l)ier, in ber SBeife, Wie fie gewöhnlich gebraucht werben,
nicht berechtigt finb: ber fchimpfenben unb tierherrlichenben SBeltbetrachtung
müffen Wir uns in jebem galle entfd)lagen." 2Bir (GegenWartSmenfdjen finb
„tiom $)ufte ber Blüten" berauf cht, tion Religionen unb fünften, burch bie
Wir, Wie Wir'S burch bie Söiffenfdjaft Wirflid) tiermögen, beut wirt'lidjcn SBcfen
— 21 —
ber 2Belt tmb beren (Srfenntnis? näher 511 fommen glauben. „£>er örrtum
hat ben STcenfcrjen fo tief, gart, erftnberifd) gemacht, eine folcfje Blüte, tüte

Religionen unb fünfte, heraustreiben. reine (Srfennen iüöre bagu

aufjer ©tanbc getuefen. SSer un3 ba§ Siefen ber 2ßelt enthüllte, iüürbe un3
allen bie unangenelnnfte (Snttäufchung machen. %l\d)t bie SBctt al§ £)ing an
fich, fonbern bie Söelt al§ Borftellung (at<§ Srrtum) ift fo bebeutungSreid), tief,

ömnberüoH, ©lücf unb Unglücf im ©etjofee tragenb. 3)ie§ Refultat für)rt gu

einer ^l)ilofoün> ber logifcf)en SBcltüerneinung : tüelcrje übrigeng fid) mit


einer üraftiferjen SMtbeiafjung ebenfogut lüie mit beren ©egenteile bereinigen
lägt." „3eber ©taube an SSert unb SSürbigfeit be§ Sebent beruht auf un=
reinem Xenfen." „Berfteht man e£, fein 3tugenmerf Oornehmlid) auf $lu3*

nahmen, tef) meine auf bie t)of)en Begabungen unb bie reichen ©eelen gu
rieten, nimmt man beren (Sntftefumg gum Qkl ber gangen SBeltenttüicflung
unb erfreut ftdj an beren 2Birfen, fo mag man an ben SSert be§ Sebent
glauben, toeil man nämlich bie anberen 9Jcenfcl)en babei überfielt: alfo un*
rein benft." „SSenn man gtoar aße Sftenfchen in§ 5(uge faßt, aber in ifjnen
nur eine (Gattung üon trieben, bie meniger egoiftifcf)en ,
gelten lögt unb fie

in Betreff ber anberen triebe entfchulbigt: bann fann man tüieberum üon
ber SOlenfct)^ett im ©angen etma§ f)offen unb infofern an ben SSert be§ Sebent
glauben: alfo auef) in biefem $aOe buref) Unreinheit be3 SDenfenS. 9ftag
man fid) aber fo ober fo üerhalten, man ift mit biefem Behalten eine Aus-
nahme unter ben 9Dtenfd)en. 9?un ertragen aber gerabe bie allermeiften
SOlenfcr)en ba§ Seben, ohne ert)ebltcf> gu murren, unb glauben fomit an ben
Sßert be3 3)afein3, aber gerabe baburef), baf$ fid) jeber allein iütCC unb be*

hauotet, unb nict)t au§ fid) heraustritt tote jene Augnahmen: aße§ Sluger-
perfönlicrje ift ihnen garnicl)t ober höd)ften3 al§> ein fcr)tDacf)er ©chatten be=
merfbar. Alfo barauf allein beruht ber SBert be3 Sebent für ben gewöhnlichen,
alltäglichen 9ftenfd)en, ba£ er fich «richtiger nimmt, al3 bie 2öelt. 2)er groge
Langel an ^h^ntafie, an bem er leibet, macht, bafj er fich n ^ * n anbre
Siefen htneinfüf)len fann unb baher fo wenig als möglich an ihrem 8o§ unb
Seiben teilnimmt. 3£er bagegen tüirflid) baran teilnehmen tonnte, müf$te am
Sßerte be3 Sebent üergtoeifeln. (Gelänge e§ ihm, ba3 ©efamtbeiüufjtfein ber
9Jcenfcf)heit in fich hu f a ff e n unb gu empfinben, er mürbe mit einem fluche
gegen ba<§ £)afein gufammenbrechen, — benn bie TOcnfct)r)eit hatim ©angen
feine 3^1e, folglich fann ber SDcenfd), in Betrachtung be3 gangen Verlaufs,
nicht barin feinen £roft unb §alt finben, fonbern feine Bergtoeiflung. <Siefjt

er bei aßem, mal er tut, auf bie le^tc $iellofigfeit ber 9Jcenfd)en, fo befommt
fein eigene^ SBirfen in feinen klugen ben (£()arafter ber Bergeubung. @id)
aber al£ SO^enfcbheit (unb nicht nur al§ gnbiüibuum) ebenfo üergeubet gu
gU? fühlen, tote mir bie eingelne Blüte üon ber 9?atur üergeubet feljen, ift ein

©efühl über aße ©efüf)le." 9cad) biefem extremen ^effimi§mu§ fd)cint eine
:

22 —
gragc unfere 3«"9 e 5 U befdjmeren. 9ciet3fd)e ftellt fie fel6ft. SBenn baS
ganje ntenfdjlidje Seben tief in bie Unwahrheit etngcfenft tft, rcenn ber (£in*
gellte fid) nid)t auä biefem Brunnen herausziehen fann — ift bo ntcfjt ber
$ob üorgugiehen? ;ftte|fcf)e, ber ©d)rittmacher beä ©chopenhauerfdjcn
$effimi£mu3, prägt ben ©a£:
s
„2)er Irrtum über ba3 Seben tft 511m £eben
notmenbig." 3)ie ®ötter motten ba£ Seben, ben 2ftenfd)en erhalten, „^ßanbora
braute ba3 gaß mit ben Übeln unb öffnete e3. @S mar ba3 ©efd)enf ber ©ötter
an bte äRenfdjen, üon außen ein fdjöneä üerfüt)rerifche§ ®efd)enf unb „®lüd3*
faß" jubenannt. 3)a flogen all bie Übel, lebenbig befd)mingte 28efen heraus:
üon ba an ftfjroetfen fie nun l)erum unb tun ben 9ttenfd)en ©d)aben bei Sag
unb 9cad)t. (Sin eingigeg Übel mar nod) ntdjt au3 bem gaß l)erau§gefc^lüpft
ba fdjlug ^anbora nad) fttuä ^Bitten ben 2)edet gu, unb fo blieb e3 barin!"
®iefe§ gurüdgebliebene Übel §ält nun ber Sftenfd) für ba3 größte ®lüd3*
gut, — „e3 tft bie §offnung." $tu$ motlte nämlich, baß ber 9ttenfd), aud)
nod) fo fefyr burd) bie anberen Übel gequält, bod) ba3 Seben nid)t megmerfe,
fonbern fortfahre, fid) immer öon Beuern quälen §u laffen. £)agu gibt er
bem 9Jcenfd)en bie Hoffnung: fie ift in Söaljrfjeit ba£ übelfte ber Übel, metl

fie bte dual ber 9ttenfd)en üerlängert.


2Sa£ für ba3 Seben im allgemeinen gilt, baß e3 Qrrtum fei, gilt nad)
9Ue^fd)c aud) für bie Religion, befonberä für ihn ba3 big in ben ©runb feiner
©eele üerljaßte (£l)riftentum, für bie Shmft, bie ben Slnblid be3 Sebent aßen*
faߧ erträglich mad)t, baburd), „baß fie ben gtor be3 unreinen 2)enfen§ über
ba^ttbt legt" unb un§ äRenfd)en üeranlaßt feit go^rtaufenben, ntit Sntereffe
unb £uft auf ba3 Seben in jeber ®eftalt §u fef)en unb unfere (Smpfinbung
fo meit bringen, baß mir enbltd) rufen: „SBie e3 aud) fei, ba3 ßeben, e3 ift

gut!" (£3 gilt für bie gefantte Kultur, „bie entftanben ift mie eine ®fode,
innerhalb cine3 Üftantelä üon gröberem, gemeinem (Stoffe : Unmafjrheit, ©e*
maltfamfeit, unbegrenzte $lu3behnung aller einzelnen 3<±)3, aller einzelnen

Golfer, maren biefer kantet." -ftietjfche mirft bie grage auf: „3ft e3 an
ber Seit, biefen kantet abzunehmen?" Unfere eigene (Sinfid)t foß t)ter ent*

fc^eiben. $)ie (Srbregierung $at ber SDtafd) üon nun an felbft in bie §anb
gu nehmen; feine s
„ 2lHmiffenf)eit" muß über bem meiteren ©djidfal ber Kultur
mit fdjarfem 5luge machen.
$a§ Seben, fo mie e3 ift, bringt 9^ie|fd)e mie auch ©d)openhauer
jur Seben^üerneinung. Slber nid)t mill er, mie fein großer Setter, 2t3fefe,

(Srtötung be3 SSißenä. „3ch gehe nicht euren 2Beg, ihr Gerächter be^ SeibeS!
3hr feib mir feine Srüden jum Übermenfchen." ^ie^f che ftredt fid) mollenb,
münfd)enb in nebelhafte $h<*ntafien. „3n bie §öhe mill fid) ba3 Seben bauen
mit Pfeilern unb ©tufen, ba§ £eben fetber; in meite fernen miß e§ bilden
unb h^nou^ nach feiigen ©d)önl)eiten." —
„^arurn braucht e3 §öhe! Unb
meil e3 §öl)e braucht, brauet e^ ©tufen unb Söiberfpruch ber ©tufen unb
— 23 —
(Steigenben! Steigen ttritt ba§ SeBen nnb fteigenb fid) üBertoinben." Sdjein-

Bar gegen allen $effimi3mu3, ja biefem ^effimi§mu§ jum §ro£, mill $ftie£fd)e
SeBen. „Sine unBebingte Betonung be3 SöillenS §um SeBen, ber äSßoflufi,
feine SIBgrünbe jii üBerfdjreiten, feine Süden §u Befiegen, e3 f)öf)er pettfdjen,

hinein in ein gbeal nener 9Jcenfd)lid)feit: ba£ ift nun ba3 SeBen unb bie

Sefjre SRiefcfdjeS."

TO 9?ie£fd)e in ben erften 9ftonben be£ 3aljre3 1883 bie |armontfdjen


Sinien be3 9fteerufer3 ber 9Mötera umfdjrttt, al§ er ein toenig rufjte unb fid)

im ®lüd be§ neu errungenen 3beal3 fonnte, ba mürbe ber in „ber @eBurt
ber £ragöbie" angefünbigte ÜBermenfd) gefdjaffen. £>er ®ried)enüeref)rer fefct

ber SBornefjmljeit unb 2Saf)rl)eit3lteBe ber alten ^erfer ein SDenfmat, ben
garatfjuftra, ber in feiner Sdjlufjpartte, nidjt tote irrtümlich angenommen
ttrirb, in ber ^eiligen Stunbe, in ber SRid). Sßagner in $enebig bie klugen

für immer fd)lofj, üoßenbet mürbe, fonbern nadj ben gemiffenljaften gor*
f jungen ber opferfreubigen Sdjmefter, (SlifaBetl) görfier*9He|fd)e crft

im grüf)jaf)r 1885 entftanben ift.

„3n iounberooller rf)i)tf)mifdjer $rofa, in malerifdjer ©infleibung üon


,

immer neuem 9tei§, in grogartiger Steigerung ttrirb Ijier bie Sefjre vorgetragen
öon ber neu IjeranguBitbenben Sftaffe ber ÜBermenfdjen, üon ben Mitteln fie

px fdjaffen." SD^erifc^Iicf)eö unb 5ltt§umenfd}lid)e3 — mir müffen baoon lo3,

lo3 öon ber SJcoral, ÜBerminbung be3 Bisherigen Begriffes Oon <Btaat, ®unft
unb SBiffenfdjaft, lo3 aud) öon bem f)ergeBrad)ten ®ultu£ ber grau;
nu^ung unferer (Srjftenj Big §um äugerften. ^ugleid) ®ritif unb Satire ift
ber Saratfjuftra „ba§ fdjarfe 93eil, mit bem -ftie&fdie bie 93äume be3
Urmalbe3 Behaut §u einem ^eiligen §au§ für bie Slnbadjt ber Suhmft."
2llfo fprad) ^orat^uftra: „£)er Sttenfdj ift etmaä, ba3 üBermunben
werben mufj." fommt auf ba§ £empo an: bie ©rieben BetounberungS*
mürbig, ofjne §aft. — Steine Sßorfafjren §eraflit, (£möeboHe3, Spinoza,
©oetfje."
2Ba3 3of)anne3 $o3mer in 3Bfen3 9to3mer3f)olm will, „frofje 5lbel<o*

menfdjen ringg um fid) f djaffen", fiefjt 9?ie£fd)e fidj üerrairnidjen. gara-


tfjuftra fpricfjt : „£a3 S3efte fott Ijerrfdjen, ba3 Riefte mitt tyerrfdjen! Unb
mo bie Sefjre anberä lautet, ba feljlt e§ am heften." „9Ra$ unb 9J?itte §u
finben im StreBen üBer bie 3ftenfd)Ijeit f)wau3. (£3 muß bie fjödjfte unb
fraftooßfte 2lrtbe3 Sttenfdjen gefunben merbeu! £>ie fjödjfte £enben§ fort-

ioäfyrenbim kleinen barfteßen ^oUfommen^eit, IRetfe, rotBädige ©efunbljeit,


:

milbe^ 5lu^ftrömen oon Wlafyt SSte ein ^ünftler an bem Sagemer! arBeiten,
an jebem Sßerfe un§ §ur SSoHfommen^eit Bringen. ®ie (£f)rlid)feit fic^ in
bem SÖlotiöe fidj — —
(Singeftelm, mie e3 bem aRäc§ttgen geziemt."
„^eine Ungebulb! ber ÜBermenfd ift unfere nädjfte Stufe! S)a§u, ju
biefer SBefdjränftmg gehört 93^ä§igfeit unb SD^ännlic^feit. £)en SRenfc^en üBer
24

fidj f)tncm3fteigerrt, gleich ben Wrtcdjcn nicht unlctblidjc .phantaSmata. s


2)cr
höhere <35etft an einen fd)mäd)lid)en ,
rterööfen C£T)araftcr gcbunben — ift ^u
befeitigen. $kl: §öl)erbilbung beS ganzen ßeibcS nnb nicht mir beS 06ct)trn5."
„Sin höheres SSefcn, als örir fclbcr finb, 311 fd) äffen, ift unier ^Beiert,
baS iftber £rieb ber $at unb beS Söerf'cS."

„2Bte at(e§ SBottcn einen gmerf oorauSfc^t, fo fe£t ber 9Jccnfd) ein Sßeieit
oorauä, baS nicht ba ift, baS aber ben 3med feines SafeinS abgibt. XicS
ift bie greiljeit alle* 28ittcnS: 3m ^med liegt bie Siebe, bic Verehrung, baS
Sßottfommenfe'hn, bic Sehnfudjt."
„Sßir tootten ein SSßcfen erraffen, mir motten alle baxan ^Tei£ (jaben,
eS lieben, mir motten fdjmanger fein alle — nur uns eljren unb ad)ten be§§alb."
„2Bir muffen ein Siel l)aben, um beffentmitten mir unS alle einanber lieb
haben. $ltte fonftigen 3iele finb öermdjten&mert.''
„£>ie Stärfftcn an ßeib unb Seele finb bie heften — ©runbfajj für
3 arat^uftra; auS i()nen bie höhere TOoral, bie beS Sd)affenben. — Ten
s
JD?cnfdjen nad) feinem 95ilbe umfd)affen: baS mitt er, baS ift feine (Sf)rlidjfett."
3m garatljuftra l)abcn mir baS perfönlidjftc SBerf 9tie|fd)eS, „bie
(#cfd)id)te feiner innerften (Srlebniffe, feiner gretmbfdjaften, feiner 3beale,
feiner (Sntsüchmgcn, feiner bitterften (Snttäufdjungen unb Seiben." ÖroB
unb einheitlich hat er bie gigur erfaßt, bie er fdjon, eS finb feine SBorte,
als ®inb im Traume gefel)en l)at, bie, mte jebe bichterifd) erfunbene ©eftalt,
ihren eigenen ^Bitten l)at. 2öie griebrid) Hebbel, mie mir'S auS feinem äRnnbe
hören, ben eigentlichen 3 a uber bid)terifd)en SdjaffenS in bem @cfül)le fa§,
Oon ben eigenen ©eftalten ju lernen, Offenbarungen oon ben eigenen SSerfen
gu empfangen, fo mürbe auch 5Ji t e ^ f et) e ein Schüler 3 ara ^) u tra ^- — 1

„garathuftra hat mehr £apferfeit im Seibe, als alle Genfer jufammen*


genommen." „§ier fommen alle 3>inge liebfofenb gu beiner s
Jtebe unb
fd)meicf)eln bir, benn fie mollen auf beinern Ütüden reiten. 2luf jebem (Gleichnis
reiteft bu hier §u jeber 2Baf)rf)ctt. £ner fpringen bir atteS ScinS sBorte unfr
Sßort * Schreine auf; atteS Sein mill hier SBort merben, atteS Serben mitt

oon bir reben lernen." 3n ^tteS Sein fenft ber £id)ter • ^hilofopl) feine

fcharfe Sonbe ein. „Sein ©hrgeij, feine Tortur, fein ©lüd" ift eS, „ben
ganzen Uml'reiS ber mobernen Seele umlaufen, in jebem iljrcr SEßinfel ge*

feffen 5U haben."
Unb maS ift eS, maS mir als Ergebnis biefer SebenSunterjudjungcrt

Jtiel?fdjeS auS bem „garatfjuftra" mit hinmegnehmen.


s
9tie£fd)c ift aud)
hier „ber große ^efftmift." „(SineS leibeuben unb gerquälten (Rottes SGBcrf

fchien mir ba bie SSclt. — £raum fdjien mir ba bie SBelt unb ^tdjtung
eines ©ntteS; farbiger SRaud) oor ben klugen eines göttlich Iln$ufriebenen. —
Xicfe 3Belt, bie emig unoollt'ommcne, eines ewigen SSiöcrfprucheS 5lbbilb unb
unoottfommeneS ^Ibbilb — eine trunfenc ßuft ihrem unoollfommenen Schöpfer."
— 25 —
„®ranfc unb Slbfterbenbe maren e£, bie verachteten ßeib unb (Srbe unb er*

fanben bas> §tmmltfcf)e unb bie erlöfenben ^Blutstropfen." — „3t)rem ©lenbe


moltten fie entlaufen unb bie ©terne maren itjnen ju meit." S)a feufjtea
fie:„0, bag eS bod> f)immlifd)e 2Bege gäbe, ftcf) in ein anbere» ©ein unb
©lud ju fct)£etcr)en „ba erfanben fie !
>y
— fid) itjre ©d)lid)e unb blutigen
Sränflein!"
„$ott ift bie @rbc Von Überflüffigen, Oerborben ift baS Seben buref) bie
SBtel-ju -fielen."
„&<a3 Seben ift nur Seiben" — fo fagen anbre unb lügen nid)t: „fo
forgt bocf) ba§ trjr auftjört! ©o forgt boef), ba§ baS Seben aufhört, meld)e3
nur Seiben
f

ift!"

„&taat? 2Ba3 ift baS? 2Bol)lan! 3e£t tut mir bie Dfjren auf, benn
je|t fage tef) eud) mein SBort üom £obe ber Golfer. — (Btaat ^etjst baS fältefte

aller falten Ungeheuer. — 2Bo e£ nod) ein fßott gibt, ba verfielet eS ben

Staat nicfjt unb fyafct it)n als böfen 93lid unb ©ünbe an ©itten unb 9^ed)ten. —
SDer ©taat lügt in alten jungen be£ ©uten unb 23öfen; unb maS er aud)
rebet, er lügt —
unb maS er aud) f)at, geftol)len rjat er'S. SttteS mitt —
er eud) geben, menn if)r ir)n anbetet, ber neue ©öije. ©taat nenne idj'S, mo
Sitte ©ifttrinfer finb, ©ute unb ©djlimme: ©taat, mo alle ftcf) f elber ver-

lieren, ©ute unb ©djlimme: ©taat, mo ber tangfame ©etbftmorb 5111er —


„baS Seben" fjeifct. „Zot finb alle (Sötter: nun motten mir, bag ber Über»
menfd) lebe!" ,,©et)t, meldje gütte ift um uns! Unb aus bem Überfluffe
I)erauS ift eS fd)ön, tjinauSbliden auf ferne 9fteere. — @inft fagte man ©ott r
menn man auf ferne Speere blidte; nun aber lehrte tef) eud) fagen: Über»
menfdj. — ©Ott ift eine 9Jhitmaf$ung; aber id) mitt, baf} euer aJhitmafeert
nidjt meiter reiche, als euer fetjaffenber Sßtllc. — ©Ott ift ein ©ebanfe, ber
mad)t atteS ©erabe frumm unb atteS, mag fteljt, brefjenb."
„3)eS Übermenfctjen ©d)önt)eit fam §u mir als ©chatten. Sief), meine
trüber! 2BaS gelten mid) nod) bie ©ötter an!"
2öaS aud) auf unferer „fcrjmeigfamen ©räberinfel" an bisherigen SBerten
unS erfüllte, unS gegeben mar, ber gewaltige operative (Singriff 9ciet3fd)eS mill
auS iljnen alle Übel entfernen, mitt einen „immergrünen ®ran§ beS Sebent"
um fie minben. Slber fein „SSage- unb 33crfudjergeift" gefjt in bie %xxt, -
ins Ungetoiffe, inS Uferlofe. 3n romantifdjer grrfafjrt fud)t „ber Argonaut
beS gbealS", mie er eS im ©d)lu§abfd)nitt beS fünften 23ud)eS ber „$röf)tid)eit
2Biffenfd)aft" auSfpricfjt, nad) einem unentbedten Sanbe, „beffen ©renken nod)
niemanb abgefel)en l)at, ein genfeitS aller bisherigen Sänber unb SBinfel beS
SbealS, eine SSelt fo überreif an ©djönem, ^rembem, gragmürbigem, gurc£)t»
barem unb ©öttlidjem, ba§ unfere ^eugierbe fomol)l als unfer 53efi^burft
aufeer fid) geraten finb." — „2öie tonnten mir unS, nad) fotetjen SluSbliden
unb mit einem foldjen £>eiftf)unger in Söiffen unb ©emiffen, noef) am gegen-
26

tüärtigen äRenfdjen genügen (äffen ? @cf)limm genug: aber es ift unüermetb*


lief» baß mir feinen toürbigften fielen unö Hoffnungen nur mit einem übet
f

aufredet erhaltenen ©rnfte 5ufcl)n, uub öieüeid)t nid)t einmal mehr jufef)n. —
(Sin anberes Qbeal läuft öor uns f)er, ein iimnberlicfjes, üerfuerjerifches, ge*

f ährenreiche« Sbeal, hu ^ em * mr niemanben überreben möchten, lueil mir


niemanben fo leicht bas 9Recf)t barauf gugeftehen: bas gbeal eines ©eiftes,
ber naiü, bas heißt ungewollt unb aus überftrömenber gütte unb 9D?äd)tigfett
mit s
Mem fpielt, mas bisher Ijcilig, gut, unberüljrbar, göttlid) f)tcB ; für ben
bas §öcf)fte, moran bas $olf billigermeife fein SSortmaß fjat, bereits fo üiel
mic (Gefahr, Verfaß, (Srnicbrigung ober, minbeftens, mie (Srfjohma,, 331tnbr)eit,

geitmeiüges ©elbftocrgeffen htbeuttn mürbe; bas gbeal eines menfcf)licf)niber-


menfdjlichen 2öol)lfeins unb SBohltoollens, bas oft genug unmenfd)lich er*

fct)einen mirb, §um 93eifptel, trenn es fid) neben ben ganzen bisherigen ßrben-
(£rnft, neben alle bisherige $eierüd)feit in (Gebärbc, SBort, ®tang, ©lief
Sftoral unb Aufgabe mie beren leibhaftere unfreimillige ^ßarobie l)inftetlt
-
unb mit bem, tro£ atfebem, vielleicht ber große (Srnft erft anhebt, bas eigent*
liehe Fragezeichen erft gefegt mirb, bas ©ehicffal ber (Seele fic£> menbet, ber
feiger rüeft, bie £ragöbie beginnt."
S)er „Übermenfeh" reißt iXc t c ^ f et) e meiter hinauf §u ber tt)n beglüefenben
gülle üon ©rfenntnis in „Senfeits Don (Gut unb 93öfe", in ber „Umwertung
aller SBerte" unb in ber „(Genealogie ber 9floral." Sftit garathuftra
fpricfjt er: „3h r nacfy oben, menn ihr nad) Erhebung »erlangt. Unb
ich 1
ehe h* naD ' weil i$ erhoben bin."
„3)cr ungeheuerfte ©feptifer" aller Seiten prebigt feiner 9Jctttuelt : „äftoral

unb ^ulturfortfchritt finb nicht in Übereinftimmung." „Sticht bas „@goiftifd)e"


unb bas „Unegoiftifdje" ift ber (Grunbgegenfatj ,
melier bie 9ttenfchen §ur

Unterfcheibung üon gut unb böfe, fittlieh unb unfittlid) gebraut hat, fonbern:
(Gebunbenfein an ein §erfommen, (Gefe| unb Söfung baoon."
„@s hanbelt fich für mich", fagt Wie£fd)e, „um ben SBert ber 9floral, —
unb barüber hotte ich nuc*) f a ft aKeui mu meinem großen ßel)rer (Schopen-
hauer auseinanberjufe^en ; es hobelte fich in Sonberljeit um ben SBert bes
„Unegoiftifehen" , ber Sttitleibs-, ©elbftüerleugnungs * ,
«Selbftaufopferungs*
inftinfte, meld)e gerabe Schopenhauer fo lange üergolbet, öergöttftdjt unb
Derjcnfettigt hatte, bis fie ihm fdjltefjlidj als bie SSerte an fich üöri 9 blieben,

auf (Grunb beren er jum Seben, auch §u fich felbft, „Wein" fagte. 21ber

gerabe gegen biefe Snftinfte rebete aus mir ein immer grunbfä^licherer Sfcg-
mohn, eine immer tiefer grabenbe Sfepfis! Gerabe hier fah ich bie große
@efahr ber 9flenfchheit , ihre fublimfte Socfung unb Verführung tooljin —
bod), in Wichts? — gerabe hier fah ich ben Anfang oom @nbe, bas Stehen^
bleiben, bie ^urüdblidenbe Sflcübigfett, ben SSiUen gegen bas Seben fich ttenbenb,

bie lefcte ^ranfheit fich Ertlich unb fchtoermütig anfünbigenb: ich öerftanb
— 27 —
bie immer mehr um fidj greifenbe TOtleibS * äftorat, metcfje felbft bie $Ijtto*

fopfjen ergriff unb franf machte, als baS unheimtichfte (Symptom unferer un*
heimlich gemorbenen europäifchen Kultur, aU ihren Ummeg ju einem neuen
SBubbfjiSmuS, §u einem Europäer - SBubbhiSmuS jum — -ftihiliSmuS."

„2Bir ^aben eine ®ritif ber moratifchen SBerte nötig, ber SBert biefer
Söerte ifi felbft einmal in $rage ju ftellen."

„äftan fyat bisher auch nid)t im ©ntfernteften baran ge^meifett unb


gefdjmanft, „ben ©uten" für höljermertig als ben Sööfen anpfeifen, f)ö^er-
mertig im Sinne ber $örberung, Sftütjftd^eit , ©ebeifjlichfeit in §infic^t auf
ben 9ttenfcf)en überhaupt." „2Bie, menn baS llmgefe^rte bie 2öahrf)eit märe,
toie menn im „©uten" auch ein 9tücfgangSft)mptom läge, inSgteidjen eine
©efafir, eine Verführung, ein ©ift, ein ^arfoticum, burdj baS etma bie

©egenmart auf Soften ber gufunft lebte?"


„9J?an §at urfprüngltd) unegoiftifdje §anbtungen öon Seiten beren ge*
lobt unb gut genannt, benen fie ermiefen mürben, alfo benen fie nütjtidj
maren. Später f)at man biefen Urfprung beS SobeS üergeffen, unb bie un*
egoiftifcfjen ^anbtungen, meil fie gemohnheitSmäfjig immer als gut getobt
mürben, auch als gut empfunben — mie als ob fie an fid) ettoaS ©uteS
mären."
gür Iftieijfdje ift ftar, bajg öon biefer Sfyeorie ber eigentliche ©nt*
ftehungSfjerb beS Begriffes „gut" an fatfcfjer Stelle gefugt unb angefe|t
morben ift. £)ie Vorgefechte üon „©ut" unb „Vöfe" erfahren
boppette
ttrir fcf)on in bem 5lpl)oriSmuS 45 feinet SSerfeS: SD^enfc^Iicfie^ unb OTju*
menfcf)licheS.

„$)er Vegriff gut unb böfe hat eine boppette Vorgefechte: nämlich ein*

mal in ber Seele ber f)errfd)enben Stämme unb haften. 2Ber bie Sttacht
§u oergetten l)at, ©uteS mit ©utem, VöfeS mit Vöfem, unb auch mirflidj
Vergeltung übt, atfobanfbar unb racf)füdjtig ift, ber mirb gut genannt;
mer unmäcf)tig ift unb nicht oergelten fomt, gilt als fdjledjt. Slftan gehört
als ©uter §u ben „©uten" einer ©emeinbe, meldte ©emeingefüf)l §at, meil
alle (Sinjetnen buref) ben Sinn ber Vergeltung miteinanber öerflod)ten finb.

üftan gehört als Schlechter §u ben „Schlechten", §u einem §aufen unter-


worfener, ohnmächtiger Sttenfchen, ©emeingefühl h aDen
metche fein -

@uten finb eine ®afte, bie Schlechten eine 9#affe ©ut unb fehlest
mie ^tauh.
ift eine .geittang fo oiet mie oornef)m unb niebrig, §err unb Sflaoe. da-
gegen fieht man ben geinb rttcftt als böfe an : er fann oergetten. 3)er £rojer
unb ber ©rieche finb bei §omer beibe gut. Sticht ber, meldjer unS Schäb*
lidjeS jufügt, fonbern ber, melier üerächtlich ift, gilt als fehlest. 3n ber
©emeinbe ber ©uten oererbt fich baS ©ute ; eS ift unmöglich, ba§ ein Schlechter
aus fo gutem (Srbreiche h^roormachfe. %ut tro^bem einer ber ©uten etmaS,
baS ber ©uten unmürbig ift, fo oerfäUt man auf Ausflüchte; man fdjiebt
— 28 —
jum SBeifptd einem ©ott bte Sdjulb 511, inbem manfagt: er l)abc ben (Muten
mit Skrblenbung unb 2Baf)nfinn gefd)lagen. — Sobann in ber Seele ber
Unterbrücftcn, Sftacrjtlofcn. §ier gilt jeber anbere TOcnfcf) als» fctnbltcf», rücf-
fid)t3lo3, au3bcutenb, graufam, liftig, fei er tiorncf)m ober niebrig; böfe tft

ba§ (£l)araftermort für SJcenfd), ja für jebc3 lebenbe Sßefcn, mcld)C3 man
üorau3fc|t, 511m Söeifpiel für einen ©ott; menfdjlid), göttltd) gilt fo üiel roie

teuflifd), böfe. S)a3 ^etcfjen ber (Mte, £ilfbcreitfd)aft, SJcitlcib, roerben angft»
üoll al3 £üdc, Sßorfpiel etne£ fdjredltdjen 2Iu3gang3, Betäubung unb Über*
liftungaufgenommen, furg al<§ oerfeinerte $o§fjeit. S3ei einer folgen (Me*
finnung be3 ©ngetnen fann faum ein ©emeinraefen entfielen, ^öcfjften» bte

roljefte $orm bcrfelbcn: fobaß überall, too biefe ^uffaffung üon gut unb
böfe Ijcrrfdjt, ber Untergang ber (Steinen, tf)rcr Stämme unb Waffen nalje
tft. — Unfere jetzige Sittlidjfeit ift auf bem 33oben ber f)errfdjenben Stämme
unb haften aufgemad)fen."
,,©ut" rüljrt ntdjt oon benen fjer, fo miß e3 SRiefcfd)e, meieren ©üte
ermiefen totrb. Sie „©uteri", b. fj. bie Sßornefjmen, 9Jcäd)tigen, .<pöf)ergcftcllten,

§od)gcfinuten empfanben fid) unb iljr £un alä gut, al§ „erften 9?ange§",
im ©egenfatj gu allen fiebrigen, ^tebriggefinnten, ©emeinen uub pöbelhaften.
„Sa§ ^atf)o§ ber $ornef)ml)eit unb Siftang, wie gefagt ba3 bauernbe
unb bomtnierenbe ©efamt* unb ©runbgefüljl einer f)öf)ern tjerrfd^enben $lrt
im $erl)ältni3 §u einer niebern 3lrt, gu einem „Unten", ba3 ift ber Urfprung
be§ ©egenfatjeS gut unb fd)led)t." — SSie nun ber Herren * SJccnfd) fid) al§
„gut" anfetjt unb alle übrigen 9)cenfd)en, §anblungen unb Singe nad) fid)

abwertet, fo bebeutet beim Sflaücn-SWcnfdjen „gut" foüiel al3: „ungefährlich,


gutmütig ,
nid)t hart, ntd)t ftreng, lcid)t $u büpteren, burdj £eib unb %xi\iö
anberer lcid)t jum SftttgefiUjl gu bringen (fclbftlo3, altruiftifd))."

SSte au3 jenem „gut" fyitanZ 9tie£fd)e bte antife SBclt, rote er tfjre

9Jcoral als ariftot'ratifd) , als 2lu3brud be3 SBiHenS §ur 9Jcad)t, b. I). beS
auffteigenben Sebent auffaßt, fo bewertet er au§ biefem „gut" ba§ (£f)riften*
tum unb ben mobernen Semofrati3mu§.
5lu§ biefen beiben ©egeufatj * 9)coralen herauf entroitfcltc fid) unfere
moberne fittlid)c im „gall 28 agner" auSgcfprodjen
Sluffaffung, bie, lote eS
tft, biologifd) betrachtet, einen SSiberfprud) ber Sßerte barftellt. „Ser moberne
üöfenfd) fi£t ämifcfjen groci Stühlen, er fagt in einem Altern ja unb nein. Sötber

Siffen, roiber SStllen ^aben mir SSerte, SSorte, gormein, SÜcoralen entgegen-
gefegter Slbfunft im Seibe."
^iet)fd)e entminbet fid) beut bisherigen gnljalte ber begriffe „gut"
unb „böfe". (Sine 9caturgefd)id)te ber Ücoral bemeift il)m, bafc im ©runbe
l)inter all bem „gepriefenen l)öd)ften @ut" nur ber SSillc gur 93?adn fid)

bemegt, baß bie 9Horaleu nid)tS mel)r unb nid)t§ iueniger finb al» eine
— 29 —
,„3etdjenfprac£)e ber 2lffefte." $3a§ eine Seit au3 Srteb unb y^eic^urtg begehrt,

ba3 umfleibet bie Floxal mit ibealem ®tan%. gür i e ^f c£) e beftel)t nicht

„ba3 alleinige ^ßrin^ip aller moralifdjeu @efe£e", bie Autonomie be<3 3Billen§,

bie (Sintjeit oon Sßitte unb Vernunft. 2)a§ oon Hentern unb Richtern aller
Reiten geprebigte (Streben nad) 28at)rt)eit reißt c^f c£» e üon feiner trium*

phierenben £)öl)e fjerab unb prebtgt at£ ^fltdjtgebot allen, bie e3 Ißxtn motten:
-ber SD^enfcf) muß fid) felbft unb nitfjt anberen leben, nict)t bem SQcitleib nach*
gehen, ba§ nur bie Sugenb ber ©ct)lt)äcr)Iinge ift, ba3 nur fchmächt.
felbft

Starf fott ber StRenfc^ in feinem ^Bitten für fid) fein, greube ail ^ e j er ^jj-
haben, §u ber er gehört, ganj gehört, nict)t ba3 ®ute, nid)t bie £ugenben,
bie er felbft gefdjaffen hat, über fiel) ftetten, fonbern „jenfeit£ oon @ut unb
93öfe" oa§ nur für erftreben3mert, für gut erachten, ma3 ermitt: „Wt§> ift

ertaubt." 9?id)t Sufriebenheit ,


fonbern Steigerung ber Macht, nidjt grtebe
überhaupt, fonbern ®rieg, ntc^t Sugenb, fonbern £üd)tigfeit.
„£)a§ einzige @lüd liegt im Schaffen." „3 h* atte fottt mitfdjaffen unb
in jeber §anblung noch biefe§ @tüd haben."
3)ie Schwachen unb Mißratenen fotten gu @runbe gel)en. 2)a3 ift ber
erfte Sat> aller Menfchentiebe. Sßir müffen alle ba^u Reifen.
Verblüff enb fragt Sßiefcfdje: „2Ba3 ift fc^äblic^er als ein Safter? 2)a3
Mitleiben ber £at mit allen Mißratenen unb Schwachen."
„3)a3 gkl ber Menfd)en liegt in ihren §öcf)ften ©jemplaren."
$)arum müffen bie fräftigen Naturen ba3 9ted)t §aben gegenüber ben
Schmalen, bie gehorchen müffen.
Unferer bisherigen moralifdjen 23egripU)elt „Sdjulb, ®efoiffen, Pflicht,
ipeiligfeit ber $fltd)t" l)aftet „ein gemiffer ©erud) oon SBlut unb golter" an.
Sn ber „Morgenröte" mie im „3enfeit3 oon ©ut unb 23öfe" t)at 9Ue£fche
fd)on mit uorfid)tigem ginger auf bie in ben Zeitläuften immer mad)fenbe
SBergeiftigung unb „Vergöttlichung" ber @raufamfeit hingeneigt, meiere fid)

buref) bie ganje ©efd)ichte ber höheren Kultur £ief)t.


„Ol)ne ®raufamfeit fein geft, }o lehrt e3 bie ältefte unb tängfte @e*
fchidjte be3 Menfdjen."
„Unbekümmert, fpöttifd), gemalttätig — fo ttnlt un3 bie SSei^eit; fie

ift ein SBeib, fie liebt immer nur einen ®rieg3mann." „^Ringkampf um bie
Sßermenbung ber Macht, meldte bie Menfchheit repräfentiert."
®ibt e3 einen auSgefprodjenen geinb aller Gleichberechtigung, fo ift e3
9He£fd)e. Unter „bem ®efinbet oon heute" h a ft er am meiften ben So-
gialiften, ber „ben gnftinft, bag @enügfamf"eit^gefül)l be§ 5lrbeiter^ mit feinem
Heineren Sein untergräbt, ber if)n neibifd) mac^t, ber ilm ^ac|e tel)rt."

„^)a^ Unrecht liegt niemals in ungleichen ^ec^ten im Slnfprud)


; e§ liegt
auf gleite fechte. 2Ba3 ift fchlecht? 5ltte§, ma^ au3 Schwäche, au§ ^eib,
auä flache ftammt. S)er 5lnarchift unb ber (Steift ftnb gleicher §erfunft."
:

30

„$ic 99?cnfd)cn finb nidjt gleidj. Unb fie follen cS aud) nid)t mcrben!
28a§ märe beim meine Siebe 511m Übermenfdjen, roernt id) anberä fpräaje?"
„$luf taufenb Vrüden unb (Stegen follen bie äftcnfdjen fief) brängen jur
Sufunft, unb immer meljr ß'ricg unb Ungleichheit foll jfoifdjen fie gefegt
fein: fo läßt mid) meine große Siebe reben!"
„2Bo biefer ®amöf ber heften gegen bie heften eine ©mfdjränfung er*
fäfjrt, mo ber „SßiUe jur attadjt" niebergel)t, ba tritt Verfall ($ecabence)
ein. OTe SBcrte, melier 2lrt fie aud) gegenwärtig fein mögen, finb $>eca*
bence * Söerte. „£)ie ganje d)riftlid)e Se§re oon bem, toaä geglaubt tocrben
fott, bie gan§e djriftlicbc „SBahrfjeit" ift eitel Sug unb Srug: unb genau ba£
©egenteil oon bem, ma§ ber Anfang ber cfjriftüc^en SBefoegung gegeben (jat.

$a3 ®ercbe, tta3 im fird)lid)en (Sinne ba3 (El)riftlid)e ift, ift ba§ s
2lnti*
cf»riftlicC)e öon üornljerein." Sauter Sachen unb ^erfonen ftatt ber «Snmbole,
(auter ©iftorie ftatt ber emigen £atfadjen, lauter gormein, Riten, Dogmen
ftatt einer $rarj3 be£ Sebent (Sljriftlid) ift bie oottfommene ®leid)gültigfeit
gegen Dogmen, ®ultu3, ^riefter, ^irct)e, Geologie."
£)er Snftinft ber §erbe fyat in ben SDecabence » ^Berten ber Religionen,
befonberä be3 3ubentum3 unb Gljriftentumä ein $8oHtt>erf gefunben gegen
bie Vertreter ber §errenmoral, gegen bie ©tarfen unb Unabhängigen, beren
Sebenägefüfjle Stol§ unb Sebengfreube finb. 2ßa3 bebeuten bie SSorte Sefu
üon ber Vruberfcfyaft ber SDtafdjen, oon ber allgemeinen Sttenfcfjcnliebe an*
bere§, als ben Seibenben unb „@d)led)tmeggefommenen" biefer (£rbe ju geben,
\va§> beu Vertretern be3 „ariftotratifdjen gnbiüibualimuä" fdjon längft gemorben
ift! §ier liegen bie ©rünbe flar gu £age, marum ber 9)knfd)l)eit baS §inauf*
bilben jum Übermenfcfjentum nid)t gelingen, marum ba3 Seben biefer (£rbe
fiel) nidjt oerflären, öcrgöttlidjen toiH. £)ie ättoral be3 (£f)riftentum3 §ief)t

bie §errcnmenfcf)en, bie großen Naturen Ijinab §ur £erbe. „5)er üoKen ®raft
aber, bie ba fd)affen, leiben, untergeben mill: il)r ift ba3 d)riftlid)e Wludex*
£eil eine fd)led)te 3ttufif unb l)ieratifd)e ©ebärben ein Verbruß."
„$)a3 ©^riftentum mit feiner ^erfpeftioe auf „(Seligfeit" ift eine typtfdjc

S)en!meife für eine leibenbe unb üerarmte ©attung Genfer)."


„@in djrtftlidjer Staat, eine cl^rtftltcfje ^olitif ift eine (Sd)amtofigfcit,

eine Süge, etfoa mie eine djriftlidje §eerfüf)rung ,


toeldje §ule|t ben ,,©ott
ber §eerfd)aren" al3 ©eneralftabMjef beljanbelt."
„3)aS (Süangelium: bie SRadjridjt, baß ben fiebrigen unb Sinnen ein

Zugang jum ©lücf offen ftefjt, — baß man nic^t§ ju tun §at, al^ fic^ oon
ber 3nftitution, ber 5;rabition, ber Veüormunbung ber obern (Stäube lo<§=

gumacf)en: infofern ift bie §erauffunft be^ (£ljriftentum§ nid)tg meiter, ai£

bie „t^)pifct)e (Sojialiften-Se^re." „Eigentum, (Srmerb, Vaterlanb, @tanb unb


Rang, Tribunale, ^ßolijei, Staat, ^irc^e, Unterrid)t, Shmft, TOIitärnjcfcn
5lttc3 ebenfo üiele Verl)inberungen beä ©lüd^, Irrtümer, Verftridungen,
— 31 —
SeufelSmerfe, benen bctä (Süangelium ba§ ©ericfjt anfünbigt. — 2ltle§ tt)pifd?

für bie ©oäialiften^ßefjre."


Über bie alten ^erbrochenen £afeln be3 SOZoralgefe^eg f)at 9Ue|f dje ben
glud) be3 §affe§ au§gefprod)en. 9tae tafeln baut er auf, worauf m<f>t

gefcfjrieben fteljt üon ber Sugenb ber alten Sftoralen. SKiekfcfje mill nidjt
SDfanfcfjen, benen „£ugenb ber Krampf unter einer ^ritfcfje" fjeißt; er mag
nxdjt SDtenfdjen, bie „£ugenb ba§ gaulmerben ifjrer Safter" nennen; itun

finb bie Sttenfdjen ein ©reuet, bie, „je mef)r fie abmärtS gebogen werben,
je mef)r fie finfen, um fo gtüf)enber if)r 5luge unb iljre S3egierbe i^rem ®otte
teuften laffen." £ugcnb ift für SRtefcfcfje ttidjt „ba3 Zittert ber Mtag^Uljren,
bie immer mieber aufgewogen merben muffen", nidjt „ba3 ©titt-im-Sumpfe-
©i|en", nicfyt „eine Slrt ©ebärbe." „2ldj, meine greunbe! baß euer (Setbft

in ber §anblung fei, mie bie Butter im ®inbe ift: ba3 fei mir euer SSort
öon £ugenb!" „9leue bunte 9Jhifcf)eln" bietet ber ^fjitofopf) feinen Mit*
menfd>en, burdj bie „ba§ Seben ein Seben ber Suft" merben mirb, wofern
nicfjt „bag ©efinbet" mittrinft.
„2Benn euer §erj breit unb öott Wallt, bem Strome gleich, ein ©egen
unb eine ©efafjr ben 5lnWol)nenben, wenn tfjr ergaben feib über Sob unb Sabet,
unb euer SSitle allen fingen befehlen will, at§> eine3 ßiebenben SBiEe Wenn ;

i|r ba3 2lngenef)me üeracr)tet unb ba§ meiere 23ett, unb öon ben 2öeic^ti(f)en

eudj mc6»t Weit genug betten fönnt; Wenn ifjr eine§ SBtUen^ SßoHenbe feib

unb biefe SSenbe aller 9fr)t euef) 9fatWenbigfeit fjeißt, ba ift ber Urfprung
eurer Sugenb." ,,3Sal)rtic£), ein neue§ ©ute3 unb 93öfe3 ift fie! 2BaI)rticf) r

ein neue£ tiefet 9taufd)en unb eine3 neuen Duetle3 Stimme!


„2lufwärt§ gef)t unfer SBeg, üon ber 5lrt %ux Über«2lrt."

„Saufenb ^Sfabe gibt e3, bie noef) nie gegangen finb, taufenb @efunbf)eiten

unb verborgene (Silanbe be3 Sebent. Unerfcfjöpft unb unentbeeft ift immer
nod) äftenfd) unb SO^enfcrjen ^ @rbe."

„9Bad)et unb fjordjt, ifjr ©infamen! SSon ber S^unft fjer fommen
SBinbe mit fjeimtidjen gtügelfdjlägen ; unb an feine Ofjren ergebt gute $8ot*
fdjaft." 2lber bie gute 23otfd)aft trägt ber 9)tafd)f)eit gorberungen entgegen r
bie §u nur einem übermenfdjlidjen SBefen mögtid) finb, ba3 über
erfüllen,
alle3 Seib unb alle Schwere be3 Sebent §u trtump^eren tiermag. „2BaS
ber ganzen 9ttenfd)f)eit zugeteilt ift, in feinem Selbft §u umfaffen, of)ne ju
§erfcf> eitern , ba£ erforbet einen Sftenfdjen, größer aB 5llej:anber unb (£äfar,
größer als Napoleon unb ©oetfje. §ier ift ber größte äflenfd) nod) ju flein,
um -ftietjfdjeä auf§ §öc^fte gefpannte gorberungen §u erfüllen.

SDer eine, ber e§ tiermoct)t f)ätte, tion bem fagt garatfjuftra: „Sßal)rticf) f

ju frü^ ftarb jener §ebräer, ben bie ^ßrebiger beS langfamen Zobtä e^ren,
unb öielen marb t§> feitbem §um SSer^ängniS, baß er ju früt) ftarb.
— 32 —
9iod) formte er mir bie krönen uiib bic Sdjmermut bes Hebräer«, famt
bem §affe bereuten unb ©eredjtcn, — ber .frebräer i^cius: ba überfiel t()ti

bie ©eljnfudjt §um £obc.


Söäre er bod) in ber SBüftc geblieben unb ferne öon ben ©uten unb
©eredjten! SSieftetdjt fjätte er (eben gelernt unb bie (Srbe lieben gelernt —
unb ba3 Sadjcu bagu! ©laubt e3 mir, meine ©ruber! Gr ftarb gu frül);
er felber fjätte feine £ef>re miberrufen, märe er big gu meinem Hilter ge«
fommen! ©bei genug mar er §um SBiberrufen.
5X6er ungereift mar er nod). Unreif liebt ber 3>üngftng unb unreif Ijafst

er aud) SD^enfct) unb @rbe. Mngebunben unb fdjmer ift iljm nod) ©emüt
unb ©eifte<oflügcl. #ber im Sftann ift meljr ®inb, all im 3ünglinge unb
s

meniger ©djmermut: beffer Oerftetjt er ftd) auf £ob unb Seben."


3)ie Religion be§ „intereffanteften 3)efabent", „mit bem ergreifenbftcn
Steig einer folgen 9Jcifd)ung Don (Sublimen, ßranfem unb ®inbücf)em\ mie
s
J?ie^fd)e (£t)ri)tu3 gu nennen beliebt, gibt nadj bem ^rebiger be3 Über*
mengen nidjt bie Grlöfung. „©ringt euet) batjer bie (Srfaljrung öon gmei
igaljrtaufcnben gur Grioägung !
— meldje, in befdjeibene grageform geflcibet,

fo flingt: menn (Sf)riftu§ mirtlid) bie s2(bfid)t fjatte, bie 28elt gu erlöfen, foltte
e3 ifjm nid)t mißlungen fein?" 2)er „frof)e 23otfd)after" ftarb, mie erlebte,
tote er lehrte, — nidjt um „bie 9#enfd)en gu erlöfen", fonbern um gu geigen,
mie man gu leben Ijat. 2)ie ^raftif ift c3, meiere er ber 9#enfd)l)eit Ijtnter*
lieg: fein Verhalten bor bem 9iid)ter, oor ben §äfd)ern, üor ben ^Intlägern
unb aller #rt ©erleumbungen unb §of)n,
s
— fein ©erhalten am ®reug. Gr
loiberfteljt nidjt, er üerteibigt ntdjt fein 9iecf)t, er tut feinen (Stritt, ber ba3
Slugerfte oon tym abwehrt, — mef)r nod): er forbert e3 f)erau§. . . Unb
er bittet, er leibet, er liebt mit benen, bie üjm SBöfcS tun.
3)er „intereffante £)efabent\ ber auf bem ©erge ber $erfuct)ung, ben
gürft biefer SBelt meit t>on ficf> meift, ber 51rmut, 9ciebrigfeit, Verfolgung,
Sdjmad), Seiben unb £ob ermaßt, ber bie Söelt üeradjtet unb feine jünger
leljrt, fid) gegen ifjre Sntereffen gu behaupten, bie Unabljängigfeit gu 6e-

maljren, ber ifmen guruft: ben ßeib tonnen fie töten, aber bie Seele fönnen
fie nidjt töten, ber gegen bie Sttädjte ber §errfdj)aft, gegen bie ^oljcnpriefter

unb Scrjriftgeleljrten fid) gang auf fief) felbft unb „feine perfönüdje ©eroifcljeit
ftettt", ift für 9fte|fd)e nichts mef)r unb nidjtä meniger al3 Der ©egrünber
ber Religion ber §erbentiere unb ber Sflaoenmoral, ber SBieberbeleber „eines
2ütertum3, ba^ au^ ferner $or§eit in unfere Reiten tjereinragt". „Gin
©Ott, ber mit einem fterblic^en SBcibe S?inber erzeugt; ein SBeifer, ber auf^

forbert, ntdjt me^r ju arbeiten, ntct)t mel;r ©ericf)t ju galten, aber auf bie
Seidjen be^ beüorftel)enben SßeltuntergangS gu achten; eine ©eredjtigf'eit, bie
ben Unfc^ulbigen al^ fteHoertretenbe^ Opfer annimmt; jemanb, ber feine Sünger
fein 93lut trinten ^eijst; ©ebete um SBunberetngriffe. ©itnben an einem ©Ott

X
— 33 —
üerübt, burd) einen (Sott gebüßt; $urd)t üor einem genfeit3, §u Welchem ber
£ob bie Pforte ift ; bie (Seftalt be£ ^reuje-o al3 Symbol inmitten einer 3eit,
tDeIct)e bie Schmach be3 ®reu§e3 nicht mehr rennt, —
SBeftimmung unb bie

Wie fchauerlicr) Wef)t un£ bie§ aUe§, tüte aug bem (Srabe uralter Vergangenheit
an! Sollte man glauben, baß fo etwa§ noct) geglaubt wirb?" „$>a§
S^riftentum jerbrücfte unb §erbracf) ben 9Dtefcf)en üollftänbig unb üerfenfte
ir)n Wie in tiefen Schlamm: in ba3 (Sefüt)l üölliger Verworfenheit lieg e£
bann mit einem 9ttale ben (Slanj eine§ göttlichen Erbarmend hineinleuchten,
fobaß ber Überrafcr)te, burch (Snabe betäubte, einen Sct)rei be£ @nt§ücfen§
ausftieß unb für einen 2lugenblicf ben ganzen §immel in fich ju tragen
glaubte." ... ®a3 (SJjrtftetttum „Will üernichten, jer&redjen, betäuben, be-
raufchen, t§ Will nur (£in3 nicht: ba§ äftaß, unb be^r)alb ift e3 im tiefften

Verftanbe barbarifcr), afiatifcr), unüornehm, ungriechifcr)."

ftie^fche finbet barum auch, fotoeit er auch au3füär)t, nicht in bem


SSeltüberWinber ober in feinen Anhängern bie üon ihm geträumte Überart
be£ SKenfctjen, bi3 fdjließlich in feinen unglücflichen Sagen er in fich f^ft

ben ^eilanb, ben Übermenfch fühlte, ber ber Sßelt „ba3 Seftament einer
neuen (Sittlichfeit unb üotlenbeten Söiebergeburt" fctjenft. $n bem 2Bar)ne ber
legten 3eit hat biefer (Sebanfe in ihm fo tiefe SBurget gefctjlagen, baß er feine
legten Briefe al3 ber „(Sefreujigte" unterzeichnete.
$ie Sragöbie biefe£ Sebent fctjließt aber nicht ohne ein 23efenntni3 be§
mahrheitäliebenben ^h^ f ü rt en unö ®ich^ 3 nx : Schöpfung be£ üon ^ie^fche
erfehnten Übermenfch entumg genügt nicht „eine bloße Sittlichfeit be§ ftarfen
2öißen£." gurücfgelenft in bie erfte §eimat feinet SBerbenS — bie zweite

fanb er in SBonn, bie im Sanbe ber Sehnfucht, in Italien


britte gurücf* —
gelenft in bie ftitle, fromme Sltmofühäre be3 väterlichen ^farrtjaufeä in
Sftöcfen bei Sü|en, in bie eng umhegten gormen jener 3at)re üon 1858—64

in Scrjulüforra, Wo ber weitumgreifenbe (Seift ba3 fingen mit (Sott unb


(Söttern jum erften SRale aufnahm, hören mir ihn au3 biefen Erinnerungen
fürecrjen: „Religion haben heißt bem Seben einen ewigen Sinn geben, mitten
im ©üblichen ba£ Unenbliche fühlen unb befitjen." 2)er Sertrümmerer be3
chriftlichen (Sorte3gtauben3 , ber cr)rifrlichen Etln'f fucht nach einem neuen
(Stauben, nach «einer haften formet ber Bejahung".
3m „Ecce homo", feinen autobiographifch^n ©fijjen, fchreibt Sftietjfche
im §erbft 1888: „£)ie (Srunblon^eption be3 SBerfeS", ber „Einige -SBieber«
fünfte * (Sebanfe" biefe höchfte formet ber Bejahung, bie überhaupt erreicht
;

werben fann, gehört in ben 5luguft be3 3at)re3 1881: er ift auf ein Sölatt
hingeworfen, mit ber Unterfct)rtft : 6000 guß jenfeitS üon 9ttenfcf) unb Stitl
3ct) ging an jenen Sagen am See üon Silüaülana burch bie Söälber; bei
einem mächtigen, prjramibal aufgetürmten Sötocf unweit Surlei mache ich

$>a fam mir biefer (Sebanfe: „TOeS geht, aUe^ fommt gurücf, ewig rollt ba3
& ä u l e r , Schopenhauers unb 9iie$fa;es ^effimismuö. 3
— 34 —
9*ab beä ©cinä; attc§ ftirbt, attc§ blüfjt toieber auf, etoig läuft bas ^afjr
be3 ©ein3. Mc<§ brirfjt, attcä toirb tüte neu gefügt; etoig baut fid) ba3
gleidj §au3 be§ ©ein«. s
Me3 fdjeibet, alles grüftt ftd) lieber, ctoig Bleibt

ftd) treu ber SRing bc§ ©ein§." „£>a§ £eben felber fdjuf biefen für bas
£cben fdjtoerften (Gebauten, c§ toiGC über fein £)inberni<s fnntoeg." muß
„9Jcan
oergeljen motten, um toieber entfteljen ju fönnen, — üon einem Sage §um
anbern. Skrtoanblung burd) l)unbert Seelen, — ba£ fei bein Seben, beiu
©djidfal! Unb bann gule^t biefe ganje fHet^e nod) einmal motten!"
„Unfterblid) ift ber 51ugenblid, too id) bie SSieberfunft jeugte, um biefe§
$ugenbltde<§ mitten ertrage id) bie Söieberlunft. 3n ber unenblidjen geit
unb bem Kreislauf aller 2)inge fef)rt biefe£ ßeben mieber." Unfer fieben
— ein etoigeä Seben, eine uralte orientaltfcfje unb bann pt)tfjagoräifd)e 3ßei3-
bie bem unglüdlidjen ^fn'lofopljen al3 ein
Ijeit, letjter rettenber ©traf)! au3
bem 5Ibgrunb be3 fcfjon franfen §irn§ aufftteg. „9htr toer fein ®afein für
etoig toieber()olung3fäljig l)ält, bleibt übrig."

„$)enfen mir biefen ©ebanfen in feiner furd)tbarften gorm: ba£ £)afein,

fo mie e3 ift, oljne ©imt unb Siel — aber unüeränberlicf) toieberfel)renb, ofyne
ein finale in 9ßid)t3: bie etoige 2öieber!el)r — ba£ ift bie ejtremfte gorm
be3 9ciljtli3mu3: ba3 9ftd)t3, ba3 ©innlofe etoig!" (3füc^l.)

„2öir leugnen ©djlufj^Stele : f)ätte ba3 2)afein ein§, fo müßte e3 erreicht

fein."

„SSenn bu bir ben ©ebanfen ber ©ebanfen — ben ©tauben an bie

ctoige SBieberfunft — einverleibt Ijaft, fo toirb er bid) oertoanbeln! bein


Seben — bein etoigeä Seben!"
„$)ie nid)t \>axan ©laubenben müffen iljrer -ftatur nad) enblid) auäfterben."
3n bem (Glauben an bie etoige SBieberhmft, in bem (Srnft unb ber
©tärfe biefe3 ($lauben3 liegt ber toaljre ©efjalt be3 ßeben3, liegt bie Srücfe
jum Übermenfc^en. £)urd) ben ©lauben an bie 9ttögltd)feit be£ Übermenfdjen*
tum3 fott ber in btefem „Sinale in 9lid)t$" liegenbe $effimi3mu3 erträglich
toerben.
9Jcan l)at bei -iftiekfdje brei (SnttoidlungSpfyafen toaf)rnel)men motten, eine

äftfjetifdje 3ugenbperiobe, in ber ber $lnlofopf) erfüllt toar oon einem roman*
tifcfyen $efftmi3mu3, in ber unter Meinung an ©djopenljauer unb Söagner
s
Jtte£fd)e in ber ®unft ba£ §öd)fte erblicfte, „eine aufflärerifdj intetteftua-

liftifdje Übergang^jett , bie ^eriobe be0 metap^fif * f einbüßen utilitarifc^ett

Oütimiämuö" in ber bie (SrfenntniS ber Sßa^eit i^m baö einzige 3iel
,

toar unb enbltcf) eine „antid;riftlic^e ^eriobe be3 ^raftnaturali^mu^", ber


§errenmoral mit bem 3beal ber S^^tung beö Übermenfc^en.
2Bie bem auc^ fei, in einem 3uge ift fid) ber $fnlofopl), ber oon fic^ s

fagte: „3dj l)aU mic^ jtoeimal überlebt", „idj §abe ba§ Talent nify, treu
§u fein", „nur toer fief) toanbelt, bleibt mit mir oertoanbt", treu geblieben,
— 35 -

in ber pefftmtftifcfjen Verurteilung beS SebenS, tote eS mar unb ttrie eS ift.

§ier mufjte S^te^fdhe ^ßeffimift bleiben; benn auS feinem innerften SBefen heraus
fprtc^t er im „bitten §ur Sftacht": „3d) bin öotfer Slrgmohn unb VoSf)eit
gegen baS, maS man „8beat" nennt: Ijier liegt mein ^geffimiSmuS, erfannt
§u fyabtn,ttrie bie „höhern ©efüfjfe" eine Cuelle beS Unfjeüä, baS §ct§t ber

Verfeinerung unb SBerterniebrigung beS 99?enfchen finb."

IV.

Schopenhauer unb -ftietjfche, beibe ^ßeffimiften! mürbe groß


SDer eine

an ber 2SeItanfcf)auung beS anbern. Schopenhauers ift an bem


9Jc*etaphpfif

Sd)üler, foüiel unb fotange er fief) auch manbette, haften geblieben, konnte
fonft -Kieijfche „ben guten Sttenfchen" atS eine SetbftbejahungSform ber 3)e*
cabence öerurteilen ? (Schopenhauer ttrie ^ietjfche fyahtn eine gemeinfame
®runblage in ihrer SMtanfchauung, ihrer SBißenSauffaffung. 5lber bie

S^etaphpfifer beS SöiüenS h aDen oen ^ißen miftoerftanben. Sie üermechfelten


ihn mit ber Vegierbe. — SDie fRaferet beS Sobfüchtigen , in ber S^open*
hauer baS SSefen beS SötllenS uns erfennen (ehren totU, in ber fid) ber
SBiHe in feiner ttmhren -ftatur offenbaren foU, ift t>on uns niemals atS
SSBiße aufgefaßt tüorben. £>er SBtlle beS ®eifteSgeftörten ift nicht ber SöiEe
unferer großen (Staatsmänner. @r ift ber bünbc, geftattlofe, §ieUofe SBttte,
ber „auS ben liefen ber ©rfcheinungSmelt, auS ihrem ruljetofen, unbefriebigten,
immer mechfetnben begehren r)erausfier)t unb ber baS ganje (betriebe ber @r-
fahrungSmelt in Vemegung fe|t." $)ie (£rfcheinungSmett beS gntellefteS ober
bie Vorfteftung ift nach Schopenhauer bie „ Ob jef titrierung beS metaphpfifchen
SßeltgrunbeS , beS blinben SBiflenS." „(£S ift ein unbegreiflicher Vorgang,
ber baS ettrige SBefen ber £>inge in fitf) enthält, ber ben SSiUen in einer
faufalen SSett ber (Srfcheinung öerförpert unb ihn öon @egenftanb $u @egen*
ftanb enbtoS Ijefct."

hierin liegt fragfo^ ein fernerer gehler ber SMaphpfif Schopenhauers.


Söenn auch öer SBetfe tton Königsberg mit ber Hegemonie ber praf*
tifchen Vernunft bem SBiöcn ben Primat über ben 3ntetteft §ugefprochen hat,
fo hat er bodj nie baS „&ing an fiel)" in einem blinben UrmiHen erfaffen
iroHen unb fönnen.
gidjte hotte in ber Sef)re t>om SBillen biefen als ben ©ntttricHungStrieb,
ber baS üorftettenbe Seben ^eröorruft unb fteigert, erfannt unb mit feiner
„Sathanbtag beS 3dj" bem SBiHen bie Vorrangftellung üor bem Sntetteft
gugemiefen. 2tber auch *h m ^gt bie Annahme einer SöillenSauffaffung
Schopenhauers im Sinne eines btinben UrmittenS fern, immerhin h at
3*
gtdjte bcn 2öeg erleuchtet, tote Shmo gifcfjcr fd)reibt, auf bem Schopenhauer
bic ®runbibee fetner Se^re gcfunbcn hat.
25er SBtHe fann, fo lehrt aud) Schopenhauers großer Schüler Gbuarb
oon ©artmann, nicht bloß als alogtfdjer blinber SBille, als ein fcfjtecfjt^tn

irrationales gefaßt toerben, toeil es unmöglich ift, bas Sogtfct)e aus bem
Sllogifchcn, bas Nationale aus bem irrationalen ableiten. 9^act) ihm muß
ber Söeltgrunb Söitle unb SSorftellung, bie Einheit üon beiben fein.

„ßs gibt fcf)lcdjterbtng3 nichts auger bem SD^enfcfjen , noch ™ fy m > toas
er OoK unb ganj fein eigen nennen tonnte, aufgenommen feinen Sßillen",
fo lefen mir auch üe * 2Bunbt, ber bie testen Einheiten aUeö 2ötrfltcr)en als

Sßillenseinheiten erfennt, bie fid) felbft erft bie objeftiüe SSclt ber materiellen

Subftan^ erfetjaffert. 2Sas ber große intelleftualift Seibnij in feiner 9ttonaben=

toelt als ruhenb nebeneinanber betrachtet , fefet SSunbt um in eine „aftuelle

©emeinfehaft unb SBechfelbeftimmung fcr)öpferifcf»er ÜESefen." — 3)ie SBelt ift

nach Söunbt (Snttoidlung bes ®eiftes, unb ©cfdjehen, aber


etoiges Söerben

nicht ein ^Serben, bas ohne $iel bas ^orljanbene jerftört, fobaß 9?eucs bann
an feine Stelle trete, fonbern ein ftetiger gufammenhang ^medooller (#e-

ftaltungen, ein ©ebanfe, ben Seibnij unb ©erber fchöpferifch unb prophetifch
lehrten. SSir taffen außer (Srtoögung, baß neben ben SBiltenSmetaphtyftfern
heute toie §u allen Reiten eine fRett)e Oon $h^°f°P^ en — x § nenne aus
neuerer Seit nur ©eget unb ©erbart, aus jüngfter gtit SJceumann (intelligent
unb SGßiHe) — in bem (Srtennen bie toefentlid)e ®raft unb Aufgabe ber
Seele erbliden.
Verfolgen mir innerhalb ber äftetapfyjfif Schopenhauers ben öolunta*
riftifchen ©ebanfen, fo tann unS nicht entgehen, toie ber $h^°foph fe* n
SBillensproblem überhaupt nidjt gelöft h^t. (£r rennt einen 3 u f* an b, tote

toir oben ausführten, too ber Menfct) bie 5tufnterffamfeit nicht mehr auf bie
Sttotioe bes SSillenS richtet, too er frei toirb öon bem fchnöben SBillensbrang,
too er gum reinen, toillentofen, fchmer^lofen, gettlofen Subjeft ber ©rfenntnis
toirb, too nidjt mehr bie einzelnen Xinge unb beren $erhältniffe bie atle ,

im legten @runbe auf Beziehungen gum Söitlen hintoeifen, ber ©egenftanb


ber S3etrad)tung ift, fonbern bie allgemeinen etoigen Sttjpen, bie platonifchen

ibeen.
$)er intelleft, ber Liener beS SBidenS, fein Sflaüe erhebt fid) gegen
feinen £t)rannen unb „toirb üom anfdjauenben $ier §um Genfer, jum Sprach*
bilbner, jum oernünftigen intelleft, sunt SD^etapt)t)fifer jum ,
$(jilofopljen,

§um ©enie unb $ünftter, ber bas SBefen ber SSelt in ihren reinften unb
etoigen formen erfennt unb abbilbet, enblict) üom ®enie jum ©eiligen unb
(Srlofer". 2Bir ftef)en hier oor einer grage, oor einem SRätfel, beren ßöfitng
uns ber 9)ietapt)t)fifer bes SöillenS fdjulbtg bleibt. 2öof)er nimmt ber in*
teßeft bie Wladjt, bcn Hillen 3U töten? £)te ^nttoort toirb in ber SWeta-
— 37 —
phtyfif (Schopenhauers nicht gegeben, genau fo, tote er auch leine ©rflärung
für ben tfjm fo oft junt Sßormurf gemalten ^SWelfc^Iug hat, baf$ nämlich
„bie SBorftellung ein ^robuft beS ©efjimS unb baS ©e^irn ein ^ßrobuft ber
SßorfteUung" fein foU.
2)er gunbamentatirrtum ber ^^ilofop^ie (Schopenhauers, aus bem heraus
ber ^effimiSmuS nottoenbig erfolgen mug, liegt in ber Anficht, bafj ber etoig
im blinben 2)unfet oerfjarrenbe £rieb, ber SSiEe (Schopenhauers über ben
Wltxtffytn hinaus feine ©ntmicflung fennt. 3n unoerftänblichen kämpfen, in
unabläffigem drängen toben fid) im menf glichen SDafein bie triebe auS, bie
im SBitten beS 9J^enfct)en ihre ^öc^fte Sßerförperung finben. gür bie (£nt*
toicflungSgefchichte beS ©eifteS im (Sinne §egelS gum allgemeinen (Reifte, &u

©Ott §in, für bie Aufgabe beS 3J?enfcr)en, als „©lieb in ber großen Kontinuität
ber @ef<f)id)te", baS getragen nnrb oon biefer Allgemeinheit, bem Duett feiner

(Sittlichfeit, an bem großen SBerf ber SCRenfc^^eit „ber Sftücfleitung ber (Schöp-

fung ju ®ott", tote ein altes m^fttfcCje^ SBort eS nennt, mitjumirfen, ^at
(Schopenhauer fein SBerftänbniS. (£r fennt nicht bie Aufgabe, beren @r-
füttung bem 9ttenfcf)enbafein erft (Sinn unb Söefriebigung gibt, „forfdjenb
unb geftaltenb, nü|enb unb begreifenb alle SSeiten unb Siefen ^u um*
fpannen, alle Staffen unb gernen ju burcfybringen , baS 3<f), ben Keim
©öttlid)feit in unS, nach feiner unenblichen Kraftmöglichfeit ju entmicfeln,
nac^ feiner ungemeffenen 9ftadjtbered)tigung betätigen, immer mieber er-

regt burd) bie unmittelbaren Antäffe enbärnoniftifc^en SöcbürfenS, getragen


üon ben mächtigen formen, bie oer <&taat gemährt, oerflärt burd) bie ^Be-

ziehung gu bem emigen Stcfjt , in beffen (Strahl erft biefe ©onnenftäubdjen


Gmbtid)fett leuchten unb fich regen." (Schopenhauers SBittenSmetaphtyftf rauft

bie SJc'öglichfeit eines fünftigen gortfdjrittS , mufj überhaupt bie ©efdjidjte


als folche üerneinen. gür ihn ift ©efdjichte baS emige Einerlei in immer
anberer SSerfleibung, ein fteteS, nicht enbenbeS, §iel- unb grunblofeS (Streben.
3m herein mit ber SBeltfchmerjftimmung ber Sftomantif unb perfönlichen
Regungen, toie fie ^aulfen in feinen brei Auffä^en §ur -iftaturgef deichte beS
^effimiSmuS „(Schopenhauer, §amtet, SftephiftopheleS" unS nahe bringt, hat
(Schopenhauer oon biefem grrtume auS, oon ber Sßerfennung beS gefd)id)t-
liehen gortfchrittS, toie er fich ™ °er (Snüoidlung ber Söienfchh^t ail f feiffert-

fchaftlichem, technifchem, politifchem unb fokalem (Gebiet jmeifelloS ooll§ogen

hat, fein grau in grau gemaltes Söilb beS 2)afeinS entworfen. (Schopen-
hauer oerneint bie ©ef Richte, um ben ^effimiSmuS bejahen §u fönnen. gür
ihn befteht nicht bie hiftorifche Sßiffenfdjaft, bie „inbioibuatifierenb bie S3e-

griffe üon ^iftorifcf)eri £eilinbiüibuatitäten jur gefd)loffenen Einheit eines


Begriffes ber l;iftorifcf)en Uniüerfalinbiüibualität" jufammenfügt. ($r toeife

t)on einem „fechte", baS bem ©ef Sichtlichen als fold)em gufommt, nichts,

gür ihn ift ber §iftoriSmuS als SBeltanfdjauung ein Unbing. 3)ie geflieht-
— 38 -
Itd)c (Sntmitftung geigte tl)m feinen gortfdjritt. ©ie mußte if>m rjän^Hcf) at£
finnto§ erfdjeinen.
©djopcnfyauer tjat niemals erfannt, mag bie 9D?enfcf)f)ett legten (2nbes
praftifd) ©Raffung be3 3feid)c3 oon ^erföntidjfeiten ber in fidj)
fott, btc ,

fraftooßen, reiben unb einfjeittidjen ^erföntidjfcitcn bie in immer ootterem ,

Umfange unb immer reiner ein Spiegel ber gangen Söett merben fotten, bie
burd) il)r großem SBoUcn unb burd) bie 93ef)arrtid)feit e3 auszuführen, ficf> ,

§u Organen ber ©otttjeit tnadjen unb fid) in ben £ienft be§ ©an§en ftetten,
bie Geringeren fjeraufgugiefjen, um fo bie große (£inf)eit öon 3»d)en §u fdjaffen,
bie ben 9ttafrofo3mo3 in feiner f)crrtid)en güttc unb in öotter £eutlid)feit
fpiegetn. ®ie §errenmorat bc£ autonomen 2Bitten3, tute fie ©ofrateS unb
^ßlato, wie ©pinoga unb Kant, Seffing, ©d)itfer unb ©oetfje
fie 8utf)er, mic fie

unb SBagner unb oor aßem im 19. SaWunbert, aud) fyier ein getreuer (Sdart,
93i3mard fo fjerrtid) barftettte, fennt ©d)openf)auer in feinen Herfen ntctjt.

©d)opentjauer§ ©feptigigmu3 toirb in 9?iet3fd)e §um üottftänbigen 9?if)i=

li3mu§. OTe unfere gcfdjicfjtlidjen 2öerte (Staat, fRec^t ,


Kunft, Religion,
metdjer 2lrt fie audj fein mögen, finb für 9fte£fd)e finntoä. $on allem 93e-
ftcljenben entwirft er eine oom bitteren §ot)ne begleitete Karifatur. gn
allem, ma§ befteljt, l)at er ben $8emei3 bafür, baß bie tollfte ^ringipien*

lofigfett im Söerben ber Kultur t)orf)errfd)t. 3)arum mill er ©efd)id)te machen,

Kultur fct)affen. ©oetfje forberte, baß ba§ ^robuftioe mit bem §iftortfd)en
Oerbunben merben muffe, um mirflid) probuftio fein gu fönnen. 2Ba3 un£
bie ®efc^id)t3pl)ilofopl)ie auf jeber ©eite ifjrer £arftellung taut juruft, baß
neue £ebcn3anfd)auungen au£ alten fyerttorgefyen ,
biefe niemals befeitigen,

fonbern fie nur entmidcln, baß jebeS nod) fo große ^nbiüibuum in ©renjen
eingefd)loffen ift, bie burd) ben Kulturguftanb feinet SSolfeS gegeben finb,

baß ba§ innere Seben ber ©taaten §um großen Seit abhängig ift oon ben
2BeItoerf)ättniffen , b. I). oon bem $erbältni§ ber einzelnen ©taaten unb
Hölter untereinanber, überfielt 9?ie£fd)e in bem Reißen 93emüf)en, feine gbeale
ber SBett ju öerfünben.
gür 9?ie£fd)e, ber fid) fetbft einen ^aturatiften nannte, befte^t ber fau-
fale gufamrn en^ang gtotfcficn Diatur unb Kultur nidjt. 9^id)t im ©ntferoteften
ermißt er bie S3ebeutung ber Dbjeftc ber -ftatur für ba£ menfd)lid)e Kulturleben.
(£3 ift befannt, luie ©d)openl)auer SamarcfS U)m toof)lbefanntc £et)re

als Sädjerlidjfeit gebranbmartt ©ebanfe einer


t)at. gür ^ie|fa^e bitbet ber

im Kampf um£ ®afein fid) ooügie^enben 3"^^°^ eine ©runblagc für


feine große Sefyre üon ber 3ücl)tung be§ Übcrmcnfdjen. 5^er biologifdje ©e*

fid)töpunt"t monad) a(Ie§ unter bie §errfd)aft üitater 3merfmäßigfeit tritt,


,

ift für 9^ie|fd)e oon beftimmenber Söirfung gemefen. ©eine SWorat, ba§
fitttidje SBotlen unb £anbetn, bie Urfenntni^ unb ü)r Siet, bie 2öaf)r^eit

f}at fid), mie Kütpe einmal ausführt, oor biefem gorum au^uiocifcn.
— 39 —
Ob aber ba3 @efe£ ber natürlichen ^tu^lefe £)artt)in§, bie immer ba§
©ct)Iect)te beseitigen unb bem @uten junt (Siege üerfjetfen fott, burch bie

hiftorifdje ©ntmicflung ber ÜDtafchheit eine 23eftätigung ftnbct , ift fetjr in

$rage ju ("teilen. S3t§^er Ijat ftet) hier nur gegeigt, baß bie natürliche $tu§*

lefe bem Seben§fäf)igeren unb $mar immer unter beftimmten 9Serf)ä(tniffen


ben ©ieg üerleif)t. §ierin aber einen $ortfdjritt im Sinne ber <35efcf)tc£)te
§u erbtiefen, ift §meifetto£ fatfdj, ba ba3 Seben, in welcher ©eftalt e3 auch
auftreten mag, niemals einen abfohlten Söert barftettt. (£3 ba§u §u erheben,
tt>äre üollenbio fimtlo3, meil 8e6en8fät)igfett alles Seben fdjon burch fein

bloße§ £)afein beriefen r)at. (fRidcrt.)


gür 9tte|fche ift ber abfolute SBert be£ Sebent «Sinn unb 3^ feiner
gangen ^5rjtlofopr)ie. 2)a^ Seben, inkorporiert im Übermenfdjen, ift für tt)n

ber Sflafjftab, mit bem er aVLtä mißt unb — tierurteilt, ma§ Utytx bem
$ulturmenfchen mertooß mar.
®egen ba3 Seben, fo mte e£ mar, fo mie e3 ift unb fo mie e3 auf
©runb unfere£ 9ttenfcf)entum3 im innerften Sßefen bleiben mirb, reben
Schopenhauer unb üftie|fche, um mit §amlet gu fpredjen, Solche unb bieten
boch ben SSftenfchen in ihren füljnen Irrfahrten nicht t>a§> rettenbe @Uanb,
ba3 bie nach t§rcn Gegriffen ftumpf geworbene SSelt erfe|en tonnte, bie
SBelt, mo atä gunbamente ber Religion unb Sittlichkeit immer noch bie
(Smigfett ber (Seele unb bie mathematifche @efe|tichfeit ber Söelt gelten, mo
ba3 golbene, ^eilige Seitjeug ber Vernunft ben ÜDlenfchen §um §errn feiner
felbft macht, mo alle gbeen unter ber §errfd)aft be3 ®uten ftehen unb ©ein
unb ©rfennen nur um be3 @uten bitten finb.

SDrucf »on 3JI. ©djulje in 2U§le6en a. S.


Dtud von ITC, SA\u\it in aisleben a, S,
University of Toronto

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